Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/9/2018

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich kann mich noch gut an eine Situation erinnern, die ich vor vielen Jahren erlebt habe. Meine Großmutter war im Krankenhaus. Als ich eines Tages nach Hause kam, musste ich erschüttert zur Kenntnis nehmen, dass, noch bevor sie heimkam, die Pflegeutensilien da waren. Meine Damen und Herren, das Thema Pflege beschäftigt die Menschen in einer Breite wie kein anderes Thema. Ich will diese Debatte damit eröffnen, Sie alle zu bitten, das, was wir in der letzten Legislatur in diesem Haus gemeinsam geleistet haben, und das, was wir mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf auf den Weg bringen, entsprechend zu würdigen; denn wir machen die Leute nervös, wenn wir sagen: Da passiert nichts. Wir machen sie nervös, wenn wir den Eindruck erwecken, dass der Deutsche Bundestag bei einem so wichtigen Thema nicht handlungsfähig ist. Ich verstehe das Anliegen der Opposition – das ist ja auch das Privileg der Opposition – zu kritisieren. Ich würde mir nur wünschen – das sage ich vorab –, dass Sie auch einmal erwähnen, was gut ist an diesem Gesetzentwurf. Da gibt es eine Menge, womit Ihre Redezeit leicht zu füllen ist. Ich fange an mit der Herausnahme der Pflegekosten aus den DRG, aus den Fallpauschalen. Das ist das Herzstück des vorliegenden Gesetzentwurfs. Wir nehmen die Pflege aus dem Wirtschaftlichkeitsdruck heraus, der aus den Fallpauschalen resultiert. Wir verhindern, dass sie Steinbruch sind, Kosten im Krankenhaus zu sparen. Wir tun das ganz bewusst. Ich glaube, dass das wichtig und richtig ist. Die Herausforderung besteht darin, Menschen zu finden, die bereit sind, zu pflegen. Nur hier gibt es ein Limit. Die Pflege am Bett wird umfassend finanziert. ({0}) Wie finden wir diese Menschen? Wir finden sie natürlich, indem wir ausbilden. Es ist vorgesehen, das erste Ausbildungsjahr voll zu finanzieren. Das ist entscheidend. Wir haben im Bereich Ausbildung schon in der letzten Legislatur eine Menge Reformen durchgeführt. Wir sorgen dafür, dass das ein Beruf ist, bei dem die Umstände so sind, wie man sie sich vorstellt. Bei Bezahlung und Arbeitsbedingungen wird sich etwas ändern, davon bin ich fest überzeugt, und wir werden in den folgenden Debatten darüber diskutieren können. Aber, meine Damen und Herren, Bezahlung und Arbeitsbedingungen sind nur das eine. Das andere ist, dass wir für diesen Job Menschen mit Empathie brauchen. Pflege ist gelebte Nächstenliebe. Sie passiert im Praktischen von Mensch zu Mensch. Wir miteinander müssen Leute motivieren, zu uns zu kommen, diese Herausforderung anzunehmen und diesen Beruf zu ergreifen. ({1}) Das ist etwas, was wir in dieser Koalition in einer hervorragenden Art und Weise adressiert haben. Dabei werden wir im Übrigen auch den ländlichen Raum im Blick haben. Wir werden über den Wegekostenzuschlag für eine bessere Honorierung sorgen. Wir geben 50 Millionen Euro für Krankenhäuser im ländlichen Bereich – das war ein Anliegen der SPD; das sage ich ganz klar –, um sie entsprechend zu stärken. Meine Damen und Herren, weil es einige gibt, die bereits wieder lamentieren und sagen, im Krankenhausbereich würde wieder „linke Tasche, rechte Tasche“ gespielt werden, sage ich: Nein, das ist nicht der Fall. Von dem in der letzten Legislatur beschlossenen Pflegezuschlag erhalten die Krankenhäuser immerhin 200 Millionen Euro. Damit wollen wir dafür Sorge tragen, dass die Arbeit in diesem Bereich aufrechterhalten bleibt. Wir werden in Digitalisierung investieren, und wir werden weitere Anreize setzen, um, beispielsweise über Technik, die Arbeitsbedingungen zu vereinfachen und zu verbessern; denn – ich sage es abschließend noch einmal – das eigentliche Limit besteht nicht beim Geld, meine Damen und Herren, sondern bei den pflegenden Menschen. Wir wollen Menschen dazu bringen, diesen tollen Beruf zu ergreifen. Dafür legen wir eine gute Grundlage. Vielen herzlichen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Nüßlein. – Nächster Redner: Dr. ­Robby Schlund für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Robby Schlund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004875, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Herr Spahn! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Gäste auf den Rängen! Gerechtigkeit kann demokratisch nur erreicht werden, wenn die besten Vorschläge zum Maßstab des Handelns gemacht werden. Das gilt insbesondere für die soziale Gerechtigkeit. Obgleich eine erhebliche Ungerechtigkeit in der Kostenübernahme von Pflegeaufwendungen zwischen häuslicher und vollstationärer Pflege besteht, verschließen Sie die Augen vor dem Vorschlag unserer AfD-Fraktion, diese Ungerechtigkeit zu beenden, und lehnten diesen fraktionsübergreifend im Gesundheitsausschuss ab. Für pflegebedürftige Menschen, die zu Hause leben, werden die Pflegeleistungen von den Krankenkassen komplett finanziert. Bei Heimbewohnern allerdings übernimmt die Krankenkasse nur die Kosten, wenn über sechs Monate ein besonders hoher Versorgungsbedarf besteht und nachgewiesen wurde. Ansonsten gilt die Regelung, dass die Kosten mit den pauschalisierten Beiträgen der Pflegekasse abgegolten sind. Aber diese Pauschalen beinhalten maximal die Kosten für die Grundpflege. Die Behandlungspflege muss also über den Eigenanteil an den Pflegekosten selbst getragen werden. Für den Pflegebedürftigen sind das monatlich circa 300 Euro. Oft besteht bereits eine dramatische Altersarmut. Das, liebe Kollegen, ist unsozial und ungerecht. Dennoch haben Sie unseren Vorschlag fraktionsübergreifend abgelehnt. ({0}) Wissen Sie, Menschlichkeit zeigt sich eben nicht nur in blumigen Worten – „Wir sind die Guten!