Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über eine ganze Reihe von Veränderungen des Grundgesetzes. Das ist kein selbstverständlicher Vorgang; denn immerhin handelt es sich um das Basisgesetz, das uns alle, unsere Demokratie und wie wir arbeiten, zusammenhält. Das macht man nicht mal einfach so; sondern die Grundlage solcher Veränderungsbestrebungen muss immer sein, dass wir tatsächlich etwas verändern wollen, das über einfache Gesetzgebung hinausgeht.
Es gibt eine ganze Reihe von Fragestellungen, die uns in den letzten Jahren bewegt haben und die mit diesen Verfassungsveränderungen auch bewegt werden, so zum Beispiel die Frage, wie wir es hinbekommen können, dass der Wohnungsbau in Deutschland vorangebracht wird und es wieder und weiterhin sozialen Wohnungsbau gibt. Das ist keine selbstverständliche Sache; denn es hat darüber schon Verständigung gegeben, dass sich die Bundesrepublik Deutschland, also der Bund, 2019 aus der finanziellen Unterstützung des sozialen Wohnungsbaus zurückzieht. Das ist angesichts der gegenwärtigen Lage auf dem Wohnungsmarkt kein akzeptabler Gang der Dinge. Deshalb ist es eine gute Entscheidung, die heute vorbereitet wird, dass auch in den 20er-Jahren der Bund den Ländern und Gemeinden Hilfe geben kann, wenn es um den Ausbau und die Förderung des sozialen Wohnungsbaus geht. Das war eine notwendige Entwicklung.
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Das gilt auch für die Frage, wie wir die Verkehrsinfrastrukturen in unseren Ballungsräumen besser entwickeln können. Das ist ein großes Thema. Denn wir diskutieren gegenwärtig zu Recht über die Folgen des menschengemachten Klimawandels; wir diskutieren darüber, wie wir es schaffen können, die Erderwärmung aufzuhalten, und wir diskutieren darüber, wie wir die Mobilität so weiterentwickeln können, dass nicht immer größere Verkehrsstaus auf den Autobahnen das Leben unserer Bürgerinnen und Bürger und vieler Pendlerinnen und Pendler prägen. Das funktioniert nur, wenn wir den schienengebundenen Nahverkehr ausbauen können. Dies kann nicht nur eine Sache der Kommunen oder Länder sein. Das ist ein nationales Anliegen, und deshalb ist die Veränderung, die jetzt hier mitdiskutiert wird, notwendig. Die Bundesrepublik Deutschland kann dann viel stärker als in den letzten Jahrzehnten in die Förderung des Ausbaus des schienengebundenen Nahverkehrs einsteigen; auch das ist ein wichtiger und ein notwendiger Fortschritt.
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Ein paar der Dinge, die jetzt zu bewegen und zu verändern sind, haben gar nichts mit dem Grundgesetz zu tun; das muss man sagen. Sie haben etwas damit zu tun, dass die heute bestehenden Gesetze ein paar Restriktionen vorsehen, die auf Kritik gestoßen sind. Deshalb ist es wichtig, hier klar zu sagen, dass zusammen mit der Verfassungsänderung die Verständigung besteht – mit den Grünen und der FDP haben wir bereits darüber gesprochen –, dass man Möglichkeiten suchen soll, wie es in irgendeiner Weise gelingen kann, auch sehr kleine Projekte zu fördern, oder wie es zum Beispiel gelingen kann, eine komplexe Mobilitätsförderung zustande zu bringen, die sich nicht nur auf die konkrete Straßenbahn, die konkrete S‑Bahn oder die konkrete U‑Bahn bezieht. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir das hier festhalten. Was heute ansteht, ist nur die Verfassungsänderung; aber der Konsens reicht weiter. Deshalb wollte ich das hier auch erwähnen.
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Das dritte große Thema, mit dem wir uns hier beschäftigen werden, ist die Frage: Wie kriegen wir es hin, dass unsere Schulen die Standards erfüllen, die wir uns für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland vorstellen? Die Vorstellung ist ziemlich klar: Wir wollen Schulen, die am besten ausgestattet sind, nicht nur, was die bauliche Qualität, sondern auch, was zum Beispiel Fragen der digitalen Infrastruktur und der Anbindung unserer Schulen betrifft. Das alles sind ganz wichtige Dinge, über die überall immer wieder diskutiert wird. Deshalb ist es wichtig, dass neben den unglaublich hohen Mitteln, die die Länder und Gemeinden für unsere Schulen bereitstellen, auch der Bund sich daran beteiligt, damit diese wichtigste Zukunftsentwicklung in unserem Land nach vorne bewegt werden kann. Wir wollen, dass das jetzt möglich wird.
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Es gelingt. Und dass es hier gelingt – das will ich an dieser Stelle auch sagen –, ist durchaus eine ambitionierte demokratische Veranstaltung. Denn wir brauchen im Deutschen Bundestag eine Zweidrittelmehrheit, und wir werden sie – dazu sage ich gleich noch etwas – auch noch einmal im Bundesrat benötigen; sonst können Verfassungsänderungen in diesem Lande zu Recht nicht beschlossen werden.
Ich bin deshalb dankbar für die sehr konstruktiven und detailreichen Gespräche mit FDP und Grünen. Ich bin auch dankbar dafür, dass ich die Vorstellung der Bundesregierung auf Einladung der Partei Die Linke darstellen und erläutern konnte. Ich glaube, das ist ein ganz guter Beitrag für eine ordentliche Debatte in diesem Haus, für Dinge, die uns alle angehen und die letztendlich immer etwas ganz Essenzielles berühren, nämlich unsere Verfassung. Mit dieser kann man nicht dilatorisch umgehen, sondern muss immer versuchen, dass sie über einzelne Parteigrenzen hinweg etwas ist, das uns und unser Land zusammenhält. Schönen Dank dafür!
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Deshalb will ich auch über den Fortgang unserer Verfassungsdebatte noch ein, zwei Worte verlieren. Ein Teil der Regelungen, die heute hier beschlossen werden, sind ein dringender Wunsch ziemlich vieler Abgeordneter ziemlich vieler Parteien hier im Deutschen Bundestag, nämlich darüber zu diskutieren, wie eigentlich das Verhältnis bei Finanzhilfen zwischen Bund und Ländern ausgestaltet ist. Als jemand, der auf verschiedenen Bänken gesessen hat, also schon einmal in der Bundesregierung war und jetzt wieder ist, der lange Abgeordneter des Deutschen Bundestages war, der aber auch über viele Jahre Bürgermeister eines der Länder in Deutschland war, weiß ich, dass die Zusammenarbeit besser ist als ihr Ruf, und ich weiß, dass man sich auch besser versteht, als das gelegentlich behauptet wird. Trotzdem gibt es einige Fragen, die miteinander zu diskutieren wären.
Mit seinen Veränderungsvorschlägen gegenüber dem ursprünglichen Regierungsantrag, die der Deutsche Bundestag hier auf den Weg bringt, will er, dass klar ist, dass es, wenn der Bund Mittel gibt, auch eine finanzielle Beteiligung der Länder gibt. Das ist der Kern des Vorschlages der Zusätzlichkeit, den der Bundestag hier macht. Ich würde die Länder bitten, sich das einmal ohne große Aufregung anzuschauen. Das sind Vorschläge, die durchaus nicht so weitreichend sind, wie der eine oder andere befürchtet.
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Vielleicht ist die notwendige Debatte, die wir vor der endgültigen Beschlussfassung gemeinsam mit dem Bundesrat noch führen werden, auch eine Möglichkeit, sich einmal alles zu sagen, was bei dieser Gelegenheit zu sagen ist.
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Das ist ja auch nicht schlecht. Dann aber möchte ich sowohl die hier versammelten Abgeordneten als auch die Vertreter der Länder und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten sowie die Bürgermeister bitten, sich auch zusammenzuraufen. Die Verfassungsänderungen, um die es hier geht, sind wichtig genug, um bei der Frage, wie wir das gemeinsam machen – denn das ist ja das Thema von Finanzhilfen –, sehr wohl auch ein gemeinsames Ergebnis erzielen zu müssen. Das werden wir schaffen. Ich bin sehr froh darüber, dass diese Verfassungsänderungen nun so weit gediehen sind, dass wir sie bald im Grundgesetz wiederfinden können.
Schönen Dank.
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Dr. Götz Frömming, AfD, ist der nächste Redner.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eigentlich müsste die AfD-Fraktion heute hier die vierfache Redezeit bekommen; denn wie es aussieht, sind wir – auch bei diesem Thema – wieder einmal die einzige wirkliche Opposition im Hause.
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Meine Damen und Herren, das, was Sie hier praktisch über Nacht zusammengezimmert haben, ist wirklich unglaublich.
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Einen solchen Murks hat die Welt noch nicht gesehen. Man muss kein Jurist sein, um das zu erkennen. Bei dem, worüber wir heute sprechen – der Finanzminister ist ja schön ruhig geblieben –, was Sie hier heute vornehmen, handelt es sich um einen Frontalangriff auf die föderalen Strukturen unseres Staates.
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Der vielbeschworene DigitalPakt, den Sie hier alle gerne loben und herausstellen, ist in diesem Zusammenhang nichts weiter als ein trojanisches Pferd, um den Ländern das abzunehmen, was seit 1949 in ihren Hoheitsbereich gehört, nämlich die Hoheit über die Bildung.
Das, was im ersten Entwurf schon schlimm war, ist jetzt unter Mithilfe von FDP und Grünen noch schlimmer geworden. Worum geht es? Im ursprünglichen Entwurf zu Artikel 104c Grundgesetz sollte der Bund direkt in die Bildungsinfrastruktur der Länder, und zwar nicht nur in die der finanzschwachen Kommunen, hineinfinanzieren können. Mit der neuen Regelung könnte der Bund sich nun auch an Personalkosten und der Entwicklung gemeinsamer, also nationaler Bildungsstandards beteiligen, wie wir in den Erläuterungen zum Gesetzentwurf lesen können. Anders ausgedrückt: Der Bund will den Ländern die Mitsprache in der Bildungspolitik abkaufen und legt dafür die „Axt“ an unser „Grundgesetz“, wie es die „FAZ“ zu Recht formulierte.
Meine Damen und Herren, die Finanzlage der Länder ist in Wahrheit besser als hier oft suggeriert; der Kollege Eckhardt Rehberg gibt dazu sicherlich gerne Auskunft.
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5 Milliarden Euro für den DigitalPakt, gestreckt auf fünf Jahre und verteilt auf 33 000 Schulen – man muss kein Mathematiklehrer sein, um auszurechnen, was da vor Ort ankommt: pro Schule nur wenige zehntausend Euro. Was machen die Schulen damit? Sie kaufen ein paar Laptops, es gibt vielleicht ein bisschen mehr Internet, und in fünf Jahren sind die Geräte veraltet. Aber das ist dann egal, die schönen Fotos haben die Herren Politiker mit den Schülern und ihren Laptops gemacht.
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Meine Damen und Herren, die Kritik wächst, nicht nur in den Reihen der AfD, die Kritik wächst auch in den Ländern. Die Länder wachen langsam auf. Auch das ist Teil unserer Oppositionsarbeit.
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– Hören Sie mal gut zu! – Das führt zu bemerkenswerten Allianzen:
Schauen Sie nach Baden-Württemberg. Dort gibt es ein interessantes Bündnis. Wer sich die Debatte im Landtag von Baden-Württemberg einmal angehört hat, der hat feststellen können, dass Grüne, CDU und AfD gemeinsam geschlossen gegen diese wahnsinnige Grundgesetzänderung stehen.
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Hören Sie sich die Debatten an!
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Aber es geht noch weiter, meine Damen und Herren. Langsam kriegen Sie das Zittern; denn auch Schleswig-Holstein schwenkt um. Ich zitiere die dortige Bildungsministerin, wieder CDU. Sie sagte:
Eine solch einschneidende Grundgesetzänderung, heimlich und leise quasi als Gegenleistung für den Digitalpakt, das ist kein gutes Verfahren im Umgang mit dem Grundgesetz und ein zu hoher Preis.
Schon bei unserer Expertenanhörung im Haushaltsausschuss am 8. Oktober war die Mehrheit der Experten äußerst kritisch. Eigentlich müssten Sie diese Anhörung jetzt wiederholen, die Experten würden dann nämlich ihre Kritik verschärfen. Diejenigen, die sich zu der Neufassung geäußert haben, finden deutliche Worte. Ich weiß, dass Sie das alles nicht hören wollen, müssen Sie aber. Ich zitiere den Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages. Professor Henneke sagte zu Ihrem vorliegenden Entwurf:
Koalition und Opposition haben hier Verfassungsschrott fabriziert.
Das ist Verfassungsschrott, was Sie hier vorlegen.
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Ganz zu Recht warnt auch der Ministerpräsident von Baden-Württemberg vor einer – Zitat – schrittweisen Aushöhlung der Gestaltungsmacht der Länder, die zu Verwaltungsprovinzen des Bundes degradiert werden.
Meine Damen und Herren, die AfD-Fraktion macht bei diesem Projekt nicht mit. Für uns ist Bildung Sache der Länder. Wir hatten eine solche Situation schon einmal: Nach dem Ersten Weltkrieg haben die Sozialdemokraten versucht, die Bildung zu zentralisieren.
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Nach wenigen Jahren lag das Bildungssystem danieder, und man ist wieder umgeschwenkt auf die bewährten föderalen Strukturen. Die AfD steht zum Föderalismus. Die AfD stellt sich vor unser Grundgesetz. Wir machen bei Ihrer Verfassungsänderung nicht mit.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist Andreas Jung, CDU/CSU.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ganz sicher, dass die Debatte über Digitalisierung und Schule, über den sozialen Wohnungsbau, über nachhaltigen Verkehr in den Kommunen nach dem heutigen Tag weitergehen wird. Das ist eine Daueraufgabe.
Ich will anschließen an das, was der Bundesminister gesagt hat. Es ist heute eine wichtige Wegmarke, weil sich CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne auf einen gemeinsamen Vorschlag zu Grundgesetzänderungen geeinigt haben, und zwar an den Stellen, wo wir es für notwendig halten, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Das ist, wie er es auch schon gesagt hat, gar nicht so selbstverständlich. Ich finde, es ist gut, und es ist Grundlage für die weitere Debatte.
Diese Debatte führen wir selbstverständlich in dem Bewusstsein, dass es eine genauso breite Mehrheit auch im Bundesrat brauchen wird und dass diese genauso wenig selbstverständlich ist wie die Mehrheit in diesem Haus. Dass auch eine Mehrheit dort notwendig ist, ergibt sich aus dem Grundgesetz. Es entspricht aber auch unserer Überzeugung als überzeugte Föderalisten. In diesem Geiste werden wir die Debatte heute führen, aber auch die Debatte nach dem heutigen Tag mit den Ländern, also konstruktiv, aber auch zielorientiert, vor allem aber in der gemeinsamen Überzeugung, dass wir die großen Herausforderungen in den beschriebenen Bereichen nur gemeinsam bewältigen können.
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Und ich stelle fest, dass wir bei den Herausforderungen des sozialen Wohnungsbaues ein hohes Maß an Einigkeit haben. Wir haben gemeinsam festgestellt, dass die Frage des bezahlbaren Wohnraums eine der zentralen sozialen Fragen unserer Zeit ist, bei der es um gleichwertige Lebensverhältnisse und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft geht. Deshalb ist es richtig, dass der Bund sich zu dieser Aufgabe bekennt. Bezahlbaren Wohnraum und neue Wohnungen zu schaffen, ist nicht nur eine Aufgabe für die Privatwirtschaft. Diese wollen wir durch steuerliche Vorteile begünstigen, das entsprechende Gesetz soll diese Woche beschlossen werden. Es ist nicht nur eine Aufgabe für Kommunen und Länder, sondern es ist auch eine gemeinsame Verantwortung, zu der der Bund in Zukunft ebenfalls seinen Beitrag leisten wird. Deshalb ist die Grundgesetzänderung notwendig und richtig.
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Ich stelle fest, dass es ein hohes Maß an Übereinstimmung gibt, dass das, was wir im Koalitionsvertrag angekündigt haben, richtig ist, nämlich das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz nicht nur fortzuführen. Es ist richtig, dass der Bund sich in Zukunft weiterhin nicht nur zu seiner Verantwortung bekennt. Vielmehr ist es gut, dass wir hier in Zukunft mit 1 Milliarde Euro zusätzlich pro Jahr und einer Dynamisierung der Mittel mehr tun werden.
Das aber würde im Widerspruch zu den jetzigen Festlegungen des Grundgesetzes stehen. Deshalb ist auch hier eine Grundgesetzänderung notwendig und aus meiner Sicht richtig. Sie wird einen wichtigen Beitrag zum nachhaltigen Verkehr in den Kommunen und damit auch zum Klimaschutz und zu guter Mobilität in Deutschland leisten. Es ist eine richtige Maßnahme.
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Nun ist uns bewusst, dass die Frage der Grundgesetzänderung für die Bildung bzw. Digitalisierung der Schulen zu den meisten Debatten und Nachfragen führt. Deshalb ist es uns zunächst einmal wichtig, zu sagen, dass für uns völlig selbstverständlich und unumstößlich ist, was im Grundgesetz festgeschrieben ist: Bildung ist Ländersache. Die Kultushoheit bleibt bei den Ländern. Das steht im Grundgesetz. Das steht im Koalitionsvertrag. Und das wird immer unsere Leitlinie als überzeugte Föderalisten sein.
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Das ist auch der Ausgangspunkt der Überlegungen zum DigitalPakt. Deshalb möchte ich zunächst einmal sagen, worum es hier nicht geht. Es geht selbstverständlich nicht darum, dass der Bund darüber entscheidet und befindet, welches die richtigen Konzepte sind und wie in den Schulen gelernt werden soll. Das bleibt die Aufgabe der Länder. Selbstverständlich bleibt es auch die Aufgabe der Länder, darüber zu bestimmen, wer in den Schulen unterrichtet. Sie werden auch in Zukunft die Verantwortung für die Auswahl, für die Einstellung und die Finanzierung der Lehrer tragen. Daran wird nicht gerüttelt.
Wir alle sind der Meinung, dass vergleichbare Bildungsstandards richtig sind. Aber wir haben Zutrauen in die Länder und deren Vereinbarungen in der Kultusministerkonferenz. Wir empfinden Wettbewerb dabei nicht als Nachteil, sondern als Vorzug. Auch daran wird nicht gerüttelt. Ich will es zusammenfassen: Der Bund ist nicht der bessere Schulmeister. Der Bund will gar nicht Schulmeister sein, und er soll es nicht sein. Es geht hier um Infrastruktur. Dabei ist der Bund aber auch nicht Baumeister; das sind die Kommunen in Zusammenarbeit mit den Ländern. Der Bund wird also nicht Schulmeister und auch nicht Baumeister. Diese Aufgaben sind in guten Händen bei den Kommunen und den Ländern.
Es geht einzig darum, wie wir Finanzhilfen möglich machen können, die, glaube ich, alle gemeinsam für richtig halten. Das will ich in den Mittelpunkt stellen. Der Weg ist umstritten. Über den Weg müssen wir reden und diskutieren. Es gibt aber ein gemeinsames Ziel, nämlich dass wir bei der Digitalisierung der Schulen besser vorankommen müssen. Dazu kann der Bund in Zukunft einen Beitrag leisten. Die Schultür darf nicht das Stoppschild für notwendige Investitionen sein. Darum ringen wir jetzt. Es geht um den richtigen gemeinsamen Weg.
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Das tun wir mit dem Vorschlag für eine Grundgesetzänderung, der vorsieht, dass der Passus „finanzschwach“ gestrichen wird. Das zeigt schon, dass es in diesem Punkt keine Grundsatzfrage ist. Schon bisher sind Investitionen des Bundes in die kommunale Bildungsinfrastruktur möglich. Das gilt aber nur für finanzschwache Kommunen.
Wir sind der Überzeugung, dass das für alle Kommunen möglich sein soll. Wir schlagen deshalb die Streichung dieses Passus vor. Das Ergebnis der – auch das darf man ja sagen – schwierigen Beratungen der vier Fraktionen ist, dass in Zukunft nicht nur ganz konkrete Investitionen möglich sein sollen, sondern auch die Übernahme von Kosten, die konkret und unmittelbar mit diesen Investitionen verbunden sind, möglich wird.
Dabei geht es aber nicht um langfristig anfallende Betriebskosten und auch nicht um Personalkosten für Lehrer. Die Sorge bei manchen war, dass der Bund hierbei in eine langfristige Finanzierung einsteigen könnte. Dass das nicht der Fall sein wird, zeigt sich schon daran, dass wir die Befristung der Mittel ausdrücklich festschreiben. Es geht um die Investitionen, um die Nutzbarmachung dieser Investitionen und damit um die Frage, wie wir einen Beitrag dazu leisten können, dass Digitalisierung insgesamt in unserem Land und auch in den Schulen vorankommt.
Ich kann übrigens den Widerspruch zwischen Beton und Köpfen, der manchmal angesprochen wird, nicht erkennen. Es gibt ihn schon deshalb nicht, weil es sich bei digitaler Infrastruktur erkennbar nicht um Beton handelt. Vielmehr geht es um andere Investitionen. Diese Investitionen sollen besserem Lernen dienen, und man lernt mit dem Kopf. Damit gibt es hier keinen Widerspruch zwischen Beton und Köpfen. Vielmehr haben wir das gemeinsame Ziel, durch eine bessere Infrastruktur besseres Lernen zu ermöglichen. Dafür wollen wir jetzt einen gemeinsamen Weg suchen.
Wir machen heute diesen Vorschlag und werben um Zustimmung des Bundestages. Wir hoffen auf eine Zweidrittelmehrheit. Dann werden wir über diesen Vorschlag mit den Ländern diskutieren. Dort werden wir ebenfalls um Zustimmung werben. Wir werden dies, wie vorhin gesagt, konstruktiv tun, im gemeinsamen Geiste, dass wir unser Land voranbringen und Verbesserungen für die Menschen erreichen wollen.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende der FDP, Christian Lindner.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Koalition hatte die Tür zu einer Reform des Bildungsföderalismus bereits einen Spalt geöffnet. Das ist auch gewürdigt worden. In den gemeinsamen Verhandlungen der vier Fraktionen konnte diese Tür zur Reform des Bildungsföderalismus noch ein Stück weiter geöffnet werden. Das ist eine gute Botschaft, nicht nur in der Sache, sondern es ist auch eine gute Botschaft für das Zentrum unseres politisch-parlamentarischen Systems. Die staatstragenden Parteien sind in der Lage, zu Kompromissen zu finden, die das Leben der Menschen in Deutschland verbessern. Das ist eine gute Nachricht über das Thema hinaus.
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Der Kollege Jung hat das Verhandlungsergebnis so dargestellt, dass es doch recht klein erscheint. Ich glaube, wir können etwas selbstbewusster über das sprechen, was hier an Weiterentwicklung möglich geworden ist; denn tatsächlich können die Finanzhilfen des Bundes an die Länder jetzt auch in verlässlichen Jahreszahlungen erfolgen. Sie müssen nicht degressiv ausgestaltet werden.
Es wird möglich, dass eben nicht nur in Kabel – um nicht Beton zu sagen –, sondern, mindestens zu Beginn eines Programmes, auch in personelle Unterstützung investiert werden kann; sei es durch Systemadministratorinnen und -administratoren, pädagogische Coaches oder auch Lehrkräfte, je nachdem, wie ein Programm gestaltet wird.
Besonders wichtig ist für uns: Im Grundgesetz werden die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems und die Sicherstellung der Qualität des Bildungssystems ausdrücklich genannt. Es sind nur Programmsätze. Ich will noch nicht von einem Staatsziel sprechen; aber dass Qualität und Leistungsfähigkeit des Bildungssystems für den verfassungsändernden Gesetzgeber Kategorien werden, ist schon eine Zäsur. Deshalb ist das, was wir heute beschließen, eine gute Nachricht für die Schülerinnen und Schüler und ein echter Schritt nach vorn.
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Nun ist Kritik geäußert worden, beispielsweise von Herrn Kretschmann, der die Bildungshoheit berührt sieht. Er sieht in der Bildungshoheit das verfassungspolitische Hausgut der Länder, das nicht tangiert werden dürfe. Sein Plädoyer für den Bildungsföderalismus wäre noch überzeugender, wenn unter seiner Verantwortung in Baden-Württemberg die Qualität des dortigen Bildungssystems besser geworden wäre. Leider ist diese, seit er regiert, schlechter geworden.
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Insofern ist er nicht der beste Anwalt des Bildungsföderalismus.
Das, was wir von der AfD gehört haben, ist ganz besonders amüsant. Sie scheinen die Rechtslage bis 2005 überhaupt nicht zu kennen; denn bis 2005 gab es dieses Kooperationsverbot, das wir jetzt lockern, gar nicht. In der Schweiz, in der Musterföderation der Welt, gibt es seit 2005 ein Kooperationsgebot, Herr Kollege, zwischen den Kantonen. Sonst nehmen Sie sich doch an der Schweiz immer gerne ein Beispiel. Warum nicht in dieser Frage?
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Deshalb ist die Auseinandersetzung, die wir hier führen, nicht eine zwischen guten und schlechten Föderalisten, sondern nur zwischen modernen und total altbackenen Föderalisten. In diese Kategorie haben Sie sich ja gerade eingeordnet.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wegen dieses Pakets, das wir im Bildungsbereich geschnürt haben, wird die FDP-Bundestagsfraktion der Grundgesetzänderung insgesamt zustimmen. Ich will allerdings gleich sagen, dass es andere Aspekte gibt, bei denen wir fachpolitisch auch Bedenken angemeldet haben, die wir wegen der erreichten Einigung im genannten Feld zurückstellen. Es liegt jetzt an den Ländern, im Gespräch mit Bundestag und Bundesregierung Stellung zu dieser Grundgesetzänderung zu nehmen. Es werden Bedenken geäußert, die sich insbesondere auf die Zusätzlichkeit der Bundesmittel zu den Landesmitteln beziehen. Quer durch alle Parteien gibt es diese Diskussion. Insbesondere von Unionsseite ist das aufgerufen worden. Es war ein besonderes Anliegen der Haushälter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die diese Initiative ergriffen haben und zunächst die SPD-Bundestagsfraktion überzeugt haben. Von daher gibt es jetzt auch eine besondere Verantwortung für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, das Gespräch mit den B‑Ländern zu suchen, um sie für die Regelung bei der Zusätzlichkeit zu gewinnen.
Wir werden uns auch ansehen, was die Bundesregierung aus den jetzt veröffentlichten Möglichkeiten macht; denn bisher ändern wir nur das Grundgesetz aus Anlass des angekündigten DigitalPaktes. Was dann die Große Koalition konkret daraus macht, wird sich zeigen. Frau Karliczek jedenfalls musste erst noch von der Nennung von Bildungsstandards überzeugt werden. Frau Karliczek musste überzeugt werden, dass auch in Köpfe investiert werden kann und nicht nur in Kabel. Und deshalb, Frau Ministerin, nutzen Sie bitte die Möglichkeiten, von denen Sie der Deutsche Bundestag überzeugen musste, die nicht aufgrund Ihrer Initiative in das Grundgesetz geschrieben werden, trotzdem entschlossen im Interesse der Weiterentwicklung unseres Bildungssystems.
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Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke, ist die nächste Rednerin.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahr 2006 – das ist schon erwähnt worden – haben CDU/CSU und SPD das Kooperationsverbot beschlossen. Die Linke war dagegen. Wenn jetzt ein Fehler korrigiert wird, dann werden wir uns dem nicht entgegenstellen. Darum werden wir der Grundgesetzänderung auch zustimmen; denn dieses Kooperationsverbot muss vollständig aufgehoben werden, meine Damen und Herren.
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Ein solches Verbot ist natürlich ein Anachronismus. Wie kann man in einer Zeit, in der eigentlich nur globale Zusammenarbeit unser Überleben ermöglicht, Kooperationen zwischen Bund und Ländern verbieten wollen? Wenn diese Weltfremdheit jetzt beseitigt wird, sind wir dabei, meine Damen und Herren.
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Wir werden der Grundgesetzänderung zustimmen, weil wir alle Initiativen unterstützen, die dazu beitragen, den Bildungs- und Wohnungsnotstand in unserem Land zu beenden. Allerdings – das sagen wir Ihnen auch ganz deutlich – reicht es nicht aus, das Kooperationsverbot aufzuheben. Wir müssen mehr in Bildung investieren. Mit dem Haushalt, den wir in der vergangenen Woche beschlossen haben, haben Union und SPD die Investitionsbremse angezogen. Diese Bremse muss gelöst werden, meine Damen und Herren.
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Wenn wir darüber reden, was wir der nächsten Generation hinterlassen, dann ist es doch unsere erste Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die nächste Generation gut ausgebildet ist, dass sie alle Bildungschancen hat. Es gibt doch keine schlimmere Hypothek, als unseren Kindern und Enkelkinder zu verwehren, eine gute Bildung bekommen. Dass sie diese bekommen, dafür müssen wir sorgen, und dafür kämpfen wir.
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Meine Damen und Herren, was aber auch zur Wahrheit gehört: Der Kampf gegen den Bildungsnotstand ist wieder verschoben worden. Wir hatten im Haushalt 2 Milliarden Euro für die Ganztagsschulen vorgesehen. Diese Investitionshilfe ist verschoben worden – ich hoffe, nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag; denn dieses Geld wird dringend gebraucht, damit in den Ländern in die Schulen investiert werden kann, um den Kindern dort größere Chancen zu geben. Das wollen wir doch alle gemeinsam; das dachte ich zumindest.
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Die Linke hat schon 2006 gesagt, dass auch die Verantwortung des Bundes für den sozialen Wohnungsbau erhalten bleiben muss. Ich will daran erinnern, dass wir bereits in der vergangenen Legislaturperiode einen entsprechenden Antrag zur Änderung des Grundgesetzes eingebracht haben. Wenn Sie jetzt diesen Schritt gehen, den wir vorgeschlagen haben, finden wir das natürlich gut und werden das unterstützen, meine Damen und Herren.
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Man muss sich mal vor Augen halten: Die Zahl der Sozialwohnungen hat sich in den letzten 15 Jahren halbiert. Heuschrecken haben den Wohnungsmarkt unter sich aufgeteilt. – Wir brauchen also nicht nur Sozialwohnungen, sondern wir brauchen ein öffentliches Wohnungsbauprogramm, und wir brauchen ein Programm für preiswerte Wohnungen und eine Mietpreisbremse, die die Mieten wirklich bremst und nicht nur diesen Namen trägt.
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Wichtig ist auch, zu betonen, dass Bildungs- und Wohnungsnot Folgeschäden des Kooperationsverbotes und der schwarzen Null sind. Ich will noch einmal sagen: Schwarze Null ist eigentlich ein anderes Wort dafür, dass man nicht über ein gerechtes Steuersystem in unserem Land diskutieren will. Wenn wir mehr Einnahmen hätten, wenn wir die großen Vermögen besser in Anspruch nehmen würden, dann müssten wir überhaupt nicht über die schwarze Null diskutieren; dann hätten wir sie automatisch. Wir müssen also unser Steuersystem gerechter gestalten, meine Damen und Herren.
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Doch ein unsinniges Verbot aufzuheben, ist für uns nicht genug. Die Linke will folgende Ziele im Grundgesetz verankern: eine umfassende Gemeinschaftsaufgabe für Bildung und für ländliche Entwicklung und für Kultur und Sport als Staatsziel.
Wir wollen aber nicht – auch das ist ein Kritikpunkt an dieser Änderung, den ich hier vortragen will –, dass mit Steuergeldern die Renditewünsche von Unternehmen erfüllt werden. Die Rechnungshöfe der Länder und auch des Bundes machen doch deutlich, dass öffentlich-private Partnerschaften keine ehrlichen Partnerschaften sind. Die Kosten und Risiken liegen immer bei den Steuerzahlern, und die Gewinne landen immer bei den Unternehmen. Das können wir nicht hinnehmen, das müssen wir ändern, meine Damen und Herren.
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Es ist schon angesprochen worden, dass von den Ländern neue Kritik geäußert worden ist, insbesondere nach der gestrigen Sitzung des Haushaltsausschusses. Ich würde es gut finden, wenn es gelingt, im weiteren Verfahren dafür zu sorgen, dass es nicht Gewinner und Verlierer gibt, dass keines der Länder den Eindruck haben muss, in der letzten Minute über den Tisch gezogen worden zu sein; denn das wäre etwas, wie ich glaube, was niemandem nutzt.
Meine Damen und Herren, wir als Linke stimmen heute der Aufhebung des Kooperationsverbotes zu, auch wenn es nur ein halber Schritt im Kampf gegen Bildungs- und Wohnungsnotstand ist. Aber wir als Linke werden allen vernünftigen Vorschlägen zustimmen; denn Die Linke ist die Partei der Vernunft.
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Nächste Rednerin ist die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir schließen heute einen bemerkenswerten Vorgang ab. Aus einem Vorschlag der Regierungskoalition ist eine Initiative aus der Mitte des Hauses geworden. Das ist gut, und das ist ein Erfolg. Das ist ein Erfolg insbesondere in Zeiten, in denen es unfassbar viel Polarisierung gibt, unfassbar viel Aufeinanderdraufhauen. Ich bin deswegen froh, dass das gelungen ist. Deswegen bedanke ich mich bei allen, die dabei mitgeholfen haben, meine Damen und Herren.
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Da es um ein Signal von Zusammenarbeit statt Polarität geht, hoffe ich sehr, dass wir dieses Signal auch über die Länderkammern hinwegtragen können.
Ich bin ehrlich: Wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätten wir heute die vollständige Abschaffung des Kooperationsverbotes beschlossen.
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Das haben wir nicht geschafft. Wir haben hier schlicht und ergreifend keine Mehrheit dafür. Es liegt ein Kompromiss vor. Dieser Kompromiss ist aber einer, der trägt, und es ist einer, der die Botschaft aussendet: Der Bund kann jetzt in klaren Grenzen in Köpfe und nicht nur in Beton und in Kabel investieren. Das ist besser, das ist gerechter, das ist ein Zeichen von Gemeinsamkeit, und das ist gut für die Kinder in diesem Land, meine Damen und Herren.
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Wir haben diese Verhandlungen geführt, weil wir der Auffassung sind, dass man eine Grundgesetzänderung nicht nur wegen eines aktuellen Projektes wie dem sinnvollen und wichtigen DigitalPakt macht. Unser Grundgesetz betrifft das Grundsätzliche. Und nein, das ist nicht das Ende des Föderalismus. Im Gegenteil: Das ist moderner Bildungsföderalismus. Wir ermöglichen Zusammenarbeit. Das ist Kooperation. In den Zeiten, in denen wir jetzt leben, in denen es um Globalisierung und ein gemeinsames Europa geht, ist Kooperation in der Bildung doch eine Grundlage. Das ist modern, das ist gut, das ist richtig, und deswegen streiten wir dafür, meine Damen und Herren.
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Wir erleben jetzt mit dem DigitalPakt das erste Projekt, das auf dieser Grundlage geschaffen werden kann. Es gibt andere Baustellen, die schon warten, aus unserer Sicht auf alle Fälle das Thema Ganztagsschule.
Natürlich gibt es Länder, die gern mehr leisten würden, aber nicht können. Hier ermöglichen wir Unterstützung. Warum machen wir das? Weil wir finden, dass die Zukunft eines Kindes eben nicht davon abhängen darf, in welchem Bundesland oder in welcher Region es lebt. Weil wir finden, dass das selbstverständlich sein muss. Ja, natürlich, die Länder bilden den Bund; aber zugleich geht es um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in unserem Land. Das ist ein Grundgesetzauftrag, und den erfüllen wir mit dieser Grundgesetzänderung. Deswegen bitte ich dafür um Zustimmung, meine Damen und Herren.
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Es geht schlicht und ergreifend darum, ob man in diesem Land tatsächlich gleiche Chancen hat – gleiche Chancen, egal ob ich in Bautzen lebe, in Bielefeld oder in Baunatal.
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So einfach ist das, so klar ist das, so gut ist das, und deswegen lohnt es sich, diese Anstrengung zu unternehmen.
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Mit diesem Kompromiss gibt es WLAN, Whiteboards und Tablets an Schulen. Das ist gut, das ist richtig. Das ist jetzt sogar noch besser geworden; denn aufgrund des Verhandlungsergebnisses, das die FDP und wir gemeinsam mit der Union und der SPD erzielen konnten, ist es jetzt möglich, dass das Ganze am Ende auch wirklich bedient werden kann. Nein, damit meine ich nicht besonders talentierte und versierte Schülerinnen und Schüler, die das schon jetzt regelmäßig tun, sondern ich meine Medienpädagogen, ich meine technischen Support, ich meine Weiterbildungen für Lehrerinnen und Lehrer. Ich meine, dass beim DigitalPakt besonders gut zu sehen ist, dass zur Hardware auch die Kompetenz kommen muss. Wir erleben heute doch an vielen Schulen, dass die Lehrerinnen und Lehrer das gar nicht können können oder keine Zeit dafür haben. Daher ist das Verhandlungsergebnis gut und richtig. An diesem Beispiel sieht man ganz genau, warum man beides braucht: die Technik auf der einen Seite, versierte Köpfe auf der anderen Seite, meine Damen und Herren.
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Ich hoffe sehr, dass, nachdem wir die Grundlage geschaffen haben, die Länder dieses Signal der Zusammenarbeit und Kooperation aufnehmen, dass sie zustimmen bzw. verhandeln und dann zustimmen. Das ist übrigens eigentlich etwas ganz Normales in unserem Land: Der Bundestag beschließt etwas und, wenn eine Zustimmungspflicht der Länder besteht, dann wird darüber verhandelt. Wir nennen das Vermittlungsausschuss. Schon der Name „Vermittlungsausschuss“ besagt ja, dass es sinnvoll ist, dass man vermittelt. Wenn also eine Zustimmung so nicht möglich ist, dann können wir verhandeln – selbstverständlich, gerne –; denn wir wollen ja, dass wir einen wichtigen, einen großen Schritt machen, damit wir gemeinsam in der Bildung vorankommen und auch in anderen Fragen, die von der Grundgesetzänderung umfasst sind.
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Ich weiß, dass sich viele Sorgen machen wegen der Zusätzlichkeit; darüber ist eben schon gesprochen worden. Aber eines ist klar: Der Bund will Zusätzliches finanzieren und nicht einfach Vorhandenes ersetzen.
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Aber anders als von manchen befürchtet, geht es nicht darum, dass jetzt Router um Router, WLAN um WLAN, dass jede Ausgabe zur Hälfte gegenfinanziert werden muss, mit dem Bleistift gerechnet, sondern es geht um gleichwertige Ausgaben in diesem Bereich. Darum geht es.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie sehr herzlich, dieser Änderung hier zuzustimmen, und ich bitte die Länder sehr herzlich, dafür zu sorgen, dass wir einen großen, einen guten Schritt vorankommen, was die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse angeht.
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Dr. Katarina Barley, SPD.
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Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn das Grundgesetz geändert wird, dann ist das in der Regel ein sehr wichtiger Tag für das Parlament. Ich freue mich, dass wir heute hier zusammengekommen sind, um diese Grundgesetzänderung zu beschließen.
Im Jahr 2006 wurde im Grundgesetz ein sehr striktes Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildungspolitik festgeschrieben. Dem Bund wurde im Wesentlichen quasi verboten, Geld in Bildung, Geld in die Schulen zu investieren. Die Jahre danach haben gezeigt, dass das zu weitgehend war. Ich darf zwei Sätze aus dem Jahr 2012 aus diesem Hause zitieren: Mehr Bildung geht nicht mit weniger Zusammenarbeit, erst recht nicht mit dem Verbot dazu! – Das Kooperationsverbot war ein Irrtum, den müssen wir bereinigen, und das geht nur gemeinsam!
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Diese beiden Sätze, liebe Kolleginnen und Kollegen, stammen vom damaligen Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion und heutigen Bundespräsidenten, Frank-Walter Steinmeier, nachdem die SPD erstmals einen Antrag zur Abschaffung des Kooperationsverbots in dieses Haus eingebracht hatte – vor sieben Jahren.
Seitdem setzen wir uns im Bund und in den Ländern für genau die Grundgesetzänderungen ein, die uns heute zur Beschlussfassung vorliegen. Das war eine unserer zentralen Forderungen im Bundestagswahlkampf, und die SPD-geführten Länder haben schon im September 2017 einen entsprechenden Antrag in den Bundesrat eingebracht. Ich darf festhalten: Die SPD ist die einzige Partei, die auf Bundes- und Landesebene seit vielen Jahren geschlossen für die Abschaffung des strikten Kooperationsverbotes im Bildungsbereich eintritt.
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– „Geschlossen“, habe ich gesagt. – Ich bin froh, dass es uns nun gelingt, das Grundgesetz zu ändern; denn die Abschaffung des Kooperationsverbotes ist wichtig.
Für uns ist klar: Gerechte Bildungschancen dürfen nicht davon abhängen, wo man lebt oder wie viel Geld man hat, und gerechte Bildungschancen für alle dürfen nicht daran scheitern, dass wir vorhandenes Geld nicht ausgeben dürfen. Das wäre absurd.
Es ist schon interessant, dass die AfD die einzige Partei in diesem Hause ist, die das nicht verstehen will,
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die offensichtlich das Ohr nicht an den Sorgen der Bürgerinnen und Bürger hat.
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Bei Ihnen treten offensichtlich keine Bürger in der Bürgersprechstunde auf, die Ihnen sagen, dass die Verhältnisse in den Schulen dringend verbesserungsbedürftig sind. – Wir sehen das, und wir werden das auch ändern.
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Wir beschließen heute eine wirklich wichtige Grundgesetzänderung, die es dem Bund erlaubt, künftig mehr in Bildung, in sozialen Wohnungsbau und in kommunalen Nahverkehr zu investieren. Das ist eine wirklich wichtige Unterstützung für viele Menschen in unserem Land, zum Beispiel für die vielen Pendlerinnen und Pendler, die jeden Tag mit Bus und Bahn zur Arbeit fahren, für Mieterinnen und Mieter, die bezahlbaren Wohnraum suchen, und auch für Lehrerinnen und Lehrer, die künftig mit modernerer Technik unterrichten können.
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Wir stärken damit den sozialen Zusammenhalt in unserem Land. Wir sorgen auch für gleichwertigere Lebensverhältnisse. Dafür übernimmt der Bund eine Verantwortung, und dafür ändern wir unser Grundgesetz.
Dafür, um unser Grundgesetz zu ändern, gibt es hohe demokratische Hürden. Das ist gut und richtig so. Dass uns heute in einer durchaus grundlegenden Frage diese Einigung gelingt, bedeutet, dass unsere parlamentarische Demokratie gut funktioniert. Es ist ein gutes Zeichen, dass wir uns über Parteigrenzen hinweg einigen können, wenn es um die großen Fragen, die großen Herausforderungen unserer Zeit geht. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Um das zu erkennen, muss man nur mal einen Blick in die Parlamente anderer Länder werfen. Diesen Geist der Zusammenarbeit brauchen wir in Deutschland, aber auch in Europa. Wir können Dinge verändern, wenn wir zusammenarbeiten. Auch dafür steht der heutige Tag.
Ich finde, das ist auch und gerade deshalb ein wichtiges Signal, weil heutzutage Kompromissfähigkeit und das Schließen von Kompromissen in manchen Teilen der Bevölkerung fast als Beleidigung aufgefasst wird, jedenfalls nicht als einer Demokratie zugehörig empfunden wird. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Das Finden von Kompromissen im Dienste aller, im Sinne aller, genau das ist das Wesen von Demokratie.
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Was steht konkret im Bereich Bildung an? Mit dem DigitalPakt werden wir zusätzlich 5,5 Milliarden Euro in die Schulen unseres Landes investieren, damit sie technisch auf die Höhe der Zeit kommen. Es geht um moderne IT, schnelles Internet, neue Tablets.
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Es geht um Bildung. Es darf nicht sein, dass wir ausgerechnet in der Schule unzureichende Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer haben. Wir können nicht warten, bis wir genügend junge Lehrerinnen und Lehrer haben, die Digital Natives sind. Wir müssen in Weiterbildung investieren.
Frau Barley?
Ich würde gerne im Zusammenhang sprechen.
Sie möchten keine Zwischenfrage zulassen?
Nein. – Genauso sieht es beim sozialen Wohnungsbau aus. Es bestreitet doch niemand, dass in vielen Städten und Gemeinden bezahlbare Wohnungen fehlen. Wir haben dazu viele Maßnahmen ergriffen. Es ist so wichtig, dass der Bund weiter auch in den sozialen Wohnungsbau investieren darf und das nicht 2020 enden muss.
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Wir nehmen in den Jahren 2020 und 2021 jeweils 1 Milliarde Euro für den sozialen Wohnungsbau in die Hand.
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Das ist eine gute Nachricht für Mieterinnen und Mieter; denn wenn mehr günstige Wohnungen auf dem Markt zur Verfügung stehen, dann entspannt das natürlich die Lage auf dem gesamten Wohnungsmarkt und dämpft den Preisanstieg.
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Wir wollen mehr in Busse und Bahnen investieren und den Menschen die Möglichkeit geben, Autos auch mal stehen zu lassen. Viele Menschen, gerade im ländlichen Raum, wo auch ich herkomme, haben nicht wirklich eine Wahl. Gestern erst habe ich den Tweet einer jungen Frau aus einer ländlich geprägten Region, aus einem sehr schönen Bundesland gelesen, in dem es darum ging, dass ihr der Bus vor der Nase weggefahren ist. In Berlin ist das ärgerlich, in Köln auch; aber auf dem Land heißt das möglicherweise, dass man an dem Tag überhaupt nicht mehr wegkommt. Und es leben viel mehr Leute im ländlichen Raum als in der Stadt. Deswegen ist die Stärkung von Mobilität, sind Investitionen in Mobilität auch durch den Bund im Sinne gleichwertiger Lebensverhältnisse unglaublich wichtig.
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Diese Änderungen des Grundgesetzes sind gut, sie sind richtig, sie sind notwendig. Wir wollen, dass am Ende wirklich mehr Geld vor Ort ankommt. Deswegen sehen wir vor, dass die Investitionen des Bundes zusätzlich zu den Investitionen der Länder im gleichen Bereich fließen. Das sorgt für einen starken Anreiz zu mehr Investitionen. Ich freue mich sehr, dass wir parteiübergreifend, fraktionsübergreifend diesen Beschluss heute fassen werden.
Herzlichen Dank.
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Albrecht Glaser, AfD, ist der nächste Redner.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung wünscht eine Änderung mehrerer Artikel der Finanzverfassung, in erster Linie zur Verteilung von Geld an die Länder. Es soll dabei um die Sicherstellung der Qualität und der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens gehen, wie es heißt, die Gemeindeverkehrsinfrastruktur und den sozialen Wohnungsbau. Wie man sieht: Kernaufgaben der Länder, die im föderalen Staatsaufbau diesen zur eigenen Erledigung zugewiesen sind.
Wie allgemein bekannt, ist ein lebendiger Föderalismus unabänderbares Verfassungsgebot – Artikel 79 Absatz 3, Sie kennen das. Die Finanzverfassung des Grundgesetzes zieht daraus seit 1969 die logische und rationale Konsequenz – ich zitiere Artikel 104a Grundgesetz –:
Der Bund und die Länder tragen gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben …
Hinter dieser Regelung steckt die kluge staatstheoretische und verwaltungswissenschaftliche Erkenntnis, dass Aufgabenträgerschaft und Finanzverantwortung auf der gleichen staatlichen Ebene angesiedelt werden müssen. Das nennt man Good Governance.
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Ein Verfassungsrechtler hat bei der Anhörung zu der geplanten Rechtsänderung ausgeführt:
Die Frage, wer in der Sache entscheiden soll, muss über die Zuordnung der Sachkompetenz geregelt werden. Die Finanzkompetenz muss dann folgen.
Dies sieht der Bundesrechnungshof auch so. Und die Bundesregierung, die in gleicher Mannschaftsaufstellung wie heute zur Stärkung dieses Prinzips 2006 eine große Föderalismusreform gemacht und dafür 25 Artikel des Grundgesetzes geändert hat, hat diese Änderungen seinerzeit so begründet:
Die bundesstaatliche Ordnung … leidet an einer übermäßigen institutionellen Verflechtung von Bund und Ländern …
Und:
Mischfinanzierungen verschränken Aufgaben- und Ausgabenzuständigkeiten und engen zugleich die Spielräume für eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung beider staatlicher Ebenen ein.
Eine kluge Bundesregierung, die das damals ins Werk gesetzt hat – eine Große Koalition.
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Als im Jahre 2017 wiederum eine CDU/CSU/SPD-Regierung dieses früher für so wichtig gehaltene Prinzip der Staatsorganisation verwässert hat, haben unter anderem die beiden Ministerpräsidenten Dreyer und Kretschmann schärfsten Protest erhoben.
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Das war vorgestern. Das Ergebnis der Verhandlungen erhalte „eine sachlich eben gerade nicht zu begründende Unwucht zu Gunsten des Bundes“, sagte Dreyer, und Kretschmann sprach von der „Grenze des Zumutbaren, insbesondere … bei den Kontrollrechten des Bundes im Bereich der Finanzhilfen“. Das war vorgestern richtig, das ist heute noch richtig.
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Der ganze jetzt ins Werk gesetzte Angriff gegen den Föderalismus und gegen eine rationale Staatsorganisation geht zudem von einer überbordenden Leistungsfähigkeit des Bundes und der Armut der Länder aus. Schon diese Annahme ist unrichtig, wie die Haushaltsüberschüsse zeigen. Der Kollege Rehberg ist immer bereit, als Zeuge dafür zur Verfügung zu stehen. Und wenn diese Annahme stimmen würde, dann gäbe es die hierfür, meine Damen und Herren, geschaffene einfachgesetzliche Lösung nach Artikel 106 Grundgesetz, worauf ebenfalls in der Anhörung hingewiesen wurde. Dort wird die Aufteilung aller wesentlichen Steuern geregelt; damit soll sichergestellt werden, dass – Zitat – Bund und Länder ihre notwendigen Ausgaben decken können und bei Änderung der Verhältnisse entsprechende Anpassungen erfolgen. So einfach könnte man das Problem lösen – wenn es ein Finanzproblem der Länder gäbe.
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Eine Verfassung, meine Damen und Herren, ist keine Geschäftsordnung der Bundesregierung, die wegen einer Tages- oder Nachtlaune von Koalitionären mal so eben geändert wird. Theoretisch ist das mal so gesagt worden vom Herrn Finanzminister – in praxi wird es völlig anders gemacht. Dass die Oppositionsparteien, die diesen Übergriff in die Verfassung hätten verhindern können, nun auch mitmachen, führt zu der Feststellung: Außer der AfD gibt es im Deutschen Bundestag keine Opposition. Alle anderen sind sich fast immer einig – eine fröhliche Demokratie!
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Wenn man wüsste, wie die Wurst hergestellt wird, würde niemand sie essen, sagt der Volksmund.
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Ähnliches gilt wohl auch für Gesetze und Verfassungsänderungen. Und dabei geht es um die Kostbarkeit des Respekts vor dem Rechtsstaat, die hier so gerne beschworen wird. – Mal wieder ein schlechter Tag für diese Republik!
Herzlichen Dank.
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Jetzt hat das Wort Eckhardt Rehberg, CDU/CSU.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, dass wir uns in diesem Hohen Hause einig sind, dass man, wenn man eine Zuständigkeit hat, zumal dann, wenn sie einem von der Verfassung zugewiesen wird, dann auch die Verantwortung dafür trägt, auch die Finanzverantwortung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bund war und ist nicht für den sozialen Wohnungsbau zuständig, der Bund war und wird nicht für die Bildung zuständig sein, der Bund war und wird nicht für Kindertagesstätten zuständig sein – dafür zuständig sind weiter Länder und Kommunen. Ich sage das deswegen, weil immer so gefragt wird, wenn wir da als Bund reingehen und mögliche Missstände beheben: Warum passiert dann an der anderen Stelle nichts?
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Früher war immer die Entschuldigung: Die Länder und Kommunen haben nicht genug Geld. – Wie sehen die Realitäten hier und heute aus? Im letzten Jahr hatte die Gesamtheit der Länder einen Überschuss von über 14 Milliarden Euro, in diesem Jahr läuft der Überschuss der Länder auf 20 Milliarden Euro zu, der Überschuss der Kommunen auf über 10 Milliarden Euro. Davon träumt der Bund.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Beispiel „sozialer Wohnungsbau“ will ich deutlich machen, warum wir eine Grundgesetzänderung vornehmen und warum es, glaube ich, auch notwendig ist, das Prinzip der Zusätzlichkeit für den Investitionsbereich einzuführen. Es kann nämlich nicht sein, dass der Bund seit Jahren, seit Jahrzehnten Geld für den sozialen Wohnungsbau gibt, diese Mittel aber nicht für sozialen Wohnungsbau oder wenigstens zweckentsprechend eingesetzt werden und auch kein einziger Cent aus Landesmitteln mehr für die Förderung sozialen Wohnraums in die Hand genommen wird.
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So stellen wir die Demokratie, den Föderalismus in Deutschland infrage.
Ja, im Rahmen der Föderalismuskommission I wurde 2006 eine Entflechtung vorgenommen, auch in diesem Bereich. Der Bund hat dann für den sozialen Wohnungsbau jedes Jahr 518 Millionen Euro gegeben, allein in der Zeit zwischen 2007 und 2013 3,6 Milliarden Euro. Dafür hätte man 50 000 Sozialwohnungen bauen können. Jeder kann die Liste, was die Länder gemacht haben, bei mir abrufen. Einige Länder haben in dieser Zeit keine einzige Sozialwohnung gebaut, auch nicht das Land, in dem sich der Deutsche Bundestag befindet, Berlin, und, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich könnte noch ein halbes Dutzend Länder dazu nennen.
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Das ist – das sind nicht meine Worte, das sagte mal jemand – sehr unmoralisch.
Auf jeden Fall finde ich: Nachdem die Länder diese Aufgabe 2006 vollständig übertragen bekommen haben, haben sie gegen das Grundgesetz verstoßen; das, finde ich, muss an dieser Stelle auch einmal gesagt werden.
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Das ist dann geändert worden im Zusammenhang mit dem Fiskalpakt; daraus wurden dann Entflechtungsmittel, nur noch investiv gebunden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gucken Sie sich bitte einmal an – sozialer Wohnungsbau, Hochschulbau, Bildungsplanung, kommunaler Straßenbau, ÖPNV –, was einige Länder mit diesen Entflechtungsmitteln gemacht haben!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen, glaube ich, muss hier schon ein enger Zusammenhang bestehen, damit wir den Finanzstrom im Bereich „sozialer Wohnungsbau“ regeln können, dass wir ihn auch überprüfen können – da greift Artikel 114 Grundgesetz, Stichwort „Bundesrechnungshof“ – und dass wir, glaube ich, auch in diesem Bereich von den Ländern verlangen können, dass ab 2020 – früher greift das Prinzip der Zusätzlichkeit ja nicht – neben der 1 Milliarde Euro, die der Bund gibt, auch Geld von den Ländern für diesen Investitionsbereich zur Verfügung gestellt wird; denn es kann nicht sein, dass Sozialwohnungen nur mit Bundesgeld gebaut werden. Das bleibt in der Zuständigkeit der Länder, das bleibt in der Verantwortung der Länder. Deswegen wird das eine gesamtstaatliche Aufgabe nur dann, wenn beide ihren Beitrag leisten.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Finanzsituation der Länder wird sich in den nächsten Jahren deutlich verbessern. Nicht nur die Jahresüberschüsse zeigen das, sondern auch die letzte Steuerschätzung. Wir werden im Jahr 2023 bei den Ländern zum ersten Mal mehr Einnahmen durch die Gemeinschaftsteuern haben als beim Bund. Dieses Jahr haben wir beim Bund noch einen Vorsprung von etwa 10 Milliarden Euro gegenüber den Ländern.
Die großen Sprünge werden zwischen den Jahren 2019 und 2020 kommen. Jeder soll sich diese Steuersprünge mal in Ruhe angucken. Bei der Gesamtheit der Länder sind das durch den Bund-Länder-Finanzausgleich über 18 Milliarden Euro. Das heißt, wenn wir Bundesfinanzhilfen für Investitionen einsetzen, die der Bund als gesamtstaatliche Aufgabe ansieht, dann, glaube ich, werden die Länder auch in Zukunft an dieser Stelle in der Lage sein, eine 50‑prozentige Kofinanzierung vorzunehmen; nicht in den jeweiligen Programmen, sondern in dem entsprechenden Investitions- bzw. Förderbereich.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, für den sozialen Wohnungsbau wurden bzw. werden in den Jahren 2014 bis 2019 noch unter der jetzigen Rechtsetzung vom Bund 6,6 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt.
Herr Kollege Rehberg, die Kollegin Hajduk würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Gerne.
Sehr geehrter Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade darauf verwiesen, dass es zukünftig um eine Kofinanzierung durch die Länder im Verhältnis eins zu eins gehen soll, und auch den Begriff „Investitionsbereich“ betont. Sie haben gerade ebenfalls darauf verwiesen, dass in Zukunft die Länder durchaus wachsende Steuereinnahmen haben werden.
Ich komme auf diesen Punkt noch mal zu sprechen, weil einige Vorredner in dieser Debatte auf den Umstand verwiesen haben, dass wir am Ende bei dieser Grundgesetzänderung eine gemeinsame Lösung zwischen Bund und Ländern brauchen. Deswegen möchte ich fragen, ob Sie die Einschätzung teilen, dass wir gestern im Haushaltsausschuss gemeinsam Wert darauf gelegt haben, dass diese Erwartung einer Eins-zu-eins-Finanzierung für zukünftige Programme ab 2020 gilt, aber dass wir auch anerkennen, dass der Bund bereit ist, in bestimmten Bereichen sogar mehr als 50 Prozent dauerhaft zu finanzieren. Das wird im Wissenschaftsbereich so sein und bleiben. Das wird bei dem laufenden Schulsanierungsprogramm, das wir mit Bundesmitteln bis 2023 in teilweise viel größerem Ausmaß fördern, auch so bleiben.
Mir ist es wichtig, zu betonen – auch im Sinne des gemeinsamen föderalen Gedankens –, dass wir als Grüne die Festschreibung der Zusätzlichkeit der Bundesmittel für eine sinnvolle Verstärkung – insbesondere mit Blick auf die Inhalte – halten, dass wir aber den Ländern an dieser Stelle auch die Hand reichen. Es ist mir wichtig, das noch mal gemeinsam festzuhalten.
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Vielen Dank, Kollegin Hajduk, für die Frage. Der Kollege Lindner wollte mir ja die Verantwortlichkeit für das Thema Zusätzlichkeit ganz alleine in die Schuhe schieben. Erst einmal muss man deutlich machen, dass der Bundesrechnungshof zum Regierungsentwurf eine Stellungnahme abgegeben und gesagt hat, dass er beide Grundgesetzänderungen, also die beim sozialen Wohnungsbau und im Bildungsbereich, ablehnt und hochkritisch sieht. Er hat aber ausgeführt: Wenn man das macht und das als gesamtstaatliche Aufgabe ansieht, dann bitte eine mindestens hälftige Finanzierung.
Zu Ihrer Frage: Die Finanzierung von Forschungseinrichtungen im Rahmen des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes zählt nicht zu den Finanzhilfen des Bundes. Das sind Zuweisungen an die Forschungseinrichtungen. Das trifft nicht auf alle laufenden Programme zu, also nicht auf die 3,5‑Milliarden-Euro-Pakete für die Kommunalinvestitionen, und nicht auf das dritte und vierte Investitionsprogramm „Kinderbetreuungsfinanzierung“.
Ich nenne mal ein Beispiel: die Städtebauförderung. Auf neue Verwaltungsvereinbarungen wird das zutreffen. Aber wer sich hier ein bisschen auskennt, der sieht, dass es im Kostenbereich schon heute eine 50 : 50-Finanzierung zwischen Bund und Ländern gibt.
In diesem Zusammenhang werden immer die deutschen Seehäfen angesprochen, bei denen es eine 90 : 10-Förderung gibt. Allein das Land Mecklenburg-Vorpommern gibt mehr als 38 Millionen Euro für seine Häfen aus; denn das ist die Summe, die grundgesetzlich festgelegt ist. Der entsprechende Investitionsbereich wären hier die Seehäfen insgesamt. So ist es auch in allen anderen Bereichen.
Zum DigitalPakt Schule – die Verhandlungen sind noch nicht zu Ende – sage ich nur: Aktuell liegt ein Vorschlag für eine 90 : 10-Finanzierung vor. Aber wenn ich hier die Länderhaushalte für den entsprechenden Investitionsbereich sehe, dann wird es doch wohl möglich sein, dass sich die Länder im Hinblick auf die rund 730 Millionen Euro, die der Bund zur Verfügung stellt – das wären für mein Heimatland rund 2 Prozent, nämlich 15 Millionen Euro –, in diesem Bereich selber mit 15 Millionen Euro engagieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. An dieser Stelle wird die Sinnhaftigkeit der Zusätzlichkeit der Bundesmittel deutlich, dass nämlich dann, wenn der Bund etwas gibt, die Länder nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden. Ich glaube, dass wir das mit Blick auf die gesamtstaatliche Verantwortung auch so machen müssen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier wurden viele Bereiche angesprochen. Ich will noch etwas deutlich machen, weil immer wieder die Frage gestellt wird: Haben wir das heimlich, still und leise gemacht? Nein, ganz im Gegenteil: Sowohl Johannes Kahrs als auch ich haben hier zur ersten Lesung deutlich gemacht, dass uns das Thema Zusätzlichkeit ein wichtiges Thema ist. Wir haben das bei der Anhörung angesprochen, und der Bundesrechnungshof hat, wie angemerkt, seine Stellungnahme abgegeben.
Ich kenne die Kritik von Professor Henneke. Professor Henneke, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages, lehnt das ab. Er will einen anderen Weg, den auch Ministerpräsident Kretschmann will, und zwar das Ganze über Umsatzsteuerpunkte machen.
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Ich rate jedem – das hatten wir gestern im Haushaltsauschuss auf der Tagesordnung –, sich die Prüfberichte des Bundesrechnungshofes zur Verwendung von Umsatzsteuerpunkten anzugucken, sich den BMF-Bericht zur Verwendung von Umsatzsteuerpunkten für die Integrationskosten durchzulesen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele Länder sind nicht mal bereit, über die Mittelverwendung Rechenschaft abzulegen. Diese Länder sagen: Wenn wir die Einnahmen aus Umsatzsteuerpunkten in einem Bereich bekommen, dann sind das Steuermehreinnahmen. Das sind dann bei dir, Bund, Steuermindereinnahmen. Wir haben politisch in diesem Bereich zwar etwas abgesprochen, aber was wir mit dem Geld machen, geht dich, Bund, nichts an.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Schluss meines Redebeitrages komme ich zu dem, was mir wichtig ist und was ich immer wieder vor Ort erlebe: Wenn wir als Bund sagen: „Für Wohnungsbau, für Bildung, für kommunalen Straßenbau stellen wir den Ländern und Kommunen Geld zur Verfügung“, und wenn die Länder das Geld nicht an die Kommunen weiterreichen und das Geld nicht zweckentsprechend verwendet wird, dann werden wir alle miteinander unglaubwürdig. Die Menschen vor Ort interessiert nur eines: dass sich in der Sache was bewegt und dass Probleme gelöst werden.
Herzlichen Dank.
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Katja Suding, FDP, ist die nächste Rednerin.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verhandlungen zur Grundgesetzänderung haben sehr spät begonnen. Sie waren auch an manchen Stellen zäh. Aber sie haben sich gelohnt, wie das Ergebnis zeigt.
Wir haben jetzt einen gemeinsamen Antrag vorgelegt. Wir, das sind FDP und Grüne einerseits und die die Regierung tragenden Fraktionen andererseits. Das zeigt, dass die demokratische Mitte in diesem Hause sehr gut in der Lage ist, Antworten auf die Herausforderungen in Deutschland zu geben und gemeinsame Lösungen zu erarbeiten. Das ist deshalb ein guter Tag für die Schülerinnen und Schüler, für die Eltern und für die Lehrkräfte in Deutschland. Dafür möchte ich allen beteiligten Fraktionen ganz herzlich danken.
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Die Chancen auf beste Bildung müssen für jedes Kind gleichermaßen zugänglich und unabhängig von der sozialen Herkunft, aber auch vom Bundesland sein, in dem das Kind aufwächst. Dazu ist eine nationale Kraftanstrengung notwendig, die wir nur bewältigen können, wenn wir sie als gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachten.
Was haben wir in dieser Hinsicht erreicht? Drei Punkte sind meiner Fraktion besonders wichtig.
Erstens ist vorgesehen, dass der Bund künftig nicht nur in Technik und Gebäude investieren kann, sondern auch in Personal und dessen Fortbildung, also in die Köpfe. Das ist nämlich die Voraussetzung dafür, dass die Schulen die Infrastrukturinvestitionen des Bundes überhaupt sinnvoll nutzen können. Für den DigitalPakt Schule zum Beispiel heißt das konkret: Der Bund könnte IT-Administratoren und Schulungen des pädagogischen Personals finanzieren. Darauf warten die Schulen schon seit Jahren.
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Zweitens muss die Bundesförderung künftig im Zeitverlauf nicht mehr abnehmen. Wir hätten uns zwar mehr gewünscht – nämlich auch die Entfristung –, mit der gefundenen Lösung wird aber zumindest für die gesamte Projektdauer Planungssicherheit vor Ort geschaffen, und das ist auch schon ein Erfolg, meine Damen und Herren.
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Drittens soll der Bund Finanzhilfen zur Sicherstellung von Qualität und Leistungsfähigkeit gewähren dürfen. Dieser Punkt ist uns Freien Demokraten besonders wichtig. Denn das bedeutet, dass der Bund die Entwicklung und Durchsetzung von Qualitäts- und Bildungsstandards an seine Finanzhilfen knüpfen kann. Das ist wirklich ein großer Fortschritt, meine Damen und Herren.
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Was heißt das konkret? Wenn der Bund die Schulen mit dem DigitalPakt Schule unterstützt, dann könnte er die Entwicklung gemeinsamer Standards für eine informatorische Grundausbildung zusammen mit den Ländern unterstützen und die Finanzhilfen an deren Durchsetzung koppeln. Und wenn der Bund darüber hinaus zum Beispiel irgendwann eine MINT-Offensive an den Schulen plant, dann können Bund und Länder Festlegungen von Bildungsstandards in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik unterstützen und diese einfordern. Das wäre ein ganz wichtiger Schritt zu gleichen Chancen in ganz Deutschland, meine Damen und Herren.
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Unser Ziel bleiben allerdings bundesweit einheitliche und ambitionierte Bildungsstandards für alle Fächer. Wie diese Standards erreicht werden, soll in der Autonomie der Schulen liegen, die ja vor Ort am besten wissen, welche Konzepte erfolgreich sind. Das ist dann wirklich ein moderner Bildungsföderalismus.
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Wir wollen, dass das Abitur in Bremen genauso viel wert ist wie ein Abitur in Bayern. Umzüge in ein anderes Bundesland wären dann für Familien mit Kindern keine Zumutung mehr.
90 Prozent der Bundesbürger wollen eine grundlegende Reform des Bildungsföderalismus. Denn über die Unterrichtsqualität dürfen nicht der Wohnort und damit auch der Zufall entscheiden.
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Den DigitalPakt jetzt nach so langer Zeit auf den Weg zu bringen, das war für die Koalition, vor allen Dingen aber für die Union, der einzige Anlass, das Grundgesetz zu ändern. FDP und Grünen war das zu wenig. Wir wollen mit der Grundgesetzänderung nicht allein den DigitalPakt möglich machen. Wir wollen mehr Qualität in der Bildung und das Tor auch für weitere Kooperationen im Bildungsbereich öffnen.
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Die nun erzielte Einigung macht das möglich. Das Tor ist offen. Wir erwarten von der Bildungsministerin jetzt aber auch, dass sie durch dieses Tor hindurchgeht. Ist Frau Ministerin Karliczek noch da?
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– Das ist schade. Sie hat sich auch in die Verhandlungen zur Grundgesetzänderung nicht eingebracht. Nun könnte man zwar sagen: Geschenkt, es hat ja auch so mit einer Einigung im Bundestag geklappt. – Jetzt aber muss die Bundesbildungsministerin mehr bringen. Sie muss sich einbringen, wohlgemerkt, mit bildungspolitischen Konzepten. Denn eines muss klar sein: Die Grundgesetzänderung und der DigitalPakt dürfen nicht das Ende des Engagements des Bundes sein, sondern sie müssen der Auftakt für weiteres Engagement sein.
Der Bedarf ist groß: von der Ausstattung der Schulen mit digitalen Lernmitteln über den Ausbau des Ganztags bis hin zu einer Exzellenzinitiative für die berufliche Bildung. Das sind wir den Schulen, den Lehrkräften, aber vor allen Dingen den Schülerinnen und Schülern schuldig. Deswegen bitte ich Sie heute um Zustimmung und werbe auch bei den Kollegen im Bundesrat um Zustimmung.
Vielen Dank.
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Birke Bull-Bischoff, Fraktion Die Linke, ist die nächste Rednerin.
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Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Ich glaube, viele Leute – Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler bzw. alle, die beste Bildung in unserem Land wollen – können heute aufatmen, und sie werden es tun. Denn ich finde, das, was das Parlament mehrheitlich zustande gebracht haben wird, ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung.
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Dennoch ist meine Freude ein wenig schaumgebremst, weil wir, Die Linke, finden, dass es noch reichlich Luft nach oben gibt. Das haben wir von Anfang an in unseren Anträgen dazu gefordert, und wir bleiben dabei: Die Zukunft in der Bildungspolitik muss in einer Gemeinschaftsaufgabe Bildung im Grundgesetz liegen.
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Das Kooperationsverbot ist von vielen in unserem Land als Ausdruck von Kleinstaaterei und einer Barriere hinsichtlich der Mobilität von Schülerinnen und Schülern empfunden worden, und in einer globalisierten Welt ist das als Bremsklotz für die gemeinsame Finanzierung von guter Bildung empfunden worden.
Ich will aber gleichfalls sagen, meine Damen und Herren: Die Lockerung des Kooperationsverbotes, so wichtig sie ist, löst keinesfalls alle Probleme in unserem Land, und es ist auch nicht das einzige Grundübel für den Bildungsnotstand in Deutschland.
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Das ist zum einen die Verweigerung der Politik, Länder und Kommunen – dazu gehören auch die Landkreise – finanziell vernünftig auszustatten, sodass Lehrkräfte und andere pädagogische Profis wirklich für beste Bildung der Schülerinnen und Schüler sorgen und sie auch finanzieren können.
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Zum anderen sind es aber auch Strukturen und Verteilungsmechanismen – Stichwort „heimliche Lehrpläne“ –, die soziale Ungleichheit in diesem Land immer wieder zur Tradition haben werden lassen. Dort, wo die Probleme am größten sind, sind meistens die finanziellen Mittel am kleinsten. Vor allem Brennpunktschulen werden vernachlässigt. Und eines will ich ganz klar sagen: Für uns als Linke ist nach wie vor das gegliederte Schulsystem in unserem Land ein Grundübel an sich.
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Bildung ist in Deutschland – das kann man nicht oft genug sagen – eben nicht die Nummer eins in der politischen Wertehierarchie. Wir haben einen eklatanten Mangel an Lehrkräften. Es gibt einen Investitionsstau von fast 48 Milliarden Euro – das hat uns die Kreditanstalt für Wiederaufbau erst neulich mitgeteilt –; er ist also gestiegen.
Auch in Sachen Bildung für eine digitale Gesellschaft muss man sagen: Deutschland ist ein Entwicklungsland. 720 Millionen Euro, die für Schulen und Berufsschulen zur Verfügung stehen, sind eine beinahe zu vernachlässigende Größe im Vergleich zu dem, was notwendig wäre.
Meine Damen und Herren, zwölf Jahre Kooperationsverbot haben die Probleme größer gemacht.
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Aber spannend wird es erst jetzt. Denn der Investitionsstau muss abgebaut werden. Ganztagsschulen müssen gefördert werden. Die digitale Bildung muss endlich in Gang kommen.
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Meine Damen und Herren, aus dem „kann“ – und mehr ist es nicht – muss ein „muss“ werden. Ich will es ganz klar sagen: Ich wünschte mir eine ambitionierte Bildungspolitik im Bund. Bildungsland Deutschland: Das müssen wir erst noch werden.
Wir brauchen gerechte Bildung für alle Kinder, und damit meinen wir, Die Linke, ausdrücklich auch die Kinder, die meist genannt, aber sehr oft nicht gemeint sind. Das ist und bleibt unsere Prämisse. Bildungsland Deutschland heißt immer auch gerechte Bildung für alle Kinder.
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Katja Dörner, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste Rednerin.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute über einen gemeinsamen Entwurf von Union, SPD, Grünen und FDP abstimmen. Denn es ist uns Grünen gemeinsam mit der FDP gelungen, den Vorschlag der Großen Koalition ein ganzes Stück besser zu machen.
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Wir haben gesagt, es reicht uns nicht, dass der Bund Beton und Tablets bezahlt; wir wollen, dass er auch in Köpfe investieren kann. In Köpfe investieren, das heißt: auch in pädagogisches Personal. Das wird der Bund zukünftig können, und das ist ein sehr gutes Ergebnis, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Der Bundestag macht heute den Weg für den DigitalPakt frei. Das ist sehr gut, und es wäre doch mehr als seltsam, wenn das jetzt an den Bundesländern scheitern sollte.
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Aber wir haben nicht nur wegen des DigitalPakts wochenlang mit Union und SPD über eine Grundgesetzänderung verhandelt. Wir haben um eine Grundgesetzänderung gerungen, damit Bund und Bundesländer ganz grundsätzlich in der Bildung enger zusammenarbeiten können, und das geht eben weit über den DigitalPakt hinaus.
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Wir haben jetzt neue Möglichkeiten beispielsweise für den Ganztagsausbau geschaffen, der laut Koalitionsvertrag von Union und SPD noch in dieser Legislaturperiode auf dem Plan steht, und das auch völlig zu Recht, weil der Bedarf riesig ist. Der Bund wird zukünftig nicht nur Mensen bauen können; er wird zum Beispiel auch Schulsozialarbeiter bezahlen können. Das ist ein enormer Fortschritt, und dafür haben sich aus unserer Sicht die Verhandlungen sehr gelohnt.
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Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, zukünftige Bundesregierungen werden sich mit den Ländern vielleicht und hoffentlich auch auf ganz andere Programme verständigen können. Ich persönlich wünsche mir beispielsweise eines zur Beförderung der Inklusion an unseren Schulen. Dazu hat der Bund nämlich die UN-Behindertenrechtskonvention unterschrieben und bei der Umsetzung die Länder, gerade im Bildungsbereich, ganz schön im Regen stehen lassen.
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Zukünftig wird es auch hier neue Möglichkeiten geben. Die muss man nicht nutzen, aber die wird man nutzen können. Dafür haben wir die Tür aufgemacht. Deshalb freue ich mich auch auf zukünftige Programme zwischen Bund und Bundesländern in hoffentlich zukünftigen Koalitionsverträgen.
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Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, jetzt jubelt die Union, das Kooperationsverbot sei nicht abgeschafft worden. Ich würde sagen: Wir haben es sehr umfassend angeknabbert, aber abgeschafft ist es leider tatsächlich nicht. – Und das zeigt, dass wir weiter sehr klar darauf hinweisen müssen, vor welchen Herausforderungen wir in Deutschland im Bildungsbereich tatsächlich stehen. Studie über Studie – auch die der Bundesregierung selbst – dokumentieren, wie ungerecht die Chancen in unserem Bildungssystem verteilt sind, wie hoch auch der Finanzierungsbedarf ist oder wie schwer für viele Schülerinnen und Schüler beispielsweise ein Umzug zwischen den Bundesländern ist oder zumindest sein kann. Und da muss ich wirklich sagen: Da kann ich dieses ewige „Das haben die Bundesländer schon immer ganz allein entschieden“, „Das haben wir immer schon so gemacht“, „Das hat der Bund noch nie mitfinanziert“, ehrlich gesagt, überhaupt nicht mehr hören. Ich bin mir sicher, dass alle Eltern in diesem Land das auch nicht mehr hören können,
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weil es an der Problemlage völlig vorbeigeht.
Wir alle – im Bund, in den Bundesländern und in den Kommunen – sind in der Pflicht, unser Bildungswesen und eben auch die Zuständigkeiten so zu organisieren, dass wir allen Kindern und Jugendlichen die bestmöglichen Bedingungen bieten, ihre Potenziale voll ausschöpfen zu können. Das müsste doch unser gemeinsames Ziel sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich werbe heute für die Zustimmung zum interfraktionellen Antrag und dann natürlich auch zum Gesetzentwurf. Wir nähern uns diesem Ziel ein gutes Stück. Ein großer Schritt hin zu einem moderneren Bildungsföderalismus wird gemacht. Aber wir Grünen bleiben natürlich am Ball, und wir knabbern weiter, weil die Kinder in unserem Land das in unser Hausaufgabenheft geschrieben haben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Dr. Karl Lauterbach, SPD, ist der nächste Redner.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Es geht heute nicht nur um Bildung, aber, ich glaube, die Änderungen im Bildungssystem sind von dem, was wir heute beschließen, langfristig der wichtigste Teil. Es ist ein großer Tag für die Bildung. In der Tat – es kam bereits zur Sprache – ist in unserem Bildungssystem nicht alles schlecht, aber wir haben Probleme, deren Lösung wichtig ist. Und ich nenne hier nur drei, die wir nur gemeinsam lösen können und nicht allein.
Ein Problem ist: Wir geben nach wie vor für Bildung zu wenig aus. Wir liegen nach wie vor unter dem OECD-Durchschnitt.
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Wir müssten darüber liegen; wir liegen aber darunter. Wir liegen beim Bildungsaufstieg unter dem Schnitt. In Deutschland haben nur 25 Prozent derjenigen, die eine Bildung bekommen, eine bessere Bildung als ihre Eltern. Im europäischen und im OECD-Durchschnitt ist die Quote höher. Im OECD-Durchschnitt sind es 40 Prozent. Wir haben einen viel zu geringen Bildungsaufstieg.
Und wir geben insbesondere zu wenig aus für den Bereich, den wir heute besprechen, nämlich für Kitas, aber auch für Schulen. Dort geben wir nur etwa 4 bis 4,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Wenn wir das um nur 1 Prozentpunkt erhöhen würden, auf den Durchschnitt der OECD, dann würde das 30 Milliarden Euro kosten. Daher ist diese Leistung nur gemeinsam zu erreichen – nur durch Bund und Länder gemeinsam.
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Wir dürfen diese Diskussion nicht kleinkariert führen, indem wir sagen: Im Moment haben die Länder mehr Geld. – Das kann sich ändern. Wir können diese Diskussion auch nicht grobschlächtig diskutieren nach dem Motto: „Das Föderalismusverbot muss abgeschafft werden, der Föderalismus kommt zum Ende“, sondern wir müssen sie mit Augenmaß führen. Wir werden dieses spezifische Problem, die wichtigen Probleme bei Bildung und Schule, woran die Zukunft unseres Landes hängt, nur durch eine bessere Kooperation von Ländern und Bund lösen. Daher ist dies heute ein sehr wichtiger Tag für unsere Bildung, ein sehr wichtiger Tag für unser Land insgesamt.
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Es kam schon zur Sprache: Es geht nicht nur um Tablets. Es geht nicht nur um Kabel. Es geht nicht nur um Beton, sondern es geht auch darum: Wenn ich hier investiere, dann müssen die Dinge auch nutzbar sein. Heute ist es so, dass sich die 10- bis 12‑jährigen Kinder zum Teil besser mit Blockchains auskennen als die Lehrer, die die Kenntnisse darüber vermitteln sollen. Wir können die Digitalisierung nicht an der Kreidetafel erklären. Dafür brauchen wir Geräte. Dafür brauchen wir aber auch die Lehrer, die die Fortbildung haben, um das zu nutzen. Wir brauchen auch eine funktionierende Systemadministration, sodass die Geräte ständig zum Einsatz kommen können. Das hilft insbesondere den bildungsschwächeren Kindern. Genau diese Kinder brauchen wir aber, und von diesen Kindern gibt es immer mehr, und zwar deshalb, weil wir überproportional viele Kinder haben, die in bildungsschwächeren und auch in sozial schwächeren Familien geboren werden. Für diese Kinder ist das heute ein großer Tag. Daher bin ich dankbar.
Ich möchte mich ausdrücklich für die sehr gute kollegiale Zusammenarbeit in dieser wichtigen Frage bei den Grünen, bei der FDP und natürlich auch bei den Kolleginnen und Kollegen der CDU bedanken. Das war eine Zusammenarbeit, wie ich sie mir tatsächlich gewünscht hatte, wie ich sie mir aber nicht vorstellen konnte. Daher appelliere ich hier an die Länder, über den Schatten zu springen. Wir können es nur gemeinsam schaffen. Wir haben heute die Möglichkeit, dem Land einen Ruck nach vorne zu geben. Dafür stehen wir.
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Nächster Redner ist der Kollege Uwe Kamann, AfD.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher! Diese Beschlussdebatte zeigt mir aufgrund der unterschiedlichen Anträge, dass dieses Hohe Haus und die KoMbO noch hohes Optimierungspotenzial zum Thema Digitalisierung haben. Die digitale Infrastruktur – ich komme auf das Thema der Grünen zu sprechen – ist ein leidiges Thema für unsere Bundesregierung. In der Analyse des Grünenantrags können wir grundsätzlich mitgehen. Allerdings sehen wir in den Handlungsempfehlungen aus der Schlussfolgerung heraus so gut wie keine Gemeinsamkeiten. Grundsätzlich weist Ihr Antrag kaum zielorientierte Lösungsvorschläge aus.
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Aber ich picke mal einige Highlights heraus: Sie fordern von der Bundesregierung, den Stromverbrauch für den Ausbau des 5G-Netzes und die Auswirkung dessen auf Rechenzentren zu validieren. Wenn diese dann höher ausfallen, als es ideologisch akzeptierbar ist, was ist dann? Wollen Sie dann wie beim Schadstoffausstoß des Diesels willkürliche Grenzwerte festlegen, oder wollen Sie gar ganze Rechenzentren stilllegen?
Dann noch ein origineller Gedanke: Sie wollen, dass die Bundesnetzagentur die Versorgung in unterversorgten Gebieten per Ausschreibung sicherstellt. Soll die Bundesnetzagentur jetzt eine Einkaufsgesellschaft werden? Die Agentur kann einen Rahmen schaffen, aber nicht marktwirtschaftlich agieren. Das müsste doch auch Ihnen von den Grünen einleuchten. Wir sind ja bei Ihnen, dass schnelles Internet eine Daseinsvorsorge ist und in der Verantwortung des Staates liegen muss. Aber doch nicht so, liebe Kolleginnen und Kollegen. Doch nicht mit einer Umlagefinanzierung, die die Netzbetreiber erbringen müssen, gewissermaßen als Solidaritätszuschlag.
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– Schauen Sie sich einmal die KoMbO an. Das ist ja genau der Grund.
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Hier gibt es intelligentere Lösungen.
Schlussendlich wollen Sie den Zugang zum Breitband-Universaldienst zu einem erschwinglichen Preis sichergestellt haben. Sie wollen also der Industrie hohe Investitionen abverlangen und zugleich geringe Einnahmen diktieren. Welches Unternehmen würde da nicht Beifall klatschen? Da kommt Freude auf.
Der schnelle Breitbandausbau, die Flächenversorgung mit LTE und demnächst 5G, den die Regierung immer nur scheibchenweise vorantreibt, meine Damen und Herren, müssen als Gesamtkonzept angesehen werden. Bitte betrachten Sie es endlich als ganzheitliches Ökosystem für die digitale Infrastruktur in diesem Lande, auch wenn es Ihnen schwerfällt. 2,5 Prozent Glasfaseranschlüsse bei der stationären Breitbandanbindung: Da können wir froh sein, dass wir nur circa 10 Prozentpunkte hinter den USA liegen – um von den 60 Prozentpunkten hinter Lettland gar nicht zu sprechen.
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Ein Blick auf die Eckdaten zum Ausbau des 4G-Netzes lässt mich für die Ziele, die Sie für das 5G-Netz in Ihrem Strategiepapier aufgeführt haben, nichts Gutes erahnen. Für Sie mag es das Licht am Ende des Tunnels sein; für mich ist es eher ein entgegenkommender Zug. Glauben Sie wirklich, dass man mit dieser bisher vollkommen fehlgeschlagenen Strategie beim 4G-Netz erfolgreich ein 5G-Netz an den Start bringen und damit zum Leitmarkt werden kann? Aber Sie machen weiter wie bisher, frei nach dem Motto: Ich habe zwar die erste Million nicht geschafft, fange ich halt mal mit der zweiten an.
Mit der am Montag vom Beirat beschlossenen Vorlage für den Ausbau des 5G-Netzes werden die angestrebten Zielsetzungen nicht erreicht werden. Die dort aufgeführten Rahmenbedingungen sind in keinster Weise ambitioniert, nicht rechtssicher und schon gar nicht wettbewerbsfördernd.
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Der von den Konzernen bereits angekündigte juristische Widerstand gegen die Vergaberegelung birgt die große Gefahr, dass der Beginn des 5G-Ausbaus noch in weite Ferne rücken kann. Warum nicht querdenken, zum Beispiel mittels einer Public-private-Partnership, die die Investitionskosten auf mehrere Schultern verteilt, eine Flächendeckung viel wahrscheinlicher werden lässt und die Nutzung des Netzes durch eine Vielzahl von Anbietern möglich macht? Hierdurch hätte man Wettbewerb und eine hohe Wahrscheinlichkeit, kostengünstige Preise für unsere Bürgerinnen und Bürger zu erzielen.
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Ich möchte zum Abschluss noch „Die Zeit“ zitieren, die treffend titelte: „Kein Anschluss unter dieser Regierung“.
Herzlichen Dank.
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Ulrich Lange, CDU/CSU, ist der nächste Redner.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, unsere Aufgabe als Bund ist es, Verantwortung zu übernehmen. Wir sind auch gerne bereit, diese Verantwortung in einigen Bereichen stärker zu übernehmen, stoßen aber derzeit an die Grenzen des Grundgesetzes.
Nachdem ich diese Debatte ein bisschen verfolgt habe, muss ich aber noch zwei, drei Sätze zum Föderalismus sagen. Liebe Kollegen der Linken, Föderalismus ist keine Kleinstaaterei. Föderalismus ist Teil unserer Identität und wesentliches Erfolgsmodell unseres Landes in den letzten Jahrzehnten gewesen.
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Kein Zentralstaat macht etwas automatisch besser oder angeblich gerechter. Viele erfolgreiche Bundesländer zeigen, wie man sehr gute Bildungs-, Infrastruktur- und Wohnraumpolitik auch in den Bundesländern gestalten kann.
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Dass wir in den Bereichen „Bildung, Wohnen, Mobilität“ vor großen Herausforderungen stehen, ist, glaube ich, unbestritten. Deswegen gehen wir mit dieser Änderung des Grundgesetzes in einen Spagat, nämlich in den Spagat zwischen Verantwortlichkeiten: Eigenverantwortung von Ländern und Kommunen und Übernahme von Verantwortung durch den Bund. Dieser Spagat muss wohlaustariert sein. Ich glaube, mit dem, was wir heute vorlegen, ist uns das – da sage ich auch ein Dankeschön an die Kolleginnen und Kollegen von FDP und Grünen, die mitverhandelt haben – doch ganz sinnvoll gelungen.
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Wir investieren zukünftig in den sozialen Wohnungsbau. Ja, hier haben wir einen Bedarf. Hier stellen wir Milliarden bereit. Aber ich möchte da schon auch noch mal an Ecki Rehberg erinnern: Dafür wäre in den Ländern schon Geld da gewesen. Man hätte es nur auch dafür ausgeben müssen; dann hätten wir das Problem jetzt so nicht.
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Wir sind bereit, und wir ändern die Förderung und Finanzierung über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Auch hier gilt zunächst einmal die Grundaussage: Der ÖPNV ist Sache der Länder. Wir hatten ihn deshalb ja auch nicht ohne Grund schon mal begrenzt. Wir öffnen das Ganze. Wir geben ab 2021 1 Milliarde Euro, und wir dynamisieren. Ja, wir wollen Mobilität gewährleisten, Mobilität in den Ballungsräumen. Wir wollen Stadtbahnen, U‑Bahnen, S‑Bahnen fördern, weil wir natürlich erkennen, dass diese Leistungen bei Ausbau und Neubau nicht vor Ort geleistet werden können. Da kommen wir unserer Verantwortung nach. Wir entlasten damit Städte vom Individualverkehr. Wir sorgen für bessere Anbindungen zu den Arbeitsplätzen. Das ist eine zukunftsgerichtete Verkehrspolitik.
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– Danke, Frau Kollegin Barley.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Änderungen am Grundgesetz sind immer schwierig, und wir müssen damit auch in Zukunft sehr vorsichtig umgehen. Es bedarf schon wirklich eines wichtigen Grundes, eine Änderung des Grundgesetzes vorzunehmen. Hier können wir einer solchen zustimmen. Wir unterstützen die Länder. Ich kann jetzt nur an die Länder appellieren, in diesem Spagat zu bleiben, diese Unterstützung anzunehmen und den Bogen auch nicht zu überspannen. Denn das ist am Ende eine Gemeinschaftsaufgabe – das müssen die Länder auch wissen –; es kann nicht immer nur mehr sein.
Wir sind stolz auf unseren Föderalismus in Deutschland. Wir wollen diesen Föderalismus stärken, auch mit dieser Änderung. Wir wollen in diesem Föderalismus leben, wir, Bund und Länder, wollen ihn gemeinsam leben.
Herzlichen Dank.
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Johannes Kahrs, SPD, ist der nächste Redner.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war vor kurzem in der Ilse-Löwenstein-Stadtteilschule bei mir im Wahlkreis. Wir haben über das Thema „Digitalisierung, Netze“ diskutiert und darüber, wie man das Ganze gemeinsam hinkriegt. Das Verständnis der Frage, wer jetzt wofür zuständig ist, war relativ unausgeprägt. Der Wunsch, dass es funktionierende Strukturen, Netze, IT in den Schulen gibt, war hingegen ausgeprägt. Es ist eben so, dass wir in Hamburg auch im Bereich Schulbau sehr weit sind; Olaf Scholz als Bürgermeister sei gedankt. Wir sind da viele Wege gegangen; aber man kann immer besser werden. Das ist das Angebot, das der Bundestag den Ländern macht. Wir wollen gemeinsam im Interesse der Wählerinnen und Wähler besser werden.
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Wir haben das hier in allen Fraktionen unterstützt. Wir alle wollen mehr Geld ausgeben für Bildung, für Infrastruktur und für den sozialen Wohnungsbau. Ich habe der Kollegin Gesine Lötzsch eben versprochen, dass ich sie kritisiere. Gesine, du hast ja gesagt, dass gerade ihr Linken für sozialen Wohnungsbau steht. Das freut uns. Dann müsstet ihr ihn in Berlin aber auch fördern und nicht laufend verhindern.
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Wir haben seit Anbeginn dieser Debatte hier im Deutschen Bundestag immer gefordert, dass es die Zusätzlichkeit geben muss, dass Bund und Länder die Frage gemeinsam angehen. Ecki, keiner will das allein dir in die Schuhe schieben. Das waren wir schon gemeinsam; das muss man eben sagen. Deswegen möchte ich mich an dieser Stelle auch bei Anja Hajduk, Otto Fricke und Gesine Lötzsch bedanken; wir haben das im Haushaltsausschuss und in den Fraktionen gemeinsam so besprochen. Das haben wir auch nicht überfallartig getan, sondern wir haben von Anfang an immer wieder betont, dass wir als Bundestag das, was der Bundesrechnungshof vorgeschlagen hat, nämlich den Maßstab der Zusätzlichkeit und die Stärkung der Steuerungs- und Kontrollrechte des Bundes, ernst nehmen, umsetzen und mit einbringen. Da bin ich Olaf Scholz und der Bundesregierung dankbar, dass sie das mit aufgenommen haben, dass sie den Bundestag in dieser Frage mitgenommen haben. Ich weiß, Olaf, wie schwierig es ist, das mit den Ländern zu diskutieren, und ich weiß auch, wie viel da missverstanden wird. Es würde helfen, wenn die Sitze des Bundesrates, der Länder, nicht nur bei solchen Debatten, sondern auch bei den ersten Lesungen gut besetzt wären; dann hätte man dieses gutgehütete Geheimnis von Anfang an mitbekommen können.
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Ich glaube, dass wir hier gemeinsam als Bund, als Land, als Kommune etwas dafür tun, dass die Bildung in diesem Land besser funktioniert, dass wir hier etwas für den sozialen Wohnungsbau und den Verkehr tun. Das ist gute Politik; das ist auch gute sozialdemokratische Politik. Deswegen danke ich der Union für ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
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Tankred Schipanski, CDU/CSU, ist der nächste Redner.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen mit der Änderung des Artikels 104c und der Ergänzung des Artikels 104b Absatz 2 Satz 5 des Grundgesetzes den kooperativen Föderalismus unserer Verfassung im Bildungsbereich weiterentwickeln. Das hat nicht das Geringste mit Aushöhlung des Föderalismus zu tun, wie in dieser Debatte behauptet wurde.
Was hier auch behauptet wurde: Es gibt ein Kooperationsverbot. – Meine Damen und Herren, dies kennt die Verfassung nicht; das ist eine falsche Tatsachenbehauptung, die hier immer wieder wiederholt wird. Wir haben ein Bundesstaatsprinzip. Daraus ergibt sich ein Kooperationsgebot, und wir kooperieren auch sehr aktiv.
Unsere Verfassung kennt klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten. Für den Bildungsbereich sind das die Länder. Das heißt, die Länder tragen nicht nur für die Bildungsinhalte Verantwortung, sondern insbesondere auch für die Finanzierung von Infrastruktur und Lehrpersonal.
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Dafür, meine Damen und Herren, haben die Länder ausreichend Finanzmittel. Ecki Rehberg hat das deutlich gemacht; die Sachverständigenanhörung am 8. Oktober im Haushaltsausschuss hat das deutlich gemacht, und das zeigt auch die Milliardenentlastung der Länder beim neuen Bund-Länder-Finanzausgleich ab 2020.
