Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/21/2018

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Alice Weidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004930, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Zum zweiten Mal in diesem Jahr beraten wir über den Entwurf eines Bundeshaushalts. Dazugelernt hat Ihre Regierung seither nichts, Frau Bundeskanzlerin. ({0}) Sie betreiben weiterhin eine Politik der Spaltung und der Unvernunft, eine Politik des Ausgabenwahns und der falschen Prioritäten, eine Politik, die den noch vorhandenen Wohlstand von heute bedenkenlos mit vollen Händen ausgibt und verschleudert, ohne an morgen zu denken. ({1}) Geändert hat sich aber die ökonomische Grundlage, auf der Sie diesen Ausverkauf betreiben. Das wirtschaftliche Fundament bröckelt. Ihre Politik ignoriert konsequent die ökonomische Vernunft. Sie setzt die Interessen des eigenen Landes und der eigenen Bürger an die letzte Stelle. Dafür rennen Sie ideologischen Weltbeglückungsfantasien hinterher, und das hält auch die stärkste Volkswirtschaft auf Dauer nicht ohne Schaden aus. ({2}) Die Automobilindustrie, ein Eckpfeiler unserer Volkswirtschaft, gerät in die Krise. Die Absätze brechen auf breiter Front ein, das Wirtschaftswachstum in Deutschland ist erstmals seit Jahren wieder rückgängig. ({3}) Kein Wunder, wenn die Politik jahrelang einen regelrechten Krieg gegen den Verbrennungsmotor führt, unsinnige Emissionsgrenzwerte durchpeitscht und obskuren Lobbyvereinen die Möglichkeit gibt, ein Fahrverbot nach dem anderen einzuklagen. ({4}) – Schreien Sie nur rum. In der Wirtschafts- und Energiepolitik geht es um Atomausstieg, Kohleausstieg, hochsubventionierte alternative Energien, die nicht grundlastfähig sind, und hochgejubelte Elektroautos, die für Massenmobilität überhaupt nicht tauglich sind. ({5}) Vielleicht erzählt uns Ihr neugegründeter „Parlamentskreis Pferd“ – das ist unglaublich; ich habe es nicht geglaubt, als ich es gehört habe –, ({6}) welche Fortbewegungsmittel wir künftig überhaupt noch nutzen dürfen, wenn Deutschland erfolgreich zum klimaneutralen Agrarland heruntergewirtschaftet wurde. ({7}) Schlechte Wirtschaftspolitik ist eben auch schlechte Sozialpolitik, ({8}) und sie trifft zuerst immer die Normalbürger, die arbeiten und Steuern zahlen. ({9}) Sie werden nach Strich und Faden ausgenommen wie eine Weihnachtsgans ({10}) – schreien Sie nur; ich weiß, getroffene Hunde bellen – ({11}) durch den Wertverlust ihrer Autos und durch hohe Energiekosten, durch Hochsteuerpolitik und EZB-Nullzins, während die Verbraucherpreise kräftig steigen. So werden die Normalbürger ausgenommen. Nur der unfassbaren Disziplin und Geduld der Deutschen ist es überhaupt zu verdanken, dass es noch keine flächendeckenden Massenproteste gibt wie in Frankreich, wo es den sogenannten Aufstand der gelben Westen gegen die neueste Spritpreiserhöhung gibt. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hatte die öffentliche Hand so viel vom Bürger zur Verfügung, und noch nie wurde so viel Geld so schlecht ausgegeben. ({12}) Wir haben eine vernachlässigte Armee, die ihren Auftrag der Landesverteidigung nicht erfüllen kann, deren Panzer nicht fahren, deren Schiffe nicht in See stechen, deren Flugzeuge und Hubschrauber nicht fliegen ({13}) und die trotzdem in immer neue Einsätze in aller Welt geschickt wird. Wir leisten uns eine gigantische Sozialindustrie mit einer wuchernden Doppelstruktur aus staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, die vor allem sich selbst helfen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Weidel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Alice Weidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004930, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Nein, nicht noch mal aus der Ecke. ({0}) – Sie kommen gleich noch dran, ja. ({1}) Am allerwenigsten aber nützen sie denen, für deren staatliche Zwangsbeglückung sie angeblich geschaffen wurden. Wir geben jedes Jahr Geld für den Kampf gegen rechts aus und für andere Bevormundungen der Bürger; aber Frauen und Mädchen können sich ja abends gar nicht mehr allein auf die Straße wagen – aus Furcht vor Übergriffen sogenannter Schutzsuchender. ({2}) Wir vergraulen im eigenen Land gut ausgebildete Fachkräfte mit schlechten Arbeitsbedingungen und miserabler Bezahlung ins Ausland und suchen unser Heil in der Anwerbung ausländischer Fachkräfte, die in ihren eigenen Ländern dringend gebraucht würden, sofern sie denn überhaupt Fachkräfte sind. Ich merke es schon. Ihrem ganzen Geschrei entnehme ich, dass Sie lieber über Spenden und Parteifinanzierung reden wollen. ({3}) Also gut, reden wir darüber. ({4}) Ja, es ist richtig, dass bei uns Fehler im Umgang mit Wahlkampfspenden gemacht wurden. Das kann passieren, ({5}) wenn man alles ehrenamtlich macht und keine Parteifunktionärsstrukturen hat wie Sie. Fehler macht schließlich jeder. ({6}) Richtig ist aber auch, dass sich niemand persönlich bereichert hat. ({7}) Es wurde auch nicht versucht, zu verschleiern, weil es ganz normale Parteikonten gewesen sind, über die Rechenschaft abgelegt werden muss. Richtig ist auch, dass die Gelder zurücküberwiesen wurden, ({8}) auch was ganz Besonderes unserer Partei. ({9}) Es wurden auch keine Bargeldkoffer hin und her getragen, deren Inhalt in Schubladen verschwunden ist und an deren Verbleib sich niemand mehr erinnern kann oder will. ({10}) Richtig ist auch, dass diese ganze Angelegenheit die Bürger und Steuerzahler – ich weiß, das ist Ihnen fremd – nicht einen Pfennig gekostet hat. ({11}) Nicht einen einzigen Euro hat das den Steuerzahler gekostet. Da Sie jetzt so lautstark Ihre künstliche Empörung zelebrieren: Fassen Sie sich ruhig erst mal an Ihre eigene Nase. Denken Sie mal ein paar Monate zurück. Kurz vor der Sommerpause haben Sie mal eben die ohnehin großzügig bemessene staatliche Parteienfinanzierung um satte 15 Prozent oder 25 Millionen Euro erhöht, einfach mal so, ({12}) weil Ihnen die üppigen Summen, die Sie schon einstreichen, anscheinend immer noch nicht reichen. ({13}) Weil Ihnen von der SPD Ihre Wähler davonlaufen, langen Sie dem Bürger noch mal tief in die Tasche. ({14}) Alles legal, sicher. Aber ist das eigentlich auch legitim? Ist das ein redlicher Umgang mit dem Geld der Steuerzahler? Das müssen Sie sich gefallen lassen. ({15}) An die Adresse von Herrn Kahrs, der sich hier ja immer so wunderbar hervortut. ({16}) – Ja, Sie schreien ja die ganze Zeit; ich finde das wunderbar. ({17}) Was ist mit den Direktspenden von der Rüstungsindustrie an Sie von der Hamburger SPD im Bundestagswahlkampf 2005? Was ist damit? Oder was ist mit der Sache mit den mehr als 1 Million Euro, die ein führender Spielhallenkonzern im Laufe der Jahre verdeckt an Union, SPD, FDP und Grüne hat fließen lassen? ({18}) Da wurden nicht nur konkrete Gegenleistungen erwartet – Sie wollten darüber reden; Sie schreien ja die ganze Zeit –, sondern, wie Lobbywächter nicht ohne Grund vermuten, in etlichen Fällen wohl auch erbracht. ({19}) Und da schon immer wieder haltlos über verdeckte Einflussnahmen von außen spekuliert wird: Wie steht es eigentlich um die ganz handfesten Einflussnahmen von Ihnen, werte Genossinnen und Genossen, wie Sie das ja immer so schön sagen, der SPD? Ihre Partei hält sich ein unüberschaubares Geflecht von Beteiligungen und Eigentümerschaften an Zeitungen, Druckereien, Service- und Vertriebsgesellschaften, Anzeigenblättern, Pressevertrieben, Hörfunkunternehmen, Fernseh- und Videoproduktionsfirmen, ({20}) Online- und sonstigen Dienstleistern. ({21}) Da wurden in der Vergangenheit nicht nur schon mal Gelder hin und her geschoben, da werden auch die Bürger immer wieder hinters Licht geführt; sie glauben, sie würden eine ganz normale Lokal- oder Regionalzeitung kaufen und lesen, und halten in Wahrheit ein Parteiblatt von Ihnen in den Händen. ({22}) Und wenn Sie der Branche einen Gefallen tun – ich weiß, Sie schreien –, beispielsweise wenn Sie die Absenkung der Rentenbeiträge für Zeitungszusteller im Minijob im Koalitionsvertrag unterbringen, dann sind Sie, ist der Großunternehmer SPD als Lobbyist in eigener Sache unterwegs, auch ohne umständliche Spendenflüsse. ({23}) Mit den umständlichen Spendenflüssen haben Sie natürlich – es geht ja noch weiter – trotzdem Erfahrung: Wie war das mit den Hunderttausenden, die im Zuge des Baus einer Müllverbrennungsanlage an die Kölner SPD gegangen sind, wie war das? Oder mit den Regensburger Immobilienunternehmen, aus deren Umfeld während des OB-Wahlkampfes 2014 ({24}) dem Ortsverband des SPD-Amtsinhabers eine halbe Million Euro zugeflossen sind und der örtlichen CSU immerhin noch mal 90 000 Euro, nicht nur gestückelt, sondern über Mitarbeiter als Strohmänner, wie die Staatsanwaltschaft vermutet. ({25}) Das ist Ihre Praxis. Sie wollen über Parteispenden reden? Also gut, reden wir auch über die schwarzen Kassen und das bis heute nicht aufgeklärte Bimbes-System von Helmut Kohl, reden wir über die illegalen Spenden ({26}) an die hessische CDU in den 90ern und Ihre angeblich jüdischen Vermächtnisse, ({27}) oder sprechen wir über die jüngste Spendenaffäre der CDU in Rheinland-Pfalz. ({28}) Da führt die Spur des Geldes zu einem dubiosen Ex-Geheimagenten, der im Wahlkreis eines CDU-Bundestagsabgeordneten residiert und offenbar öfter mal Unterstützung benötigt. Und was war mit den jahrelangen Spenden von Heckler & Koch an den CDU-Kreisverband in Rottweil, was war damit? Bei Großspenden aus Industrie und Verbänden ist die CDU Spitzenreiter. Und auf der äußersten Linken, die sich so oft darüber wohlfeil empört? Geben Sie erst mal Rechenschaft über das Milliardenvermögen, ({29}) das Ihre Partei, ({30}) als sie noch SED hieß, ({31}) in jahrzehntelanger Diktatur angehäuft hat! – Ich weiß, das tut weh; aber Sie wollten es ja. ({32}) Jetzt haben Sie die Heulerei. Ins Ausland verschoben, in Unternehmen geparkt, als Darlehen an einzelne Funktionäre verteilt – das muss man sich einmal vorstellen! –, ein hoher Millionenbetrag davon ist immer noch verschwunden – Geld, das von Rechts wegen dem Bürger zusteht und nicht der Partei, die ihn all die Jahre unterdrückt hat. Ja, wir haben Fehler gemacht. ({33}) Wir haben es erkannt und reagiert, zurückgezahlt – weit vor dem absolut inszenierten Medienskandal. ({34}) Moralische Vorhaltungen müssen wir uns hier von Ihnen überhaupt nicht machen lassen, am wenigsten von Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren. ({35}) Kommen Sie raus aus Ihren Glashäusern, und hören Sie auf, mit Steinen zu werfen, die Sie nachher selber treffen! ({36}) Machen Sie endlich Politik für unser Land und für die Bürger, und machen Sie nicht permanent Politik für sich selber! Die Bürger in diesem Land haben es verdient. Vielen Dank. ({37})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die Aussprache über den Einzelplan der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes fort. Das Wort hat die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Schöne an freiheitlichen Debatten ist, dass jeder über das spricht, was er für das Land für wichtig hält. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies hier ist unsere vierte Haushaltsdebatte in diesem Jahr. Das hat natürlich damit zu tun, dass wir für 2018 lange keinen Haushalt hatten und dass wir jetzt zeitgerecht den Haushalt für 2019 beschließen – in einem Umfeld, in dem wir nach wie vor, im neunten Jahr in Folge, Wirtschaftswachstum haben. ({1}) Wir haben über 45 Millionen Erwerbstätige, einen ausgeglichenen Haushalt und im vergangenen Jahr zum ersten Mal das von uns lange erarbeitete Ziel erreicht, 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben. Unsere Investitionsquote kann sich sehen lassen, und unser Schuldenstand wird bald wieder die Maastricht-Kriterien erfüllen. ({2}) Ich will hier nur im Kurzformat sagen, was diese Bundesregierung der Großen Koalition bereits auf den Weg gebracht hat – die vielen Einzeletats, die hier debattiert werden, stellen das ja ausführlicher dar –: Wir haben Familien entlastet, wir haben die kalte Progression bekämpft, wir haben Mittel für den sozialen Wohnungsbau ausgereicht, wir haben das Baukindergeld eingeführt, wir haben einen Wohnungsgipfel durchgeführt, auf dem wir uns mit den eigentlich wichtigen Fragen neben dem Geld beschäftigen, ({3}) nämlich mit der Verfügbarkeit von Bauland und der Beschleunigung von Bauvorhaben, und wir haben im Bereich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch die Brückenteilzeit und das Gute-Kita-Gesetz wichtige Weichen gestellt. Ich will hier nur ganz kurz auch darauf hinweisen, dass die Bundesfrauenministerin gestern auf ein Phänomen aufmerksam gemacht hat, das uns alle umtreiben muss, nämlich auf Gewalt gegen Frauen in unserem Land. ({4}) Es ist richtig, dass wir hier auch im Bundeshaushalt einen Akzent setzen, um etwas dagegen zu tun, und auch die Länder und Kommunen ermutigen, hier mehr zu machen. ({5}) Wir haben die Allianz für Pflege und ein weiteres Pflegestärkungsgesetz auf den Weg gebracht, und wir haben wesentliche Weichenstellungen im Rentensystem vorgenommen: Festhalten am Rentenniveau bis 2025, Verbesserung der Erwerbsunfähigkeitsrente, Verbesserung der Mütterrente. Im Weiterbildungsbereich haben wir im Blick auf die Digitalisierung Weichen gestellt, wir haben die Exzellenzinitiative für Forschung und Sonderausschreibungen für erneuerbare Energien auf den Weg gebracht und die Sammelklagemöglichkeit – gerade im Blick auf VW – eingeführt. Mit Blick auf die Dieselfragen haben wir das Bundes-Immissionsschutzgesetz verändert, um mehr Rechtsklarheit zu bekommen, und wir haben eine Vielzahl von Gesetzen im Zusammenhang mit der Steuerung und Ordnung von Flüchtlingen und Migration verabschiedet. Daneben haben wir drei wichtige Kommissionen auf den Weg gebracht, von denen eine, die Kommission zum Strukturwandel in den Braunkohlegebieten, jetzt in die entscheidende Phase kommt. Deshalb will ich noch einmal deutlich machen, dass es uns hier darum geht, den Klimawandel auf der einen Seite und die Zukunft der Menschen auf der anderen Seite in Einklang zu bringen. Es geht nicht darum, als Erstes irgendwelche Ausstiegsdaten zu beschließen, sondern darum, den Menschen Hoffnung und Zukunft zu geben und den Strukturwandel wirklich vorzubereiten, um ihnen dann die Sicherheit zu geben und zu sagen: Ja, auch wir werden unseren Beitrag für den Klimawandel leisten. ({6}) Wir werden die Kommission für gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland und die Rentenkommission haben, die uns besonders wichtig sind, und wir werden noch vor Weihnachten ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschließen. All das sind Dinge, die von größter Wichtigkeit sind. Ich möchte mich heute aber auf zwei Punkte konzentrieren. Das sind auf jeden Fall sehr große Herausforderungen im Zusammenhang mit unserer Zukunft. Die Erste ist technologiegetrieben, nämlich die Digitalisierung. Die Digitalisierung wird unser Leben in allen Bereichen tiefgreifend und qualitativ verändern. ({7}) Wir haben in der vergangenen Woche eine zweitägige Klausurtagung durchgeführt. Die Struktur der Bundesregierung entspricht in dieser Legislaturperiode den Aufgaben und den Notwendigkeiten, und ich bin sehr froh, dass sich auch im Parlament entsprechende Kommissionen finden, die sich mit dem digitalen Wandel beschäftigen. Die Zeit drängt. Wir stehen in einem wahnsinnigen globalen Wettbewerb, und wir stehen vor der Herausforderung, diesen Wettbewerb so zu gestalten, dass er uns auch im 70. Jahr der sozialen Marktwirtschaft die Chance gibt, dass der Mensch im Mittelpunkt steht und nicht die Technik den Menschen beherrscht. Das ist die große Aufgabe und die große Überschrift, unter der das alles stattfindet. ({8}) Meine Damen und Herren, da geht es natürlich als Erstes – das wird viel diskutiert – um die Infrastruktur. Die ist in unserem Land nach wie vor noch unzureichend, aber ich glaube, wir sind jetzt auf einem guten Weg. Wir haben im Parlament ausführlich die Ausschreibungen für die neueste Technologie, die 5G-Frequenzen, und deren Versteigerung diskutiert. Hier stehen wir natürlich in einem Spannungsfeld zwischen politischen Vorgaben und Investitionsmöglichkeiten derer, die investieren wollen. ({9}) Aber genauso wichtig ist natürlich, dass wir eine Versorgung der Haushalte mit ausreichendem 4G-Standard bekommen. Hierzu hat jetzt der Bundesinfrastrukturminister Andi Scheuer die richtigen Förderbedingungen noch mal weiterentwickelt, damit es unbürokratischer gehen kann. Wir werden Ende 2019  98 Prozent der Haushalte angeschlossen haben und Ende 2020  99 Prozent der Haushalte. Aber wie wir alle wissen und täglich erleben, reicht uns das natürlich nicht aus. Zu Hause ein Angebot von breitem Internet zu haben, ist gut und richtig – wir machen jetzt auch Sonderausschreibungen für Krankenhäuser, Gewerbegebiete, Schulen, auch richtig –, aber wir wollen natürlich flächendeckendes Internet. Genau daran wird gearbeitet. Insbesondere im Zusammenhang mit der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ werden wir dann das, was gerade auch für die ländlichen Regionen und was für die Landwirtschaftsministerin wichtig ist, in den Blick nehmen und dazu Lösungen finden. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundeskanzler, der Abgeordnete Sichert, AfD, möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Nein, ich möchte gerne zusammenhängend sprechen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Gilt das generell für Ihre Rede?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Das gilt generell für meine Rede. – Neben der Infrastruktur geht es jetzt darum, dass der Staat auch auf die digitale Herausforderung reagiert. Deshalb werden wir jetzt das Onlinezugangsgesetz, über das wir ja bereits in der vergangenen Legislaturperiode entschieden haben, mit Leben erfüllen und das Bürgerportal auch Realität werden lassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine wichtige, – ich würde sagen: –, eine zukunftsentscheidende Aufgabe, die mehr als vieles andere eine enge Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen erfordert. Wir sind ein föderales Land. Bei uns geht das nicht so einfach. Ich habe gestern den dänischen Kollegen getroffen, Lars Rasmussen, der mir erklärt hat, dass Dänemark das alles schon vor Jahren mit seinen Kommunen gemacht hat. Wir als föderales Gebilde tun uns da sehr schwer. Das Wichtigste, das wir jetzt erst mal mit den Ländern erreichen müssen, ist ein für den Bürger akzeptabler Zugang zu diesem Portal, der nicht so kompliziert ist, dass ihn keiner nutzt. Dann geht es darum, dass wir über 500 Funktionen haben, die die Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Staat abarbeiten. All die müssen jetzt digitalisiert werden. Ich spreche darüber so ausführlich, weil dabei eine wesentliche Sache zu beachten ist, und zwar dass wir vom Bürger her denken und nicht unsere Projekte so durchsetzen, wie wir das gewöhnt sind. ({0}) – Da schauen Sie. – Wir sind im normalen klassischen Denken gewohnt, ein Projekt zu planen, ({1}) das gesamte Projekt dann schrittweise umzusetzen, während im digitalen Zeitalter eine völlig andere Art der Herangehensweise da ist und die Anwendungen Schritt für Schritt eingeführt werden müssen. Dieses richtige Denken beim Umsetzen des Bürgerportals wird sehr wichtig sein. Wir werden erste Funktionen, nämlich die des Bundes – das sind über 100 –, sehr schnell einführen. Wir werden dann mit den Ländern die anderen 400 Funktionen durchsetzen, sodass wir Ende 2022 wirklich den vollkommenen und kompletten Zugang – von Fahrzeuganmeldung über Elterngeldbeantragung, Steuererklärung, Gesundheitsakten und vielen, vielen anderen Dingen – digital schaffen. Das ist notwendig. Das ist kein Nerd-Projekt, wie man vielleicht sagen könnte; denn wenn die Bürgerinnen und Bürger diesen Zugang nicht bekommen, werden wir im digitalen Zeitalter nicht bestehen. Deshalb muss der Staat hier Vorbild sein. ({2}) So viel zu Infrastruktur und digitalem Staat. Zweitens: Die Strategie für die künstliche Intelligenz ist ({3}) die Voraussetzung dafür, dass wir Industrie 4.0 wirklich erfolgreich in Deutschland realisieren können. Wir werden hier zwölf Zentren bilden, die sich vernetzen. Wir werden 100 neue Professuren einführen. ({4}) Wir werden mit Frankreich eng kooperieren. Und wir werden unsere Agentur für Disruptive Innovationen ganz stark auf diese Dinge ausrichten. Ich glaube, dass es hier Möglichkeiten gibt, aufzuholen, Möglichkeiten, den Anschluss zu finden. Wir sind in einzelnen Punkten spitze, aber wir sind nicht überall Weltklasse. Unser Anspruch muss sein: Wir wollen wieder überall Weltklasse werden. Das gilt für Deutschland, und das gilt für Europa, meine Damen und Herren. ({5}) Wir haben uns mit Blick auf die Frage: „Wie dient die ganze Sache dem Menschen?“ mit der Frage beschäftigt: Wie ist das mit der Ethik der Daten? Es gibt heute zwei Modelle: das der USA, wo die Daten der Bürgerinnen und Bürger sehr stark im privaten Sektor verankert sind und dem privaten Sektor gehören, und das Chinas, wo der Staat Zugriff auf alle Daten hat. Das sind nicht die Modelle der sozialen Marktwirtschaft, und deshalb müssen wir eines finden, bei dem der einzelne Mensch im Mittelpunkt steht und der Staat Leitplanken setzt. Genau das ist die Aufgabe der Datenethikkommission, meine Damen und Herren, die uns im nächsten Jahr die Ergebnisse ihrer Arbeit vorstellen wird. ({6}) Das ist im Kurzumriss die große digitale Herausforderung, bei der wir natürlich der Wirtschaft zur Seite stehen und sie unterstützen können, aber mit der sich natürlich auch die gesamte Wirtschaft verändern wird. Industrie 4.0 bedeutet nicht nur Veränderung im Produzieren; Industrie 4.0 bedeutet erhebliche Veränderungen in der Arbeit. Gerade bei der Weiterbildung – diese Frage stellt sich im Übrigen auch für die Beamtinnen und Beamten und Angestellten des Bundes – werden wir breitflächig unterstützen. Wir haben bereits jetzt ein Gesetz auf den Weg gebracht, nach dem es möglich ist, dass Unternehmen, die im Zusammenhang mit der Digitalisierung Fortbildung und Qualifizierung brauchen, erhebliche Zuschüsse – je kleiner, desto höher der Prozentsatz der Zuschüsse – für diese neue Aufgabe der Weiterbildung bekommen. ({7}) Meine Damen und Herren, die zweite Herausforderung ist für uns politisch, glaube ich, mindestens so relevant, aber eigentlich noch relevanter. Da geht es um die Frage, wie unsere gesellschaftlichen Vorstellungen, unsere deutschen Vorstellungen, für die Zukunft der globalen Welt aussehen. Ich glaube, die vergangenen Tage haben uns noch einmal in Erinnerung gerufen, in welchem historischen Kontext wir stehen. Wir stehen ja alle immer in der Zeit. Am Freitag der vorvergangenen Woche, vor zwölf Tagen, fand hier die Gedenkstunde zur Ausrufung der Republik vor 100 Jahren durch Philipp Scheidemann statt. Der Bundespräsident hat anlässlich dieses Jahrestages eine Rede gehalten, aus der ich mir erlaube zu zitieren: Wir müssen wieder kämpfen für den Zusammenhalt in Europa, und wir müssen streiten für eine internationale Ordnung, die angefochten wird – selbst von unseren Partnern. Denn dieser europäischen Einigung und dieser internationalen Ordnung haben wir es zu verdanken, dass wir Deutschen heute wieder ein Volk sind, das wirtschaftlich und politisch zu Kräften gekommen ist; das in seiner großen Mehrheit weltoffen und europäisch leben will; das von vielen in der Welt geachtet, ja sogar geschätzt wird. Zitat Ende. ({8}) Einen Tag später war ich von dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron eingeladen, an der Gedenkstätte in Compiègne des 100. Jahrestages der Unterzeichnung des Waffenstillstands zwischen Deutschland und Frankreich zu gedenken. Das war bewegend. Noch kein Bundeskanzler war an diesem Platz gewesen. Und bis zuletzt, bis zum 10. November 2018, war dort ein Gedenkstein. Auf dieser Gedenkplatte standen Worte vom „verbrecherischen Stolz des deutschen Reiches“. Diese Gedenkplakette ist jetzt ersetzt worden, und aus dem „verbrecherischen Stolz“ wurde „die deutsch-französische Freundschaft“. ({9}) Symbolischer kann man vielleicht das, was sich da in den letzten Jahrzehnten getan hat, nicht beschreiben. Als vor vier Tagen Emmanuel Macron anlässlich des Volkstrauertages hier im Deutschen Bundestag seine Rede gehalten und die Worte gefunden hat: „Wenn Sie die Worte aus Frankreich nicht verstehen, denken Sie daran, dass Frankreich Sie liebt“, war das mehr als berührend. Es ist aber vor allen Dingen für uns eine Verpflichtung. ({10}) Ich sage das in Bezug darauf, dass uns doch in diesen Tagen immer und immer wieder die bohrende Frage leitet: Was haben wir aus der Geschichte gelernt, und haben wir aus der Geschichte gelernt? ({11}) Ich glaube, dass diese Frage nicht nur wegen hundertster Jahrestage interessant ist, sondern weil wir immer weniger Zeitzeugen gerade auch des schrecklichen und von Deutschland verursachten Zweiten Weltkriegs unter uns haben werden, weil wir alleine sein werden, die Generationen, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren sind, und weil wir zeigen müssen, ob wir etwas gelernt haben. ({12}) Warum war es möglich, dass Deutschland diesen Zweiten Weltkrieg entfacht hat? Mit dazu beigetragen haben – das sage ich, ohne damit die deutsche Schuld zu relativieren – zwei Dinge: Der Waffenstillstand war keine Aussöhnung, und es ist nicht gelungen, was sich der amerikanische Präsident Wilson vorgestellt hatte: eine internationale, multilaterale Ordnung zu schaffen in Form eines funktionierenden Völkerbundes. Die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg waren glücklicherweise die, eine multilaterale Ordnung zu schaffen. Dafür steht die Gründung der Vereinten Nationen. Diese Vereinten Nationen sind die Lehre aus der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, nie wieder gegeneinander zu arbeiten, sondern, wo immer möglich, zu versuchen, gemeinsam als Weltgemeinschaft die Dinge zu klären. ({13}) Als der Kalte Krieg noch nicht alles überschattet hatte, gelang es dann sogar 1948 noch – auch dies ein Jahrestag –, die Charta der Menschenrechte bei den Vereinten Nationen zu verabschieden: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. So heißt es dort sehr ähnlich zu Artikel 1 unseres Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, den allermeisten muss man das hier nicht sagen, aber: Die Vereinten Nationen sind demokratisch legitimiert. Sie sind eine Entscheidung der Weltgemeinschaft. Bei jedem, der beigetreten ist, haben Parlamente – wo auch immer existent – ratifiziert, dass man Mitglied der Vereinten Nationen sein will. Das ist die Grundlage aus unserer Perspektive. ({14}) Zug um Zug hat sich ein Geflecht von Organisationen um die und in den Vereinten Nationen herausgebildet, die für uns heute so wichtig sind, die für Millionen Flüchtlinge wichtig sind, wie zum Beispiel der UNHCR. Sehr interessant ist die Herausbildung einer Organisation, die erst seit 2016 unter dem Dach der Vereinten Nationen agiert, nämlich der Internationalen Organisation für Migration. Das war nämlich ein intergouvernementales Komitee für die Bewegung – wie es damals hieß – der Migranten aus Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals sind 11 Millionen Menschen, Migranten, wie man schon damals sagte, in Europa umhergeirrt, und diese Organisation hat versucht, ihnen wieder eine Heimat zu geben. ({15}) Sie hat sich dann später beim Ungarn-Aufstand 1956 bewährt. Sie hat bei der Tschechoslowakei 1968 geholfen. Sie hat im Kosovo geholfen und in Timor. Erst seit 2016 ist sie unter der Ägide der Vereinten Nationen. Das war also eine europäische Organisation, die sich mit den Schrecken der europäischen Kriege beschäftigt hat, bevor sie überhaupt internationalisiert wurde. ({16}) Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Debatte, die wir nun über den globalen Pakt für Migration für eine geordnete, legale Migration führen, wichtig: In einer Welt, in der wir noch 222 gewaltsam ausgetragene Konflikte haben, in einer Welt, auf der von diesen Konflikten mehr als 1 Milliarde Kinder betroffen sind, in einer Welt, wo wir 68,5 Millionen Flüchtlinge haben – 52 Prozent davon Kinder –, spielen diese Organisationen natürlich eine zentrale Rolle. Als wir im Jahre 2015 gemerkt hatten, dass wir uns nicht abkoppeln können von dem Leid der Menschen in der Umgebung Europas, als wir nicht ausreichend gezahlt hatten für die Flüchtlingslager im Libanon und in Jordanien – ich habe das oft dargelegt –, ({17}) haben wir gespürt, wie wichtig es ist, Flucht, aber auch Migration im Zusammenhang des internationalen Kontextes zu lösen und nicht zu glauben, irgendein Land könnte das allein. ({18}) Wenn heute der Eindruck erweckt wird, als wäre all das, was in diesem Pakt für Migration jetzt auftaucht, ({19}) irgendetwas, über das wir nie gesprochen hätten, dann ist das doch das Gegenteil von richtig. Seit der Frage der Flüchtlinge, der vielen Flüchtlinge, die zu uns kamen, haben wir uns gefragt: „Wie können wir dieses Problem lösen?“ und haben dann nicht immer zur Freude aller – das war meine erste Tat – das EU-Türkei-Abkommen verabschiedet. Dieses EU-Türkei-Abkommen hat zum ersten Mal zu einer geregelten Migration geführt, hat Flüchtlingen das Leben gerettet, weil sie sich nicht mehr in die Hände von Schleppern und Schleusern begeben mussten. Danach haben wir eine Zusammenarbeit mit Afrika aufgebaut: die Mission Sophia, die libysche Küstenwache, unsere Kooperation mit Niger als Transitland, wo die Internationale Organisation für Migration uns hilft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich war da. Ich war in Niger. Ich habe mir das angeguckt: Die Menschen, die aus Libyen zurückkehren, weil sie unmenschlich behandelt wurden, finden bei der IOM einen Aufenthalt und werden von dort dann wieder zurück in ihre Heimatländer geleitet. ({20}) Das genau ist es, wie man menschlich mit illegaler Migration umgeht, und genau das ist ein Ansatzpunkt in diesem Pakt, in dem sich Menschen verpflichten, überall mit Menschen vernünftig umzugehen. ({21}) Wir haben in diesen Verhandlungen, obwohl wir wissen, dass wir es nur international lösen können, Wert darauf gelegt, zu sagen: Die Souveränität unseres eigenen Landes, unsere Gesetzgebung werden nicht berührt. ({22}) Aber wir wollen vernünftige Bedingungen überall auf der Welt, weil ansonsten die Menschen natürlich sagen: „Du hast nur wenige Länder, in die du gehen kannst“, es versuchen und ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen. ({23}) Deshalb ist es in unserem nationalen Interesse – um es ganz klar zu sagen –, dass die Bedingungen auf der Welt für Flucht auf der einen Seite und Migration auf der anderen Seite, Arbeitsmigration, sich verbessern. ({24}) Wir wollen, dass, wenn in Katar Stadien gebaut werden – das war ein deutsches Anliegen, ein Anliegen der deutschen Gewerkschaften –, die dort arbeitenden Bauarbeiter vernünftig behandelt werden, ({25}) dass sie nicht ausgebeutet werden, dass es nicht Kinderarbeit gibt – und was sonst noch alles auf der Welt ist, von dem wir glücklicherweise überhaupt keine Ahnung haben. Aber wenn wir uns dafür einsetzen, dass es woanders auf der Welt besser wird, ({26}) dann kann es doch nicht sein, dass wir hinterher sagen: Wir wollen aber nicht mehr mitmachen, wenn wir nicht ganz sicher sind, dass auch die letzte Feinheit geklärt ist. ({27}) Dieser Pakt für Migration genauso wie der Pakt für Flüchtlinge ist der richtige Antwortversuch – wir stehen ja am Anfang –, globale Probleme auch international und miteinander zu lösen. ({28}) Deshalb war es richtig, dass sich die UN-Vollversammlung 2016 auf den Weg gemacht hat, diese zwei Pakte zu verhandeln, ({29}) und deshalb ist es richtig, jetzt auch dem Pakt für Migration zuzustimmen. Es wird übrigens nichts unterzeichnet, nichts unterschrieben; es ist nicht rechtlich bindend, um das alles auch noch mal gesagt zu haben. ({30}) Meine Damen und Herren, das soll aber gar keine Ausrede sein. Wir haben rechtlich bindende Vorschriften für den Umgang mit Menschen. Wir haben eine ausgefeilte Verfassungsrechtsprechung. ({31}) Bei uns bekommen die Menschen eine grundlegende Sicherung. Bei uns bekommen sie einen Zugang zum Gesundheitssystem – alles selbstverständlich. ({32}) Und wir wollen natürlich, dass dies in viel mehr Ländern der Welt der Fall ist als heute. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die Europäische Union ist, wenn Sie so wollen, ein multilaterales Projekt. Die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union zur Aufnahme von Arbeit ist eine der Formen von legaler Migration, wie sie gerade dieser Pakt für Migration beschreibt, ({33}) und diese Freizügigkeit hat uns Wohlstand gebracht, ({34}) nicht nur Deutschland, sondern auch anderen Ländern. ({35}) Diese Freizügigkeit ist eine Errungenschaft der Europäischen Union. Schauen Sie: Das Schöne an der heutigen Zeit ist, dass es wieder richtige Gegensätze gibt ({36}) und dass man einfach sagen muss: Da gibt es auch keine Kompromisse. Wenn man zu denen gehört, die glauben, sie könnten alles allein lösen und müssten nur an sich denken: Das ist Nationalismus in reinster Form. ({37}) Das ist kein Patriotismus; denn Patriotismus ist, im deutschen Interesse auch andere mit einzubeziehen und Win-win-Situationen zu akzeptieren. ({38}) Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa ist ein multilaterales Projekt, und diese Europäische Union gilt es zu stärken; das tun wir. Denn in nahezu sechs Monaten werden wir in eine Europawahl ziehen. Deshalb wollen wir die Wirtschafts- und Währungsunion wetterfester machen. Da stehen jetzt, um mal zu etwas anderem zu kommen, die Zeichen günstig, wenn wir die Bankenunion machen, den ESM zu einem Backstop weiterentwickeln und natürlich auch die Risiken reduzieren; denn es gibt jetzt eine Zusammenarbeit zwischen En Marche! und ALDE. Insofern werden die Bedenken von Herrn Lindner etwas geringer werden. ({39}) Das freut uns und hilft uns in unseren Verhandlungen sehr viel. Ansonsten haben wir uns auf ein Euro-Budget geeinigt; das haben Sie vernommen. Ich möchte jetzt aber zu einem anderen Thema im Hinblick auf Europa sprechen, und das ist die Frage des Austritts Großbritanniens. Wir sind nach wie vor traurig darüber, dass Großbritannien die Europäische Union verlässt, ({40}) aber wir akzeptieren und respektieren das natürlich. Das haben wir hier vielmals gesagt. Ich möchte Michel ­Barnier und seinem Team danken, ({41}) die in unendlich langen Verhandlungen jetzt das Austrittsabkommen mit Großbritannien finalisieren konnten. Wir haben noch einen Vorbehalt Spaniens, wobei ich nicht genau sagen kann, wie wir dieses Thema lösen werden. ({42}) Ich hoffe, es wird gelöst bis Sonntag. Und es wird jetzt in diesen Tagen noch an der Erklärung zum zukünftigen Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU gearbeitet. Beide Dokumente müssen bis Sonntag fertig sein, damit wir Sonntag dann das Austrittsabkommen unterzeichnen und mit dieser Akzeptanz auch die Erklärung zum zukünftigen Verhältnis verabschieden können. Wir wissen auch, wie schwierig die Diskussion in Großbritannien ist. Ich kann aber für die Bundesregierung sagen: Wir stimmen diesem Austrittsvertrag zu. Er ist hart erarbeitet, und er ist deshalb so kompliziert – ein Austritt aus der Europäischen Union ist ja sowieso schon kompliziert –, weil durch das Thema Nordirland und Republik Irland, die ein sozusagen grenzfreies Miteinander haben wollen – das Good Friday Agreement –, eine sehr, sehr schwierig zu lösende Konstellation besteht. Wir haben Wert darauf gelegt – und ich glaube, das ist richtig –, dass Großbritannien nicht einseitig entscheiden kann, wann es den Zustand der Zollunion beendet, sondern dass es mit der EU gemeinsam diesen Zeitpunkt definieren muss und erst danach das zukünftige Verhältnis in Kraft tritt. Natürlich ist es bei einem solchen Vertrag immer so, dass man auch darauf setzen muss, dass das gut funktioniert. Ich glaube, das kann man; denn wir wollen ja – das ist in unserem elementaren Interesse – auch in Zukunft eine gute Beziehung zu Großbritannien. Im Bereich der Verteidigungszusammenarbeit, im Bereich der Sicherheitszusammenarbeit, aber auch im Bereich vieler internationaler Konferenzen wollen wir gute Freunde und Partner bleiben. Dafür werde ich jedenfalls alles einsetzen und die ganze Bundesregierung auch. ({43}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, so müssen wir sagen: Wir haben eine intensive und vielleicht manchmal auch sehr nervöse Zeit. Im Rückblick auf die 30 Jahre zuvor muss man sagen: Die Welt des Kalten Krieges war in vielen Facetten schrecklich, aber sie war übersichtlich. In den letzten 30 Jahren hat sich eine multilaterale Weltordnung herausgebildet mit verschiedenen Zentren, bei denen nicht klar ist, wie sie miteinander in Zukunft agieren wollen. In einer solchen Situation kommt es auf jedes einzelne Land an. Wir hier sind der Deutsche Bundestag, und ich stehe vor Ihnen als Kanzlerin der Bundesregierung, und wir haben die Aufgabe, dazu beizutragen, dass in dieser Welt des 21. Jahrhunderts – das ist der Ausgangspunkt – jeder eine Chance für seine Entwicklung hat, ({44}) dass wir Frieden haben. Dabei sollten wir nicht zuerst an uns selbst denken, sondern verstehen, dass deutsches Interesse heißt, immer auch die anderen mitzudenken. ({45}) Das ist der Erfolg von Europa. Das ist der Erfolg einer multilateralen Welt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({46})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Christian Lindner. ({0})

Christian Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004097, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Diese Debatte hier heute markiert eine Zäsur. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben angekündigt, nicht mehr für das Amt der Bundesvorsitzenden Ihrer Partei zu kandidieren. ({0}) Aus diesem Grund ist diese Debatte eine danach – nach dieser Entscheidung. Wir sehen es in den internationalen Medien: Es beginnt jetzt bereits die Betrachtung Ihrer gesamten Amtszeit, Ihres politischen Lebenswerks. ({1}) Das werden dereinst Historiker abschließend betrachten. Aber es verändert trotzdem die Art und Weise der Auseinandersetzung mit Ihnen und Ihrer Regierung. ({2}) Man hat es auch Ihrem Beitrag heute bereits angemerkt. ({3}) – Das ist doch die Realität, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich glaube, noch habe ich nur in der Sache beschrieben. Nicht nur Sie, Frau Bundeskanzlerin, sondern auch der Bundesminister des Innern hat angekündigt, nicht mehr für den Vorsitz seiner Partei zur Verfügung zu stehen. ({4}) Das hat natürlich Auswirkungen auf die Regierung. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wird nämlich kein Vorsitzender einer der Koalitionsparteien dem Kabinett angehören. ({5}) Das zeigt eines: Wenn Parteien so auf Distanz zu ihrer eigenen Regierung gehen, dann stehen wir nicht am Anfang von etwas, sondern wir werden Zeuge des Endes von etwas. ({6}) Das kann ja auch befreiend wirken. Frau Bundeskanzlerin, wir haben gehört, wie Sie in Straßburg vor dem Europäischen Parlament gesprochen haben. Und wir haben das begrüßt. Denn: Es trat eine Angela Merkel auf, die Visionen beschrieben hat. Wir unterstützen Sie, wenn Sie die Vision einer wirklichen europäischen Armee für sich selbst reklamieren. Auf uns können Sie in dieser Frage bauen. ({7}) Wir wünschen uns jetzt konkrete Maßnahmen und Schritte. Was führt uns dahin? Das ist ja eine der Fragen, in der wir dringend mehr europäische Gemeinsamkeit wollen. ({8}) In unserem Land und in diesem Parlament gibt es ja einige, die glauben, deutsche Interessen zu vertreten, wenn sie nur auf nationale Antworten setzen. Machen wir uns bitte gemeinsam klar: Es gibt eine Konfliktlinie in unserem Land, weil es Menschen gibt, die von Offenheit, von Vielfalt, von Digitalisierung, Globalisierung und Migration, den Verschiebungen auf der Weltbühne ({9}) vor allen Dingen Einschränkungen ihres eigenen Lebens erwarten. Hier gibt es Leute, die sagen: Die Antwort auf diese Angst ist, dass wir uns im Nationalstaat verschanzen. – Die Wahrheit ist: Auf diese großen Herausforderungen kann man nur antworten mit gemeinsamer Außen-, gemeinsamer Sicherheitspolitik, gemeinsamer Handelspolitik, gemeinsamen Strategien für einen digitalen Binnenmarkt. ({10}) Bei diesen Fragen ist nicht offen, ob wir das europäisch gemeinsam machen, da ist nur offen, wann wir endlich zu europäischer Gemeinsamkeit in diesen Fragen finden. ({11}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben aufgegriffen, dass die französische En-Marche-Bewegung und die ALDE in vielen Fragen zusammenarbeiten. Wir sind aber nicht deckungsgleich. Ich hoffe, sagen zu können, dass die deutschen Liberalen Herrn Macron näherstehen als Ihre Partei Herrn Orban. Trotzdem sind wir nicht deckungsgleich. Wir sehen doch, welche Entwicklung es in Italien gibt, wo eine links- und rechtspopulistische Regierung fahrlässig die Fiskalregeln brechen will und ihren eigenen privaten Bankensektor in Turbulenzen bringen wird. In einer solchen Phase ist es falsch, über die Vergemeinschaftung von Risiken und Finanzen zu sprechen. In einer solchen Phase muss die finanzpolitische Eigenverantwortung eines jeden Mitglieds der Währungsunion betont werden. ({12}) Das ist genau die falsche Prioritätensetzung. ({13}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben über das Wachstum gesprochen. Genau an diesem Punkt muss man Zweifel an Ihrem Beitrag heute bekommen. Denn wir wissen: Das Wachstum, die Dynamik in Deutschland stehen eben nicht mehr so zur Verfügung wie über ganz weite Teile Ihrer bisherigen Amtszeit. Der Bundesfinanzminister hat es gestern dargetan: Wir können nicht sicher sein, dass es in der Wirtschaft tatsächlich so weitergeht wie bisher, dass die Staatseinnahmen weiter so prosperieren, dass wir uns auf Rekordbeschäftigung stützen können. – All das sind keine Garantien. Deshalb ist es nun notwendig, dass wir die politischen Konsequenzen ziehen und dass wir wieder stärker in den Blick nehmen, wie wir auch zukünftig unsere Wettbewerbsfähigkeit behaupten. Bei Ihrer Aufzählung des Handelns Ihrer Regierung stelle ich mit Blick in den Etat nicht fest, dass sich diese neue wirtschaftliche Realität tatsächlich in den Prioritäten abbilden würde: Baukindergeld, Mütterrente, Brückenteilzeit und, und, und – alles überwiegend konsumtive Ausgaben. Sie setzen keine Impulse dafür, den Etat zukünftig zu finanzieren; Sie schaffen Ansprüche, die den Etat zukünftig strangulieren werden, Frau Bundeskanzlerin. Das ist mit Blick auf die weitere Entwicklung gefährlich. ({14}) Sie reden inzwischen anders, als Sie handeln: Sie selbst wollen den Solidaritätszuschlag abschaffen – so äußert sich auch der Bundeswirtschaftsminister –; zwei der Bewerber für den CDU-Vorsitz fordern eine Unternehmensteuerreform, in den Papieren der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Sommerklausur war das ebenfalls enthalten. Fortwährend hören wir also in der Tat: „Das steuerpolitische Umfeld hat sich verändert, Bürgerinnen und Bürger und Betriebe müssen entlastet werden“, was wir aber nur finden, ist zusätzliche Belastung, wie beispielsweise bei der Parität bei der gesetzlichen Krankenversicherung. ({15}) Sie handeln anders, als Sie reden. Aber wer den Mund spitzt, der muss irgendwann auch pfeifen, Frau Bundeskanzlerin, sonst verliert man Glaubwürdigkeit. ({16}) Es geht ja noch weiter. Nach der Rente mit 63, durch die qualifizierte Fachkräfte, die wir dringend brauchen, vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden, wird über ein allgemeines Pflichtjahr gesprochen. Die Sozialdemokraten wollen sich dadurch beliebt machen, dass alle Beschäftigten einmal im Jahr einen Monat auf Kosten des Staates bezahlten Urlaub bekommen können. Bündnis 90/Die Grünen führen eine Debatte über eine Garantiesicherung, für die mal eben mir nichts, dir nichts die Steuern um 30 Milliarden Euro erhöht werden sollen – nicht um in Bildung zu investieren, sondern um das Geld denjenigen zu geben, die nicht arbeiten wollen. ({17}) Mit einer solchen Politik würde man unser Land vorsätzlich beschädigen. ({18}) – Nein, ich schäme mich überhaupt nicht; denn das ist etwas, was auch Sie verstehen müssen. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Wir sind solidarisch mit Menschen, die bedürftig sind und die Hilfe brauchen; das ist unser Sozialstaatsgebot. Zur Solidarität gehört aber auch das individuelle Bemühen, soziale Leistungen nur so lange und so weit in Anspruch zu nehmen, wie es wirklich notwendig ist. ({19}) Wer anderes verspricht, behandelt die Menschen nicht fair. Dabei begrüßen wir ja die von Frau Nahles und Herrn Habeck angestoßene Debatte über eine Reform von Hartz IV. Nur bitte machen wir das System da, wo es gut ist, nicht schlecht; es hat uns ja aus der verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit an vielen Stellen herausgeführt. Das wäre doch ein Grund auch zum Stolz für Bündnis 90/Die Grünen und die Sozialdemokratie auf diese Sozialstaatsreform. Nicht jede Regierung hat solche grundlegenden Weichenstellungen zustande gebracht. ({20}) Was wir jetzt aber notwendigerweise tun müssen, ist, an den Stellen zu arbeiten, wo das System nicht funktioniert. Es ist zu bürokratisch; deshalb kann man stärker pauschalieren. Es gibt viel zu wenige Betreuerinnen und Betreuer für die Menschen, die Angebote brauchen, um wieder in Arbeit oder Ausbildung zu kommen. Und vor allen Dingen ist dieses System zutiefst unfair; denn vom Zuverdienst beispielsweise durch einen Minijob bleibt den Menschen zu wenig. Es muss aber gelten, dass derjenige, der mehr arbeitet, auch am Monatsende mehr Einkommen zur Verfügung hat. ({21}) Sonst ist ein System nicht gerecht. An diesen konkreten Punkten ist zu arbeiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Bundeskanzlerin hat über die Migrationspolitik gesprochen. Ich unterstreiche, was Sie, Frau Bundeskanzlerin, zum Migrationspakt der Vereinten Nationen gesagt haben. Machen wir uns aber bitte klar, dass dieses Vorhaben zutiefst umstritten ist. Natürlich ist an dem Pakt nicht alles so formuliert, wie wir es alleine hier im Deutschen Bundestag beschließen würden; ({22}) aber es ist besser, diesen Pakt zu haben, als ihn nicht zu haben. Wenn ich die öffentliche Debatte sehe, habe ich aber eine Befürchtung: TTIP – wir wären heute, nach Trump, froh, wenn wir klare Regeln für den Welthandel und den transatlantischen Handel hätten – ist von der politischen Linken durch Desinformation kaputtgemacht worden. Das darf sich jetzt beim UN-Migrationspakt, diesmal von der politisch rechten Seite, nicht wiederholen. ({23}) Ich frage mich in dieser Debatte: Was macht eigentlich der Bundesaußenminister in dieser Frage? ({24}) Er müsste doch der Erste sein, der für solche internationalen Fragen in Deutschland Öffentlichkeit schafft. ({25}) Unser eigenes Recht muss ebenfalls weltoffener werden. Das gilt auch für das, was Sie als Fachkräftezuwanderungsregelung vorgelegt haben. Unser Einwanderungsrecht muss mit Blick auf den Spurwechsel pragmatischer werden, und es muss kontrollierender und steuernder werden, insbesondere bei der Abschiebung von Illegalen. ({26}) Bevor wir wie Frau Kramp-Karrenbauer darüber nachdenken, nach Syrien abzuschieben, sollten wir erst einmal erreichen, dass Menschen in die Maghreb-Staaten zurückgeführt werden können. Das würde näherliegen. ({27}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben über die Digitalstrategie und in dem Zusammenhang auch über die Infrastruktur gesprochen. Wir sind in dieser Frage, was die Ziele angeht, an Ihrer Seite, aber wir haben Zweifel an dem Weg, den Sie beschreiten wollen. Die Ausschreibungsbestimmungen von Minister Scheuer überzeugen uns gegenwärtig noch nicht. Wir wollen ein flächendeckendes Netz. Wir wollen es schnell. Wir wollen die Lücken bei 4G schließen, und wir wollen Glasfaserausbau und Mobilfunk der fünften Generation zusammendenken. Das wird nicht funktionieren: gleichzeitig Einnahmen zu maximieren und diese Form der Daseinsvorsorge zu erreichen. ({28}) Wir haben doch historische Erfahrungen. Hans Eichel wollte maximale Einnahmen bei den UMTS-Lizenzen, ohne maximale Netzabdeckung zu fordern. Dafür haben wir bis heute einen hohen Preis zu zahlen. Wir sollten es deshalb für die Zukunft genau umgekehrt machen, als Hans Eichel es damals beschlossen hat. ({29}) – Ja, Herr Schneider, es waren 100 Milliarden Euro Einnahmen, aber der volkswirtschaftliche Schaden durch Funklöcher und zu schmales Breitbandnetz in der Fläche übersteigt bei weitem den Nutzen der öffentlichen Einnahmen von Hans Eichel damals – mit ganz großer Sicherheit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mein Freund Otto Fricke hat heute Geburtstag. ({30}) Deshalb will ich mit einem letzten Gedanken schließen: 2018 ist ein verlorenes Jahr ({31}) – bei der Wettbewerbsfähigkeit, bei der Bildung, der Digitalisierung, beim Klimaschutz, bei der Dieselproblematik, der Einwanderung und Europa. Frau Bundeskanzlerin und Herr Seehofer, Sie beide haben erkannt, dass Ihre Parteien Erneuerung brauchen. Was für Parteien richtig ist, das kann für das Land, das kann für die Bundesrepublik Deutschland nicht falsch sein. Deshalb hoffen wir auf das neue Jahr. ({32})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Vorsitzende der SPD-Fraktion, Andrea Nahles. ({0})

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lindner, Sie haben ja in einem Punkt absolut recht: ({0}) Diese Haushaltsdebatte findet tatsächlich im Zeichen einer sehr, sehr großen Zäsur statt. Großbritannien wird die Europäische Union verlassen – ob mit oder ohne Brexit-Deal –; das ist tatsächlich eine echte, große Zäsur. Deswegen muss heute von diesem Parlament, von diesem Ort aus auch ein Signal ausgehen, nämlich dass die Vertiefung der europäischen Einigung, die Zusammenarbeit in Europa durch den Brexit nicht ins Stocken geraten wird. Dafür müssen wir zusammen mit Frankreich und unseren europäischen Partnern sorgen. ({1}) Wir sagen: Für uns ist die europäische Zusammenarbeit nicht ein Problem. Die Vertiefung der Europäischen Union ist für uns vielmehr die Antwort. ({2}) Ich glaube, an dieser Stelle müssen wir konkret werden. Das heißt nämlich zum Beispiel, dass es uns nie wieder passieren darf, Herr Lindner, dass uns eine Finanzkrise wie 2008 so kalt erwischt. Insofern ist Ihr Befund in Bezug auf Italien komplett richtig. Leider ist Ihre Antwort nicht richtig. Denn es geht nicht darum, dass wir in einer Phase, wo einzelne Länder ins Straucheln zu geraten drohen, die Währungsunion infrage stellen, sondern es geht darum, dass wir mehr Einfluss nehmen, dass wir die Zügel in die Hand nehmen und dafür sorgen, dass wir diese Krise gemeinsam abwenden können. ({3}) Und deswegen brauchen wir auch die Europäische Währungsunion sowie eine Bankenunion. Wir müssen an dieser Stelle mehr Zusammenarbeit wagen und unsere eigene Währung stabilisieren. Ihre Antwort ist grundfalsch. ({4}) Europa muss auch konkret werden, wenn es um Investitionen geht. Es geht um die soziale Dimension Europas, also zum Beispiel um eine europäische Arbeitslosenrückversicherung. Und es geht natürlich ganz konkret auch darum, dass Europa die Zukunft gestaltet. Dazu gehört für mich nun einmal eine klare Antwort Europas auf die Frage, wie sich die große Plattformökonomie auf diesem Planeten bewegt. Da muss Deutschland für die soziale Marktwirtschaft eintreten. Deswegen brauchen wir eine Besteuerung von digitalen Unternehmen – international. Wir brauchen eine Mindestbesteuerung überall auf der Welt. Für den Fall, dass das nicht kurzfristig erreichbar ist, wollen wir noch im Dezember zusammen mit den Franzosen – das hat Olaf Scholz hier gestern angekündigt – einen gemeinsamen Vorschlag machen, wie wir eine Digitalsteuer auf europäischer Ebene umsetzen wollen. ({5}) Das ist die Antwort. Mehr Europa ist die Antwort, nicht weniger Europa. Ich glaube, dass wir mit unserem Haushalt in diesen Zeiten, wo wir sehr gut dastehen, wo es aber, wie wir sehen, auch Risiken gibt, sehr genau überlegen müssen: Wo setzen wir die Prioritäten? Es ist nun einmal so, dass der Brexit verunsichert. Es sorgt für Unruhe, wenn China und die USA sich in einen Handelskrieg bewegen. Es ist so, dass wir hier im dritten Quartal eine leicht zurückgehende Wirtschaftsleistung haben. Deswegen muss man einen Investitionshaushalt vorlegen. Das tun wir mit diesem Haushalt. Die 155 Milliarden Euro, die wir hier investieren, sind eine Rekordsumme, alleine 39 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist ein klares Signal, dass wir die Zeichen der Zeit richtig erkannt haben. ({6}) Ich will auf die Digitalisierung eingehen; Frau Bundeskanzlerin hat es auch gemacht. Die Digitalisierung ist ein Schwerpunkt. Es gibt einen Bereich in Deutschland, wo die Digitalisierung wirklich dringend wird: an den Schulen. Ich möchte deswegen sehr klar sagen: Wir haben das Geld. Das Geld ist da, um an dieser Stelle ein Upgrading, um es einmal so auszudrücken, hinzukriegen. Um den Weg dahin gehen zu können, brauchen wir aber noch eine Grundgesetzänderung. Wir sind mit den Grünen, mit der FDP – dafür möchte ich mich bedanken – in intensiven Beratungen, um den Weg dafür freizumachen. Wir brauchen eine Modernisierung der Schulen. Wir müssen an dieser Stelle endlich das Kooperationsverbot aufbrechen, damit das möglich wird. Der Bund muss sich hier engagieren. Er will sich engagieren. Das Geld dafür ist da, und das müssen wir jetzt auch ermöglichen. ({7}) Ich glaube, dass es tatsächlich sehr wichtig ist, dass wir in diesem Parlament die richtigen Fragen stellen. Da geht es beim Thema Digitalisierung nicht immer nur um Geld, da geht es sehr wohl auch um Regulierung. Wir müssen die Frage stellen: Wer darf eigentlich die Daten nutzen, die überall gesammelt werden? Sind es nur die Monopole, die sich herausbilden, die diese Daten sammeln, verwerten, verkaufen und daraus Innovation ableiten dürfen? Wir müssen persönliche Daten schützen, aber auch Daten dem Markt zur Verfügung stellen: Start-ups, deutschen Unternehmen. Deswegen schlagen wir von der SPD vor, an dieser Stelle einen Schritt weiter zu gehen. Ein Datensharinggesetz, ein Daten-für-alle-Gesetz ist der Weg der Wahl, um an dieser Stelle tatsächlich Marktwirtschaft, Freiheit des Einzelnen und Gerechtigkeit zu ermöglichen. Da müssen wir größer denken als nur in Geld. Es geht bei dieser Frage auch um Regulierung und neue Weichenstellungen. ({8}) Lassen Sie uns die 5G-Versteigerung nutzen, damit auch bei mir in der Eifel endlich das schnelle Internet ankommt. ({9}) Es ist nur eine kleine Randbemerkung. Aber Entschuldigung: Es wäre jetzt wirklich einmal an der Zeit. Wir reden die ganze Zeit über bezahlbares Wohnen in den Städten. Der eine oder andere würde es sich überlegen, auch weiter sehr schön und sehr gut auf dem Land zu leben, wenn wir überall schnelles Internet hätten. ({10}) Das wäre auch eine Maßnahme für den Bundesinnenminister, an dieser Stelle für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen. Deswegen hat die 5G-Versteigerung auch bei diesem Haushalt eine hohe Priorität. ({11}) Ich möchte darüber hinaus sehr klar einen Akzent setzen: Dieser Haushalt legt an vielen Stellen die Grundlage für Chancengleichheit. Chancengleichheit ist ein Ziel, aber leider nicht die Realität. Ich möchte das am Beispiel der Kitas in Deutschland deutlich machen. Wir wollen ein Gute-Kita-Gesetz auf den Weg bringen, mit dem wir uns als Bund wie noch nie in Deutschland verpflichten, für die Qualitätsverbesserung in den Kitas mit Sorge zu tragen. Wir haben unter Rot-Grün auf Bundesebene für die Infrastruktur gesorgt. Aber jetzt brauchen wir eine Qualitätsoffensive; dazu haben wir uns entschlossen. Deswegen kann ich an dieser Stelle nur darum bitten, dass wir auch hier möglich machen, was bisher nicht möglich ist, nämlich dass der Bund auch da vor Ort hilft. Es geht um Qualität, aber es geht auch um die Entlastung von Familien. ({12}) Es ist wichtig, dass über das Gute-Kita-Gesetz auch Gebührenfreiheit ermöglicht wird. ({13}) Wir werden dafür sorgen, dass es bundesweit gestaffelte Gebühren gibt bis hin zur Gebührenfreiheit. ({14}) Das ist aus meiner Sicht ein zentraler Punkt, weil es teilweise Hunderte Euro pro Monat sind, die auch Menschen, die nicht der gehobenen Mittelschicht angehören, ({15}) aufbringen müssen. Davon sollten wir sie aus meiner Sicht ganz dringend entlasten. ({16}) In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Punkt zu nennen. Wir wollen auch bei der Bildung einen Schwerpunkt setzen, nämlich bei der Weiterbildung in den Betrieben. Auch die brauchen wir für den Transformationsprozess. Deswegen bin ich sehr froh, dass Hubertus Heil hier die Qualifizierungsoffensive wagt. Die Bundesagentur für Arbeit wird sich in Zukunft auch um Weiterbildungsberatung kümmern. Sie wird präventiv agieren können, nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist und es Transfergesellschaften gibt, sondern bevor Menschen dequalifiziert werden. Bevor Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren, wird präventiv in die Betriebe investiert, in die betriebliche Weiterbildung. Das machen wir möglich, dafür geben wir Geld. Das ist richtig investiertes Geld in diesem Bundeshaushalt. ({17}) Ich möchte darüber hinaus eine Sache ansprechen. Mit diesem Haushalt wird in den richtigen Bereichen investiert, in Chancengleichheit, in Bildung; aber er sorgt natürlich auch für Sicherheit. Es gibt zwei Dimensionen von Sicherheit. Die eine Dimension ist die soziale Sicherheit. Das gehen wir ganz massiv bei der Altersvorsorge an. Ich sage an dieser Stelle: Es ist wirklich groß an dem Gesetz, dass wir die Renten endlich wieder an die Löhne koppeln, ({18}) dass in dem Moment, in dem die Löhne steigen, auch die Renten steigen. Das bedeutet, dass wir die Rentenformel ändern. Dafür stellt dieser Bundeshaushalt die Finanzierung zur Verfügung. Sonst wäre das gar nicht möglich. Es geht aber auch darum, die Sicherheit zu schaffen, dass man auch im Alter, wenn man nicht mehr arbeiten kann, gut leben kann. Deswegen ist das ein entscheidender Meilenstein. Wenn man im Alter pflegebedürftig wird, ist man darauf angewiesen, dass es genügend Pflegekräfte in diesem Land gibt, und diese müssen auch anständig bezahlt werden. Deswegen hat diese Bundesregierung die Kraft aufgebracht, die größte Pflegereform seit 15 Jahren zu machen. Das haben wir dadurch geschafft, dass wir uns einig waren und gesagt haben: Wir müssen wieder mehr Mittel für die Einstellung von Pflegekräften zur Verfügung stellen. – Die Pflegekosten in den Krankenhäusern werden wieder eins zu eins von den Krankenkassen übernommen. ({19}) Was für ein epochaler Schritt! Das ist etwas, was die Menschen tatsächlich spüren werden. Deswegen bin ich der Meinung, dass wir mit diesem Haushalt auch soziale Sicherheit schaffen. Aber es geht nicht nur um soziale Sicherheit. Es geht auch um einen handlungsfähigen Staat. An dieser Stelle will ich auf etwas hinweisen, was viele vielleicht noch gar nicht in dem Maße würdigen. Es ist so, dass wir im Bereich „Bundespolizei und Bundeskriminalamt“ 3 120 Stellen zusätzlich schaffen. Ich glaube, wir haben an dieser Stelle viele Jahre zu wenig gemacht. Seit einigen Jahren haben wir – auch auf Länderebene; das muss man klar sagen – den Hebel herumgedreht. Wir legen jetzt da, wo es wirklich dringend nötig ist, die Messlatte richtig. 3 120 Stellen sind, für sich genommen, ein Riesenblock. Vor allem werden Tausende sachgrundlos befristete Stellen mit diesem Haushalt entfristet. ({20}) Wir haben da als Bund, mit Verlaub, auch eine Vorbildfunktion. Wenn wir auf Bundesebene sachgrundlose Befristungen nicht beenden, dann können wir uns schlechterdings nicht an die Privatwirtschaft wenden und sagen: So, macht ihr mal! Wir kriegen das nicht hin. – Deswegen ist dieser Haushalt, wie auch schon der letzte Haushalt, ein Durchbruch in Richtung Entfristung. Das ist für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch für die Privatwirtschaft ein wichtiges Signal, das von diesem Bundeshaushalt ausgeht. ({21}) Wenn ich von Sicherheit spreche, dann heißt das auch, dass ein Staat die Regeln, die er aufstellt, erst nimmt. Wir erhöhen den Mindestlohn ab Januar 2019 auf 9,19 Euro, dann auf 9,35 Euro. Wenn man aber einen Mindestlohn hat, dann sollte er auch überall gelten. Wir haben auch eine Behörde, die das sicherstellt; das ist der deutsche Zoll. Ich freue mich, dass wir auch an dieser Stelle konkret werden und 775 zusätzliche Zollstellen schaffen, ({22}) damit es nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Realität einen Mindestlohn gibt, damit Schwarzarbeit bekämpft wird und wir auch mehr für die Steuerfahndung machen können. ({23}) Viele in unserem Land, die hart arbeiten und ihre Familien sehr gut durchbringen, merken oft am Ende des Monats, wie knapp es in der Kasse ist. Wir haben deswegen ein Familienentlastungsgesetz auf den Weg gebracht und auch finanziert. Es geht um 9,8 Milliarden Euro Entlastung. Mitte nächsten Jahres wird es 10 Euro mehr Kindergeld geben. Es wird im Übrigen auch eine Abflachung der Progression geben, damit das Geld in den Familien auch ankommt. Wir reden oft über diejenigen, die Transferleistungen bekommen. Dieser Haushalt ist einer, der genau auf die guckt, die arbeiten, die Steuern und Beiträge zahlen. Wir haben hier ganz klare Akzente gesetzt. Mich freut besonders, dass wir es hingekriegt haben, dass die Menschen im unteren Einkommensbereich, die Geringverdiener – 3,5 Millionen Menschen verdienen nur 1 300 Euro; verdienen würden sie vielleicht mehr, aber sie bekommen nicht mehr –, ab Mitte 2019 einen reduzierten Rentenbeitragssatz zahlen – das ist sozusagen im großen Rentenpaket versteckt –, ({24}) aber trotzdem volle Rentenansprüche haben. Das ist eine Maßnahme, die das Ziel verfolgt, dass der, der hart arbeitet und sich an die Regeln hält, bei Rente und Gehalt spürbar über der Grundsicherung liegt. Dafür haben wir diese Maßnahme miteinander verabredet und finanziert. ({25}) Das sind einige Hundert Millionen Euro, gut investiertes Geld für Geringverdiener. Mit diesem Haushalt wird also nicht nur investiert. Er sorgt nicht nur für mehr Chancengleichheit, nicht nur für soziale und innere Sicherheit, sondern hat auch die Menschen im Blick, die hart arbeiten, die ihre Steuern zahlen und Entlastung brauchen. Das sind die Schwerpunkte dieses Haushaltes. Deswegen ist es ein sehr guter, ein sehr solider Haushalt, der im Übrigen ohne Schulden auskommt, was – das will ich auch noch einmal betonen – eine gemeinsame Leistung dieser Bundesregierung ist. Vielen Dank dafür! ({26})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Dr. Sahra Wagenknecht. ({0})