“ –, sondern vor allem in den konkreten Handlungen. ({1}) – Ich weiß nicht, was Sie da lachen. – Hier, bei unserem Antrag, hätten Sie in der Tat die Möglichkeit gehabt, zu zeigen, dass Sie Demokratie und Gerechtigkeit tatsächlich leben. Hier geht es nämlich nicht um rechts, links und geradeaus, sondern einzig und allein ({2}) um die einfachen Menschen in unserem Land, nämlich die, die pflegebedürftig sind. Pflege kann nur gut gehen, wenn es den Pflegenden selbst gut geht. Das ist ein Zitat von Heike Jansen. Dem kann ich nur zustimmen. ({3}) Täglich müssen pflegende Angehörige und angestellte Pflegekräfte einen Balanceakt zwischen Fürsorge und Selbstsorge leisten. Die Pflegestatistik 2017 zeigt, dass knapp 2,9 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig sind. Davon waren 83 Prozent älter als 65 Jahre, 37 Prozent davon 85 Jahre und älter. 73 Prozent werden zu Hause versorgt, das sind knapp Dreiviertel aller Pflegebedürftigen. Es wird den stationären Pflegeeinrichtungen eine hohe Anzahl an Patienten durch häusliche Pflege erspart. Gott sei Dank! Den Aktiven unter euch, die diese häusliche Pflege erbringen, möchte ich meinen Dank für die unschätzbaren Leistungen aussprechen, die ihr für unser Land, für unsere Heimat tagtäglich erbringt – ({4}) wider allen politischen, organisatorischen und finanziellen Unzulänglichkeiten, die natürlich an der Gesundheit der Aktiven nagen. Die demografische Entwicklung, auch international, lässt den Bedarf an Pflegepersonal in der Kranken- und Altenpflege wieder ansteigen und führt zu erheblichen Problemen, nicht nur für Deutschland. So wird der Ferne Osten, wie zum Beispiel China, selbst zum größten Konkurrenten um den Pool der Pflegefachkräfte weltweit. Das ist eine tatsächliche Herausforderung. Hier, Herr Spahn, werden Sie sich mehr einfallen lassen müssen. ({5}) Noch einmal: Gerechtigkeit wäre ein guter Ansatz, die Probleme anzugehen. Bereits jetzt arbeiten mehr als ein Viertel der 5,7 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Gesundheitswesen. Gerade im Verdienst finden sich massive Unterschiede; das wissen Sie sicherlich. Beschäftigte im Osten verdienen im Schnitt 23 Prozent weniger als die Kollegen im Westen. Das ist unsozial, meine Damen und Herren. ({6}) Eine Fachkraft der Altenpflege im Osten erhält circa 2 211 Euro brutto, eine Pflegehelferin im Schnitt 1 662 Euro. Wollen Sie auf die Angebote aus China warten, die die Frustration im Osten dieses Landes neutralisieren werden, meine Damen und Herren? Da, liebe Regierungskoalition, ist Kreativität, Gerechtigkeit und Umdenken im Management gefragt. Das vermissen wir bei Ihrem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz. ({7}) Wir vermissen auch die Berücksichtigung des Pflegeaufwands der Rehakliniken nach blutiger Verlegung. Wir vermissen ebenso die Berücksichtigung der Leistungen von stationären Physio- und Ergotherapeuten und Logopäden durch das Gesetz. Genauso ist es mit der prekären Situation der Hebammen in den Krankenhäusern, um nur einiges anzuführen. Unverständlich ist auch die im Pflegepersonal-Stärkungsgesetz angegebene Förderung zum Abbau der Betten oder gar Schließung der Krankenhäuser. In der Drucksache 19/4729, Gegenäußerung der Bundesregierung, geben Sie Folgendes an – Zitat –: Mit der Schließung eines nicht mehr bedarfsgerechten Krankenhauses oder eines nicht mehr bedarfsgerechten Krankenhausstandorts kann ein weiterreichender Beitrag zur Strukturverbesserung geleistet werden als mit einer Stilllegung nur einzelner Krankenhausbetten. ... Daher solle eine Konzentration des Leistungsangebots auf weniger Standorte vorangetrieben werden. Im Jahr 2017 gab es 1 942 Krankenhäuser bei einer Gesamtpatientenzahl von 19,4 Millionen. Im Jahr 2000 waren es 2 242 Krankenhäuser, die Gesamtpatientenzahl lag bei nur 17,2 Millionen. Das entspricht einem Rückgang der Standorte um sage und schreibe 13 Prozent bei einer Fallzunahme von 13 Prozent. Meine Damen und Herren, was sehen wir an diesem Beispiel? Es nützt nichts, die Augen vor der unausweichlichen Realität zu verschließen. Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen kann nur als gemeinsamer, fraktionsübergreifender Kraftakt gelingen. Seit einem Jahr sitze ich nun im Bundestag und erlebe, dass persönliche Interessen oft wichtiger sind als die gravierenden Probleme, die angegangen werden müssen. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kommen Sie bitte zum Ende. Sie sind weit über Ihre Redezeit.