Wir schaffen durch diese Verfassungsänderung heute keine neuen Zuständigkeiten oder Verantwortlichkeiten, sondern wir ändern das Grundgesetz im Bereich der Finanzverfassung; dort sind die Artikel 104b und 104c systematisch beheimatet. Wir konkretisieren mit dieser Änderung die Möglichkeit des Bundes, befristet Finanzhilfen an die Bundesländer und die Gemeinden zu geben, und wir führen dazu neue Tatbestandsmerkmale ein, die den Anwendungsbereich klar begrenzen.
Artikel 104c in der nun vorgeschlagenen Fassung sagt: Wir geben die Finanzhilfen nur, wenn es um die Sicherstellung der Qualität und der Leistungsfähigkeit im Bildungswesen geht. – Die Gesetzesbegründung macht deutlich, was wir hierunter verstehen. Die Qualitäts- und Bildungsstandards wurden angesprochen. Ich glaube, da brauchen wir als Union keine Belehrung vonseiten der FDP. Das ist eine seit langem erhobene Forderung der Union im Bund und in den Ländern. Wir haben im Koalitionsvertrag den Bildungsrat vereinbart, in dem Bund und Länder diese Standards gemeinsam ausarbeiten werden.
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Das zweite neue Tatbestandsmerkmal wird sein, dass wir nicht nur bei Investitionen helfen können, sondern auch – sehr eingeschränkt – im Bereich der Kosten. Ich will sehr deutlich machen, dass dieser Kostenbegriff sehr eng zu verstehen ist. Das ergibt sich aus der systematischen Auslegung mit Blick auf Artikel 104a Absatz 1 und Absatz 5 des Grundgesetzes so wie auch aus der Gesetzesbegründung.
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Wir ziehen mit der vorgeschlagenen Änderung von Artikel 104b ganz klare Grenzen. Die Finanzhilfen müssen befristet sein. Von daher sind die Behauptungen, die hier gemacht wurden, dass wir unbefristet in Personal investieren, schlichtweg falsch.
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Die Finanzhilfen müssen des Weiteren zusätzlich sein, und zwar aufgebracht im Verhältnis 50 : 50 zwischen Bund und Ländern. Was in den Länderanteil hineinzurechnen ist, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung.
Für den DigitalPakt Schule will ich festhalten: Wir schaffen eine Übergangsregelung. Wir haben hier die „90 : 10“-Finanzierung. Lassen Sie mich klarstellen: Änderungen mit Blick auf die Ausgestaltung des DigitalPakts auch beim Finanzierungsanteil wird es nicht geben.
Wir müssen die Grundgesetzänderung für diese Finanzhilfen also im Gesamtpaket von Artikel 104b und 104c betrachten. Nur so führt das zu einem sinnvollen Ergebnis.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch etwas mit Blick auf die Bundesratsbank sagen. Ich kann die Überraschung der Bundesratsmitglieder mit Blick auf das Kriterium der Zusätzlichkeit nicht nachvollziehen. Ecki Rehberg hat es gesagt: Wir haben das in der Anhörung ausgiebig erörtert, und wir haben in diesem Hohen Hause in jeder Debatte, die den kooperativen Föderalismus betroffen hat, dazu gesprochen, ob das Haushaltsdebatten, Bildungsdebatten oder Baudebatten waren. Die Vertreter des Bundesrates haben hier im Haus ihren eigenen Platz, und ich gehe davon aus, dass von diesem Platz aus in die Landesregierungen hinein berichtet wird, wie die politische Position des Bundes in diesen Fragestellungen ist.
Es herrscht ein breiter Konsens in diesem Haus, dass es nicht sein kann, dass der Bund Finanzhilfen gewährt und sich die Bundesländer mit ihrem Finanzierungsanteil dann zurückziehen. Der Bund hat verschiedene Erfahrungen mit der Kreativität der Länder in unserem föderalen System gemacht, wenn es um Finanzhilfen, Entlastungen, Mitfinanzierungssachen geht, und daher legen wir auf dieses Zusätzlichkeitskriterium äußersten Wert. Wir konkretisieren damit das föderale Miteinander und die gelebte Verfassungswirklichkeit in unserer Bundesrepublik.
Ich bitte die Mitglieder des Bundestages, aber auch des Bundesrates herzlich, dieser Verfassungsänderung zuzustimmen. Bitte ohne Vermittlungsausschuss! Machen Sie den Weg frei für den DigitalPakt Schule! Machen Sie den Weg frei für digitale Bildung in Deutschland!
Vielen Dank.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem letzten Redner in dieser Debatte das Wort erteile, darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen und die Gespräche einzustellen.
Jetzt hat das Wort der Kollege Alois Rainer, CDU/CSU.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wurde der Föderalismus als staatliches Organisationsprinzip verfassungsrechtlich verankert. Besonders im Mittelpunkt steht dabei auch die Kooperation zwischen dem Bund und den Ländern. Auch ist unsere Verfassung kein System und kein Gesetz, das man ständig anpassen sollte – wenn, dann soll man besonnen und mit Weitsicht an die Änderungen herangehen. Ich möchte daher an dieser Stelle ausdrücklich den Gedanken der Kooperation zwischen Bund und Ländern hervorheben.
Mit dem vorliegenden Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes ebnen wir nun den Weg für eine Ausweitung der Mitfinanzierungsmöglichkeiten des Bundes bei Aufgaben in Trägerschaft von Ländern und Kommunen. Unter anderem betrifft das zum Beispiel die Digitalisierung im Schulbereich. Hierbei handelt es sich um eine Herausforderung, die Länder und Kommunen unter optimalen Finanzbedingungen und den derzeitigen ökonomischen Gesichtspunkten durchaus allein hätten meistern können.
Trotz dieses erfreulichen Zustandes ist es uns besonders wichtig, gerade im Wohnungsbau und im Bildungswesen zu unterstützen. Daher begrüßen wir grundsätzlich den Ansatz unserer Bundesbildungsministerin, den Ländern und Kommunen mit dem DigitalPakt in den kommenden fünf Jahren 5 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Das ist ein wichtiges Signal für Eltern und Schulkinder, aber auch für Länder und Kommunen.
Gleichzeitig ist es aber gut, dass mit der vereinbarten Formulierung sichergestellt wird, dass die Länder mindestens die Hälfte der öffentlichen Investitionen im jeweiligen Investitionsbereich selbst tragen. Das heißt, wenn der Bund die Länder durch Finanzhilfen unterstützt, müssen die Länder mindestens die Hälfte zur Mitfinanzierung in dem entsprechenden Förderbereich beisteuern und können sich nicht ihrer Verantwortung entziehen. Damit verankern wir den für die Union wichtigen Punkt der Zusätzlichkeit fest im Grundgesetz.
Gleichwohl einigten wir uns darauf, dass die Bundesunterstützung im Bildungsbereich weiterhin zeitlich befristet bleibt, während das Kooperationsverbot nicht angefasst wird und damit bestehen bleibt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Länder und Kommunen investieren circa 130 Milliarden Euro im Jahr in die Bildung. Wenn wir jetzt wieder mithelfen mit 5 Milliarden Euro bei der Digitalisierung, ist das in Ordnung und beileibe keine Aufgabe, die unter das Stichwort „Kooperationsgebot“ fällt. Es ist uns klar: Bei der Digitalisierung geht es auch um die Mitfinanzierung von Systemadministratoren. Wenn wir bei der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern, die in dieser Angelegenheit tätig sind, mithelfen, ist das auch noch in Ordnung. Aber darüber hinaus sehen wir in diesem Gesetzentwurf keine Möglichkeit, Kosten zu übernehmen. Meine Damen und Herren, es ist und bleibt weiterhin so: Bildung ist Ländersache.
Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Worte zum Föderalismus sagen. Viele von Ihnen wissen: Ich bin ein großer Freund des Föderalismus in unserem Land. Wir unterstützen die Länder und die Kommunen sehr gerne. Hier und heute schaffen wir nun eine weitere Regelung zur Unterstützung der Länder und Kommunen, der im Bundesrat noch zugestimmt werden muss. Aber ich finde, meine sehr verehrten Damen und Herren, nun muss es einmal gut sein. Wir brauchen auch als Bund die Luft, um atmen zu können, und den Spielraum für die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Es gäbe viele Dinge, über die man hier sprechen könnte. Ich freue mich, dass heute eine große Mehrheit in diesem Haus dieser Grundgesetzänderung zustimmen wird, und hoffe auf einen positiven Ausgang im Bundesrat.
Vielen herzlichen Dank.
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Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Saal! Ich begrüße ganz besonders auf der Tribüne meinen Sohn: Herzlich willkommen!
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Ich begrüße auch diejenigen, die vergeblich versuchen, an Bewegtbildempfängern, Tablets, Computern, Smartphones mit der ständig abstürzenden Bundestags-App diese Debatte zu verfolgen.
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Jetzt legen mal alle die Federhalter und Hefte beiseite und hören mir gerne zu!
Dass wir hier die Möglichkeit haben, diese Flure, diese Hallen entlangzulaufen, uns frei in diesem Haus zu bewegen, Teil der Demokratie zu sein – wofür jahrhundertelang Menschen gekämpft und ihr Leben gelassen haben, um für diese Kleinigkeiten, Grundrechte, Privatsphäre, zu kämpfen –, ist ein ungeheures Privileg für uns.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, einmal Hand aufs Herz: Wer von Ihnen würde seinem besten Freund oder seiner besten Freundin Intima, Geschäftsgeheimnisse an einen Arbeitskollegen, Klatsch und Tratsch an einen Parteifreund per Postkarte verschicken, die im Zweifelsfall jeder lesen kann? Niemand würde das tun. Das ist ja schon mal sehr erfreulich. Aber trotzdem tun die meisten dies, wenn auch häufig nicht bewusst. Denn wir versenden unverschlüsselte E‑Mails wie Postkarten, die im Zweifel jeder mitlesen kann, aus dem Privat-, aus dem Arbeitsleben. Und das gilt auch für die hier beliebten Messenger-Systeme.
In der analogen Welt lässt sich das ganz einfach durch einen Briefumschlag verhindern, in der digitalen Welt durch Verschlüsselungstechnologien. Sie stellen sicher, dass nur Sie und Ihr Gesprächspartner den Inhalt einer Nachricht lesen können. Sie fungieren damit quasi wie ein zugeklebter Briefumschlag mit Siegel. In der analogen wie in der digitalen Welt brauchen wir die gleichen Rechte und Möglichkeiten.
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Die Privatsphäre im digitalen Raum zu schützen, ist seit 30 Jahren eine Herzensangelegenheit von mir. Meine Diplomarbeit habe ich vor 20 Jahren als Politikwissenschaftler über das Thema „Kryptografie im Internet“ geschrieben.
Das Thema hat mich mein Leben lang verfolgt; denn ich habe noch dieses Klicken im Ohr, dieses Klicken, wenn sie mitgehört haben. Meine Mutter war Republikflüchtling, sie ist kurz vorm Mauerbau aus der damaligen DDR geflohen und hat einen Großteil ihrer Familie zurückgelassen. Und jedes Mal, wenn wir angerufen haben, waren wir uns sicher, dass sie mithören. Jedes Mal wenn wir meine Cousins, Tanten, Onkel, meinen Urgroßvater besucht haben, waren wir uns sicher, dass sie mithören. Wir mussten in die Waschküche oder Küche gehen und den Wasserhahn aufdrehen, damit wir uns sicher waren, dass sie nicht mithören. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der jedes Telefonat von uns abgehört wurde. Was macht dieses Abgehörtwerden? Es macht Angst; es macht Angst, frei und offen zu sprechen, seine Meinung zu äußern, und man hat Angst vor den Folgen von dem, was man gesagt hat. So etwas darf nie wieder passieren.
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Es gibt bereits seit Jahrzehnten Technologien, die vertrauliche Kommunikation leisten können. Nur, nicht jeder kann sie nutzen. Sie sind teilweise kompliziert, teilweise schwer benutzbar, und das wollen wir mit diesem Antrag, mit diesem Vorschlag ändern. Denn wenn wir alle Anbieter dazu verpflichten, dass die Standardvariante einer Kommunikation verschlüsselt abläuft, Ende zu Ende, abhörsicher, dann können sich auch diejenigen sicher sein, vertraulich zu kommunizieren, die eben nicht die technischen Fertigkeiten haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Verschlüsselung ist ein fundamentaler Pfeiler für die Gewährleistung unserer Grundrechte. Artikel 10 Absatz 1 des Grundgesetzes besagt, dass das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis unverletzlich sind. Dieser Grundsatz muss auch für die elektronische Kommunikation gelten. Das sagen nicht nur wir, sondern im Übrigen sagt das auch das Bundesverfassungsgericht. Wir haben ein Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität von IT-Systemen, also ein IT-Grundrecht, das insbesondere auch der Staat schützen muss. Deswegen fordern wir Freie Demokraten ein Recht auf Verschlüsselung und wollen, dass Telekommunikations- und Telemedienanbieter ihre Dienste standardmäßig verschlüsselt anbieten – von mir aus übrigens auch gerne anonym.
Verschlüsselung schützt nicht nur unsere Privatsphäre, sondern auch den Wirtschaftsstandort: In den letzten Jahren waren laut Studien sieben von zehn Unternehmen von Wirtschaftsspionage, Sabotage und Datendiebstahl betroffen. Laut einer Bitkom-Studie hat das in den letzten zwei Jahren einen Schaden von 43 Milliarden Euro angerichtet. Verschlüsselung kann helfen, diesen Schaden einzudämmen, da Datendiebe mit den verschlüsselten Daten nichts anfangen können. Verschlüsselungen zu knacken, ist schwer, und das ist ja auch Sinn und Zweck der Sache. Seit Jahren gibt es immer wieder Forderungen, Verschlüsselung zu schwächen, insbesondere im Kontext der Strafverfolgung.
Einige Beispiele: Sicherheitsbehörden entdecken Sicherheitslücken in IT-Produkten, Software oder erfahren über andere Wege davon, geben diese aber nicht an die betroffenen Unternehmen weiter. Diese Sicherheitslücken können dann von allen möglichen Kriminellen ausgenutzt werden, und das ist das Problem. Das gilt übrigens auch für den sogenannten Staatstrojaner, mit dem Sicherheitslücken geheim gehalten werden und der damit eine Gefahr für alle darstellt.
({4})
Hersteller von IT-Produkten sollen Strafverfolgungsbehörden durch Hintertüren Zugang zu IT-Systemen und verschlüsselter Kommunikation gewähren. Das ist nicht nur ein Angriff auf unsere Privatsphäre und Bürgerrechte, sondern auch auf die IT-Sicherheit generell. Sogenannte Backdoors stehen im Zweifelsfall nicht nur dem Staat, sondern eben auch Kriminellen offen. Dies wollen wir durch ein Recht auf Verschlüsselung schließen. Sicherheitslücken wissentlich zurückzuhalten oder sogar aktiv einbauen zu lassen, hat gravierende Folgen für uns alle, unsere IT-Sicherheit und auch unsere Bürgerrechte.
Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, sich erstens gegen gesetzliche Beschränkungen oder Verbote kryptografischer Sicherungssysteme auszusprechen und sich für offene Verschlüsselungsstandards einzusetzen; zweitens den Einsatz von Backdoors zu verurteilen und sich nicht an digitalen Grau- oder Schwarzmärkten für Sicherheitslücken zu beteiligen und drittens Sicherheitslücken unverzüglich an das BSI zu melden, damit diese in Kooperation mit den betroffenen Unternehmen geschlossen werden können.
Die Geschichte der Grundrechte ist eine Geschichte der Einschränkung dieser Rechte. Das wollen wir jetzt ändern!
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Kommen Sie bitte zum Schluss.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder von uns nutzt Handy, Tablet, Laptop – wir organisieren unser Leben mithilfe von Apps und Programmen. Wir arbeiten digital, kommunizieren digital, und genau deswegen geht Verschlüsselung uns alle an. Lassen Sie uns Verschlüsselung stärken, lassen Sie uns unsere Sicherheit, unsere Privatsphäre und unsere Grundrechte stärken – durch ein Recht auf Verschlüsselung!
Vielen, vielen Dank.
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Vielen Dank, Jimmy Schulz. – Der nächste Redner in der Debatte: Marian Wendt für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Schulz, es ist schön, dass wir Sie wieder hier im Plenum dabei haben. Es ist schön, zu sehen, dass es Ihnen allmählich besser geht.
({0})
Ich muss ehrlich sagen: Als ich den Antrag las, traute ich so recht meinen Augen nicht. So wenig passt er doch aus meiner Sicht zum traditionellen Leitbild der FDP. Da spricht nicht mehr eine linksliberale FDP, welche die individuelle Freiheit und Privatsphäre verabsolutiert und jegliche staatliche Einmischung ablehnt. Auf einmal soll laut FDP der Staat, insbesondere im Internetbereich, eine übergeordnete Rolle spielen und Kontroll- und sogar Garantiefunktionen übernehmen. Ich war wirklich überrascht.
Die Liberalen schlagen etwas nebulös ein „Recht auf Verschlüsselung“ vor. Mir stellt sich die Frage, wie und wem gegenüber diese neue Rechtsposition in einem globalen Netz durchzusetzen ist. Wem gegenüber soll dieser Rechtsanspruch entstehen? Das alles ist aus meiner Sicht nicht nur diffus, sondern sieht vor allem nach zusätzlichem bürokratischem und unnötigem Aufwand aus. Ein Mehr an Bürokratie – auch das sind neue Töne aus der FDP.
({1})
Dabei ist es gerade die Große Koalition und insbesondere die Union, zuständig für das Innenressort, die nach wie vor die digitale Sicherheit maßgeblich vorantreiben.
({2})
Bereits die Digitale Agenda 2014-2017 hat das Ziel verankert: Deutschland soll Verschlüsselungsstandort Nummer eins auf der Welt werden.
({3})
Insofern ist es konsequent, dass wir uns im Koalitionsvertrag sehr deutlich für eine elektronische Identifizierung und eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung aussprechen. Wir wollen ein Recht auf Verschlüsselung; wir wollen es aber einfach und vor allen Dingen für jedermann verfügbar machen. Eine verschlüsselte und somit sichere Kommunikation zwischen Bürgern und Verwaltung ist ganz klar unser Ziel.
In der Cybersicherheitsstrategie des Innenministeriums spielt das Thema Verschlüsselung eine ganz wichtige Rolle.
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Darin verpflichtet sich die Bundesregierung, spezifische Hemmnisse beim Einsatz von Verschlüsselungslösungen zu untersuchen und Initiativen zum Abbau dieser Hemmnisse zu fördern. Meine Damen und Herren der FDP, Sie sehen: Wir streben nach vorn, wir haben bereits viel geleistet; Ihr Antrag war also gar nicht nötig.
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Sie sprechen in Ihrem Antrag auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik an – aus meiner Sicht eine Schlüsselbehörde im Bereich der Internetsicherheit. Auch hier sind wir Ihnen voran. Das BSI haben wir mit weitreichendsten Kompetenzen im Präventions- und Aufklärungsbereich ausgestattet. Sie wollen das BSI zum Verwalter von IT-Sicherheitslücken herunterqualifizieren.
({6})
Wir hingegen wollen das BSI als nationale Cybersicherheitsbehörde ausbauen und in seiner Rolle als unabhängige, neutrale und nutzerfreundliche Beratungsstelle für Fragen der IT-Sicherheit stärken. Zertifizierung und Standardisierung, IT-Gütesiegel und Verbraucherschutz sind weitere Themen aus dem Arbeitsportfolio des BSI.
({7})
Sie stellen die Sicherheit durch Verschlüsselung in den Vordergrund. Dabei ist vor allen Dingen auch Sicherheit trotz Verschlüsselung ein Bestandteil der Cybersicherheitsdebatte. Denn ja, die Strafverfolgungsbehörden müssen unter strengen gesetzlichen Voraussetzungen im Einzelfall befugt sein, verschlüsselte Kommunikation zu entschlüsseln und zu umgehen. Das dient unserer Sicherheit in Deutschland.
({8})
Das Beispiel mit der DDR ist natürlich sehr kompliziert. Ich selber bin 1985 in Torgau in Sachsen geboren. Durch familiäre Bindungen kenne ich die Eingriffe des Staatsapparates.
({9})
Der Vergleich hinkt massiv. Denn wenn bei uns Polizeibehörden, Strafverfolgungsbehörden in die Rechte der Bürger, in ihre Kommunikation eindringen, dann wird das kontrolliert, dann brauche ich dazu einen richterlichen Beschluss,
({10})
dann gibt es dazu parlamentarische Kontrolle, auch in den Gremien, in denen auch Ihre Kolleginnen und Kollegen sitzen. Deswegen hinkt der Vergleich. Denn bei uns wird jeder Eingriff in die Bürgerrechte kontrolliert und überwacht – anders als im totalitären System.
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Meine Damen und Herren, die digitale Sicherheit ist ein zentrales Thema für uns in der Union, und das fassen wir viel weiter und sehen nicht nur die Verschlüsselung.
({12})
Als Präsident der THW-Bundesvereinigung kann ich das Vorbild der neugeschaffenen Fachgruppe N im THW nennen. Bei etwaigem Ausfall kritischer Infrastrukturen, beispielsweise durch einen IT-Angriff, kümmert sich diese schnell und unbürokratisch um die Versorgung und Behebung der Schäden der Bevölkerung.
({13})
Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, fassen wir das Thema viel weiter! Nehmen wir die Bürger, die Verwaltung insgesamt mit! Werben wir dafür, dass jeder Einzelne stärker auf seine Sicherheit und auf die Informationen, die er preisgibt, achtet, und beraten wir dies gemeinsam im Ausschuss weiter!
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Marian Wendt. – Nächste Rednerin: Joana Cotar für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! In der heutigen Debatte zum Thema „Recht auf Verschlüsselung“ geht es um Vertrauen und Freiheit: Vertrauen der Bürger in die Digitalisierung, Vertrauen darauf, dass die eigenen Daten geschützt sind, Vertrauen auch darauf, dass die Politik die Freiheit der Bürger nicht mehr und mehr aushöhlt.
Im Jahr 2008 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass der Staat die Vertraulichkeit und Integrität von IT-Systemen als Grundrecht zu gewährleisten hat. Die Verschlüsselung von Daten stellt, gemäß dieser Entscheidung, eine staatliche Schutzpflicht dar. Ein Nichthandeln durch die Bundesregierung kommt damit einer Nichterfüllung dieser Pflicht gleich.
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Natürlich: Eine hundertprozentige digitale Sicherheit gibt es nicht. Trotzdem muss die Regierung hier eine Vorreiterrolle einnehmen und Anstrengungen unternehmen, die erforderlichen Technologien zu entwickeln, bereitzustellen und Anwendungen zu unterstützen. Effektive und sichere Verschlüsselungstechnologien sind schon seit Jahren auf dem Markt und vielfach erprobt. Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen sind bereits technischer Standard und für die private Kommunikation im Internet der einzig sinnvolle Weg. Das Problem ist die konsequente Anwendung von Verschlüsselungssystemen, und hier hakt es. Hier muss mehr passieren. Wir brauchen eine digitale Aufklärung. Wir brauchen den mündigen Nutzer. Hier kann und sollte die Politik mehr leisten.
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Alle Telekommunikationsanbieter nun aber zu verpflichten, ihre Kommunikationsdienste Ende-zu-Ende-verschlüsselt anzubieten, liebe FDP, darüber sollten wir noch einmal diskutieren; denn so liberal kommt mir dieser Vorschlag tatsächlich nicht vor. Ich bin aber völlig bei Ihnen, wenn es darum geht, gesetzliche Beschränkungen und Verbote von Verschlüsselungen zu verhindern. Denn es ist noch nicht so lange her, da sprachen sich Politiker in Deutschland gegen Verschlüsselungen aus. Wir erinnern uns an Herrn de Maizière: Der Staat sollte allzeit vollen Zugriff auf alle Daten bekommen. – Ein interessantes Verständnis von Freiheit, meine Damen und Herren. Dabei zeigen Sie doch immer so gern mit dem Finger auf andere Länder und mahnen zu Demokratie und zu Moral.
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Liebe Regierungsparteien, zeigen Sie, dass Sie besser sind als die Staaten, die Sie ständig kritisieren, und erteilen Sie Verschlüsselungsbeschränkungen eine endgültige Absage!
Gerade auch im Hinblick auf Quantencomputer ist eine Weiterentwicklung der Verschlüsselungstechnologien ein Muss. Quantencomputer werden Probleme in einer Geschwindigkeit lösen können, die jeden heutigen Supercomputer in den Schatten stellt. Viele heute als sicher eingestufte Verschlüsselungssysteme können in Zukunft geknackt werden, und zwar auch rückwirkend. China hat die Chancen und Risiken der Quantentechnologie längst erkannt; auch die USA sind uns wieder meilenweit voraus. Deutschland muss einen ordentlichen Sprint hinlegen, um hier wieder aufzuholen. Stattdessen geben wir allzu oft den Fußkranken.
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Im Zeitalter der Digitalisierung, in dem wir über autonomes Fahren, über das Internet der Dinge, über E-Health, über E-Government, über Industrie 4.0 – all die schönen Schlagwörter, die so gut wie jeder Kollege hier in seine Rede einpflegt – reden, in so einem Zeitalter ist alles hinfällig ohne die Sicherheit der Daten. Die öffentliche Verwaltung kann hier mit einem guten Beispiel vorangehen. Dem Vorschlag, dass sie die Verwendung von Verschlüsselungstechnologien fördern soll, können wir gerne folgen. Das kann auch das Vertrauen der Bürger stärken, die völlig zu Recht sehr vorsichtig mit ihren persönlichen Daten umgehen. Denn immer wieder hört und liest man von schweren Sicherheitslücken bei Anwendungen, die die Datensicherheit der Bürger bedrohen. Der Spruch der FDP „Bedenken second“ ist daher nicht immer angebracht. Auch ich trete für mehr Innovation, für eine Änderung der Denkweise ein: Nicht immer nur das Risiko, nicht immer nur die Gefahr sehen, sondern auch mal eine Chance. Aber in Sachen Datensicherheit, gerade wenn es um private Informationen geht, sollte man keine Kompromisse eingehen. Hier geht der Schutz der Bürger vor.
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Doch der Bürger muss nicht nur vor den Kriminellen beschützt werden: Leider greift der Staat mehr und mehr in die Freiheitsrechte und die digitale Privatsphäre der Menschen ein. Die Regierung möchte sich gerne sogenannte Backdoors offenhalten. Die Industrie soll sich verpflichten, in ihre Produkte Hintertüren einzubauen und diese den Sicherheitsbehörden zur Verfügung zu stellen, sodass Pkws, Computer oder sogar Unterhaltungs- und Haushaltsgeräte zur umfassenden Überwachung genutzt werden können.
Gleiches gilt für die Zero-Day-Exploits, Schwachstellen in IT-Systemen, die die Regierung der Öffentlichkeit und sogar den Herstellern verschweigen möchte, um sie selbst zu nutzen. Der Handel mit solchen Sicherheitslücken ist mittlerweile ein lukratives Geschäft geworden. Was passieren kann, wenn solche Schwachstellen nicht öffentlich gemacht werden, das haben wir vor kurzem beim „WannaCry“-Erpressungstrojaner gesehen. Dieser Trojaner hat eine Schwachstelle im Windows-System ausgenutzt und Hunderttausende Rechner befallen. Der Schaden wird auf circa 4 Milliarden Dollar geschätzt. Die NSA wusste von dieser Schwachstelle, und sie hat sie verschwiegen.
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Das sollte uns eigentlich Mahnung genug sein, doch nein: Gerade der Kauf, die Entwicklung und die Nutzung von solchen Sicherheitslücken durch Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden werden von der Bundesregierung aktuell untersucht. Die AfD fordert die Regierung auf, aus den gemachten Fehlern zu lernen: Sicherheitslücken und Schwachstellen sind sofort nach Entdeckung öffentlich zu machen, Backdoors ist eine Absage zu erteilen.
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Wir fordern die Regierung auch auf, sich vehement Bestrebungen der Nachrichtendienste entgegenzustellen, Spionage-Schnittstellen im Internet zu verankern. Denn was nützen die besten Verschlüsselungssysteme, wenn Behörden mithilfe von Nachschlüsseln jede vertrauliche Mitteilung und private Nachricht mitlesen können?
Das Standardisierungsgremium der Internet-Ingenieure hat den Vorschlag der Sicherheitsbehörden abgelehnt. Diese wollen jetzt allerdings über das Europäische Institut für Telekommunikationsstandards gehen und ihre Ideen so doch noch durchbringen. Und wenn die EU einmal involviert ist, geht es in der Regel nicht gut aus für uns Bürger.
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Selbstverständlich müssen wir unsere Sicherheitsbehörden in die Lage versetzen, auch tatsächlich für unseren Schutz zu sorgen, gerade in Zeiten des weltweiten und aktiven Terrorismus. Eingriffe des Staates in die Rechte der Bürger dürfen aber nur bei unabweisbarer Notwendigkeit und unter richterlicher Kontrolle erfolgen. Das heißt nicht, dass der Staat jeden Bürger bis ins kleinste Detail ausspionieren darf. Und warum sollen für Zugriffe in der digitalen Welt andere, geringere Anforderungen gelten als in der analogen? Nicht alles, was möglich ist, sollte man auch machen.
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Apropos „nicht machen“: Zur digitalen Jagd zu blasen und Dieselfahrer per Massenüberwachung besser zu kontrollieren und zu verfolgen als so manchen Verbrecher in diesem Land: ganz dumme Idee, Herr Scheuer!
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Die AfD sagt ganz klar Nein zu einer solch anlasslosen Überwachung aller Pkws und Nein zu den Träumen eines solchen Überwachungsstaates.
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Liebe Bundesregierung, werden Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst! Schützen Sie Ihre Bürger, und lassen Sie ihnen gleichzeitig die Freiheit, die sie brauchen und die in einer Demokratie selbstverständlich ist! Eine freiheitliche Gesellschaft braucht die Privatheit.
Die AfD steht für vernünftigen Datenschutz und den Schutz der Bürger. Wir wehren uns gegen eine flächendeckende Überwachung, die alle Bürger zu potenziellen Verdächtigen macht, während Überwachungen an anderen wichtigen, neuralgischen Stellen völlig fehlen.
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Freiheit im Netz bedeutet für uns als Alternative noch mehr. Denn im Deutschland von Merkel und Maas werden selbst Meinungen in sozialen Netzwerken kontrolliert und überwacht. Wer falsch denkt, ist schnell gelöscht.
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Das Ergebnis ist eine vorauseilende Selbstzensur, und das bedeutet nichts anderes als eine Einschränkung der Meinungsfreiheit.
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Die AfD steht für ein freies Internet ohne Meinungszensur, ohne NetzDG und ohne Upload-Filter. Das Grundrecht auf Meinungs- und Informationsfreiheit muss geschützt werden. Die Gesellschaft und die Bürger in diesem Land haben ein garantiertes Recht darauf.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Kollegin Cotar. – Nächster Redner: Sebastian Hartmann für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Frage der Verschlüsselung unserer digitalen Kommunikation ist sehr zentral. Tatsächlich haben wir Bürgerinnen und Bürger ein Grundrecht auf sichere Kommunikation; Artikel 10 Grundgesetz ist schon erwähnt worden. Wir müssen darauf vertrauen können, dass dieses Grundrecht auch im Internet und bei neuen Anwendungen gewahrt und geschützt wird. Aber auch die Wirtschaft braucht eine sichere und vertrauensvolle Kommunikation, um sich vor allen Dingen vor Wirtschaftskriminalität zu schützen.
Ich erinnere daran, was wir zu Beginn dieser neuen Koalition gesagt haben, nämlich dass wir in dieser Regierungskoalition anders arbeiten werden. Das gilt auch für unser Verhältnis zu den sogenannten Oppositionsparteien. Deswegen gehört es sich als Parlamentarierinnen und Parlamentarier, auch deutlich zu sagen: Dies ist ein sehr guter Antrag. Es ist ein sehr gutes Thema, das von der FDP und Ihnen, lieber Herr Kollege Schulz, aufgerufen worden ist. Das verdient eine vernünftige, konstruktive Beratung im Innenausschuss.
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Ich möchte aber auch klar sagen, um jetzt nicht der Gefahr der Gleichmacherei zu erliegen, dass wir das auch ganz anders von der FDP kennen. Ich denke nur an das verkorkste Polizeigesetz in Nordrhein-Westfalen, dessen erster Entwurf schon so verfassungswidrig gewesen war, dass er zurückgezogen werden musste.
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– Der getroffene Hund scheint heute Morgen laut zu bellen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP.
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Hier vielleicht der Brückenbau zur FDP: Halten wir es doch gemeinsam mit Willy Brandt: Im Zweifel für die Freiheit!
Die Digitalisierung kann also ein Mehr an Freiheit, Transparenz und sozialem Fortschritt bedeuten. Darum haben wir als Politik den Auftrag, dieses Feld gemeinsam in unserem Land zu gestalten. Schauen wir uns aber die Wahlprogramme zur letzten Bundestagswahl an, so sehen wir, dass bei der CDU das Wort „Verschlüsselung“ genau null Mal vorkam. Bei der CSU kam dieses Wort nur dann vor, wenn es darum ging, Nachrichtendiensten Zugriff auf die verschlüsselte Kommunikation zu gewähren. Die SPD hat sich bei diesem Thema wieder einmal durchgesetzt und wesentliche Teile des Koalitionsvertrages hierzu geschrieben. Und das bedeutet, dass wir die Verschlüsselung der Ende-zu-Ende-Kommunikation, die Verschlüsselung von Anfang bis Ende, durchsetzen, nicht nur im öffentlichen Bereich, sondern auch im privaten. Dafür wollen wir als Staat alles Erforderliche tun, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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In der Regierungserklärung in der letzten Sitzungswoche wurde zu Recht genau auf dieses ambitionierte Programm ein Schwerpunkt gesetzt; denn die Grundlage für neue Innovationen, für neue Investitionen in diesen Bereich und für das Vertrauen der Bürger ist, dass wir Vertrauen und Sicherheit in der Kommunikation sicherstellen. Nur dann werden die Bürger tatsächlich darauf vertrauen, dass das auch funktioniert. Das gelingt nur mit einer starken Verschlüsselung.
Das Beispiel mit der Postkarte ist schon genannt worden. Wenn wir einen Brief schreiben und ihn analog per Post versenden, können wir sicher sein, dass niemand mitliest. Aber wir wollen uns auch darauf verlassen, dass bei digitaler Kommunikation – nicht nur mit dem Staat, sondern auch unter uns Bürgern – niemand mitliest. Deswegen müssen wir als Staat dafür sorgen, dass Verschlüsselungstechnologien gefördert werden und dass wir, dass die Bundesrepublik Deutschland, wie wir das in der letzten Wahlperiode vereinbart haben, zum Standort Nummer eins für Verschlüsselungstechnologien wird. Das haben wir festgeschrieben. Wir werden auf diesem Weg alle Anstrengungen unternehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wir wollen die Verbreitung sicherer Produkte und des Entwicklungsprinzips „Security by Design“ fördern. Auch das haben wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben; denn wir können nicht immer darauf vertrauen, dass jedes Unternehmen eine eigene große, selbstständige IT-Abteilung hat, auch wenn wir das gerne einfordern. Aber insbesondere im Verhältnis zu den Bürgerinnen und Bürgern müssen wir dafür sorgen, dass sie in die Lage versetzt werden, Sicherheitstechnologien auch anzuwenden. Das BSI – es ist schon erwähnt worden – hat dem Gedanken des Verbraucherschutzes Rechnung zu tragen und hat auch eine Bedeutung, wenn es darum geht, Bürgerinnen und Bürger auf sichere Verschlüsselungstechnologien vorzubereiten.
Ich freue mich als Abgeordneter des Rhein-Sieg-Kreises, dass auch der wichtige Standort Bonn/Rhein-Sieg durch BSI und Bundesdatenschutzbeauftragten ordentlich gestärkt wurde. Auch das ist eine Investition in unsere Sicherheit, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass wir entsprechende Stellen und Haushaltsmittel zur Verfügung stellen. Das haben wir als neue Koalition in diesem Hause auf den Weg gebracht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Es geht uns darum, technischen und wirtschaftlichen Fortschritt zu gestalten. Wenn wir Kommunikation verschlüsseln wollen, so ist unser Anspruch, dass IT-Sicherheit made in Germany zu einem wichtigen Standort- und Wettbewerbsvorteil für Deutschland werden wird. Dieser Anspruch bedeutet, dass Investitionen in die Forschung in diesem Bereich bei uns stattfinden müssen; ich habe meine Heimatregion Bonn/Rhein-Sieg schon angesprochen. Es ist eine Investition in die entsprechenden Lehrstühle in Hochschulen, in das Fraunhofer-Institut, aber auch in private Unternehmen, wenn sie Verantwortung übernehmen wollen. Sie müssen sich auf der anderen Seite darauf verlassen können, dass wir als Staat alles dafür tun, keine Backdoors zu erhalten. Darauf müssen sich auch die Bürgerinnen und Bürger verlassen können.
Es wird aktiv daran gearbeitet, dass IT-Sicherheit made in Germany ein deutscher Markenkern bleibt. Das haben wir in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Wenn die Union, lieber Kollege Wendt, ein wenig mehr in Richtung der Liberalen und der Sozialdemokraten rückt, dann ist uns nicht bange, sondern wir bringen es gemeinsam voran. Sie haben es, weil es dazu in Ihren Programmen nur Leerstellen gab, mit der SPD in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Lassen Sie uns jetzt gemeinsam daran arbeiten! Ich freue mich auf gute Beratungen im Innenausschuss und bin mir sicher, dass wir breite Mehrheiten für dieses zukunftsweisende Thema organisieren werden.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Sebastian Hartmann. – Nächste Rednerin: Anke Domscheit-Berg für die Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Jimmy Schulz, eine Debatte um das Recht auf Verschlüsselung sollte eigentlich so lächerlich sein wie die Forderung – wir haben es schon gehört –, nicht nur Postkarten, sondern auch verschlossene Briefe versenden zu dürfen. Anders als in der Papierwelt ist das Briefgeheimnis in der digitalen Welt aber kein selbstverständliches Grundrecht mehr; denn dazu braucht es ein Recht auf Verschlüsselung. Erst verschlüsselt verwandelt sich eine E-Mail in einen Brief mit Sicherheitsbriefumschlag. Den hätte ich mir in der DDR auch gewünscht; meine Briefe kamen damals aufgeschlitzt an.
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Für Die Linke steht der Schutz der Privatsphäre im Vordergrund – und das Briefgeheimnis als Abwehrrecht gegen den Staat. Wir wissen alle seit Edward Snowden, dass Überwachungsbegehrlichkeiten staatlicher Geheimdienste keine Fantasien geblieben sind und Konsequenzen für nachgewiesene staatliche Rechtsbrüche bis heute ausblieben. Als wäre das nicht schlimm genug, werden zunehmend IT-Sicherheitskräfte vom Staat dafür eingesetzt, unser aller Sicherheit zu gefährden.
Der jüngste BSI Lagebericht spricht von 800 Millionen bekannten Schadprogrammen, und jeden Tag kommen 390 000 dazu. Um ihre Verbreitung frühzeitig zu stoppen, müssen entdeckte Sicherheitslücken sofort gemeldet und geschlossen werden.
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Aber die Bundesregierung schafft Behörden wie ZITiS, wo ohne ausreichende Rechtsgrundlage Sicherheitslücken entdeckt und geheim gehalten werden sollen, um sie irgendwann für Überwachungszwecke einzusetzen.
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Man stelle sich vor: Ein Polizist entdeckt in einer Siedlung unzähliger gleichartiger Häuser, dass sich alle Haustüren mit einem kleinen Trick öffnen lassen, aber er warnt niemanden, damit er einfach in jedes Haus eindringen kann, falls irgendwann einmal zufällig in einem dieser Häuser eine Straftat begangen werden sollte. – Genauso soll es mit unser aller Handys und Computer laufen.
Die gesamtgesellschaftlichen und weltweiten Risiken eines derartigen staatlichen Handelns sind so gravierend, dass die Behauptung, man täte das im Interesse unserer Sicherheit, eine Beleidigung des gesunden Menschenverstandes ist.
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Die Linke fordert daher, dass alle in Behörden bekannten Sicherheitslücken gemeldet werden müssen, um sie zu schließen; das will ja auch die FDP.
Wir wünschen uns auch mehr staatliche Förderung anwenderfreundlicher Verschlüsselungssoftware, vor allem für Open-Source-Lösungen; denn sie sind transparent und überprüfbar, was Vertrauen und Akzeptanz erhöht.
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Viele Softwareentwickler arbeiteten nach Snowden mit unbezahltem Engagement an solchen Open-Source-Lösungen. Ich möchte ihnen allen herzlich dafür danken.
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Ihre Programme sollten aber auch Behörden häufiger einsetzen. Es ist doch ein Witz, dass es fast unmöglich ist, als Bürger oder Bürgerin auf elektronischem Weg verschlüsselt mit einer Behörde zu kommunizieren, wenn es um etwas anderes geht als um eine Steuererklärung.
Das Recht auf Verschlüsselung für elektronische Kommunikation muss kommen. Staatliches Handeln darf niemals zur Schwächung der IT-Sicherheit beitragen. Daher begrüße ich den Antrag der FDP.
Und leider muss ich noch immer sagen, dass ich im Übrigen der Auffassung bin, dass Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafrecht verloren haben. § 219a Strafgesetzbuch muss weg!
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Vielen Dank, Anke Domscheidt-Berg. – Nächster Redner: Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Jimmy Schulz! Im Bereich der IT-Sicherheit brennt die Hütte lichterloh. Wir wissen es seit langem: Der Bundesregierung kommt im Bereich der digitalen Infrastruktur eine direkte, sich aus unserer Verfassung ergebende Schutzverantwortung zu. Das haben wir und viele Fraktionen hier Dutzende Male thematisiert; die GroKo weiß das seit langem.
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Aber dieser Schutzverantwortung werden Sie nicht gerecht, meine Damen und Herren.
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Wenn Sie sich nicht fundamental bewegen, sind Sie Mitverursacher, ja sogar Teil dieses massiven Sicherheitsproblems, das wir konfrontieren, und zwar – es wurde angesprochen – durch den staatlichen Handel mit Sicherheitslücken, durch die Weigerung, eine umfassende Meldepflicht einzuführen, die wir übrigens in den Jamaika-Sondierungen längst verhandelt hatten, aber auch durch Ihre Totalverweigerung beim digitalen Verbraucherschutz und beim Setzen von Sicherheitsstandards und schließlich durch Ihre völlig unklare Haltung bei dem wichtigen Thema der Verschlüsselung und Kryptografie, meine Damen und Herren.
Statt den hoch kriminellen Schwarzmarkt für Sicherheitslücken mit öffentlichen Geldern zusätzlich zu befeuern, was Sie tun, und statt rechtlich im luftleeren Raum schwebende Einrichtungen wie ZITiS zu schaffen, brauchen wir eine echte Kehrtwende im Bereich der IT-Sicherheit. Kryptografie ist ein ganz zentraler Baustein, und deswegen danken wir Jimmy Schulz und der FDP-Fraktion für diesen guten Antrag, meine Damen und Herren.
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Der Großen Koalition kann man nur sagen: Nehmen Sie sich endlich selbst beim Wort! Fragen Sie sich, warum eigentlich alle großen IT-Infrastrukturprojekte der letzten Jahre mit Milliardenkosten gefloppt sind! Machen Sie Deutschland endlich tatsächlich zum Verschlüsselungsland Nummer eins auf der Welt und die durchgehende Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zum absoluten Standard bei allen IT-Projekten! Das, Marian Wendt, erreicht man nicht durch Reden. Dazu müssen Sie hier im Haus Gesetze machen.
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Papier ist geduldig. Sie müssen Gesetze machen.
Unterstützen Sie die Kryptografieforschung!
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Lösen Sie die IT-Sicherheit aus dem Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums!
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Stellen Sie das BSI endlich unabhängig, meine Damen und Herren!
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Beenden Sie Ihre nicht nur beim Thema „Verschlüsselung“ hoch widersprüchliche Digitalpolitik, deren Motto ist: Ich hätte es gern vegetarisch, aber mit ordentlich viel Fleisch. – Das geht am Ende des Tages nicht auf.
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Beenden Sie das cyberpolitische Bullshit-Bingo, das wir immer wieder hören und bald auf dem nächsten IT-Gipfel bestaunen können! Legen Sie das überfällige IT-Sicherheitsgesetz 2.0 vor! Einen langen Maßnahmenkatalog haben wir Ihnen hier vor Monaten vorgelegt.
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Sie sind blank. Das ist unverantwortlich.
Ganz herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Konstantin von Notz. – Nächster Redner: Christoph Bernstiel für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Der vorliegende Antrag der FDP zeigt, dass das Bewusstsein für Bedrohungen im digitalen Raum wächst und dass das mittlerweile auch bei der Opposition angekommen ist. Das ist positiv und sehr zu begrüßen; denn inzwischen beziffert der Digitalverband Bitkom den Schaden der deutschen Unternehmen durch Cyberkriminalität – da habe ich andere Zahlen als die FDP – auf 55 Milliarden Euro. Experten gehen sogar davon aus, dass jedes vierte Unternehmen in unserem Land schon einmal Opfer einer Cyberattacke geworden ist. Doch nicht nur Unternehmen sind zur Zielscheibe von Cyberkriminalität geworden; auch Privathaushalte und somit Kinder, Jugendliche und Senioren geraten zunehmend in den Fokus. Das BKA spricht von circa 86 000 Fällen von Cyberkriminalität allein im Jahr 2017. Es besteht also unzweifelhaft Handlungsbedarf.
Ich wage jedoch, zu bezweifeln, dass ein Recht auf Verschlüsselung dazu beitragen kann, die individuelle Sicherheit im digitalen Raum zu verbessern. Unserer Meinung nach sollte jeder Mensch frei und selbst entscheiden, welche Daten er verschlüsselt und welche nicht. Es sollte schon noch unterschieden werden, ob jemand niedliche Videos, beispielsweise von Katzenbabys, hochlädt oder ob er gerade ein Aktienpaket ordert. Die bewusste Entscheidung, Daten zu verschlüsseln, ist für uns ein Teil des gelebten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.
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Im Übrigen nutzen schon heute viele Menschen ganz selbstverständlich verschlüsselte Kommunikation im Alltag. Messengerdienste wie WhatsApp, Threema oder die preisgekrönte App Chiffry, die in meinem Wahlkreis, Halle an der Saale, entwickelt wurde, gehören längst zur gängigen Praxis. Nicht so gut – da gebe ich Ihnen explizit recht – sieht es hingegen mit der Verschlüsselung von E-Mails aus. Laut einer aktuellen Telekom-Studie sagen zwei Drittel der befragten Personen, dass ihnen die Verschlüsselung ihrer E-Mails sehr wichtig ist; aber nur ein Bruchteil nutzt auch entsprechende Programme.
Der Knackpunkt ist die Anwenderfreundlichkeit. Technische Lösungen können nur dann erfolgreich sein, wenn sie auch Akzeptanz beim Nutzer finden. In diesem Zusammenhang möchte ich auch mit ein paar Vorurteilen aufräumen. Sie sagen: Die Bundesregierung macht da nichts. – Das ist schlichtweg falsch; denn das BMWi und das Innenministerium fördern bereits seit Jahren beispielsweise das Programm GNU Privacy Guard, das explizit für die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von E-Mails sorgt. Darüber hinaus fördert das hier angesprochene BSI das Projekt EasyGPG, ein nutzerfreundliches, da weitgehend automatisiertes Verfahren für eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der E-Mail-Kommunikation. Beide Programme, die die Bundesregierung unterstützt, sind sehr sinnvoll. Im internationalen Ranking der Länder rangiert Deutschland zudem unter den Top Ten, wenn es um Datenschutz und IT-Sicherheit geht.
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Doch Datenschutz, liebe FDP, ist nur eine Seite der Verschlüsselungsmedaille. Es ist auch eine der wichtigsten Aufgaben des Staates, seine Bürger vor Kriminalität zu schützen. Das gilt sowohl in der realen als auch in der digitalen Welt. Leider müssen wir jedoch mit Sorge feststellen, dass sich die Technik viel schneller entwickelt hat als unsere Gesetze zur Strafverfolgung. Kriminelle setzen heutzutage vermehrt auf verschlüsselte Kommunikation und machen es unseren Sicherheitsbehörden und Nachrichtendiensten damit sehr schwer, Verbrechen aufzuklären oder zu verhindern. Wer mehr Verschlüsselung fordert, der muss auch immer die damit einhergehenden Nachteile für unsere Ermittlungsbehörden mit einkalkulieren. Meine Damen und Herren, die Sicherstellung der Vertraulichkeit von Kommunikationsdaten ist ein ebenso hohes Gut wie der Schutz der Bevölkerung vor Kriminalität. Beides darf nicht gegeneinander ausgespielt werden.
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Liebe FDP, so gut das Ansinnen Ihres Antrages auch sein mag: Mit den darin enthaltenen Forderungen schützen Sie eben nicht unsere Bürger, sondern kriminelle Strukturen im Internet.
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Sie fördern damit die Ausbreitung von rechtsfreien Räumen im Internet. Ihren Antrag müssen wir daher ablehnen.
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Zum Schluss möchte ich die amtierende Europol-Chefin De Bolle zitieren, die uns gestern hier, im Deutschen Bundestag, besucht hat. Sie hat darauf hingewiesen, dass Ermittlungsergebnisse aus dem Cyberraum bei der Aufklärung von nahezu allen Kriminalitätsfällen hilfreich sind. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam daran arbeiten, die Cyberfähigkeiten unserer Sicherheitsbehörden zu stärken und nicht zu schwächen!
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Christoph Bernstiel. – Nächster Redner: Niema Movassat für die Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden über ein wichtiges Thema: das Recht auf Verschlüsselung und den Schutz der digitalen Kommunikation. Wo man früher Briefe schrieb, werden heute E-Mails oder WhatsApp-Nachrichten verschickt. Unsere Kommunikation hat sich grundlegend verändert, und die digitale Kommunikation ist die Kommunikationsform geworden. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Rechnung getragen, indem es schon 2008 das IT-Grundrecht entwickelte. Dieses besagt, dass der Staat die Vertraulichkeit der digitalen Kommunikation gewährleisten und schützen muss. Eingriffe in das Grundrecht sind nur ausnahmsweise erlaubt, um etwa Verbrechen aufzuklären.
Man kann die Relevanz des IT-Grundrechts nicht genügend betonen; denn eine freiheitliche Demokratie braucht die Möglichkeit der vertraulichen Kommunikation der Bürgerinnen und Bürger untereinander. Um das IT-Grundrecht verwirklichen zu können, braucht es die Verschlüsselung. Nur wer seine digitalen Nachrichten verschlüsselt, kann sicher sein, dass nur der Empfänger diese Nachrichten liest.
Doch der Schutz der digitalen Kommunikation ist gefährdet, weil es – erstens – ein riesiges Kompetenzgerangel gibt. Eine Vielzahl von Behörden – BKA, Verfassungsschutz, BND, um nur einige zu nennen – sollen für die Cybersicherheit sorgen; aber bekanntlich verderben viele Köche den Brei.
Zweitens. Ein relevanter Teil der zuständigen Behörden – das ist ein großes Problem – ist nicht nur dafür zuständig, die Daten zu schützen, sondern soll die Daten auch abgreifen. So soll der Verfassungsschutz nicht nur vor Datenangriffen schützen, sondern, wenn es nach Herrn Seehofer geht, gleichzeitig demnächst Trojaner einsetzen dürfen, um zum Beispiel WhatsApp-Nachrichten mitlesen zu können.
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Entweder schützt eine Behörde die Kommunikation der Bürger, oder sie greift in diese ein. Aber beides geht nicht, weil das Vertrauen zerstört.
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Drittens will die Bundesregierung Verschlüsselungen erschweren. Seit April 2017 gibt es die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich. Diese Behörde hat vor allem einen Job, nämlich Verschlüsselungsmethoden zu brechen und Sicherheitslücken zu finden, nicht um die Sicherheitslücken zu schließen, sondern um sie zu nutzen, damit der Staat E-Mails und digitale Kommunikation bequem mitlesen kann. Wer Verschlüsselungsmethoden zerstört, der trifft nicht nur ein paar Verbrecher, sondern alle Menschen in diesem Land. Diese Behörde ist ein Frontalangriff auf das IT-Grundrecht und gehört schnellstens aufgelöst.
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Meine Damen und Herren, der vorliegende FDP-Antrag geht in die richtige Richtung. Es fehlen aber auch Punkte. So brauchen wir – wie beim Bundesbeauftragten für Datenschutz – einen unabhängigen Bundesbeauftragten für Informationssicherheit. Es gibt auch schon die passende Behörde. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik könnte dazu umgebaut werden, aber dafür muss es vom Innenministerium unabhängig sein. Dann hätten wir endlich eine Stelle in diesem Land, die die Kernaufgabe wahrnimmt, die digitale Sicherheit, das IT-Grundrecht der Bürgerinnen und Bürger, zu schützen. Diese Aufgabe hat uns das Bundesverfassungsgericht mitgegeben. Es wird Zeit, dass wir das endlich umsetzen.
Danke schön.
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Vielen Dank, Niema Movassat. – Nächste Rednerin für die SPD-Fraktion: Saskia Esken.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Jimmy Schulz! Mit der zunehmenden Digitalisierung, Datafizierung und Vernetzung unserer Welt gerät die Privatsphäre gehörig unter Druck. Dazu kommt die Gefahr durch unsichere Software und Geräte. Der Mensch und die Informationsgesellschaft sind verletzlich geworden. Sie brauchen unseren Schutz. Zu Recht – das haben der Kollege Schulz und viele andere deutlich gemacht – machen wir uns dabei Gedanken über den allzu neugierigen Staat.
Aber auch im privaten Bereich gibt es mittlerweile viel über uns zu wissen. Was immer wir online erledigen, ob wir etwas suchen, kaufen oder Serien schauen: Wir hinterlassen Spuren im Netz. Privatsphäre ade? Die Menschen sind eher hilflos, als dass sie sorglos wären. Sie erwarten, dass der Staat ihre Grundrechte nicht nur wahrt, sondern auch schützt und durchsetzt. Zum Postgeheimnis, das heute eigentlich Kommunikationsgeheimnis heißen müsste, sind das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität von IT-Systemen hinzugekommen; einige Redner haben bereits darauf hingewiesen. Ein Recht auf Verschlüsselung ist dafür unerlässlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, und zwar ohne Hintertüren oder Zweitschlüssel. Wer wollte uns denn garantieren, dass die nicht auch von Unbefugten missbraucht werden, von Kriminellen, von Wirtschaftsspionen oder von fremden Mächten?
Die europäische Datenschutz-Grundverordnung enthält kein Recht auf Verschlüsselung, aber die Pflicht, personenbezogene Daten vor fremdem Zugriff zu schützen. Wenn ich personenbezogene Daten in einer verschlüsselten E-Mail versende und irgendwer greift mithilfe eines Trojaners darauf zu, vielleicht sogar mithilfe eines Staatstrojaners, habe ich dann die DSGVO verletzt, eine meldepflichtige Datenpanne erlitten? Das ist eine Frage, die wir einmal im Innenausschuss diskutieren sollten.
Die ePrivacy-Verordnung in der Fassung des Europäischen Parlaments wäre da wahrlich ein großer Fortschritt. Sie definiert das Recht auf verschlüsselte Kommunikation und setzt auf Privacy by Default, also auf privatsphärenfreundliche Voreinstellungen. Der Nutzer soll so verhindern können, dass sein Surfverhalten verfolgt wird und die verschiedensten Tracker ein lückenloses Profil anlegen können, sei es nun für gezielt personalisierte Werbung, zur politischen Manipulation oder für einen Score, wenn nach dem Willen der Konzerne smarte Tarife in unser Solidarsystem einbrechen. Leider ist es der Bundesregierung nicht gelungen, die Ratseinigung zur ePrivacy-Verordnung voranzubringen. Nun ist damit in der laufenden Legislatur kaum mehr zu rechnen. Eine verpasste Chance, die wir womöglich bald mit einer Novelle von TMG und TKG heilen müssen!
Datenschutz, Verschlüsselung und Privatsphäre also! Was aber, wenn sich Cyberkriminelle in die Systeme hacken und all diese Schutzrechte umgehen? Gilt das Recht auf die Integrität der IT-Systeme eigentlich nur gegenüber dem Staat, oder ist ein Cyberangriff so etwas wie ein digitaler Hausfriedensbruch? Gibt es eigentlich ein Recht auf IT-Sicherheit? Die Sozialdemokraten sind zumindest der Überzeugung, dass es eine staatliche Verantwortung und Pflicht dafür gibt.
Die Bundesregierung hat in der vergangenen Legislatur das IT-Sicherheitsgesetz mit seinen Melde- und Grundschutzpflichten für Institutionen der kritischen Infrastruktur entsprechend der europäischen NIS-Richtlinie umgesetzt. In der aktuellen Legislatur steht eine Weiterentwicklung an, ebenso wie der weitere Ausbau des BSI, das sich von einer feinen, aber ziemlich kleinen Behörde zum großen Dienstleister für IT-Sicherheit gemausert hat.
Weil auch die Kompetenzen des BSI immer weiter ausgebaut werden, auch in den Verbraucherschutz hinein, sind wir der Auffassung, dass die Behörde, wie es der Kollege Movassat angesprochen hat, nach dem Muster der Bundesdatenschutzbeauftragten unabhängig sein sollte. Ich würde mir von dieser Behörde auch ein Höchstmaß an Unabhängigkeit von der Wirtschaft wünschen.
Auf Herstellerseite wollen wir die Unternehmen durch ein IT-Sicherheitskennzeichen in die Verantwortung nehmen; der Cybersecurity Act der EU-Kommission weist ja auch in diese Richtung. Damit diese Verantwortung wirksam wird, wollen wir zu klaren Haftungsregeln bei Schäden durch mangelhafte IT-Sicherheit kommen. IT-Sicherheit muss vom „nice to have“ zur Pflicht werden – by design. Wir brauchen also sichere Geräte, damit aus dem Internet of Things kein Internet of Silly Things wird. Wir brauchen aber auch unseren gesunden Menschenverstand, der uns davon abhält, alles und jeden zu vernetzen und das Netz zu einem Internet of Everything zu machen. Braucht irgendjemand einen vernetzten Toaster oder Staubsaugerroboter? Ich glaube kaum.
Damit IT-Sicherheitslücken erkannt werden, haben wir Meldepflichten eingeführt. Jetzt braucht es ein Schwachstellenmanagement, aber eines, das der staatlichen Verantwortung für die IT-Sicherheit gerecht wird und dafür sorgt, dass die Lücken schnellstmöglich geschlossen werden. Die Offenhaltung und Nutzung von Schwachstellen durch den Staat lehnen wir ab.
Viel wird darüber diskutiert, wie wir auf Cyberangriffe aus dem Ausland reagieren sollen, Stichwort „Hackback“. Angriffe im Cyberraum lassen sich nicht durch einen Gegenschlag heilen oder gar vergelten, und gestohlene Daten kann man nicht zurückholen. Statt den Weg einer neuen, jetzt digitalen Aufrüstungsspirale zu beschreiten, sollten wir Cyberangriffen auf diplomatischem Weg begegnen. Die Cyber Diplomacy Toolbox der Europäischen Union weist da in eine gute Richtung. Wenn ein solcher Angriff von einem fremden Territorium ausgeht, dann muss der Staat des Angreifers, notfalls unter Androhung von Sanktionen, dazu verpflichtet werden, dafür zu sorgen, dass dieser Angriff schnellstens unschädlich gemacht wird.
Insgesamt will ich Jimmy Schulz und der FDP gerne danken, dass sie die Regierung in den Fragen von Verschlüsselung, Privatheit und IT-Sicherheit vorantreiben. Mit der Umsetzung des Koalitionsvertrages und seiner Vorhaben in enger Kooperation mit der europäischen Ebene sind wir auf einem guten Weg. Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich dabei für eine strikt defensive Ausrichtung unserer Cybersicherheitsstrategie einsetzen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Saskia Esken. – Nächste Rednerin: Tabea Rößner für Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann mich noch gut erinnern: 2013 hat Jimmy Schulz zur ersten Kryptoparty im Bundestag eingeladen und immer wieder ein Recht auf verschlüsselte Kommunikation gefordert. Er hat bei diesem Thema also zweifellos Street Credibility.
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Umso irritierender war dann der Wahlkampfslogan der FDP: „Digital first. Bedenken second.“ Da kann ich nur sagen: Es hilft alles nichts, wenn die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker sich abrackern und gute Arbeit machen, die Partei- oder Fraktionsspitze dann aber nicht hinter den guten Vorschlägen steht. Davon können die digitalpolitischen Kolleginnen und Kollegen von SPD und Union ja auch ein Klagelied singen.
Mit dem vorliegenden Antrag will die FDP in Erinnerung rufen, dass sie verantwortungsbewusste Digitalpolitik kann.
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Ich hoffe, dass das auch beim Fraktionsvorsitzenden angekommen ist.
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Gerade die vertrauliche Kommunikation ist nämlich besonders wichtig. Der folgenschwerste Angriff auf den Bundestag beispielsweise erfolgte 2015 über Mails. Da befand sich die FDP bekanntlich im Bildungsurlaub. Monatelang flossen Daten ab. Diese Angriffe auf die Infrastruktur von Bundestag und Bundesregierung sind Angriffe auf unsere Demokratie, die es zu schützen und zu verteidigen gilt.
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Vertrauliche Kommunikation ist aber nicht nur für uns notwendig. Eine Journalistin zum Beispiel muss genauso vertraulich mit einem Informanten kommunizieren können wie wir. Dafür brauchen beide einen sicheren Weg. Aber E-Mails sind im Moment – das wurde schon gesagt – wie Postkarten und nicht wie im Briefumschlag verschlossene Briefe, solange sie nicht verschlüsselt sind. Und wenn Menschen sich nicht trauen, in E-Mails oder Chats ihre Meinung zu äußern aus Angst, dass jemand mitliest, dann rührt das an unseren demokratischen Grundfesten wie Presse- und Meinungsfreiheit oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Diese Grundrechte muss der Staat sichern. Das ist unsere Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich denke, Sie alle wollen nicht, dass kompromittierende Fotos von Ihnen in Umlauf kommen oder Ihre IoT-Geräte Hackern Auskunft darüber geben, wann Sie zu Hause sind oder was Sie Alexa gestern alles gefragt haben. Last, but not least geht es hier ja auch um den Schutz vor Industriespionage und Sabotage, also um knallharte Wirtschaftsinteressen am Industriestandort Deutschland. Das müsste doch auch im Interesse von Union und SPD sein.
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Laut ihrer Digitalen Agenda wollte die Große Koalition Deutschland zum Verschlüsselungsland Nummer eins machen. Das ist an und für sich eine tolle Idee; aber auf die Umsetzung warten wir schon lange. Fangen Sie doch bei sich mal an: E-Government – das ist eh ein trauriges Kapitel bei der Bundesregierung – könnten Sie mit der Verschlüsselung richtig voranbringen. Dafür müssten Sie aber jetzt die Weichen stellen und die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung endlich zum Standard machen. Viele weitere Empfehlungen für eine sichere Kommunikation finden Sie übrigens im inzwischen fünf Jahre alten Bericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ und, wie Konstantin von Notz schon gesagt hat, in unserem Grünenantrag vom März.
Im FDP-Antrag ist viel Schönes drin. Deshalb unterstützen wir ihn.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Tabea Rößner. – Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion: Josef Oster.
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Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Digitalisierung erfasst zunehmend alle Lebensbereiche der Arbeitswelt und des Privatlebens. Datenaustausch, Datentransport sind Voraussetzungen für eine funktionierende Gesellschaft im digitalen Zeitalter. Die Bundesregierung investiert deshalb allein im nächsten Jahr 2,4 Milliarden Euro in den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Das ist viel, und das ist wichtig.
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Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Antrag befasst sich mit dem wichtigen Aspekt der Datenverschlüsselung. Dieser Antrag enthält durchaus wichtige Aspekte; das will ich gar nicht verhehlen. Worum geht es? Warum ist Datenverschlüsselung so wichtig? Wir alle nutzen das Internet. Wir alle telefonieren. Wir senden und empfangen täglich private und sensible Nachrichten und vertrauen darauf, dass diese sicher übertragen werden. Steuererklärung, Meldebescheinigung, Versicherungsdaten und medizinische Befunde – kaum ein Lebensbereich, der nicht davon betroffen ist. Dabei – das müssen wir einräumen – unterschätzen wir noch immer die Gefahr durch Hackerangriffe.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, drei Bereiche sind in diesem Zusammenhang für mich wichtig: Erstens geht es für mich um Vertrauen, um das Vertrauen der Menschen in den Veränderungsprozess der Digitalisierung, zweitens geht es für mich um eine sichere digitale Kommunikation und drittens um den Technologiestandort Deutschland.
Im Verhältnis Bürger – Staat stehen viele Veränderungen an. Als ehemaliger Bürgermeister greife ich mir hier mal den Aspekt der öffentlichen Verwaltung heraus. Wir wollen und müssen viele Verwaltungsdienstleistungen vereinfachen. Fast 600 Verfahren werden auf der Basis des Onlinezugangsgesetzes sehr bald digitalisiert werden. Erfolgreich kann dieser Weg aber nur sein, wenn die Menschen Vertrauen haben, Vertrauen in die Sicherheit ihrer Daten und Vertrauen in die Sicherheit der Kommunikationswege. Ein Großteil der Verfahren betrifft kommunale Dienstleistungsangebote. Bei unseren Städten und Gemeinden müssen wir daher den Grundstein für diesen gewaltigen Veränderungsprozess legen. Vor allem dort muss Vertrauen aufgebaut werden. Deswegen sind gerade hier klare Strukturen und sichere technische Lösungen notwendig. Deshalb ist hier in besonderer Weise Unterstützung geboten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, von größter Wichtigkeit ist natürlich auch die Sicherheit unserer Netze. Zahlreiche Angriffe auf Netzwerke in den vergangenen Jahren zeigen, dass das weiterhin eine gewaltige Herausforderung ist. Da bildet leider auch der Deutsche Bundestag selbst keine Ausnahme. Einerseits geht es um ein Höchstmaß an Datensicherheit für Bürger, Verwaltung und Wirtschaft gleichermaßen, andererseits spielt bei der Ausgestaltung von Verschlüsselungstechnologien aber auch die Kriminalitätsbekämpfung eine wichtige Rolle. Mit staatlichen Vorgaben oder Standards darf keinesfalls organisierte Kriminalität erleichtert werden. Sicherheit im digitalen Raum darf keine Schutzräume für Straftäter zulassen.
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Nicht zuletzt müssen wir immer auch einen Blick auf den Technologiestandort Deutschland werfen. Ich denke dabei auch an unsere Kryptobranche. Die Bedeutung dieser Verschlüsselungsunternehmen ist schon heute groß, und sie wird weiter wachsen. Wir wollen hier auch in Zukunft Innovationen zulassen und fördern.
Darüber hinaus sind wir eine weltweit führende Industrienation. Deutsche Technologie ist begehrt. Dieser Wissensvorsprung muss geschützt werden. Das ist eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg unserer Unternehmen und damit auch Voraussetzung für den Erhalt unseres Wohlstands.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, abschließend bleibt festzuhalten, dass wir bei Fragen der Sicherheit im digitalen Raum auf einem vernünftigen Weg sind. Klar ist aber auch: Es ist und bleibt ein hochdynamischer Prozess, und es bleibt hier weiter viel zu tun. Die Bundesregierung ist da, wie ich finde, auf einem sehr guten Weg.
Auch wenn der vorliegende Antrag einige Aspekte ausblendet, ist er eine gute Grundlage, um die Thematik in den Ausschüssen weiter zu beraten.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Josef Oster. – Der letzte Redner in dieser Debatte: Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass Ihr Antrag sich mit den Gefahren auseinandersetzt, die es in der digitalen Welt gibt. Sie weisen zu Recht auf die Risiken der Sabotage hin, auf die allgegenwärtige Gefahr der Spionage, der Wirtschaftsspionage, und auch auf das Phänomen des Datendiebstahls, der täglich hundertfach, ja tausendfach, in der digitalen Welt stattfindet. Wir leben in einer Zeit, in der Daten einen wirtschaftlichen Wert haben. Und immer, wenn etwas einen wirtschaftlichen Wert hat, sind natürlich kriminelle Umtriebe nicht weit. Wir reden von einer Zeit, in der Informationen gezielt genutzt und abgefischt werden, als Mittel der Auseinandersetzung.
Sie sollten in Ihrem Antrag allerdings nicht den Eindruck erwecken, dass elektronische Kommunikation heute vonseiten des Gesetzgebers nicht ausreichend geschützt wäre. So schreiben Sie in Ihrem Antrag – Herr Schulz, Sie haben das vorhin auch in Ihrer Rede so formuliert; ich darf zitieren –:
Artikel 10 Absatz 1 des Grundgesetzes schreibt fest, dass das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis unverletzlich sind. Dieser Grundsatz muss auch für die elektronische Kommunikation gelten …
Dazu schreibt aber das Bundesverfassungsgericht in genau der Entscheidung, die Sie angeführt haben, nämlich in der vom 27. Februar 2008 – Frau Präsidentin, ich zitiere –:
Der Schutz des Art. 10 Abs. 1 GG erfasst Telekommunikation, einerlei, welche Übermittlungsart (Kabel oder Funk, analoge oder digitale Vermittlung) …
Darüber hinaus ist es so, dass elektronische Kommunikation auch mit Mitteln des Strafrechts geschützt ist. E-Mail-Verkehr fällt nämlich auch in den Schutzbereich des § 206 StGB. Um einem weiteren Missverständnis vorzubeugen, sage ich: Das Bundesverfassungsgericht hat zwar gesagt, dass die Schutzaufgabe des Staates besteht; aber es gibt keine Formulierung in die Richtung, dass hier der Gesetzgeber, zum Beispiel grundgesetzlich, nachbessern müsste.
Der Blick in die digitale Welt – da haben Sie vollkommen recht – zeigt, dass nur circa 15 Prozent der Anwender Verschlüsselungssoftware nutzen. Das bedeutet, es gibt sehr wohl ein Recht auf Verschlüsselung; es machen aber zu wenige Gebrauch davon, sodass wir unser Hauptaugenmerk darauf richten sollten: Wie können wir ermutigen, dass diejenigen, die Verschlüsselung brauchen, die Verschlüsselung wollen, wissen, es gibt diese Technologien und man kann diese Technologien ohne großen Aufwand zum Einsatz bringen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir als zuständigem Berichterstatter im Rechtsausschuss am Ende, den Bogen ein bisschen weiter zu spannen. Es ist richtig, dass wir uns mit den Gefahren der digitalen Welt auseinandersetzen. Wir müssen uns aber auch vergegenwärtigen, dass das Internet ganz neue Möglichkeiten eröffnet für den Datenklau, aber auch für die organisierte Kriminalität und eben auch, zum Beispiel, für den Handel mit Kinderpornografie. Und da steigen die Zahlen. Die Zahlen sind erschreckend: 2017 gab es 35 000 Hinweise auf den Besitz kinderpornografischer Schriften im Internet. Im Hellfeld haben wir in diesem Bereich von 2016 auf 2017 einen Zuwachs von 14,5 Prozent, im Bereich der Jugendpornografie sogar von 25 Prozent. Deswegen bin ich ein Freund davon, dass wir uns mit den Gefahren auseinandersetzen, die die neuen Möglichkeiten des Internets eröffnen – dann aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ungeschont, mit offenem Visier und sehr, sehr ehrlich. Und dann müssen wir sehr wohl über die Frage reden: Wie können wir im Internet, in der digitalen Welt ermitteln? Dann müssen wir sehr wohl über die Frage reden: Wie können wir Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass wir auch, zum Beispiel, Kinderpornografie im Netz effektiv bekämpfen können? Sonst führen wir diese Debatte nicht ehrlich.
Am Ende will ich noch eine Zahl mitgeben, die mich bis heute bewegt: Im Jahr 2017 – ich habe es hier schon mehrmals gesagt; das hat das BKA geschildert – konnten 8 400 Fälle von Kinderpornografie nicht weiter verfolgt werden, weil uns dazu die Verbindungsdaten gefehlt haben. Das sollte uns zu denken geben! Ich würde mir wünschen, dass diese Fragestellung auch in der weiteren Beratung zu Ihrem Antrag, bitte, eine Rolle spielt.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Alexander Hoffmann. – Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/5764 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist aber strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Inneres und Heimat. Die Fraktion der FDP wünscht Federführung beim Ausschuss Digitale Agenda.
Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der FDP, Federführung beim Ausschuss Digitale Agenda. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag?
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Wer stimmt dagegen?
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Wer enthält sich? – Moment! Jetzt müssen wir beraten.
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Darf ich Sie bitten – es war wirklich nicht einfach zu erkennen –, aufzustehen? Dann können wir es vielleicht ein bisserl klarer erkennen. Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der FDP? – Wer stimmt dagegen? –
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– Wir sind hier oben übereinstimmend der Meinung, dass man so – offensichtlich – zu Mehrheiten kommt; durch die rege Beteiligung der Kolleginnen und Kollegen von der Regierungsbank hat sich eine knappe Mehrheit ergeben.
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Jetzt lasse ich aber abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Federführung beim Ausschuss für Inneres und Heimat. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag?
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Wer stimmt dagegen?
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– Es hat schon eine gewisse Ironie, wie hier Mehrheiten organisiert werden. – Also, noch mal: Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der Großen Koalition, der SPD und der CDU/CSU? – Wer stimmt dagegen? – Gut. Dann ist der Überweisungsvorschlag so angenommen, und Sie können wieder die ursprünglichen Plätze einnehmen; sonst ist es auf der Regierungsbank ein bisserl arg leer.
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Im Moment sind wir regierungslos. – Gefällt es Ihnen da unten besser? – Gut.
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– Vielen herzlichen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beinahe die ganze Weltgemeinschaft verständigt sich auf ein gemeinsames Vorgehen,
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nach jahrelangen Verhandlungen, und das bei einem so kontroversen Thema wie Migration. Wenn wir heute also über den Globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration sprechen, dann reden wir vor allen Dingen über einen bemerkenswerten Erfolg internationaler Zusammenarbeit.
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In Zeiten, in denen weltweit Nationalismus gepredigt wird
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und bewährte Prinzipien und Grundlagen unserer internationalen Zusammenarbeit und unserer Beziehungen infrage gestellt werden, setzt der Globale Pakt ein mutiges und ein ermutigendes Zeichen für ein funktionierendes multilaterales Handeln.
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Meine Damen und Herren, der Globale Pakt ist die Antwort der Staatengemeinschaft auf eine Herausforderung, für die es eben keine rein nationalen Lösungen gibt. Migration ist so alt wie die Menschheit. Migration ist ihrem Wesen nach global. Sie betrifft uns alle. Sie gemeinsam steuern und regulieren zu wollen, liegt in unserem ureigenen Interesse. Der Inhalt des Globalen Paktes unterstreicht dies; er ist deshalb richtig und wichtig für uns alle.
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Meine Damen und Herren, bei den Wortbeiträgen in den letzten Wochen und auch noch einigen, die heute folgen werden, scheint mir hingegen das Empörungspotenzial größer zu sein als das Lesevermögen.
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Tatsachen werden gezielt verdreht und Behauptungen aufgestellt, die an Böswilligkeit nicht zu überbieten sind, etwa jene, dass der Pakt das Recht souveräner Staaten bei Migrationsfragen einschränke und ungeregelte Masseneinwanderung zur Folge hätte.
Wahr ist – und das steht ganz deutlich schon in der Präambel dieses Paktes –: Die nationalen Hoheitsrechte werden weder eingeschränkt, noch werden sie irgendwohin übertragen.
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Das muss man mal zur Kenntnis nehmen, auch wenn es in die eigene Diktion nicht passt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was der Globale Pakt aber auch deutlich macht, ist, dass Menschenwürde unteilbar ist. Dies gilt für jeden, auch für die über 250 Millionen Migranten, die es auf der Welt gibt. Sich dazu zu bekennen, das sollte doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
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Behauptet irgendjemand, dass es für manche Menschen die Menschenwürde gibt und für andere nicht?
Meine Damen und Herren, der Bundesregierung wurde und wird auch heute mangelnde Transparenz vorgeworfen. Ich will diesem Vorwurf auch von dieser Stelle eindrücklich widersprechen: Die Bundesregierung hat die Öffentlichkeit von Anfang an in die Aushandlung des Globalen Paktes eingebunden.
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Das können Sie nachlesen: In den sozialen Medien, im Internet,
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überall sind dieser Pakt und die Verhandlungen darüber sehr offen dargestellt worden. Bei mehreren hochrangigen Konferenzen zur Migration haben wir über die Verhandlungen informiert.
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Auch der Bundestag war eingebunden und hat schon im April dieses Jahres über den Pakt diskutiert. Vor Beginn der eigentlichen Verhandlungen gab es fünf große Beratungs- und Anhörungsrunden auch für nichtstaatlich Interessierte bei den Vereinten Nationen. Bedauerlicherweise haben nicht alle Fraktionen davon Gebrauch gemacht. Jetzt raten Sie mal, welche nicht.
Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Hebner von der AfD-Fraktion?
Nein, aber ich will zumindest darauf hinweisen, dass wir selbst im Auswärtigen Amt so weit gegangen sind, dass wir einen Abgeordneten der AfD-Fraktion im Auswärtigen Amt zweimal über den Verhandlungsstand bei dem Pakt und auch über die Ergebnisse informiert haben.
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Zugegebenermaßen: völlig erfolglos.
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Meine Damen und Herren, auch das will ich an dieser Stelle sagen: Ähnlich transparent wie im Bundestag haben wir übrigens auch die Öffentlichkeit über die Verhandlungen, die Ergebnisse und den Inhalt informiert, im Übrigen auch eine Vielzahl von Medienvertretern auf die Verhandlungen hingewiesen. Es ist nicht so, dass alles, was wir dorthin weitergegeben haben, seinen Niederschlag in der Berichterstattung gefunden hat. Deshalb will ich dem einen oder anderen, der in den Medien behauptet, dass darüber nicht ausreichend informiert oder geschrieben worden ist, sagen: Wenn man mit dem Finger auf andere zeigt, dann gibt es noch mehrere Finger, die auf einen selber zurückzeigen, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Medienvertretern.
({2})
Wenn wir von einem Erfolg sprechen, dann hat das auch damit zu tun, dass wir, wie ich finde, selbstbewusst auf die Ergebnisse des Paktes schauen können.
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Erstmals gibt es mit ihm eine internationale Absichtserklärung zur Regulierung der Migration.
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Wir definieren gemeinsame Ziele, die insbesondere der Reduzierung – noch mal, damit Sie es verstehen: Reduzierung – von irregulärer Migration und ihren negativen Auswirkungen dienen.
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Dies ist ausdrückliches Leitprinzip des Paktes. Deshalb profitieren auch wir in Deutschland davon, dass er verabschiedet wird.
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Dieser Pakt ist auch im deutschen Interesse – im deutschen Interesse. Verstanden?
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Es geht nämlich auch darum, dass Migranten in ihren Heimatregionen besser versorgt werden,
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dass Fluchtursachen bekämpft werden,
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dass Menschen dort, wo sie leben, unterstützt werden; eine Forderung, die wir als deutsche Bundesregierung von Anfang an erhoben und in die Verhandlungen eingebracht haben. Deshalb ist ein Ziel dessen, was dort niedergeschrieben ist, dass Menschen in ihrer Heimat eine Lebensperspektive haben. Die Konsequenz ist, dass es nicht mehr, sondern weniger Migration auf der Welt gibt.
({10})
Aber auch das scheint für den einen oder anderen zu schwer zu verstehen zu sein.
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Meine Damen und Herren, auch das will ich sagen: Es gibt kaum ein Land auf der Welt, das von internationaler Zusammenarbeit und von multilateralem Handeln mehr profitiert als Deutschland.
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Deshalb sollten doch gerade wir wissen, dass die großen Herausforderungen – die Migration gehört zweifelsohne dazu – eben nur im globalen Zusammenwirken bewältigt werden können. Deshalb fordern wir auch von anderen Ländern ein Bekenntnis zum multilateralen Handeln und fordern sie auf, vieles von dem, was wir in Deutschland beim Thema Migration längst zur Realität gemacht haben, auch zu ihrer Realität werden zu lassen, wenn es darum geht, kriminelle Schleuserbanden zu bekämpfen, wenn es darum geht, Rückführungen zu erleichtern.
Wenn alle beim Thema Migration so weit wären wie wir – viele haben sich in ihrer politischen Absichtserklärung dazu bereit erklärt –, dann würde es bei diesem Thema in Zukunft auf der Welt weniger Probleme geben.
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Deshalb sollten wir diesen Pakt und damit auch alle, die sich bereit erklärt haben, auf diese Ziele hinzuwirken, unterstützen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schluss will ich noch sagen: Es geht auch um so was wie Glaubwürdigkeit. Es gibt Länder, die sich zwar nicht aus der Verhandlung, aber letztlich aus der Zustimmung verabschiedet haben.
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Das muss jeder mit sich selber ausmachen.
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Wie glaubwürdig ist es, an den Verhandlungen teilzunehmen, den Text dieses Paktes mitzuschreiben und sich dann aufgrund einer schnell geführten und nicht unbedingt von Fakten geprägten innenpolitischen Debatte aus diesem Pakt zu verabschieden? Ich verstehe das bei einigen nicht. Aber ich muss es auch nicht unbedingt verstehen.
Ich weiß nur eines: Es ist höchste Zeit für diesen Pakt. Die Probleme der Welt wachsen immer weiter zusammen. Die Augen davor zu verschließen, ist nichts anderes als naiv. Der Globale Pakt ist keine internationale Verschwörung. Er ist ein Akt der Vernunft. Deshalb verdient er unsere Zustimmung.
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Vielen Dank, Heiko Maas. – Ich möchte Ihnen mitteilen, dass auf Antrag der AfD über diesen Punkt, also die Vorlage von CDU/CSU und SPD zum Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration, namentlich abgestimmt wird. Das ist kurzfristig, aber es ist möglich.
({0})
Eine Fraktion kann das beantragen. Also wird es am Ende der Debatte dazu eine namentliche Abstimmung geben.
Nächster Redner: Dr. Gottfried Curio für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Präsident! Geehrte Abgeordnete! Dieser Pakt ist ein Trojanisches Pferd.
({0})
Er soll die Beendigung chaotischer Zustände suggerieren und birgt in seinem Innern unzählige neue Probleme.
Frau Merkel, die sich gerade davonstiehlt, will ihre Urkatastrophe von 2015 in einem globalen Migrationsplan verstecken und nachträglich rechtfertigen und vor allem für die Zukunft auf Dauer stellen.
({1})
Deutschland war maßgeblich federführend.
Der Pakt transportiert unter falschen Etiketten das Gegenteil dessen, was er vorgibt. Er ordnet und steuert Migration nicht, sondern weitet sie uferlos und chaotisch aus. Alle bisher ordnenden Instrumente entfallen ersatzlos.
({2})
Kein Fluchtgrund, kein Asylgrund, keine Qualifikation sind mehr nötig, um einzuwandern; keine Papiere, ja keine Legalität – nichts.
({3})
Er propagiert die „voraussetzungslose Migration“. Er ist nichts anderes als eine verantwortungslose Einladung zur weltweiten Völkerwanderung nach Deutschland ohne Obergrenze.
({4})
Weitere falsche Etiketten: „Positive Auswirkungen“, heißt es da.
Herr Dr. Curio, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein, grundsätzlich nicht.
({0})
Unverträglichkeiten, sozial und kulturell, werden von Ihnen komplett ignoriert, wie in Deutschland üblich. Eine Quelle von Wohlstand ist Migration unter solchen Voraussetzungen nie, sondern von Chaos, Gewalt und Verdrängung.
({1})
Humanitär ist an Massenwanderungen nichts. Entlastung der Wunschzielländer? Unsinn! Andere Länder sind weder willens noch in der Lage, Standards der Versorgung vergleichbar den deutschen einzuführen. Aber bei kritischer Berichterstattung droht der Pakt mit finanziellen Sanktionen, also Zensur. Nichts zeigt besser den Charakter dieses Abkommens und seiner undemokratischen, ja diktatorischen Akteure.
({2})
In Deutschland ist man da mit Herrn Maas’ Zensurgesetz schon mal mutig vorangegangen.
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Bei der Regierung heißt das dann: Wir erfüllen die Ziele doch schon. – Ja, schlimm genug, meine Damen und Herren.
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Laut Pakt bekommt jeder, der irgendwie nach Deutschland kommt, Zugang zum Sozialsystem, ohne je etwas beigetragen zu haben. Und wir alle sollen diesen Wahnsinn bezahlen.
({5})
Unbegrenztes Zuzugsrecht für jeden als Anspruchsrecht für „Klimaflüchtlinge“.
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Die Migranten müssen bis zum Zielland optimal begleitet und versorgt werden. Hunderttausende illegale Migranten genießen hierzulande schon jetzt, wovon der normale Bürger nur träumen kann: das bedingungslose Grundeinkommen.
({7})
Mit fataler Sogwirkung: Millionen wanderwillige Afrikaner sitzen auf ihren Koffern.
({8})
Der Pakt verheißt denen die soziale Hängematte, und wir sollen sie aufspannen, moralisch geknebelt durch eine vorgebliche humanitäre Verpflichtung.
({9})
Bei uns darf der Rentensatz ins Bodenlose fallen,
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aber 50 Milliarden Euro pro Jahr für Asylforderer, und diese Ausbeutung wird jetzt globalisiert, unendlich vervielfacht.
({11})
Von Frau Merkel aber wird Souveränität und Interessenvertretung des eigenen Landes, eigentlich ihr Amtseid, als Nationalismus verleumdet.
({12})
Sie arbeitet gegen die eigene Bevölkerung. Wer diesen Pakt unterschreibt, gehört abgewählt.
({13})
Überall wird da von Selbstverpflichtung gesprochen, zur Überwachung noch gar Kontrollinstitutionen. Illegale Migration wird zum irregulären Status weißgewaschen, soll entkriminalisiert werden. Das erinnert an Frau Merkels Rechtsbruchmentalität:
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Illegalität zu Legalität machen, wie sich jeder Berufskriminelle wünscht. Wieder soll Politik über dem Gesetz stehen, wie 2015.
({15})
Wirtschaftsmigranten sollen politisch Verfolgten und Kriegsflüchtlingen gleichgestellt werden.
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Nach Status des Migranten soll nicht mehr unterschieden werden. Sozialleistungen für alle. Negative Effekte werden planvoll ausgeblendet. Migration sei Quelle von Wohlstand und Innovation.
({17})
Dieser Wohlstand beläuft sich auf Kosten von bis zu 50 Milliarden Euro pro Jahr.
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Als Innovation haben wir die neu grassierende Messerkriminalität und Gruppenvergewaltigungen.
({19})
Nirgends Hinweise auf die massiven sozialen Verwerfungen von Migration: Kontrollverlust des Rechtsstaats, explodierende Kriminalität,
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Plünderung der Sozialsysteme, uferlose Integrationskosten, verfassungsferne Parallelgesellschaften, Mobbing gegen Andersgläubige, Gewalt und Terror. Braucht irgendjemand mehr davon in Deutschland? Ich denke, nein.
({21})
Kein Wort davon im Text. Dieser Pakt will betrügen.
({22})
Deutschland muss seine Entscheidungshoheit wahren; selbst bestimmen, wer herkommt.
({23})
Dieses gigantische Umsiedlungsprogramm für Migranten jeder Art muss verhindert werden.
Von Zurückweisung an den Grenzen finden Sie im Text kein Wort. Die Sicherung der EU-Außengrenzen kann man sich dann sparen. Der Pakt will sogar durch Grenzmanagement Grenzübertritte erst gewährleisten.
({24})
Sanktionen gegen illegale Migranten sollen revidiert werden, ob sie nicht diskriminierend seien.
({25})
Wahrscheinlich ist ein Abschiebeknast einfach diskriminierend. Dafür soll es einen Spurwechsel geben, irregulär nach regulärer Migrant.
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Die Unterscheidung zwischen Illegalität und Legalität, die Sie verwischen wollen, muss erhalten bleiben in einem Rechtsstaat. Illegaler Grenzübertritt ist strafbar. Dabei muss es bleiben.
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Dieser Pakt ist, wie wenn eine Regierung Einbrüche bekämpfen will, indem sie sie grundsätzlich legalisiert, aber nur nachts zwischen 22 Uhr und 6 Uhr geordnet, sicher und regulär eingebrochen werden darf. So wird dann auch Einbruch endlich geordnet und gesteuert.
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Gegen Schlepper will man vorgehen, aber die Geschleppten als Opfer straffrei stellen. Sie sind aber kriminelle Auftraggeber ihrer kriminellen Lieferanten.
Neue Papiere will man ausstellen, stellt sich damit aber nur in den Dienst des Identitätsbetrugs Hunderttausender Passvernichter. Migranten von Deutschland weglenken will man durch höhere Sozialleistungen für Migranten weltweit. Aber andere Länder werden nicht Leistungsstandards auf deutschem Niveau einführen.
Der Pakt bringt keine Entlastung Deutschlands. Er bekennt sich zur Förderung von Migration. Migranten sollen Unterstützung bekommen. Migration sei zu gewährleisten. Migration an sich: Sie ist kein Wert an sich, oft ein Unwert.
({29})
Und die Migranten sollen sofort Zugang zum Arbeitsmarkt haben, mittels – man höre! – Anerkennung nicht formal erworbener Fertigkeiten.
Mal zulangen in Afrika ist keine deutsche Ausbildung, aber dafür Zugang zu Sozialschutz und Grundleistungen: Freizügigkeit für Wanderarbeiter dieser Art bringt Import unzähliger Sozialfälle. Für den Pakt heißt Integration wohl, dass Migranten Hartz IV ohne Dolmetscher beantragen können.
({30})
Das Ganze ist eine politische Aufrüstung der Migranten gegen den Aufnahmestaat. Der Pakt spricht den Ansässigen Pflichten zu gegen die Migranten, den Migranten nur Rechte, beides ohne Grund.
Muss das alles eigentlich noch irgendwer erarbeiten? Ach ja, der dumme Deutsche. Er wird doch kein rassistischer Nazi sein und sein Erspartes diskriminierenderweise nicht herausgeben wollen für die ganze schöne bunte Vielfalt.
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Bezeichnenderweise sind die meisten Zustimmungsländer keine Zielländer der Migration.
({32})
Dieser von Frau Merkel angestoßene Pakt, minutiös geplant bei der UN, bei den „Verneinten Nationen“. Es heißt, er sei ein Meilenstein, aber noch nicht der Endpunkt. Das steht da. Wohin geht denn die Reise? Was lesen wir? In einer EU-Studie von 2010 heißt es: Deutschland könne bis zu 274 Millionen Einwohner haben. – Schöne neue Welt.
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Der Pakt verschafft uns dann ein alljährliches 2015, ganz unverbindlich; denn so soll es in der Union jetzt weitergehen: mit einem ab Dezember kontinuierlichen Weiter-so, der absolut konstanten Katastrophe, kurz: AKK.
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Dürfte ich die Kolleginnen und Kollegen in ihrer Begeisterung bitten, wieder Platz zu nehmen? – Ich rufe die nächste Rednerin auf. Das ist Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt kochen wir das Ganze erst mal wieder ein bisschen herunter und beschäftigen uns mit den Fakten.
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Wir stimmen heute unter anderem über einen Antrag der Koalitionsfraktionen zum globalen Migrationspakt ab, in dem wir als Parlament unsere Erwartungen formulieren. Wir verfolgen ein klares Ziel, und das heißt: Migration ordnen, steuern, begrenzen. Dieser Pakt kann uns dabei auch auf internationaler Ebene helfen.
Auch ich habe in den vergangenen Wochen viele E-Mails und Briefe dazu erhalten und viele Gespräche geführt. Ich weiß, dass ein Teil der Bevölkerung beunruhigt ist und dass wir in den vergangenen Jahren auch ein Stück weit Vertrauen in die Migrationspolitik verloren haben.
({1})
Wir nehmen als Parlamentarier diese Bedenken sehr ernst und reagieren auch darauf. In Deutschland zeigen wir seit 2015 mit verschiedenen Maßnahmen kontinuierlich, dass wir uns in unserem Land den Herausforderungen stellen und dass die Asylzahlen sinken. In diesem Jahr beraten wir das Fachkräftezuwanderungsgesetz, ein weiteres Gesetz zur konsequenten Durchsetzung der Ausreisepflicht. Wir haben AnKER-Zentren eingerichtet und den Familiennachzug eingeschränkt.
Wir haben auf nationaler Ebene viel getan, aber Migration ist und bleibt nun mal ein globales Phänomen, das man nur global, nicht allein national lösen kann.
({2})
Das schaffen wir auch nicht alleine, auch wenn es so schön einfach wäre, zu sagen: Das kann man alles nur bei uns regeln.
Dieser Pakt soll erstmals einen unverbindlichen Rahmen schaffen, der eine internationale Zusammenarbeit in der Migrationspolitik dokumentiert. Wie man sich über einen unverbindlichen Rahmen so aufregen kann, darüber kann ich mich, ehrlich gesagt, nur wundern.
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Wir wollen ganz klar auch bei uns die Trennung von legaler und illegaler Migration.
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Wir wollen, dass andere Staaten ihren Bürgern Pässe ausstellen und sie zurücknehmen. Wir wollen das Schleusertum bekämpfen und Fluchtursachen beheben. Wir wollen, dass andere Länder bei der Arbeitsmigration bessere Standards setzen und auch mehr Verantwortung für die Migration übernehmen.
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All das adressiert dieser Pakt. Auf all das hat man sich dort verständigt, und das ist gut so, auch für unser Land.
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Frau Lindholz, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Hebner von der AfD-Fraktion?
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– In der Regel beantwortet das die Gefragte selber. – Frau Lindholz.
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Ja, ich lasse die Zwischenfrage zu.
({0})
Bitte, Herr Hebner. – Nicht Sie, Herr Sichert. Herr Hebner war zuerst dran.
Ich lasse eine Zwischenfrage zu. Sie dürfen sich entscheiden, wer. Ich lasse eine Zwischenfrage zu.
Bitte.