Dr. Sahra Wagenknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004183, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zumindest in einem Punkt hat diese Koalition geschafft, was vor ihr noch keiner Bundesregierung gelungen ist: Obwohl sie weniger als ein Jahr im Amt ist, gibt es mit Ausnahme der beteiligten Personen wahrscheinlich niemanden in diesem Land, der nicht auf ihr baldiges Ende hofft. Die Bevölkerung hat die Koalition satt, weil sie mit ihren schlechten Kompromissen und gegenseitigen Blockaden erkennbar nicht in der Lage ist, die wirklichen Probleme der Menschen zu lösen. Ja, und die Konzernlenker und Finanzmafiosi hoffen natürlich längst, dass mit Friedrich Merz bald einer der ihren ins Kanzleramt einzieht, ({0}) der ihre Wünsche weit bedingungsloser und rücksichtsloser erfüllt als das aktuelle Kabinett. ({1}) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, genau diese Art von Politik können wir uns immer weniger leisten. Schauen wir uns doch die Herausforderungen an, vor denen wir stehen: Der Einbruch der deutschen Wirtschaft im dritten Quartal zeigt an, dass es mit der Konjunktur bald nicht mehr so laufen könnte wie in den letzten Jahren, auch, weil die ständigen deutschen Exportüberschüsse Gegenreaktionen geradezu provozieren. Um den Binnenmarkt zu stärken, brauchen wir aber dringend höhere Löhne, bessere Renten, und wir brauchen eine Regierung, die in Sachen öffentlicher Investitionen endlich ihre Aufgaben erfüllt. Und das tun Sie nicht, auch wenn Sie hier immer so tun, als wäre das so. ({2}) Auch auf den Finanzmärkten ziehen längst wieder dunkle Wolken auf. Die Diskrepanz zwischen Verschuldung und Wirtschaftsleistung ist global weit größer als vor der letzten großen Krise. Trotzdem haben Sie es bis heute versäumt, die Spekulation einzudämmen und die Banken zu zwingen, die Ersparnisse der Bürgerinnen und Bürger abzusichern. Wir brauchen dringend eine Regierung, die das nachholt, und nicht einen Finanzminister, der jetzt auch noch die Finanztransaktionsteuer kalt beerdigt, weil er alle Derivategeschäfte komplett ausklammern will. Was ist das für ein Kotau vor der Finanzmafia? ({3}) Die Digitalisierung ist inzwischen ein Modethema; wir haben es ja heute wieder hier gehört. Aber am eigentlichen Problem wird zuverlässig vorbeigeredet. Das Problem ist, dass der Mensch eben nicht im Mittelpunkt stehen kann, solange diese Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts fünf Monopolisten aus dem Silicon Valley überlassen wird, die längst einen globalen Überwachungskapitalismus aufgebaut haben, bei dem sogar Orwells schlimmste Befürchtungen in den Schatten gestellt werden. ({4}) Deswegen brauchen wir eine Regierung, die diese Enteignung der Privatsphäre endlich gesetzlich stoppt, und wir brauchen digitale Plattformen in gemeinnützigem Eigentum, ({5}) weil Wettbewerb in diesem Bereich wegen der Netzwerk­effekte eben nicht funktioniert. Auch Klimawandel, Raubbau an unseren Ressourcen bedrohen unsere Zukunft. Aber wer dem Einhalt gebieten will, der muss schleunigst aus einer Wegwerfwirtschaft aussteigen, in der marktbeherrschende Konzerne es sich leisten können, Produkte extra so zu konstruieren, dass sie schnell kaputtgehen und dass sie sich möglichst nicht reparieren lassen. Deswegen brauchen wir eine Politik, die innovative Technologien, die kreative Firmen fördert, statt Subventionen an die bestvernetzten Großunternehmen zu verteilen. ({6}) Eine Bundesregierung, die in Brüssel strengere Abgasnormen verhindert und deren Regierungspartei CDU sich das von den BMW-Eigentümern Quandt mit einer Großspende von 700 000 Euro bezahlen lässt, ({7}) ist nicht nur ein klimapolitischer Blindgänger, sondern steht auch für genau die Art geschmierter Politik, die viele Menschen an der Demokratie verzweifeln lässt. ({8}) Auch die geopolitischen Gefahren wachsen. Dass Donald Trump nach dem Iran-Abkommen jetzt auch noch den INF-Vertrag kündigen will und damit eine neue Welle atomarer Aufrüstung auslösen könnte, ist eine ernste Gefahr für den Weltfrieden und vor allem eine Gefahr für die Sicherheit hier in Europa. Diese Zumutungen müssen doch endlich durch eine selbstbewusste europäische Friedenspolitik beantwortet werden. Aber dafür brauchen wir eine Bundesregierung, die den Mut hat, die Entspannungspolitik Willy Brandts wiederzubeleben, ({9}) und nicht eine, die sich in Macrons Planspiele für eine europäische Interventionsarmee einklinkt, bei denen es nicht zuletzt darum geht, den Parlamentsvorbehalt für neue Kriegseinsätze auszuhebeln. ({10}) Frau Merkel, Sie haben vorhin sehr engagiert über Migration gesprochen, und Sie haben über die vielen Kriege auf dieser Welt gesprochen. Ja wo kommen denn diese Kriege her? Wer munitioniert denn diese Kriege? ({11}) Das ist doch nicht zuletzt Deutschland mit seinen Waffen­exporten. Auslöser waren oft genug auch Rohstoffkriege westlicher Staaten. Die Ausplünderungen dieser Länder sind doch die Ursachen. Tun wir doch nicht so, als sei Flucht und Migration etwas, wofür es keine politische Verantwortlichkeit gebe. Dafür gibt es politische Verantwortlichkeiten. Es gibt Ursachen, und die muss man endlich beseitigen. Da würde ich mir von Ihnen einmal wünschen, dass Sie Konsequenzen ziehen. ({12}) Ich finde, wir haben uns viel zu sehr an die Unfähigkeit von Regierungen gewöhnt. Wie kann es sein, dass es in einem reichen Land angeblich nicht zu schaffen ist, Brücken und Straßen in einem ordentlichen Zustand zu erhalten und dafür Sorge zu tragen, dass auch ländliche Regionen Zugang zu schnellem Internet und gutem Funknetz haben? Das, was hier gerade wieder gesagt worden ist, haben wir doch schon vor drei, vier, fünf Jahren gehört, und trotzdem ist es nicht besser geworden. Wie kann es sein, dass Sie nicht in der Lage sind, alte Menschen vor Armut zu schützen oder allen Kindern eine gute Bildung zu ermöglichen? Aber ausgerechnet für die Beschaffung von Waffen und Kriegsgerät schon wieder 4,7 Milliarden Euro obendrauf zu legen, drauf auf einen Rüstungsetat, der schon in den letzten Jahren unverantwortlich schnell gewachsen ist, ist doch eine irre Politik. ({13}) Meint diese Koalition wirklich, dass zufriedene Rüstungslobbyisten wichtiger sind als zufriedene Wähler? Wenn Sie das meinen, dann muss ich sagen: Es ist wirklich kein Wunder, dass es mit solchen Parteien bergab geht. ({14}) Ich gebe ja zu: Es schmerzt uns nicht allzu sehr, wenn die Union Wähler verliert. Aber was uns wirklich ein Rätsel ist, ist die Strategie der SPD. ({15}) Es ist keine zwei Wochen her, da haben Sie auf Ihrem Debattencamp absolut vernünftige Forderungen formuliert – gegen Hartz IV, für eine Erneuerung des Sozialstaats, für eine Rentenversicherung, in die alle einzahlen. Das finden wir gut; wir wären heilfroh, wenn wir in Zukunft für solche Dinge nicht mehr alleine kämpfen müssen. ({16}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn Sie das alles auch nur etwas ernst meinen, wie können Sie dann diesem Rüstungshaushalt, diesem Aufrüstungshaushalt, zustimmen, ({17}) der dieses Land kein bisschen gerechter machen wird? Wer soll Ihnen denn noch irgendetwas glauben, wenn Sie gleichzeitig an der Koalition mit der Union festhalten, mit der Sie garantiert keine einzige dieser Forderungen umsetzen können? Sie machen doch Ihre Glaubwürdigkeit immer mehr kaputt. Sie können die besten Dinge formulieren, das nimmt Ihnen keiner mehr ab. Ich finde das traurig; das möchte ich schon deutlich sagen. ({18}) Unsere Nationalhymne, die Sie ja alle gern singen, beschwört Einigkeit und Recht und Freiheit. Aber wir leben nicht in einem einigen Land, sondern in einem, das sozial und zunehmend auch kulturell tief gespalten ist. ({19}) Es gibt diejenigen, die vom aktuellen Wirtschaftsboom profitieren, es gibt andere, an denen das Wachstum seit Jahren komplett vorbeigeht, und es gibt offensichtlich auch zweierlei Rechte in diesem Land: eines für den normalen Bürger und eines für die oberen Zehntausend und die Konzernlenker, bei denen gemeingefährliche Betrügereien wie die mit den Dieselabgasen komplett ohne Konsequenzen bleiben. ({20}) Die werden lieber auf die Dieselfahrer abgewälzt, denen inzwischen sogar auf einer Autobahn Fahrverbote drohen, ({21}) und diese Regierung schaut zu und erklärt sich für nicht zuständig. Wie blamabel ist das denn! ({22}) Wenn kriminelle Gangster mit windigen Finanzgeschäften die Steuerzahler ausplündern, dann stehen die Finanzminister jahrelang Schmiere. Stellen Sie sich einmal vor, ein Kleinunternehmer hätte das gemacht, was mit Cum/Ex generalstabsmäßig abgelaufen ist: Rechnungen für Dinge bei der Steuer einreichen, die er gar nicht besitzt, sondern sich nur kurzfristig ausgeliehen hat, und diese Rechnungen dann auch noch fleißig kopieren und alle seine Kumpel animieren, dass sie die auch noch einreichen und sich Steuern erstatten lassen, die sie nicht gezahlt haben. – Ich wette mit Ihnen: Der Mann säße binnen Wochen, spätestens binnen weniger Monate im Gefängnis. Die Cum/Ex-Betrüger dagegen haben den Steuerzahler über viele, viele Jahre um Milliarden geprellt, allein in Deutschland um 32 Milliarden Euro. Aber keiner von ihnen wurde bisher in Handschellen abgeführt, noch nicht mal hat man ihnen das Geld wieder abgenommen. Was ist denn das für eine Politik? Und dann wundern Sie sich, dass die Menschen nicht nur an der Demokratie, sondern auch am Rechtsstaat zweifeln? ({23}) Ja, und die Freiheit? Wie frei ist denn eine Gesellschaft, in der die meisten, die in arme Verhältnisse hineingeboren wurden, dieser Armut lebenslang nicht mehr entkommen. Die Hans-Böckler-Stiftung hat es kürzlich noch einmal belegt: Wer in Deutschland einmal unten ist, der bleibt mit großer Wahrscheinlichkeit unten. Wer dagegen reich geboren ist, der hat beste Chancen sein Leben im Luxus zu genießen, ohne dass er irgendetwas Relevantes dafür leisten muss. Ich finde, das sind feudale Verhältnisse, und das hat mit den Ansprüchen einer sozialen Marktwirtschaft nichts zu tun. ({24}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben in der ersten Regierungserklärung in dieser Legislatur viel vom sozialen Zusammenhalt gesprochen. Aber genau diesen Zusammenhalt hat doch die Politik der letzten Jahre zerstört. Deutschland hat sich verändert, und zwar in eine Richtung, die vielen Menschen Angst macht. Das Klima ist rauer, kälter und aggressiver geworden, und das ist letztlich das Spiegelbild der Kälte und Rücksichtslosigkeit, die sich in unserer Gesellschaft und vor allem in der Arbeitswelt ausgebreitet haben. Es ist doch bekannt, wie heute bei Ryanair, bei Amazon, bei der Deutschen Post und in vielen anderen Unternehmen mit Mitarbeitern umgesprungen wird. Und es sind Ihre Gesetze, die das möglich machen, die möglich machen, dass Menschen in schlecht bezahlten Jobs gedemütigt werden oder dass sie als Leiharbeiter und Dauerbefristete der Willkür ihrer Arbeitgeber in besonderem Maße ausgeliefert sind. Es sind Ihre Gesetze, die möglich machen, dass Arbeitslose im Jobcenter schikaniert werden, als würden sie um Almosen betteln, dabei handelt sich oft um Menschen, die jahrelang geschuftet und in die Sozialversicherung eingezahlt haben. ({25}) Wenn Sie wissen wollen, wie das Leben für viele Menschen jenseits der kernsanierten Wohlfühlzonen aussieht, dann lesen Sie die vielen Tausend Einträge unter dem kürzlich gestarteten Hashtag #unten. ({26}) Da geht es um Abstieg, um Ausgrenzung, um Demütigungen und um Zukunftsangst. Auch der FDP würde es guttun, da reinzugucken. ({27}) Auch das ist Deutschland, und diesem Deutschland geht es nicht gut. Dieses Deutschland muss sich schlicht verhöhnt fühlen, wenn es Ihre Schönwetterreden hört. Ich finde, wir brauchen eine Regierung, die sich den Menschen wieder zuwendet, die den Sozialstaat erneuert und damit Sicherheit und Planbarkeit in ihr Leben zurückbringt. ({28}) Ich fand es schon bedauerlich, Frau Merkel, dass heute in Ihrer gesamten Erklärung die soziale Frage und die Situation und die Lebensängste der Menschen in diesem Land überhaupt keine Rolle gespielt haben. So können wir doch nicht weitermachen. ({29}) Wir brauchen keine weitere Senkung des Arbeitslosenbeitrags. Wir brauchen eine Wiederherstellung einer soliden Arbeitslosenversicherung. Wer Bezieher mittlerer und unterer Einkommen entlasten will, der kann den Weg Österreichs gehen. Dort zahlt der Arbeitgeber zur Rentenversicherung mehr als 2 Prozentpunkte mehr als der Arbeitnehmer. ({30}) Wenn dann noch alle in die Rentenkasse einzahlen, auch Selbstständige und Beamte, dann müsste niemand mehr Angst vor Altersarmut haben. ({31}) Oder schauen Sie sich den Wohnungsmarkt an. Es gab eine Zeit, da wurde die Bereitstellung von Wohnraum in unserem Land als öffentliche Aufgabe begriffen. Dann wurde ein Großteil der Wohnungen an private Immobilienfonds verscherbelt. Das Ergebnis ist offensichtlich: Anstelle eines Grundrechts sind Wohnungen heute ein beliebtes Spekulationsobjekt geworden. Und der Mietwucher führt nicht nur zu wachsender Armut; er führt auch dazu, dass ärmere und wohlhabende Menschen immer seltener im gleichen Wohnviertel wohnen. ({32}) Auch das zerstört den gesellschaftlichen Zusammenhalt. ({33}) Zu Beginn dieser Koalition haben Sie pompös ein Heimatministerium geschaffen. Aber ich frage Sie: Was ist denn die wichtigste Basis dafür, dass Menschen eine Heimat haben, wo sie sich wohlfühlen können? Das ist doch ein sicheres Zuhause, wo sie wohnen können, ohne Angst zu haben, durch die nächste Mieterhöhung verdrängt zu werden. ({34}) Herr Seehofer und Frau Merkel, darum könnten Sie sich kümmern, wenn Sie ernsthaft etwas mit Heimat im Sinn haben. Eine vernünftige Wohnungspolitik würde die öffentliche Hand nicht einmal so viel mehr Geld kosten. 17 Milliarden Euro werden heute bundesweit dafür ausgegeben, mit Wohngeld und Wohnkostenzuschüssen, den Menschen die explodierenden Mieten etwas erträglicher zu machen. Statt so mit öffentlichem Geld am Ende die Taschen der Miethaie zu füllen, wäre es doch weit sinnvoller, einen sofortigen Mietpreisstopp durchzusetzen und die eingesparten Milliarden für ein neues Wohnungsbauprogramm unter öffentlicher Regie und für den Rückkauf kommunaler Wohnungen einzusetzen. ({35}) Aber dass Sie solide wirtschaften können und sparsam mit dem Geld der Steuerzahler umgehen, das gehört ja sowieso zu den großen Fake News Ihrer Politik. Die Wahrheit ist: Sie spalten nicht nur unser Land, Sie sind auch noch besonders teuer mit Ihrer Politik. Da fördern Sie überall, bei Bauvorhaben, Autobahnen oder Schulsanierungen, sogenannte öffentlich-private Partnerschaften, wobei die Partnerschaft regelmäßig darin besteht, dass die öffentliche Hand gemolken wird und die privaten Investoren risikofrei dicke Renditen absahnen. Deshalb sind solche Projekte immer teurer, als wenn der Staat selbst investiert. ({36}) Trotzdem fördern Sie das mit ungebrochener Begeisterung. In vielen Verwaltungen fehlt qualifiziertes Personal. Es fehlen Polizisten auf den Straßen, es fehlen Erzieher, Lehrer, Sozialarbeiter, Pflegekräfte. Dabei wäre schon einiges gewonnen, wenn etwa das Geld, das für die Pflege bereitsteht, vollständig dafür eingesetzt werden könnte, qualifiziertes Personal und anständige Gehälter zu bezahlen, statt, wie das heute der Fall ist, auch noch die lukrativen Gewinne der Finanzinvestoren mitzufinanzieren, die immer mehr Pflegeheime übernehmen. ({37}) Krankenhäuser sind keine Profitcenter. ({38}) Wir sind überzeugt: Hilflose alte Menschen und deren Pfleger renditehungrigen Hedgefonds zu überlassen, das ist einfach nur schäbig. ({39}) In Ihren Ministerien das gleiche Elend: Statt auf eigene Beamte zu vertrauen und die entsprechend zu qualifizieren, holen Sie sich die Leute von Goldman Sachs und McKinsey ins Haus, die teures Geld kosten und wohl kaum das Gemeinwohl im Sinn haben. Wohin die Krise der Demokratie und die Zerstörung des sozialen Zusammenhalts führen, das können Sie hier auf der rechten Seite des Parlaments besichtigen. Da sitzt das Ergebnis Ihrer Politik. ({40}) Und es ist schlicht unehrlich, wenn Sie sich hier immer mit großer emotionaler Geste über die AfD aufregen und gleichzeitig genau die Politik fortsetzen, die diese Partei erst stark gemacht hat. ({41}) Schon in den 90er-Jahren haben zwei sehr unterschiedliche Männer vor den Konsequenzen gewarnt, wenn große Teile der Bevölkerung sich nicht mehr politisch repräsentiert fühlen: Der Liberale Dahrendorf hat 1997 darauf hingewiesen, dass die Globalisierung – Zitat – die Institutionen der Demokratie durch konsequenzlose Kommunikation zwischen den Individuen ersetzt, und deshalb ein Jahrhundert des Autoritarismus befürchtet. Und der Schriftsteller Stefan Heym, der als jüdischer Emigrant in der US-Armee gegen die Nazis gekämpft hat, hat schon 1992 gewarnt – ich zitiere; ich bin gleich am Ende –: ({42}) Wenn die Leute sich nicht artikulieren können, dann werden sie Häuser anzünden. Und wenn man ihnen nicht eine demokratische Lösung anbieten kann, eine linke Lösung, dann werden sie nach rechts gehen, werden sie wieder dem Faschismus folgen … Und deshalb ist Ihr Weiter-so nicht zu verantworten. Unser Land braucht dringend einen sozialen und demokratischen Neubeginn. Noch ist es nicht zu spät. ({43})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Anton Hofreiter. ({0})

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Kanzlerin! Deutschland und die Welt um uns herum verändern sich rasend schnell: durch die Globalisierung, durch den digitalen Wandel, durch die Klimakrise, die mit diesem Dürresommer endgültig für alle sichtbar bei uns angekommen ist. Die Frage ist: Gestalten wir diese Entwicklung, oder lassen wir uns von ihr überrollen? All dies fordert alle und uns im Parlament ganz besonders. Viele dieser Herausforderungen können wir nicht alleine lösen, sondern nur in einer starken Europäischen Union mit internationaler Zusammenarbeit. Wie sichern wir den sozialen Frieden? Wie verhindern wir die Klimakatastrophe? Wie stärken wir ein geeintes Europa? Auf all diese Fragen muss eine verantwortungsvolle Regierung Antworten suchen und finden. Aber wie sieht die Realität aus? Wir erleben eine Koalition, die als große Selbsthilfegruppe vor allem mit sich selbst beschäftigt ist und schon lange nicht mehr mit den Sorgen und den Nöten der Menschen. ({0}) Weil die Probleme aber so groß sind, ist es so dramatisch, dass diese Große Koalition noch neue schafft und selbst die überschaubaren Probleme wie die Dieselkrise nicht löst. Es ist ja schön, wenn die beiden Unionsparteien neue Vorsitzende suchen; aber man muss sich das mal im Kontext der vergangenen Monate anschauen: Erst haben sie sich zerstritten, dann kam die Sommerpause, dann haben sie sich wieder zerstritten, und jetzt schon wieder Selbstbeschäftigung. Und die SPD? Die SPD sitzt da wie das berühmte Kaninchen vor der Schlange. ({1}) Die Menschen in Deutschland sind da schon viel weiter. Bei den großen Demonstrationen in München, Chemnitz und Berlin haben wir doch gesehen, wie die gesellschaftliche Mehrheit ein Stoppschild aufgestellt hat, nicht nur gegenüber den Hetzern da am äußersten rechten Rand. Und die Hetzer da am äußersten rechten Rand haben auch etwas missverstanden. ({2}) Hier geht es um die Generaldebatte zur Politik der Bundesrepublik Deutschland, hier geht es um den Haushalt der Bundesrepublik Deutschland und nicht um die schwarzen Kassen einer rechtsradikalen Partei. ({3}) Das ist das Thema heute hier. Nein, die Menschen haben auch ein Stoppschild aufgestellt gegenüber einer Regierungspolitik, die die großen Probleme nicht und die kleinen viel zu häufig falsch angeht. Die Menschen sind in aller Vielfalt und mit Optimismus auf die Straße gegangen, und zwar mit einer klaren Botschaft: Hören Sie auf mit der Selbstbeschäftigung, und kümmern Sie sich um die wichtigen Probleme unserer Zeit! ({4}) Ein nachdenklicher Stahlarbeiter hat mich am Rande einer Veranstaltung angesprochen und zu mir gesagt: Herr Hofreiter, ich habe Kinder und weiß, für deren Zukunft müssen wir die Klimakrise in den Griff kriegen. ({5}) Was ich aber nicht verstehe, ist, wie das gerade läuft. Wenn wir den CO 2 -Ausstoß teurer machen, die Stahlproduktion hier bei uns regulieren und dann Stahl zu Dumpingpreisen aus China importieren, hier die Arbeitsplätze zerstört werden und weltweit das Klima, wo ist dann der Nutzen, wo ist dann der Nutzen für die Zukunft meiner Kinder? Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Stahlarbeiter hat recht: Es gibt keinen Nutzen, wenn es so läuft. ({6}) Darum braucht es eine Klimaabgabe, um unsere Wirtschaft vor Klimadumping zu schützen, um faire Wettbewerbsbedingungen für alle herzustellen. Dafür brauchen wir eine starke Europäische Union; denn eine starke Europäische Union ist die Antwort auf die Frage des Stahlarbeiters. Nur mit der Europäischen Union können wir Klima- und Sozialdumping etwas entgegensetzen, und mit einer starken Europäischen Union können wir die Klimaziele erreichen. ({7}) Aber leider ist diese Bundesregierung zum Bremser und Blockierer geworden, wo beherzte Maßnahmen notwendig wären. Wohin das führt, sehen wir doch an den aktuellen Wirtschaftszahlen: Wir erleben das erste Mal seit Jahren wieder ein Minuswachstum, vor allem wegen der schlechten Zahlen in der Autoindustrie – weil die Autobosse betrogen und den Umstieg auf abgasarme Autos verschlafen und auch verschleppt haben. ({8}) Auch Sie, liebe Bundesregierung, scheitern daran, für den Aufbruch, für eine zukunftsfähige Autoindustrie zu sorgen, um langfristig die Arbeitsplätze zu erhalten. Sie scheitern daran, in den Städten für saubere Luft zu sorgen. Und Sie scheitern daran, die betrogenen Dieselbesitzer zu schützen. ({9}) Dabei ist die Lösung dieser dreifachen Krise überschaubar: Hören Sie auf, vor den Autobossen zu kuschen! Stellen Sie sich auf die Seite der Betrogenen und nicht auf die Seite der Betrüger! ({10}) Und sorgen Sie für Dieselnachrüstungen, die blaue Plakette und, langfristig, für den Umstieg auf abgasfreie Autos! ({11}) Aber auch das kriegen Sie schon seit Jahren nicht hin. Wie wollen Sie denn dann die wirklich großen, wie wollen Sie denn dann die komplexen Probleme lösen? Die Klimakrise wartet doch nicht, sie ist doch längst hier angekommen. In diesem Dürresommer hat es doch jeder selbst erleben können. ({12}) Wissen Sie, je länger die Bundesregierung wichtige Maßnahmen vor sich her schiebt, desto drastischer müssen am Ende die notwendigen Maßnahmen werden. Wir sind die Generation, in deren Lebenszeit es sich entscheidet – wir selbst entscheiden –, ob wir rechtzeitig aus Kohle und Öl aus- und auf 100 Prozent erneuerbare Energien und auf emissionsfreie Autos umsteigen, ob wir Plastikmüll und Pestizide produzieren oder sie konsequent reduzieren. ({13}) Liebe CDU/CSU und SPD, ja, die notwendigen Maßnahmen mögen dem einen oder anderen radikal erscheinen, was aber wirklich radikal wird, ist die Realität der Klimakrise und des Artensterbens, wenn weiter nicht gehandelt wird. Sie können ja locker den Kopf in den Sand stecken, aber dadurch verschwindet diese Realität doch nicht. Was wir brauchen, ist eine Politik, die anders ist, eine Politik, die ehrlich und radikal in der Analyse, visionär in den Zielen und pragmatisch in der Umsetzung ist. Liebe Frau Merkel, Sie haben hier eine ganz bemerkenswerte Rede gehalten, ({14}) aber Ihr Kabinett ist einfach viel zu häufig realitätsverloren, wenn es um die Europapolitik geht, ideologisch verbohrt und, wenn man sich Herrn Seehofer anschaut, auch noch tölpelhaft in der Umsetzung. ({15}) Dadurch vergrößern Sie viele Probleme auch noch. Das gilt auch für die Kluft zwischen Arm und Reich. Wenn heute, an diesem Tag im November, in Deutschland ein Kind in einer ärmeren Familie geboren wird, dann ist die Lebensgeschichte dieses Kindes mit hoher Wahrscheinlichkeit schon vorgeschrieben. Wenn die Eltern dieses Kindes keinen Schulabschluss haben, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dieses Kind auch keinen Schulabschluss erreicht. ({16}) Wenn die Eltern im Niedriglohnsektor arbeiten, dann wird dieses Kind wahrscheinlich auch dort landen. Wenn die Eltern zu hohe Schulden haben, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dieses Kind sich überschulden wird. ({17}) Das ist eine Gesellschaft, in der das große Versprechen, nach dem es den Kindern einmal besser oder mindestens so gut wie ihren Eltern gehen wird, nicht mehr für alle gilt. Das ist ein unhaltbarer Zustand. ({18}) Deshalb, liebe CDU/CSU und liebe SPD: Tun Sie endlich wirklich etwas gegen Kinderarmut! Erhöhen Sie die Kinderregelsätze! Sorgen Sie mit einer Kindergrundsicherung dafür, dass alle Kinder in diesem Lande gleiche Chancen haben, egal in welche Familie sie hineingeboren werden! ({19}) Packen Sie das Problem der explodierenden Mieten vernünftig an! Schaffen Sie endlich wirklich mehr bezahlbaren Wohnraum, und beenden Sie endlich die Immobilienspekulationen! ({20}) Es ist ja schön, wenn Sie hier darüber reden, aber es muss am Ende auch bei den Leuten ankommen. Es braucht mehr bezahlbaren Wohnraum. Deshalb: Setzen Sie es endlich konsequent um, und halten Sie hier nicht nur schöne Reden! ({21}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Armut, minimale Aufstiegschancen und mangelnde Teilhabe sind ja nur die eine Seite. Auf der anderen Seite erleben wir einen exzessiven Reichtum bei wenigen, der zunimmt. Eine der Ursachen dafür ist der ungeregelte Finanzmarkt. Das ist auch eine der Lehren aus dem Cum/Ex-Skandal. Einige Banken und Berater haben Geschäftsmodelle entwickelt, die einzig darauf angelegt sind, durch Tricks vom Staat Kasse zu machen. Auf wessen Kosten? Auf Kosten der Steuerzahler! Mittlerweile wurden die europäischen Steuerzahler durch diesen von Deutschland ausgehenden Skandal um 55 Milliarden Euro betrogen. Jeder Schwarzfahrer wird strenger verfolgt als die Banker, die die Allgemeinheit um Milliarden betrogen haben. Damit muss endlich Schluss sein. ({22}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ausgerechnet ein SPD-Minister hat sich in Brüssel wiederholt gegen die Einführung einer Steuer für die Internetkonzerne starkgemacht, ({23}) einer Steuer, die endlich mal das Problem anpacken würde, dass Google und Amazon noch immer viel weniger Steuern zahlen als die Buchhändlerin um die Ecke, die mit ihnen im direkten Wettbewerb steht. Apple zahlt auf 1 Million Euro Gewinn – nicht Umsatz! – 50 Euro Steuern. Wer möchte da nicht Apple sein? ({24}) Herr Scholz, beenden Sie endlich die Blockade! Setzen Sie durch, dass nicht nur die Buchhändlerin um die Ecke, sondern endlich auch die Googles und Apples Steuern in Europa zahlen! ({25}) Wissen Sie, Frau Nahles, es ist ja schön, wenn Sie hier erzählen, dass dies weltweit geschehen soll. Ja, es wäre noch schöner, wenn das weltweit geschehen würde. Aber diese Methode kennt man: Wenn man was nicht umsetzen will, dann sagt man als Erstes: Das muss in Europa passieren. Wenn es in Europa passiert, dann sagt man: Das muss weltweit passieren. Das ist die klassische Ausrede derer, die sich nicht an die Konzerne herantrauen. SPD, trau dich mal an die Konzerne ran! ({26}) Liebe Abgeordnete im Deutschen Bundestag, um ehrlich zu sein: In der Haut unserer britischen Kolleginnen und Kollegen möchte ich nicht stecken; denn der Brexit, so wie er stattfindet, ist in jeder Form schlecht für Großbritannien, und er ist schlecht für Europa. Man sieht da mal wieder die zerstörerische Wirkung populistischer Politik. Ich glaube, das sollte auch dem einen oder anderen hier bei uns eine dringende Mahnung sein. ({27}) Wenn man sich die Ergebnisse anschaut, dann stellt man fest: Die Europäische Union ist der britischen Regierung bereits sehr weit entgegengekommen. Jetzt gilt es, dafür Sorge zu tragen, dass Umwelt- und Sozialstandards nicht hinterrücks ausgehöhlt werden. Frau Merkel, ich erwarte von Ihnen, dass Sie da in Zukunft auf der Seite Frankreichs und der Niederlande stehen und nicht wieder auf der Bremse bzw. bei den Gegnern der Sozial- und Umweltstandards. Frau Merkel, denken Sie echt europäisch, und arbeiten Sie mit Frankreich, den Niederlanden und den progressiven Ländern zusammen. ({28}) Das, was eine Antwort auf den Brexit sein kann, hat hier am vergangenen Sonntag Präsident Macron dargestellt. Ich meine, er hat eine Liebeserklärung Frankreichs an Deutschland abgegeben, wie wir sie vielleicht so noch nie gehört haben. ({29}) Ich glaube, sie muss politisch erwidert werden. Gemeinsam geht es jetzt darum, die Stärkung und Fortentwicklung der europäischen Idee durchzusetzen. Ich muss Ihnen sagen: Die zaghaften Schritte zu einem Euro-Budget reichen bei weitem nicht aus; denn die nächste Krise kommt ganz sicher. Dann brauchen wir stabile Mechanismen, um unsere Währung stabil zu halten, und zwar muss das Ganze unter Kontrolle des Europäischen Parlaments stattfinden. Durch die Vollendung einer Bankenunion und durch die Durchsetzung einer europäischen Unternehmensteuer wird Europa stabiler und gerechter. ({30}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen oder wenigstens die Regierung muss endlich vom Reden zum Handeln kommen, vom Blockieren zum Regieren. Wir brauchen politische Maßnahmen, die der Größe der Herausforderungen angemessen sind. Wir müssen endlich die großen Herausforderungen anpacken wie die Energiewende, die Agrarwende, die Verkehrswende, die Stabilisierung der Europäischen Union oder auch den Kampf gegen die soziale Ungleichheit in diesem Land. Immer mehr Menschen in diesem Land verstehen, dass ein Weiter-so oder ein leichtes Korrigieren an der einen oder anderen kleinen Stelle nicht mehr ausreichen, um optimistisch in die Zukunft zu blicken. Liebe Bundesregierung, fangen wir, fangen auch Sie endlich an, auf die großen Fragen unserer Zeit die angemessenen Antworten zu geben. Vielen Dank. ({31})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Ralph Brinkhaus. ({0})

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu einigen Vorrednern bin ich der Meinung, dass es diesem Land richtig gut geht ({0}) und dass wir uns einmal die Zeit nehmen sollten, das auszusprechen. Natürlich ist nicht alles gut. Natürlich kann man noch vieles besser machen. Aber wer die politische Auseinandersetzung darauf reduziert, uns immer zu erzählen, was noch schlecht läuft, der soll mir einfach mal sagen: Wann und wo ist es denn besser als hier? Das ist doch die eigentliche Frage. ({1}) Natürlich ist es auch so – das ist nicht ganz unrichtig –, dass die Menschen unruhig sind. Die Menschen sind nicht nur unruhig, sondern es ist auch so, dass wir eine verhängnisvolle Entwicklung haben, insbesondere in den letzten Jahren: dass nämlich der Zusammenhalt in der Gesellschaft schwindet, dass wir uns granulieren, dass wir nicht mehr miteinander reden, sondern übereinander reden, dass wir unsere eigenen Positionen moralisch überhöhen, dass wir die Dialogfähigkeit verloren haben und dass das, was die Bundesrepublik Deutschland seit Jahrzehnten getragen hat, der gesamtgesellschaftliche Konsens, bröckelt. Ich denke, dass das unsere große Aufgabe sein wird. Herr Hofreiter, Sie haben die großen Fragen angesprochen. Die große Frage wird der Zusammenhalt in dieser Gesellschaft in den nächsten Jahren sein. ({2}) Es lohnt sich, in dieser Generaldebatte, in der ja die langen Linien gezogen werden, sich einige Gedanken darüber zu machen, wie man diese Frage beantwortet. Fangen wir mit einem ersten Punkt an. Ich war auf einer Veranstaltung; dort stand eine Frau auf, die sehr empört war und sagte: Ich bin eine ganz normale Arbeitnehmerin; ich bringe morgens meine Kinder zur Schule und hole sie nachmittags ab. Wer interessiert sich eigentlich noch für uns? Werde ich eigentlich noch gesehen? – Ich glaube, meine Damen und Herren, wenn wir das Land zusammenhalten wollen, müssen wir wieder beginnen, die Gesellschaft von der Mitte her zu denken. Denn die Mitte hält dieses Land zusammen. ({3}) Das tun wir im Übrigen auch im Haushalt, nicht indem wir auf 10 000 Metern Flughöhe die ganz großen Fragen diskutieren und beantworten, sondern indem wir konkret etwas tun: indem wir Familien entlasten, indem wir das Baukindergeld und das Gute-Kita-Gesetz auf den Weg bringen, indem wir was für die Digitalisierung in den Schulen und für die Pflege tun. Das bedeutet, Politik von der Mitte her zu denken, ohne die Ränder auf der anderen Seite in irgendeiner Art und Weise zu vernachlässigen. Zweiter Gedanke. Warum sind Staaten eigentlich mal gegründet worden? Was ist der Ursprung? Der Ursprung ist: Die Menschen wollten Sicherheit, und zwar Sicherheit nach außen und Sicherheit nach innen. Ich war vor einigen Wochen bei der Bundeswehr und gestern bei der Bundespolizei. Ich habe dort hochmotivierte Truppen gesehen: Menschen, die mit viel Herzblut dafür kämpfen, dass die innere und äußere Sicherheit in diesem Land erhalten bleiben. Diese Menschen haben es verdient, dass sie zusätzliche Kollegen bekommen – was wir mit diesem Haushalt tun; Frau Nahles hat darauf hingewiesen –, aber auch zusätzliche Sachmittel, und dass sie vor allen Dingen eines bekommen, und das gilt insbesondere für unsere Polizistinnen und Polizisten: Wertschätzung für das, was sie tun. ({4}) Aber das reicht nicht; es geht noch einen Schritt weiter. Wir haben als Union gesagt: Wir wollen den Pakt für den Rechtsstaat, weil die Menschen zu Recht erwarten, dass dieses Recht nicht nur von der Polizei geschützt wird, sondern dass, wenn es gebrochen wird, dies auch bestraft wird. Wir brauchen mehr Staatsanwälte. Wir brauchen mehr Richter. Wir brauchen übrigens auch mehr Rechtspfleger und Verwaltungsmitarbeiter in den Gerichten. Das ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Das gehen wir an. Wir brauchen die Digitalisierung der Justizverwaltung und eine bessere Verknüpfung mit unseren Polizeibehörden. Auch da sind wir schon dabei; das gehen wir an. Wir brauchen aber auch eine bessere Strafprozessordnung. Wir brauchen ein besseres Prozessrecht. Wir müssen schneller werden, wir müssen konsequenter werden, und wir brauchen vor allen Dingen mehr Verständnis und Zuwendung für die Opfer von Verbrechen. Das alles gehört zum Pakt für den Rechtsstaat, ({5}) weil es ein staatliches Kernanliegen sein muss, die Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Genau das Gleiche gilt auch für die Bundeswehr, die mehr Mittel bekommt. Denn Sicherheit ist nicht nur im Inneren, sondern auch im Äußeren wichtig. ({6}) Mein nächster Gedanke. Wir werden gemeinhin ein bisschen verspottet, weil wir so viel Geld für Soziales ausgeben, Herr Lindner. Aber Soziales hat auch etwas mit dem Zusammenhalt der Gesellschaft zu tun. Denn die Menschen haben eine Erwartung an den Staat: Wenn es mir schlecht geht, wenn ich krank bin, Pflege brauche, arbeitslos oder alt bin, dann brauche ich bei aller Eigenverantwortung – für die meine Partei steht – auch die Solidarität der anderen. ({7}) Wenn dieses Versprechen nicht mehr eingehalten wird, dann brauchen wir nicht über den Zusammenhalt der Gesellschaft zu reden. Dann reden wir nur noch über uns. Ich glaube nicht, dass der Satz „Jeder kehre vor seiner eigenen Tür, und dann wird alles gut“ richtig ist, sondern zum Zusammenhalt der Gesellschaft gehört Solidarität. Auch das ist in diesem Haushalt abgebildet. ({8}) Deswegen gehört bei allem Respekt davor, dass wir viel investieren, und bei aller Eigenverantwortung – das ist alles richtig – auch die soziale Komponente dazu. Das ist überhaupt keine Frage. Aber was die Menschen, glaube ich, am meisten beunruhigt, ist die Frage: Wie geht es eigentlich weiter? Die Bundeskanzlerin hat es angesprochen: Wir haben die Digitalisierung, die künstliche Intelligenz und viele andere Herausforderungen zu bewältigen. Ich bin übrigens der Meinung, dass wir in vielen Diskussionen zu vielen Themen leider oft rückwärtsgewandt und kleinteilig sind. Da haben Sie recht, Herr Hofreiter. Ich glaube, die künstliche Intelligenz wird unser Leben mehr verändern als niedrigere oder höhere Steuern, neue Straßen und vieles andere, was uns zu Recht sehr wichtig ist. Auf diese Zukunftsfragen müssen wir Antworten geben. Das tun wir auch. Das erste Thema ist Bildung. Jetzt reden wir nicht über die Bildung in den Ländern. Es gibt eine weitere Komponente, wo wir noch viel mehr tun müssen und an der unsere Bildungsministerin schon arbeitet. Das ist nämlich der Punkt Weiterbildung. Wenn ich eine Schulklasse zu Besuch habe, dann sage ich ihnen immer: Ihr werdet euren Beruf fünf- oder sechsmal neu erlernen müssen. – Wir haben in Deutschland ein Bildungssystem, das auf die klassische Erstausbildung ausgerichtet ist, auf Ausbildung, Studium, Schule. Wir müssen auch Strukturen bereitstellen für die Weiterbildung. Das ist eine ganz wichtige Frage für die Zukunft. ({9}) Da haben wir die ersten Grundstöcke gelegt. Das muss auch weitergehen. Es geht nicht nur um Bildung, sondern auch um Innovation, das zweite Thema. Ich weiß nicht, ob Ihnen klar ist, wie viel Geld alleine China in künstliche Intelligenz investiert. Das ist ein dreistelliger Milliardenbetrag. ({10}) – Wir haben auch im Bundeshaushalt Mittel dafür eingestellt. – Jetzt kommt die eigentliche Antwort: Wir haben nur eine Chance, in dieser Technologie- und Innovationswelt zu bestehen, wenn wir das gemeinsam europäisch machen. Es reicht nicht, wenn wir das alleine machen. ({11}) All denjenigen, die sagen: „Europa ist etwas Schlechtes“, sage ich: Europa ist die Antwort darauf, dass wir innovativ und technologisch vorne bleiben. ({12}) – Hier wird gerade gerufen: „Europa ist ein Kontinent!“ Nein, Europa ist mehr. Europa ist eine Wertegemeinschaft! Europa ist ein Friedensprojekt! Europa ist ein Wirtschaftsprojekt! Wer Europa auf einen Kontinent reduziert, hat nichts, aber auch gar nichts verstanden! ({13}) Herr Hofreiter, ich gebe Ihnen recht. Die Umweltpolitik, die wir in den vergangenen Jahren gemacht haben, war sehr eindimensional und nicht ausreichend. Ich kann Ihnen auch sagen, warum. Weil wir Umweltpolitik auf zwei Dinge reduziert haben: auf Verbote und regenerative Energien. Ich finde, dass regenerative Energien gut sind. Aber das war eine Monostruktur, die wir geschaffen haben. ({14}) Wir glauben daran, dass wir Umweltpolitik nicht mit Verboten voranbringen, sondern mit Anreizen. ({15}) Unser Anspruch ist, Technologie und Umwelt miteinander zu versöhnen; denn das Ganze passt zusammen und kann ein Erfolgsmodell für die Bundesrepublik Deutschland und natürlich für Europa werden. ({16}) Jetzt komme ich zum Thema Europa; das war gerade der Cliffhanger und Spoiler zu Europa. Wenn wir den Menschen sagen wollen, dass sie eine Zukunft haben, dass sie in dieser Welt, die irgendwo immer mehr aus den Fugen gerät, sicher sein können, dann werden wir das nur gemeinsam europäisch hinbekommen. ({17}) – Das ist auch wieder interessant. Von der rechten Seite kommt – ich wiederhole für diejenigen, die das nicht hören konnten –: Nein, das geht nicht europäisch. – Es ist schön, dass wir diesen Unterschied haben. Wir glauben nämlich daran, dass wir das europäisch gemeinsam besser hinbekommen. ({18}) Wir glauben im Übrigen auch an eine andere Sache. Bei der Rede der Bundeskanzlerin wurde zugerufen: Wir sind für Deutschland verantwortlich. – Nein, unser christliches Menschenbild, unser Menschenbild, das wir haben, wenn wir keine Christen sind, bedeutet, dass die Würde der Menschen überall auf der Welt gleich ist. ({19}) Wer sich in der Politik auf Deutschland beschränkt, ist nicht an unserer Seite; denn wir glauben, dass das Ganze weitergeht. Wir haben eine Verantwortung für alle, die wir, soweit es uns möglich ist, auch übernehmen werden. ({20}) Eine andere Sache ist aber auch richtig. Wir müssen über die Zukunft reden. Wir müssen über das Versprechen reden, dass jeder, wenn er in eine Krise kommt, wenn er schwach ist, die Möglichkeit hat, dass ihm geholfen wird. ({21}) Wir müssen darüber reden, dass wir die Mitte sehen. Wir müssen über die Sicherheit reden. Wir müssen aber auch darüber reden, wie wir miteinander umgehen. Wenn wir als Politikerinnen und Politiker – da brauche ich nicht mit dem Finger auf jemanden zu zeigen; ich sage das ganz selbstkritisch auch in meine Richtung – die Streitkultur, die wir in den letzten Jahren hier gehabt haben, fortführen, wenn wir weiter in der Sprache verrohen, wenn wir weiter in der Art und Weise verrohen, wie wir miteinander umgehen, wie wir miteinander sprechen, wenn wir uns nicht gegenseitig mehr respektieren, weil wir andere Argumente haben, wenn wir dieses Vorbild geben, dann brauchen wir uns auch nicht zu wundern, wenn sich die Gesellschaft genauso entwickelt. ({22}) Deswegen sollten wir uns alle vornehmen, respektvoll und achtsam miteinander umzugehen. Wir sollten als demokratische Parteien das Miteinander pflegen. Wir sollten vor allen Dingen den Menschen in diesem Land zeigen, dass die parlamentarische Demokratie, wie sie seit 1949 in diesem Land besteht, ein ganz großer Schatz ist, den es sich lohnt zu hüten. Danke schön. ({23})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Vorsitzende der AfD-Fraktion, Dr. Alexander Gauland. ({0})

Dr. Alexander Gauland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004724, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, als Heinrich Heine 1832 in Frankreich deutschen Auswanderern nach Übersee begegnete, notierte er, all diese armen Leute hätten ihm ihr Elend geklagt, aber immer mit der Frage geendet: „Was sollten wir tun? Sollten wir eine Revolution anfangen?“ Ich schwöre ..., – fährt Heine fort – der zehnte Teil von dem, was jene Leute in Deutschland erduldet haben, hätte in Frankreich sechsunddreißig Revolutionen hervorgebracht ... Angesichts der landesweiten Proteste französischer Autofahrer gegen die Benzinpreiserhöhungen der Regierung musste ich spontan an Heinrich Heine und diesen Satz denken. ({0}) Die Wutrede einer 51-jährigen Bretonin und Dieselfahrerin wurde von Millionen Franzosen angeklickt: „Vor zehn Jahren habt ihr uns dazu gebracht, Diesel zu kaufen, weil sie als umweltfreundlicher galten“, ruft die Bretonin an die Adresse von Präsident Macron, Ihrem Heiligen, und jetzt wolle man die Dieselfahrer mit einer deftigen Steuererhöhung abkassieren. – Ob diese Demonstrationen auch Deutschland bald erreichen? Gründe dafür gäbe es genügend. ({1}) Immerhin hat die Deutsche Umwelthilfe gerade vor Gericht ein Dieselfahrverbot auf der A 40 durchgesetzt, einer Hauptverkehrsader des Ruhrgebiets. Das trifft Pendler noch härter als Preiserhöhungen. Werden die Dieselfahrer in NRW jetzt auf die Straße gehen? Wohl eher nicht! Heinrich Heine kannte den Grund: Die deutsche Geduld und die französische unterscheiden sich sehr. Meine Damen und Herren, wir alle haben den bewegenden Auftritt von Emmanuel Macron vor dem Deutschen Bundestag miterlebt, seinen Aufruf zum noch festeren deutsch-französischen Schulterschluss und zur deutsch-französischen Solidarität gehört. Ja, meine Damen und Herren, den protestierenden französischen Autofahrern gehört unsere ungeteilte Sympathie. ({2}) In einem Zeitungsinterview erklärte Alexis Spire, Forschungsdirektor am Centre national de la recherche scientifique: Einer der Gründe für die Proteste sei, dass Steuerzahler am unteren Ende der sozialen Pyramide keine Gegenleistung mehr zu sehen bekommen für das, was sie einzahlen. Es sei nicht überraschend, dass die Bewegung in ländlichen Gebieten und mittelgroßen Städten entstanden ist. Diese Territorien litten seit langem unter dem allgemeinen Niedergang und der Verschlechterung öffentlicher Dienstleistungen. – Ist das so weit weg von unseren eigenen Problemen in abgehängten Regionen, meine Damen und Herren? Bevor er im Namen Frankreichs seine betörende Liebeserklärung an Deutschland aussprach, sagte Präsident Macron – ich zitiere –: Jeder von uns wird im Sinne einer Vergemeinschaftung seine Entscheidungsbefugnisse, seine Außenpolitik, seine Migrations- oder Entwicklungspolitik sowie einen wachsenden Teil seines Haushalts oder sogar seiner Steuereinnahmen teilen müssen. Nun, meine Damen und Herren, es wäre nicht die erste aus finanziellen Gründen arrangierte Ehe, die öffentlich als Liebesheirat verkauft wird. ({3}) Was uns betrifft: Wir bekennen uns zu jenem Ehevertrag, der in Maastricht geschlossen wurde und der gerade nicht eine Teilung der Steuereinnahmen zur Übernahme der Schulden anderer vorsieht, und dabei wollen wir auch bleiben. ({4}) Ich habe an dieser Stelle schon einmal darauf hingewiesen, dass es nur ein Bruchteil der deutschen Bevölkerung ist, dem wir die Tatsache verdanken, überhaupt einen Haushalt planen zu können. Ungefähr 15 Millionen wirkliche Steuerzahler halten den Laden hier am Laufen. Sie müssen alles schultern: die Unsummen der Energiewende, der Massenimmigration, der sogenannten Euro-Rettung und nun also die als Klimarettung verkaufte Automobilfeindschaft. Großzügig will die Bundesregierung den Grenzwert für Stickoxide im Straßenverkehr von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft auf 50 Mikrogramm anheben – Frau Bundeskanzlerin hat das ausgeführt –, um Dieselfahrverbote in Städten zu vermeiden. Bis heute gibt es freilich keinen Beleg dafür, dass eine Stickoxidkonzentration über 40 Mikrogramm Gesundheitsschäden auslöst. Der Grenzwert für die Stickoxidkonzentration an gewerblichen Arbeitsplätzen liegt in Deutschland und in der EU übrigens bei 950 Mikrogramm. Der Lungenfacharzt und ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, Professor Dieter Köhler, hat erklärt: Die EU-Grenzwerte für Stickoxid und Feinstaub bezeichneten in keiner Weise irgendeine Gesundheitsgefährdungsschwelle. In Deutschland sei noch niemand durch Stickoxide gestorben. ({5}) Aber, meine Damen und Herren, es geht hier ja in Wirklichkeit auch nicht um Abgas, sondern um höhere Werte. Es geht nicht um Stickoxide, sondern um Hochmoral. Mit der Hochmoral verhält es sich so, dass die einen sie predigen und die anderen sie bezahlen. Wenn grüne Apostel in Politik und Medien den Menschen jetzt erklären, dass wir künftig eben mehr zu Fuß gehen, mit dem Rad oder der Bahn fahren müssten – also die Menschen, nicht die Apostel –, dann ist das zugleich die Aufforderung: Mund halten und zahlen. Es sei denn, die Menschen nehmen sich ein Beispiel an den Franzosen und gehen auf die Straße und protestieren. ({6}) Meine Damen und Herren, für Feinstaub und Stickoxide gelten penibel überwachte Obergrenzen, für Migration bekanntlich nicht. Dabei sind die gelegentlich tödlichen Nebenwirkungen von Migration im Gegensatz zum Feinstaub offensichtlich. ({7}) Eben erst hat in Wittenburg ein abgelehnter, aber geduldeter afghanischer Asylbewerber einem Rentner die Kehle durchgeschnitten, was nicht zu Hass und Hetze führen darf, wie der zuständige Innenminister sofort anmerkte. Obendrein kostet Migration beachtliche Summen, die von der Bundesregierung übrigens diskret verschwiegen werden. Ich zitiere: Die Flüchtlingskosten werden auf viele Etats verteilt. Wer bei der Berliner Regierung nach der Gesamtsumme fragt, wird in ein Labyrinth von Statistiken und Zuständigkeiten geschickt. Nur die eine entscheidende Zahl gibt es nicht: die aller Aufwendungen für einen klar definierten Personenkreis. Ist nicht von mir, das schrieb die „Neue Zürcher Zeitung“. ({8}) Entwicklungshilfeminister Gerd Müller sprach von 30 Milliarden Euro, die Bund, Länder und Gemeinden pro Jahr für 1 Million Migranten ausgeben. Da ungefähr 1,5 Millionen tatsächliche und angebliche Flüchtlinge seit 2015 zu uns gekommen sind, wären das 45 Milliarden Euro im Jahr. Das Institut der deutschen Wirtschaft kommt auf 50 Milliarden. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft auf bis zu 55 Milliarden. Zum Vergleich – Haushalt! –: Die Ausgaben für Erziehungs- und Elterngeld des Bundes betrugen im vergangenen Jahr 6,4 Milliarden, für Bundesautobahnen und Bundesstraßen 6,6 Milliarden Euro. Der Jahresetat des Bundesforschungsministers – unsere Zukunft! – liegt bei 17 Milliarden Euro. Aber, meine Damen und Herren, ist das Geld wenigstens gut angelegt? Ein Großteil der aktuellen Einwanderer gehört in die Kategorie Primär- oder Sekundäran­alphabeten. ({9}) 70 Prozent der Immigranten brechen laut Handwerkskammer ihre Lehre ab. Jeder zweite Arbeitslose in Westdeutschland hatte 2017 einen Migrationshintergrund. Etwa 30 Prozent der Häftlinge in deutschen Gefängnissen sind Ausländer. Zugleich müssen sich einer Studie des WDR zufolge 40 Prozent der Deutschen auf Altersarmut einstellen. Fast jedem zweiten Bundesbürger, der ab 2030 in Rente geht, drohe eine Altersversorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung unterhalb der Armutsgrenze. ({10}) Die Zahl der Menschen ohne Wohnung wuchs von 248 000 Personen im Jahre 2010 auf 335 000 Personen Ende 2016, wie die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken antwortete. Über die Zustände an öffentlichen Schulen, von Bädern und Parks liest man wenig Erfreuliches; es fehlt überall an Geld, obwohl wir angeblich so viel haben. ({11}) Ich weiß, meine Damen und Herren auf der linken Seite des Hauses, Sie werden jetzt wieder sagen, die AfD spiele Ausländer gegen deutsche Sozialfälle aus. Aber ich habe lediglich ein paar Fakten aufgezählt. Sozialstaat und offene Grenzen – das kann niemals zusammen funktionieren. Das ist ungefähr so, als wenn man im Winter das Fenster aufreißt und zugleich die Heizung immer höher dreht, um die Temperatur zu halten. ({12}) Gut, die aktuelle Migration kostet viel und rentiert sich nur wenig. Aber wir haben doch wenigstens geholfen, oder? Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, sich eine Zahl gut einzuprägen: Die Bevölkerung Afri­kas wächst alle zwölf Tage um 1 Million Menschen. Das heißt, jene etwa 1,5 Millionen Migranten, die aufgrund von Frau Merkels Politik der offenen Grenzen seit September 2015 zu uns geströmt sind und unser Land vor enorme Schwierigkeiten stellen, werden in Afrika in 18 Tagen nachgeboren. Was wir getan haben und tun werden, wird dort nicht einmal bemerkt. ({13}) Obwohl die bisherigen Erfahrungen mit der Migration nicht die besten sind, will die Bundesregierung in wenigen Tagen dem Global Compact for Migration beitreten. Dieser Global Compact, der völlig unverbindlich ist, aber Fluchtursachen bekämpfen soll, nennt die Hauptfluchtursache mit keiner Silbe: die Bevölkerungsexplosion. ({14}) Wer Europa als Abflussbecken dafür anbietet, wird Europa schwächen und Afrika kein bisschen helfen. ({15}) Viele Länder, auch viele Europäer, werden das Dokument nicht unterzeichnen. Nun hat auch Israel Nein gesagt; da bin ich mal auf die Erklärung gespannt. ({16}) Dem Bundestag liegen derzeit mindestens 17 Petitionen gegen den Pakt vor, ({17}) und auch in der Union wächst der Widerstand gegen ihn. Herr Spahn, der Bundesgesundheitsminister, will über ihn abstimmen lassen. Der Vorsitzende des Bundestags­ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Herr Ramsauer, ist der Meinung, der Pakt öffne dem Flüchtlingsstrom nach Deutschland Tür und Tor. Das ist einer Ihrer Abgeordneten, liebe Kollegen von der CDU. ({18}) Die WerteUnion sagt: Integration – ja, Migrationspakt – nein, danke. – Recht haben Sie. Der Öffentlichkeit wird immer erklärt, der Global Compact sei unverbindlich. „Er ist rechtlich nicht bindend und deshalb steht Deutschland dazu“, sagte die Bundeskanzlerin Anfang November in Warschau bei einem Treffen mit dem polnischen Ministerpräsidenten. Liebe Frau Bundeskanzlerin, eine reizende Miniatur in politischer Doppelmoral. Zugleich hören wir, der Pakt solle die weltweite Migration ordnen, die illegale Einwanderung eindämmen und das Schlepperwesen bekämpfen. Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, könnten Sie der Öffentlichkeit einmal erklären, wie das funktionieren soll mit einem völlig unverbindlichen Papier? Viel Vergnügen bei der Erklärung. ({19}) Ich weiß schon, warum Herr Maas das nicht macht: weil er es nicht kann. Wir fordern ein Ende dieser Experimente. Die Probleme, die diese Regierung unserem Land aufgebürdet hat, sind ohnehin kaum zu schultern. Hören Sie auf, Ihre Politik an Illusionen auszurichten! Ich will deshalb heute nicht mit einem Zitat Bismarcks schließen, was ich gern mache, sondern mit Abraham Lincoln: Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, wenn ihr die Starken schwächt. Ihr werdet denen, die ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, nicht helfen, indem ihr die ruiniert, die ihn bezahlen. Danke schön. ({20})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Kollege Achim Post. ({0})