Dr. Robby Schlund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004875, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Das macht mich ein bisschen traurig und desillusioniert mich ein wenig. Wir brauchen hier einen großen Wurf.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kommen Sie bitte zum Ende.

Dr. Robby Schlund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004875, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Wir fordern eine effiziente, fraktionsübergreifende Zusammenarbeit, einen Neustart im Gesundheitswesen und die Abschaffung des ineffizienten DRG-Systems. Wir fordern auch, die Sorgen und Nöte der Menschen in Deutschland wieder ernst zu nehmen. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich darf Sie auf Folgendes hinweisen: Wenn es vorne rot blinkt, dann ist die Redezeit zu Ende. Das gilt für alle. Aber Sie haben deutlich überzogen. ({0}) Nächster Redner: Dr. Karl Lauterbach für die SPD-Fraktion. ({1})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Mich freut es besonders, dass gerade der 9. November nicht nur ein guter Tag für Deutschland ist, sondern auch ein guter Tag für die Pflege; denn dies ist die wichtigste und aus meiner Sicht beste Reform, die wir in der Pflege beschließen, zumindest seit 15 Jahren. Daher ist es ein guter Tag, ein wichtiger Tag für die Pflege, für die wir heute gemeinsam zusammenkommen. ({0}) Wir haben die Fallpauschalen eingeführt. Mit den Fallpauschalen ist die Qualität in der Pflege systematisch gesunken. Es ist gleichzeitig die Zufriedenheit mit dem Beruf in der Pflege gesunken. Es ist gleichzeitig das Interesse junger Menschen gesunken, den Pflegeberuf überhaupt zu ergreifen. Das heißt, wenn man ehrlich ist: In jeder Dimension, die man bewerten kann, war die Einführung der Fallpauschalen eine schlechte Nachricht für die Pflege. Das hat man damals so nicht erkennen können. Aber so ist es gewesen; das muss man einräumen. Heute beseitigen wir diesen Nachteil, indem die Pflege der erste Bereich in unserem Gesundheitssystem überhaupt ist, den wir aus der Fallpauschalenerstattung herausnehmen und somit auch komplett aus der zunehmenden Ökonomisierung in der Medizin herausnehmen. Das ist aus meiner Sicht die wichtige und die richtige Nachricht des heutigen Tages. Die Fallpauschalen haben die Ökonomisierung im Krankenhaussektor beschleunigt. Die Krankenpflege ist der erste Bereich, der aus diesem Wettbewerb komplett herausgenommen wird. ({1}) Ich will auch gleich sagen: Diejenigen, die das immer abgelehnt haben, haben argumentiert, das könne nicht gemacht werden, weil es auch in anderen Bereichen Schule machen könnte. – Ich sage hier ganz deutlich: Wir werden auch genau prüfen, ob wir andere Bereiche ebenfalls entsprechend entökonomisieren müssen; ({2}) denn wenn wir hier tatsächlich gute Erfahrungen machen und dieser Weg sich als richtig erweist, dann kann es durchaus richtig sein, zu sagen: Mehr Staat und weniger Wettbewerb ist die richtige Richtung ({3}) für unser Gesundheitssystem. ({4}) Wir werden daher in Zukunft den Krankenhäusern die Kosten für jede vorhandene und jede zusätzliche neue Stelle direkt erstatten. Es wird eine vollständige Kostenerstattung in der Pflege geben. Das bedeutet, es gibt keine Möglichkeit mehr, mit der Pflege Gewinne zu machen. Es gibt keine Möglichkeit mehr, mit der Pflege Verluste zu machen. Es gibt die Möglichkeit, durch gute Pflege eine bessere Versorgung zu erbringen. Das wird genau der Wettbewerb um die Qualität sein und nicht der Wettbewerb um die Wirtschaftlichkeit. Das ist der Wettbewerb, den wir benötigen. Das bedeutet nicht, dass wir keinen Wettbewerb haben, aber wir haben keinen Ökonomiewettbewerb mehr. Das ist die Art Wettbewerb, die wir auch in anderen Bereichen unseres Gesundheitssystems brauchen. ({5}) Wir werden in Zukunft auch das abschaffen, was eine Geißel des Systems gewesen ist: Wenn die Löhne stiegen, dann ist das zum Teil durch Personalabbau bezahlt worden. Weshalb war das so? Na ja, weil nicht die komplette Lohnerhöhung an die Krankenkassen – Stichwort „Refinanzierung“ – weitergegeben wurde. Somit waren die zusätzlichen Mitarbeiter im Prinzip das Geld, das fehlte, um die Löhne, die erhöht worden sind, bezahlen zu können. Wir haben im Prinzip bestehende Beschäftigung gegen neue Beschäftigung ausgespielt. Das können wir nicht weiter hinnehmen. ({6}) Daher refinanzieren wir jetzt komplett jede Tariferhöhung, und zwar sowohl hinsichtlich der Vergütung als auch der Struktur, wovon insbesondere die Pflege profitiert – untere Lohngruppen bekommen mehr –, als auch das, was sonst beschlossen wird, nämlich die vergütungsrelevanten Anteile im Mantelvertrag. Somit wird jede Lohnerhöhung für die Pflege eine echte Lohnerhöhung sein, und sie wird nicht zulasten der neuen Beschäftigten beschlossen. ({7}) Schließlich: Wir haben eine wichtige