Herzlichen Dank für die Erlaubnis, eine Zwischenfrage stellen zu können. – Sie sagten gerade, wir beschäftigen uns als Parlament damit. Frau Lindholz, man muss ganz klar sagen: Wir haben hier einen aus unserer Sicht reinen Erfolg der Opposition zu verbuchen, dass endlich die Regierung zu einem in diesem Fall Deutschland massiv ändernden Pakt Stellung nimmt. Warum haben Sie nicht frühzeitig darüber informiert? Warum so kurz vor zwölf vor der Annahme? Warum stellen Sie jetzt einen Antrag, wenn das Ganze so unverbindlich ist, das Ganze noch zu verbessern?
Ein ganz großer Punkt: Sie sprechen hier gerade über den „Globalen Pakt für Migration“; ganz am Ende Ihres Antrags sprechen Sie über den „Globalen Pakt für Flüchtlinge“. Warum wird darüber nicht berichtet?
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Es läuft hinter dem Globalen Pakt für Migration, im Windschatten, ein zweiter Pakt. Darüber wird der Öffentlichkeit nichts berichtet – man hat aus dem Kommunikationsdesaster offensichtlich nichts gelernt –, und der zweite Pakt wird dann hinterhergezogen. Warum berichten Sie darüber nicht?
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Warum wird darüber nicht öffentlich gesprochen? Herr Maas hat gesagt, er hätte informiert, was nicht richtig ist. Warum hat er sich hier nicht gebessert? Warum hat er sich in diesem Falle nicht am Riemen gerissen und etwas mehr investiert? Bitte beantworten Sie, warum das Thema in der Bevölkerung nicht aktiv adressiert wurde, und warum das in diesem Falle so lange verschwiegen wurde.
Herzlichen Dank.
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Also, Herr Kollege, ich stehe hier als Vertreterin des Parlaments und nicht als Vertreterin der Regierung.
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Ich will mich auch nicht in die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung einmischen. Es ist vieles kommuniziert worden, aber wir müssen konstatieren: Es ist in der Bevölkerung nicht alles angekommen.
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– Nein, es ist nicht richtig, wenn Sie sagen: „Gar nichts!“ – Es ist durch die Netzwerke eine unglaubliche Politik auch der Falschberichterstattung gegangen.
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Wir als Parlamentarier von der Koalitionsfraktion – ich habe das auch in den Zuschriften erlebt, die ich bekommen habe – haben uns ganz klar die Frage gestellt: Was können wir machen, was können wir tun, um der Bevölkerung die Ängste zu nehmen und ihnen zu erklären, was wir unter dem Pakt verstehen, wie wir ihn als nationaler Gesetzgeber verstehen und welche Migrationspolitik wir als Parlamentarier verfolgen?
Wenn Sie meine Rede bis zum Ende hören, dann werden Sie darauf eine Antwort finden. Es gibt nämlich nur ein einziges Mittel, mit dem dieser Bundestag und diese Parlamentarier sagen können, wie sie sich die Migrationspolitik der Bundesregierung, wie sie sich diesen Pakt vorstellen und wie sie ihn interpretieren. Das tun wir mit diesem Antrag; deswegen wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie unserem Antrag einfach zustimmen könnten, der nämlich genau von Ordnung, Steuerung und Begrenzung spricht
({3})
und der auch davon spricht, dass man die Öffentlichkeit, ich betone jetzt: noch besser aufklären sollte. Ich muss ja konstatieren: Wenn sich die Bevölkerung teilweise nicht aufgeklärt fühlt, hat man vielleicht etwas versäumt.
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Wir wollen frühzeitig unterrichtet werden. All das steht in unserem Antrag drin. Deswegen ist unser Antrag ein guter Antrag. Es ist unser Instrument als Parlamentarier, der Regierung unsere Grundsätze mit auf den Weg zu geben. Genau das wollen wir heute tun.
({5})
Ich kehre kurz zurück. Ich habe gerade vieles ausgeführt, was in diesem Pakt drinsteht und was gut wäre, wenn es alle Länder auch so erfüllten. Natürlich kann man sich über die eine oder andere Formulierung unterhalten. Man kann auch sagen: Ist das vielleicht etwas zu positiv, nur im Sinne einer „positiven“ Migration formuliert, ohne Grenzen und Risiken genau genug zu beschreiben? Darüber kann man sich unterhalten; das ist korrekt. Aber der Punkt ist: Er adressiert international erstmals Regelungen. Es wäre auch für uns gut, wenn sich alle Länder dazu entschließen könnten, das umzusetzen. Damit komme ich jetzt zum Umsetzen.
({6})
Was können wir als Parlament tun? Ich habe es gerade ausgeführt. Wir können mit diesem Antrag – das wissen Sie, wenn Sie ihn gelesen haben, und das haben Sie offensichtlich – ganz klar sagen: Das sind unsere Ziele in der Migrationspolitik: ordnen, steuern und begrenzen. Und unsere nationale Souveränität steht nicht zur Disposition – heute nicht, morgen nicht und auch nicht durch diesen Migrationspakt.
({7})
Unsere Gesetzgebung, unsere Gesetze stehen nicht zur Disposition, heute nicht, morgen nicht und auch nicht durch diesen Pakt, es sei denn, dieses Parlament ändert sie.
({8})
Und mit diesem Antrag geben wir zum einen ein Signal nach außen, in die Welt. Wir geben der Bundesregierung unsere Vorstellung, unseren Auftrag mit auf den Weg. Wir können damit international Einfluss nehmen. National richten wir unsere Vorstellungen ganz genau auch an unsere Gerichte und an unsere Institutionen. Damit kann niemand einfach nur den Pakt heranziehen, sondern es muss immer auch unser Antrag berücksichtigt werden. Das ist weit mehr als eine Protokollerklärung, die man irgendwo bei den Vereinten Nationen an die Resolution hinten anhängt. Das ist das, was der deutsche Gesetzgeber, der Deutsche Bundestag, möchte und erwartet.
({9})
Abschließend noch: Wer uns vorgaukelt, andere Staaten würden aus dem Pakt austreten, der muss sich damit einmal genauer beschäftigen. Aus dem Pakt tritt man aus, wenn man aus der UN-Generalversammlung austritt. Die Resolution wird im Januar als unverbindliche UN-Resolution angenommen. Dafür reicht eine einfache Mehrheit. Da sind alle Staaten mit im Boot. Sie glauben doch nicht allen Ernstes, dass Österreich zum Beispiel aus den Vereinten Nationen aussteigt?
({10})
Sämtliche Austrittsbekundungen und Austrittserklärungen sind schlicht und ergreifend Falschbehauptungen, sie sind Augenwischerei. Das einzig geeignete Instrument des Parlaments ist unser Antrag, und deshalb bitte ich auch um Zustimmung.
Danke schön.
({11})
Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz.
Nächster Redner für die FDP-Fraktion: Stephan Thomae.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Migration ist eine globale Herausforderung, ein globales Phänomen. Deswegen ist es doch zunächst einmal richtig und wichtig, dass sich die Vereinten Nationen mit diesem Phänomen befassen, sich dieser Herausforderung annehmen und dieses Thema auch behandeln. Ganz sicher wäre vor wenigen Jahren, vor fünf Jahren, dieses Thema ganz sachlich und unaufgeregt hier im Bundestag behandelt worden. Nur in Zeiten, in denen der US-Präsident eine Mauer zu Mexiko errichten will und wir unter dem Eindruck einer Flüchtlingsbewegung stehen, unter solchen Vorzeichen haben wir diese aufgeregte, nervöse Debatte bei uns.
Sicher wäre es die Aufgabe der Bundesregierung gewesen, frühzeitig,
({0})
von sich aus, proaktiv die Öffentlichkeit zu informieren. Denn spätestens seit TTIP wissen wir: Wenn man das nicht tut, überlässt man Populisten von rechts und von links die Deutungshoheit, und sie werden diese Felder besetzen, werden die Öffentlichkeit mit Halbwahrheiten und Unwahrheiten verunsichern und die Vorhaben verunglimpfen.
({1})
Deswegen muss man solche Dinge von sich aus und proaktiv angehen.
Ich will nur einmal ein Beispiel geben, wo mit solchen Unwahrheiten und Halbwahrheiten gearbeitet wird. Wir haben hier gerade wieder gehört, dass der Eindruck erweckt werden soll, Deutschland gehe zahlreiche Verpflichtungen ein, verpflichte sich, mehr Flüchtlinge aufzunehmen.
Mich hat eine E-Mail erreicht, in der jemand die Worte „sich verpflichten“ in der deutschen Übersetzung gezählt hat: 89-mal würden die Worte „sich verpflichten“ auftauchen. Das hat übrigens auch etwas mit der Übersetzung zu tun. Das englische Original verwendet nicht das Wort „obligation“, sondern das „commitment“ und „commit“. „to commit“ bedeutet eigentlich nicht „sich verpflichten“, es bedeutet vielmehr „anstreben“. Auch damit hat es zu tun, aber auf das wollte ich gar nicht hinaus. Es soll der Eindruck erweckt werden, als könne auch durch eine solche unverbindliche Erklärung, einen solchen Pakt, eine Art Völkergewohnheitsrecht entstehen. Völkergewohnheitsrecht, verehrte Kolleginnen und Kollegen, entsteht bei übereinstimmender, gemeinsamer Rechtspraxis, getragen von der Überzeugung der rechtlichen Verbindlichkeit. Genau das ist in diesem Pakt doch nicht der Fall. Nummer 7 des Pakts besagt ganz ausdrücklich, dass dieser Pakt rechtlich nicht verbindend ist. Klarer kann man es doch gar nicht mehr sagen.
({2})
Es kann doch kein Völkergewohnheitsrecht entstehen, wenn klar gesagt wird: Es soll rechtlich nicht verbindlich sein. – Man kann es nicht klarer sagen.
Ganz im Gegenteil formuliert dieser Pakt zahlreiche Ziele und setzt Standards, die wir doch auch zu unseren Zielen erklärt haben, Standards, die wir auch haben. Ich will nur ein paar vorlesen – es ist zum Teil schon genannt –: Ursachen irregulärer Migration reduzieren, Schleuserbekämpfung, Grenzmanagement, Freiheitsentzug als Ultima Ratio, die bessere Anerkennung von Bildungsstandards, die Aushandlung von Abkommen zur Rücknahme abgelehnter Flüchtlinge und Asylbewerber, bessere Zusammenarbeit bei der Ausstellung von Passersatzpapieren, um Rücküberstellungen und Abschiebungen möglich zu machen. – Das sind doch alles unsere Standards; das sind doch unsere Ziele, und wenn sich andere dazu auch bekennen, dann senkt das doch den Migrationsdruck auf Deutschland. Wir müssen doch dieses Abkommen wollen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Deswegen halte ich auch nichts davon, das Abkommen mit einem Vorbehalt zu versehen. Eine Vorbehaltserklärung gibt man im Völkerrecht dann ab, wenn es darum geht, die Bindungswirkung eines völkerrechtlichen Vertrages zu modifizieren oder zu reduzieren.
({4})
Wenn wir das täten, gingen wir gerade denen auf den Leim, die die falsche These vertreten, dass es sich um eine Bindungswirkung handle. Deswegen ist auch eine Vorbehaltserklärung hier völlig fehl am Platz.
({5})
Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, stehen wir von der FDP zu diesem Pakt. Er enthält zahlreiche Ziele, zu denen auch wir stehen, viele Standards, die wir ohnehin schon erfüllen. Deswegen wäre es richtig, wenn diese Standards internationale Standards würden.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Stephan Thomae. – Nächste Rednerin: Petra Pau für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden heute über einen globalen Pakt für Migration. Er ist seit Wochen in den Medien, mal erhellend und mal finster. Er soll in wenigen Tagen von Repräsentanten möglichst vieler Staaten weltweit unterzeichnet werden. Umso wichtiger ist es, dass wir hier im Bundestag darüber diskutieren. Natürlich haben die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes ein Anrecht darauf, zu erfahren, wie die unterschiedlichen Fraktionen dazu stehen. Das gehört zur Demokratie.
({0})
Wenn wir über Migration sprechen, dann sprechen wir über Menschen, über Menschen mit Würde und Anspruch auf Freiheit.
({1})
Das sollten wir bei allem Politdeutsch nicht vergessen.
Migration ist übrigens kein neues Thema, sondern uralt. Wir debattieren hier in Berlin. So will ich daran erinnern: Ohne Migration vor 1 200 Jahren würde es diese Stadt überhaupt nicht geben. Erst kamen die Slawen, dann die Friesen, später die Hugenotten. Heute ist Berlin eine weltoffene, multikulturelle, international gefragte Metropole, und das ist auch gut so.
({2})
Migration ist nicht nur eine alte, sondern zugleich auch eine weltweite Herausforderung, und deshalb kann sie auch nur global geregelt werden.
({3})
Es gibt übrigens eine ganze Reihe weiterer Aufgaben, die nur gemeinsam und international gelöst werden können. Ich verweise nur auf den Klimawandel. Wer indes meint, auf globale Fragen könne man national borniert antworten, hat entweder die Zeichen der Zeit nicht verstanden, oder er schlafwandelt im Gestern.
({4})
Zurück zum Gegenstand der heutigen Debatte. Wir haben es mit einem der wenigen Fälle zu tun, wo unter dem Dach der UNO versucht wurde, etwas Wegweisendes zu verabreden. 190 Staaten waren am Entwurf des globalen Migrationspaktes beteiligt. Auch hier sagt Die Linke: Ein solches Herangehen ist wichtig und richtig.
({5})
Übrigens – man kann es ja nicht oft genug sagen –: Kein Staat verliert durch den Globalpakt seine Hoheit, keine Grenze wird abgeschafft, kein Migrant wird geschleust. Wer anderes behauptet, der irrt oder, schlimmer noch, verwirrt die Öffentlichkeit.
({6})
Es geht vor allem darum, Menschen in ihren Herkunfts‑, Ziel- und Transitländern vor Entrechtung, Ausbeutung und unmenschlichen Bedingungen zu schützen. Dieses Anliegen unterstützt Die Linke und mithin auch etliche der 23 Vorhaben, die in diesem Globalen Pakt formuliert sind.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, misslich ist: Wir stimmen heute nicht über den Globalpakt ab, sondern über Ihren Antrag.
({8})
Ihre Begründung, dass Sie Migration mit den unterschiedlichsten Mitteln begrenzen wollen, können wir so nicht mittragen, und deshalb können wir Ihrem Antrag heute nicht zustimmen.
({9})
Die Linke hat auch deshalb einen eigenen Antrag vorgelegt, weil uns im Migrationspakt etliche Punkte noch zu vage und unverbindlich sind. Wir stellen in 16 Punkten konkrete und weiter gehende Forderungen zur Abstimmung. Sie reichen von einem durchweg menschenrechtlichen Umgang mit Migrantinnen und Migranten, einschließlich ihrer Kinder und Familien,
({10})
bis hin zur Verhinderung von Missbrauch von Migrantinnen und Migranten in der Arbeitswelt, etwa durch den Ausschluss von Dumpinglöhnen.
({11})
Die Linke ist auch der Auffassung, dass die unsägliche Praxis, wonach Seenotrettung kriminalisiert wird, umgehend beendet werden muss.
({12})
Und: Wir sind der Auffassung, dass eine tatsächliche Bekämpfung von Fluchtursachen, wozu übrigens Kriege und Rüstungsexporte ebenso gehören wie die drohende Klimakatastrophe, an der Zeit ist.
({13})
Kurzum, wir plädieren dafür, dass die Bundesregierung dem globalen Migrationspakt zustimmt.
({14})
Sie sollten es aber keineswegs dabei belassen, sondern sich auch mit den weiter gehenden Forderungen beschäftigen.
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Vielen Dank, Petra Pau. – Nächste Rednerin: Agnieszka Brugger für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute und in den vergangenen Jahrhunderten haben viele Deutsche ihr Zuhause verlassen und ihr Glück woanders gesucht. Viele Menschen von anderswo haben in Deutschland eine neue Heimat gefunden. Es gab, es gibt und es wird immer Migration geben. Das ist einfach ein ganz normaler Fakt.
({0})
Natürlich hat Migration viele Chancen, sie birgt aber auch Herausforderungen. Die Frage ist doch: Wie gehen wir damit um? Wie gestalten wir diesen Prozess? Die Aufgabe von Politik ist doch, aus der Realität das Bestmögliche für alle zu machen, Chancen zu nutzen und Probleme zu lösen.
({1})
Genau das ist auch die Idee des Migrationspaktes. Es geht um klare und faire Leitlinien. Es geht darum, Menschenschmuggel zu unterbinden. Es geht darum, Menschenrechte zu schützen. Ich finde es schon traurig, dass man hier stehen und betonen muss, dass Menschenrechte, wie der Name sagt, für alle Menschen gelten.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Pakt ist auch eine Chance für mehr globale Zusammenarbeit. Das hysterische Geschrei der Nationalisten dagegen ist auch eine Gefahr für die internationale Ordnung. Donald Trump versucht gerade, Migrantinnen und Migranten mit Mauern, mit Kindern in Käfigen und mit Tränengas zu bekämpfen. Dabei wird ja nicht nur deutlich, wie unmenschlich das ist, sondern eben auch, dass das null funktioniert. Migration kann man eben nur gemeinsam mit anderen Staaten aus der Kooperation heraus gestalten.
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Einige freuen sich ja jetzt über Sebastian Kurz. Österreich war der Wortführer der 27 EU-Staaten, und jetzt wird da Stimmung gegen diese Vereinbarung gemacht. Das ist doch völlig verrückt. Das zeigt aber auch, welche Instabilität in der Außenpolitik damit verbunden ist, wenn die Rechtspopulisten mitregieren.
({4})
Hand in Hand mit dieser rechten Allianz – das passt perfekt –, inklusive Identitären, abstrusen esoterischen Verschwörungstheorien, kruden Umvolkungsthesen, bewegt sich die AfD.
({5})
Ich muss Ihnen von der AfD auch sagen: Nicht Sie haben dieses Thema hier aufgesetzt; es stand schon lange zur Debatte. Der erste Antrag dazu kam übrigens von uns Grünen; das können Sie einfach am Datum nachlesen.
({6})
Im Pakt wird gefordert, dass Migrantinnen und Migranten sicheren Zugang zu Grundleistungen erhalten sollen. Herr Gauland hat sich in der letzten Debatte hierhingestellt und das mit den Worten verspottet – ich zitiere –: „Weniger empfindsame Gemüter nennen das Einwanderung in die Sozialsysteme.“ Ich frage Sie: Was heißt das eigentlich in der Konsequenz? Ist es Ihre Position, dass Kinder mit Migrationshintergrund keinen Zugang zu Bildung und keinen Zugang zur Gesundheit erhalten sollen?
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Lassen Sie doch mal Ihre Maske fallen! Zeigen Sie Ihr wahres, hässliches Antlitz! Trauen Sie sich das mal! Stellen Sie sich hierhin, und sagen Sie eben auch, dass Sie finden, dass Migrantinnen und Migranten keine Menschenrechte haben sollen!
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mich in dieser Debatte zeitweilig wirklich sehr besorgt hat, war, dass ich kurz das Gefühl hatte, dass jemand, der sich um den CDU-Vorsitz bewirbt, anfängt, sich auf diese Diskussion einzulassen, oder dass es Linke gibt, die von „Aufstehen“ sprechen und den Rechten nach dem Mund reden.
({9})
Aber ich finde, es gibt auch eine gute Nachricht. Ich bin jetzt ein bisschen beruhigter. In Estland hat die Regierung auch darüber nachgedacht, diesem Pakt nicht beizutreten. Das Parlament hat diskutiert, und sie haben sich zum Migrationspakt bekannt. Nach den Diskussionen in der Linkspartei und in der CDU muss man sagen: Wenn man sich mit der Materie beschäftigt, dann siegt am Ende einfach der gesunde Menschenverstand.
({10})
An Frau Wagenknecht, aber auch an Herrn Ramsauer – er ist der Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – kann ich nur appellieren – ich habe gedacht, ich würde so etwas nie sagen –: Nehmen Sie sich mal ein Beispiel an Herrn Dobrindt! Der hat sich von Anfang an klar zum Migrationspakt bekannt.
({11})
Da muss man schon sagen: Die CSU hat wohl sehr schmerzhaft lernen müssen, dass es am Ende nur den Rechten hilft, wenn vernünftige Parteien auf sie zugehen, ihre Sprache und ihre Angstmache übernehmen.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen Sie aus der Defensive! Machen Sie den Rücken gerade! Bleiben Sie, bleiben wir doch einfach cool, klar und menschlich und kontern die Verschwörungstheorien mit Sachlichkeit, mit Menschenverstand und mit Empathie!
({13})
Meine Damen und Herren, die Vereinten Nationen und der Multilateralismus, das sind Werte an sich. Das ist unsere einzige Möglichkeit, diese Welt so zu gestalten, dass man Entwicklungen nicht einfach nur ausgeliefert ist, sondern dass am Ende alle gewinnen und die Rechte von allen geschützt werden können. Die Vereinten Nationen und der Multilateralismus, das ist auch zutiefst in unserem eigenen Interesse; denn wer glaubt, dass ein Staat allein der ganzen Probleme Herr werden kann, der ist einfach nur dumm.
({14})
Frau Kollegin Brugger, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Nein, die kriegen von mir keine zusätzliche Redezeit.
({0})
Wenn wir ins Klein-Klein zurückfallen und Menschengruppen gegeneinander ausspielen, dann gibt es keine Gewinner, sondern am Ende nur Verlierer.
Viele der Maßnahmen in diesem Pakt – deshalb verstehe ich auch die Aufgeregtheit in der Debatte nicht – sind in Deutschland schon lange Gesetz, Alltag und Realität. Das Einwanderungsgesetz ist der nächste Schritt. Wir werden auch sehr genau prüfen, ob Sie dort diese Vereinbarungen umsetzen.
Deshalb kann ich an Sie alle nur appellieren: Lassen Sie uns zusammen für unsere gemeinsame Ordnung, für unsere grundlegenden Werte einstehen! Gerade wenn alte Partner und Rechtspopulisten unsere gemeinsame Ordnung und die Menschenrechte unter Beschuss nehmen, braucht es eine klare Haltung, braucht es Anstand und ein ganz deutliches Signal dafür aus der Mitte Europas.
Vielen Dank.
({1})
Herzlichen Dank, Frau Kollegin Brugger. – Als Nächster hat das Wort der Kollege Paul Ziemiak, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Kollegin Brugger, da wollten Sie Herrn Dobrindt in der CSU mit Ihren Lobesworten einen richtigen Gefallen tun.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag von CDU/CSU und SPD ist die richtige und notwendige Klarstellung des Globalen Paktes für sichere, geordnete und auch reguläre Migration. Wir wollen die internationale Zusammenarbeit in der Migrationspolitik stärken, und wir wollen Migration besser regeln, steuern und auch begrenzen. Es ist doch selbst in diesem Haus bei allen Fraktionen unbestritten, dass die weltweite Migration eine der größten Herausforderungen unserer Gegenwart ist und nach jetzigem Stand der Dinge auch der Zukunft sein wird.
Wir stellen heute mit diesem Antrag ausdrücklich klar: Die Grenzen der Integrationsfähigkeit sind auch in unserem Land sichtbar. Wir wollen eine faire Verteilung der Lasten der Migration auf alle Länder. Und: Die nationale Souveränität Deutschlands steht nicht ansatzweise zur Disposition. Wir wollen allen Menschen, die zu uns kommen, abverlangen, nicht nur unsere Sprache zu lernen, sondern sich an Recht und Gesetz zu halten. Von denjenigen, die hierbleiben, erwarten wir, dass sie sich integrieren.
({0})
Wir wollen, dass dieser Pakt uns hilft, dass nicht mehr, sondern dass weniger Menschen sich auf den Weg nach Europa und nach Deutschland machen.
({1})
Wir wollen den Menschenschmuggel wirksam bekämpfen, und wir wollen Staaten verpflichten, dass sie ihre eigenen Staatsangehörigen wieder zurücknehmen, wenn diese illegal in unser Land gekommen sind oder aufgrund einer Gerichtsentscheidung in einem Rechtsstaat unser Land wieder verlassen müssen.
({2})
– Ich höre Sie hier vorn so schlecht. Ich weiß nicht, wie Sie in der Fraktion miteinander umgehen, aber hören Sie doch erst mal zu; dann lernen Sie etwas über unseren Antrag, und dann können wir darüber diskutieren.
({3})
Ja, es stimmt: Dieser Pakt ist nicht verbindlich. Aber er setzt Ziele. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten, übrigens auch in den letzten Jahren, immer wieder eine Debatte über internationale Ziele gehabt. Herr Dr. Gauland sagt, wenn es um das Klima, um den Klimaschutz geht: 2 Prozent des CO 2 -Ausstoßes entfällt auf Deutschland. Wir müssen europäisch denken, wir müssen global denken, wenn wir über den Klimaschutz sprechen.
({4})
Wenn wir über Energiepolitik sprechen, sagen wir: Wir müssen als Europäer bei der Energiepolitik mit einer Stimme sprechen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn wir über Handel sprechen, dann sagen wir: Wir brauchen Freihandelsabkommen, wir brauchen Vereinbarungen bei der Welthandelsorganisation für die ganze Welt, weil das im Interesse Deutschlands liegt. – Wenn wir über Frieden und die Frage von Krieg und Frieden sprechen, gibt es manche in diesem Haus, die nicht nur sagen: „Wir brauchen Verbündete in Europa und in der Welt“, sondern auch sagen: Ohne Russland ist Krieg und Frieden nicht zu gestalten und Frieden nicht zu schaffen. – Meine Damen und Herren, beim Klima, beim Handel, bei Energie, bei all den Fragen zu sagen: „Wir brauchen mehr internationale Zusammenarbeit“, dann aber zu sagen: „Bei der Frage von Migration reichen Beschlüsse in einzelnen Nationalstaaten“, das ist naiv, und das ist sogar ziemlich dumm – mit Verlaub, Herr Präsident.
({0})
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Ja, selbstverständlich.
Ich habe eine Frage, Herr Ziemiak. Sie sagen gerade: Man muss in diesem Fall mit anderen Ländern kooperieren. – Ich habe auch die Frau Merkel im Ohr, es müsse eine europäische Lösung geschaffen werden. Jetzt schauen wir uns doch mal die europäische Landkarte der Zielländer an. Übrigens: Russland ist kein Zielland dieser Migration.
({0})
Russland würde dann übrigens auch aussteigen. – Aber schauen wir uns die anderen Länder an.
Ich habe viele Gespräche mit Botschaftern europäischer Länder und auch mit Parlamentariern geführt. Schauen wir uns doch die Landkarte um Deutschland herum mal an: Dänemark wird rausgehen,
({1})
Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Bulgarien, Österreich, Italien.
({2})
Ich habe vor zwei Wochen Gespräche in der Schweizer Botschaft geführt. Sie machen jetzt auch ein Moratorium.
Sehen Sie sich doch mal die Lage an! Sie wollen fair verteilen, und die Länder in Europa sind weg. Es gibt keine europäische Lösung dazu.
({3})
Es kommen noch mehr Länder dazu, die aus dem Globalen Pakt für Migration aussteigen. Wie wollen Sie denn eine faire Verteilung überhaupt noch realisieren? Das wird nicht funktionieren. Wir sind als Deutschland mit wenigen anderen allein, –
Ich habe die Frage verstanden, Herr Kollege.
– und dort wollen Sie dann die Menschen alle aufnehmen.
({0})
Ich habe die Frage verstanden. – Wenn Sie sich mit all diesen Leuten unterhalten haben,
({0})
dann werden Sie doch gemerkt haben, dass es in diesen Ländern genauso viele Leute gibt, die wie die AfD Falschinformationen verbreiten
({1})
und – Sie wissen es doch – einen unglaublichen innenpolitischen Druck erzeugen.
({2})
Herr Dr. Curio, das war ja ein Sammelbecken von Gerüchten, Falschbehauptungen.
({3})
– Ja, Sie leben in Ihrer eigenen Welt; da kennt man Sie gut.
({4})
Aber wir sind hier in der öffentlichen Debatte, und die Leute werden merken, woran sie bei Ihnen sind.
({5})
– Sie haben eine Frage gestellt. Sie wollen doch jetzt meine Antwort hören, auf die Sie sich so freuen. – Andere in anderen Ländern haben das so gesehen, auch aus innenpolitischen Erwägungen.
({6})
Aber ich sage Ihnen, meine Damen und Herren der AfD: Ich bin Abgeordneter des deutschen Volkes, und man erwartet von uns, dass wir, wenn wir sagen, dass etwas richtig ist und diesem Land dient, dafür stehen, egal wie andere Länder entscheiden. Wir müssen uns gerade machen.
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Ich kann doch meine Entscheidung nicht von anderen Ländern abhängig machen.
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Wir müssen für die Zusammenarbeit werben. Aber wer werben will, der muss auch von seiner eigenen Position überzeugt sein; sonst wird er keinen dafür gewinnen, internationale Migrationspolitik gemeinsam auch im Sinne Deutschlands zu gestalten.
({9})
Meine Damen und Herren, die Frage der Verbesserung der Lebensverhältnisse in den einzelnen Ländern, sowohl in den Herkunftsländern als auch in den Transitländern, liegt auch in unserem eigenen Interesse. Wenn Menschen keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben, wenn Menschen keinen Zugang zu Trinkwasser haben, wenn Menschen in einigen Staaten in Afrika oder Asien gehalten werden – ich will es so sagen, wie es ist – wie Sklaven: Meine Damen und Herren, wer glaubt denn, dass sich dadurch weniger Menschen auf den Weg machen? Keine Mutter und kein Vater in einem Lager irgendwo im Libanon oder in Libyen, ohne Trinkwasser und ohne Gesundheitsversorgung für das eigene Kind, wird sagen: Ich mache mich nicht auf den Weg nach Deutschland, weil Deutschland den Global Compact nicht unterschrieben hat.
({10})
Natürlich werden die Menschen kommen. Wer glaubt, dass wir dadurch irgendetwas erreichen, der irrt.
Meine Damen und Herren, es sind Ziele, und wir sind auf einem Weg. Ich erinnere mich an die Falschinformationen – es ist angesprochen worden – zu TTIP, als hier Tausende vor dem Brandenburger Tor demonstriert haben. Übrigens: Diejenigen, die damals auf der Straße waren, damit wir kein Freihandelsabkommen hinbekommen, sind diejenigen, die sich heute über die Handelspolitik des Donald Trump beschweren. Das sind die Richtigen!
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Das sind diejenigen, die heute mehr internationale Vereinbarungen wollen.
Meine Damen und Herren, Menschenrechte und die Versorgung von Menschen, die auf der Flucht sind, von Migrantinnen und Migranten, schafft Frieden. Ich habe es vorhin gesagt: Wir sind hier als Vertreter des deutschen Volkes.
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Deshalb müssen wir im Sinne der Frage beraten: Was dient unserem Land? Aber wir dürfen im Deutschen Bundestag nie vergessen, dass wir das auch im Sinne der Präambel des Grundgesetzes tun, dass wir vor Gott und den Menschen dem Frieden in der Welt dienen. Und deswegen bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
Danke schön.
({13})
Vielen Dank, Herr Kollege Ziemiak. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verstehe selbstverständlich die Emotionalität der Debatte. Ich möchte darauf hinweisen, dass das Präsidium nicht dazu da ist, eine Wertung vorzunehmen. Solange sich Ihre Beiträge im Rahmen der Gesetze halten, sind sie zu tragen – manche sind zu ertragen. Aber ich habe bisher nicht feststellen können, dass der rechtliche Rahmen überschritten worden ist. Wir nehmen hier keine inhaltliche Zensur vor.
Als Nächstes spricht der Kollege Alexander Graf Lambsdorff zu uns.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stehe vor Ihnen als jemand mit Migrationshintergrund.
({0})
Im Jahr 1248 machte sich Johann von Lambsdorff aus der Nähe von Dortmund auf und ließ sich in Reval, dem heutigen Tallinn, nieder. Vor ungefähr hundert Jahren kehrte mein Großvater nach Deutschland zurück. Migration ist eine Realität. Ich bin ja auch nicht der einzige Abgeordnete mit Migrationshintergrund. Frau Weidel ist zum Beispiel irgendwann einmal in die Schweiz migriert
({1})
und migriert irgendwann hoffentlich sicher, geordnet und regulär nach Deutschland zurück.
({2})
Vielleicht hat die „Initiative gegen Massenzuwanderung“, die Ihre Freunde von der Schweizerischen Volkspartei gestartet haben, ja etwas damit zu tun, weil sie sich insbesondere gegen Deutsche richtete, die in die Schweiz wollten.
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Frau Weidel, Sie sind uns herzlich willkommen in Deutschland. Aber ich will Ihnen hier eines sagen: Diese Debatte ist ein Musterbeispiel dafür, wie Sie, die Feinde der offenen Gesellschaft, arbeiten.
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Diese Feinde verwandeln nämlich die Stärke der offenen Gesellschaft, den demokratischen, offenen, ehrlichen, faktenbasierten Streit, in eine Schwäche, indem sie vorgeben, ständig irgendwelche Dinge zu „enthüllen“, „aufzudecken“, die in den Mainstream-Medien nicht vorgekommen sind. Das ist das System der AfD. Eine Lüge wird in den Raum gestellt. Natürlich hat über die vorher keiner berichtet – weil es ja eine Lüge ist. Ist ja logisch, ist ja klar!
({5})
Wir sollen uns ja bei Ihnen bedanken, dass wir das heute hier debattieren dürfen, Herr Gauland. Klar: Die Mainstream-Medien haben auch noch nicht über die Gefahren von Chemtrails berichtet. Die Mainstream-Medien haben auch noch nicht darüber berichtet, dass Deutschland nach Ansicht einiger Ihrer Anhänger immer noch ein besetztes Land ist. Was ist das für eine Verschwörung, Herr Gauland? Das ist ja eine Verschwörung gegen die Wahrheit.
({6})
Meine Damen und Herren, wenn wir diesen Feinden der offenen Gesellschaft auf den Leim gehen, dann geht unsere Demokratie wirklich einen schweren Weg. Das dürfen wir nicht tun. Wir Demokraten müssen faktenbasiert, evidenzbasiert und konstruktiv miteinander streiten.
({7})
Am Globalen Pakt für Migration können wir das ja durchexerzieren.
Angeblich verlieren wir unsere Souveränität. Im Pakt steht: Der Globale Pakt für Migration bekräftigt das souveräne Recht der Staaten, ihre Entscheidungen so zu treffen, wie sie es für richtig halten.
Er wird angeblich „zwingendes Recht“. Im Text steht klar: Nein, er ist rechtlich eben nicht bindend.
Migration – nächste Lüge der AfD – soll „erleichtert“ werden. Sie können in den Text schauen. Da steht ausdrücklich: Migration soll zurückgedrängt werden. Die Menschen sollen zu Hause ihr Leben aufbauen, wenn es denn irgendwie geht.
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Dann kommt noch die Behauptung – leider auch in den Medien aufgegriffen –, der Pakt unterscheide nicht so recht zwischen Migranten und Flüchtlingen, das gehe durcheinander und das sei eine Gleichsetzung von Migration und Flucht. Meine Damen und Herren, schon in der Präambel – im Mathematikunterricht in der Grundschule ist das sozusagen vor der Klammer, Herr Gauland –
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steht: Flüchtlinge und Migranten sind verschiedene Gruppen, die separaten Rechtsrahmen unterliegen. Lediglich Flüchtlinge haben ein Anrecht auf den spezifischen internationalen Schutz, den das internationale Flüchtlingsrecht vorsieht.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Kollege Graf Lambsdorff.
Deswegen gibt es einen zweiten Pakt, den Globalen Pakt für Flüchtlinge. Hier und jetzt reden wir über Migration. Reden wir unter Demokraten darüber, streiten wir unter Demokraten darüber, aber gehen wir denen, die nicht demokratisch sind, nicht auf den Leim.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Graf Lambsdorff. Ich bin sicher, dass es auch im 13. Jahrhundert schon Zahlen gegeben hat. Jedenfalls kann man diese beachten, wenn die Lampe am Rednerpult aufleuchtet.
Als Nächstes spricht zu uns die Kollegin Gabriela Heinrich, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrter Minister! Meine Damen und Herren! Überall auf der Welt verlassen Menschen ihre ursprüngliche Heimat. Sie versuchen, eine neue zu finden, um ihre Lebensperspektive zu verbessern. Das war immer so, und das wird auch immer so sein. Migration findet statt. Migration ist Realität. Und weil das so ist, hat sich die Weltgemeinschaft zusammengetan und den Globalen Pakt für Migration formuliert. Damit wird erstmals Migration weltweit geordnet, und das ist ein Riesenfortschritt.
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Im Text des Abkommens stehen ganz konkrete Schritte, die die ganze Welt gehen soll. Erwerbsmigration ist doch nicht nur ein Thema in Deutschland oder Europa oder in den USA. Menschen migrieren ganz selbstverständlich auch innerhalb von Afrika, lange Jahre nach Libyen, heute nach Angola, nach Kenia, nach Äthiopien. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate gehören zu den Top Ten der Einwanderungsländer. In vielen Ländern werden Migrantinnen und Migranten aber auch als Arbeitssklaven missbraucht. Frauen sind der sexuellen Ausbeutung ausgesetzt, ihre Pässe verschwinden. Sie können ihren Lohn nicht einklagen und dürfen ihre Arbeitgeber nicht wechseln. Sie haben keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung, und ihre Kinder können nicht zur Schule gehen. Auch darum geht es in dem Pakt: Egal wo auf der Welt sich Migranten befinden, sie sollen sich auf Regeln verlassen können, darauf, dass sie nicht ausgebeutet werden, und darauf, dass sie ihre Rechte durchsetzen können.
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Es geht nicht darum, dass jedes Land solche Standards entwickelt, wie wir sie hier in Deutschland haben. Überhaupt Standards zu schaffen, darum geht es. Und das ist eine weltweite Aufgabe, bei der wir zusammenarbeiten müssen und wollen.
Beim Migrationspakt geht es aber noch um vieles mehr. Es geht um eine leichtere Klärung der Identität von Migranten, um die grenzüberschreitende Bekämpfung von Schleppern. Es geht auch um die Stärkung regulärer Zuwanderungswege, zum Beispiel das Fachkräftezuwanderungsgesetz, das wir gerade umsetzen.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sichert, AfD-Fraktion?
Nein. – Und es geht um die Minderung irregulärer Migration und darum, wie Menschen in ihrer Heimat bleiben können.
Meine Damen und Herren, gerade weil alles so klar im Text des Abkommens zu lesen ist, ärgere ich mich über all diejenigen, die hier die Fakten verdrehen,
({0})
die so tun, als handele es sich um eine große Verschwörung, damit Deutschland noch mehr Flüchtlinge und Migranten aufnehmen muss, die hier in diesem Haus das Petitionsrecht missbrauchen, um Unwahrheiten zu transportieren und Unfrieden zu stiften.
({1})
Sie setzen Mitarbeiterinnen des Petitionsausschusses ganz bewusst Hassreden aus. Wer so etwas tut, der spaltet und hetzt Menschen gegeneinander auf.
({2})
Dieser Migrationspakt ist ein Lösungsansatz, um globale Probleme global zu lösen – in einem Miteinander. Wie soll das anders auch gehen? Jeder Versuch, sich als Nationalstaat abzusondern, sich mit nationalen Gesetzen abzuschirmen, ist zum Scheitern verurteilt.
({3})
Die einen setzen auf Mauern und Abschottung, die SPD setzt auf Zusammenarbeit – auf internationale Zusammenarbeit.
({4})
Noch eines zum Schluss. Ich höre auch heute wieder: Wenn der Pakt nicht verbindlich ist, warum braucht es ihn dann? Liebe Kolleginnen und Kollegen, übernächste Woche jährt sich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zum 70. Mal.
({5})
Diese Erklärung ist auch unverbindlich, setzt aber weltweit Standards, die eine gute Politik zum Wohle der Menschen befolgt.
({6})
Deshalb sollten wir dem Migrationspakt genauso zustimmen wie der Menschenrechtserklärung. Ich bin froh, dass wir heute darüber namentlich abstimmen können.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Das Wort für eine Kurzintervention erhält der Kollege Sichert, AfD-Fraktion.
Sie haben gesagt, es wäre ein Missbrauch des Petitionsrechts. Genau das Gegenteil ist der Fall: Die Petitionen sind dafür da, dass die Bürger in diesem Land die Möglichkeit haben, mit dem Parlament zu kommunizieren
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und ihre Anliegen vorzubringen. Wenn eine ganze Reihe von Petitionen vorliegt, dann ist es die Pflicht dieses Bundestages und aller Abgeordneten, sich mit den Anliegen der Menschen auseinanderzusetzen. Dann darf man im Petitionsausschuss nicht das Wort „Dreck“ benutzen, und dann sollte man hier auch nicht von einem Missbrauch der Petitionen sprechen.
({1})
Aber ich hatte mich eigentlich gemeldet, weil mich etwas ganz anderes interessiert.
({2})
Ich höre von den Abgeordneten der Koalitionsfraktionen immer wieder das Wort „unverbindlich“, während ich auf der anderen Seite höre, es werden Standards gesetzt, und es soll etwas international geordnet werden.
({3})
– Ich höre hier auch wieder „Ziele“. – Ich stelle mir eine Frage, die sich draußen in diesem Land auch Millionen Menschen stellen. Aus dem Antrag der Grünen entnehme ich, dass die Fraktion – Marrakesch ist noch nicht mal vorbei – sagt: Der Migrationspakt beinhaltet verschiedene Punkte, wir wollen diesen und jenen Artikel umsetzen.
Deswegen die ganz klare Frage an die Vertreter der Koalitionsfraktionen mit der Bitte, Farbe zu bekennen: Wollen Sie diese Ziele umsetzen? Sollen die dort Recht werden,
({4})
wo sie noch nicht Recht sind? Oder sagen Sie: „Nein, es ist alles unverbindlich; wir machen da zwar mit, aber letztlich ändert sich nichts“? Denn wenn sich überhaupt nichts ändert, können wir es uns als Land sparen, dem Migrationspakt beizutreten.
({5})
Frau Kollegin Heinrich, möchten Sie antworten?
Zum Grünenantrag werde ich hier nicht Stellung nehmen. Verzeihen Sie mir; das ist eine Verwirrung des ganzen Hauses.
Die Standards, die hier gesetzt werden sollen, sind Standards, die bei uns längst gelten. Wir verhandeln eindringlich miteinander, und wir ringen miteinander um unsere Standards, aber keiner unserer Standards herrscht tatsächlich woanders. Wir wollen, dass die Standards verbessert werden. Das habe ich in meiner Rede deutlich gemacht.
({0})
Zum Petitionsrecht. Das Petitionsrecht ist ein demokratisches Recht der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.
({1})
Es ist kein Instrument, mit dem Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Ihrer Fraktion hier ihre Kampagnen starten und damit die Leute in diesem Land verhetzen.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster spricht zu uns der Kollege Dr. Mathias Middelberg, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Verehrtes Präsidium! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich will den Ball, der hier zuletzt gespielt wurde, gleich mal aufgreifen. Wir als Hauptzielland der Migration haben das Ziel, die Dinge zu steuern und zu begrenzen. Wir sehen außerdem, dass Migration nicht in jeder Hinsicht nur ein positives Ereignis ist, sondern dass sie auch Probleme mit sich bringt.
({0})
Deshalb haben wir ein Interesse daran, die Dinge zu regeln.
Wie geht man das an? Man stellt zunächst einmal fest, dass wir die Dinge rein national gar nicht in den Griff bekommen können. Wir sind in unserem ganzen politischen Ansatz auf allen Politikfeldern auf internationale Kooperation angewiesen. Unser ganzer Wohlstand, die Substanz dieses Landes, basiert auf internationaler Zusammenarbeit und Kooperation.
({1})
Herr Kollege Dr. Middelberg, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Im Moment noch nicht. – Wir sind der drittgrößte Exporteur der Welt. 50 Prozent unserer Wirtschaftsleistung fließen in den Export. Es gibt kaum ein anderes Land auf dieser Welt, das eine so hohe Exportquote hat. Damit gibt es auch kaum ein anderes Land auf dieser Welt, das ein so großes Interesse an freiem Handel, an offenen Grenzen, an freiem Güter- und Warenverkehr, an Dienstleistungsfreiheit und anderem hat. Daraus folgt eine Erkenntnis: Wir werden alle relevanten politischen Fragen – auch die der Migration – nicht im nationalen Alleingang und nicht mit Abschottung, sondern nur mit internationaler Zusammenarbeit lösen können.
({0})
Egal ob wir mit Herkunftsländern, Transitländern, den Anrainern der EU, den Partnern in der EU an Dingen wie den Ausschiffungsplattformen in Nordafrika, Frontex, dem Ausbau der Grenzpolizei, einem gemeinsamen Asylsystem in Europa arbeiten – das alles ist nur erreichbar im internationalen Kontext, in der Zusammenarbeit mit anderen.
Wir haben – das sage ich Ihnen ausdrücklich; deswegen ist für mich die Unverbindlichkeit des Paktes nicht entscheidend – ein Interesse daran, dass wir in mehreren Punkten, die in diesem globalen Pakt angesprochen werden, eine Verbindlichkeit erzielen.
Einer der Kollegen hat es eben schon angesprochen: Die Lektüre hilft manchmal weiter.
({1})
Lesen wir einfach mal in diesem Pakt. Darin steht ausdrücklich, dass die Herkunftsstaaten alle Staatsangehörigen mit Nachweisen ihrer Staatsangehörigkeit und relevanten Dokumenten auszustatten haben, die es nationalen und lokalen Behörden ermöglichen, die rechtliche Identität von Migranten bei der Einreise, während des Aufenthalts und zum Zwecke der Rückkehr festzustellen.
({2})
Was könnte denn mehr im Interesse der Bundesrepublik Deutschland als Zielland der Migration sein? Wir haben häufig Probleme, dass wir Menschen, deren Asylbegehren wir ablehnen, eben nicht zurückbringen können, weil Identitätspapiere fehlen, weil die Identität ungeklärt ist. Dieses Ziel zu verwirklichen, ist doch in unserem ureigenen Interesse.
({3})
Ebenso verhält es sich – das ist eben vom Kollegen Lambsdorff, glaube ich, erwähnt worden – beim Thema „Bekämpfung von Schleusung und Menschenhandel“. Auch das ist in unserem ureigenen Interesse. Genauso ist das Thema „Management der nationalen Grenzen“ in unserem Interesse – das ist von Paul Ziemiak, glaube ich, angesprochen worden. Im Migrationspakt steht ausdrücklich, dass die Staaten verpflichtet sind, das Management ihrer nationalen Grenzen zu koordinieren und irreguläre Migration zu verhindern.
Ich nenne Ihnen noch einmal ein konkretes Beispiel dafür. Die Vereinbarung, die die Frau Bundeskanzlerin mit der Türkei in die Wege geleitet hat, ist ein Musterbeispiel für ein koordiniertes Grenzmanagement, das im Übrigen funktioniert. Denn: Seit diese Vereinbarung besteht, gibt es keine Menschen mehr, die im Mittelmeer ertrinken.
({4})
Das ist doch mehr als ein Beleg dafür, dass wir an dieser Art von Zusammenarbeit interessiert sind.
Von der Verpflichtung zur Rücknahme und Rückkehr habe ich bereits gesprochen. Nun geht es um Rechte von Migranten. Es wurde zu Recht erwähnt: Migranten sind Menschen, und ihnen stehen Menschenrechte zu. Und diesen Menschenrechten sind wir als Bundesrepublik Deutschland ohnehin verpflichtet.
({5})
Dieses Mindestmaß an Rechten gewähren wir jedem.
Nun wird die Besorgnis vorgetragen, es gehe im Pakt um Rechte von Migranten, woraus Rechtsänderungen in unserem nationalen Rechtssystem abzuleiten seien. Mir hat noch keiner einen konkreten Punkt aus dem Pakt nennen können, der nicht bereits in unseren nationalen rechtlichen Standards erfüllt ist oder zu dem wir nicht bereits durch andere internationale rechtliche Vereinbarungen verpflichtet sind.
Ich nenne nur zwei Beispiele. In jeder Phase sollen die Migranten ein Recht auf Rechtsberatung erhalten. Das steht im Pakt drin; das wird von Kritikern vorgetragen. Diese Rechte werden bei uns erfüllt, etwa durch Rechtsberatung durch das BAMF bei der Einreise nach Deutschland. Im Übrigen ist dieser Punkt im Pakt nur ganz konkret im Zusammenhang mit möglichem Freiheitsentzug angesprochen. Zu einer solchen Rechtsberatung sind wir schon seit 1952 verpflichtet, weil wir die Europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben haben.
({6})
Wir werden hier zu nichts Weiterem verpflichtet.
Herr Kollege Middelberg, erlauben Sie eine Zwischenfrage eines AfD-Abgeordneten?
Ja. – Es gibt aber keinen Fragesteller.
Doch, er ist gerade auf dem Weg zum Mikrofon.
Herr Dr. Middelberg, vielen Dank, dass Sie mir das Wort geben. Ich möchte den Ball aufnehmen. Sie haben gleich am Anfang gesagt, Sie möchten die Migrationsfrage international lösen. Wir hatten schon internationale Verträge: Dublin war geltendes Recht.
({0})
Und Sie – das war Ihre Politik, Ihre Regierung, Ihre Partei – haben die Migranten nach Deutschland gelassen. Sie haben diese internationalen Verträge nicht eingehalten.
({1})
Und jetzt versuchen Sie, ein neues Vertragswerk in die Welt zu setzen, und argumentieren hier mit diesem Vertragswerk.
Ich sage Ihnen eins: Da gibt es einen fundamentalen Unterschied. Die früheren Verträge, die die Migration geregelt haben, waren alle restriktiver Natur; sie haben versucht, Migration zu begrenzen. Dieser Vertrag – da haben die Kollegen von den Linken und den Grünen recht – ist ein Paradigmenwechsel. Hier wird schon in der Präambel postuliert, dass Migration etwas Gutes ist und dass wir sie jetzt verwalten sollen.
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Also bitte: Warum wollen Sie jetzt von Restriktion auf offene Grenzen umschwenken? Das ist die Frage.
({3})
Also, irgendwie sind Sie da nicht zutreffend im Bilde. Die Dublin-Vereinbarungen gelten nach wie vor,
({0})
und die Frau Bundeskanzlerin hat auf dem Europäischen Rat im Sommer noch mal ganz konkrete Vereinbarungen dazu getroffen, dass die Partnerstaaten in Europa auch tatsächlich nach den Dublin-Verfahren handeln, dass also Menschen, die bei uns ankommen und in anderen europäischen Ländern schon Anträge gestellt oder womöglich schon ganze Verfahren durchlaufen haben, auch zurückgenommen werden.
({1})
Dazu hat das Bundesinnenministerium mittlerweile mehrere konkrete Vereinbarungen verhandelt. Das ist Ihnen möglicherweise entgangen. Ich kann Ihnen sagen, dass sich die Rückführungsquote nach Dublin in den letzten zwei Jahren – wir waren da bei einer zugegeben niedrigen Quote von 12, 13 Prozent – auf aktuell über 25 Prozent erhöht hat.
({2})
Diese Quote beabsichtigen wir weiter zu erhöhen. Wir beabsichtigen, an den Dublin-Verfahren festzuhalten. Wir wollen darüber hinaus auch noch weitergehen; denn wir wollen ein gemeinsames europäisches Asylsystem einrichten. Das muss das Ziel sein. Wir wollen nicht zurück zum Nationalen, sondern wir wollen mindestens zum Europäischen und besser noch darüber hinaus.
({3})
Meine Kollegin Andrea Lindholz hat es ja schon gesagt: Der vorliegende Antrag stellt, glaube ich, in sehr ausgewogener und auch abgewogener Weise zutreffend die Position dieses Hauses dar. Ich werbe um Zustimmung. Ich sage Ihnen abschließend: Ich würde mich freuen, wenn wir demnächst, wenn wir über Migration diskutieren, nicht nur eine sachlichere Debatte anschlagen und das Thema nicht zur Angst- und Panikmache nutzen, sondern uns auch den konkreten Themen, die die Menschen wirklich interessieren und mit denen wir unmittelbar Politik beeinflussen können, zuwenden.
Damit wende ich mich der anderen Seite des Hauses zu. Ich würde mir von der anderen Seite des Hauses mehr Bewegung beim Thema „Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten“ wünschen, also dass wir diese Liste um Staaten, bei denen die Anerkennungsquote deutlich unter 5 Prozent liegt – teilweise sind es 0,x Prozent –, erweitern.
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Das wäre eine wesentliche Verbesserung in der Praxis, die unmittelbare Wirkung hätte. Das Gleiche trifft auf Themen wie verbesserte Möglichkeiten bei Abschiebung und Rückführung zu. Ich nenne ein Zitat aus der rot-rot-grünen Koalitionsvereinbarung hier in Berlin:
Die Koalition hält Abschiebehaft und Abschiebegewahrsam grundsätzlich für unangemessene Maßnahmen
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und wird sich deshalb auf Bundesebene für deren Abschaffung einsetzen.
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Da – das darf ich Ihnen mitteilen – sind wir komplett anderer Auffassung.
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Ich würde mich freuen, wenn wir mal bei diesen konkreten Fragen vorankämen und darüber hier im Haus diskutieren würden;
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denn das sind die Dinge, die wir unmittelbar entscheiden und beeinflussen können, und das interessiert die Menschen.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Middelberg. – Das Wort hat nun die fraktionslose Abgeordnete Dr. Frauke Petry.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich beginne mit einem Zitat:
Warum sollte Europa diesen Pakt der Wölfe unterzeichnen, wie sie mit den Schafen umgehen wollen?
So hat ein Berater des Ministerpräsidenten Netanjahu den Pakt abgewiesen. Auch Australien, die USA, Ungarn, Österreich, Bulgarien, Tschechien, Polen und neun weitere europäische Länder lehnen den Migrationspakt ab. Alles Verschwörungstheoretiker und Ignoranten? Heute legen uns CDU und SPD mit ihrem Antrag ein Gewand für den Pakt der Wölfe vor.
Die ganze Welt redet von Fake News; lassen Sie mich also von Fakten reden.
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Fakten, die Sie in Ihrem Antrag, sehr geehrte Koalitionsfraktionen, entweder ausgelassen, verdreht oder konterkariert haben. Sie sprechen davon, Migration begrenzen zu wollen; dann zeigen Sie mal die Textstelle im Migrationspakt dazu. Tatsächlich findet man die Wörter „kontrollieren“ oder „begrenzen“ im Pakt nicht. Der Begriff „Grenzkontrolle“ kommt nur an einer einzigen Stelle vor, und zwar um diese – Zitat – zu „überprüfen“ oder gar zu „revidieren“. Stattdessen ist von einem effektiven Grenzmanagement die Rede. Dieses soll der Sicherheit der Migranten dienen und nicht primär dem Schutz der Zielländer.
Gesteuert wird der sichere Migrationsstrom, selbst Sanktionen gegen illegale Migration stehen auf dem Prüfstand. Polizeiliche Täterprofilerstellung aufgrund von Ethnie und Religion sollen abgeschafft werden.
Der Pakt ächtet Freiheitsentzug bei illegaler Einreise, was ihn angesichts des internationalen Terrorismus zu einem Sicherheitsrisiko in Papierform macht.
Der Pakt verlangt kulturelle Anpassung unserer Gesellschaft zugunsten von Migranten und vollen Zugang zum Gesundheitssystem und verhindert die Kürzung von Sozialleistungen, selbst für illegale Migranten.
({1})
Drittens greift der Pakt offen die Grundrechte an. Kritik an der These, dass massenhafte Armutsmigration eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung sein soll, wird als falsches Narrativ abgestempelt. Wer dagegen eine migrationsfreundliche Haltung einnimmt, soll finanzielle Unterstützung erhalten. Kurz: Es wird definiert, was Wahrheit und Lüge ist, und die Presse- und Meinungsfreiheit somit unterminiert. Im Notfall greifen Straftatbestände – neue wohlgemerkt – zum Schutz der Migranten vor Hassverbrechen.
Die Spitze aber ist die dauernde Wiederholung der Dummheit, wie es Franz Josef Strauß gesagt hätte. Internationale Beziehungen, meine Damen und Herren, fußen auf Gewohnheitsrecht: Aus weichem Recht wird über die Zeit hartes Recht. Wenn man also dem Migrationspakt zustimmt, dann verleiht man ihm bereits rechtliche Verbindlichkeit. Ihr Antrag dagegen ist international wirkungslos, und Sie wissen es auch. Selbst die EU-Gerichtshöfe haben bereits geurteilt, dass sie nationales Recht direkt außer Kraft setzen können.
Die Bundesregierung behauptet dagegen, dass es sich um einen Vertrag ohne rechtliche Bindung handelt. Daraus muss man schließen: Entweder wissen Sie es nicht besser, dann sind Sie ahnungslos und außenpolitisch inkompetent, oder Sie wissen sehr genau, was Sie tun, und belügen die Bürger. Sie missbrauchen die Solidarität und den guten Willen der Bürger. Ihr Pakt gründet zudem auf der falschen Annahme, dass es global gemeinsame Interessen gibt. Die gibt es nicht. Krisenländer mit Überbevölkerung entledigen sich gern eines Teils ihrer Bürger; reiche Länder werden zum Einwanderungsmagneten.
Liebe Frau Petry, kommen Sie bitte zum Schluss.
Sie haben bereits 2015 großen Schaden angerichtet; Sie versuchen ihn jetzt über die UNO zu legitimieren. Schenken Sie den Bürgern endlich reinen Wein ein, anstatt sie für unmündige Schafe zu verkaufen.
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Vielen Dank. – Als letzter Redner spricht zu uns der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Es wäre schön, wenn die Kolleginnen und Kollegen ihr Gemurmel einstellen und dem Kollegen entsprechend Aufmerksamkeit widmen würden, sei es, weil er der letzte Redner ist.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor 70 Jahren hat sich die Weltgemeinschaft nach bitteren historischen Erfahrungen auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verständigt. Freiheit, Selbstbestimmung, Schutz vor Diskriminierung und Würde sind bestechende Ideen, die damals und die heute eine unabdingbare Gültigkeit besitzen. Das gilt auch für Migranten.
({0})
Es gibt kein Recht, sich sein Zielland auszusuchen, und kein Recht auf Migration; aber es gelten die Menschenrechte und es gibt die Pflicht, dass Migranten überall auf der Welt ihre Menschenrechte einfordern können und dass Menschen menschenwürdig behandelt werden.
({1})
Davon spricht dieser Pakt. Er spricht vom Kampf gegen Menschenhandel und Menschenschmuggel. Er spricht über den Schutz vor Diskriminierungen. Er spricht vom Recht auf Gesundheitsleistungen. Er spricht davon, dass weltweite Missstände in einer globalen Perspektive beseitigt werden müssen. Die Perspektive hört nicht an unseren Grenzen auf; sondern sie umfasst alle Menschen auf der Welt: Wanderarbeiter in Katar, in Saudi-Arabien genauso wie Menschen aus den Philippinen, in südostafrikanischen oder südostasiatischen Städten oder Flüchtlingsbewegungen in Südamerika. Es geht um alle Menschen. Ich bitte Sie, dass Sie diese globale Perspektive zur Kenntnis nehmen.
({2})
Viel von diesem Pakt ist übrigens gerade, was die unabdingbaren Rechte der Menschen betrifft, schon längst in deutsches und europäisches Recht umgesetzt worden. Wir stehen zur Europäischen Menschenrechtskonvention und zur EU-Grundrechtecharta, weil wir wissen, dass es ohne diese Menschenrechte nicht geht. Und wir haben die Verpflichtung, diese Menschenrechte auch aus unserem Menschenbild heraus weltweit einzufordern.
Herr Kollege Dr. Ullrich, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Nein. – Es liegt auch in unserem Interesse, meine Damen und Herren, dass Menschen besser versorgt werden, dass sie Perspektiven in ihrem Heimatland haben, dass in den Transitstaaten eine bessere Gesundheitsversorgung herrscht, weil Menschen dann weniger Anreize haben, sich auf den Weg zu machen. Das mindert den Migrationsdruck, das ordnet und steuert die Migration, und das begrenzt Migration. Vor diesem Hintergrund ist das eine sehr sinnvolle Maßnahme, dass in diesem Pakt auch auf Transit- und Herkunftsstaaten deutlich Bezug genommen wird.
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Es liegt auch in unserem Interesse, dass Menschen eine Identität bekommen und Papiere besitzen, dass es ein reguläres Grenzmanagement gibt, dass zwischen irregulärer und regulärer Migration unterschieden wird und dass die Staaten auch die Pflicht haben, ihre Staatsbürger zurückzunehmen. Auch das wird angesprochen, und das bitte ich Sie zur Kenntnis zu nehmen.
Und ja, durch diesen Pakt wird die nationale Souveränität nicht angetastet. Aber es handelt sich eben doch um eine politische Absichtserklärung, dass wir uns gemeinsam auf den Weg machen wollen, die Probleme der Migration weltweit zu lösen,
({1})
weil wir eben doch dafür eintreten, dass vor dem Hintergrund der Geltung von Menschenrechten jeder Mensch auf der Welt, egal wo er sich befindet, ein Mindestmaß an Sicherung und menschenwürdigem Umgang haben sollte. Da lassen wir nicht mit uns reden. Die Menschenrechte gelten, und wir werden sie überall einfordern.
({2})
Es ist bitter, dass Europa nicht mit einer Stimme sprechen kann. Und ja, für diesen Pakt gilt im Grunde genommen, dass er auch ein Lackmustest ist, wie freie und offene Gesellschaften mit schwierigen Fragen umgehen. Ich sage Ihnen ehrlich: Wer Verantwortung gegen kurzfristigen taktischen Applaus, Demagogie gegen Vernunft und Aufrichtigkeit gegen die Lüge eintauscht, der wird seiner Aufgabe nicht gerecht, und der ist kein Patriot, und der handelt nicht im Interesse unseres Landes.
({3})
Es geht hier um mehr. Es geht darum, dass wir in dem Bewusstsein handeln, dass Probleme sich nur international lösen lassen. Wenn alle sagen: „Wir alleine“ oder „Wir zuerst“, dann besteht die Gefahr, dass aus Zusammenarbeit und Kooperation ein Nebeneinander und ein Gegeneinander wird. Das wollen wir vor dem Hintergrund der Erfahrungen unserer Geschichte vermeiden. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung.
Herzlichen Dank.
({4})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Sonntag beginnt die Weltklimakonferenz in Katowice. Diese Bundesregierung hat sich auf dem Weg zu dieser Weltklimakonferenz sauber verstolpert. Sie hat sich die Einigung in der Kohlekommission von drei Ministerpräsidenten zerschießen lassen. Es wäre einfach ein Zeichen gewesen, wenn die viertgrößte Industrienation, der größte Braunkohleverstromer der Welt gezeigt hätte, dass der Kohleausstieg möglich ist – gemeinsam mit Umweltverbänden, gemeinsam mit der Wirtschaft, gemeinsam mit den Menschen in den Regionen. Aber Sie haben das verstolpert.
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Es wäre ein supergutes Zeichen an die Welt gewesen, wenn diese große Industrienation gezeigt hätte, wie man einen solchen Strukturwandelprozess sozial gerecht unter Einbindung aller vernünftig umsetzen kann. Doch was ist jetzt die Situation? Sie fahren mit leeren Händen zur Klimaschutzkonferenz.
Aber was ehrlich gesagt noch schlimmer ist, ist, dass Sie jenseits der Kohlekommission im Klimaschutz nahezu überhaupt nichts anzubieten haben. Die Umweltverbände haben deshalb zu Recht den Klimaschutzbericht dieser Bundesregierung in Klimakatastrophenbericht umgetauft.
({1})
Seit dem Bericht des Weltklimarates zum 1,5‑Grad-Ziel müsste doch eigentlich allen klar sein, wie nah die Menschheit inzwischen am Abgrund entlang schlafwandelt.
({2})
Seit vielen Jahren erzählt auch die Kanzlerin der Großen Koalition, dass dringend gehandelt werden muss. Denn wenn nicht gehandelt wird, dann wird sich die Welt in eine Welt verwandeln, wie wir sie uns nicht wünschen, dann wird sich die Welt verwandeln in eine Welt, in der Dürren noch häufiger auftreten werden, in der Stürme noch heftiger werden, in eine Welt, in der der Meeresspiegel unkontrolliert steigt, in eine Welt, in der die Unwetter unkontrollierte Ausmaße annehmen.
({3})
Das ist eine Welt, die wir weder für uns noch für unsere Kinder und Kindeskinder wünschen.
({4})
Das Entstehen einer solchen Welt wollen wir verhindern.
({5})
Was das volkswirtschaftlich bedeuten würde, hat vor kurzem erst eine große Kommission von Wissenschaftlern in den USA – selbst die Trump-Regierung ist da auf wissenschaftlicher Ebene weiter – ausgerechnet. Sie hat festgestellt, dass, wenn es mit der Klimakrise so weitergeht, 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der USA verloren gehe.
({6})
Glaubt hier denn irgendjemand ernsthaft – außer ein paar Rechtsextremen –, dass die Klimakrise auf die USA beschränkt bleibt, dass die Klimakrise auf die kleinen Inselstaaten beschränkt bleibt?
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Nein, die Klimakrise wird bei uns ankommen, wenn wir nicht tatkräftig handeln.
({8})
Schauen wir uns jetzt einmal an, was diese Bundesregierung gemacht, wie sie gehandelt hat: Sie haben als erstes das Klimaziel für 2020 aufgegeben.
({9})
Als Nächstes haben Sie sich, anstatt die Verkehrswende anzugehen, anstatt dafür zu sorgen, dass die Bahn endlich pünktlich wird, anstatt dafür zu sorgen, dass es endlich emissionsfreie Fahrzeuge gibt, im Dieselchaos verheddert. Was haben Sie dann gemacht? Im Landwirtschaftsministerium glaubt man ernsthaft, dass das bisschen Düngeverordnung ausreicht, um die Klimakrise im Bereich der Landwirtschaft zu bekämpfen.
({10})
Im Bereich Wärme kommen Sie vielleicht im Schneckentempo voran. Beim EEG handeln Sie zwar, machen es aber durch Ihr Handeln schlimmer. So machen Sie zum Beispiel das Mieterstrommodell kaputt. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, was die SPD da eigentlich treibt.
Ich würde mir deshalb wünschen, dass wir eine Bundesregierung hätten, die dafür sorgt, dass die Bundesrepublik Deutschland in Katowice nicht Nachzügler ist, sondern dass die Bundesrepublik Deutschland wieder Vorreiter wird. Das würde ich mir von dieser Bundesregierung erwarten.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank, Herr Dr. Hofreiter. – Als Nächstes spricht zu uns die Kollegin Dr. Anja Weisgerber, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Bewältigung des Klimawandels ist für uns eine zentrale Herausforderung, vielleicht sogar die zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Dieses Thema ist gerade durch die Extremwetterereignisse im Sommer in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Deswegen sagen auch wir: Ja, wir müssen Klimaschutz voranbringen. Wir müssen den Weg der Treibhausgasreduzierung kraftvoll beschreiten.
({0})
Wir sind gefordert, die entscheidenden Stellschrauben in die richtige Position zu drehen. Wir sagen aber, dass wir das nicht nur national machen können – das hat man gerade an der Rede von Herrn Hofreiter gemerkt –, sondern wir, sehr geehrter Herr Kollege Hofreiter, alle Ebenen brauchen, die internationale Ebene, auch die europäische Ebene. Dass wir unsere Hausaufgaben machen müssen, ist keine Frage, aber Klimapolitik nur durch die nationale Brille zu betrachten, das ist nicht die Art, wie wir Klimapolitik machen, meine Damen und Herren.
({1})
Denn wir wissen, dass Klimawandel nur wirksam bekämpft werden kann, wenn wir ihm weltweit entgegentreten. Wir müssen Vorbild sein, wir müssen unsere Hausaufgaben machen, aber wir brauchen auch die anderen Staaten der Welt. Deshalb ist der Prozess der internationalen Klimaverhandlungen der UN so wahnsinnig wichtig, und es ist entscheidend, dass wir aus Katowice mit einem Erfolg nach Hause gehen, also auf internationaler Ebene.
Worum wird es in Katowice gehen? Es wird darum gehen, robuste Regeln für die Umsetzung des Pariser Abkommens zu verabschieden. Es gilt, sicherzustellen, dass die Anstrengungen, die die Staaten machen wollen, dass die Ziele, die sie sich gegeben haben, transparent und vergleichbar sind. Das ist unglaublich wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit, für das Level Playing Field. Außerdem soll der Talanoa-Dialog angestoßen werden mit dem Ziel, den internationalen Klimaschutz zu verbessern, indem sich die Staaten immer weiter verbessern und ambitioniert vorangehen; denn die Beiträge – das gehört auch zur Wahrheit – reichen noch nicht,
({2})
um das 2-Grad-Ziel zu erreichen und erst recht nicht, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.
Nicht alle Staaten schaffen den Klimaschutz aber aus eigener Kraft. Seit Paris ist die Trennung zwischen den Industrieländern und den Entwicklungs- und Schwellenländern aufgegeben worden. Auch die Entwicklungs- und Schwellenländer haben sich eigene Ziele gesetzt, die sie erreichen wollen. Gerade in diesen Ländern steckt enormes Potenzial. In Afrika haben im Moment nur 20 Prozent der Menschen Zugang zu Elektrizität. Wenn es mehr werden, wird der Stromverbrauch zunehmen und der CO 2 -Ausstoß immens ansteigen.
Deswegen müssen wir genau hier mit der internationalen Klimafinanzierung ansetzen. Mit ihr leisten wir einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Wirtschaft der ärmsten Länder der Welt von Anfang an klimafreundlich aufgebaut wird. Nur so können wir die internationalen Klimaziele schaffen.
({3})
Jeder in den Entwicklungs- und Schwellenländern zielgerichtet eingesetzte Euro trägt zum Klimaschutz bei, hilft den Menschen vor Ort und auch dabei, klimabedingte Fluchtursachen zu bekämpfen. Das ist doch das Entscheidende.
({4})
An dieser Stelle möchte ich Gerd Müller für seine hervorragende Arbeit in diesem Zusammenhang wirklich danken; denn er steht genau für diese Projekte. Dafür ein herzliches Dankeschön an Gerd Müller.
({5})
Von der internationalen Ebene zu Europa: Herzstück der europäischen Klimapolitik ist der europäische Emissionshandel. Wir haben jüngst eine Reform verabschiedet, die den Emissionshandel stärkt. Sie beinhaltet Verschärfungen für die vierte Handelsperiode. Aber die Reform wird schon jetzt antizipiert. Der Preis ist innerhalb eines Jahres deutlich auf derzeit rund 20 Euro angestiegen.
Das hat jetzt schon Auswirkungen auf den Preis der Kohle. Braun- und Steinkohle werden auch durch die Stärkung des Emissionshandels immer unattraktiver. Dieses funktionierende marktwirtschaftliche Instrument muss exportiert werden. Wir brauchen ein globales oder zumindest auf G-20-Ebene bestehendes umfassendes CO 2 -Bepreisungssystem im Sinne einer Vernetzung der Emissionshandelssysteme, die es schon gibt.
({6})
Da gibt es im Textentwurf für Katowice gute Anknüpfungspunkte in Artikel 6. Das ist gut so; denn wir müssen den Emissionshandel auf die internationale Ebene exportieren, meine Damen und Herren.
({7})
Auch auf der nationalen Ebene
({8})
müssen wir unsere Ziele konsequent weiterverfolgen. Die angestrebte Zielgröße von 40 Prozent bis 2020 haben wir nicht aufgegeben.
({9})
Sie fordert uns heraus, beherzt und gleichzeitig mit Augenmaß diese Ziele weiter anzustreben, auch wenn wir die Punktlandung bis 2020 nicht schaffen; das ist ganz klar.
({10})
Aber wir wollen das 2020-Ziel so schnell wie möglich in den Jahren nach 2020 erreichen; denn wir müssen doch jetzt schon die Weichen für 2030 stellen. Dafür brauchen wir alle Sektoren. Daran arbeiten die Ministerien gerade. Das Wirtschafts- und Energieministerium, das Landwirtschaftsministerium, das Verkehrsministerium und auch das Bauministerium erarbeiten Beiträge für Maßnahmen im jeweiligen Sektor, um die Klimaziele zu erreichen.
Wir müssen es aber intelligent machen. Wir müssen die soziale Marktwirtschaft zur ökologisch-sozialen Marktwirtschaft weiterentwickeln. Dafür brauchen wir Anreize und Technologieoffenheit. Wir wollen die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung endlich auf dem Tisch haben. Da werden wir bei Finanzminister Scholz nicht lockerlassen.
Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Wir brauchen an dieser Stelle auch die Länder, die dem zustimmen und das dann auch umsetzen.
Vielen herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht zu uns der Kollege Karsten Hilse, AfD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Da wir die Forderungen in den Anträgen der Altparteien schon mehrmals diskutiert haben, gehe ich jetzt nicht extra darauf ein. Worauf ich aber eingehen muss und will, ist das gestrige öffentliche Fachgespräch. Das unsägliche Verhalten von Professor Levermann, dem Sachverständigen der SPD, und des Herrn Lenkert von den Linken, hat Professor Shaviv von der Hebräischen Universität in Jerusalem sehr deutlich gezeigt, wie man hier in Deutschland mit Wissenschaftlern umgeht, die sich nicht dem Mainstream unterwerfen. Ein für einen Bundestagsabgeordneten so unwürdiges Verhalten hätte ich selbst einem Linken nicht zugetraut.
({0})
Wenn ein Abgeordneter der AfD sich nur ansatzweise so unverschämt gegenüber einem Professor aus Israel verhalten hätte, wäre er mit Antisemitismusvorwürfen konfrontiert gewesen. Ich erspare mir das an dieser Stelle, weil ich mich nicht auf Ihr Niveau herunter begebe.
({1})
Dieses Fachgespräch hat außerdem sehr deutlich gezeigt, dass das Pariser Klimaübereinkommen und die ihm zugrundeliegende Hypothese auf tönernen Füßen stehen. Wenn dann auch noch konkrete Fakten und Zahlen ins Spiel kommen, gerät das Ganze in eine ordentliche Schieflage.
Auf die mehrmals nicht beantwortete Frage nach dem konkreten Temperaturausgangswert, von welchem aus eine Erwärmung um 2 Grad nicht überschritten werden soll,
({2})
antwortete Professor Levermann dann doch, dass der Wert aus dem Jahre 1850 gelte, das seien 15 Grad Celsius. Die NASA, die NOAA und die Weltorganisation für Meteorologie bezeichneten das Jahr 2016 mit einer durchschnittlichen Temperatur von 14,8 Grad Celsius aber als das wärmste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn. Wir hätten dann also einen Temperaturrückgang von 0,2 Grad.
({3})
Bei der nächsten Fragerunde, quasi im selben Atemzug, behauptete Herr Levermann, dass die Temperatur seit 1850 um 1,1 Grad Celsius gestiegen sei. Auf meinen deutlich vernehmbaren Zwischenruf – er saß direkt vor mir –, dass wir dann ja jetzt eine Durchschnittstemperatur von 16,1 Grad haben müssten, sagte er gar nichts mehr. Er sagte nur, dass die These vom menschengemachten Klimawandel felsenfest stehe – mehr nicht. Eine reine Behauptung ohne jeden wissenschaftlichen Beweis.
({4})
Noch einmal: Es gibt keinen einzigen wissenschaftlichen Beweis, kein Experiment, keinen Versuch, der die Hypothese eines Ursache-Wirkung-Zusammenhangs zwischen CO 2 und Klima beweist. Nichts, es gibt gar nichts.
({5})
Ich möchte noch einmal kurz auf unseren Antrag zum sofortigen Stopp der Klimaschutzbemühungen „wegen erwiesener Nutz- und Wirkungslosigkeit“ eingehen.
({6})
Er steht ja heute zur Abstimmung. Der Kollege Jung behauptete in der ersten Lesung steif und fest, dass die AfD den Klimawandel leugne, obwohl von Klimawandel kein Wort im Antrag steht. Richtig allein ist, dass wir den menschengemachten Anteil daran infrage stellen.
({7})
Sie, werte Frau Dr. Scheer, beanstandeten in der ersten Lesung Tabellen im Antrag, obwohl es da gar keine gibt. Sie beanstandeten Quellenangaben, die von der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen stammen. Das ist sozusagen die Quelle der Quellen, der Goldstandard für offizielle Zahlen zu Energieerzeugung und -verbrauch in Deutschland. Dass Sie diese AG Energiebilanz nicht kennen, ist eigentlich schon schlimm genug. Dass Sie diese Unkenntnis hier am Rednerpult auch noch der Öffentlichkeit preisgeben, ist – na ja – peinlich.
Hier noch einmal die wichtigsten Inhalte unseres sehr detailliert begründeten Antrags. Die Bemühungen der Bundesregierung, die deutschen CO 2 -Emissionen zu senken, erbrachten seit 2008 keine merkbaren Ergebnisse, sind also rundherum gescheitert. Die klar formulierten Zwischenziele des Klimaschutzplans 2050 und seiner jeweiligen Unterpläne im Bereich des Anteils erneuerbarer Energien am Energieendverbrauch bis 2020 werden weit verfehlt. Die geplanten Absenkungen sowohl des Primärenergie- als auch des Energieverbrauchs liegen uneinholbar weit unter den klar formulierten Zielen 2020 bzw. 2030. Die ebenfalls geplante Umstellung des Individualverkehrs auf E‑Mobilität verschiebt sie noch weiter ins Land Absurdistan, obwohl wir uns in diesem ja sowieso befinden.
Wenn wir alle CO 2 -Emissionen in allen Bereichen auf null brächten – wenn man dieser absurden Hypothese glaubte –, würde das eine Temperaturminderung von nur 0,000653 Grad Celsius bewirken. Dafür nur auch nur einen einzigen Cent auszugeben, ist wirtschaftlicher Irrsinn.
({8})
Dies alles ist auch der Bundesregierung bekannt oder müsste es sein. Trotz totaler Zielverfehlung, trotz völligen Versagens pumpen Sie weiterhin Hunderte Milliarden in diese völlig unsinnigen Maßnahmen. Für alle Menschen, die ihre fünf Sinne noch beieinander haben, kann es nur eine einzige sinnvolle Schlussfolgerung geben, nämlich diesen verschwenderischen Unsinn einzustellen.
({9})
– Ja, ich beantworte die Zwischenfrage, falls es gewünscht ist, jederzeit.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Ja, das mache ich, wenn Sie die Uhr anhalten.
Ich halte die Zeit immer an. Keine Sorge.
Aber natürlich.
Sehr geehrter Herr Kollege, ich höre Ihnen sehr interessiert zu.
({0})
Ich bin auch der Meinung, wir sollten mit der AfD sehr viele Diskussionen im Deutschen Bundestag zum Thema Klimapolitik führen. Denn ich glaube, dass Sie gegen die große Mehrheit der Bevölkerung stehen und es Ihnen schaden wird, solche Verschwörungstheorien von sich zu geben.
Ich stelle Ihnen eine ganz konkrete Frage. Vor wenigen Tagen hat die US-Administration – 13 der führenden Bundesbehörden inklusive der NASA – US-Präsident Trump einen 1 556 Seiten langen Bericht ausgehändigt und der Öffentlichkeit übergeben, in dem im Kern gesagt wird: Der Klimawandel ist erstens menschengemacht, zweitens sind die wirtschaftlichen Schäden heute zu spüren, drittens werden wir, wenn wir jetzt nicht handeln, in ein ökonomisches und natürlich auch klimapolitisches Desaster rennen.
Ich frage Sie als AfD: Sitzen in der US-Administration die Klimaleugner und diejenigen, die diese Thesen infrage stellen? Was sind das für Leute? Sind das Leute, denen Sie zustimmen können?
({1})
Oder ist das alles eine Verschwörungstheorie auf der ganzen Welt?
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Gut, ich kann Ihnen nicht sagen, wie sich diese Kommission zusammensetzt. Sie wird sich wahrscheinlich aus denselben Leuten zusammensetzen, die Sie als die 97 Prozent, was gar nicht stimmt, bezeichnen, die einen Konsens bezüglich des menschengemachten Klimawandels haben.
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– Ja, ja, schreien Sie ruhig, schreien Sie ruhig.
Ich sage Ihnen nur eines: Zu Zeiten von Kopernikus sind hundert Prozent davon ausgegangen, dass die Erde im Mittelpunkt steht.
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Bis 1930 sind hundert Prozent aller Wissenschaftler davon ausgegangen, dass es keine Kontinentaldrift gibt. Es kann sich auch die Mehrheit irren. Außerdem ist Wissenschaft keine Demokratie, sondern basiert auf wissenschaftlichen Fakten und nicht auf Mehrheitsverhältnissen.
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– Ja, ja.
Herr Präsident, wissen Sie, dass ich acht Minuten Redezeit habe und nicht nur fünf? Die Uhr ist schon ziemlich abgelaufen, aber es ist egal. – Okay.
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Die hysterischen Zwischenrufe in der letzten Woche, als ich ausführte, dass jährlich Hunderttausende Greifvögel und Fledermäuse Ihren so geliebten Windkraftanlagen zum Opfer fallen, haben eindeutig gezeigt, dass die Grünen mit Tierschutz nichts am Hut haben. Das ist symptomatisch für den Großteil der Grünen. Sie sind ideologiegetrieben, und da haben ehrlicher Natur- und Umweltschutz keinen Platz. Eigentlich ein Verrat an allen Menschen, die Sie wählen, weil sie wirklich ein grünes Herz haben.
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Sie aber verstecken sich unter Ihrem grünen Mäntelchen und sind darunter tiefrot. Unter diesem grünen Mäntelchen haben sich in der Geschichte Ihrer Partei Pädophile, Inzestverharmloser, Kommunisten, Maoisten und bis zum heutigen Tag Deutschlandhasser und Deutschlandabschaffer versteckt.
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Die Linken und ihre Antifa tragen ihren Deutschlandhass wenigstens offen vor sich her. Sie verstecken sich hinter der fast täglichen Postulierung von neuen Katastrophen: Waldsterben, Insektensterben, Untergang der ganzen Welt durch die vermeintlich menschengemachte Klimakatastrophe. Sie sollen ablenken von Ihrem eigentlichen Ziel: die Abschaffung des Nationalstaates Deutschland.
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– Dass die SPD mitmarschiert, ist klar. Sie haben in Ihrer Geschichte Deutschland nicht nur einmal verraten.
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Die FDP heißt nicht umsonst im Sprachgebrauch außerhalb dieses Hauses Steigbügelhalterpartei, weil sie sich seit Jahrzehnten jeder Partei anbiedert, um auch ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Aber dass die CDU mit diesen Ideologen in das parlamentarische Bettchen steigt, ist ein Zeichen dafür, dass die Zeiten von Adenauer, Strauß und Kohl endgültig vorbei sind.
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Ich weiß, dass es in der CDU einige Kollegen gibt, die sich ihren gesunden Menschenverstand bewahrt haben, in der FDP auch.
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Ich kenne einige von ihnen. Aber ich spreche hier die Kollegen der CDU explizit an. Sie wissen, dass diese Bundesregierung falsch liegt. Sie haben einfach zu viel Platz im Schritt, um gegen diesen ideologischen Irrsinn offen zu opponieren.
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Seit Merkels Machtübernahme in der CDU wird diese geflutet von roten und grünen Systemlingen, die die noch verbliebenen konservativen Werte, die Sie einmal ausgemacht haben, von innen wie ein Krebsgeschwür auffressen.
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Die letzte verbliebene konservative Partei ist die AfD.
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In dieser versammeln sich aufrechte Patrioten, die ihre Heimat wirklich lieben und schützen.
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Ich schließe mit den Zeilen eines Kinderliedes:
Und wir lieben die Heimat, die schöne, und wir schützen sie, weil sie dem Volke gehört, weil sie unserem Volke gehört.
Vielen Dank.
({14})
Herr Kollege Hilse, unter der Voraussetzung, dass die Uhr wirklich geht – davon gehe ich aus –, haben Sie exakt acht Minuten gesprochen plus Beantwortung der Zwischenfrage.
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Wir sind sehr sorgsam bei der Überwachung der Zeitnahme. Es ist wie beim Fußball.
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– Ich habe den Zwischenruf leider nicht verstanden, aber es war wahrscheinlich nicht so wichtig.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Nächste spricht zu uns die Bundesministerin Svenja Schulze.
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Entschuldigung, Frau Ministerin, Sie müssen einen ganz kleinen Moment Geduld haben. Sie können auf dem Stuhl der Kanzlerin Platz nehmen, wenn ich einmal diesen Vorschlag machen darf.
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Der Kollege Ralph Lenkert hat um eine Kurzintervention gebeten, weil er sich persönlich angegriffen fühlt durch den Beitrag des Kollegen Hilse.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Hilse, wenn Sie etwas darstellen, sollten Sie es vollständig darstellen. Ich erinnere an das Fachgespräch am Mittwoch. Ihr Sachverständiger hat dargestellt, dass der durchschnittliche Temperaturanstieg nicht so hoch sei, dass die Dürren nicht zugenommen hätten und der Meeresspiegel auch nicht so stark angestiegen sei. Er hat das explizit für die Jahre 1900 bis 2000 ausgeführt. Er hat also die kälteren Jahre vor der Industrialisierung Europas und der Welt weggeschnitten, und er hat die neun von zehn wärmsten Jahre nach 2000 weggeschnitten. Selbst wenn man dann eine Linie gezogen hat, konnte man den Anstieg nachvollziehen. Nur durch grobwilliges Betrachten war es möglich, daraus zu interpretieren: Es gibt keinen Temperaturanstieg.
Jetzt möchte ich mich bei diesem Herrn entschuldigen, dass ich dann die Frage gestellt habe: Wer bezahlt so etwas?
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Das tut mir leid, aber diese Frage ist mir so herausgerutscht. Das kann einem ja einmal passieren. Wenn man so etwas hört, was jeder wissenschaftlichen Praxis widerspricht, dass man die Faktenbereiche wegschneidet, die einem nicht passen,
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dann muss ich ganz klar sagen, dass eine emotionale Reaktion für mich zumindest nachvollziehbar ist.
Ich erinnere Sie daran, wie Ihr Kollege Kraft die NGOs angegriffen und die Bezahlung der NGOs in einer Art und Weise in Zweifel gezogen hat, die meine Wortwahl bei weitem übertroffen hat, und muss sagen: Schauen Sie einmal in Ihren eigenen Reihen nach.
Ich möchte noch auf einen anderen Aspekt zu sprechen kommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Es wird immer gesagt, der Anteil Deutschlands sei minimal, wir seien unschuldig. Hier fühle ich mich angegriffen:
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Wir sind für 6 Prozent der weltweiten CO 2 -Emissionen zuständig, und zwar seit Entwicklung der Industrialisierung.
Ein weiterer Punkt: Wir machen 1 Prozent der Weltbevölkerung aus, verursachen aber 2 Prozent des weltweiten CO 2 -Ausstoßes. Das heißt, wir leben deutlich über unsere Verhältnisse. Das auszublenden, ist unverantwortlich. Wenn Sie nach Brandenburg fahren – Sie kommen aus Brandenburg –, sehen Sie die Dürreschäden dieses Sommers.
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– Aus Sachsen kommen Sie, okay. Da ist man blind, wenn man durch Brandenburg fährt.
Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
Aber wenn Sie sich die Dürreschäden ansehen, wenn Sie sich das Niedrigwasser ansehen, wenn Sie sich heute die Probleme am Rhein ansehen und dann immer noch sagen: „Wir müssen nichts machen“, dann sind Sie verlogen und schaden den Menschen dieser Gesellschaft.
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Herr Kollege Hilse, möchten Sie antworten?
Natürlich möchte ich antworten. – Herr Lenkert, ich begrüße es und finde es gut, dass Sie sich im Nachhinein entschuldigen.
Ich möchte ganz kurz auf das Diagramm eingehen, das Herr Lenkert angeführt hat. Es sollte weder zeigen, dass sich der Meeresspiegel nicht erhöht, noch dass sich die Temperatur nicht erhöht. Es hat einfach nur den Zusammenhang zwischen solarer Aktivität und Meeresspiegelanstieg respektive Temperaturanstieg gezeigt. Er ist auch darauf eingegangen – ich weiß nicht, ob Sie es dann nicht mehr mitbekommen haben –, dass ab dem Jahr 2000 Satellitendaten verwendet wurden, die die gleichen Ergebnisse gebracht haben. Aber diese Daten stammen aus anderen Messreihen. Deswegen enden sie im Jahr 2000.
({0})
Zum Temperaturwert. Es ist nun einmal so. Sie können die jährlichen CO 2 -Emissionen Deutschlands einfach halbieren, weil man davon ausgeht, dass circa die Hälfte des CO 2 in der Atmosphäre verbleibt. Das fügen Sie dann in die IPCC-Formel ein und nehmen sogar den schlechtesten Equilibrium Climate Sensitivity, 3,2 Grad bei Verdoppelung, und dann kommt genau dieser Wert heraus: 0,000653 Grad Celsius.
({1})
Und niemand in der Welt folgt uns.
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Es werden 1 600 Kohlekraftwerke gebaut. Das einzige Land, das uns gefolgt ist, das uns quasi sogar überholt hat, das ist Australien.
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Aber die Australier können – leider, aus Sicht der Australier – nicht auf ein System zurückgreifen, in das Kohle- und Kernkraftwerke Energie einspeisen. Australien hat mit großflächigen und langen Blackouts zu kämpfen. Wenn Sie Ihre Politik weiterführen, droht uns genau dasselbe.
Vielen Dank.
({4})
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich denke, es ist gut, wenn wir uns die Fakten einfach noch mal ansehen: In den vergangenen Wochen sind im Zuge von Waldbränden ganze Ortschaften in Kalifornien abgebrannt; die schweren Unwetter in Italien in diesen Tagen haben mehrere Todesopfer gefordert; im Sommer haben wir hier in Deutschland eine Dürre erlebt; wir haben erlebt, wie sehr unsere Wälder unter Druck geraten sind; wir sehen, wie unsere Flüsse heute aussehen. Deswegen ist es wichtig, dass die Weltgemeinschaft jetzt in Katowice zusammenkommt und deutlich sagt, wie wir diesen Klimawandel begrenzen wollen. Das ist eine enorm wichtige Konferenz, die jetzt ansteht.
Wir müssen zeigen, wie wir das im Kleingedruckten regeln wollen. Wir haben uns große Ziele gesetzt, und jetzt müssen wir die Regeln dafür klarziehen. Wir müssen zum Beispiel genau sagen, wie wir als Staaten unsere nationalen Beiträge vergleichbar machen, wie wir sie transparent machen wollen, weil jeder einzelne Staat natürlich die Gewissheit braucht, dass nicht nur er selber etwas tut, sondern auch die Wettbewerber ambitionierten Klimaschutz betreiben. Das wird es insgesamt allen erleichtern, und wenn alle nach den gleichen Regeln spielen, werden wir auch als Staatengemeinschaft vorankommen.
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Auch wenn der eine oder andere das nicht wahrhaben will, werden die nächsten zehn Jahre darüber entscheiden, was für eine Zukunft die kommenden Generationen haben werden. Ich höre hier im Haus oft das Argument, dass Deutschland alleine den Klimawandel nicht stoppen kann. Klar, Deutschland alleine kann das nicht; aber es ist völlig falsch, daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass Deutschland die Hände in den Schoß legen könnte und wir gar nichts tun könnten.
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Deutschland ist in absoluten Zahlen der weltweit sechstgrößte Emittent von Treibhausgasen. Auch bei den Pro-Kopf-Emissionen liegt Deutschland weit vorne: knapp 9 Tonnen pro Jahr und damit auf Platz 12, noch vor China und Indien. Deswegen freue ich mich sehr über den Antrag der Koalitionsfraktionen. Die darin enthaltene Aufforderung an das Parlament nehme ich natürlich gerne mit nach Katowice. Ich werde mich mit der ganzen Delegation dafür einsetzen, dass alle Langfristziele verankert werden und dass wir gute Umsetzungsregeln für das Abkommen von Paris treffen. Wir werden international für den Ausbau der erneuerbaren Energien werben, genauso wie wir uns dafür einsetzen werden, dass Schwellen- und Entwicklungsländer auf ihrem Weg unterstützt werden.
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Man muss es noch einmal ganz klar sagen: Wir Industrieländer haben der Welt das ganze Problem überhaupt erst eingebrockt. Wir, die Industrieländer, haben uns in der Zeit einen großen Wohlstand aufgebaut. Es ist doch wohl das Mindeste, wenn den Entwicklungs- und Schwellenländern jetzt geholfen wird. Die haben kaum etwas dazu beigetragen, leiden aber am meisten unter den Klimafolgen. Auch um diese Hilfe wird es in Katowice gehen. Deswegen ist es gut und richtig, dass Minister Müller für Deutschland gestern zugesagt hat, unseren Beitrag zum Green Climate Fund von 750 Millionen auf 1,5 Milliarden Euro zu verdoppeln. Das ist ein richtiges Signal. Ich hoffe, dass dem viele folgen.
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Es gibt gute Gründe dafür, dass wir die Vorreiterrolle übernehmen und dass wir, nachdem die USA schon sehr klargemacht haben, wo sie stehen, zeigen, wie man das machen kann. Wir gehen nicht mit leeren Händen nach Katowice. Wir können hier in Deutschland zeigen, wie wirtschaftlicher Erfolg und engagierter Klimaschutz zusammengehen. Die Zahlen werden jedes Jahr im GreenTech-Atlas veröffentlicht. Daran können Sie ganz genau sehen, was für einen wirtschaftlichen Erfolg wir mit dem Klimaschutz haben, mit dem, was wir als Wirtschaft in diesem Bereich voranbringen.
Sie können auch die Strukturwandelkommission als Beispiel nehmen. Dass es so eine Kommission überhaupt gibt, dass es uns gelingt, zivilgesellschaftliche Organisationen, die Wissenschaft, die Wirtschaft, die Gewerkschaften, alle an einen Tisch zu bringen, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, das ist genau das richtige Signal. Wir werden den Strukturwandel so gestalten, dass er mit sozialer Gerechtigkeit Hand in Hand geht. Wir werden den Regionen Perspektiven aufzeigen. Und wenn wir dafür etwas länger brauchen, dann brauchen wir halt etwas länger; aber das Signal ist genau das richtige.
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Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krischer?