Achim Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004378, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Gauland, an Ihre Reden wollen wir uns nicht gewöhnen, schon gar nicht an Ihre menschenverachtenden. ({0}) – Das werden wir noch sehen. – Eine Bitte habe ich aber doch: Zitieren Sie bitte nicht den großen deutschen Dichter und Schriftsteller Heinrich Heine. ({1}) Wenn wir schon bei Ihnen sind: Wir wissen seit langem, auch ohne Ihre Reden, dass Sie gegen Europa sind. ({2}) Wir wissen auch, warum Sie, Frau Dr. Weidel – da Sie sich gerade zu Wort melden –, gegen den Euro sind: Sie nehmen lieber Schweizer Franken; das ist nämlich die Wahrheit, meine Damen und Herren. ({3}) Tut weh, ja? ({4}) Kommen wir zur Koalition und zu diesem Haushalt. Diese Koalition hat einen mutigen Koalitionsvertrag beschlossen und Europa bewusst an den Anfang gestellt. Sie hat für neue Dynamik und einen neuen Zusammenhalt geworben und versucht, diesen zu befördern. Wenn wir über diesen Haushalt reden, ist die eigentliche Messlatte die Frage: Schafft es diese Bundesregierung, schafft es diese Koalition, schaffen es CDU, CSU und die SPD, diese Ziele zu erreichen, ({5}) auch wenn die Lage insgesamt schwieriger wird, global und europäisch? Ich sage Ihnen eines: Diese Koalition wird sich daran messen lassen, und diese Koalition will sich daran messen lassen; ich komme später darauf zurück. ({6}) Mit einem müssen und werden wir aufhören, ich jedenfalls. Einen Satz kann ich überhaupt nicht mehr hören: „Wir sollten zur Sacharbeit zurückkehren.“ Was, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir denn in den letzten Wochen und Monaten gemacht? ({7}) Wir haben die Renten stabilisiert, die Familien und Arbeitnehmer entlastet und die Parität in der Krankenversicherung wiederhergestellt. ({8}) Was anderes ist das, wenn nicht Sacharbeit? Der Bundeshaushalt 2019 – das muss man an dieser Stelle einmal sagen – ist das Ergebnis harter und pragmatischer Arbeit und das Ergebnis vieler Männer und Frauen, die im Haushaltsausschuss sitzen und Tag und Nacht gearbeitet haben. Zwei möchte ich an dieser Stelle hervorheben – zwei Schlachtrösser des Haushaltsausschusses –: Eckardt Rehberg und Johannes Kahrs. ({9}) – Sie lachen. – Ohne die beiden hätten wir keinen Stabilitätshaushalt, ohne die beiden hätten wir keinen Bürgerhaushalt, der die Menschen in diesem Land entlastet, und ohne die beiden hätten wir keinen Zukunftshaushalt, der mehr Geld für Investitionen zur Verfügung stellt als jemals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zuvor. ({10}) Auf eines möchte ich eingehen – der Kollege Brinkhaus hat es angesprochen –: Hier wurde häufig geredet von „Geld, das aus dem Fenster geschmissen wird“, von einem Haushalt, der „stranguliert“ wird. Ich muss eines sagen: Wenn diese Bundesregierung mit diesem Haushalt in gute Kitas, stabile Renten und eine bezahlbare Pflege investiert, dann ist das die beste Investition in die Zukunft und für den Zusammenhalt unseres Landes, die es überhaupt geben kann, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Zu Europa: Tun wir doch nicht so, als sei der nächste Gipfel irgendein Gipfel, als sei die nächste Europawahl irgendeine Europawahl. Es geht doch um viel mehr. Es geht nicht um irgendwelche Spiegelstriche. Es geht um die Grundfrage, welches Europa wir wollen: ein offenes Europa oder ein geschlossenes Europa, ein solidarisches Europa oder eines, das ausgrenzt. ({12}) Am Ende geht es im Kern um die Frage, ob wir die alten Gespenster der nationalistischen Vergangenheit zurückhaben oder ob wir einen neuen Geist für ein Europa der Zukunft und Zusammenarbeit wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Darum geht es. ({13}) Deshalb ist es richtig, wenn sich die Bundesregierung und der Bundesfinanzminister für die Umsetzung dieses Koalitionsvertrages einsetzen, mit einem Euro-Zonen-Budget, mit einer Digitalsteuer in Europa. Ich will hier eines sagen: Das ist ein guter Koalitionsvertrag. Er gilt aber erst einmal nur für Deutschland. Das ist eine gute Erklärung von Meseberg. Sie gilt aber erst einmal nur für Deutschland und Frankreich. Die anderen müssen wir noch überzeugen, und da sind wir gerade noch dabei. Woher wissen Sie alle denn, wie diese Gipfel ausgehen werden? Das ist doch völlig offen. Dafür kämpft diese Bundesregierung: für ein gerechteres Europa und für eine stabilere Euro-Zone. ({14}) Ganz am Schluss will ich eines sagen: Deutschland braucht ein starkes Europa, und Europa braucht ein starkes Deutschland. Genau dafür ist dies ein guter Bundeshaushalt. Schönen Dank. ({15})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Otto Fricke für die FDP. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Heute ist – Frau Bundeskanzlerin, das wissen Sie, weil es für Sie von Interesse ist – Buß- und Bettag. Das passt eigentlich sehr gut; denn der Buß- und Bettag ist immer auch ein Tag, an dem ein Aufruf zur Umkehr kommt. Wenn wir uns die Haushalte, die unter Ihrer Ägide – nicht nur mit diesem Finanzminister, sondern auch schon mit dem letzten – gestanden haben, nun angucken, dann kann man erkennen, dass es immer die berühmten Weiter-so-Haushalte gewesen sind. Es sind Haushalte gewesen, in denen Sie stetig steigende Einnahmen hatten, mit denen Sie stetig in gleicher Manier verteilt haben, bei denen Sie – Ihr Finanzminister hat das übrigens gestern auch nicht getan – in den Debatten nicht wirklich über den Haushalt geredet haben. Vielmehr beschäftigen Sie sich mit dem Hier und Jetzt, wiesen auf die Vergangenheit, aber missachteten die Zukunft. ({0}) Meine Damen und Herren, Umkehr, Modernisierung, Zukunft – ich glaube, darin sind sich fast alle hier einig – bedeuten natürlich, sich mit den Fragen von Digitalisierung, von künstlicher Intelligenz, die Sie hier immer ansprechen, zu beschäftigen. Das Schlimme ist nur: Es ist immer Wolkenkuckucksheim; es sind immer große Reden. Wenn man aber in die Zahlen guckt, dann stellt man fest, dass das alles gar nicht passt. Ich gebe ein einfaches Beispiel, damit eben neben den schönen Worten, die alle hören, die alle schreiben, die alle lesen, einfach mal die Zahlen zur Sprache kommen. Denn das ist ja das Schöne an Haushaltspolitik: Zahlen sind an dieser Stelle nicht interpretierbar, sondern erst einmal Tatsache. Ich gebe Ihnen einen Hinweis und frage: Wie sieht es denn in diesem Haushalt aus? Sie reden von Zukunftsaufgaben. Aber schauen wir doch einmal, wie viel Sie von den 12 bzw. 13 Milliarden Euro, die Sie mehr haben, eigentlich für Bildung und Forschung zusätzlich ausgeben. Wo folgt also auf das Wort der Kanzlerin die Tat des Finanzministers und der Ministerien? Sie geben gerade einmal eine halbe Milliarde Euro mehr für Bildung und Forschung aus. Das ist dann Zukunft? Nein, das ist immer nur das Weiter-so: ein bisschen drauf. Kehren Sie an dieser Stelle endlich um! ({1}) Bei den Steuern – Frau Nahles hat das gesagt – sind wir uns, glaube ich, einig. Wenn wir Familien helfen können – sie sind die Keimzelle dessen, was unsere Zukunft ausmacht –, dann müssen wir helfen, dann ist das unsere Aufgabe. Ist das jetzt aber etwas, wo die Koalition, die Regierung oder etwa der Finanzminister sich rühmen kann? Nein. Frau Nahles, seien wir ehrlich: Sie machen als Erstes eine Umsetzung dessen, was das Verfassungsgericht uns geboten hat. Und das, was als Schippchen draufkommt, ist – das finde ich sehr interessant – im Endeffekt nichts anderes als die Umsetzung des Progressionsberichtes. Und wer hat in der 17. Legislaturperiode dafür gesorgt, dass es diesen Progressionsbericht überhaupt gibt? Die Fraktion der FDP. ({2}) Sie machen nichts Neues. Sie machen nur das, was Sie müssen, und keinen Deut mehr und rühmen sich dann auch noch. Kommen wir zum Personal. Da wird immer gesagt: Wir machen richtig viel beim Personal, wir sind richtig stark beim Personal. – Erstens würde ich gerne einmal irgendwann eine Kleine Anfrage ernsthaft beantwortet bekommen, wie viele Leute aus dem Konrad-­Adenauer-Haus und insbesondere aus dem Willy-Brandt-Haus in den letzten Jahren in Ministerien gegangen sind. Das ist doch im Endeffekt etwas, über das man auch einmal reden muss: 1 000 neue Leute in den Ministerien. ({3}) Damit das klar ist: Ich rede nicht über den Zoll oder das BKA. Hier haben wir Aufgaben; diese müssen wir wahrnehmen. 1 000 Leute: Wissen Sie eigentlich, was 1 000 neue Stellen quer über den Stellenspiegel pro Jahr kosten? ({4}) – Ob sie entfristet worden sind oder ob es neue Stellen sind –, es ist am Ende eine dauerhafte Belastung. ({5}) Ich merke an der Antwort wieder, dass es für Sie so ist: Sie sorgen als Große Koalition dafür, dass der Staat sich stetig neue Aufgaben gibt, aber Sie kehren nicht um und fragen sich, auf welche Aufgaben man verzichten könnte. Nein, Sie sagen: mehr Staat, mehr Personal, mehr Aufgaben. Wenn ein privater Bürger versuchen würde, sein Leben weiterzuführen, wenn er sagen würde: „Ich will einfach nur mehr, ich muss auf nichts verzichten“, wäre das nicht zukunftszugewandt, es wäre vergangenheitsverhaftet. Vor allen Dingen zeugt es von altem staatsgläubigem Denken, mit dem Sie in das Zeitalter der Digitalisierung niemals einsteigen können. Kehren Sie um! ({6}) Meine Damen und Herren, man kann es an bestimmten Stellen einfach einmal folgendermaßen zusammenfassen: Die puren Zahlen und Daten Ihres Haushaltes sinken. Die Investitionsquote, auch die absolute Summe, sinkt. Die Sozialquote, der Sie sich rühmen, sinkt. Die Zinsbelastung fängt langsam, aber sicher an zu steigen, weil Sie ans Ende dessen kommen, was Ihnen – in Anführungszeichen – von der EZB gegeben wird. Jetzt kommt für mich noch das, was mich am meisten in der Haushaltsberatung überrascht hat. Früher war es so: Wenn die Regierung gemerkt hat, dass sie ein bisschen mehr ausgeben kann, aber nicht so viel, wie sie will, dann hat der Finanzminister gesagt: Das nicht, das ja. – Wissen Sie, wie das bei Ihnen inzwischen läuft? Sie sagen: Wir brauchen noch eine halbe Milliarde Euro. Nehmen wir doch die Kreditermächtigung „Rücklage ‚Asylbewerber und Flüchtlinge‘“ und greifen auf Altes zurück, um mehr auszugeben. – Ihr Haushalt ist damit am Ende im Negativen. Und das zeigt mir ganz deutlich: Sie brauchen diesen Buß- und Bettag. Vielleicht kann das Kabinett ja noch einkehren und umkehren. Herzlichen Dank. ({7})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank, Kollege Fricke. Was gibt es Schöneres, als am eigenen Geburtstag eine Rede im Deutschen Bundestag halten zu dürfen? Auch von hier noch einmal herzlichen Glückwunsch! ({0}) Nächster Redner ist der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, der Kollege Alexander Dobrindt. ({1})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Fricke, ich glaube, Sie haben bei Ihrem Beitrag eines vollkommen übersehen: ({0}) Wir haben die längste Phase der Konsolidierung und der soliden Haushalte eingeläutet. So lange wie jetzt war diese Phase noch nie. Sechsmal in Folge einen Haushalt ohne neue Schulden hat es in der Vergangenheit noch nicht gegeben. Deswegen ist es ein Haushalt der Generationengerechtigkeit, den wir hier verabschieden. ({1}) Solide Haushaltspolitik: In der Tat geht es natürlich darum. Ausgeglichene Haushalte und Generationengerechtigkeit sind ein Prädikat für gute Finanzpolitik. Wir können den nächsten Generationen, den jungen Generationen heute sagen: Wir leben nicht auf eure Kosten, wir verfrühstücken nicht die Chancen, und wir schaffen keine neuen Lasten für die nächste Generation. ({2}) Das ist das, was ich unter guter Finanzpolitik verstehe, meine Damen und Herren. ({3}) Diesen Anspruch müssen wir auch einhalten, wenn wir über die Zukunft Europas reden. Wir müssen darauf achten, dass der Haushalt in Europa keine neuen Lasten für die nächsten Generationen schafft. Wir begrüßen deswegen, dass Investitionen ein besonderes Augenmerk in den europäischen Finanzverhandlungen genießen. Wir begrüßen auch, dass es eine Debatte über ein Euro-Zonen-Budget gibt und dass dies innerhalb des EU-Haushaltes abgebildet wird. Wenn wir über Investitionen aus einem europäischen Haushalt, aus einem Haushalt der Euro-Zone reden, muss aber auch klar sein, dass es sich natürlich um zusätzliche Investitionen in den Ländern handeln muss. Es darf nicht nach dem Motto „Investiert wird das, was bisher geplant war, es soll nur ein anderer bezahlen“ gearbeitet werden. Das hilft nicht weiter, wenn es um Wachstum und Chancen in Europa geht. ({4}) Der Kollege Lindner hat auf die Phase der Unsicherheiten hingewiesen, die wir auf der Welt, aber auch speziell in Europa erleben, und hat am Beispiel Italiens dargelegt, wie unsichere Haushalte, wie zusätzliche Schulden, wie ein Übermaß an sozialen Leistungen auch dazu führen, dass eine finanzielle Schieflage entstehen kann. Ja, wir machen uns alle große Sorgen darüber, wie andere Länder in Europa mit ihren Haushalten umgehen. Aber, Herr Lindner, Sie müssen dann auch die Frage beantworten: Wie halten Sie es denn eigentlich mit den Vorschlägen, die der französische Präsident Macron bezüglich der Zukunft der Haushalte, der Finanzen und der Verteilung in Europa gemacht hat? ({5}) Sie haben heute hier die Nähe betont, ({6}) die Sie gerade zu En Marche auf europäischer Ebene entwickeln. ({7}) Dann sagen Sie: Wie halten Sie es mit den Vorschlägen eines gemeinsamen europäischen Finanzministers, ({8}) einer europäischen Einlagensicherung, ({9}) einem europäischen Sozialfonds, ({10}) einer europäischen Arbeitslosenversicherung, ({11}) die dazu führen soll, dass die Beiträge der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ({12}) für die Arbeitslosigkeit in anderen europäischen Staaten verwandt werden sollen? ({13}) Wir lehnen das ab, weil wir genau wissen, dass damit das Grundprinzip der Generationengerechtigkeit infrage gestellt wird. Wir werden darauf achten müssen, dass wir bei allen Sozialdebatten, die zurzeit geführt werden, nicht genau dieses Grundprinzip der Generationengerechtigkeit gefährden. Es ist spannend, zu sehen, wie unterschiedlich inzwischen die Agenda 2010 bezüglich der Frage Hartz IV diskutiert wird. Es gibt Vorschläge aus der vergangenen Woche, dass man statt Hartz IV, das man abschaffen könnte, vielleicht ein bedingungsloses Grundeinkommen einführt. Robert Habeck als Vorsitzender der Grünen hat davon gesprochen, dass die Arbeitslosenversicherung in Deutschland ein System der Demütigung sei – meine Damen und Herren: ein System der Demütigung –, weil er der Meinung ist, dass man von Arbeitslosen nicht einfordern kann, sich Arbeit zu suchen. ({14}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das deutsche Arbeitslosensystem, das von Qualifizierung für Arbeitsuchende spricht, das Hilfe und Unterstützung bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt bietet, das Teilhabechancengesetz, das wir jetzt mit 4 Milliarden Euro zusätzlich für Langzeitarbeitslose beschlossen haben, um in einem regulären Job auch wieder Chancen auf Teilhabe in einem Arbeitsprozess zu haben und dabei auch noch Unterstützung zu bekommen, ({15}) damit man wieder in dieses Arbeitsleben eintreten kann, als ein System der Demütigung zu bezeichnen, ist an Ignoranz kaum zu überbieten. ({16}) Ich kann Ihnen sagen, ein funktionierender Arbeitsmarkt stärkt mehr den sozialen Zusammenhalt als eine ständige Ausweitung der Sozialsysteme. Deswegen sei der Hinweis erlaubt, dass die Agenda 2010 aus unserer Sicht eines der größten sozialpolitischen Projekte der letzten Jahrzehnte ist. Wir haben damit mehr Beschäftigung geschaffen als zuvor. Es sind Erfolge, Menschen aus der Arbeitslosigkeit durch „Fördern und Fordern“ in den Arbeitsmarkt hineinzubringen. Deswegen rate ich dazu, nicht die Erfolge der Vergangenheit schlechtzureden, sondern darüber zu reden, wie wir sie weiterentwickeln und optimieren können. Aber wir bleiben dabei, dass das Prinzip „Fördern und Fordern“ ein Prinzip unseres Sozialstaates ist. ({17}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, selbstverständlich, wenn wir über Generationengerechtigkeit reden, spielt die internationale Migration, die legale und auch illegale Migration, eine bedeutende Rolle. Man hatte langsam das Gefühl, zumindest wenn man Kommentierungen dieser Woche anschaut, und kommt zu der Idee, dass manche sich darüber richtig freuen, dass die Migrationsdebatte endlich wieder da ist. Ich kann Ihnen sagen, die Migrationsdebatte war nie weg. Die Migrationsdebatte hat in unserer Gesellschaft, in der Bevölkerung natürlich ständig stattgefunden, und zwar zu Recht, weil wir noch große Aufgaben haben, wenn es darum geht, die Herausforderungen der Migration zu bewältigen. Wir haben eine ganze Menge von Fortschritten auf den Weg gebracht. Hier denke ich an die AnKER-Zentren, an die Vorbereitung für das Fachkräftezuwanderungsgesetz, an das Aussetzen und Abschaffen des Familiennachzugs bei den subsidiär Geschützten und die Beschleunigung der Rückführungen. All das und vieles mehr sind der Auftrag und die Aufgabe, die wir gemeinsam weiterentwickeln wollen. Ganz selbstverständlich müssen wir – auch in unserem ureigenen Interesse – auf internationaler Ebene die Debatte darüber führen, wie Migration in Zukunft gesteuert, gelenkt und begrenzt werden soll. ({18}) Wo anders als auf internationaler Ebene können wir unsere Interessen bei der Migrationspolitik denn vertreten, meine Damen und Herren? ({19}) Ja, wir beklagen, dass wir in der Vergangenheit eines der Hauptzielländer von illegaler Migration waren. Zu Recht beklagen wir das, weil wir wissen, dass unsere Möglichkeit zur Integration eine Grenze hat, dass unser Arbeitsmarkt, dass unsere Sozialsysteme, dass die kulturelle Identität nicht grenzenlos zur Verfügung stehen. Das ist ganz selbstverständlich. Deswegen müssen wir gerade auf internationaler Ebene darauf drängen, dass andere Länder sich dem Thema Migration stellen, so wie auch wir dies tun. Andere Länder sollen sehen, dass auch sie auf Dauer nicht darum herumkommen, dass sie für Migranten Gesundheitsleistungen zur Verfügung zu stellen haben, dass sie dafür sorgen müssen, dass Papiere zur Verfügung stehen, dass sie dafür sorgen müssen, dass es Registrierungen gibt, dass Grenzen geschützt werden müssen und dass Menschen von den Herkunftsländern zurückgenommen werden müssen. Ja, wenn wir das auf der Welt nicht verteidigen und formulieren, dann werden wir die Migrationsdebatte international nie zu einem Besseren wenden, als sie heute ist, meine Damen und Herren. ({20}) Deswegen bleibe ich dabei: Wir wollen diese Debatten und Gespräche international führen. Dafür ist die Ebene der Vereinten Nationen eine richtige. Ich kann nicht verstehen, dass kritisiert wird, dass man diese Gespräche international führt. Es ist nicht jeder Satz, der in einem Papier geschrieben wird, automatisch ein Satz, den wir uns selber zu 100 Prozent zu eigen machen würden. Aber dass die Dinge, die uns in besonderem Maße interessieren, auch im Global Compact adressiert sind, ist Teil der richtigen Beurteilung. Ich verstehe nicht, warum man diese Elemente – stärkerer Grenzschutz, Rückführungen, Zugang zu Gesundheitsleistungen, anderer Umgang mit Migranten in den Transitländern und vor allem die Verantwortung der Herkunftsländer, dafür zu sorgen, dass sich nicht so viele Menschen auf den Weg raus aus diesen Ländern machen – jetzt kritisiert. Das kann ich nicht verstehen. Glauben Sie denn, dass, wenn sich in diesen Ländern die Situation nicht verbessert, weniger Menschen zu uns kommen? Es werden mehr kommen, und deswegen haben wir Interesse daran, dass sich das verändert. ({21}) Wir haben natürlich alle eine Verantwortung, diese Debatte zu führen. Jetzt kenne ich alle Argumente, die da vorgetragen werden. Ich kann nur dazu raten, dass man, wenn man über internationale Vereinbarungen redet, nicht einfach das Gefühl vermittelt, dass wir auf internationaler Ebene überhaupt kein Mitspracherecht haben ({22}) und von den anderen auch so behandelt werden. Die Wahrheit auf internationaler Ebene war bisher immer eine andere. Deswegen ist auch die Panikmache davor, dass wir in Gesprächen sind, völlig falsch, und damit meine ich die Panikmachen von Rechtsaußen wie Linksaußen. Zu glauben, wenn wir uns auf internationaler Ebene unterhalten, es würden dann Millionen von Menschen auf den Weg geschickt werden und zu uns kommen, ist genauso falsch wie der Hinweis von der grünen Seite, der auch nichts anderes tut, als Menschen zu verunsichern, indem behauptet wird, wenn man einen Compact auf UN-Ebene hat, würde das in die nationale Gesetzgebung eingreifen. Hören Sie doch auf, diese Falschheiten zu erzählen! Wie wir Migrationspolitik gestalten, entscheiden wir hier im Deutschen Bundestag, nirgendwo anders. Hier werden die Gesetze dafür gemacht, und wir bleiben dabei, dass wir die Migration steuern und begrenzen wollen. Das ist die Wahrheit, und so setzen wir auch diesen Pakt um. Danke schön. ({23})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächste Rednerin ist die fraktionslose Abgeordnete Dr. Frauke Petry.

Dr. Frauke Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004851, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bundesregierung legt uns in dieser Woche den Haushalt für das kommende Jahr 2019 vor. Liebe Bundesregierung, Sie wollen 357 Milliarden Euro ausgeben – wieder einmal der größte je in diesem Hause verabschiedete Haushalt. Da die Ausgaben seit dem Beginn Ihrer Kanzlerschaft, Frau Merkel, im Jahr 2005 von damals 260 Milliarden Euro jährlich stetig gestiegen sind, lassen Sie uns auf das Ergebnis Ihrer Politik blicken und feststellen, ob es Deutschland und Europa, das manche als die Lösung aller Probleme herbeibeten, tatsächlich politisch und wirtschaftlich besser geht als vor Ihrem Regierungsantritt. Frau Merkel, es tut mir leid, das zu sagen, aber Sie sind eine Kanzlerin der Stagnation. In 13 Jahren Ihrer Regierung haben Sie nicht annähernd eine Idee für die Lösung der Rentenfrage entwickelt. ({0}) Aber Ihre angeblich alternativlose Euro-Rettung hat zum ungebremsten Gelddrucken der EZB, zu Negativzinsen und zum Verfall des Kapitalvermögens von Millionen Sparern geführt. Der Steuerzuschuss zur Rentenkasse steigt mit jedem Jahr und nähert sich unaufhaltsam der 100‑Milliarden-Euro-Marke. Anstatt Ludwig Erhards Erfolgsmodell der sozialen Marktwirtschaft wiederzubeleben, feiert die Große Koalition die Überwachung von Unternehmern durch Tausende Zollbeamte und einen Mindestlohn, von dem der Staat fast 40 Prozent in Form von Abgaben selbst einbehält. Deutschland hat seine Vorreiterrolle bei Innovationen und Erfindungen lange eingebüßt. Die USA und Länder in Asien haben uns längst den Rang in Fragen der Digitalisierung, beim Ausbau von Breitbandnetzen und bei der Verkehrsinfrastruktur abgelaufen. Der Exportschlager Bildungssystem wurde in einer Folge von Experimenten geschwächt, unsere Universitäten europäisch egalisiert. Die Europäische Union befindet sich durch die weiter schwelende Euro-Krise, wie wir alle wissen, nah am Rande eines Zusammenbruchs, und der Brexit zeigt, dass langfristig nicht Großbritannien, sondern vor allem deutsche und europäische Unternehmer das größte Interesse an normalen Wirtschaftsbeziehungen außerhalb der EU haben müssen. Frau Merkel, Sie sind eine Kanzlerin der Isolation. Ihr Verzicht auf den Schutz deutscher Grenzen vor illegaler Migration und die damit verbundene Sogwirkung nach Afrika und in den Mittleren Osten haben die Axt an das freiheitliche Europa von Adenauer und de Gaulle gelegt. Sie haben nicht im Sinne Europas gehandelt, Sie haben sich für kindliche Naivität statt für staatsmännische Vernunft entschieden, und Sie haben nichts daraus gelernt. Der Versuch, den Migrationspakt und den Flüchtlingspakt ohne breite Debatte – denn es gab sie bisher außerhalb dieses Hauses nicht – zu verabschieden, wird gesellschaftlich scheitern. Sie werden es zwar persönlich vielleicht nicht ausbaden müssen, aber die Bürger und Steuerzahler. Ihre einsame Entscheidung, die gemeinsame europäische Energiepolitik durch die Energiewende ins Wanken zu bringen, ist das Gegenteil faktenbasierten Handelns. Weil diese Energiepolitik wirtschaftlich unsinnig und auf Dauer unbezahlbar ist, haben Sie in grüner Manier auf Gefühl statt Wissenschaft gesetzt und sind mit tatkräftiger Unterstützung der linken Parlamentsseite dabei, dem Industriestandort Deutschland sprichwörtlich den Hahn zuzudrehen, insbesondere dem Mittelstand und Millionen Autofahrern. Diese Entwicklung macht auch vor Frankreich inzwischen nicht mehr halt, aber Ihr politischer Freund Macron erlebt wenigstens gerade sein gelbes Wunder auf Frankreichs Straßen. Frau Merkel, Sie sind auch eine Kanzlerin der falschen Freunde. Ihre Regierung hofiert den türkischen Despoten Erdogan. Sie fallen dem Garant europäischen Friedens, den USA, in den Rücken und ziehen Geschäfte mit dem Mullah-Regime im Iran der Sicherheit Israels vor, für die Sie persönlich einmal garantiert haben. Unsere Vertreter bei den Vereinten Nationen stimmen in wenigen Stunden achtmal gegen die Interessen Israels. Sie lassen sich, getrieben von SPD und Macron, darauf ein, gemeinsame Sozialversicherungen und ein Euro-Zonen-Budget einzuführen, und verlagern damit weitere strukturelle und finanzielle Macht an die Brüsseler Kommission, also weg von der Kontrolle des Souveräns und des Steuerzahlers. Bei all diesen faktischen Fehlschlägen brüsten Sie sich mit christlicher Ethik, werfen aber das christliche Menschenbild über Bord, wenn es gilt, die Ehe vor ideologischen Experimenten à la Gender, also die Ehe von Mann und Frau, zu schützen. Gerade als Naturwissenschaftlerin hätten Sie die Debatte über den Diesel auf die Sachebene holen müssen. Stattdessen haben Sie den grünen Autofeinden freien Lauf gelassen. Ihre Politik ist eine, in der Gesinnung statt Verantwortung, Gefühl statt Wissenschaft, Glaube statt Wissen dominiert haben. Es wird unsere Aufgabe sein, Freiheit, Verantwortung und Wettbewerb als Prinzipien unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung wiederzubeleben. Aber seien Sie unbesorgt: Ohne Sie schaffen wir das! ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner ist für die SPD der Kollege Johannes Kahrs. ({0})

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss heute an dieser Stelle das erste Mal etwas tun, was ich in den letzten 20 Jahren im Deutschen Bundestag nicht getan habe: ({0}) Ich muss Frau Merkel loben. ({1}) Ich glaube, Sie hat wirklich eine sehr gute Rede gehalten. ({2}) Sie hat all das, was wir in den letzten Jahren getan haben, eingeordnet. Sie hat ihrer eigenen Fraktion gesagt, in welche Richtung es gehen soll. Sie hat es für euch auch eingeordnet. ({3}) Auch der Kollege Spahn hat, glaube ich, etwas gelernt. ({4}) Frau Merkel, ich habe Sie das erste Mal in meinem parlamentarischen Leben gelobt. Ihre Rede war großartig. Ich glaube, Ihre Einsortierung war gut. Ich hoffe, Ihr Gesundheitsminister hat etwas gelernt. ({5}) Ich hoffe, Ihre Fraktion hat etwas gelernt. Ich jedenfalls kam aus dem Klatschen nicht wieder raus. Es war eine wirklich gute und große Rede. ({6}) Für die, die jetzt am rechten Rand hier wieder rumbrüllen, möchte ich einfach nur feststellen: Frau Weidel hat zwölf Minuten erklärt, warum das mit ihrem Schwarzgeld und mit ihren Sponsoren aus dem Ausland nicht so schlimm war und warum das nicht illegal ist. ({7}) Was sie leider vergessen hat zu erwähnen, ist, wer gespendet hat: Wer steckt dahinter? Wer hat das Geld gegeben? ({8}) Herr Gauland, Sie müssen ein bisschen aufpassen. Ich kenne Ihre Partei ein bisschen. Sie hatten mal einen Vorsitzenden Lucke; der war eurokritisch. Rechts außen war Frau Petry; wir haben sie gerade gehört. Irgendwann war Frau Petry die Vorsitzende, und Sie, Herr Gauland, waren rechts außen. Nach einer gewissen Zeit war Frau Petry weg, und Herr Gauland ist nun in der Mitte, und Herr Höcke ist rechts außen. ({9}) Wenn Herr Höcke aber irgendwann mal Ihre Partei führt, wer ist dann rechts außen? ({10}) Das ist wiederum eine Frage, die man mal ernsthaft diskutieren muss. Wenn wir auf die Sachebene zurückkehren, dann stellen wir fest, dass dieser Haushalt einer für die arbeitenden Menschen in diesem Land ist, für bezahlbare Wohnungen, für mehr Geld für Pflege, für Kinder, für alle, die Steuern zahlen. Ich glaube, das ist ja in den ganzen Reden, auch in den letzten Tagen, deutlich geworden: dass das etwas ist, was wir alle unterstützen und was diese Große Koalition sehr sachlich, sehr vernünftig aufgebaut hat. Wenn man es sich weiterhin anschaut, dann stellt man fest: Es ist so, dass wir in diesem Haushalt aber auch viel für den Bereich Kultur getan haben. Da ich der zuständige Berichterstatter bin, erlauben Sie mir die Bemerkung: Frau Grütters, ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen für die gute Zusammenarbeit bedanken. Wir haben als Haushälter in den Kulturbereich sehr viel mehr investiert. Wir haben 120 Millionen Euro mehr für Kultur zur Verfügung gestellt. Der Kulturetat steigt insgesamt auf circa 1,9 Milliarden Euro. Wenn man sich das anguckt, sieht man: Es gibt einige wegweisende Projekte. Der Kollege Schneider hat sich hier mit anderen stark dafür eingesetzt, dass wir eine „Stiftung Mitteldeutsche Schlösser und Gärten“ für die Länder Thüringen und Sachsen-Anhalt ins Leben rufen. ({11}) Ich glaube, das ist nicht zu unterschätzen. ({12}) – Die Vorsitzende des Kulturausschusses nickt zurzeit sehr wohlwollend. Vielen Dank. Das heißt im Ergebnis: Wir geben Geld, damit dort eine Stiftung zusammen mit den Ländern gegründet werden kann, mit der man strukturell das, was wir an historischem Erbe in diesen Ländern haben, erhalten kann. Die Länder tun das zusammen mit dem Bund. Wir haben uns verpflichtet, dass, wenn es diese Stiftung gibt, wir für Personal und Betriebskosten einstehen, zumindest zur Hälfte, wie sich das gehört. Das ist eine Ausnahme, das ist eine gute Sache. Ich finde es gut, dass wir Sozialdemokraten, die wir in beiden Ländern regieren, das entsprechend unterstützen. ({13}) Auch wenn das den Kulturbereich nicht direkt betrifft, aber trotzdem mit dazugehört, ist es so, dass wir uns stark dafür engagiert haben, dass das Naturkundemuseum in Berlin saniert wird. Der Bund gibt 330 Millionen Euro, das Land Berlin gibt 330 Millionen Euro. Jedem, der dieses fantastische Museum und seinen Direktor, Herrn Vogel, noch nicht kennt, sei es empfohlen: Gehen Sie dort einfach mal rein. ({14}) Sie kriegen nur einen kleinen Teil zu sehen, aber das, was Sie sehen, ist schon großartig. Wenn der Bund und wenn das Land Berlin damit durch sind, haben wir eines der größten Häuser der Welt, das auch das, was im Bereich der Naturkunde, im Bereich der Evolution, das, was diese Welt ausmacht und wegweisend ist, erhält. Ich plädiere und kämpfe dafür, dass wir das Museum weiterhin begleiten und es unterstützen. Es gibt noch andere Bereiche, die mir sehr am Herzen liegen. Am Rande sei einem Sozialdemokraten und Oberst der Reserve erlaubt, zu erwähnen, dass es mich freut, dass wir im Etat des Verteidigungsministeriums rund 19 Millionen Euro für die Sanierung des Deutschen Panzermuseums in Munster ({15}) und rund 11 Millionen Euro für das Deutsche Marinemuseum in Wilhelmshaven ausgeben. Das ist eine gute Sache. Das ist ein guter Haushalt. Vielen Dank, Kollege Rehberg. ({16})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Patricia Lips von der CDU/CSU. ({0})

Patricia Lips (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Haushaltsberatungen sind sichtbar und hörbar eine ganz besondere Zeit in den Parlamenten, und das nicht nur im Deutschen Bundestag. Oft sind sie begleitet von Leidenschaft und Temperament. Traditionell wird dies, wie heute Vormittag, bei der Beratung des Kanzleretats besonders erlebbar. Eine solche Generaldebatte ist gut, tut gut und ist auch wichtig. Aber nichtsdestotrotz: Am Ende beschließen wir einen Etat – nachher sogar namentlich –, und zum Kanzleretat gehört – der Kollege Kahrs hat den Schlenker schon angedeutet – neben den bereits genannten Bereichen auch das wunderbare Thema Kultur in all ihren Facetten. „20 Jahre im Bund mit der Kultur“, so lautet im Jubiläumsjahr das Motto des Staatsministeriums für Kultur und Medien. Kulturpolitik ist ein wortwörtlich unübersehbarer Teil der Arbeit im Kanzleramt. Dies gilt auch für die Zahlen. Es stimmt: Das Primat der Kulturpolitik liegt grundsätzlich bei den Bundesländern. Gleichwohl hat sich der Bund in diesen 20 Jahren kontinuierlich zu einem wichtigen Akteur in diesem Bereich entwickelt. Heute sind wir stolz auf eine engagierte und national wie international sichtbare Kulturpolitik des Bundes. Sie ist uns in diesem Haushalt knapp 1,9 Milliarden Euro wert und stellt einen echten Mehrwert für unser Land dar. ({0}) Unsere Museen, die Kunst, Musik, das Theater, der Film – jeder behauptet seine Nische mit der erforderlichen Freiheit. Das führt zu Erfolg und bereichert unser kulturelles Miteinander. Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich einige Stichpunkte nennen. Berlin ist das Schaufenster zur Welt, nicht nur in der politischen Wahrnehmung. Deshalb gehört eine entsprechende Förderung der Hauptstadtkultur unstreitig dazu. Menschen aus aller Welt kommen hierher und haben ihre ganz eigenen Erwartungen an ihren Besuch. Ein weiteres Highlight erwartet sie nun: Die Silhouette des ehemaligen Stadtschlosses prägt nach rund 70 Jahren wieder das Stadtbild. Zusätzliche 29 Millionen Euro fließen in die Förderung des neuen Humboldt Forums. Wir freuen uns über das kulturelle und architektonische Projekt auf Weltniveau. ({1}) Einen großen Aufwuchs erfährt ebenso der Etat des deutschen Auslandsrundfunks „Deutsche Welle“. Es ist der größte Einzelposten in diesem Etat überhaupt. Gemeinsam mit anderen starken Playern in Europa muss auch unser Land eine Stimme der Freiheit und der Demokratie in der Welt bleiben. ({2}) Das ist eine ganz zentrale Aufgabe unserer nationalen Kulturpolitik. Dies gilt umso mehr angesichts internationaler Krisen und Einschränkungen der Meinungs- und Medienvielfalt in vielen Ländern dieser Erde. ({3}) Ein weiteres wichtiges Thema in diesem Haushalt ist die Erinnerungskultur. Wir setzen uns in weiten Teilen damit auseinander, ob das nun zusätzliche Mittel zur Aufarbeitung der SED-Diktatur betrifft, das kulturelle Erbe der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen oder die Unterstützung bei der Bewahrung jüdischen Erbes. Kolleginnen und Kollegen, die abschließende Sitzung zum Haushalt im zuständigen Ausschuss fand am Vorabend des 9. November statt. Viele nennen diesen Tag den Schicksalstag unseres Landes. So erinnern wir alljährlich zu Recht an die Reichspogromnacht. ({4}) Der Termin der Ausschusssitzung jedoch war Zufall. Ein Thema in dieser Sitzung war die Synagoge in München, die nun mithilfe des Bundes saniert werden kann. Es berührt einen sehr, wenn man als zuständige Berichterstatterin erfährt, dass die Mitteilung darüber am 9. November vor Ort auf große Emotionen stieß und symbolhaft mit diesem Tag in Verbindung gebracht wurde. ({5}) Darüber hinaus gibt es natürlich noch das große bauliche Erbe, das weit in die ländlichen Räume hineinreicht und von der sehr wechselvollen Geschichte unseres Landes berichtet. Rund 250 Projekte – so viele wie selten – können nun zusätzlich mit unserer Unterstützung saniert und instandgesetzt werden. Ob es sich um das Schloss Marienburg in Niedersachsen handelt, die Kaiser-­Wilhelm-Gedächtnis-Kirche hier, mitten in Berlin, das Kloster Corvey in Höxter, den Dom in Brandenburg an der Havel oder das Münster in Radolfzell und vieles andere mehr – der Bund trägt seinen Beitrag dazu bei, dass diese einmaligen Bauten bewahrt werden und damit unmittelbar vor Ort identitätsstiftend wirken. Dazu kommen die vielen kleineren Einrichtungen, die über das Sonderprogramm zum Denkmalschutz gefördert werden. Sie werden von Vereinen, Verbänden, Kirchengemeinden usw. vor Ort betreut und mit Projekten am Leben gehalten. Genau diese Menschen freuen sich, wenn ihr Einsatz sichtbar Unterstützung erfährt. Für das kommende Jahr haben wir dafür 40 Millionen Euro eingestellt. ({6}) Lassen Sie mich zum Abschluss noch etwas ansprechen. Es gibt Menschen – dafür kann man Verständnis haben –, die bei der Bekanntgabe, bei der Veröffentlichung von Projekten im kulturellen Bereich anmerken – manchmal kritisieren sie auch deutlich –, ob das Geld nicht besser in anderen Bereichen aufgehoben wäre, im Kitabereich, bei der Schulsanierung, im Straßenbau und vielen anderen Bereichen mehr. Damit sei den Menschen mehr geholfen. Sie fragen, wofür man denn das andere alles im Alltag brauche. Kolleginnen und Kollegen, ja, diese Frage kann man stellen, und ganz sicher sind alle anderen Dinge ebenfalls sehr, sehr wichtig. Aber Kultur in ihrer Vielfalt ist der Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält, Identität stiftet und vor allen Dingen auch Menschen verbindet. ({7}) Kultur ist ein wichtiger Bildungsfaktor, berichtet von unserer Vergangenheit und gestaltet unsere Zukunft, und hin und wieder lässt sie uns für eine begrenzte Zeit den Alltag vergessen. Für all dies lohnt sich der Einsatz allemal, und wir sollten das eine nicht gegen das andere ausspielen. Deshalb geht mein ganz herzlicher Dank an die Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss für die gute Debattenkultur, die dort vorherrscht, insbesondere natürlich an den Koalitionspartner und auch von meiner Seite an Staatsministerin Monika Grütters und ihr gesamtes Team. – Das sind auch für euch immer Hochzeiten. Das wissen wir zu schätzen. Kolleginnen und Kollegen, nach dem Haushalt ist vor dem Haushalt. Ich freue mich bereits jetzt auf das kommende Jahr. Vielen Dank. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die SPD die Kollegin Sonja Amalie Steffen. ({0})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf der Tribüne! In der Politik und besonders im Haushaltsausschuss wird viel über Quoten geredet: Geschlechterquote, Verteidigungsquote, Wissenschaftsquote und ODA-Quote. Es werden immer wieder Stimmen laut, die den Sinn der ODA-Quote an­zweifeln, auch im Haushaltsausschuss. Ich möchte meine Redezeit dazu nutzen, Sie alle von der Wichtigkeit und der Bedeutung der ODA-Quote zu überzeugen. ({0}) Tatsächlich hat sich Deutschland 1972 international verpflichtet, den Anteil der öffentlichen Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit am Bruttonationaleinkommen auf 0,7 Prozent zu steigern. Ich habe Ihnen – mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident – heute ein Schaubild mitgebracht, auf dem die Entwicklung der ODA-Quote abbildet ist. ({1}) Sie sehen: Es beginnt 1975. Sehr erstaunlich ist, dass die ODA-Quote bis 1982 ansteigt. Das war die Zeit, in der Deutschland von der SPD regiert wurde. ({2}) Ab 1982 – Minister Müller ist leider nicht anwesend; er würde das gar nicht gern hören – sinkt die ODA-Quote kontinuierlich ab, und zwar bis 1998. Wissen Sie, was 1998 geschah? ({3}) Die SPD kam wieder an die Regierung. ({4}) Seitdem – man sieht es hier – geht es mit der ODA-Quote wieder fast kontinuierlich bergauf. ({5}) Die Zeit zwischen 1998 und heute wurde unterbrochen, zunächst einmal von der Bankenkrise – das ist verständlich –, aber dann auch von der sogenannten Niebel-Delle ({6}) in der Zeit der schwarz-gelben Regierung, die man auch deutlich erkennen kann. Hören Sie gut zu, liebe Kollegen und Kolleginnen von der FDP; Sie haben sich in der Zeit entwicklungspolitisch wirklich nicht mit Ruhm bekleckert. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, 2016 haben wir es sogar geschafft, die ODA-Quote auf fast 0,7 Prozent zu erhöhen; aber dies war auch dem Umstand zu verdanken – und das sollte man an dieser Stelle auch sagen –, dass wir die Flüchtlingskosten im Inland zur ODA-Quote hinzugerechnet haben. Das war zwar keine Schönfärberei – das war ein legaler Vorgang –; aber es ist eben so: Die Mittel für die Flüchtlinge im Inland tragen nicht dazu bei, dass wir Fluchtursachen bekämpfen und zur Entwicklung in armen Ländern beitragen. Deshalb rechnen wir jetzt, im Haushalt 2019, die Flüchtlingskosten im Inland nicht mehr zur ODA-Quote hinzu. Wir sind im September in die Haushaltsberatungen gegangen mit einem Etat für die Entwicklungszusammenarbeit in Höhe von 9,725 Milliarden Euro. Das ist nicht wenig. Aber all diejenigen, die sich eben auch Sorgen gemacht haben darum, dass die ODA-Quote wieder sinkt – sie haben sich an dieser Stelle große Sorgen gemacht –, haben in der Debatte bei der Einbringung schon gesagt, dass sie versuchen wollen, die ODA-Quote im Laufe der Haushaltsberatungen zu erhöhen. Das Ergebnis der Beratungen kann sich tatsächlich sehen lassen.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Frau Kollegin Steffen, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte keine Zwischenfragen zulassen. Wir haben dafür gesorgt, dass die Talfahrt der ODA-Quote aufgehalten werden konnte; sie liegt aktuell bei 0,51 Prozent. Schon die Bereinigungsvorlage sah eine Erhöhung von 350 Millionen Euro vor. Der Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Andrea Nahles, ist es dann gelungen, quasi auf den letzten Metern vor der abschließenden Beratung des Haushalts 2019, noch einmal 350 Millionen Euro für die ODA-Quote mit unserem Koalitionspartner herauszuverhandeln. ({0}) Vielen Dank an dieser Stelle! ({1}) Diese Mittel, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir im parlamentarischen Verfahren verteilt, nicht mit der Gießkanne, sondern mit Verstand. ({2}) Zum Abschluss möchte ich noch einmal die Frage stellen: Ist die ODA-Quote wichtig? Ja, sie ist wichtig. ({3}) Ohne die Einhaltung der ODA-Quote läuft die Politik schnell Gefahr, zu vergessen, dass wir neben den vielen anderen wichtigen Aufgaben auch bei uns im Land eine internationale Verantwortung haben. ({4}) Aber es ist nicht nur das. Wenn wir verhindern wollen, dass die Menschen in den ärmsten Ländern der Welt sich auf einen schweren ({5}) und oft tödlichen Weg machen, nach Europa, dann ist es nur vernünftig, sie in ihrer Heimat zu unterstützen – abgesehen davon, dass es unsere ethische Pflicht ist, Hilfe zu leisten. ({6}) Herr Gauland, wenn jeder nur an sich denkt – Sie haben das Bild vom Fenster und von der Heizung erwähnt, was ich wirklich erschreckend fand –, ersticken wir im Nationalismus. ({7}) Die ODA-Quote ist also eine Art Mahnmal für uns, sie ist mitunter anstrengend, sie hält uns einen Spiegel vors Gesicht, erst recht, wenn wir uns von unserem Ziel entfernen. Die ODA-Quote ist eine Art Notarztwagen, ein Notarztwagen für mehr Gerechtigkeit und vor allem zur Rettung vieler Menschenleben. Im Haushaltsentwurf war der Motor ins Stocken geraten. Wir haben das wieder aufgefangen. Ich freue mich, dass die ODA-Quote wieder Fahrt aufnimmt, ({8}) und hoffe darauf, dass sie auf die 0,7-Prozent-Marke zusteuert. Vielen Dank. ({9})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Für eine Kurzintervention hat sich der Abgeordnete Dr. Weyel von der AfD gemeldet.

Prof. Dr. Harald Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004932, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Kollegin, ist Ihnen, Ihrer Fraktion und auch den anderen außer der unsrigen jemals der Gedanke gekommen, dass dieses UNCTAD-Ziel aus dem UNO-System von 1972 – noch vor der ersten Erdölkrise, noch vor den Schlägen, die die Weltwirtschaft dann einstecken musste – einfach ein Ausfluss des Kalten Krieges ist, ein Ausfluss von Tonnenideologiedenken nach dem Motto „Viel hilft viel“, ein Erpressungsinstrument zur Ressourcenabzweigung in die Dritte Welt, die man natürlich abhalten wollte und musste – was man nur mit mäßigem Erfolg geschafft hat –, mit Moskau und China näher zusammenzukommen? Das ist doch der Kern der Sache. Die ganze Diskussion wurde spätestens seit 2007 von dem Ex-Weltbankökonomen William Easterly international geführt. 2007 fand auch eine große Konferenz in New York – veranstaltet von Intelligence Squared – statt. Zu 50 Jahren Entwicklungshilfe wurde dort gesagt: „… more harm than good“. Ich verrate kein Geheimnis: „It was more harm than good“ bedeutet: Es hat mehr Schaden angerichtet als Gutes bewirkt. – Die Tonnen­ideologie aus der Entwicklungshilfe muss also weg. Zu den anderen Aspekten, Glamour Aid, Gleneagles usw.: Bono und wie sie alle heißen wollen immer mehr Ressourcen transferieren, ({0}) mit dem Ergebnis, dass damit in den Ländern der Dritten Welt weder Marktwirtschaft noch Demokratie gefördert, sondern nur korrupte Strukturen, soweit vorher schon vorhanden, zementiert oder erst geschaffen werden. ({1}) Mit dem Geld kommt nämlich die Begehrlichkeit in die Welt, ({2}) und so, wie der Endlostransfer innerhalb Europas mehr Schädliches als Positives anrichtet, sofern er nicht Demokratie und Marktwirtschaft fördert, richtet er erst recht in der Dritten Welt mehr Schaden als Gutes an. Dieser Groschen muss doch endlich mal fallen. Es wird hier im Bundestag schlechter und dürftiger als an einer mittelmäßigen Volkshochschule diskutiert, und das ist eine Schande. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Jetzt müssen Sie aber mit der Kurzintervention zum Schluss kommen.

Prof. Dr. Harald Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004932, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich bitte doch dringend um ein Umdenken, und sagen Sie mir: Wie wollen Sie den Wechsel von der Quantität in die Qualität der Entwicklungshilfe schaffen? ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Frau Steffen.

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, bei Ihnen hätte weniger Quantität, weniger Rededauer, vielleicht auch zu mehr Sinn und Zweck beigetragen. ({0}) Beim Thema Korruption, denke ich, sollten Sie sich an Ihre eigene Nase fassen und in Ihre eigene Fraktion und vor allem direkt auf Ihre Vorsitzerin schauen. ({1}) Zum gesamten Thema. Wie reaktionär Sie sind, merkt man schon daran, dass Sie immer noch „Entwicklungshilfe“ sagen. Es heißt „Entwicklungszusammenarbeit“. ({2}) Wir wollen mit den Staaten in Afrika zusammenarbeiten. Im Übrigen: Alle sachlichen Dinge werden wir heute Nachmittag besprechen, wenn wir über den Einzelplan reden, und ich bin sehr gespannt, wie Sie sich dann äußern werden. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Norbert Kleinwächter für die AfD. ({0})

Norbert Kleinwächter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004781, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Werter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine gute Sache muss man schon mal lobend erwähnen: Wir debattieren einen Bundes haushalt. ({0}) Ja, die Regierung ist unkreativ. Sie verschwendet unser Geld für sinnlose Projekte und investiert viel zu wenig in unsere Zukunft. Was aber verstörend an dieser Debatte war, ist: Sie verweisen ständig auf die EU-Ebene. Das wurde wirklich deutlich. Viele Redner sprachen von einer Lösung auf einer supranationalen Ebene, Macron fordert ein Euro-Zonenbudget, Sie, Frau Merkel, gewähren das mal eben leichtfertig. Aber wofür soll es denn dienen? Das ist ein Topf, in den wieder die Gelder unserer Bürger abfließen. Neben den bereits gut 30 Milliarden Euro im Jahr, die wir zahlen, geht immer mehr an irgendeine supranationale Ebene. ({1}) Wissen Sie eigentlich, warum uns Estland und Lettland in der Digitalisierung überflügeln? Während Sie auf Fonds aus Brüssel warten, nehmen die ihr Schicksal mal eben selbst in die Hand. Sie sollten mal begreifen: Im europäischen Kontext national zu handeln, bedeutet nicht, gegen jemanden, sondern für das eigene Land und damit indirekt für alle zu handeln. Diesen Grundsatz sollten Sie sich wirklich mal zu Gemüte führen. ({2}) In dieser Debatte erhalte ich aber manchmal den Eindruck, Sie wollen Brüssel, weil Sie irgendwie spüren, dass Sie das Land an die Wand fahren, und es ist doch schön, wenn man die Verantwortung, die man eigentlich für dieses Land und für die Bürger hat, dann an eine EU-Ebene abgeben kann. Es ist doch schön, wenn man nicht mehr verantwortlich ist. Herr Brinkhaus hat vorhin eine Diskussion darüber angefangen, ob Europa ein Kontinent oder eine Wertegemeinschaft ist. Ja, die europäischen Länder teilen Werte. Sie wollen Frieden, sie wollen Handel, sie haben gemeinsame christlich-jüdische Wurzeln. Die Verlagerung nationaler Schlüsselaufgaben weit weg von jeder demokratischen Kontrolle ist aber kein solcher Wert. Das sollte Sie der Brexit lehren. ({3}) Frau Merkel, liebe Mitglieder der Bundesregierung, übernehmen Sie endlich Verantwortung für diese Bürger, für unsere Bürger, für dieses Land, und verlagern Sie nichts sonst wohin. Herzlichen Dank. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Als Nächste spricht die Kollegin Gitta Connemann für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kennen Sie Weener oder Börger? Das sind zwei wunderbare Gemeinden in meiner Heimat, völlig unterschiedlich. Aber eines verbindet sie: die Königin der Instrumente. Denn in beiden Orten stehen wunderbar historische Orgeln, deren Klang die Menschen seit Generationen begleitet, von der Taufe bis zur Trauerfeier. Diese Orgeln sind in die Jahre gekommen – wie viele ihrer Geschwister. Beide Kirchengemeinden wären mit der Sanierung heillos überfordert. Woher nehmen wir bloß die Mittel? Diese Frage bereitete den Ehrenamtlichen in Weener und Börger schlaflose Nächte. Bereitete; denn jetzt hilft der Bund, der Steuerzahler mit einer Finanzspritze. Die Hälfte der Kosten sind gedeckt – aus Mitteln des Denkmalschutz-Sonderprogramms. Meine Damen und Herren, dies und mehr beschließen wir heute in dieser Haushaltsdebatte; wir, der Deutsche Bundestag. Es ist die Stunde des Parlaments; denn am Ende entscheiden wir, die Abgeordneten, wofür Steuergelder ausgegeben werden. Dafür stehen wir in der Verantwortung, vorneweg unsere Haushälterinnen und Haushälter. Unsere Frau für die Kultur ist Patricia Lips. Sie hat für uns diese Mammutaufgabe geschultert. Dafür ein Riesendank an dich, liebe Patricia! ({0}) Am Ende steht ein Rekordhaushalt. So viel wurde auf Bundesebene noch nie für die Kultur ausgegeben. Das ist auch das Verdienst unserer Kulturstaatsministerin, liebe Monika Grütters. 1,9 Milliarden Euro, 1 900 Millionen Euro – und das für Kultur? Brauchen wir das wirklich? Unsere Antwort für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lautet: Ja. Denn was wäre das Leben ohne Musik, ohne Kunst, Tanz, Film, Geschichte, Sprache? Es wäre grau, kalt und stumm. Für uns ist Kultur ein Lebensmittel wie Wasser oder Brot. Deshalb stärken wir die Kultur im ganzen Land, übrigens nicht nur in der Hauptstadt, sondern eben auch in Weener und Börger oder aber Rostock und Bochum. ({1}) Wir wissen: Wer Kultur für alle fordert, der muss auch Kultur von allen fördern. Dabei gehen wir nicht mit der Gießkanne durch das Land, sondern unser Maßstab ist die „nationale Bedeutsamkeit“. Aber kulturelle Spitzenleistungen sind eben keine Frage der Größe eines Ortes. Deshalb ist uns, der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, das Thema der Kultur in ländlichen Regionen so wichtig. Liebe Elisabeth Motschmann, dies ist dir, es ist uns ein Leidenschaftsthema. Ohne Frage: Es gibt bereits Ansätze, wie eben das Denkmalschutz-Sonderprogramm, das Sanierung und Restaurierung in der Fläche ermöglicht. Oder aber die Kulturstiftung des Bundes: Sie hat die Bedeutung der kulturellen Infrastruktur in ländlichen Räumen längst erkannt und fördert zum Beispiel mit dem Programm ­TRAFO in entsprechenden Modellregionen, vom Harz bis zur Schwäbischen Alb. Oder aber die LandKULTUR des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Damit werden innovative Kulturprojekte in ländlichen Räumen gefördert. So entsteht zum Beispiel in Niedersachsen ein Orff-Zentrum, aber eben nicht in den Ballungszentren, sondern in Steenfelde in Ostfriesland; denn dort gibt es die Instrumente, das Know-how und die Leidenschaft. Wir wünschen uns den Mut zur Dezentralität. Wieso soll ein Museum der Moderne zum Beispiel nicht auch in Bochum stehen können? Eine Frage, die man sich stellen sollte. ({2}) Aber das ist nicht genug. Deswegen sind Teile der Landmilliarde für die Kultur in ländlichen Regionen eingeplant. Ab dem kommenden Jahr stehen dafür 10 Millionen Euro zur Verfügung. Wir erwarten dafür neue Ideen. Ganz klar: Alte Programme dürfen dafür nicht einfach umlackiert werden. Für diesen Aufbruch steht übrigens auch das neue „Zukunftsprogramm Kino“. Der deutsche Film hat international wieder hohes Ansehen, übrigens auch dank unserer Filmförderung, die noch einmal erhöht wurde. Aber der Film braucht das Kino, und gerade die kleinen Kinos kämpfen um ihre Existenz. Bezahldienste und Videoplattformen im Netz lassen grüßen. Wir wollen diese Kinos erhalten und stärken. ({3}) Denn sie sind nicht nur Wirtschafts-, Begegnungs- oder Kulturorte; für uns sind sie Sehnsuchtsorte. Deshalb haben wir zusammen mit den Kollegen von der SPD dafür gesorgt, dass eine vorgezogene Premiere dieses Programms stattfinden wird – ein Jahr früher als geplant. Für uns ist das ein erster Schritt. Der nächste muss folgen. Wir erwarten, dass dieses Programm im nächsten Haushaltsentwurf eine tragende Rolle spielen wird. ({4}) Doch nicht nur der Kinofilm ist erfolgreich. Deutsche Serien sind zum Exportschlager geworden. Mit dem German Motion Picture Fund fördern wir gezielt diese filmische Ausdrucksform. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bekennt sich dazu. Deshalb freuen wir uns auch über die Zusage unserer Kulturstaatsministerin, die Mittel der unterschiedlichen Filmfonds flexibel zu bewirtschaften. Denn die Erfolge von „Babylon Berlin“, „Charité“ oder „Ku’damm 56“ sprechen für sich. Diese Serien liefern uns eine neue Erzählsprache für Geschichte. Geschichten erzählen Geschichte, wie zum Beispiel auch die Serie „Weissensee“. Sie macht den Alltag in der DDR genauso erlebbar wie das Unrecht des SED-Regimes – auch für diejenigen, die es damals nicht erlebten. Diese Erinnerung ist wichtig, meine Damen und Herren. In den nächsten beiden Jahren feiern wir zwei Ereignisse, die unsere Geschichte maßgeblich verändert haben: 30 Jahre Mauerfall und die deutsche Einheit. Bei aller Freude dürfen wir nicht vergessen: Für viele Menschen in der DDR führte die Wende auch zu einem Bruch ihrer Biografie. Sie mussten von Grund auf neu anfangen. Von heute auf morgen wurden auch Lebensentwürfe entwertet. Aber das Ende der SED-Diktatur war vor allem eine Befreiung, insbesondere für die Opfer des SED-Unrechts. Allerdings wurde vielen das Ausmaß ihrer Entrechtung erst nach der Wende klar, übrigens durch den Blick in die Stasiakten. Deshalb müssen diese Akten erhalten und wiederhergestellt werden, soweit es möglich ist. Das ist für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unverhandelbar. Denn es geht um Gerechtigkeit für die Opfer. ({5}) Sie brauchen den Zugang dazu. Deshalb gibt es Stellen, um die Dokumente online zu stellen. So wird ein digitales Schaufenster in das Archiv geschaffen, und wir schlagen damit eine Brücke in die nächste Generation. Darum ist es uns übrigens auch so wichtig, die Opferverbände zu fördern. Gerade sie leisten einen unschätzbaren Beitrag. Deshalb wollen wir ihren Stimmen mit dem Zeitzeugenportal „Glaube-Mut-Freiheit“ eine Plattform gegen das Vergessen geben. Denn am Ende geht es bei diesem Haushalt nicht allein um Geld; es geht auch nicht nur um Signale. Es geht am Ende um das Fundament, auf dem wir stehen, und das ist unsere Kultur. Herzlichen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Hartmut Ebbing für die FDP. ({0})

Hartmut Ebbing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004706, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es war 11.50 Uhr, als der Kollege Kahrs zum ersten Mal das Wort „Kultur“ in den Mund genommen hat. Zum Glück war es nicht fünf vor zwölf. Ich finde, Kultur ist ein Thema, das eigentlich so wichtig ist, dass wir durchaus ein bisschen mehr Inhalt bringen dürfen und auch ein bisschen mehr Zeit dafür verwenden können. Denn Kultur ist letztendlich nicht nur Alpha, sondern wahrscheinlich auch Omega der menschlichen Spezies. Auf den ersten Blick sieht die Aufstockung des Kulturhaushaltes natürlich toll aus. Was sagt uns der zweite Blick? ({0}) Die Große Koalition verteilt in großen Teilen wieder mal fröhlich Geld. Das kann sie gut. Aber wir haben auch strukturelle Defizite in der Kulturlandschaft, und diese gilt es zu beheben, und zwar mit neuen, innovativen Ideen. ({1}) Um es klarzustellen: Geld fließt selbstverständlich auch an gute und für uns unterstützenwerte Projekte, wie zum Beispiel an das Lindenau-Museum, ein Kleinod in Altenburg in Thüringen – ({2}) die meisten Skatbrüder werden es kennen –, die Gedenkstätte in Buchenwald ({3}) oder die Franckeschen Stiftungen in Halle. ({4}) Vor allem bei der Gedenkstätte in Buchenwald hätten wir uns eine deutlichere Aufstockung gewünscht. Die Freien Demokraten sind dennoch froh, dass die Große Koalition einige unserer Anregungen aufgenommen hat und ihnen gefolgt ist. ({5}) Das Thema Orgel hatten wir – das wissen die Mitglieder des Kulturausschusses – gemeinsam angeregt. Auch bei diesen Projekten geht es meistens um kostspielige, aber nur einmalige Bestandssicherungen und weniger um eine dauerhafte und nachhaltige Deckung der laufenden Ausgaben. Diese eher investive Förderung führt dazu, dass viele Einrichtungen weder langfristig planen noch sich um den fortlaufenden Erhalt ihrer Kulturstätte angemessen kümmern können. Dass diese Art der Förderung grotesk ist, sieht man besonders deutlich zum Beispiel am Landschaftspark Dessau-Wörlitz. Hier werden zwar seit Jahren immer wieder Gebäude saniert und Gärten instand gesetzt, aber es fehlt das Geld für Personal und zur Deckung der laufenden Kosten. ({6}) Eine zweckdienliche Förderung sieht für uns Freie Demokraten etwas anders aus. ({7}) – Ja, prima. Um unsere Kulturlandschaft dauerhaft zu erhalten, brauchen wir nicht nur eine nachhaltige Förderung und innovative Nutzungskonzepte. Vielmehr müssen wir Anreize für mehr bürgerschaftliches Engagement schaffen. Wie das erfolgreich funktionieren kann, sehen wir in Großbritannien. Hier leisten Institutionen wie der Landmark Trust, die English Heritage oder der National Trust seit Jahren hervorragende Arbeit als Bindeglied zwischen staatlichem und bürgerschaftlichem Engagement. Was das angeht, müssen wir noch ein bisschen mehr machen. ({8}) Deutschland ist jedoch nicht das einzige Land, das hier Defizite aufweist. Daher sollten wir solche Konzepte, die die stärkere Verknüpfung von Bürgerschaft und Staat zum Ziel haben, nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf europäischer Ebene entwickeln und vorantreiben. Wir als Freie Demokraten werden uns deshalb auch auf europäischer Ebene für ein größeres bürgerschaftliches Engagement in der Kulturförderung einsetzen. Vielen Dank. ({9})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächstes spricht für die Fraktion der SPD die Vorsitzende des Kulturausschusses, Katrin Budde. ({0})

Katrin Budde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Kultur ist Gesellschaftspolitik. Kultur ist Spiegel ihrer Zeit und im Idealfall Vordenkerin. Kultur ist Teil der Generaldebatte. Das ist gut so, und das ist auch genau richtig so. Kultur in Deutschland reicht vom Dreckschweinfest im Mansfelder Land über Industriekultur, Oktoberfest, Bach, Goethe, Bauhaus bis Bayreuth und Wacken. Kultur in Deutschland hat riesengroße regionale Unterschiede, unterschiedliche traditionelle Wurzeln, aber auch große gemeinsame Dichter, Denker, Vorfahren und Bewegungen. Mancher Begriff, der heute wieder vermehrt verwendet wird, gaukelt uns etwas vor und wird gezielt eingesetzt, um Stimmung zu machen. Ein solcher Begriff ist die Kulturnation. Dieser Begriff stand immer und wurde immer genutzt für Innerlichkeit, Weltabgewandtheit, Lagerdenken und vermeintliche gefühlsmäßige Tiefe, für Ab- und Ausgrenzung, aber nicht für Freiheit der Kunst und der Kultur, nicht für Solidarität und nicht für Gerechtigkeit. Das muss Kulturpolitik heute umso mehr berücksichtigen, damit Sie und damit wir alle nicht in eine falsche Richtung laufen und gucken, nämlich rückwärtsgewandt. Das darf nicht sein. Der Haushalt, der uns vorliegt, berücksichtigt diese Aufgabe auf vielfältige Art und Weise in den Einzel­etats – denn Kultur ist Querschnittsaufgabe –, aber auch im Haushalt der BKM. In einem demokratischen Staat ist Kulturpolitik deshalb keine Sache von oben, jedenfalls nicht so, wie wir sie verstehen. Sie ist ein Teil unserer Gesellschaft und deshalb partizipatorisch, sie ist Teil der Zivilgesellschaft, und sie darf nicht zum Spielball des Föderalismus werden. ({0}) Das hat die SPD erkannt und deshalb den BKM vor 20 Jahren ins Leben gerufen. 20 Jahre – feiern wir den Geburtstag! Das ist gut. Kooperativer Kulturföderalismus hat sich in den Jahren entwickelt, bildet sich im Haushalt ab, mit ganz vielen Programmen und zunehmend mit Programmen, die in die Fläche gehen. Der nächste große Schritt wäre dann allerdings: Kultur muss in die Verfassung: Aufheben des Kooperationsverbots nicht bloß bei der Bildung, sondern auch bei der Kultur, ({1}) nicht nur Brosamen, sondern gemeinsame Verantwortung, Daseinsvorsorge, eben Kultur für alle! So vielfältig Kultur ist, so sehr braucht sie Förderung auf allen Ebenen. Deutschland hat eine reiche Kulturlandschaft, in Stein und ideell – viele Zukunftsthemen sind von Deutschland aus befördert worden –, und sie hat auch Tradition. Aber Tradition ist eben nur ein Teil der Kultur. Zukunftsgestaltung, neue Akzente setzen, Wertewandel, das sind weitaus größere Ziele und Aufgaben. ({2}) Wertewandel, das ist auch so ein Begriff, der heute wieder von einer gesellschaftlichen Strömung benutzt wird und mit dem versucht wird, Angst zu machen. Wehren wir uns dagegen! Vor allen Dingen, meine Damen hier im Haus, wehren wir uns dagegen! Ohne Wertewandel säßen wir nicht hier. Wir brauchen den Wertewandel. ({3}) Lassen Sie mich eine Frage stellen: Ist Deutschland als ein Land mit reicher Kultur und Geschichte und sind seine Bürgerinnen und Bürger, sind wir immun gegen Verführung und Nationalismus übelster Art? Nein, sind wir nicht. Die 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts haben das gezeigt, und in vielen kulturreichen Nationen um uns herum und auch bei uns in Deutschland zeigt es sich auch heute. Der kulturelle Firnis der Gesellschaft ist allzu oft sehr dünn. Die Freiheit und die Möglichkeit, Kultur als Zukunftsmotor zu verstehen, müssen immer wieder verteidigt werden. Genauso wie die Demokratie nur vom Mitmachen lebt, lebt auch Kultur nur vom Mitmachen und vom Blick nach vorn. Haben wir, die wir im Deutschen Bundestag sitzen, eine gemeinsame Kulturgeschichte? Jein. Wir haben Jahrzehnte gemeinsamer, aber auch Jahrzehnte trennender Kulturgeschichte. Deutschland verdankt seinen Kulturreichtum der Kleinstaaterei. Ich will als Ostdeutsche hier etwas sagen, was weiter westlich Geborenen wahrscheinlich falsch ausgelegt würde, wenn sie es sagen würden: 12 Jahre Nazidiktatur und im Anschluss 45 Jahre sogenannte Arbeiter-und-Bauern-Diktatur haben ganze Generationen in einer antiwestlichen und antiliberalen Stimmung erzogen. Dort war gelebte Realität, was einige heute wieder fordern: dass Kultur identitätsstiftend sein sollte und war, indem der Staat bestimmt, was Identität ist und war. Ein kleiner Erklärungsversuch: Woher kommt diese aggressive Ostalgie bei der selbsternannten Alternative? Herr Gauland, ich habe ein Zitat von Ihnen gefunden: In der DDR habe sich „ein altes Stück Deutschland erhalten, viel eigenständiger und traditioneller als in der westlich gefirnisten alten Bundesrepublik“. – Wohl wahr, da hatte sich etwas erhalten: Zensur von Theater und Kabarett. „Was Kunst ist, bestimmen wir.“ Das hat der Verband Bildender Künstler meinem Vater gesagt. ({4}) Fahnenappelle. Denunziationen. – Erkennen Sie das Muster heute wieder? ({5}) – Nein, das war gelebte Realität – in der habe ich gelebt –, und das will ich nie wieder haben. ({6}) Das ist nicht billige Polemik. ({7}) Meine Damen und Herren Abgeordnete, Kulturpolitik heißt nicht Vorgaben machen, sondern Möglichkeiten eröffnen. Unter „Möglichkeiten eröffnen“ gehört unter anderem die Gleichstellung dazu, und die ist – das ist meine Kritik an diesem Haushalt insgesamt und auch an dem der BKM – sehr unterrepräsentiert: 79 Prozent der Expertinnen in TV-Informationen sind männlich. 90 Prozent Männerquote bei Regie, Kamera und Produktion. Das Rollenbild der Frau im Fernsehen entwickelt sich zurück. Deutschland ist Spitzenreiter bei sexualisierten Darstellungen von Mädchen und Frauen. ({8}) Das muss sich ändern, meine Damen und Herren. Darauf müssen wir in den nächsten Jahren einen Schwerpunkt legen. ({9}) Da fünf Minuten nur die Möglichkeit geben, das Thema anzureißen: Lassen Sie uns die eigentliche Debatte in der Gesellschaft führen! Ich freue mich darauf. ({10})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Doris Achelwilm für die Fraktion Die Linke. ({0})