Initiative zur Entbürokratisierung beschlossen, in der Altenpflege wie in der Krankenpflege. Wir werden in der Altenpflege ein Programm auflegen, durch das die Einrichtungen Mittel zur Digitalisierung zum Abbau der Bürokratie bekommen. Wir werden in der Krankenpflege ein Programm ausbauen und weiterführen, durch das pflegeersetzende Maßnahmen – das ist im Wesentlichen Bürokratieabbau – gefördert werden, und zwar sowohl für diejenigen, die das in der Vergangenheit gemacht haben, als auch für diejenigen, die es in Zukunft machen. Das wird die Attraktivität der Pflege, sowohl der Altenpflege als auch der Krankenpflege, deutlich verbessern. Daher bleibe ich dabei: Der 9. November 2018 ist ein besonders guter Tag für die Pflege. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Lauterbach. – Nächste Rednerin: Nicole Westig für die FDP-Fraktion. ({0})

Nicole Westig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004931, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung. Der vorgelegte Entwurf reicht allerdings nicht aus, um Pflegende wirklich zu stärken. ({0}) Wir begrüßen, dass sich der Gesetzentwurf im Lauf der parlamentarischen Beratungen leicht verbessert hat. Dazu gehören die Anerkennung der Wirtschaftlichkeit von Tariflöhnen in der ambulanten Pflege und die Erleichterungen für pflegende Angehörige in der Reha. Dennoch täuschen diese Nachbesserungen nicht darüber hinweg, dass das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz in erster Linie das Personal in der Krankenpflege stärkt. ({1}) Auf der Strecke bleibt insbesondere die ambulante Altenpflege. ({2}) Schon jetzt müssen Pflegedienste Pflegebedürftige aus Personalnot abweisen. Besonders hart trifft dies den größten Pflegedienst, den unser Land hat: die pflegenden Angehörigen, die sich um mehr als 70 Prozent der Pflegebedürftigen kümmern. Eine gestern veröffentlichte Studie zeigt, dass viele von ihnen am Limit sind. Sie brauchen mehr professionelle Unterstützung, gezielte Beratung und Angebote zur Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf. ({3}) Den pflegenden Angehörigen bietet das Gesetz Verbesserungen für die Rehabilitation. Was aber bitte schön tun Sie, um vorzusorgen, dass es erst gar nicht so weit kommt? Wieder einmal herabgesetzt wird die Ausbildung in der Altenpflege. Das nehmen wir nicht hin. Deshalb legen wir als Freie Demokraten einen Entschließungsantrag vor, der gleiche Chancen in der Ausbildung für die Kranken- und die Altenpflege schafft. ({4}) Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz will Auszubildende in der Krankenpflege in ihrem ersten Ausbildungsjahr nicht mehr auf den Personalschlüssel anrechnen. Das ist gut und richtig so. Auszubildende sind Lernende und keine beliebig einsetzbaren vollwertigen Arbeitskräfte. ({5}) Deshalb fordern wir, dass das, was für Azubis in der Krankenpflege gilt, auch für diejenigen in der Altenpflege gilt. Auszubildende haben eine Schlüsselfunktion für das Bild des Pflegeberufs. Wenn wir den Beruf wirklich attraktiver machen wollen und mehr Menschen für die Pflege begeistern wollen, dann müssen wir hier ansetzen. Hier liegt die zentrale Schwäche des Gesetzes. Personal, das gestärkt werden soll, muss erst einmal vorhanden sein. Was aber fehlt, ist ein umfassendes Konzept zur Gewinnung von mehr Pflegekräften. Die Besetzung der zu Recht finanzierten Stellen ist fraglich. Die Abwanderung von Pflegekräften aus der Altenpflege in die Krankenhäuser ist vorprogrammiert. Noch verschärft wird der Konkurrenzkampf um die Fachkräfte durch die Personaluntergrenzen. Wenn Krankenhäuser diese nicht erreichen, drohen Sanktionen. Es fehlt doch nicht am Willen, Pflegekräfte einzustellen, sondern schlicht an der Verfügbarkeit. Honorarkürzungen oder Stationsschließungen stärken niemanden. Sie gehen zulasten der Patientinnen und Patienten. Deshalb, Herr Minister: Legen Sie baldmöglichst ein Konzept für mehr Pflegekräfte vor! ({6}) Tun Sie es mit derselben Entschlossenheit, mit der Sie sich um den CDU-Vorsitz bewerben! ({7}) Das Herauslösen der Pflegepersonalkosten aus dem DRG-System setzt ebenso Fehlanreize. So gehen Kliniken die Anreize verloren, sich um effizientere Arbeitsmethoden zu bemühen, um Prozesse etwa durch Digitalisierung zu optimieren. Wirtschaftliches Arbeiten und Wettbewerb sind nichts Falsches. Sie haben erheblich zur aktuellen Qualität in deutschen Krankenhäusern beigetragen. Jetzt fordern auch andere Berufsgruppen, aus den Fallpauschalen herausgelöst zu werden. So sind wir auf dem besten Weg zurück zur Selbstkostendeckung. ({8}) Das halten wir für grundfalsch. Für ein echtes Umsteuern braucht es mehr, nämlich eine grundlegende Struktur- und Finanzreform für die Krankenhäuser. Herr Minister, Sie behaupten, die Marktwirtschaft nicht verlernt zu haben. Aber das, was Sie hier vorlegen, ist Planwirtschaft ({9}) – mein Vorredner hat ja ein klares Bekenntnis zur Planwirtschaft abgegeben –, noch dazu mit erheblichem bürokratischem Aufwand. Nur zu digitalisieren, ist noch keine Entbürokratisierung. Das ist der falsche Weg. Wie eingangs gesagt, begrüßen wir prinzipiell das Ansinnen, das Pflegepersonal zu stärken. Deswegen hätten wir dem Gesetzentwurf gerne zugestimmt. Aber dieses Gesetz trägt seinen Titel zu Unrecht; denn es ist nicht geeignet, das Pflegepersonal nachhaltig zu stärken. Deswegen lehnen wir Freien Demokraten den Entwurf ab. Vielen Dank. ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Westig. – Nächste Rednerin: Pia Zimmermann für die Fraktion Die Linke. ({0})