Nein. – Meine Damen und Herren, wenn wir das nicht machen, wenn wir nicht vorangehen, ein kerngesunder Staat mit Innovationen, mit technischem Know-how, wer soll das dann tun? Ich bin fest davon überzeugt, dass wir zeigen können, wie diese Transformation, wie dieser Strukturwandel wirklich funktionieren kann, und zwar nicht nur in der Energiewirtschaft, sondern eben auch in den Bereichen Verkehr, Gebäude und auf vielen weiteren Feldern. Das wird in Deutschland gezeigt werden können. Aber wir werden das im Sinne einer Just Transition tun, also soziale Gerechtigkeit mitdenken und die Menschen mitnehmen. Das ist auch das Signal, das wir auf der COP geben können.
Ich werde mit einer ganzen Reihe von Abgeordneten in Katowice sein. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir unsere Verantwortung für die Welt von heute und von morgen dort wahrnehmen werden.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als Nächster hat das Wort der Kollege Frank Sitta, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt zwei Möglichkeiten, die CO 2 -Ziele zu erreichen: Es gibt den marktwirtschaftlichen Ansatz, den wir verfolgen, und den planwirtschaftlichen, den die Grünen hier heute erneut vorgelegt haben. Was Sie etwa zum Emissionshandel vorschlagen, läuft auf eine Umwandlung in eine CO 2 -Steuer hinaus. Sie mögen das; das weiß ich. Sie konterkarieren damit aber die marktwirtschaftlichen Mechanismen des ETS – mal wieder, muss man sagen, so, wie Sie das beim EEG schon einmal gemacht haben.
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Wir sind als Deutsche eben nicht allein in der Lage, einen entscheidenden Beitrag zum globalen Klimaschutz zu leisten, wie Sie das formuliert haben. Da hilft es auch nicht, wenn man ganz fest daran glaubt. Der deutsche Anteil am weltweiten CO 2 -Ausstoß ist mit 2,37 Prozent relativ gering. Auch wenn „sechstgrößter Emittent“ anders klingt, bleiben es 2,37 Prozent.
({1})
Deswegen verfolgen wir eine globale Lösung.
Sie behaupten, dass es schon entscheidend ist, was wir dazu beitragen. Aber Sie wissen, dass das nicht stimmt.
({2})
Wenn diese Behauptung in der Debatte verfängt, bedeutet das nämlich: Es kann nie genug sein, was wir in Deutschland national tun. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir allein würden am Klimawandel praktisch nichts ändern, selbst wenn wir hier in Deutschland auf der Stelle sämtliche wirtschaftlichen Aktivitäten einstellen würden.
({3})
Dann könnten auch radikale Kräfte morgen verlangen, dass wir zukünftig die Wohnungen nur noch bis 15 Grad heizen oder dass Nahrungsmittel rationiert werden.
({4})
Sie müssen in Ihrer Argumentation aber unterstellen, dass Deutschland allein etwas am Klimawandel ändern kann, weil Sie eine Rechtfertigung brauchen, die jeglichen staatlichen Eingriff in die Freiheit der Bürger und der Wirtschaft rechtfertigt.
({5})
Ihnen sollte aber auch klar sein, dass diese Argumentation Kompromisse eigentlich gar nicht zulässt und geradewegs zu quasi totalitären Ansprüchen führt.
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Sie wünschen sich mehr konkrete Maßnahmen. Ja, das tun auch wir. Nur sollten über diese konkreten Maßnahmen die Bürger und die Unternehmen entscheiden und eben keine Bürokraten.
({7})
Wir werben für technologieoffene Verfahren.
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Entscheidend muss doch sein, auf welchem Weg wir am kostengünstigsten die Vorgaben des festgelegten CO 2 -Deckels erfüllen, den wir im Übrigen nicht infrage stellen. Es geht doch nicht darum, was am besten klingt oder Ihnen am besten gefällt.
({9})
Leider hat sich die Große Koalition auf diesen planwirtschaftlichen Ansatz eingelassen,
({10})
da sie jetzt per staatlichem Dekret die Braunkohleverstromung beenden will. Das, was die Kohlekommission bisher als Ergebnis eines pseudodemokratischen Dialogs vorgelegt hat, kann uns keineswegs überzeugen.
({11})
Herr Kollege Sitta, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Baerbock?
Nein. Gerne am Ende.
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Die Braunkohleländer Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt haben bereits ihre Erfahrungen mit dem Zusammenbruch einer Planwirtschaft gemacht. Dieses Rezept soll nun weiteren Ländern erneut verabreicht werden, obwohl diese Länder ihren Anteil am Erreichen der gesamtdeutschen CO 2 -Ziele bereits mehr als erbracht haben. Dieses Rezept, meine Damen und Herren, wird nicht dadurch besser, dass nun auch NRW diese Erfahrung machen soll.
({1})
Ganz zum Schluss: Lieber Herr Hilse, dass Sie hier das DDR-Pionierlied zitieren, das spricht für sich.
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Vielen Dank, Herr Kollege Sitta.
Ich darf geschäftsleitend darauf hinweisen, dass eine Zwischenfrage nur während der Rede gestellt werden kann und nicht am Ende; dann wäre es eine Endfrage.
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Aber ich erlaube der Kollegin Baerbock eine Kurzintervention.
Vielen Dank, Herr Präsident. Vielleicht hat Herr Sitta danach dann Lust, darauf zu antworten.
Sie haben ja darauf hingewiesen, dass Sie das Pariser Klimaschutzabkommen eigentlich schon einhalten wollen. Aber Sie haben mit keinem Wort erwähnt, wie Sie das tun wollen. Meine Frage an Sie wäre gewesen: Ist Ihnen bewusst, dass alle 192 Staaten einen Klimaschutzplan bzw. einen nationalen Beitrag vorlegen müssen, in dem sie ganz genau, für jeden Sektor, auflisten, wie sie ihre Treibhausgase bis 2050 um mindestens 95 Prozent reduzieren wollen?
Sie haben gesagt, Sie wollen kein Ordnungsrecht. Das heißt, Sie wollen alles über den Preis regeln. Wenn Sie den Kohleausstieg über den Preis regeln wollen, dann bräuchten Sie einen CO 2 -Preis von mindestens 50 Euro pro Tonne. Ansonsten werden Sie das nicht über den Preis gestalten können. Große Teile des BDI sagen derzeit: Das geht nicht, das können sich die energieintensiven Unternehmen – Stahl und Aluminium – gar nicht leisten. Deswegen brauchen wir ordnungspolitische Maßnahmen.
Meine Frage also an Sie: Wollen Sie den Preis auf mindestens 50 Euro pro Tonne CO 2 festlegen? Oder wie soll Ihr CO 2 -Preis aussehen, mit dem Sie zu einer CO 2 -neutralen Wirtschaft in den nächsten Jahren kommen wollen? Und sagen Sie jetzt bitte nicht: Das regelt der Weltmarkt. – Denn der Emissionshandel ist europäisch zu regeln, und da muss auch Deutschland seinen Beitrag leisten.
({0})
Herr Kollege Sitta, Sie wollen antworten; das ist schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich bitte, zu Protokoll zu nehmen: Ich meinte natürlich eine Kurzintervention und keine Frage am Ende meiner Rede.
Liebe Frau Kollegin Baerbock, ich habe – und das kennen Sie – in kurzer Redezeit nur gestreift, dass wir die planwirtschaftlichen Methoden, die Sie Ordnungspolitik nennen, ablehnen. Wir vertrauen tatsächlich auf den Markt; das unterscheidet uns ein Stück weit.
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Wir sind der Meinung, dass die Klimaziele eingehalten werden sollen – es ist eine andere Fraktion hier, die das ablehnt –, wir sind nur der Meinung, dass ein Preis, der sich am Markt bildet, die Stelle findet, wo CO 2 am kostengünstigsten eingespart wird. Entschuldigen Sie bitte, für das Klima ist es völlig irrelevant, an welcher Stelle das ist.
({1})
Vielleicht ist es der Braunkohletagebau in Sachsen-Anhalt oder in Brandenburg, vielleicht aber auch nicht. Wir glauben an die Innovationskraft, die sich entwickelt, wenn Dinge einen Preis bekommen. Das ist unser Angebot: ein marktwirtschaftliches Konzept des Emissionshandels.
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Natürlich ist eine globale Lösung das eigentliche Ziel. Wir fangen damit auch auf europäischer Ebene an. Wir möchten nur darauf hinweisen, dass zu starke nationalistische klimapolitische Alleingänge einfach nichts bringen
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und im Zweifel hier die Wirtschaft zerstören.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank. – Als Nächster spricht zu uns der Kollege Lorenz Gösta Beutin, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Als neugewählter Abgeordneter konnte ich im letzten Jahr am Weltklimagipfel in Bonn teilnehmen. Dort habe ich live hören können, wie unsere Bundeskanzlerin verkündet hat: Wir als Deutschland werden die Klimaziele für 2020 einhalten.
Nach Katowice wird unsere Bundeskanzlerin nicht anreisen. Sie sagt, sie habe Terminprobleme. Aber seien wir mal ehrlich: Mit dieser Blamage in der Klimapolitik anzureisen, geht einfach nicht; das können wir auch verstehen. Deswegen sage ich ganz klar: Diese Bundeskanzlerin ist in der Klimapolitik eine Kanzlerin der gebrochenen Versprechen.
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Es ist ja so: Sitzungswoche für Sitzungswoche trage ich vor, was notwendig wäre und was möglich wäre. Teilweise könnte ich hier massenweise Aluhüte nach rechts verteilen.
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Herr Sitta, Sie haben sich heute auch einen Aluhut verdient.
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Aber ich stehe hier nicht nur als Politiker, sondern ich stehe hier auch als Mensch, und solange ich politisch aktiv bin, setze ich mich für eine bessere Zukunft der Menschen ein.
({3})
Wenn wir uns damit einmal auseinandersetzen, sehen wir: Es geht beim Klimawandel nicht nur ums Bangemachen, es geht darum, aufzuzeigen, dass wir etwas ändern können. Das bedeutet, gegen den Klimawandel einzutreten und für eine bessere Zukunft zu kämpfen.
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Ich will das an einigen Beispielen vorstellen. Stellen Sie sich vor – viele von Ihnen werden das kennen –, Sie stehen morgens im Stau, kommen schon gestresst zur Arbeit, oder Sie stehen mit dem Fahrrad an der Ampel, Sie atmen Abgase ein und kommen auch gestresst, möglicherweise noch mit gesundheitlichen Belastungen, auf der Arbeit an. Aber wenn wir ernst machen mit einer sozial-ökologischen Verkehrswende,
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dann wird es anders aussehen – vielleicht in 10, vielleicht in 20 Jahren –, dann haben wir einen gut ausgebauten, bezahlbaren öffentlichen Nahverkehr, dann haben wir Städte, die vor allem für die Menschen da sind, nicht für die Autos,
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dann haben wir Vorrang für Radfahrerinnen und Fußgängerinnen, dann haben wir durch Klimaschutz lebenswertere Städte.
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Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sitta?
Nein; es gibt ja die Möglichkeit der Kurzintervention.
Oder sprechen wir über die Energie der Zukunft. Auch in der Zukunft wird der Strom immer noch aus der Steckdose kommen,
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so weit ist es klar. Aber ist es nicht ein viel schöneres Gefühl, wenn Sie beispielsweise in der Stadt wohnen und Mieterstrom sowie Solaranlagen auf dem Dach haben, aus deren Energie Ihr Stromnetz gespeist wird,
({1})
oder wenn Sie auf dem Dorf wohnen und Sie hinter dem Deich eine Windkraftanlage haben
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und diese Windkraftanlage Ihrer Kommune gehört oder der Genossenschaft gehört, an der Sie beteiligt sind? Da ist die Energiewende demokratisch.
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Das heißt, wir brauchen bezahlbaren Strom.
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Wir brauchen Sozialtarife beim Strom. Wir müssen uns gegen Stromsperren einsetzen, damit Familien nicht im Dunkeln sitzen.
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Und wir müssen uns dafür einsetzen, dass die Vergünstigungen bei den Stromtarifen für Großkunden nicht zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher gehen.
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Schauen wir uns ganz konkret den Kohleausstieg in den Regionen an. Da gibt es zwei Seiten: Zum einen würde ein rascher Kohleausstieg den Menschen in den Regionen nützen,
({7})
er würde den Menschen nützen, denen die Kohlebagger nicht mehr die Dörfer wegbaggern, er würde den Menschen nützen, deren Wälder erhalten bleiben.
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Zum anderen haben wir auch noch Beschäftigte in der Kohleindustrie, wir haben Regionen, um die wir uns kümmern müssen.
({9})
Das Rheinland mag es mir nachsehen, wenn ich über die Situation in den ostdeutschen Ländern rede. Den Menschen ist jahrelang erzählt worden: Ihr bekommt blühende Landschaften. – Was sie bekommen haben, waren eher verwelkte Blumen. Das heißt, in dieser Situation ist es unsere Pflicht und unsere Aufgabe, uns um den Strukturwandel auch in diesen Regionen zu kümmern, ist es unsere Aufgabe, den Beschäftigten in der Kohleindustrie eine Beschäftigungsgarantie zu geben,
({10})
für Einkommen, für Beschäftigung. Dieser Kohleausstieg wird gelingen, wenn wir die Menschen mitnehmen, wenn wir ihn sozial gerecht machen; das ist unsere Perspektive.
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Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal kurz sagen: Wir können auch den Blick weiten, wir können dorthin schauen, wohin möglicherweise der eine oder die andere in den Urlaub fährt. Dort gibt es Palmenstrände, Sandstrände und azurblaues Wasser, aber auch negative Seiten: Die Menschen in diesen Regionen haben teilweise Probleme infolge des Klimawandels, sie haben Probleme, weil ihr Wasser versalzt, weil sie kein Grundwasser haben, sie haben Probleme, weil die Korallenriffe absterben und die Fischbestände verschwinden. Wenn wir nicht aufpassen, wenn wir jetzt nicht handeln, entziehen wir diesen Menschen die Grundlage, entziehen wir diesen Menschen ihre Kultur, ihre Heimat, ihre Tradition, ihre Sprache. Auch das müssen wir verhindern.
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Deshalb bin ich so froh, dass wir heute das erste Mal gemeinsam mit den Grünen einen großen Klimaantrag eingebracht haben, zum Weltklimagipfel in Katowice. Denn auch wenn wir Unterschiede haben, müssen wir bei diesem Ziel ein Stück des Weges gemeinsam gehen, müssen wir klarmachen: Wir brauchen echten Klimaschutz, wir brauchen den Kohleausstieg.
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Deshalb: Kommen Sie gemeinsam mit uns am Samstag zu den Klimademos in Berlin und Köln! Lassen Sie uns Druck machen für einen Kohleausstieg, für einen echten Klimaschutz.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Beutin. – Herr Kollege Sitta, nein, ich lasse die Kurzintervention nicht zu. Erstens haben Sie bereits geredet, zweitens ist das eine beliebte Methode, die Redezeit auszuweiten, wenn die Fraktion nur drei Minuten Redezeit angemeldet hat. Ich will darauf hinweisen, dass wir bereits in erheblichem Zeitverzug sind. Ich habe heute Abend Nachtschicht. Ich gedenke nicht, sie bis in den morgigen Tag hinein auszudehnen.
Insofern hat der nächste Redner das Wort. Das ist der Bundesminister Dr. Gerd Müller.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neben der Ernährungsfrage ist der Klimaschutz die Überlebensfrage der Menschheit. Die Treibhausgasemissionen steigen weltweit. Das ist dramatisch. Deshalb muss Kattowitz eine Trendwende sein. Meine Damen und Herren, die Weltgemeinschaft muss die Vorgaben des Pariser Abkommens verbindlich einhalten und umsetzen.
({0})
Derzeit erfüllen von 187 Ländern nur 17 ihre Zusagen. Auch Deutschland liegt zurück. Es gibt keinen Zweifel, dass wir hier ehrgeizig aufholen müssen.
({1})
Meine Damen und Herren, Deutschland und Europa – deshalb spreche ich als deutscher Entwicklungsminister –, die Industrieländer insgesamt machen 10 Prozent der Menschheit aus und tragen zu 50 Prozent zu den Treibhausgasemissionen bei. Von den Folgen sind die Ärmsten auf dem Planeten am stärksten betroffen, die Entwicklungsländer. Wenn Sie mal wie ich an der somalischen Grenze sind – dort sterben Pflanzen, Tiere und Menschen – und mit Klimaflüchtlingen zusammensitzen und ihnen in die Augen schauen, dann möchten Sie nicht zum Klimaflüchtling werden, liebe Kollegen von der AfD.
Meine Damen und Herren, Somalia, die Tschad-Region, Bangladesch: drei Jahre ohne Regen. In der Region gibt es bereits über 20 Millionen Klimaflüchtlinge. Deshalb übernehmen wir in Deutschland Verantwortung in der Klimapolitik. Das ist einer der zentralen Schwerpunkte deutscher Entwicklungspolitik.
({2})
Ich werde deshalb in Kattowitz – ihn möchte ich hier im Deutschen Bundestag einführen – einen Sieben-Punkte-Plan zum internationalen Klimaschutz vorstellen. Herr Lindner, Sie haben da einige wichtige Impulse gesetzt. Daran knüpfe ich direkt an.
Die staatlichen Vorgaben von Paris allein reichen nicht aus. Es wird ein riesiges Gap bleiben, selbst wenn alle Staaten diesen Pariser Klimavertrag einlösen. Wir müssen mehr tun. Wir müssen die Wirtschaft mitnehmen. Deshalb freue ich mich, dass ich gestern den Startschuss für die Allianz für Entwicklung und Klima geben konnte. Bereits 70 Firmen, Verbände, Institutionen wie SAP, die Munich Re, der NABU und hoffentlich auch bald der Deutsche Bundestag, streben an, sich klimaneutral zu stellen und, nachdem sie ihren CO 2 -Ausstoß reduziert und vermieden haben, in den Entwicklungsländern zu kompensieren und zu investieren: in den Aufbau von erneuerbaren Energien, in Waldschutzprogramme, in Regenwaldprogramme, um dort den Einstieg in die Kohle zu verhindern und die Förderung von erneuerbaren Energien nach vorne zu bringen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Karsten Hilse [AfD]: Damit sie ja keine Energie haben, damit sie keine Konkurrenten auf dem Weltmarkt sind! Das ist Ihr Ziel!
Wir brauchen zusätzlich private Investments in erneuerbare Energie in Entwicklungs- und Schwellenländern, in die Entwicklung synthetischer Kraftstoffe. Meine Damen und Herren, der Klimaschutz entscheidet sich in Indien, Afrika, in den Schwellenländern, auch in China – jede zweite Woche wird dort ein Kohlekraftwerk in Betrieb genommen – und in Brasilien.
Weil hier die Steckdose angesprochen wurde: Sollte jeder Haushalt in Afrika und in Indien – wer kann das den Menschen dort verwehren – einen Anschluss an elektrische Energie bekommen – das wollen wir alle –, wären nach derzeitigem Stand mehr als 1 000 Kohlekraftwerke notwendig. Diese Länder setzen, so wir sie nicht unterstützen, auf Kohle, Öl und Gas.
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Dann gehen im Bundestag, Herr Präsident, bildlich gesprochen, die Lichter aus. Über den Klimaschutz wird in diesen Staaten entschieden. Wir entscheiden darüber, wie stark wir uns dort engagieren.
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Afrika sollte nicht der schwarze, sondern der grüne Kontinent der Bio- und erneuerbaren Energien werden.
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Dieser Sieben-Punkte-Plan setzt auf globale Energiewende, Ausbau der erneuerbaren Energien, Technologietransfer, Waldschutz, Stärkung der Klimarisikoversicherung und die Verdoppelung des deutschen Beitrages für den Green Climate Fund auf 1,5 Milliarden Euro. Deshalb reise ich mit Kollegin Schulze nach Kattowitz. Wir kämpfen gemeinsam für diese Ziele.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Minister Dr. Müller. – Als Nächstes spricht zu uns für die FDP-Fraktion der Kollege Dr. Lukas Köhler.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Ich muss nun sagen: Ich wundere mich. Ich wundere mich ein bisschen über die Rede von Anton Hofreiter und auch über Ihre Zwischenfrage, Frau Baerbock. Vor allen Dingen aber wundere ich mich darüber, dass Sie in dieses Gesamtpaket der Anträge zu COP 24 einen Antrag zum Klimaschutzgesetz für das nächste Jahr gepackt haben; denn das zeigt doch, dass es Ihnen um die Frage des nationalen und nicht des internationalen Klimaschutzes geht. Das ist tatsächlich das Problem.
({0})
Lassen Sie mich dazu drei Worte sagen. Ja, es ist richtig: Wir werden nächstes Jahr höchstwahrscheinlich über ein Klimaschutzgesetz verhandeln.
({1})
Ja, wir werden als Serviceopposition eine ganze Reihe von wichtigen Punkten mitbegleiten: die Frage der marktwirtschaftlichen Orientierung, die Frage der Technologieoffenheit. Ja, wir werden – das ist übrigens im IPCC-Sonderbericht mit seiner Zielmarke von 1,5 Grad aufgezeigt – über CO 2 -Speicherung, über Abscheidung und über Geoengineering sprechen müssen. Das werden wir im nächsten Jahr mit Ihnen gemeinsam machen.
({2})
Aber darum geht es doch heute nicht. Heute geht es um die nächste Woche beginnende COP in Kattowitz. Ich glaube, das ist die richtige und wichtige Frage, über die wir uns hier unterhalten müssen. Da ist die ganz konkrete Frage des „Rule Book“ das absolut Entscheidende. Wir sprechen im Zusammenhang mit der COP ganz gerne mal darüber, dass jetzt ein wichtiges Signal über die Frage der Finanzen in die Weltgemeinschaft gehen muss. Aber eigentlich tut die COP etwas ganz Zentrales: Sie wird darüber entscheiden, wie das sogenannte „Rule Book“ aufgebaut ist.
({3})
Dieses „Rule Book“, meine Damen und Herren von den Grünen, wird die Frage der Standards, der Transparenz und des Reportings festlegen. Das ist der zentrale Teil, wenn wir über internationalen Klimaschutz sprechen; denn Klimaschutz wird nur dann funktionieren, wenn wir ihn transparent machen und wenn er vor allen Dingen international vergleichbar wird, meine Damen und Herren.
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Nur dann werden wir es schaffen, dass wir Industrieschutz, Arbeitsplätze und auch die gesamte Klimaverantwortung hier in Deutschland umgesetzt bekommen.
Herr Beutin, Sie haben Marktwirtschaft und Verschwörungstheorien zusammengebracht – das halte ich schon für schwierig –, als Sie unserem Kollegen Sitta vorwarfen, einen „Aluhut“ zu verdienen. Ich halte das für eine, sagen wir mal, sehr steile These.
Nichtsdestotrotz, das „Rule Book“ wird entscheidend sein. Da muss ich mal die Bundesregierung loben, das tue ich ja nicht so oft: Bei allem, was wir von den Verhandlungen hören, setzen Sie sich stark dafür ein, dass die Frage der Standards im „Rule Book“ wirklich gut ausverhandelt wird und dass sich auch China als Schwellenland nicht herausreden kann, um für unterschiedliche Geschwindigkeiten zu sorgen, sondern es will mit uns gemeinsam für wirklichen Klimaschutz kämpfen.
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Jetzt habe ich die Bundesregierung gelobt. Jetzt muss ich sie aber noch mal kritisieren, so leid es mir tut. Meine Damen und Herren, es kann doch nicht sein, dass wir in der Frage des Artikel 6 des Pariser Abkommens so ambitionslos vorgehen. Das klingt jetzt ein bisschen technisch. Aber die Frage, wie wir die Marktmechanismen ausgestalten werden, die Frage, wie wir das internationale ETS ausgestalten, wie wir über Standards bei den einzelnen Pflichten und Rechten zum marktwirtschaftlichen Klimaschutz vorgehen, ist ganz zentral. Hier tun Sie viel, viel zu wenig;
({6})
denn nur mit einem internationalen Preis, der auch für den Carbon-Leakage-Schutz sorgen wird, werden wir den internationalen Klimaschutz wirklich umgesetzt bekommen. Das ist die große Frage, vor der wir stehen.
Um den großen Philosophen Christian Lindner zu zitieren: Wer die Lippen spitzt, der muss auch pfeifen. –
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Meine Damen und Herren, Sie pfeifen nicht. Sie pfeifen nicht das Lied des internationalen Klimaschutzes.
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Sie pfeifen nicht das Lied einer gemeinsamen Klimapolitik, die sich auf internationaler Ebene gewaschen hat und die dazu führt, dass wir den 1 Euro wirklich da ausgeben, wo er den Klimaschutz am besten und effizientesten finanziert. Es muss doch das Ziel sein, dass wir für jeden eingesetzten Euro das Beste herausholen können. Das wird nur über marktwirtschaftliche Regulierung funktionieren. Das wird nur klappen, wenn wir in Kattowitz dafür sorgen, dass das was wird.
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Ein letzter Punkt zum Thema internationale Ebene. Es wäre schön gewesen – darüber hätten wir uns gefreut –, wenn Sie Ihren Koalitionsvertrag und auch diesen Antrag umsetzen würden und in Argentinien beim G-20-Gipfel dafür sorgen würden, dass die internationale CO 2 -Bepreisung auf der Tagesordnung steht. Lassen Sie uns das Lied des Klimaschutzes gemeinsam pfeifen.
Vielen lieben Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Köhler. – Als Nächstes die Kollegin Dr. Nina Scheer, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich noch einmal eine Sache klarstellen. Wenn hier in diesem Haus in Richtung der SPD-Bundestagsfraktion von Verrat am Volke gesprochen wird,
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auf eine plumpe Art und Weise, und wenn Sie angesichts der gesamten Erfolge, die die Sozialdemokratie über 150 Jahre im Dienst des Volkes bewiesen hat,
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ob Gleichberechtigungspolitik, Frauenwahlrecht, Arbeitnehmerrechte oder Friedenspolitik,
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trotzdem dieses Vokabular uns gegenüber in den Mund nehmen, dann zeigt das eigentlich nur eines: dass Sie Feinde der Verfassung sind.
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Ich möchte jetzt gerne weiterreden, ohne ständig unterbrochen zu werden. Können Sie dafür sorgen, Herr Präsident?
Frau Kollegin, reden Sie weiter. Wenn es zu laut wird, woher auch immer, werde ich eingreifen.
Es war zu laut. – Ich möchte jetzt gerne zu dem Thema kommen, das wir heute hier behandeln: den Klimaschutz im Zeichen dessen, was uns in Katowice bevorsteht. Es ist eine wichtige internationale Ebene, um die sich zuspitzende Problematik des weltweiten Klimawandels anzugehen. Insofern ist es auch immer wieder ein Gradmesser dafür, wo wir jeweils vor Ort stehen und wo wir international stehen.
Klimawandel steht für das Armutsrisiko des 21. Jahrhunderts. Er steht aber auch gleichzeitig für Arbeit mit Zukunft. Denn Klimaschutz bedeutet Energiewende, und Energiewende heißt, dass wir in sehr vielen Bereichen einen Wandel vornehmen und damit Zukunft und Chancen verbinden können.
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Insofern ist bei der Betrachtung dessen, was wir ins Zentrum rücken sollten, die ganze Abwehrhaltung, die ich leider jetzt auch bei der FDP wahrnehmen musste
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– es geht immer nur darum, bloß zu verhindern, dass man vor Ort etwas machen muss –, zum einen wirtschaftspolitischer Blödsinn, und zum anderen ist sie auch geschichtsvergessen hinsichtlich der Historie der internationalen Klimaschutzpolitik. Denn die internationale Klimaschutzpolitik hat immer davon gelebt, dass man einerseits versucht, gemeinsame Wege zu gehen, damit man möglichst an einem Strang zieht und keinen Verdrängungswettbewerb und dergleichen hat, aber andererseits – und das ist explizit der Geist des Pariser Klimaschutzabkommens – lokal vor Ort und national Maßgaben setzt und in einer Vorreiterfunktion vorangeht, statt aufeinander warten zu müssen. Natürlich muss auch jeder vor Ort das Möglichste und Nötigste tun. Das ist der Geist internationaler Klimaschutzpolitik, den Sie offenbar nicht verstanden haben.
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Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Gut, wenn es sein muss.
Das entscheiden Sie.
Doch, das muss jetzt sein. Ich will mir nicht vorwerfen lassen, dass ich das nicht aushalten könnte.
Vielen Dank, Frau Scheer. Vielen Dank, Herr Präsident. – Sie haben von den Chancen gesprochen, die sich aus diesem Segment ergeben. Es ist circa 16 bis 18 Jahre her, als ein grüner Umweltminister uns 1 Million Jobs versprochen hat, die in dem Sektor erneuerbare Energien auf uns warten. Er hat gesagt, es werde lediglich eine Kugel Eis im Monat kosten.
Beides hat sich im Nachhinein als eine, sagen wir, überoptimistische Empfehlung entpuppt. Wie sehen denn nach 16 Jahren des Herumwurstelns mit sehr, sehr teuren Stromrechnungen für die Verbraucher und einem Jobangebot, das negativ ist, die Chancen in diesem Sektor aus? Wenn Sie mal konkret werden könnten, bitte.
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Das tue ich sehr gerne, und zwar sieht das so aus, dass wir bis dato schon über 400 000 Jobs im Bereich der erneuerbaren Energien geschaffen haben. Die Frage ist beantwortet.
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Ich komme zurück zu den Fragen, die noch anstehen. Es ist auch wichtig, noch einmal hervorzuheben, was man national tun kann und auch tun muss. Es ist mit der Energiewende bisher gelungen – das habe ich schon an anderer Stelle erwähnt –, dass wir allein mit den hiesigen Maßnahmen schon über 1 Milliarde Tonnen CO 2 eingespart haben. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen, ein Minus von 8,8 Milliarden Tonnen CO 2 pro Jahr weltweit erforderlich ist, dann zeigt das die Dimension, die allein deutschlandweit erreichbar ist. Zudem ist die Ausstrahlungswirkung hervorzuheben, die von nationalen Maßnahmen ausgeht.
Es ist jetzt alles ein bisschen durcheinandergegangen, was die Zeit angeht; meine Redezeit ist jetzt um. Ich will aber ganz zuletzt noch ein paar Punkte ansprechen, die ich zurzeit schwierig finde, auch in der Großen Koalition.
Wir haben morgen über ein Energiepaket bzw. über ein Mantelgesetz zu entscheiden.
Frau Kollegin, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Zeit jetzt überschritten ist.
Darf ich den Satz noch ausführen?
Einen Satz dürfen Sie noch sagen.
Ich finde es schwierig, wenn wir einerseits kurz vor einer Klimakonferenz diese wichtigen Fragen hier behandeln und andererseits die Gesetzgebungsprozesse in diesem so wichtigen Themenkontext Energiewende zeigen, dass von einer Seite sehr stark gebremst wird. Ich möchte in Richtung Koalitionspartner sagen, dass es mich sehr betrübt, dass die Sonderausschreibungen so lange nicht umgesetzt worden sind und dass es jetzt im Zuge dieser Energiegesetzgebung auch Diskussionen wie die über Sonderdegressionen geben musste.
Ich finde das bedauerlich. Das muss an dieser Stelle auch einmal gesagt werden.
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Wenn man in einer Koalition zusammenarbeiten möchte und muss, gehört es dazu, dass man die Ziele, die man sich gemeinsam steckt, in der Umsetzung wirklich voranbringt und nicht immer verzögert. Das muss einfach mal gesagt werden.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. Im Zuge der Solidarität dürfen Sie jetzt dem Kollegen Klaus Mindrup erklären, warum er nur 3 Minuten reden darf. Denn Sie haben 1 Minute 13 Sekunden überzogen. Wir ziehen also dem Kollegen Mindrup einfach 1 Minute ab. – Als Nächste spricht zu uns Lisa Badum, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schöne Reden von der Regierung, aber wie sieht die Realität aus? Gestern wurde das Energiesammelgesetz im Ausschuss beschlossen. Es ist nicht nur ein Antienergiewendegesetz, ein Antiklimagesetz, sondern – insbesondere wenn wir das Thema Mieterstrom anschauen – ein Antibürgerinnen- und -bürgergesetz.
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Sie haben das Vorlegen des Schlussberichts der Kohlekommission auf Februar verschoben und fahren ohne ihn zur Klimakonferenz nach Kattowitz. Das ist das Gastgeschenk des größten Braunkohleverstromers Deutschland an das Kohleland Polen.
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Europäische Energiepolitik im Jahr 2018 kann doch mehr. Das zeigen andere Länder in Europa, und das zeigen auch globale Trends. Der Kapitalverwalter BlackRock ist derzeit aufgrund eines politischen Wiedergängers stark in den Medien präsent. Selbst die haben ihren Anlegern schon vor Jahren empfohlen, nicht in fossile Energien zu investieren. Auf wen wollen Sie eigentlich noch warten, um vernünftige Klimapolitik zu machen? Auf Donald Trump?
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Sie fahren zur Klimakonferenz der Vereinten Nationen. Handeln und denken Sie endlich lokal und global! Das hat Ihre eigene Bundeskanzlerin gefordert. Ich habe letzte Woche Maina Talia aus dem Inselstaat Tuvalu getroffen, dem aufgrund der Klimakatastrophe der Untergang droht. Er kann nicht entscheiden, ob und welchen Strukturwandel er durchmacht: Er kommt als Katastrophe über ihn.
Meine Damen und Herren, es ist ein Zeichen schlechter Politik, wenn man die Einwohnerinnen und Einwohner von Tuvalu beispielsweise gegen die Einwohnerinnen und Einwohner der Lausitz ausspielt.
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Vielmehr wäre es Ihre Aufgabe, intelligente Ideen zum Strukturwandel vorzulegen
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und diesen übrigens auch mal in der Regierung zu koordinieren – das schaffen Sie nicht –, statt sich zwischen Einzelinteressen zerreiben zu lassen. Das erleben wir bei der Kohlekommission und auch beim Ausbremsen der Windkraft,
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und das, obwohl die Menschen weltweit an einem Strang ziehen, wenn es darum geht, ihre Heimat und ihre Lebensgrundlagen zu erhalten.
Es wäre eine globale Menschheitsaufgabe, diese Menschen zusammenzuführen, und es wäre Ihre Aufgabe. Nehmen Sie diese Verantwortung endlich wahr! Leiten Sie den Kohleausstieg ein! Beenden Sie Ihre Behinderung der erneuerbaren Energien! Dann können Sie mit Stolz zu einer Klimakonferenz fahren.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster spricht zu uns der Kollege Dr. Klaus-Peter Schulze, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin Schulze! Sehr geehrter Herr Bundesminister Müller! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem wir viel zu globalen Dingen gehört haben, möchte ich auf die lokale Ebene zurückkommen. Herr Hofreiter hat unsere drei Ministerpräsidenten dafür kritisiert, dass sie bei der Kohlekommission vorstellig geworden sind und darum gebeten haben, die Dinge nachzuarbeiten. Zu dieser Forderung der Ministerpräsidenten sage ich: Das ist genau richtig. Warum? Ich möchte an einem lokalen Beispiel erläutern, wie komplex das gesamte System ist.
Wenn ich den Antrag der Linken lese, in dem sie fordern, 20 Kohlekraftwerke sofort zu schließen und den Tagebau bis 2030 sozusagen einzudampfen, dann frage ich mich, ob denn alle damit verbundenen Fragen in der Kohlekommission auch ausreichend betrachtet worden sind.
Bei den Papieren, die ich manchmal in der U‑Bahn finde und dann lesen kann – offiziell kennen wir sie ja nicht –, habe ich den Eindruck, dass noch einiges zu tun ist. Ich will das einmal am Beispiel des Gewässerschutzes vortragen; denn Umweltschutz ist nicht nur Klimaschutz, sondern da gehört noch eine ganze Menge mehr dazu.
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Wir hatten zwischen 1990 und 1995 schon einen Braunkohleausstieg in der Lausitz und in Mitteldeutschland. Allein in der Lausitz wurden 14 Tagebaue geschlossen. Der damalige Umweltminister Klaus Töpfer hat sehr schnell erkannt, dass damit eine Katastrophe für die Oberflächengewässer entstehen wird. Warum? Weil beispielsweise der Rhein pro Sekunde – jetzt einmal von der konkreten Situation abgesehen – etwa 2 000 Kubikmeter Wasser mit sich führt, die Spree 14 Kubikmeter und die Mulde auch 14 Kubikmeter.
Deshalb haben die Umweltminister Ostdeutschlands und das Bundesumweltministerium umfangreiche Studien erstellt, mehrere Konferenzen einberufen und dann ein langfristiges Konzept dafür entwickelt, wie man dieses Problem lösen könnte.
Wenn ich jetzt dort eingreife und die Betriebsdauer der Tagebaue um 10, 15 oder 20 Jahre verkürze, brauche ich ein neues Konzept. Dieses Konzept liegt der Kommission nicht vor, und wir können darüber nicht beraten.
Was bedeutet das eigentlich? Wenn wir hinausschauen, dann sehen wir: Am Bundeskanzleramt fließt die Spree vorbei. Dabei muss sich jeder vorstellen, dass etwa 70 Prozent des Wassers der Spree gehobenes Sümpfungswasser aus den Tagebauen ist. Wenn wir die Tagebaue runterfahren, fehlen diese 70 Prozent. Das ist nicht nur ein lokales Problem für den Spreewald; das trifft zum Beispiel auch für das Wasserwerk Friedrichshagen hier in Berlin zu, wo jeden Tag 100 000 Kubikmeter aus dem Uferfiltrat entnommen werden: Wenn das Wasser nicht mehr kommt, wird es an der Stelle ein Problem geben.
Diese ganzen komplexen Zusammenhänge sind aus meiner Sicht nicht ausreichend betrachtet, und ich möchte hier auf EU-Vorgaben hinweisen: Wir haben eine EU-Gewässerrahmenrichtlinie, die bis 2027 umgesetzt werden muss. An dieser Stelle frage ich mich: Wie bekommen wir dann das Thema der Gewässerqualität in den Griff? Wir können zurzeit in Ostsachsen und in Südbrandenburg beobachten, dass wir, wenn wir so einen unkoordinierten Ausstieg in die Wege leiten, erhebliche Probleme mit der Gewässerqualität haben. Das kostet den Bund über die LMBV übrigens jedes Jahr 10 Millionen Euro, die dafür aufgebracht werden müssen. Das sollte man alles mit berücksichtigen.
Ich möchte nicht, dass wir uns in einigen Jahren die gleichen Fragen stellen müssen, wie wir es beim EEG von März 2000 tun müssen: Mit dem EEG haben wir die Biogasanlagen anständig gefördert und stellen jetzt mit Erschrecken fest, dass ein Insektensterben eingesetzt hat und dass die ökologischen Agrarsysteme in Qualität und Quantität deutlich geschrumpft sind. Das müssen wir in Zukunft verhindern.
Zur Strukturentwicklung ist heute hier wenig gesagt worden, weil ja die Kollegen aus dem Wirtschaftsausschuss als Redner nicht zum Zuge kamen. Ich sage: Wir können in einer Region nicht immer nur meckern, sondern wir müssen auch ganz konkrete Vorschläge machen. Ich glaube, da werden wir in den nächsten Wochen und Monaten mit Vorschlägen kommen, die auch vom Bund relativ schnell umgesetzt werden können, ohne dass damit erhebliche finanzielle Aufwendungen erforderlich sind.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist der fraktionslose Abgeordnete Mario Mieruch.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Klimaschutz, Umweltschutz, sorgsamer Umgang mit Ressourcen – wer will dagegen etwas sagen? Das ist sinnvoll, und das kann keiner negieren. Die Frage ist allerdings, wie man so etwas formuliert. Wenn man in den vorliegenden Anträgen Beispiele liest – ich zitiere das –: „Bereits bei einer Erhitzung um zwei Grad drohen irreversible Kipppunkte, wie zum Beispiel das Abschmelzen des grönländischen Eisschildes. In der Folge droht eine „Heißzeit“ mit 4-5 C globaler Erderhitzung und einem Anstieg des Meeresspiegels um zehn bis 60 Meter“, dann stellt sich mir die Frage: Warum diese Hysterie in dieser Form? Denn Grönland heißt „Grünland“; und das heißt es nicht, weil das einfach mal eben einer erfunden hat, sondern wenn man in Bohrkernen Bäume, Schmetterlinge und Insekten findet, dann muss es ja einmal eine Zeit gegeben haben, in der das Eis, das wir dort heute haben, nicht dagewesen ist. Und dann stellt sich die Frage, wie irreversibel dieses Eis dort eigentlich hingekommen ist.
Dann ist heute auch die Dürre angesprochen worden. – Ja, wir hatten Dürrephasen. Wir haben in Europa aber auch um 1540 eine Dürre gehabt, die um ein Vielfaches extremer ausgeprägt war. Wir hatten aber nur ein Achtel der Weltbevölkerung, und es stellt sich die Frage: Sind die damals zu viel Diesel gefahren? Jetzt sagen natürlich wieder welche – das kommt jetzt auch gleich wieder –: dass man das leugnet und dass man den Fakten nicht glaubt.
Und dann wird auf Seiten verwiesen wie klimafakten.de . Da kann man schön draufschauen; da reicht ein Blick ins Impressum, um zu sehen, wem so eine Seite eigentlich gehört. Das ist nämlich SEFEP GmbH. Und wer hat SEFEP ins Leben gerufen? Der frühere Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und vormalige Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Rainer Baake, zu dessen Zeit im Ministerium ausgerechnet die DUH einen millionenschweren Dienstleistungsvertrag abgriff. Das ist schon ein klein wenig seltsam.
Damit könnten wir stundenlang weitermachen, aber ich habe noch ein paar einfache, richtige, reale Fakten – das hat insbesondere die Gäste, die oben auf den Tribünen sitzen, sicherlich gerade wieder ereilt, wie auch mich selbst –: Vor zwei Tagen kam das Schreiben von meinem Strompreisanbieter: plus 25 Prozent in der Kilowattstunde und im Grundpreis. Das sind die realen Auswirkungen, die die Menschen hier spüren.
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Wenn wir sagen, dass wir vernünftige Klimaschutzpolitik machen wollen, dann sollte das vielleicht ein sinnvolles bzw. ein vernünftiges Geschäft sein, das sich nicht im Geldbeutel der Steuerzahler abspielt und halt eben nicht in Form von modernem Ablasshandel oder CO 2 -Abscheidungen stattfindet, für die es noch gar keine sinnvollen Technologien gibt. Die Steuergeschenke unserer Regierung sind dagegen leider völlig wirkungslos; denn am Ende wird den Menschen auf diese Art und Weise das Geld entzogen.
Vielen Dank.
Danke. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Klaus Mindrup für die Fraktion der SPD.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Klimaschutz geht es um Solidarität. Es geht um Solidarität mit den Menschen des globalen Südens; das ist hier eben schon deutlich gemacht worden. Diese leiden bereits heute erheblich unter den Folgen des menschengemachten Klimawandels. Aber es geht auch um Solidarität mit den zukünftigen Generationen. Es geht auch um unser Land. Nach der hervorragenden Rede unseres Bundespräsidenten Dr. Steinmeier am 9. November sind hier alle aufgestanden und haben die Nationalhymne gesungen, auch die Passage: „... blühe, deutsches Vaterland!“
Aber das deutsche Vaterland hat im letzten Sommer nicht geblüht, weil wir eine Dürre hatten, und die Klimawissenschaftler sagen, dass das die ersten Vorboten einer Entwicklung sind, vor der wir uns fürchten und gegen die wir vorgehen müssen. Wer diese Hymne also zukünftig mit Überzeugung singen will, der muss etwas gegen den menschengemachten Klimawandel tun. Das ist eine Frage der Solidarität.
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Es ist eine Frage der Solidarität mit den Menschen an den Küsten – auch bei uns: mit den Ostfriesen, mit den Nordfriesen, mit Hamburg, mit Bremen, mit Rostock, mit Stralsund und mit Emden. Das kann man nicht einfach leugnen.
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Ich werde an dieser Stelle den Satz wiederholen, den ich hier schon mal gesagt habe: Jeder hat ein Recht auf eigene Meinung, aber niemand hat ein Recht auf eigene Fakten.
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Ich möchte daran erinnern, dass „Monitor“ kürzlich einen Bericht gebracht und darüber berichtet hat, wie in den USA die Meinung durch Öl- und Gasmultis manipuliert wird, die Desinformationskampagnen verbreiten, und dass in der Zwischenzeit klar ist, dass dieses Geld auch nach Deutschland fließt. Ich habe jetzt wenig Zeit, aber wir werden uns genau angucken, wer hier wen für Desinformation bezahlt. Das ist nicht erträglich.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wir müssen auch fair miteinander umgehen. Ich gehe mit euch auch fair um. Wir haben das Klimaziel 2020 nicht aufgegeben,
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sondern wir haben gesagt, dass wir es so schnell wie möglich erreichen wollen. Das haben wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner vereinbart. Und es ist wirklich nicht trivial, was wir hier vor uns haben: Wir haben einen grundlegenden Umbau unserer Industriegesellschaft vor uns, und dafür brauchen wir eine breite gesellschaftliche Akzeptanz, und dafür nehmen wir uns Zeit, auch wenn die nächsten zehn Jahre entscheidend sind. Aber die Voraussetzungen sind wichtig!
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Wir werden hier morgen einen Beschluss fassen, mit dem wir die Ausbaumengen für die erneuerbaren Energien deutlich erhöhen. Und wir werden etwas für die Kraft-Wärme-Kopplung tun.
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– Lieber Toni Hofreiter, wenn es – – Wer war es? – Ach, du warst es, okay.
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Ich habe gehört: Es reicht nicht. –
Aber nehmt doch bitte zur Kenntnis, dass die SPD an dieser Stelle für den Klimaschutz kämpft, dass wir für neue Investitionen in die Erneuerbaren kämpfen, und nehmt bitte auch zur Kenntnis, dass die Jahre 2014 bis 2018 Rekordjahre für den Ausbau von Windenergie waren –
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und das haben wir gemacht. Dabei sind gleichzeitig die Kosten gesunken. Wir haben dafür gekämpft, dass der zu niedrige Korridor im EEG – da waren wir uns doch einig – jetzt erhöht wird. Das machen wir über die Sonderausschreibungen.
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Wir haben hier zusammen mit der Union einen Antrag vorgelegt, die gemeinsam mit uns handelt. Ich weiß, dass das nicht einfach ist, weil es auch in der Union unterschiedliche Positionen gibt. Dieser Antrag benennt, was wir international tun müssen, was wir europäisch tun müssen und was wir national tun müssen.
Wir wollen einen Anteil der Erneuerbaren von 65 Prozent. Wir wollen Nutzen statt Abriegelung. Wir wollen die Quartierslösung. Wir wollen Power‑to‑X,
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und wir wollen den Umbau unserer Industriegesellschaft. Und wir tun es!
Danke schön.
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Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Peter Stein für die Fraktion der CDU/CSU.
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Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Wir Deutschen verbrauchen doch nur 2 bis 3 Prozent der Ressourcen und retten das Klima nicht, wenn wir uns einschränken“, hört man immer wieder. Aber es geht nicht um Einschränken; es geht um viel mehr: Es geht um Intelligenz. Wir Deutschen verbrauchen pro Kopf momentan Ressourcen, als ob wir drei Erden hätten. Wir haben aber nur diese eine, und wir müssen lernen – ob wir wollen oder nicht –, diese eine zukünftig mit 11 Milliarden Menschen zu teilen. Also müssen wir unsere Intelligenz einsetzen, um unseren eigenen Verbrauch von Ressourcen auf ein Drittel zu reduzieren – ohne uns allzu sehr einschränken zu müssen, ohne unsere Menschen durch Fahrverbote, Essverbote, Tütenverbote, Spaßverbote ständig zu gängeln. Wir brauchen viel mehr, vor allem zwei Dinge: Verständnis in der Bevölkerung, deren Akzeptanz, und den Einsatz unserer Intelligenz.
Es zeugt eben nicht von Intelligenz, den Menschen immer nur Vorschriften machen zu wollen, um Probleme zu lösen. Es zeugt auch nicht von Intelligenz, mit Software zu betrügen, um Probleme zu lösen. Es zeugt auch nicht von Intelligenz, den Klimawandel zu leugnen.
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Den Einfluss des Menschen auf Klimaveränderungen zu leugnen, zeugt vielmehr von höchster Ignoranz und Dummheit. Unsere Verantwortung für einen um zwei Drittel zu hohen Konsum nicht zu sehen, zeugt von der Verweigerung, die Zukunft der einen Welt für unsere Enkel zu erhalten.
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Ich greife jetzt einmal in aller Kürze zwei Bereiche heraus, in denen wir Deutsche höchste Kompetenz besitzen.
Beispiel Städtebau. Wenn wir weiterhin in dem Maße wie bisher weltweit mit Beton und Asphalt bauen, dann erreichen wir alleine durch Herstellung dieser Baustoffe den in Paris vereinbarten CO 2 -Deckel. Der Einsatz erneuerbarer Baustoffe, ressourcenschonende Bauweisen und auch die Rückbesinnung auf traditionelle Bauformen, da liegt der globale Schlüssel für nachhaltige Siedlungsentwicklungen. Gerade hier brauchen wir deutlich mehr Augenmerk, mehr Forschung und mehr Entwicklung.
Das gilt auch für Klimaanpassungs- und Resilienzmaßnahmen. Es geht hier der Dank an die Bundesregierung und besonders an Entwicklungsminister Müller dafür, dass sie im Rahmen der Allianz für Entwicklung und Klima den deutschen Beitrag zur Klimafinanzierung durch Verdoppelung auf 4 Milliarden erhöht haben. Denn: Klimafolgen treffen meist die Schwächsten, und die Millionen in den Slums sind die Migranten von morgen. Wir müssen die Städte als Bindekraft in ihrer Heimat entwickeln und gleichzeitig Lebensperspektiven auf dem Land erhalten. Zur Entlastung der auch klimapolitisch nicht mehr steuerbaren Megacitys ist die Stärkung der Klein- und Mittelständler unabdingbar.
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Herr Stein, gestatten Sie eine Zwischenfrage von den Grünen?
Ich gebe ihnen nachher Zeit, sich zu äußern. – Danke schön.
Wir brauchen, wie gesagt, ressourcenschonenden Städtebau.
Thema Mobilität: Ich plädiere für Technologieoffenheit, für den Wettkampf der Technologien um die beste, effizienteste und ressourcenschonendste Lösung. Ich plädiere für vernetzte, moderne Mobilitätsformen, für einen leistungsstarken Modal Split für Jung und Alt, sportlich oder auch gehandicapt. Ich plädiere für autonomes und automatisiertes Fahren, das neben der Digitalisierung die Möglichkeit für Leben und Arbeiten auf dem Land erhöht. Das verringert Pendlerströme und nimmt den Siedlungsdruck aus den Ballungsgebieten. Das gebietet uns übrigens auch unser Grundgesetz. Wir brauchen ressourcenschonende Mobilität.
Für all dieses vernetzte Organisieren einer nachhaltigen Lebensstruktur brauchen wir neben unserer persönlichen auch die künstliche Intelligenz. Wir brauchen Digitalisierung. Wir brauchen leistungsfähige Datenstrukturen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verweigerung, den Ausbau des schnellen 5G-Mobilfunkes nicht flächendeckend, nicht schnellstmöglich und nicht an jeder Milchkanne vorzusehen, ist nicht intelligent und nach meiner festen Überzeugung auch klimapolitisch töricht.
Herzlichen Dank.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bereits vor drei Wochen debattierten wir hier über den größten Steuerbetrug der Geschichte: Cum/Ex- und Cum/Cum-Deals. Heute geht es um Cum-Fake. Man fragt sich: Wo ist eigentlich der Finanzminister?
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Vor drei Wochen war der häufigste Satz der GroKo-Parteien in dieser Debatte: Es gibt kein Problem; es gibt nichts Neues. – In Prozenten ausgedrückt würde ich sagen: Da lagen Sie 100 Prozent daneben.
({1})
Es dauerte zwei Wochen bis zu den Cum-Fake-Enthüllungen. Cum-Fake ist aber noch dreister als Cum/Ex, weil es um Betrug mit Phantomaktien geht, auf Deutsch: mit Aktien, die es gar nicht gibt. Vereinfacht gesprochen wird bestimmten Investoren bei Dividendenausschüttung die Kapitalertragsteuer erstattet, weil auf diese Gewinne auch Unternehmensteuer fällig ist. Bei den Cum/Ex-Deals haben sich Gangster in Nadelstreifen Kapitalertragsteuern mehrfach erstatten lassen, die sie nur einmal gezahlt hatten. Der größte Dieb, der Brite und Hedgefondsmanager Sanjay Shah, hat angeblich seine Jacht auf den Namen Cum/Ex getauft.
({2})
Auf Cum/Ex-Partys scherzten Finanzmafiosi, dass doch jene den Raum verlassen sollten, die ein Problem damit hätten, wenn jetzt weniger Kindergärten gebaut würden. Wenn Geld stinkt, ist Cum/Ex ein großer Misthaufen.
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Es dauerte zehn Jahre, bis Finanzminister das Cum/Ex-Schlupfloch schlossen. Zuvor ließ man die Bankenlobby an Gesetzen rumschrauben. Die Cum/Ex-Party der Bankster kostete uns laut Professor Christoph Spengel bis zu 32 Milliarden Euro hier in Deutschland. Das sind 1 Million Euro für jede Schule in Deutschland oder 400 Euro für jeden Bundesbürger. Bei den neuen Enthüllungen über Cum-Fake geht es um sogenannte American Depositary Receipts, kurz ADRs. Das sind handelbare Wertpapiere, die von Banken in den USA begeben werden und mit ausländischen Aktien bei einer Depotbank hinterlegt werden müssen. ADRs kann man aber vorab begeben, wenn Aktien noch überhaupt nicht geliefert wurden. Dadurch werden Steuererstattungen erworben, ohne dass Steuern gezahlt wurden. Das ist so, als ob ich mir zu Hause Pfandbons drucken, aber keine Flaschen abgeben würde und dann zur Supermarktkasse ginge, um die Hand aufzuhalten. Wo leben wir eigentlich? Eine Kassiererin in Deutschland verliert ihren Job, weil sie Pfandbons im Wert von 2 Euro einsteckt, während Bankster, die Pfandbons in Millionenhöhe drucken, noch immer auf freiem Fuß sind.
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Die US-Börsenaufsicht SEC ermittelte seit 2014 gegen die Deutsche Bank – bei der heute eine Razzia wegen des Verdachts auf Geldwäsche stattfand – wegen Cum-Fake-Deals. 2016 berichtete das „Wall Street Journal“ im Internet über diese Ermittlungen. Ich vermute, dass es Internet auch im Finanzministerium gibt.
({5})
Am 18. Juli informierte die Deutsche Bank die hiesige Finanzaufsicht über den 75-Millionen-Dollar-Vergleich mit den US-Behörden. Aber erst im November, nachdem Journalisten Cum-Fake entdeckten, setzte das Ministerium die digitale Erstattung der Kapitalertragsteuern aus. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder hat das Finanzministerium vom Settlement der Deutschen Bank nichts gewusst, oder es hat erst gehandelt, als die „Tagesschau“ vor dem Ministerium stand. Offenbar gibt es aber weiterhin ein Problem. Sonst hätten Sie diese Maßnahme nicht ergriffen. Wir haben daher Fragen.
Erstens. Warum verfügt das Bundeszentralamt für Steuern angeblich über keine Zahlen zu Steuererstattungen wegen ADRs? Das ist ein digitales Verfahren, wo Banken das Kontrollkästchen „ADR“ anklicken. Ich finde, das ist überhaupt nicht nachvollziehbar.
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Zweitens. Warum behaupten Sie, dass Cum-Fake seit 2012 nicht mehr möglich sei, obwohl die Deutsche Bank in ihrem Vergleich mit den US-Behörden solche Geschäfte bis 2014 einräumte? Der Chef der Steuergewerkschaft sagte, die Steuerverwaltung sei auf dem Fahrrad unterwegs, aber die Steuerdiebe mit dem Ferrari. Deswegen ist es Zeit für die Kavallerie. Wir brauchen eine Bundesfinanzpolizei und eine Taskforce aus Finanzaufsicht und Steuerverwaltung. Die Erstattung von Kapitalertragsteuern muss jetzt systematisch analysiert werden.
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Drittens. Erstattungen darf es nur noch für echte Aktien, nicht für Fake-Aktien, nicht für Phantomaktien und auch nicht für ADRs geben.
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Viertens. Wir müssen in spezielle Staatsanwaltschaften investieren. Wir brauchen ein Unternehmensstrafrecht. Wir brauchen Waffengleichheit mit den Bankstern made in Germany.
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Dänemark erwägt, Finanzinstituten die Geschäftslizenz zu entziehen. Das können wir in Deutschland auch. Die Deutsche Bank hat eine kriminelle Unternehmenskultur. Am Ende haften die Steuerzahler für die Strafen, wenn die Bank wegen lauter Strafzettel pleitegeht. In einem Rechtsstaat entscheiden Gerichte. Aber es herrscht auch Meinungsfreiheit. Meine Meinung ist: Cum-Fake-Bankster gehören in den Knast.
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Vielen Dank. – Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, teile ich mit, dass bei der Wahl des Datenschutzbeauftragten zwei Geldscheine – Euro-Währung – vor der Lobby gefunden worden sind.
({0})
Ich glaube, dass ein Zusammenhang mit dieser Wahl in keiner Weise gegeben sein kann. Wenn sich kein Besitzer meldet, beabsichtige ich, das Geld in die Kaffeekasse für den Plenardienst zu stecken.
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Wenn sich jetzt noch jemand traut, sich zu melden, dann hat er natürlich das Recht, das Geld hier abzuholen.
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Der nächste Redner ist Olav Gutting für die Fraktion der CDU/CSU.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leider müssen wir uns heute an dieser Stelle schon wieder mit kriminellem Steuerbetrug auseinandersetzen. Diesmal geht es um die inzwischen angelaufene Prüfung, ob es Geschäfte mit sogenannten Phantomaktien in Deutschland gegeben haben könnte. Die Frage, ob es ein neues System von einigen Banken und Investoren gibt, um den Staat mit unechten Aktien um Steuergeld zu prellen, steht im Raum. Die Antwort – das muss man offen sagen – steht noch nicht fest. Deshalb ist die heutige Debatte für eine seriöse Analyse dieses Problems eigentlich viel zu früh.
Herr De Masi, es ist, glaube ich, nicht zulässig, dass Sie hier Cum/Ex mit Cum-Fake vermischen, die Schäden einfach zusammenwerfen. Das sind zwei Paar Schuhe. Wenn man das seriös diskutieren will, dann kann man das nicht zusammenwerfen. Was man allerdings sicher sagen kann, egal ob Cum/Ex oder Cum-Fake mit Phantomaktien: Es geht hier nicht um Steuersparmodelle, nicht um Steuern sparen, sondern es geht um kriminelle Machenschaften, um Betrug mit Kapitalertragsteuerbescheinigungen.
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Aber der Reihe nach. Bisher gehen Staatsanwaltschaften einer bislang unbekannten Masche nach, mit der einzelne Banken, einzelne Aktienhändler möglicherweise deutsches Steuergeld ergaunert haben könnten. Ja, es soll Auffälligkeiten bei Geschäften mit American Depositary Receipts, ADR, gegeben haben; das ist richtig. Das sind von amerikanischen Banken ausgegebene Hinterlegungsscheine nichtamerikanischer und damit natürlich möglicherweise auch deutscher Aktien, die an US-Börsen gehandelt werden.
Offensichtlich ist auch, dass es nach ersten Untersuchungen so aussieht, als ob Millionen dieser ADRs, die in den USA herausgegeben wurden, eben nicht mit echten Aktien hinterlegt waren. Und wenn das so ist, dann wurden diese wahrscheinlich genutzt, um unberechtigte Steuervorteile außerhalb der USA zu erlangen, und dazu gehört wahrscheinlich auch Deutschland. Ob dieser Missbrauch aber auch dazu genutzt wurde, deutsche Kapitalertragsteuer zu erschleichen, das wissen wir noch nicht; das muss erst aufgeklärt werden.
Der Sachverhalt wird nun untersucht, sowohl von der BaFin wie auch vom Bundeszentralamt für Steuern und vom Bundesministerium der Finanzen. Und wenn sich herausstellen sollte, dass in Einzelfällen Steuerbescheinigungen für ADRs, für Aktien ausgestellt wurden, die nicht wirklich im Depot der Banken waren, dann – das ist völlig klar – müssen die Institute selbstverständlich für den möglicherweise entstandenen Schaden haften. Wir können dann auf diese Institute auch zugreifen, wenn sie in Deutschland sind.
Der Sachverhalt muss jetzt schonungslos aufgeklärt werden, und zwar im Geschäftsbereich des Finanzministeriums, aber auch und gerade durch die Justiz. Im Kampf gegen Betrüger – und da sind wir uns im Haus, denke ich, alle einig – stehen wir zusammen. Aber ich glaube, dass es der falsche Weg ist, wenn wir hier verfrüht und unseriös über dieses Thema debattieren und wenn wir die Semantik der Linken verwenden. Da wird jetzt von einem Unternehmensstrafrecht gesprochen, um die kriminelle Kultur in den Vorstandsetagen auszumerzen. Ich glaube, das ist zu allgemein.
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Mit Pauschalvorwürfen, dass Vorstandsetagen in Unternehmen grundsätzlich kriminell sind und die Bundesregierung nicht in der Lage wäre, das zu bekämpfen und nicht willens wäre, das aufzuklären, liegen Sie einfach falsch. Wenn einige heute eine Show abziehen und sich als die Rächer der Enterbten darstellen wollen,
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dann mögen sie das tun; aber das bringt uns nicht wirklich weiter in der Bekämpfung unseres gemeinsamen Feindes, und das sind diese Betrüger.
Es gibt in allen gesellschaftlichen Bereichen Betrüger. Das muss man wissen. Es gibt sie in der Wirtschaft, aber auch bei Hartz‑IV-Empfängern.
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So etwas gibt es. Es gibt Betrüger immer wieder. Das jetzt nur auf Banker zu beziehen, ist einfach unredlich. Betrug zulasten der Allgemeinheit muss konsequent bekämpft werden. Er muss konsequent aufgeklärt und konsequent verfolgt werden. Das tun wir, und das machen auch unsere Justizbehörden.
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Wir brauchen Seriosität bei der Aufklärung dieses neuen Sachverhaltes. Alles andere, was hier teilweise gerade von der Linken behauptet wird, spaltet die Gesellschaft, und das können wir alle nicht wollen.
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Vielen Dank. – Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahl des Datenschutzbeauftragten bekannt geben: Von den 709 Mitgliedern des Bundestages haben 658 ihren Stimmzettel abgegeben, ungültige Stimmzettel 1. Mit Ja haben gestimmt 444, mit Nein haben gestimmt 176, Enthaltungen 37. Der Abgeordnete Uli Kelber hat die erforderliche Mehrheit von mindestens 355 Stimmen erreicht.
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Wenn Sie mit den Glückwünschen noch einen Moment warten können. – Ich würde gerne feststellen, dass der Abgeordnete Kelber gemäß § 11 Absatz 1 Bundesdatenschutzgesetz zum Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit gewählt worden ist. Herr Kelber, nehmen Sie die Wahl an?
Ich nehme die Wahl an, Herr Präsident.
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Herzlichen Glückwunsch und eine erfolgreiche Amtsausübung, ein glückliches Händchen!
Da Sie – das verlangt die Gewaltenteilung –, bevor Sie Ihren Dienst in Bonn antreten, Ihr Mandat niederlegen müssen, möchte ich Ihnen dafür danken, dass Sie 18 Jahre lang Mitglied dieses Hauses gewesen sind.
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Sie waren immer ein streitbarer, ein kompetenter und auch – wenn man darauf schaut, wie die Bundesstadt Bonn blüht und prosperiert – ein erfolgreicher Abgeordneter.
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Dafür möchte ich im Namen des ganzen Hauses danken.
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Jetzt dürfen alle gratulieren, aber wir fahren trotzdem mit der Debatte fort.
Nächster Redner ist der Abgeordnete Kay Gottschalk für die AfD.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Steuerzahler da draußen, oder besser gesagt: Lieber geprellter Bürger! Wieder einmal sind es die ehrlichen Steuerzahler, die betrogen werden, wieder einmal hat diese glorreiche Regierung zugeschaut. Und, Herr Gutting, was Sie gesagt haben, das trägt nicht: Sie tragen nun einmal Regierungsverantwortung. Da kann man sich nicht immer wegducken, wenn es unangenehm wird, insbesondere wenn man die Debatte zu Cum/Ex vor drei Wochen dazu gehört hat.
Diesmal heißt der Skandal: Cum-Fake, eine perfide Weiterentwicklung der Cum/Ex-Geschäfte, über die wir hier schon diskutiert haben. Hierbei handelt es sich – die Kollegen haben es eben ausgeführt – um, neudeutsch ausgedrückt, ADR-Papiere, bei denen Kunden Steuererstattungen für Aktien erhalten, die nie vorhanden waren und auf die auch nie Steuern gezahlt worden sind. Man möchte meinen, es ist die Maschine des endlosen Reichtums, die Sie hier zulassen. Und nochmals: Fake News? Nein, diese neue Affäre, die diese Regierung mit zu verantworten hat, heißt: Cum-Fake.
Da ich aus der Versicherungswirtschaft komme, möchte ich Ihnen – das war ja eben ein bisschen sehr verklausuliert; Sie auf den Zuschauertribünen denken wahrscheinlich: was ist das? – das an einem Beispiel aus der Versicherungswirtschaft klarmachen.
Nehmen Sie da draußen also an, Sie haben einen Kumpel, der Versicherungsagent bei der La Banania ist – verwechseln Sie das nicht mit der Regierung oder mit dem Bundesfinanzministerium –, und Sie haben bei dieser La Banania rein zufällig eine Hausratversicherung. Nun stellt dieser Kumpel Ihnen einen Scheck über 10 000 Euro aus, weil angeblich Ihr teurer Flachbildschirm geklaut wurde. Allerdings gab es weder diesen Einbruch noch hat je dieser Flachbildschirm existiert.
Meine Damen und Herren, der Flachbildschirm ist die Phantomaktie, der Kumpel ist die Bank, die dafür sicherlich, ebenso wie der Kumpel, auch noch einen Tausender kassiert hat, und die Versicherung, meine Damen und Herren, sind Sie. Sie sind nämlich die Geprellten und werden zur Kasse gebeten. Und das passiert alles unter den Augen dieser Regierung, die Sie gewählt haben. Das kann man mit Recht so sagen; das ist auch kein Populismus. Die Wahrheit stempeln Sie in diesem Hause ja gern als Populismus ab, liebe Kollegen. Sie haben damals gelacht, und Sie haben auch einen Untersuchungsausschuss – dazu komme ich gleich noch – zu dieser sogenannten Affäre ins Leben gerufen. Ich hoffe, Ihre Zwischenrufe von vor drei Wochen bleiben Ihnen im Halse stecken.
Die Citibank hat übrigens nach den Ermittlungen der SEC einem Vergleich über 38,7 Millionen US-Dollar zugestimmt. Auch zwei Töchter der Deutschen Bank – ja, wieder einmal die Deutsche Bank – haben im Juli einem solchen Vergleich zugestimmt. Da waren es 75 Millionen Dollar. Ich denke, meine Damen und Herren, das ist erst die Spitze des Eisberges.
Wenn ich an die Debatte vor drei Wochen, die Zwischenrufe und den Untersuchungsausschuss denke, dann halte ich es schon für ziemlich keck, wie Sie, Herr Gutting, sich hier wegducken. Der Untersuchungsausschuss zu der Affäre, zu den Cum/Ex-Papieren, liebe Damen und Herren auf den Tribünen, kam damals, von CDU/CSU und SPD dominiert, zu dem Ergebnis, dass ein solcher Untersuchungsausschuss gar nicht nötig gewesen wäre, weil es die Cum/Ex-Geschäfte seit 2012 faktisch nicht mehr gibt. Nochmals: Die Cum-Fake-Geschäfte sind die perfide Weiterentwicklung; es gibt sie offenbar doch weiterhin unter Ihrer Regentschaft. Meine Damen und Herren, ich sage es noch mal: Sie haben uns damals Populismus vorgeworfen, und das ist Ihr Umgang mit der Wahrheit.
Beim jüngsten Skandal muss ich dieser Regierung konstatieren, dass sie wohl mit einem hochansteckenden Virus infiziert ist. Die Symptome sind ein pathologisches Nicht-eingestehen-Wollen von Fehlern und ein fieberhaftes „Weiter so, wir schaffen das“ – Frau Merkel ist leider nicht da –; keine Spur, aus Fehlern zu lernen und den deutschen Steuerzahler zu schützen. Ein weiteres Phantom scheint der Gedächtnisverlust zu sein. Mit der Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich noch mal Dr. Spengel, der sich zu diesem Ausschuss geäußert hat: Das Ignorieren dieser Cum/Ex-Geschäfte führten die Experten auf ein „Desinteresse der politischen Führungsebene“ – eben der Regierung – und eine nicht implementierte Governance zurück.
Diese fehlende Führung im BMF kann man auch hier sehr gut erkennen; denn laut Artikel in der „Wirtschaftswoche“ vom 22. November 2018 wurden jetzt hektische Prüfanträge an die Finanzämter verschickt. Man höre und staune! Man ist also offenbar nicht mehr Herr der Situation und hinkt den Problemlösungen wie so oft weit hinterher, weil hier überhaupt keine Waffengleichheit herrscht oder weil sie sich eventuell von den falschen Wirtschaftsberatungsgesellschaften diese Gesetze schreiben lassen, in denen dann schon die Hintertüren implementiert sind.
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Meine Damen und Herren, Gott sei Dank gibt es die AfD, eine blaue Medizin.
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Wir helfen Ihnen gern in den nächsten Wochen und Monaten bei der Aufarbeitung. Wir als AfD werden uns hier konstruktiv
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und gemeinsam mit den anderen Oppositionsparteien dafür einsetzen, dass dieser Skandal lückenlos aufgedeckt wird, die Verantwortlichkeiten offengelegt werden und nicht wieder in einer Schublade eines Untersuchungsausschusses verschwinden, wo Sie erneut zu dem Ergebnis kommen: Dieser Untersuchungsausschuss wäre nicht nötig gewesen.
Es ist Ihr Geld, meine Damen und Herren. Seien Sie da kritisch! Schauen Sie genau hin! Wir werden uns beteiligen.
Herzlichen Dank.
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Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Cansel Kiziltepe für die Fraktion der SPD.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon wieder müssen wir uns mit einem Fall von Steuertrickserei im Finanzsektor beschäftigen. Cum/Ex, Cum/Cum, Cum-Fake – wenn das so weitergeht, dann kommen wir allein bei der Benennung der Tricks bald nicht mehr hinterher. Was kommt als Nächstes? Cum-Selbstbedienung?
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Eines will ich klar und deutlich sagen: Der Staat ist kein Selbstbedienungsladen, und das werden diese kriminellen Banden auch zu spüren bekommen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Fall zeigt: Es ist möglich, mit Phantompapieren Steuergelder zu ergaunern. Ob und wie das passiert ist, wird momentan von der Staatsanwaltschaft Köln im Falle einer deutschen Bank geprüft. Doch die meisten Täter sitzen vermutlich gar nicht in Deutschland wie in diesem Fall, sondern an der Wall Street; denn dort wurden die Phantompapiere emittiert – weit weg vom Finanzministerium und unserer Staatsanwaltschaft.
Deswegen wird es vermutlich noch etwas dauern, bis wir alles erfahren; aber eines wissen wir: Es lässt sich noch Schlimmeres vermuten. Die amerikanische Börsenaufsicht hat die Citibank und die Deutsche Bank für die Ausstellung dieser Phantompapiere zur Rechenschaft gezogen. Das betraf allerdings nur die Ausstellung der Papiere, weil allein die Ausstellung an der amerikanischen Börse verboten ist. Ob und in welchem Umfang diese Papiere genutzt wurden, um sich unrechtmäßig Steuern in Deutschland zurückerstatten zu lassen, muss noch geklärt werden.
Heute gab es eine Tickermeldung über eine Razzia bei der Deutschen Bank. Das Bundeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft Frankfurt prüfen das ab heute bei der Deutschen Bank. Ich frage mich, ehrlich gesagt: Was muss die Deutsche Bank noch machen, um die Banklizenz zu verlieren?
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Einen Kinderpornoring finanzieren? Oder was muss noch geschehen?
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Klar ist: Wir reden hier nicht über Kavaliersdelikte, sondern über Kriminalität im Nadelstreifenanzug.
Dieser Fall könnte sogar noch aggressiver als Cum/Ex sein; das werden wir sehen. In diesem Fall wurden nämlich Aktien mehrfach verwendet, um Steuern zurückzufordern. Bei Cum-Fake muss die Aktie noch nicht einmal vorhanden sein; das ist das Perfide. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist Umverteilung par excellence, von den Steuerzahlern zur Finanzindustrie. Oder in anderen Worten: Statt Kindergärten für alle gibt es jetzt Jachten und Sportautos für wenige. Das stellt den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft infrage. Deswegen werden wir Tricks wie Cum/Ex und Cum-Fake nicht hinnehmen.
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Ein Schritt, den wir bereits in Angriff genommen haben, ist die Anzeigepflicht für Steuergestaltungsmodelle. Diese werden wir noch in dieser Legislaturperiode bzw. bis zum Ende des nächsten Jahres einführen. Damit soll endlich die Grauzone zwischen Steuergestaltung und Steuerhinterziehung genauer durchleuchtet werden. Wir als SPD-Fraktion sind der Meinung, dass diese Anzeigepflicht sowohl für grenzüberschreitende Modelle als auch für nationale Steuergestaltung gelten muss.
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Wir dürfen uns aber nichts vormachen: Das wird vermutlich nicht reichen; dafür ist die Fantasie zu groß. Weder wird es die Täter davon abhalten, sich noch mal daran zu versuchen, noch werden die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl los, die Banker und Reichen kommen eh davon. Deswegen müssen wir uns Gedanken machen, wie wir die Täter und deren Gehilfen stärker und schneller bestrafen – mit einem Unternehmensstrafrecht zum Beispiel.
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Das wird nur klappen, wenn wir die internationale Zusammenarbeit zwischen den Behörden weiter ausbauen. Wenn sich gierige Hände aus der Finanzindustrie am Geld der Steuerzahler selbst bedienen, darf es keine Rolle spielen, wo diese Hände herkommen.
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Unsere Steuerfahnder und Staatsanwaltschaften müssen überall auf die relevanten Informationen Zugriff haben; denn wer den Staat als Selbstbedienungsladen betrachtet, hat nichts anderes verdient als die volle Härte des Gesetzes.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP der Kollege Dr. Florian Toncar.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte heute zum mutmaßlichen Betrug mit falschen Wertpapieren, mit denen ungerechtfertigte Steuererstattungen in Deutschland beantragt werden konnten, ist wichtig. Denn es geht bei dieser Frage auf den ersten Blick um Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler; aber es geht im Kern eigentlich um etwas noch Wichtigeres und Kostbareres: Es geht um das Grundvertrauen in der Mitte unserer Gesellschaft, dass es in diesem Land fair zugeht, dass Anstrengung und nicht Ruchlosigkeit belohnt wird, dass der Staat in der Lage ist, Regeln durchzusetzen, und sich nicht einfach ausnehmen lässt.
Es kann nicht sein, dass unser Staat im Kleinen akkurat ist, im Alltag der Bürger aber mit den wirklich großen Fragen, die er zu lösen hat, überfordert ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Genau deshalb fordern wir Aufklärung vom Bundesministerium der Finanzen. Gab es Betrug mit diesen American Depositary Receipts zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland, und, wenn ja, seit wann ist das in Ihrem Ministerium, Frau Staatssekretärin, bekannt? Wie hoch ist der mutmaßliche Schaden? Und was wurde in den letzten Jahren unternommen, um die Betrugsanfälligkeit der Kapitalertragsteuererstattung, die ja leider kein neues Thema ist, wirklich zu untersuchen und Lücken zu schließen? Was ist da in den letzten Jahren passiert? Das möchten wir von Ihnen wissen.
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Niemand wird heute vorverurteilt, auch nicht Bundesminister Scholz, auch nicht Sie, Frau Staatssekretärin. Ich finde bemerkenswert, wie die Fraktion der Sozialdemokraten heute hier aufgetreten ist, Frau Kollegin Kiziltepe, und wie zahm sie gestern im Finanzausschuss bei diesem Thema gewesen ist, als die Staatssekretärin berichtet hat. Niemand wird vorverurteilt, aber es müssen alle Fakten auf den Tisch. Ich sage auch, weil der Herr Minister gestern nicht im Ausschuss war und weil er heute nicht in dieser Debatte ist: Frau Staatssekretärin, Ihre Anwesenheit in Ehren, aber das Thema Betrug im Steuersystem muss spätestens seit der letzten Woche zur Chefsache in der Bundesregierung und im Finanzministerium werden.
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Der bisherige Umgang Ihres Hauses ist unbefriedigend und unzulänglich, weil die wichtigsten Fragen nicht ansatzweise geklärt worden sind. Noch letzten Freitag sagte der Bundesfinanzminister in der Haushaltsdebatte zu diesem Thema, übrigens an diesem Pult – ich zitiere –:
Es darf nicht sein, dass diese Dinge lässlich und dilatorisch behandelt werden.
So der Bundesfinanzminister vor wenigen Tagen. Genau das scheint momentan zu passieren. Es gibt bisher keine öffentliche Erklärung der Bundesregierung und des Bundesfinanzministeriums. Was wissen Sie? Was ist der Sachstand? Wie geht es weiter?
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Es ist gestern im Finanzausschuss in nichtöffentlicher Sitzung etwas erklärt worden – ich komme gleich darauf –, heute wiederum keine Erklärung der Bundesregierung. Sie hätte die Möglichkeit, in dieser Debatte zu sprechen. Sie scheut sich offensichtlich, der Öffentlichkeit zu sagen, was sie heute weiß und was sie zu tun gedenkt. Das ist ein völlig unangemessener Umgang mit diesem Problem, Frau Staatssekretärin.
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Das, was gestern im Ausschuss vorgetragen worden ist, hat die wesentlichen Fragen nicht beantwortet, sondern hat bei mir eher weitere Nachfragen ausgelöst. Nach mehreren Nachfragen unserer Fraktion und auch der Grünen – Kollege Schick ist hier – wurde dargestellt, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die deutsche Bankenaufsicht, am 18. Juli dieses Jahres erfahren hat, dass es ein Settlement, einen Vergleich, gibt zwischen der amerikanischen Aufsichtsbehörde SEC und einem deutschen Kreditinstitut, in dem die Möglichkeit eines Missbrauchs – so steht es in dem Vergleich – von American Depositary Receipts angegeben worden ist. Das haben Sie gestern irgendwann gesagt. Folgende Fragen sind aber bis heute nicht beantwortet worden: Was ist mit dieser Information passiert? Wer hat sie wann weitergegeben? Wann hat sie das Bundesfinanzministerium erreicht? Hat sie die Ebene der Staatssekretäre oder die Ebene des Ministers erreicht? Was waren die Folgen dieser Information? Was wurde damit gemacht? Was wurde veranlasst? Das ist doch politische Verantwortung. Es ist doch nicht zu viel verlangt, diese Informationen von Ihnen einzufordern.
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Nachdem das Ministerium gesagt hat, sie meinen, das – diese spezielle Betrugsmasche – geht seit 2011 nicht mehr, haben Sie am 15. November, vor wenigen Tagen, als Sie eine Medienanfrage dazu bekommen haben, plötzlich im Eilverfahren das sogenannte Datenträgerverfahren für die Erstattung von Kapitalertragsteuer ausgesetzt. Ja, wenn das System so sicher ist und Sie sich diese Aussage zutrauen: Warum muss dann das Verfahren doch irgendwie gestoppt werden? Das ist widersprüchlich. Da hätten wir gern eine bessere Erklärung.
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Wir meinen, meine Damen und Herren, der Minister muss jetzt der Öffentlichkeit erklären, was heute bekannt ist, und er muss erklären, was er auf welche Weise herausfinden will und bis wann. Es braucht einen strukturierten Prozess zur Aufklärung dieser Vorwürfe. Wir schlagen dazu vor, dass es einen Sonderbeauftragten gibt. Frau Staatssekretärin, Sie haben im Jahr 2018 in zwei Haushaltsplänen insgesamt fast 3 000 zusätzliche Stellen in Ihrem Geschäftsbereich bekommen. Nehmen Sie 20 davon und setzen Sie sie hin und überprüfen Sie auch die Einzelfälle von Kapitalertragsteuererstattungen daraufhin, ob es noch mehr Betrugsfälle gegeben hat oder nicht. Mit diesen 20 Menschen könnten Sie tatsächlich nicht nur viel Geld zurückholen, sondern auch Vertrauen wiederherstellen. Genau das erwarten wir von Ihnen und Herrn Minister Scholz in den nächsten Wochen.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben schon in der letzten Sitzungswoche über die Frage von Cum/Ex gesprochen. Deswegen ist jetzt die Frage: Warum ist das noch einmal notwendig? Der entscheidende Punkt ist, dass uns die Hinweise, die wir von Journalisten über einen neuen möglichen Trick bekommen, zeigen, dass die Probleme, die zu dem großen Steuerskandal Cum/Ex geführt haben, womöglich heute noch nicht überwunden sind, sodass wir jederzeit damit rechnen können, dass wieder Betrügerinnen und Betrüger am Finanzmarkt mit ihren Tricks durchkommen zum Schaden von uns allen. Das muss man verhindern.
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– Es gab sogar einzelne Frauen.
Was wir jetzt beobachten, ist, dass auf die konkrete Anfrage der Journalisten das Bundesfinanzministerium relativ zügig mit einer Veränderung des Verfahrens reagiert hat und Anweisungen an die Steuerbehörden gegeben hat. Es hat an dieser Stelle schnell agiert. Richtig so. Aber es stellt sich, wenn man sich die Prozesse genauer anschaut, die Frage: Warum nicht schon früher? Denn eigentlich ist die Informationskette in einer ordentlichen Verwaltung nicht, dass man über Anfragen von Journalisten auf große Probleme stößt, sondern es müsste eigentlich aus den nachgeordneten Behörden kommen, aus dem Haus selber. Es kann nicht dem Zufall überlassen sein, dass eine solche Information die Hausspitze erreicht.
({1})
Das genau hat der Untersuchungsausschuss gezeigt: Die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den Finanzmarktzuständigen, also insbesondere der Finanzaufsicht, und den Steuerbehörden hat dazu geführt, dass die Finanzaufsicht gesagt hat: „Da sind wir nicht zuständig, da geht es um Steuer“, und dass Steuerleute bei diesen Finanzmarkttricks nicht wussten, was wirklich passiert.
Deswegen ist es so wichtig, dass zusammengearbeitet wird. Jetzt schauen wir uns die neuen Ergebnisse in Bezug auf diese Frage an und stellen fest: Das Bundeszentralamt für Steuern hat sich, so die Auskunft, die wir bekommen haben, schon seit 2015 mit diesem Thema grob beschäftigt. Wir stellen fest, die Finanzaufsichtsbehörde BaFin hat in ihrer Eigenschaft als Mitwirkende in der neuen europäischen Aufsichtsstruktur seit einer ganzen Zeit, spätestens im Juli dieses Jahres, genaue Hinweise gehabt, dass die Deutsche Bank und andere Banken mit den amerikanischen Aufsichtsbehörden in Konflikt waren. Aber diese Informationen sind wieder nicht zusammengeführt worden, sondern sie haben erst eine Reaktion ausgelöst, als die Journalisten kamen. Da genau ist der Fehler. Das heißt, das Strukturproblem im Bundesministerium der Finanzen ist seit Beendigung des Cum/Ex-Tricks nicht überwunden worden. Wir müssen damit rechnen, dass so etwas jederzeit wieder passieren kann.
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Da müssen Sie und auch wir jetzt handeln. Das Europäische Parlament hat uns gezeigt, dass Parlamente bei solchen Sachen durchaus schnell reagieren können. Es hat beschlossen, dass die europäischen Finanzaufsichtsbehörden eine Sektoruntersuchung machen, um herauszufinden, was eigentlich los ist in Sachen Finanzbetrug. Meine Bitte ist, dass der Deutsche Bundestag sich mit genau derselben Tatkraft der Finanzkriminalität widmet und dafür sorgt, dass auch unsere Aufsichtsbehörden endlich so fit sind, dass sie solche Betrügereien aufdecken.
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Ich finde, daran haben wir ein gemeinsames Interesse. Ich habe konzediert, dass das Bundesfinanzministerium an einer Stelle schnell reagiert hat. Ich will auch konzedieren, dass der neue Bundesfinanzminister, der noch kein Jahr im Amt ist, nicht alle Versäumnisse aus der Schäuble-Zeit zu verantworten hat. Lassen Sie uns jetzt doch einmal zusammenarbeiten. Es ist nicht gerade vertrauensbildend, wenn die Antworten auf die von mir gestellten Fragen gestern im Ausschuss zugesagt werden und dann nur an die Koalitionsfraktionen geschickt werden. Lassen Sie uns bitte einmal sauber arbeiten.
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– So ist es aber.
Das Entscheidende, was zu tun ist, ist, dass die Finanzaufsicht die klare Anweisung vom Bundesministerium der Finanzen erhält, dass Steuerfragen – soweit sie Finanzkriminalität sind –, die am Finanzmarkt stattfinden, etwas sind, wofür auch die Finanzaufsichtsbehörde zuständig ist. Es kann doch nicht sein, dass die sagen: Kriminalität ist uns Wurst, wenn es um Steuern geht. – Die Finanzaufsicht muss für einen sauberen Finanzmarkt sorgen. Dafür ist sie da.
({5})
Wir müssen dafür sorgen, dass das, was in Sachen Steuern passiert, wo Auszahlungen und Erstattungen stattfinden, systematisch analysiert wird im Hinblick darauf, dass wir Fehlentwicklungen erkennen können. Da muss man dann auch – das ist ein weiterer Punkt – sinnvoll mit den Finanzmarktakteuren zusammenarbeiten. Ein Steuerspezialist kennt sich nicht unbedingt mit American Depositary Receipts aus. Das ist doch normal. Aber wenn man es so organisiert, wie es in einer modernen Verwaltung sein müsste, dann würde man die Leute in einer Taskforce zusammenbringen, damit der Staat endlich auf Augenhöhe mit den Kriminellen ist. Das ist unsere Aufgabe.
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Es gibt eine europäische Dimension: Die mangelnde Zusammenarbeit innerhalb Europas hat es den Betrügern leicht gemacht. Deswegen müssen wir auf europäischer Ebene stärker zusammenarbeiten. Wir schlagen eine europäische Finanzpolizei vor. Wir sollten Finanzkriminalität endlich so bekämpfen, wie wir Kriminalität an anderer Stelle auch bekämpfen. Der frühere Abteilungsleiter Steuern hat das, was bei Cum/Ex passiert ist, organisierte Kriminalität genannt. Dann lassen Sie uns endlich auch so auf diese Kriminalität reagieren, wie das notwendig ist, und nicht so tun, als seien das Kinkerlitzchen. Es ist viel Geld für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler verloren gegangen.
Danke schön.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Sebastian Brehm für die Fraktion der CDU/CSU.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Aktuelle Stunde ist ein weiterer Beweis dafür, wie Politik nicht funktionieren sollte. Die Linken werfen wieder einmal alle Betrugsfälle in einen Topf – Cum/Ex, Cum-Fake, Betrug in Vorstandsetagen –, rühren kräftig um und versuchen, einen großen politischen Skandal daraus zu machen.
({0})
Und die AfD bedient sich genau derselben Rhetorik in diesem Hause.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit einher geht dann noch die große Keule gegen alles und jeden, gegen jeden Berater, gegen die Banken, gegen die Unternehmer.
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Der alte Klassenkampf gegen den Kapitalismus,
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ohne diejenigen explizit zu nennen, die wirklich den Betrug begangen haben, weil Sie sie gar nicht benennen können, weil das noch nicht feststeht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Es gibt in unserem Land viele rechtschaffene Unternehmer. Es gibt rechtschaffene Banken. Es gibt viele rechtschaffene Steuerzahler. Die dürfen Sie hier nicht in einen Topf schmeißen. Das ist fahrlässig. Das ist nicht in Ordnung.
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Sie stellen damit alle unter Generalverdacht, und das sollte man nicht machen.
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Hören Sie auf mit diesem Klassenkampf!
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In meiner Rede zu Cum/Ex in der vorletzten Sitzungswoche habe ich schon ausgeführt: Wir werden alles unternehmen, um Steuerbetrug international und national zu bekämpfen.
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Deutschland ist Vorreiter im BEPS-Prozess. Deutschland hat viele Maßnahmen ergriffen, viel mehr als alle anderen Länder. Doch wir werden es nie vermeiden können, dass es zu einem Betrugsfall kommt.
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Meines Erachtens ist der richtigere und der bessere Weg, dass man, wenn man einen Betrugsfall hat, klug, sachlich, ohne zu skandalisieren die Problemstellung analysiert und dann die Schwachstellen aufdeckt und vor allem die Ermittlungen abwartet.
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Das genau hat das Finanzministerium getan.
Vielleicht muss man mal erklären, weil Sie alle immer von ADR sprechen, um was es dabei geht.
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– Worum geht’s? Genau. – Man muss sich die ADR-Papiere anschauen. Das sind Hinterlegungsscheine für nicht amerikanische Aktien. Will heute eine deutsche Kapitalgesellschaft in den USA auf den Markt gehen, dann hat sie zwei Möglichkeiten: Eine Möglichkeit ist die Listung an der US-Börse. Das ist mit vielen schwierigen Prozessen verbunden, mit internationaler Bilanzierung, mit amerikanischer Börsenaufsicht und mit vielem anderen. Oder man wählt den Weg der Hinterlegungsscheine, der sogenannten ADRs: Der amerikanische Kunde kauft eine deutsche Aktie, zumindest mit dem Hinterlegungsschein, und im gleichen Atemzug wird eine deutsche Aktie bei einer Depotbank hinterlegt.
({12})
– Doch, eben schon. – Und dann kommt es zu Dividendenzahlungen. Die Kapitalertragsteuer wird abgeführt, und der amerikanische Kunde kann die im Rahmen des Doppelbesteuerungsabkommen nach § 50d Einkommensteuergesetz wieder zurückholen. Das ist ein ganz normaler Prozess, der tausendfach gemacht wird. Auch da wieder alles in einen Topf zu schmeißen, ist völlig falsch.
({13})
Es gibt aber eben auch welche, wo keine Aktien hinterlegt worden sind
({14})
und wo es fälschlich wohl zu einer Erstattung deutscher Kapitalertragsteuer gekommen ist. Das ist klar rechtswidrig,
({15})
und das ist klar nach amerikanischem und deutschem Recht Steuerhinterziehung.
({16})
Deshalb hat die US-Aufsichtsbehörde im Jahr 2018 Ermittlungen eingeleitet. Deswegen hat auch die Staatsanwaltschaft Köln Ermittlungen eingeleitet, um genau diesen Fall aufzuklären.
Das Bundesfinanzministerium hat gehandelt und hat das elektronische Datenträgerverfahren eingestellt. Jetzt ist es eben so, dass Kapitalertragsteuern nur erstattet werden, wenn eine entsprechende Kapitalertragsteuerbescheinigung vorliegt. Ohne Bescheinigung keine Erstattung, und ohne Hinterlegung keine Bescheinigung. Insofern ist dieses Modell in Deutschland jetzt nicht mehr möglich, zumindest nicht zur Erstattung deutscher Steuern.
({17})
Ob und wie der deutsche Staat geschwächt worden ist, wissen wir ja noch gar nicht. Das werden erst die Ermittlungen zeigen. Deswegen sollte man keine Mutmaßungen anstellen und sagen: Der Deutschen Bank soll die Banklizenz entzogen werden, das sind alles Verbrecher usw.
({18})
– Ja, genau, die „Verbrecherorganisation Deutsche Bank“
({19})
wird gerade erwähnt. – Das sollte man in einem Rechtsstaat nicht machen, sondern es wird erst ermittelt, und dann wird überprüft, wer was begangen hat, und dann kommt es zu einer Verurteilung. Wenn es eine deutsche Bank war, muss sie auch entsprechend verurteilt werden, aber nicht schon vorher hier im Hause.
({20})
Bitte erlauben Sie mir eine Abschlussbemerkung, liebe Frau Kiziltepe. Eine Anzeigepflicht für nationale Steuergestaltungsmodelle würde genau diesen Fall nicht abdecken. Das wäre genauso, wie wenn ein Sparkassenräuber vorher bei der Sparkasse anruft und sagt: Ich mache morgen einen Banküberfall. – Glauben Sie denn wirklich, dass einer, der Steuerbetrug begeht, vorher eine Anzeige macht? Genau das ist damit nicht abgedeckt.
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Erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung – die meine ich in allem Ernst –: Mit dieser Debatte hier versuchen Sie, die Bundesregierung, die Finanzverwaltung, den Finanzminister in ein schlechtes Licht zu rücken. Das haben sie nicht verdient.
({22})
Wir tun alles, um Missbrauch in Deutschland zu verhindern, und die Finanzverwaltung tut das auch. Deswegen breche ich eine Lanze für die Finanzverwaltung. Wir sollten sie lieber unterstützen, anstatt sie an den Pranger zu stellen. Dafür werden wir uns in den nächsten Wochen und Monaten einsetzen, um hier Aufklärung zu betreiben und das Ganze dann auch einer gerechten Strafe zuzuführen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Detlev Spangenberg für die Fraktion der AfD.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben es hier mit drei verschiedenen Arten einer kriminellen Finanztransaktion zu tun: Die erste Aktion ist Kassieren, die zweite ist Vermeiden, und die dritte ist wieder Kassieren.
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So sehe ich das, wenn ich es kurz zusammenfasse.
Bei der ersten Aktion, bei den sogenannten Cum/Ex, ging es um Leerverkäufe. Die Aktie wurde hin- und hergeschoben, bis keiner mehr so richtig durchsah. Dann wurden die Begriffe „wirtschaftlicher Eigentümer“ und „tatsächlicher Eigentümer“ bemüht. So konnte man die Kapitalertragsteuer, die man eigentlich nur einmal zurückfordern kann, gleich mehrfach zurückfordern. Das betrachte ich als Kassieren. Das ist eindeutig Steuerbetrug. Das ist der erste Fall.