Doris Achelwilm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004651, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, der Haushalt für Kultur und Medien ist in den letzten Jahren klar gewachsen, aber Masse allein ist auch hier nicht alles. Es kommt auf die Verteilung an, auf die strukturellen und inhaltlichen Botschaften und Prioritäten, und da wollen wir als Linke etwa im Bereich der Filmförderung mehr Vielfalt und mehr Unterstützung auch für mutige Inhalte. ({0}) Das System der Fördermittelvergabe macht es den jungen oder weiblichen Filmschaffenden oder auch außergewöhnlichen Stoffen nach wie vor nicht leicht. Die Filmförderpraxis ist zu intransparent und führt oft zum künstlerisch weichgespülten deutschen Gremienfilm. Höchstens ein Fünftel der Fördermittel gehen an Filme, in denen Frauen für Regie, Kamera oder Drehbuch verantwortlich sind – ein Fünftel! Auch hier, würde ich mal behaupten, braucht es gerechtere Verhältnisse. Dieses Missverhältnis darf so nicht bleiben. Es ist wichtig, dass Verbände wie Pro Quote Film diese Schieflage bekannt gemacht haben. Dass eine Gleichstellungsstrategie trotzdem auf sich warten lässt, enttäuscht umso mehr. Der Ende 2016 initiierte Runde Tisch für Frauen in Kultur und Medien hat sich die paritätische Besetzung von Gremien sowie die Verbesserung der sozialen Lage von Künstlerinnen und Künstlern auf die Fahnen geschrieben; aber ein Projektbüro mit einem Budget von gerade mal 300 000 Euro bringt eben nicht den erwünschten Durchbruch an dieser Stelle. ({1}) Eine beachtliche Entwicklung sind tatsächlich Serienproduktionen wie „Dark“ oder „Babylon Berlin“, die die Messlatte bei der Qualität deutlich höher hängen. Unsere Hoffnung ist, dass solche Erfolge mehr neuen Filmideen und mehr Diversität den Weg ebnen. ({2}) Eine gute Fördermittelvergabe – so ist unsere Meinung – kann sich in epische Produktionen reinhängen und gleichzeitig gegen die Verdrängung kleiner Filme angehen; das muss einander nicht ausschließen. Sie fördert auch Gerechtigkeit hinter der Kamera, demokratische Ausspielwege und neue Kreativität auf der Leinwand. Hier ist noch Luft nach oben. Zum Thema „Digitalisierung des Filmerbes“ haben wir als Linksfraktion vieles gesagt und beantragt, damit das Filmerbe nicht verfällt. Die im Koalitionsvertrag stehende umfassende Digitalisierungsstrategie des Bundes steht allerdings noch aus. Das Gleiche gilt für die Stärkung von Medienvielfalt und Medienkompetenz. Grundsätzlich fehlt es in diesem Einzelplan an medienpolitischer Handschrift. Seit Erscheinen des letzten Medien- und Kommunikationsberichtes 2008 – also vor zehn Jahren – ist die Bundesregierung nicht aktiv geworden, ihre Medienpolitik zu aktualisieren. Die noch verbliebenen Zeitungsverlage stehen inzwischen unter hohem Konzentrationsdruck, die Pressevielfalt nimmt bedrohlich ab. Auf diese Regulierungsbedarfe muss endlich auch politisch von hier aus reagiert werden. ({3}) Die Aufstockung der Mittel für technische Investitionen bei der Deutschen Welle wird von uns begrüßt. Wir appellieren aber auch mit Nachdruck dafür, dass die freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses ebenfalls eine gute Zukunftsperspektive und wieder reelle Chancen auf Planstellen haben. ({4}) Zum Medienstrukturwandel sollte die Bundesregierung deutlich machen, wie sie ihn gestalten will. Der digitale Wandel wartet nicht. Diese Erkenntnis muss auch im Haushalt für Kultur und Medien ankommen. Vielen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Tabea Rößner. ({0})

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, Sie haben Ihre Digitalklausur vergangene Woche angesprochen. Ganz stolz haben Sie da eine Umsetzungsstrategie zur Digitalisierung präsentiert. Aber in den Medien gab es keine Begeisterungsstürme. Warum nicht? Ich sage Ihnen, warum. Bei dieser Strategie fehlt Ihnen nämlich der Blick fürs Ganze. Doch dieser wäre dringend notwendig. ({0}) Die Umsetzungsstrategie ist nicht mehr als ein Sammelsurium an Willensbekundungen. Aber erstens kann man sich davon nichts kaufen; ich denke da an die leidvolle Geschichte des Breitbandausbaus. Auch jetzt ist das Kapitel zum wichtigsten Infrastrukturprojekt äußerst ­schmal – wie auch das Budget. Und zweitens fehlt einfach die übergeordnete Vision. Sie müssten viel konsequenter von der Zukunft her denken und die Strategie danach ausrichten. Aber genau das fehlt. Und das ist wieder eine vertane Chance für den Zukunftsstandort Deutschland. ({1}) Nehmen wir die Ökologie. Uns alle treibt die Klimakrise um, aber in Ihrer Strategie lassen Sie die Potenziale der Digitalisierung für den Klimaschutz völlig außer Acht. Wären Sie vergangenes Wochenende mal besser an die TU Berlin gegangen, zur Konferenz „Bits und Bäume“. Dort haben sich über 1 500 Menschen Gedanken gemacht, die Sie sich eigentlich machen müssten, nämlich wie man die Digitalisierung ökologisch gestalten und für nachhaltiges Wirtschaften nutzen kann. Da hätten Sie tatsächlich einiges lernen können. ({2}) Immerhin wollen Sie prüfen, wie man algorithmenbasierte Entscheidungen auf mögliche Diskriminierungen überprüfbar machen kann. Aber: Warum erst jetzt? Seit Jahren gibt es diese Forderung, und übrigens auch Vorschläge. Aber jetzt wollen Sie prüfen. Das nenne ich mal einen echten Fortschritt. Leerstellen gibt es bei den Themen Urheberrecht, Netzneutralität oder Informationsfreiheit. Wenn man Ihre Strategie mal mit Ihrem Koalitionsvertrag vergleicht, stellt man fest, dass noch viel mehr fehlt: Open Data, E-Government, OER, Verschlüsselung und Sicherheit, eSport und viele angekündigte Verbraucherschutzinitiativen. Sind Ihnen Ihre eigenen Schwerpunkte eigentlich so egal, dass die so schnell auf der Strecke bleiben? ({3}) Vielleicht liegt es daran, dass Sie dazu nichts zu sagen haben, so wie der Bundesinnenminister, der sich gerne vor Reden zu dem Thema drückt, wie erst gestern Abend. Dass Sie, liebe Staatsministerin Bär, in dieser Debatte nicht reden, finde ich schon bezeichnend. Stattdessen laden Sie als Cheerleaderin der Bundesregierung ein paar Influencer ins Kanzleramt ein. Notwendig wäre aber ein Konzept für eine kohärente Medienregulierung, die nationale Landes- und Bundesgesetzgebung mit europäischen und internationalen Vorgaben sinnvoll zusammenbringt. ({4}) Es nützt eben nichts, gute Stimmung zu machen, ein bisschen zu tanzen, wenn das Team dann nicht performt. Wie man in einem größeren Rahmen denken und handeln kann, haben wir zum Beispiel mit unserem Antrag für eine europäisch ausgerichtete und global abgestimmte KI-Strategie gezeigt. Um den einzelnen Ministerien Schwung und Anreize für Innovation zu geben, haben wir ein ressortübergreifendes Digitalbudget gefordert. Das haben Sie leider abgelehnt, dabei wäre das mal ein neuer Ansatz. Vielleicht greifen Sie das ja für den nächsten Haushalt auf. Vielen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion der SPD ist der Kollege Jens Zimmermann. ({0})

Dr. Jens Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004603, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir hier im Rahmen der Generalaussprache eine Digitaldebatte führen; denn das, was beim Thema Digitalisierung in den letzten Monaten in Deutschland passiert ist, kann sich wirklich sehen lassen. Es gibt ja viele Kritikerinnen und Kritiker – eine haben wir eben gehört –, die sagen: Es geht alles nicht schnell genug; das hätten wir alles schon gestern machen können. ({0}) Ich empfehle an der Stelle, doch mal zu schauen, was um uns herum in Europa gerade so passiert. Während in Potsdam am letzten Mittwoch das Digitalkabinett getagt hat, hat in London das britische Kabinett getagt und ist beinahe auseinandergefallen. In Großbritannien hat man überhaupt keine Zeit, sich Gedanken über Digitalisierung zu machen. In Italien, auch ein G-7-Mitgliedsland, geht es momentan um einen populistischen Haushalt. Kein Mensch erkennt darin irgendwas von Zukunft. In einer Zeit, wo dies passiert, diskutieren wir hier im Bundestag, diskutiert die Bundesregierung über unsere KI-Strategie, über die Digitalisierungsstrategie. Das rufe ich allen zu, die immer nur nörgeln, dass bei uns nicht alles schnell genug geht. Das ist, finde ich, ein sehr guter Weg, den wir eingeschlagen haben, meine Damen und Herren. ({1}) Wir beschäftigen uns natürlich mit dem Thema „digitale Infrastruktur“; das ist eine Daueraufgabe. Aber mit dem Digitalfonds stellen wir dafür erhebliche Mittel bereit. Wir haben – das geschieht in der nächsten Woche – die Vergabe der Lizenzen für 5G-Frequenzen; darüber wird momentan viel diskutiert. Das ist eine wichtige Weichenstellung; das wissen wir alle, das kennen wir alle aus unseren Wahlkreisen. Die Funklöcher müssen endlich geschlossen werden. ({2}) Es ist wichtig, dass auch das Teil der Debatte über die Vergabe der Lizenzen für 5G-Frequenzen ist. Und es ist eben gerade nicht so, dass die Bundesregierung und der Finanzminister die Einnahmen aus dieser Versteigerung maximieren wollen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen ordentliche Ausbauauflagen, damit wir am Ende ein gutes Mobilfunknetz in Deutschland haben, meine Damen und Herren. ({3}) Und ja, die Themen „Digitalisierung“ und „Künstliche Intelligenz“ sind Meilensteine. 3 Milliarden Euro zusätzlich werden für Forschung im Bereich der künstlichen Intelligenz zur Verfügung gestellt. Es ist auch wichtig, dass wir uns Gedanken darüber machen – so ist es auch in der Strategie formuliert –, wie es zukünftig mit dem Zugang zu Daten weitergehen soll. Die Daten sind ja wahlweise das neue Gold, das neue Öl, das Wasser oder die Luft, wenn es um die Digitalisierung unserer Wirtschaft geht. Deswegen ist es wichtig, dass Andrea Nahles mit dem Daten-für-alle-Gesetz einen Vorschlag macht, wie dieser Zugang in Zukunft aussehen soll. Da müssen wir ran, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Es gibt auch viele kleinere Projekte, bei denen es vorangeht. Ich habe auch beim Thema Games-Förderung, also Spieleförderung, wieder viele Unkenrufe gehört. Das ist Kultur- und Wirtschaftspolitik gleichermaßen. Dass wir in diesem Haushalt 50 Millionen Euro in einem Fonds zur Verfügung stellen, um den Entwicklerstandort Deutschland zu fördern, ist historisch und ein großer Meilenstein. Ich möchte allen danken, die daran mitgewirkt haben. ({5}) Wir reden viel über Investitionen in Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Infrastruktur. Aber am Ende müssen wir auch die Frage beantworten: Wo soll in Zukunft dieses Geld eigentlich herkommen? Deswegen kann man das Thema Digitalisierung nicht ohne die Frage der Besteuerung diskutieren. ({6}) Ich finde, dass wir auch an dieser Stelle auf einem guten und richtigen Weg sind. Olaf Scholz hat sich des Themas angenommen. Auch an dieser Stelle höre ich wieder: Das geht alles nicht schnell genug. – Ich denke zurück: Ich kann mich nicht daran erinnern, dass der Vorgänger von Olaf Scholz jede Menge Gesetzesvorhaben eingebracht hat, um die Digitalisierung und die Besteuerung von Digitalkonzernen zu verbessern. Deswegen ist es richtig, meine Damen und Herren, dass wir hier gemeinsam mit unseren französischen Freunden vorangehen und dafür sorgen, dass Gewinne aus Digitalisierung auch in Deutschland und Europa besteuert werden; denn sonst fehlt am Ende das Geld für die notwendigen Investitionen. ({7}) Sie sehen also: Diese Bundesregierung und die Koalition sind beim Thema Digitalisierung auf einem guten Weg. Das heißt nicht, dass man Dinge schönreden soll, das heißt nicht, dass man sich ausruhen darf. Aber: Wir stellen Milliarden für künstliche Intelligenz, für Infrastruktur und auch für den Kampf gegen negative Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt – ich schaue in Richtung Hubertus Heil – zur Verfügung und sorgen für eine gerechte Besteuerung auf den Märkten. Es liegt noch viel Arbeit vor uns, aber wir sind auf einem guten Weg. Herzlichen Dank. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Bevor ich den letzten Redner der Debatte aufrufe, möchte ich Sie bitten, trotz der nahenden namentlichen Abstimmung die Gespräche so zu führen, dass der letzte Redner, das ist Erhard Grundl für Bündnis 90/Die Grünen, die nötige Aufmerksamkeit bekommt. – Herr Kollege, Sie haben das Wort. ({0})

Erhard Grundl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004733, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kurz vor knapp noch mal zur Kulturpolitik: Die Freiheit der Kunst hat in Deutschland Verfassungsrang. Aber wie steht es um diese Freiheit der Kunst? In Dessau sagt das Bauhaus ein Konzert der Punkband „Feine Sahne Fischfilet“ ab, weil es Proteste rechter Gruppen befürchtet. ({0}) Das Bauhaus wohlgemerkt, einst von den Nationalsozialisten verfemt und verfolgt, gibt im Jahr 2018 Einschüchterungsversuchen nach. In Schleswig-Holstein wird nach anonymen Drohungen der Dokumentarfilm „Wildes Herz“ aus dem Programm der Schulkinowoche genommen. Und vor wenigen Tagen gab es Beschwerden von AfD und Junger Union, weil im „Polizeiruf 110“ des NDR im Büro der Ermittlerin Aufkleber zu sehen sind, die zwar dramaturgisch sinnvoll sind, deren politische Aussagen diesen Herren aber nicht in den Kram passen. ({1}) Was macht der NDR? Der NDR knickt ein und hat nun eine nachbearbeitete Fassung in die Mediathek gestellt. Die „taz“ kommentiert meiner Ansicht nach trefflich: Da wurde Hand ans Werk gelegt. ({2}) Meine Damen und Herren, Meinungsfreiheit, kritische Kunst und von mir aus auch kritische Unterhaltung geraten in unserem Land unter Druck. Das ist ein Angriff auf unsere pluralistische Gesellschaft. Das dürfen wir nicht hinnehmen, und dem dürfen wir erst recht nicht nachgeben. ({3}) Meine Kolleginnen und Kollegen, unsere Demokratie muss sich daran messen lassen, wie viel kritische Auseinandersetzung wir mit unserer Vergangenheit zulassen und wie wir mit blinden Flecken in der NS-Aufarbeitung und mit vergessenen Opfergruppen umgehen. Wir stehen heute an einer Zeitenwende und vor der Frage – die Bundeskanzlerin hat es heute Vormittag trefflich formuliert –, wie wir unsere Erinnerungskultur gestalten, wenn wir alleine, ohne Zeitzeugen, sind.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Kollege Grundl, gestatten Sie eine Zwischenfrage von der AfD?

Erhard Grundl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004733, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Jetzt nicht. – Unsere Gedenkstätten arbeiten hoch engagiert, aber personell und finanziell mit zu engem Budget. 22 neue Stellen sind ein richtiger Schritt. Aber glauben Sie wirklich, dass das angesichts der erforderlichen Arbeit ausreichend ist? Glauben Sie wirklich, das reicht aus, um künftig ein jüngeres medienaffines und heterogenes Publikum zu erreichen? Ich habe meine Zweifel. ({0}) Bei der Aufarbeitung unserer kolonialen Vergangenheit stehen wir auch 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs noch am Anfang. Noch liegen Tausende menschlicher Schädel und Gebeine aus den ehemaligen Kolonien in den Kellern deutscher Archive. Diese Gebeine, die zu rassistischer Forschung genutzt wurden, müssen endlich an die Nachfahren zurückgegeben werden. ({1}) Sich hier in aller Form zu entschuldigen, ist ein Gebot der Menschlichkeit. Ich bedanke mich ausdrücklich bei Staatsministerin Michelle Müntefering, dass sie einen ersten Schritt dazu gemacht hat. ({2}) Insgesamt muss die Provenienzforschung zu NS-Raubkunst und zu Kunst und Sakralgegenständen aus dem kolonialen Kontext personell und finanziell gestärkt werden. Wir brauchen klare Richtlinien bei der Restitution, und wir brauchen einen zentralen Erinnerungs- und Lern­ort zur Kolonialgeschichte. Das ist mehr als überfällig. ({3}) Meine Damen und Herren, die Stärke Deutschlands ist seine kulturelle Vielfalt. Dieser Vielfalt gilt es Raum zu geben, um mehr kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Ich freue mich, dass wir uns Gehör verschaffen konnten und die Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V. ebenso wie die Initiative Musik endlich mehr Mittel erhalten. Wenn Kultur ihre innovative und integrative Kraft entfalten soll, dann nicht nur hier, in der Hauptstadt, sondern überall im Land als Einladung an jede und jeden. Ich danke Ihnen. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 04 – das ist der Einzelplan „Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt“ – in der Ausschussfassung. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Deshalb bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Es sind alle Urnen besetzt, und ich eröffne die Abstimmung über den Einzelplan 04. Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme abgegeben? Gibt es noch jemand im Haus, der das nicht tun konnte? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Jetzt fahren wir mit der Debatte fort. Diejenigen, die nicht an ihr teilnehmen wollen, bitte ich, den Saal zu verlassen, diejenigen, die an ihr teilnehmen wollen, bitte ich, Platz zu nehmen.

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004813, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Der Bundesrechnungshof hat zum Einzelplan Auswärtiges Amt 2019 einen Bericht vorgelegt, der im Ergebnis erhebliche Zweifel an der Kompetenz und wirtschaftlichen Haushaltsführung des Auswärtigen Amtes begründet. Denn der Bundesrechnungshof ist in zahlreichen Prüfungen immer wieder auf erhebliche Mängel im sogenannten Informations- und Wissensmanagement des Auswärtigen Amtes gestoßen. Ja, meine Damen und Herren, der Bundesrechnungshof hat in vielen seiner Prüfungen festgestellt, dass Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes unter erheblichen Wissenslücken leiden und die Weitergabe von Informationen erheblich mangelbehaftet ist. Diese Mängel halten sich laut Bundesrechnungshof beharrlich, ihre Auswirkungen behindern eine effektive und effiziente Verwaltungsarbeit. Einen unrühmlichen Höhepunkt bilden die Mittel für humanitäre Hilfe und Krisenprävention in Höhe von 1,8 Milliarden Euro in 2018, die als Zuwendungen gewährt werden. Das zur Verfügung stehende Haushaltsvolumen für diese Ausgaben wuchs seit 2006 von 70 Millionen Euro auf rund 1,8 Milliarden Euro in 2018 und damit um rund 2 500 Prozent in zwölf Jahren an. Der Bundesrechnungshof stellte hier und in weiteren zahlreichen operativen Bereichen des Auswärtigen Amtes erhebliche Mängel bei der Gewährung und Bearbeitung von Zuwendungen fest. Ja, Sie, meine Damen und Herren, hören richtig, aber Sie kennen doch selbst alle diesen Bericht und sitzen da und schweigen. Nur die AfD thematisiert ernsthaft diese festgestellten Zustände; denn wir halten unsere Versprechen unseren Wählern gegenüber – auch nach der Wahl. ({0}) Das Auswärtige Amt kennt beispielsweise nicht den genauen Bearbeitungsstand seiner Zuwendungsverfahren. Verwendungsnachweise von Zuwendungsempfängern über ein Fördervolumen von rund 2,5 Milliarden Euro hat es weder selbst ausreichend geprüft noch von anderen hinreichend prüfen lassen, es wurde einfach irgendwohin verpulvert. Eine ordnungsgemäße und wirtschaftliche Vergabe von Zuwendungen kann das Auswärtige Amt derzeit nicht sicherstellen. Nun ja, Sozialdemokraten unter sich und das Geld – ihr Ruf eilt ihnen voraus. ({1}) Glauben Sie denn wirklich, dass dem Ausland verborgen bleibt, mit welcher Leichtfertigkeit deutsche Steuergelder dort vergeben werden? Das Deutschlandbild nach außen wird dadurch schwer geschädigt. Man lacht über uns und schüttelt nur noch den Kopf. ({2}) Hierzu passt im Übrigen auch die Entwicklung im Personalbereich. Betrugen hier die Ausgaben in 2016 noch 801 Millionen Euro, sind in 2019 hierfür bereits 891 Millionen Euro veranschlagt. Von den Planstellen im Ausland war in 2017 ein knappes Viertel unbesetzt. Hingegen wies der Haushaltsplan für das Inland ein Plus von einem Viertel aus. Ja besetzt denn das Auswärtige Amt beim Personal völlig am Bedarf vorbei? Und das, obgleich der Bundesrechnungshof schon im Jahr zuvor auf die gleiche Problematik hingewiesen hatte? Warum machen Sie nicht Ihre Hausaufgaben, Herr Maas? ({3}) Wie erfolgt eine Überprüfung der Verwendung der milliardenschweren Zuwendungen im Ausland sinnvoll, wenn die dortige qualifizierte Stellenbesetzung derart mangelhaft ist? Ist das eine Form von Beratungsresistenz? Die AfD schließt sich jedenfalls der Aufforderung des Bundesrechnungshofs an das Auswärtige Amt an, sich konsequent von der Aufgabe der Zuwendungsbearbeitung zu trennen und diese Tätigkeit einer anderen, hierfür geeigneten Einrichtung zu übertragen. ({4}) Hingegen glaubt das Auswärtige Amt immer noch, in 2019 mit 44 neuen Planstellen zur sogenannten Verbesserung der Verwaltungsqualität beitragen zu können, und das, nachdem es schon zum Haushalt 2018  95 neue Planstellen hierfür angemeldet hatte. Dem Bundesrechnungshof und auch der AfD ist jedoch unklar, auf welcher Grundlage das Auswärtige Amt diesen Bedarf ermittelt hat. Denn mangels Begründung dieses Mehrbedarfs, insbesondere im Hinblick darauf, dass jedenfalls die völlig undurchsichtige, milliardenschwere Zuwendungsbearbeitung vor allem bei der humanitären Hilfe und Krisenprävention nach Auffassung der AfD an eine hierfür gut ausgebildete, nachvollziehbar und transparent arbeitende Einrichtung übertragen werden sollte, ist dieser Personalaufwuchs für 2019 rundweg abzulehnen. ({5}) Es besteht ja immerhin die Hoffnung, dass es gut funktionierende Einrichtungen gibt, die die geforderten Qualitätsmerkmale erfüllen, sodass der Zweck der Hingabe der finanziellen Mittel, die Deutschland für humanitäre Hilfe und Krisenprävention ausgibt, tatsächlich auch erreicht wird. Ich erinnere: Es gibt Prüfungsunklarheiten bei einem Fördervolumen von rund 2,5 Milliarden Euro. Bislang steht das gute Gewissen für Ausgaben in Milliardenhöhe lediglich auf dem Papier. Ist Ihnen eigentlich egal, wo die Mittel für humanitäre Hilfe und Krisenprävention im Ausland wirklich landen? ({6}) Wie trifft man sachlich fundierte, qualifizierte Entscheidungen im Außen, wie beim Migrationspakt und vor allem dessen Kosten, wenn man sein eigenes Haus nicht im Griff hat, Herr Maas? ({7}) Ich wiederhole: Allen Parteien ist dieser Bericht des Bundesrechnungshofs bekannt, und nur wir, die AfD, thematisieren das als Partei ernsthaft in der Öffentlichkeit. Die AfD fordert, die Mittel für humanitäre Hilfe und Krisenprävention so lange mit sofortiger Wirkung einzufrieren, ({8}) bis die ordnungsgemäße und wirtschaftliche Vergabe dieser Zuwendungen gesichert ist. Denn nur so besteht die Chance, dass das Auswärtige Amt deutsche Steuergelder transparent, nachvollziehbar und vor allem sinn- und zweckgemäß einsetzt. Danke schön. ({9})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Das Wort hat die Kollegin Doris Barnett von der SPD-Fraktion. ({0})

Doris Barnett (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, die AfD thematisiert; allerdings thematisiert sie auch ihre Ahnungslosigkeit. ({0}) Denn was wir hier vorgelegt haben, ist ein guter Haushalt für das Auswärtige Amt. Er umfasst 5,82 Milliarden Euro und damit genau 1,65 Prozent des gesamten Bundeshaushalts. Er ist also der drittkleinste Haushalt, aber dafür sehr effizient. ({1}) Es mag ja sein, dass der Bundesrechnungshof in der Tat das eine oder andere kritisiert. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass sich die Krisen seit 2006 ein klein wenig vervielfacht haben ({2}) und ein klein wenig mehr los ist in der Welt. Darauf müssen wir reagieren. Es kommt natürlich immer darauf an, wie man reagiert. Sie würden natürlich Grenzen schließen, Sie würden die Leute auch im Mittelmeer ersaufen lassen, ({3}) Sie würden Mauern bauen, Sie würden vielleicht sogar Schießbefehle erlassen; das kann ja alles sein. Aber das ist nicht unser Weg. ({4}) Wir gehen einen anderen, und deswegen bauen wir auch die humanitäre Hilfe in Zeiten der Krisen entsprechend aus. Das muss auch so sein. Wir verplempern das Geld auch nicht; ({5}) dagegen möchte ich mich wirklich verwahren. ({6}) Ich kann Ihnen nur raten: Statt zum Herrn Assad zu gehen, gehen Sie vielleicht einmal in ein Flüchtlingslager im Libanon, nach Zaatari, und gucken sich an, was da mit dem Geld passiert. ({7}) Wir sind heilfroh, dass dort die UNO und ihre Unterorganisationen wirklich hervorragende Arbeit leisten ({8}) und die Menschen grenznah, also heimatnah, unterbringen, sodass, wenn die Krise vorbei ist, diese Leute auch wieder nach Hause gehen können. ({9}) Das ist auch Ziel unserer humanitären Hilfe. Allerdings flüchten die Leute trotzdem, und zwar dann, wenn es vor Ort nicht entsprechend zugeht. Deswegen – das ist ein ganz, ganz wichtiger Grund – müssen wir auch dafür sorgen, dass der UN-Migrationspakt angenommen wird. ({10}) Er sorgt nämlich dafür, dass die Leute vor Ort menschenwürdig behandelt werden. Wenn sie nicht so behandelt werden, dann fliehen sie einfach weiter und suchen sich woanders Hilfe und eine Unterkunft. ({11}) Wenn es zum Beispiel keine Toilettenanlagen gibt, wenn sie nicht medizinisch versorgt werden, wenn sie nicht genug zu essen haben, sollen sie dann einfach vor Ort verrecken? Ihrer Auffassung nach wohl. ({12}) Das ist halt Ihre Lösung – Hauptsache, nicht in Deutschland! Ihre Auffassung kennen wir doch. Wissen Sie, was mich am allermeisten wundert? Sie sind ja massiv gegen Migration. Doch gucken Sie sich mal Ihre eigenen Reihen an! Das ist doch ein bunter Haufen von Migranten. ({13}) Sie sind doch zum Teil mit Ausländern verheiratet oder haben ausländische Wurzeln. Was soll denn diese ganze Hetzerei? ({14}) Im 21. Jahrhundert brauchen wir eine friedliche Welt, eine Welt, in der sich Menschen, die in Not sind, darauf verlassen können, dass man ihnen hilft. ({15}) Deswegen haben wir auch die entsprechenden Mittel verstärkt, zum Beispiel, wenn es darum geht, den Flüchtlingen zu helfen. Es ist wahr: Wir haben die Mittel massiv aufgestockt. Aber es muss auch so sein; denn andere Länder ziehen sich geflissentlich zurück. Natürlich können wir die Welt nicht komplett versorgen; ({16}) aber wir können helfen, und das tun wir. Wir brauchen auch für andere Sachen Verständnis und Vertrauen. Deswegen unterstützen wir die Arbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge mit weiteren 1,8 Millionen Euro, also mit insgesamt 17,8 Millionen Euro. Wir helfen den Opfern der Colonia Dignidad mit 1 Million Euro. Allerdings frieren wir die Mittel ein, weil wir erst wissen wollen, für wen genau die Gelder gebraucht werden und wie hoch die Zahlungen sein sollen. Wir haben etwas Gutes gemacht – der Bundesminister hat es vorgestellt –, nämlich eine humanitäre Geste für die Opfer der Leningrad-Blockade; ({17}) denn diejenigen, die noch leben, brauchen dringend medizinische Hilfe. Wir bauen auch ein deutsch-russisches Begegnungszentrum auf. Wir fördern weiterhin die Östliche Partnerschaft – sechs Länder plus Russland – mit weiteren 4 Millionen Euro, also jetzt mit 18 Millionen Euro. ({18}) Lassen Sie mich da auch mal ein Beispiel nennen: Seit 2014 veranstalten wir mit der Robert Bosch Stiftung das Programm „Meet Up!“, bei dem sich deutsche und ukrainische Jugendliche begegnen, über Zusammenarbeit reden und Verständnis über Grenzen hinweg aufbauen. Mir persönlich ist es ein großes Anliegen, dass auch russische Jugendliche miteinbezogen werden. ({19}) Wie wollen wir denn Wunden heilen, wenn sich die Betroffenen nie begegnen? Gerade die Jugend muss sich begegnen. Dort habe ich noch die größte Hoffnung, dass sie Verständnis füreinander aufbauen oder sich wenigstens menschlich begegnen, wodurch vielleicht auch kleine Freundschaften entstehen, die dann über Gräben hinweghelfen. ({20}) Dass wir da seit 2014 über 4 000 Menschen zusammengebracht haben, ist ein großer Erfolg. Wir unterstützen die Benediktinerabtei Dormitio und das Wissenschaftszentrum der EKD auf dem Ölberg mit jeweils 1 Million Euro. Das sind zwei kirchliche Institutionen in Jerusalem, und da tun wir ein gutes Werk. ({21}) Wir erhöhen die operativen Mittel für die Alexander von Humboldt-Stiftung und das Goethe-Institut um jeweils 5 Millionen Euro, und auch die Stipendien der AvH werden mit 2 Millionen Euro unterstützt. ({22}) Wir fördern auch die internationale Museumskooperation mit 8 Millionen Euro. An dieser Stelle möchte ich mich bei den Berichterstattern – trotz aller Meinungsverschiedenheiten – bedanken. Das war eine vernünftige Zusammenarbeit. Ich möchte mich aber vor allem bei dem Bundesminister und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken, die jederzeit für uns zur Verfügung standen und die alle Fragen, auch die des Bundesrechnungshofs, ({23}) gut beantworten können. Sie müssen sie nur fragen. Die Unterlagen, die wir zur Verfügung haben, Frau Malsack-­Winkemann, sind sehr ausführlich, gerade, was die humanitären Hilfen anbelangt. ({24}) Sie fragen ja auch immer nach und kennen sämtliche Details, sämtliche Organisationen, die da unterwegs sind. – Ich möchte einen ganz herzlichen Dank an die Mitarbeiter des Haushaltsreferats richten, die da gute Arbeit leisten. ({25}) Zum Schluss. Uns Haushältern sind die Sicherheit unserer Mitarbeiter und die IT-Ausstattung in den Liegenschaften vor Ort wichtig. Deswegen haben wir uns dafür eingesetzt und es erreicht – vielen Dank, Alois! –, dass sie in den nächsten drei Jahren 28 Millionen Euro zusätzlich bekommen, um endlich ihre Häuser in Ordnung zu bringen. Für die Bewältigung der wachsenden Aufgaben braucht man Personal. Die Mittel für humanitäre Hilfe und zivile Krisenprävention wachsen an. Natürlich bekommt man mit dem Personal, das da ist – und auch nicht mit zusätzlichen 71 Mitarbeitern –, nicht 2 500 Prozent mehr Geld organisiert; das geht nur mit deutlich mehr Personal. Gott sei Dank konnten wir einen Aufwuchs von 271 Stellen für diesen Haushalt erreichen. Gestern sagte Herr Boehringer, wir – also die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen – wollten mit deutschem Geld die ganze Welt retten. – Ich habe es mir extra mitgeschrieben. – Nein, wir wollen nicht die ganze Welt retten, aber helfen, sie ein bisschen besser zu machen – in unserem eigenen Interesse. Helfen Sie mit! Vielen Dank. ({26})

Bijan Djir-Sarai (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004029, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Haushaltspolitische Debatten sind mehr als nur ein Vortrag von Zahlen und Haushaltspositionen. Wenn wir heute über den Haushalt des Auswärtigen Amtes sprechen, dann ist diese Debatte auch eine Grundsatzdebatte über die deutsche Außenpolitik. Wir erleben derzeit die größten außenpolitischen Veränderungen seit Jahrzehnten. Die Welt, in der wir leben, hat sich grundlegend verändert: Neue Konflikte sind entstanden. Viele vorhandene Konflikte sind komplexer geworden. Wir leben in einer Welt, in der uns Handelskriege Sorgen bereiten und sich Bündnisse permanent verändern, in einer Welt, in der sich sogar die Sicherheitsarchitektur verändern kann. Die entscheidende Frage für diese Debatte lautet daher: Ist die deutsche Außenpolitik bzw. ist die europäische Außenpolitik auf diese Veränderungen vorbereitet, und, vor allem, welche Strategien haben wir, um auf diese Herausforderungen zu reagieren? Ein Blick in den Haushalt gibt diese Antwort nicht. Herr Minister, das ist keine Kritik an die Regierung gerichtet, sondern das ist eine Frage, die wir hier gemeinsam beantworten müssen. Noch im September sprach der Außenminister darüber, dass wir über mehr Verantwortung in der Welt diskutieren müssen. Das ist richtig. Aber dann muss auch die Frage gestellt werden, ob die deutsche Außenpolitik – oder konkret: das Auswärtige Amt – die Voraussetzung dafür erfüllt? An dieser Stelle darf der Haushalt nicht hinter den realen Bedürfnissen zurückbleiben. ({0}) Wenn wir uns die aktuellen Entwicklungen ansehen, merken wir auch, dass ebendiese Herausforderungen nicht weniger werden, sondern dass sie mehr werden. Der Rückzug der USA aus der Diplomatie, die anhaltenden weltweiten Krisen und der wiederkehrende Nationalismus gefährden den Multilateralismus. Die USA sind leider nicht mehr der Vorreiter des Multilateralismus. Damit sind Chancen und Risiken verbunden. Das kann Deutschland als Chance nutzen, und es kann sich verstärkt einsetzen. Dafür braucht es aber ein personell und technisch gut aufgestelltes und modernes Auswärtiges Amt. ({1}) Wenn wir uns die Krisen anschauen, stellen wir fest, dass derzeit weder Deutschland noch die europäischen Partner eine Strategie zur Außen- und Sicherheitspolitik haben. Es gibt keine Antwort auf den Rückzug der USA aus der Diplomatie. Es gibt kein Konzept für den Nahen und Mittleren Osten. Dass wir in dieser Region, in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, als Akteur politisch nicht stattfinden, ist aus meiner Sicht ein Skandal. ({2}) Es gibt kein Konzept für Afrika, es gibt keine China-Strategie, nicht zu vergessen die Beziehungen zu Russland. Seit 2014 schauen Deutschland und Europa zu, wie Russland eine bestimmte Außenpolitik betreibt. Meine Damen und Herren, ich möchte hier keine Panikmache betreiben. Es ist ja auch nicht so, als stünden wir diesen Konflikten komplett machtlos gegenüber. Die Mittel und die Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, sind vorhanden. Sie müssen nur eingefordert und zielgerichtet eingesetzt werden. Die Haushaltsdebatte ist genau der richtige Zeitpunkt, um über diese Dinge zu diskutieren. ({3}) „Zielgerichtet“ heißt, dass die Mittel sinnvoll zugewiesen und eingesetzt werden müssen. Deshalb fordern wir in unserem Entschließungsantrag auch eine Stärkung von Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit. Syrien, Jemen, Russland, USA, China, Saudi-Arabien, Brexit, Flüchtlingskrise – es gibt viele Probleme und Herausforderungen, auf die eine Antwort derzeit fehlt. Was ist beispielsweise die deutsche Strategie, was ist die europäische Strategie für Syrien? Was ist unsere Strategie für die Nachkriegsordnung in Syrien? Werden wir uns dort finanziell beteiligen? Wenn ja, zu welchen Bedingungen? Auf diese Fragen habe ich bisher keine Antwort erhalten. Darüber müssen wir sprechen. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir im Hinblick auf alle diese Herausforderungen europäische Lösungen finden können. 2020 übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Ab dem kommenden Jahr hat Deutschland einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat inne. Ich frage mich: Wie ist Deutschland darauf vorbereitet, Herr Minister? Ist mit den europäischen Partnern über die Strategie gesprochen worden? Gibt es schon erste Gespräche dazu? Darüber würden wir gerne mit Ihnen hier diskutieren. Wo wir gerade über die Vereinten Nationen reden: Herr Minister, können Sie mir erklären, warum Deutschland in der Vollversammlung in der vergangenen Woche den acht Resolutionen zugestimmt hat, die Israel einseitig kritisieren? Herr Minister, ich persönlich habe Sie immer so verstanden, dass gerade die Sicherheit des Staates Israel für Sie außerordentlich wichtig ist. Deswegen kann ich nicht verstehen, warum Deutschland auf der internationalen Bühne Israel so im Stich lässt. Ich als Bundestagsabgeordneter verlange, dass Sie hierzu hier in diesem Haus vor den Abgeordneten eine Erklärung zu diesem Abstimmungsverhalten abgeben, Herr Minister. ({4}) Meine Damen und Herren, um es zusammenzufassen: Wir brauchen mehr Mittel für das Auswärtige Amt, um in der Außenpolitik schlagkräftig handeln zu können. In Diplomatie zu investieren, bedeutet immer, in Frieden und Stabilität zu investieren. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Alois Karl, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Annuntio vobis magnum gaudium – es ist eine große Freude, dass wir nach einem arbeitsreichen Haushalts- und Arbeitsjahr den zweiten Haushalt in diesem Jahr vorlegen können. Wir glauben, es ist ein guter Haushalt. Die große Freude hält sich allerdings in Grenzen angesichts dessen, was ich hier heute gehört habe. Liebe Frau Malsack-Winkemann, man hört ja vieles in diesem Hause – ich möchte Ihnen nicht zu viel Ehre antun, wenn ich sage –, aber das schlägt doch dem Fass die Krone mitten ins Gesicht, was Sie heute hier gesagt haben. ({0}) Sie sprachen davon, dass wir uns aus der humanitären Hilfe und der Krisenprävention, also den Schmuckstücken, zurückziehen und die Mittel für die wesentlichen Bereiche des Haushaltes des Auswärtigen Amtes zurückfahren sollten. Als ich das gehört habe, habe ich gedacht: Weiß die Frau eigentlich, was wir Millionen von Menschen in Afrika und im Nahen Osten antun würden, wenn wir uns aus der humanitären Hilfe zurückziehen würden? Liebe Frau Malsack-Winkemann, ich habe das geradezu als unerträglich empfunden, was Sie eben gesagt haben. ({1}) Im Übrigen: Den ersten Teil Ihrer Rede habe ich schon wieder vergessen, ({2}) der mittlere Teil war unverständlich, und das Ende Ihrer Rede habe ich herbeigesehnt, um es ehrlich zu sagen. ({3}) Wir haben in der Tat ein intensives Haushaltsjahr hinter uns. Es kommt alle vier Jahre nach der Bundeswahl vor, dass man zwei Haushalte in einem Jahr verabschiedet. Heuer war es sehr krass. Am 5. Juli 2018 haben wir den Haushalt für 2018 verabschiedet, und am 6. Juli 2018 hat der Bundesfinanzminister schon den neuen Entwurf vorgelegt. Seit der Verabschiedung des letzten Haushaltes sind gerade sechs Arbeitswochen vergangen. Nun treffen wir uns schon zur Verabschiedung des Haushaltes 2019. Ich muss ehrlich sagen: Keiner hier im Saal – wenn der Saal ganz voll wäre, wäre es auch nicht anders – hat eine solche Dichtigkeit jemals erlebt. Wir haben gut gearbeitet. Doris Barnett, die Berichterstatter, die Mitarbeiter aus Ihrem Haus, Herr Minister Maas, und auch die Mitarbeiter in den Fraktionen und aus meinem Büro haben uns bei der Arbeit unterstützt. Der Haushalt sieht Ausgaben in Höhe von 356,4 Milliarden Euro vor. Das ist eine Rekordsumme und eine deutliche Steigerung gegenüber dem Haushalt, den wir vorher verabschiedet haben. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben einen Haushalt, der sich durch hohe Investitionen auszeichnet und dadurch, dass wir die Maastricht-Kriterien einhalten, auch durch die schwarze Null. Das ist für uns eine hervorragende Ausgangsbasis, um auch in den nächsten Jahren solide wirtschaften zu können. Damit bringen wir zum Ausdruck, dass wir uns nicht heute etwas leisten wollen, was wir gar nicht erwirtschaftet haben, dass wir nicht auf Kosten unserer Kinder und Enkel leben wollen. Im sechsten Jahr in Folge einen Haushaltsentwurf mit einer schwarzen Null vorzulegen – viermal Wolfgang Schäuble, zweimal Olaf Scholz –, das ist schon eine hervorragende Bilanz in der Nachfolge von Franz Josef Strauß, der als Finanzminister 1969 das letzte Mal zuvor einen schuldenfreien Haushaltsentwurf vorgelegt hat. Wer Fußballer ist, weiß, wenn der Satz „Die Null muss stehen“ gesagt wird, dann heißt das: Man darf das Spiel nicht verlieren, höchstens noch unentschieden spielen, null zu null. Wir haben jetzt seit Jahren die schwarze Null. Damit können wir uns freischwimmen für wichtige Aufgaben, auch in der Außenpolitik, die auch und gerade im Bereich der humanitären Hilfe, trotz Frau Malsack-­Winkemann, ihren Niederschlag finden. ({4}) Meine Damen und Herren, wir haben einen Rekordhaushalt. Das gilt auch für Ihren Haushalt, Herr Bundesminister: 5,826 Milliarden Euro, das ist eine deutliche Steigerung. Leider gibt es auch eine gewaltige Steigerung bei unseren Beiträgen für die Vereinten Nationen; aber das hängt mit der Arithmetik der Zahlungsverpflichtungen zusammen. In den letzten Wochen haben wir den Haushaltsentwurf an über 40 Positionen verändert. Wir haben 252 Millionen Euro zusätzlich bekommen. Dadurch haben wir auch mehr Geld übrig für das operative Geschäft des Außenministers. Diese Mittel setzen wir im Bereich „Sicherung von Frieden und Stabilität“ gut ein, insbesondere für die humanitäre Hilfe. 1,58 Milliarden Euro geben wir für humanitäre Hilfe aus. Wir haben auf das schlimme Jahr 2015 reagiert, auf das Jahr mit den großen Flüchtlingsströmen. Damals, angesichts von 890 000 Flüchtlingen, haben wir begonnen, die Mittel für unsere humanitäre Hilfe aufzustocken und unsere Hilfe auszuweiten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man ein bisschen zurückschaut, muss man sagen: Wir haben in den letzten Jahren Außerordentliches, Hervorragendes geleistet. ({5}) Noch vor etwa sieben Jahren, 2012, haben wir für die humanitäre Hilfe 105 Millionen Euro eingesetzt. Heute sind es 1,58 Milliarden Euro. Das ist das 15-Fache innerhalb von sieben Jahren. Gehen wir noch ein bisschen weiter zurück: 2006, nachdem Frau Merkel Bundeskanzlerin geworden war, hatten wir 70 Millionen Euro für die humanitäre Hilfe im Haushalt. Heute sind es 1,58 Milliarden Euro. Das ist das 25-Fache. Ich muss dazu ganz ehrlich sagen: Wir sind dankbar und auch stolz darauf, dass wir diese Leistung erbringen können. Das hat doch aber auch einen Sinn, einen Hintergrund: Wir wollen viele, viele Menschen im Nahen Osten und in Afrika halten und ihnen zeigen, dass uns ihr Schicksal nicht egal ist, dass wir sie mit unserer Hilfe in den Lagern, die wir besucht haben, halten wollen. Frau Malsack-Winkemann, wenn Sie das Gespräch mit Ihrem freundlichen Nachbarn beenden würden. Hören Sie mir doch zu! Was wollen Sie denn eigentlich? ({6}) Sie wollen nicht, dass Flüchtlinge zu uns nach Deutschland kommen, aber Sie wollen auch nicht Geld aufwenden, um die Flüchtlinge dort zu behalten. ({7}) Das ist doch schizophren. – Ich weiß nicht, ob Sie Frau Malsack-Winkemann darauf aufmerksam machen können. Aber es ist auch wurscht, ({8}) es steht ja auch im Protokoll. Wir wollen, dass die Leute durch unsere finanziellen Aufwendungen dort bleiben können. Das tut uns allen in der Tat gut. Meine Damen und Herren, wir haben gute Möglichkeiten, weil wir ein wirtschaftlich starkes Land sind. Vor wenigen Tagen, sehr geehrter Herr Präsident, haben wir das Fest des Heiligen Martin gefeiert. Der Heilige Martin steht für Barmherzigkeit, weil er dem armen Mann die Hälfte seines Mantels gegeben hat. Aber er musste dafür einen Mantel haben. Wenn er keinen Mantel gehabt hätte, hätte er ihm die Hälfte nicht geben können. Das ist doch der richtige Ausdruck von Barmherzigkeit: Nur dann, wenn ich wirtschaftlich stark bin, kann ich anderen auch so helfen, wie wir das tun. ({9}) Das ist ein innerer Zusammenhang, der manchen offensichtlich nicht so gut geläufig, nicht so gut bekannt ist. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir stehen vor großen Aufgaben, weltweit. Die Welt scheint in manchen Teilen aus den Fugen geraten zu sein, hat Ihr Vorgänger, Herr Steinmeier, einmal formuliert; recht hat er. Wir haben manche Aufgaben – lieber Bijan, du hast das gesagt – zu Nachfolgeregelungen zu meistern. Wie soll es im Jemen und in Syrien und andernorts weitergehen? Aber wir sind hier in einer starken Gemeinschaft. Wir machen das in der Europäischen Union und in der Gemeinschaft der NATO, und wir werden da zu guten Lösungen kommen. Wir möchten auch zu guten Lösungen in Israel kommen. Wir stärken dort das Hilfswerk der Vereinten Nationen, die sogenannte UNRWA. Wir sind schon etwas darüber erschüttert, dass die amerikanische Regierung ihren Beitrag – 370 Millionen Euro leistet sie für das Hilfswerk in den palästinensischen Gebieten – auf null zusammenstreichen möchte. Ich bitte Sie ausdrücklich, Herr Bundesaußenminister, dass Sie, wenn wir nicht ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sind, Ihre Funktion dazu nutzen, die Amerikaner wieder auf die Spur zu bringen, damit die Situation dort verbessert wird. ({10}) Wenn es zum Zusammenbruch der fundamentalen Überlebenssituation dort kommen würde, bin ich mir nicht sicher, wie wir eine dritte Intifada verhindern könnten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben auch viel Geld für ein Schmuckstück unserer Außenpolitik eingesetzt, die Auswärtige Kultur- und Bildungsarbeit. Da werden wir uns auch in der Zukunft von niemandem überholen lassen. Ich danke herzlich für die Zusammenarbeit. Wir geben heute das finanzielle Rüstzeug, Herr Bundesaußenminister, für die Arbeit in den nächsten zwölf Monaten. Wir sind guten Mutes, dass wir alle Voraussetzungen schaffen, um eine gute Außenpolitik auch künftig zu finanzieren. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege Dr. Gregor Gysi; er eilt herbei aus der hintersten Reihe. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Maas, Sie waren ja kaum zum Außenminister berufen worden, da erklärten Sie schon, dass die Töne gegenüber Russland noch schärfer werden müssen. Bei Ihrem Antrittsbesuch waren Sie der erste deutsche Außenminister, der nicht vom Präsidenten empfangen wurde; wahrscheinlich waren Sie auch noch stolz darauf. ({0}) Sie ignorieren damit vollkommen das, was Willy Brandt mit den Ostverträgen begründete und was letztlich auch die deutsche Einheit ermöglichte: Ohne und gegen Russland gibt es weder Frieden noch Sicherheit in Europa. ({1}) Natürlich sucht sich jetzt Russland auch zweifelhafte Verbündete. Aber damit war doch zu rechnen, wenn die EU Sanktionen beschließt und Russland ausgrenzt. Die Beziehungen zu den USA dagegen sind für Sie die wichtigsten, und Sie wollen sie auch permanent verbessern. Andere Länder definieren inzwischen längst ihre eigenen Interessen, unabhängig von den USA. Aber Sie hängen nach wie vor am Rockzipfel der US-Administration. Eine Roulettekugel ist im Vergleich zu Trump zwar exakt berechenbar; aber Trump hat schon begriffen, dass der Kalte Krieg zu Ende ist, die Sowjetunion untergegangen ist und alte Feindbilder nicht mehr stimmen. ({2}) Trump macht nicht nur Wirtschaftskrieg gegen China, er ist auch gegen die EU dazu bereit, solange es seinem nationalen Egoismus nützt. Sie, Herr Maas, verharren im Unterschied zu Trump immer noch in den alten Feindbildern, ({3}) nach dem Motto „An der Seite der USA gegen die Sowjetunion“. Sie müssen lernen, neu zu denken! Die Sowjetunion gibt es gar nicht mehr. ({4}) Vor allem aber erwarten die Menschen Logik und Nachvollziehbarkeit in der Innen- und Außenpolitik. ({5}) Ein Beispiel aus der Innenpolitik: Jeder Schwarzfahrer muss Strafe bezahlen; aber bei VW, da zögern Sie, obwohl die ganz eindeutig betrogen haben. – Wer soll das nachvollziehen können? ({6}) Den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien haben Sie wegen der Verteidigung der Menschenrechte im Kosovo geführt – so haben Sie es erklärt –, begründeten ihn sogar mit dem Verdacht eines Völkermordes. ({7}) Nun aber genehmigten Sie die Lieferung von Waffen an Staaten, die im Jemen einen völkerrechtswidrigen Krieg führen, und zwar seit 2017 im Umfang von 1,3 Milliarden Euro. Saudi-Arabien hungert die Menschen im Jemen mit einer Seeblockade regelrecht aus – die Boote dafür liefert Deutschland. Wenn man Millionen Menschen verhungern lässt, ist das doch wohl eindeutig ein Völkermord, oder? Warum, Herr Außenminister, kümmerten Sie sich bis zur Ermordung Khashoggis nicht um diesen Widerspruch? ({8}) Die 22 Millionen Betroffenen des Krieges im Jemen waren Ihnen nicht Grund genug dafür. So ist deutsche Außenpolitik schlicht und einfach unglaubwürdig. Trump schießt jetzt allerdings den Vogel ab. Er hat, was die Ermordung betrifft, festgestellt: Die Führung in Saudi-Arabien war einbezogen. – Mit anderen Worten: Er meint den Kronprinz. Dann sagt er aber, die Topbeziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien müssten bleiben, und zwar aus wirtschaftlichen Gründen und wegen des gemeinsamen Feindes Iran. Damit sagt er aber auch: Ihr könnt weiter morden. Es ändert sich nichts; wir bleiben an eurer Seite. Ich muss Ihnen wirklich mal sagen: Die internationalen Beziehungen und die Moral sind ja völlig auf den Hund gekommen. Das war früher nicht denkbar. ({9}) Jetzt will die Kanzlerin die EU natürlich retten. Wodurch? Durch eine europäische Armee will sie den Zerfallsprozess aufhalten. Die Kanzlerin hat vor dem Europäischen Parlament gesprochen. Ein Wort hat sie nie benutzt, nämlich das Wort „sozial“. Meinen Sie ernsthaft, Sie könnten den Kräften, die Europas Heil in einem völkischen Nationalismus sehen, Paroli bieten, indem Sie aus der EU eine militärische Interventionsmacht machen? ({10}) Breite Teile der Bevölkerung Europas erleben dagegen ihren sozialen Niedergang. Das ist das eigentliche Problem der EU. ({11}) Diesem Aufrüstungsprogramm können wir auf gar keinen Fall zustimmen, es sei denn, es kommt ein Angebot, dass mit dem Aufbau einer europäischen Armee der Abbau aller nationalen Streitkräfte verbunden wäre. Ohne diese könnte es tatsächlich keinen Krieg mehr zwischen den EU-Staaten geben. Aber daran ist ja gar nicht gedacht. Sie wollen die europäische Armee obendrauf, um die Rolle des Weltpolizisten mit zu übernehmen, die Trump heimlich ein bisschen aufgibt. Aber ich finde, das verstößt gegen das Grundgesetz und auch gegen die europäische Idee. ({12}) Die EU muss grundsätzlich neu gestaltet werden, damit die europäische Integration wieder eine Zukunft hat. Wir brauchen die europäische Integration aus drei Gründen: Erstens. Zwischen den EU-Staaten gab es noch nie einen Krieg, während vorher in der Geschichte Europas die Kriege zwischen diesen Staaten für alles kennzeichnend waren. Für die NATO gilt das nicht; denn zwischen Griechenland und der Türkei gab es schon Krieg, aber zwischen EU-Mitgliedsländern noch nicht. Zweitens. Es gibt eine europäische Wirtschaft. Sie ist nationalstaatlich überhaupt nicht mehr zu regulieren. Und drittens. Es gibt eine immer europäischer werdende Jugend. Sie spricht ganz gut Englisch und erobert sich den ganzen Kontinent. Wenn wir denen sagen: „Zurück zu alten Nationalstaaten mit Pass und vielleicht noch Visum“, denken die ja, wir haben eine Meise. Deshalb sind wir Alten verpflichtet, für die Jugend die europäische Integration zu retten, aber ganz anders, als das bisher geschieht. ({13})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin Ekin Deligöz. ({0})

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute Morgen gelernt, dass es das Besondere der Haushaltsdebatten ist, dass jeder zu jedem Thema reden kann. Jetzt muss ich mich fast schon entschuldigen, dass ich nun zum Etat des Auswärtigen Amtes rede. Herr Minister, eigentlich muss ich mit einem Lob anfangen, weil in der Bereinigungssitzung etwas Gutes passiert ist. Wir haben die Mittel im Bereich „Auswärtige Kultur- und Erinnerungspolitik“ gesteigert, ({0}) und wir haben die Mittel für die Goethe-Institute und auch für Projekte wie das Jugendwerk des Westbalkans gesteigert. Die Bereitstellung dieser Mittel wird das positive Bild Deutschlands im Ausland prägen, und das ist das, was wir brauchen, was notwendig und wichtig ist. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie das alles ermöglicht haben. Meine Fraktion unterstützt Sie in dem Bestreben, das voranzubringen. ({1}) Ich möchte mich auch dafür bedanken, dass unsere Argumente, dass wir die Mittel für die humanitäre Hilfe und die Krisenprävention steigern müssen, bei Ihnen angekommen sind. Immerhin haben Sie da Geld draufgelegt; wir haben dazu ja mehrere Anträge gestellt. ({2}) Ich bin sehr froh, dass Sie das gemacht haben. Gleichzeitig kommt ein großes Aber. Das Aber hat meine Kollegin Doris Barnett hier schon angesprochen. Sie hat gesagt: Die Krisenherde der Welt sind vielfältig, und ihre Zahl nimmt zu. – Sie selber, Herr Minister, haben in mehreren Reden – unter anderem auch im Haushaltsausschuss – immer wieder betont, dass im kommenden Jahr neue Aufgaben auf uns zukommen. Sie haben zum Beispiel die Lage in Syrien und im Jemen mehrfach angesprochen und gesagt, dass für die humanitären Krisen dort dringend unsere Unterstützung nötig ist. Hierfür werden die Steigerungen, die Sie jetzt vorgenommen haben, vorne und hinten nicht reichen. Sie sind hier im Etat insofern nicht ehrlich; Sie sind da auch nicht konkret. Das ist bedauerlich, weil Sie wissen, dass Sie über das Jahr mehr Geld brauchen werden. Sie werden dann wieder über die ÜPLs – über die Überplanmäßigen Ausgaben – gehen und so tun, als seien diese Krisen ganz überraschend entstanden. Es ist aber nicht überraschend, was von Ihnen angekündigt wird, und von daher finde ich, dass Sie Wahrheit und Klarheit des Etats an dieser Stelle überstrapazieren. ({3}) Besser wäre es, wenn Sie von vornherein glaubwürdig agieren würden. Ich will zur Zuwendungsbearbeitung kommen. Ja, es ist unser Auftrag als Haushälter, dafür zu sorgen, dass wir uns an das Haushaltsrecht halten. Frau Kollegin Malsack-­Winkemann, Sie haben mit Blick auf den Bundesrechnungshofbericht die Situation im Auswärtigen Amt so hingestellt – wir alle haben den Bericht gelesen –, als sähe es in diesem Haus wie Kraut und Rüben aus und als würde Willkür herrschen. Nein, das tut es nicht. Dieser Bericht ist differenzierter als das, was Sie dargestellt haben. Da steht nämlich, dass Überprüfung sehr wohl stattfindet, dass diese Überprüfung besser werden kann und dass man an den Strukturen arbeiten muss. Der Auftrag geht an uns. Erstens sind wir als Abgeordnete die Rechnungsprüfer. Wir haben dafür zu sorgen, dass die Vorgaben eingehalten werden. Das ist unser Job. ({4}) Zweitens geht es hier wirklich um eine verwaltungstechnische Geschichte. Sie haben gar nicht verstanden, worum es eigentlich geht: Eigentlich geht es nämlich darum, dass wir dieses Haus mit diesem Etat fit für die Zukunft machen müssen. Die großen Aufträge liegen eben nicht in den Details der Verwaltungsmechanismen, die damit zu tun haben. Sie liegen vielmehr darin, dass dieses Haus zum Beispiel dringend Personal im Ausland braucht, etwa für die Visastellen. Das ist ein Beispiel. ({5}) Oder die Personalbemessung in dem Bereich der Personalreserve – das ist ein weiteres Beispiel. Das reicht nicht. Es geht auch nicht, dass wir hier im Inland das Amt mit Personal aufblähen und dafür im Gegenzug das Personal im Ausland kürzen. Das werden wir am Ende teuer bezahlen, nämlich mit der Qualität der Arbeit im Ausland. Wir brauchen die Mittel ferner für die Sicherheit der Menschen, die für uns im Ausland arbeiten, zum Beispiel für die Gebäudetechnik. Das heißt „fit für die Zukunft machen“. Das heißt aber auch – jetzt komme ich zu meinem letzten Punkt –, dass wir die Potenziale der Menschen nutzen müssen. Dazu gehören auch Frauen. Herr Minister, hier habe ich große Erwartungen an Sie. Gerade mal 13 Prozent der deutschen Botschafterposten gehen an Frauen. 32 Prozent der deutschen Attachés in Deutschland sind Frauen. Das ist der niedrigste Wert seit 15 Jahren in Deutschland. ({6}) Die Schweden sind uns da weit voraus. Sie sagen: „Wir machen eine feministische Außenpolitik“ und haben 40 Prozent der Botschafterstellen mit Frauen besetzt. Daran sollten wir uns orientieren. Wenn wir Frieden und Sicherheit in der Außenpolitik vorantreiben wollen, dann brauchen wir auch eine Gleichstellungspolitik. Dann heißt das aber auch, dass Frauen Verantwortung übernehmen müssen, dass Frauen mitreden müssen. Das sage übrigens nicht ich, sondern das steht in der UN-Resolution 1325, zu der wir uns selbst verpflichtet haben. ({7}) Wozu wir uns verpflichtet haben, daran sollten wir uns auch halten. Hier müssen Sie in Ihrem Haus anfangen, die Dinge zu ändern. ({8}) Ein Letztes. Ihr Haus hat sich das letzte Mal, als wir Mitglied des UN-Sicherheitsrates waren, sehr gut damit profiliert, dass Sie das Thema „Kinder in bewaffneten Konflikten“ herausgestellt haben. Jetzt wäre wieder so eine Chance da, nämlich das Thema „Frauen, Frieden, Sicherheit“ nach vorne zu bringen und in den Mittelpunkt zu stellen. Das wäre Fortschritt. Damit würden wir Maßstäbe setzen und für eine moderne Außenpolitik einstehen. Wer will denn schon rückwärtsgewandt sein? Bis auf einige wenige in diesem Haus will das eigentlich niemand. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich erteile das Wort dem Bundesminister Heiko Maas. ({0})

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der griechische Philosoph Plutarch hat vor über 2 000 Jahren die Kriterien für einen idealen Haushalt benannt. Dieser dürfe nichts Überflüssiges wollen und nichts Notwendiges entbehren. Also müsste es heute eigentlich darum gehen: Was ist überflüssig, ({0}) und was ist notwendig? Diese Antwort in Fragen der Außenpolitik zu geben, ist alles andere als trivial; das haben einige Redner ja auch schon dargestellt. Im Moment gibt es so viele Veränderungen, dass in der Außenpolitik eigentlich nur eines gewiss ist, nämlich die Ungewissheit. Deshalb wird es darum gehen, wenn wir deutsche Außenpolitik betreiben, dass wir uns auch um die Frage kümmern müssen: Wie groß ist überhaupt unsere Gestaltungsmacht in der deutschen Außenpolitik? Dazu kann ich Ihnen sagen: Unsere internationale Gestaltungsmacht steht und fällt vor allen Dingen mit einem, nämlich der Geschlossenheit Europas. Deshalb, meine Damen und Herren, ist es das grundlegende Ziel der deutschen Außenpolitik – darauf ist sie auszurichten –, Europa zusammenzuhalten; denn alle Herausforderungen, mit denen wir es zu tun haben, sind 2018 längst grenzenlose Herausforderungen geworden: Die globalisierte Wirtschaft kennt keine Grenzen. Das Klima kennt keine Grenzen. Die Digitalisierung und das Internet kennen keine Grenzen, und die Migrationsfrage ist schon per se eine internationale Frage. 2018 und in den kommenden Jahren brauchen wir deshalb eine Organisation wie die Europäische Union mehr denn je, und wer sich dieser Erkenntnis verweigert, der beeinträchtigt und der verrät auch das deutsche Interesse. ({1}) Meine Damen und Herren, ich finde, bei allen Schwierigkeiten, die wir in der Europäischen Union haben, ist das Jahr 2018 in der Außenpolitik der Europäischen Union durchaus ein erfolgreiches gewesen. ({2}) Herr Djir-Sarai, wenn Sie in vielen Punkten das Fehlen einer Strategie beklagen, will ich Ihnen, was China angeht, sagen: Die Europäische Union hat doch gerade ihre sogenannte Konnektivitätsstrategie auf den Weg gebracht, gerade mit Blick auf China. Wir sind dabei und wollen bis Ende des Jahres bzw. Anfang nächsten Jahres eine neue Zentralasienstrategie der Europäischen Union formuliert haben. Und bei der Diskussion um das Nuklearabkommen mit dem Iran etwa hat die Europäische Union doch allen Unkenrufen zum Trotz bis zum heutigen Tage große Geschlossenheit bewiesen. Ich finde, wir sind auch gerade im letzten Jahr in der Außen- und Sicherheitspolitik ganz wesentlich vorangekommen. Nachdem wir Ende 2017 die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich aus der Taufe gehoben haben, haben wir uns als EU-Außenminister gerade am vergangenen Montag auf einen verbindlichen Pakt zur Stärkung der zivilen Seite der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik geeinigt. Das heißt, wir werden in Berlin ein europäisches Kompetenzzentrum gründen. ({3}) Wir werden dort Leute ausbilden, die wir in die Krisengebiete schicken, damit aus Krisen keine Kriege werden. Das ist, finde ich, etwas, was der deutschen Außenpolitik gut zu Gesicht steht. ({4}) Meine Damen und Herren, ein solches Europa – auch das ist angesprochen worden – setzt zwingend einen noch engeren Schulterschluss zwischen Deutschland und Frankreich voraus. Ein erster wichtiger Schritt waren unsere gemeinsamen Reformvorschläge zur Wirtschafts- und Währungsunion und auch zur Außen- und Sicherheitspolitik. Ein weiterer Schritt wird der Abschluss eines neuen Élysée-Vertrages sein, der das Versprechen enthält, künftig alle zentralen Herausforderungen gemeinsam anzugehen. ({5}) Das entspricht dem, was Emmanuel Macron vor wenigen Tagen gesagt hat: Als deutsch-französisches Paar wollen wir uns diesen Herausforderungen stellen. – Dazu will ich Ihnen ein Beispiel mit Blick auf den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nennen. Wir werden im April nächsten Jahres den Vorsitz im Sicherheitsrat haben; die Franzosen werden ihn im März haben. Wir haben uns mit den Franzosen zusammen entschlossen, sozusagen als Paar aus zwei Vorsitzmonaten einen gemeinsamen Vorsitz zu machen. Das heißt, die Franzosen fangen auch mit unseren Themen an, und wir behandeln in den Wochen, in denen wir dran sind, auch die französischen Themen. Wir sind also nicht erst jetzt, sondern schon lange dabei, diese Zeit vorzubereiten. Ich finde, das ist ein schönes Beispiel dafür, dass das „deutsch-französische Paar“ nicht nur eine schöne Formulierung, sondern schon längst Realität ist, und zwar dort, wo es darauf ankommt, zum Beispiel in einem Gremium wie dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. ({6}) Ein weiterer Punkt, der uns in Europa ganz besonders beschäftigt, ist der Austausch mit unseren mittel- und osteuropäischen Nachbarn. Den haben wir in den letzten Monaten in der deutschen Außenpolitik ganz maßgeblich verstärkt. Ein Stichwort ist zum Beispiel die Drei-Meere-Initiative, der wir beigetreten sind. Letztlich, glaube ich, dürfen gerade wir Deutschen kein Interesse an einer neuen Spaltung unseres Kontinentes, und zwar in Ost und West, haben. Das nennen wir eine europäische Ostpolitik, die den derzeit herrschenden Minimalkonsens in der Politik der Europäischen Union gegenüber ihren östlichen Nachbarn überwindet. Das gelingt nur, wenn Prinzipienfestigkeit und Dialog dabei Hand in Hand gehen. Davon müssen wir aber erst einmal viele unserer Partner in Europa überzeugen. Auf jeden Fall ist Deutschland innerhalb der Europäischen Union bzw. in Europa ein guter Brückenbauer zwischen Ost und West. Deshalb ist gerade in dem Bereich die deutsche Außenpolitik nicht die des erhobenen Zeigefingers, sondern der ausgestreckten Hand, und auch das ist gut für unser Bild in Deutschland, in Europa und darüber hinaus. ({7}) Meine Damen und Herren, auch Großbritannien ist ein wichtiges Thema. Niemand weiß heute, wie im Unterhaus in London entschieden wird. Aber wir sind auf alles vorbereitet beim Austritt Großbritanniens: mit oder ohne Abkommen. Aber eines ist dabei auch klar: Großbritannien ist für uns ein wichtiger Wertepartner, wenn es um Demokratie, Menschenrechte und Freiheit in Europa, aber auch darüber hinaus, geht. Unabhängig davon, ob Großbritannien Mitglied der Europäischen Union ist: Wir werden auch in Zukunft zusammen mit Großbritannien unsere Ziele abstimmen. Deshalb arbeiten wir daran, dass wir in der Außenpolitik auch nach dem Austritt einen engen strategischen Dialog realisieren. Auch das ist gut und wichtig. ({8}) Was sind unsere Themen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, Frau Deligöz? Natürlich sind das keine Themen, die wir uns aus den Fingern saugen. Das alles ist in der Wahlkampagne deutlich kommuniziert worden. Ich kann sagen: Es sind Menschenrechtsfragen, es ist die Schlüsselrolle von Frauen in Friedensprozessen ({9}) und die Verbindung zwischen Klimawandel und Sicherheit, die unsere prioritären Themen für die zwei Jahre im Sicherheitsrat sind. Ich finde, diese sind wirklich gut gewählt. ({10}) Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Deutschland und Europa werden als Säulen der internationalen Ordnung stärker gebraucht als je zuvor. Das gilt vor allen Dingen und gerade aktuell für die Abrüstungs- und Rüstungskontrollarchitektur. Wir wollen Abrüstung und Rüstungskontrolle in den kommenden Monaten wieder auf die internationale Tagesordnung setzen. Es geht dabei um nicht mehr und nicht weniger als um eine Überlebensfrage der Menschheit. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die Vereinigten Staaten nicht vorschnell aus dem INF-Vertrag aussteigen. Wir wollen nicht, dass Europa zum Schauplatz einer nuklearen Aufrüstungsdebatte wird. ({11}) Aber wir wollen noch mehr; denn das wird nicht reichen. Es gibt mittlerweile Fragen, die seit 1987, als der INF-Vertrag abgeschlossen wurde, entstanden sind und um die sich damals keiner kümmern konnte. Die Fragen betreffen: „Was geht heute in der Rüstung?“, künstliche Intelligenz, Weltraumwaffen, Cyberkriege. Gerade das Letztgenannte ist wichtig. Ich bin fest davon überzeugt, dass eine Bedrohungslage in Europa oder sonst wo auf der Welt am ehesten durch die Möglichkeiten entsteht, die die Cyberwelt bietet. Die größte Herausforderung ist, etwas dagegen zu unternehmen, dass Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen stattfinden.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Ich komme gerade zum Ende, Herr Präsident, und würde das gerne im Zusammenhang ausführen. Ja, wir wollen nicht zum Schauplatz von nuklearen Aufrüstungsdebatten werden. ({0}) Aber es geht weit darüber hinaus. In Zukunft wird nicht mehr von Megabomben die größte Gefährdung ausgehen, sondern von Megabits und Megabytes. Deshalb müssen wir in all den Bereichen, die international und multilateral nicht geregelt sind, die Frage auf die Tagesordnung setzen: Wie können wir international und multilateral dafür sorgen, dass auch diese Dinge geregelt werden? Das sind die Bedrohungslagen, die in Zukunft auf uns zukommen. Wir wollen darauf eine multilaterale Antwort geben. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Hänsel von der Fraktion Die Linke. Anschließend kommt Herr Müller-Rosentritt; immer der Reihe nach. – Bitte, Frau Kollegin.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident. – Herr Außenminister Maas, ich will nachhaken, weil Sie am Ende Ihrer Rede zweimal erwähnt haben, dass wir eine nukleare Auseinandersetzung vermeiden müssen, und den INF-Vertrag genannt haben. Meine konkrete Frage wäre: Schließen Sie für die Bundesregierung aus, dass neue landgestützte, atomar bestückbare Mittelstreckenraketen vonseiten der USA in Deutschland stationiert werden? Schließt die Bundesregierung, schließen Sie das aus?