Pia Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004454, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Die Koalition lobt sich für das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz, kurz PpSG, über den grünen Klee. Sie sprechen von einem Systemwechsel, es soll klare Verbesserungen für die Pflege geben. Sie tun gerade so, als wäre Ihnen die entscheidende Weichenstellung gegen den Pflegenotstand gelungen. Die Wahrheit ist aber: Sie gehen einen ersten Schritt. Immerhin! ({0}) Zur Wahrheit gehört aber auch: In diese Richtung mussten Sie erst gedrängt werden. Die tarifliche Bezahlung in der häuslichen Krankenpflege haben Sie in das PpSG aufgenommen. Jetzt betonen Sie immer wieder, wie wichtig und wegweisend diese Änderung ist. Sie haben auch völlig Recht. Diese Änderung stammt aus einem Antrag der Fraktion Die Linke. ({1}) Der Kollege Lothar Riebsamen von der CDU/CSU hat ja am Mittwoch im Gesundheitsausschuss eingestanden, dass Sie damit den guten Forderungen der Linken Rechnung tragen. Genau auf diesem Weg sollten Sie weitergehen. ({2}) Wir haben allerdings noch ein paar unabdingbare Forderungen, damit sich die Situation in der Pflege wirklich zugunsten des Pflegepersonals nachhaltig stärken lässt. Die Beschäftigten in der Altenpflege dürfen nicht weniger verdienen als die Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern. ({3}) Wir brauchen einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für alle Pflegekräfte. Wir benötigen auch für die Pflegeeinrichtungen feste, verbindliche Personalschlüssel, und zwar sofort. Es darf nicht sein, dass weiterhin eine Pflegekraft für 80 und mehr Personen allein verantwortlich ist. ({4}) Belohnen Sie doch endlich die Einrichtungen, die mit ihren Mitarbeitern im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten anständig umgehen, Mitbestimmung zulassen und verlässliche Dienstpläne erstellen. ({5}) Stoppen Sie den Ausverkauf der Altenpflege in Deutschland! Die Profitgier so mancher Pflegeunternehmen und Renditeunternehmen kennt hier keine Grenzen. Das muss ein Ende haben, und zwar sofort. ({6}) Bei allen Verbesserungsansätzen, die man im Krankenhausbereich im PpSG erkennen kann und die auch in die richtige Richtung gehen, ist aber eines offensichtlich: Durch dieses Gesetz wird die Altenpflege immer weiter abgehängt, und das ist allen Beteiligten sehr wohl bewusst. Die 13 000 neuen Stellen in der Altenpflege bedeuten gerade einmal sechs Minuten mehr Zeit für Menschen mit Pflegebedarf. Was soll denn dieser Unfug, dass diese Stellen noch nicht einmal mit Pflegefachkräften besetzt werden sollen? ({7}) Der sogenannte Fachkräftemangel in den Pflegeheimen ist hausgemacht. Wenn sich die Arbeitsbedingungen nicht endlich ändern, wenn die Einkommen nicht erhöht werden und wenn die Dienstpläne nicht zuverlässig gestaltet werden, werden die gut ausgebildeten Pflegekräfte weiterhin weggehen und sich eine andere Arbeit suchen. Sie haben hier die Chance vertan, diesen gesellschaftlich so wichtigen Bereich nachhaltig zu stärken und spürbar aufzuwerten. Sie sitzen weiterhin aus, einen Paradigmenwechsel in der Pflege tatsächlich zu vollziehen. Lassen Sie sich von uns weiterhin in die richtige Richtung drängen, und nehmen Sie dabei mehr Tempo auf! Die Menschen mit Pflegebedarf, deren Angehörige und das Pflegepersonal haben es mehr als verdient. Herzlichen Dank. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Pia Zimmermann. – Nächste Rednerin: Kordula Schulz-Asche für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Endlich ist die Bedeutung von Pflegepersonal in der gesellschaftlichen Debatte angekommen – dessen Bedeutung für ein gutes Gesundheitswesen, dessen Bedeutung für die Menschen in diesem Gesundheitswesen. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen; denn wir haben zurzeit einen Pflegenotstand, und es geht darum, die Pflegekatastrophe zu vermeiden. Deswegen muss man jetzt handeln. ({0}) Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zum sogenannten Pflegepersonal-Stärkungsgesetz ist aus unserer Sicht ein erster Schritt in diese Richtung. Ich möchte ausdrücklich loben, dass mit den Änderungsanträgen seitens der Regierungsfraktionen in dieser Woche an einigen Punkten erhebliche Verbesserungen gegenüber der Vorlage aus dem Ministerium vorgenommen wurden. Lassen Sie mich das nur an einem ganz kleinen Beispiel deutlich machen. Dass Sie vorgesehen hatten, dass, wenn eine Stelle drei Monate unbesetzt war, Altenpflegefachkräfte durch Hilfskräfte ersetzt werden können, war wirklich ein Ding. Ich danke ausdrücklich dafür, dass dieses problematische Vorhaben abgeräumt wurde. Aber, Herr Minister Spahn, Sie sollten sich vielleicht fragen, wie solche Vorschläge überhaupt in Gesetzentwürfen auftauchen können. ({1}) Wir über allerdings weiter Kritik an verbliebenen Punkten; das ist klar. Was Sie zur Stärkung der Krankenpflege im Krankenhaus planen, halten wir zum Beispiel durchaus für richtig. Weil Sie Ihre Pläne aber nur auf einen bestimmten Bereich beschränken – das Krankenhaus –, befürchten wir, dass es eine Sogwirkung geben könnte, also von Fachkräften aus anderen Bereichen – sowohl aus anderen Krankenhausstationen als auch aus der Altenpflege, aus der Reha – in die Krankenhauspflege. Wir wissen, dass eine solche Abwanderung gerade im Bereich der ambulanten Pflege, der für die Unterstützung von pflegenden Angehörigen so wichtig ist, zu einer wirklichen Katastrophe führen würde, und zwar sehr schnell. Deswegen müssen wir nachsteuern. Wir müssen schauen, dass, wenn diese Sogwirkung tatsächlich eintreten sollte, sichergestellt ist, dass sofort nachgesteuert wird. Ich verstehe nicht, warum das nicht vorgesehen ist, hier regelmäßig zu evaluieren. ({2}) Wir halten es nach wie vor für einen Fehler, dass erneut darauf verzichtet wird, feste, verbindliche und bedarfsgerechte Personalbemessungsinstrumente sowohl im Krankenhaus als auch in der stationären Altenpflege einzuführen. Wir wissen, dass es einen großen Bedarf gibt, und der muss definiert werden. Wenn er nicht definiert wird, dann wissen wir auch nicht, in welchem Ausmaß Pflegepersonal rekrutiert werden kann. Deswegen sage ich: Hier hätten Sie mehr machen können. Leider haben Sie es zum soundsovielten Mal versäumt. ({3}) Ein drittes Beispiel, das ich nennen möchte, ist die stationäre Langzeitpflege. Mit der angekündigten Schaffung von 13 000 zusätzlichen Stellen bringen Sie durchaus Ihr Bemühen zum Ausdruck; aber die Verteilung dieser 13 000 Stellen in der Art und Weise, wie Sie sie planen – nämlich in Stufen –, ist ungerecht und unglaublich unbürokratisch. ({4}) – Was habe ich gesagt? – ({5}) Es ist unglaublich bürokratisch, ({6}) und deswegen fordern wir eine lineare Verteilung und eine Berücksichtigung des Pflegebedarfs der Bewohner – jetzt können Sie noch ein bisschen nachlachen –; denn das Entscheidende ist doch, dass wir die Bedürfnisse der Bewohner in den Blick nehmen. Und deswegen brauchen wir unbürokratische Lösungen. ({7}) Meine Damen und Herren, wir werden uns bei der Abstimmung über dieses Gesetz enthalten. Wir haben einen eigenen Entschließungsantrag eingebracht. Einige Punkte daraus habe ich bereits erwähnt. Ich finde es ein Unding, dass in diesem Gesetz vorgesehen ist, die private Krankenversicherung erneut nicht am Krankenhausstrukturfonds zu beteiligen. Es kann nicht sein, dass die gesetzlich Versicherten den Krankenhausstrukturfonds alleine finanzieren. ({8}) Wir brauchen dringend eine Reform der Krankenhausinvestitionsförderung; denn viele Probleme, gerade auch der Abbau von Pflegekräften in den Krankenhäusern, sind, wie wir gesehen haben, auf die unzureichende Finanzierung der Krankenhäuser zurückzuführen. Wir brauchen Tarifzahlungen nicht nur für die Pflegekräfte in den Krankenhäusern, sondern auch flächendeckend für die Reha und für andere Bereiche, in denen Pflegefachkräfte arbeiten. Es kann nicht sein, dass diese wichtige Arbeit für die Menschen zu Hungerlöhnen erbracht wird. Hier brauchen wir ein vernünftiges Tarifsystem, und das muss flächendeckend sein. ({9}) Ein Punkt, den ich ganz besonders kritisieren möchte: Wir haben als Grüne vorgeschlagen – in die Haushaltsberatungen haben wir dazu einen entsprechenden Antrag eingebracht –, dass die Umsetzung der Ausbildungsreform – die Ausbildung ist ja die Voraussetzung für das Vorhandensein guter Pflegefachkräfte – in der Form unterstützt wird, dass sichergestellt ist, dass in der Altenpflegeausbildung keine Ausbildungsplätze verloren gehen. Einen Rückgang in diesem Bereich hielte ich wirklich für ein Problem. Sie sollten noch einmal darüber nachdenken, ob Sie Maßnahmen zur Lösung dieses Problems nicht im Haushalt abbilden können. Wir müssen dabei helfen, dass die Altenpflegeschulen und die Krankenpflegeschulen und die Kinderkrankenpflegeschulen sich zusammentun können, um tatsächlich die beste Ausbildung für unsere jungen Leute, die an diesen Berufen interessiert sind, einrichten zu können. ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie bitte an die Redezeit.