({1})
Der zweite Fall – Cum/Cum – lässt sich am besten so erklären: Ein ausländischer Anteilseigner an einem deutschen Unternehmen – er hat eine deutsche Aktie –, ist nicht bereit, die Kapitalertragsteuer zu zahlen. Er verleiht quasi seine Aktie an jemanden, der berechtigt ist, die Kapitalertragsteuer einzunehmen. Anschließend nimmt er die Aktie zurück. Die eingesparte Kapitalertragsteuer des eigentlichen Eigentümers teilt man sich dann. So vermeidet man Steuern und ist glücklich dabei. In diesem Fall, muss ich sagen, kann man nicht direkt von Betrug sprechen. Hier hat man eine Steuerlücke ausgenutzt. Moralisch ist das natürlich nicht gerade positiv; aber es steht in Zweifel, ob das Betrug ist. Auf jeden Fall hat man hier herumgetrickst. Die Finanzverwaltung ist zuständig. Sie muss dafür sorgen, dass so etwas nicht möglich ist. Dann müssen Sie eben bessere Gesetze machen, mehr Leute einsetzen, kontrollieren, dann kann dieser Fall nicht passieren.
Der dritte Fall – das haben wir gerade gehört – ist noch gar nicht ausgestanden, die Sache mit den American Depositary Receipts oder wie das heißt, also mit diesen Hinterlegungsscheinen. Allerdings ist der Betrug in diesem Fall besonders deutlich, wenn es sich so bestätigt.
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Hier wurden Aktien ausgegeben, die es gar nicht gibt. Das ist der absolute Hammer.
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Betrug kann man, glaube ich, gar nicht besser beschreiben.
Die „Wirtschaftswoche“ hat ja geschrieben – das wurde vom Vorredner schon bestätigt –, dass der Minister hektisch reagiert hat und das digitale Erstattungsverfahren sofort gestoppt hat. Das war natürlich ein bisschen spät. Da hätte man vielleicht mal eher gucken sollen. Es gibt ja auch eine Vereinbarung, dass sich die einzelnen Staaten über derartige Tricks untereinander informieren. Das scheint, offen gesagt, hier nicht passiert zu sein.
Meine Damen und Herren, das Schlimmste sind die Folgen für das Vertrauen in die Steuergerechtigkeit; auch das wurde hier schon angesprochen. Der Spruch „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“ kommt hier leider zum Tragen. Bei einer Steuerberatung im einfachen Bereich hatte ich einmal eine Serviererin, die gerne ihren schwarzen Rock und ihre Bluse als Werbungskosten nach § 9 Einkommensteuergesetz absetzen wollte. Das war ein Riesentheater. Nein, das könnte sie ja auch draußen auf der Straße anziehen, darum sei das nicht absetzbar. Ich bin gespannt, wie ich ihr das hier jetzt erklären soll. Bei ihr ging es um lächerliche Beträge von 50, 60 Euro. Hier sind wir im Milliardenbereich. Meine Damen und Herren, so schafft man kein Vertrauen.
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Das nächste Thema. Es ist nicht logisch, dass in den Finanzverwaltungen Personal fehlt. Wenn ich ein Unternehmen führe, verdiene ich als Unternehmer an jeder einzelnen Arbeitskraft, wenn ich vernünftig führe. Das ist auch Sinn und Zweck. Die Finanzverwaltung würde durch jeden zusätzlich eingestellten Mitarbeiter mehr von den ausstehenden Steuern bekommen. Warum wird das nicht gemacht? Das kann ich nicht nachvollziehen. Stellen Sie die Leute ein! Dann haben wir auch die Steuern. Vor allen Dingen, meine Damen und Herren: Unter dem Strich ist es ein Armutszeugnis der Finanzbehörden – durch alle Behörden –, die anscheinend nur bei den kleinen Leuten sehr genau hinschauen, weil es nicht so kompliziert ist; bei den großen ist es anscheinend zu anstrengend.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion der SPD der Kollege Metin Hakverdi.
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Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Teile der Finanzindustrie, so müssen wir heute verbittert feststellen, haben nie die notwendigen Konsequenzen aus dem Beinahekollaps von vor knapp zehn Jahren gezogen. Man gewinnt fast den Eindruck, dass die Geschäftsmodelle einiger Akteure ausschließlich darin bestehen, sich auf Kosten der Allgemeinheit, auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu bereichern. Vor 2008 wurden mit extrem spekulativen Geschäften riesige Boni eingestrichen, Gewinne wurden privatisiert, Verluste sozialisiert. Mit Cum/Ex- und Cum/Cum-Geschäften wurde direkt ins Portemonnaie des Steuerzahlers gegriffen.
Nun haben wir es mit Cum-Fake zu tun. Die Vermutung liegt nahe, dass auch diesmal durch Steuererstattungstricks der Fiskus geprellt wurde. Zur Vollständigkeit gehört hier auch, dass wir es bisher noch nicht sicher wissen. Mit sogenannten American Depositary Receipts, abgekürzt ADRs, könnte der Fiskus durch rechtswidrige Erstattung von Kapitalertragsteuer geprellt worden sein. ADRs selbst sind keine Aktien, ADRs sind so etwas Ähnliches wie Verbriefungen von Aktien. Man erwirbt lediglich die Rechte und Pflichten aus der Aktie, die Aktie selbst wird hinterlegt und lagert dann in Depots von sogenannten Verwahrern; das sind üblicherweise Banken.
ADRs können übrigens ganz sinnvoll sein: Deutsche Aktien können über den Umweg der ADRs auch auf dem amerikanischen Finanzmarkt gehandelt werden, ohne selbst dort gelistet sein zu müssen.
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ADRs gelten in den USA als amerikanische Wertpapiere. Amerikanische Pensionsfonds können deshalb auf diese Weise ausländische Aktien kaufen, was sie direkt nicht dürften. Und: ADRs berechtigen, die Dividende einzustreichen,
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die für die zugrundeliegende Aktie in Deutschland ausgeschüttet wird.
Und da beginnt das Problem: Dividendenzahlung in Deutschland und Doppelbesteuerung. Sobald die Dividende in Deutschland auf eine Aktie ausgeschüttet wird, gehen davon sofort 25 Prozent Kapitalertragsteuer an den deutschen Fiskus. Zwischen den USA und Deutschland besteht Gott sei Dank ein Doppelbesteuerungsabkommen. Genau deshalb kommt es in den USA hinsichtlich dieser Aktie nun zu einem Steuergestaltungswettbewerb in Form von ADRs. Gewonnen hat diesen Wettbewerb, wer ADRs emittiert, die es dem Inhaber ermöglichen, möglichst viel von den 25 Prozent zurückerstattet zu bekommen.
Diese Steuergestaltungen waren auch schon in der Vergangenheit zum Teil illegal. Aber diese Gestaltungen, also diese ADRs, die die Rückerstattung möglich machten, hatten wenigstens noch eine Aktie bei einem Verwahrer in Deutschland, und es wurden tatsächlich zunächst 25 Prozent der Dividende an den Fiskus abgeführt.
Was aber der neueste Clou ist – also, so neu ist der auch nicht, ist aber superdreist –: Es gibt gar keine Aktie, diese ADRs sind Phantompapiere. Es wurden auch nie 25 Prozent Kapitalertragsteuer gezahlt. Deshalb wird auch nichts zurück erstattet, es wird einfach direkt in die Steuerkasse gegriffen, ein Raubzug.
Diese Scheingeschäfte sind natürlich verboten. Banken in den USA haben diese Phantompapiere trotzdem ausgegeben, auch die US-Tochter der Deutschen Bank. Dafür wurden sie in den USA belangt. Mit solchen Schein-ADRs konnten sich die Inhaber online an die deutschen Steuerbehörden wenden und eine „Erstattung“ beantragen; das sogenannte Datenträgerverfahren.
Wir wissen noch nicht, ob tatsächlich mit solchen Scheinpapieren Steuererstattungen beantragt wurden. Bisher gibt es keinen bestätigten Fall. Können wir uns deshalb zurücklehnen? Ich denke, nein. Im globalisierten Finanzmarkt wird alles, alles was möglich ist, um Steuern zu hinterziehen oder erstattet zu bekommen, auch gemacht. Wozu sonst sollte man solche Phantompapiere überhaupt herausgeben, wenn man nicht anschließend rechtswidrige Erstattung betreiben will?
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Die Feststellung ist bitter: Wir können einem Teil unserer Finanzelite schlicht und einfach nicht vertrauen. Es reicht nicht, die Tür mit klaren Regeln zu schließen – man muss alle Türen und Fenster doppelt und dreifach verriegeln.
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Diese Leute agieren wie Einbrecher, die jedes Loch, jede noch so kleine Lücke nutzen, um unser Regelsystem zu unterlaufen.
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In der globalisierten und digitalisierten Welt der Finanzmärkte gleichen einige Finanzakteure Hackern, die wir aus der IT-Welt kennen: Sie sind spezialisiert darauf, Schadsoftware zu erstellen und unser Finanzsystem mit einem Virus zu infizieren und zu fluten. Unsere Aufgabe wird sein, das Betriebssystem unserer Finanzwelt immer wieder zu aktualisieren. Deshalb halte ich wenig davon, sich jetzt nur auf die Finanzverwaltung zu stürzen. Das wäre Wasser auf die Mühlen derjenigen, die das Geld der Steuerzahler stehlen. Noch im letzten Monat wurde hier im Deutschen Bundestag ein Antrag der FDP wie folgt begründet – Herr Präsident, ich zitiere –:
Nach der Finanzkrise hat die Politik die Finanzmärkte deutlich stärker reguliert. Das muss jetzt sinnvoll zurückgestutzt werden …
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in Zukunft sind wir gut beraten, die Fenster und Türen unseres Finanzsystems doppelt und dreifach zu sichern, zu regulieren, wo zu regulieren ist. Mit einer Entfesselung der Finanzmärkte ist unserem Land nicht gedient.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der Abgeordnete Jörg Cezanne.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Allein der Vorgang ist schon schwer zu verdauen: Betrügerische Unternehmen oder betrügerische reiche Privatleute – „betrügerische“, Herr Brehm – lassen sich von Banken Ersatzpapiere über Aktieneigentum ausstellen, das sie gar nicht besitzen – sogenannte Vorab-Hinterlegungsscheine. Und mit diesen Hinterlegungsscheinen beantragen sie dann die Erstattung von Kapitalertragsteuer, die sie gar nicht bezahlt haben. Ein wirklich unfassbarer Vorgang, der dringend aufgeklärt werden muss!
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Ja, zurzeit lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob dem deutschen Staat durch solche Geschäfte ein Schaden entstanden ist.
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Das Bundesfinanzministerium spricht aber von einem ernsten Vorgang und hat das vorgesehene automatisierte Erstattungsverfahren vorerst gestoppt – spät, aber erst mal gut so.
Das ganze Vorgehen zeigt aber, Herr Brehm, die unendliche kriminelle Energie, mit der hier findige Steuerberater und Finanzjongleure vorgehen.
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Das ist genau der Klassenkampf, über den wir Ihrer Meinung nach nicht reden sollen. Das ist Klassenkampf von oben,
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das ist Klassenkampf im Interesse von Vermögenden und Besitzenden gegen die Mehrheit der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auf dieser Erde.
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Was sich auch noch sagen lässt, Herr Gutting, seriös sagen lässt: Alle diese Betrugsfälle der vergangenen Jahre sind keineswegs durch die Steuerbehörden aufgedeckt worden. Wir können zusätzlich sagen: Alle diese Betrugsfälle waren keine Ausrutscher einzelner irgendwie abgedrehter Mitarbeiter dieser Institutionen. Sie waren immer in der Struktur dieser Institutionen verankert, sie sind von Unternehmensberatungen und Anwaltskanzleien, die auch völlig seriöse Geschäfte gemacht haben, mit angeboten worden und waren Teil ihrer Strategie. Hier liegt das Problem.
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Ich kann es gar nicht alles aufzählen: 2007, UBS-Bank Schweiz: Eine bankinterne Spezialgruppe in der Genfer Niederlassung organisiert den Übertritt von US-Millionären, die ihr Vermögen vor dem US-Fiskus schützen wollen, auf Schweizer Nummernkonten. 2013, Offshore-Leaks: Nur das Internationale Konsortium Investigativer Journalisten konnte das aufdecken. 2014, Luxemburg Leaks: Zwei interne Mitarbeiter des Beratungsunternehmens PricewaterhouseCoopers weisen darauf hin, wie die Luxemburger Regierung Unternehmen hilft, ihre Steuerbelastung auf null herunterzufahren. Panama Papers, Paradise Papers – ich könnte hier noch eine ganze Reihe weitermachen. Das ist der Kern des Problems, und wenn wir da nicht rankommen, dann werden wir das alles nicht wirklich in den Griff bekommen.
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Was muss also getan werden?
Erstens. Aufklärung im konkreten Fall; darauf ist von einigen Vorrednern schon hingewiesen worden. Herr Scholz wird im Dezember im Finanzausschuss dazu Stellung nehmen. Auch muss geklärt werden, was eigentlich passiert ist zwischen dem 18. Juni, als der Vergleich, den die Deutsche Bank in den USA geschlossen hat, bekannt wurde, und dem 16. November, als dieses automatisierte Erstattungsverfahren endlich geschlossen worden ist.
Zweitens. Wir müssen die deutsche Steuerverwaltung stärken; zu den Bruchstellen bei der wirksamen Bekämpfung internationaler Kriminalität und des Steuerbetrugs gehört eben auch der Finanzföderalismus der deutschen Steuerverwaltung.
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Wir Linke haben bereits vor einiger Zeit vorgeschlagen, eine Bundesfinanzpolizei einzurichten. Wenn Ihnen das zu weit geht – mein Gott, wir sind ja nicht so –, dann bilden Sie eine Taskforce im Ministerium. Holen Sie die Leute zusammen, die Sie dafür brauchen. Statten Sie die Taskforce mit dem nötigen Personal und der nötigen Technik aus, und gehen Sie da ran. Das Personal in der Steuerverwaltung muss so aufgestockt werden, dass die notwendigen Prüfungen tatsächlich durchgeführt werden können,
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Offensichtliche Schlupflöcher sind zu schließen. Die Kapitalertragsteuererstattungen durch ausländische Investoren sind ja kein Nebenthema, das eine große Ausnahme darstellt. Sie sind eigentlich die Regel. Deshalb muss dringend geprüft werden – da sind Sie hoffentlich wirklich dran –, ob die seit 2012 geltende Neuregelung, mit der die Zurechnung von gezahlter Ertragsteuer zu den Dividenden- und Aktienhaltern erreicht werden soll, überhaupt ausreichend ist.
Letzte Sache: Das Unternehmensstrafrecht ist angesprochen worden. Die Spaltung der Gesellschaft kommt daher, dass das Gemeinwesen finanziell massiv geschädigt wird und dass staatliche Stellen offensichtlich nicht ausreichend in der Lage oder willens sind, dem entgegenzuwirken.
Ich danke Ihnen.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Matthias Hauer von der Fraktion CDU/CSU.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten drei Jahren haben wir uns mit den Cum/Ex-Geschäften intensiv befasst: heute wie auch in den vergangenen Jahren hier im Plenum, aber auch in einem eigens dafür eingerichteten Untersuchungsausschuss.
Heute in der Aktuellen Stunde diskutieren wir über das Thema Cum-Fake. Wieder geht es um angebliches Dividendenstripping. Es geht um Kapitalertragsteuer, diesmal Phantomaktien in den USA. Weil das Thema erst vor wenigen Tagen bekannt geworden ist, liegen dazu bislang wenig gesicherte Informationen vor.
Blicken wir also noch einmal auf die Cum/Ex-Geschäfte, die mittlerweile besser bekannt sind. Kriminelle hatten dabei Aktiengeschäfte rund um den Dividendentermin allein mit dem Ziel gemacht, sich Kapitalertragsteuer zweimal erstatten zu lassen, obwohl sie nur einmal gezahlt wurde. Die Gier mancher machte auch vor unseren Gesetzen nicht halt.
Das war damals weder legitim noch rechtmäßig. Es war schlichtweg kriminell. Aber es war bis 2011 möglich, weil unterschiedliche Stellen handelten: die eine, die den Steuerabzug vornahm, und die andere, die die Steuerbescheinigung ausstellte. Beides wurde mit der OGAW-IV-Umsetzung in eine Hand gelegt. Spätestens seit 2012 sind die Cum/Ex-Geschäfte nicht mehr möglich. Die steuerliche Systematik wurde verändert. Unter Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wurde damit den Cum/Ex-Geschäften die Grundlage entzogen. Ein Teil des entstandenen Schadens konnte mittlerweile zurückgeführt werden. Staatsanwaltschaften und Gerichte sind immer noch tätig. Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Profiteure dieser kriminellen Geschäfte bestraft werden.
Die Bundesregierung hat hier nicht weggeschaut, auch wenn Sie versuchen, das zu suggerieren, sondern sie hat gehandelt. Keine Bundesregierung, kein Finanzminister hat ein Interesse daran, Steuereinnahmen durch Betrügereien zu verlieren.
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Es gab – das stimmt auch – immer Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. Wir finden uns damit nicht ab. Wir bekämpfen das. Wir wollen, dass jeder einen angemessenen Beitrag leistet, damit die Einnahmen unseres Staates gesichert bleiben und damit am Ende der Ehrliche nicht der Dumme ist. Gegen Steuerhinterziehung hilft vor allem Transparenz. Es hilft auch internationale Zusammenarbeit. Daran arbeitet die Große Koalition mit Hochdruck.
Seit einer Woche reden wir nun über die US-Phantomaktien, über Cum-Fake. Dabei geht es um sogenannte ADRs. Das sind Hinterlegungsscheine, die von US-Banken ausgestellt werden, stellvertretend für ausländische, zum Beispiel deutsche Aktien. Auf diesem Wege sind Aktien indirekt in Dollar und an US-Börsen handelbar. Das erleichtert US-Anlegern ein Investment in ausländische Aktien, zum Beispiel auch in deutsche Aktiengesellschaften, die eben an keiner US-Börse notiert sind. Einige US-Großinvestoren, vor allem Pensionskassen, können aufgrund bestimmter Vorgaben nur auf diesem Wege in deutsche Aktiengesellschaften investieren.
An sich sind solche Hinterlegungsscheine also erst einmal keine schlechte Sache. Normalerweise müssen zu den ADRs Aktien hinterlegt sein, und zwar bei einer Depotbank im Heimatland des Unternehmens.
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Einigen Großbanken und Aktienhändlern wird nun vorgeworfen, vor dem Dividendentermin missbräuchlich massenhaft ADRs herausgegeben zu haben, für die eben noch keine Aktien hinterlegt waren. Entsprechende Ermittlungen der US-Börsenaufsicht laufen. Es kam auch bereits zu Vergleichszahlungen; wir haben das gehört. Auch die Deutsche Bank muss in diesem Zusammenhang noch einige Fragen zu ihren US-Töchtern beantworten, sicherlich ebenso zu der heute laufenden Razzia, auch wenn das in einem anderen Zusammenhang war.
Ob im Zusammenhang mit amerikanischen ADRs dem deutschen Fiskus ein Schaden entstanden ist, wird aktuell untersucht. Es ist gut, dass die Bundesregierung den Sachverhalt sehr ernst nimmt und angekündigt hat, die Aufklärung mit Nachdruck zu verfolgen – in enger Abstimmung mit den Ermittlungsbehörden und mit den obersten Finanzbehörden der Länder. Wir brauchen dazu völlige Klarheit. Das ist auch meine Erwartungshaltung an den Bundesfinanzminister und die Bundesregierung insgesamt.
Für konstruktive Vorschläge der Opposition haben wir – das wissen Sie – immer ein offenes Ohr. Konstruktive Vorschläge, zumindest von der Linken und der AfD, waren heute völlige Fehlanzeige.
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– Sie lachen. Sie hätten die Vorschläge gerade präsentieren können. Ich habe genau zugehört.
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Da kam von Ihnen nur heiße Luft.
Wir werden das Thema, wenn mehr Informationen vorliegen, im Finanzausschuss und sicherlich auch hier im Plenum weiter beraten. Ihnen geht es um Skandalisierung. Uns geht es um Aufklärung und Bekämpfung von Steuerbetrug.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Der nächste Redner ist der Kollege Lothar Binding, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade nach der langen Debatte über Cum/Ex und Cum/Cum irritieren mich einige Äußerungen, die hier formuliert werden, auch die Frage nach der Anwesenheit des Ministers. Christine Lambrecht ist hier, das Ministerium ist vertreten.
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Und: Wir haben in der Obleutebesprechung verabredet, dass der Minister – das ist mir viel mehr wert – persönlich in den Ausschuss kommt
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und dort Rede und Antwort steht. Das halte ich für einen viel intensiveren Austausch, als dass er hier drei Minuten redet und von uns hört, was er sowieso schon weiß.
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Also, von daher ist diese Kritik, glaube ich, falsch.
Gerhard Schick hat gesagt: Wir müssen die Fehlentwicklungen kennen. – Ich finde es sehr gut, die inneren Strukturdefizite zu kennen. Aber man darf jetzt nicht so tun, als ob das wirklich möglich wäre. Wir werden diese Defizite nie richtig kennen.
Gerhard Schick hat auch gesagt: Wir dürfen nicht so tun, als seien das Kinkerlitzchen.
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Das klingt ein bisschen so, als ob hier jemand so täte, als seien das Kinkerlitzchen. Keiner hier im Raum tut so.
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Dieses Vorgehen ist kriminell. Das ist ein Vergehen am Steuerzahler. Das ist ein Vergehen an unserem Staatswesen, an unserer Rechtsordnung. Das sind keine Kinkerlitzchen.
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Selbst wenn es nicht gleich um Beträge von 30 Milliarden Euro geht: Ich finde, auch ein paar Hundert Millionen Euro sind keine Kinkerlitzchen. Ich glaube, dass diese Maßstäbe durch die Sprache durcheinanderkommen.
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Natürlich, wir dürfen den Banken nicht automatisch vertrauen; das haben wir bestimmt gelernt. Aber wir dürfen auch, meine ich, keine Kultur des Misstrauens entwickeln.
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Wir müssen nicht allen mit Misstrauen begegnen, bloß weil es Betrüger gibt. Da, glaube ich, würden wir uns etwas antun, was unsere Gesellschaft in einer neuen Weise justieren, eine neue Kultur entwickeln würde.
Es gibt auch manchmal Verwechslungen. Fabio De Masi hat gesagt – ich zitiere ihn –: Cum-Fake, hätten wir gesagt, sei seit 2012 nicht mehr möglich. – Das stimmt aber gar nicht. Wir haben gesagt: Das gilt für Cum/Ex. Cum-Fake ist eben nicht Cum/Ex. Cum/Ex ist nach bestem Wissen und Gewissen – das haben wir oft vorgetragen – schon dichtgemacht. Die Kollegen Brehm und Metin Hakverdi haben erklärt, dass Cum-Fake etwas anderes ist und wie es funktioniert. Insofern: Wenn wir das alles durcheinandermischen, wird alles unklar. Aus dieser Unklarheit entsteht Misstrauen, und die Analyse wird unmöglich. Wenn ich alles durcheinanderwerfe, dann stehe ich mir selbst im Weg.
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Übrigens, dass die Staatsanwaltschaft Köln und besonders der WDR und die „Süddeutsche Zeitung“ uns wichtige Hinweise gegeben haben, dafür können wir dankbar sein. Diese Aufmerksamkeit ist so etwas wie soziale Kontrolle.
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Wenn die fünfte Gewalt, die Medien, diese Aufgabe erfüllen, finde ich das ganz großartig.
Der BMF hat dann in kurzer Zeit diese Hinweise aufgegriffen. Übrigens haben wir von der entsprechenden Abteilung im Ministerium gelernt, dass diese Geschäfte schon lange in Beobachtung sind, der BMF aber noch keinen Anlass hatte, diesem Verdacht konkret nachzugehen, weil es überhaupt keinen Fall gab. Worüber reden wir eigentlich? Über nicht existente Fälle. Also geht es im Moment darum, etwas prophylaktisch zu tun. Wir hätten ein Gesetz gemacht; wir haben ja auch § 50j in Verbindung mit § 36a EStG geregelt. Das sind aber alles Dinge, die jetzt erledigt sind. Jetzt reden wir über das Neue.
Ich habe übrigens in einer meiner letzten Reden – ich glaube, in einer kurzen Auseinandersetzung im Dialog mit Gerhard Schick – gesagt, dass wir auch jetzt nicht wissen, was in dieser Sekunde passiert. Das kann etwas ganz Neues sein.
Ich habe damals gesagt: Wer in dieser Sekunde weiß, was jetzt passiert, der möge es sagen. – Das wiederhole ich. Wer jetzt weiß, was demnächst das neue Neue sein wird, der möge es jetzt sagen. Dann gehen wir der Sache sofort nach.
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Nein, es wird immer vorkommen, dass etwas Neues entdeckt wird. Deshalb sind wir auch dankbar für die Untersuchungen von Journalisten, die sich da einarbeiten, und wir sind alarmiert. Dieses Alarmiertsein hat einen hohen Eigenwert.
Aber wenn noch keine Erkenntnisse vorliegen, sollte man auch nicht ganz ausführlich über die nicht vorhandenen Erkenntnisse reden.
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Prophylaktisch ist natürlich etwas möglich. Dieses Datenträgerverfahren bedeutete ja, dass ausländische Banken mit digitalen Sammelaufträgen zur Erstattung beim BZSt, beim Bundeszentralamt für Steuern, vorsprechen konnten und das Geld bekommen haben.
Es ist nicht ganz klar, ob in diesen Sammelinformationen nicht etwas versteckt ist, was man nicht erkennen konnte, zum Beispiel, dass tatsächlich bezahlte Steuern von Leuten nicht zurückgezahlt wurden und dann plötzlich dieser Bodensatz, wie jemand sagte, möglicherweise von Kleinaktionärsdividenden, die die Rückerstattung nicht in Anspruch nehmen, gesammelt wurden und jemand anderem diese Erstattung zugesprochen wurde.
Da merkt man schon: Es wurde zwar eine Steuer gezahlt, aber die Erstattung ging quasi an den Falschen. Das war sozusagen der Betrug von Steuerbürgern unter Steuerbürgern. Das Dumme ist nur: Die einen haben das System verstanden und ausgenutzt, und die anderen waren gutmütig und sagten: Ich lasse das der Gemeinschaft.
Da merkt man, wie hinterhältig das System funktioniert. Deshalb ist es klar, dass es gut ist, dass das BMF die Länder beauftragt hat, über die Oberfinanzdirektionen dort sofort aktiv zu werden, und dass Analysen laufen sollen. Es gibt eine ganze Reihe von Aktivitäten, die das BMF schon unternommen hat.
Bei ein paar Dingen verstehe ich auch, dass uns nicht alles so offen erzählt wird. Es ist vielleicht ganz gut, wenn ich dem Dieb nicht sage, an welcher Stelle ich nächste Nacht auf ihn warte.
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Das ist doch klug, wenn ich das nicht mache. Es ist doch geradezu dumm, so zu tun, als ob Transparenz an sich in diesem Geschäft einen Eigenwert hätte.
Insofern sind wir, glaube ich, noch nicht auf einem guten Weg. Wir haben noch keine richtigen Antworten, wissen aber auch noch gar nicht, wovon wir reden.
Schönen Dank.
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Der letzte Redner ist der Kollege Uwe Feiler, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie Ihre Erfahrungen in den Wahlkreisen sind. Wenn ich in Bürgergesprächen auf die Finanzwirtschaft zu sprechen komme – das lässt sich als Finanzpolitiker nur selten vermeiden –, fällt das Urteil meiner Gesprächspartner häufig wenig schmeichelhaft aus. Dabei sind die meisten Kunden mit ihren Kreditinstituten vor Ort durchaus zufrieden.
Gewiss hat das Image der Banken sich gewandelt, und dem Trend, dass das Investmentgeschäft das klassische Einlagengeschäft längst überholt hat, konnten und wollten sich auch die deutschen Institute nicht entziehen. Aber während vor 30 Jahren der örtliche Bank- oder Sparkassendirektor noch zu den Honoratioren der Stadt oder Gemeinde gehörte, sieht sich diese Berufsgruppe nunmehr einer Vertrauenskrise gegenüber, obwohl sich an der Rechtschaffenheit der Akteure vor Ort in der Regel überhaupt nichts geändert hat.
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Neben Cum/Cum- und Cum/Ex-Geschäften setzen Finanzinstitute mit einem starken Engagement in den USA auch auf Cum-Fake-Gestaltung. Aber was genau ist das, und wie ist es in Deutschland passiert? Hier laufen jetzt gerade die Ermittlungen. Meine Vorredner haben geschildert, wie diese Fälle praktiziert werden. Vielleicht hat das BMF bisher noch nichts gesagt, weil es dafür ermittlungstaktische Gründe gibt. Das mag ja durchaus sein.
Herr De Masi, Sie haben Cum/Ex angesprochen und von 30 Milliarden Euro Schaden gesprochen. Ich halte mich lieber an die Zahlen des Bundesfinanzministeriums, das von 5,3 Milliarden Euro ausgeht. Das ist immer noch eine stattliche Summe, ein hoher Betrag.
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2,4 Milliarden Euro sind bereits zurückgefordert, und 1,1 Milliarden Euro sind entsprechend zurückgezahlt worden.
Bei Cum-Fake wird von einem Schaden von rund 100 Millionen Euro – vielleicht auch ein wenig mehr – gesprochen, obwohl wir überhaupt keine Hinweise haben. Wir haben nicht einen einzigen Fall. Wir wissen gar nicht, was los ist. Hier laufen die Ermittlungen, und es werden Zahlen in den Raum gestellt.
Dem Bundesfinanzminister und seinem Vorgänger wird Untätigkeit vorgeworfen. Ich nenne nur ein paar Stichworte aus der letzten Legislaturperiode – da mag der eine oder andere von Ihnen mit dabei gewesen sein –: BEPS, automatischer Informationsaustausch, Aufhebung des Bankgeheimnisses, Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz mit Befugnissen für die Finanzbehörden und Anzeigepflichten der Banken. Das alles und vieles mehr haben wir in der letzten Legislatur auf den Weg gebracht.
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Jetzt hat der Bundesfinanzminister – das ist auch richtig so – das automatisierte Erstattungsverfahren für die Kapitalertragsteuer gestoppt und die Länderfinanzbehörden über den Sachverhalt informiert. Meine Damen und Herren, Untätigkeit sieht in meinen Augen anders aus.
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Mit diesen Behauptungen und nicht belegten Zahlen schüren gewisse Leute hier in diesem Hause Ungewissheit und spalten unsere Gesellschaft, wie es eigentlich nur die Damen und Herren von der rechten Seite tun. Aber welche Lehren sollten wir eigentlich aus dieser Debatte ziehen?
Wir müssen erstens weiter wachsam sein im Kampf gegen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung, und wenn es den Gesetzgeber fordert, dann müssen wir als Gesetzgeber natürlich auch entsprechend tätig werden.
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Zweitens müssen wir unsere Finanzbehörden und die Finanzverwaltung technisch besser ausstatten.
Aber der erste und zweite Punkt alleine reichen nicht. Es kommt noch ein dritter wichtiger und wesentlicher Punkt hinzu, und das ist die Frage nach Personal.
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Meine Damen und Herren, wenn wir die notwendigen Stellen beim Bundeszentralamt für Steuern sowie in den Finanzbehörden in den Ländern nicht mit Menschen besetzen, also nur diese Stellen haben, dann werden wir unsere Aufgaben nicht erfüllen können. Unsere Finanzbeamten sind hochqualifiziert und machen einen hervorragenden Job. Jedoch kann ich als Mitglied der Steuer-Gewerkschaft meinem Bundesvorsitzenden Thomas Eigenthaler nur beipflichten, wenn er sagt, dass man einen Ferrari nicht mit dem Fahrrad verfolgen kann. 80 Prozent Personalbesetzung in den Finanzämtern der Länder!
Übrigens, Herr De Masi: In Brandenburg ist ein Linker Finanzminister. Der ist nicht gerade Vorreiter und stellt sich nicht an die Spitze der Bewegung für mehr Personalausstattung.
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Meine Damen und Herren, noch einmal: Wir müssen als Bund und insbesondere auch in den Ländern unsere Finanzverwaltung mit mehr Personal stärken, weil nur Kontrolle einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung von Steuerkriminalität und Steuerhinterziehung leisten kann.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Das war der letzte Redner. Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten des Deutschen Bundestages bekannt – der Bundestag hat 709 Mitglieder –: abgegebene Stimmzettel 654. Mit Ja haben gestimmt 223 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 387 Abgeordnete, 44 Enthaltungen. Die Abgeordnete Mariana Iris Harder-Kühnel hat die erforderliche Mehrheit von mindestens 355 Stimmen damit nicht erreicht, und sie ist damit nicht zur Stellvertreterin des Präsidenten gewählt. Für diesen Fall hat die Fraktion der AfD eine Unterbrechung der Sitzung für eine Fraktionssitzung beantragt. – Die übrigen Fraktionen sind damit einverstanden. Ich unterbreche die Sitzung.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Mieten in unserem Land explodieren, und bezahlbarer Wohnraum wird immer knapper. Genau aus diesem Grund ist einer der Schwerpunkte der Arbeit dieser Koalition eine Wohnraumoffensive.
Heute ist ein besonderer Tag, weil wir heute den Schutz für Mieterinnen und Mieter ausbauen. Einige Punkte möchte ich hier herausgreifen.
Die Modernisierungsumlage wird begrenzt. In Zukunft sind statt 11 Prozent nur noch 8 Prozent der Kosten umlegbar, und die Modernisierungskosten werden gekappt, insbesondere für günstige Wohnungen, damit Mieterinnen und Mieter nicht herausmodernisiert werden.
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Wer gezielt herausmodernisiert, der soll in Zukunft mit einem Bußgeld von bis zu 100 000 Euro bestraft werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein ganz besonderer Punkt, für den ich mich schon seit längerem einsetze, ist, dass die Schutzlücke für soziale Träger geschlossen wird. Das ist notwendig. Hier soll zukünftig nicht mehr das Gewerbemietrecht gelten, sondern der Schutz des sozialen Mietrechts mit stärkerem Kündigungsschutz wird auf die sozialen Träger ausgeweitet. Das ist ein Riesenerfolg.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bund macht aber noch mehr. Wir wollen mehr Geld in den sozialen Wohnungsbau stecken, insgesamt 5 Milliarden Euro in dieser Legislatur. Dazu haben wir heute die Grundgesetzänderung beschlossen. Ab nächstem Jahr besteht also keine Befristung der Fördermöglichkeit sozialen Wohnungsbaus durch den Bund mehr, sondern es wird entfristet, weil das Grundgesetz geändert wird.
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Wir haben aber auch die Bundeshaushaltsordnung geändert, sodass öffentliche Liegenschaften in Zukunft nicht mehr meistbietend veräußert werden können, wie das in meinem Wahlkreis beim Dragoner-Areal der Fall war und wo der Vertrag jetzt rückabgewickelt wird. Nein, in Zukunft sollen öffentliche Liegenschaften des Bundes verbilligt an die Kommunen abgegeben werden können, wenn sozialer Wohnungsbau geplant ist.
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Wir werden auch das Wohngeld reformieren. Darüber hinaus – auch ein ganz besonderes Anliegen von mir – sollen die Share Deals abschafft werden, die es ermöglichen, die Grunderwerbsteuer zu umgehen; das haben wir uns ebenfalls vorgenommen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles sind Projekte der Koalition, die in der Summe den Namen „Wohnraumoffensive“ verdienen.
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Aber heute, in dieser Debatte, geht es auch um ein weiteres Instrument. Der vorliegende Gesetzentwurf möchte zudem einen steuerlichen Anreiz setzen, um den Mietwohnungsneubau anzukurbeln. Damit diese Förderung nicht aus der Spur läuft, damit also nicht nur Luxuswohnungen entstehen, haben wir verschiedene Leitplanken gezogen.
Die Herstellungskosten sollen auf 3 000 Euro pro Quadratmeter begrenzt werden, ansonsten gibt es keine Förderung. Die Bemessungsgrundlage für die Sonderabschreibung wird auf maximal 2 000 Euro pro Quadratmeter begrenzt, damit keine teuren Wohnungen entstehen können. Außerdem müssen die geförderten Wohnungen für eine gewisse Zeit vermietet werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht alles, was wir in diesem Gesetzentwurf erreicht haben. Auch für Genossenschaften beinhaltet er einen Punkt. Wir haben erreicht, dass Wohnungsgenossenschaften in Zukunft in ihrem Vermietungsgeschäft auch dann steuerfrei bleiben, wenn ihre anderen Einnahmen die bisherige 10-Prozent-Grenze überschreiten, weil wir diese schädliche Grenze auf 20 Prozent angehoben haben.
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Wohnungsgenossenschaften können in Zukunft Mieterstrom herstellen, auch wenn das bis zu 20 Prozent an den Gesamteinnahmen ausmacht. Das ist, glaube ich, eine gute Nachricht für die Genossenschaften in unserem Land.
Vielen Dank.
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Der nächste Redner für die AfD-Fraktion: der Kollege Udo Hemmelgarn.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebes Publikum auf den Tribünen! Die letzte wichtige Gesetzesinitiative im Wohnungsbaubereich war die Abschaffung der Eigenheimzulage durch die rot-grüne Regierung Schröder im Jahr 2004.
In der Zeit der Merkel-Regierungen, also seit 2005, hat sich in diesem Bereich nichts, aber auch gar nichts getan.
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Vor den Auswirkungen der stetigen Landflucht, der EU-Osterweiterung und der Migrationswelle wurden die Augen fest verschlossen. Seitdem hat sich insbesondere in den Metropolen ein Wohnungsmangel aufgebaut, der mehr als nur besorgniserregend ist.
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Die Erwartungen an den vorgelegten Gesetzentwurf waren deshalb von unserer Seite hoch. Doch es ist kaum zu fassen, welcher Murks dem Parlament hier zur Abstimmung vorgelegt wird.
Die Bauwirtschaft in unserem Land ist zu fast 100 Prozent ausgelastet, und auch mit richtigen Ideen lässt sich höchstens ein Neubauzuwachs von einigen Prozenten erzielen. Wir haben Ihnen doch vernünftige Vorschläge zur Behebung der Wohnraummisere gemacht: Reduktion der Grunderwerbsteuer, Aussetzen der Energieeinsparverordnung, Aufhebung der Mietpreisbremse, Erhöhung der linearen Abschreibung auf 3 Prozent per anno.
Was die Bundesregierung hier jedoch vorlegt, ist ein Witz. Wie man in einen heißgelaufenen Markt auch noch Steuergeld hineinwerfen kann, ist mir ein Rätsel. Das entspricht in keinster Weise den Marktgesetzen. Ihr blanker Aktionismus und die kopflose Reaktion liegen einzig und allein darin begründet, dass Ihre Zustimmungswerte bei den Bürgern derzeit schmelzen wie Schnee in der Sonne. Selbst in der Sachverständigenanhörung – hören Sie gut zu – in der letzten Woche konnte kein Experte Ihrem Gesetzesvorschlag etwas Positives abgewinnen.
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Mit dem Mietrechtsanpassungsgesetz, das heute noch behandelt wird, und dem hier vorliegenden sprechen Sie beide Mal die gleiche Klientel an: den privaten Investor. Durch das eine erhält er Zuckerbrot, durch das andere die Peitsche. Was ist das für eine Logik? Dass Sie mit Ihrem Handeln die Immobilien- und Mietpreise weiter nach oben treiben, ist beschämend.
Die angesetzten Kostengrenzen für die Schaffung von Wohnraum sind mit 3 000 Euro pro Quadratmeter gerade in den Hotspots, dort wo die Wohnungen gebraucht werden, viel zu niedrig angesetzt. Sollten größere Investoren wider Erwarten doch in der Lage sein, mit niedrigeren Kosten auszukommen, scheitern diese mit Sicherheit an der De-minimis-Grenze von 200 000 Euro innerhalb von drei Veranlagungszeiträumen.
Hier noch ein ganz besonderes Schmankerl. Gemäß dem vorliegenden Gesetzentwurf soll der Bau von Wohnungen in jedem Staat, der Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum ist, gefördert werden. Ich frage mich ernsthaft: Warum? Mit dem Geld des deutschen Steuerzahlers würden dann nicht nur Wohnungen in Griechenland, Spanien oder Italien steuerlich gefördert, sondern auch in Island oder Norwegen. Welches Interesse hat der deutsche Steuerzahler an der Errichtung von Mietwohnungen in Reykjavik, Pisa, am Ballermann oder in Französisch-Guayana?
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Es liegt auf der Hand, dass die deutsche Wohnraummisere, die Sie verursacht haben, damit nicht gelöst werden kann.
Die Bundesregierung hat das Ziel ausgegeben, in dieser Legislaturperiode 1,5 Millionen neue Wohnungen zu bauen; in diesem Jahr werden es gerade einmal 300 000 Wohnungen. Ihr Ziel ist eine Illusion und bleibt eine Illusion.
Die Nachfrageseite wird von Ihnen erst gar nicht behandelt. Welche Maßnahmen wären zu ergreifen, um den Nachfragedruck zu reduzieren?
Erstens. Die Infrastruktur auf dem Land muss dringend nachhaltig verbessert werden – über- und unterirdisch. Um auf eine aktuelle politische Äußerung zu reagieren: Jawohl, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch die letzte Milchkanne braucht schnelles Internet. Nur so kann sie von modernen, digital operierenden Transportsystemen abgeholt werden. Nur so entsteht neben ihr eine Molkerei mit neuen, trendigen Angeboten.
Zweitens. Frau Bundeskanzlerin Merkel, nehmen Sie endlich den Migrationsdruck von diesem Land. Selbst Ihre politische Weggefährtin und frühere amerikanische Außenministerin Hillary Clinton hat das in dieser Woche gefordert.
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Schieben Sie endlich abgelehnte Asylbewerber konsequent ab.
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Dort, wo es möglich ist, sind subsidiär Schutzberechtigte in ihre Heimat zurückzuführen.
Ich habe im März Syrien besucht, und ich kann Ihnen sagen: Über 90 Prozent des Landes sind befriedet.
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Immer mehr syrische Flüchtlinge kehren aus dem Ausland in ihre Heimat zurück. Die UN spricht von mehr als 1 Million seit Anfang dieses Jahres. Nur aus Deutschland wird nicht zurückgeführt.
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– Das sage ich Ihnen im Anschluss. Sie können mich ja gleich fragen. – Sollte diese Regierung am 10. Dezember auch noch den Global Compact for Migration unterzeichnen, werden Sie das genaue Gegenteil erreichen: eine Erhöhung des Migrationsdrucks zum Nachteil unseres Landes und unserer Bürgerinnen und Bürger.
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Sie haben vermutlich nicht annähernd eine Vorstellung davon, wie sich der deutsche Wohnungsmarkt dann darstellen wird.
Insgesamt lässt sich feststellen: Das Gesetz zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsneubaus ist völlig unsinnig und das Papier nicht wert, auf dem es steht. Ihr Gesetz ändert nichts an den bestehenden Problemen. Wir lehnen es ab.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Olav Gutting.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist vollbracht: Der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsneubaus wird heute im zweiten Anlauf, nachdem wir uns schon in der letzten Legislaturperiode daran versucht haben, endlich angenommen. Mein Wunsch, mein Appell aus der ersten Lesung – es ist gerade mal sechs Wochen her –, dass der Gesetzentwurf schnell verabschiedet wird, ist in Erfüllung gegangen. Ich möchte mich dafür ganz herzlich bei meinen Kollegen in der eigenen Fraktion, aber auch beim Koalitionspartner SPD bedanken. Vielen Dank, für die Arbeit, die wir in vielen Berichterstattergesprächen, in Einzelgesprächen geleistet haben. Ich glaube, wir haben in diesem Fall alle Punkte und alle möglichen Problemstellungen ausgiebig und ausreichend diskutiert. Der Dank gilt natürlich auch dem Ministerium, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BMF für die Unterstützung, die Hilfestellung in vielen Bereichen und für die Zurverfügungstellung von Umdrucken und weiteren Erläuterungen.
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Kolleginnen und Kollegen, gegen die angespannte Lage auf vielen Wohnungsmärkten in Deutschland helfen aus meiner Sicht drei Dinge: erstens bauen, zweitens bauen und drittens
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noch mehr bauen. Dieses Gesetz wird dabei helfen. Es ist ein Baustein unserer Wohnraumoffensive, und ich glaube, wir sollten hier nicht so tun, als ob es das Einzige wäre, das wir tun, als ob es die einzige Maßnahme wäre, die wir derzeit auf den Weg bringen.
Die GroKo tut im Bereich Wohnraum viel mehr: Baukindergeld, Stärkung des sozialen Wohnungsbaus, Förderung des altersgerechten Umbaus, Fortführung der Städtebauförderung, Baulandmobilisierung, Weiterentwicklung des Bauordnungsrechts und die Verbesserungen bei der Wohnungsbauprämie, die anstehen, und, und, und. Das ist viel, und man muss sich schon die Mühe machen, diese steuerliche Förderung des Mietwohnungsneubaus im Kontext dieses Gesamtpaketes zu sehen.
Lassen Sie mich noch kurz die Eckpunkte dieses Gesetzes skizzieren. Es handelt sich um eine befristete Sonderabschreibung, um dem Neubau von bezahlbaren Mietwohnungen einen zusätzlichen Impuls zu geben. Sie beträgt zusätzlich zur linearen Abschreibung über vier Jahre 5 Prozent pro Jahr; das ist ohne Frage ein Anreiz für viele private Investoren.
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Und um die Förderung zielgenau auf bezahlbaren Wohnraum auszurichten, haben wir hier festgelegt, dass die Anschaffungs- und Herstellungskosten ohne Grund und Boden 3 000 Euro pro Quadratmeter nicht übersteigen dürfen.
Es haben viele Fachgespräche im Verlauf der letzten Tage und Wochen stattgefunden, und da gab es auch Kritik hinsichtlich dieser 3 000 Euro. Man muss schon zugeben: Diese 3 000 Euro in den nächsten Jahren einzuhalten, wird sportlich sein. Aber sie sind eben auch der notwendige Anreiz, um innovativ und kostengünstig zu bauen; denn wir wollen keinen Luxuswohnraum, sondern wir wollen bezahlbaren Wohnraum.
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In den Gesprächen gab es die einen, die sagen: Die Grenze ist zu niedrig. – Die anderen sagen: Die Grenze ist zu hoch. – Meine Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass wir in der Argumentation, wenn sie so läuft wie hier, genau richtig liegen: Wir liegen in der Mitte, und deswegen sind die 3 000 Euro auch vertretbar und richtig.
Ich bin nach der Anhörung bestärkt, dass diese Sonderabschreibung genutzt werden wird. Jede einzelne zusätzliche Wohnung zählt. Steuerliche Anreize haben in Deutschland schon immer ihre Wirkung gezeigt; deswegen bin ich zuversichtlich, dass dieses Gesetz Wirkung zeigen wird.
Im Übrigen: Zu dem Quatsch vom Bau von Wohnungen in Reykjavik, den Sie von der AfD gerade erzählt haben, sage ich: Erstens ist die Förderung des Baus von Ferienwohnungen durch dieses Gesetz ausgeschlossen, zweitens muss derjenige, der diese Förderung in Anspruch nehmen will, deutscher Steuerbürger sein, er muss hier einen Wohnsitz haben.
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Deswegen ist das, was Sie gerade erzählt haben, schlicht nicht richtig.
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Erwähnenswert ist, dass diese Sonder-AfA auch mit anderen Wohnungsneubauförderungen kombiniert werden kann. Das heißt, die Sonder-AfA ist immer auch kumulativ nutzbar. Das ist ein wichtiger Aspekt in der Diskussion darum, dass wir hier keine Mietpreisbindung haben. Wenn zum Beispiel eine soziale Wohnungsbauförderung mit einer Mietpreis- oder Belegungsbindung mit dieser Sonder-AfA kombiniert wird, dann bleibt selbstverständlich diese Mietpreisbindung bestehen. Das heißt, die Sonder-AfA kann zusätzlich zur sozialen Wohnungsbauförderung mit Mietpreisbindung oder auch zusätzlich zu möglichen Förderprogrammen für die Aufstockung von Gebäuden bzw. Dachgeschossaufbauten genutzt werden. Auch hier ist eine kumulative Nutzung möglich. Und das ist wichtig, weil wir damit gerade diese Maßnahmen, die ja kein zusätzliches Bauland verbrauchen, noch mal extra fördern können. Das hat auch einen ökologischen Aspekt; deswegen ist diese Sonder-AfA mit der Möglichkeit, sie mit anderen Fördermaßnahmen zu kombinieren, goldrichtig.
Uns ging es in den Beratungen vor allem auch darum, dass wir das Gesetz nicht mit unnötiger zusätzlicher Bürokratie überfrachten. Das Gesetz ist so, wie es jetzt vorliegt, effektiv, praxistauglich, und mit ihm kann das Ziel, dem Mietwohnungsneubau zusätzliche Impulse zu geben, unbürokratisch erreicht werden.
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Allen kritischen Stimmen sei gesagt: Dieses Gesetz ist ja nicht für die Ewigkeit.
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Dieses Gesetz haben wir ganz bewusst beschränkt und begrenzt auf Baumaßnahmen, die bis 2021 begonnen werden. Niemand hindert uns im Übrigen daran, dieses Gesetz gegebenenfalls anzupassen, die Förderung eventuell zu verlängern oder weitere flankierende Maßnahmen zu ergreifen. Wir müssen unabhängig von dem heutigen Schritt darüber nachdenken, wie wir die steuerlichen Rahmenbedingungen beim Mietwohnungsbau insgesamt auf neue Füße stellen können. Ein Aspekt dabei ist die Abschreibungsdauer von aktuell 50 Jahren; sie wird heute von vielen Sachverständigen als viel zu lang erachtet. Der wirtschaftliche Verbrauch bei Mietobjekten geht in der Realität oft viel schneller vonstatten. Deswegen sollten wir darüber nachdenken, ob wir mit einer Anhebung der linearen Abschreibung von 2 auf 3 Prozent einen weiteren nachhaltigen Anreiz für Investitionen im Mietwohnungsneubau schaffen.
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Aber das ist hier heute nicht das Thema; darum geht es heute nicht.
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Wir wollen jetzt schnell und befristet einen zusätzlichen Anreiz schaffen. Und das können wir mit dem heutigen Gesetz; deswegen können Sie hier heute auch zustimmen.
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Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Markus Herbrand.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der hier zur Debatte stehende Gesetzentwurf zur Förderung des Mietwohnungsneubaus gehört aus unserer Sicht eindeutig in die Kategorie „Gesetze, die die Welt nicht braucht.“
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Und wer das vorher nicht geglaubt hat, dem muss spätestens die dazu im Bundestag durchgeführte Expertenanhörung die Augen geöffnet haben. Dort haben alle geladenen Experten den Gesetzentwurf in wirklich selten gehörter Einigkeit und Eindeutigkeit regelrecht auseinandergenommen.
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Einigkeit bestand vor allem darin, dass dieses Gesetz vollkommen ungeeignet ist, das Problem anzugehen, welches es vorgibt lösen zu wollen: den Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Dafür müsste nämlich bestenfalls sehr viel Wohnraum in sehr kurzer Zeit möglichst unbürokratisch geschaffen werden. Genau das schaffen wir mit diesem Gesetzentwurf nicht – darin waren sich alle Experten einig.
Frau Kollegin Kiziltepe, Sie haben bewusst oder unbewusst in der Anhörung für einen starken Moment gesorgt, als Sie in die Runde der Experten fragten: Gibt es denn hier überhaupt niemanden, der irgendetwas Gutes über dieses Gesetz sagen kann? – Da war betretenes Schweigen im Raume. Niemand konnte etwas Gutes zu dem Gesetzentwurf sagen, weder die Experten noch die Parlamentarier.
Das Gesetz ist auch deshalb so unbrauchbar, weil sein Anwendungsbereich so begrenzt ist: Nicht nur die absolute Höhe der Herstellungskosten soll begrenzt werden, sondern zusätzlich auch die Bemessungsgrundlage der förderfähigen Herstellungskosten, und es soll auch noch zeitlich befristet werden.
Das alles und noch viel mehr macht das Gesetz wirklich zu einem praxisuntauglichen Bürokratiemonster. Nicht nur Steuerberater, Steuerbürger und Finanzämter dürfen zukünftig die Einhaltung der verschiedenen Höchstgrenzen und Haltungsdauern überwachen und bis zu neun oder zehn Jahre rückwirkende Änderungen vornehmen. Dieser Bürokratiewahnsinn passt eins zu eins zu den jetzt bekanntgewordenen Vorstellungen des Finanzministers zur Reform der Grundsteuer. Die beiden Gesetze alleine sind geeignet, alle Bürokratieabbaubestrebungen der letzten Jahre zunichte zu machen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sollen wissen: Wenn dieses Gesetz so kommt, dann können wir uns zukünftig eigentlich auch die Anhörungen im Ausschuss ersparen. Es kann einfach nicht sein, dass ein so eindeutiges Expertenurteil von der Großen Koalition ignoriert wird,
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nur weil das nicht zum Koalitionsvertrag passen würde.
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Stellvertretend für die Meinungen der vielen Experten möchte ich nur aus einer Stellungnahme zitieren, und zwar aus der Stellungnahme des Bundesrechnungshofs, der wirklich nicht zur FDP gehört:
Der Bundesrechnungshof bezweifelt, dass die Zielsetzung mit dem Entwurf effektiv und effizient umgesetzt werden kann.
Weiter heißt es dort:
Ohne wesentliche Nachbesserungen hält er es deshalb nicht für empfehlenswert, die Gesetzesinitiative weiter zu verfolgen.
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Dem schließen wir uns an.
Deshalb, liebe Koalitionäre: Nehmen Sie bitte Abstand von diesem Gesetzentwurf. Springen Sie über Ihren Schatten, damit eine vernünftige Regelung in das Gesetz implementiert wird, die dauerhaft die Rahmenbedingungen dafür schafft, dass mehr Wohnraum geschaffen wird. Ersetzen Sie diesen in allen Bereichen ungeeigneten Gesetzentwurf durch eine einfache, aber sinnvolle Alternative. Wir helfen Ihnen dabei gerne.
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Stimmen Sie also unserem Entschließungsantrag zu, in dem wir fordern – ganz einfach, ganz unbürokratisch, dafür aber umso effizienter –, die bisher 2‑prozentige lineare Abschreibung durch eine 3‑prozentige zu ersetzen.
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Die Haushaltswirkungen wären überschaubar, wie mein Kollege Schäffler über eine Anfrage ermitteln konnte. Wir hätten dann mehr Planungssicherheit für Unternehmer und Bauherren, wirklich wirksame Anreize für Investitionen und nicht noch mehr unnötige bürokratische Hürden, als wir sie ohnehin schon in unseren Gesetzen haben – eine dauerhafte Lösung zur Bekämpfung der Wohnungsnot in Ballungszentren.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Caren Lay, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was wir heute verhandeln, ist ein politisches Tauschgeschäft, ein Deal: Jetzt bekommt die Union ihre Steuergeschenke für die Immobilienwirtschaft, in einer Stunde dann die SPD die Mini-Nachbesserung bei der Mietpreisbremse.
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In der letzten Legislatur haben sich Union und SPD bei den beiden Gesetzesvorhaben noch wechselseitig blockiert. Heute sollen wir zwei ausgesprochen schlechte Gesetze beschließen. Das ist nun wahrlich kein Fortschritt, meine Damen und Herren.
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Schon vor einigen Jahren wollte die Union großzügige Steuergeschenke an Investoren verteilen, damit diese Wohnungen bauen. Was ist daran falsch? Es fehlt auf dem deutschen Wohnungsmarkt nun wahrlich nicht an Geld. Es gibt genug – man könnte auch sagen: zu viel – privates Kapital auf dem Wohnungsmarkt.
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Es fehlt auch nicht an Investitionen in irgendwelche Wohnungen. Der Wohnungsmarkt boomt schon seit langem, auch ohne Sonderabschreibung. Es fehlt an bezahlbaren Wohnungen, und zwar in den Ballungszentren.
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Aber an dieser Lücke fördert dieser Gesetzentwurf zielsicher vorbei;
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denn die Steuerabschreibungen sollen ja auch dort gelten, wo es schon jetzt zu viele Wohnungen gibt. Eine Mietobergrenze ist nicht vorgesehen.
Nehmen wir mal ein Beispiel: die Stadt Hoyerswerda in meinem Wahlkreis.
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Dort gibt es jetzt schon eine Leerstandsquote von 10 Prozent. Dort kann man jetzt mit Baukosten von bis zu 3 000 Euro pro Quadratmeter ziemlich teure zusätzliche Wohnungen bauen, sie teuer vermieten, dann auch noch zu einem Drittel von der Steuer absetzen und sie nach zehn Jahren in Eigentumswohnungen umwandeln. Meine Damen und Herren, das muss ja nun wirklich niemand verstehen.
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Die Zuschüsse reichen für die Metropolen hingegen nicht. „Die Zeit“ prognostizierte deswegen unter Berufung auf das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung einen Bauboom für teure Wohnungen in ländlichen Gebieten. Sie sprach von „Steuererleichterungen für Luxuswohnungen“, und die brauchen wir wirklich nicht.
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Ohne eine Mietobergrenze verfehlt dieses Gesetz sein Ziel, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, wirklich komplett; denn ohne eine Mietobergrenze wird die Förderung abgestaubt und hinterher die Wohnung möglichst teuer vermietet. Das ist doch wirklich völlig nutzlos.
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Sie entlarven sich ja selbst: Dieses Gesetz soll rückwirkend gelten, Steuererleichterungen also für Bauanträge ab dem 1. September 2018 geltend gemacht werden können. Das heißt, es geht gar nicht um zukünftige Wohnungen, sondern Sie subventionieren die Wohnungen, die jetzt schon geplant und finanziert sind. Das führt zu teuren Mitnahmeeffekten und zu einem Anstieg der Baupreise. Das ist einfach nur absurd.
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Und wem nutzt das alles? Nicht umsonst sprach ein Vertreter der Immobilienwirtschaft von einem Geschenk. Es ist ja auch bald Weihnachten. Es handelt sich um ein Geschenk, das zulasten der Länder und Kommunen geht. Auf meine Kleine Anfrage hin gab die Regierung zu, dass dem Bund und den Ländern dadurch jeweils 1,5 Milliarden Euro und den Kommunen 800 Millionen Euro an Steuern entgehen – Gelder, mit denen sie selbst Wohnungen bauen könnten.
Das gute Beispiel der Stadt Wien zeigt doch, dass eine hohe Zahl städtischer Wohnungen der beste Garant für günstige Mieten ist.
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Genau das schlagen wir als Linke als Alternative vor. Wir brauchen ein öffentliches Wohnungsprogramm nach Wiener Vorbild. Das ist der richtige Weg.
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In der letzten Legislatur hat die SPD dieses ebenso teure wie nutzlose Gesetz, das damals wie heute bei Expertinnen und Experten durchgefallen ist, noch verhindert. Jetzt stimmen Sie zu, auch ohne Mietobergrenze, damit es im Gegenzug zu minimalen Verbesserungen im Mietrecht kommt. Ich finde, das ist ein wirklich schlechter Deal. Das ist ein politischer Kuhhandel im Interesse der Bauwirtschaft, ohne nennenswerten Nutzen für die Mieterinnen und Mieter und zulasten der Kommunen. Das kann man wirklich nur ablehnen.
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Der nächste Redner für Bündnis 90/Die Grünen: der Kollege Christian Kühn.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, angesichts dieses Gesetzes fragt man sich schon, für wen Sie eigentlich Wohnungspolitik und Baupolitik machen. Wenn ich mir das Gesetz anschaue, dann erkenne ich, dass es eine Subvention für die Bauwirtschaft und die Immobilienlobby ist, aber sicherlich kein Gesetz für die Mieterinnen und Mieter da draußen, die im Augenblick händeringend nach bezahlbarem Wohnraum suchen.
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Die Sonderabschreibung sorgt nicht für bezahlbaren Wohnraum. Das ist ein wohnungspolitischer Blindflug, der auch steuerpolitisch abzulehnen ist. In einer Zeit, in der die Investoren Panzerschränke voller Geld haben, ihnen auch noch Geld hinterherzuwerfen, obwohl die Wohnungsmärkte eh schon überhitzt sind, ist vollkommen absurd.
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Was wir stattdessen bräuchten, wären Investitionszulagen für die Kommunen oder für Genossenschaften, aber sicher nicht für diejenigen, die von der vorgesehenen Sonderabschreibung profitieren würden. Die haben wirklich genug Geld. Ich sage mal so: Ohne Mietpreisbindung macht solch ein Gesetz wirklich keinen Sinn.
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Was mich letzte Woche wirklich zur Weißglut getrieben hat, war die Anhörung, die wir im Finanzausschuss hatten. Herr Gutting, Sie haben gesagt, nach dieser Anhörung seien Sie bestärkt. Ich glaube, Sie sind der Einzige gewesen, der aus dieser Anhörung diese Haltung mitgenommen hat.
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Diese Anhörung war eine schallende Ohrfeige für die Große Koalition und dieses Gesetz. Alle Sachverständigen waren sich einig, dass dieses Gesetz in dieser Form niemand braucht, auch die Sachverständigen von der Großen Koalition. Die Kollegen von der SPD haben in der Anhörung gefragt, welcher Sachverständige dieses Gesetz gut findet. Da hat kein einziger Sachverständiger die Hand gehoben. Dass Sie nun hier herausgehen und sagen, dass Sie sich nach dieser Anhörung bestärkt fühlen, kann ich nicht nachvollziehen und finde es hanebüchen.
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Noch mal: Eine Anhörung ist dafür da, dass man Experten anhört. Was man da hört, muss man auch in sich wägen und überlegen, ob man vielleicht irgendetwas anders macht.
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Aber dass Sie das komplett ignorieren, zeigt, wie Sie mit diesem Parlament umgehen und wie Sie selber mit diesen Anhörungen umgehen. Sie sind Ihnen im Kern doch eigentlich egal, weil Sie nur den Koalitionsvertrag durchpauken wollen, den Sie mal in der Nacht geschlossen haben. Aber gute Ideen müssen in dieser Nacht nicht entstanden sein. Diese Idee hätte keiner gebraucht.
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Das Grundproblem dieses Gesetzes ist doch, dass Sie nicht erkennen, dass Baukosten nicht Marktmieten sind. Ich habe die Bundesregierung gefragt: Wie entsteht ein Mietpreis für eine neugebaute Wohnung auf einem Markt? Hat er etwas mit den Baukosten zu tun? Da wurde ganz klar gesagt: Die Marktmiete wird genommen. – Es ist also egal, ob ich für 1 500 Euro oder 3 000 Euro pro Quadratmeter bauen kann. Es ist die Frage, welchen Preis ich auf dem Markt erzielen kann. Ich sage Ihnen eines: Ich habe in VWL in der 11. Klasse gelernt, dass man in einer Hochkonjunkturphase nicht noch mehr Geld in den Markt reinschütten soll; denn dann erzeugt man Mitnahmeeffekte. Ich sage Ihnen eines: In der CDU und auch in der SPD wäre dieser VWL-Grundkurs mal dringend notwendig.
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Wir haben einen Vorschlag gemacht für eine Mietobergrenze. Ich sage das auch an die Adresse der SPD. In der letzten Wahlperiode haben Sie dieses Gesetz noch abgelehnt mit der Begründung, es habe keine Mietobergrenze. Nun bringen wir hier einen Gesetzentwurf mit ein, der diese Mietobergrenze einzieht. Ich erwarte von denjenigen, die ihre Zustimmung zur Mietobergrenze in den letzten Jahren immer wieder betont haben, dass sie heute unserem Gesetzentwurf für eine Mietobergrenze zustimmen.
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Nur mit einer Mietobergrenze wird es zu bezahlbarem Wohnraum kommen, sonst nicht; denn ansonsten ist es ein reiner Mitnahmeeffekt und eine reine Subvention derjenigen, die sich eh schon gerade auf den Wohnungsmärkten eine goldene Nase verdienen.
Danke schön.
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Der nächste Redner: Der Kollege Mario Mieruch.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Dies ist eine spannende Diskussion. Ich war nicht in der Ausschusssitzung, und ich bin ganz weit davon entfernt, mich als Sachverständigen zu bezeichnen. Aber nachdem ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, bin auch ich zu dem Schluss gekommen, dass dieses Gesetz nicht so richtig sinnvoll ist.
Wenn wir uns die Praxis einmal genau anschauen und die Zahlen der Tabelle aus der entsprechenden Beschlussempfehlung zusammenaddieren, kommen wir auf 810 Millionen Euro Steuermindereinnahmen, die für drei Jahre prognostiziert werden. Wenn wir das durch die gewünschte Anzahl von 1,5 Millionen Wohnungen dividieren, kommen wir auf 540 Euro pro Wohnung. Ich schätze, die Investoren werden Schlange stehen.
Wenn man das Ganze mal mit dem zukünftigen Bauvolumen, welches das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin vorhersagt, verknüpft und den Anteil der Sonderabschreibungen ausschließlich für den Wohnungsneubau berechnet, dann reduzieren sich die Gesamtbaukosten in 2020 um sage und schreibe einen halben Cent pro eingesetztem Euro, in 2021 um 9 Cent und in 2022 um 28 Cent. Meine Damen und Herren, wenn in China ein Sack Reis umfällt, dann fällt hier eine Tür ins Schloss. Sich zu erhoffen, dass dadurch 1,5 Millionen neue Wohnungen gebaut werden, ist etwas naiv oder es ist Symbolpolitik zur Wählertäuschung.
Wenn wir also ernsthaft günstigen Wohnraum schaffen wollen, dann müssen vernünftige Anreize gesetzt werden – das haben wir beim letzten Mal schon diskutiert –: Abbau bürokratischer Hürden, Wegfall staatlich induzierter Verteuerung von Bauvorhaben und eine Senkung des Risikos für Unternehmen, dass die Bauvorhaben durch einen immer öfter emotional entscheidenden Bundestag ex post unrentabel werden. Kurzum: Wir müssen dafür sorgen, dass unser Land nicht zu einem Risikoinvestitionsland wird.
Vielen Dank.
Der nächste Redner: der Kollege Bernhard Daldrup, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt bestimmte Stereotypen bei Reden, die man immer wieder findet. Das wissen wir alle. Bei der AfD sind es die antieuropäische Haltung und Flüchtlinge, bei der FDP ist es regelmäßig das Bürokratiemonster. Dabei haben die einen keine Ahnung von Europa und die anderen keine Ahnung von Bürokratie. Denn wo immer Sie von der FDP beteiligt sind, haben Sie zum Aufbau von Bürokratie beigetragen, aber nie zum Abbau.
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Ich glaube, dass ich mittlerweile sagen kann, dass keine Sitzungswoche hier im Deutschen Bundestag vergeht, in der wir nicht über Wohnen, über Bauen oder über Mieten reden.
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– Genau. Du hast recht, Chris. – Das ist ein Indiz dafür, dass wir in der Großen Koalition dieses Thema ernst nehmen, dass wir handeln und dass wir liefern, und zwar nicht mit Leerformeln, sondern mit konkreten Entscheidungen.
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Da gibt es ein breites Spektrum. Dieses breite Spektrum ist bei uns jedenfalls noch immer von unserer politischen Zielsetzung getragen, bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen. Ja, das ist die Zielsetzung.
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Ich will an dieser Stelle noch kurz sagen: Wir machen heute ein wirksames Mietenpaket. Aber es schafft noch keinen Wohnraum. Deshalb machen wir etwas für den sozialen Wohnungsbau, deshalb machen wir das Baukindergeld. Das soll auch für die Wohnungsgenossenschaften gelten, da sind wir, glaube ich, einer Meinung. Wir fördern die kommunalen Wohnungsgesellschaften – angefangen vom Bauplanungsrecht bis zum Gebäudeenergiegesetz. Wir haben fast 30 Maßnahmen auf dem Wohngipfel beschlossen, die wir konkret umsetzen. Das zusammengenommen nennt man eine Wohnraumoffensive, zu der wir uns bekennen.
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Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
In diesem Bündel von Maßnahmen ist die steuerliche Förderung durch eine Sonder-AfA eingebunden. Sie ist also ein Element. Zugegeben: Es ist ein Kompromiss, der viel Kritik auf sich gezogen hat. Das ist gar nicht zu bestreiten. Wir verstehen die Sonder-AfA dennoch als einen Mosaikstein, jetzt hoffentlich privates Kapital zusätzlich zu mobilisieren.
Uns wäre die Kopplung mit einer Mietobergrenze lieber gewesen. Ich will das gar nicht bestreiten. Allerdings sind die Baukostenobergrenze mit 3 000 Euro und die Bemessungsgrenze der Förderung mit 2 000 Euro mit der zeitlichen Eingrenzung bis zum Jahr 2021 mit einer Festlegung der Mieten auf zehn Jahre und mit der Rückforderungsoption gekoppelt. Das alles sind Bedingungen, die mietpreisbegrenzend wirken. Wir haben zwar keine Obergrenze durchgesetzt – das stimmt –, aber einen gewissen Mietendeckel haben wir durchaus dabei.
Hätten wir alternativ die lineare Abschreibung erhöht, wären solche zusätzlichen Anforderungen nicht möglich gewesen, und der zeitnahe Impuls wäre jedenfalls nicht erfolgt. Abgesehen davon war für uns der Grund, weshalb wir die lineare Abschreibung nicht verfolgt haben, dass sie schlussendlich um ein Vielfaches teurer gewesen wäre. Stattdessen haben wir an die Sonder-AfA andere Bedingungen gestellt. Eben ist etwas zur räumlichen Wirkung gesagt worden. Ich finde es interessant, dass einige das alles schon vorher wissen. Natürlich kann das auch für Dachgeschosswohnungen in verdichteten Regionen eine Rolle spielen.
Mit Blick auf die zusätzlichen Bedingungen will ich noch mal das besonders betonen, was von meiner Kollegin Kiziltepe schon genannt worden ist, nämlich die verbesserte Förderung des Mieterstroms. Dazu will ich eines sagen, Chris: Wenn du uns jetzt festnageln willst und sagst: „Ihr macht keine Mietobergrenze mit“, dann sage ich: Ihr macht doch diese Verbesserung des Mieterstroms für die Wohnungsgenossenschaften auch nicht mit, wenn ihr dieses Gesetz ablehnt. Da können wir offen und klar drüber reden.
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Also: Innerhalb eines vierjährigen Zeitraums können insgesamt 28 Prozent der förderfähigen Kosten abgeschrieben werden. Im Kern ist das ein Vorzieheffekt steuerlicher Abschreibungen, der es uns jedenfalls wert sein sollte, wenn es darum geht, zusätzlichen Wohnraum zu ermöglichen. Das wollen wir, und das machen wir übrigens auch durch die Unterstützung einer guten Grundsteuerreform und nicht durch ein Bürokratiemonster. Herr Herbrand, darauf können Sie sich verlassen. Wir legen Wert darauf, handlungsfähige Kommunen zu haben.
Herzlichen Dank.
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Der letzte Redner: Dr. Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für neue Investitionen in den Wohnungsbau. Heute ist damit auch ein guter Tag für Wohnungssuchende und für die Bekämpfung der Wohnungsnot. Unser Ziel ist es, mit der steuerlichen Förderung die hohe Nachfrage nach preisgünstigen Wohnungen durch zusätzlichen Mietwohnungsbau stärker zu decken.
Die Einführung einer Sonderabschreibung ist dabei der marktwirtschaftliche Anreiz für verstärkte Investitionen in den Wohnungsbau. Ohne räumliche Begrenzung wird in einem Zeitraum von vier Jahren ein Abschreibungsvorteil auf die förderfähigen Anschaffungs- und Herstellungskosten von immerhin 28 Prozent gewährt. Das ist ein echter Anreiz, um privates Kapital in den Wohnungsbau zu steuern, meine Damen und Herren.
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Insgesamt wollen wir mit unserer Wohnoffensive den Bau von 1,5 Millionen neuen Mietwohnungen in dieser Legislaturperiode sicherstellen.
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Öffentliche Mittel alleine reichen dazu natürlich nicht aus. Deshalb, meine Damen und Herren, ist es richtig und wichtig, auch privates Kapital für dieses Ziel zu mobilisieren. Ohne geht es nicht.
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Die Opposition hat wieder einmal nicht mit Kritik gespart in dieser Debatte.
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Wir sind das gewohnt. Wenn es um die Privatwirtschaft geht, kommen bekanntlich alle Ideologen aus ihrer Traumwelt heraus. Die Grünen träumen von Panzerschränken voller Geld, aber eine zielführende Alternative habe ich von den Oppositionsbänken leider nicht gehört, meine Damen und Herren.
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Die Alternative kann in jedem Fall nicht sein, die Hände in den Schoß zu legen. Wir müssen für den Neubau von Wohnungen vielmehr alle Kräfte mobilisieren. Dazu leistet dieses Gesetz einen wichtigen und konkreten Beitrag, meine Damen und Herren.
Bei der Lösung der Wohnungsnot ist aber – das sollte heute deutlich werden – nicht nur der Bund gefordert; gefragt sind auch die Kommunen. Sie müssen zügig ausreichend günstiges Bauland ausweisen. Sie müssen das Planungsrecht verbessern und die Genehmigungszeiträume wesentlich verkürzen. Die Kommunen müssen bei der Festlegung der Grundsteuerhebesätze auch die Interessen der Mieter im Auge behalten.
Es gibt Kommunen in unserem Land, die zusätzliche Sozialmodelle ohne jede gesetzliche Grundlage erfinden, meine Damen und Herren. Das heißt, für diese Modelle ist eigentlich der Bund als Gesetzgeber zuständig. So bringt man preisgünstiges Wohnen zum Scheitern. Diese Maßnahmen müssen austariert sein; denn natürlich führen sie zwangsläufig zu höheren Nettomietpreisen, insbesondere für die Mieter, die nicht am Sozialmodell teilhaben können. Im schlimmsten Fall führen sie zu einem Attentismus, weil sich die Investition nicht mehr darstellen lässt. Wer sich danach hinstellt und lautstark über Wohnungsmangel, über Wohnungsnot klagt, handelt nach meiner Ansicht unredlich.
Dies alles gilt auch bei der anstehenden Grundsteuerreform. Hier kommt es darauf an, letztendlich eine vernünftige Lösung zu schaffen. Ein Modell, das letzten Endes zu deutlichen Mietpreiserhöhungen in Ballungsgebieten führt, ist nach unserer Auffassung inakzeptabel. Das bislang vom Bundesfinanzministerium vorgelegte Reformmodell einer wertabhängigen Grundsteuer wäre unter diesem Gesichtspunkt nicht nur ein Bürokratiemonster, sondern bedeutete Miet- und Steuererhöhungen auf breiter Front, meine Damen und Herren. Deswegen sagen wir: Das ist mit uns nicht zu machen. Wir wollen keine Steuer- und Mieterhöhungen in den Ballungszentren.
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Gefragt sind aber auch die Länder. In den vergangenen Jahren haben die Länder gewissermaßen einen Wettbewerb um die Höhe der Grunderwerbsteuer veranstaltet. Zum Teil wurde die Grundsteuer verdoppelt. Das sind Kosten, die am Ende die Neubaumieten in die Höhe treiben. Wenn in Berlin ein Grunderwerbsteuersatz von 6,5 Prozent erhoben wird, während dieser in Bayern und Sachsen bei 3,5 Prozent liegt, dann ist das in Berlin natürlich eine Mietpreiserhöhung durch die Hintertür. Auch das gehört zur Wahrheit und muss hier ausgesprochen werden.
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Und auch nach Verabschiedung dieses Gesetzes müssen wir weiter über Wohnungsbau reden, auch darüber, wie wir mittel- und langfristig noch mehr Investitionen in den Wohnungsbau auf neuem Niveau erreichen. Ich halte deshalb unter diesem Aspekt eine Anhebung der linearen Abschreibung von derzeit 2 Prozent auf mindestens 3 Prozent jährlich in der Zukunft langfristig für unabdingbar erforderlich. Dabei würden wir eine Angleichung der AfA an den tatsächlichen Werteverzehr erreichen und langfristige Impulse setzen. Ein Werteverzehr von heute 50 Jahren allein bei der Haustechnik ist auf 30 Jahre zu kürzen. Deswegen ist es notwendig, dass wir auch hier weiter voranschreiten.
In diesem Sinne darf ich Sie bitten, diesem Gesetz heute zuzustimmen, im Interesse der Menschen, im Interesse der Bekämpfung der Wohnungsnot und damit dieser Tag ein guter Tag für Wohnungssuchende in Deutschland wird, meine Damen und Herren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Warum Entpolitisierung der Justiz? Relativ einfach: Herrscher dieser Welt haben schon immer dazu tendiert, ihre Herrschaft zu festigen, möglichst noch auszudehnen und Hemmnisse auf diesem Weg zu beseitigen, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste.
({0})
Im Laufe der Zeit wurde deswegen die Gewaltenteilung entwickelt, wobei insbesondere der unabhängigen Justiz die Aufgabe zukam, die Gewalt der Herrscher im Zaum zu halten, die Bürger vor ihnen zu schützen.
Nun ist das mit der Unabhängigkeit der Justiz so eine Sache. Als sie in Preußen eingeführt wurde, soll der damalige Justizminister gesagt haben, die Richter könnten von ihm aus gerne unabhängig sein, solange er es sei, der über ihre Beförderung entscheide. An dieser Lage hat sich bis heute nichts geändert, und wir haben nicht nur die damalige Herrscherschicht entsorgt – wir haben eine neue –, wir haben sogar ein politisches System neu eingeführt, die Parteiendemokratie.
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Gleichwohl ist das frühere, sagen wir mal, königliche Privileg heute unter der Flagge der demokratischen Legitimation fröhlich am Leben.
Genauso am Leben ist die frühere Sitte, dass man die absolut entscheidenden Spitzenämter in der Justiz mit den eigenen Leuten besetzt, also mit den Angehörigen des Herrscherkreises.
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Ein früherer Chef von mir, seinerzeit Generalstaatsanwalt beim Landgericht Berlin, meinte mal, bezogen auf die Richter am Bundesverfassungsgericht, das seien doch alles mehrheitlich nur als Richter verkleidete Politiker.
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Als hätte es eines Wahrheitsbeweises bedurft, hat dieses Hohe Haus in der letzten Woche mit großer Mehrheit einen aktiven Berufspolitiker in das Bundesverfassungsgericht gewählt. Das erweckt einen bösen Anschein. Da kann der Kollege untadelig sein, wie er will; das hat ein Geschmäckle. Es erweckt den Anschein einer politisierten Justiz.
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Eine politische Justiz wäre aber sehr gefährlich; denn sie fällt nicht mehr der Regierung in den Arm, sondern sie bekämpft die Opposition.
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Die Antwort kann nur sein: Die Politik sollte ihre Finger raus aus der Justiz nehmen.
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Wir stellen uns vor – das ist Inhalt unseres Gesetzentwurfs –, dass die Richterschaft beim Bundesverfassungsgericht künftig aus Bundesrichtern, Bundesanwälten und Hochschullehrern besteht, nicht mehr teilweise aus Politikern; dass die Richter gewählt werden von einem aus Richtern des Bundesverfassungsgerichts, Bundesrichtern und Bundesanwälten bestehenden Wahlausschuss und dass dieser auch über Ernennungen und Beförderungen zu entscheiden hat.
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Das hat auch zu gelten für die sonstigen Bundesrichter. Diese Kandidaten haben ausschließlich aus der Justiz zu kommen. Vergleichbares hat für die Besetzung der Oberlandesgerichte zu gelten.
Die Generalstaatsanwälte sollte man auch nicht vergessen – ohne Kläger kein Richter –: Sie sollten von dem Weisungsrecht der Justizminister befreit werden. Sie sollten richterliche Unabhängigkeit bekommen,
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und sie sollten ebenfalls nach den Grundsätzen der Richterwahl gewählt werden.
Nicht zu vergessen die politischen Beamten! Es gibt nur für sehr wenige politische Beamte eine Rechtfertigung: für Parlamentarische Staatssekretäre, die absoluten Spitzen der Ministerien und Regierungssprecher. Alle anderen Beamten müssen nicht ständig mit der Regierungslinie übereinstimmen. Sie sollten Beamte auf Lebenszeit sein. Ein solcher Beamter auf Lebenszeit hat die Möglichkeit, auch mal Nein zu sagen. Das ist übrigens auch die Pflicht eines Behördenleiters. Wer von heute auf morgen seines Amtes enthoben werden kann, dem wird es sehr schwer gemacht, auf Recht und Gesetz und seiner Auffassung zu bestehen. Der Fall Maaßen hat im gesamten Staatsapparat eine unrühmliche Wirkung entfaltet. Da können Sie sicher sein.
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Wir sehen uns im Ausschuss.
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Vielen Dank, Roman Reusch. – Nächster Redner: Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Titel der Vorlage der AfD lautet: „Entwurf eines Gesetzes zur Entpolitisierung der Justiz und Sicherheitsbehörden“. Ein entlarvender Satz
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findet sich auf Seite 8 des Gesetzentwurfs. Dort steht geschrieben – ich zitiere –:
Wesentlicher Inhalt des Entwurfs ist die Beseitigung der Wahl … durch Politiker …
„Beseitigung der Wahl“ – treffender könnte man Ihre Absichten nicht auf den Punkt bringen.
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Es geht Ihnen darum, den Rechtsstaat und die parlamentarische Demokratie zu diskreditieren.
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Wenn ich mir ansehe, was Mitglieder Ihrer Fraktion zu den Themen Rechtsstaat und Justiz allein in den letzten Monaten gesagt haben, dann wird dieses Bild dadurch untermauert: Beatrix von Storch am 13. März 2018 auf Twitter zu einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Hannover – ich zitiere –:
Diesen Richter sollten wir gleich mit abschieben. Mindestens Berufsverbot. Oder ist der ein Fall für betreutes Wohnen?
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Oder Frank Pasemann am 10. Juli 2018 auf Twitter zum Thema NSU-Prozess; er spricht von einem – ich zitiere – „Schauprozess“.
Oder der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Stephan Brandner,
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am 22. November auf Twitter, zur Wahl des Kollegen Stephan Harbarth
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ans Bundesverfassungsgericht – ich zitiere –: „Anschlag auf den Rechtsstaat“.
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Meine Damen und Herren, das sind besorgniserregende und bittere Zitate. Ich sage Ihnen: Es geht nicht um eine „Entpolitisierung“ der Justiz, sondern es geht darum, dass Sie sich endlich klar und deutlich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zum Rechtsstaat bekennen.
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Da haben Sie Nachholbedarf, meine Damen und Herren.
Wenn man sich ansieht, in welche Richtung Sie wollen, dann wird klar und deutlich, dass Sie das System einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht verstanden haben und nicht verstehen wollen.
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Die Richter des Bundesverfassungsgerichts werden durch den Bundestag in geheimer Wahl mit der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages gewählt, mindestens mit Kanzlermehrheit.
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Ich glaube, eine stärkere demokratische Legitimation hat dieses Haus gar nicht,
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als dass in geheimer Wahl in Wahlkabinen ein Richter des Bundesverfassungsgerichts gewählt wird.
Was wollen Sie dagegen? Sie wollen, dass die Richter des Bundesverfassungsgerichts – eines Verfassungsorgans, das höchstes Vertrauen in der Bevölkerung genießt – zukünftig durch einen Richterwahlausschuss von nur zwölf Mitgliedern gewählt werden, der selber nur aus Richtern und Staatsanwälten besteht. Meine Damen und Herren, das ist nicht demokratisch, das ist eigentlich eine Idee des Ständestaates, das ist vordemokratisch,
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und das passt nicht zur freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes.
Im Übrigen: Ihr Antrag atmet den Geist, dass Sie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nicht in dem Maße würdigen, wie es eigentlich für Angehörige eines anderen Verfassungsorganes angemessen wäre. Ihr Antrag negiert auch, dass die Justiz in Deutschland nicht eine Organisation ist, die man mit Misstrauen und mit Häme überschütten sollte. Stattdessen sollten wir uns einmal klar und deutlich zu unseren Sicherheitsbehörden und zur Justiz bekennen.
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Wir haben einen starken Rechtsstaat, wir haben eine unabhängige Justiz,
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wir haben Polizeibeamte, die das Vertrauen dieses Hauses genießen und die wissen sollten, dass sich die Abgeordneten dieses Hauses auch hinter sie stellen und dass sie nicht mit Missgunst und Herablassung behandelt werden.
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Wir setzen gegen Ihren Antrag der Verächtlichmachung von Rechtsstaat und Demokratie
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einen Pakt für den Rechtsstaat.
Ich sage gleich etwas; keine Angst.
Herr Kollege Brandner, Sie haben „Anschlag auf den Rechtsstaat“ zur Wahl eines Richters am Bundesverfassungsgericht gesagt. Jetzt haben Sie hier unflätige Worte gebraucht. Ich glaube, das ist nicht die Art und Weise, wie wir hier umgehen sollten, das ist unwürdig.
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Ich sage das mal ganz persönlich,
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und das ist mein letzter Satz:
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Das passt in die Strategie von Rechtspopulisten überall in Europa: Verächtlichmachung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Herablassung, Misstrauen. Dem stellen wir entgegen: das Vertrauen in die Demokratie und das Vertrauen in den Rechtsstaat.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Ullrich.
Herr Brandner, Ihre Wortwahl hat mit allem anderen, nur nicht mit der Würde dieses Hauses zu tun. Wenn Sie Kontroversen austragen wollen, dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie sich zumindest bemühen, sich zivilisiert auszudrücken. So geht man mit Kollegen nicht um! Sie können eine andere Meinung haben; aber diese Zwischenrufe – das geht nicht. Und wenn Sie Weihnachtskarten schreiben wollen, dann machen Sie das vielleicht in Ihrem Büro und nicht hier in der Debatte.
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Nächster Redner: Dr. Jürgen Martens für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie die Debatte gerade eben schon gezeigt hat, ist dieser Gesetzentwurf, der von Herrn Reusch so freundlich vorgetragen wurde, in Wahrheit doch ein ziemlich vergiftetes Geschenk, das hier eingebracht wird.
In der Tat sieht man, wenn man sich den Gesetzentwurf anschaut: Es geht im Kern darum, die Justiz insgesamt zu diskreditieren, und zwar mit der Behauptung, wir haben es hier mit einer politischen Justiz – der Ausdruck ist gefallen – zu tun.
Die Frage dagegen muss lauten: Wo gibt es eine solche Politisierung in der deutschen Justiz? Der Gesetzentwurf behauptet das zwar, allerdings entgegen den Tatsachen, etwa wenn es heißt, dass bei den Wahlen zum Bundesverfassungsgericht „nur“ – ich zitiere: „nur“ – solche Richter eine Chance haben, die den großen Parteien CDU und SPD nahestehen. Das ist schlicht falsch; das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen und seiner Arbeit seit über sechzig Jahren bewiesen, dass diese Unterstellung nicht zutrifft.
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Zu den Staatsanwaltschaften wird behauptet – ich zitiere wieder aus dem Gesetzentwurf –:
Eingriffe von „Hoher Hand“ in einzelne Verfahren aus Gründen politischer Opportunität sind keine Seltenheit.
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Das ist falsch, es ist eine glatte Lüge, Herr Brandner, auch wenn Sie immer wieder das Gegenteil behaupten.
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Nennen Sie ein Verfahren! Nennen Sie Beweise! Nennen Sie Zahlen! Das können Sie nicht.
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Im Jahr 2016 sind in Deutschland über 5 Millionen Strafverfahren von den Staatsanwaltschaften erledigt worden, 5 Millionen Verfahren. Sagen Sie es! Nennen Sie es! Sie können keinen Beleg dafür bringen.
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Ich habe selbst als Justizminister in fünf Jahren nicht ein einziges Mal von irgendeinem Weisungsrecht Gebrauch gemacht, und das gilt für die ganz, ganz überwiegende Mehrzahl meiner Kollegen gleichermaßen.
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Meine Damen und Herren, das müssen sich die Staatsanwälte in Deutschland nicht vorwerfen lassen: dass sie – „keine Seltenheit“, das heißt laufend – aus politischer Opportunität irgendwelchen Weisungen unterliegen. Das ist schlicht falsch.
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Weiter heißt es dann, die vorgeschlagene Änderung hätte „im Bereich der Bekämpfung von Korruptions-, Wirtschafts- und organisierter Kriminalität nicht zu unterschätzende Auswirkungen“.
Was soll denn das heißen? Soll das heißen, dass gegenwärtig, ohne diese Änderungen, die Bekämpfung solcher Kriminalität nicht oder nur schlecht funktioniert? Was unterstellen Sie eigentlich an politischen Absichten dahinter? Das ist das Infame: dieser Subtext hintendran, dass bei uns nicht ermittelt würde, weil es diese Änderungen, die die AfD hier vorschlägt, nicht gibt, meine Damen und Herren, und dem setzen wir uns nicht wehrlos aus.
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Die Vorschläge, die Sie bringen, mit denen Sie diese angeblichen, selbst herbeigelogenen Probleme bekämpfen wollen,
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diese Vorschläge sind untauglich. Die Wahl von Richtern am Bundesverfassungsgericht soll jetzt durch Richterwahlausschüsse erfolgen; aber die Besetzung soll nach Listen erfolgen, die beim Bundesjustizministerium geführt werden. Das heißt, das Eingangstor, der Flaschenhals – das liegt bei der Verwaltung, nicht einmal beim Parlament. Die Verwaltung entscheidet, wer auf die Liste kommt. Und dann darf gewählt werden? Und das soll eine größere demokratische Legitimation von Richtern bewirken, als gegenwärtig gegeben ist? Das glauben Sie doch selber nicht.
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Natürlich kann man sich darüber unterhalten, das Weisungsrecht gegenüber den Generalstaatsanwaltschaften nach § 147 Gerichtsverfassungsgesetz zu beseitigen. Ich bin auch dafür.
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Aber was machen Sie? Sie schieben gleich hinten nach, dass sofort alle Staatsanwälte die gleiche Unabhängigkeit wie Richter im Sinne des § 26 Absatz 1 Deutsches Richtergesetz genießen müssten, wonach der Richter nichts unterworfen ist, was seine Unabhängigkeit irgendwie beeinträchtigen könnte. Das heißt, der Staatsanwalt bestimmt in Zukunft, was er erledigt, in welcher Geschwindigkeit, wann er zur Arbeit kommt, wann er wieder geht, und versetzen kann man ihn nicht; man kann dienstaufsichtlich überhaupt nichts machen.
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Das sind nichts weiter als die feuchten Träume von Staatsanwälten,
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wenn man sie mal laufen lässt, meine Damen und Herren, das hat aber mit einem funktionierenden Rechtsstaat herzlich wenig zu tun.
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Vielen Dank, Dr. Martens. – Nächster Redner: Karl-Heinz Brunner für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Wäre es nicht so bitter, könnte man bei der Überschrift, die gewählt wurde, sagen: Sie wollen Vertrauen in die Richtigkeit richterlicher, staatsanwaltschaftlicher und behördlicher Entscheidungen herstellen – angeblich, um den Rechtsstaat zu stärken. Dann müsste man sagen: Schön, dass Sie in Deutschland angekommen sind; willkommen im Rechtsstaat!
Nach Religion, Minderheiten, Schwulen und Lesben und Ihrem Lieblingsthema, den Flüchtlingen, soll es nun der Rechtsstaat sein, an den Hand gelegt wird.
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Ich könnte jetzt sagen, dass der erste Blick täuscht. Nun ja, lassen Sie uns doch mal schauen, von wem diese Debatte angestoßen wird: von einem Ex-Staatsanwalt, der seinen Beamtenstatus verloren hat, da er die Pflicht zur Verfassungstreue verletzt hat, indem er den deutschen Staat, für den auch wir hier stehen, als „Unterdrückungsinstrument“ bezeichnete;
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von einer ehemaligen Richterin, die in ihrer Rede behauptet, dass dem Gesundheitssystem Milliardenkosten entstünden, weil Flüchtlinge ihre Beipackzettel nicht lesen könnten – ein Faktencheck zeigt: die Behauptung ist dreist konstruiert –; von einem Ex-Oberstaatsanwalt, der sagt – ich zitiere –: „Wenn die Blockparteien so weitermachen können wie bisher, dann hat unser Land in 20 Jahren fertig, wir wären wirtschaftlich ruiniert, von einer nicht-deutschen Mehrheit besiedelt und auf dem besten Weg in die islamische Republik“;
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oder von einem Ex-Richter am Landgericht, der sich solche rassistischen Äußerungen wie „kleiner Halbneger“ erlaubt.
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Ist das das Vertrauen, das Sie in den Rechtsstaat herstellen wollen? Mit den Unterzeichnern gelingt Ihnen dies jedenfalls nicht.
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Zugegeben: Es gibt Gerichtsurteile, die große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen: das Wegsperren des Herrn Mollath, der Prozess gegen Uli Hoeneß. Die öffentliche Meinung und die Entscheidungen klaffen auseinander. Sie befördern öffentliche Zweifel an der Justiz, ihrer Unabhängigkeit und ihrem Realitätssinn. Ja, Zweifel! Doch dies war schon immer so, und es wird immer so sein; denn dafür haben wir unser Recht, ein geschriebenes Recht, ein Recht, das nicht Stimmungen, nicht dem Gefühl der Straße, nicht der öffentlichen Meinung oder gar dem Volksempfinden nachgibt.
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Wer daraus jedoch Reformbedarf bei der Bundesrichterwahl konstruiert, der hat unser Rechtssystem, jedenfalls das der Bundesrepublik Deutschland, nicht verstanden.
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Meine Damen und Herren, denn so kritisch diese Urteile in der Gesellschaft aufgenommen wurden: Es ist nicht zu erkennen, dass sie das Grundvertrauen in die deutsche Justiz erschüttern.
Herr Kollege, eine Sekunde. – Ich will ankündigen, dass ich heute angesichts der langen Tagesordnung, die wir noch vor uns haben, und angesichts der Verantwortung, die wir nicht nur gegenüber uns selber haben, sondern auch gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses, der Verwaltung, unseren Protokollanten, unseren Parlamentsassistenten, dem Personal des Restaurants, keine Zwischenfragen und keine Kurzinterventionen mehr zulasse.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Dies wird im Übrigen entgegen der ganzen politischen Schaumschlägerei vonseiten der AfD hier durch statistische Daten belegt. Die Frage „Wie sehr vertrauen Sie der Justiz bzw. dem deutschen Rechtssystem?“ haben 72 Prozent mit „Eher vertrauen“ beantwortet, und die Tendenz ist steigend.