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Minister, kann gleich die zweite Zwischenfrage gestellt werden? – Dann können Sie im Zusammenhang antworten.

Frank Müller-Rosentritt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Bundesminister, mein Kollege Bijan Djir-Sarai hat Sie in seiner Rede gefragt, wie Sie das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung bei der UN-Vollversammlung in der letzten Woche erklären. Denn das wirft für uns große Fragen auf. Ich würde mich freuen, wenn Sie diese Frage beantworten könnten. – Danke. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Minister, bitte schön.

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Zunächst zum INF-Vertrag. Ich habe darauf hingewiesen, dass wir zurzeit dabei sind, die Amerikaner davon zu überzeugen, nicht vorzeitig aus diesem Vertrag auszusteigen. Ich bin davon überzeugt, dass es dafür noch eine Chance geben wird. Diese Chance wollen wir nutzen. Wenn es dazu führt, dass der INF-Vertrag bestehen bleibt, dann wird sich diese Debatte, ob es im Mittelstreckenbereich zu einer nuklearen Nachrüstung kommt, erübrigen. Ich sage Ihnen auch, dass die Haltung der deutschen Bundesregierung an dieser Stelle ganz klar ist – das haben wir schon mehrfach gesagt –: Wir wollen nicht nur, dass es keine Debatte darüber gibt; wir wollen auch nicht, dass nukleare Mittelstreckenraketen wieder in Deutschland stationiert werden, und das ist der Grund, warum wir uns um den Erhalt dieses Vertrages bemühen. Wir wollen sogar noch mehr: Wir wollen, dass auch andere Waffensysteme, die es mittlerweile gibt, die 1987 noch nicht erfunden waren, in ein internationales Rüstungskontrollregime einbezogen werden. Wir wollen, dass auch die Chinesen dort einer der Vertragspartner werden. Deshalb wenden wir uns nicht nur dagegen, dass es zu einer neuen nuklearen Mittelstreckenbewaffnung in Deutschland oder in Europa kommt, sondern setzen uns auch dafür ein, dass auch für andere Waffensysteme, für die es überhaupt keine Regelung gibt, Regelungen gefunden werden, sodass wir nicht in anderen Bereichen weiter aufrüsten. ({0}) Was das Thema Israel angeht: Deutschland hat in den letzten Jahren – das ist keine aktuelle Entwicklung – bei den Vereinten Nationen bei Israel-Resolutionen immer eine Linie verfolgt, und diese Linie bestand darin, dass wir versucht haben, bei den Diskussionen über entsprechende Texte bis zum Schluss dabei zu sein. Deshalb haben wir uns bei vielen Resolutionen, auch bei denen, die angesprochen worden sind – das wird auch bei einigen, die noch kommen, so sein –, nicht vorzeitig aus der Debatte zurückgezogen und gesagt: „Wir stimmen mit Nein“, sondern wir haben uns – und das in Abstimmung mit der israelischen Vertretung; nicht immer zu deren Zufriedenheit, aber in Abstimmung mit ihr – immer darum bemüht, dass die Texte, für die es mit uns oder ohne uns bei den Vereinten Nationen in der Regel eine Mehrheit gibt, nicht so ausfallen, wie das vielleicht von dem einen oder anderen beabsichtigt war. Deshalb haben unsere Interventionen immer dazu geführt, dass den Texten viele Schärfen genommen worden sind. Dazu gibt es viel Zustimmung von der israelischen Seite, auch wenn man sich da – das will ich gar nicht leugnen – noch mehr erwarten würde. Unsere Linie ist die – das wird auch die Linie in der Zukunft sein –: Anstatt frühzeitig aus der Debatte rauszugehen und damit Resolutionstexte zu bekommen, die deutlich schärfer gegen Israel gerichtet sind, wollen wir in den Debatten so lange wie möglich Einfluss nehmen und dafür sorgen, dass die Texte nicht diese Schärfe haben, dass Dinge, die dort ursprünglich stehen, die wir nicht mittragen können, auch nicht verabschiedet werden. Wenn gewisse Dinge aus dem Text nicht rauskommen, haben wir in der Vergangenheit auch dagegengestimmt. Das ist unsere Linie, und die halte ich auch mit Blick auf Israel für eine sehr vernünftige. Bei jedem Resolutionsentwurf, der verhandelt wird, sind wir diejenigen, die in der Debatte bis zum letzten Tag für die Interessen Israels streiten. Wenn wir von vornherein nur Nein sagen, wird uns diese Möglichkeit genommen, und dies hielte ich nicht für richtig. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Minister. – Der nächste Redner ist für die AfD-Fraktion der Kollege Armin-Paulus Hampel. ({0})

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Besucher im Deutschen Bundestag! Herr Minister Maas, das nenne ich eine rhetorisch-diplomatische Supervolte, die Sie da hingelegt haben: Wir stimmen bei der UN gegen Israel, aber wir sorgen dafür, dass es nicht ganz so scharf ausfällt. ({0}) Das müssen Sie unseren israelischen Freunden in Jerusalem und Tel Aviv, glaube ich, erst mal erklären. Lieber Herr Karl, ich freue mich ja mit Ihnen, dass Sie sich so über den Haushalt freuen. Im Gewandhaus in Leipzig steht ein sinnvoller lateinischer Spruch, ich glaube: Res severa gaudium est. – Die Freude ist eine ernsthafte Sache. – Die ernsthafte Sache beginnt schon damit, dass sich anscheinend keiner von Ihnen ernsthaft mit dem auseinandersetzen will, was meine Kollegin Malsack-Winkemann nicht aus einem AfD-Papier, sondern vom Bundesrechnungshof zitiert hat. Der Bundesrechnungshof haut dem Auswärtigen Amt seine Ausgabenpolitik, besonders bezüglich NGOs und Gutmenschentum, links und rechts um die Ohren, meine Damen und Herren. ({1}) Das ist die Aussage nicht von uns, sondern des Bundesrechnungshofs. Es gibt keine klaren Begründungen. Die Mittel sind keiner weiteren Kontrolle unterworfen. Es gibt keine Nachfragen: Was ist von wem mit welchen Mitteln geschehen? Die übliche Formel „SMART“ – also: spezifisch, messbar, angemessen, realistisch, terminiert – wurde, und zwar nicht erst in den letzten Jahren, sondern schon in den letzten zwölf Jahren – dafür können Sie nur bedingt was, Herr Minister –, konsequent außer Acht gelassen. Das ist das eine – die Art und Weise, wie Sie meinen mit dem Geld der Bundesbürger umgehen zu können, auch was die Außenpolitik anbelangt. Aber das andere ist, dass der Begriff Außenpolitik in vielen Reden hier schon gar nicht mehr richtig – von Ihnen, Frau Barnett, erst recht nicht; das war eher Arbeiterwohlfahrt, was Sie hier verkündet haben – Erwähnung findet. Hier wird von Ihnen von den vielen Maßnahmen gesprochen, die wir gutmenschentummäßig in der Welt unternehmen. Das sind alles hehre und wunderbare Ziele, aber das rechtfertigt doch keine Steigerung von 2 500 Prozent nur für humanitäre Zwecke. Sie meinen, das sei richtig; wir meinen, dass das nicht richtig ist und vielmehr wieder gelten muss, was hier oben über uns am Haupteingang – durch den geht ja leider keiner mehr –, steht, nämlich dass Sie in erster Linie dem deutschen Volke verpflichtet sind und auch die Außenpolitik im Namen des deutschen Volkes zu machen ist. ({2}) Darum geht es. Das steht da oben. Gehen Sie demnächst durch den Westeingang, Frau Kollegin. ({3}) Wir streuen aus, sind mit dem Füllhorn der Gutmenschen unterwegs und meinen: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. ({4}) Ich habe dem Kollegen Hardt ja schon mal erzählt, er soll „Die Schlafwandler“ von Christopher Clark lesen; da haben Sie die Resultate der wilhelminischen Politik. Wir folgen heute genau dem Gleichen: Wir sind Schlafwandler geworden, wir ignorieren die Veränderungen in der Welt. ({5}) Erstaunlicherweise ist ja genau das Gegenteil von dem der Fall, was Sie uns, Herr Minister, und auch die Frau Bundeskanzlerin heute versucht haben zu vermitteln, nämlich dass wir friedensstiftend und verbindend unterwegs seien. Genau das Gegenteil ist der Fall: Herr Trump nennt Ihre Politik ein Desaster; mit Herrn Putin haben Sie sich überworfen. Das haben Sie schon einmal gesagt – dieser Einwand müsste jetzt von Ihnen kommen. Stimmt! Aber das sind die Fakten. Italien geht uns gerade flöten. Großbritannien, meine Damen und Herren, ist mit dem Brexit aufgrund der Merkel-Politik aus der Europäischen Union ausgestiegen – das ist die Wahrheit –, ({6}) weil Sie mit Ihrer Machtpolitik in Europa bei den Briten auf Granit gebissen haben. Die Briten wissen noch, wie man sich zu wehren hat. ({7}) Der tschechische Präsident Zeman nennt die Bundesregierung einen Haufen von Idioten. Der polnische Botschafter verweigert Ihnen öffentlich den Handschlag bei der Begrüßung und nennt Ihre Polen-Politik eine Katastrophe. ({8}) Inzwischen höre ich, dass mehrere Länder, nicht nur Österreich und Ungarn, sondern auch das Baltikum, aus dem Compact for Migration, der heute so gelobt wurde, ausgestiegen sind. Ich glaube, Australien hat auch gerade seine Nichtanerkennung bekundet. Auch da, meine Damen und Herren, sind wir auf dem Holzweg. Was machen wir? Wir lassen im Grunde genommen zu, dass Europa in ein Nord und ein Süd geteilt wird. Wir lassen zu – da gebe ich dem Kollegen Djir-Sarai recht –, dass im Nahen Osten, einer Region, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu Europa liegt, nichts mehr unternommen wird, um stabilisierend und friedensstiftend dort zu wirken. Ja, es waren nicht die Deutschen, sondern vornehmlich erst einmal die Amerikaner mit dem Irakkrieg, die diese Region in ein Chaos gestürzt haben, mit Folgen in Libyen. Die sogenannte arabische Revolution, der „schöne“ Arabische Frühling, hat sich als eine furchtbare Katastrophe erwiesen. Der gesamte Nahe Osten ist heute so instabil, so destabilisiert wie nie zuvor in den vergangenen Jahrzehnten. Das zu ändern, daran sollten wir arbeiten. Ich glaube, es war der Kollege Trittin von den Grünen, der gesagt hat – und da gebe ich ihm recht –: Wir Deutschen könnten ein Zeichen setzen und könnten eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten kreieren. – Ich glaube, mein Ausschussvorsitzender Herr Röttgen hat Ähnliches gesagt. Eine Sicherheitskonferenz zum Nahen Osten, das wäre eine sinnvolle politische Initiative, um die unmittelbare Nachbarschaft von Europa wieder zu stabilisieren, meine Damen und Herren. ({9}) Sie sprechen von der Integration, und Sie tun das Gegenteil durch unverantwortliche Alleingänge. 2015, meine Damen und Herren, war – und das wissen Sie alle ganz genau – ein unverantwortlicher Alleingang der Bundeskanzlerin. Ein unverantwortlicher Alleingang! Damit haben Sie die Spaltung Europas erheblich vorangetrieben. ({10}) Die osteuropäischen Völker folgen Ihnen nicht mehr. Und sie machen es aus nationalem Stolz – ja, aus nationalem Stolz, damit Sie mal wieder in Schnappatmung verfallen –, weil sie, die Ungarn, die Polen, die Tschechen, die Balten, wissen, was es heißt, von fremden Mächten beeinflusst zu werden, und sie sagen Nein zu einer Migrationspolitik, die Sie ihnen aufoktroyiert haben. Und das wollen sie nicht. ({11}) Jetzt kommt die Krönung des Ganzen am 10. Dezember in Marrakesch – übrigens auch am 11. mit dem Global Compact on Refugees –: Global Compact for Migration. Ich sage Ihnen eins: Sie belügen das Volk. – Ich komme zu meinem letzten Satz, Herr Präsident.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Bitte.

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sie belügen das Volk, indem Sie ihm vormachen, der Global Compact hätte rechtlich keine bindende Wirkung. Ihr Haus hat schon signalisiert, Herr Maas, dass das in nationales und europäisches Recht übernommen werden soll. Sie öffnen die Tore Deutschlands und Europas für eine weitere Welle von Millionen Migranten ({0}) und wollen damit nur eines erreichen: dass es das Deutschland, das es vorher gab, in der Form nicht mehr geben soll. ({1}) Sie von der Union machen da mit – schämen Sie sich! –, ebenso wie Sie von der FDP. Danke schön. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Jürgen Hardt. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn meiner Rede den Haushältern im Bereich der Außenpolitik des Deutschen Bundestages herzlich danken. ({0}) Es gibt eine gute Zusammenarbeit mit unserem Haushälter ({1}) Alois Karl. Das gilt genauso für die anderen demokratischen Fraktionen des Hauses. Es ist der richtige Weg, dass wir am Haushalt das eine oder andere auch auf Beschluss des Auswärtigen Ausschusses noch verbessert haben. Die Fakten dazu hat Alois Karl genannt. Wenn man sich die Frage stellt, was gegenwärtig und in den nächsten Jahren die größte Herausforderung der Außenpolitik ist, dann sind wir uns sicher alle einig, dass das der Erhalt der multilateralen Ordnung ist, die von vielen Seiten herausgefordert wird. Die multilaterale Ordnung, so wie wir sie haben, etwa in den Vereinten Nationen, ist zwar nicht in dem allerbesten Zustand, aber wenn ich mir vorstelle, wir müssten das, was wir im Rahmen der Vereinten Nationen geschaffen haben, heute neu aus der Taufe heben, dann hätte, so fürchte ich, die Völkergemeinschaft diese Kraft heute nicht. Deswegen müssen wir diesen Schatz wahren und schützen. Wir müssen auch im Umgang mit sachlicher Kritik an der einen oder anderen Entscheidung der Vereinten Nationen Gerechtigkeit walten lassen. Wer zum Beispiel behauptet, dass der Global Compact for Migration an den Bürgerinnen und Bürgern und an den Politikern des Landes vorbei gestaltet worden wäre, der lügt. ({2}) Die Vereinten Nationen haben über die Bundesregierung zu mehreren Stakeholder-Konferenzen eingeladen, in New York und in Genf. ({3}) Das Auswärtige Amt hat diese Einladung allen Fraktionen des Deutschen Bundestages zukommen lassen. Von der AfD ist meines Wissens kein einziger Abgeordneter bei einer dieser Konferenzen gewesen, ({4}) und jetzt reißen Sie hier das Maul auf. Das ist unehrlich hoch drei! ({5}) Ich entschuldige mich für das Wort „Maul“. ({6}) Die zweite große Herausforderung – der Bundesaußenminister hat davon gesprochen – bilden die transatlantische Zusammenarbeit und unsere Sicherheit. Ich möchte Sie ausdrücklich darin unterstützen, am 4. und 5. Dezember bei der Außenministerkonferenz der NATO die Chance zu ergreifen, den amerikanischen Präsidenten, die amerikanische Regierung davon abzubringen, den INF-Vertrag aufzukündigen. Ich glaube, wir sind uns bei der Bewertung, dass Russland den INF-Vertrag verletzt, einig – auch unsere Fraktion hat sich mit dem Thema beschäftigt und kommt zu diesem Ergebnis –, und wir sind uns auch einig, dass es eine Antwort geben muss. Wir sind uns mit den amerikanischen Kolleginnen und Kollegen, mit den Senatoren und Kongressmitgliedern, mit denen gerade einige Abgeordnete des Deutschen Bundestages in Halifax Gelegenheit hatten zu sprechen, einig, dass es eine gemeinsame Antwort der NATO geben muss, dass die Antwort aber natürlich in keinem Fall eine atomare Nachrüstung sein kann. Das schließen auch die Amerikaner, meines Erachtens auch der Sicherheitsrat des amerikanischen Präsidenten, aus. Aber eine Voraussetzung für diese Geschlossenheit ist, dass der amerikanische Präsident darauf verzichtet, diesen einseitigen Schritt zu gehen. Ich kann Sie nur ermutigen, das gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen im Außenministerrat der EU entsprechend durchzusetzen. Wir haben natürlich weitere Belastungen im transatlantischen Verhältnis, zum Beispiel den Streit über den Handel.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege Hardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage vom Kollegen Hampel?

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich gestatte eine Zwischenfrage des Kollegen Hampel.

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr freundlich, Herr Kollege Hardt. – Ich habe nur eine ganz schlichte Frage: Trifft es zu, dass es die AfD war, die den Global Compact for Migration hier, in die Debatte des Deutschen Bundestages, eingebracht hat und dass es unser Antrag im Auswärtigen Ausschuss war, sich überhaupt damit zu beschäftigen? ({0}) Dann ist doch die Frage, ob Sie es nicht für richtig halten, dass ein so wichtiger Pakt mit über 79 verpflichtenden Bindungen ({1}) dem deutschen Volk vorgestellt wird, bevor er am 10. Dezember in Marrakesch unterschrieben wird, lieber Herr Hardt.

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, dass wir im Deutschen Bundestag bereits ausgiebig Gelegenheit hatten, über diesen Pakt zu sprechen. Wir haben am 19. April darüber geredet, die Bundesregierung hat Antworten auf Kleine Anfragen gegeben, und wir werden in der kommenden Woche über diesen Global Compact for Migration reden. Die Bürgerinnen und Bürger haben die Möglichkeit, wie das bei UN- und EU-Dokumenten in der Regel der Fall ist, die Dinge eins zu eins zu lesen. ({0}) Ich glaube, es bedarf in diesem Deutschen Bundestag keines Anstoßes der faschistisch-völkischen Identitären Bewegung, uns dazu zu bringen, diese Dinge ernst zu nehmen. Ich finde es beschämend für die AfD, dass Sie sich auf diese Kampagne draufsetzen. Für Sie ist dieser Global Compact das Chlorhühnchen, mit dem Sie versuchen, ein Thema ohne sachliche Argumente hochzuziehen. Damit werden Sie auf die Nase fallen. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Neu?

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Neu.

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Hardt, ich möchte zum INF-Vertrag zurückkommen. Sie haben ja gerade ausgeführt, dass man sich einig sei, dass die russische Seite gegen den INF-Vertrag verstoßen würde. Ich sehe bislang noch keinen belastbaren Beweis; aber das sei dahingestellt. Es gibt aber auch seitens Russlands Kritik an den USA, dass sie mit Blick auf das Raketenabwehrsystem gegen den INF-Vertrag verstoßen würden, zum Beispiel mit der Startrampe MK 41. Lockheed Martin, die Rüstungsschmiede in den USA, die genau das herstellt, wirbt damit, dass MK 41 auch tauglich sei, um Cruise-Missiles abzuschießen, egal ob konventionell oder atomar bestückt. Somit würde ja dann die Kritik der russischen Seite an den Amerikanern mit Blick auf den INF-Vertrag zutreffen. Wurde das innerhalb der NATO-Gremien ebenfalls besprochen? Welche Maßnahmen gedenkt denn die Bundesregierung zu ergreifen, um den Amerikanern an dieser Stelle auf die Finger zu klopfen?

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das haben die Amerikaner an dem Punkt nicht nötig, da die Amerikaner im Gegensatz zu den Russen gemäß dem Vertrag mit Blick auf diese Raketenabwehrsysteme große Transparenz zulassen. Das sind eben Boden-Luft-Raketen und keine Boden-Boden-Raketen, so wie die modifizierte SSC-8. Aufgrund der Erkenntnisse sind wir uns im Westen darin einig, dass die russischen Systeme den Vertrag „highly likely“, also höchstwahrscheinlich, verletzen. Russland könnte dem ganz einfach entgegnen und den Vorwurf aus der Welt räumen, indem es zuließe, dass sich Inspektoren des Vertragspartners Amerika die Dinge anschauen; aber das tun die Russen nicht. Ich möchte an dieser Stelle noch ergänzen: Russland verfügt über atomare Mittelstreckenraketen, die Europa bedrohen, auf Schiffen und an Flugzeugen. Amerika oder die NATO insgesamt haben ihrerseits keine entsprechende Waffe. Wenn Sie so wollen, gibt es im Bereich der atomaren Mittelstreckenraketen in Europa innerhalb und außerhalb des Regimes des INF-Vertrages ein drastisches Ungleichgewicht. Dass das offen angesprochen werden muss und dass wir uns als NATO darauf eine Reaktion überlegen müssen, ist klar. Diese Reaktion muss meines Erachtens darin bestehen, Russland dazu zu bringen, auch auf solche Waffen zu verzichten. Das halte ich – auch gegenüber den Bürgern – für die einzig vernünftige und auch notwendige Antwort. ({0}) Bevor die Zwischenfragen kamen, habe ich über die Handelspolitik gesprochen. Ich möchte auf einen Punkt hinweisen: Der amerikanische Präsident hatte mit dem Präsidenten der Europäischen Kommission, Juncker, im Juli vereinbart, dass es zwischen der EU und den Vereinigten Staaten von Amerika Gespräche über die wechselseitigen Beschwernisse in der Handelspolitik gibt. Es ist üblich, dass man während solcher Phasen die vorgesehenen Maßnahmen suspendiert bzw. keine neuen Maßnahmen ergreift, die die andere Seite verärgern könnten, weil es schlicht und einfach darum geht, dass man eine gute Verhandlungsbasis schafft. Juncker und Trump haben die Agrarpolitik ausdrücklich von den jetzt in Rede stehenden Verhandlungsgegenständen ausgenommen. Wenn der amerikanische Präsident nun mit der Begründung, dass Europa in Agrarfragen gegenüber Amerika nicht großzügig genug sei, Zölle gegen Automobilimporte in die USA erhebt, dann ist das aus meiner Sicht nicht redlich. Schließlich war zwischen Juncker und Trump verabredet, dass das keine Rolle spielt. Deswegen kann ich nur hoffen und die amerikanische Seite auffordern, von Strafzöllen bei Automobilimporten aus Europa abzusehen, zumal die amerikanische Automobilindustrie diese Maßnahme auch für ungerechtfertigt hält. Ich möchte ganz kurz noch auf den einen oder anderen Aspekt eingehen, den der Außenminister zu Europa gesagt hat; der Kollege von Marschall wird darauf näher eingehen. Ich glaube, dass wir, wenn Großbritannien tatsächlich aus der EU austreten sollte, möglichst rasch einen deutsch-britischen Freundschaftsvertrag verabreden sollten, in dem wir sicherstellen, dass die bilateralen Beziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland ähnlich eng bleiben, wie sie es heute sind, und so eng bleiben, wie sie zum Beispiel zu Frankreich sind und – das wäre erstrebenswert – auch zu Polen sein sollten. Dieser Freundschaftsvertrag könnte viele Dinge enthalten, die wir sonst im Rahmen Europas regeln. Letztlich steht die Teilnahme Großbritanniens am europäischen Studenten- und Schüleraustauschprogramm infrage. Da könnte ein deutsch-britischer Freundschaftsvertrag einen Beitrag leisten. Ich glaube, dass wir den Britinnen und Briten sagen müssen: Egal wie es im Unterhaus ausgeht, egal wie ihr euch entscheidet, wir bleiben fest an eurer Seite. – Deutschland ist dem britischen Volk auch mit Blick auf die Nachkriegsgeschichte zu großem Dank verpflichtet. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege Hardt. – Der nächste Redner ist der Kollege Michael Link, FDP-Fraktion. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Liberale fühlen uns wie die übergroße Mehrheit in diesem Hause einer internationalen Ordnung verpflichtet, die auf Regeln aufbaut, dem Multilateralismus. Wir fühlen uns dem verpflichtet, was über unserem Portal steht: Dem deutschen Volke. ({0}) Weil wir uns dem deutschen Volke verpflichtet fühlen, setzen wir auf Verständigungslösungen. Weil wir uns dem deutschen Volke verpflichtet fühlen, setzen wir auf Krisenbewältigung und Konfliktlösung. Und weil wir uns dem deutschen Volke verpflichtet fühlen, wissen wir, dass wir nicht alleine auf der Welt sind. ({1}) Deshalb brauchen wir dringend Einrichtungen, die wie unser diplomatischer Dienst personell und technisch in der Lage sind, diese Herausforderungen zu meistern, die in ihren Kernkompetenzen gestärkt werden und die mit anderen Akteuren des deutschen Außenhandels, dem BMZ und dem Verteidigungsministerium, engstmöglich vernetzt sind. Ich hätte mir ehrlich gesagt schon gewünscht, dass Sie, Herr Minister, wenn Sie hier heute eine Rede halten und wichtige außenpolitische Themen ansprechen – beim Global Compact for Migration wäre es im Übrigen gut gewesen, dass der Außenminister erklärt, wie wichtig er ist –, ({2}) auch etwas zum Haushalt sagen. Sie haben aber kein Wort zum Thema Haushalt gesagt. Wir würden Sie für das Haus, dem Sie vorstehen, gerne mehr kämpfen sehen; denn dieses Haus trägt ganz entscheidend dazu bei, dass wir Friedensdienst leisten können. Auswärtiger Dienst ist Friedensdienst. Da geschieht unseres Erachtens von Ihnen persönlich, Herr Minister, entschieden zu wenig. ({3}) Obwohl in der Bereinigungssitzung einiges erreicht werden konnte, haben wir es in vielen Bereichen immer noch mit einer veritablen Ausstattungskrise im Auswärtigen Amt zu tun. Wir haben in der ersten Lesung massive Kritik geäußert an der Mittelausstattung, an den Rahmenbedingungen für das Personal, an der Sicherheitsausstattung und der Digitalisierung, an den langen Visabearbeitungszeiten, aber auch an der mangelhaften Unterstützung zum Beispiel für das UN-Flüchtlingshilfswerk. Ein paar Dinge konnten verbessert werden. Deshalb sage ich Danke für die gute und kollegiale Zusammenarbeit in den vergangenen Wochen. Ich möchte mich auch im Namen der Fraktion bei den Mitberichterstattern des Einzelplans 05, beim Haushaltsreferat des Auswärtigen Amtes und auch – lassen Sie mich das deutlich sagen – bei allen anderen Angehörigen des Auswärtigen Amtes bedanken, die für Deutschland Dienst tun, im Inland wie im Ausland, im Ausland oft an sehr gefährlichen Orten. Dafür ein ausdrückliches Dankeschön! ({4}) Wo stehen wir nach den Beratungen in der Sache? Ich glaube, dass wir bilanzieren müssen, dass noch sehr viel zu tun ist, um einen diplomatischen Dienst zu haben, der den Herausforderungen wirklich gerecht wird. Noch müssen wir bilanzieren: verpasste Chance. Das gilt für viele Bereiche; denn wir hätten in der Vorbereitung auf das, was von Deutschland international erwartet wird, bereits jetzt deutlich mehr tun können und müssen. Es ist gut, dass ein paar Anregungen zur Sicherheit, zur IT und zum Personal in wenigen Bereichen aufgegriffen werden konnten. Die Problematik der Visavergabe wurde oft angesprochen und hier in verschiedenen Formaten schon oft diskutiert. Da wäre es wirklich wichtig, dass weiter nachgebessert wird. Schade, dass Sie unseren Antrag zur Prüfung der Möglichkeit, eine Antragsprüfung auch im Inland zuzulassen, also dort, wo teilweise freie Kapazitäten sind, nicht aufgegriffen haben. Das ist wirklich eine verpasste Chance. Die Wartezeiten für die Erteilung von Visa sind einfach viel zu lang. ({5}) Kommen wir zu dem anderen Bereich, zum Personal. Es gibt einen Trend von einem mehr oder weniger Auswärtigen Dienst zu einem – überspitzt gesagt – fast schon „inwärtigen“ Dienst. Das macht uns Sorgen. Da besteht enormer Nachholbedarf. Wer wirklich die Besten will, muss auch dafür sorgen, dass das Auswärtige Amt für die, die wir brauchen, als Arbeitgeber tatsächlich attraktiv ist. Hier haben die Minister in den letzten vier Jahren große Fehler gemacht, weshalb wir unterm Strich die Situation haben, dass das Amt extrem viele unbesetzte Stellen hat. Sie müssten dringend besetzt werden. Schade, dass die Koalition unserem Antrag, die Mittel für den Titel „Aus- und Fortbildung“ zu verdoppeln, zum Beispiel in Form doppelter Ausbildungslehrgänge, nicht nachgekommen ist. Ein großer Fehler! Wie will man die Besten gewinnen, wenn man nicht genug für die mit ausreisenden Ehepartner tut? Die guten Leute gehen heute nicht mehr ins Auswärtige Amt, wenn sie wissen, dass ihr Partner bzw. der Ehemann oder die Ehefrau dann später im Ausland sitzt, dort Däumchen dreht und keine eigene Arbeit hat. So machen wir uns nicht attraktiv für die Besten. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Kritik des Rechnungshofes ist viel gesagt worden. Die ist wichtig, die werden wir von unserer Seite auch weiterhin deutlich thematisieren; denn wo Mittel so stark zuwachsen wie zum Beispiel bei der humanitären Hilfe, was wir ja für richtig halten, wäre es schon wichtig, dass wir besser kontrollieren. Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Punkte nennen, die für die nächsten Debatten – wir debattieren ja heute noch den Einzelplan 14, Verteidigungspolitik, und den Einzelplan 23, Entwicklungspolitik – ganz wichtig sind. Wir Freie Demokraten stehen zum Multilateralismus und hätten uns in diesem Haushalt durchaus noch mehr Engagement für die Vereinten Nationen, vor allem beim Flüchtlingshilfswerk, vorstellen können. Wir sehen aber eines, was jetzt immer deutlicher wird: Woran es gerade bei dieser Bundesregierung trotz aller Lippenbekenntnisse fehlt, ist, dass wir enger aufeinander abstimmen, was das Auswärtige Amt, das Verteidigungsministerium und das Entwicklungsministerium tatsächlich machen. Ein Bundeswehreinsatz in Afrika kann nur gelingen, wenn er eingebettet ist in eine außenpolitische und entwicklungspolitische Strategie. Ein entwicklungspolitisches Projekt in Afghanistan kann nur gelingen, wenn es die sicherheitspolitische Lage und die außenpolitischen Rahmenbedingungen bedenkt usw. Es gibt also einen vernetzten Ansatz. ({7}) Dieser vernetzte Ansatz, inhaltlich ausbuchstabiert, muss dann auch mit Geld unterlegt werden, und zwar nicht nach dem Motto „Mehr ist besser“, sondern mit einem klugen, vernetzten Ansatz. Wir sagen: Das muss ineinandergreifen. Deshalb fordern wir nicht isoliert 0,7 Prozent für Entwicklung oder isoliert 2 Prozent für Verteidigung, sondern gesamthaft gesehen 3 Prozent für diesen Bereich, der untrennbar mit den anderen verbunden ist und mit ihnen zusammen gesehen werden muss. Das wäre der richtige Weg, um ein stärkeres deutsches Engagement und mehr Effizienz zu erreichen, gleichzeitig aber immer noch einen sparsamen Ansatz zu pflegen. Das wäre der Weg vorwärts. Die Freien Demokraten stehen für die bekannten drei Ds: Defence, Development, Diplomacy – Verteidigung, Entwicklung, Diplomatie. Dafür werden wir weiter streiten. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Heike Hänsel, Fraktion Die Linke. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit diesem Haushalt schreibt die Bundesregierung wahrhaft Geschichte. Sie will die größte Erhöhung des Militärhaushalts seit dem Ende des Kalten Krieges beschließen; wir können es hier nicht oft genug erwähnen. Während Frau von der Leyens Militärhaushalt wächst, wird dem Auswärtigen Amt, Herr Außenminister, im neuen Haushalt weniger Geld für das operative Geschäft zur Verfügung stehen als in 2018. Dem wird Die Linke auf gar keinen Fall zustimmen. ({0}) Ich muss sagen: Da kann ich, meine Damen und Herren von der SPD, wirklich nicht verstehen, wie Sie diesem Haushalt zustimmen können. Mit einem Finanzminister von der SPD und einem Außenminister von der SPD soll es also mehr Geld für Krieg und weniger Geld für Diplomatie und zivile Außenpolitik geben? Dem müssen Sie sich doch verweigern. ({1}) Das ist friedens- und sicherheitspolitisch eine Bankrotterklärung und hat mit einer Erneuerung Ihrer Partei, der SPD, überhaupt nichts zu tun. Sie wollen eigentlich nur mehr vom Alten Ihrer Politik. Die Bundesregierung will auch 2019 für Rüstung und Militär fast genauso viel ausgeben wie für Wohnen, Gesundheit, Bildung und Familienpolitik zusammen. ({2}) Sie wollen nicht in soziale Sicherheit investieren. Sie wollen lieber aufrüsten. Mit diesem Haushalt vertiefen Sie die soziale Spaltung in unserem Land. Es wäre nämlich deutlich besser, statt in panzerfeste Straßen endlich in armutsfeste Renten zu investieren. ({3}) Hinzu kommt noch, dass die EU-Verteidigungsminister jetzt 17 neue Militärprojekte im Rahmen der EU-Militärunion, ({4}) PESCO genannt, beschlossen haben. Es geht um die Entwicklung neuer Waffensysteme, um die Nutzung von Militärstützpunkten, um die Entwicklung der Eurodrohne usw. Als einzig verbindende Idee in Europa nun das Militärische zu definieren, ist wirklich armselig. ({5}) Wer wie Macron – das hat er hier noch einmal angesprochen – eine wahrhaft europäische Armee für eine Konfrontation mit den USA, mit Russland und mit China aufbauen will, der muss sich schon den Vorwurf des Militarismus und der Kriegstreiberei gefallen lassen. ({6}) Ich finde es erschreckend, dass die Kanzlerin auch noch in Aussicht stellt, dass Deutschland bei diesem gemeingefährlichen Projekt mitmacht. Heute Morgen hat die Kanzlerin gesagt, wir müssten aus der Geschichte lernen. Ich frage mich: Was sind denn die Lehren aus der Geschichte nach zwei Weltkriegen? Sie müssen doch heißen: „Abrüsten statt aufrüsten“ und nicht, Deutschland zur größten Militärmacht in Europa zu machen. ({7}) Es war gut und überfällig, dass die Bundesregierung endlich die Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien gestoppt hat. Das haben wir auch alle begrüßt. Ein zweiter wichtiger Schritt wäre jetzt, auch auf EU-Ebene ein Waffenembargo gegen Saudi-Arabien durchzusetzen. ({8}) Wir wundern uns allerdings schon, warum Sie bisher nicht den Mut hatten, Sanktionen gegen den Hauptdrahtzieher des Mordes an Khashoggi, nämlich Kronprinz bin Salman, zu verhängen. Das wäre auch überfällig, genauso wie eine generelle Neuausrichtung Deutschlands in der Außenpolitik gegenüber dieser üblen Kopf-ab-Diktatur. ({9}) Das gilt leider nicht nur für Saudi-Arabien, sondern auch für die Türkei. Ich war gestern mit meinem Kollegen Rolf Mützenich von der SPD in Istanbul. Wir haben gemeinsam den Prozess gegen den Kölner Adil Demirci beobachtet, der seit über sieben Monaten ohne Anklage im Gefängnis sitzt und dessen Haft nun auch noch verlängert wird. Ich muss schon sagen, dass ich es mehr als beschämend finde, dass Wirtschaftsminister Altmaier mit einer großen Wirtschaftsdelegation in die Türkei reist und business as usual betreibt, während fünf deutsche Staatsangehörige nach wie vor in türkischen Gefängnissen schmoren. Angesichts der Politik von Erdogan, der Politik der Geiselnahme, angesichts neuer Verhaftungswellen gegen die Opposition in der Türkei, angesichts der Bombardierung der kurdischen Gebiete im Norden Syriens, kann es keine Normalisierung der Beziehungen mit der Türkei geben. ({10}) Wir setzen uns dafür ein – ich fordere die Bundesregierung auf, es genauso zu machen –, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofes umgesetzt wird und der Oppositionspolitiker Selahattin Demirtas in der Türkei endlich freigelassen wird. ({11}) Das sollten Sie von Erdogan fordern, statt seine Politik weiterhin mit Rüstungsexporten und Finanzhilfen zu unterstützen. Danke. ({12})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin Dr. Franziska Brantner. ({0})

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Außenminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Am Sonntag hatten wir hier eine Liebeserklärung an Deutschland von einem früheren Erzfeind, eigentlich ein echtes europäisches Wunder. Es ist für uns alle Verpflichtung, dieses Europa und das, was es uns ermöglicht hat, zu verteidigen, Schaden von ihm abzuwenden und es nach vorne zu bringen. Nichtstun, Handlungsunfähigkeit ist Turbomotor für Spalter und Populisten in Europa. Den Gefallen dürfen wir den Spaltern nicht tun. ({0}) Wenn wir darüber reden, was es bedeutet, Schaden von Europa abzuwenden, dann ist in dieser Woche für mich der Brexit ganz zentral. Wir haben ein Austrittsabkommen mit mehr als 500 Seiten und eine politische Erklärung für die zukünftigen Beziehungen; beides hängt natürlich zusammen. Ein wichtiger Teil des Austrittsabkommens ist das Nordirland-Protokoll. Dort werden offene Grenzen festgehalten und explizit der Verzicht auf Kontrollen. Das ist richtig und wichtig, um den Frieden dort zu gewähren. UK soll in einer Zollunion mit der EU bleiben, nicht in der Zollunion, aber in einer. Dadurch stellen sich natürlich viele Fragen. De facto hat UK freien Zugang zum Binnenmarkt, ohne sich an alle Binnenmarktregeln zu halten. Was bedeutet das für einen fairen Wettbewerb, für unsere Unternehmen? Was bedeutet das für unsere Verbraucher, für ihre Sicherheit? Was bedeutet es für Umwelt- und Sozialstandards, für staatliche Beihilfen? Auf Englisch ist dies umschrieben mit dem Begriff „Level Playing Field“. Gelten die gleichen Gesetze wie heute in der EU? Was passiert mit zukünftigen Gesetzesentwicklungen? Wer überprüft das? Was tun, wenn Regeln gebrochen werden? Im Nordirland-Protokoll sind für unterschiedliche Bereiche sehr unterschiedliche Regeln festgeschrieben. Wenn es um staatliche Beihilfen, um Kartellfragen, um die ganz klassischen Fragen geht, hat sich die EU sehr gut durchgesetzt. Da sind dynamische Regeln enthalten. Die Gesetze müssen nicht nur heute, sondern auch in Zukunft passen. Es gibt Überprüfungsmechanismen und Sanktionsmöglichkeiten, was absolut notwendig und richtig ist. Wenn man sich dann aber Umwelt- und Sozialstandards anschaut, sieht man, dass davon leider gar nichts da ist. Da werden die aktuellen Regeln statisch festgehalten. Es gibt nichts Dynamisches, was wichtig ist, wenn wir beim Klimaschutz vorankommen wollen. Im sozialen Bereich gibt es keinerlei Überprüfungsmöglichkeiten, keinen Independent Body. Und weder bei Umweltstandards noch bei sozialen Standards gibt es die Möglichkeit, dass die EU dann reagiert, entsprechend Sanktionen verhängt und Zugänge wieder beschränkt. Nichts davon ist darin zu finden. Ich kann Ihnen nur sagen: Das öffnet Tür und Tor für ein soziales und ökologisches Dumping, was die EU langfristig richtig unterminieren kann. Das ist eindeutig gefährlich. ({1}) Jetzt werden Sie das Austrittsabkommen wahrscheinlich nicht mehr ändern. Da kann man sagen: Das ist nur der Backstop. Hoffentlich kommt der nie. Hoffentlich kriegen wir was anderes hin. – Aber was Sie noch in der Hand haben, Herr Maas, ist die politische Erklärung; die wird noch verhandelt. In der politischen Erklärung findet sich beim Thema „Level Playing Field“ momentan der Verweis auf das Austrittsabkommen, dass man es genau so machen will. Das ist aber kein Level Playing Field. Von daher unterstützen Sie bitte die anderen europäischen Länder, die jetzt sagen: Bei der Frage ökologischer und sozialer Standards ist das nicht akzeptabel für die Zukunft. Da wollen wir noch drauflegen. Da wollen wir unseren eigenen Binnenmarkt, unser Soziales, unser Ökologisches auch wirklich schützen. – Sie haben es als Bundesregierung in der Hand, hier voranzugehen und klarzustellen: Das ist nicht die Zukunft. Im Backstop kann man es vielleicht noch akzeptieren. Aber wenn wir vorausgehen, ist das nicht die Blaupause. Das darf nicht die Blaupause für die zukünftigen Beziehungen sein. Wir dürfen auch nicht alle darunter leiden, dass die Briten ein Brexit-Harakiri vollziehen. Wir müssen Europa schützen. Das ist Ihre Aufgabe, und ich zähle da auf Sie, für unseren Zusammenhalt, für Europa. Danke schön. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der nächste Redner ist der Kollege Frank Schwabe, SPD-Fraktion. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Gerade ist dem Außenminister vorgeworfen worden, es gebe nicht genügend Initiativen aus Deutschland. Ich könnte die ganzen vier Minuten verbrauchen, um darüber zu reden. Ich will aber nur ganz kurz sagen: Fragen Sie mal den UN-Sondergesandten für Syrien, Herrn de Mistura, ob er sich unterstützt fühlt von Deutschland. Der Kollege Schraps und ich waren vor kurzem in der Ukraine. Fragen Sie dort mal nach, welche Rolle Deutschland im Normandie-Format spielt. ({0}) Vor kurzem war Herr Krähenbühl von UNRWA da. Er hat uns noch mal berichtet, wie wichtig gerade die persönliche Initiative des Außenministers war, um die Finanzierung so weit sicherzustellen, wie sie sichergestellt werden konnte. Insofern: An Initiativen aus dem Auswärtigen Amt mangelt es wirklich nicht. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist in der Tat – das ist hier vielfach thematisiert worden – weltweit zu einem der größten Geber in der humanitären Hilfe aufgestiegen, und zwar nicht aus Jux und Dollerei, sondern weil die Notwendigkeit da war. Wir haben jetzt noch einmal einen Aufwuchs im Haushalt, wenn ich auch sagen will, dass für die weiteren Haushalte dieser Legislaturperiode vielleicht noch das eine oder andere gemacht werden kann; denn am Ende ist humanitäre Hilfe Friedenspolitik. Sie bedeutet Abwendung und hilft Menschen ganz konkret. Sie führt am Ende dazu, dass Menschen sich eben nicht auf den Weg machen und konfliktverschärfend wirken. Wer im Jahre 2015 im Libanon war und sich dort die Flüchtlingssituation angeguckt hat, der hat gesehen, dass die Menschen von 13,50 Dollar im Monat leben mussten. Wer von Ihnen würde sich nicht auch auf den Weg machen, wenn man mit der Familie von 13,50 Dollar im Monat leben muss? ({2}) – Sie wollen doch das Ganze auf null fahren; das hat Ihre Rednerin heute gesagt. Das ist völlig unverantwortlich für Millionen von Menschen auf dieser Welt. Am Ende wird es weitere Fluchtbewegungen auslösen; das ist doch wohl völlig klar. ({3}) Ich würde mir wünschen, dass wir in der Tat alles tun – der Herr Außenminister hat es angesprochen; das ist für uns eines der Schwerpunktthemen im UN-Sicherheitsrat –, um die Mittel für die humanitäre Hilfe international weiter zu erhöhen. Hier gibt es nämlich weiterhin ein massives Missverhältnis. Wir schaffen es nicht, die 25 Milliarden Euro, die notwendig sind, aufzubringen. Das ist völlig absurd. Wenn man bedenkt, dass allein unser Verteidigungsetat – auch wenn wir in Deutschland es nicht alleine leisten können – um etwa 40 Milliarden Euro ansteigt, dann erkennt man das Missverhältnis, das es international gibt. Ich würde mir wünschen, dass wir in Deutschland dort intensiv weiterarbeiten. ({4}) Die Menschenrechte sind unter Druck; das ist hier vielfach angesprochen worden. Die Menschenrechte sind das Thema, das die meisten Deutschen als zentrales Thema der deutschen Außenpolitik beschreiben würden. Wir machen auch Fortschritte, zum Beispiel im Bereich der sozialen und kulturellen Menschenrechte. Wir haben einen Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“ verabschiedet. Bei seiner exemplarischen Umsetzung in acht Ländern werden wir demnächst sehen, wie wir ihn insgesamt am besten umsetzen können. Wir haben in der Koalition vereinbart, dass wir zwei Abkommen ratifizieren – ich will daran erinnern, dass wir das alsbald hier tun sollten –: zum einen das Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt und zum anderen das ILO-Übereinkommen 169 zum Schutz der indigenen Bevölkerung. Das sind im Übrigen Verträge, die im Deutschen Bundestag ratifiziert werden müssen – ({5}) im Gegensatz zu anderen Formen von Abkommen, die hier nicht ratifiziert werden müssen. All diese Abkommen dienen dazu, den Menschen in diesem Land und in anderen Ländern zu helfen. Ohne Zweifel: Die Menschenrechte sind weltweit unter Druck. Deswegen wünsche ich mir, wo immer es möglich ist – und es wird gemacht, wo immer es möglich ist –, eine wertebasierte Außenpolitik. Das kann man über die humanitäre Hilfe machen. Das macht man aber eben auch, indem man gegenüber manchen Ländern Klartext redet. Insofern will ich es, weil es ein bisschen untergegangen ist, noch mal sagen: Ich begrüße es sehr und finde es absolut richtig, dass es jetzt – nicht nur als Lehre aus dem Krieg im Jemen, sondern auch aus dem unglaublichen Bruch internationaler Verabredungen im Fall Khashoggi – keine Rüstungsexporte in Richtung Saudi-Arabien mehr gibt, ({6}) und zwar auch keine, die schon genehmigt worden sind. Ich glaube, das sollten wir im Deutschen Bundestag gemeinsam würdigen. Vielen herzlichen Dank. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Norbert Röttgen, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeskanzlerin hat heute Morgen in ihrer Rede gesagt, wir hätten eine manchmal auch sehr nervöse Zeit. Das halte ich für eine bemerkenswerte Beschreibung ({0}) sozusagen der psychischen Verfassung der Welt. Der Bundesaußenminister hat für Deutschland die Frage gestellt: Was liegt eigentlich noch in unserer Gestaltungsmacht? Die Bundeskanzlerin hat übrigens ihrer Feststellung den Hinweis folgen lassen, dass wir uns die Frage stellen müssen: Was ist unser Beitrag in dieser nervösen Zeit? Ich möchte mich in meinen sechs Minuten mit dieser Frage beschäftigen: Was kann, was soll unser deutscher Beitrag in dieser nervösen Zeit sein? Der Außenminister hat die Frage beantwortet und gesagt: Europa ist die Antwort auf die Frage, was wir tun können. – Meine Antwort darauf ist: Ja, aber wir müssen auch feststellen, dass Europa in dem Augenblick, in dem Europa die notwendige Antwort auf den Verfall von Ordnung wäre, in der schlechtesten Verfassung seit den Römischen Verträgen ist. Auch das ist Teil der Realität, der Nervosität der Welt und der Zeit, in der wir leben. Wir erleben das Ende einer Epoche, wir erleben wieder einen Systemwettbewerb, und wir erleben wieder ein Zeitalter geopolitischer Rivalität. Das heißt, wir haben radikale Veränderungen. Wofür ich plädieren möchte, ist, dass wir uns noch mehr anstrengen, unsere – erst einmal deutsche – Antwort auf die radikalen Veränderungen, die wir erleben, zu suchen und zu finden. Das brauchen wir. Ich glaube, wir haben noch keine außenpolitische Konzeption ({1}) als Antwort auf das, was sich in kürzester Zeit radikal und revolutionär verändert hat. ({2}) Wir sollten damit beginnen, dass wir eine außenpolitische Grundsatzdebatte auch hier im Parlament führen. Sie muss ja der Konzeption vorausgehen. ({3}) Ich möchte einen Vorschlag machen. Alles fing – nicht kausal, aber zeitlich – mit dem Konflikt in der Ukraine und der Annexion der Krim an. Das war im Frühjahr, im März 2014, und dann folgten die Flüchtlingskrise, der Brexit, Trump und all das, was wir in diesen nicht einmal fünf Jahren erlebt haben. Ich möchte vorschlagen, dass wir den Jahrestag der Annexion der Krim zum Anlass nehmen, im März, im Frühjahr des nächsten Jahres eine außenpolitische Grundsatzdebatte hier im Deutschen Bundestag zu führen, um die Frage zu beantworten: Was ist die Antwort, die Rolle und das Selbstverständnis Deutschlands angesichts der Veränderungen, die wir erleben, meine Damen und Herren? ({4}) Wir müssen Antworten geben auf die USA, deren Präsident das Land nicht mehr als Ordnungsmacht versteht. ({5}) Das ist eine radikale, grundlegende Veränderung der amerikanischen Politik nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Darauf müssen wir als Europäer und Deutsche antworten. Wir müssen Antworten geben auf den Mittleren Osten, mit dessen Schicksal wir verbunden sind, wie es die Flüchtlingskrise gezeigt hat – nicht im Sinne einer einmaligen Krise. Vielmehr ist das Schicksal dieser Region mit dem Schicksal und der Stabilität Europas verbunden. Wir müssen eine Antwort geben auf China, das Partner, Wettbewerber und Widersacher zugleich ist. Wir müssen eine Antwort geben auf Russland, das keinen bilateralen Konflikt mit der Ukraine führt; vielmehr ist dieser Konflikt ein Konflikt um die politische Ordnung Europas. Darum geht es, und darauf müssen wir eine Antwort geben. ({6}) Wir müssen auch eine Antwort geben auf Themen wie das Thema der Migration: Massenmigration von 250 Millionen Menschen ist eine Realität. Die Verantwortung der Politik ist es, Realitäten zu gestalten, nicht für den eigenen Zweck zu instrumentalisieren, ({7}) nicht zu polemisieren, sondern für eine verantwortliche Gestaltung in Bezug auf das, was Realität ist, zu sorgen. ({8}) Im Zuge der Flüchtlingskrise tauchte das große Wort „Kontrollverlust“ auf. „Wir brauchen Steuerung, wir brauchen Koordination“, das waren Anklage und berechtigte Forderung an die Politik. Der globale Pakt für sichere, geordnete und koordinierte Migration ist ein kleiner Schritt, eine erste Antwort zur Rückgewinnung von Kontrolle und Steuerung. Das ist die globale Antwort auf eine globale Realität. Es ist ein kleiner Schritt, weil dieser Pakt rechtlich nicht bindend ist. ({9}) Wenn er rechtlich bindend wäre, gäbe es in Deutschland keinen rechtlichen Anpassungsbedarf. Es wäre besser für uns, wenn er rechtlich bindend wäre, weil in anderen Ländern dann Anpassungsbedarf bestünde. Das ist die verantwortungsbewusste Antwort auf eine Realität, die Migration heißt. ({10}) Dazu ein letzter Gedanke. Ich glaube, dass wir Deutsche Vorstellungen brauchen; denn wir werden danach gefragt – in Frankreich, in den USA, in China, überall –: Was ist denn eure Idee? Was ist denn euer Ansatz in diesen Konfliktregionen in Bezug auf die Herausforderungen? – Ich glaube, dass wir Antworten brauchen. Aber wenn ich von einer deutschen Antwort spreche, dann meine ich natürlich nicht, dass es eine relevante nationale deutsche Außenpolitik geben könnte. Nein, die kann es nicht geben. Das hat der Außenminister völlig zu Recht ausgeführt. Wenn wir eine deutsche Vorstellung haben, dann sollten wir uns mit dieser Vorstellung auf die Reise machen, vor allen Dingen durch die europäischen Hauptstädte, um zu versuchen, dafür Verbündete zu finden. Wir sollten uns nicht auf die Reise machen, um uns mit unserer Antwort durchzusetzen, sondern wir sollten uns auf die Reise machen, sodass wir am Ende eine gemeinsame europäische Antwort, einen europäischen Kompromiss finden. Unsere Verantwortung besteht nicht darin, durchzusetzen, was uns eingefallen ist; vielmehr sollten wir, Deutschland, initiieren, dass es sehr bald eine europäische Antwort auf diese Herausforderungen und radikalen Veränderungen gibt. Das ist unsere Verantwortung als Deutschland, vor allen Dingen in Europa. Wir, diese Koalition, sind entschlossen, zu versuchen, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Matern von Marschall, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Matern Marschall von Bieberstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004349, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Röttgen, die Fragen, die Sie aufwerfen, sind sehr wichtig. Sie sind im europäischen Kontext mindestens genauso wichtig. Auch dort müssen wir unseren Beitrag leisten. ({0}) Frau Brantner, Sie haben die Liebeserklärung des Präsidenten Macron am vergangenen Sonntag, am Volkstrauertag, erwähnt. Ich finde, sie ist auch noch mal zu verknüpfen mit seiner Erinnerung daran, dass uns Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg die Hand gereicht hat und uns diese zweite Chance, diese „Wiederauferstehungschance“, wie er gesagt hat, gegeben hat. ({1}) – Ich weiß, dass Sie, Herr Hampel, und auch die gesamte AfD-Fraktion immer historische Ressentiments insbesondere gegen Frankreich bedienen. Das finde ich besonders unschön. ({2}) Herr Kollege Röttgen, Sie haben gesagt, dass sich Europa in einer schwierigen Situation befindet. Wir sollten Frankreich mit dem Impuls, den es europapolitisch setzt, nicht alleinlassen, sondern wir sollten alles tun, um gemeinsam mit Frankreich Themen voranzubringen, die uns wichtig sind. Das heißt übrigens nicht, dass wir naiv sein müssen. Das heißt, dass wir uns klar positionieren und Argumente austauschen müssen. Wir sollten das aber gemeinsam tun. ({3}) Ich bin in der vergangenen Woche mit unserer Verteidigungsministerin in Mali gewesen. Ich habe erlebt, dass Deutschland – Deutschland hat dort das Kommando über die europäische Trainingsmission für die malische Armee übernommen – dort sehr gut mit Frankreich zusammenarbeitet, insbesondere in der Deutsch-Französischen Brigade, und dass dort ein guter gemeinsamer Ansatz – Herr Link, Sie haben unter anderem von der Kohärenz der Ansätze gesprochen – im Zusammenhang mit der Entwicklungspolitik gefahren wird. Ich habe auch erlebt, dass unsere Hilfsorganisationen und die GIZ dankbar dafür sind, dass gerade die Mission MINUSMA, die der Zivilbevölkerung Schutz bieten soll, vor Ort ist, um sie selbst in ihrer Arbeit zu schützen. Das alles gehört zusammen. Lassen Sie mich Folgendes ins Zentrum meiner Ausführungen stellen: Wir werden nicht umhinkommen, uns die Frage zu stellen, ob wir in der europäischen Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik nicht zu Mehrheitsentscheidungen kommen müssen. Ich bin überzeugt, dass wir das müssen. Ich glaube, dass viele Kolleginnen und Kollegen diese Überzeugung teilen. Ich glaube auch, dass das ein Schritt ist, der sehr viel Mut erforderlich macht, Mut deswegen, weil ein Bekenntnis zur Europäischen Union ausdrücklich beinhalten muss, dass man bereit ist, Souveränität abzugeben oder sich jedenfalls Mehrheitsentscheidungen in der Europäischen Union zu stellen. Das halte ich für wichtig. Wenn wir im Bereich der Sicherheitspolitik zusammen mehr machen wollen, dann müssen wir unser Parlament anders einbeziehen. Ich glaube, wir müssen Krisen sehr viel stärker vorher erkennen. Ich denke, dass sich Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedenen europäischen Parlamenten enger austauschen müssen, um gemeinsam in einer Synopse die Krisenherde, die auf dieser Welt existieren, zusammenzutragen und um für den Vorlauf möglicher notwendiger Einsätze die Kenntnis über die Krisenherde zu vertiefen, sodass eine parlamentarische Befassung, wenn etwa ein Einsatz hier im Deutschen Bundestag beschlossen werden muss, qualifiziert möglich ist. Das ist eine Qualifikation unseres Parlaments, die wir im Austausch mit unseren europäischen Kollegen brauchen. Wir sollten andere wichtige europapolitische Themen aber keinesfalls vergessen. Unsere Beziehung zur Türkei muss auf neue Füße gestellt werden. Wir müssen den europäischen Klimaschutz auch im Interesse eines fairen Wettbewerbs innerhalb der EU voranbringen, und zwar über den Zertifikatehandel hinaus. Vielleicht beziehen wir den Wärme- und Verkehrssektor mit ein. Das sind ganz zentrale europäische Themen, vor deren Behandlung wir uns nicht drücken dürfen und mit denen wir umgehen müssen, übrigens auch im Lichte der jetzt anstehenden Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union. Und nachdem dort das Geld auch nicht auf Bäumen wächst und wir mit dem Austritt Großbritanniens weniger Mittel zur Verfügung haben, aber gleichzeitig mehr leisten wollen, werden das sehr ernste Diskussionen sein. Ich finde, wir sollten sie sehr ernsthaft und seriös hier im Deutschen Bundestag führen. Danke. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Der letzte Redner zu diesem Einzelplan ist der Kollege Frank Heinrich, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Haushaltsrecht ist das Königsrecht des Parlaments – ich bin wahrscheinlich nicht der Erste, der das heute sagt –, ({0}) und da zeigen wir auch unsere wahren Prioritäten. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen für ihre Arbeit am Haushaltsplan für 2019 in dieser Form und in diesem Umfang als jemand, der im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe sitzt. Humanitäre Hilfe – so heißt es im Einzelplan 05 – gehört zum politischen Selbstverständnis der Bundesregierung und der steigenden außenpolitischen Verantwortung Deutschlands in der Welt. Diese Formulierung und das einhergehende Engagement begrüße ich, begrüßen wir sehr. Es formuliert deutlich, wie selbstverständlich humanitäre Hilfe und Solidarität für uns sein sollten und auch – und das stellt dieser Einzelplan auch dar – ist. Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen … Auch diesem Gedanken kommen wir nach. Ich freue mich, dass ein so reiches Industrieland wie unseres seine Verantwortung in der Welt weiterhin in dieser Form annimmt. Ein Begriff, den ich nicht in aller Tiefe mag, ist der immer wieder genannte Begriff „Fluchtursachenbekämpfung“. Wir hören hier bei uns in Deutschland Nachrichten über Menschen, die in ihrer Heimat unfassbare Not und unfassbares Leid erleben und sich auf den Weg machen, auf die Suche nach einem besseren Leben. Diese Menschen vor Ort, in ihrer Heimat zu unterstützen und ihnen ein Leben in Würde zu ermöglichen, ist ein positiver Beitrag der deutschen humanitären Hilfe. ({1}) Besonders Nachrichten aus Syrien, dem Jemen, aus Südsudan, der Zentralafrikanischen Republik, um nur einige zu nennen, lassen die Forderung nach dieser humanitären Hilfe noch klarer und deutlicher werden. Meine Kollegin Gyde Jensen und ich waren vor wenigen Tagen in Syrien, im Libanon und in Jordanien in Flüchtlingslagern. Wir haben hauptsächlich zwei Dinge aufgenommen: Das eine ist, wie konkret auch von UN-Organisationen, dem World Food Programme in dem Fall, Geld mit einem tollen Wirkungsgrad an Mann und Frau, an Flüchtlinge, Internally Displaced Persons, weitergereicht wird, wie mit unserem Geld weitergearbeitet wird, wie damit Gutes erreicht wird. Die zweite Botschaft ist, dass bis jetzt nur UN-Organisationen dort arbeiten können, weil die Lage so kritisch ist. Wir und viele NGOs wünschen uns, dass wir auch unseren Umsetzungsorganisationen wieder leichter Geld in die Hand drücken können. David Beasley, der Chef des World Food Programmes, hat vor wenigen Tagen im Weltsicherheitsrat gesprochen. Seine Einleitung war: Ich weiß, dass dieses Hohe Haus auch angemessene Worte braucht. Aber ich kann Ihnen nicht garantieren, dass ich sie heute finden werde. – Er war gerade aus dem Jemen zurück. Er sagte, dass er zwei Tage vorher ein acht Monate altes Baby in der Hand gehalten habe, und am Tag seiner Rede habe er erfahren, dass es am Tag zuvor gestorben ist. Die Katastrophalität der Lage in so vielen Regionen, die Unmenschlichkeit in manchen dieser Herausforderungen ist nicht nur in netten Worten zu beschreiben. Diese Herausforderung können wir aber nicht allein bewältigen. Seit vielen Jahren schätzen wir ebendiese Zusammenarbeit mit den Partnern – das sind die, denen wir unser Geld in die Hand geben –: Vereinte Nationen, Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung, die zahlreichen Nichtregierungsorganisationen. Oberstes Ziel ist es, den Menschen in Not, den Notleidenden ein Überleben zu ermöglichen, und das bestmöglich in Würde. Noch nie zuvor – das haben mehrere Vorredner gesagt – hat Deutschland solche Summen für die humanitäre Hilfe in die Hand genommen. Wir waren uns aber auch noch nie zuvor dieser Verantwortung so bewusst wie jetzt. Wir haben uns letztes Jahr tatsächlich zum zweitgrößten bilateralen Geber weltweit entwickelt. Im Vergleich zu den Jahren 2010 bis 2013 haben wir unsere Ausgaben verdreifacht. Auch die Mittel für Maßnahmen zur Förderung von Menschenrechten sind um 500 000 Euro gestiegen, was mich wirklich freut. Mit Geld allein lässt sich in dem Bereich aber nicht unbedingt etwas machen; bei humanitärer Hilfe sehr wohl. Deshalb zum Abschluss ein Plädoyer für Qualität und Priorisierung. Schauen Sie als Auswärtiges Amt bitte vor Ort gut hin. In Ägypten ist vor wenigen Wochen eine junge Frau, Amal Fateh, verhaftet worden, weil sie ein YouTube-Video in einem internen Kreis eingestellt hat. Dort hat sie geklagt gegen sexuelle Übergriffe gegen sich. Sie ist vielleicht im Tonfall ein wenig übers Ziel hinausgegangen. Der Staat hat sie eingebuchtet und inzwischen unter Terrorverdacht gestellt. Eigentlich hätte die Klage von ihr ausgehen und gegen andere gerichtet sein müssen. Mit großer Selbstverständlichkeit findet in diesem und in anderen Ländern eine Einengung statt: Shrinking Spaces. Unterstützen Sie die Menschenrechtsverteidiger vor Ort zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit. Handeln Sie nach der Maxime einer menschenrechtsbasierten und werteorientierten Außenpolitik – je länger, je ernster. Sie haben in Ihrer Rede ja angekündigt, Herr Maas, dass das unsere Priorität ist. Neben den vielen tollen Projekten und den Botschafterinnen und Botschaftern sollten Sie noch mehr Wert auf klare Kante legen, wenn rote Linien übertreten werden. Machen Sie noch mehr aus dem, was Sie schon in der Hand haben! Sie haben es tatsächlich in der Hand, uns entweder stolz zu machen, dass unsere Werte dort verteidigt werden, oder unsere Werte in der Ferne zu verraten, vielleicht durch Wegschauen, wenn unsere Werte verdreht, weggesperrt oder verraten werden. Danke für die bisherige Arbeit, wie zum Beispiel im Fall von Asia Bibi. Kümmern Sie sich um weitere Fälle wie Amal Fateh! Weiter so! Und machen Sie es – je länger, desto besser – im Sinne der für uns manchmal so selbstverständlich erscheinenden Menschenrechte. Danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Heinrich. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05 – Auswärtiges Amt – in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU und SPD. Wer stimmt dagegen? – Das ist die gesamte Opposition. Enthaltungen? – Keine. Damit ist der Einzelplan 05 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.