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich denke an die Redezeit. – Wenn wir das alles tatsächlich wollen, dann müssen wir mutig sein, dann müssen wir auch sagen: Wir brauchen eine wirklich gerechte, stabile, solide und nachhaltige Finanzierung. Das kann meiner Meinung nach nur dadurch passieren, dass man die finanziellen Lasten möglichst gerecht auf alle Schultern verteilt, und das geht mit einer Bürgerversicherung. Danke schön. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kordula Schulz-Asche. – Nächster Redner: Bundesminister Jens Spahn. ({0})

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind in der Regierung und hier im Parlament, um konkret Dinge anzupacken, um Dinge besser zu machen, um zu beweisen, dass demokratische Politik etwas verändern kann, auch um – so wie es der Herr Bundespräsident gerade gesagt hat – Zukunft positiv zu gestalten. Pflege ist genau so ein Thema, das wir anpacken müssen, an das wir ranmüssen, um die Vertrauenskrise in der Pflege, über die wir alle hier zu Recht schon öfter gesprochen haben, zu überwinden. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir halten Wort. Mit dem Pflegestellen-Förderprogramm, das wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf vorsehen, lösen wir ein, was wir versprochen haben: bessere Arbeitsbedingungen, mehr Pflegekräfte, eine bessere Bezahlung in der Pflege. Das ist ein ganz, ganz wichtiges Zeichen für die Pflege in Deutschland. ({0}) Wenn ich hier mancher Rede zuhöre, bin ich mir nicht sicher, ob alle das Ausmaß dessen erfasst haben, was wir da gerade machen – ganz ehrlich. Wenn wir jetzt den Krankenhäusern sagen: „Jede zusätzliche Pflegestelle wird finanziert; ab 2020 wird Pflege ausgegliedert und voll finanziert, egal welche Kosten in den Krankenhäusern anfallen; jede Tarifsteigerung wird voll finanziert“, dann ist das ein Paradigmenwechsel für die Pflege in den Krankenhäusern in Deutschland. Das ist die größte Veränderung in der Pflege in Krankenhäusern nicht seit 15, nicht seit 20, sondern seit 30 Jahren – ein wahnsinnig wichtiger Schritt. Ich fände es angemessen, wenn Sie uns ab und zu auch mal sagen würden, was uns da gelingt und was wir da bewegen. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Spahn, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Maria Klein-Schmeink?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Sehr gern.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Gut.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie sagten gerade, dass die Fraktionen hier im Hause nicht die Dimension dieses Programms begreifen würden. Dazu würde ich Sie gerne etwas fragen. Sie lassen sich ja so aus, dass das jetzt der allergrößte Schritt für die Pflege sei. Da muss man natürlich sagen, dass dies eigentlich nur für die Krankenhäuser gilt und gerade nicht für die Langzeitpflege und da insbesondere nicht für die ambulante Pflege. Deshalb wird ja zu Recht davor gewarnt, dass wir eine Schieflage bekommen: Auf der einen Seite tut man zwar das Richtige – man stellt sicher, dass es tarifgerechte Bezahlungen und Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern gibt –, aber auf der anderen Seite versäumt man, das Gleiche auch in den Rehakliniken, in der Langzeitpflege zu tun. Vor allen Dingen versäumt man auch, die Probleme in der ambulanten Pflege zu lösen. Tarifgerechte Bezahlung gibt es in der Regel in den Krankenhäusern sowieso bereits. Was wir aber nicht haben, ist ein entsprechendes Pendant in den anderen großen Bereichen. Da liegt das große Problem. Davor muss man warnen. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Was planen Sie, um zu vermeiden, dass wir in der ambulanten Pflege im nächsten Jahr einen echten Notstand bekommen? Die Pflegedienste in meiner Heimatstadt nehmen schon heute keinen einzigen Pflegebedürftigen zusätzlich mehr an. Sie schaffen das nicht mehr, weil sie die Pflegekräfte dafür nicht finden. Ich möchte von Ihnen wissen, was Sie an dieser Stelle tun, zumal Sie jetzt von dem „größten Projekt für die Pflege“ sprechen. ({0})

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Wissen Sie, Frau Kollegin, meine erste Gegenfrage wäre: Würden Sie deswegen in den Krankenhäusern nicht das tun, was wir dort tun? ({0}) – Also sind wir einig: „Das ist ein guter, richtiger Schritt für die Krankenhäuser“? ({1}) – Können wir das der Öffentlichkeit mal gemeinsam sagen: „ein guter, richtiger, wichtiger Schritt für die Krankenhäuser in Deutschland“? ({2}) Das bestreitet also niemand. Erster Teil. Zweiter Teil: Altenpflege. 