Das hat seinen Grund. Er heißt auch: demokratische Legitimation, die Legitimation, die sich mit der Parlamentsbeteiligung bei der Richterwahl bewährt, die Legitimation, die Hauptmotiv für die Regelungen zur Richterwahl war: ja, auch für eine aufgrund ihrer Verstrickung in die Nazigewaltherrschaft diskreditierte Justiz in der Bevölkerung wieder Vertrauen herzustellen. Übrigens: Die Lektüre der „Akte Rosenburg“ dazu hilft Ihnen da weiter.
Noch dazu, meine Damen und Herren, dienen die Richterwahlen ja auch dem Zweck, die Kandidatinnen und Kandidaten für ein Richteramt auf ihre Eignung zu prüfen, nicht allein nach ihrer Platzziffer und juristischen Brillanz, sondern vor allen Dingen hinsichtlich ihrer Verfassungstreue.
Deshalb, meine Damen und Herren, lassen Sie uns beim bewährten Prozedere verbleiben! Um den Rechtsstaat zu stärken, braucht es mehr, nämlich eine gute Ausstattung mit Richtern, Staatsanwälten, Rechtspflegern, Amtsanwälten und engagierten Justizbediensteten, die allesamt fest und unverrückbar dort stehen, wo sie hingehören: auf dem Boden unseres Grundgesetzes.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Kollege Brunner. – So, es gibt jetzt keine Zwischenfrage und keine Kurzintervention. Aber nach § 30 unserer Geschäftsordnung hat Herr Maier kurz das Wort.
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Herr Dr. Brunner, ich muss hier vielleicht etwas richtigstellen: Ich habe Herrn Noah Becker nicht persönlich als „Halbneger“ bezeichnet. Es gibt eine Verfügung der Staatsanwaltschaft Dresden, wo das Verfahren eingestellt wurde – wegen erwiesener Unschuld; das möchte ich hier einmal ganz deutlich sagen. Ich führe zurzeit mehrere Rechtsstreitigkeiten gegen Zeitungen, die was anderes behaupten.
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Das wollte ich Ihnen nur mal mitteilen.
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Gut. Danke schön, Herr Maier. – Nächster Redner: Friedrich Straetmanns für die Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Zuhörertribünen! Zur Beratung steht der Gesetzentwurf der AfD über die „Entpolitisierung der Justiz und Sicherheitsbehörden“, ein Entwurf, der nach eigener Begründung – ich zitiere – „eine Stärkung des Vertrauens der Bürger in die Richtigkeit richterlicher, staatsanwaltschaftlicher bzw. behördlicher Entscheidungen und damit in den Rechtsstaat“ erreichen will.
Vorab gesagt: Es ist dreist, dass gerade Sie von der AfD dieses Thema aufgreifen; dazu später mehr.
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Meine Fraktion, Die Linke, hat in der 17. Wahlperiode einen Gesetzentwurf zur „Herstellung der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz“ eingebracht.
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Dieser Entwurf sollte unter anderem über die stärkere Stellung von Richterwahlausschüssen die schon bisher dort teilweise bestehende Selbstverwaltung ausbauen und so eine stärkere Eigenverantwortung ermöglichen. Das ist aus unserer Sicht erforderlich.
Wir stellen dieses Thema aber gerade nicht unter den Begriff „Entpolitisierung“, weil uns sehr wohl bewusst ist: Justiz ist, auch wenn man kein Parteibuch unter der Robe trägt, immer ein Stück weit politisch; denn vor Gericht werden wesentlich Entscheidungen über die Auslegung und Anwendung von hier beschlossenen Gesetzen getroffen.
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Auf dem Gebiet des Sozialrechts kann ich aus meiner langjährigen richterlichen Erfahrung hierzu vieles berichten. Natürlich sind die Frage der Anwendung von Sanktionen und der Streit um die Höhe des Regelsatzes bei Hartz IV auch immer eine politische Angelegenheit; und das ist auch gut so. Recht lebt gerade von den widersprechenden politischen Auffassungen, und diese bilden sich in den Gesetzen ab.
Nun zur AfD selber. Sie geben sich als Biedermänner, sind aber Brandstifter.
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Das ist gefährlich, weil viele von Ihnen aus der Justiz kommen und dort eher durch vollkommene Unfähigkeit zur politischen Mäßigung aufgefallen sind.
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Es wurde eben zitiert: Herr Reusch, in Ihrem Beruf als Staatsanwalt sind Sie nicht nur einmal mit politischen Äußerungen in der Öffentlichkeit aufgefallen, die die ganze Berliner Staatsanwaltschaft in ein schlechtes Licht gerückt haben.
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Aber in Ihrer Truppe finden sich noch viel schlimmere Fälle. Ihr Fraktionskollege Thomas Seitz verlor kürzlich seinen Beamtenstatus, da er sich, obwohl er Staatsanwalt war, zu Äußerungen verstieg, die jedes Maß vermissen ließen.
Herr Maier, in Ihrem Beruf als Richter am Landgericht Dresden haben Sie Ihren Kollegen allerlei Ärger bereitet, weil Sie sich – ich muss es ganz klar sagen – einfach nicht im Griff haben und das öffentliche Vertrauen in Ihre Kammer gefährdet haben. Ihr Gericht musste Ihnen nach Ihrer rechtsradikalen Brauhaustirade die Zuständigkeit für Verfahren im Ehrschutz entziehen. Einen Verweis haben Sie dafür ebenfalls kassiert.
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Eigenartig: Mir ist es in vielen Jahren der Tätigkeit als Richter am Sozialgericht nie gelungen, so auffällig zu werden.
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Ich werde Ihnen auch sagen, warum.
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Weil es zum Berufsethos jedes Richters und Staatsanwalts gehören muss, seine eigene politische Meinung maßvoll und mit Rücksicht auf das Amt zu äußern.
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Da Sie das nicht können, gehen Sie einfach davon aus, dass andere dazu ebenfalls nicht in der Lage sind.
Auf Ihre Ausführungen über politische Spitzenbeamte will ich nicht groß eingehen. Es geht Ihnen ja, wie ausgedrückt, ganz offensichtlich um die Ehrenrettung von Hans-Georg Maaßen, der als Verfassungsschutzchef gehen musste, weil er sich, trunken von Ihrem Beifall, ins Tagesgeschäft der Bundesregierung eingemischt hat.
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Wenn Sie den Mann so gerne feiern möchten, verleihen Sie ihm doch einfach eine Ehrenmitgliedschaft.
Insgesamt taugt für uns Ihr Entwurf nicht dazu, sich einem ernsten Thema angemessen zu nähern. Wir werden ihn daher ablehnen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Friedrich Straetmanns. – Nächste Rednerin: Canan Bayram für Bündnis 90/Die Grünen.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln heute einen Antrag, der wieder einmal aus der AfD-Giftküche kommt, mit dem Ziel einer Verächtlichmachung des Staates und alles Politischen.
Die AfD macht das hier nicht zum ersten Mal.
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Ich kann insoweit an das anknüpfen, was der Vorredner gesagt hat: Sie sind verärgert darüber, wie Herr Maaßen entlassen wurde, nachdem er nachweisbar seine Dienstpflichten verletzt hat. Dass das eine Konsequenz haben musste und dass es eine hatte, finden wir richtig. Deswegen wollen wir das auch nicht ändern.
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Dass Sie sich bei dieser Forderung auch noch auf Herrn Wendt berufen, der sich bekanntermaßen monatelang fürs Nichtstun hat bezahlen lassen, sagt auch sehr viel über Ihre Referenzen aus.
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Der Gesetzentwurf hat aber einen Teil, über den wir reden können. Da geht es darum, ob die Richterwahl, wie sie derzeit durchgeführt wird, optimal ist oder ob wir dort etwas reformieren können. Wir als Bündnis 90/Die Grünen haben hierzu schon Verbesserungsvorschläge gemacht. In der Tat kann man sich in den Ländern ein Bild davon machen. Ich selbst war lange in Berlin im Richterwahlausschuss. Da wurde mehr diskutiert, da wurden Stellen ausgeschrieben, und wir haben tatsächlich in einer transparenteren Art und Weise die Richter ausgewählt. Dazu bin ich gerne bereit. Wir haben in der Vergangenheit Anträge dazu geschrieben, die wir diskutieren können.
Insbesondere wäre herauszustellen, dass wir die Stellen ausschreiben, damit transparent ist und jeder weiß, dass eine Stelle frei wird. Darüber ließe sich reden.
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Auch das Anforderungsprofil für die Stellen könnte transparent dargestellt werden. Aber das würde bedeuten, dass wir bei dem Profil deutlicher machen müssten, dass wir im Sinne der Gleichstellung diese Positionen auch mit Frauen besetzen wollen. Dazu lese ich in Ihrem Gesetzentwurf kein Wort; ehrlich gesagt wundert mich das noch nicht mal.
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Nun zum letzten Punkt, zur Weisungsgebundenheit bzw. -freiheit gegenüber der Staatsanwaltschaft. Man fragt sich wirklich, wie sehr Sie in Ihrem alten Job gelitten haben, Herr Reusch, und wie gut es Ihnen dann wohl hier geht, wenn Sie, wie der Kollege Martens es gesagt hat, Zeit für feuchte Träume haben.
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Der Punkt ist, dass Ihre Vorschläge gegen Grundprinzipien, sowohl das Demokratieprinzip als auch das Ministerverantwortlichkeitsprinzip, verstoßen. Wollen Sie, dass die Staatsanwälte machen können, was sie wollen? Wen ziehen wir denn dann zur Verantwortung? Es ist doch der Minister, der dafür geradestehen muss, wenn etwas nicht läuft. Es ist der Minister, der eingreifen muss, wenn etwas total schiefläuft. Wenn wir dieses Weisungsrecht abschaffen, haben wir die Situation, dass wir niemanden dafür verantwortlich machen können. Sie würden dann wahrscheinlich Ihr wildes AfD-Treiben sozusagen in die Staatsanwaltschaft überführen. Das wollen wir nicht. Das werden wir verhindern.
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Wozu wir aber auch einen Antrag eingebracht haben und worüber wir gerne diskutieren, ist, dafür zu sorgen, dass die politische Einflussnahme nicht möglich ist. Das heißt, beim Weisungsrecht muss deutlich sein: Es gibt keine Einzelweisungen, sondern ein maßvolles Nutzen der Instrumente. Ehrlich gesagt habe ich, als ich Ihren Gesetzentwurf zum ersten Mal gelesen habe, gedacht: Entpolitisierung? Das meint die AfD doch wohl nicht ernst.
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Sie wollen die Politisierung der Justiz und der Sicherheitsbehörden in Ihrem Sinne, und das werden wir ganz bestimmt verhindern.
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Vielen Dank, Canan Bayram. – Nächster Redner: Dr. Patrick Sensburg für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Brandner, ich sage nur, wie es ist. – Ihr Gesetzentwurf zur Entpolitisierung der Justiz und Sicherheitsbehörden erweckt den Eindruck, als hätten wir eine politische Justiz und politische Sicherheitsbehörden. Mitnichten! Das ist nicht der Fall.
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Wir haben Sicherheitsbehörden, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung schützen. Wir haben keine politische Justiz.
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Sie suggerieren dies erst mit Ihrem Gesetzentwurf, und eigentlich – es ist gerade gesagt worden; ich kann dem nur zustimmen – wünschen Sie es sich ja durch Ihre Brille, und das ist traurig.
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Ihr Gesetzentwurf hat im Kern drei Themen, über die man zwar diskutieren kann. Aber wenn man das tut, wird man sehr schnell zu dem Schluss kommen, dass man Ihren Gesetzentwurf und die darin enthaltenen Punkte ablehnen muss. Der erste Punkt ist das Weisungsrecht gegenüber der Staatsanwaltschaft. Der zweite Punkt ist die Frage, wie es mit politischen Beamten, unseren Spitzenbeamten, aussieht. Der dritte Punkt ist die Richterwahl.
Beim Weisungsrecht gegenüber der Staatsanwaltschaft hat das Grundgesetz in Artikel 97 eine ganz klare Entscheidung getroffen: Richter sind unabhängig. Diese Entscheidung ist ganz bewusst getroffen worden. Denn bei der Abwägung, die damals stattgefunden hat und auch immer wieder in den Diskussionen stattfindet, wird ganz klar auf der einen Seite die Freiheit der Justiz angeführt, auf der anderen Seite aber auch, dass es Verantwortung für Entscheidungen geben muss.
Die Staatsanwaltschaft besteht aus Exekutivbeamten im Strang, und der Chef ist der Justizminister, ebenso wie der Chef der Polizisten der Innenminister ist. Er muss für die Arbeit geradestehen. Das ist im Umkehrschluss ein Schutz für Staatsanwälte, weil sie wissen, dass Sie die Deckung ihrer Führung, ihres Ministers, haben. Daher rührt die Entscheidung, dass Staatsanwälte weisungsgebunden sind.
Nur in ganz wenigen Fällen tritt wirklich einmal eine Situation auf, in der das problematisch ist. Wir denken an die Diskussion um die Weisung an den Generalbundesanwalt Range durch den damaligen Justizminister Maas. Das wird sofort öffentlich. Das wird diskutiert. Ich hätte mir das damals anders gewünscht, okay; aber das sind Einzelfälle, die dann auch wirklich in den Fokus geraten. Dass ein Minister dann irgendwann eine Entscheidung trifft, wenn er meint, dass er sie treffen muss, liegt dann auch in seiner Verantwortung. Von daher ist, glaube ich, das Recht der Weisung gegenüber Staatsanwälten richtig. Das unterscheidet sie eben von den Richtern.
Der zweite Punkt, den Sie angeführt haben, sind die politischen Beamten, die Sie gerne abschaffen möchten, die Spitzenbeamten, den Bundespolizeipräsidenten, den BND-Präsidenten, den Verfassungsschutzpräsidenten. Sie sollen keine politischen Beamten mehr sein. Das hat aber zwei Seiten. Auf der einen Seite müssen sie politisch sein. Wir erwarten von ihnen politische Statements, dass sie uns ihre Meinung sagen und Bewertungen abgeben. Auf der anderen Seite erwarten wir auch, dass man mit ihnen überparteilich, über die Fraktionsgrenzen hinweg vertrauensvoll zusammenarbeiten kann.
Ich kann nicht sehen – das ist meine Meinung –, dass Herr Maaßen – er wurde eben angesprochen – eine Vielzahl von Fehlern gemacht hat. Im Nachhinein hat sich vieles als nicht richtig erwiesen, was die Vorwürfe betrifft. Aber wir müssen sehen, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit über die Fraktionen nach dem, was dort diskutiert worden ist, nicht mehr möglich war, und dann muss es auch eine Möglichkeit geben, einen Neuanfang zu machen. Deswegen sind politische Beamte eben politische Beamte. So kann man, zum Beispiel bezogen auf den Sachverhalt des Verfassungsschutzes, sagen: Wir fangen mit einem neuen Chef an.
Der letzte Punkt ist die Richterwahl. Ich habe Ihren Gesetzentwurf mehrmals gelesen und festgestellt: Sie wollen eine demokratisch legitimierte Wahl durch den Bundestag, durch Vertreter des Volkes, durch eine Wahl im Hinterzimmer von Richtern ersetzen, die nicht demokratisch legitimiert und nicht transparent ist.
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Was da besser werden soll, müssen Sie mir mal in einer Mußestunde erklären. Ihrem Gesetzentwurf ist das nicht zu entnehmen.
Ich kann nur sagen: Alle drei Punkte und damit der Gesetzentwurf insgesamt sind abzulehnen. Die Themen sind schon lange diskutiert worden. Bringen Sie gerne neue Themen, über die wir diskutieren können. Aber so kann man nur sagen: Das ist nichts. Der Gesetzentwurf muss abgelehnt werden.
Danke schön.
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Vielen Dank, Dr. Sensburg. – Nächster Redner: Uli Grötsch für die SPD-Fraktion.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Reusch, nachdem ich Ihren Gesetzentwurf gelesen habe, war mein erster Gedanke, dass Sie ihn vermutlich deshalb einbringen, weil Sie es nicht besser wissen, als es in Ihrem Gesetzentwurf steht. Das könnte vielleicht damit zu tun haben, dass Ihre Fraktion noch nicht lange – und wenn es nach mir geht, hoffentlich auch nicht mehr lange – dem Deutschen Bundestag angehört.
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Nach Ihrer Rede will ich aber eines sagen: Wer die Unabhängigkeit der deutschen Justiz und des Bundesverfassungsgerichts infrage stellt, der legt die Axt an die Wurzeln des Rechtsstaates.
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Mir ist es schleierhaft, wie Sie zu der Annahme kommen, dass die Präsidenten der Nachrichtendienste unabhängiger seien und – ich zitiere – nicht befürchten müssen, „ohne Angabe irgendwelcher Gründe in den ‚einstweiligen Ruhestand‘ versetzt“ zu werden, wenn sie Beamte auf Lebenszeit sind. Ich kann mich beim besten Willen an keinen Behördenchef erinnern, der nicht wusste, warum er gehen musste, wenn er gehen musste.
Sie haben eben gesagt: Behördenleiter müssen auch einmal Nein sagen können. – Das können auch politische Beamte; und wenn Sie mich fragen, sagen Behördenleiter uns gegenüber manchmal sogar zu oft Nein, wenn es um unsere Arbeit geht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Willkür, wie es in der Problembeschreibung Ihres Gesetzentwurfs heißt, ist völlig aus der Luft gegriffen. Es hat einfach mit Haltung zu tun, mit Grundeinstellung und korrekter Amtsführung, die der Dienstherr von Spitzenbeamten erwarten kann, aber ganz gewiss nicht mit Willkür.
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Ich bezweifle außerdem stark, dass Beamte auf Lebenszeit per se eine bessere Arbeit machen, nur weil sie Beamte auf Lebenszeit sind. Den Nachweis für diese Behauptung bleiben Sie in Ihrem Gesetzentwurf schuldig. Die Behördenchefs gewinnen unser aller Vertrauen, wenn sie gegenwärtige Gefahren erkennen und aufdecken. Sie schaffen kein Vertrauen mit der Art ihres Arbeitsvertrages. Ich bin daher ganz im Gegenteil der Meinung, dass Ihr Vorschlag einer lebenslangen Garantie auf einen Chefposten dazu führen würde, Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in staatliche Institutionen abzubauen und nicht aufzubauen.
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Und würde man es so machen, wie es in Ihrem Gesetzentwurf steht, dann wäre auch die Benennung eines solchen Beamten auf Lebenszeit eine politische Entscheidung. Was sonst wäre es, liebe Kolleginnen und Kollegen? Ich sage Ihnen: Die Sicherheitsbehörden in diesem Land sind und sollen keine freischwebenden Strukturen sein, deren Amtsleitungen quasi keine Rechenschaft mehr ablegen müssen, weil sie Beamte auf Lebenszeit sind. Es ist richtig und wichtig, dass Kontrolle stattfindet, damit es in den Behörden kein Eigenleben geben kann.
Vielleicht einmal ein ganz hypothetisches Beispiel: Stellen Sie sich einmal vor, es gäbe einen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, auf Lebenszeit ernannt, der die Bekämpfung des Rechtsextremismus auf null herunterfährt. Das kann doch von niemandem hier gewollt sein. Es ist gut, dass der Dienstherr die Möglichkeit hat, mit einer neuen Personalie das Vertrauen in die Behörde wiederherzustellen, wo es notwendig ist.
Sie präsentieren mit Ihrem Gesetzentwurf eine scheinbare Lösung für ein nur scheinbares Problem. Wenn es Ihnen wirklich um eine bessere Arbeit unserer Sicherheitsbehörden geht, dann sollten wir darüber reden: Wie können wir nach den Pannen der letzten Jahre und ganz aktuell nach der neuerlichen Aufdeckung eines rechtsextremen Netzwerkers das Vertrauen der Bürger wieder zurückgewinnen? Wie erreichen wir mehr Bürgernähe, mehr Akzeptanz? Wie können wir Missstände künftig vermeiden? – Ihr Gesetzentwurf gibt keine Antworten auf all diese Fragen und verbessert die Situation der Behörden ganz bestimmt nicht.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Uli Grötsch. – Letzter Redner in der Debatte: Dietrich Monstadt für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Wenn man sich mit dem vorgelegten Gesetzentwurf auseinandersetzt, dann kann man nur zu einem abwertenden Ergebnis kommen: Dieser Gesetzentwurf ist schlicht und einfach Unfug. Es ist Unfug, wenn Sie bemängeln, dass ehemalige Politiker nach ihrer politischen Tätigkeit Richterämter antreten. Gerade die Erfahrung als Teil der Gesetzgebung befähigt ehemalige Mitglieder der Parlamente doch in besonderem Maße, diese Erfahrung in der Rechtsprechung und Rechtsfortbildung gerade auch an Obergerichten einzubringen. Richter kann nur werden, wer die Befähigung zum Richteramt hat. Dass Sie ehemaligen Politikern mit dieser Befähigung den Weg in die Justiz versperren wollen, kommt einem Berufsausübungsverbot gleich und ist damit auch verfassungsrechtlich mehr als fragwürdig.
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Meine Damen und Herren, Unfug ist auch, dass Sie diese herbeigeredete Politisierung durch Ihren Richterwahlausschuss durchbrechen wollen. Interessant ist aber vor allem, wie Sie diesen zusammengesetzt sehen wollen. Die Besetzung Ihres Wahlausschusses soll aus den gewählten Richtern des Bundesverfassungsgerichts, denen der obersten Gerichte des Bundes sowie gewählten Staatsanwälten der Generalbundesanwaltschaft bestehen. Übersetzt heißt das: Sie wollen quasi eine eigene „Richterkaste“, eine Richterkaste, die sich dann auch selbst ernennt. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Richter ohne demokratische Legitimation, die aufgrund ihres Status dem Staat besonders verpflichtet sind, sollen sich dann gegenseitig selbst wählen? Von Demokratie ist das weit entfernt. Es stellt im Übrigen auch einen Verfassungsverstoß gemäß Artikel 94 Grundgesetz dar. Das haben Sie erkannt; also wollen Sie die Verfassung gleich mit ändern, sicher ist sicher. Gott sei Dank fehlt Ihnen dafür die Zweidrittelmehrheit.
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In ihrem Gesetzentwurf schreiben die Antragsteller von der „Entpolitisierung“. Sagen Sie doch, was Sie eigentlich umsetzen wollen: Sie wollen eine Entdemokratisierung der Justiz. Sie wollen eine Entdemokratisierung der Sicherheitsbehörden. Das ist die eigentliche Wahrheit.
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Meine Damen und Herren, Artikel 94 Grundgesetz bestimmt eine Besetzung des Bundesverfassungsgerichts jeweils zur Hälfte durch den Bundesrat und den Bundestag. Das ist keine Politisierung; das ist gelebter Föderalismus. Darüber hinaus bedarf die Wahl gemäß § 6 und § 7 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes einer Zweidrittelmehrheit, einer Mehrheit, die alleinig durch die aktuelle Regierungskonstellation gar nicht darstellbar ist. Das aktuelle Wahlverfahren spiegelt nicht nur den aktuellen Wählerwillen wider, sondern ist aufgrund der erforderlichen Zweidrittelmehrheit auch höchst demokratisch.
In Ihrem Gesetzentwurf schreiben Sie vom verlorengegangenen Vertrauen in die Politik.
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Ja, das gibt es. Die Politik hat in der Vergangenheit nicht alles richtig gemacht, sonst säße mit Ihnen auch keine Protestpartei in diesem Parlament. Aber dass Richterwahlen politisiert seien, hat mich als Kritik noch nicht erreicht, zumindest nicht von Demokraten. Ich kann ja verstehen, dass Sie selbst eine Zweidrittelmehrheit als Legitimation nicht überzeugt, in Ihrem Fall aber offensichtlich nur dann, wenn man zu dem verbleibenden Drittel gehört.
Die Antragsteller prangern an, sie fordern, sie kritisieren. Gehen Sie doch einmal mit gutem Beispiel voran! Sie selbst haben Staatsanwälte und Richter in Ihren eigenen Reihen. Mir ist nicht bekannt, dass nur ein einziges Ihrer Fraktionsmitglieder die Rückkehr in die Justiz freiwillig ausgeschlossen hat, weil diese dadurch politisiert würde. Das wäre immerhin konsequent.
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Statt die etablierten und anerkannten demokratischen Prozesse zu bekämpfen, sollten Sie sich lieber konstruktiv einbringen. Ihren Gesetzentwurf müssen wir leider ablehnen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Dietrich Monstadt. – Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/6022 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz liegen soll. – Dazu gibt es keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Heute ist ein guter Tag für alle Mieterinnen und Mieter;
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denn mit diesem Mieterschutzgesetz sorgen wir dafür, dass die Mieten wegen Modernisierungen bei weitem nicht mehr so stark steigen können wie bisher. Das ist eine gute Nachricht für alle Mieterinnen und Mieter, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Die SPD-Fraktion hat dabei durchgesetzt, dass der gute Gesetzentwurf von Ministerin Barley – an der Stelle herzlichen Dank dafür – an mehreren Stellen noch besser geworden ist: Erstmals wird es durch dieses Gesetz einen Deckel für Mieterhöhungen infolge von Modernisierungen geben. Zukünftig darf die Miete wegen Modernisierungen innerhalb von sechs Jahren nur um maximal 3 Euro pro Quadratmeter steigen und bei Mieten unterhalb von 7 Euro pro Quadratmeter sogar nur um maximal 2 Euro. Damit sichern wir, dass die Mieten trotz Modernisierungen bezahlbar bleiben – gerade für junge Familien, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein ganz wichtiger Schritt.
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Wenn etwa eine Familie eine 100-Quadratmeter-Wohnung zu 6 Euro pro Quadratmeter angemietet hat, dann hat sie durch unser Gesetz jetzt die Garantie, dass die Miete wegen Modernisierungen innerhalb von sechs Jahren nur um 200 Euro und somit nur auf 800 Euro steigen darf. Eine Familie, die 9 Euro pro Quadratmeter für ihre 100-Quadratmeter-Wohnung bezahlt, hat durch dieses Gesetz die Garantie, dass die Miete wegen Modernisierungen innerhalb von sechs Jahren nur auf 1 200 Euro steigen darf. Das zeigt, dass wir mit diesem Gesetz gegen höhere Mieten durch Modernisierungen vorgehen, und zwar effektiv.
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Ganz wichtig dabei ist, dass die SPD die bundesweite Geltung dieses Gesetzes durchgesetzt hat und dass es eben nicht, wie bei der Mietpreisbremse, davon abhängt, ob Landesregierungen willig oder fähig sind, die entsprechenden Regelungen auch zur Geltung zu bringen. Auch das ist ein ganz wichtiger Schritt.
Bundesweit gelten wird auch die zweite wichtige Neuerung: dass wir die Möglichkeit der Umlage von Modernisierungskosten von 11 Prozent pro Jahr auf 8 Prozent reduzieren. Das ist ein weiterer Schritt, um Mieterinnen und Mieter vor explodierenden Mieten durch Modernisierungen zu schützen. Auch dadurch verhindern wir, dass Mieten infolge von Modernisierungen unbezahlbar werden.
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Ja, wir hätten auch gerne in diesem Gesetz geregelt, dass die Mietpreisbremse bundesweit gilt; denn bei allen richtigen und wichtigen Investitionsmaßnahmen, die wir beschlossen haben – von der steuerlichen Abschreibung über das Baukindergeld bis hin zu den 5 Milliarden Euro, die wir für sozialen Wohnungsbau geben –, wird es eine Weile dauern, bis aufgrund dieser Gelder und Hilfen bezahlbarer Wohnraum geschaffen ist. Darauf können wir nicht warten. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass die Mieten nicht mehr so stark steigen können.
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Eigentlich müsste die Mietpreisbremse bundesweit gelten. Das war leider nicht möglich. Aber für uns ist klar: Die Mietpreisbremse muss bundesweit gelten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Noch eine Neuregelung will ich hier nennen: Für viele soziale Träger wie die Caritas, die AWO oder die PROWO – ich freue mich, heute hier zwei Vertreter der PROWO begrüßen zu können –, die soziale Wohnprojekte betreiben, wird zukünftig nicht mehr das Gewerbemietvertragsrecht gelten, sondern das soziale Mietrecht. Wenn die Mietverträge auslaufen, dann stehen die Mieter in sozialen Wohnprojekten wie betreutes Wohnen für Behinderte oder Frauenhäuser nicht auf der Straße; das verhindern wir mit diesem Gesetz. Zukünftig wird für diese Wohnprojekte das soziale Wohnraumrecht gelten.
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Sie sehen, wir haben sehr viele wichtige Verbesserungen für Mieterinnen und Mieter durchgesetzt. An manchen Stellen hätten wir uns mehr vorstellen können. Aber es ist ein gutes Gesetz. Stimmen wir diesen Verbesserungen für die Mieter deshalb zu!
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Johannes Fechner. – Nächster Redner: Jens Maier für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man den Mietern helfen will, dann hat man zwei Möglichkeiten: Man kann das Richtige tun oder das Falsche.
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Hier wird erkennbar der falsche Weg beschritten.
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Das, was die Links-Grünen hier vorlegen, braucht eigentlich nicht weiter kommentiert zu werden.
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Nach den Vorstellungen der Linken – etwa die ihrer Meinung nach erforderlichen drastischen Marktregulierungen durch eine unbefristete Mietpreisbremse, Mietenstopp etc. – kämen wir mit großen Schritten dem näher, was die Linken sich offenbar erhoffen: einer bundesweit ausgedehnten Renaissance der DDR.
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Die DDR war offenbar nicht genug. Man will jetzt ganz Deutschland herunterwirtschaften.
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Das ist nämlich das, was bei sozialistischer Wohnraumbewirtschaftung herauskommt.
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Näherer Betrachtung bedarf daher allein der Entwurf, den die Regierungskoalition schlussendlich hier vorgelegt hat. Hier fällt auf – das haben wir gerade gesehen; Herr Fechner hat es hier vorgestellt –, dass die Sozialdemokraten die treibende Kraft waren.
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Denn auch in diesem Entwurf sucht man das Heil in der Marktregulierung, wobei sich das Ganze in einem Klein-Klein ergeht; Herr Fechner hat das ja gerade vorgestellt. Es wird an verschiedenen Stellschrauben, also mal hier und mal da, gedreht.
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Da wird die Modernisierungsumlage von 11 auf 8 Prozent herabgesetzt. Kappungsgrenzen werden verschärft. Ein bisschen Bürokratie wird draufgepackt usw. Grundsätzlich Neues ist einem nicht eingefallen bzw. war wohl auch nicht durchsetzbar, was daran liegen mag, dass diese Koalition in dem Zustand, in dem sie sich befindet, ohnehin nichts Bedeutsames mehr zustande bringt und endlich beendet werden sollte.
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Wie unsinnig dieser Weg ist, der da beschritten wird, zeigt sich, wenn man die Bilder Revue passieren lässt, die bei einer Wohnungsbesichtigung, zum Beispiel hier in Berlin, zu sehen sind. Da stehen bis zu 100 Personen in einer Reihe und wollen sich eine Wohnung, die zu vermieten ist, anschauen. Nur einer von denen kann die Wohnung bekommen. Meinen Sie im Ernst, dass dem vom Vermieter Auserwählten als Erstes einfällt, in das Gesetz zu schauen und nachzulesen, welche Rechte er gegenüber dem Vermieter hat? Meinen Sie nicht, dass bei einer so angespannten Lage auf dem Mietmarkt, wie wir sie in den großen Städten vorfinden, die Rechtslage nicht das entscheidende Kriterium für einen Mieter ist, sich für den Abschluss des Mietvertrages zu entscheiden oder Ärger mit dem Vermieter zu riskieren?
Das Herumjonglieren am bestehenden Mietrecht bringt gar nichts. Das, was hier gemacht worden ist, was hier als Entwurf vorgelegt wurde, ist Aktionismus mit der Zielstellung, den Leuten draußen vorzumachen, man habe irgendetwas Sinnvolles getan. In Wahrheit hat man überhaupt nichts erreicht. Das ganze Paket ist eine einzige Mogelpackung und wird genauso wirkungslos bleiben wie die Versuche davor, über das Mietrecht eine Kostenexplosion zu verhindern.
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Steigende Mieten kann man unter marktwirtschaftlichen Bedingungen nicht über das Mietrecht wirksam in den Griff bekommen. Sinnvoller ist es demgegenüber – das ist der richtige Weg –, das Angebot auf dem Mietmarkt deutlich zu erhöhen. Das Bauprogramm der Bundesregierung weist da in die richtige Richtung. Es ist richtig, die Investitionen in der Bauwirtschaft zu fördern. Das Baukindergeld ist eine gute Sache.
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– „In die richtige Richtung“, habe ich gesagt. Zustimmungsfähig war das noch lange nicht.
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Die steuerliche Entlastung und der Abbau von bürokratischen Hindernissen müssen großzügig erfolgen, weil das die Investitionsbereitschaft verbessert. Wofür sich die AfD einsetzt, ist die Stärkung des ländlichen Raums. Wenn auf dem Land eine vernünftige Infrastruktur etabliert ist, werden junge Familien dort ihr Glück suchen.
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Dafür muss Geld aufgewandt werden.
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Eines möchte ich hier auch noch mal loswerden: Die Erhöhung des Angebots an bezahlbarem Wohnraum bringt nur dann etwas und führt nur dann zu einer Entspannung auf dem Mietmarkt, wenn nicht zeitgleich die Nachfrage erhöht wird; dann nämlich wird die Erhöhung des Angebots neutralisiert. Daher kann man nicht Abertausende von Menschen in das Land lassen, ohne ein Konzept zu haben, wie man diese Leute bezahlbar unterbringen will.
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Das ist ein Thema, das hier immer ausgeklammert wird.
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Ich kann nur sagen: Hören Sie auf, Vermieter-Bashing zu betreiben! Beschäftigen Sie sich mal mit den wirklichen Ursachen! Der Gesetzentwurf ist abzulehnen.
Danke.
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Nächster Redner: Dr. Jan-Marco Luczak für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Maier, ich kann ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen, was für Sie und Ihre Fraktion an dieser Debatte so lustig war,
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wieso Sie hier vorne am Pult gestanden und gelacht haben. Ich glaube, die Menschen draußen, die Mieter in unserem Land, die zum Teil wirklich große Probleme haben, ihre Mieten zu bezahlen, und zum Teil verdrängt werden, finden diese Debatte alles andere als lustig. Deswegen kann ich nur sagen: Wenn Sie sich hier als Partei der kleinen Leute darstellen, dann haben Sie damit genau das Gegenteil bewiesen, meine Damen und Herren.
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Wir machen mit diesem Gesetz einen gewaltigen Schritt in Richtung mehr Mieterschutz.
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Ich muss sagen: Es waren wirklich schwierige Beratungen, und zwar nicht nur, weil wir so unterschiedliche Ziele haben. Wir, die SPD genauso wie die Union, sind völlig einer Meinung: Wir wollen nicht, dass irgendjemand aus seiner Wohnung verdrängt wird, weil er sich die Miete nicht mehr leisten kann.
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Das war für uns ganz klar.
Schwierig waren die Beratungen vor allen Dingen, weil wir verschiedene Ziele in Einklang bringen müssen, nämlich auf der einen Seite die Bezahlbarkeit von Wohnen, auf der anderen Seite auch unsere gesamtgesellschaftlichen Ziele, die wir uns gesetzt haben, wie den Klimaschutz, den wir nur erreichen können, wenn wir mehr energetische Modernisierung vornehmen. Das Gleiche gilt im Übrigen für den altersgerechten Umbau. Wir werden im Jahr 2030 6 Millionen Menschen in unserem Land haben, die über 80 Jahre alt sind. Die brauchen einen altersgerechten Umbau. Die brauchen ein seniorengerecht gestaltetes Bad. Das war die Schwierigkeit in der Debatte: diese unterschiedlichen Ziele zueinanderzubringen.
Ich finde, das macht gerade die Stärke des deutschen Mietrechts aus: dass man die vorhandenen Interessen nicht gegeneinander ausspielt, sondern versucht, sie in einen guten, in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.
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Ich finde, das ist mit unserem Gesetzentwurf, den wir hier heute beschließen wollen, gelungen.
Wir haben die Kernpunkte schon genannt bekommen. Wir werden vor allen Dingen an die Modernisierungsumlage rangehen. Wir werden sie von 11 Prozent auf 8 Prozent absenken. Das machen wir bundesweit. Wir machen es unbefristet. Zu der bundesweiten Absenkung: Wir haben in den Beratungen miteinander sehr klar gesehen, dass natürlich auch die Mieter, die nicht in Ballungszentren, die nicht in den großen Städten wohnen, bei einer Modernisierung in einer bestimmten Größenordnung Schwierigkeiten haben, die Miete noch zu tragen. Deswegen, glaube ich, ist es vernünftig, dass wir das bundesweit klar und einheitlich haben.
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Zur Kappungsgrenze. Dazu haben wir im Koalitionsvertrag schon gesagt: Wir wollen 3 Euro pro Quadratmeter als maximale Grenze für die Erhöhung. – Wir haben aber gesehen, dass für viele Mieter in günstigen Mietverhältnissen – bis 7 Euro pro Quadratmeter – auch diese 3 Euro eine erhebliche Belastung darstellen können. Deswegen haben wir gesagt: Dort gibt es ein besonderes soziales Schutzbedürfnis. Wir senken an dieser Stelle die Kappungsgrenze von 3 Euro auf 2 Euro ab, um dort soziale Härten abzumildern. – Das ist, glaube ich, auch ein vernünftiger und guter Gedanke.
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Was uns als Union bei dem Thema Modernisierungen ganz besonders wichtig war: Wir wollten vor allen Dingen gegen diejenigen vorgehen, die Modernisierungen ganz bewusst und zielgerichtet missbrauchen, um Menschen aus ihrer Wohnung herauszumodernisieren. Wir haben gesagt: Was diese schwarzen Schafe dort auf dem Wohnungsmarkt machen, dulden wir nicht. Wir werden ein klares Stoppsignal setzen. – Deswegen ist es gut und richtig, dass das zukünftig ordnungswidrig ist. Wer bewusst und zielgerichtet Menschen herausmodernisiert, der wird zukünftig mit einem Bußgeld belegt, und das ist gut und das ist richtig so an dieser Stelle,
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und zwar auch deswegen, weil diese schwarzen Schafe, diese Fälle, von denen wir alle in der Zeitung lesen, die gesellschaftliche Debatte und auch die politische Debatte ein Stück weit vergiftet haben. Deswegen ist es für uns so wichtig gewesen, zu differenzieren zwischen denjenigen, die wirklich Schindluder treiben mit den Möglichkeiten, die der angespannte Wohnungsmarkt ihnen gibt, und den vielen anderen, auch der überwiegenden Zahl gerade von privaten Kleinvermietern, die sehr gut, sehr ordentlich mit ihren Mieterinnen und Mietern umgehen.
Um denen auch ein Stück weit entgegenzukommen und auch für sie etwas zu tun, haben wir als Union ein vereinfachtes Verfahren bei den Modernisierungsmaßnahmen durchgesetzt, ein kleines Verfahren, wo es um keine große Investitionssumme geht. Das soll einfacher werden, das soll bürokratieärmer werden, und das soll vor allen Dingen dazu beitragen, dass wir bei der energetischen Modernisierung, beim altersgerechten Umbau, wo in der Vergangenheit bei den kleinen privaten Vermietern nicht so viel passiert ist, einen ordentlichen Schub bekommen. Ich glaube, es ist auch sehr gut und sehr richtig, dass wir an dieser Stelle etwas gemacht haben.
Ich glaube, am Ende ist es ein ausgewogenes Paket. Die Stärke des deutschen Mietrechts wird gewahrt: die Interessen nicht gegeneinander auszuspielen, sondern einen sozialen Ausgleich zu finden.
Mit Blick auf die Zukunft – wir werden hier noch weitere Debatten über das Mietrecht haben – sage ich: Wir müssen sehr aufpassen, dass die soziale Balance, die wir hier gewahrt haben, in Zukunft nicht durch überbordende Forderungen, wie wir sie jetzt etwa von der Opposition hier gehört haben, gefährdet wird. Deswegen: Es ist gut, was wir heute hier vorliegen haben. Da können wir bewusst sagen: Wir stimmen zu. – Aber bei allen weiteren Forderungen müssen wir sehr aufpassen. Das lehnen wir als Union ab.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Luczak. – Nächster Redner für die FDP-Fraktion: Daniel Föst.
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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Als wir über dieses Gesetz in erster Lesung beraten haben, zitierte ich zu Beginn meiner Rede den Wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums. Der sagte:
Die Mietpreisbremse sollte ersatzlos gestrichen werden, da sie weitgehend wirkungslos ist und dort, wo sie wirkt, den Abbau von Wohnungsknappheit behindert.
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– Dass Sie ein gespaltenes Verhältnis zu den Wissenschaftlichen Beiräten haben, ist mir aufgefallen.
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Ich könnte mir das jetzt zur Tradition machen und nach diesem Wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums auch Ihre Wirtschaftsweisen zitieren.
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Man kann es sich hier zur Tradition machen, die wissenschaftlichen Ergüsse Ihrer Beiräte zu zitieren. Die Wirtschaftsweisen haben die treffendste Beschreibung für das ganze Thema „Wohnungspolitik der Großen Koalition“ gefunden: Symptomtherapie mit gefährlichen Nebenwirkungen.
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Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, trifft den Nagel auf den Kopf. Aber völlig unbeirrt davon machen SPD, CDU und CSU weiter. Sie sammeln vernichtende Gutachten ihrer Experten; sie sammeln sie wie Trophäen.
Seit drei Jahren gibt es jetzt die Mietpreisbremse – drei Jahre, in denen die Mieten in den Städten unbeeindruckt gestiegen sind, weil Sie am Symptom rumdoktern, aber die Ursache der Wohnkosten nicht beheben.
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Sie von der GroKo glauben oder hoffen, das Mietproblem einfach wegregulieren zu können, und Sie drehen jetzt an allen rechtlichen Schrauben, die Sie finden. Damit wird die Wohnungssituation aber weiter verschlimmert, weil Sie Investitionen hemmen und Vermieter aus dem Markt drängen. Ihre Wissenschaftlichen Beiräte haben das erkannt. Also machen Sie sich bitte endlich ehrlich, und schaffen Sie Ihre Wohnraumbremse einfach ab!
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Solange die Menschen weiter in die Städte und in die Ballungsräume drängen und dort nicht in gleichem Maße neuer Wohnraum entsteht, werden die Mieten weiter steigen. An dieser einfachen Wahrheit kommt man einfach nicht vorbei.
Der GroKo fällt aber nichts Besseres ein, als Vermieter an den Pranger zu stellen und so die Situation insbesondere für die Mieter weiter zu verschlimmbessern. Sie zielen mit Ihrer Politik auf die scheinbar bösen Immobilienhaie, treffen aber in Wirklichkeit die vielen Kleinvermieter, die die allermeisten Wohnungen in Deutschland bereitstellen,
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übrigens zu hervorragenden Konditionen und mit gutem Verhältnis zu den Mietern.
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Diese kleinen Vermieter drängen Sie aus dem Markt. Die tun sich das irgendwann nicht mehr an. Die verkaufen ihre Wohnung. Damit sind noch weniger Mietwohnungen am Markt, und die Mieten steigen weiter. So eine Kurzsichtigkeit und, ehrlich, so eine Ignoranz gegenüber den einfachsten wirtschaftlichen Zusammenhängen habe ich selten gesehen.
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Liebe Kollegen von CDU und CSU, Sie haben sich von der SPD sauber über den Tisch ziehen lassen. Allerdings werden nicht Sie die Konsequenzen tragen müssen, sondern die Mieterinnen und die Mieter, auch bei den Modernisierungen. Wenn die Vermieter bei den Modernisierungen draufzahlen müssen, dann kommen diese Modernisierungen einfach nicht. Dann wird der Aufzug nicht gebaut, und die Seniorin im dritten Stock darf weiterhin die Treppe hochsteigen und muss in ihre Dusche klettern. Sie nennen das „soziale Politik“; ich nenne das grotesk.
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Liebe Kollegen, Sie können es sich sicherlich denken – ich merke es auch an der Begeisterung der SPD –:
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Wir Freie Demokraten lehnen dieses Gesetz ab. Es löst nämlich keine Probleme; es schafft aber neue. Ihre Mietpreisbremse ist eine Wohnraumbremse. Sie wollen den Mangel verwalten; wir Freie Demokraten wollen den Mangel beheben. Deswegen müssen wir mehr bauen, schneller bauen und günstiger bauen und dürfen vor allem nicht länger den ländlichen Raum vergessen; denn nur so entsteht günstiger Wohnraum für alle. Wer den Mietern Macht geben will, der muss mehr Wohnungen bauen. So einfach ist das.
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Vielen Dank.
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Vielen Dank, Kollege Föst. – Nächste Rednerin: Caren Lay für die Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von einem bin ich wirklich überzeugt: dass dieses Gesetz die Mieten genauso wenig bremsen wird wie das bisherige Gesetz. Diese angebliche Nachbesserung der Mietpreisbremse
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ist reiner Etikettenschwindel.
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Kleine Verbesserungen im Detail – da sind auch wir als Linke dafür – wird es geben. Doch abgesehen von diesen doch eher kosmetischen Veränderungen wird an den Grundfehlern der Mietpreisbremse nichts geändert.
Die zahlreichen Ausnahmen bleiben auch weiter bestehen. Man kann die Mietpreisbremse aus vielen Gründen ganz legal umgehen. Daran ändert auch die Auskunftspflicht zur Höhe der Vormiete nichts, mit der Sie sich hier so rühmen. Der Vermieter muss es zwar in Zukunft besser belegen, wenn er diese Ausnahme ziehen will; sie gilt aber weiterhin, und das ist das Problem. Wir als Linke wollen eine Mietpreisbremse, die ohne Ausnahmen gilt.
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Die Mietpreisbremse gilt ja ohnehin nur bei Neuvermietungen, also nur für Mieterinnen und Mieter, die umziehen. Für Bestandsmieter, also für Leute mit ganz normalen alten Mietverträgen, tun Sie heute gar nichts.
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Ich meine, man muss wirklich mit Scheuklappen durch dieses Land laufen, um diese Mietenexplosion bei den Altmietverträgen nicht zu sehen und nichts dagegen zu tun. Das ist wirklich völlig peinlich.
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Die Mietpreisbremse wird nach diesem Tag auch nicht flächendeckend gelten. Momentan gilt sie praktisch nur noch in der Hälfte der Bundesländer. Woanders wurde sie gar nicht erst eingeführt oder in der Zwischenzeit von Gerichten wegen falscher Umsetzung kassiert.
Nächster Punkt: Verstöße gegen die Mietpreisbremse bleiben sanktionsfrei. Vor kurzem war davon schon einmal die Rede.
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Wer ein paarmal ohne Fahrschein in der U-Bahn erwischt wird, der kann im Zweifel im Knast landen,
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aber wer gegen die Mietpreisbremse verstößt, der muss kein Bußgeld fürchten. Entschuldigung, hier läuft ja wohl wirklich etwas schief.
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Das Schärfste ist: Die Mietpreisbremse ist ja von vornherein nur auf fünf Jahre angelegt. Das heißt, in anderthalb Jahren läuft sie in den ersten Bundesländern schon wieder aus. Wie absurd ist das denn? Sie machen hier viel Tamtam und sagen, Sie stellen sich vor die Rechte der Mieterinnen und Mieter, und in anderthalb Jahren gilt das Gesetz gar nicht mehr. Das ist doch wirklich ein Stück aus dem Tollhaus, meine Damen und Herren.
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Die Mietpreisbremse muss nachgebessert werden, und zwar richtig. Das Wichtigste wäre, dass sie jetzt erst einmal entfristet wird. Darüber wollen wir heute auch abstimmen lassen, und zwar namentlich; denn im Koalitionsvertrag konnten Sie sich nicht einigen. Jetzt ist auch nichts dabei herausgekommen. Kein Mensch glaubt, dass es Ihnen gelingt, sich noch zu einigen. Ich bin wirklich gespannt, ob Sie dieses Instrument überhaupt wollen oder ob es Ihnen nur um Kosmetik und um Wählertäuschung geht. Das braucht wirklich kein Mensch.
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Meine Damen und Herren, wir Linke fordern eine Mietpreisbremse ohne Ausnahmen, flächendeckend und unbefristet und mit einem richtigen Deckel. Wir wollen auch die Bestandsmieten deckeln. Keine Mieterhöhung über dem Inflationsausgleich: Ich freue mich sehr, dass die SPD diese Forderung von uns in ihr Zwölf-Punkte-Papier übernommen hat. Ich bin aber auch gespannt, ob Sie denn gleich in der Abstimmung auch dazu stehen oder ob das nur wieder eine Forderung für den Presseverteiler war.
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Bei der Absenkung der Modernisierungsumlage läuft das Spiel ja so: Der Mieter bezahlt die Modernisierung alleine. Wenn sie abbezahlt ist, zahlt er weiter eine überhöhte Miete und der Vermieter kassiert nur noch. Nach altem Recht war das schon nach neun Jahren der Fall. Nach der neuen Regelung ist das dann erst nach zwölf Jahren der Fall. Entschuldigung, das ist wirklich kein großer Wurf.
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Meine Damen und Herren, die Modernisierungsumlage als dauerhaftes Mietsteigerungsinstrument lehnen wir als Linke ab. Wir wollen sie abschaffen.
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Zu guter Letzt: Der Kündigungsschutz fehlt in diesem Gesetz komplett. Angesichts der Tatsache, dass 70 Prozent der Städter inzwischen Angst haben, ihre Wohnung zu verlieren, halte ich das für einen großen Skandal.
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Kommen Sie bitte zum Schluss.
Meine Damen und Herren, diese Mietpreisbremse verdient ihren Namen nicht. Sie ist reiner Etikettenschwindel. Wir als Linke haben viele Anträge vorgelegt, die die Rechte von Mieterinnen und Mietern tatsächlich schützen. Ich bitte Sie um Zustimmung.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Caren Lay. – Nächster Redner für Bündnis 90/Die Grünen: Chris Kühn.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich war letzte Woche mit meiner Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und dem sozialpolitischen Sprecher Wolfgang Strengmann-Kuhn hier in Berlin-Kreuzberg in einer Notunterkunft für Familien, die wohnungslos geworden sind. Ein Teil der Familien, die dort klingeln und nach einer Wohnung fragen, sind zwangsgeräumt worden. Diese Familien sind zwangsgeräumt worden, weil sie, obwohl sie das Geld nachzahlen wollten, nicht in der Lage waren, eine außerordentliche Kündigung zu heilen. Das müssen wir dringend ändern. Hier bedarf es einer Korrektur am Kündigungsschutz.
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Denn die sozialpolitischen Folgen dieser Räumung, den Verlust der Wohnung, das Trauma der Kinder, dürfen wir nicht zulassen. Wenn wir nicht wollen, dass Kinder in Deutschland zwangsgeräumt werden, müssen wir beim Kündigungsschutz anfangen. – Herr Luczak, ich sehe schon, wie Sie den Kopf schütteln. Sie tragen das C in Ihrem Parteinamen, nicht wir Grünen.
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Wir haben eine Anhörung zu diesem Gesetzentwurf durchgeführt. Die Experten haben gesagt, dass wir den Kündigungsschutz voranbringen müssen. Wir haben das beantragt. Die SPD hat ja versucht, das durchzusetzen; aber Sie haben es blockiert, Herr Luczak. Das müssen Sie sich einfach anhören. Beim Kündigungsschutz zeigen Sie den Menschen die kalte Schulter. Das geht einfach nicht. Das ist einfach unsozial, es ist nicht christlich, und es führt in Städten wie Berlin und Frankfurt und Stuttgart und anderswo zu sozialen Härten. Das ist nicht länger hinzunehmen.
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Dieser Gesetzentwurf ist kein großer Wurf; das muss man sagen. Ich finde die Begrenzung der Modernisierungsumlage auf 2 Euro, die die SPD verhandelt hat, richtig.
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Aber warum gelten diese 2 Euro nicht flächendeckend, überall? Das erschließt sich mir nicht. Das verstehe ich nicht. Dass man eine willkürliche Grenze bei einer Miete von 7 Euro pro Quadratmeter einzieht, bei der der Wert von 2 Euro noch gilt, aber bei 7 Euro und 1 Cent dann 3 Euro gelten, macht keinen Sinn, hat nichts Systematisches, ist einfach ein fauler Deal der Großen Koalition. 2 Euro flächendeckend, das wäre richtig gewesen.
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Ich glaube, dass die CDU diese Ungleichbehandlung deswegen in dieses Gesetz gebracht hat, weil sie dieses Gesetz eigentlich auf lange Strecke hin kaputtmachen will.
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Denn genau diese Ungleichbehandlung haben wir ja auch bei der Mietpreisbremse erlebt. Deswegen wird es auch zu Klagen vor den Gerichten kommen. Ich sage Ihnen: Mit diesem Gesetz und dieser willkürlichen Grenze von 7 Euro schaffen Sie am Ende mehr Unsicherheit bei der Modernisierungsumlage. Ich glaube, darum wird am Ende dieses Gesetz wieder abgeschafft werden. Hier wären klare und einheitliche Regeln viel besser gewesen und hätten zu einer viel größeren Rechtssicherheit geführt. Ich finde es traurig, dass die Juristen der CDU so etwas durchwinken und sozusagen so konstruieren, dass es am Ende eben nicht funktioniert.
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Aber das Schlimmste an diesem Gesetz ist ja eigentlich, dass diese Mietrechtsnovelle dazu führt, dass wir die Mietpreisbremse durch die Hintertür wieder abschaffen. Die Mietpreisbremse wird in eineinhalb Jahren in den ersten Städten auslaufen, zum Beispiel hier in Berlin. Dann wird in der Stadt Berlin bei Neuvertragsmieten die Mietpreisbremse nicht mehr gelten. Dann kann man wieder eine Miete über der ortsüblichen Vergleichsmiete plus X nehmen. Dann wird das in den Mietspiegel einfließen. Und dann werden alle Mieten ordentlich nach oben gehen. Die Mietenexplosion, die dann kommen wird, ist die Mietenexplosion dieser Großen Koalition.
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Wir finden es sehr gut, dass die SPD das Thema der sozialen Träger in diese Gesetzesnovelle hineinverhandelt hat
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und dass nun Wohngruppen für Menschen mit Handicap nicht mehr verdrängt werden können. Dass sie geschützt werden wie andere Menschen, die eine Wohnung haben, ist richtig. Aber dass die Kita weiter heraussaniert werden kann, dass andere soziale Einrichtungen nicht diesen Schutz genießen, ist ein sozialpolitischer Skandal. Deswegen brauchen wir dringend ein Gewerbemietrecht, das eben nicht auf dem sozialen Auge blind ist.
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Denken Sie bitte an die Redezeit.
Zum Abschluss.
Ja, aber schnell.
Zum Abschluss: Die SPD will den Mietenstopp. Wir beantragen hier eine Absenkung der Kappungsgrenze. Jetzt können Sie zeigen, ob Sie nicht nur Wahlkampfpapiere schreiben, sondern hier heute auch Farbe bekennen können.
Danke.
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Vielen Dank, Chris Kühn. – Nächste Rednerin in der Debatte: Bundesministerin Dr. Katarina Barley.
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Schönen guten Abend! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich freue mich sehr, dass wir heute das Mietrecht erneut ändern werden. Wir werden den Schutz der Mieterinnen und Mieter weiter stärken. Wenn es der FDP zu viel und den Linken zu wenig ist, dann wissen wir, glaube ich, dass wir ziemlich gut dabei sind.
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– So ist es oft: Ihnen ist es zu viel Regulierung, und den Linken ist es nicht genug. Genau so ist es. Die Grünen haben ja immerhin einige positive Effekte herausgestellt. Das finde ich schon einmal sehr konstruktiv.
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Einiges, was neu hinzugekommen ist, ist eine echte Verbesserung. Dafür bedanke ich mich bei allen Beteiligten: Ich sehe Klaus Mindrup, Michael Groß und Johannes Fechner. Eva Högl, die leider krank zu Hause ist – gute Besserung von hier aus! –
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hat entscheidend dazu beigetragen, dass die sozialen Träger in das Kündigungsschutzrecht mit einbezogen werden. Das ist eine Verbesserung, die ich sehr begrüße.
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Der AfD kann ich heute zum zweiten Mal sagen, dass sie das Ohr offensichtlich nicht bei den Bürgerinnen und Bürgern hat, vor allen Dingen nicht in den Ballungszentren. Für diese Menschen wollen Sie nämlich offensichtlich gar nichts tun, um die Mieten nicht weiter explodieren zu lassen. Da wundert mich auch nicht, dass Sie bei Ihrem Landtagswahlkampf in Berlin noch damit geworben haben, dass Sie die kommunalen Wohnungen verscherbeln, sprich privatisieren, wollen.
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Gerade junge Familien und Alleinerziehende – das wissen wir – haben große Probleme, überhaupt Wohnraum zu finden, vor allem bezahlbaren. Deswegen müssen wir den Mieterschutz weiter voranbringen.
Ich bin vor allen Dingen über die soziale Komponente sehr froh. Wir staffeln bei der Modernisierungsumlage noch mal zwischen niedrigen Mieten und hohen Mieten. Klar, wenn wir absolute Beträge nehmen, ist es richtig, dass wir für niedrigere Mieten auch niedrigere Erhöhungen vorsehen.
Übrigens, Herr Kühn, die Kappung bei 2 Euro gilt flächendeckend. Ich weiß nicht, wo da das Missverständnis herkommt; aber es ist ja anscheinend der Tag der Missverständnisse. Herr Föst wird auch nicht müde, den Sachverständigenrat zu zitieren, der ja nicht wusste, dass die Mietpreisbremse nicht für Neuvermietungen gilt.
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Insofern lasse ich die Kritik in weiten Teilen einfach im Raum stehen.
Das ist ein Riesenschritt, den wir hier zum Schutz von Mieterinnen und Mietern tun. Aber das ist natürlich nicht alles, was wir unternehmen; das behauptet ja auch keiner. Wir wissen auch, dass wir mit diesen Gesetzen alleine die explodierenden Mieten nicht in den Griff bekommen. Aber wir machen ja noch viel mehr: Wir investieren in den sozialen Wohnungsbau, wir geben Anreize für den privaten Wohnungsbau. Und auch aus meinem Haus wird es noch mehr geben, nämlich eine neue Regelung zu den Mietspiegeln.
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Jeder Mensch muss die Chance auf eine bezahlbare Wohnung haben, und zwar in der Nähe des Arbeitsplatzes oder da, wo man schon viele Jahre wohnt, sodass man dort auch alt werden kann. Bezahlbarer Wohnraum ist die soziale Aufgabe unserer Zeit. Ich danke deswegen allen, die an dem Gesetz beteiligt waren, ausdrücklich auch den Kollegen und Kolleginnen aus der Union, für die sehr konstruktive Zusammenarbeit und freue mich über diesen guten Tag für Mieterinnen und Mieter.
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Vielen Dank, Dr. Katarina Barley. – Nächste Rednerin: Elisabeth Winkelmeier-Becker für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir debattieren hier oft über das Problem der steigenden Mieten in den großen Städten; aber auch in den Speckgürteln ist das ein bekanntes Phänomen. Die steigenden Mieten sind der Grund dafür, dass wir heute mehrere Gesetze verabschieden, um in diesem Bereich Verbesserungen zu erzielen.
Zum einen haben wir heute schon die steuerliche Sonderabschreibung beschlossen, zum anderen heute Morgen die Grundgesetzänderung, die uns als Bund die Möglichkeit gibt, über das Jahr 2020 hinaus Gelder für den sozialen Wohnungsbau in den Bundesländern beizusteuern. Außerdem gibt es das Baukindergeld, das schon gut nachgefragt wird. All das sind Maßnahmen, um an dem strukturellen Grund und dem Urproblem dieser Mietenentwicklung zu arbeiten: Wir müssen mehr Wohnraum schaffen.
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Aber heute Abend geht es um den Beitrag der Rechtspolitik. Ich glaube, dass wir in diesem Bereich Wichtiges leisten. Neben den Korrekturen an der Mietpreisbremse sind vor allem die neuen Kappungsgrenzen bei den Modernisierungsmieterhöhungen wichtig. Sie helfen gerade bei den Bestandsmieten, bei den Bestandsverträgen. Das ist ein ganz wichtiger Hebel; denn die Modernisierung ist häufig der Grund für sehr hohe Mieterhöhungen. Wenn der Vermieter alleine darüber entscheiden kann, inwieweit der Mieter die Kosten, die durch eine Modernisierung entstehen, finanzieren muss, kommt es teilweise zu Mieterhöhungen von 50 Prozent und mehr. Das ist im Prinzip das strukturelle Problem bei Modernisierungsmieterhöhungen: Der eine entscheidet, und der andere bezahlt.
Deshalb ist es richtig, dass wir an diesem Punkt ansetzen. Wir senken die Umlage der Modernisierungskosten von 11 Prozent auf 8 Prozent im Jahr und haben ganz bewusst darauf verzichtet, das zeitlich oder regional zu begrenzen. Wir haben darauf verzichtet, es den Landesregierungen zu überlassen, ob das in dem jeweiligen Bundesland gilt oder nicht. Wir haben es schlichtweg ins Gesetz geschrieben – bundesweit geltend und ohne Begrenzung.
Neu ist der absolute Deckel von 3 Euro pro Quadratmeter für sechs Jahre. Das lässt sich zum ersten Mal an die Angaben eines Vertrages knüpfen. Bisher ging es immer nur darum, die Kosten umzulegen. Jetzt geht es auch darum: Welche Größe hat die Mietwohnung? Was kann bei welcher Größe umgelegt werden? – Das schafft Sicherheit. Bei einer Wohnung von 50 Quadratmetern kann eben innerhalb von sechs Jahren nur ein Betrag von monatlich 150 Euro dazukommen oder bei 80 Quadratmetern von 240 Euro.
Uns war wichtig, uns ganz gezielt auch um das untere Marktsegment zu kümmern. Denn hier ist oft das kleine Budget der Grund dafür, dass man mit einfachen Wohnungen zufrieden ist. In diesem Marktsegment sind hohe Mietsteigerungen ganz besonders belastend für die Mieter. Deshalb haben wir eine zusätzliche Grenze bei einer Miete von unter 7 Euro pro Quadratmeter gezogen. Unterhalb dieser Grenze können nur 2 Euro pro Quadratmeter an Modernisierungskosten umgelegt werden. Das hat im Übrigen für alle Mieter Vorteile; denn es wirkt mittelbar über den Mietspiegel auf das, was in den übrigen Mietverhältnissen an Erhöhungen möglich ist.
Uns ist wichtig, auch an die kleinen privaten Vermieter zu denken. Für sie führen wir mit diesem Gesetz ein neues, vereinfachtes Verfahren ein, damit sie kleinere Maßnahmen durchführen können, ohne im Sumpf der Bürokratie und des Rechnens unterzugehen. Eine einfache Maßnahme, die sie ermutigen soll, ihre Wohnungen modern und on top zu halten.
Uns war außerdem – da waren wir uns einig – der Schutz der sozialen Mietverhältnisse wichtig. Denn da, wo gewohnt wird, muss überall der gleiche Schutz gelten. Es ist also ein rundherum gutes Gesetz für viele Mieter in diesem Land.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank, Frau Kollegin Winkelmeier-Becker.
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– Wir haben jetzt noch zwei Redebeiträge. Ich würde Sie bitten, den beiden Kollegen Ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Es herrscht hier ein unglaublich lauter Geräuschpegel. Ich bitte Sie, die beiden Redner zu respektieren und ihnen zuzuhören.
Michael Groß ist der Nächste für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörer und Zuhörerinnen! Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein erster wichtiger und richtiger Schritt für die Mieter und Mieterinnen, weil damit die soziale Funktion des Mietrechts gestärkt wird. Wir haben in der Koalition dafür gearbeitet, und – ich spreche insbesondere die Kollegen der Union an – wir haben mehr erreicht, als im Koalitionsvertrag steht.
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Und es tat nicht weh, sondern wir haben mehr geschafft.
Ich möchte insbesondere der Ministerin und ihrem Haus, aber auch uns allen danken, die an dem Gesetzentwurf mitgearbeitet haben. Dass wir nach sechs Monaten Regierungszeit einen solchen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht haben, ist ganz wichtig für die Mieterinnen und Mieter in diesem Land.
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Es wurde schon auf vieles eingegangen, zum Beispiel auf die vorvertragliche Transparenz. Ich will noch mal auf die Modernisierungsumlage eingehen. Das bedeutet beispielsweise, dass Mieter und Mieterinnen nach einer Modernisierung nicht mehr 180 Euro pro Monat dauerhaft mehr zahlen müssen. Vielmehr senken wir das auf 130 Euro pro Monat dauerhaft ab. Ich glaube, das ist ein Riesenschritt für diejenigen, die ihre Wohnung nicht verlassen wollen oder die in eine neue Wohnung ziehen wollen. Auch für die ist wichtig, dass die Miete der neuen Wohnung nicht angehoben wird.
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Lassen Sie mich zum Schluss – zwei Minuten Redezeit sind sehr kurz – auf einige Dinge eingehen, die hier immer wieder vorgetragen werden: Der Markt soll es regeln. – Der Markt wird es nicht regeln.
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Grund und Boden sind begrenzt, weshalb der Markt es nicht regeln wird. Wir brauchen Korrektive. Deswegen hat die Koalition in einem Entschließungsantrag zum Wohngeld- und Mietenbericht zum Beispiel auch angekündigt, Unterstützung zu leisten, damit Genossenschaften, kommunale Wohnungsunternehmen, Stiftungen, gemeinnützige Unternehmen sich gründen und bauen können. Das ist, glaube ich, ein wichtiger Schritt für die Zukunft. Daran müssen wir weiter arbeiten.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank, Michael Groß. Danke auch, dass Sie die „üppige“ Redezeit korrekt eingehalten haben. Es waren wirklich zwei Minuten. – Letzter Redner in der Debatte: Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion, Augsburg.
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– Darf ich Sie noch mal darauf hinweisen, dass wir noch einen Redebeitrag haben. Ich bitte, die Gespräche einzustellen und Herrn Kollegen Ullrich zum Abschluss der Debatte zuzuhören. Vielen Dank.
Herr Kollege Ullrich, Sie haben das Wort.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Höhe der Miete und bezahlbares Wohnen ist eine der großen sozialen Fragen unserer Zeit. Die Menschen fragen sich: Finde ich eine Wohnung? Kann ich mir die Wohnung leisten? Was passiert bei einer Eigenbedarfskündigung? Oder: Was muss ich bezahlen, wenn ich zukünftig eine Modernisierungserhöhung bekomme? Dieser Gesetzentwurf gibt Antworten auf diese Fragen. Es ist ein Gesetz zur Verbesserung des Mieterschutzes; es ist ein Gesetz zum sozialen Ausgleich zwischen Vermietern und Mietern, und ich meine, es ist ein faires, sicheres und soziales Gesetz.
({0})
Auf der einen Seite kümmern wir uns nach wie vor darum, dass Modernisierungen aus vielen guten Gründen – Klimaschutz, energetische Sanierung, altersgerechtes Wohnen – nach wie vor möglich sind. Auf der anderen Seite sorgen wir dafür, dass die Kosten statt mit 11 Prozent nur noch mit 8 Prozent umgelegt werden können, dass schlichtweg die Mieten nicht überhitzen, dass durch eine Dämpfungsfunktion die Mieten letzten Endes weniger stark ansteigen. Ich glaube, das ist auch notwendig. Das ist deswegen notwendig, weil in den letzten Jahren die Mieten bereits viel stärker gestiegen sind als die Einkommen. Wir brauchen eine Bremse, weil es nicht sein kann, dass immer mehr von dem, was Menschen verdienen, gerade in den Ballungszentren, für die Miete draufgeht. Hier haben wir eine soziale Verantwortung.
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Und ja, wir dürfen nicht nur auf die Ballungszentren schauen. Deswegen haben wir dafür gesorgt, dass die Absenkung der Modernisierungsumlage von 11 auf 8 Prozent jetzt deutschlandweit gilt; denn das Mietverhältnis, egal ob in der Stadt oder auf dem Land, ist überall gleichermaßen schutzwürdig. Wir schützen damit auch die Miete in den ländlichen Gegenden. Das war uns ein wichtiges Anliegen, meine Damen und Herren.
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Mit der Senkung der Kappungsgrenze auf 2 Euro für Mietverhältnisse unter 7 Euro pro Quadratmeter nehmen wir auch einen besonderen Schutzauftrag wahr. Wir nehmen den Schutzauftrag wahr für die Menschen, die sich eben nicht viel leisten können, deren Mieten noch bei 5 oder 6 Euro pro Quadratmeter liegen. Für diese Menschen ist jeder Euro nach der Modernisierung ein Euro, den sie erst einmal aufbringen müssen. Deswegen ist es richtig und sozial angemessen, hier eine Begrenzung in Höhe von 2 Euro festzulegen.
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Jetzt haben manche eingewandt: Durch Mietrecht allein wird kein neuer Wohnraum geschaffen. – Das ist richtig. Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Große Koalition im Bereich Miete und Bauen ziemlich viel geleistet hat.
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Ich spreche vom Baukindergeld, der Sonder-AfA, von unseren Bemühungen, die Bauvorschriften zu entschlacken und Bauland vermehrt zur Verfügung zu stellen. Heute Morgen wurde die Grundgesetzänderung beschlossen. Danach sind auch die Länder nach wie vor in der Pflicht, sozialen Wohnungsbau zu leisten.
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Erst diese Maßnahmen zusammen ergeben unsere Verpflichtung, für bessere Bedingungen im Bereich Wohnen zu sorgen.
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Meine Damen und Herren, jeder Bestandteil steht für sich, gemeinsam nehmen wir die Verantwortung wahr, für bezahlbaren Wohnraum in diesem Land zu sorgen. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung.
Herzlichen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir in zweiter und dritter Lesung eine Änderung des Tierschutzgesetzes, mit der wir die Frist zum Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration um zwei Jahre verlängern. Und ich sage schon jetzt, zu Beginn, ganz deutlich: letztmalig um zwei Jahre verlängern.
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Auch mich ärgert es wie viele von Ihnen, dass die jetzt auslaufende Übergangsfrist nicht besser genutzt worden ist. Wir können jetzt lange über das Wieso, Weshalb, Warum debattieren; aber wir ändern daran nichts. Das bringt uns und unsere Landwirte jetzt eben nicht weiter.
({1})
Wir haben am Montag eine öffentliche Anhörung zu dem Thema gehabt. Eines haben uns die Sachverständigen einvernehmlich bestätigt: Damit unsere Betriebe den Ausstieg erfolgreich schaffen, brauchen wir diese Fristverlängerung. Mit „erfolgreich“ meine ich, dass insbesondere unsere kleinen landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland nicht aufgeben müssen, und Ferkel zukünftig, kastriert mit Methoden, die bei uns nicht zugelassen sind, nicht aus dem Ausland importiert werden.
({2})
Denn die bekannten Alternativen – auch das haben uns die Sachverständigen gesagt – sind derzeit einfach noch nicht ausreichend akzeptiert. Die Ebermast sollte die Alternative sein. Die Landwirte sind wirklich euphorisch und mit gutem Mut in die Ebermast gestartet. Unsere Landwirte können das. Aber der Markt nimmt die Eber nicht auf. Aktuell werden nur 10 Prozent abgenommen; es gibt Preisabschläge von 6 Prozent.
({3})
Die Impfung, also die Immunokastration, ist möglich. Aber von einem kleinen Sektor im Biobereich abgesehen, werden die Tiere am Markt – Stand heute – nicht abgenommen. Außerdem gibt es die Alternative der Inhalationsnarkose mit Isofluran. Auch hier zeigt sich, dass jetzt endlich etwas in Bewegung kommt; denn Isofluran ist für Schweine zugelassen worden. Alles, was bislang angewendet worden ist, war immer eine Umwidmung durch den einzelnen Tierarzt für den Einzelfall, aber eben nicht in der Breite anwendbar. Aber das alleine reicht nicht; so kommen wir noch nicht weiter. Auch für diesen sogenannten dritten Weg brauchen wir die Fristverlängerung: für die Weiterentwicklung und die Anerkennung der Narkosegeräte, für die Sicherstellung des Anwenderschutzes und letztendlich dafür, dass die Landwirte diese selber anwenden dürfen.
Also auch wenn es uns nicht gefällt, müssen wir uns die Frage stellen: Was sollen denn unsere Sauenhalter in Deutschland machen? Sie stehen ganz am Ende der Kette. Auch wenn sie es theoretisch könnten, es funktioniert praktisch nicht; sie haben keine Wahl. Mit diesem Gesetzentwurf verlängern wir eben nicht nur die Frist. Nein, wir sorgen mit dem Gesetzentwurf und mit dem Entschließungsantrag, dort noch einmal detaillierter geregelt, dafür, dass der Ausstieg gelingt.
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Das BMEL wird bis Ende Mai eine Rechtsverordnung vorlegen und uns dann alle halbe Jahre über die Herstellung und Anwendbarkeit der Isofluran-Narkose durch den Landwirt berichten. Die Schulung der Landwirte muss vorbereitet werden, damit sie sachkundig vorgehen können. Die Anwendersicherheit der Geräte muss sichergestellt sein. Wir brauchen ein Förderprogramm für die Anschaffung der Geräte und – ganz wichtig – eine Informationskampagne zu den Alternativen, damit wir endlich Akzeptanz erreichen.
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Wichtig ist: Wir müssen nicht die Landwirte von den Alternativen überzeugen. Wenn wir die Ebermast und die Immunokastration voranbringen wollen, dann brauchen wir die Bereitschaft der gesamten Lebensmittelkette. Deshalb freue ich mich, dass unsere Ministerin diese Gespräche bereits aufgenommen hat.
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Ich freue mich auch, dass die Branche, von der Schlachtung über die Vermarktung bis zum LEH, ihre Bereitschaft erklärt hat.
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Jetzt heißt es dranbleiben, diese Bereitschaft auch wirklich einfordern, es verbindlich machen und die Branche wirklich unterstützen, wo es notwendig ist. Das gilt zum Beispiel für die Exportzertifikate. Mit all diesen Alternativen und der Bereitschaft aller Beteiligten wird unseren Ferkelerzeugern in Deutschland der endgültige Ausstieg in den nächsten beiden Jahren erfolgreich gelingen. Dafür gewähren wir ihnen diese letzte Fristverlängerung.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Protschka für die AfD-Fraktion.
({0})
Habe die Ehre, Frau Präsidentin! Servus, liebe Kolleginnen und Kollegen! Grüß Gott, liebe Zuhörer auf den Tribünen und liebe Zuschauer an den Fernsehern! Ich habe mir gerade die Rednerliste angeschaut. Ich musste feststellen: Ich bin der einzige Mann, der zur Kastration spricht. Alle anderen sind ausschließlich Frauen. Aber bei mir geht noch alles. Ich weiß also, worüber ich rede.
({0})
Die dänischen Ferkelerzeuger haben sich schon die Hände gerieben. Ohne die Verlängerung der Übergangsfrist müssten nämlich Tausende deutsche Ferkelerzeuger ihre Hoftore schließen. Warum fängt eigentlich die Bundesregierung erst kurz vor Ende der Frist der betäubungslosen Ferkelkastration an, panisch nach Alternativlösungen zu suchen? Schwarz-Rot hat fünf Jahre Zeit gehabt, den deutschen Bauern eine tierschutzgerechte Alternative zur betäubungslosen Ferkelkastration zur Verfügung zu stellen. Aber was ist passiert, liebe Regierung? Gar nichts haben Sie gemacht. Sie haben unter Herrn Schmidt nichts gemacht, und unter Frau Klöckner ist bis dato auch noch nichts passiert.
({1})
Dabei hat die Schweinehochburg Dänemark doch aber vorgemacht, wie vernünftige landwirtschaftliche Politik funktionieren kann. Dort wurde in Windeseile in Zusammenarbeit von Wirtschaft, Politik und Tierschutz die Lokalanästhesie ermöglicht. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, dem viele Experten bescheinigen – wir haben schon gehört, dass wir am Montag eine Anhörung hatten –, dass es für die beste und wirksamste Schmerzausschaltung sorgt. Warum ist das in Deutschland nicht möglich?
({2})
– Doch! Sogar das Klinikum rechts der Isar sagt das.
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– Nein, sie sind nicht die Einzigen. Auch die TU München und viele andere sagen, dass die Lokalanästhesie wirksam ist.
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Von der Bundesregierung hört man nur, dass die Zulassung des Betäubungsmittels Lidocain fünf Jahre Zeit benötigen würde. Ja, liebe Regierung, Sie hatten fünf Jahre Zeit. Was haben Sie denn in diesen fünf Jahren gemacht? Sie haben nichts gemacht.
({5})
Stattdessen soll künftig die Betäubung mit Isofluran durchgeführt werden. Das ist ein Betäubungsmittel, welches nicht für eine wirksame Schmerzausschaltung sorgt und dazu noch Gesundheitsschäden bei Mensch und Tier hinterlässt, meine Damen und Herren. Und das nennen Sie vernünftige Politik? Ich nicht, meine Damen und Herren.
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Aber vielleicht steckt doch etwas anderes dahinter, liebe Bundesregierung, weil, wie wir am Montag in der Anhörung gehört haben, die Kosten für die circa 10 000 benötigten Geräte für die Isofluranbetäubung – ich finde die Zahl von 10 000 etwas hoch, aber es wurde uns am Montag bestätigt – etwa 100 Millionen Euro betragen. Aber das ist ein nettes Konjunkturprogramm von der Regierung für die Hersteller. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, ob nicht vielleicht das eine oder andere dabei gewesen ist.
Von den Linksgrünen ist natürlich wieder die typische Heuchelei zu hören. Wenn es nach Ihnen ginge, dann sollten Ferkel am besten gar nicht mehr kastriert werden.
({7})
Dabei wissen Sie selbst, liebe Grünen, dass es für diese Verfahren keinen Absatzmarkt gibt. Abgesehen davon will ich Sie dann hören, wenn die ersten Bilder von der Ebermast kommen, wenn es zum Beispiel Penisbisse und Schwanzabbisse gibt.
Herr Protschka, achten Sie bitte auf die Zeit.
Jawohl, Frau Präsidentin. – Wenn es die ersten Bilder von den Ferkeln gibt – Sie wissen genau, dass sich Eber gegenseitig beißen –, dann heißt es wieder: Ach, die armen Tiere. – Das hat nichts mit Tierschutz zu tun, was Sie machen.
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Wir werden der Fristverlängerung zustimmen, aber auch nur mit Bauchschmerzen, besser ein bisschen als gar nichts.
Danke, meine Damen und Herren.
({1})
Susanne Mittag hat nun für die SPD-Fraktion das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die kommenden zwei Jahre werden nicht mit den letzten fünf Jahren zu vergleichen sein.
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Und warum nicht? Weil wir als Gesetzgeber im Nachgang endlich das regeln, was das Landwirtschaftsministerium schon längst hätte regeln müssen.
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Wir sorgen dafür, dass mit der Isofluran-Narkose eine tierschutzgerechte Methode zur Verfügung steht – der Eingriff am Ferkel findet unter Schmerzausschaltung statt und nicht unter Schmerzminderung –,
({2})
dass nach den zwei Jahren das deutsche Tierschutzgesetz in diesem Bereich endlich den höchsten Standard hat, und zwar europaweit.
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In keinem anderen Land ist die Schmerzausschaltung vorgeschrieben. Alle Versuche, auch hier aus diesem Bereich, das Gesetz in dieser Begrifflichkeit zu unterwandern, sind zum Glück fehlgeschlagen.
({4})
Das Ministerium muss bis Ende Mai 2019 eine Verordnung vorlegen, die die Isofluran-Narkose praxistauglich macht. Das ist schon erwähnt worden. Das Gesetz stellt aber auch klar, dass es drei verschiedene tierschutzgerechte Verfahren gibt. Das geht in der Diskussion gelegentlich unter. Wir reden über drei Verfahren. Die Mast junger Eber und die Eberimpfung sind auch schon erwähnt worden.
({5})
Die öffentliche Anhörung im Bundestag hat aber auch deutlich gemacht, dass alle drei Verfahren noch nicht vollkommen gangbar sind.
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– Einmal abwarten, und die Nerven bewahren.
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Die Geräte für die Isofluran-Narkose sind noch nicht ausreichend auf dem Markt vorhanden. Nicht jeder Tierhalter kann von heute auf morgen sein Haltungsmanagement im Stall auf die Jungebermast umstellen. Und die Schweinemäster werden momentan ihre geimpften Tiere nicht oder kaum los.
Für das erste Problem bezüglich der Isofluran-Narkose schaffen wir mit der Gesetzesänderung eine Lösung. Bald kann der Tierhalter nach einer Schulung die Narkose eigenständig durchführen. Das war bislang nicht so. Das ist für die Praktikabilität unheimlich wichtig, weil für die Menge die Tierärzte fehlen. Es braucht dazu einfach Zeit.
Auch die Jungebermast wollen und müssen wir weiter fördern. Länder wie Spanien mästen ausschließlich junge Eber bei einem niedrigen Schlachtgewicht, damit der unangenehme Ebergeruch gar nicht erst auftritt. Auch in Deutschland ist ja der herrliche Schinken aus Spanien sehr beliebt. Es scheint also zu funktionieren. Die Jungebermast muss also auch für Deutschland eine Option sein. Die Tiere mit Geruch, falls er überhaupt auftritt – das ist ein nicht so hoher Prozentsatz, wie es immer gesagt wird –, sind ohne Weiteres im Schlachtvorgang zu identifizieren und herauszunehmen. Allerdings ist nicht nachvollziehbar, wenn Schlachtunternehmen schon einmal im Vorgriff auf diese Maßnahmen die Preise für junge Eber sicherheitshalber senken. Das läuft nämlich auf Markbeeinflussung hinaus, und das bestimmt nicht im positiven Sinne.
({8})
Es liegt nach dieser Gesetzesänderung auch in der Verantwortung des Bundeslandwirtschaftsministeriums, die festgeschriebene Verordnung umgehend zu erlassen
({9})
und die im Entschließungsantrag – er liegt draußen vor und kann gerne noch einmal gelesen werden – aufgeführten Handlungskataloge umzusetzen sowie die dort gesetzten Fristen zu wahren. Es sind jede Menge Fristen festgeschrieben worden, die es einzuhalten gilt.
({10})
Es liegt nicht nur in der Verantwortung der Landwirte, die gesetzlichen Möglichkeiten – drei verschiedene – endlich zu nutzen, sondern auch am Einzelhandel. Auch die Schlachtunternehmen müssen endlich tierschutzgerecht gemästete Tiere vermarkten.
({11})
Das war in den letzten fünf Jahren leider nicht der Fall. Da gab man wieder einmal die Schuld dem legendären Verbraucher, der das alles nicht will. Aber – das ist schon einmal positiv – seit einigen Tagen gibt es erste Zugeständnisse in diesen Bereichen hinsichtlich der Machbarkeit und Notwendigkeit, auch aus dem Bereich der Schlachtindustrie und des Einzelhandels. Wir werden genau beobachten, ob wieder versucht wird, den Tierschutz zu unterwandern oder ob diese Versprechungen wirklich eingehalten werden; denn es ist wichtig, dass der Tierschutz auch in diesen Bereichen endlich realisiert wird.
({12})
Was in den letzten fünf Jahren im Landwirtschaftsministerium gelaufen ist oder leider nicht gelaufen ist, darf sich nicht wiederholen. Es wurde Vertrauen in die Verlässlichkeit politischer Entscheidungen, die wir hier einmal gefasst haben, und in den Tierschutz in Deutschland allgemein verspielt. Dieses Vertrauen gilt es wiederherzustellen. Das wird allerdings dauern.
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Überzeugt werden kann nur durch ein positives Ergebnis. Wir haben deshalb im Entschließungsantrag, der dem Gesetz anhängt, neun Vorhaben genauer beschrieben, wie das befristet in den zwei Jahren umgesetzt werden kann. Wer gerne weiterliest: Dort sind 15 weitere Forderungen im Nutz- und Heimtierbereich formuliert. Auch das ist Tierschutz, der letztendlich umgesetzt werden muss, weil er schon Jahre in der Besprechung, in der Wertung, in der Prüfung usw. liegt. Es wird Zeit, dass das einmal umgesetzt wird. Zum Beispiel: Wir brauchen einen Tierschutz-TÜV für Ställe, Regelungen für nichtkurative Eingriffe, weitere Maßnahmen beim Thema Tiertransporte. Wir brauchen eine Verordnung, die den Verkauf von Tieren auf Börsen und im Internet regelt, Regelungen zu Tierheimen und zur Qualzucht. Wir brauchen die Videoüberwachung an Schlachthöfen. Das sind noch nicht alle Punkte, die aufgeführt sind. Das ist ein Handlungskatalog, der direkt an Frau Ministerin Klöckner geht. Es gibt also jede Menge zu tun, damit die vielen Missstände im deutschen Tierschutzrecht nicht mehr weiter fortgeführt werden.
Die Frist in allen Fällen endet 2019. Dann überprüfen wir unseren Koalitionsvertrag. Ich bin optimistisch, dass wir viele Regelungen haben. Für die letzten fünf Jahre kann Frau Klöckner wenig. Das muss man einmal deutlich sagen.
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Sie war weder im Deutschen Bundestag noch war Frau Klöckner Ministerin. Aber in den kommenden zwei Jahren müssen Sie als Ministerin dafür Sorge tragen, dass Deutschland wirklich eine vorbildliche Position im Tierschutz einnimmt, unabhängig davon, was Verbände meinen, wie Tierschutz zu funktionieren hat.
Danke schön.
({15})
Das Wort hat die Kollegin Carina Konrad für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Frau Mittag, bitte erklären Sie mir eines: Warum und wie soll jetzt in zwei Jahren etwas umgesetzt werden, was in den letzten fünf Jahren nicht gelingen konnte? Dafür gibt es keine vernünftige Erklärung.
({0})
Sie hatten fünf Jahre Zeit, liebe GroKo und liebes Bundeslandwirtschaftsministerium,
({1})
und 33 Tage vor Toresschluss wollen Sie uns erklären, dass es keine andere Lösung gibt, als allein die Frist zu verlängern.
Frau Klöckner, als Sie angetreten sind, haben Sie versprochen, das Spannungsfeld zwischen Verbrauchern und Landwirten zu überbrücken. Sie haben versprochen, dass Sie die Landwirte aus dieser Defensivhaltung herausbringen wollen. Am heutigen Tage muss ich feststellen: Das ist gescheitert.
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Wie kann man die Landwirte durch diese Entscheidung noch mehr in die Defensive bringen? Wer die öffentliche Debatte – in allen Zeitschriften natürlich befeuert von unseren Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen – in den letzten Tagen verfolgt hat, muss sehen: Es gibt im Moment keine Debatte, die emotionalisierter geführt wird als die Debatte um die Zukunft der Ferkelkastration in Deutschland.
Es hätte nicht nur eine Möglichkeit gegeben. Es hätte vier Möglichkeiten gegeben.
({3})
Frau Mittag, Sie wissen das sehr genau. Anstatt sich auf den Weg zu machen und in Verbindung mit dieser Fristverlängerung ein deutliches Signal zu senden, dass Sie sich auf den Weg machen, all diese Möglichkeiten für die Landwirte möglich zu machen, verkünden Sie gestern über „agrarheute“, dass der Weg, der in Dänemark gängige Praxis ist, der in der Humanmedizin gängige Praxis ist, dass der Weg der Lokalanästhesie kategorisch ausgeschlossen ist. Und das ist falsch.
({4})
Stattdessen machen Sie sich jetzt auf den Weg, die Vollnarkose zur Marktreife bringen zu wollen. Völlig überraschend wurde in der letzten Woche in einem Anflug von Hyperaktivität das Mittel Isofluran zugelassen.
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Das wird enorme Kosten bei den Betrieben auslösen. Das ist in der Anhörung am Montag deutlich geworden. Alle Betriebe werden Geräte anschaffen müssen. Egal ob kleine oder große Betriebe, für jeden Betrieb fallen Kosten in der gleichen Höhe an. Man muss kein Hellseher sein, um zu sehen, dass das besonders die kleinen Landwirte nicht leisten können.
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Der vielgepriesene bäuerliche Familienbetrieb, liebe Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, steht damit vor dem Aus, weil ihm schlichtweg die Möglichkeiten fehlen.
Wir haben schon vor einiger Zeit einen Antrag eingebracht, in dem wir aufzeigen, wie es geht, und vor allen Dingen aufzeigen, was noch alles für Herausforderungen auf die Landwirtschaft und speziell auf die Sauenhalter zukommen. Sei es der Kastenstand, sei es die TA Luft oder seien es die vielfältigen anderen gesellschaftlichen Anforderungen, vor denen die Sauenhalter stehen – kein Wort darüber ist zu finden in dem Entschließungspapier, das Frau Mittag hier eben gepriesen hat; stattdessen nur weitere Anforderungen, weitere Bürden, weitere Auflastungen. Das ist unverantwortlich. Das ist Politikversagen. Hieran trägt keiner die Schuld, außer den politischen Vertretern in diesem Haus. Das muss ganz deutlich gesagt werden.
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Das Parlament hat seine Hauptaufgabe in den letzten fünf Jahren sträflich vernachlässigt.
Kollegin Konrad, bitte achten Sie auf die Zeit.
Ich komme zum Ende. – Die Hauptaufgabe ist die Kontrolle der Regierung. Das müssen auch Sie von Bündnis 90/Die Grünen, die Sie sich hier als Haupttierschützer hinstellen, verantworten.
({0})
Dr. Kirsten Tackmann hat für die Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Heute geht es um die Frage, ob Ferkel weitere zwei Jahre ohne Betäubung kastriert werden dürfen oder eben nicht. Eigentlich muss bei jedem schmerzhaften Eingriff der Schmerz ausgeschaltet werden. Nur mit Ausnahmegenehmigung dürfen männliche Ferkel ohne Betäubung – noch – kastriert werden.
So weit, so schlecht. Als Tierärztin weiß ich sehr genau, was das heißt. Ich musste Ferkel so kastrieren, und ich sage Ihnen: Ich habe das gehasst.
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Dass so junge Ferkel keine Schmerzen spüren, ist ein Märchen aus einer anderen Welt. Und das alles nur, weil 5 Prozent der Eber Ebergeruch entwickeln, der unangenehm ist, oder weil sich die Fleischqualität verändert. Aber einen so schmerzhaften Eingriff damit zu rechtfertigen, ist einfach nicht mehr akzeptabel.
({1})
Doch die Union tritt wieder einmal heftig auf die Bremse. Nur der große öffentliche Druck zwang im Dezember 2012 die Koalition aus FDP und Union, das Verbot für Ende 2016 zu beschließen. In letzter Minute wurde es dann auf Anfang 2019 verschoben. Dieses Verbot hätte eigentlich schon 2012 kommen können. Ich sage: Es hätte kommen müssen.
({2})
Mit Erlaubnis der Präsidentin möchte ich aus einer Rede vom Dezember 2012 zitieren:
Dabei gibt es längst zig Alternativmethoden: Ebermast, Improvac, Isofluran. Der Impfstoff Improvac ist in über 50 Ländern zugelassen, wird dort täglich angewendet und hat sich bestens bewährt. Warum nehmen Sie nicht endlich die Wirklichkeit zur Kenntnis? Warum leugnen Sie wider besseres Wissen? Sie lassen weiterhin millionenfache Tierquälerei zu. Unerträglich!
({3})
Laut Protokoll: Beifall von SPD, Grünen und Linken. Der Redner war damals Heinz Paula von der SPD. Er war damals Opposition, und er hatte vollkommen recht.
({4})
Auch 2016 hat die Bundesregierung in einer offiziellen Unterrichtung an den Bundestag festgestellt, dass es Alternativen gibt, und zwar verfügbare. Durch die Ebermast oder die sogenannte Impfung gegen Ebergeruch kann man sogar gänzlich auf eine schmerzhafte chirurgische Kastration verzichten, wobei die sogenannte Impfung die tierschutzgerechteste und auch zukunfts- und rechtssicherste Möglichkeit ist.
({5})
Das zuständige Friedrich-Loeffler-Institut hat das bestätigt. Nach einer Studie des Thünen-Instituts ist diese Methode sogar fast kostenneutral.
({6})
Warum also soll jetzt doch die Verlängerung kommen? Weil die Schlachtkonzerne und Supermarktkonzerne schlicht seit fünf Jahren mit vorgeschobenen Gründen verweigern, unkastrierte oder immunokastrierte Schweine anzunehmen. Sie boykottieren quasi die Durchsetzung des gesetzlichen Verbots der betäubungslosen Kastration. Ich finde das ungeheuerlich.
({7})
Damit erpressen die Konzerne mutmaßlich sogar einen Verfassungsbruch. Ich finde das absolut absurd. Warum sind die eigentlich so mächtig? Weil eben nur noch drei Großkonzerne den gesamten Markt beherrschen, und sie haben Buddies in der Union, die heute die SPD in Geiselhaft nehmen. Ich finde beides erschreckend.
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Sie fallen den Betrieben, die uns als Gesetzgeber ernst genommen haben und sich auf den Weg gemacht haben, heute in den Rücken. Ich finde, das ist ein rabenschwarzer Tag für den Tierschutz und für die Demokratie.
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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist gut, dass schon so viele Kolleginnen und Kollegen hier der Debatte folgen, bevor wir demnächst namentlich abstimmen. Ich bitte, die notwendige Aufmerksamkeit für die folgenden Rednerinnen und Redner herzustellen. Dazu gehört auch: Wir haben genügend Sitzplätze für alle gewählten Mitglieder des Deutschen Bundestages. Erfahrungsgemäß hört es sich so auch besser zu. Ich bitte also, Platz zu nehmen und notwendige Gespräche aus dem Plenum in einen anderen Raum zu verlagern.
Nun hat das Wort die Kollegin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, dieses Gesetz ist verfassungswidrig.
({0})
So einfach ist es. Seit 2002 steht in Artikel 20a des Grundgesetzes, dass der Tierschutz Staatsziel ist. Das ist ein formulierter Auftrag für alle staatlichen Organe und für alles staatliche Handeln. Tiere ohne Betäubung schmerzhaft zu behandeln, ist eine Straftat. Die Amputation, also auch die Kastration, ist eine Straftat. Meine Damen und Herren, eine Straftat! Nur dazu haben wir eine Ausnahmeregelung gemacht. Diesem ganzen Konstrukt werden Sie an keiner Stelle gerecht.
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Sie hatten fünf Jahre Zeit, meine Damen und Herren, und haben nichts gemacht. Das muss man so sagen.
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Das waren die Vorgänger von Frau Klöckner,
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Herr Schmidt – ich sehe ihn nicht; irgendwann wird er ja kommen müssen –, oder Frau Aigner. Dafür trägt Frau Klöckner keine Verantwortung, aber für alles, was jetzt passiert.