Martin Hohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003152, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Verteidigungshaushalt umfasst einen guten Teil dessen, was Deutschland aufwendet, um seine äußere Sicherheit zu gewährleisten. Defizite zwischen Sein und Sollen waren Jahrzehnte kennzeichnend. Deutsche Verantwortliche wähnten sich lange im Reich des ewigen Friedens angekommen. So war die Bundeswehr der unfreiwillige Spender für Begehrlichkeiten anderer. Wir müssen jedoch endlich die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands wiederherstellen. ({0}) Jeder souveräne Staat muss seinen angemessenen Beitrag zu seiner eigenen Sicherheit und zur Sicherheit Europas leisten. Deshalb muss jedes Land, muss auch Deutschland seinen NATO-Bündniszusagen von 2014 nachkommen und 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben. Versprochen ist versprochen. ({1}) Die Bundesregierung ist heute jedoch unwillig, Frankreich ist finanziell erschöpft. Präsident Emmanuel Macron fordert eine „wahre europäische Armee“. Warum? Präsident Macron sagte, ohne diese EU-Armee könnten sich die Europäer nicht verteidigen gegen jene autoritären Mächte, die an den Grenzen Europas stehen und aufrüsten. Er fügte hinzu: „mit Blick auf China, auf Russland und sogar auf die USA“. Wer unterstützt ihn dabei? Die deutsche Kanzlerin. Angela Merkel springt ihm bei – ich zitiere Frau Merkel –: Eine gemeinsame europäische Armee würde der Welt zeigen, dass es zwischen den europäischen Ländern nie wieder Krieg gibt. Dem schließt sich die SPD fast wortgleich an. Brauchen wir eine europäische Armee, um Kriege untereinander zu vermeiden? ({2}) Diese Aussage hat mich nun wirklich überrascht. ({3}) Nein, eine europäische Armee ist absolut überflüssig, da wir bereits Mitglied in einem jahrzehntelang funktionierenden Verteidigungsbündnis sind: in der NATO. Auch wenn uns nicht alles gefallen kann, was die USA derzeit für richtig erachten, um ihre Interessen und Ziele zu verfolgen: Die USA sind nun einmal Führungsmacht und der strategische Partner des Westens, auch und gerade für die Sicherheit Europas. Es stellen sich Fragen: Wie soll eine europäische Armee je zustande kommen, wenn sich die Mitgliedsländer nicht einmal über eine gemeinsame Außenpolitik einigen können? Gemischte Verbände, wie die Deutsch-Französische Brigade, haben praktische und rechtliche Probleme mehr als deutlich werden lassen. Soll eine wahre europäische Armee nun von der Europäischen Kommission direkt angeheuert werden? Jean-Claude Juncker als Oberbefehlshaber? ({4}) Wollen wir das unter Aufgabe deutscher Souveränität und Verantwortung? Nein, danke. ({5}) Warum diskutiert Europa die Schaffung einer echten gemeinsamen Armee, wenn es doch den bewährten, aber unterfinanzierten gemeinsamen Verbund der NATO gibt? Die Frau Bundeskanzlerin sprach in diesem Zusammenhang von einer „Vision, an der Europa arbeiten“ solle. Die „Neue Zürcher Zeitung“ nannte dies „das grosse Ablenkungsmanöver“ und eine „Fata Morgana“. Statt solcher Ablenkungsmanöver sollte die Bundesregierung die schlimmen Defizite beheben, die die Bundeswehr durch Jahrzehnte der Unterfinanzierung belasten. ({6}) Die AfD hat im laufenden Haushaltsverfahren die richtigen Anträge dazu gestellt und zielführende Hinweise gegeben. Die Ausrüstungssituation der Bundeswehr ist nach wie vor in einem kritischen Zustand. Die Einsatzbereitschaft und der Klarstand der wichtigsten Waffensysteme verzeichnen ein – leider, muss man sagen – Rekordtief. Seit 15 Jahren wurde die Bundeswehr in mehreren Schritten auf Auslandseinsätze zugeschnitten. Die Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung wurde dagegen radikal abgebaut. Die Bundeswehr hat insofern einen gewaltigen Nachhol- und Modernisierungsbedarf. Die von der AfD geforderten Erhöhungen betreffen unter anderem den Materialerhalt von Flugzeugen und flugtechnischem Gerät, die Beschaffung von Fernmeldematerial und Munition. Darüber hinaus forderte die AfD auch die Aufnahme von Projekten, die für den dringenden Fähigkeitserhalt notwendig sind. Als Beispiele nenne ich den schweren Transporthubschrauber – STH – und ein neues Sturmgewehr. Beim schweren Transporthubschrauber ist die Bundesregierung dieser Notwendigkeit im letzten Moment gefolgt, wofür wir durchaus dankbar sind. Insgesamt verbleiben aber zu viele Defizite. Daher muss die AfD-Fraktion den Haushalt ablehnen. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Dr. Reinhard Brandl. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute ist mal wieder ein guter Tag für die Bundeswehr. Wir kommen nämlich unserem großen Ziel, gut ausgerüstete und personell gut aufgestellte Streitkräfte in Deutschland zu haben, einen großen Schritt näher. ({0}) Ich will drei Bereiche nennen, die uns als Parlament und vor allem uns als Koalition in den Haushaltsverhandlungen besonders wichtig waren: Der erste Bereich ist das Personal. Uns ist es schon lange ein Dorn im Auge, dass wir bei Truppenbesuchen immer wieder von Fällen hören, in denen ein Soldat oberhalb seines eigentlichen Dienstgrades eingesetzt wird, alle Voraussetzungen für die Beförderung erfüllt, aber nicht befördert werden kann, weil die entsprechende Haushaltsstelle nicht vorhanden ist. Wir haben deswegen im Personalhaushalt umgeschichtet und über 1 000 höherwertige Stellen ausgebracht. Wir wollen dieses Problem zumindest lindern und werden das in Zukunft auch entsprechend beobachten, um unseren Soldaten auch eine adäquate Bezahlung für ihren wichtigen Dienst zu gewährleisten. ({1}) Der zweite Bereich ist das Material. Wir haben das Problem, dass wir einen langen Stau an dringend notwendigen Beschaffungsvorhaben vor uns haben, während das Geld dafür trotz eines Mittelaufwuchses nicht reicht. Wir konnten das Problem in diesem Haushalt nicht vollständig lösen. Uns ist es aber gelungen, zumindest für vier wichtige Schlüsselprojekte, nämlich den schweren Transporthubschrauber, das taktische Luftverteidigungssystem, das Mehrzweckkampfschiff 180 und die neuen U-Boote, den Weg im Haushalt freizumachen und sie auf den Weg zu bringen, sodass mit ihnen begonnen werden kann und sie der Bundeswehr so bald als möglich zur Verfügung stehen. ({2}) Der dritte Bereich, der uns wichtig war, war der Bereich der Reserve. Wir haben nämlich Gott sei Dank eine hohe Nachfrage von Reservisten, die in der Bundeswehr Dienst leisten wollen. Wir haben in der Bundeswehr einen wachsenden Bedarf an Reservistendienstleistungen. Meine Damen und Herren, wir wollten in diesem Haushalt ein Zeichen setzen. Wir haben die Veranschlagungsstärke der Reservisten erhöht und wollen damit allen Reservisten sagen: Wenn sie in ihrer Freizeit freiwillig einen Dienst für unser Land leisten wollen, dann soll dies nicht am Haushalt scheitern. ({3}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Frau Ministerin, Sie können mit dem Haushalt zufrieden sein. Es kann sein, dass Sie im Laufe der Debatte, wenn Sie einige Redner der Opposition hören, den Eindruck bekommen, die wollten Sie loswerden. ({4}) Meine Damen und Herren, ich will Sie nicht loswerden, Frau Ministerin. Ich will, dass Sie Ihre Arbeit weiterführen. ({5}) Aber sollten Sie trotzdem irgendwann mal Ihr Amt verlassen, dann können Sie sicher sein, dass Sie als diejenige Ministerin in die Geschichte der Bundeswehr eingehen, die die Trendwende geschafft hat. ({6}) 25 Jahre lang ist die Bundeswehr geschrumpft. Jetzt wächst sie wieder. 2015 lag der Haushalt bei 33 Milliarden Euro. Jetzt sind wir bei 43 Milliarden Euro. Das ist mit auch Ihr Verdienst, Frau Ministerin. ({7}) Schauen wir uns den Haushalt einmal genauer an. Ich nehme jetzt nur den wichtigen Bereich der Rüstung heraus. Wenn ich zusammenzähle, was wir für Materialerhalt, Beschaffung, Forschung und Entwicklung 2015 ausgegeben haben, dann waren das ungefähr 7,8 Milliarden Euro. Wir liegen heute in diesem Bereich bei fast 13 Milliarden Euro. Das ist eine Steigerung von gut 60 Prozent innerhalb von vier Jahren. Die Mitarbeiter haben diesen Aufwuchs bewältigt, obwohl sie in diesem Zeitraum kaum Personal dazugewonnen haben. Eines ist natürlich klar: Der Haushalt wird gleich – ein paar Minuten haben wir noch – durch Handheben beschlossen. Aber bis ein Mitarbeiter eingestellt und ausgebildet ist, dauert es Jahre. Die Mitarbeiter, die in den vergangenen Jahren eingestellt worden sind, laufen der Bundeswehr erst in den nächsten Jahren zu bzw. sind erst dann richtig einsatzbereit. Dass unsere derzeitigen Mitarbeiter diese Aufgabe geschafft haben, ist eine Wahnsinnsleistung. Dafür zollen wir ihnen unseren großen Respekt und unsere Anerkennung. Aber sie sind jetzt an ihrer Belastungsgrenze. Die Aufgabe für die nächsten Wochen und Monate ist, insbesondere den Bereich der Beschaffungsorganisation organisatorisch und personell zu verstärken. Personell haben wir in den letzten Jahren schon Grundlagen gelegt, organisatorisch haben wir noch einiges zu tun. Vereinfacht gesagt: Es ist heute so, dass wir den Bleistift mit der gleichen Organisationsform und mit den gleichen Prozessen beschaffen wie das Kriegsschiff. Meine Damen und Herren, wir haben heute für die Beschaffung eine ganz klassische Behördenstruktur. Diese Behördenstruktur eignet sich mit ihren festen Prozessen hervorragend für wiederkehrende Aufgaben. Da gibt es auch im Beschaffungsbereich eine ganze Menge von Prozessen, die sich wiederholen. Diese Strukturen eignen sich aber weniger für Großprojekte, in denen sich die Aufgaben im Laufe des Projekts immer wieder verändern. Ich habe als Beispiel gerade das Schiff genannt. Dafür brauchen Sie am Anfang die Soldaten, die die Anforderungen beschreiben. Dann brauchen Sie im nächsten Schritt Techniker, die daraus eine Spezifikation machen. Dann brauchen Sie Juristen, die einen Vertrag verhandeln. Dann brauchen Sie wieder Techniker, die die Produktion überwachen. Dann brauchen Sie Infrastrukturspezialisten, die die Hafenanlagen bauen. Zum Schluss brauchen Sie wieder Soldaten, die andere ausbilden und einführen. Diese Flexibilität bietet unsere jetzige Beschaffungsorganisation nicht. Die Aufgabe für Sie, Frau Ministerin, ist, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten eine Organisationsform bekommen, ({8}) die nicht Privatisierung heißt – die Bundeswehr wäre ja dumm, auf ihr größtes Pfund, nämlich die Sicherheit des Beamtentums, zu verzichten –, die auch den Einsatz von externen Personen reduziert, aber dennoch die Flexibilität bietet, um diesen Aufgaben und diesen Herausforderungen gerecht zu werden. Frau Ministerin, ich vertraue auf Sie. Sie haben uns als CDU/CSU an Ihrer Seite. Sie haben die Trendwenden geschafft. Die Bundeswehr wird von Tag zu Tag besser, attraktiver, besser ausgerüstet, einsatzbereiter. Diesen Weg wollen wir in den nächsten Jahren mit Ihnen gemeinsam weitergehen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Karsten Klein für die Fraktion der FDP. ({0})

Karsten Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004780, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, mit Blick auf die Ausstattung der Bundeswehr kann man mit Fug und Recht sagen, dass wir vor einer ähnlichen Herkulesaufgabe stehen wie bei der Wiederbewaffnung, egal ob es um den Ersatz von aktuellem Gerät geht oder, gerade auch im Hinblick auf neue Waffensysteme, um Waffensysteme des 21. Jahrhunderts oder im Cyberbereich. Sowohl das Weißbuch als auch das Fähigkeitsprofil des Ministeriums beschreiben diese Situation. Für diesen Prozess hat die Bundeswehr auch die volle Unterstützung der Freien Demokraten; denn es ist ein wichtiger Baustein, wenn es um den Erhalt und die Verteidigung unserer Freiheit und unseres Friedens geht. ({0}) Diese Diskussion jedoch, Frau Ministerin, vernebeln Sie mit einer Debatte um Prozentziele. Sie und die Frau Bundeskanzlerin haben unseren Partnern versprochen, unsere Verteidigungsausgaben von aktuell 1,24 Prozent gemessen an der Wirtschaftsleistung auf 1,5 Prozent zu erhöhen. Aber gerade weil diese Zusage keine rechtliche Bindung hat, gerade weil Frau Angela Merkel eine Kanzlerin auf Abruf ist, ({1}) gerade weil wir keine Präsidialdemokratie, sondern eine parlamentarische Demokratie sind und gerade weil die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, sollte Ihrer Absichtserklärung endlich politisches Handeln folgen. Das bedeutet: eine Legitimierung durch den Deutschen Bundestag. Aber diese Legitimierung findet nicht statt. Ihr Haushaltsentwurf und Ihre Planungen sind meilenweit vom 1,5-Prozent-Ziel entfernt: in den entscheidenden Jahren über 10 Milliarden Euro. Der Wert fällt sogar am Ende des Planungshorizonts unter den von 2018 mit 1,24 Prozent. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, daran ist auch durch die Anpassung im Haushaltsverfahren, die der Kollege Brandl gerade beschrieben hat, nichts geändert worden. Zwar haben Sie jetzt noch wichtige Projekte angeschoben, ({3}) wie den schweren Transporthubschrauber, aber, Herr Kollege Brandl, die Verpflichtungen in den nächsten Jahren finanzieren Sie zu fast 30 Prozent nicht aus Steuermitteln bzw. aus ordentlichen Haushaltsmitteln, sondern mit einer neuen globalen Minderausgabe. Das ist nichts anderes, Frau Ministerin, als viele Projekte ins Schaufenster zu stellen, wohl wissend, dass einige von diesen Projekten überhaupt nicht umgesetzt werden. Das ist Schaufensterpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Ein anderes Thema, Frau Ministerin, hätten Sie wahrscheinlich lieber nicht so gerne im Schaufenster, nämlich die Frage, wie Ihr Ministerium mit Vergaberecht gerade im Hinblick auf die Beauftragung externer Berater umgeht. Wir möchten Sie an dieser Stelle noch einmal klipp und klar auffordern: Machen Sie endlich klar Schiff! Beenden Sie Ihre Salamitaktik! In jeder Sitzung haben Sie und Ihre Staatssekretäre nur das eingeräumt, was sowieso schon öffentlich bekannt war. Eigene Aufklärungsarbeit: Fehlanzeige! ({5}) Wir Freien Demokraten wollen noch einmal festhalten: Der Bundesrechnungshof – Ihr Ministerium hat es ja auch eingestanden – hat Verstöße gegen das Vergaberecht festgestellt. Das sind Pflichtverletzungen. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie endlich aus diesen Pflichtverletzungen Konsequenzen ziehen, dass Sie Verantwortlichkeiten benennen und dass Sie uns auch endlich erklären, wie es zu diesen Pflichtverletzungen kommen konnte. Das Ministerium, Frau Ministerin, hat mit seinem Verhalten fortlaufenden Vermögensschaden zumindest billigend in Kauf genommen. Damit muss endlich Schluss sein, Frau Ministerin. ({6}) Wir raten Ihnen aber auch, zentrale Fragen dringend zu klären. Die zwei zentralen Fragen, die ich hier wiederholen will, sind: Wie konnte es zu diesen zigfachen Verstößen kommen? Und: Wie konnte es passieren, dass das Ministerium die Berater nicht direkt beauftragt hat, sondern dass die Aufträge über hundertprozentige Töchter durchgeleitet worden sind, und wie kam es – noch schlimmer – zur Zweckentfremdung von Rahmenverträgen, indem die Unternehmen, die die Rahmenverträge eigentlich ausfüllen sollten, die Aufträge wiederum nur weitergeleitet haben? Das hat der Bundesrechnungshof vergaberechtlich zu Recht kritisiert und auch gerügt. Es muss aber auch die Frage gestellt werden, Frau Ministerin, inwieweit die Compliance-Regeln, die Sie selber im Ministerium neu eingeführt haben, eingehalten worden sind. ({7}) Frau Ministerin, Sie haben jetzt Zeit, in zwei Sondersitzungen des Verteidigungsausschusses Klarheit zu schaffen. Lassen Sie diese letzte Chance nicht ungenutzt an sich vorübergehen; denn sonst wird ein Untersuchungsausschuss unausweichlich sein. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Ministerin, wir werden das heute – Herr Brandl hat das schon erwähnt – nicht verhindern: Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sowie der Deutsche Bundestag werden Ihnen 43,23 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Wir erwarten aber, dass Sie diese Mittel rechtskonform ausgeben und dass die Bundeswehr dann endlich auf dem Weg der Einsatzfähigkeit einen entscheidenden Schritt vorankommt. Das ist Ihre Verantwortlichkeit, Frau Ministerin. Vielen Dank. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dennis Rohde für die SPD. ({0})

Dennis Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist jetzt die vierte Debatte in diesem Jahr über den Einzelplan 14, den Einzelplan des Bundesministeriums der Verteidigung. Der Kollege Klein hat gerade viel Redezeit darauf verwendet, über das Thema Beraterverträge zu reden. Dieses Thema hat uns als Haushälter, aber auch die Verteidigungspolitiker in den letzten Wochen intensiv beschäftigt. Dieses Thema wird uns in dieser Woche wieder in Sondersitzungen beschäftigen. Dazu gab es in der letzten Plenardebatte eine Aktuelle Stunde. Deshalb möchte ich nur die Eckpunkte meiner Fraktion zu diesem Thema nennen. Wir differenzieren zwischen zwei Fragestellungen, um die es geht. Zum einen geht es um die juristische Frage. Wurde mit Vorsatz, wurde wissentlich und willentlich von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Vergaberecht gebrochen? Das ist die Frage, die nun im Mittelpunkt des Aufklärungsinteresses stehen sollte und in Ihrem Hause auch im Mittelpunkt steht. Das ist die eine Frage, über die wir diskutieren, mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen: Warum konnte das passieren? Wie schaffen wir es eigentlich, solche Vergaberechtsverstöße in Zukunft zu verhindern? Ich sage für meine Fraktion gerade mit Blick auf die Truppe und diejenigen, die sich penibel an Recht und Gesetz halten müssen und das auch tun: Sämtlicher Anschein muss an dieser Stelle am Ende ausgeräumt sein. ({0}) Neben der juristischen Frage gibt es zum anderen eine politische Debatte, die – auch aufgrund der Bundesrechnungshofberichte – aufgekommen ist. Bisher mussten aufgrund der Beschlusslage des Haushaltsausschusses nur diejenigen Verträge gemeldet werden, die eine Beratertätigkeit zum Gegenstand hatten, nicht aber der volle Einsatz externer Dritter. Die Definition des Haushaltsausschusses ist dabei so eng, dass im Jahr 2016 Beraterdienstleistungen, wenn ich die Zahlen des Rechnungshofberichts als Grundlage nehme, im Wert von 2,9 Millionen Euro in Anspruch genommen wurden. Allerdings wurden in der Gesamtheit Leistungen externer Dritter im Wert von 150 Millionen Euro in Anspruch genommen. Die politische Debatte, die sich daraus ergibt, ist: In welchem Umfang wollen wir eigentlich den Einsatz externer Dritter – die Ersetzung von Beamten in hoheitlichen Aufgaben – hinnehmen? Die Position meiner Partei ist deutlich und klar. Wir wollen die Mitarbeiterstruktur stärken. Wir sind der Meinung, dass Externe immer nur die absolute Ausnahme und nicht fester Bestandteil des Systems sein dürfen. ({1}) Ich möchte an dieser Stelle eines deutlich machen. Wir reden – auch in den letzten Tagen – viel über unser Beschaffungsamt, das BAAINBw. Wir reden immer auch über das Beschaffungsamt, wenn Dinge nicht funktionieren. Wenn Schiffe nicht schwimmen, wenn Panzer nicht rollen, wenn Flugzeuge nicht fliegen, wenn keine Ersatzteile vorhanden sind, dann reden wir zumindest implizit immer auch über das BAAINBw. Wenn wir über das BAAINBw reden, reden wir natürlich auch über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort. An dieser Stelle muss man – der Kollege Brandl hat das gerade gemacht – eines deutlich hervorheben: Das Problem sind nicht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BAAINBw. Sie sind Teil der Lösung. ({2}) Die Mitarbeiter, die dort beschäftigt sind, leisten unter den ihnen gegebenen Umständen eine hervorragende Arbeit. Sie geraten dabei nur an faktische Grenzen. Über diese Grenzen müssen wir diskutieren. Da geht es um das, worüber wir in dieser Debatte immer reden, nämlich um die Mitarbeiterausstattung, um die Frage, wie wir es endlich schaffen können, die freien Dienstposten, die es dort gibt, zu besetzen. Wir reden dabei auch über Probleme im Vergaberecht, bei dem wir wesentlich restriktiver sind als andere europäische Länder und die Möglichkeiten, die uns die europäischen Regelungen bieten, nicht nutzen. Wir reden darüber, dass es nur bedingt möglich ist, Vertragsstrafen auszusprechen, was dann schon mit einkalkuliert wird, und dass uns auf der anderen Seite hochspezialisierte Kanzleien gegenüberstehen. Deshalb, finde ich, müssen wir, wenn wir über Problemlösungen reden, darüber reden, wie wir die Behörde BAAINBw stärken können, etwa indem wir uns zum Beispiel über die Probleme im Vergaberecht unterhalten und diese Probleme angehen. Als Haushaltsausschuss haben wir ganz konkret beschlossen, dass der Überwasserschiffbau Schlüsseltechnologie werden soll, um auch dort das Vergabeverfahren zu vereinfachen. Ich finde, man muss darüber diskutieren, ob das BAAINBw wieder Einstellungsbehörde werden kann und selbst um Personal werben kann. Ich finde, man muss darüber diskutieren, ob es wirklich sinnvoll ist, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit nautischem Hintergrund in Koblenz zu suchen, oder ob es nicht eher darum gehen muss, das Marinearsenal zu stärken oder ein zusätzliches Marinearsenal aufzubauen; denn Mitarbeiter, die eine Affinität zur Küste haben, findet man eher an der Küste. Wir müssen zum Beispiel darüber diskutieren, ob man nicht kleine und mittlere Unternehmen bei Ausschreibungen wesentlich besser berücksichtigen kann. Ich will daher zusammenfassen: Das Problem sind ausdrücklich nicht die Mitarbeiter, es sind die Rahmenbedingungen, und die Rahmenbedingungen zu verändern, das ist unsere Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Es geht in dieser Debatte nicht um die Rechtsform. Wenn wir über die Reform des BAAINBw sprechen, kommt immer wieder die Frage, wie wir das BAAINBw denn rechtlich in Zukunft aufstellen wollen. Ich habe es sehr begrüßt, dass der Kollege Wadephul in der letzten Debatte deutlich gemacht hat, dass die Union keine Privatisierung will. Auch wir wollen keine Privatisierung. Ich glaube, das ist ein wichtiges Signal dieser Koalition an die Beschäftigten in Koblenz, etwas, was ihnen wahrscheinlich einen großen Teil der Sorgen nehmen wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Ja, der Haushalt 2019, er wächst auf. Er wächst auch deswegen auf, weil wir als Parlament eine Verantwortung gegenüber einer Parlamentsarmee haben, nämlich die Verantwortung, die Soldatinnen und Soldaten, die die Aufgaben erfüllen, die wir ihnen übertragen, so auszustatten, dass sie die ihnen übertragenen Aufgaben auch ausführen können. Da gibt es Defizite, um die man nicht herumreden muss, Defizite, die immer wieder zutage treten. Nehmen wir zum Beispiel die VJTF, die nur deswegen überhaupt arbeitsfähig ist, weil wir das Material aus der ganzen Truppe zusammenholen. Ich finde, das ist ein unhaltbarer Zustand, ein Zustand, an den wir zur Aufstellung der nächsten VJTF unbedingt ranmüssen, den wir nicht tolerieren können. Es gibt Lücken der letzten Jahre. Es gibt Lücken, die sich aus der Friedensdividende ergeben haben. Wir halten nicht mehr die Ersatzteile vor, die wir vorhalten müssen. Wir haben Defizite in der Instandsetzung. Es gibt Herausforderungen, die Geld kosten. Auch das ist einer der Gründe, warum dieser Haushalt so aufwächst. Er wächst so auf, wie wir Sozialdemokraten es gesagt haben, nämlich orientiert an konkreten Projekten und nicht orientiert an irgendwelchen NATO-Quoten. Wir haben konkrete Projekte definiert, zum Beispiel den schweren Transporthubschrauber, dessen Notwendigkeit, glaube ich, keiner ernsthaft infrage stellen kann und der übrigens nicht nur für Auslandseinsätze genutzt wird und genutzt wurde, sondern auch oftmals bei humanitären Katastrophen zum Einsatz kam. Wir diskutieren über zukünftige Bedarfe, weil wir nicht warten wollen, bis Obsoleszenzen eingetreten sind. Dieser Haushalt ist ein klares Bekenntnis zum Mehrzweckkampfschiff 180, weil wir nicht warten wollen, bis die momentan vorhandenen Fregattenklassen obsoleszent sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, der Haushalt wächst auf, aber 19 Milliarden Euro dieses Haushalts sind Personalkosten, 5 Milliarden Euro dieses Haushalts sind für die Unterbringung der Soldatinnen und Soldaten vorgesehen. Ich glaube, mit dem restlichen Geld, gerade im Rüstungsbereich, gehen wir wichtige konkrete Projekte an, die keine Aufschiebung erfahren dürfen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächstes spricht Dr. Gesine Lötzsch für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! CDU/CSU und SPD wollen der Bundeswehr im kommenden Jahr 4,4 Milliarden Euro mehr zukommen lassen als 2018. Wir finden das absurd. ({0}) Ich gebe Ihnen mal eine Vergleichszahl: Nach Schätzungen des Kinderschutzbundes sind in unserem Land 4,4 Millionen Kinder arm. Stellen Sie sich bitte doch nur einen Augenblick vor: Der Bundestag gibt diese 4,4 Milliarden Euro nicht der Bundeswehr, sondern den in Armut lebenden Kindern. 1 000 Euro für jedes Kind! Damit könnten wir so viel Sinnvolles tun. ({1}) Doch Sie investieren die Steuergelder lieber in todbringende Waffen, und das finden wir unverantwortlich. ({2}) Meine Damen und Herren, die Regierung folgt weiter blind dem US-Präsidenten Trump mit seinem Aufrüstungskurs, und das ist verhängnisvoll. Schon jetzt ist der Militärhaushalt mit 42,9 Milliarden Euro der zweitgrößte Posten im Bundeshaushalt. Nach NATO-Kriterien geben Sie sogar 5,8 Milliarden Euro mehr aus. Diese Differenz ergibt sich – das ist vielleicht gerade für die Zuschauer auf den Tribünen besonders interessant –, weil die Bundesregierung Militärausgaben auch in anderen Haushalten versteckt. In diesem Fall ist also selbst die NATO ehrlicher als die Koalition von Union und SPD, und das sollte uns doch zu denken geben. ({3}) Ich frage mich auch und frage Sie: Wo ist der Feind, der ein solches Wettrüsten herausfordert? ({4}) Trump versucht, Russland als die große globale Gefahr darzustellen. Auch Sie wissen: Das ist Unsinn. George Friedman von einem US-Thinktank schätzt ein – Zitat –: Natürlich wollen die USA einen Keil zwischen Deutschland und Russland treiben. Es ist doch eine banale Erkenntnis, dass die Vereinigten Staaten ein Problem hätten, wenn deutsche Technologie und russische Rohstoffe zueinanderfänden. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. ({5}) Ich verstehe nicht, warum Sie diese simple Strategie nicht durchschauen. Trump versucht doch mit allen Mitteln, die Europäische Union und Europa zu spalten. Und als Gegenstrategie fällt der Kanzlerin nur ein, eine europäische Armee zu fordern. Das ist ein falscher und verhängnisvoller Weg, meine Damen und Herren. ({6}) Wer auf die dramatischen Zerfallsprozesse der Europäischen Union schaut, der sieht doch, dass wir nicht zu wenig Soldaten haben. Armeen haben doch Europa nie auf Dauer zusammengehalten. Jeder, der es versucht hat, ist gescheitert. Ich sage Ihnen, Die Linke sagt Ihnen: Europa wird nur gelingen, wenn wir Steuergerechtigkeit herstellen, wenn wir auf Solidarität setzen ({7}) und nicht auf ruinöse Konkurrenz. Das ist der richtige Weg. ({8}) Natürlich, meine Damen und Herren, denkt Trump mit seinen Aufrüstungsplänen auch an US-Rüstungskonzerne, die auf neue Aufträge warten. Ich finde, wenn wir etwas ehrlicher wären, dann müssten wir Frau von der Leyen nicht „Verteidigungsministerin“ nennen, sondern „Rüstungsministerin“. ({9}) Sie will für militärische Beschaffung im nächsten Jahr 32 Prozent mehr ausgeben. Ich nenne das größenwahnsinnig. ({10}) Das hat nichts mit mehr Sicherheit zu tun. Hier werden in erster Linie die Wünsche der deutschen Rüstungsindustrie erfüllt. ({11}) Warum gibt es eigentlich niemanden in der Regierungskoalition oder auch bei der FDP, die jetzt gerade so herummurrt, der sich fragt, ob die Steuergelder bei der Bundeswehr gut angelegt sind? ({12}) Das sind sie nicht! Die Bundesregierung selbst hat auf eine Frage unserer Fraktion, der Fraktion Die Linke, geantwortet, dass Rüstungsprojekte durchschnittlich 13 Monate später fertig werden als noch vor drei Jahren. ({13}) Laut dem letzten Rüstungsbericht vom März 2018 liefert die Rüstungsindustrie 54 Monate später als vertraglich vereinbart. Im Herbst 2015 lag diese Quote bei 41 Monaten. Diese Verspätungen sind mit erheblichen Mehrkosten für die Steuerzahler verbunden, die Rüstungsindustrie wird verschont. Ich frage mich: Wie lange können wir diese Misswirtschaft mit Steuergeldern noch belohnen? Das darf nicht sein, meine Damen und Herren! ({14}) Die Auslandseinsätze der Bundeswehr sind ein besonders krasses Beispiel für die Verschwendung von Steuergeldern. Ein aktuelles Beispiel ist die Mission in Mali. Ministerin von der Leyen war kürzlich vor Ort und musste selbst feststellen, dass seit 2013 die Mission keine Ergebnisse gebracht hat. Seit fünf Jahren werden dort Steuergelder verbrannt. Allein 2017 waren das über 206 Millionen Euro – für nichts und wieder nichts. Also beenden Sie endlich auch diese Auslandsmission, meine Damen und Herren! ({15}) Die Rekordausgaben für die Bundeswehr werden unser Land nicht sicherer machen. Mehr Sicherheit gibt es nur durch zivile Konfliktlösungen, und dafür steht Die Linke. Vielen Dank. ({16})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Tobias Lindner von Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich vielleicht gerade in diesen Tagen, Frau von der Leyen, wo unser Verhältnis schon einmal ein besseres und vertrauensvolleres war, ({0}) dennoch ein Wort des Dankes an Ihr Haus und auch an die Kollegen Mitberichterstatter im Haushaltsausschuss richten. Haushaltsberatungen sind ja auch immer eine arbeitsintensive Phase. Ich möchte sowohl für den Umgang im Kollegenkreis herzlichen Dank sagen als auch Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im BMVg danken, die uns, zumindest was die Haushaltsberatungen betrifft, Berichtsbitten auskunftsfreudig immer erfüllt und fristgerecht zugeliefert haben. Das hat die Arbeit an diesem Haushalt, auch wenn wir heute zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen werden, erleichtert. Auch das soll einmal hier gesagt werden. ({1}) – So weit die Prosa. Nun zum Haushalt selbst. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, Sie haben sich einmal wieder für die Taktik „Viel hilft viel“ entschieden. Unbestritten: Die Bundeswehr steht vor großen Herausforderungen; sie hat Probleme. Aber wir Grüne sind ganz klar der Überzeugung, dass es eben nicht hilft, auf diese maroden Strukturen einfach immer mehr Geld, insgesamt 4,4 Milliarden Euro, obendrauf zu kippen, ohne an den Strukturen etwas zu verändern. Das, meine Damen und Herren, wird die Probleme der Bundeswehr nicht lösen. ({2}) Herr Kollege Brandl, Sie haben es ja selbst erwähnt: Sie haben in der Bereinigungsnacht zum Beispiel die Möglichkeit geschaffen, einen schweren Transporthubschrauber zu beschaffen. ({3}) Das ist eine Sache, die ich persönlich richtig finde. Ich habe in den letzten Monaten niemanden in der Bundeswehr getroffen, der nicht der Auffassung ist, dass man die alte CH-53 jetzt irgendwann ersetzen muss. Ich sage allen Bürgerinnen und Bürgern: Einen alten Hubschrauber, der aus dem Leim geht, durch einen neuen Hubschrauber zu ersetzen, ist noch keine Aufrüstung. ({4}) Aber die Art und Weise, wie Sie es gemacht haben, ist einfach hanebüchen, und das ist das Gegenteil von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. ({5}) Sie haben in der Bereinigungsnacht die Verpflichtungsermächtigung, also die Möglichkeit, im nächsten Jahr Verträge für die Zukunft abzuschließen, um 7,9 Milliarden Euro aufgebläht ({6}) – einfach mal so –, ohne zu wissen, wie die nächste mittelfristige Finanzplanung aussehen wird, also ob Herr Scholz und die Große Koalition – oder wer auch immer dann im Amt ist – gewillt sind, das dann auch anzupassen, Mittel bereitzustellen, oder ob es zu Verdrängungseffekten kommt. Die Frage „Wer soll das alles bezahlen?“ haben Sie einfach in die Zukunft vertagt. Denn: Sie haben nicht nur 7,9 Milliarden Euro mehr für Verpflichtungsermächtigungen für die kommenden Jahre eingestellt, sondern Sie haben auch gesagt: An anderer Stelle müssen 2,2 Milliarden Euro eingespart werden. – Wo die andere Stelle ist, wie man es machen soll, das bleiben Sie der Öffentlichkeit schuldig. Sie laden das Problem am Ende bei den Planern in der Bundeswehr ab, die sich jetzt überlegen müssen: Okay, wo nehme ich das Geld am Ende wieder weg? ({7}) Sie nennen das „Flexibilität“. Wir Grüne nennen das, was Sie hier veranstalten, Chaos, um ganz ehrlich zu sein. ({8}) Diese Große Koalition, meine Damen und Herren, sollte, ehrlich gesagt, den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land einmal reinen Wein einschenken. Im Sommer fahren Sie nach Brüssel, koalitionsintern abgestimmt, blasen da die Backen auf und sagen: Wir geben 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in 2024 an Verteidigungsausgaben aus. ({9}) Dann legen Sie uns hier eine mittelfristige Finanzplanung hin – natürlich verändert sich eine mittelfristige Finanzplanung immer, aber sie sollte doch auf dem Wissen basieren, das man heute schon hat –, die im Widerspruch zu Ihren dicken Backen in Brüssel steht. Das ist unehrlich der Öffentlichkeit gegenüber, weil Sie nur scheibchenweise irgendwie Geld drauflegen. Das ist unehrlich den Soldatinnen und Soldaten gegenüber. Am Ende ist es auch unehrlich, weil Sie die Antwort schuldig bleiben, wo Sie überhaupt das Geld hernehmen wollen. Wir Grüne sagen Ihnen: Lassen Sie diesen Quatsch bleiben. Verwenden Sie die 14 Milliarden Euro, die Sie noch drauflegen müssen, für etwas Sinnvolleres statt nur für Militär. ({10}) – Herr Kollege Hitschler, wenn Sie mehr ausgeben wollen, müssen Sie das der Öffentlichkeit gegenüber begründen. – Ich nenne Ihnen einen guten Grund, warum ich glaube, dass Mehrausgaben nicht nutzen, sondern schaden. Schauen Sie sich einmal an, was der Bundesrechnungshof zu den Haushaltsberatungen sagt: Er ist skeptisch, ob mehr Geld für Beschaffung überhaupt abfließen kann. Wie Sie es dann unterstützen können, da mehr Geld draufzulegen, müssen Sie den Bürgerinnen und Bürgern erklären. Das muss ich nicht erklären. ({11}) Wenn Sie sich einmal die Haushaltsrechnung von 2017 anschauen, sehen Sie, dass allein im Kapitel für Beschaffungen fast 900 Millionen Euro nicht ausgegeben, sondern umgeschichtet wurden. Dann muss man sich doch die Frage stellen, warum hier mehr Geld obendrauf geschüttet werden soll, meine Damen und Herren. ({12}) Das BMVg schichtet nach wie vor insgesamt 1,7 Milliarden Euro im Haushaltsvollzug um. Frau von der Leyen, ja, Sie werden hier gleich wieder sagen: Es ist im Vergleich zum Haushaltsvolumen nicht viel Geld. – Also, ich glaube, die meisten Bürgerinnen und Bürger in diesem Land finden, 1,7 Milliarden Euro sind eine ganze Menge Geld. ({13}) Wer das nicht vernünftig ausgeben kann, sondern es hin und her schichten muss, der hat im Haus ein Ausgaben- und Managementproblem. Kommen wir zu einem weiteren Punkt dieser Haushaltsberatung – er ist ja schon angeklungen –: Wir haben in diesen Haushaltsberatungen eher durch Zufall erfahren, dass Sie in Ihrem Haus ein Problem mit externen Beratungsfirmen haben. Ich kann mich noch gut an folgende Situation erinnern: Wir saßen im Stauffenberg-Saal des Verteidigungsministeriums, sind den Haushalt durchgegangen, der Tag war schon ein paar Stunden alt. Ich habe dann gedacht: Okay, fragst du doch einmal – ich habe einen Tipp bekommen –, ob da eine Prüfung des Bundesrechnungshofs läuft, betreffend den Einsatz Externer in Ihrer Cyberabteilung. Ich frage mich, ehrlich gesagt, ob wir heute wissen würden, was wir wissen, was wir hier durch Zufall erfahren haben, wenn ich diese Frage nicht gestellt hätte, wenn sich der Bundesrechnungshof nicht gemeldet hätte und gesagt hätte: Ja, da läuft etwas, und wenn wir fertig sind, bekommen Sie es zu Gesicht. ({14}) Ich frage mich, ob Sie, Frau von der Leyen, so ehrlich gewesen wären und uns freiwillig darüber informiert hätten. Herr Kollege Brandl, ich habe Ihre Liebeserklärung an die Ministerin gehört. ({15}) Frau von der Leyen, mir persönlich geht es nicht darum, Sie hier irgendwie wegzubekommen. Ich möchte Sie nicht als Person jagen. Vielmehr geht es uns Grünen um Aufklärung, um die Frage: Was ist eigentlich in Ihrem Haus passiert? Ich nenne vier Punkte: Erstens. Wir müssen uns fragen, warum Sie überhaupt den Überblick über den Einsatz Externer im Geschäftsbereich des BMVg verloren und anscheinend bis heute nicht wiedererlangt haben. In der Antwort auf unsere Kleine Anfrage, wie viele Firmen denn externe Aufträge erhalten haben, schreiben Sie – ich zitiere wörtlich –, dass „Unvollständigkeiten und etwaige Doppelungen nicht ausgeschlossen werden“ können. Sie haben bis heute keinen Überblick; Sie können nur steuern. Und wir können es politisch nur beurteilen, wenn es überhaupt einen Überblick gibt, was Beratungsfirmen in Ihrem Haus so alles treiben. Zweitens. Wir sind hier nicht in einem Vergaberechtsseminar. Es geht um weit mehr als um irgendwelche Vergaberechtsprobleme. Wenn der Bundesrechnungshof sagt, dass in der überwiegenden Anzahl der Fälle keine Hinweise vorliegen, dass überhaupt geprüft wurde, ob es notwendig ist, Berater einzusetzen, ob es wirtschaftlich ist, Berater einzusetzen, dann ist das ein absolut laxer Umgang mit Steuergeldern. ({16}) Drittens. Wir müssen eine Diskussion darüber führen, in welchem Umfang, sowohl inhaltlich als auch, was den Kostenrahmen und das Personal betrifft, Beratungen im BMVg wirklich verantwortbar sind. Es geht ja nicht darum, dass hier ab und zu ein Gutachten geschrieben wurde. Nein, Sie haben Unternehmensberatungen quasi als Zeitarbeitsfirmen eingesetzt, um offene Stellen im Beschaffungsamt mit einem Durchschnittssatz von, ich glaube, 280 000 Euro pro Jahr zu füllen. Ich halte es für keine vernünftige Strategie, offene Stellen mit solchen Durchschnittssätzen zu füllen. Eine vernünftige Strategie wäre, das Geld dafür zu verwenden, die Stellen attraktiv zu machen, und nicht, sich McKinsey, Accenture oder andere als Zeitarbeitsfirmen ins Haus zu holen. ({17}) Viertens. Wir werden der Frage nachgehen müssen, ob es zu Vetternwirtschaft gekommen ist, ob dieses System, diese Ausweitung von Beratungen dazu geführt hat, dass irgendwelche Menschen irgendwelche Freunde mit irgendwelchen lukrativen Jobs versorgt haben. Dieser Vorwurf steht im Raum, und da müssen wir schnell Licht ins Dunkel bringen, Frau Ministerin. ({18}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden gleich mit Ihrer Mehrheit diesen Haushalt beschließen. ({19}) Und dann, Frau von der Leyen, ist Ihnen wirklich das allerletzte Argument genommen, warum irgendetwas nicht läuft. Geld werden Sie en masse haben. Wenn in den kommenden zwölf Monaten Projekte nicht auf die Straße kommen, wenn es wieder Probleme gibt, dann kann es nicht an diesem Haushalt gelegen haben, dann stehen Sie in der Verantwortung; dabei wünsche ich Ihnen viel Spaß. Herzlichen Dank. ({20})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Das Wort hat die Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen. ({0})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Her Lindner, wenn Sie aus Antworten auf Kleine Anfragen zitieren, wäre ich dankbar, wenn Sie immer die ganzen Sätze zitieren. Der Grund, warum wir gesagt haben, dass wir Doppelungen nicht ausschließen können, ist die Kürze der Zeit, die Sie uns zur Beantwortung dieser Anfrage gelassen haben. Insofern wäre ich sehr dankbar, wenn Sie den ganzen Satz vorlesen. Wir sind ja im Rahmen des Bundesrechnungshofberichtes dazu verpflichtet, diese ganzen Doppelungen auszuschließen und dort die abschließenden Zahlen vorzulegen. Ich möchte mit einem doppelten Dank beginnen. Zunächst einmal möchte ich den Berichterstattern für eine gute und konstruktive Zusammenarbeit von Herzen danken. Lieber Herr Brandl, ich danke Ihnen als Hauptberichterstatter. Das ist der zweite Haushalt des BMVg, den Sie in diesem Jahr durchgebracht haben. Ich möchte auch den anderen Berichterstattern, Herrn Leutert, Herrn Rohde, Herrn Dr. Lindner, Herrn Klein und Herrn Hohmann, für eine gute und konstruktive Zusammenarbeit danken. Ich möchte den Dank aber ausdrücklich auf das ganze Haus und vor allen Dingen auf die Ausschüsse ausweiten, gerade auch im Namen unserer Bundeswehr. Meine Damen und Herren, in der Tat: Der Etat 2019 steigt auf mehr als 43 Milliarden Euro. Das sind 4,7 Milliarden Euro mehr im nächsten Jahr. Das ist ein sattes Plus von 12 Prozent. Und das sind gute Nachrichten für unsere Bundeswehr. ({0}) Es sind Nachrichten, die auch notwendig sind. Es ist richtig gesagt worden: Wir haben vor fünf Jahren die Trendwende eingeleitet. Wir kamen aus einer Zeit von 25 Jahren des Schrumpfens und des Kürzens. Das ist ein Vierteljahrhundert. Es war richtig, die Trendwende einzuleiten. Ich danke von diesem Pult aus auch noch einmal all den Beschäftigten im BMVg, all den Beschäftigten in den nachgeordneten Behörden und der Truppe für die Leistung, die sie in den letzten fünf Jahren erbracht haben. Es ist eine Herkulesaufgabe gewesen, diese Trendwende tatsächlich zu stemmen. Allein beim BAAINBw ist in der vergangenen Legislaturperiode das Volumen für Rüstungsausgaben, also das, was man bearbeiten muss, um 25-Millionen-Vorlagen auf den Weg zu bringen, im Vergleich zur Legislaturperiode davor verfünffacht worden. Das heißt, diese Mannschaft hat in den vier Jahren der letzten Legislaturperiode das Fünffache geleistet. Dafür gebühren ihr zunächst einmal unser Dank, unser Respekt und unsere Hochachtung. ({1}) Ich finde es ganz klasse, dass jetzt auch verantwortliche Politikerinnen und Politiker mit dem Ziel im Expertenrat, im BAAINBw sind, den Instrumentenkasten, also die Rahmenbedingungen, für diese Beschäftigten zu verbessern, damit sie – wir müssen ja den Turbo noch einmal anschmeißen – diese Leistung auch in dieser Legislaturperiode bringen können. In der Tat: Seit fünf Jahren wächst der Haushalt. Es ist Aufgabe der Opposition, Herr Klein, zu kritisieren, dass die mittelfristige Finanzplanung das noch nicht abbildet. Ich habe in den 13 Jahren, die ich jetzt Bundesministerin bin, noch nie erlebt, dass die mittelfristige Finanzplanung schon abbildete, was dann die Zukunft tatsächlich brachte. Sie blieb immer unter dem, was im nächsten Jahr im realen Haushalt vorgesehen war. Messen Sie uns also am Haushalt 2020. Dann können wir gern wieder in die Diskussion einsteigen; denn dann muss der Etat in der Tat steigen, damit wir das ambitionierte Ziel von 1,5 Prozent des BIP im Jahr 2024 für die Bundeswehr, für Verteidigung auch erreichen können. Mit diesem Haushalt liegt der Verteidigungsetat bei 1,34 Prozent des BIP. Man sieht inzwischen, dass die Anstrengungen sich lohnen. Wir sind noch lange nicht durch die Schwierigkeiten hindurch. Aber die Anstrengungen lohnen sich. Einige von uns sind, so wie ich, in Norwegen bei „Trident Juncture“ gewesen. Dort haben Soldatinnen und Soldaten aus 29 NATO-Nationen und auch aus Partnerstaaten wie Schweden und Finnland gemeinsam mit unseren deutschen Soldatinnen und Soldaten geübt. Die Bundeswehr hat eindrucksvoll gezeigt, was sie kann. Aus Deutschland sind alleine 8 000 Soldatinnen und Soldaten bei dieser Übung dabei gewesen – bestens ausgebildet, hoch motiviert und bereit, Verantwortung zu tragen. Ich kann mit Fug und Recht sagen – das war auch der Eindruck der Abgeordneten, die dort einen Besuch gemacht haben –: Wir können richtig stolz auf diese Männer und Frauen und ihre Leistung sein. ({2}) Wir konnten nämlich zeigen, dass wir für das nächste Jahr vorbereitet sind, in dem wir die VJTF 2019 führen müssen. Es war aber ein Kraftakt, dort hinzukommen. Und es wird ein Kraftakt bleiben. An dem, was ich vorhin gesagt habe, spiegelt sich wider, dass wir, damit wir diese Brigade im nächsten Jahr gut aufstellen können, Komponenten aus allen anderen Einheiten der Bundeswehr zusammenleihen müssen, um sie bestens auszurüsten und auszustatten. Umso wichtiger ist es, dass wir diesen Aufwärts- und Modernisierungskurs beibehalten, damit wir unser großes gemeinsames Ziel, die Brigade für die VJTF 2023 so aufstellen zu können, dass diese aus der Grundaufstellung vollständig modern ausgerüstet und ausgestattet ist, erreichen. Dabei hilft auch der vorliegende Haushalt. Vielen Dank, Herr Brandl, Sie haben die Stellenhebungen erwähnt. Sie sind ein großes Plus darin. 6,8 Milliarden Euro für militärische Beschaffung – das erlaubt uns, die laufenden Projekte fortzusetzen. Man darf nicht vergessen, dass das ja alles über viele, viele Jahre weitergeht. Es erlaubt uns, zusätzliche Projekte anzustoßen, wie zum Beispiel den Schützenpanzer Puma für die VJTF 2023. Ich bin von Herzen dankbar für die Verpflichtungsermächtigungen, die, auf Jahresscheiben heruntergebrochen, noch in der Bereinigungssitzung eingerichtet worden sind. Klar: Es ist Ihre Aufgabe, Herr Lindner, dass Sie das kritisieren müssen. Ich kann Ihnen nur sagen: Das Fundament für den schweren Transporthubschrauber steht. Entscheidend für die Männer und Frauen ist, was hinten herauskommt. ({3}) Das ist ein neuer schwerer Transporthubschrauber. So muss es sein. Ein guter Tag für die Luftwaffe! ({4}) Wir können auch andere Großprojekte, die schon genannt worden sind, weiter nach vorne bringen: das Taktische Luftverteidigungssystem, das MKS 180 und die U-Boot-Kooperation mit Norwegen. Wir können das Megathema Digitalisierung angehen. 30 Prozent mehr für IT und Digitalisierung! Noch einmal: Vorhin habe ich gesagt, dass der Haushalt insgesamt um 12 Prozent wächst, aber die Ausgaben für IT und Digitalisierung wachsen um 30 Prozent, also um mehr als das Doppelte. Es ist das Megathema, der Schwerpunkt schlechthin. Mehr Geld für die Cybertruppe – 15 000 Männer und Frauen –, mehr Geld für Ausbildung in der Cyberthematik und die Innovationstreiber wie Cyber Innovation Hub oder die Cyberagentur. Wir tun das alles, um einsatzbereit zu sein – niemals allein, immer im Bündnis. Wir haben uns ab 2014, nach Wales, sehr auf die Modernisierung der NATO konzentriert. Das war richtig, das bleibt auch richtig. Die NATO wird für uns immer kollektive Verteidigung sein. Aber wir haben auch ganz deutlich gesagt: Wir wollen transatlantisch bleiben, aber europäischer werden. Deshalb haben wir vor einem Jahr sozusagen das schlafende Dornröschen aus dem Lissabon-Vertrag geweckt, die europäische Verteidigungsunion, die zehn Jahre geschlummert hat. Vor einem Jahr haben wir die Verteidigungsunion Europas aus der Taufe gehoben. Die PESCO ist jetzt ein Jahr alt. Wir sind in der Lage, auch Streitkräften Projekte zu geben, die wir gemeinsam als Europäer machen. Wir haben am Montag in Brüssel im Europäischen Rat das zweite große Paket auf den Weg gebracht, in dessen Rahmen wir 17 Projekte für die nächste Welle der Aufgaben der europäischen Verteidigungsunion verabschiedet haben. Der Europäische Verteidigungsfonds bedeutet ein Ende der Fragmentierung und einen ganz starken Anreiz, gemeinsam zu beschaffen. Wir wollen nämlich gemeinsame Streitkräfte in nationaler Verantwortung, aber so eng verzahnt, so gemeinsam ausgerüstet und ausgestattet, dass sie gemeinsam üben können für Missionen, wie es jetzt die Deutsch-Französische Brigade in Mali macht oder wie es uns das Deutsch-Niederländische Corps seit vielen Jahren vormacht. So wächst die Armee der Europäer von unten langsam auf. Das ist unser Ziel. Meine Damen und Herren, das erwarten auch die Bürgerinnen und Bürger Europas. ({5}) Sie wollen ein Europa, das schützt, sie wollen ein starkes Europa, sie wollen ein selbstbewusstes Europa. Dazu gehört auch eine europäische Verteidigungsunion. Insofern ist jeder Euro, der in diesen Etat investiert ist, ein gut investierter Euro. Vielen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Jens Kestner für die Fraktion der AfD. ({0}) – Herr Kestner, Entschuldigung, ich habe eine Kurzintervention übersehen. Wenn Sie sich noch einen Moment gedulden würden. Der Abgeordnete Lindner hat sich für eine Kurzintervention gemeldet.

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie diese Kurzintervention zulassen. – Frau Ministerin, Sie haben mich direkt angesprochen mit Hinweis auf Ihre Antwort auf unsere Kleine Anfrage. Ich möchte nicht den Eindruck entstehen lassen, dass wir hier mit unsauberen Methoden, ganz gleich wo oder wer, arbeiten. Sie haben uns geantwortet, dass Sie Unvollständigkeiten und Doppelungen aufgrund der Kürze der Zeit bei der Beantwortung der Anfrage nicht ausschließen können. Ich finde, die Bürgerinnen und Bürger, die diese Debatte verfolgen, sollten wissen, dass Kürze der Zeit bei der Beantwortung 14 Tage bedeutet. Der Punkt, den ich und meine Fraktion kritisieren, ist: Wenn es Ihnen als Ministerin nicht möglich ist, binnen 14 Tagen einen Überblick zu erlangen, wo überall in Ihrem Haus Beratungsfirmen, sei es beratend oder unterstützend oder für sonst etwas, tätig sind, dann haben Sie nach unserer politischen Bewertung den Überblick über diese Vorgänge verloren bzw. nicht im richtigen Maß erlangt. Deswegen bleibt unser Kritikpunkt an dieser Stelle bestehen. Herzlichen Dank. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Frau Ministerin.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Das sind genau die Themen, die wir ja miteinander diskutieren. Herr Lindner, Sie wissen: Im BAAINBw schließen wir allein in einem Jahr 10 000 Verträge. Wenn wir jetzt bei dem Anteil der Verträge, die wir betrachten müssen, ganz genau die Fragen durchdeklinieren, die Sie uns zu Recht gestellt haben, wollen wir das genau tun. Bei dieser Unmenge von Verträgen, die mehrere Hundert, manchmal mehrere Tausend Seiten haben, ist es uns ein Anliegen, diese detailliert durchzugehen und ganz korrekt zu sein, um die spezifischen Fragen, die Sie stellen, zu beantworten. Ich mache deutlich, dass das nicht in 14 Tagen zu schaffen ist. Wir haben nicht ausschließen können, dass es auch Dopplungen gibt, das heißt, dass ein Vertrag zweimal gezählt worden ist, zu unseren Lasten und zu Ihren Gunsten, wenn ich das so sagen darf. Deshalb ist es mir wichtig, dass wir in dem, was wir erklärt haben, korrekt bleiben. Danke. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nun fahren wir in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Jens Kestner von der AfD. ({0})

Jens Kestner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004777, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke, Herr Präsident! – Werte Kolleginnen und Kollegen, Bürger auf den Tribünen und Damen und Herren zu Hause vor den Fernsehbildschirmen! Wenn wir über den Einzelplan 14 sprechen, so reden wir immer über das gewollte Nichterreichen des 2-Prozent-Ziels von Wales. Sie als Ministerin haben gerade wieder Euphorie auf Ihre Art und Weise verbreitet. Das können Sie gut. Aber nichtsdestotrotz können Sie darüber hinwegtäuschen, dass es Ihnen nicht gelungen ist, die nötigen Mittel für dieses Ziel bereitzustellen. Noch immer sind wir in Auslandseinsätzen eingebunden, die wir lieber beenden sollten, und das eher heute als morgen. Nehmen wir Afghanistan: Der Einsatz ist gescheitert. Die Taliban kontrollieren weite Räume des Landes. Mittlerweile sitzen sie wieder am Verhandlungstisch. Man braucht sie, um Frieden zu schließen. So weit man blickt: Mohnfelder. Nehmen wir den Einsatz in Mali, MINUSMA. Dieser Einsatz wird scheitern. Wir erleben jetzt schon die Afghanisierung dieses Einsatzes. Wir sind dort, um französische Interessen zu vertreten, und nicht, um deutsche Interessen zu vertreten. Ihre Einsicht oder Erkenntnis, Frau Ministerin? Fehlanzeige. Der Grundsatz scheint bei Ihnen zu sein: Hauptsache, wir sind dabei, und es passiert nichts. Über diesen Punkt sind wir hinaus. Wir haben tote deutsche Soldaten im Ausland. Was haben Sie unseren Streitkräften, was haben Sie unserem Land gebracht, Frau Ministerin? Woran wird man sich erinnern, wenn man auf Ihre Amtszeit zurückblickt? Schwerpunkt: Generismus, Kleidung für Schwangere, Bildersturm, Hexenjagd, Abhängen des Bildes von Helmut Schmidt in Luftwaffenuniform an der Universität, die seinen Namen trägt, Misstrauen im eigenen Ministerium, kein Vertrauen gegenüber den eigenen Leuten, externe Berater, wo doch genügend helle Köpfe in den eigenen Reihen vorhanden sind. Sie sind nicht nur schlecht beraten und verkauft. Das haben wir eben gehört; wir werden das morgen und auch in Zukunft weiter hören. Mal sehen, wohin die Reise geht. Nein, Sie haben auch unseren Streitkräften, vor allem haben Sie dem Ansehen der Truppe geschadet. ({0}) Verdiente Offiziere werden geschasst, Günstlinge, Jasager und Abnicker werden durch das System von der Leyen nach oben gesaugt und belohnt. ({1}) Trendwenden, wie es neumodern heißt, werden angekündigt, wirken sich aber nicht aus. Material ist nicht einsatzbereit, und das in allen Teilen der Streitkräfte. Personal fehlt an allen Ecken und Enden und letztendlich sogar beim Tellerspülen. Sie verkaufen die Bundeswehr, Frau Ministerin, als normalen Arbeitgeber. Aber die Bundeswehr ist kein normaler Arbeitgeber. Bei keinem anderen Arbeitgeber setze ich meine körperliche Unversehrtheit, setze ich mein Leben ein oder bin im Notfall sogar gezwungen, einen anderen Menschen zu töten, wenn es mein Auftrag verlangt. Aber Sie verkaufen die Bundeswehr nach außen als einen normalen Arbeitgeber. Das ist sie nicht. ({2}) Wo man früher noch von Kameradschaft gesprochen hat, wirbt man heute mit großen Lettern für Teamgeist. Ich kenne keinen Teamgeist, ich kenne nur Kameradschaft, und ich kenne auch die Pflicht zur Kameradschaft. ({3}) Zu meiner Zeit gab es keinen Teamgeist. Man verordnet ohne Zwang eine Arbeitszeitrichtlinie und schafft eine Nine-to-five-Firma, wo man doch lieber eine schlagkräftige Kampftruppe haben sollte, Frau von der Leyen, eine schlagkräftige Kampftruppe, keine Firma, keinen Arbeitgeber. Lassen Sie das einmal sacken, wenn das bei Ihnen ankommt. ({4}) Tradition verwischt man so lange, bis eine Truppe nicht mehr weiß, an was sie glauben soll oder vor allen Dingen, an was sie glauben darf. Erst scheut man sich ängstlich, auch nur über den Begriff „Veteranen“ zu sprechen, dann hat sich die AfD dieses Themas angenommen. Es ist uns wirklich ein Herzensanliegen, weil wir für unsere Soldaten da sind und nicht nur leere Floskeln sagen und das Winken zelebrieren. Was machen Sie? Sie geraten wieder in hektische Schwingungen, ein Schuss in den Ofen. Sie sprechen noch nicht einmal mit allen Inte­ressenvertretern und legen den Begriff des Veteranen fest. Wissen Sie, woran mich das erinnert? An den fiktiven Kaiser, der möchte, dass sein Volk schlauer ist, jedem Bürger den Doktortitel verleiht und sich dann abends zufrieden ins Bett legt und sagt: Oh, was habe ich Schönes, was habe ich Tolles vollbracht. ({5}) Die Bundeswehr hat ein Haltungsproblem, und sie hat offensichtlich eine Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen, und da müssen wir konsequent drangehen. Diese Worte kennen Sie, diese Worte sind von Ihnen – über Ihre Bundeswehr, über Ihre Truppe, über Ihre Leute. Frau von der Leyen, für mich gibt es nur eine einzige Person, die ein Haltungsproblem hat und die ein Führungsproblem hat, und das sind Sie. ({6}) Als ehemaliger Soldat schmerzt es mich, was Ihre kruden Entscheidungen aus dieser Truppe gemacht haben. Wenn man eine Truppe moralisch an den Abgrund führt und nicht die geringste Empathie für das soldatische Wesen einer Truppe hat, dann ist es nicht verwunderlich, dass man nicht weiß, welche Verträge man geschlossen hat, und dass man auch nicht weiß, was überhaupt in der eigenen Truppe noch einsatzbereit ist. Ihnen ist es zu verdanken, dass unsere Truppe mit ihrer inneren Ordnung jetzt da ist, wo sie ist, nämlich am Boden. ({7}) Vertrauen, Frau von der Leyen, wird keiner mehr in Sie haben. Wenn Sie zu Ihren Einheiten, Ihren Kasernen, Ihren Liegenschaften fahren, hängen dort überall Bilder von Ihnen. Wenn Sie nicht da sind, werden diese Bilder umgedreht. Aber noch niemand hat die Frechheit besessen, diese Bilder abzunehmen, so wie Sie es beim Bildersturm und bei der Hexenjagd in Ihren Kasernen und Ihren Liegenschaften getan haben. ({8}) – Halten Sie mal inne. ({9}) Die Bundeswehr, Frau von der Leyen, ist unsere letzte Lebensversicherung, die wir als Staat und für unser Volk haben – das sollten Sie immer bedenken –, nach außen und nach innen. Sie haben es geschafft, diese Bundeswehr, die Streitkräfte, an den Abgrund der Verteidigungsfähigkeit zu bringen. ({10}) Schauen Sie also zu Hause mal in den Spiegel, wenn Sie ihn nicht schon abgehängt haben. Vielen Dank. ({11})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Als Nächstes spricht für die Fraktion der SPD die Abgeordnete Siemtje Möller. ({0})