Zur Frage, was jetzt passieren muss, der kleine rechtliche Hinweis an Frau Konrad: Schmerzausschaltung, nicht Schmerzlinderung muss jetzt passieren. Sie müssen bei Ihren Vergleichen aufpassen.
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2016 hat die Bundesregierung einen Bericht aufgelegt, in dem sie geschrieben hat: Es gibt Alternativen, die Alternativen sind wirtschaftlich, und die lokale Betäubung ist wenig effektiv. Dieser Bericht der Bundesregierung wurde zu keinem Zeitpunkt widerrufen. Das Friedrich-Loeffler-Institut, eines der führenden Institute für Tiergesundheit, ist immer noch dieser Meinung, meine Damen und Herren. Ich weiß gar nicht, warum dann dieser Gesetzentwurf. Jede und jeder wusste, was am 1. Januar 2019 passieren muss.
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Ihr Gesetzentwurf ist das Ergebnis von Lobbydruck, meine Damen und Herren, und Sie treten das Grundgesetz mit Füßen. Sie verlängern jetzt. Da gucken wir uns mal an, was passiert: Also, Sie wollen um zwei Jahre verlängern. Zeitgleich gibt es eine Presseerklärung der Ministerin, in der sie sagt, es gibt drei praxistaugliche Alternativen: die Ebermast, die Impfung, die chirurgische Kastration unter Betäubung. – Warum verlängern wir dann, meine Damen und Herren?
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Zu dieser Verlängerung gibt es jetzt aber eine neue Studie zum Thema „lokale Betäubung“; sie hat die Ministerin am Dienstag vorgestellt. Fragen wir im Ausschuss nach, wann denn das Ergebnis kommt, heißt es: im Sommer 2021. 2021 ist erkennbar nach 2019/2020, meine Damen und Herren. Ich vertraue Ihnen nicht, dass Sie nicht noch mal verlängern.
({7})
Dann würde dieses Gutachten aber ein Fall für den Bundesrechnungshof sein.
Sie sind, meine Damen und Herren, doch der parlamentarische Arm von Bauernverband und Schlachtindustrie. Sie fahren die deutsche Landwirtschaft tatsächlich in die Sackgasse.
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Sie treten den Tierschutz hier mit Füßen, meine Damen und Herren. Warum? Die Eigentumsgarantie zieht hier nicht.
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Die Berufsfreiheit zieht hier nicht, weil die Rechtsprechung sagt, dass künftige Erwerbsmöglichkeiten gar nicht geschützt sind. Und den Tierschutz, Artikel 20a GG, wägen Sie überhaupt nicht ab. Sie laden zu einem Treffen; da sitzt – bildhaft – der Handel, da sitzt die Schlachtindustrie und, und, und. Und wenn man genau schaut, wer fehlt, stellt man fest: die Tierschutzverbände. Da oben sitzen sie. Sie machen also etwas zum Thema Ferkelkastration ohne die Tierschutzverbände. Stattdessen sitzen dort, meine Damen und Herren, Vertreter der Großen Koalition aus dem Ausschuss. Die Opposition, meine Damen und Herren, wird nicht eingeladen. Das ist ein Fall für den Bundestagspräsidenten; es geht nämlich um die Rechte der Abgeordneten, meine Damen und Herren.
({10})
Kollegin.
Letzter Satz. – Fazit, meine Damen und Herren: Bei Ihnen, bei Ihrem Gesetzentwurf ist es so, dass der Tierschutz vollständig hinter wirtschaftlichen Interessen zurücktreten muss. Sie treten die Staatszielbestimmung mit Füßen. Sie denken nur an die Profite der Schlachtindustrie und der Ferkelzüchter. Diese Koalition ist der Albtraum aller Tiere. Wir werden Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Mario Mieruch.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorweg noch mal eine kleine Korrektur: Lieber Kollege Protschka, auf der Rednerliste sind Sie dann heute doch nicht der einzige Mann. Meine Cojones sind auch noch da. Das habe ich sogar bewiesen, indem ich ausgetreten bin.
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Aber gut, zum Thema. In dieser Debatte geht es um eine schwierige Rechtsgüterabwägung: Auf der einen Seite stehen die Bauern, denen es nicht einfach immer nur um den Profit, sondern an vielen Stellen einfach nur um den Lebensunterhalt geht.
({1})
Auf der anderen Seite steht der Tierschutz, der natürlich fordert, dass keinem Tier ohne Grund Schmerzen zugefügt werden sollen.
Ich habe mit vielen Jungbauern im Münsterland gesprochen, die gerne Höfe übernehmen und weiterführen wollen. Sie versicherten mir wirklich sehr, sehr glaubhaft, dass sie kein Interesse daran haben, einem Tier Schmerzen zuzufügen, wenn sich das entsprechend vermeiden lässt. Die meisten Bauern halten weder schwarze Schafe, noch sind sie selber welche.
Dass die Bundesregierung es in den letzten zwei Jahren nicht geschafft hat, weder kostengünstige noch allgemein umsetzbare Lösungen zu präsentieren, ist ein Armutszeugnis; das stimmt. Es wäre wirklich spannend, einmal zu ergründen, woran das lag.
Nehmen wir ein Beispiel aus der Praxis, worüber wir heute reden: Ein mittlerer Betrieb im Münsterland mit 1 800 Sauen ferkelt jede Woche circa 80-mal, pro Wurf im Schnitt 7 Eber; macht dann pro Woche 560 Kastrationen, die erforderlich sind. Die Variante mit dem Isofluran kommt gerade auch bei den Jungbauern nicht so richtig gut an; denn sie birgt die Gefahr des Auskühlens oder die, dass die Tiere unter das Muttertier rollen – beides nicht wirklich erstrebenswert. Die Lokalanästhesie wäre eine Möglichkeit; aber die Tierärzte können sie in dieser Quantität nicht mal annähernd leisten. Also wäre zu überlegen, ob man den Bauern, wie beim Kälberenthornen, nicht auch eine Ausnahmeregelung zukommen lässt.
Gleichwohl stehen die Jungbauern aber allen Ansätzen und möglichen Lösungen völlig offen gegenüber. Sie wollen nur eine Lösung; die brauchen sie wirklich dringend. Und sie brauchen mit dieser Rechtssicherheit eben auch Planungssicherheit. Bevor wir hier weiter untätig bleiben und die ganze Debatte auf dem Rücken ebenjener Bauern austragen, wäre es einfach sinnvoll, sie mal zu fragen, was sie selber gerne wollen.
Vielen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Hermann Färber für die CDU/CSU.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wenn wir hier heute über die Verlängerung der Frist für die betäubungslose Ferkelkastration reden und abstimmen, möchte ich vorab eines klarstellen: Das bedeutet natürlich nicht, dass die Ferkel bisher oder auch in den nächsten zwei Jahren ohne schmerzstillende Mittel kastriert werden. Denn schon heute wird mit dem Mittel Metacam ein Medikament angewendet, das schmerzlindernd und entzündungshemmend wirkt.
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Wenn wir ein Verfahren anbieten wollen, das zur vollständigen Schmerzausschaltung während der Kastration führt, benötigen wir aber eine Verlängerung dieser Übergangsfrist, weil wir für einige bisher ungeklärte Fragen nach Lösungen suchen müssen. Das haben uns auch – das wurde schon erwähnt – in der Anhörung am Montag acht von neun Experten so bestätigt.
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In den vergangenen fünf Jahren wurden die Ebermast und die Impfung gegen den Ebergeruch als beste Lösung angestrebt. Leider wird das Fleisch dieser Tiere in Deutschland aber kaum gekauft. Dafür fehlen vertragliche Grundlagen zwischen den Höfen, der Schlachtindustrie, aber auch dem Lebensmitteleinzelhandel.
Seit Freitag der vergangenen Woche ist jetzt das Narkosemittel Isofluran zugelassen; damit können die Ferkel bei der Kastration in Vollnarkose versetzt werden. Jetzt müssen die Narkosegeräte in ausreichender Menge zur Verfügung gestellt werden. Dabei gibt es auch noch Bedenken vonseiten der Sozialversicherung im Hinblick auf den Anwenderschutz, die es zu klären gilt. Isofluran hat die Eigenschaften, dass es bei Menschen fötusschädigend wirken kann. Oftmals sind aber gerade junge Frauen mit der Tätigkeit als Tierärztin beschäftigt. Wir tragen hier bei der Gesetzgebung auch Verantwortung für die Sicherheit und für die Gesundheit der Anwenderinnen.
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Auf der anderen Seite – auch das wurde schon gesagt – gibt es nicht genügend Tierärzte, die diese Narkose auf den Höfen durchführen können. Deshalb benötigen wir noch eine Verordnung, die es ermöglicht, dass die Landwirte diese Behandlung, diese Narkotisierung selber durchführen können. Dann brauchen wir dazu die Schulungen und die Lehrgänge für den Sachkundenachweis.
Meine Damen und Herren, es ist wichtig, zu wissen: Die Ferkelzüchter würden liebend gerne auf die Kastration ihrer Tiere verzichten. Sie müssen sich aber auch nach den Wünschen ihrer Kunden richten. Wenn wir die Frist nicht verlängern, dann werden unsere heimischen Ferkelzüchter ihre Betriebe schließen müssen – ihnen bleibt ja gar nichts anderes übrig –, und die Schweinemäster werden die Jungtiere dann aus dem Ausland beziehen, vorzugsweise aus Dänemark. Dort werden die Tiere aber selbstverständlich auch kastriert. Dazu werden sie noch 1 000 Kilometer über viele Stunden hinweg auf den Transport geschickt. Das kann wirklich niemand wollen; das kann auch nicht Tierschutz sein.
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Deshalb ist der vorliegende Entwurf zur Änderung des Tierschutzgesetzes ein notwendiger Schritt, und ich bitte um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Tierschutzgesetzes. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/6000, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/5522 anzunehmen.
Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass mir mehrere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu diesem Tagesordnungspunkt vorliegen. Wir nehmen sie entsprechend unserer Regeln zu Protokoll. Sie müssen sich noch nicht beeilen und hier quer durch den Plenarsaal laufen. Ich bitte nämlich jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Es lässt sich im Moment schwer feststellen, inwieweit das in Fraktionen – –
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– Na ja, auch die CDU stimmt hier mit maximal sechs Leuten ab; der Rest hat im Moment keine Meinung.
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Es scheint jetzt auch in der CDU/CSU-Fraktion angekommen zu sein, dass wir in einer Abstimmung sind.
Ich wiederhole die Frage: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der AfD-Fraktion angenommen.
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– Und eine Gegenstimme aus der SPD. Das nehmen wir auch noch zu Protokoll. Und bei der Union gab es eine Enthaltung.
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Das ist schwer zu erkennen, wenn Sie alle hier vorne stehen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer am Platz? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich mache darauf aufmerksam, dass wir nach der Absolvierung dieser namentlichen Abstimmung noch nicht am Ende dieses Tagesordnungspunktes sind, sondern noch weitere Abstimmungen zu diesem Tagesordnungspunkt stattfinden.
Jetzt stelle ich die obligatorische Frage: Gibt es ein Mitglied des Hauses, welches seine Stimme noch nicht abgeben konnte? – Haben auch alle Schriftführerinnen und Schriftführer ihre Stimme abgeben können? – Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Ich bitte jetzt die verbliebenen Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen, sodass wir zweifelsfrei die folgenden Abstimmungsergebnisse feststellen können.
Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/6106 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Also offensichtlich stimmen nur einige Abgeordnete der SPD-Fraktion und der CDU/CSU-Fraktion für den Entschließungsantrag dieser Fraktionen.
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– Wir stellen hier das fest, was wir sehen, und nichts anderes. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Darf ich erfahren, wie die AfD abgestimmt hat?
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Gut, wir müssen die Abstimmung offensichtlich wiederholen. Vielleicht ist jetzt die notwendige Aufmerksamkeit in allen abstimmenden Fraktionen hergestellt. Es hilft vielleicht auch, wenn sich die restlichen CDU/CSU-Kollegen hinsetzen. In der FDP könnte das auch helfen.
Ich wiederhole ein letztes Mal die Frage: Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen auf der Drucksache 19/6106? –
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Das sind die SPD-Fraktion, die CDU/CSU-Fraktion und die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Dies sind die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Das ist die FDP-Fraktion. Der Entschließungsantrag ist also mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der AfD-Fraktion angenommen.
Wir sind noch immer beim Tagesordnungspunkt 11, und zwar Tagesordnungspunkt 11 b, und setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache 19/6000 fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/5533 mit dem Titel „Lokalanästhesie bei der Ferkelkastration ermöglichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der AfD-Fraktion angenommen.
Wir sind immer noch beim Tagesordnungspunkt 11 b. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/4532 mit dem Titel „Planungssicherheit für Sauenhalter herstellen – Abwanderung ins Ausland verhindern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der AfD-Fraktion angenommen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! In großer Regelmäßigkeit beantragen die Linken einen generellen Abschiebestopp nach Afghanistan – auch dieses Mal wieder. Wenn man dem Antrag etwas Positives abgewinnen will, dann ist es die Hartnäckigkeit, mit der die Linksfraktion dies hier beantragt.
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Aber das war es auch schon an Positivem, und deswegen werden wir ihn auch dieses Mal ablehnen. Denn er sendet ein falsches Signal in die Welt und vor allem nach Afghanistan, und er würde all jenen schaden, die zu Recht in Deutschland Schutz suchen und erhalten.
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Sie wollen ja mehr als einen Abschiebestopp: Sie wollen allen aus Afghanistan aus humanitären Gründen eine Daueraufenthaltserlaubnis geben.
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Ähnliches hatten auch schon die Grünen im April 2017 beantragt, indem sie zumindest einen subsidiären Schutz für alle forderten. Da passt kein Blatt zwischen Grüne und Linke. Sie bedenken in keinster Weise die Folgen einer solchen Politik. Das käme quasi einer Aufforderung an alle in Afghanistan Lebenden gleich, den Weg nach Deutschland anzutreten. Das können wir nicht zulassen.
Wie ist die Ausgangslage, liebe Kolleginnen und Kollegen? Die Bundesregierung analysiert regelmäßig die Situation in den Herkunftsländern anhand vielfältiger Quellen: Berichte aus dem Auswärtigen Amt und des UNHCR sowie von anderen wie NGOs und dem EASO. Man kann sagen: Es gibt deutliche Unterschiede in den Regionen bzw. Provinzen in Afghanistan zwischen den städtischen Zentren und dem zentralen Hochland.
Der Staat selbst übt, anders als etwa in Syrien, keine organisierte Gewalt gegen seine Bevölkerung aus; es handelt sich um eine demokratisch gewählte Regierung. Auch die Lage der Zivilisten ist in keiner Weise mit der in Syrien vergleichbar. Man macht das nun mal, indem man das ins Verhältnis setzt. Die tatsächliche Gefährdungsquote ist wesentlich geringer: in Afghanistan 0,04 Prozent, in Syrien 10 Prozent.
Wie viele andere Länder in der Welt erfüllt auch Afghanistan die Standards an Sicherheit und Ordnung, wie wir sie in Deutschland gewohnt sind, nicht. Aber wir können auch nicht unsere Maßstäbe dafür anlegen, wenn es darum geht, ob eine Rückführung in die Herkunftsländer tatsächlich möglich ist.
Alles was wir tun – das ist der nächste Punkt –, sendet Signale in die Welt. Abschiebestopps sind ein eindeutiges Signal. Die Linken und die Grünen sagen in anderen Anträgen: Wer es hierher schafft, der bleibt, egal was das geltende Asyl- und Flüchtlingsrecht in Deutschland sagt. – Wenn wir aber den Anspruch haben – das sagen ja auch Sie –, dass wir Migration in Deutschland und Europa ordnen und steuern, dann muss die Nachricht heißen: Wer nach Deutschland kommt und einen berechtigten Schutzanspruch hat, der darf bleiben; der bekommt Schutz. Wer nicht schutzbedürftig ist, der muss wieder gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wenn rechtskräftig festgestellt ist, dass ein Schutzbedarf nicht gegeben ist, dann muss die Entscheidung Konsequenzen haben. Ansonsten können wir uns den ganzen Aufwand mit Anhörungen, Dolmetschern, Bescheiden und Rechtsmitteln sparen. Vielleicht ist das genau das, was Sie wollen. Und wer so handelt, der legt langfristig die Axt an ein von Humanität und Hilfsbereitschaft geprägtes Schutzsystem und gefährdet die dankenswerterweise überwiegende grundsätzliche Akzeptanz in unserer Bevölkerung.
Da würde ich schon erwarten, dass auch die Linksfraktion aus den letzten Jahren so langsam mal ihre Lehren zieht.
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Ihre Fraktionsvorsitzende, Frau Wagenknecht, ist Ihrer Fraktion offensichtlich schon voraus. Deshalb wollen Sie sie auch loswerden, wie ich vernehme.
Die zeitweilige Einschränkung auf Rückführungen von Straftätern, Gefährdern und Identitätstäuschern, die wir in den letzten anderthalb Jahren gemacht haben, war durch die verringerten Kapazitäten an der deutschen Botschaft in Kabul bedingt. Jetzt ist diese Einschränkung nicht mehr notwendig. Die Botschaft ist wieder einigermaßen arbeitsfähig. Deswegen müssen wir sagen – wir dürfen es nicht falsch verstehen –: Es war keine Einschränkung wegen einer Einschätzung der Sicherheitslage, sondern wir haben lediglich die Fälle aufgrund der geringen Kapazitäten in Kabul danach organisiert, welche Dringlichkeit es bei den abzuschiebenden Personen gab.
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Es gibt einige Bundesländer in Deutschland, die nach wie vor nicht nach Afghanistan abschieben. Das ist nicht in Ordnung. Das entspricht nicht unserer geltenden Rechtslage. Es kommt quasi einem Boykott unseres Asylsystems in Deutschland gleich.
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Letzter Satz: Wer ein humanitäres und hilfsbereites Asylsystem auf der einen Seite haben will, der muss auch die andere Seite der Medaille erfüllen, das heißt Rückführung in die Heimatländer, wenn kein Schutzanspruch besteht.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Linke beantragt einen sofortigen Abschiebestopp nach Afghanistan.
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Dabei irren die Kollegen der Linken sowohl beim Personenkreis, der davon betroffen ist, als auch bei der Sicherheitslage.
An diesem Pult wurden schon öfter tragische Schicksale geschildert. Ich möchte heute auch einige Beispiele nennen.
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Zunächst geht es mir um die Flüchtlinge, die für eine Abschiebung infrage kommen. Hier ist nüchtern festzustellen, dass es seit einem Jahr ausschließlich um abgelehnte Asylbewerber geht, die in Deutschland bereits Straftaten begangen haben oder als Gefährder gelten, oder eben um sogenannte hartnäckige Identitätsverweigerer.
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Ausschließlich dieser Personenkreis wurde nach Afghanistan abgeschoben,
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und Die Linke setzt sich nun dafür ein, dass ausgerechnet diese Kriminellen in den Genuss eines Abschiebeverbots kommen. Vollkommen absurd, meine sehr verehrten Damen und Herren!
({4})
Ich möchte Ihnen noch mal verdeutlichen, welche Leute von einem derartigen Abschiebestopp profitieren würden.
So wurde vor wenigen Tagen einem Rentner in Wittenburg um 2 Uhr nachts heimtückisch mit einem Messer die Kehle durchgeschnitten. Dringend tatverdächtig ist ein Flüchtling aus Afghanistan, der in Deutschland nur geduldet wurde.
Nach einem Bericht der Polizei in München haben sechs Geflüchtete, um mal in Ihrem Sprech zu bleiben, im September dieses Jahres ein 15-jähriges Mädchen über einen Zeitraum von vier Tagen vergewaltigt. Die mutmaßlichen Täter sind afghanische Asylbewerber.
Ein Blick nach Königs Wusterhausen in Brandenburg: Vergangene Woche soll dort Mohammad F. eine 15-Jährige in der Nähe eines Spielplatzes auf eine öffentliche Toilette gezerrt und brutal vergewaltigt haben.
({5})
Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich um einen 21-jährigen afghanischen Flüchtling.
Und im Stadtpark in Ochtrup, so berichtet die Polizei in Münster, kamen zwei Männer in Streit, in dessen Verlauf mehrfach mit einer abgebrochenen Flasche auf das Opfer eingestochen wurde, das letztendlich noch am Tatort verstarb. Der mutmaßliche Täter war auch hier ein junger afghanischer Flüchtling. Und für diese Leute möchte die Fraktion der Linken nun einen Abschiebestopp erreichen und sogar noch eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen – unfassbar, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Jetzt zur Sicherheitslage in Afghanistan. Es ist doch gar keine Frage, dass die Sicherheitslage in Afghanistan weiterhin angespannt bleibt und es zahlreiche Gefechte und Attentate gab und gibt.
Herr Herrmann, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der SPD-Fraktion?
Nur wenn ich hier nicht gegen Regeln verstoße, weil es vorhin hieß, dass keine zugelassen würden. Aber wenn Sie damit einverstanden sind, von mir aus gern.
Wir sind uns hier einig, dass jeweils der amtierende Präsident oder die Präsidentin entscheidet. Also wenn Sie es zulassen, okay. – Bitte.
Herr Herrmann, –
Ja.
({0})
– ist Ihnen klar, dass 80 Prozent der Frauen, die vergewaltigt werden, von Tätern aus ihrem Nahfeld vergewaltigt werden und keineswegs von den Tätern, die Sie beschreiben? Es sind keineswegs Taten – –
({0})
– Schreien Sie doch nicht so; auf dem rechten Ohr bin ich eh taub.
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Ist Ihnen klar, dass das, was Sie beschreiben, eher die Minderheit ist, Sie hier aber ein Bild evozieren, als wären alle Afghanen potenzielle Vergewaltiger? Wenn Sie aber die empirischen Daten und Zahlen zur Kenntnis nehmen, müssten Sie doch, in Evidenz dieser Daten, zur Kenntnis nehmen, dass die meisten Täter, vor denen sich Frauen in diesem Land ganz gewaltig fürchten müssen, deutscher Staatsangehörigkeit sind
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und obendrein auch noch zu ihrem Nahfeld gehören. Ist Ihnen das klar, und sind Sie bereit, dies zur Kenntnis zu nehmen?
({3})
Frau Kollegin, erst einmal vielen Dank für die Frage. Wo fange ich an? Wir reden hier über einen Abschiebestopp nach Afghanistan. Es geht um Afghanistan und um Flüchtlinge.
({0})
Sagt Ihnen der Begriff „Kausalität“ irgendetwas? Wissen Sie, was Kausalität bedeutet?
({1})
Die Opfer dieser Straftäter, die ich gerade genannt habe, hätten keine Opfer sein müssen, wenn die Täter vorher abgeschoben worden wären. Das ist das Problem an der ganzen Geschichte.
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Ich will ja keine Volksgruppe denunzieren. Schauen Sie aber einmal in die Kriminalstatistik von Afghanistan,
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dann wird Ihnen auffallen, dass gerade die afghanischen Staatsangehörigen bei der Kriminalität – wie gesagt, noch einmal vielen Dank für die Frage – auf Platz drei rangieren.
({4})
– Wollen Sie die Frage beantwortet haben? Ich beantworte noch Ihre Frage. Sie hatten doch gefragt, ob ich in der Lage bin, die Zahlen zu nennen.
({5})
– Okay, gut.
Gut, ich schalte die Uhr wieder ein.
Gut, machen wir weiter – mit der Sicherheitslage in Afghanistan. Jedoch bleibt die Bedrohungslage in Afghanistan eben regional sehr unterschiedlich ausgeprägt. Trotz der Tatsache, dass manche Distrikte nicht kontrollierbar sind, gilt die Sicherheitslage in Nordafghanistan als insgesamt ausreichend kontrollierbar. Auch gelten die Angriffe und Anschläge der Anti Government Elements eben nicht der Zivilbevölkerung, sondern insbesondere den Liegenschaften und Checkpoints der Afghan National Defense and Security Forces. Gleichwohl werden dabei natürlich Opfer in der Zivilbevölkerung billigend in Kauf genommen.
Dennoch gehen die Taliban nicht planlos vor. Sie führen ganz gezielte und koordinierte Angriffe auf Checkpoints und sonstige Regierungseinrichtungen durch. Der Personenkreis, von dem wir hier reden, welcher von Deutschland nach Afghanistan abgeschoben werden soll, gehört nachweislich nicht zu den Anschlagszielen der Taliban. Die jungen Männer sind jedoch gern dazu aufgerufen, in ihrer Heimat gegen die menschenverachtenden Taliban zu kämpfen und ihr Land gegen Terroristen zu verteidigen, statt in Deutschland Tee zu trinken.
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Ein weiterer Beleg dafür, dass ein Neuanfang in Afghanistan möglich ist, zeigen die Zahlen der freiwilligen Ausreisen. So nutzten im Jahr 2017 immerhin 1 125 afghanische Staatsangehörige die Programme für eine geförderte Ausreise zur freiwilligen Rückkehr.
Darüber hinaus: Wir können uns gar keinen Abschiebestopp leisten. Wir haben fast 15 000 ausreisepflichtige afghanische Flüchtlinge in Deutschland. Im Jahr 2018 wurden bisher erst 639 Straftäter, Gefährder und Identitätsverweigerer nach Afghanistan abgeschoben. Dazu kommt, dass afghanische Asylbewerber weiterhin verstärkt über die ostmediterrane Route nach Deutschland kommen. Die meisten Afghanen stellen in den Transitländern sogar einen Asylantrag, verlassen diese jedoch noch vor Beendigung des Verfahrens in Richtung Österreich und Deutschland. Ein Abschiebestopp wäre daher ein verheerendes Signal und ist entschieden abzulehnen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat Helge Lindh für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Herr Herrmann, ich weiß nicht nur, was das Wort „Kausalität“ bedeutet. Ich kenne auch die Bedeutung der Wörter „Infamie“ und „Limitiertheit“; und beides beschreibt ziemlich genau Ihre Argumentation.
({0})
Ich finde es keineswegs verwerflich, es ist auch völlig legitim, dass Sie sich mit Verbrechen oder mutmaßlichen Verbrechen von mutmaßlich geflüchteten Tätern auseinandersetzen. Ich würde mir nur wünschen, einmal zu erleben, dass Sie sich annähernd so viel mit Straftaten von deutschen Tätern aus dem Nah- oder Fernfeld auseinandersetzen würden.
({1})
Und zum Zweiten würde ich mich fast noch mehr freuen, wenn Sie sich mit gewissen Laxheiten in Bezug auf das Recht in Ihren eigenen Reihen so intensiv befassen würden.
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Sie sollten diese Logik, die Sie in der ernsten Frage des Abschiebestopps anwenden, auf sich selbst anwenden.
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Wenn wir uns ein Beispiel an Ihnen nehmen würden, dann dürften wir gar keinen Parlamentarismus praktizieren. Zum Glück tun wir das nicht.
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Kommen wir aber zum Thema: Wir sind uneins. Gestern sprach Boris Pistorius als Sprecher der A-Länder im Rahmen der Innenministerkonferenz einen Satz, den ich eigentlich nicht schätze, aber es gibt Situationen, in denen ich mich freue, ihn nicht mit Genugtuung, aber doch mit Beruhigung zu hören.
Kollege Lindh, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung von Herrn Curio?
({0})
Ach, eigentlich habe ich heute Lust, zu gestatten. Deshalb werde ich gestatten, auch wenn das sozusagen das Gesamtkunstwerk der Rede unterbricht. Er schenkt mir jetzt noch mehr Redezeit, also soll er sich ruhig melden.
Entschuldigung, das war nicht Herr Curio, aber trotz alledem gibt es das Begehr einer Frage. – Herr Spangenberg.
Sehr verehrter Herr Kollege Lindh, ist Ihnen bekannt, dass wir deutsche Straftäter nicht abschieben können, weil wir unsere deutschen Kriminellen nicht anderen Bürgern aufs Auge drücken können? Mit denen müssen wir alleine klarkommen hier in Deutschland.
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Es geht darum, dass wir nicht zusätzlich zu unseren eigenen deutschen Kriminellen noch Fremde ins Land holen und behalten. Vielleicht denken wir noch einmal darüber nach, wenn Sie das nächste Mal einmal selbst Opfer sind, was ich nicht hoffe. Vielleicht bekommen Sie dann eine andere Meinung.
Vielen Dank.
({1})
Bei der Qualität und Menschenfeindlichkeit von einzelnen Vorträgen der AfD bedauere ich es manchmal, dass wir nicht die Möglichkeit haben, deutsche Staatsbürger abzuschieben, die sich in solcher Weise gegen Menschen vergehen.
({0})
Denn wir sprechen hier im Übrigen, auch wenn wir von geflüchteten Gefährdern und Straftätern sprechen, von Menschen. Wenn Sie das nicht begriffen haben, haben Sie in einem demokratischen Parlament nichts zu suchen.
({1})
Ich war aber dabei, auszuführen, dass ich mit Freude festgestellt habe, dass Boris Pistorius deutlich gemacht hat, dass die A-Länder, also die sozialdemokratisch geführten Bundesländer, einer Ausweitung der Abschiebung von Afghanen nicht zustimmen, sondern die Beschränkung nach bisherigem Stand, nämlich auf Straftäter und terroristische Gefährder, präferieren. Das ist – das sage ich auch deutlich, deshalb werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen – kein genereller Abschiebestopp, sondern es ist eine Beschränkung, die ich aber für richtig und notwendig halte. Das – ich denke, das zu sagen, gebietet die Ehrlichkeit – sehen nicht alle so. Das sehen auch die B-Länder nicht so, wie wir gestern und heute feststellen konnten. Dort weist die Tendenz in die Richtung, alle Afghanen prinzipiell für eine Abschiebung vorzusehen. Unsere Position ist an diesem Punkt ganz klar: Wir halten das nicht für vernünftig, nicht für verantwortbar und einfach nicht für richtig, zum jetzigen Zeitpunkt schon gar nicht.
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Wir können aus unserer Sicht nämlich nicht ernsthaft begründen, warum beispielsweise Menschen, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen, oder auch Familien mit Kindern in der jetzigen Situation, unter den gegebenen Bedingungen nach Afghanistan abgeschoben werden sollen; denn dieses Land ist kein sicheres Land. Da nützen uns auch keine Quoten und Berechnungen oder Vergleiche mit Syrien.
Wenn wir uns die Lageberichte und andere Berichte ansehen, ist die Wahrheit, dass die Lage äußerst volatil ist, sehr unterschiedlich nach Regionen; aber nicht nur nach Regionen, sondern man müsste im Grunde immer individuell insbesondere nach Ethnie und Konfession schauen. Daher ist das Ergebnis, das der Lagebericht, den wir alle – wie auch andere Berichte – mehr oder weniger präzise kennen, liefert, nicht eindeutig.
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Dieser Bericht begründet aus unserer Sicht eben nicht die Möglichkeiten, generell abzuschieben.
Ich habe diesen Montag mit Herrn Wolfgang Grenz,
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dem ehemaligen Generalsekretär von Amnesty International Deutschland, auf einem Podium sitzen dürfen. Er ist einer der Pioniere der Flüchtlingsbewegung und der Menschenrechte in Deutschland. Er hat sehr konstruktiv auch die sozialdemokratische Haltung in Bezug auf ein Einwanderungsgesetz, in Bezug auf unabhängige Verfahrensberatung unterstützt, und gleichzeitig unterstützt er in dem Fall nicht unsere Position, sondern die der Linken. Das halte ich auch nicht für ein großes Problem;
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denn ein Parlament lebt davon, dass es auch durch andere Meinungen herausgefordert wird. Jedenfalls wir können in unserer Souveränität gut damit leben, ohne uns dem anzuschließen.
Es ist meines Erachtens auch notwendig, sich ganz deutlich den Ernst und das bewusst zu machen, was für eine fundamentale Entscheidung wir treffen. Es ist nicht ein Moment der Genugtuung, sondern eher ein Moment der Bescheidenheit, Sachlichkeit und Demut, wenn wir feststellen, dass wir aus gegebenen Gründen – weil wir das Recht umsetzen – abschieben. Darüber braucht man sich nicht zu freuen, weder an Geburtstagen noch außerhalb von Geburtstagen. Es ist schlicht und einfach die Konsequenz des Asylrechts, so wie wir es praktizieren.
Dass wir vonseiten der SPD uns entschieden haben, bei Gefährdern und bei Straftätern Abschiebungen zu unterstützen und für akzeptabel zu halten, ist Ergebnis einer Güterabwägung – zwischen dem Abschiebeinteresse des Staates einerseits und dem Bleibeinteresse der Person andererseits. Diese Abwägung muss man in einer bestimmten Situation treffen, und wir treffen sie gegenwärtig so und nicht anders.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir von Afghanistan sprechen, bewegen wir uns in einer Situation der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.
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Ich glaube, diese Komplexität müssen wir uns zumuten. Wir haben nämlich einerseits – das werden auch andere beschreiben – eine in den letzten Monaten – ich sage das ganz deutlich – unsicherer gewordene Lage in Afghanistan und andererseits womöglich so viel Hoffnung auf Frieden wie noch nie zuvor. Heiko Maas hat das gestern zu Recht im Rahmen der Afghanistan-Konferenz erwähnt. Wir erleben so viele Frauen in Afghanistan wie noch nie, die sich glücklicherweise zivilgesellschaftlich engagieren, die zu Wahlen antreten. Beides müssen wir zusammendenken und ertragen, und wir dürfen nicht das eine gegen das andere ausspielen.
Deshalb gebührt auch all denjenigen Organisationen, die dort Friedens- und Aufbauarbeit leisten und die ermöglichen wollen, dass künftig Menschen – auch viele, die momentan vielleicht in Deutschland leben – wieder sicher und mit Perspektive in Afghanistan leben können, unsere Unterstützung. Das gilt im Übrigen auch für die bis zu 1 300 deutschen Soldatinnen und Soldaten, die dort gegenwärtig im Einsatz sind, um Friedensarbeit zu leisten.
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Ich wollte aber noch im Rahmen dessen, weil – –
Kollege Lindh, das wird jetzt nichts mehr. Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Dann komme ich jetzt, wie geplant, zum Schluss. Frau Präsidentin, ich schätze Ihre Strenge. Es ist auch richtig so; sonst würde ich gar nicht mehr aufhören.
Abschließend möchte ich noch feststellen, dass die Fragen, die auch in diesem Antrag genannt sind, etwa Fragen von Kontingenten, auch Fragen des Bleiberechts, aus unserer Sicht nicht solche sind, die wir jetzt entlang der Afghanistan-Frage diskutieren können; es sind aber sehr wohl sinnvoll zu diskutierende Fragen im Rahmen eines europäischen Asylsystems, so auch die Frage nach Aufnahmen auf Grundlage von § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes. In diesem Sinne freue ich mich auf weitere konstruktive Diskussionen im Namen der Menschlichkeit und nicht der Menschenfeindlichkeit.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat Linda Teuteberg für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt viele gute Gründe, den Antrag, den die Kollegen und Kolleginnen der Linksfraktion vorgelegt haben, entschieden abzulehnen, und das werden wir Liberalen im Anschluss auch tun.
Zu Beginn möchte ich allerdings einen Punkt hervorheben, in dem ich die Einschätzung der Linken teile. Diese Einschätzung gerät durch ihre marktschreierische Forderung nach einem Abschiebestopp leider ins Hintertreffen.
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Gemeint ist die Forderung nach der Wiedereröffnung der Visastelle an der Botschaft in Kabul. Dass die dortige Dienststelle nach dem Anschlag im Mai 2017 ihre Arbeit immer noch nicht wieder aufgenommen hat und nach Auskunft der Bundesregierung auch auf absehbare Zeit nicht aufnehmen wird, das ist ein Trauerspiel; um es höflich zu sagen.
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– Genau.
Dass Menschen, die legal nach Deutschland reisen möchten oder einen rechtmäßigen Anspruch auf einen Familiennachzug haben, erst nach Neu-Delhi reisen müssen, um überhaupt ein Visum beantragen zu können, das ist nicht tragbar, und es ist das Gegenteil dessen, was auch die Bundesregierung angeblich anstrebt, nämlich die Stärkung legaler regulärer Migration. Hier muss die Bundesregierung endlich handeln, und hier könnte übrigens auch der SPD-Außenminister einmal ganz praktische humanitäre Hilfe leisten.
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An diesem Punkt legt die Linksfraktion zu Recht den Finger in die Wunde, mit Ihrer Forderung nach einem vollständigen Abschiebestopp langen Sie jedoch voll daneben.
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Denn natürlich ist die Sicherheitslage in Teilen Afghanistans – das wird hier niemand bestreiten – äußerst bedenklich, und die Zunahme von Anschlägen auf Schulen und Bildungseinrichtungen in Teilen des Landes ist eine traurige Entwicklung. Aber gleichzeitig gibt es auch Regionen, die seit Jahren befriedet sind und in die eine Abschiebung sehr wohl möglich ist.
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Selbstverständlich ist auch eine differenzierte und humane Abschiebepraxis schon heute möglich. Sie wird auch umgesetzt. Unser Minister in Nordrhein-Westfalen etwa, Joachim Stamp, macht es vor. Das Land Nordrhein-Westfalen schiebt ausschließlich Straftäter und Gefährder nach Afghanistan ab, und das ausschließlich in die sicheren Regionen.
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Die Politik, die wir hier verfolgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist humanitäre Politik mit Vernunft und Augenmaß, und wir werden sie weiter verfolgen. Darum lehnen wir diesen Antrag mit seinen in der Sache vollkommen unverhältnismäßigen Forderungen ab.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Für Die Linke hat der Kollege Dr. André Hahn das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Afghanistan ist nach wie vor alles andere als sicher, und deshalb dürfen Menschen dorthin auch nicht abgeschoben werden.
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Die Lage hat sich zuletzt eher noch verschlechtert. Bei einem Anschlag in Kabul am Dienstag vergangener Woche wurden mindestens 50 Menschen getötet; weitere 83 wurden verletzt. Am Freitag letzter Woche starben bei einem Anschlag im Osten Afghanistans 27 Soldaten; mehr als 50 Menschen wurden verletzt. Am Montag dieser Woche gab es in Westafghanistan erneut ein Attentat. 22 Polizisten wurden getötet, und gestern starben in Kabul 10 Menschen durch eine Autobombe.
({1})
Das ist die Chronologie nur der vergangenen Tage. Sie zeigt deutlich: Afghanistan ist nicht sicher – nirgendwo.
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Deshalb fordern wir mit unserem Antrag eine Neubewertung der Sicherheitslage und endlich eine realistische Beurteilung. Die Abschiebeflüge nach Afghanistan müssen endlich gestoppt werden.
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Afghanistan ist eines der gefährlichsten Länder der Welt. Der jahrzehntelange Krieg hat das Land völlig zerstört. Taliban und Warlords terrorisieren die Bevölkerung, und der Bundesregierung sind diese Zustände durchaus bekannt. Das Auswärtige Amt warnt dringend vor Reisen nach Afghanistan – Zitat –:
Wer dennoch reist, muss sich der Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte einschließlich Entführungen bewusst sein.
Allein im ersten Halbjahr 2018 wurden in Afghanistan mindestens 1 692 Zivilisten getötet, berichtet die UN-Mission UNAMA. Seit Beginn der Aufzeichnungen 2009 gab es noch nie so viele zivile Opfer. Anschläge können jederzeit und überall passieren, auch in Kabul, das angeblich eine inländische Ausweichmöglichkeit darstellt, in die abgelehnte Asylbewerber aus Sicht der Bundesregierung gebracht werden können.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat dazu im August eindeutig festgestellt: Angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage ist in Kabul so etwas wie eine interne Schutzalternative nicht vorhanden. Wer zur Arbeit fährt, in die Schule geht, ein Krankenhaus oder einen Markt aufsuchen möchte, riskiert, einem Anschlag zum Opfer zu fallen. – Dies sollte die Bundesregierung endlich zur Kenntnis nehmen.
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Meine Damen und Herren, trotz der dramatischen Verschlechterung der Lage wurde 2017 nur noch der Hälfte der afghanischen Flüchtlinge ein Schutzstatus zugesprochen, während die Quote 2015 noch bei fast 80 Prozent lag. Der Grund dafür liegt aus unserer Sicht vor allem bei politischen Vorgaben aus dem Hause Seehofer. Die Bundesregierung will mehr Menschen nach Afghanistan abschieben. Wir als Linke wollen das nicht.
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Meine Damen und Herren, seit der Wiederaufnahme der Abschiebungen nach Afghanistan sind bislang in 18 Flügen 425 Menschen dorthin gebracht worden. Diese Zahl mag angesichts von mehreren Tausend ausreisepflichtigen afghanischen Bürgern vielleicht gering erscheinen;
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die Folgen dieser Abschreckungspolitik sind jedoch verheerend.
Im Januar kam ein 22-jähriger Flüchtling durch den Sprung aus dem Fenster einer bayerischen Gemeinschaftsunterkunft ums Leben. Ende Oktober hat sich ein junger Afghane aus Angst vor der Abschiebung in Frankfurt durch einen Sprung in den Main das Leben genommen. Sein Asylantrag war kurz zuvor abgelehnt worden. Immer mehr Asylsuchende flüchten aus Angst vor der Abschiebung in den Suizid. Das darf uns nicht kaltlassen. Diese inhumane Politik muss endlich beendet werden.
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Nicht nur Flüchtlingsinitiativen, sondern auch Kirchen, Wohlfahrtsverbände oder Amnesty International – sie alle kritisieren Abschiebungen nach Afghanistan, weil dadurch Gesundheit und Leben von Menschen gefährdet werden. Deshalb brauchen wir einen sofortigen Stopp der Abschiebungen und einen sicheren Aufenthaltsstatus für die Betroffenen. Stimmen Sie unserem Antrag zu!
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat Luise Amtsberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss erst mal auf die Ausführungen meines Kollegen Throm antworten; wir haben darüber gerade noch mal ausführlich debattiert. Die Darstellung war, dass der faktische Abschiebestopp, das faktische Nichtabschieben erst 2017 eingeführt wurde und dass man das mit der Zerstörung der deutschen Botschaft in Kabul begründet hat. Das erinnern wir anders. Wir haben seit 2005 faktisch keine Abschiebungen nach Afghanistan gehabt. 2017 – das war die eigentliche Debatte – gab es trotz der Zerstörung der Botschaft in Kabul die Forderung der Großen Koalition, die Gruppe der Abzuschiebenden um die Straftäter, Gefährder zu erweitern und auch solche Personen abzuschieben. Flankiert wurde das durch die Äußerung der Kanzlerin im Juni, sozusagen gar keine Beschränkung mehr für Abschiebungen nach Afghanistan vorzunehmen. Also, die Historie ist eine komplett andere.
Das heißt, die Frage, die wir uns heute hier stellen müssen, ist: Was hat sich eigentlich in diesem Jahr gegenüber den Jahren davor an der Sicherheitslage in Afghanistan geändert, sodass wir diese Abschiebepolitik so rechtfertigen können? Das ist die zentrale Frage, um die es hier geht.
Wenn man den Ausführungen heute hier folgt, dann muss man wirklich die Frage stellen: Reden wir eigentlich vom gleichen Afghanistan? Wir haben komplett andere Erkenntnisse. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat Afghanistan aufgrund der aktuellen Entwicklung wieder als Krisenland eingestuft, also von „Post-conflict state“ in „State in conflict“. UN OCHA schreibt – ich zitiere –, zunehmend gebe es Anzeichen dafür, dass der ehemalige Konflikt niedriger Intensität jetzt zu einem Krieg eskaliert, und hält darüber hinaus fest, dass die Zahl der stark von Konflikten betroffenen Distrikte um 50 Prozent gestiegen ist.
Fast täglich gibt es Meldungen über neue Anschläge in Afghanistan. Die Sicherheitslage, sie scheint so fragil zu sein wie seit Jahren nicht mehr. Selbstmordanschlag in einer Militärbasis in Ostafghanistan: 27 tote Soldaten. Anschlag auf eine Versammlung religiöser Führer in Kabul: 43 Tote, 83 Verletzte. Mindestens 6 Tote, als sich ein Attentäter vor einer Schule im Zentrum von Kabul in die Luft sprengte. Gestern Nacht haben die Taliban in Kabul ein britisches Sicherheitsunternehmen angegriffen. Der Angriff dauerte zehn Stunden. 15 Menschen sind tot, 30 verletzt. – Das ist die Bilanz der letzten zwei Wochen.
Wer ernsthaft sagt: „Dieses Land ist sicher; wir können Menschen dorthin zurückführen; es gibt sozusagen keine direkte Bedrohung für sie“, der lebt weit weg von der Realität.
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Die Bundesregierung behauptet, das Land sei jetzt sicherer als zuvor. Sie ist der Auffassung, dass man die bisherigen Beschränkungen aufheben kann und künftig jeden nach Afghanistan abschieben kann, der hier abgelehnt wurde.
Wir finden, das entbehrt jeder Grundlage. Um diese Abschiebungspolitik überhaupt zu rechtfertigen, hat sich die Bundesregierung eines weiteren Mittels bedient, nämlich der inländischen Fluchtalternativen, was auch immer das heißen mag. Wir haben mehrfach nachgefragt. Man konnte uns nie sagen, wo diese inländischen Fluchtalternativen in Afghanistan sind. Das ist eine Behauptung, die dazu dienen soll, diese Politik zu rechtfertigen. Eine Grundlage dafür gibt es nicht. Kabul kann schon gar nicht eine solche inländische Fluchtalternative sein; das hat auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen gerade jüngst wieder in seinen Guidelines lückenlos klargestellt. Aber auch das interessiert die Große Koalition nicht. Sie ignoriert diesen Beschluss einfach und bezieht ihn nicht in den Lagebericht des Auswärtigen Amtes ein. Ich finde, so kann man keine Außenpolitik betreiben, meine Damen und Herren.
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Zu dem Lagebericht vielleicht noch einen einzigen Gedanken. Dieser Bericht soll die abschiebungsrelevanten Tatsachen darlegen und dem BAMF und den Behörden in Deutschland einen Leitfaden bieten, wie die Situation ist, um einschätzen zu können, ob man in die Region abschieben kann oder nicht, ob das vertretbar ist. Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn man diesen Bericht liest – das können nur wir Abgeordnete tun; er ist sonst verschlossen; die Öffentlichkeit kann nicht nachvollziehen, wie diese neue Politik inhaltlich begründet wird –, dann merkt man ganz schnell: Dieser Bericht ist euphemistisch, und er verwässert. Er spricht von „vergleichsweise stabil“. Er spricht von bestimmten Provinzen, die sicherer sind als andere, führt aber zum Beispiel nicht aus, dass es bevölkerungsarme Provinzen sind. Man hat das Gefühl: Die Komplexität der Konflikte wird überhaupt nicht abgebildet; ein Trend, ein sicherheitspolitischer Trend wird nicht beschrieben.
Kollegin Amtsberg, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ich muss zum Schluss kommen, ja. Entschuldigen Sie bitte, dass ich überzogen habe.
Fakt ist: Dieser Bericht wird der Realität in Afghanistan nicht gerecht. Aber er ist die Grundlage, auf der wir darüber entscheiden, ob es vertretbar ist, Menschen dorthin zurückzuschicken, ohne ihr Leben zu riskieren. Das sehen wir bei dieser ganzen Angelegenheit zum Thema Afghanistan nicht gewährleistet. Insofern: volle Unterstützung für den Antrag der Linken.
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Für die CDU/CSU hat nun Marian Wendt das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen von der Linken, damit eins von vornherein klar ist: Abschiebungen und Rückführungen sind ein zulässiges, verfassungsrechtlich unbedenkliches Instrument des Rechtsstaats in seiner Asyl- und Migrationspolitik. Sie sind für die Glaubwürdigkeit unseres Rechtsstaats mehr als notwendig.
Ihr Antrag ist voll von gefährlichen Pauschalisierungen. Mehrmals, auch bei anderen Anlässen, und insbesondere in diesem Antrag haben Sie die Abschiebungen als solche pauschalisierend angegriffen. Dabei sind Abschiebungen nicht per se inhuman, sondern eine notwendige Maßnahme einer menschlichen Asylpolitik. Wer kein Bleiberecht hat, muss das Land wieder verlassen, damit wir den wirklich Schutzbedürftigen helfen können.
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Es wäre aus meiner Sicht schön, wenn wir auf Abschiebungen verzichten könnten und jeder Ausreisepflichtige seiner Ausreisepflicht freiwillig nachkommen würde.
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Zweitens versuchen Sie, die Arbeit des BAMF pauschalisierend zu diskreditieren, und nennen die Asylentscheidungspraxis „Resultat politischer Vorgaben“. Das ist eine Unterstellung,
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die Sie nicht mal zu belegen versuchen. Sie wissen selbst, dass, insbesondere auch im Fall Afghanistans, jeder Einzelfall in langen Interviews geprüft wird. Und ja, die Worte von Dr. de Maizière, die Sie zitieren: „Bleibt dort! Wir führen euch ... direkt nach Afghanistan zurück!“, sind nach wie vor richtig. Selbstverständlich sollen gesunde junge Männer in sicheren Teilen des Landes Schutz suchen.
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Wir wollen keine Anreize für eine weitere irreguläre Migration auch noch aus Afghanistan schaffen. Und wie wäre es um die Zukunft Afghanistans bestellt, wenn alle dieses Land verlassen?
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Die dritte Pauschalisierung ist die Erzählung von einer angeblich hoffnungslos desaströsen Lage in Afghanistan.
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Mehrmals in den vergangenen Monaten wurde in diesem Saal, auch durch die Bundeskanzlerin und den Bundesaußenminister, die Lage ausführlich dargelegt. Ja, Afghanistan ist nicht die Schweiz. Aber Afghanistan ist eben auch nicht Syrien. Wir haben in Afghanistan eine kontinuierliche Entspannung. Hierzu leisten unsere Soldatinnen und Soldaten einen großen Beitrag. Ein herzlicher Gruß gilt ihnen von dieser Stelle!
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Es gibt in Afghanistan regionale Unterschiede. Die Sicherheitslage ist in den meisten Großstädten ausreichend kontrollierbar. Das bestätigt auch das Auswärtige Amt unter Führung von SPD-Minister Maas. Insgesamt leben in den Großstädten zwei Drittel der Bevölkerung. Der Asyllagebericht zeigt eindeutig: Ein völliger Abschiebestopp kommt nicht infrage, und die Zahlen belegen es. 2016 sind 1 Million Afghanen aus dem Iran und aus Pakistan freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt. 2017 waren es 610 000 freiwillige Rückkehrer nach Afghanistan.
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Allein in den letzten 17 Jahren sind 5,6 Millionen Afghanen nach Afghanistan zurückgekehrt.
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Das wäre sicherlich nicht der Fall, wenn die Sicherheitslage sich verschlechtert hätte. Nein, sie wird besser. Das Gesundheitssystem stabilisiert sich. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Afghanistan ist in den letzten 17 Jahren von 50 auf 63 Jahre gestiegen. Meine Damen und Herren, das sind Fakten.
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Aber das interessiert Sie von der Linken nicht. Warum auch? In Berlin zum Beispiel, der rot-rot-grün regierten Bundeshauptstadt, werden Abschiebungen ja pauschal abgelehnt. Das ist vor allen Dingen kein Beweis für einen Rechtsstaat. Abschiebungen – das zum Schluss – sind ein wichtiges Mittel, um den Rechtsstaat durchzusetzen, um Glaubwürdigkeit in der Asyl- und Migrationspolitik zu gewinnen. Insofern lehnen wir Ihren Antrag ab.
Vielen Dank.
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Letzter Redner in dieser Debatte ist Michael Kuffer für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in Afghanistan vieles erreicht; das steht außer Frage. Wahr ist leider auch, dass wir, was die Wiederaufbaubemühungen angeht, heute nicht dort stehen, wo wir es uns als internationale Staatengemeinschaft erhofft haben. Der Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul im Jahr 2017 hat uns gezeigt, dass wir immer wieder schwere Rückschläge erleben und dass die Sicherheitslage nicht pauschal zu beurteilen ist. Aber genau diese Pauschalisierung, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, nimmt Ihr Antrag vor, und deshalb lehnen wir ihn auch ab.
Es steht außer Frage, dass es sicherere Staaten als Afghanistan gibt. Ich will hier nichts anderes behaupten. Unsere Soldatinnen und Soldaten – meine Vorredner haben es angesprochen –, denen ich an dieser Stelle nochmals sehr herzlich für ihren Einsatz danken und ihnen alles Gute in ihrem Einsatz wünschen möchte,
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wissen dies nur zu gut.
Es gibt aber auch Regionen – das verschweigen Sie leider –, in denen die Sicherheitslage kontrollierbar ist.
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Die Bewertung ist an der Stelle klar. Richtig ist auch, dass in der Sicherheitsbeurteilung Unterscheidungen zu machen sind zwischen der Sicherheitsgefährdung für ausländische Akteure, die deutlich höher ist, und der für die inländische Bevölkerung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Entscheidend ist: Im Grunde vernebeln Sie mit der Debatte über die allgemeine Sicherheitslage den Blick auf das Wesentliche. Das Auswärtige Amt hält in seinem Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage nämlich fest: Es gibt „keine systematische, staatlich organisierte Gewalt gegen die eigene Bevölkerung“. Wir haben es in der Regel mit individueller Verfolgung zu tun. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss die Richtschnur für unser Handeln sein. Wir können nicht die allgemeine Sicherheitslage in den Herkunftsländern zum Maßstab unseres Handelns machen. Die allgemeine Sicherheitslage ist Teil der Lebensumstände, die auch national zu gestalten sind. Als eines der sichersten Länder auf der Welt können wir als Bundesrepublik Deutschland nicht die Verantwortung für all jene übernehmen, die unsicherer leben als wir.
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Ich möchte Ihnen im Zusammenhang mit der Bewertung von Afghanistan einige andere Staaten nennen, wo wir dann in ähnlicher Weise Verantwortung übernehmen müssten: Südsudan, Sudan, Jemen, Somalia, Libyen, aber zum Beispiel auch die Ukraine oder dann in der nächsten Kategorie die Philippinen, Pakistan, Libanon, auch die Türkei oder Ägypten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb bleibe ich dabei: Wir müssen uns in dieser Debatte immer wieder darauf besinnen, was unser Ziel ist. Unser Ansatz, die klare Trennung zwischen Nothilfe auf der einen Seite und Einwanderung auf der anderen Seite, gilt – das sage ich für die CDU/CSU – ungebrochen. Das hat auch etwas mit der Frage der Aufenthaltsbeendigung zu tun. Unser Ziel und unser Handlungsgrundsatz bleibt die Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung. Dazu gehört die konsequente Rückführung von Menschen ohne Asylgrund und die Aufenthaltsbeendigung für Menschen, die keiner individuellen Verfolgung unterliegen.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Sofortiger Abschiebestopp und Schutz für Geflüchtete aus Afghanistan“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/4610, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/1369 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der AfD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich war in den vergangenen Wochen und Monaten sehr viel unterwegs und habe mir verschiedene Pflegeeinrichtungen angesehen und mir ein persönliches Bild von der Pflegesituation verschafft. Vermutlich haben das ganz viele Kolleginnen und Kollegen in ähnlicher Weise getan, und vermutlich kennen auch viele von uns – die allermeisten – die Pflegesituation aus dem eigenen Umfeld, aus dem Bekanntenkreis, aus dem Familienkreis sehr gut. Deswegen bin ich mir sicher, dass Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass die Pflegekräfte und die pflegenden Angehörigen Enormes leisten – Woche für Woche, Tag für Tag, Stunde für Stunde. Ich habe allergrößten Respekt vor dieser Leistung. Meine Damen und Herren, sie sind die Heldinnen und Helden des Alltags. Und ich sage auch: Ich ziehe meinen Hut vor dieser Leistung.
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Wir alle wissen aber auch: Wir stehen in der Pflege vor ganz besonderen Herausforderungen.
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Die Menschen werden älter – Gott sei Dank. Damit geht einher, dass die Zahl der Pflegebedürftigen zunimmt und auch die Bedarfe weiter zunehmen. Wir haben bereits in der letzten Legislaturperiode den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt, und wir haben die Leistungen der Pflegeversicherung erheblich ausgeweitet. Davon profitieren inzwischen 700 000 Pflegebedürftige zusätzlich, vor allem Demenzkranke und ihre pflegenden Angehörigen. Viele erhalten deutlich höhere Leistungen als vorher. Wir haben vor wenigen Tagen hier im Deutschen Bundestag das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz beschlossen, ein ganz wichtiger Schritt für mehr Pflegestellen und für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege.
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Und, meine Damen und Herren, es werden weitere Schritte folgen.
Wir sind im Moment dabei, die Konzertierte Aktion Pflege durchzuführen. Es geht unter anderem um Fragen wie diese: Wie schaffen wir es, dass mehr Menschen sich entscheiden, den Pflegeberuf zu erlernen? Wie schaffen wir es, dass Menschen, die den Pflegeberuf erlernt haben, auch in der Pflege bleiben? Und wie schaffen wir es, dass Menschen, die den Pflegeberuf erlernt haben, aber aus der Pflege herausgegangen sind, wieder in die Pflege zurückkehren? Wir werden im Sommer 2019 die Ergebnisse auf dem Tisch haben. Dann werden weitere wichtige Weichen gestellt werden. Wir werden weitere Maßnahmen über die genannten hinaus ergreifen,
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die im Koalitionsvertrag vereinbart sind, wie etwa die Entlastung der pflegenden Angehörigen.
Das alles ist im wahrsten Sinne des Wortes notwendig, aber das kostet natürlich auch Geld.
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Die Leistungsausgaben in der Pflegeversicherung sind seit 2009 von knapp 20 Milliarden Euro auf 35 Milliarden Euro angestiegen. Man muss kein Prophet sein, um zu sagen: Die Ausgaben werden weiter steigen.
Meine Damen und Herren, wenn man all dies zusammennimmt, stellt man fest, dass es völlig klar und logisch ist: Der Pflegebeitrag wird steigen. Daher ist der Schritt, den Pflegeversicherungsbeitrag um 0,5 Prozentpunkte zu erhöhen, ein absolut notwendiger Schritt. Gute Pflege muss uns etwas wert sein.
Wir wollen eine menschliche Gesellschaft. Dazu gehört, dass pflegebedürftige Menschen in unserem Land die Hilfe bekommen, die sie benötigen. Deswegen bitte ich Sie heute, dieser Erhöhung des Pflegeversicherungsbeitrags um 0,5 Prozentpunkte zuzustimmen – für eine menschliche Gesellschaft in Deutschland.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat Dr. Robby Schlund für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Werte Gäste! Wir haben zwei Gäste auf den Rängen! 7,6 Milliarden Euro Mehreinnahmen jährlich, gespült direkt in die Kassen der angespannten sozialen Pflegeversicherung: Wow, was für ein genialer Wurf!
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Keine weiteren Beitragsanpassungen bis 2022 versprach uns die Bundesregierung 2017. Dabei war da schon abzusehen, dass trotz dieser Erhöhung die Pflegekassen mit einem Defizit abschließen würden. Das ist Ende 2017 dann auch eingetreten: ganze 2,4 Milliarden Euro Defizit.
Es ist unverständlich, meine Damen und Herren, warum Sie fehlgeschlagene Lösungsversuche mit weiteren neuen Beitragserhöhungen heilen wollen. Das ist ungefähr so, als ob ein Schüler mit falschem Lösungsansatz für eine Sachaufgabe den gleichen Lösungsansatz noch einmal verwendet, obwohl er bereits eine Sechs bekommen hat, meine Damen und Herren.
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Durch die Anhebung der Beiträge zur Pflegeversicherung um 0,5 Prozentpunkte steigen ab Januar 2019 die Beiträge auf 3,05 Prozent bzw. für kinderlose Beitragszahler sogar auf 3,3 Prozent des Bruttolohns. Doch der ständige Griff in die eh schon dramatisch leeren Taschen der Arbeitnehmer ist absolut der falsche Lösungsweg für diese Sachaufgabe.
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Wir fordern, dass Sie zunächst die Ausgabeseite begrenzen und die Pflegekasse von Zuschüssen zu Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung für die pflegenden Angehörigen befreien.
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Dies sollte direkt durch Steuermittel finanziert werden.
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Die soziale Pflegeversicherung muss vom direkten Arbeitsverhältnis abgekoppelt werden; denn sie hat dort so wenig zu suchen wie die Kfz-Vollkaskoversicherung. Übrigens schlägt auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, BDA, diese Abkopplung vor.
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Wir dürfen nicht zulassen, dass unter den Beitragssteigerungen die Wettbewerbsfähigkeit und Exportdynamik der deutschen Wirtschaft leidet.
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Mit jedem weiteren Beitragssatzpunkt stünden langfristig 90 000 Jobs auf dem Spiel, so Dr. Hansen von der BDA. Wenn 90 000 Jobs auf dem Spiel stehen, dann kann ich Ihnen jetzt schon ganz genau sagen, liebe Kollegen, dass das nur die Spitze des Eisberges sein wird;
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denn viele Arbeitgeber werden auf die preiswerten Geringverdiener ausweichen. Das müssen Sie den Menschen in diesem Land erklären.
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Erklären Sie ihnen bitte auch, dass sie mehr und mehr gezwungen sein werden, zwei oder drei Minijobs anzunehmen, um ihre Familie überhaupt ernähren zu können. Das, meine Damen und Herren, ist absolut unsozial.
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Die gerade beschriebene Veränderung im Arbeitsmarkt führt Ihre Berechnung von 7,6 Milliarden Euro Mehreinnahmen bereits heute ad absurdum. Ich sage Ihnen offen und ehrlich: Wir sprechen uns in ein, zwei Jahren hier in diesem Haus wieder, wenn es erneut um die Defizite in der Pflegekasse gehen wird. Wir, die AfD-Bundestagsfraktion, lehnen deshalb den Gesetzentwurf der Bundesregierung ab.
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– Es kommt noch ein bisschen was. – Aus unserer Sicht wäre Folgendes überlegenswert und kalkulatorisch zu prüfen: Die Pflegeversicherung sollte vor allem solidarische, soziale und demografische Faktoren berücksichtigen. Neben einem allgemeinen Beitragssatz, einem einkommensabhängigen Zusatzbeitrag, auch unter Einbeziehung der Kapitaleinkünfte, meine Damen und Herren von den Linken,
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wäre ein steuerfreier Zuschuss zum Bruttolohn des Arbeitnehmers bei gleichzeitiger Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze die richtige Ergänzung. Ab drei Kindern sollte der Zusatzbeitrag für die Eltern entfallen.
Allerdings sehen wir die Überleitung aller bisher privat Pflegeversicherten in die soziale Pflegeversicherung, wie im Antrag der Partei Die Linke gefordert, eher kritisch. Es ist eine kalte Einführung in die Bürgerversicherung durch die Hintertür. Darum stimmen wir dem Antrag „Pflege solidarisch finanzieren – Beitragserhöhung stoppen“ nicht zu. Wir enthalten uns, weil er trotz einiger sozialer Aspekte falsche Wettbewerbsanreize setzen will.
Vielen Dank.
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Es ist vereinbart, die Rede von Heike Baehrens, SPD-Fraktion, zu Protokoll zu nehmen.
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Das Wort hat die Kollegin Nicole Westig für die FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Jahre wieder kommt die Beitragserhöhung. Auch wenn bald Weihnachten ist, mag ich in dieses Lied nicht einstimmen.
Dabei erkennen wir als Freie Demokraten an, dass gute Pflege kostet. Die Menschen in Deutschland sind bereit, in ihre Gesundheit und Pflege zu investieren. Die alternde Gesellschaft fragt: Gibt es künftig noch genug Menschen, die uns pflegen? Und: Wer soll das bezahlen?
Immer mehr alten und pflegebedürftigen Menschen stehen immer weniger junge Beitragszahler gegenüber. Wir wissen das seit langem. Das war bereits klar, als die Pflegeversicherung in den 90er-Jahren eingeführt wurde. Heute wissen wir, dass dieses Umlagesystem nicht mehr trägt. Spätestens wenn meine Generation, die Babyboomer, pflegebedürftig wird, droht der Kollaps. Deshalb müssen wir bei der Finanzierung der Pflege dringend umsteuern. Um dem demografischen Wandel gerecht zu werden, brauchen wir strukturelle Veränderungen,
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sonst drohen uns immer neue Beitragserhöhungen.
Schon der vorige Gesundheitsminister Hermann Gröhe
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hat bei der letzten Erhöhung von Beitragssatzstabilität bis zum Jahr 2022 gesprochen.
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Das war 2017. Minister Spahn verspricht nun das Gleiche. Das klingt wie das Blüm’sche „Die Rente ist sicher“. Nur, glauben wird das niemand mehr.
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Dabei weiß der Minister genau, was zu tun ist. Er hat sich dafür ausgesprochen, mehr in den Pflegevorsorgefonds zu zahlen, um Rücklagen für die Pflege der geburtenstarken Jahrgänge zu bilden. Er hat sich dafür ausgesprochen, die Förderung der privaten Vorsorge weiter auszubauen. Aus dem Ministerium heißt es hingegen, es sei dazu nichts geplant: kein Reformbedarf bei der Ausgestaltung der staatlichen Förderung zur Pflegevorsorge, kein Bedarf einer Umgestaltung des Pflegevorsorgefonds.
Jetzt ist der Minister bei diesem wichtigen Thema leider nicht da. Das finde ich sehr schade; denn ich wollte etwas aufgreifen, was er letzte Woche anlässlich der Haushaltsberatung gesagt hat.
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– Mache ich auch. – Er hat nämlich den Wunsch geäußert, eine Debatte über die künftige Finanzierung der Sozialversicherung im Sinne der jüngeren Generation führen zu wollen. Das gilt auch für die Pflege. Wir Freie Demokraten sind bereit, diese Debatte zu führen; denn sie ist überfällig.
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Deshalb haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht, mit dem wir mehr Kapitaldeckung in der Pflegefinanzierung erreichen wollen. So können wir einen Beitrag zur Generationengerechtigkeit leisten.
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Wir wollen eine Reform des Pflegevorsorgefonds. Wir wollen zusätzliche Modelle zur Förderung der Pflegevorsorge, zum Beispiel im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge oder der steuerlichen Berücksichtigung. Natürlich kann nur derjenige privat vorsorgen, der sich das auch leisten kann – das ist uns bewusst –, aber auch diese Menschen tun es aktuell zu wenig. Wenn wir es schaffen, das zu ändern, dann steht auch mehr Geld für diejenigen zur Verfügung, die staatliche Unterstützung dringend benötigen, nämlich Geringverdiener, seien es Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose oder Erwerbsgeminderte.
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Es gibt eine Menge zu tun. Wir Freie Demokraten fordern einen Neustart in der Pflegefinanzierung und sind dialogbereit. Aber wir sind nicht bereit, weiter in Sozialversicherungssysteme zu investieren, die nicht zukunftsfest sind. Auch die Beitragszahler von heute und morgen haben ein Recht auf gute Pflege, wenn sie diese übermorgen benötigen.
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Wir sollten endlich damit beginnen, Politik für Generationen und nicht nur für eine Legislaturperiode zu machen.
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Der vorgelegte Gesetzentwurf zur Beitragserhöhung zeigt keinerlei Ansätze für eine nachhaltige Finanzierung; deshalb lehnen wir ihn ab.
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Die Reden der Kolleginnen Pia Zimmermann, Kordula Schulz-Asche und der Kollegen Erwin Rüddel, Dirk Heidenblut und Erich Irlstorfer nehmen wir zu Protokoll.
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Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch – Beitragssatzanpassung. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/6148, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 19/5464 und 19/6013 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke, der FDP-Fraktion und der AfD-Fraktion
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bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit angenommen mit dem Stimmverhältnis der zweiten Beratung.
Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 13 a. Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/6165 ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der AfD-Fraktion abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 13 b. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/6148 die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/5525 mit dem Titel „Pflege solidarisch finanzieren – Beitragserhöhungen stoppen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der AfD-Fraktion angenommen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt 41,2 Millionen Menschen in der Bundesrepublik, fast die Hälfte der Bevölkerung, die tagtäglich mit einer Behinderung zu kämpfen haben, die ihre Regierung für unerheblich hält.
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– So ist es. – Sie sind sehbeeinträchtigt und damit auf eine Brille angewiesen.
({1})
Auch als Erwachsener ist man der gesunden anderen Hälfte trotz Brille unterlegen: Beschlagene Gläser bei Temperaturwechsel, Beeinträchtigung im Straßenverkehr, erhöhte Verletzungsgefahr. Umso erstaunlicher ist es, dass dieser Mangel von der Regierung bei Menschen mit einer Sehschärfe
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– langsam; ich fange ja gerade erst an – über 30 Prozent unbekümmert in den Bereich der kosmetischen Versorgung abgeschoben wird.
41,2 Millionen Menschen werden letzten Endes für ihren Mangel bestraft; das haben sie nun davon, dass sie nicht die richtigen Augen haben. Diese Menschen haben offenbar keine Lobby. Die Regierung hilft ihnen nicht, die gesetzlichen Krankenkassen zahlen erst, wenn sie fast blind sind
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– ja, das sage ich Ihnen doch gerade –, und dann auch nur die Gläser, aber nicht das Gestell. Das muss man sich einmal vorstellen. Das müssen Sie einmal erklären; das ist wirklich unglaublich.
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Von den Optikerverbänden hört man auch nichts, sie bleiben lieber auf der kosmetischen Schiene. Nur die ärztlichen Fachverbände weisen zumindest auf die Missstände hin. Eine Petition der Betroffenen im Jahr 2017 wurde vom Bundestag abgelehnt. Stattdessen wird lieber die Gesundheitssystementwicklung in Saudi-Arabien, China, der Schweiz, den USA und Frankreich unterstützt, wie dem jüngsten Haushaltsplan zu entnehmen war.
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Nein, meine Damen und Herren, so kann es nicht weitergehen. Die gesetzliche Krankenversicherung dient der Absicherung der Versicherten und ihrer Familien im Falle einer Krankheit, also dann, wenn ein regelwidriger Zustand vorliegt, der eine Krankenbehandlung notwendig macht, egal wie kostenträchtig diese Behandlung ist.
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In keinem anderen Bereich ist man so knauserig; selbst die Globuli beim Heilpraktiker werden bezahlt.
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Nein, meine Damen und Herren, wir werden das nicht hinnehmen. Wir staunen über eine Regierung, die sich berufen fühlt, Verantwortung für die Gesundheit aller Menschen in der Welt zu übernehmen, aber über eigene Bürger und insbesondere über Altersarmut geflissentlich hinwegsieht.
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Das sind alles Menschen, denen es sehr wohl wehtut, den Ausgleich der Beeinträchtigung der Sehfähigkeit ihrer Augen mit dem wenigen Geld, das ihnen zur Verfügung steht, bezahlen zu müssen. Ich fand es beschämend, als 2003 die SPD und die Grünen erklärten, dass Versicherte finanziell nicht überfordert seien, wenn sie sich die notwendige Brille auf eigene Kosten besorgen.
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Das mag von den Kosten her möglich sein. Im Internet kann man sich Brillen schon zum Preis von 50 Euro kaufen, und auf dem Flohmarkt geht es mit Ramschware noch billiger. Aber das trifft nicht den Kern der Sache. Es handelt sich bei einer Sehbeeinträchtigung um eine Krankheit. Deswegen ist es auch falsch, die Brille – wie im Antrag der Linken – in einem Zug mit kosmetischem Zahnersatz oder Lifestylemedikamenten zu nennen.
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Die Brille ist eben keine kosmetische Leistung.
({11})
Fehlende Zähne sehen in der Tat nicht schön aus. Aber sie müssen nicht im Führerschein eingetragen werden.
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– Mussten Sie schon einmal fehlende Zähne im Führerschein eintragen? Ich noch nicht! – Für Lifestylemedikamente wäre es besser, Vergnügungsteuer zu zahlen. Aber zur Not kommt man auch ohne sie aus.
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In unserem Antrag geht es darum, eine vorliegende Sehschwäche im Rahmen einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung auszugleichen.
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Mit wenig Aufwand und Kosten kann die Teilhabe von 41,2 Millionen Sehbehinderten verbessert werden. Das muss doch für einen Sozialstaat das Mindeste sein, was er seinen Bürgern schuldet.
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Wir beantragen daher,
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dass sich die gesetzliche Krankenversicherung wieder bei allen Versicherten – auch bei denen mit über 30 Prozent Sehstärke – an den Kosten für ärztlich verordnete Brillengläser einschließlich Brillengestelle in vernünftigem Ausmaß beteiligt.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächstes spricht zu uns für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Roy Kühne.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Kollegen! Mit den vorliegenden Anträgen setzen wir eine Diskussion fort, die wir schon mehrfach geführt haben. Bereits 2004 haben wir im Zusammenhang mit dem GMG, dem GKV-Modernisierungsgesetz, darüber gesprochen, wie wir mit diesen Kosten umgehen werden. Zuletzt haben wir im vergangenen Jahr explizit über Beitragszuschüsse bei Sehhilfen und Brillen im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung, HHVG, diskutiert, ein Gesetz, das ich als Mitberichterstatter massiv mit vorangetrieben habe und das wir zu einem guten Ende gebracht haben. Sicherlich stellen Gesetze zum Schluss immer Kompromisse dar. Da geht es auch um Kostenfragen. Ich habe damals – davon bin ich noch heute überzeugt – gesagt: Eine Wiedereinführung von Sehhilfen in die Abrechenbarkeit kann es aus verschiedenen Gründen nicht hundertprozentig geben. Ich möchte kurz einige Gründe dafür nennen. Sie wurden in der Vergangenheit schon mehrfach genannt.
Warum haben wir Sehhilfen aus dem Leistungskatalog umfänglich voll gestrichen? Trotz verschiedenster Reformen – das ist ein kleiner Rückblick in die Vergangenheit – ist es damals den regierenden Parteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen nicht gelungen, den stetigen Anstieg der Beitragssätze der Krankenkassen zu stoppen. Auch bedingt durch die damals allgemein ungünstige konjunkturelle Entwicklung und steigende Arbeitslosenzahlen stieg der Beitragssatz auf 14 Prozent im Jahr 2002. Ulla Schmidt hat daraufhin, umfassende Gesundheitsreformen durchgeführt. Diese bestanden ebenfalls aus zahlreichen Kompromissen. Einige davon waren – das muss man zugeben – nicht leicht. Aber sie waren damals notwendig, um das Ganze wieder nach vorne zu bringen. Sinn und Zweck war, massiv Kosten einzudämmen. Dazu gehörte auch die Sehhilfe. Wir wissen, dass heutzutage viele Menschen bereit sind, dort eigene Investitionen zu tätigen. Im Bereich der Sehhilfen – das sehe ich heute noch genauso – und mit Blick auf die Einnahmesituation des GKV-Systems in Zukunft besteht momentan keine Möglichkeit, die Uhr zurückzudrehen und den Status vor 2004 wiederherzustellen.
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In Deutschland gibt es ungefähr 20 Millionen kurzsichtige Personen. Die Kosten – je nach Sehschwäche, Hornhautverkrümmung sowie Einstärken-, Zweistärken- oder Dreistärkengläsern – bei dem zu kalkulierenden durchschnittlichen Festbetrag von 50 Euro pro Brillenglas und Versicherten gingen in die Milliardenhöhe. Im HHVG haben wir uns aus verschiedenen Gründen dazu entschieden, eine ganz bewusste Entlastung der Versicherten mit extremen Sehschwächen durchzuführen. Dies haben wir auch beschlossen. Seit letztem Jahr können Versicherte einen Zuschuss in Anspruch nehmen, wenn sie nach ICD-10-GM 2017 aufgrund ihrer Sehbeeinträchtigung oder Blindheit bei bestmöglicher Brillenkorrektur auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 oder einen verordneten Fernkorrekturausgleich für einen Refraktionsfehler von mehr als 6 Dioptrien bei Myopie bzw. Hyperopie oder mehr als 4 Dioptrien bei Astigmatismus aufweisen. Dieser Schritt war wichtig, um Versicherte, die aufgrund einer extremen Sehschwäche ohnehin mit finanziellen Belastungen zu rechnen haben, nicht mit der Gesamtlast zu überfordern.
Für die Koalition steht – das muss man klar betonen – der Patient im Mittelpunkt.
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Jetzt genauso wie zukünftig müssen wir aber auch die Ressourcen im Auge behalten. Das bedeutet ein verantwortungsvoller Umgang mit dem wertvollen Geld der Patientinnen und Patienten; es sind Beiträge.
Nur zur Betonung: Menschen mit extremer Sehschwäche werden entsprechend unterstützt. Aber wir sehen, dass Brille heutzutage auch Mode ist. Es gibt verschiedenste Möglichkeiten – Gläser, Tönung usw. –, diese zu variieren. Diese Kosten sollten wir im Blick haben. Das ist unsere Gesamtverantwortung für das Gesamtsystem.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster spricht zu uns der Kollege Dr. Wieland Schinnenburg, FDP.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist kein Zufall, dass die beiden radikalen Fraktionen in diesem Haus, die AfD und Die Linke,
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uns Anträge vorlegen, die zu drastischen Mehrausgaben im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung führen würden. Das ist Teil ihrer Strategie. Diese besteht aus zwei Punkten: zum einen aus dem Schüren von Ressentiments – die einen gegen Ausländer, die anderen gegen Unternehmer – und zum anderen aus unhaltbaren Versprechen, um Menschen in diesem Land von sich zu überzeugen. Das ist unseriös. Wir lehnen so etwas ab.
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Diese Anträge geben aber einmal Anlass, darüber nachzudenken, welche Bedeutung unsere Solidargemeinschaft hat. Ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang fünf Leitlinien nennen. Die erste Leitlinie besagt: Wer sich in diesem Land nicht alleine helfen kann, hat Anspruch auf Schutz und Hilfe der Gemeinschaft.
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Das folgt nicht nur aus dem Solidarstaatsprinzip des Grundgesetzes. Das ist auch eine Selbstverständlichkeit. Die FDP steht dafür. Wir unterstützen das.
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Zweitens. Daraus folgt im Umkehrschluss aber auch: Wer sich alleine helfen kann, sollte nicht die Solidargemeinschaft für sich in Anspruch nehmen. Schauen wir uns in diesem Zusammenhang den Antrag der AfD genauer an. Sehhilfen bei geringer und mittlerer Sehstörung
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können Sie im Supermarkt für wenige Euro erstehen. Diese Kosten treten relativ selten auf. Sie kann, glaube ich, jeder selber tragen. Niemand sollte dafür die Solidargemeinschaft in Anspruch nehmen.
Dritter Punkt. Wir müssen darauf achten, dass unsere Solidargemeinschaft nicht überbeansprucht wird. Im Moment, nach jahrelangem wirtschaftlichem Aufschwung in diesem Land, sind die Kassen der Sozialversicherung gefüllt. Wir müssen aber damit rechnen, dass es zu einem wirtschaftlichen Abschwung kommt. Ich gebe zu: Wenn die FDP mit absoluter Mehrheit regieren würde, hätten wir keinen wirtschaftlichen Abschwung zu befürchten. Bei der GroKo muss man aber damit rechnen. Im Fall eines wirtschaftlichen Abschwungs sind dann die Solidarkassen nicht mehr so gefüllt. Daher wäre es unverantwortlich, in den jetzigen Zeiten zu viele Leistungsausweitungen vorzunehmen. Auch dies spricht gegen die beiden vorliegenden Anträge.
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Die vierte Leitlinie ist: Die Ausgaben der Solidargemeinschaft sollten für die Menschen, für die Bedürftigen da sein und nicht zur Deckung von Verwaltungskosten. Schauen wir auf die Sehhilfen. Es geht zumeist um Leistungen im Wert von nur wenigen Euro. Aber die Verwaltungskosten wären mindestens genauso hoch, wenn eine Kostenerstattung durch die GKV in diesem Bereich erfolgen sollte. So dürfen wir mit den Geldern der Versicherten nicht umgehen.
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Fünfter Punkt. Wir sollten der Versuchung widerstehen, als Politiker zulasten der Beitragszahler große Versprechungen zu machen. Wenn wir das schon tun, dann sollten wir wenigstens sagen, was es kostet. Es ist kein Wunder, dass die beiden radikalen Fraktionen
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kein Wort dazu verlieren, was das alles kostet, was sie hier beantragen. Wir haben es einmal ausgerechnet. Die AfD würde Kosten in Höhe von etwa 600 Millionen Euro verursachen, die Linksfraktion Kosten in Höhe von mindestens 12 Milliarden Euro. Es ist unverantwortlich, die Summe noch nicht einmal zu nennen, geschweige denn einen Finanzierungsvorschlag vorzulegen. So etwas lehnen wir ab.
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Ich fasse zusammen. Auch in wirtschaftlich guten Zeiten ist keine Zeit für „Freibier für alle!“, sondern Zeit für verantwortungsvolle Politik.
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Verantwortungsvolle Politik bedeutet, sozial verantwortlich und wirtschaftlich vertretbar zu arbeiten und auf Ressentiments zu verzichten. Genau das ist die Politik der Freien Demokraten. Wir lehnen beide Anträge ab.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Schinnenburg.
Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich darauf hinweisen, dass der Kollege Brandner, AfD-Fraktion, aus der laufenden Tagung ein Foto geschossen und auf Twitter oder Facebook veröffentlicht hat
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– einen Moment, darf ich kurz zu Ende ausführen? –, bezogen auf die Fraktion Die Linke, mit der Bemerkung: Zwei Linke da. – Das Präsidium des Deutschen Bundestages ist sich einig, dass dies mit der Würde und der Ordnung des Hohen Hauses nicht vereinbar ist. Ich behalte mir ausdrücklich eine Ordnungsmaßnahme vor.
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– Worauf bezog sich jetzt das Klatschen? Dass er Rechtsausschussvorsitzender ist?
Die Kollegin Martina Stamm-Fibich hat, wie ich finde, bemerkenswerterweise ihre Rede zu Protokoll gegeben. Das kann auch Nachahmer finden.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Achim Kessler, Die Linke.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In der letzten Woche in der Debatte über den Bundeshaushalt war Gelegenheit, umfassend über das zu reden, was wichtig in der Gesundheitspolitik ist. Die AfD hielt es aber offenbar für falsch, über hohe Beiträge für Geringverdiener, über den Pflegenotstand oder über den Ärztemangel auf dem Land zu reden. All das sind Themen, die für die Menschen in Deutschland wichtig sind. Nein, sie nutzte ihre Redezeit, um gegen den Migrationspakt, gegen HIV-infizierte Geflüchtete zu hetzen und Zwangstests zu fordern. Ausgerechnet diese Partei, deren Ziel es auch hier im Bundestag ständig ist, die Bevölkerung zu spalten, ganze Gruppen von jeder Teilhabe auszuschließen, und die gegen Arme hetzt, sie als Faulenzer, Drückeberger und Sozialschmarotzer beschimpft, hat nun angeblich Interesse an der Teilhabe sehbehinderter Menschen. Das ist leicht zu durchschauen.
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Denn die Forderung nach Kostenübernahme bei Brillen ist nur symbolisch. Sonst hätte die AfD nicht nur diese Forderung bei uns abschreiben müssen, sondern auch die Rücknahme der übrigen Leistungskürzungen in der Krankenversicherung aus dem Jahr 2004, wie es Die Linke seit Jahren fordert.
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Selbst dieses Abschreiben dauerte bei Ihnen ein Jahr. Ich warte noch immer, dass irgendwann einmal etwas Eigenständiges von Ihnen zur Gesundheitspolitik kommt.
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Das Einzige, was im Grundsatzprogramm der AfD zu behinderten Menschen zu finden ist, ist die Forderung nach dem Ausschluss behinderter Kinder aus der Regelschule.
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Menschen mit Behinderung sind der AfD schlicht egal.
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Aus dem Mund dieser Rechtspopulisten ist selbst das Wort „Teilhabe“ nichts anderes als ein unaufrichtiges Versprechen, das mit Sehnsüchten und Ängsten der Menschen spielt.
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Erlauben Sie mir noch einen Kommentar zur handwerklichen Qualität des Antrags der AfD. In der zweiten Fußnote führt der Verweis www.bdsv.de nicht wie angegeben zum Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband, sondern zur Homepage der Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen. Dort prangt in großen Buchstaben: „Schrott muss man können“.
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Diese Selbsteinschätzung der AfD teile ich zu hundert Prozent.
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Eine weitere Fußnote führt nicht zum Nachweis der schlechten Versorgung mit Brillen, sondern auf ein Vergleichsportal für die billigste Krankenkasse. Ich muss sagen: In einem Vergleichsportal für die billigsten Anträge hätte die sogenannte Alternative für Deutschland zweifellos den Spitzenplatz inne.
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Die Linke fordert in ihrem Antrag, Leistungskürzungen des GKV-Modernisierungsgesetzes von 2004 vollständig zurückzunehmen.
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Wir wollen eine sozial gerechte Gesundheitsversorgung für alle Menschen, die in Deutschland leben.
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Deshalb möchten wir außerdem, dass Asylsuchende in die gesetzliche Krankenversicherung aufgenommen werden. Momentan erhalten sie nämlich in den ersten 15 Monaten nur Akut- und Schmerzbehandlungen.
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Meine Fraktion hat eine klare Haltung: Teilhabe ist ein Menschenrecht.
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Wir sind leider weit davon entfernt, allen in Deutschland lebenden Menschen eine echte Teilhabe zu ermöglichen.
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Der Zugang zu einer sozial gerechten Gesundheitsversorgung ist dafür ein notwendiger Schritt. Wir wollen eine Gesundheitsversorgung, die Barrieren abbaut, benachteiligte Menschen nicht ausschließt und Besserverdiener angemessen an der Finanzierung beteiligt. Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Kessler. – Als nächste Rednerin hat das Wort Maria Klein-Schmeink, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen hier im Saal! Als Erstes ist zu sagen: Die Menschen mit Sehbeeinträchtigung und Sehbehinderung haben andere Reden verdient als die Reden, die in diesem Hause zur Einführung zu diesem Thema gehalten wurden.
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Ich finde es bedauerlich, dass ein berechtigtes Anliegen in einen solchen falschen Kontext gestellt worden ist.
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Als Zweites möchte ich an die Adresse der FDP sagen: In Bezug auf einen Anspruch auf eine Leistung geht es nicht nur darum, ob sich jemand alleine helfen kann oder nicht.
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Es geht auch nicht um Freibier für alle, sondern es geht darum, wie wir Gesundheitsrisiken solidarisch absichern. Das ist das grundsätzliche Leistungsversprechen der GKV, der gesetzlichen Krankenversicherung, und das sollten wir durchaus ernst nehmen. Wir sollten die zu erbringende Leistung nicht nur daran messen, wie groß das Portemonnaie des Einzelnen ist.
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Es gibt natürlich Themen, die wir ansprechen müssen, zum Beispiel dass damals in Zeiten der Agenda 2010 empfindliche Einschnitte im Leistungskatalog der GKV getätigt worden sind. Aber wir müssen auch zugestehen: Das war in einer wirtschaftlichen Situation, die ernsthaft von Krise, von hoher und bisher historisch höchster Arbeitslosigkeit und von massiven Defiziten sowohl in der gesetzlichen Krankenversicherung, in der Arbeitslosenversicherung, in der Pflegeversicherung als auch zusätzlich in den kommunalen Haushalten geprägt war. Das waren die Ausgangsbedingungen dafür, dass empfindliche Einschnitte gemacht worden sind.
Gleichzeitig muss man zugestehen: Die Einschnitte haben die Versicherten empfindlich getroffen. Das hat sich auf die Lebensqualität ausgewirkt und bedeutete eine stärkere Belastung des Einkommens, wenn eine notwendige Sehhilfe auf eigene Kosten beschafft werden musste. Man muss ganz klar sagen: Dieser Eingriff war aus der Zeit heraus verständlich, sollte aber heute überprüft werden; denn die wirtschaftlichen Bedingungen sind jetzt andere. Deshalb müssen wir genauer hinschauen.
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Es reicht nicht, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, darauf zu verweisen, dass man im letzten Jahr eine kleine, eine wirklich sehr kleine Verbesserung vorgenommen hat. Wir müssen immer noch feststellen, dass diejenigen, die überhaupt Zugang zu einem Zuschuss durch die GKV haben, sozusagen fast blind sind. Die Hürde, dass Leistungen erst ab 6 Dioptrien erbracht werden – das bedeutet eine deutliche Sehbeeinträchtigung –, ist sehr hoch.
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Und was erhalte ich dann an Leistungen? Ich erhalte je nach Schweregrad 10 Euro pro Brillenglas, zahle aber auch noch eine Zuzahlung für mein Rezept. Ich muss sagen: Das ist keine solidarische Unterstützung für die Betroffenen. Dieses Verfahren muss auf den Prüfstand.
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Wir müssen überlegen: Wen wollen wir entlasten? In welchen Schritten tun wir das? Können wir uns das finanziell erlauben? Wir wissen derzeit nicht, welches Finanzvolumen auf uns zukäme, wenn wir beispielsweise Leistungen schon ab 3 Dioptrien oder ab 5 Dioptrien – was immerhin das Kennzeichen für eine schwere Sehbeeinträchtigung nach WHO-Klassifikation wäre – anbieten würden. Es ist aber das Mindeste, dass wir uns wenigstens für die Gruppe, die nachweislich erstens teure und aufwendige Brillengläser braucht und zweitens deshalb oft viel aufwendigere Brillengestelle, weil Billigprodukte nicht über Fachhändler zu erhalten sind, überlegen, was wir tun können.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja, ich komme zum Schluss. – Wir müssen uns überlegen, was wir tun können. Und an die Adresse – –
Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss. Noch einen Satz und ich entziehe Ihnen das Wort!
An die Adresse der Linken: Es wäre schön, wenn wir nicht immer nur Forderungen bezogen auf die Finanzierung stellten, sondern uns auch überlegten, wie wir das finanzieren. Gemeinsam werden wir für die Bürgerversicherung kämpfen. Dann schaffen wir auch die Finanzierung.
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Mit diesen Worten schließe ich die Aussprache, weil der Kollege Erich Irlstorfer – wie ich finde: vorbildlich – seine Rede zu Protokoll gegeben hat.
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Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/4316 und 19/6057 an den Ausschuss für Gesundheit vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht bei diesem Tagesordnungspunkt einmal mehr um den Nachweis, dass wir seitens der Großen Koalition an der Seite der Kommunen stehen und dass wir verlässliche Partner der Kommunen sind.
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– Das sehen die nicht anders. Ganz im Gegenteil: Wir haben hinreichende Nachweise dafür. Die kann ich Ihnen gerne zeigen.
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Wir reden nämlich mit den Kommunen und nicht über die Kommunen.
Wir lassen Länder und Kommunen nicht allein. Das gilt nicht nur für die Infrastrukturförderung, sondern auch für die Finanzierung der Integration. Die Fortsetzung der Integrationspauschale in Höhe von 2 Milliarden Euro sollte den Kommunen tatsächlich zugutekommen. Sie ist ein weiterer Beweis dafür, dass wir die Kommunen nicht allein lassen. Das zeigen auch die 435 Millionen Euro für eine verbesserte Kinderbetreuung im Rahmen der Flüchtlingsaufnahme. Gleichermaßen bleibt die Forderung, dass die Länder die Mittel ungeschmälert tatsächlich an die Kommunen weiterleiten. Nordrhein-Westfalen ist ein Beispiel dafür. Sie können gerne Ihren Einfluss dort geltend machen.
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Das wäre nicht schlecht; das wäre ganz gut.
Der Bund steht zu seinen Verpflichtungen. Das gilt für die Entlastungspauschale für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Diese Art der Unterstützung von Ländern und Kommunen in dieser Situation ist ein Beitrag zum sozialen Frieden in Deutschland und kein Beitrag zu Hass und Fremdenfeindlichkeit.
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Deswegen bedanke ich mich sehr beim Bundesfinanzminister, dass diese Finanzierungsmöglichkeiten bestehen.
Ohne auf alle Einzelheiten des Gesetzentwurfs einzugehen, will ich aber die wichtige Entlastung von Ländern und Kommunen durch die Abfinanzierung des Fonds „Deutsche Einheit“ thematisieren; denn dadurch erhalten die Länder künftig rund 2,2 Milliarden Euro zusätzlich aus dem Umsatzsteuervolumen. Die Kommunen – das ist wichtig, weil es einen Teil der Gewerbesteuerumlage betrifft – werden um 500 Millionen Euro entlastet. Das Geld kommt auch konkret bei den Kommunen an. Das ist ausgesprochen gut. Damit das so bleibt, müssen wir den Blick in die Zukunft richten. Dazu gehört, dass die für 2020 vorgesehene Absenkung der erhöhten Gewerbesteuerumlage, die für die Kommunen wahrscheinlich mehr als 3 Milliarden Euro ausmacht, tatsächlich auch dort ankommt und nicht zu Begehrlichkeiten der Länder führt.
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– Dann doch? Das führte schon immer zu Begehrlichkeiten der Länder. Schönen Gruß an Herrn Bouffier, der das Thema auf andere Weise angesprochen hat.
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Die den Kommunen zugesagte jährliche Entlastung in Höhe von 5 Milliarden Euro darf dauerhaft nicht nach Verteilungskriterien erfolgen, die die finanz- und strukturschwachen Kommunen zu wenig berücksichtigen, weil die Schwelle zur Bundesauftragsverwaltung bei den Kommunen nicht überschritten werden soll.
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Sie kann durchaus überschritten werden. Aber wir müssen hier Klarheit schaffen, wenn wir uns für gleichwertige Lebensbedingungen in unserem Land starkmachen wollen, und das wollen wir.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster spricht zu uns der Kollege Peter Boehringer, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im vorliegenden Gesetzentwurf geht es um das Sondervermögen Fonds „Deutsche Einheit“, dessen Schulden nun absehbar getilgt sein werden. Als Folge sind daher Anpassungen bei der Aufteilung von Steuermitteln vorzunehmen. Das ist nur logisch. Da können wir einen Haken dranmachen. Den Ländern stehen diese Mittel einfach zu. Zudem sollen die Länder auch bei den Integrationskosten entlastet werden.
Zu beanstanden ist, dass die Umwidmung von Umsatzsteuerpunkten gerade die finanzschwachen Länder und Kommunen kaum entlastet, zum Teil sogar zusätzlich be lastet – wir haben entsprechende Schreiben erhalten –, denn die absolut berechnete Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft und Heizung für Flüchtlinge wird zurückgefahren, während der Umsatzsteueranteil der Kommunen erhöht wird. Insgesamt werden damit besonders finanzstarke Kommunen entlastet. Das ist die Soziallogik ausgerechnet eines SPD-geführten Ministeriums. Zudem erkauft sich die Bundesregierung auch hier mal wieder die Kooperation der Länder; darüber haben wir heute Vormittag schon bei der Debatte über die entsprechende Grundgesetzänderung geredet. Die Änderung wurde übrigens gegen den Rat der meisten Sachverständigen auch mit FDP- und Grünenstimmen verabschiedet.