Siemtje Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sicherheit ist ein hohes Gut. Unsere Sicherheit liegt in Europa, in der NATO und natürlich auch in unseren eigenen Verteidigungsfähigkeiten, und es ist richtig, für diese staatliche Aufgabe Geld auszugeben – ich möchte betonen: sinnvoll auszugeben. Es wurde zu einzelnen Projekten schon viel gesagt. Ich freue mich natürlich besonders über die positive Entscheidung zum Mehrzweckkampfschiff. Diese Bemerkung darf ich mir als Abgeordnete für Wilhelmshaven erlauben. Aber ich möchte noch einen anderen Aspekt beleuchten, der bisher noch nicht zur Sprache kam: Unsere Bundeswehr ist als Parlamentsarmee fest in der Bevölkerung verwurzelt. Damit geht quasi ein Bildungsauftrag der Bundeswehr einher, der Auftrag, eine kritische gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Streitkräften zu ermöglichen. Dies erfolgt auch über die Museen, beispielsweise das Militärhistorische Museum in Dresden, das Deutsche Panzermuseum Munster und das Deutsche Marinemuseum in Wilhelmshaven. ({0}) Über diese Museen bekommt die Gesellschaft einen Zugang zur Bundeswehr und auch ein Stück weit Zugang zur eigenen Geschichte. Besonders freue ich mich deshalb darüber, dass auch das Deutsche Marinemuseum in Wilhelmshaven gefördert wird. Das Museum setzt sich mit den Marinen und ihrer 170-jährigen Geschichte auseinander und beleuchtet sie auch kritisch – ich möchte das betonen, weil es ja immer wieder Nachfragen von der Linken gibt. 2017 besuchten fast 125 000 Personen dieses Museum. Es zeigt sich: Die Marinen und ihre Geschichte faszinieren, das Museum begeistert mit seiner in Europa tatsächlich einmaligen Sammlung. Die Güte der Ausstellungen, der Bildungsauftrag der Bundeswehr – nach innen und außen – und die hohen Besuchszahlen machen also deutlich: Es ist absolut richtig, dass der Bund dieses Haus finanziell unterstützt. Sicherheit ist ein hohes Gut, für das wir auch bereit sind, viel Geld auszugeben. Mir ist wichtig, dass dieses Geld nicht verschwendet wird. Dafür trägt der Staat die Verantwortung. Angesichts der neuesten Erkenntnisse der letzten Tage und Wochen über die Beraterverträge und Unterstützungsleistungen beim Verteidigungsministerium ist mir eines klar geworden: Es gibt nicht nur den Anschein einer zu großen Nähe zwischen Beratungsfirmen und Beamten des Ministeriums. Schon diesem Anschein müsste durch maximale Transparenz des Ministeriums entschieden entgegengewirkt werden. Aber nein, es gibt nicht nur diesen Anschein – es gibt aus meiner Sicht schlicht zu viele externe Dritte im Ministerium. ({1}) Ich finde, das Geld, das wir im Haushalt für den Bereich Verteidigung veranschlagt haben, darf nicht für unnötige Beratung ausgegeben werden, sondern sollte da ankommen, wo es benötigt wird: bei Ausrüstung und Ausstattung der Bundeswehr. Klar ist – auch das ist in den letzten Wochen deutlich geworden –: Der Beschaffungsprozess ist so, wie er ist, viel zu langwierig. Er kostet zu viel Zeit und auch zu viel Geld. Das dient weder unseren Soldatinnen und Soldaten noch unserer Sicherheit. Und: Es ist richtig, hierauf ein besonderes Augenmerk zu richten. Für mich ist auch klar: Beschaffungen sind ureigene Aufgabe eines souveränen Staates. Das Zusammenspiel zwischen Industrie und Beschaffungsamt, zwischen Privat und Staat muss dahin gehend verbessert werden, dass der Prozess insgesamt schneller, effizienter und termintreuer wird – aber unter Federführung des Staates. Wir, die SPD-Fraktion, stellen uns klar gegen jegliche Privatisierungstendenzen, was ja auch schon betont wurde. ({2}) Es sind nicht das Amt und auch nicht der Charakter eines Amtes und schon gar nicht die dort Beschäftigten, die die Probleme verursachen, sondern es ist die Behäbigkeit des Prozesses an sich. Mir wäre es in diesem Zusammenhang auch viel lieber, wir würden die finanziellen Mittel nutzen und den Personalaufwuchs im BAAINBw oder in anderen nachgelagerten Behörden vorantreiben, als diese Mittel für externe Dritte zu verwenden. ({3}) Der umständliche Beschaffungsprozess treibt mich um, insbesondere weil ich vor Ort immer wieder angesprochen werde, es fehle an diesem oder jenem handelsüblichen Stückgut. Die Beschaffungen dauern immer viel zu lang, oft viele Monate mit unzähligen Bewilligungsvordrucken. Deswegen möchte ich vorschlagen, dass Standortkommandeure ein eigenes, überschaubares Budget bekommen, um kleine Beschaffungen direkt veranlassen zu können, vielleicht mit einer Positivliste hinterlegt. ({4}) Wenn es monatelang dauert und die Verantwortlichen etliche Begründungen für Kleinstanschaffungen wie beispielsweise Beamer oder Bürostühle liefern müssen, sinkt nicht nur die Motivation, sondern es steigt auch der Frust über die Bürokratie. ({5}) – Ich freue mich, dass ich anscheinend für so viel Erheiterung gesorgt habe. ({6}) Es kann nicht sein, dass man auf einen so offensichtlichen Bedarfsgegenstand wie beispielsweise einen Beamer, der – das muss man, wenn man ehrlich ist, einräumen – zur Grundausstattung von modernen Vortragsräumlichkeiten gehört, Monate warten muss. Ich finde, ein solches Budget dient der Dezentralisierung des Beschaffungsprozesses und der Entbürokratisierung. Das dient einerseits unserer Verantwortung für die Soldatinnen und Soldaten, und andererseits bringt es zum Ausdruck: Wir vertrauen euch, dass ihr als Standortkommandeure, also als Führungskräfte, in eurer Führungsposition wisst, wo der Schuh drückt bzw. der Beamer nötig ist. ({7}) Ein besonders markantes Beispiel für Optimierungspotenzial bei den Infrastrukturmaßnahmen ist der Flughafen in Wittmund. Er braucht schon seit Jahren, fast Jahrzehnten, eine Generalüberholung. Als ein Beispiel von vielen macht dies deutlich: Infrastrukturmaßnahmen brauchen einfach zu lange. Auch hier wünsche ich mir eine Beschleunigung der Prozesse, eine Verbesserung des Zusammenwirkens der unterschiedlichen beteiligten staatlichen Stellen und Ministerien; denn hier werden Projekte und Prozesse tatsächlich über viele Jahre – nicht willentlich, aber doch über die Zeit – verschleppt. Ich fasse zusammen. Wir müssen das Geld angemessen ausgeben. Wir müssen die Prozesse adäquat überprüfen und optimieren. Das müssen wir tun, weil es für unsere Soldatinnen und Soldaten und auch für unser Land gut ist. Wir als SPD-Fraktion stellen uns klar hinter diesen Einzelplan und werden uns weiterhin konstruktiv in die Diskussion einbringen. Vielen Dank. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächstes spricht Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann für die FDP. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Ministerin, es ist schon bemerkenswert, wie Sie für Ihren Haushalt immer wieder einen Aufschlag herausholen. Das erzeugt gute Laune; das verstehe ich. Wenn sogar bei der SPD erkannt wird, dass wir mehr Mittel für die Bundeswehr brauchen, dann dürfte auch dem Letzten klar sein, welchen Nachholbedarf wir bei der Truppe auch nach vier Jahren Trendwenden haben. ({0}) Die Freien Demokraten stehen hinter der Bundeswehr und tragen im Grundsatz den Aufwuchs entsprechend mit. Umso ärgerlicher ist es, zu erleben, wie an mancher Stelle, locker ausgesprochen, schludrig mit Steuermitteln umgegangen wird. Wir erwarten ja morgen, Frau Ministerin, in der von uns geforderten Sondersitzung zum Thema Berater entsprechende Antworten – präzise Antworten, nichts, was über den Daumen gepeilt ist. Meine Damen und Herren, wir erhöhen die Ausgaben. Wir begleiten die auf den Weg gebrachten Trendwenden. Wir fokussieren uns auf das Beschaffungswesen bei großen Vorhaben, und trotz alledem ist die Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme weiterhin nicht verlässlich; auch das muss ich hier leider sagen. Frau von der Leyen, das ist nichtmilitärisches Bullerbü, was wir gerade erleben. Das Ministerium steuert bei Rüstungsprojekten immer wieder nach. Die Umsetzung zieht sich. Die Projekte werden deutlich teurer, und die fertigen Produkte sind häufig trotzdem nicht einsatzbereit. Im Haushalt sind auch mehr Mittel für die Akquise von Personal eingestellt. Das ist gut. Es wird darüber nachgedacht, neue Studiengänge einzuführen. Dass die explizit ohne Mathe auskommen sollen, lasse ich mal dahingestellt; das wäre etwas für eine Diskussion über unser Bildungssystem. Trotzdem hält der Personalmangel an. Die Frage ist: Was ist mit den veralteten Strukturen innerhalb der Organisation? Gedenkt die irgendeiner mal aufzubrechen? Wie ist die Führungskultur im Ministerium? Wie werden Talente gefördert? Es werden momentan mehr Kraft und Mittel, vor allen Dingen Mittel, in das Risikomanagement gesteckt als mutig in Innovationen. ({1}) Es gibt viele ungelöste Probleme und Fragen. Genau deshalb wollen wir, die Freien Demokraten, eine überfällige, im parlamentarischen Rahmen offene Debatte, in der wir mit Sachverständigen, mit Vertretern der Bundeswehr und Vertretern der Zivilgesellschaft gemeinsam an Lösungen arbeiten. Deshalb beantragen wir in dieser Woche, eine Enquete-Kommission zur Einsatzbereitschaft der Bundeswehr einzusetzen. Meine Damen und Herren, die Debatte über die Zukunft der Bundeswehr gehört nicht in geheime Runden im Ministerium, an denen nicht einmal die Opposition teilnehmen darf, sie gehört in dieses Haus, in diese Öffentlichkeit, mitten in die Gesellschaft. ({2}) Die SPD hat im Zuge der Anschaffung von Drohnen und der Diskussion über eine mögliche Bewaffnung eine gesellschaftliche Debatte haben wollen. Wann gedenken Sie diese Debatte anzustoßen? Wir schlagen Ihnen vor, dass wir gemeinsam – Herr Kollege Rohde hat entsprechende Fragen aufgeworfen – eine Debatte weit darüber hinaus führen, nämlich über die Aufgaben der Bundeswehr in der Zukunft. Meine Damen und Herren, Soldatinnen und Soldaten stehen nicht neben der Gesellschaft. Sie sind nicht irgendwo, sie sind Teil dieser Gesellschaft. Eine Enquete-­Kommission wäre eine große Chance, eine spannende Diskussion zu führen. Die gesellschaftliche Debatte darüber gehört ins Rampenlicht; denn es geht dabei auch darum, dass wir uns mit unserem Selbstverständnis als Staatsbürger auseinandersetzen. Wie gehen wir in Zukunft mit unserer Bundeswehr in der Öffentlichkeit um? Wie viel Respekt haben wir eigentlich vor denen, die diesen wirklich nicht ganz gewöhnlichen Beruf ergriffen haben? Das betrifft nicht nur die, die für uns im Ausland tätig sind, sondern all die Soldatinnen und Soldaten, die den Auftrag haben, Deutschland und Europa in letzter Konsequenz zu schützen. Wie gehen wir mit den Soldatinnen und Soldaten um? Welche Rolle werden wir in Europa in Zukunft in Sicherheitsfragen einnehmen? Welche Rolle spielen wir als Deutsche dabei – das ist eine spannende Frage –, und wie statten wir die Bundeswehr dafür richtig aus? Wie gehen wir mit dem Thema Rüstung und dem Thema Ausfuhr um? Auch das können wir nicht einfach so laufen lassen. Auch da ist eine deutsche Position erforderlich, wie wir uns in Zukunft gegenüber Drittländern verhalten. Aber die Gretchenfrage wird sein: Was ist uns in dieser Gesellschaft und was ist jedem Einzelnen von uns eigentlich Sicherheit in Frieden und Freiheit wert? Ich werbe bei Ihnen allen sehr darum: Werfen Sie Ihr Herz über den Zaun! ({3}) Lassen Sie uns über Fraktionsgrenzen hinweg der Einsetzung einer Enquete-Kommission zustimmen. Das ist eine große Chance. Es ist ein Signal an die Damen und Herren, die uns heute zuhören, an die Damen und Herren, die diese Debatte im Fernsehen verfolgen, dass wir kein Schattendasein wollen. Wir wollen offen und mit der Bundeswehr diskutieren. Das ist uns die Bundeswehr wert, und das gehört auch mitten in diese Debatte. Vielen Dank. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Tobias Pflüger für die Fraktion Die Linke. ({0})

Tobias Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004852, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Frau Ministerin! Wir haben mit dem sogenannten Verteidigungshaushalt einen Skandalhaushalt vorliegen. ({0}) Inzwischen sind im Einzelplan 14 Mittel in Höhe von sage und schreibe 43,3 Milliarden Euro eingestellt. Auf die 42,9 Milliarden Euro des Ursprungsplans wurden im Zuge der Beratungen im Haushaltsausschuss einfach noch mal 323 Millionen Euro draufgelegt. Das entspricht einer Gesamtsteigerung von 2018 auf 2019 um 4,8 Milliarden Euro. ({1}) Wir als Linke sagen: Wir werden diese Steigerung des Militärhaushaltes nicht mitmachen. ({2}) Das ist eindeutig Aufrüstung. ({3}) Das ist der größte Zuwachs, den es im Militärbereich bisher gegeben hat. Wir sagen dazu klipp und klar Nein. ({4}) Nach NATO-Kriterien beträgt dieser Militärhaushalt 47,17 Milliarden Euro; Sie haben ja in ein paar anderen Haushaltstiteln weitere Militärausgaben versteckt. Ich will mir mal den investiven Bereich, der auch dem Kollegen Brandl so wichtig war, genauer angucken. Wir kriegen ja regelmäßig die Berichte über die laufenden Rüstungsprojekte. Bei den Projekten haben wir folgendes Phänomen festgestellt: Die Rüstungsprojekte dauern um ein Vielfaches länger und werden immer teurer. Ein paar konkrete Beispiele: Der von Ihnen genannte Panzer Puma braucht 57 Monate länger und wird 1,23 Milliarden Euro teurer. Der Kampfhubschrauber Tiger braucht 80 Monate länger und wird 934 Millionen Euro mehr kosten. Der NH90 braucht 134 Monate länger und wird 1,1 Milliarden Euro mehr kosten. Der A400M, das Transportflugzeug, wird 139 Monate länger dauern und 1,487 Milliarden Euro mehr kosten. Jetzt kommt der Eurofighter – ja, den gibt es immer noch –: Der kostet die Steuerzahler jedes Jahr Millionen und Abermillionen mehr; er dauert 149 Monate länger und kostet 6,7 Milliarden Euro mehr. Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Ministerin, wir haben eine Reihe von Skandalprojekten wie Stuttgart 21 oder BER; dieser Verteidigungshaushalt entspricht aber mehrfach Stuttgart 21 und BER. Dieser Verteidigungshaushalt ist ein Skandalhaushalt! ({5}) Um das mal sehr deutlich zu machen – weil wir es vorhin ja mit verschiedenen Kinderbüchern und kindlichen Vergleichen zu tun hatten –: Ursula von der Leyen, Sie kommen mir vor wie die Raupe Nimmersatt. ({6}) Der Unterschied ist nur, dass am Ende kein schöner Schmetterling rauskommt, sondern Chaos. Wir sagen klipp und klar: Wir wollen nicht eine Raupe Nimmersatt, wir wollen nicht, dass die Mittel für den Militärhaushalt immer und immer weiter gesteigert werden. Wir wollen, dass hier endlich mal vernünftig Abrüstung betrieben wird. ({7}) In diesem Militärhaushalt sind Projekte enthalten wie die Kampfdrohne Heron TP: 953 Millionen Euro und für jede Einsatzoption 100 bzw. 200 Millionen Euro. Das wird eine Kampfdrohne sein: gegen Fahrzeuge, gegen sogenannte weiche Ziele, gegen Personen. Die Bewaffnung ist vorbereitet; ich habe es mir angeschaut. ({8}) Ich kann nur klar sagen: Diese Beschaffungsprojekte, insbesondere die Anschaffung dieser Kampfdrohne ist völlig falsch. Wir werden das immer weiter kritisieren. Es darf keine Kampfdrohnen bei der Bundeswehr geben. ({9}) Der Bundesrechnungshof hat Ihnen mitgeteilt, dass Sie im Jahr 2017 von den Geldern 900 Millionen Euro nicht ausgeben konnten. Jetzt haben Sie sich einen Schattenhaushalt geschaffen. 9,5 Milliarden Euro investive Ausgaben im Bereich Verteidigung werden für Beschaffung vorgesehen. Sie werden die Gelder in diesen Schattenhaushalt verschieben. Kein anderer Bereich kann sich dies leisten; das ist der einzige Bereich, in dem das stattfindet. Wir sagen klipp und klar Nein zu diesem Verteidigungshaushalt und Nein zu diesem Schattenhaushalt. Das ist Aufrüstung, und diese Aufrüstung lehnen wir ab. ({10})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächster redet Henning Otte für die CDU/CSU. ({0})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Haushalt ist eine gute Grundlage für die Sicherheit unseres Landes. Lieber Herr Pflüger, das sage ich als Verteidigungspolitiker, ich sage das aber auch ganz bewusst als Familienvater. Wir schaffen Sicherheit in unserem Land, damit Kinder in Frieden und Freiheit aufwachsen können. Sie müssen Kinderrechte überhaupt nicht dagegen aufrechnen. Wir haben das Baukindergeld, wir erhöhen den Kinderfreibetrag, wir haben das Kindergeld erhöht. Uns geht es darum, eine sichere Grundlage für Frieden und Freiheit zu schaffen. Dafür müssen wir auch die Bundeswehr ausrüsten, meine Damen und Herren. ({0}) Das ist uns 43 Milliarden Euro wert. Wir investieren in Personal, in Modernisierung, in persönliche Ausrüstung. Wir haben in den Verpflichtungsermächtigungen noch einmal 5,7 Milliarden Euro, wie schon gesagt, für einen Transporthubschrauber, für das Mehrzweckkampfschiff oder für ein taktisches Luftverteidigungssystem. Das ist gut investiertes Geld – in die Sicherheit –, weil wir die Weltlage mit Wachsamkeit beobachten müssen. Wir sehen das aggressive Vorgehen Russlands, wir sehen den Krisenbogen im Nahen Osten, zerfallende Staaten und die Instabilität im Norden Afrikas – Unruheherde am Rande Europas, die uns nicht in Ruhe lassen, weil sie uns direkt betreffen. Es gilt auch, dem Ordnungsverlust entgegenzutreten. Da haben wir mit Präsident Trump nicht unbedingt eine Unterstützung. Es geht darum, dass wir den INF-Vertrag gemeinsam stützen. Deswegen appellieren wir auch an die Vereinigten Staaten von Amerika, zu sagen: Wir müssen Russland dazu bringen, diesen Vertrag, der die Ausbreitung von Mittelstreckenraketen im nuklearen Bereich einschränken soll, einzuhalten. Die Situation besorgt uns. Es gibt ohnehin eine Bedrohung, im konventionellen Bereich, aus der Luft, vom Wasser und vom Land aus und sogar im Cyberbereich. Das bringt uns zu der Entscheidung, dass wir gemeinsam mehr tun für die Sicherheit unseres Landes. Wir Europäer sind gefordert, Verantwortung zu übernehmen. Deswegen ist auch für die EU das Sicherheitsinteresse ein integrierendes Element. Ich sage sehr deutlich, dass Deutschland inmitten Europas mit neun Nachbarn, wenn wir denn nicht befreundet und befriedet wären, viel mehr ausgeben müsste für die Sicherheit. Aber gerade weil wir im Bündnis sind, gerade weil wir Verpflichtungen gemeinsam übernehmen, ist es notwendig, dass wir unsere Verantwortung auch wahrnehmen. Deswegen sage ich: Wir müssen die 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts klar anstreben, um unsere Verantwortung anzunehmen und unsere Verpflichtungen in der NATO auch wahrzunehmen. ({1}) Es gilt nicht, auf Isolation und Nationalismus zu setzen, es gilt nicht, Interessen gegeneinander auszuspielen, sondern es gilt, Partnerschaft und Bündniswesen in den Vordergrund zu stellen. Deswegen wollen wir den Weg der Strukturierten Zusammenarbeit weiter stärken, hin zu einer Verteidigungsunion in Europa, mit dem Ziel, eines Tages womöglich über die Armee der Europäer vielleicht eine europäische Armee zu erzielen. Aber bis dahin müssen wir gemeinsam unsere Position vertreten, Krisen bewältigen in Mali, in Afghanistan, den Kampf gegen den IS führen, damit wir Fluchtursachen bekämpfen und nicht nur wohlfeil darüber debattieren. Es gilt auch, in der Bündnisverpflichtung die Vornepräsenz zu stärken, bis hin zur schnellen Speerspitze. Das Fähigkeitsprofil gibt der Bundeswehr dafür auch die Mittel. Jetzt gilt es, die Strukturen so auszufüllen, dass wir wieder Vollausstattung haben, dass wir genügend Flugstunden haben, dass wir modernisieren und investieren, dass wir wieder eine Lagerhaltung bekommen und dass wir Vertrauen geben, Vertrauen in die Truppe. Deswegen gilt es auch, die Attraktivität des Dienstes zu stärken. Es ist mehrfach angesprochen worden: Ja, der Beruf des Soldaten ist eben kein Beruf wie jeder andere. Polizisten, Krankenschwestern, Pfleger, Lehrer, Theologen haben Dank verdient – aber auch unsere Soldaten haben Dank verdient, weil sie, oft fernab der Heimat, einstehen für unser Land. ({2}) Deswegen sagen wir ganz klar: Die Bundeswehr ist eine feste Säule der Sicherheit unseres Landes, eine feste Säule der wehrhaften Demokratie, unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Frieden und Freiheit zu erhalten, das ist unser Ziel. Frieden fällt nicht vom Himmel, wir müssen bereit sind, notwendige Maßnahmen zu ergreifen – ob nun eine Enquete-Kommission der richtige Weg ist oder ob wir entschieden handeln. Deswegen bin ich den Haushaltspolitikern sehr dankbar, dass sie unserer Bundeswehr die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen, damit wir das, was wir als notwendig erkennen, auch umsetzen können. Stärke und Zusammenhalt sind der Baustein für Frieden und Freiheit. Deswegen stimmen wir als CDU/CSU-Fraktion diesem Haushalt 2019 aus voller Überzeugung zu. Herzlichen Dank. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Thomas Hitschler. ({0})

Thomas Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004303, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute, wie die verteidigungspolitischen Richtungsentscheidungen aussehen, und es ist spannend, festzustellen, aus welcher Ecke des Parlaments welche Kritik kommt. Die eine Ecke äußert, wir würden unüberlegt aufrüsten, ({0}) die andere Ecke meint, wir müssten eher 70 Milliarden Euro für Verteidigung ausgeben, alles andere wäre verantwortungslos. Gut, dass sich die Mehrheit dieses Hauses an der Realität orientiert und einen ausgewogenen Haushalt vorlegt. Mit den Schwerpunkten dieses Haushaltes reagieren wir auf die Veränderungen der Welt und stellen wir die Weichen für die kommenden Jahre. Wir kommen aus einer Welt, in der Begriffe wie „dynamisches Verfügbarkeitsmanagement“ ein schickes Label für den verwalteten Mangel waren. Wir kommen aus einer Welt, Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre, in der Landes- und Bündnisverteidigung die vordringlichste Aufgabe der Bundeswehr war. Große stehende Heere mit schwerem Gerät prägten damals das Bild. Die Zeiten änderten sich. Von Ende der 90er-Jahre bis in die jüngste Gegenwart hieß dies, dass wir fast ausschließlich eine Armee im Einsatz hatten. Wir hatten als Parlament dafür zu sorgen, dass unsere kleinere, spezialisiertere Truppe gut ausgerüstet, aber vor allem gut geschützt war. Spätestens seit dem Jahr 2013 ist die Landes- und Bündnisverteidigung wieder in den Fokus gerückt. Wir brauchen heute eine Bundeswehr, die in der Lage ist, weltweit Kriseneinsätze zu bewältigen, gleichzeitig aber auch Fähigkeiten der Landes- und Bündnisverteidigung hat. Ich meine, wir merken im aktuellen Verteidigungshaushalt, an welchen Stellen wir deshalb Veränderungen eingebracht haben. Indem wir die Personal- und Versorgungsausgaben erhöhen, indem wir wieder Großgerät beschaffen und indem wir in die Verlegefähigkeit unserer Truppe investieren, stärken wir den Kern einer handlungs- und leistungsfähigen Bundeswehr – nicht überzogen, mit Augenmaß, aber an den Notwendigkeiten orientiert. Und das ist gut so. Es gibt aber Grundsätze, die zeitlos sind, und um diese Klassiker müssen wir uns permanent kümmern. Erster Grundsatz: Verantwortung. Wir müssen uns der Verantwortung für die Soldatinnen und Soldaten, aber auch für die Zivilbeschäftigten in unseren Behörden bei der Bundeswehr stets bewusst sein. Wir als Politik sind dafür verantwortlich, wenn Strukturen nicht funktionieren oder die notwendige Ausrüstung nicht verfügbar ist. Vor dieser Verantwortung dürfen wir uns auch nicht drücken, und wir dürfen sie auch nicht an Dritte übertragen. Die Soldatinnen und Soldaten merken zum Beispiel bei der persönlichen Ausstattung sehr schnell, ob sich die Politik um sie kümmert oder nicht. Ich war, wie die Frau Ministerin, vor drei Wochen bei der Übung „Trident Juncture“ in Norwegen. Wir haben es dort geschafft, die Truppe mit all der Ausrüstung auszustatten, die vonnöten war. Das beinhaltet auch angemessene und moderne Winterkleidung. Bei bis zu minus 20 Grad stellt man nämlich umgehend fest, ob die Ausrüstung etwas taugt oder eher nicht, und ich bin mir sicher: Wir alle können das ziemlich gut nachvollziehen und merken dabei, dass unsere Verantwortung eine ziemlich unmittelbare ist, Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Zweitens. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Wir, das Parlament, entscheiden darüber, ob wir unsere Soldatinnen und Soldaten in einen Einsatz schicken. Die Truppe vertraut darauf, dass wir das nicht leichtfertig machen. Auf der anderen Seite sollten wir aber auch auf unsere Soldatinnen und Soldaten vertrauen. Ich habe das letzte Woche bei einem Verband gesehen, der momentan aufgrund von früheren Verfehlungen Einzelner sehr starker Kritik ausgesetzt ist, nämlich bei unserem Kommando Spezialkräfte. Es war für mich fast unglaublich, zu sehen, dass junge Männer und Frauen bereit sind, viele Jahre ihres Lebens ausschließlich in den Dienst ihres Landes zu stellen, und die Bereitschaft haben, ihr Leben im Notfall für unsere Sicherheit zur Verfügung zu stellen – und das meist ohne große öffentliche Anerkennung. Dafür müssen wir dankbar sein – öffentlich und sichtbar. ({2}) Vertrauen ist aber mindestens genauso wichtig. Wer einmal gesehen hat, welche Fähigkeiten diese Männer und Frauen mitbringen und welche Mühe es kostet, diese Fähigkeiten zu erlangen, der muss auf diese Truppe vertrauen können. Deshalb müssen wir genau hinschauen, Missstände mit aller Härte des Rechtsstaates aufklären, am Ende aber auch vertrauen. Ich will mit einem dritten und letzten Punkt abschließen, und zwar mit dem Thema „Nachhaltigkeit unserer Entscheidungen“. Wenn wir heute festlegen, dass die Bundeswehr wieder wachsen und wieder mehr schweres Gerät und die notwendige Ausstattung für die Landes- und Bündnisverteidigung bekommen soll, dann ist es mindestens genauso wichtig, dies langfristig zu denken. Wir müssen die Strukturen der Bundeswehr, die vielleicht nicht auf den ersten Blick der Verteidigung unseres Landes dienen, mindestens genauso stärken, wie wir dies mit anderen Strukturen tun. Was bedeutet das? Ich will, dass die Beschäftigten der Bundeswehr und unsere Beamtinnen und Beamten, die sich um Beschaffung kümmern, die sich um unsere Liegenschaften kümmern, die sich um den gesamten Geschäftsbetrieb kümmern, auch wieder stärker in das Blickfeld unseres Parlaments und von uns Verteidigungspolitikern kommen. Sie haben das nämlich verdient, weil sie exzellente Arbeit leisten, Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Genau diese Notwendigkeit merken wir doch gerade wieder an der Diskussion über externe Beratung. Sicherheit ist eine der essenziellen hoheitlichen Aufgaben eines Staates. Die kann man nicht delegieren und sagen: Privat vor Staat. An der Stelle, an der sich der Staat verabschiedet und die eigene Verantwortung zu übertragen versucht, geht das schief. Wir merken das gerade mehr als deutlich. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam Strukturen rund um die Bundeswehr nachhaltig so stärken, dass wir in der Lage sind, hoheitliche Aufgaben des Staates selbst und verlässlich auszuüben, und diese nicht an Dritte übertragen müssen. ({4}) Das ist auch meine Forderung an Sie, Frau von der Leyen. Wir als SPD werden jedenfalls nicht bei weiteren Privatisierungen von hoheitlichen Aufgaben mitmachen, nicht bei der Heeresinstandsetzung, nicht bei der Rüstungsbeschaffung und am liebsten nirgends. Staatsaufgaben müssen vom Staat wahrgenommen werden. Gerade im Bereich Verteidigung darf es da keine Kompromisse geben, Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Ich glaube, unsere Haushälterinnen und Haushälter haben gute Arbeit gemacht. Es ist ein guter Haushalt, der viele der notwendigen Investitionen für unsere Bundeswehr beinhaltet. Stimmen Sie deshalb diesem Haushalt zu. Vielen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Ingo Gädechens für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Ingo Gädechens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebes Präsidium! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als vorletzter Redner der Haushaltsdebatte zum Einzelplan 14, also zum Bereich Verteidigung, kann ich sagen: Der Kollege Hitschler hat die ganze Bandbreite schon aufgezählt. Dem einen zu viel, dem anderen zu wenig: Wir sind dafür da, ein Maß der Mitte zu finden. Vor einer Begrifflichkeit möchte ich die Bundesverteidigungsministerin ausdrücklich in Schutz nehmen. Sie bilden die Raupe Nimmersatt weder in körperlicher Gestalt ab noch als Bundesverteidigungsministerin. Sie orientieren sich an dem, was notwendig ist, damit die Bundeswehr so ausgestattet wird, wie sie ausgestattet werden muss. ({0}) Die Ministerin war in den vergangenen Tagen und Wochen nicht nur in der Kritik einzelner Fraktionen, sondern auch in der der Medien. Ich hätte mir für unsere Bundeswehr, aber auch für die Ministerin selbst wahrlich andere Schlagzeilen gewünscht; denn das, was sie in Zusammenarbeit mit dem Verteidigungs- und Haushaltsausschuss Positives geleistet hat, verdient weitaus größere Beachtung. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben die Zahlen alle gehört. Wir lernen zwar durch Wiederholung, aber ich will die Zahlen nicht alle wiederholen. Sie haben von dem berechtigten Aufwuchs schon von den Kolleginnen und Kollegen Vorrednern gehört. Dieser Aufwuchs ist richtig und wichtig. Aber wenn dann hier kritisiert wird, dass wir das 2-Prozent-Ziel viel schneller erreichen müssten, sollten, ({2}) weil „versprochen ist versprochen“, dann, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ist es mir persönlich viel lieber, dass das BIP uns davongaloppiert und wir mit dem 2-Prozent-Ziel hinterherlaufen, als wenn es irgendwann mal umgekehrt wäre: dass wir sehr schnell das 2-Prozent-Ziel erreichen, aber unser BIP wesentlich schlechter aussieht. ({3}) Ich glaube, für unser Land ist die Variante, die wir gewählt haben, die wesentlich bessere. ({4}) Ja, wir haben einen soliden Haushalt vorgelegt. Wir haben in der Bereinigungssitzung bis freitagmorgens um 5.09 Uhr gerungen. ({5}) – Ja, es ist nun mal die Gegebenheit in dieser Bereinigungssitzung, dass sich alle Ministerien dem Haushaltsausschuss noch einmal stellen müssen. Wir haben aber natürlich auch die Anträge aller Fraktionen im Verteidigungsausschuss sehr intensiv beraten, nicht so wie es in einer anderslautenden Pressemitteilung aus dem rechten Teil des Saales verlautbart wurde. Ich muss ganz ehrlich sagen: Zu Recht haben sich die Berichterstatter untereinander für die gute Zusammenarbeit bedankt. Die Ministerin hat sich bedankt. Aber, lieber Reinhard Brandl, was du in diesem Haushalt, deinem zweiten Verteidigungshaushalt als Hauptberichterstatter, geleistet hast, auch nachher mit den Verpflichtungsermächtigungen – ich komme gleich noch zu diesem In­strument, weil Tobias Lindner das kritisiert hat –: Herzlichen Dank – Chapeau! – für diese Arbeit! ({6}) Wir als Bundesrepublik Deutschland stehen in der Verantwortung und erweisen uns als verlässlicher Partner: nicht nur die Soldatinnen und Soldaten – in den Auslandseinsätzen, aber auch in den Heimatkommandos –, sondern auch wir als Bundesregierung. Es ist sozusagen Lokalkolorit, wenn Siemtje Möller sich als Wilhelmshavenerin freut, dass das Projekt MKS 180 mit in den VEs enthalten ist und die Vergabe dann auch laufen kann. Vielleicht werden sie ja auch in Kiel stationiert. ({7}) Nein, nein, wir überlassen das der militärischen Führung. Es sind aber auch die kleinen Dinge, die wichtig sind und im Fokus der Beratung standen. Etwas Traditionsbewusstes – mal abgekoppelt von den Museen – ist zum Beispiel, dass es wieder ein Marinemusikkorps mehr geben wird, weil wir nur noch eines hatten, für das von Flensburg über Stralsund bis Wilhelmshaven die Wege zu weit waren. Auch das haben wir korrigiert, und auch das ist richtig. Die Großprojekte sind alle genannt. Auch das will ich nicht wiederholen. Ich denke, es ist ein gehöriger Schluck aus der Pulle. Aber der Auftrag für die mittelfristige Finanzplanung liegt beim Bundesfinanzminister – die Staatssekretärin wird es weiterleiten –, damit wir diese vom BMF bestätigt und den Etataufwuchs verstetigt bekommen. Denn wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen. Noch einmal: Wir brauchen hier Verlässlichkeit nicht nur für die Planung im Ministerium, sondern auch gegenüber den Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten und den zivilen Mitarbeitern in der Bundeswehr insgesamt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Anita Schäfer für die Fraktion CDU/CSU. ({0})

Anita Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003216, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Frau Ministerin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nun, da wir über den Haushalt des Einzelplans 14 für das Jahr 2019 debattieren, möchte ich einige sicherheitspolitische Aspekte hervorheben. Am Wochenende war ich auf der 64. Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO in Kanada. Immer wieder wurde ich von Abgeordneten verbündeter Staaten auf den Zustand der Bundeswehr angesprochen. Dass gerade das reiche Deutschland vom 2-Prozent-Ziel weit entfernt ist, war natürlich auch ein Thema. Unsere Partner machen sich Gedanken über die Rolle Deutschlands im Bündnis. Und wir, meine Damen und Herren, müssen das auch tun. Bis heute tragen die USA die Hauptlast der Kosten für die Sicherheit der NATO und damit auch für unsere Sicherheit. Für CDU und CSU aber bedeutet die Teilhabe an einem System kollektiver Sicherheit, wie es die NATO ist, dass jeder einen angemessenen Beitrag leistet. Deutschland ist Rahmennation der NATO-Speerspitze im Baltikum und übernimmt im kommenden Jahr die Führung der VJTF. Unsere Luftwaffe sichert im Rahmen der „Verstärkung Air Policing Baltikum“ den Luftraum unserer Verbündeten vor Ort. Die Männer und Frauen der Bundeswehr dienen unter anderem in Jordanien, in Afrika und in Afghanistan. Und gerade erst waren wir mit 8 000 von 50 000 Soldaten – Sie haben es erwähnt, Frau Ministerin – der zweitgrößte Truppensteller bei der Übung „Trident Juncture“ in Norwegen. Unsere Soldaten leisten hier und anderswo großartige Arbeit. Die Beteiligung an Einsätzen und Übungen sowie die Bereitstellung von Fähigkeiten sind bedeutende Faktoren, die die Bundesrepublik Deutschland in das Bündnis einbringt. Zur Bündnissolidarität gehört aber auch, dass wir unseren Verteidigungshaushalt anpassen und dass auch wir darauf hinarbeiten, 2 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes in die Verteidigung zu investieren. Diese Zusage haben wir unseren Verbündeten wiederholt gegeben, und wir haben das im Koalitionsvertrag so vereinbart. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns eine grundsätzliche Frage stellen: Wenn wir unseren Partnern ein Versprechen geben, welche Bedeutung hat das für uns? Können sich unsere Partner auf uns verlassen? Auch angesichts der Bedrohungen unserer Sicherheit muss unsere Bundeswehr einsatzbereiter werden. Daher begrüße ich sehr, dass in der Bereinigungssitzung entschieden wurde, den Verteidigungshaushalt mit 43,2 Milliarden Euro höher als geplant ausfallen zu lassen. ({0}) Ich will hier auch gesagt haben, dass man nicht einerseits über den Zustand der Bundeswehr klagen kann, um dann andererseits zugleich die erforderlichen Investitionen in die Bundeswehr als Wettrüsten zu diffamieren. ({1}) Unsere Soldaten nehmen im Rahmen von UN, EU und NATO große Verantwortung und Risiken für Frieden und Sicherheit auf sich. Es ist das Mindeste, dass wir sie angemessen ausstatten. Das tun wir jetzt. ({2}) Dass wir mit diesem Haushalt einen Fokus auf die persönliche Ausstattung der Soldaten legen, ist für die Bundeswehr ein wichtiges Signal. Wir tätigen wesentliche Investitionen in dringend benötigtes Material. Zudem werden Beförderungsstaus abgebaut und Veteranen Anerkennung und Dank erwiesen. Frieden sichert man nicht mit guten Wünschen. Frieden sichert man mit einem vernetzten Ansatz, der militärische und zivile Lösungsstrategien verknüpft. Deswegen wächst der Entwicklungsetat ebenfalls stärker als geplant. So ist Deutschland bei den sogenannten ODA-Ausgaben, zu denen unter anderem Gelder für Krisenprävention und humanitäre Hilfe zählen, noch immer mit Abstand der zweitgrößte Geldgeber der Welt. Deutschland hat einen guten Ruf als zuverlässiger und berechenbarer Partner. Diesen Ruf und unsere Sicherheit dürfen wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Dieser Haushalt ist daher ein guter Haushalt. Vielen Dank! Er weist in die richtige Richtung; denn er stärkt die Bundeswehr, und er erfüllt unsere Zusage, auf das Erreichen der 2 Prozent hinzuarbeiten. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14 – Bundesministerium der Verteidigung – in der Ausschussfassung. Wer stimmt für diesen Einzelplan? – Das sind die Fraktionen der SPD und der CDU/CSU. Wer stimmt gegen diesen Einzelplan? – Das sind die Fraktionen von AfD, FDP, Grünen und Linken. – Enthaltungen sehe ich nicht. Das Erste war die Mehrheit. Damit ist der Einzelplan 14 angenommen.

Volker Münz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004835, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Werter Minister Müller! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der BMZ-Haushalt soll 2019 gegenüber dem Vorjahr um rund 800 Millionen Euro aufwachsen und wird dann erstmals über 10 Milliarden Euro liegen. Der Herr Minister freut sich darüber, wie er schon mehrfach verlautbaren ließ. Aber die Annahme, dass mehr Geldmittel per se mehr Entwicklung bedeuten, ist falsch. Häufig hat mehr Geld der Entwicklung sogar geschadet, weil Eigeninitiative gelähmt wurde. Trotzdem ist die Entwicklungspolitik noch immer vom Grundsatz „Viel Geld hilft viel“ geprägt, leider auch in Ihrem Haus, Herr Minister. Seit 1960 wurden Schätzungen zufolge 4 000 Milliarden Dollar allein nach Afrika gepumpt, doch wenig hat sich dort geändert. Nach wie vor werden deutsche EZ-Mittel wie mit der Gießkanne an Hunderte von Trägern für Tausende von Projekten in rund 100 Ländern ausgeschüttet. Eine wirksame Kontrolle der Mittelverwendung ist vor diesem Hintergrund gar nicht möglich. Außerdem gibt es so fragwürdige Projekte wie „Gendersensible Männerarbeit in Nicaragua“ oder „Bewusstseinsbildung zu Arbeitnehmerrechten und Umweltschutz in China“. Ja, China! Wir müssen unsere Hilfen auf weniger, dafür größere Projekte konzentrieren, meine Damen und Herren. ({0}) Auch muss die Hilfe an klare Bedingungen geknüpft werden, wie zum Beispiel daran, dass die Empfängerländer ihre Landsleute, die sich illegal bei uns aufhalten, wieder zurücknehmen. Hierzu hatte meine Fraktion einen Antrag gestellt, für den wir von allen anderen Fraktionen kritisiert worden sind. Dabei ist unsere Forderung doch eine Selbstverständlichkeit, meine Damen und Herren. ({1}) Auf einer Konferenz in Bonn haben vor zwei Monaten namhafte Wissenschaftler und Praktiker über die Entwicklungspolitik für Afrika beraten. Hierbei wurde festgehalten, dass die – Zitat – „fortdauernde Aufrechterhaltung der Entwicklungshilfe-Industrie“ die Würde und Eigenverantwortung der Menschen in Afrika missachtet und eine ständige Verletzung des Subsidiaritätsprinzips bedeutet. In dem sogenannten Bonner Aufruf wurde angesichts der Erfahrungen der letzten Jahrzehnte gefordert, auf ein Ende der bisherigen Entwicklungshilfe hinzuarbeiten und sie durch eine wirtschaftliche Zusammenarbeit auf der Grundlage beiderseitiger Interessen zu ersetzen. Diesen Aufruf unterstützen wir nachdrücklich, meine Damen und Herren. ({2}) Minister Müller und die Bundesregierung haben mit dem Marshallplan für Afrika immerhin erkannt, dass es weniger um Hilfsgelder, sondern vor allem um Investitionen gehen muss. Aber diese Strategie ist immer noch im Ankündigungsstadium, wie der Vorsitzende des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft laut „Handelsblatt“ feststellte. Wir brauchen also einen Paradigmenwechsel in der Entwicklungszusammenarbeit, meine Damen und Herren. Qualität, das heißt Nachhaltigkeit, Wirksamkeit und Effizienz, hat Vorrang vor Quantität. Wir können daher dem Einzelplan so nicht zustimmen. Vielen Dank, meine Damen und Herren, für die Aufmerksamkeit. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Carsten Körber für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Carsten Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004332, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schon zum zweiten Mal in diesem Jahr versammeln wir uns hier zur abschließenden Debatte über einen Bundesetat. Auch über den Haushalt 2019 haben wir besonders im Haushaltsausschuss in den vergangenen Wochen energisch und lebhaft gerungen und auch mal gestritten, und das war gut und richtig so; denn diese Debatte ist Ausfluss des Königsrechts des Parlaments, des Budgetrechts gegenüber der Regierung. Und ja, ich bin der Meinung: Dieses Ringen hat sich gelohnt. ({0}) Es hat sich beim Blick auf den Gesamtetat gelohnt, der seit 2014 ohne neue Schulden auskommt und der 2019 erstmals seit 2002 wieder die Maastricht-Schuldengrenze von 60 Prozent unterschreiten wird. Vielleicht schaffen wir das sogar schon im Haushaltsvollzug 2018. Wer hätte das noch vor wenigen Jahren für möglich gehalten? ({1}) Gelohnt hat sich dieses Ringen aber auch beim Blick auf den Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Der Einzelplan 23 wird nun erstmals die wichtige Marke von 10 Milliarden Euro überschreiten; wir landen bei gut 10,2 Milliarden Euro. Wenn man sieht, wo wir beispielsweise 2013 mit diesem Etat noch standen, nämlich bei 6,3 Milliarden Euro, dann muss man sagen: In den letzten Jahren hat sich sehr viel getan. Gegenüber dem Regierungsentwurf hat der Einzelplan 23 einen Aufwuchs von 520 Millionen Euro erfahren. Das ist im Verhältnis mit der stärkste Aufwuchs im parlamentarischen Verfahren überhaupt. ({2}) Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, in dieser Legislaturperiode ein Absinken der ODA-Quote zu verhindern und zusätzliche Spielräume vorrangig für ODA-Leistungen und Verteidigung auszugeben. Das ist leicht gesagt, aber das dann auch verantwortungsvoll umzusetzen, ist angesichts der Summen, über die wir hier reden, durchaus eine Herausforderung. Deshalb bin ich an diesem Punkt auch stolz, sagen zu können, dass wir als Koalition mit diesem Haushalt dieser Herausforderung gerecht geworden sind. ({3}) In Summe stehen dem Gesamthaushalt 700 Millionen Euro an zusätzlichen ODA-Mitteln zur Verfügung. Davon gehen nach einem vereinbarten Schlüssel zwischen BMZ und Auswärtigem Amt jeweils drei Viertel ans BMZ und ein Viertel an das Auswärtige Amt. Konkret heißt das on top 180 Millionen für das Auswärtige und 520 Millionen für das BMZ. Das wiederum bewirkt, dass wir ein Absinken der ODA-Quote von 0,50 Prozent auf 0,49 Prozent nicht nur verhindern konnten, nein, wir erreichen sogar eine ODA-Quote von 0,51 Prozent im Etat 2019. ({4}) Kritiker mögen jetzt sagen: Von 0,49 wie im Regierungsentwurf nun hoch auf 0,51 – das ist doch nichts. Es müssen schon jetzt die 0,7 Prozent sein. ({5}) Dazu sage ich nur: Um allein diese Steigerung um 0,02 Prozentpunkte zu erreichen, haben wir als Koalition 700 Millionen Euro für ODA-relevante Maßnahmen drauflegen müssen. ({6}) Ich jedenfalls halte das für einen großartigen Erfolg. ({7}) Und ich denke, da können wir auch mal zufrieden sein. Wir haben als Koalition gezeigt, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden können. Was wir brauchen, ist aber nicht immer nur der Ruf nach mehr. Davon bin ich wahrlich kein Freund. Was wir brauchen, ist die richtige und verantwortungsvolle Verwendung der Mittel. Was sind nun die inhaltlichen Schwerpunkte dieses Etats? Als Koalition verstärken und vertiefen wir die inhaltlichen Schwerpunkte des BMZ, und das insbesondere auf den Feldern „Zusammenarbeit mit der Wirtschaft“ sowie „Ausbildung und Beschäftigung“. Beide Handlungsfelder sind geeignet, um unsere Partner vor allem in Afrika dabei zu unterstützen, in Zukunft auch selbst ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und einen eigenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mittelstand zu entwickeln. Das ist ungeheuer wichtig; denn der Mittelstand hat doch auch unser Land und unsere Gesellschaft erst zu dem gemacht, was wir heute ganz selbstverständlich sind. Wir leben heute in Freiheit, Sicherheit und Wohlstand. Und um viele der vermeintlichen Probleme, die wir in unserem Land haben oder zu haben scheinen, beneiden uns doch unsere Nachbarn. Warum sollen wir nicht bestrebt sein, andere Länder auch darin zu unterstützen, dass sie irgendwann dasselbe sagen können? Es ist in unserem Interesse; denn es hängt alles mit allem zusammen. Die neue Sonderinitiative „Ausbildung und Beschäftigung“ haben wir mit 120 Millionen Euro solide finanziert. Die beiden Titel im BMZ-Etat, die mit jeweils 100 Millionen Euro die größten Aufwüchse erfahren haben, sind „Krisenbewältigung und Wiederaufbau, Infrastruktur“ sowie „Finanzielle Zusammenarbeit mit Regionen“. Wir haben hier schnell Nägel mit Köpfen gemacht und haben auch die Zusagen der Bundeskanzlerin Ende Oktober beim Afrika-Gipfel in Berlin sofort im Etat umgesetzt. Für den Entwicklungsinvestitionsfonds mit Afrika stehen jetzt 100 Millionen Euro bereit. Aber wir verlassen uns nicht allein auf die bilaterale Zusammenarbeit, sondern wir haben auch die Mittel für die multilaterale Zusammenarbeit signifikant erhöht. Das halte ich in Zeiten von zunehmend stark national oder auch nationalistisch orientierten Staatenlenkern für ein unheimlich wichtiges Zeichen des Multilateralismus. ({8}) Denn die multilaterale Weltordnung seit dem Zweiten Weltkrieg hat uns die Freiheit, die Sicherheit und den Wohlstand überhaupt erst ermöglicht, die heute für viele von uns vielleicht sogar ein Stück weit zu selbstverständlich geworden sind. So erhalten die Vereinten Nationen 80 Millionen Euro mehr als im Regierungsentwurf vorgesehen – und das insbesondere für die UNDP, das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen. Das UNDP plant eine strategische Neuausrichtung und Restrukturierung. Deshalb haben wir, nachdem wir uns mit dem UN-Untergeneralsekretär Achim Steiner intensiv ausgetauscht haben, 40 Millionen Euro zusätzlich dafür bereitgestellt. ({9}) Aber auch UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, bekommt für seine wertvolle Arbeit 10 Millionen Euro mehr. Die Mittelaufwüchse für die Vereinten Nationen machen eines deutlich: Auch in Zukunft wollen wir international ein ehrlicher und verantwortungsvoller Partner sein, dessen Verantwortungsbereitschaft nicht an den eigenen nationalen Grenzen endet. In einer zunehmend vernetzten Welt kann niemand allein auf Dauer im Guten leben. Daher ist der gesamte BMZ-Etat Ausdruck unserer Verantwortung für die internationale Staatengemeinschaft. Ich bin dankbar, dass auch ich hierzu einen kleinen Teil beitragen durfte. Mein Dank an dieser Stelle gilt dem Ministerium, meinen Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstattern und allen, die zu diesem hervorragenden Ergebnis beigetragen haben. Lassen Sie uns jetzt etwas daraus machen. Vielen Dank. ({10})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Christoph Hoffmann für die Fraktion der FDP. ({0})

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Herr Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Liabe Lüt! Das sagt man bei uns im Südbadischen und hat damit alle, aber auch wirklich alle Geschlechter begrüßt. ({0}) Der Minister präsentiert uns hier einen Haushalt mit einem ordentlichen Mittelaufwuchs. Das ist nach den dramatischen Aufrufen der letzten Wochen sicher ein Erfolg für Sie persönlich. Also, Sie sind ein wirklich guter Fundraising-Campaigner, wie man heute sagen würde. ({1}) Es ist aber ein Haushalt nach dem Vorbild des Ablasshandels: Zahle, fühle dich gut und frage nicht, was wirklich hinter den Kulissen passiert. ({2}) Der Minister reagiert auf Kritik. So hat er für jede Kritik an der Bundesregierung sofort eine Sonderinitiative parat. Er entkräftet die Kritik mit einer schönen Kulisse, mit einem schönen Gemälde: Mehr Geld obendrauf und alles ist gut. – Herr Minister Müller ist der beste Kulissenmaler der Großen Koalition. Beim Murren des Volkes über die Flüchtlingskrise zaubert er einen Marshallplan mit Afrika hervor. Abschiebeprobleme löst er mit weiterem semantischem Mumpitz ({3}) wie der Sonderinitiative „Perspektive Heimat“. Aber was ist hinter den Bildern und Kulissen? Ein schwarzes Loch und maximal ein Schattenhaushalt. Wenn Sie mal die Haushaltsmittel zusammenzählen, stellen Sie fest, dass Sie am Ende des Tages nur noch 30 Prozent aller Mittel für Afrika ausgeben – und das wollten Sie ja eigentlich in den Fokus nehmen. Das kann und darf es nicht sein. ({4}) Beim genauen Blick auf die „Perspektive Heimat“ – ich habe mir ein solches Projekt im Irak angesehen – kann ich nur sagen: Das ist wirklich verschwendete Zeit, verschwendetes Geld. Das macht so, wie es da durchgeführt wird, wirklich keinen Sinn. Es wird immer mehr Geld für mehr Umsatz im Ministerium gefordert. Mehr Geld wurde auch von Ihnen, Herr Körber – wir haben es gerade gehört –, wieder gefeiert. Mehr Geld ist toll – Stichwort: ODA-Quote usw. –, aber Umsatz kann doch kein Ziel sein. Wir brauchen Ergebnisse. Dazu fehlen die sachlichen Ziele auf einer klaren Zeitschiene. Sonst ist doch überhaupt kein Steuern eines 10-Milliarden-Euro-Haushaltes mehr möglich. Ich mache Ihnen mal einen Vorschlag, wie das ausschauen könnte: Wenn Sie innerhalb von zehn Jahren 500 Millionen Hektar Wald für den Klimaschutz etablieren, wäre das wirklich was Konkretes, was zum Anfassen, was auch die Bürger verstehen würden. Sie hätten etwas Sinnvolles gemacht, und es wäre glatt gesteuert. ({5}) Die Kanzlerin hat heute Morgen sehr viel mehr Multilateralität gefordert. Das haben wir Freie Demokraten in jeder Haushaltsdebatte vom Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit ebenfalls immer gefordert. Leider auch hier: eine schöne Kulisse. Der Haushalt hat nur etwa 30 Prozent multilaterale Mittel vorgesehen; der Rest ist bilateral. Schauen wir uns doch die Welt an: Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung haben hier im Haus alle gefeiert; die wollen Sie bis 2030 umsetzen. Aber so ungesteuert wie dieser Haushalt daherkommt, werden wir das nie und nimmer schaffen. Das war doch eigentlich das Ziel. Das Ministerium hat keinen wirklichen Vorschlag für die Ärmsten der Armen. In Subsahara-Afrika liegen die wirklichen Entwicklungsprobleme. Die asiatischen Länder haben sich selbst aus der Armut herausgearbeitet, weniger mit Staatsgeldern der Entwicklungszusammenarbeit, sondern mehr durch stabile Regierungen und durch Schwerpunktsetzung auf Bildung, Marktwirtschaft und Zukunftsorientierung, also im Grunde durch die Umsetzung dessen, was man Good Governance nennt. Daran fehlt es in vielen Staaten Subsahara-Afrikas. Und ohne Good Governance werden all diese Sonderinitiativen – und mögen es noch ein paar mehr sein, Herr Müller – und die vielen BMZ-Gelder keinen Erfolg haben können. Wir brauchen deshalb mehr Good Governance in Subsahara-Afrika. Wie erreichen wir das? Das können wir nur durch gemeinsame Anstrengungen Europas in der Außenpolitik erreichen. Wir brauchen hier Kohärenz und Konsequenz. Wir brauchen mehr Zusammenarbeit mit den Europäern in Prävention und Krisenbewältigung, so wie Macron das am Sonntag in einer bewegenden Rede hier in diesem Haus gefordert hat. Mit der Dynamik und Emotionalität, mit der er hier aufgetreten ist, hat er gezeigt, wie man Europa voranbringen kann. Ich wünsche mir, dass so etwas auch von diesem Haus, von deutschen Führungskräften einmal kommen würde. ({6}) Es braucht in der EU neue Kräfte, neue Dynamiken, neue Ideen und neue Formate und keine Kanzlerin, deren Amtszeit ausläuft, sondern eher so einen Typen wie Macron. ({7}) Die Kanzlerin wird die EU nicht mehr einen, sie ist doch selbst Teil der Krise. Die Kanzlerin kann die EU nicht mehr zu dem gemeinsamen internationalen Druck bewegen, den es braucht, um Good Governance in Subsahara-Afrika voranzubringen. Deshalb ist es auch wichtig, dass die EU hier voranschreitet. Wir brauchen eine neue Generation und kein weiteres Gewürge in den nächsten drei Jahren. Nur wenn die EU die Kraft hat, zusammenzustehen, und Despoten auch nicht mehr ansatzweise unterstützt, werden wir Armut und Migration durch eine gute wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung begrenzen können. Denn dann, und erst dann, kann die Privatwirtschaft investieren. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion der SPD die Abgeordnete Sonja Amalie Steffen. ({0})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Gäste auf der Tribüne! Herr Hoffmann, soweit ich mich erinnern kann, waren Sie früher selber einmal Mitarbeiter bei der GTZ, einer Vorgängerin der GIZ, also der Gesellschaft für Entwicklungszusammenarbeit. Dann müssen Sie doch wissen, dass man die Ziele in diesem Zusammenhang nicht von heute auf morgen erreicht, sondern dass es ein nachhaltiger Prozess ist. Sie haben Frankreich erwähnt. Gerade Frankreich geht im Bereich der multilateralen Zusammenarbeit wirklich vorneweg. Also wenn Sie sich schon an Frankreich orientieren, dann schauen Sie auch einmal, wie dort die Entwicklungszusammenarbeit abläuft. Da könnten wir uns an der einen oder anderen Stelle vielleicht noch eine Scheibe abschneiden. Herr Kollege Münz, noch ganz kurz zu Ihnen: Allein die Wortwahl, aber auch der Inhalt der Rede zeigen, dass Sie sich im Bereich der Entwicklungshilfe der 50er-Jahre aufhalten. ({0}) Sie haben von der Entwicklung zur Entwicklungszusammenarbeit noch überhaupt nichts mitbekommen; über die Frauenprojekte wollen wir gar nicht weiter reden. ({1}) Den Sinn und Zweck dieser Arbeit kann ich Ihnen in diesem Leben nicht mehr beibringen, glaube ich. Was Ihr AfD-Kollege Boehringer gestern in seiner Rede vom Stapel gelassen hat – ich weiß nicht, ob sie jemand gehört hat –, ist wirklich an Ignoranz und Menschenverachtung gar nicht mehr zu überbieten. ({2}) Wie er sich über wichtige Projekte der Entwicklungszusammenarbeit lustig gemacht hat, war wirklich ekelhaft. ({3}) Er zieht damit alle Menschen in den Schmutz, die täglich in den Krisengebieten arbeiten, unter großen Einschränkungen und oft unter Einsatz ihres Lebens. ({4}) Deshalb möchte ich mich im Namen der SPD-Fraktion, aber wahrscheinlich auch im Namen der meisten hier im Hause an dieser Stelle einmal recht herzlich ({5}) bei den Menschen, die draußen im Feld arbeiten, bedanken. ({6}) Nun zum Haushalt 2019: Ich möchte Ihnen, Herr Minister Müller, und Ihrem Haus, aber auch meinen Mitberichterstattern, dem Kollegen Leutert – ich habe gehört, er ist heute krank; an dieser Stelle: gute Besserung – und dem Kollegen Körber, ausdrücklich für die gute Zusammenarbeit danken. Ich danke aber vor allen Dingen auch den Fachpolitikerinnen und -politikern, die uns unterstützt haben. Und ich möchte den Mitarbeitern in den Büros ebenfalls meinen herzlichen Dank aussprechen. Wir haben gemeinsam in diesem Etat einiges bewirkt, vor allem zwischen der Einbringung und der Verabschiedung des Haushalts. Wir sind in die Haushaltsberatungen mit einem Etat von 9,725 Milliarden Euro gestartet. Die meisten von uns werden sich noch gut an die Debatte erinnern. Es wurde verschiedentlich auf den Koalitionsvertrag verwiesen, in dem wir vereinbart haben, dass die ODA-Quote auf keinen Fall absinken darf. Deshalb hat besonders meine Fraktion – ich erwähne vor allem die SPD-Fachpolitikerinnen und -politiker wie Gabi Weber als Sprecherin, aber auch Sascha Raabe – zu Recht darauf hingewiesen, dass wir uns die Zahlen im Laufe der Haushaltsberatungen noch einmal genauer anschauen müssen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir getan. Ich denke, das Ergebnis der Beratungen kann sich wirklich sehen lassen. ({7}) Wir haben insgesamt noch einmal 700 Millionen Euro auf den Entwurf drauflegen können. Ich kann mit Fug und Recht behaupten: 350 Millionen Euro hat unsere Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles quasi auf den letzten Metern in der Koalition herausgehandelt. ({8}) Wir haben darauf geachtet, dass der Aufwuchs an die Ministerien fließt, die das Geld am nötigsten haben: das Auswärtige Amt für die humanitäre Hilfe und das BMZ für Investitionen in Bildung, in Gesundheit und Infrastruktur vor Ort. Auf ein paar wichtige Projekte, die vor allem uns von der SPD-Fraktion besonders wichtig waren, möchte ich an dieser Stelle genauer hinweisen. Wir haben noch einmal 40 Millionen Euro mehr für den Global Fund zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose zur Verfügung gestellt. Damit sind wir bei insgesamt 260 Millionen Euro, und es können weitere lebenserhaltende Gesundheitsprogramme in Gang gesetzt werden. ({9}) Wir haben, um beim Thema Gesundheit zu bleiben, noch einmal 6 Millionen Euro mehr für die Impfallianz GPEI zur Verfügung stellen können. Hier geht es um die Bekämpfung von Polio und Kinderlähmung. Sie werden wissen: Wir haben das Ziel der Ausrottung der Kinderlähmung fast erreicht. Wir sind auch hier quasi auf den letzten Metern. Ich finde, es ist gut, dass wir gezeigt haben, dass wir hier nicht schlappmachen. ({10}) Die Mittel für den Zivilen Friedensdienst haben wir um 10 Millionen Euro erhöht. Auch die Mittel für die Freiwilligendienste haben wir um weitere 4 Millionen Euro erhöht. Damit unterstützen wir vor allem junge Freiwillige, die in die Krisengebiete, in die ärmsten Länder gehen und die fast immer als Botschafterinnen und Botschafter für eine bessere Welt von ihrem Einsatz zurückkehren. ({11}) Gleiches gilt übrigens für die entwicklungspolitische Bildung im Inland. Die Mittel hierfür konnten wir um 10 Millionen Euro aufstocken. Es ist wichtig, dass wir schon unsere Kinder in Schul- und Bildungsprojekten darauf hinweisen, dass wir eine Verantwortung für die Welt haben. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte an dieser Stelle mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, einmal die Kanzlerin aus ihrer Rede heute Morgen zitieren. Sie hat gesagt – hören Sie gut zu! –, dass wir die Themen „Flucht“ und „Migration“ nur im internationalen Zusammenhang lösen können. Es freut mich sehr, dass die Kanzlerin in ihrer Rede heute Morgen die Bedeutung der Vereinten Nationen so hervorgehoben hat. ({13}) Es wird daher auch sie besonders freuen, dass wir die Mittel für die Vereinten Nationen um insgesamt 80 Millionen Euro erhöht haben. Der Kollege Körber hat schon auf UNDP hingewiesen. Ich möchte auch auf UN Women verweisen; denn hier geht es ausdrücklich um Mittel für die Herstellung der Geschlechtergerechtigkeit. Wir alle wissen – zumindest diejenigen, die sich in den Ländern aufhalten bzw. sich anschauen, wie es dort vor Ort läuft –, dass die Entwicklungszusammenarbeit über die Frauen läuft. Deswegen finde ich es sehr wichtig, dass wir dieses Projekt unterstützen. UNICEF wurde schon erwähnt. Ich will noch sagen: GPE, die globale Bildungspartnerschaft, haben wir mit weiteren Mitteln stärken können. Gerade hier ist es besonders wichtig, dass wir für Kinder in den armen Ländern durch Bildung vor Ort eine Perspektive schaffen, damit sie in ihrem Heimatland bleiben können. Gut ist übrigens auch, dass wir mit Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 10,3 Milliarden Euro – die waren ursprünglich gesperrt – für die Jahre ab 2020 dafür sorgen können, dass die Projekte auch nachhaltig sind. Aber damit ist es nicht getan, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir müssen auch zukünftig unserer Verantwortung in der Welt gerecht werden. Wir von der SPD-Fraktion werden dies auch weiterhin tun. Vielen Dank. ({14})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist die Abgeordnete Helin Evrim Sommer für Die Linke. ({0})

Helin Evrim Sommer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004897, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Entwicklungsminister Müller! Die Bundesregierung will mit einem neuen Förderkatalog 180 Länder unter die Lupe nehmen. Demnach soll es nur Unterstützung für Länder geben, die Korruption bekämpfen, die Menschenrechte einhalten und rechtsstaatliche Strukturen schaffen. ({0}) Wenn das die Kriterien sind, dann können vielleicht noch Schweden und Finnland Entwicklungsgelder von uns beantragen. Alle anderen qualifizieren sich erst gar nicht dafür. Ist das wirklich so gewünscht, Herr Minister? Die Vereinten Nationen haben uns bereits 1972 einen Richtwert gegeben. Die reichen Länder sollen 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe ausgeben. Sie feiern sich heute für die Erhöhung des Entwicklungsetats, meine Damen und Herren. Wir kommen aber damit nur auf knapp 0,5 Prozent und bleiben immer noch unter dem UN-Wert von 0,7 Prozent; das ist die Wahrheit. ({1}) Aber ich will einen Schritt vorher ansetzen; denn für Die Linke sind insbesondere drei Punkte wichtig: erstens humanitäre Hilfe, zweitens Ausbildung vor Ort und drittens gemeinsame Projekte mit unseren Partnern. Zu Punkt eins: humanitäre Hilfe. Für Menschen in Not, für Opfer von Verfolgung und Bürgerkrieg müssen wir humanitäre Hilfe leisten. Hier geht es um ganz grundsätzliche Menschenrechte, Zelte, Decken, Wasser, Reis, Medikamente. Das ist für uns nicht verhandelbar, meine Damen und Herren. ({2}) Zu Punkt zwei. Ich möchte mich für das starkmachen, was Deutschland eigentlich am besten kann: Ausbildung in Handwerk, Technik und Landwirtschaft. Deutsche Fachhochschulen können in Entwicklungsländern Elektriker, Wasseraufbereiter, Krankenschwestern ausbilden. Nur so können wir die regionale Wirtschaft stärken und die Fluchtursachen bekämpfen, meine Damen und Herren. Denn niemand auf dieser Welt flieht freiwillig auf einen anderen Kontinent. ({3}) Der dritte Punkt: gemeinsame Projekte mit unseren Partnern. Vor etwa zwei Wochen war ich mit einer Gruppe Abgeordneter in Ägypten. Dort traf ich einen Kardiologen, der als der ägyptische Experte für Herzerkrankungen gilt. Er sprach perfekt Deutsch, weil er in Deutschland studiert hatte. Nach seiner Rückkehr nach Ägypten baute er ein Gesundheitszentrum in einem Armenviertel bei Kairo auf. Es ist ein ägyptisches Gesundheitszentrum, das durch deutsche Gelder unterstützt wurde. Das ist tausendmal besser, als wenn wir ein deutsches Krankenhaus hinstellen und sagen: Nun operiert mal schön. ({4}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, noch einmal zur Erinnerung: Die Koalition hat eigentlich eine Eins-zu-eins-Koppelung vereinbart. Das heißt, dass die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit genauso steigen sollen wie die Ausgaben für Verteidigung. Tatsächlich aber wächst der Verteidigungsetat im Vergleich zum Entwicklungsetat um das Sechsfache. Meine Frage: Herr Minister Müller von der CSU, warum lassen Sie sich immer wieder von einem sozialdemokratischen Bundesfinanzminister so unterbuttern? Diese Frage müssen auch Sie sich einmal stellen. ({5}) Also: erstens humanitäre Hilfe, zweitens Ausbildung vor Ort, drittens Projekte mit unseren Partnern und das mit 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens – so kann eine gute Entwicklungszusammenarbeit aussehen, meine Damen und Herren. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes spricht zu uns die Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Haushalt des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung steht erstmals eine 10-Milliarden-Größe. Das heißt, es ist tatsächlich gelungen, während der Haushaltsberatungen einen erheblichen Aufwuchs zu vereinbaren. Das bedeutet, dass die sogenannte ODA-Quote nicht absinkt, sondern bei 0,51 Prozent stabilisiert wird. Ich kann zu meiner Vorrednerin sagen: Ja, es ist richtig, das sind noch nicht die 0,7 Prozent, die wir erreichen wollen. Ich bin auch dafür, dass wir dabei bleiben und – das fordern wir Grüne – einen Fahrplan entwickeln, wann und wie wir zu den 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens kommen und dann zu einer viel höheren Leistung. Aber mir fällt kein Zacken aus der Krone, zu sagen: Ich bin froh, dass Sie das in den Haushaltsberatungen erreicht haben. Gemessen an der selbstkritischen Haltung gerade der SPD-Fraktion zu dem Etat kann ich nur sagen: Das unterstützen wir, auch wenn wir uns noch mehr vorstellen können. Dieser Etat ist in der zweiten Lesung deutlich besser. Das hat das Parlament zustande gebracht und nicht die Bundesregierung. ({0}) Herr Müller, ich möchte Folgendes zu Ihnen und Ihrer Verantwortung sagen: Ich glaube, es ist sehr, sehr wichtig, dass die multilaterale Zusammenarbeit und die Arbeit dieser multilateralen Organisationen auch von Ihnen persönlich noch viel stärker in den Fokus gerückt werden. Ich bin froh, dass dort auch zusätzliche Mittel bereitgestellt werden. Aber Sie, Herr Minister, sollten in Ihrem Agieren diesen Organisationen wesentlich mehr Bedeutung zumessen. ({1}) Warum sind diese Organisationen so wichtig? Die Herausforderungen, die wir heute haben – Klimakrise, Ressourcenfragen, auch die Migrationsfrage –, können wir nur in gemeinsamer Anstrengung lösen. Bundeskanzlerin Merkel hat heute Morgen dazu ausgesprochen engagiert Stellung genommen, gerade in Bezug auf das Thema „Flucht und Migration“. Dann erwarte ich aber auch, dass sich ein Vorsitzender des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung daran ein Beispiel nimmt und darüber nachdenkt, was es bedeutet, wenn wir einen solchen Pakt international beschließen. Dann erwarte ich auch eine ganz andere Präsenz von Ihnen, Herr Minister. Ich hoffe, dass Sie noch einmal Stellung dazu nehmen, was die unionsinterne Auseinandersetzung angeht. ({2}) Man kann das auch beispielhaft belegen. Der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria – eine internationale Organisation – konnte zum Beispiel allein 5 Millionen Menschen mit Tuberkulose zusätzlich behandeln, weil durch eine Bündelung der Maßnahmen 205 Millionen Dollar im Einkauf gespart werden konnten. Da sieht man sehr wohl, dass solche Dinge sehr effizient sein können, dass wir darauf achten, dass gerade multilaterale Organisationen eine sehr hohe Effizienz haben. Nebenbei gesagt für die Kollegen rechts außen: Es gibt auch sehr interessante Evaluierungen. Die sollte man sich dann auch einmal ansehen. ({3}) Gerade die Vereinten Nationen, Herr Minister, reagieren bei Krisen und Katastrophen als Erste und bleiben, wenn aus Sicherheitsgründen schon viele gegangen sind. Wenn man sich einmal vor Augen führt, dass Deutschland Mitglied in den 13 größten multilateralen Organisationen, der größte Beitragszahler der EU, der viertgrößte bei den Vereinten Nationen und weltweit der zweitgrößte Geber von Entwicklungshilfe ist, dann ist das nicht nur eine Chance, sondern dann ist das auch eine Verantwortung. Ich finde, es ist nicht zu erklären, dass Sie zum Beispiel bei keiner einzigen Weltbanktagung in den letzten Jahren persönlich anwesend waren. ({4}) Ich finde, Deutschland kann da eine so bedeutsame Rolle spielen, auch durch mehr persönliche Präsenz, als Sie, Herr Minister, sie zeigen. Das gilt genauso für die UN. Dort gibt es das Hochrangige Politische Forum für Nachhaltige Entwicklung. Da geht es um die Sustainable Development Goals. Auch zur Jahrestagung dieses Forums sind Sie nicht persönlich hingefahren. Ich würde mir wünschen, dass Sie das tun, dass Sie mehr Druck machen, ob auf EU-Ebene oder auf Ebene der Vereinten Nationen. Das würde der Rolle Deutschlands gerecht werden. ({5}) Ich kann ein weiteres Beispiel bringen: Rechte von Kleinbauern. Eine UN-Deklaration wird beraten, und bei der UN-Vollversammlung am Montag ist eine Resolution zu den Rechten von Kleinbauern in ländlichen Regionen angenommen worden. 119 Staaten haben dafür gestimmt, 7 haben dagegengestimmt, Deutschland hat sich enthalten. Ich weiß, dass Sie persönlich es eigentlich gerne anders gemacht hätten; aber hier fehlt die Kohärenz in der Bundesregierung. Dass wir bei internationalen Organisationen glaubwürdig und engagiert auftreten, ist wichtiger, als mit der einen oder anderen Sonderinitiative durch die Welt zu ziehen. Denn wenn wir wirklich den Hunger bekämpfen wollen, dann müssen wir die multilaterale Zusammenarbeit viel engagierter stärken. Dieser Aufgabe sind Sie noch nicht hinreichend nachgekommen. ({6}) Allerletzter Punkt. Wir brauchen auch ein viel stärkeres Engagement für die Unterstützung von Frauen und Mädchen. Wir haben in den Haushaltsberatungen nachgefragt: Nur 0,7 Prozent der ODA-Gelder gehen gezielt in Projekte für Gleichberechtigung der Geschlechter. Hier liegt noch eine Menge Arbeit vor Ihnen. Schauen Sie sich unseren Antrag an. Da kann man noch viel besser werden. In diesem Sinne wünsche ich mir weiterhin erfolgreiche Haushaltsberatungen in diesem Haus, und das nicht nur in diesem Jahr. Danke schön. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Hajduk. – Ich weise darauf hin, dass der Kollege Kekeritz jetzt nur noch drei Minuten zur Verfügung hat – damit er sich schon darauf einstellen kann. Als nächster Redner spricht zu uns der Bundesminister Dr. Gerd Müller. ({0})

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Heute tun Sie alle was Gutes – mit diesem Haushalt des Entwicklungsministeriums, der um über 800 Millionen Euro wächst und damit erstmals über die 10-Milliarden-Euro-Grenze hinaus. Das ist ein starkes Zeichen. Frau Steffen, Frau Hajduk, Herr Körber, Sie haben es gesagt: Es ist ein Zeichen des Parlamentes. Sie haben das Königsrecht in den Haushaltsberatungen wahrgenommen, und dafür bedanke ich mich, und zwar auch bei den Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen, die ich jetzt nicht alle namentlich nenne. Ich weiß: Andrea Nahles und die anderen, meine Kollegen, haben sich dafür starkgemacht. Deshalb konnten wir dieses Ergebnis erzielen. Ich danke den Berichterstattern, zum Beispiel Herrn Leutert; ich möchte jetzt nicht alle aufzählen. Ich danke auch Sascha Raabe, der bei den ersten Haushaltsberatungen eine impulsive Rede gehalten hat. Vielen herzlichen Dank! Ich will Ihnen jetzt sagen, dass ich selbstverständlich in der Verpflichtung stehe, eine hohe Wirksamkeit der Maßnahmen zu erzielen. Ich möchte es Ihnen anhand eines Beispiels darstellen: Was könnte man mit 800 Millionen Euro Haushaltsaufwuchs bewirken, wenn man sie in die Not- und Überlebenshilfe investieren würde, bei der wir nicht alles, aber einen Teil leisten können? Wir könnten 4 Millionen Menschen ein Jahr lang das Überleben sichern. Können Sie sich vorstellen, welchen Wirkungshebel die Mittel in der Entwicklungszusammenarbeit haben? Mit 200 Euro im Jahr können Sie ein Menschenleben im Jemen, wo die Not unglaublich ist, oder in Syrien – in Idlib und in anderen Regionen – retten. Deshalb: Danke schön für die 800 Millionen Euro. Wir werden sie sinnvoll und wirksam einsetzen. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, von 6,4 auf 10,2 Milliarden Euro – das sind technische Dinge. Deutschland übernimmt Verantwortung in der Welt. Wichtig sind nicht die Zahlen, sondern die Maßnahmen, die wir damit umsetzen können, die Bedarfe, die wir damit decken können. Die Kolleginnen und Kollegen haben das Spektrum dargestellt. Das Wichtigste ist nach wie vor die Bekämpfung von Hunger und Not und Elend. 800 Millionen Menschen leben in Hunger und Not und Elend. Deswegen haben wir die Sonderinitiative „EINEWELT ohne Hunger“ und retten Zehntausenden von Menschen, insbesondere Kindern, mit dem Geld der Steuerzahler das Leben. ({1}) Meine zweite Priorität ist: Wir helfen und investieren in den Kriegs- und Flüchtlingsregionen der Welt. Wir brauchen auch den Migrationspakt. Ich war dabei – ich hoffe, Sie verraten es nicht weiter, Frau Hajduk –, als vor zwei Jahren das Startzeichen in New York gegeben wurde. Wir brauchen internationale menschenrechtliche Standards im Umgang mit Migranten. Hier denke ich an die Arbeitssklaven in Katar, die die Fußballstadien für die nächste Weltmeisterschaft bauen, oder an die Mädchen in Kuwait, denen die Pässe weggenommen werden, die wie Sklavinnen arbeiten müssen. Hier brauchen wir Standards. Menschenrechte sind unteilbar, und dieser Migrationspakt setzt diese internationalen Standards. ({2}) Ich möchte allen danken. Über die staatlichen Partner hinaus möchte ich den NGOs, der Welthungerhilfe und den kirchlichen Hilfswerken danken. Ich sage Ihnen Folgendes: In Deutschland, von Oberstdorf, wo ich zu Hause bin, bis nach Lübeck, gibt es Tausende von Privatinitiativen und NGOs. Diese Privatinitiativen verdoppeln den staatlichen EZ-Haushalt noch einmal. Circa 8 Milliarden Euro schaffen die privaten Initiativen in die einzelnen Projekte und in deren Arbeit. Dafür meinen herzlichen Dank. Die NGOs in der EZ sind die größte Friedens- und Entwicklungsbewegung der Welt. Herzlichen Dank allen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke?

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Wer möchte eine Zwischenfrage stellen?

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Die Fraktion Die Linke.

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Ja, gerne.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident! – Herr Minister Müller, Sie haben sich ja gerade auf den globalen Vertrag für Migration bezogen und gesagt, er werde Standards schaffen. Gleichzeitig betont die Bundesregierung ständig, dass es ein nichtvölkerrechtlich bindender Vertrag sei und er von daher keine realen Auswirkungen auf die nationale Gesetzgebung habe. Von daher ist es eigentlich der Willkür der Staaten überlassen, ob sie zukünftig Standards einhalten oder nicht. Es gibt aber eine ganz andere Initiative des UN-Menschenrechtsrats, die sich darum bemüht, ein Unternehmensstrafrecht für multinationale Konzerne durchzusetzen – das betrifft vor allem europäische Konzerne –, die die Arbeitsstandards eben nicht einhalten und dadurch gezwungen würden – weil sie sonst sanktioniert werden –, dass sie Arbeitsstandards, soziale Standards einhalten. Diese wichtige Initiative, die völkerrechtlich bindend wäre, unterstützt die Bundesregierung aber nicht. Wieso unterstützt sie sie nicht, und was ist Ihre Position?

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Sie bringen jetzt viele Dinge etwas durcheinander. Es ist auch für die Zuhörer da draußen am Fernsehapparat schwierig, das überhaupt noch zu verstehen. Ich sage Ihnen ganz klar: Wir brauchen die weltweite Verpflichtung auf menschenrechtliche Grundstandards. Die Menschenrechte sind unteilbar – von Honduras bis nach Bangladesch. Dazu gehört die Verabschiedung des Migrationspaktes, aber auch die Anerkennung der Menschenrechtsdeklaration der UN; das ist die Grundlage unserer internationalen Arbeit. Meine Damen und Herren, ich bin dankbar für die Quantensprünge, die wir machen. Ich kann das ja nur kurz darstellen: Beim Haushalt und der öffentlichen EZ mit dem neuen Maßnahmenpaket für mehr Investitionen in Afrika – das sage ich allen, gerade denen in der FDP – setzen wir auf mehrere Säulen: Eigenleistung der Entwicklungspartner, insbesondere der Afrikaner. Zunächst einmal muss jeder selber einen Eigenbeitrag leisten – Good Governance –, dann kommt die staatliche EZ, mit der wir Impulse setzen. Ich denke an Leuchtturmprojekte im Bereich der erneuerbaren Energien, im Bereich der Ausbildung. Dann komme ich zum Thema „private Investitionen“. Hier ist uns mithilfe der Kanzlerin, des Bundesministers Altmaier, aber auch des Finanzministers ein Durchbruch gelungen, Stichwort: Afrika-Verein und vieles andere. Wir stärken jetzt private Investitionen in afrikanischen Ländern mit einem neuen Instrument, mit einem neuen Wirtschaftsinvestitionspaket. Hauptpunkt dabei ist ein neuer Entwicklungsinvestitionsfonds, ausgestattet mit 1 Milliarde Euro, wodurch wir deutsche und afrikanische KMUs zusammenbringen und die privaten Investitionen mit einer neuen Säule aufbauen. Denn in Zukunft können wir Arbeitsplätze nicht mit öffentlichen Geldern schaffen. Wir können Ansätze schaffen. Dazu brauchen wir private Investitionen der deutschen Wirtschaft. Auf nach Afrika! Die Instrumente sind jetzt geschaffen. ({0}) Dazu gehört die Sonderinitiative „Ausbildung und Beschäftigung“. Die deutsche Wirtschaft geht andere Wege als die Wirtschaft in China, Afrika und anderen Entwicklungsländern. Investitionen werden stets gepaart mit Investitionen in die Ausbildung der heimischen Jugendlichen, in Afrika, in Asien, aber auch in Lateinamerika. Wir setzen den Marshallplan mit Afrika um. Wir führen eine eigene Debatte. Stellen Sie einen Antrag, dann diskutieren wir nur über dieses Thema. Die Kanzlerin – ich durfte mit dabei sein – hat vor drei Wochen die größte Afrika-Konferenz seit 1884 durchgeführt. Das hat kaum einer von Ihnen wahrgenommen. Das wurde überlagert von dramatischen innenpolitischen Themen, über die diskutiert wurde. ({1}) Wir haben den Ressortkreis Afrika etabliert. Ein kohärentes Auftreten der Ressorts ist mir sehr wichtig, vom Außenministerium über das Wirtschaftsministerium bis hin zum Finanzministerium. Wir europäisieren den Marshallplan. Deutschland macht das nicht allein. Wir sind wesentlich stärker, wenn wir das Thema zu einem europäischen Thema machen. Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 werden wir den Nachfolgevertrag zum Post-Cotonou-Vertrag vorlegen. Wir setzen auf die Umsetzung von Reformpartnerschaften. Wir haben sechs Reformpartner, von denen wir Good Governance, Bekämpfung der Korruption und Einhaltung der Menschenrechte einfordern. Dazu wurde ein Konzept erstellt, das einige von Ihnen noch nicht gelesen haben, aber es liegt mir vor. Wenn so viel Geld investiert wird, dann muss ein klares Konzept mit entsprechender Kontrolle der Wirksamkeit dahinterstehen. Deswegen habe ich das Konzept EZ 2030 vorgelegt und positioniere damit die deutsche Entwicklungspolitik neu, weg von der Gießkanne, hin zu mehr Wirksamkeit, klarer Konditionierung und mehr Zusammenarbeit in Deutschland und Europa. Lassen Sie mich zum Schluss auf die drei inhaltlichen Schwerpunkte eingehen, die ich für 2019 gesetzt habe. Erster Schwerpunkt ist der Klimaschutz. Ich werde im Vorfeld der Klimakonferenz in Kattowitz eine neue Initiative, eine Allianz für Entwicklung und Klima vorstellen. Zweiter Schwerpunkt ist eine Offensive zur Wahrung der Menschenrechte und der Rechte der Frauen. Wir gratulieren Nadia Murad zum Friedensnobelpreis. Sie ist eine großartige Kämpferin für Menschenrechte und gegen Gewalt gegen Frauen. Sie wird hier in Deutschland Gast sein, worauf wir stolz sind. ({2}) Dritter Schwerpunkt ist: Ich setze erneut das Thema „gerechter und fairer Handel in globalen Lieferketten“ auf die Tagesordnung; denn der Markt braucht Moral, er braucht Regeln, und er braucht Grenzen. Wir brauchen eine neue Wachstumsphilosophie. Wir können, wollen und werden die Welt ein Stück humaner, gerechter und friedlicher machen. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Herzlichen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister. – Nun darf sich die Unionsfraktion mit der Frage beschäftigen, wem ich die Minute abziehen soll, die der Minister die angemeldete Redezeit überschritten hat. Als Nächstes spricht zu uns der Kollege Markus Frohnmaier, AfD-Fraktion. ({0})

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwicklungshaushalt soll gegenüber 2018 um rund 800 Millionen Euro aufwachsen und wird 2019 erstmals über 10 Milliarden Euro liegen. Was macht das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit unserem Steuergeld? Ich will Ihnen eine kleine Übersicht über Projekte und Vorhaben geben, die der deutsche Steuerzahler unter dieser Bundesregierung fördert und die der Bundesminister gerade nicht erwähnt hatte – ich zitiere –: angewandtes Gender Diversity Management im Nahen Osten, ({0}) Mediation und Transformation sozialer Konflikte in Mexiko, Integration des Genderansatzes in die marokkanische Wirtschafts- und Sozialpolitik, ({1}) Stärkung und effektive Umsetzung von Arbeitsrechten mit Genderfokus ({2}) in der Bekleidungsindustrie in Zentralamerika, ({3}) Stärkung von LGBT-Menschenrechten in Honduras, ({4}) bürgerverbindende Aktionen zur Bekämpfung von genderbasierter Gewalt in Namibia, ({5}) Förderung eines zivilgesellschaftlichen landesweiten Gendernetzwerks in China, ({6}) gendergerechte lokale Selbstverwaltungsprozesse in Indien, ({7}) gendersensible Männerarbeit in Nicaragua, Erstellung eines auf den traditionellen Praktiken ethnischer Minderheiten basierenden Umweltschutzkonzeptes in China, ({8}) Verbesserung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit von Jugendlichen des Distrikts 8 in Bolivien, ({9}) gendergerechte Förderung kleinbäuerlicher Familien in Tansania, ({10}) integrierte und genderbasierte Förderung von organisierten Kleinbauerfamilien in Uganda, Stärkung der Gendergerechtigkeit und sozioökonomischen Entwicklung mit Landfrauen in Indien, genderorientierte Entwicklungsarbeit auf den Philippinen, ländliche Entwicklung und Raumordnung bei kleinbäuerlichen Dorfgemeinschaften unter Einbeziehung von Genderfragen, ({11}) grenzüberschreitende Förderung marginalisierter Halbnomaden in Nordkenia, Stärkung lokaler und regionaler Entwicklungsvorhaben durch Dezentralisierung und partizipativen Demokratieansatz unter besonderer Berücksichtigung von Genderaspekten in Marokko, ({12}) Empowerment von Jugendlichen in der Provinz Sichuan durch Kooperationen mit erwachsenen Künstlern, Künstlerinnen, ({13}) auch noch mit Behinderung, in China, Ausbildung von Trainern, Trainerinnen und Moderatoren, Moderatorinnen mit partizipativen Methoden und zu guter Letzt Beschäftigungsförderung durch Energieeffizienz und erneuerbare Energien in Moscheen in Marokko. ({14}) Sehr geehrte Vertreter der Bundesregierung, Herr Minister Dr. Müller, wenn man sich diese kleine Auswahl ansieht, dann könnte man denken, Sie stehen einem Lehrstuhl für Planetare Genderstudien und keinem Ministerium vor. ({15}) Wir sollten Entwicklungsländer nicht umerziehen. Dort fehlt es häufig an sauberem Trinkwasser und Nahrung, aber nicht an Genderideologie. Daher lehnen wir die Erhöhung dieses Etats ab, erst recht diese bescheuerte Mittelverwendung. Geld allein löst keine Probleme. ({16}) Geld hat keine Ideen. Und das Geld gehört weder Ihnen noch der Regierung. Es gehört dem deutschen Steuerzahler. Vielen Dank. ({17})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als Nächstes spricht zu uns die Kollegin Gabi Weber, SPD-Fraktion. ({0})

Gabi Weber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004438, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Muss ich jetzt nach diesen tollen Einlassungen überlegen, ob ich hier überhaupt noch Frauen ansprechen darf, oder muss ich mich dafür bedanken, dass Sie endlich all die tollen Projekte nennen? Ich bin mir nicht ganz sicher. ({0}) Ich denke, es geht nicht um Umerziehung, aber es würde Ihrer Fraktion vielleicht guttun, endlich mal Genderseminare zu belegen. ({1}) Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich möchte zunächst, obwohl es schon so oft gesagt wurde, weil es so schön ist, den enormen Aufwuchs der ODA-Mittel um 700 Millionen Euro im Verhältnis zum Haushaltsentwurf noch einmal betonen. Für diejenigen auf der Tribüne, die sich nicht richtig vorstellen können, was das ist, sage ich: Official Development Assistance, abgekürzt: ODA. Die ODA-Quote gibt an, wie groß die von öffentlicher Seite gegebene Unterstützung für die Entwicklungszusammenarbeit ist, und das quer durch die Ministerien, nicht nur in dem Ministerium, über das wir jetzt reden. Eins ist auch klar: Wir hätten diesen Aufwuchs nicht erreicht, wenn sich bei uns, bei der SPD, nicht die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich und Achim Post gegen manchen Widerstand durchgesetzt hätten und vor allen Dingen Andrea Nahles im abschließenden Gespräch mit dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, Herrn Brinkhaus, nicht erfolgreich für die ODA-Quote gekämpft hätte. Um das ganz konkret zu machen, danke ich den Berichterstattern im Haushaltsausschuss, Sonja Steffen und Carsten Körber, die wirklich hinter diese Haushaltstitel die richtigen Zahlen gesetzt haben. – Herzlichen Dank dafür. ({2}) Herzlichen Dank dafür! Herr Minister Müller, durch unsere Unterstützung haben Sie nun erneut so viel Geld in Ihrem Geldbeutel wie noch kein Minister für Entwicklungspolitik jemals zuvor. Das ist richtig; denn es wird gebraucht für Ernährungssicherung, für gleichberechtigte Bildung, für den Ausbau von Gesundheitssystemen, das Schaffen von Einkommen, Korruptionsbekämpfung und gute Regierungsführung und für den zivilen Friedensdienst, um hier einige wichtige Punkte zu nennen. Herr Minister, wir sehen alle, dass Sie sich auf Afrika konzentrieren. Es gibt den Compact with Africa; Sie haben die Reformpartnerschaften genannt; seit neuestem gibt es eine Strategie vom Ministerium für Bildung und Forschung, und Ministerin Klöckner will sich um die Landwirtschaft in Afrika kümmern. Aber das ist nichts Neues, das passiert im BMZ eigentlich alles schon sehr lange. Darüber hinaus wissen wir, dass es 15 verschiedene Strategien, Pläne und Konzepte aus den verschiedenen Ministerien gibt. Herr Minister, sorgen Sie am Kabinettstisch für klare und nachvollziehbare Zusammenarbeit! Sorgen Sie dafür, dass Deutschland in den Partnerländern als eine Stimme wahrgenommen wird und nicht als ein buntes Konzert; ich denke, das ist ganz wichtig, um den Stellenwert dessen, was wir heute beschließen, auch wirklich rüberzubringen. ({3}) Herr Minister, Sie haben, wie gesagt, erstmals über 10 Milliarden Euro in der Tasche. Und was sehen wir in Ihrem Haus und bei den staatlichen Durchführungsorganisationen? Kürzungen an der einen oder anderen Stelle. Es werden Länderprogramme heruntergefahren, weil die Mittel zugunsten von Fluchtursachenbekämpfung umgeleitet werden. Herr Minister Müller – ich habe das schon mehrfach gesagt –, Sie sind nicht der Minister eines Fluchtursachenbekämpfungsministeriums, sondern der Minister für Entwicklung und Zusammenarbeit. Damit ist auch klar: Sie sind verantwortlich, dass Entwicklung ein wesentlicher Teil Ihres Ministeriums ist, übrigens nicht nur in den Staaten Afrikas, die sich als Investitionsstandort für deutsche Unternehmen eignen. Nein, auch die fragilen Staaten Afrikas, die Partnerländer in Asien, Süd- und Mittelamerika brauchen weiterhin unsere Zusammenarbeit; das darf bei dem totalen Schwerpunkt Afrika nicht in Vergessenheit geraten! Ich freue mich, dass wir die Beiträge zu vielen Organisationen der Vereinten Nationen anheben, teilweise sogar verdoppeln. Multilaterale Zusammenarbeit ist und bleibt ein wesentliches Kernstück von Entwicklungszusammenarbeit. ({4}) Und wir wissen alle, dass Frauen die zentrale Rolle bei der Entwicklung spielen. Deshalb haben wir unseren Beitrag zu UN Women auf 8 Millionen Euro verdoppelt, den Beitrag zum UN-Bevölkerungsfonds um mehr als die Hälfte auf 33 Millionen Euro erhöht und – was uns besonders wichtig ist – die Mittel für die Initiative für Familienplanung auf 12 Millionen Euro verdoppelt. Ganz besonders wichtig ist – das freut mich –, dass wir die Mittel für die globale Bildungsinitiative der Vereinten Nationen um mehr als das Doppelte auf 37 Millionen Euro erhöhen. Da sind wir vor ein paar Jahren gestartet bei 8 bis 9 Millionen Euro. Hier unterstreichen wir, wie wichtig uns Bildung ist, Grundbildung für Mädchen und Jungen weltweit. ({5}) Eines noch, Herr Minister: Nicht kurzfristige Sichtbarkeit darf das Ziel Ihres Ministeriums sein. Ziel jeder Entwicklungspolitik ist eine langfristig wirkende, strukturelle Entwicklung. Wir haben es im Koalitionsvertrag festgehalten: Die Agenda 2030 der UN ist Richtschnur für unsere Politik. Also sollten wir uns auch daran halten. Gute Arbeit weltweit ist da ein ganz wichtiges Thema, das wir auch noch anschneiden müssen. Eine Anmerkung noch, Herr Minister: Sie sagen, Sie wollen die Anzahl der Partnerländer reduzieren und die Zusammenarbeit konzentrieren. Auf Deutsch: Sie wollen die Liste der Länder, mit denen wir arbeiten, neu aufstellen. Hier möchte ich, dass Sie einen Beteiligungsprozess organisieren und die Kriterien offen mit uns und mit der NGO-Szene diskutieren. ({6}) Hierzu reiche ich Ihnen die Hand. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster ist der Kollege Michael Link, FDP-Fraktion, an der Reihe. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das BMZ und Deutschland insgesamt leisten eine ganz beeindruckende Zahl von Einzelprojekten. Mein Vorvorredner hat vielleicht, ohne es zu wollen, daran erinnert, wie extrem viel die deutsche Entwicklungszusammenarbeit für die Schwächsten der Schwachen tut. ({0}) Das hier in den Zusammenhang zu stellen, wie Sie es getan haben, und es sozusagen lächerlich zu machen, das ist unter der Würde des Hauses. ({1}) Klar ist doch auch, dass diese ganzen Einzelprojekte – egal, wie man vielleicht zu einem einzelnen Aspekt hier oder da steht – entscheidend wichtig sind zur Fluchtursachenbekämpfung. ({2}) Sie sind wichtig, weil sie die Schwächsten der Schwachen stärken, weil sie sie ernst nehmen in ihrer Menschenwürde und weil sie sie auch ernst nehmen in ihrem Anderssein in Staaten, in denen sie oft unterdrückt werden. ({3}) Deshalb: Ja, danke an all die, die für uns in der Entwicklungszusammenarbeit und als Mitarbeiter in der Entwicklungshilfe tätig sind – im weitesten Sinne bei der GIZ, der KfW oder im Ministerium. Danke auch an Ihr Team, Herr Minister, aber auch Dank an die Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstatterinnen und Mitberichterstatter. Wir haben heute viel Wichtiges gesagt. Unser Hauptberichterstatter, Herr Leutert, ist heute leider krank. Es war ein gutes Miteinander. Dass wir als FDP heute dennoch sehr viele kritische Sachen zum Haushalt als solchem zu sagen haben, hat aus unserer Sicht den Grund – Sie wissen es –, dass es, gerade weil es so viel Geld ist, in vielen Bereichen ein Haushalt verpasster Chancen ist. Sie haben es verpasst, Vorkehrungen dafür zu treffen, dass mehr Finanzmittel für die Entwicklungszusammenarbeit auch wirklich mehr bewirken – Stichwort „Vernetzter Ansatz“, Stichwort „Evaluierung“, was heute noch gar nicht angesprochen wurde. Sie haben es verpasst, die Schattenhaushalte im BMZ aufzulösen. Schlimmer noch: Sie haben sie weiter ausgebaut. Sie haben es verpasst, die massiven Aufwüchse auch wirklich in multilaterale Initiativen zu kanalisieren. In der Bereinigungssitzung wurde einiges besser; das ist von Kollegin Hajduk und Kollegin Steffen zu Recht gesagt worden. Dazu kam es aber aufgrund des Drucks des Ausschusses. Es ist ganz wichtig, immer wieder zu sagen, dass für uns von Regierungsseite aus deutlich zu wenig in multilaterale Initiativen – insbesondere in UN-Initiativen – gesteckt wird. Chancen gab es in diesem Jahr wirklich jede Menge; denn der Haushalt knackt die 10-Milliarden-Euro-Marke, und in der Tat erfordern die Entwicklungen in der Welt ja auch ein stärkeres Engagement Deutschlands. Im Namen meiner Fraktion möchte ich deshalb noch mal ganz deutlich sagen: Uns sollte bewusst sein: Mehr Geld bewirkt nicht zwangsläufig auch mehr. Die zusätzlichen Gelder müssen sinnvoll eingesetzt werden. Ein so starker Aufwuchs wie im BMZ muss also besser abgestimmt werden, als das in der Bundesregierung heute der Fall ist. Wir sehen eine regelrechte Geldschwemme im Etat des BMZ und einen bunten Strauß an Maßnahmen, die im Einzelfall oft richtig, aber zu wenig abgestimmt sind. Ganz unverständlich ist zum Beispiel, wieso das BMZ noch mehr Gelder für Projekte innerhalb Deutschlands einsetzen wird, zum Beispiel für Tagungen oder für – Sie hören richtig – den Bau eines Veranstaltungsortes in Berlin. Hier entfalten unsere Mittel doch die geringste Wirkung. ({4}) Nun finanziert das BMZ für 10 Millionen Euro sogar auch Projekte des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Das ist mehr als nur mangelnde Haushaltsklarheit. Hier fehlt eine klare Zuschreibung von Aufgaben und Kompetenzen, und das meinen wir, wenn wir immer wieder von einem vernetzten Ansatz sprechen. ({5}) Bei den drei Hauptakteuren dabei, BMZ, Auswärtiges Amt, Verteidigungsministerium: Wo ist der wirklich vernetzte Ansatz? Denn er wird in der Bundesregierung zurzeit nur sehr schleppend gelebt. Uns wird hier was angekündigt, uns wird da was angekündigt; keiner will Kompromisse eingehen. Das Resultat: Gelder werden leider verschwendet. In den Projektländern weiß die rechte Hand oft nicht, was die linke tut, weil die Anschlussfähigkeit fehlt. Von einer gemeinsamen Evaluierung ist überhaupt noch nicht die Rede. Dabei ist es doch in unser aller Interesse, dass, wenn wir schon mehr Geld ausgeben, es auch besser evaluiert wird – Stichwort „Wirkungsorientierung“. Wir haben dazu Anträge gestellt, die von der Koalition abgelehnt wurden. Ergebnis: Chance verpasst! Nicht nur innerhalb der Bundesregierung wollen wir mehr Vernetzung, auch nach außen wäre deutlich mehr zu tun, zum Beispiel abgestimmt mit den Partnern in Europa. Wir haben es heute sehr wohl gehört, Herr Minister, und wir werden Sie gerne dran erinnern. Unserer Meinung nach sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. Die Schere zwischen den Geldern für die bilaterale und die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit geht weiter auf. Das zeigen die Zahlen deutlich. Deshalb müssten wir doch umso mehr gezielt multilateral agieren, um weltweit Bildung zu fördern, um in Afrika verstärkt Familienplanung zu ermöglichen – dort, wo es dringend erforderlich wäre – und um den besten CO 2 -Speicher zu schützen, den wir haben, den Regenwald. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. – Die vielen zusätzlichen Gelder hat die GroKo aber leider lieber in Schattenhaushalte im BMZ investiert, in die sogenannten Sonderinitiativen. Für diese wird mittlerweile 1 Milliarde Euro – ein Zehntel des gesamten Haushaltes – aufgewandt. Ergebnis: Viel Geld ausgegeben, Chance aber verpasst!

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich wundere mich, dass die Tatsache, dass das Ministerium 10 Prozent seiner gesamten Gelder in Schattenhaushalte steckt, von den Haushältern der Koalition mitgemacht wird. Ich glaube, wenn das in einem anderen Etat der Fall wäre, würde man das nicht machen; denn das verleitet geradezu – – ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade das Wort entzogen.

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dann müssen wir einen anderen Weg gehen. Vielen herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als Nächstes für die Fraktion Die Linke die Kollegin Eva-Maria Schreiber. ({0})

Eva Maria Schreiber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004882, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Sehr geehrter Minister Müller! Ich war im Oktober dieses Jahres beim Jahrestreffen von IWF und Weltbank. Hier stand das Thema „Privatisierung der Entwicklungszusammenarbeit“ im Zentrum. Entwicklungspolitik beschränkt sich zunehmend auf Förderung der Privatwirtschaft. Das zieht sich auch wie ein roter Faden durch den aktuellen Entwicklungshaushalt. Dementsprechend haben Sie die Titel „Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft“ und „Private deutsche Träger“ aufgestockt. Zudem stellen Sie – das haben Sie gerade gesagt – 1 Milliarde Euro für einen Entwicklungsinvestitionsfonds bereit. Um jetzt Missverständnissen vorzubeugen: Ja, Privat­investitionen können zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, wenn es nicht den öffentlichen Sektor betrifft, wenn sich die Unternehmen bei ihren Geschäften vor Ort an ökologische, soziale und menschenrechtliche Mindeststandards halten. Über diese notwendigen Rahmenbedingungen zu diskutieren, ist bitter nötig. Herr Minister, Sie haben versprochen, ein Entwicklungsinvestitionsgesetz in enger Abstimmung mit dem Bundestag zu erarbeiten. Diese Pläne sind wohl still und heimlich fallen gelassen worden. ({0}) Stattdessen haben Sie diesen Investitionsfonds gegründet – am Bundestag vorbei, in enger Abstimmung mit der Privatwirtschaft. Das Parlament ist doch die Legislative. ({1}) Mindestens drei Punkte sehe ich kritisch: Erstens. Das Vorgehen ist völlig intransparent. Eine Gesetzesinitiative hätte eben die Chance für eine öffentliche Debatte und das Aushandeln der Inhalte im Parlament geboten. Für Die Linke, für uns, müssen dabei stets die Interessen der Menschen in diesen Ländern im Vordergrund stehen. ({2}) Zweitens. Der Nutzen für die Länder ist bei der Kooperation mit der Privatwirtschaft bisher nicht erkennbar. Selbst Ihr hauseigenes Evaluierungsinstitut DEval hat dies in mehreren Studien festgehalten. Aber das wird ignoriert. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. ({3}) Drittens. Ihre Initiativen zur Förderung der Privatwirtschaft zielen vor allem darauf ab, die Rahmenbedingungen für Investoren zu verbessern. Was für diese gut ist, nutzt aber nicht automatisch langfristig den Menschen in den beteiligten Ländern. Die neue Sonderinitiative „Ausbildung und Beschäftigung“, die Sie mit 230 Millionen Euro ausgestattet haben, fördert Sonderwirtschaftszonen. Das sind Steuersparmodelle für Konzerne. Durch Steuerflucht internationaler Konzerne entgehen allein den afrikanischen Staaten etwa 175 Milliarden Euro im Jahr. Diese Summe entspricht etwa der dreifachen Menge aller westlichen Entwicklungsgelder für den gesamten Kontinent. Wie kann es dann sein, dass die GIZ in Äthiopien dafür wirbt, dass Unternehmen dort zehn Jahre steuerbefreit sind? Das verringert doch die Aussichten Äthiopiens, seine Steuereinnahmen zu erhöhen. ({4}) Diese Mittel fehlen beim Aufbau von Sozial-, Bildungs- oder Gesundheitssystemen. Das sind Gründe für Menschen, ihre Heimat zu verlassen. Das ist das Gegenteil von Fluchtursachenbekämpfung. ({5}) Herr Minister Müller, ich schätze Ihr persönliches Engagement für Ihr Haus und einen steigenden Entwicklungsetat sehr. Gerade deswegen bitte ich Sie, die verstärkte Ausrichtung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit an privatwirtschaftliche Interessen zu überdenken. Danke schön. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes spricht zu uns der Kollege Uwe Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, gestatten Sie mir, dass ich Ihnen gleich zu Beginn widerspreche: Ich habe die Entwicklungsstrategie 2030 gelesen, und zwar sehr intensiv. Schon auf Seite 2 formulieren Sie tatsächlich eine ganz wichtige Botschaft: Wir haben kein Erkenntnisproblem; wir haben ein Handlungsproblem – Das ist natürlich richtig. Tatsächlich haben wir aber nicht ein Handlungsproblem, sondern viele Handlungsprobleme, zum Beispiel auch in Bezug auf Kohärenz innerhalb der Bundesregierung. ({0}) Sie bestätigen das auch eindrucksvoll in dem Spending Review zum Thema „Humanitäre Hilfe und Übergangshilfe“. Dieser Review übt deutliche Kritik an den Abstimmungsprozessen: Sie sind nicht ausreichend formalisiert. Sie sind eher abhängig von den handelnden Personen. Es fehlt ein systematischer und verbindlicher Ansatz. Es gibt noch nicht einmal eine Übersicht über die in einem Land geförderten Maßnahmen. – Kann denn eine Eigenkritik eigentlich deutlicher sein? ({1}) Interessant ist, dass die OECD 2015 auch einen Bericht erstellt hat, komischerweise mit genau dem gleichen Ergebnis. Da frage ich mich natürlich: Sind AA und BMZ völlig immun gegen solche Analysen? Was machen Sie eigentlich damit? Sie stellen sie einfach weg. Die neue Strategie bezieht sich auch zu Recht auf die SDGs. Das begrüßen wir. Die SDGs heben zum Beispiel auch ganz besonders die Bedeutung bäuerlicher Strukturen hervor. Gestern allerdings hat sich die Bundesregierung bei der Abstimmung über die UN-Erklärung für die Rechte von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen enthalten. ({2}) In dieser Erklärung geht es um Menschenrechte und Lebensgrundlagen, um Selbstbestimmung, Arbeitsplätze und um die Zukunftschancen der Menschen. Damit geht es natürlich ganz zentral um Entwicklungsperspektiven. Dieser Erklärung hätte die Regierung der Bundesrepublik Deutschland unbedingt zustimmen müssen. Aber unser Entwicklungsminister hat im Kabinett nicht dafür gekämpft, und er hat sich nicht mit dem Außenminister der SPD auseinandergesetzt. Da hätten Sie sich durchsetzen müssen. ({3}) Traurig ist auch das Beispiel des Binding-Treaty-Prozesses. Das ist wirklich ein wichtiger entwicklungspolitischer Ansatz, der die Lieferkettenproblematik verbessert. Von Anfang an hat Ihr Kollege aus dem AA diesen Prozess torpediert. In der ersten Verhandlungsrunde – dafür schäme ich mich – wurde die Bundesrepublik Deutschland von einer Praktikantin vertreten, und am letzten Tag, in der vierten Verhandlungsrunde – man höre und staune –, saß wieder ein Praktikant als Repräsentant der deutschen Bundesregierung vor Ort. Mehr Arroganz und Missachtung gegenüber einem internationalen Gremium kann man nicht an den Tag legen. Für uns ist diese Thematik entwicklungspolitisch hoch wichtig. Auch deswegen, Herr Müller, hätten Sie sich im Kabinett durchsetzen müssen, und das haben Sie nicht getan. Es ist eine Inkohärenz zwischen BMZ und AA. Die kann doch nicht genetisch verursacht sein.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gleich. ({0}) Herr Minister, hören Sie auf, ein Strategiepapier nach dem anderen zu produzieren! Kein Mensch braucht diese nichtssagenden, schon x-mal veröffentlichten Statements. Sie haben es doch richtig erkannt und auch richtig formuliert.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, Sie haben jetzt noch einen Satz.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin in zwei Sekunden fertig. – Wir haben keinen Mangel an unnötigen Veröffentlichungen, sondern Handlungsprobleme. Das sind die Probleme. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Kekeritz. – Als Nächstes spricht zu uns der Kollege Hermann Gröhe, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hermann Gröhe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002666, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Herr Bundesminister, lieber Gerd Müller! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Für uns ist die Beratung und Beschlussfassung des Einzelplans 23 Anlass zur Freude. Erstmals wird im Jahr 2019 der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit die 10-Milliarden-Marke sprengen. Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben – den Berichterstatterinnen und Berichterstattern fast aller Fraktionen –, für diesen gemeinsamen Einsatz. Ich denke an die lebhafte Debatte bei der ersten Lesung. Und ich lade den Bundesfinanzminister ein, sich noch freudiger in diese Allianz einzureihen. ({0}) Ich glaube, dann werden wir den Weg auch gemeinsam entschlossen fortsetzen. Es zeigt sich: Wir nehmen als Bundesrepublik Deutschland in Zeiten vielfältiger schwerer internationaler Krisen und zunehmender Auswirkungen des Klimawandels unsere internationale Verantwortung wahr und werden bei allen internationalen Anstrengungen, die der Erreichung der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung dienen, ein verlässlicher Partner sein. Unser Engagement ist notwendig. Es entspricht der Wertordnung unserer Politik für Menschenrechte, für soziale und wirtschaftliche Entwicklung, gerade in den ärmsten Ländern der Welt. Ich sage sehr deutlich: Die Art und Weise, wie man sich vonseiten einer Fraktion über Frauen- und Arbeitnehmerrechte lächerlich macht, zeigt, wie weit Sie von den Wertentscheidungen unserer Verfassungsordnung entfernt sind. ({1}) Wenn Sie sich ernsthaft – eigentlich unterstelle ich das nicht – mit dem Zusammenhang zwischen gleichberechtigtem Zugang von Mädchen und Frauen zu Ressourcen und Bildung sowie der Entwicklung eines Landes beschäftigen wollten, ({2}) dann müssten Sie gar nicht die von Ihnen offenkundig gefürchteten Genderstudien lesen. Es reichen die Berichte der Weltbank. Da müsste Ihnen der Zugang leichter fallen. Die Autoren sind meistens männliche Banker. Aber diese verstehen im Gegensatz zu Ihnen etwas von diesen Themen. ({3}) Schließlich liegt diese Arbeit in unserem eigenen Interesse. Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe können helfen, Konflikte zu entschärfen, zu vermeiden oder zu befrieden. Damit dient diese Arbeit einer umfassenden Friedens- und Sicherheitspolitik im Sinne eines erweiterten Sicherheitsbegriffs. Unsere Hilfe ist notwendig, ich sage: bitter notwendig. ({4}) Jeden Tag sterben in dieser Welt knapp 15 000 Kinder unter fünf Jahre – 5,4 Millionen im Jahr – an mangelnder Nachsorge unmittelbar nach der Geburt, an häufig leicht behandelbaren Infektionskrankheiten, an Mangel- und Unterernährung. Rund 800 Millionen Menschen müssen noch immer mit weniger als 2 Dollar pro Tag überleben. 64 Millionen Kinder besuchen keine Grundschule. Wahr ist aber auch: Internationale Anstrengungen haben in den letzten Jahren viel erreicht. Vor 25 Jahren war die globale Armut doppelt so hoch, starben pro Tag ungefähr 34 000 Kinder unter fünf Jahre, besuchten viel mehr Kinder – über 100 Millionen – keine Grundschule. Diese Erfolge können uns einerseits zuversichtlich stimmen. Sie nehmen uns andererseits in die Pflicht. Weil wir die bittere Armut besiegen können, würden wir moralisch versagen, wenn wir nicht alles täten, diese Aufgabe entschlossen anzugehen. ({5}) Wir leisten dazu in Deutschland einen wichtigen Beitrag mit den Durchführungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit, den Hilfswerken der Kirchen, zahlreichen Nichtregierungsorganisationen und den unterschiedlichsten Freiwilligendiensten. Allen danke ich für diesen Dienst, bei dem die Beteiligten nicht selten erhebliche Risiken für die eigene Gesundheit auf sich nehmen. Herzlichen Dank! Sie sind mit ihrer Arbeit wahrlich ein Aushängeschild für unser Gemeinwesen. ({6}) Dieser Einsatz wirkt und sorgt vielfältig dafür, dass Menschen besseren Zugang zu Bildung, zu sauberem Trinkwasser und zu besserer Schulbildung erhalten. Auf diesem Weg geht der Haushalt auch infolge der parlamentarischen Beratungen deutlich voran. Ich nenne als Beispiel aus dem Bildungsbereich die Mittel für die Globale Bildungspartnerschaft, die mit 19 Millionen Euro zusätzlich mehr als verdoppelt wurden. ({7}) Ich nenne den Treuhandfonds „berufliche Bildung“ der Inter-Amerikanischen Entwicklungsbank mit 10 Millionen Euro in den nächsten zwei Jahren. Ich weiß aus Gesprächen mit Präsident Moreno, wie wichtig dieses Zeichen der Sichtbarkeit gerade in Lateinamerika genommen wird. Wir stärken damit die Chancen unseres Modells der dualen beruflichen Ausbildung auch in diesen Ländern – die Chancen, zu profitieren und zu lernen. Deutlich gestärkt wurde schließlich der Bereich der globalen Gesundheit. Erst vor wenigen Tagen hat der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Dr. Tedros, darauf aufmerksam gemacht, dass wir im Jahr 2017  3,5 Millionen Malariafälle mehr zu verzeichnen hatten als im Jahr zuvor, dass wir im zweiten Jahr in Folge nicht im Plan sind im Hinblick auf das ehrgeizige Ziel, bis 2030 die Malaria zu besiegen. Deswegen ist es so wichtig, dass der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria gestärkt wird, wie das der Haushalt nun vorsieht. Ich will ausdrücklich unserem ehemaligen Bundestags- und Fraktionskollegen Norbert Hauser danken, der als Vorstandsvorsitzender des Globalen Fonds über Jahre entscheidend dazu beigetragen hat, die Effizienz dieses Instruments zu stärken. Ich nenne schließlich die 50 Millionen Euro, die zusätzlich der globalen Gesundheitsfazilität der Weltbank gerade für die Bekämpfung der Kinder- und Müttersterblichkeit zur Verfügung gestellt werden. Die 6 Millionen Euro zur Bekämpfung von Polio wurden schon erwähnt. Wir haben hier die einmalige Chance – die letzten Meter sind häufig die anstrengendsten; da darf nicht vor der Zeit nachgelassen werden –, eine Geißel der Menschheit wie Polio dauerhaft zu besiegen. ({8}) Aber das setzt gerade in Afghanistan und Pakistan verstärkte gemeinsame Bemühungen voraus. Weil verschiedentlich das Zusammenwirken von privatem Engagement und staatlicher Hilfe erwähnt wurde, will ich auch Rotary International nennen, eine Organisation, die in den Kampf gegen Polio in den letzten Jahren über 1 Milliarde Euro an privaten Spenden gesteckt hat – ein großartiges Zeichen zwischenmenschlicher Solidarität. ({9}) Wir werden diesen Weg weiter fortsetzen müssen, ja, wir werden noch mehr Mittel brauchen. Der Internationale Währungsfonds hat darauf hingewiesen, dass wir auch im Bereich öffentlicher Entwicklungshilfe noch mehr tun müssen. Ich hoffe, dass andere unserem Beispiel folgen. Erlauben Sie mir den Hinweis: Deutschland wendet an ODA-Mitteln mehr als 70 Prozent dessen auf, was die USA zur Verfügung stellen – ein Land mit fünffacher Wirtschaftskraft. Angesichts der Tweets, mit denen der amerikanische Botschafter unsere Haushaltsberatungen liebevoll begleitet, würde ich dem neuen amerikanischen Kongress gern zurufen: Make foreign aid great again! – Das wäre ein gutes Zeichen für die stärkste Demokratie der Welt, meine Damen und Herren. ({10}) Natürlich geht es um mehr als um Geld. Es geht um Investitionschancen. Glückwunsch zu drei weiteren Reformpartnerschaften, die auf den Weg gebracht worden sind! Es geht um fairen Welthandel. Das Investitionsprogramm für Afrika ist ein solcher Schritt. Gemeinsam etwas zu schaffen, damit es in der Welt gerechter zugeht – es ist moralisch geboten; es ist in unserem Interesse. Deswegen stimmen wir diesem Rekordhaushalt gern zu. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Gröhe. – Als Nächstes für die AfD-Fraktion der Kollege Dietmar Friedhoff. ({0})

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Bürgerinnen und Bürger! Wir, die AfD, stehen selbstverständlich zu einer unterstützenden humanitären Hilfe in gegenseitiger Achtung, ({0}) wir stehen selbstverständlich zu einer zielführenden wirtschaftlichen Zusammenarbeit, und wir stehen selbstverständlich zu einer fordernden und fördernden nachhaltigen Selbstentwicklung; denn genau das sind die Pfeiler einer strategisch ausgerichteten, taktisch klugen Selbstentwicklungspolitik. Richtig ist: Wir haben beantragt, die Zusagen an die Kirchen um 50 Prozent zu reduzieren. Warum? Weil die Projekte und Ausgaben der Kirchen im Bereich der Entwicklungspolitik laut Bundesrechnungshof teilweise nicht nachvollziehbar sind! Richtig ist: Wir haben beantragt, den Titel für Vorhaben der politischen Stiftungen komplett zu streichen. Warum? Weil wir wollen, dass Selbstentwicklungspolitik kein Instrument politischer Parteien ist, wird und bleibt! ({1}) Richtig ist: Wir haben die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen“ um 247,5 Millionen Euro gekürzt. ({2}) Warum? Weil das Wenigste wirklich effektiv zur Fluchtursachenbekämpfung eingesetzt wird! Deswegen Umschichtung in die Sonderinitiative zu Nordafrika und Nahost, zur Schaffung eines der EU vorgelagerten Grenzkorridors! ({3}) Das kurz zu einigen Zahlen. Wir würden die Gesamtsumme gern unterstützen; können wir aber nicht. Obwohl einiges gut ist, ist eben vieles absolut nicht gut, schon seit 60 Jahren nicht, und deswegen benötigt man für die Zukunft ein neues, ein mutiges und ein nachhaltiges System. Am Beispiel des afrikanischen Kontinents sehen wir enorme Möglichkeiten, die wir nutzen müssen, um Migration dauerhaft zu beenden und Teilhabe zu gewährleisten. ({4}) Wie das geht? Auf der letzten Delegationsreise nach Ägypten und Jordanien wurde uns von den Politikern vor Ort immer wieder eines gesagt: dass sie die deutsche Kultur und die deutschen Werte besonders schätzen. ({5}) Also, man schätzt uns im Ausland genau für das, was wir gerne bereit sind aufzugeben: unsere Kultur und unsere Werte. ({6}) Nun befinden sich unser Bildungs- und unser Berufsausbildungssystem, Herr Müller, eben im Gleichklang, im System mit unserer Kultur und unseren Werten: Disziplin, Ausdauer, Fleiß und Genauigkeit. ({7}) Wer also ein deutsches Erfolgsmodell integrieren möchte, muss bereit sein, von der Torte nicht nur die Sahne zu nehmen, sondern auch die Füllung und den Mürbeteigboden, mag er auch noch so hart sein. Nicht nur durch Köpfe schaffe ich Erfolg, sondern eben und gerade durch der Hände Arbeit. Dazu bedarf es, Herr Müller, einer neuen Selbstentwicklungspolitik. Dafür bedarf es dreimal AfD und dreimal E. ({8}) Das erste AfD: A wie Arbeit, um Armut zu bekämpfen, F wie Frauen, stark, aufgeklärt und unabhängig, ({9}) um D wie dem demografischen Effekt in Afrika wirkungsvoll zu begegnen. ({10}) Das zweite AfD: A wie Ausbildung im Sinne unseres mehrgliedrigen Ausbildungs- und Bildungssystems für die Schaffung einer starken Mittelschicht, um F wie finanzielle Freiheit für Menschen und Staaten dauerhaft zu sichern, um D wie Demokratie zu gestalten und zu stärken. Drittes AfD: A wie Aufgaben, die man stemmen kann, um sie F wie folgerichtig zu gestalten und umzusetzen, um D wie dauerhaft und nachhaltig Erfolge zu generieren. ({11}) Zum Abschluss die drei E, Herr Müller. Erstes E: Eigenverantwortlichkeit der Partner stärken für mehr Selbstverantwortung und Selbstentwicklung. Das fordert das zweite E: Entschlusskraft, Entschlossenheit zur schnellen Veränderung, Umsetzung und Gestaltung einer neuen, modernen und verantwortungsvollen Selbstentwicklungspolitik. ({12}) Und, Herr Müller, dazu bedarf es bei allen Beteiligten und damit auf beiden Seiten eines dritten E: E wie Mut, also Eier, und das nicht nur zu Ostern. Danke. ({13})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Das steht einfach für sich. Als nächster Redner spricht zu uns der Kollege Dr. Sascha Raabe, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für das Parlament und für die ärmsten Menschen dieser Erde. Erinnern Sie sich an den 12. September zurück, als wir den eingebrachten Haushalt hier in erster Lesung debattiert haben. Da waren wir zu Recht zornig, aber nicht mutlos, sondern kämpferisch, und haben gesagt: Das, was die Regierung vorgelegt hat, muss noch entscheidend verbessert werden. In den mittlerweile 16 Jahren, die ich diesem Parlament angehöre – ich bin seit 2002 im Entwicklungsausschuss und damit der dienstälteste Entwicklungspolitiker –, gab es noch nie eine so umfangreiche positive Veränderung eines Regierungsentwurfes bis zur zweiten Lesung. Auf diese 700 Millionen Euro, die wir jetzt für die ärmsten Menschen dieser Erde herausgeholt haben, können wir stolz sein, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. ({0}) 2002 – wenn ich das einmal Revue passieren lassen darf – hatten wir, Herr Minister, im Haushalt Ihres Hauses 3,7 Milliarden Euro zur Verfügung. Die ODA-Quote lag bei 0,27 Prozent. ({1}) Heute liegt die ODA-Quote doppelt so hoch, bei 0,51 Prozent, und die Mittel wurden verdreifacht. Wir durchbrechen erstmals die 10 Milliarden Euro. Das ist wirklich etwas, auf das wir nicht nur stolz sein können, sondern was auch die Verpflichtung für uns, für das Ministerium, für uns Parlamentarier im Fachausschuss, mit sich bringt, diese Mittel auch gut und effizient einzusetzen. Es muss uns, glaube ich, klar sein – das möchte ich noch sagen, bevor ich zu den Schwerpunkten komme, die wir uns da vornehmen sollten –, dass es jedes Jahr wieder ein Kampf sein wird, die Mittel, die wir brauchen, auch im folgenden Jahr zu erhalten. Die Finanzplanung, die uns vorliegt, sieht für die Jahre 2020 und 2021 schon wieder deutliche Senkungen vor. Wir haben es aber in diesem Jahr und in den letzten Jahren immer wieder geschafft, das zu verhindern. ({2}) Ich sage aber an dieser Stelle: Das wird kein Selbstläufer sein. Ich weiß, der Minister ist da kämpferisch, und unsere Fraktion, unsere Fraktionsvorsitzende, unsere Haushälterin, unsere stellvertretende Fraktionsvorsitzende und unsere Sprecherin werden sicherlich alles tun, um das gemeinsam zu verhindern. Es ist aber klar: Es wird ein harter Kampf. Sie alle kennen mich hier im Haus: Ich werde ihn im Zweifel auch mit meinem Finanzminister führen ({3}) und bin zuversichtlich, dass uns das auch wieder gelingen wird. ({4}) Es muss uns auch gelingen, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil die Herausforderungen ja nicht kleiner werden. Wir haben zwar Erfolge vorzuweisen: Der Anteil der Hungernden und Armen an der Weltbevölkerung ist seit 1990 gesunken; da hat die Weltgemeinschaft ihre Ziele erreicht. Aber in absoluten Zahlen gibt es aufgrund des Bevölkerungswachstums noch unwahrscheinlich viel zu tun. Denken Sie an unseren Nachbarkontinent Afrika. Da haben wir jetzt 1,3 Milliarden Menschen. Deren Zahl wird sich bis zum Jahr 2050 auf 2,6 Milliarden verdoppeln. Bereits heute lebt der größte Teil der etwa 1 Milliarde Menschen, die in extremer Armut und in Hunger leben – die Zahl der Menschen, die hungern müssen, ist auf über 821 Millionen angestiegen –, in Subsahara-Afrika. Viele von unseren Kolleginnen und Kollegen aus dem Entwicklungsausschuss und auch ich fahren mindestens einmal im Jahr dorthin und schauen uns an, was wir im Rahmen der Entwicklungsarbeit tun können, aber auch, wie die Lebensverhältnisse vor Ort sind. Wenn Sie dort durch die Straßen gehen, dann sehen Sie erst einmal einen anderen Altersaufbau, ganz viele Kinder, junge Menschen, und nicht wie bei uns in Deutschland vor allem ältere Menschen. Die Kinder, die heute 7 oder 8 Jahre alt sind, sind in 10 Jahren 17 oder 18 Jahre. Wenn wir es heute nicht schaffen, die Weichen so zu stellen, dass diese dann eine Arbeit haben, aufgrund derer sie eine menschenwürdige Perspektive in ihren Heimatländern haben, dann ist doch klar, dass sie eventuell sagen werden – das kann ihnen keiner verdenken; wir würden das wahrscheinlich genauso machen –: Dann versuche ich, dahin zu gehen, wo ich mir eine bessere Chance für meine Kinder erhoffe. – Das ist den Menschen gegenüber grausam, weil sie lieber in ihren Heimatländern bleiben würden, aber stellt auch andere Länder vor Probleme. Diese Probleme können wir logischerweise nicht alle hier lösen. Wir müssen deshalb schauen, dass wir vor Ort Perspektiven schaffen. Jeder Euro, für den wir hier im Parlament hart gekämpft haben, ist ein Euro zur Bekämpfung von Fluchtursachen, für menschenwürdiges Leben vor Ort. Darauf sollten wir stolz sein, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({5}) Natürlich sollten wir auch schauen, Herr Minister, dass wir diese Mittel wie bisher zielgerichtet einsetzen und noch mehr den ärmsten Entwicklungsländern zukommen lassen. Wir haben ein Ungleichgewicht in unserem Portfolio – in diesem Punkt werden wir vom Entwicklungsausschuss der OECD immer gerügt –: Wir geben zu viel in die Middle- und Upper-Income-Countries, also in die Länder mit mittlerem und höherem Pro-Kopf-Einkommen. Ich weiß, dass auch dort jedes Projekt berechtigt ist. Aber wenn Sie zum Beispiel in Ländern wie Madagaskar oder Haiti, wo wir gerade waren, gewesen sind, stellen Sie fest: Da ist die Armut so himmelschreiend; da fehlt es wirklich am Nötigsten. Wenn Sie dort in die Armenviertel gehen, wo es keinen Strom, kein Wasser gibt, wo bei Regen der ganze Urin, der ganze Kot unten durch die Hütten rauscht, weil es keine Toiletten, keine sanitäre Versorgung gibt, dann ist das so bitter und erschütternd. Dort kann man mit wenig Geld so viel Gutes tun. Deswegen, glaube ich, müssen wir darauf unseren Fokus legen. Gleichzeitig müssen wir für faire Handelsbedingungen, für gute Regierungsführung sorgen. Dann bin ich zuversichtlich, dass wir mit dem, was wir heute für den Haushalt 2019 erreichen, das Leben ganz vieler Menschen verbessern können, ihnen eine Zukunft geben können. Lassen Sie uns daran alle gemeinsam mitwirken. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit im nächsten Jahr. Danke. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Dr. Raabe. – Als letzter Redner spricht zu uns der Kollege Johannes Selle, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Johannes Selle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002798, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Dem Dank an den Haushaltsausschuss, der in seiner letzten Sitzung angesichts der Verzweiflung in der Welt verfügbare Mittel auch zugunsten des BMZ-Haushaltes verteilt hat, will ich mich gerne anschließen. Damit wird für die Öffentlichkeit offensichtlich, dass das Empfinden und Erkennen der Herausforderungen nicht auf den betroffenen Ausschuss begrenzt ist. Wir haben erfahren, dass die Fraktionsvorsitzende der SPD wesentlichen Anteil daran hat. Aber ganz besonderer Dank gilt Minister Müller, der in wirklich sympathischer Form jede Gelegenheit nutzt, um auf die Herausforderungen hinzuweisen, und das Bewusstsein dafür signifikant erweitert hat. ({0}) Die Menschen in Not und Verzweiflung setzen auf uns. Das kann jeder spüren, der mit uns auf eine Reise kommt. Die Menschen mögen die Gründlichkeit und Sorgfalt, mit denen wir Projekte hinsichtlich Umweltverträglichkeit, sozialer Auswirkungen und Nachhaltigkeit abwägen. Sie wünschen sich allerdings, dass wir dabei schneller werden und noch mehr tun. Wir werden keine Probleme haben, die zur Verfügung gestellten Mittel sinnvoll einzusetzen. Der Marshallplan mit Afrika und der Compact with Africa nehmen an Fahrt auf und werden auch in Deutschland zunehmend positiv reflektiert. Ich spüre das auf den Reisen, an denen sich immer mehr Mittelständler beteiligen wollen. Ich kann das vom Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft sagen; aber auch der Bundesverband mittelständische Wirtschaft hat die Initiative ergriffen und jüngst die Unterorganisation „Mittelstandsallianz Afrika“ gegründet. Mit den richtigen Weichenstellungen kommt Dynamik in die Bewältigung der großen Aufgabe, die Armut bis 2030 auszuradieren und niemanden dabei zurückzulassen. Die zusätzlich mobilisierten Mittel sind beträchtlich und übertreffen unseren Haushaltsansatz. Die weiteren notwendigen Folgeschritte mit den reformwilligen Ländern und auch bei den involvierten deutschen Institutionen werden einen genauso hohen Einsatz verlangen. Wir müssen schnell und effektiv sein und uns mit weiteren Akteuren verbinden, wenn wir bei den Themen Bevölkerungswachstum, Globalisierung, Ressourcenknappheit, Klimawandel und Digitalisierung erfolgreich sein wollen. Es gibt Signale von China, Südkorea und weiteren Ländern, über trilaterale Aktivitäten zu sprechen; dazu sollten wir bereit sein. Wir setzen aber auch auf mehr Eigenverantwortung bei reformwilligen Ländern. Das heißt, dass reformbereite Länder auch mehr Mittel erhalten können. Hoffnungsvoll schauen wir auf Äthiopien. Premierminister Abiy möchte Frieden, Wohlstand und Perspektiven für alle Äthiopier und hat die Aussöhnung mit Eritrea hinbekommen. Allein deshalb lohnen sich unsere Anstrengungen, damit solche konstruktiven Arbeiten erfolgreich werden. ({1}) Ich möchte noch einen Blick auf einen vergleichsweise kleinen Haushaltstitel im BMZ werfen: Förderung von Medien und der freie Zugang zu Informationen in Entwicklungsländern. Es wird ein Mittelaufwuchs auf 30 Millionen Euro vorgeschlagen; dafür bin ich dankbar. Das Recht auf freie Meinungsäußerung, Medienvielfalt, Medienunabhängigkeit und der freie Zugang zu Informationen ist ein Menschenrecht, das für den Aufbau von demokratischen Strukturen wesentlich ist. Darüber hinaus werden wichtige Versöhnungs- und Aufarbeitungsprozesse in den betreffenden Ländern angestoßen. Neben der Deutsche-Welle-Akademie, die alle Aktivitäten im Bereich Medienentwicklung bündelt, können sich auch Nichtregierungsorganisationen mit Projektvorhaben bewerben. In Pakistan zum Beispiel werden Reporter an der Universität von Peschawar für den Einsatz in Konfliktregionen und Rückzugsorten der Taliban professionalisiert. In Uganda berichten über 100 Bürgerjournalisten mit einer speziell entwickelten App über Geschehnisse in abgelegenen Gebieten, aus denen zuvor keine Nachrichten zur Verfügung standen. Die NGO Agency for Open Culture and Critical Transformation unterstützt in Uganda den Aufbau eines mobilen Medienausbildungszentrums, das von jungen südsudanesischen Medienschaffenden im Exil, besonders in Flüchtlingscamps genutzt wird. Ein junger Südsudanese hat mir selbst berichtet, wie er Medienschaffende ausbildet und welche Wirkung das in seinem Heimatland erzielt. Genau wie bei uns stellen dort Fake News und Hate Speech ein großes Problem dar. Unabhängige Medien überwachen Regierungsarbeit, vertreten die Anliegen und Interessen der Bürger und helfen uns bei der Umsetzung unserer Intentionen. Mit dem Haushalt können wir einen großen Schritt gehen. Wenn wir das gut hinbekommen, dann hilft das den Menschen in ihrer Heimat, und darauf kommt es an. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Selle. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23 – Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist der Einzelplan 23 mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der anderen Fraktionen des Hauses angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen einen besonders schönen Abend. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 22. November 2018, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 18.13 Uhr) Berichtigung 63. Sitzung, Seite 7263 D, zweiter Absatz, erster Satz, ist wie folgt zu lesen: „Deswegen legt Die Linke heute ein öffentliches Wohnungsbauprogramm nach Wiener Vorbild vor.“