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Die Versorgung der Flüchtlinge ist für die Länder sehr teuer. Teilweise werden ganze Wohngebäude völlig neu errichtet. Weil das nicht reicht, wird vor die Wohnungstür noch ein Fahrrad gestellt. Deutsche Familien träumen nur von so einem Steuerservice. Diese Politik wäre alleine wegen der Kosten bei Lokalpolitikern schon lange nicht mehr mehrheitsfähig. Der Bund erkauft sich hier die Zustimmung der Länder und Gemeinden zu einer von Eliten in Marrakesch, in Brüssel und hier im Berliner Raumschiff erdachten Migrationspolitik, die ohne Kompensation und Schweigegeld in bürgernahen Kommunen schon lange nicht mehr durchsetzbar wäre.
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Die Perspektive der Länder und Kommunen ist durchaus verständlich. Das mit den Flüchtlingen, Frau Bundeskanzlerin, war Ihre Idee, also bezahlen Sie gefälligst dafür.
Wie lässt sich das Dilemma also lösen? Nun, richtig wäre schlichtweg ein grundlegender Politikwechsel: Wer nicht asylberechtigt ist, der kommt nicht ins Land. Das senkt die Kosten.
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Und wer nicht bleibeberechtigt ist, muss leider gehen. Das senkt wiederum die Kosten.
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Damit ist das Problem auch nicht mehr so groß. Populismus? – Nein, reine Logik und Mathematik.
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Richtig wäre, die Fluchtursachen abzustellen. Die größte aller Ursachen für die Flucht nach Deutschland sind neben der demografischen Katastrophe aufgrund der Bevölkerungsexplosion in Afrika und Arabien die Sozialleistungen, die hierzulande für Migranten bereitgestellt werden. Aber diese Ursachen werden im vorliegenden Gesetzentwurf nicht angegangen. Darum muss die AfD-Fraktion ihn leider ablehnen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Boehringer. – Und nun der Kollege Christian Haase, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bund hat in den vergangenen drei Jahren den Ländern und Kommunen Aufwendungen in Höhe von gut 43 Milliarden Euro rund um das Thema „Asyl und Flüchtlinge“ erstattet. Die Bundesunterstützung wird mit diesem Gesetz über 2018 hinaus verlängert.
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Das ist vor allem für die Kommunen ein wichtiges und richtiges Signal. Aber die Regelung gilt zunächst nur für 2019. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir bald anfangen, über die Nachfolge zu sprechen; denn die Kommunen brauchen Planungssicherheit und Verlässlichkeit.
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Die Länder erhalten dabei einen großen Teil der Zuwendungen über pauschale Anteile am Umsatzsteueraufkommen. Das heißt, der Bund hat keine Kontrolle mehr darüber, ob die Länder und dann im Nachgang die Kommunen das Geld tatsächlich zum Beispiel für flüchtlingsbezogene Kinderbetreuung und andere Integrationsleistungen ausgeben. Das Risiko steigt vor allem, dass die Mittel nicht ungekürzt und zusätzlich vor Ort ankommen. Kollege Daldrup hat eben gesagt, in Nordrhein-Westfalen geschehe das nicht. Nordrhein-Westfalen leitet die Integrationsmittel – im Gegensatz zur alten Landesregierung – zu 100 Prozent an die Kommunen weiter.
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Ich möchte an etwas anderes erinnern. Wir als Bund entlasten in diesem Jahr die Kommunen um 5 Milliarden Euro,
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1 Milliarde Euro davon auf Wunsch der Länder über ihre Haushalte. Sie haben uns versprochen, dass sie es an die Kommunen weitergeben.
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Leider gibt es Länder wie Brandenburg und Rheinland-Pfalz, die das nicht machen. Meine Damen und Herren, Mittel, die wir für die Kommunen vorsehen, sind kein Beitrag zur Konsolidierung von Landeshaushalten.
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Jetzt setzen die Länder noch einen obendrauf. Um die Grenze der Bundesauftragsverwaltung bei den Kosten der Unterkunft nicht zu überschreiten, wird ein Teil der Kommunalentlastung über die Umsatzsteuer an die Kommune verteilt. Wir erhöhen deshalb den Gemeindeanteil am Umsatzsteueraufkommen. Jetzt gibt es den Vorschlag aus dem Bundesrat, den Länderanteil am Umsatzsteueraufkommen zu erhöhen. Damit geht nicht nur 1 Milliarde Euro, sondern gehen schon 2 Milliarden Euro über die Landeshaushalte. Meine Damen und Herren, das ist ein Programm für klebrige Finger von Länderfinanzministern, nicht für die Kommunen.
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Richtig ist aber die Kritik, dass die Verteilung über die Umsatzsteuer nicht so zielgenau ist wie über die Kosten der Unterkunft. Deshalb müssen wir uns schon überlegen, ob wir bei der Verteilung über die Umsatzsteuer nicht einen Soziallastenfaktor mit aufnehmen, damit das Geld wirklich da ankommt, wo es tatsächlich gebraucht wird. Es gibt einen Vorschlag des Deutschen Landkreistages zu dem Thema, über den wir ernsthaft diskutieren sollten.
Meine Damen und Herren, ich will zu einem weiteren Punkt kommen. Der zweite wichtige Baustein, der mit diesem Gesetz geregelt wird, ist die Abfinanzierung des Fonds „Deutsche Einheit“. Er wird Ende des Jahres getilgt sein. Das heißt, die Länder bekommen eine zusätzliche Entlastung von 2,2 Milliarden Euro jährlich. Auch die Kommunen partizipieren daran, da gleichzeitig die kommunale Beteiligung im Wege einer erhöhten Gewerbesteuerumlage an die Länder in Höhe von ungefähr 516 Millionen Euro entfällt.
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– Richtig, Herr Fricke, nur die westdeutschen Kommunen profitieren davon; denn nur sie haben sie auch gezahlt. Alles andere wäre nicht denklogisch. – Wir müssen jetzt aufpassen, dass das Geld wirklich zusätzlich und tatsächlich bei den Kommunen verbleibt
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und Länder nicht wieder auf die Idee kommen, das irgendwo direkt oder indirekt abzuziehen.
Wir fangen da jetzt mit einem kleinen Teil an. Das, was jetzt abfinanziert wird, entspricht einer um 4,3 Prozent erhöhten Gewerbesteuerumlage. Im nächsten Jahr, Ende 2019, geht es um den Anteil am Solidarpakt. Da geht es um einen Umsatzsteueranteil von 29 Prozent, den die Kommunen leisten. Da sprechen wir von 3,5 Milliarden Euro. Auch da müssen wir aufpassen, dass das Geld tatsächlich bei den Kommunen verbleibt. Wir dürfen nicht auf die Idee kommen – weder hier im Bund noch direkt oder indirekt auf Länderseite –, dieses Geld nicht bei den Kommunen zu belassen.
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Sie haben es mittlerweile in ihren Haushalten eingeplant. Das hat auch etwas mit Verlässlichkeit zu tun. Wir haben es vor 20 Jahren versprochen und sollten es heute auch einhalten. Lassen Sie uns daran denken.
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Vielen Dank, Herr Kollege Haase. – Jetzt spricht zu uns der Kollege Otto Fricke, FDP-Fraktion.
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Herr Vizepräsident, beste Wünsche für Ihre Gesundheit! – Meine Damen und Herren! Es geht bei diesem Gesetz und um diese Uhrzeit um Milliarden. Dieses Gesetz und die Grundgesetzdebatte, die wir heute Morgen geführt haben, hätten eigentlich – wenn wir ehrlich sind – zusammengehört. Denn der Gesetzgeber verpflichtet sich hier – man erkennt es, wenn man genau hinguckt –, noch mehr Mittel in die Umverteilung fließen zu lassen. Kollege Haase, ich bin sehr dankbar dafür, dass Sie schon sehr viel zu den hier vorgesehenen kleinen Schweinereien gesagt haben, die von der natürlich wieder mal unbesetzten Länderbank ausgehen.
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Wer sich einmal angucken will, wie Länder denken, der muss sich nur die Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf der Bundesregierung angucken. Da wird gefeilscht und gesagt: Wir wollen nicht nur 49 Prozent haben – nach der Verfassung dürfen es bis zu 50 Prozent sein –, nein, 49,9 Prozent müssten es dann schon sein. – Es wird um jeden Cent gefeilscht, und es wird – Kollege Haase hat das richtig beschrieben – nichts für die Kommunen getan. Das verstehe ich nicht.
Die Stellungnahmen des Deutschen Landkreistages und der Gemeindeverbände machen doch eines deutlich – deswegen kann ich nicht verstehen, dass die SPD sagt, die Kommunen seien damit einverstanden –: Wir wollen diesen Gesetzentwurf so nicht haben, sondern wir wollen einen, der Sicherheit gibt. – Da stimme ich dem Kollegen Haase durchaus zu: Sicherheit für die Kommunen wird es auf Dauer nur geben, wenn wir bei der Steuer, bei der die gleichmäßigsten Einnahmen zu verzeichnen sind, ansetzen, um ein hohes Maß an Berechenbarkeit für die Kommunen zu gewährleisten, und das ist die Umsatzsteuer. Wenn selbst der Landkreistag von den klebrigen Fingern der Länder spricht, dann sollte die SPD irgendwann mal bei diesem Thema an eine Umkehr denken.
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Meine Damen und Herren, im Endeffekt geht es bei diesem Gesetz – das muss man den Bürgern sagen – doch wieder mal nur um die Frage: „Wer kriegt welchen Teil vom Schokoladenkuchen?“, nach dem Motto: „Ich hätte gern was, du hättest gern was, wir hätten gern was“,
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und am Ende ist keiner damit zufrieden, was die Politik liefert.
Meine Damen und Herren, ich will eines deutlich machen: Ich habe das Gefühl, dass wir auftretende Probleme mit immer neuen Regelungen zukleistern, die dann irgendwann auslaufen. Nachher streiten wir uns dann wieder über absolute Zahlen, Prozentsätze oder Ähnliches. Wir müssen erkennen, dass dieses Land bei den Fragen der Verteilung der Finanzaufwendungen, der Ermächtigung zur Erhebung von Steuern und der Zuständigkeiten nicht mehr mit dem auskommen kann, was mal vor 70 Jahren klugerweise beschlossen worden ist. Wenn wir weiterhin nur Stückwerk machen, dann ist es wie beim Brandrodungsfeldbau: Wenn hier und da Löcher auftreten, zieht man weiter und hofft, dass später alles wieder vergessen ist.
Meine Damen und Herren, ich will zum Schluss kurz etwas dazu sagen, welchen Weg das vorliegende Gesetz geht. Es ist ein Zustimmungsgesetz. Die Länder haben klar gesagt, dass sie es so nicht haben wollen. Wir werden erleben, dass dieses Gesetz gemeinsam mit der heute Morgen beschlossenen Grundgesetzänderung im Vermittlungsausschuss landet. Dann werden wir wieder schauen: „Wer kriegt welches Stück vom Schokoladenkuchen?“,
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aber am Ende wird keiner zufrieden sein. Das kann nicht die Herangehensweise dieses Parlamentes und auch nicht der Koalition sein. Ich bitte Sie, an der Stelle genau aufzupassen, worauf es im Vermittlungsausschuss hinausläuft.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Fricke. – Die Kollegin Kerstin Kassner, Fraktion Die Linke, hat dankenswerterweise ihre Rede zu Protokoll gegeben. Als letzter Redner: Stefan Schmidt, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass wieder mehr über Föderalismus gesprochen wird. Bei diesen Diskussionen wird allerdings häufig eine Ebene vergessen, nämlich die kommunale Ebene, also die Städte, die Gemeinden, die Landkreise und – als Bayer möchte ich sie nicht vergessen – die Bezirke. Sie alle sollten bei diesem Gesetz, das wir heute beraten, im Mittelpunkt stehen.
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Denn sie sind es, die am Ende Geflüchtete versorgen und integrieren. Daher stimmen wir heute Abend auch zu, das allerdings mit Bauchschmerzen; denn die Bundesregierung macht es sich zu einfach. Sie möchte alles, was es an Förderung bereits gibt, fortschreiben. Das ist gut, aber das reicht bei weitem nicht aus.
Das Gesetz ist auf ein Jahr befristet. Damit fehlt den Städten und Gemeinden wieder mal das Wichtigste, nämlich Verlässlichkeit und Planungssicherheit, und das, obwohl die Kosten für Integration in Zukunft wahrscheinlich eher noch ansteigen werden. Außerdem sehen die Kommunen beispielsweise für geduldete Menschen keinen einzigen Cent, weder von den Ländern noch vom Bund. Die Gesamtheit ihrer Ausgaben spiegelt das Gesetz also überhaupt nicht wider. Das kann doch so nicht richtig sein.
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Der Bundesrat und die kommunalen Spitzenverbände – es wurde bereits angesprochen – haben außerdem festgestellt, dass gar nicht alle versprochenen Mittel vollständig gezahlt werden. Das ist doch eine Schwachstelle des Gesetzes. Das sollte behoben werden; denn der Bund muss hier zu seinen Zusagen stehen.
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Zu den Kosten der Unterkunft. Das Geld muss direkt bei den Kommunen ankommen. Es ist gut, dass es da keinen Zahlungsumweg über die Länder gibt. Aber von den Entlastungen profitieren vor allem die wirtschaftsstarken Kommunen, und das ist nicht gerecht. Bund, Länder und Kommunen müssen die Versorgung und die Integration von Geflüchteten gemeinsam meistern. Dazu braucht es eine dauerhafte, verlässliche und aufgabengerechte Finanzausstattung vor Ort.
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Viele Städte verwenden aber bereits all ihre Mittel, um ihre Pflichtaufgaben zu erfüllen. Sie verwenden sie, um Schulgebäude instand zu halten, für einen funktionierenden ÖPNV zu sorgen und zum Beispiel eine gerechte medizinische Versorgung auch im ländlichen Raum sicherzustellen. Wir müssen wieder mehr Handlungsspielräume für die Kommunen schaffen, auch gerade bei den freiwilligen Aufgaben. Dazu müssen wir die Kommunen strukturell entlasten.
Stärken wir also die Handlungsfähigkeit von Städten und Gemeinden über das absolute Mindestmaß hinaus. Sorgen wir für ein sinnvolles Fördersystem, in dem Mittel auch abgerufen werden. Finden wir schleunigst eine Anschlussregelung für das vorliegende Gesetz, auf die sich die Kommunen dann auch verlassen können.
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Damit schaffen wir gleichwertige Lebensverhältnisse – da sind wir dann tatsächlich bei der Diskussion von heute Morgen.
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Herr Kollege Schmidt, herzlichen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache, nicht ohne die Kollegen Martin Gerster von der SPD-Fraktion und Alois Rainer von der CDU/CSU-Fraktion in besonderer Weise zu würdigen, die ihre Reden zu Protokoll gegeben haben.
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– So viel Beifall hätten sie wahrscheinlich nach ihren Reden gar nicht gekriegt.
Tagesordnungspunkt 15 und Zusatzpunkt 15. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur fortgesetzten Beteiligung des Bundes an den Integrationskosten der Länder und Kommunen und zur Regelung der Folgen der Abfinanzierung des Fonds „Deutsche Einheit“. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/6145, in Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 19/2499 den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 19/5465 und 19/6090 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung gegen die Stimmen der AfD-Fraktion mit den Stimmen aller anderen Fraktionen des Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Herr Kollege Fricke, Sie wollen nicht zustimmen? Es wird im Protokoll festgehalten, wenn Sie nicht zustimmen wollen. – Sie wollen nicht zustimmen.
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Okay. Dann frage ich: Wer stimmt dagegen? – Dann stelle ich fest, dass der Gesetzentwurf gegen die Stimmen der AfD-Fraktion und bei Enthaltung des Kollegen Fricke
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– er ist die ganze Zeit sitzen geblieben, insofern hat er sich enthalten – mit den Stimmen aller anderen Fraktionen des Hauses angenommen ist.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir reden heute über einen Antrag der Freien Demokraten, der ein hochsensibles Thema behandelt. Wir reden über moderne Technologien in der Gentherapie und die Chancen, die eventuell bei der Behandlung von Erbkrankheiten und sonstigen Erkrankungen daraus erwachsen können.
Bisher waren sich vermutlich nur die wenigsten Menschen der Fortschritte bei der Technologie CRISPR/Cas bewusst; aber seit der Behauptung des chinesischen Forschers He Jiankui, zwei genetisch veränderte Babys hervorgebracht zu haben, wurde die Weltöffentlichkeit mit dem technisch Machbaren konfrontiert. Aus genau diesem Grund ist es gut, dass wir dies heute trotz später Stunde im Deutschen Bundestag diskutieren.
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Keine Frage: Der chinesische Forscher hat Grenzen überschritten. Ein Eingriff in die Keimbahn der Embryonen und somit das Vererben der gentechnischen Veränderungen gilt als internationaler Tabubruch. Uns fehlt Wissen und Gewissheit. Trotzdem hält die Genschere CRISPR/Cas in vielen Ländern bereits Einzug in den Alltag. Im Internet kann man sich für 200 US-Dollar sogenannte Genetic Engineering Kits bestellen und bereits eine Hefe genetisch manipulieren. Während solche Experimente in den USA bereits Einzug in den Alltag erhalten, sind sie in Deutschland schlichtweg verboten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Frage, ob wir dürfen, was wir können, ist es nicht mehr getan. Richard von Weizsäcker sagte in seiner Rede zum 40-jährigen Bestehen des Grundgesetzes in Bezug auf die Verselbstständigung der Wissenschaft:
Wir werden das Problem nicht lösen, indem wir die Menschenwürde gegen die Freiheit der Wissenschaft und Forschung ins Feld führen. Es wäre so unrealistisch wie ethisch vage. Wichtig ist eine ungehinderte Information und eine breite Bewusstseinsbildung. Möglichst viele sollten möglichst viel wissen.
Aktuell finden gentherapeutische Studien in den USA, China und Großbritannien statt. Die jüngste Welle der digitalen Revolution, die Verschmelzung von Biotechnologie und Datenverarbeitung zur Verbesserung der Gesundheit und der Lebensdauer, zieht in Teilen an uns vorbei. Die Selbstverständlichkeit, mit der Technologiefirmen versuchen, mal eben die Medizin zu verändern, hat Spreng-, aber auch Symbolkraft. Wollen wir Deutschen wirklich riskieren, dass die Amerikaner oder Chinesen, ähnlich wie in der Digitalindustrie, auch die Genindustrie monopolisieren und wir nur noch Konsumenten ohne Gestaltungsanspruch werden?
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Das kann und darf nicht unser Ziel als Technologienation sein. Denn nur, wer führend in Forschung und Anwendung einer Technologie ist, kann auch die damit verbundenen ethischen Maßstäbe bestimmen. Wir müssen uns fragen, ob der aktuelle Rechtsrahmen für gentechnische Verfahren noch umfassend, konsistent und zeitgemäß ist.
Deutsche Forscher forderten bereits mehrfach, das Embryonenschutzgesetz aus den 1990ern zu novellieren, um einerseits zu enge Grenzen der Forschung verantwortungsbewusst zu lockern, andererseits aber auch Lücken in Bezug auf Keimbahntherapien zu schließen und bestehende Inkonsistenzen mit Blick auf das Stammzellgesetz zu vermeiden.
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Mutmaßliche Verfehlungen wie die des chinesischen Forschers dürfen nicht zu einer generellen Verteufelung von Ansätzen wie CRISPR/Cas führen. Denn was wäre, wenn der chinesische Forscher tatsächlich ein Leben ohne Aids ermöglicht hätte? Wir müssen uns daher immer wieder von neuem fragen: Kann ein falscher Weg vielleicht durch gute Ergebnisse gerechtfertigt werden?
Danke.
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Vielen Dank, Herr Kollege Brandenburg. – Als Nächstes der Kollege Stephan Albani, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu später Stunde ein durchaus schweres Thema.
Bevor ich mich dem Antrag der FDP widme, möchte ich in eigener Sache einen kurzen Gedanken vorwegschicken. Ich bin Sohn eines Kinderarztes, und ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie ich in den 80er-Jahren von meinem Vater auf Station mitgenommen wurde und ein in meinen Augen vermeintlich gesundes Kind dort liegen sah, einen kleinen Jungen. Ich fragte: Papa, warum liegt der da? Er sieht doch gesund aus. – Mein Vater antwortete: Er leidet an einer genetisch bedingten Stoffwechselkrankheit. – Dann sagte er noch etwas, woran ich mich bis heute erinnere: Er wird sterben, und wir können ihm nicht helfen.
An die verzweifelte Aussichtslosigkeit dieser Worte meines Vaters habe ich mich wieder erinnert, als ich mich als Bundestagsabgeordneter zum ersten Mal vor einigen Jahren mit dem Thema CRISPR/Cas9 auseinandersetzen durfte. Hier haben wir zum ersten Mal die Chance, den Saum, den Zipfel der Möglichkeiten zu ergreifen, diesen Menschen vom Grunde her helfen zu können. Das ist gut, und dafür müssen wir investieren. Das ist keine Frage.
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Aber Achtung! Auf der Zielgeraden können leicht Fehler geschehen. Unter diesem Aspekt setze ich mich mit Ihrem Antrag auseinander. Sosehr ich Ihre Begeisterung für die Technik teile, so sehr muss man sagen, dass schon die erste Forderung ein Problem für mich ist: „... die Chancen vor den Risiken ... zu sehen“.
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Das ist nicht richtig. Chancen und Risiken müssen gleichermaßen und angemessen wissenschaftlich bewertet werden. Es geht hier nicht um ein Mehr oder Weniger, es geht auch nicht darum, Risiken höher zu bewerten als Chancen, sondern darum, sie in angemessener Art und Weise zu bewerten, trotz aller Euphorie für das Verfahren.
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Der zweite Punkt. Eine Studie, die von einer Arbeitsgruppe der Charité vor vier Wochen veröffentlicht worden ist, zeigt, dass der menschliche Körper gegen das in CRISPR/Cas9 enthaltene Eiweißmolekül Cas9, das aus Streptokokken oder auch aus Staphylokokken gewonnen wird, eine Immunreaktion zeigen kann. Das verdeutlicht an dieser Stelle: Vorsicht an der Bahnsteigkante! Hier ist Forschung noch notwendig. Das tut diese Arbeitsgruppe, und das muss man machen. Da sollte man nicht zu euphorisch glauben, dass man das Ziel schon erreicht hat.
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– Ja, aber dann ist die siebte Forderung hinsichtlich der Konkretisierung des Rahmenprogramms Gesundheitsforschung unnötig. Denn im Rahmenprogramm steht, dass wir seitens des BMBF die interdisziplinäre Grundlagenforschung im Bereich der Gentechnik und die Gesundheitsforschung zur nutzbringenden Anwendung des Genome Editing fördern wollen und nicht zuletzt die Reflexion über die Forschungsergebnisse unterstützen und einen Anreiz zur gesellschaftlichen Debatte geben wollen. Das ist gut und richtig so. Das steht da alles drin; das muss man gar nicht fordern. Lektüre hilft da.
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Der nächste Punkt ist die Frage einer ethischen Debatte, die Transparenz schafft. Auch die ist notwendig; das hat das Experiment in China gezeigt. Auch hier ist wiederum Vorsicht geboten; denn ob das alles so stattgefunden hat und dergleichen mehr, ist noch völlig ungeklärt. Was aber stattgefunden hat – und das ist richtig so –, ist, dass die wissenschaftliche Community klar gesagt hat: Das geht so nicht.
Insofern müssen wir hier, zurück zum Anfang kommend, sagen: Chancen und Risiken müssen wir gleichermaßen bewerten. Das Verfahren ist eine große Chance. Wir müssen hier wissenschaftlich investieren, die besten Forscher daransetzen.
Bezüglich Ihres Antrages sage ich: Ich teile Ihre Begeisterung. Am Anfang sind Sie aber zu euphorisch, in der Mitte steht Unnötiges, und am Ende gehen Sie zu weit. Deswegen lehnen wir ihn ab. Entschuldigung.
Ich habe drei Minuten für den Nachtschlaf gerettet.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner der Kollege Dr. Götz Frömming, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als im Jahre 1953 die beiden US-Amerikaner Watson und Crick die Struktur des menschlichen Genoms entschlüsselt haben, konnten sie sich wahrscheinlich kaum vorstellen, was für Möglichkeiten sich über ein halbes Jahrhundert später daraus entwickeln würden. Und die Gentechnik entwickelt sich rasant weiter. Wir müssen als Politiker dafür sorgen, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten. Deshalb begrüßen wir grundsätzlich den Antrag der FDP-Fraktion, der uns dazu bringt, hier wieder anzuknüpfen.
Die jüngste Generation gentechnischer Verfahren, insbesondere das sogenannte Genome Editing – der Kollege von der FDP hat ein spezielles Verfahren hier schon vorgestellt –, hat aufgrund ihrer einfachen und vielfältigen Anwendbarkeit seit einigen Jahren einen Forschungsboom sowohl in der Pflanzen- und Tierzucht als auch in der Humanmedizin ausgelöst. Viele Forschende erwarten durch die größere Präzision und die nun möglich werdende Modifikation endogener, das heißt zelleigener, Gene eine relevante Verminderung unerwarteter und unerwünschter Nebeneffekte, die im Bereich der somatischen Gentherapie die Entwicklung bislang stark gebremst haben.
Bei der ethischen Bewertung der zu diskutierenden Verfahren sollte grundsätzlich differenziert werden, ob wir über Eingriffe in die Keimbahn sprechen oder über die somatische Gentherapie. Im ersten Fall, bei der Keimbahntherapie, werden sich die im embryonalen Entwicklungsstadium veränderten Gene später in allen Zellen des Organismus wiederfinden. Sie können also auch vererbt werden.
Beim zweiten Fall, der somatischen Gentherapie, werden veränderte Gene in Körperzellen und nicht in Keimzellen eingebracht. Die veränderten Zellen können also dann nicht an die Nachkommen vererbt werden. Wenn es also Ihnen, werte Kollegen von der FDP, darum geht, die Forschungs- und Entwicklungsförderung somatischer Gentherapieansätze, zum Beispiel in der Krebstherapie, voranzubringen, dann sind wir an Ihrer Seite.
Etwas anders sieht es bei Eingriffen in die Keimbahn aus. Hier stehen für uns als AfD-Fraktion die ethischen Aspekte zunächst an erster Stelle, was jetzt nicht heißen soll, dass wir hier nicht auch über die Forschung sprechen müssen. Kein Mensch weiß, wie sich genmanipulierte Keimzellen in der nächsten oder übernächsten Generation verhalten, wenn sie mit anderen gewissermaßen zusammengewürfelt werden. Wer kann für mögliche Langzeitfolgen die Verantwortung übernehmen?
Zu Recht haben die Experimente eines chinesischen Forschers – sie wurden schon erwähnt –, der das Erbgut von zwei Babys verändert haben soll, weltweit für Empörung gesorgt. In Deutschland legten im Sommer 2015 zuerst die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Gentechnologiebericht“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und danach gemeinsam die Nationale Akademie der Wissenschaften – Leopoldina –, die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften – acatech –, die Akademienunion sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft Stellungnahmen zu einer ersten Bewertung und zum weiteren Umgang mit Genome Editing beim Menschen vor und sprachen sich für ein internationales Moratorium für Keimbahninterventionen aus. Das unterstützen wir, meine Damen und Herren.
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Ein generelles Forschungsmoratorium wurde allerdings nicht gefordert, sondern vielmehr die weitere Abklärung möglicher Chancen und Risiken des Verfahrens sowie eine gesellschaftliche Debatte über die ethischen und rechtlichen Fragen der Keimbahntherapie.
Noch ein Wort zu Ihrem Antrag, werte Kollegen von der FDP. Es ist ein bisschen schade, dass Sie den Forderungskatalog aus meiner Sicht etwas überladen haben mit 22 Einzelforderungen, die nicht alle zum Wesentlichen hinführen und teilweise auch vom Wesentlichen wegführen. Wir brauchen aus unserer Sicht vor allem ein neu zu schaffendes und am aktuellen Stand der Wissenschaft ausgerichtetes Fortpflanzungsmedizingesetz. Die diesbezüglich geltenden Gesetze, die wir bereits haben, regeln jeweils nur bestimmte Teilbereiche, sodass niemand wirklich einen zusammenfassenden Überblick haben kann. Ich erinnere zum Beispiel an das Gendiagnostikgesetz, das die Anwendung von genetischen vorgeburtlichen Untersuchungen regelt, oder auch an das Embryonenschutzgesetz, das den Schutz des menschlichen Embryos zum Gegenstand hat.
Meine Damen und Herren, was unsere Nation am dringendsten braucht, sind keine Designerbabys, die zum Glück noch gar nicht möglich sind. Aber wir wollen Krankheiten heilen, und zwar mit Methoden, die wir ethisch und gesellschaftlich verantworten können.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Dr. Frömming. – Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen René Röspel, SPD-Fraktion, das Wort.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Technologischen Fortschritt nicht aufhalten – Neue Verfahren in der Gentherapie einsetzen“. Als ich diesen Titel las, war ich zugegebenermaßen sehr gespannt, was da kommt und in welche Richtung das geht. Aber als ich dann den Antrag gelesen habe, war ich eher enttäuscht oder verwirrt, weil Sie nicht wirklich Position beziehen und eine Menge Dinge durcheinanderbringen, die eigentlich sortiert gehören. Am Ende wusste ich nicht wirklich, wofür die FDP in dieser Frage steht und was sie mit dem Antrag will. Ich muss daher zu dem Schluss kommen: Offenbar geht es Ihnen erst mal darum, zu unterscheiden zwischen der fortschrittsorientierten FDP und den anderen, die Fortschritt irgendwie behindern. Ich versuche, zu belegen, dass das falsch ist, um Ihre Position zu widerlegen.
Ich habe mir Ihre unterschiedlichen Forderungen angeschaut. Was Gentherapie aus Ihrer Sicht ist, ist nicht so richtig klar geworden. Es geht um die drei Bereiche Agrogentechnik oder grüne Gentechnik, Keimbahnintervention und somatische Gentherapie. Sie sprechen die Agrogentechnik bzw. grüne Gentechnik an und stellen die Forderung auf, dass die Bundesregierung Position beziehen möge zu dem jüngst ergangenen Urteil des EuGH, also des Europäischen Gerichtshofs, über die Einordnung der neuen Technologie CRISPR/Cas mit Blick auf die Frage: Ist das jetzt Gentechnologie oder nicht? Der Europäische Gerichtshof hat entschieden: Es ist Gentechnologie. – Die Europäische Richtlinie 2001/18 gilt und ebenso das Gentechnikgesetz. Ich kann zwar nicht für die Bundesregierung sprechen. Aber da ich nichts anderes gehört habe, ist offenbar die Position der Bundesregierung, dass es Gentechnologie ist.
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Es gibt auch keinen Widerspruch gegen dieses Urteil.
Eine Erfahrung, die ich mit der FDP gemacht habe, ist, dass etwas aufgebaut wird, wo eigentlich die letzte Konsequenz fehlt. Ich habe das im Frühjahr 2009 schon mal erlebt. Da hat nämlich die damalige CSU-Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner die Aussaat von MON 810, einem gentechnisch veränderten Mais, verboten. Das gab heftige Proteste bei der FDP, eine Kleine Anfrage und all das Gedöns.
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Sechs Monate später waren Sie in der Regierung und aus dem lauten Rufen wurde Stille im Saal. Sie hätten es damals wenigstens auf die Tagesordnung setzen können.
Das zeigt: Wenn Sie Opposition sind, stellen Sie scharfe Forderungen auf. Wenn Sie an der Regierung sind, ist die Sache damit vergessen.
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Das kann ich Ihnen, Herr Brandenburg, nicht vorwerfen. Aber es gäbe eine Möglichkeit: Machen Sie in Nordrhein-Westfalen eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Gentechnikgesetzes. Dann können wir hier wirklich diskutieren. Das wäre mal konsequent.
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Der zweite Bereich ist die Keimbahnintervention. Das ist genau das, was wir jetzt in China erleben – wenn es denn wirklich zutrifft. Das heißt, es gibt Eingriffe in die Keimzellen, also Ei- und Samenzellen, um die Genetik an einigen Stellen so zu verändern, dass bestimmte Eigenschaften gefördert und andere verhindert werden. Die Begründung aus China war, dass man das Kind resistent gegen Aids machen wollte. Das ist aus meiner Sicht nicht nur hanebüchen – man rasiert da sozusagen eines der entscheidenden Membranproteine heraus –, sondern kann auch zu Konsequenzen für das betroffene Kind führen, die überhaupt noch nicht vorhersehbar sind, weil das Protein, das dort verändert worden ist, letztlich aus Entzündungsreaktionen bekannt ist. Die beiden Kinder, die geboren wurden, werden wahrscheinlich Einschränkungen im Hinblick auf Entzündungsreaktionen haben. Ich weiß nicht, ob das im Sinne des Erfinders ist. Das werden wir sehen. Aber es ist ein Experiment, das ich nicht für verantwortbar halte, auf Kosten zweier Menschen, die das nicht beeinflussen können und die möglichen gesundheitlichen Konsequenzen selbst tragen müssen.
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Aus dem Antrag ist nicht herauslesbar, was Sie eigentlich wollen. Sie sprechen an zwei Stellen davon, dass Sie § 5 des Stammzellengesetzes ändern wollen. Darin sind die Anforderungen festgelegt, die es ermöglichen, embryonale Stammzellen oder Stammzelllinien nach Deutschland zu importieren. Was wollen Sie dort ändern? Wollen Sie mehr mit embryonalen Stammzellen arbeiten, oder wie soll das aussehen? Keine Ahnung. Ich bin mal gespannt, welche Antworten noch kommen.
Der andere Punkt ist, dass Sie ausdrücklich erwähnen, dass Sie das Präimplantationsdiagnostik- und das Embryonenschutzgesetz den technologischen Veränderungen anpassen wollen. Sie schreiben an anderer Stelle noch, dass Sie wissenschaftliche Evidenz in die ethische Debatte einbringen wollen. Wenn ich das Ganze unter der Überschrift „Neue Verfahren in der Gentherapie“ sehe – CRISPR/Cas ist eine Genschere, mit der ich Gene oder DNA-Sequenzen verändern kann –, dann bleibt aus meiner Sicht nur der Schluss, dass Sie über das Embryonenschutz- und das Präimplantationsdiagnostikgesetz tatsächlich Keimbahninterventionen erlauben wollen, also das chinesische Modell irgendwie in Deutschland einführen wollen. Da hätte ich mir mal eine eindeutige Position der FDP gewünscht. Was wollen Sie eigentlich? Wollen Sie das, oder wollen Sie es nicht? Oder wollen Sie es über die Hintertür? Das finde ich eben auch nicht konsequent, und deswegen müssen wir das an anderer Stelle, vielleicht noch mal im Ausschuss, erörtern. Wir warten auf Ihre Einschätzung.
Der dritte Bereich ist die somatische Gentherapie, bei der es eigentlich darum geht, betroffenen Menschen durch die Infusion von veränderten Zellen zu helfen. Stephan Albani hat das ja schon ein bisschen angesprochen.
Ich habe jahrelang ein Kind, das an Muskeldystrophie Duchenne litt und mit 14 Jahren daran gestorben ist, und vor allen Dingen dessen Eltern begleitet. Der Tod ist eine sehr häufige Prognose bei dieser Erkrankung. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass wir in der Lage gewesen wären, eine Gentherapie anzuwenden, mit der das fehlende Protein – das war der Grund für die Dystrophie – stabil hätte verabreicht werden können, meinethalben auch durch ständige Impfungen oder so was. Ich sehe eigentlich niemanden in diesem Hause, der tatsächlich gegen eine solche Verfahrensweise – wenn nicht durch ein zugelassenes Medikament, so doch wenigstens als Heilversuch – wäre.
Unterschiedliche Erfahrungen mit der somatischen Gentherapie gibt es tatsächlich weltweit. Die so gepriesenen Amerikaner in den USA sind da sehr schnell vorgesprengt und haben die somatische Gentherapie mit Adenoviren durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass – ein Beispiel ist Jesse Gelsinger – eine ganze Reihe von Menschen gestorben ist. Das ist aus meiner Sicht eben auch unverantwortlich. Das kann man nicht machen.
Stephan Albani hat dankenswerterweise einen Artikel in „Nature Medicine“ von vorletzter Woche erwähnt. Man hat – es wird darauf hingewiesen, dass Cas9 in der Natur vorkommt, was dazu führt, dass wir das Bakterium kennenlernen – tatsächlich festgestellt, dass bei gesunden Probanden sowohl eine Antikörper- als auch eine zellvermittelte Immunität in dem Moment auftreten, indem man ihnen solche durch Genschere behandelten Zellen verabreicht. Es geht darum, bei solchen Verfahren sicherzustellen, dass sie nicht zum Schaden, sondern zum Nutzen des Patienten wirken.
Wenn ich das alles bilanziere, muss ich sagen: Ihr Antrag ist bei den wesentlichen und zentralen ethischen Fragen völlig unpräzise und lässt große Fragezeichen stehen.
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An den anderen Stellen sind wir uns einig. Wir sagen: Für uns ist die Patientensicherheit viel wichtiger als der Glaube, man müsse den Fortschritt deutlich beschleunigen.
Deswegen, glaube ich, kann man schon jetzt sagen, dass Ihr Antrag in dieser Frage auch im Ausschuss keine gute Perspektive haben wird.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Röspel. – Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort die Kollegin Dr. Petra Sitte, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, es ist wohl so: Als vor sechs Jahren die neue Genschere CRISPR/Cas9 entwickelt wurde, hat kaum jemand von uns geahnt, welche neuen Fenster für gentherapeutische Anwendungen sich auftun würden – insbesondere in der Medizin. Natürlich hoffen viele, wie das hier schon angedeutet worden ist, dass bislang gar nicht behandelbare Krankheiten und auch Krankheiten, für die bisher nur andeutungsweise ein solches Fenster geöffnet werden konnte, behandelt werden können.
Gentherapeutische Medikamente, beispielsweise zur Behandlung der Blutererkrankung, hochaggressiver Formen der Leukämie oder des Non-Hodgkin-Lymphoms, sind entwickelt worden. Die somatische Gentherapie ermöglicht nun die Gentransplantation in Körperzellen und eben auch die Abschaltung von Genen. Mir scheint – insbesondere auch mit Blick auf viele Diskussionen hier im Haus –, dass sich gerade bei monogenetischen Erkrankungen – also Erkrankungen, die auf nur ein Gen zurückzuführen sind – ein neues Fenster auftun könnte. Ich denke, wie auch René Röspel gerade gesagt hat, dass das hier in diesem Haus kaum umstritten sein dürfte. Und ich gehe sogar davon aus, dass wir dafür nicht mal Gesetze ändern müssten.
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Aber obwohl ich der Thematik aufgeschlossen gegenüberstehe, finde ich den Antrag wenig hilfreich. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ich muss schon sagen: Mit der Holzkeule und ohne eine nähere Begründung wird die Änderung von Gesetzen wie dem Embryonenschutzgesetz und dem Präimplantationsdiagnostikgesetz oder der Leitlinien der Zentralen Ethikkommission der Stammzellenforschung gefordert. Genau zu diesen Themen haben wir hier im Haus umfangreiche bioethische Debatten geführt, und wir haben mit der gesellschaftlichen Öffentlichkeit diskutiert.
Ich bin sehr dafür, in der Diskussion zu bleiben – auch wieder über Fraktionsgrenzen hinweg –, aber ich sehe derzeit wesentlich mehr Fragen, und ich finde, wir haben erheblichen Klärungsbedarf, sodass man das nicht sozusagen schlankweg unter den Punkten 21 und 22 fordern kann.
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Die Forderung des Deutschen Ethikrates, internationale Vereinbarungen zu treffen – wie vorhin schon angedeutet –, sollte eben nicht, wie in Ihrem Antrag geschrieben, durch nationale Alleingänge vom Tisch gewischt werden. Erst vorgestern – das haben alle Kollegen hier erwähnt – ist bekannt geworden, dass in China Änderungen am Erbgut zweier Embryonen in einem frühen embryonalen Stadium vorgenommen wurden und dass das Zwillingspärchen nunmehr über die Eigenschaft verfügen soll, sich nicht mit HIV infizieren zu können.
Was mich in dieser Debatte vor allem beruhigt hat, ist, dass selbst in der chinesischen Community eine scharfe Kritik an dieser Praxis geübt worden ist und dass 122 chinesische Wissenschaftler diese Kritik in einem Protestbrief zum Ausdruck gebracht haben. Ich zitiere:
Aber die potenziellen Risiken und Schäden für die gesamte Menschheit, die durch einen ungerechtfertigten Einsatz des Verfahrens in der Zukunft entstehen können, sind unermesslich.
Darin sind wir uns hier einig. Wir wissen zu wenig über das Zusammenspiel von Genen, und deshalb glaube ich, dass wir auch hier darüber zu reden haben. Keimbahninterventionen sind in Deutschland nach wie vor nicht zulässig.
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Anders als bei der somatischen Gentherapie wird hier eben in das vererbbare Erbgut eingegriffen.
Wir sind auch verantwortlich für nachfolgende Generationen, und deshalb müssen wir die verschiedenen Perspektiven übernehmen – sowohl die der Erkrankten und ihrer Familien als auch die der Wissenschaftler bezogen auf die Forschungsfreiheit. Es geht aber auch um Rahmenbedingungen bis hin zu kartellrechtlichen Fragen, was die spätere Nutzung der einzelnen Behandlungsmöglichkeiten angeht.
Frau Sitte, kommen Sie bitte zum Schluss.
Jawohl. – Darüber haben wir im Ausschuss zu diskutieren – offen und ideologiefrei. Sie schreiben ja, dass man das ideologiefrei tun soll. Ganz bestimmt, aber eben nicht wertefrei!
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Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache, aber nicht, ohne mich ausdrücklich bei dem Kollegen Dr. Wolfgang Stefinger, CDU/CSU-Fraktion, und der Kollegin Dr. Anna Christmann, Bündnis 90/Die Grünen, zu bedanken, die ihre Reden zu Protokoll gegeben haben.
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Ich darf zudem darauf hinweisen, dass wir erstens den neuen Tag begrüßen – es ist der 30. November 2018 –
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und dass wir es zweitens mit etwas Disziplin schaffen könnten, kurz nach 1 Uhr fertig zu sein. Deshalb werde ich sorgfältig darauf achten, dass die Redezeiten nicht überschritten werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/5996 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden hier über eine EU-Richtlinie, die die Anlagen betrieblicher Altersversorgung regeln soll. Die Vermögenswerte und Anlageentscheidungen sollen insbesondere nachhaltige ökologische und soziale Faktoren berücksichtigen. Das klingt ja ganz gut. Doch schauen wir etwas genauer hin.
Hätten wir vor wenigen Jahren gemäß dieser EU-Richtlinie in vorgeblich nachhaltige Branchen investiert, so wären wir zu folgenden möglichen Investitionsentscheidungen gekommen: Wir hätten in die Solon SE, in die Q-Cells SE, in First Solar, in Solarworld, in die WindSolar AG, in die Innovative Windpower AG und in viele mehr investieren können. Alle diese Investitionen wären nachhaltig schiefgegangen.
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Die EU will Investitionen durch Richtlinien lenken, übernimmt im Falle von Fehlentscheidungen und Fehlschlägen aber nicht die Verantwortung; sie zahlt also nicht die Verluste. Deswegen hat sich die EU aus den Anlageentscheidungen für die Altersvorsorge gefälligst herauszuhalten.
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Wir sagen: Wer Verantwortung trägt, darf nicht gegängelt werden, sondern muss zwingend entsprechende Freiräume haben.
Was die EU-Kommission praktizieren will, ist eine ideologisch geprägte Planwirtschaft. Durch Richtlinien soll Kapital nach politischer Opportunität gelenkt werden. Nein, eine verantwortungsvolle Altersvorsorge für Millionen von Menschen ist auf ideologischer Basis nicht zu bekommen und deswegen ungeeignet.
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Es kommt aber noch schlimmer. Die Richtlinie enthält nämlich eine Blackbox in Form von Begriffen, die nicht eindeutig definiert sind. Was mit diesen Begriffen genau gemeint ist, sollen wir erst später erfahren. Wir sollen also ein Gesetz mittragen, dessen Inhalt uns gar nicht bekannt ist. Eine solche Blankounterschrift wäre grob fahrlässig und ist deswegen ebenso abzulehnen.
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Ich erinnere daran, dass die Anlagen für erneuerbare Energien ohne Subventionen oftmals nicht rentabel sind. Dient eine solche Anlage als Altersvorsorge, dann zahlt sich der Anleger, der ja zugleich auch Steuerzahler und Stromabnehmer ist, seine Rendite praktisch selbst. Wissen Sie, was das ist? Das ist eine Münchhausen-Geschichte.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Hollnagel. – Als Nächstes der Kollege Dr. Carsten Brodesser, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren vor den Bildschirmen!
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Es wird nicht mehr übertragen, Herr Dr. Brodesser.
Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Richtlinie über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung, kurz „EbAV II“ genannt, ist weiß Gott kein Tagesordnungspunkt in dieser Bundestagssitzung, der viel Attraktives verspricht. Ich kann aber all diejenigen beglückwünschen, die, anstatt „The Voice of Germany“ auf Pro7 zu sehen, jetzt Phoenix eingeschaltet haben; denn hinter diesem sperrigen Titel verbergen sich viele Regelungen, die eine wichtige Leistung vieler Millionen Menschen in Europa transparenter, sicherer und effektiver gestalten werden.
Es geht um die sogenannte zweite Säule der Altersvorsorge, nämlich die betriebliche Altersvorsorge, die die gesetzliche Rente ergänzt und so zu einer besseren Versorgung im Alter beiträgt. Allein in Deutschland sind 136 Pensionskassen und 31 Pensionsfonds auf dem Markt tätig; sie werden von dieser gesetzlichen Regelung tangiert. Von diesen Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge profitieren sage und schreibe 9,55 Millionen deutsche Bürgerinnen und Bürger.
Doch nicht nur in Deutschland spielen Pensionskassen und Pensionsfonds eine wichtige Rolle bei der Altersvorsorge. Auch in anderen Ländern Europas sind die Leistungen der Pensionskassen und Pensionsfonds ein zentraler Pfeiler in der Ruhestandsplanung. Nimmt man das Volumen der verwalteten Kapitalanlagen zum Maßstab, so dominieren Deutschland, Großbritannien, die Niederlande und die Schweiz dieses Segment. Nimmt man hingegen die bloße Anzahl der Einrichtungen als Maßstab, so sind Irland und Frankreich bedeutend, da sie 94 Prozent aller Einrichtungen beheimaten.
Wir sehen also, dass nicht nur das Thema inhaltlich komplex ist, sondern auch die jeweiligen Marktgegebenheiten in Europa sehr heterogen sind: einige große Einrichtungen hier, viele kleine Einrichtungen dort. Es liegt also auf der Hand, dass es in einem zusammenwachsenden Europa Mindeststandards bei der Beaufsichtigung von EbAVs geben sollte.
Der demografische Wandel und das anhaltende Niedrigzinsumfeld sind weitere wichtige Faktoren, die das Geschäft der Pensionskassen und Pensionsfonds nachhaltig belasten und eine stärkere Beaufsichtigung rechtfertigen.
In vielen Bereichen der Finanzaufsicht ist die EU seit Ausbruch der Finanzkrise eng zusammengerückt, und das ist auch gut so. Daten zu möglichen Risiken werden heute sehr viel systematischer gesammelt und geprüft und führen letztendlich auf europäischer Ebene zu einer besseren und sichereren Aufsicht als zuvor. In allen Regulierungsvorhaben gilt der Ansatz: Wer regelt was für wen?
So einfach dieser Ansatz ist, so differenziert müssen wir uns bei jedem neuen Regulierungsvorhaben anschauen, welche Vor- und Nachteile im Raum stehen und was notwendig ist und was nicht.
EIOPA, die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, möchte gerne die Aufsicht über die betrieblichen Einrichtungen unter ihrem Dach vereinen. Aufgrund der unterschiedlichen Ausprägungsgrade der EbAVs in einigen EU-Ländern ist es wichtig und richtig, dass wir im Rahmen dieses Gesetzesvorhabens nur eine Mindestharmonisierung anstreben und dabei Spielraum lassen für nationale Besonderheiten in der Aufsicht und im Arbeits- und Sozialrecht.
Im Rahmen des anstehenden Gesetzgebungsverfahrens geht es im Wesentlichen um die Fragen der Informationspflichten gegenüber EIOPA und der Bewertung von Risiken. Es gab von vielen Marktakteuren, insbesondere bei der öffentlichen Anhörung, Rückmeldungen zu diesem Thema, die insbesondere überbordende Kosten und finanzielle Risiken aus falschen Risikobewertungen auf sich zukommen sahen. Diese Sorgen muss man ernst nehmen, und das haben wir auch getan.
Die Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung sind Institutionen mit einer langen Tradition. Sie dienen einem sozialen Zweck und werden zum Wohle der Angestellten von den Tarifpartnern gesteuert. Sie unterscheiden sich damit fundamental von gewinnmaximierenden Finanzkonzernen. Sie sind weder börsennotiert, noch haben sie Gewinnabführungsverträge, noch zahlen sie große Managerboni. Es ist also richtig, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nur eine europäische Mindestharmonisierung anstreben. Wir haben damit einen wichtigen Schritt getan, um sichere und europaweit anwendbare Standards zu definieren, und somit diesem Thema auf europäischer Ebene die notwendige Bedeutung gegeben, die es verdient.
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Inhaltlich konnten wir Sorgen ausräumen, dass durch das Gesetz falsche Anreize entstehen und letztendlich unnötige finanzielle Risiken zu falschen strategischen Entscheidungen führen. Unsere nationalen Aufsichtsbehörden sind natürlich weiterhin im Prozess der europäischen Aufsicht verzahnt und werden nur die europäischen Regeln zur Anwendung bringen, die sinnvoll für unser Altersversorgungssystem der zweiten Säule sind. Ein starkes Zeichen also, dass die gewachsenen Besonderheiten in diesem Bereich respektiert und geschützt werden!
Im Endergebnis haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Deutschland und Europa im Bereich der Altersvorsorge sicherer machen wird. Wir stärken die Aufsicht, bewahren den nationalen Charakter der Altersvorsorge und erhöhen die Transparenz gegenüber Versorgungsanwärtern und Leistungsempfängern. Wir bringen somit Europa einen Schritt weiter nach vorne und bewahren gleichzeitig das wichtige Subsidiaritätsprinzip. Insofern bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit trotz später Stunde.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Brodesser. – Und nun Frank Schäffler, FDP-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Dieser Gesetzentwurf wird in einem Umfeld beraten, in dem es betriebliche Altersversorgungseinrichtungen in Europa schwerhaben. Sie haben es schwer, weil das Niedrigzinsumfeld der EZB dazu führt, dass Altersversorgungseinrichtungen es generell schwerhaben, die notwendigen Erträge zu erwirtschaften.
Sie haben es aber auch schwer, weil staatliche Ebenen diese Einrichtungen mit immer mehr Bürokratie belasten und überfrachten.
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An dieser Stelle ist es wichtig, zu betonen, dass diese Regierung es versäumt hat, hier Freiräume für die nationalen Versorgungseinrichtungen zu schaffen. Mit der Umsetzung der EbAVs-Richtlinie wird dafür gesorgt, dass die betrieblichen Altersversorgungseinrichtungen in Deutschland zusätzlich mit Bürokratie überfrachtet werden; denn hier wird eine Vollharmonisierung durch die Hintertür betrieben, die dazu führen wird, dass die deutschen betrieblichen Altersversorgungseinrichtungen künftig noch stärker mit Bürokratie belastet werden.
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Sie haben es als Regierung versäumt, in diesem Gesetzentwurf die notwendigen Bremsen einzurichten. Wir haben im Gesetzgebungsverfahren versucht, die Bedenken, die die Branche geäußert hat, mit aufzunehmen. Sie haben das schlicht ignoriert, und das ist eigentlich ein Skandal, auch für die Altersversorgungseinrichtungen in Deutschland.
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Sie haben die Bedenken, die der Bundesrat formuliert hat, gänzlich ignoriert. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme deutlich gemacht, dass nur 1,01 Prozent der Leitlinien, die die EIOPA, die Europäische Versicherungsaufsicht, erlässt, von der BaFin nicht umgesetzt werden. Die BaFin ist letztendlich ein Erfüllungsgehilfe dieses Bürokratiemonsters, und dafür tragen Sie die Verantwortung.
Die Solvency-II-Verfahren mit über 5 000 Seiten Standards werden künftig sehr wahrscheinlich auch auf die betrieblichen Altersversorgungseinrichtungen angewandt werden, und das wird dazu führen, dass die Kosten dieser Einrichtungen weiter steigen, was am Ende zulasten der Versicherten geht, die dann sehr wahrscheinlich weniger an Rente beziehen werden. Deshalb ist das ein Skandal.
Lassen Sie mich mit meinem Kollegen Karlheinz Busen schließen, der gesagt hat: Das betrifft auch Einrichtungen wie das Warenhaus Lafayette und andere mittelständische Unternehmen in Deutschland, und deshalb sollten wir das alles möglichst verhindern.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege Schäffler. – Die Kollegen Matthias W. Birkwald, Die Linke, Dr. Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen, und Sebastian Brehm, CDU/CSU, haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.
({0})
Ihnen gebührt mein besonderer Dank.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/2341 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2016 über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/6135, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 19/4673 und 19/5418 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP- und der AfD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Gesetzentwurf in der dritten Beratung und Schlussabstimmung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion der AfD bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen nun zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/6166.
({1})
– Graf Lambsdorff, was bedeutet der Finger?
({2})
– Dazu brauchen Sie Ihren Finger? Wissen sie das nicht von alleine?
({3})
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag der Fraktion der FDP? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich?
({4})
– Sie müssen sich jetzt schon entscheiden. Die Hälfte Ihrer Fraktion hat sich gerade enthalten.
({5})
Ich wiederhole die Abstimmung. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der FDP- und der AfD-Fraktion gegen die Stimmen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linken abgelehnt.
Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Zu sehr später Stunde beraten wir heute über einen feuchten Traum der Linken.
({0})
Ihr Antrag will den langen Marsch durch die Institutionen, den die Sozial- und Kulturrevolutionäre des Jahres 1968 begonnen haben, mit einem Rudi-Dutschke-Stipendium für kritische Sozialwissenschaften krönen, gewissermaßen symbolisch besiegeln. Es wäre natürlich der ultimative Triumph der Kulturrevolution von 68, wenn sie das von ihr so bezeichnete „Schweinesystem“ dazu bringen könnte, ein Stipendium zu stiften, das nach jemandem benannt ist, der diesen Staat und seine Institutionen, die er faschistisch nannte, zerstören wollte.
({1})
Den Staat zu zwingen, seine Verächter zu prämieren – Deutschland schafft sich intellektuell ab –: Das ist die wahre Absicht Ihres Antrags. Diesen Gipfel von Staatsverhöhnung werden wir Ihnen aber nicht durchgehen lassen, werte Genossen.
({2})
Als im Mai 1968 Geborener rätsele ich ja immer noch über den Sinn dieses symbolisch aufgeladenen Geburtsdatums. Ich glaube, er liegt in einem Auftrag zur Konterrevolution.
({3})
Der Antrag der Linken singt ein Loblied der 68er-Bewegung und tut so, als hätte es der „Ho, Ho, Ho Chi Minh“ brüllenden Studenten bedurft, um gesellschaftliche Modernisierung und Demokratisierung in der Bundesrepublik Deutschland einzuführen.
({4})
Das ist eine dreiste Geschichtsklitterung,
({5})
die völlig unterschlägt, dass von der 68er-Studentenbewegung ein direkter Weg zum Terror und zu den Morden der RAF führt.
({6})
Und es ist natürlich auch historisch falsch, den Studentenführer und Möchtegernrevolutionär Rudi Dutschke als eine Art sanften Friedensengel darzustellen.
({7})
Dutschke setzte sich immer für die deutsche Einheit ein; das ist ihm immerhin zugutezuhalten.
({8})
Wie hielt er es aber mit der Gewalt? Originalton Dutschke – ich zitiere –:
Die volle Identifikation mit der Notwendigkeit des revolutionären Terrorismus … in der Dritten Welt ist unerlässliche Bedingung für die Entwicklung der Formen des Widerstandes bei uns, die im Wesentlichen gewaltsamen Charakter tragen.
({9})
Abmildernd fügt er noch hinzu:
Aber ohne diesen schlimmen Aspekt des Hasses und des revolutionären Terrors.
({10})
Ein Terrorismus der Liebe schwebte ihm vielleicht vor; man kennt das ja von den Linken. DDR-Stasichef Erich Mielke liebte doch bekanntlich auch alle Menschen, nicht wahr?
({11})
Zu diesem Gewaltbekenntnis passt, dass Dutschke am Grab des RAF-Terroristen Holger Meins mit erhobener Faust ausrief: Holger, der Kampf geht weiter! – Das ist das, was Jürgen Habermas zu Recht „Linksfaschismus“ genannt hat, meine Damen und Herren.
({12})
Vor diesem linksfaschistischen Hintergrund will das Dutschke-Stipendium – ich zitiere – „Studierende und Promovierende dabei unterstützen, durch ihr wissenschaftliches Arbeiten und ihr gesellschaftliches Engagement positive Beiträge gegen alle Formen des Chauvinismus, von Unterdrückung und Ausbeutung sowie ideologischer und gesellschaftlicher Ausgrenzung und Abschottung zu leisten“.
({13})
Mit anderen Worten: Es soll staatlich finanzierte Prämien für politisch korrekte Elaborate im linksradikalen Sinn geben, die die gute Gesinnung im Kampf gegen rechts an den Tag legen –
({14})
wobei für die Linke schon alles rechts ist, was in der vernünftigen bürgerlichen Mitte steht.
({15})
Und Sie bemühen sich hier nicht einmal, Ihre wahren ideologischen Absichten durch den Verweis etwa auf wissenschaftliche Qualitätskriterien zu verschleiern. Sie stellen sie ganz offen zur Schau. Es ist nur folgerichtig, dass das Stipendium für kritische Sozialwissenschaften vergeben wird, eine Disziplin, der die ideologische Kontaminierung schon im Titel eingeschrieben ist.
({16})
Objektive Maßstäbe für Kritik gibt es nicht. Kritik ist immer abhängig von einer vorgängigen Werteorientierung. Und wie die in Ihrem Falle aussieht, lernt man am besten von Herbert Marcuse, dem geistigen Ziehvater von Rudi Dutschke und Protagonisten der kritischen Theorie.
Nach Marcuse bedeutet „befreiende Toleranz“ in schöner Offenheit „Intoleranz gegenüber Bewegungen von rechts … und Duldung von Bewegungen von links“.
({17})
Die parteiische Toleranz verlange – Zitat –, „dass Gruppen und Bewegungen die Rede- und Versammlungsfreiheit entzogen wird, die eine aggressive Politik, Aufrüstung, Chauvinismus und Diskriminierung aus rassischen und religiösen Gründen befürworten oder sich der Ausweitung öffentlicher Dienste, sozialer Sicherheit, medizinischer Fürsorge usw. widersetzen“.
({18})
Kritik an der Massenmigration, am Islam oder am ausufernden Sozialstaat wäre demnach verboten, meine Damen und Herren.
Der Antrag der Linken atmet diesen zutiefst antiliberalen, latent totalitären Geist,
({19})
nur dass seit dem Scheitern der 68er-Revolution mit ihren terroristischen Ausläufern und seit dem Ende des real existierenden Sozialismus Die Linke von revolutionärer Rhetorik auf einen pseudostaatstragenden Diskurs umgestellt hat. Leider sind ihr viel zu viele Bürgerliche dabei auf den Leim gegangen –
Bitte kommen Sie zum Schluss.
– ich komme zum Schluss – und lassen sich als nützliche Idioten einspannen, die die Kulturrevolution von 1968 vollenden.
({0})
Mit dem Auftreten der AfD hat die Demaskierung der Linken und ihrer hohlen Phrasen begonnen.
({1})
Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade das Wort entzogen, weil Sie meiner Aufforderung, zum Schluss zu kommen, nicht Folge geleistet haben.
({0})
Wir lehnen diesen Antrag selbstredend ab.
({0})
Als Nächster spricht zu uns der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie nach diesem abgründigen Beitrag drei Gedanken an Rudi Dutschke.
({0})
Der erste Gedanke bezieht sich auf unseren Umgang mit dem, was 1968/69 in Deutschland und in der Welt passiert ist. Das war im Wesentlichen – um das auf den Punkt zu bringen –, dass die Unkultur des Gehorsams gebrochen wurde.
({1})
Dies hat zu wichtigen Impulsen für Frieden, Gerechtigkeit und Umweltvorsorge geführt. Das hat auch zu Partizipation, Weltverantwortung und Menschlichkeit beigetragen. Gretchen Dutschke, die sich in ihrem 2018 erschienen Buch „1968: Worauf wir stolz sein dürfen“ an damals erinnert, verschweigt nicht – weil sie nicht dogmatisch verblendet ist –,
({2})
was damals durch autoritätsgläubiges Sektierertum, anmaßendes Auftreten und auch durch Gewalt geschehen ist und was das Bild der 68er so gestaltet hat, dass wir keinen Grund haben, es auf einen Sockel zu stellen, auch nicht auf den Sockel eines Stipendiums. Wir haben vielmehr zu diskutieren, zu reflektieren und zu bewerten, was dort als neue Kultur in der Folge von freiem Denken und der Suche nach Freiheit und Glück entstanden ist. Das ist der erste Gedanke.
({3})
Der zweite Gedanke. Lernunfähigkeit und Egozentrik gibt es auf Ihrer Seite, meine Damen und Herren von der AfD, nicht zu knapp. Das hat es bei Rudi Dutschke nicht gegeben.
({4})
Bei Rudi Dutschke hat es Irrtümer gegeben. Es hat bei Rudi Dutschke eine Weiterentwicklung im Denken gegeben.
({5})
Es hat bei Rudi Dutschke auch eine andere Wahrnehmung gegeben – die Grünen wissen das seit ihrem Bremer Parteitag – und ein erneutes Heranrobben an Basisdemokratie als Ausdruck eines anderen Verständnisses von Parlamentarismus. Auch dies haben wir zu bewerten, genauso wie die Tatsache, dass sich Rudi Dutschke sicherlich nicht – weil er sich als Teil einer Bewegung der Gleichgesinnten sah – Anfechtungen wegen Heldenverehrung oder Egozentrik ausgesetzt sah. Sein großer Biograf hat in seinem Buch „Rudi Dutschke“ zum Schluss geschrieben: „Rudi Dutschke lebt hier nicht mehr – Gegen unbefugte Vereinnahmungen“. Auch dies ein Gedanke zu Rudi Dutschke.
({6})
Der dritte Gedanke betrifft die Wissenschaft. Was die damalige Bewegung in die deutsche Diskussion eingebracht hat, war auch Ausdruck eines anderen Wissenschaftsverständnisses. Es war emanzipatorisch und kritisch gerade im Hinblick auf die Sozialwissenschaften. Es hinterfragte Interessen, stellte vermeintliche Objektivität infrage und stellte sich dem wissenschaftlichen Streit.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Es war ein gutes Streben nach Wissenschaft in Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Es war ein Streben danach, Wissenschaft kritisch, plural und wertegebunden zu betreiben. Aber es gab nicht die Vorstellung, –
Herr Kollege, noch einen Satz.
– dass der Wissenschaft diese Qualitäten staatlich verordnet werden sollten.
({0})
Auch das ist eine Antwort auf die Forderung nach einem Staatsstipendium.
({1})
Frau von Storch, ich fand Ihre Bemerkung – – Herr Kollege Rossmann, Sie hört keiner mehr. Ich habe Ihnen gerade das Wort entzogen.
Das war der dritte Gedanke zu Dutschke.
Danke schön.
({0})
Der Kollege Dr. Jens Brandenburg hat seine Rede zu Protokoll gegeben, wofür wir ihm danken.
({0})
Die Kollegin Nicole Gohlke, Fraktion Die Linke, ist die nächste Rednerin.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die politische Bewegung des Jahres 1968 hat einen Prozess der politischen und kulturellen Erneuerung in Gang gesetzt, von dem unsere Gesellschaft bis heute profitiert.
({0})
Vieles, was uns heute ganz selbstverständlich erscheint, wurde durch die 68er und die Folgezeit erkämpft und erstritten. Es ist höchste Zeit, dass auch der Deutsche Bundestag diesen gesellschaftlichen Fortschritt und den Einsatz der 68er-Generation für Emanzipation und Selbstbestimmung würdigt.
({1})
Zum Beispiel die Auflehnung gegen die rückwärtsgewandte Epoche der Nachkriegszeit. Die Revolte von 1968 richtete sich gegen die unsägliche Haltung, einfach einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung der Gräuel der Nazizeit zu ziehen, und legte die Kontinuitäten in der Gesellschaft im Hinblick auf die NS-Diktatur offen, wie sie gerade in der Professorenschaft und im Beamtenapparat bestanden haben. Der Kampf für Frauenrechte und Gleichberechtigung wurde durch die 68er zu einem dauerhaften politischen Thema.
({2})
Seit 1977 brauchen Ehefrauen nicht mehr das Einverständnis ihres Mannes, um arbeiten zu gehen, und sind nicht mehr gesetzlich verpflichtet, den Haushalt zu führen. Das war nämlich bis dahin die geltende Gesetzeslage in der Bundesrepublik. 1997 wurde endlich die Vergewaltigung in der Ehe zu einem Straftatbestand, nach Kämpfen, die in den frühen 70er-Jahren angefangen haben. Dafür gebührt ihnen unser Respekt.
({3})
Die Liste der politischen Erfolge geht weiter. Weil sich die 68er für antiautoritäre Erziehungsstile eingesetzt haben, wurde 1973 endlich die Prügelstrafe abgeschafft.
({4})
Wegen der Umweltbewegung existiert heute das Wissen – natürlich mit Ausnahme am rechten Rand des Hauses –, dass der Klimawandel nicht einfach ein Naturereignis ist. Weil die damalige Generation den Mut hatte, sich mitten im Kalten Krieg für Abrüstung einzusetzen, gibt es bis heute in der Gesellschaft eine klare Haltung gegen Krieg, gegen Auslandseinsätze und gegen Rüstungsexporte. Für diese Haltung und für dieses Bewusstsein sollten wir dankbar sein.
({5})
Es wird Zeit, dass der Deutsche Bundestag die Errungenschaften der 68er-Generation ehrt. Deswegen beantragt Die Linke, ein Rudi-Dutschke-Stipendium einzurichten, mit dem Studierende der Sozialwissenschaften gefördert werden, die emanzipatorische und kritische Theorieansätze verfolgen.
({6})
Es sind nämlich vor allem die kritischen Ansätze und die kritischen Studiengänge gewesen, die unter dem neoliberalen Umbau der Hochschulen und unter der Fixierung auf Wettbewerbsfähigkeit und Vermarktung zu leiden hatten. Das ist wirklich eine beängstigende Entwicklung; denn auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit braucht es ein Mehr an kritischem Geist. Es braucht die Förderung des Geistes und der Sozialwissenschaften.
({7})
Wir schlagen vor, für das Rudi-Dutschke-Stipendium die Mittel des Deutschlandstipendiums umzuwidmen.
({8})
Denn nach acht erfolglosen Jahren Deutschlandstipendium wollen wir die Mittel endlich sinnvoll einsetzen, und zwar zur Förderung des kritischen Denkens.
({9})
Denn eines ist doch klar: Eine Demokratie, die nicht nur einfach marktkonform sein will, sondern auch widerstandsfähig sein will, wenn rechte Hetzer die Beschränkung von Demokratie und Vielfältigkeit fordern, braucht Kritik und Reflexion. Nur Methodenvielfalt sichert echte Erkenntnisse der gesellschaftlichen Verhältnisse. Gesellschaftlicher Fortschritt ist nur möglich, wo das Bestehende auch hinterfragt wird.
({10})
Lassen Sie uns der Generation von 1968 Respekt zollen, indem wir den kritischen Geist fördern an den Hochschulen und in der Gesellschaft.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank, Frau Kollegin Gohlke. – Euphorische Zustimmung bei der Linken, wie es nicht anders zu erwarten war.
Der Kollege Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen, die Kollegin Katrin Staffler, CDU/CSU-Fraktion, und der Kollege Dr. Karamba Diaby, SPD-Fraktion, haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.
({0})
Damit ist die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Einführung eines Rudi-Dutschke-Stipendiums für kritische Sozialwissenschaften“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/6170, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/2591 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und den Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der anderen Fraktionen des Hauses diese Beschlussempfehlung angenommen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der AfD lehnt – das wissen Sie – die Ehe für alle und alle damit verbundenen Gesetzesanpassungen ab. Die Begründung ist denkbar einfach. Da sie aber vom Kollegen Kahrs und von anderen nicht verstanden wurde, erkläre ich es gerne noch einmal.
({0})
Was habe ich in meiner letzten Rede dazu gesagt? Ich habe davon gesprochen, dass die Väter unseres Grundgesetzes im Gegensatz zu Linken- und Grünen-Politikern den Fortbestand unserer Nation nicht nur für etwas Erstrebenswertes, sondern für ein herausragendes Staatsziel gehalten haben. Ich habe davon gesprochen, dass die Voraussetzung für den Fortbestand einer Nation eine ausreichende Zahl von Nachkommen ist, Nachkommen, die wie wir wissen, nur aus der Verbindung von Mann und Frau hervorgehen.
({1})
Ich habe versucht, verständlich zu machen, dass dies der Grund dafür ist, dass nicht die Ehe zwischen irgendwem, sondern die Ehe zwischen Mann und Frau eine besondere Bedeutung hat, woraus sich staatliche Förderung und besondere Rechte ableiten lassen. Ich habe aber auch unmissverständlich klargemacht, dass es niemanden, aber wirklich niemanden gibt, der Anstoß daran nimmt, wenn schwule oder lesbische Paare ein anderes Lebensmodell bevorzugen, das aber gleiche Rechte nur derjenige einfordern kann, der auch die gleichen Leistungen für die Gesellschaft erbringt.
({2})
An dieser Stelle kam dann der Zwischenruf von Herrn Kahrs, das alles sei rechtsradikaler Unsinn. Da Herr Kahrs solche Begrifflichkeiten schon häufiger in dieser unreflektierten Weise verwendet hat, lautet meine Antwort wie folgt:
Erstens. Wenn man einer Partei angehört, deren Mitglieder teilweise offen mit der linksradikalen Antifa oder der Interventionistischen Linken zusammenarbeiten, einer Organisation, die zu Recht vom Verfassungsschutz beobachtet wird, sollte man mit Begriffen wie „radikal“ nicht ganz so inflationär umgehen. Der Verfassungsschutz könnte nämlich jederzeit auf die Idee kommen, sich diese Verflechtungen etwas näher anzusehen, was im Übrigen längst fällig wäre.
({3})
Zweitens. Wenn ich sage, dass die Ehe zwischen Mann und Frau deshalb den Status des Besonderen hat, weil nur aus ihr die Nachkommen entstehen, die den Fortbestand unserer Nation sichern, und wenn Herr Kahrs dann sagt, das sei Unsinn, dann bleibt mir nur der eine Rat: Herr Kahrs, schließen Sie sich doch einmal am nächsten Wochenende mit Ihrem Mann im Schlafzimmer ein, und versuchen Sie, neues Leben zu zeugen.
({4})
Wenn Ihnen das gelungen ist, dann lassen Sie es mich wissen.
({5})
Ich werde dann öffentlich alles zurücknehmen, was ich je zu diesem Thema gesagt habe.
({6})
Ich ahne allerdings, dass bei diesem Versuch nicht sehr viel herauskommen wird.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Vielen Dank.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen Sie einfach zur Ruhe. Auch die AfD muss zur Kenntnis nehmen, dass die Ehe für alle Gesetz ist. Wir sind es doch gewohnt, uns an Gesetze zu halten.
({0})
Als Nächstes spricht zu uns der Kollege Axel Müller, CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich sollte diese Rede zu Protokoll gegeben werden. Aber nach dem, was Sie gerade gebracht haben, Herr Ehrhorn, geht das einfach nicht.
({0})
Ich habe schon einmal zu diesem Thema nach Ihnen gesprochen, und ich habe Ihnen schon damals ins Stammbuch schreiben lassen, dass das Fass, das Sie heute wieder aufmachen, zu ist. Aber Sie verstehen es nicht und akzeptieren eine demokratische Beschlusslage nicht.
({1})
Gleich ob man für oder gegen die Ehe für alle ist: Dieses Parlament hat mehrheitlich beschlossen, ab 1. Oktober 2017 die Ehe für alle einzuführen.
({2})
Dem haben Sie sich unterzuordnen, auch wenn Ihnen das schwerfällt. Sie, die Sie das ganze Jahr von Disziplin und Ordnung sprechen, sind offenbar nicht in der Lage, demokratische Spielregeln zu akzeptieren.
({3})
Neben zahlreichen, im Wesentlichen nur redaktionellen Anpassungen im Abgabenrecht, im Steuerrecht und im Strafrecht sowie im Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit sieht nunmehr das Bürgerliche Gesetzbuch die notwendigen redaktionellen Änderungen vor, die aus dem Beschluss vom 1. Oktober 2017 hervorgegangen sind.
({4})
Das betrifft im Wesentlichen zwei Punkte: Das Gesetz zielt auf Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ab. Diese zwei Punkte werden erreicht, insbesondere durch eine Novellierung des Lebenspartnerschaftsgesetzes. Im Lebenspartnerschaftsgesetz betrifft das die zentralen Normen in § 20a und im ehemaligen § 21. Hier ist eine Generalklausel verfasst, die vorsieht, dass alle Lebenspartnerschaftsverträge im Falle einer Änderung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe weiterhin Gültigkeit haben. Die Notare werden das nicht so sehr begrüßen, weil die Lebenspartnerschaftsverträge nunmehr nicht mehr neu notariell beurkundet werden müssen. Die Rechtswirkung geschieht ex tunc, also von Anfang an, rückwirkend zum Zeitpunkt des Abschlusses des Lebenspartnerschaftsvertrages.
Der einzige Wermutstropfen, den die gesetzliche Novelle enthält – das will ich nicht verschweigen –, betrifft Lebenspartnerschaften, die vor dem 1. Januar 2005 geschlossen wurden. Zu diesem Zeitpunkt galten viele Normen, die die Lebenspartnerschaft einer Ehe rechtlich gleichstellen, noch nicht.
({5})
– Den Film „Der Untertan“ habe ich mir vorher angeguckt, aber eher mit Blick auf meine morgige Rede. Da werden Sie noch etwas vom „Untertan“ hören, mit Ihrem ewigen Nationalismus, mit dem Sie meinen dieses Land als Geisel nehmen zu können.
({6})
Ich komme auf die Ehe für alle und auf den von mir genannten Wermutstropfen zurück. Es gibt also Lebenspartnerschaften, die vor dem 1. Januar 2005 geschlossen wurden.
({7})
Damals galten nicht alle Regelungen des Lebenspartnerschaftsgesetzes.
({8})
– Mein Großvater war im KZ, und er hat mir eines mitgegeben: Wenn solche Kräfte wieder in ein Parlament einziehen, verteidige die Demokratie mit allem, was du hast, notfalls mit deinem Leben!
({9})
Zurück zu dem genannten Wermutstropfen. Die vor dem 1. Januar 2005 geschlossenen Lebenspartnerschaften mussten optieren. Es galten nicht alle Regelungen der Ehe.
({10})
Leider Gottes werden die Regelungen nun automatisch auch für diese Lebenspartnerschaften in Kraft gesetzt, ohne dass ein entsprechender Hinweis ergangen ist. Aber das kann man in der Praxis über die Standesämter in den Griff bekommen.
Insgesamt wird dieses Gesetz dazu beitragen, dass nunmehr endgültig Rechtsklarheit und Rechtssicherheit bei denen entsteht, die eine Lebenspartnerschaft haben und nun eine Ehe miteinander eingehen.
({11})
Von daher verdient der vorliegende Gesetzentwurf unsere Zustimmung und Ihre völkischen Gedanken unsere Ablehnung.
Danke schön.
({12})
Vielen Dank, Herr Müller. – Es ist doch schön, dass um diese Tageszeit die Diskussion noch so lebhaft ist.
Der Kollege Dr. Jens Brandenburg, FDP-Fraktion, hat seine Rede zu Protokoll gegeben, wofür ich ihm besonders danke.
({0})
Die Kollegin Doris Achelwilm von der Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort. Meinen herzlichen Glückwunsch zu Ihrem heutigen Geburtstag!
({1})
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 25 Jahre lang wurde hier im Hause und in weiten Teilen der Gesellschaft diskutiert, ob das Rechtsinstitut der Ehe ausschließlich für Mann und Frau vorgesehen sein soll. Menschen, die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften leben, hatten keine Wahl, einander zu heiraten oder nicht. Ganz besonders hart haben gesetzliche Regelungen bis in das Jahr 2008 Ehen getroffen, in denen eine Person eine Transition nach dem sogenannten Transsexuellengesetz durchlaufen hat. Hier verlangten unsere Vorgängerinnen und Vorgänger in der Gesetzgebung – weil sie keinesfalls Ehen in einer gleichgeschlechtlichen Kombination akzeptieren wollten –, dass die Ehe vor Änderung des Geschlechtseintrages aufgehoben wurde. Zum Glück stehen wir heute woanders.
({0})
Da sich die Situation grundlegend ändert, war das überfällig und ein Erfolg vorausgegangener Kämpfe.
Die Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft 2001 gehörte als Zwischenstufe dazu. Trotzdem müssen wir noch 2018 erleben, dass Mitglieder des Bundestages und leider auch der Regierung Vorurteile gegenüber schwulen, lesbischen, bisexuellen und transgeschlechtlichen Menschen schüren und auf eine Art und Weise fortsetzen, die teilweise auf eine Verschlimmerung der Situation hinweist. Angesichts dessen, was wir auf diesem Politikfeld in sehr maßvollem Tempo nach vorne gebracht haben, ist eine solche Realitätsverweigerung überaus ärgerlich, und wir werden sie mit allen Kräften zurückweisen.
({1})
In dieser Debatte behandeln wir einen Gesetzentwurf, der rechtliche Ergänzungen oder Anpassungen im Zuge der Eheöffnung vornimmt, es geht also um das Kleingedruckte zur Ehe für alle. Es ist gut, dass wir an dieser Stelle stehen, dass wir so weit sind. Gleichzeitig ist dieses Gesetz natürlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Wir wollen grundsätzlich inhaltlich und auch jenseits der formalen Ebene, dass Elternschaft in gleichgeschlechtlichen Ehen rechtlich voll anerkannt wird. Mit der Einführung der Ehe für alle ist das noch nicht der Fall. Die Diskriminierung lesbischer Elternschaft ist leider nach wie vor gegeben. Lesbische Mütter müssen nach wie vor das Kind ihrer Ehefrau als Stiefkind adoptieren, statt automatisch als Mutter oder Co-Mutter anerkannt zu werden. Hier könnte man aus unserer Sicht deutlich weiter sein, zumal der Arbeitskreis Abstammungsrecht 2017 beim Justizministerium die sogenannte Mitmutterschaft ausdrücklich begrüßt und befürwortet hat. Beim Thema Elternschaft wünschen wir uns außerdem, dass der Geschlechtseintrag von Transelternteilen respektiert wird. Wir fordern, dass die Ehe für alle ihrem Namen „für alle“ tatsächlich gerecht und diskriminierungsfrei ausgestaltet wird. Auch die Grundrechte von Personen, die „inter“, „divers“ und „nicht-binär“ sind, müssen gewahrt werden.
In diesem Sinne gilt es, weiter dafür einzutreten, dass wir in den nächsten Jahren neue Schritte nach vorne machen, statt in alte Geschlechter- oder Familienordnungsmuster zurückzufallen.
Vielen Dank allerseits und noch einen schönen Abend.
({2})
Vielen Dank, Frau Kollegin Achelwilm. – Die Kollegin Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen, und Dr. Silke Launert, CDU/CSU-Fraktion, haben ihre Reden zu Protokoll gegeben , sodass die Aussprache beendet ist.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/6137, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 19/4670 und 19/5413 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der AfD bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Wer enthält sich? –
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Dann ist auch die Schlussabstimmung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP erfolgreich gewesen gegen die Stimmen der AfD bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland leben über 4,5 Millionen Muslime, viele davon sind deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Sie sind selbstverständlicher Teil unseres sozialen und kulturellen Miteinanders: in Vereinen, an Schulen und Universitäten, am Arbeitsplatz. Jahrzehntelang spielte sich das religiöse muslimische Leben in Deutschland oft erzwungenermaßen abseits der Öffentlichkeit in Hinterhofmoscheen ab. Doch Muslime möchten gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben in Deutschland teilhaben.
({0})
Sie bringen sich aktiv ein, karitativ und seelsorgerisch, in den Medien und in den Schulen.
Für uns Grüne ist selbstverständlich: Alle Menschen müssen unabhängig von ihrer Herkunft, Religion und Weltanschauung ihre Grundrechte und Teilhabemöglichkeiten gleichberechtigt wahrnehmen können. Dies ist Anspruch unseres Grundgesetzes, und das gilt auch für Muslime, meine Damen und Herren.
({1})
Das ist keine politische Forderung, sondern ein verfassungsrechtliches Gebot. Innenminister Seehofer forderte zum Auftakt der Deutschen Islam Konferenz, dass sich die muslimischen Dachverbände und Gemeinden von den ausländischen Einflüssen lossagen müssten und dass sie ihre Imame selbst ausbilden und unabhängig sein sollten. Meine Damen und Herren, das predigen wir Grüne seit Jahren und haben dazu bereits 2012 eine Roadmap vorgelegt. Doch das Bundesministerium des Innern hat die Deutsche Islam Konferenz zu einer reinen Sicherheitskonferenz verkommen lassen. Es braucht einen Neustart mit konkreten und verbindlichen Zielen.
({2})
Meine Damen und Herren, die Imame spielen eine Schlüsselrolle in ihren Gemeinden. Doch bis heute stehen wir bei der theologisch-akademischen Ausbildung von Imamen und islamischen Religionsbeamten und -bediensteten noch immer quasi bei null, und das nach zwölf Jahren Deutscher Islam Konferenz. Wer aber möchte, dass in den deutschen Moscheen eine qualifizierte, den heterogenen und komplexen Anforderungen unserer Einwanderungsgesellschaft entsprechende Gemeindearbeit stattfinden soll, wer zu der Anwerbung von Imamen aus dem Ausland eine nachhaltige Alternative anbieten möchte und wer auch salafistischen Einflüsterern Geistliche entgegenstellen möchte, die die Sprache, die Probleme und die kulturellen Codes muslimischer Jugendlicher in Deutschland kennen, muss sich endlich um verbindliche Standards für eine universitäre und nachuniversitäre Ausbildung von Imamen in Deutschland einsetzen.
({3})
Einheitliche Ausbildungswege und Qualifizierungsstandards existieren ebenso wenig wie konkrete Konzepte für die langfristige Finanzierung des religiösen Personals in den Gemeinden. Wir brauchen eine konkrete Unterstützung von staatlicher Seite, wie das auch bei anderen Religionsgemeinschaften der Fall ist. Die Lösungen müssen im Dialog gefunden werden: mit den Dachverbänden, mit den Gemeinden, mit den Hochschulen und ja, auch mit Bund und Bundesländern.
Unser vorliegender Antrag soll der Auftakt für eine konstruktive Debatte sein: für einen Islam, der vom Ausland politisch und finanziell unabhängig ist,
({4})
für einen selbstbewussten und vielfältigen Islam, der in Deutschland gelebt wird. Denn Rechte sind kein Geschenk des Grundgesetzes, sondern Auftrag.
Dass auf der gestrigen Deutschen Islam Konferenz erstmals konkret über Fragen der Ausbildung und Ideen für eine verlässliche Finanzierung von Imamen gesprochen worden ist, zeigt, dass wir Grünen mit unserem Antrag genau richtig liegen, dass wir das richtige Thema zum richtigen Zeitpunkt gesetzt haben. Ich bin daher guten Mutes, dass wir für unseren grünen Antrag, anders als sonst, in diesem Haus eine breite Mehrheit finden werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der Kollege Christoph de Vries, CDU/CSU-Fraktion, hat seine Rede zu Protokoll gegeben. Herzlichen Dank dafür.
Nächste Rednerin: die Kollegin Beatrix von Storch, AfD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Die Bundesregierung ist sich mal wieder uneins: Jens Spahn hat gerade – wie die AfD – das Ende der Auslandsfinanzierung von Moscheen gefordert, und Hubertus Heil war am Mittwoch in der Regierungsbefragung dagegen. Er sagte, die Auslandszahlungen könnten nicht verboten werden, weil ja auch die evangelische Kirche im Ausland Projekte betreibe. Ich stelle fest: Der Minister setzt die evangelische Kirche mit den saudischen Wahhabiten gleich. Aber das ist ein anderes Problem.
({0})
Die Finanzierung von Moscheen in Deutschland durch die Türkei und Saudi-Arabien ist keine freundliche Hilfe für brave Glaubensbrüder. Der Islam in seinen meisten Auslegungen hat einen politischen Herrschaftsanspruch, der nicht von unserer Religionsfreiheit gedeckt ist.
({1})
Die Finanzierung der Moscheen durch den türkischen Diktator oder den saudischen Blutprinzen hat genau das Ziel, diesen politischen Herrschaftsanspruch auf Deutschland und Westeuropa auszudehnen.
({2})
Das Ergebnis sieht nach Ruud Koopmans wie folgt aus: 65 Prozent der Muslime in Westeuropa halten religiöse Regeln für wichtiger als staatliche Gesetze,
({3})
und 40 Prozent zählt Koopmans sogar zu den harten Fundamentalisten.
Welche Einstellungen Muslime nach Deutschland mitbringen, zeigen die Ergebnisse der Befragungen des Pew Research Centers in 42 muslimischen Ländern. Selbstmordattentate halten zum Beispiel in der Türkei 23 Prozent für legitim, und den Ehrenmord begrüßen in der Türkei 24 Prozent der Muslime;
({4})
in Pakistan sind es 46 Prozent, in Ägypten 57 Prozent.
Dieser Islam kommt mit den muslimischen Einwanderern nach Deutschland, aber er wird eben auch mit der Finanzierung der Moscheen bei uns durch Saudi-Arabien oder die Türkei gefördert und radikalisiert – das betrifft gemäßigte Muslime hier bei uns. Eines gilt auch hier: Wer das Orchester bezahlt, bestimmt die Musik.
({5})
Welche Musik in den Moscheen gespielt wird, hat unter anderem der Journalist Constantin Schreiber dokumentiert. In seinem Buch „Inside Islam“ zitiert er einen Verfassungsschutzexperten wie folgt:
({6})
Wenn man es wirklich ernstnimmt, was hier in den muslimischen Milieus gedacht wird und was sich in Broschüren und Predigten niederschlägt, dann müsste man alle überwachen.
({7})
Bitte schön – das ist der Weg, das ist die Lösung für das Problem. Wir müssen der Islamisierung in Deutschland den Stecker ziehen,
({8})
wir müssen die Radikalisierung stoppen, und wir müssen den Sumpf trockenlegen, indem wir die Islamisten finanziell austrocknen.
({9})
Ohne das Geld aus dem Nahen Osten bricht die Infrastruktur der Islamisten zusammen.
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Das Verbot der Auslandsfinanzierung der Moscheen ist der Schlüssel zu dieser Lösung. Österreich war im Übrigen schon 2015 so klug, die Geldströme aus dem Ausland zu stoppen.
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Ich begrüße im Übrigen ausdrücklich, dass auch die Grünen in ihrem Antrag den Einsatz von islamischen Religionsbediensteten als Problem erkannt haben – immerhin! Aber Ihre Antwort darauf ist natürlich falsch.
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Sie wollen das Geld von den Türken und von den Saudis durch deutsches Steuergeld ersetzen, und Sie wollen einen staatlich subventionierten Islam, weil Sie glauben, dass Sie mit deutschen Steuergeldern die Staatstreue der Muslime erkaufen können. Das ist blauäugig, das ist naiv, das ist gefährlich, und das wird natürlich am Ende scheitern.
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Wir wollen persönliche Glaubensfreiheit –
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ohne das Staatsgeld von Erdogan, ohne das Ölgeld der Saudis und ohne das Geld des deutschen Steuerzahlers. Die Muslime müssen ihr religiöses Leben in Deutschland selbst bezahlen, aus ihrem eigenen Einkommen, wie andere Religionsgemeinschaften auch.
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So einfach ist das.
Es ist nicht Aufgabe des deutschen Staates, den Muslimen die Reformen ihrer Religion mit Geld abzukaufen.
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Das wollen wir nicht, und das geht auch nicht. Es ist die Aufgabe des deutschen Staates, rote Linien zu ziehen. Moscheen, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung agitieren, gehören geschlossen.
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Wir wollen die Religionsfreiheit erhalten, die Islamisierung zurückdrängen und die Radikalisierung der Muslime in Deutschland durch autokratische Regime beenden.
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Das ist möglich, aber dazu ist die Auslandsfinanzierung der Moscheen zu verbieten.
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Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin von Storch. – Ich weiß nicht, was in der letzten Reihe der Grünen gerade passiert ist, Frau Künast. Aber ich glaube, als Schülerin haben Sie häufiger Einträge ins Klassenbuch bekommen.
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– Nie. Ich auch. Entspannen Sie sich ein bisschen.
Der Kollege Professor Lars Castellucci hat seine Rede zu Protokoll gegeben, was ich sehr gut finde.
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Es spricht jetzt zu uns die Kollegin Linda Teuteberg, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Für eine Liberale fühlt es sich im ersten Augenblick befremdlich an, über die Ausbildung von Gemeindevorstehern zu sprechen; denn die Ausbildung von Predigern, die Auswahl der Vorsteher ihrer Gemeinden ist zuerst und allein das Privileg der Gläubigen selbst, egal welcher Religion sie angehören.
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Der Blick auf die Realität zeigt uns allerdings auch, dass muslimische Gemeinden gerade diese Selbstständigkeit im Alltag zum Teil nicht haben, dass in einzelnen Moscheen Ideen und Vorstellungen gepredigt werden, die im Widerspruch zu den Werten unseres Grundgesetzes stehen. Die Gründe dafür sind hinreichend bekannt: die oft fehlenden finanziellen Mittel und daraus folgende Abhängigkeiten von ausländischen Geldgebern wie DITIB sowie der gleichzeitige Mangel an Imamen, die bei uns ausgebildet worden sind und aus der Mitte unserer Gesellschaft stammen. Darum ist es in diesem Fall tatsächlich auch eine politische Frage, wie wir den muslimischen Gemeinden zu mehr Eigenständigkeit und Unabhängigkeit verhelfen.
Bei der Suche nach Lösungen sind wir noch ganz am Anfang. Das zeigen auch die heute zur Diskussion stehenden Anträge. Der Antrag der AfD konzentriert sich zum Beispiel ganz einseitig darauf, ausländische Geldströme zu kappen. Dies ist ein grundsätzlich verständliches Ansinnen, denkt man an unglückselige Einflussnahmen aus der Türkei oder Saudi-Arabien.
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Aber es ist in der Sache weder praktikabel noch zielführend. Denn die eigentliche Herausforderung, die auch nur ansatzweise anzusprechen die AfD scheut wie der Teufel das Weihwasser, ist die Ausbildung von Imamen in Deutschland und damit im weiteren Sinne auch die Entwicklung eines deutschen Islam –
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institutionell, aber auch inhaltlich.
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Denn ein solcher Islam kann nur einer sein, der nicht im Widerspruch zu unserer Verfassung steht.
Hier beschreibt der Antrag der Grünen im Kern ein richtiges Ziel.
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– Es scheint Sie sehr aufzuregen. Es ist trotzdem sinnvoll, zuzuhören. – Viel mehr als ein Auftrag an die Bundesregierung, mit islamischen Theologen und Verbänden nach Lösungen zu suchen, ist Ihnen aber leider auch noch nicht eingefallen. Wenn man sich den Auftrag der Deutschen Islam Konferenz ansieht, die gestern erneut ihre Arbeit aufgenommen hat, könnte man auch der Meinung sein, dass der Antrag sich in wesentlichen Teilen bereits erledigt habe. Denn in der Sache will die neuaufgestellte Deutsche Islam Konferenz genau das leisten,
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was Sie fordern.
Es sitzen auch alle wichtigen Akteure mit am Tisch bis auf einen – und das ist das Parlament.
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Dass der Bundestag an dieser Debatte nicht teilnimmt, ist und bleibt ein Geburtsfehler dieser Konferenz.
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Und dass die Grünen in ihrem Antrag diesen Dialog und die Suche nach Lösungen allein an die Bundesregierung delegieren,
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ist allerdings ein parlamentarisches Trauerspiel.
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Das Parlament, die Volksvertretung, muss an diesem Gespräch, an der Suche nach Lösungen teilnehmen, sich daran beteiligen. Deshalb dürfen wir uns auch nicht damit begnügen, die Bundesregierung zum Dialog aufzufordern; denn das Zusammenleben von Menschen und Religionen in unserem Land darf nicht ohne das Parlament, nicht ohne die Volksvertretung verhandelt werden. Deshalb stimmen wir der Überweisung des Antrages in den Innenausschuss zu.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Teuteberg.
Die Kollegin Christine Buchholz, Fraktion Die Linke, der Kollege Hans-Jürgen Irmer, CDU/CSU-Fraktion, und der Kollege Alexander Radwan, CDU/CSU-Fraktion, haben ihre Reden zu Protokoll gegeben , sodass ich die Aussprache schließe.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/6102 und 19/6059 an den Ausschuss für Inneres und Heimat vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Die Tagesordnung ist erschöpft, ich bin es auch.
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Ich bedanke mich auch im Namen der Bediensteten des Deutschen Bundestages für die Disziplin. Dass wir es zeitlich so geschafft haben, ist wirklich eine herausragende Leistung.
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Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf heute, Freitag, den 30. November 2018, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
(Schluss: 1.10 Uhr)