13 000 neue Stellen in der Altenpflege. In jeder stationären Altenpflegeeinrichtung in Deutschland kommt was von diesem Programm an. Ein erster Schritt, ja. Zum ersten Mal ist gesetzlich reguliert, dass wir Tarifbezahlung in der häuslichen Krankenpflege refinanzieren, ({3}) weil gerade die Pflegedienste ein Problem haben, nach Tarif zu bezahlen, wenn die Kassen ihnen sagen: Warum zahlt ihr denn eure Leute so gut? – Das regeln wir. Wir führen Betreuungsdienste ein, weil – ja, das ist richtig, auch bei mir im Münsterland – viele pflegende Angehörige und Familien im Moment keinen Pflegedienst finden, auch deshalb, weil sie – übrigens ein Erfolg unserer Reform – zusätzliche Ansprüche haben, etwa auf Entlastungsleistungen, auf Haushaltshilfe, auf Unterstützung, darauf, dass nachmittags mal jemand da ist. Deswegen lassen wir zum 1. Januar Betreuungsdienste erstmalig zu. Modellprojekte haben nämlich gezeigt, dass das entlastet. ({4}) Damit entlasten wir auch die Pflege. Leider kam kein Wort von Ihnen dazu, was wir da an Verbesserungen haben. Wissen Sie eines, Frau Kollegin? Ich habe nie gesagt, und die Koalition hat nie gesagt, dass das hier das Ende ist. Wir haben immer gesagt: Das ist der erste Schritt. Aber wissen Sie, was mir langsam echt ein bisschen auf den Zwirn geht, auch in der öffentlichen Debatte? Dass ständig nur darauf fokussiert wird, was alles noch fehlt, was alles noch kommen muss, wo wir irgendwie noch was zu wenig machen. ({5}) Wir könnten ja auch mal gemeinsam anerkennen, dass das ein erster Schritt ist, und zwar der größte Schritt in der Pflege seit über 20 Jahren. Das könnte man ja mal wahrnehmen, wenn man denn wollte. ({6}) Im Übrigen wollen wir natürlich auch – ich befinde mich dazu mit Hubertus Heil in Gesprächen – eine bessere Bezahlung in der Altenpflege. ({7}) Das ist unser Ziel. Aber jetzt folgen auch weitere Maßnahmen, weitere Gesetze. Wir befinden uns in Gesprächen mit den Gewerkschaften und den Arbeitgebern, um genau das zu lösen. Sie wissen doch auch ganz genau, dass wir daran arbeiten. Trotzdem freue ich mich darüber, dass wir heute den ersten Schritt machen. Ich fange eine Reise halt immer mit dem ersten Schritt an. Ich weiß nicht, wie Sie das tun – ganz ehrlich nicht. ({8}) Eine Frage kommt dazu. Die Frau Kollegin von der FDP sagt: Zu wenig, wir müssten noch mehr tun. – Ist ja prima. Ich höre auch einige Stimmen zur Erhöhung der Pflegebeiträge. Aber dann müssten Sie den Leuten auch ehrlich sagen, wie Sie das finanzieren wollen. Zur sozialen Marktwirtschaft gehört auch, dass man rechnen kann. Wer ständig mehr fordert, sollte auch ehrlich den Menschen sagen, dass das finanziert werden muss. ({9}) Das gehört an der Stelle nämlich auch dazu. Aber nicht alle bei Ihnen sagen das so, im Gegenteil. Ja, natürlich geht es auch darum, diese Stellen zu besetzen. Das weiß ich auch. Der erste Schritt ist, die Stellen zu finanzieren. Der zweite ist, sie zu besetzen. Und ja, der Arbeitsmarkt ist ziemlich leergefegt. Aber wir müssen doch erst mal ein Signal in die Pflege senden. Wir finanzieren zusätzliche Stellen. Es soll mehr Kolleginnen und Kollegen geben. Es soll wieder mehr Zeit verfügbar sein. Es soll bessere Arbeitsbedingungen geben. Es steht übrigens auch drin: Modellprojekte, und zwar sehr großzügig, dafür, dass wir dann, wenn die Kita nicht aufhat, nachts und am Wochenende, Angebote machen können. Dann betriebliche Gesundheitsförderung: Das ist psychisch und physisch eine wahnsinnig herausfordernde Tätigkeit; die Pflegekräfte sollen deshalb dabei Unterstützung bekommen. Es erfolgen Investitionen ins Digitale. Wir tun gerade alles in einem ersten Schritt, um Arbeitsbedingungen zu verbessern. Weitere Schritte müssen folgen. ({10}) Aber nur, wenn wir die Arbeitsbedingungen verbessern, werden wir Menschen dazu ermuntern können, in die Pflege zu gehen. Deswegen ist dieser erste Schritt an dieser Stelle so wichtig. ({11}) Jetzt zu den Pflegepersonaluntergrenzen. Wissen Sie, Sie sagen mir einerseits: Die Pflegekräfte gibt es gar nicht; der Arbeitsmarkt ist leergefegt. ({12}) Andererseits sagen Sie mir: Das, was Sie, Herr Minister, per Verordnung gemacht haben, reicht nicht; Sie müssen viel höhere Personalanforderungen an die Krankenhäuser stellen. – Wenn Sie eine Sekunde darüber nachdenken, heißt beides zusammengeführt: Wenn ich jetzt, bei einem leergefegten Arbeitsmarkt, die Personalanforderungen erhöhe, dann werden flächendeckend in Deutschland Krankenhäuser ihre Intensivstationen abmelden, Betten abbauen, ihr Angebot reduzieren. Deswegen müssen wir das vernünftig, Schritt für Schritt, mit Augenmaß machen. Ja, wir in der Koalition wollen Personaluntergrenzen. Wir werden sie auch weiter ausbauen. Aber wir machen es so, dass dabei nicht die Versorgung auf dem Rücken der Patienten und Pflegekräfte zusammenbricht. Das ist der entscheidende Unterschied. ({13}) Ich weiß doch genau, wer sich als Erstes beschwert, wenn Krankenhäuser ihre Intensivstationen abmelden. Dann werden Sie die Ersten sein, die schreien. Das finde ich einfach nicht fair in der Debatte. Es gehört dazu, zu sagen: Jemand, der höhere Pflegepersonaluntergrenzen bei einem leergefegten Arbeitsmarkt will, der riskiert, dass flächendeckend in Deutschland Krankenhäuser ihr Angebot reduzieren. Den Teil sollten Sie mal ehrlich dazusagen. Denn ansonsten sind mir, ehrlich gesagt, die Forderungen, die erhoben werden, ein bisschen zu einfach. ({14}) – Doch, das gehört mit dazu. Deswegen, meine Damen und Herren, betone ich abschließend noch mal: Es geht darum, auch in der Pflege Vertrauen zurückzugewinnen, indem man nicht das Blaue vom Himmel verspricht, wie Sie das machen – ist ja okay. Zum Zurückgewinnen des Vertrauens gehört, wie ich finde, dazu, ganz konkret, im Alltag, spürbar, Schritt für Schritt die Dinge besser zu machen. Wenn Pflegekräfte, Patienten und Pflegebedürftige in 6, in 12, in 18 Monaten sagen: „Die Richtung stimmt, es wird besser, und wir wissen, dass weitere Schritte folgen“, dann ist damit enorm viel getan. Das ist übrigens eine Blaupause auch für andere Bereiche – eine letzte Bemerkung, Frau Präsidentin –, um Vertrauen zurückzugewinnen: Probleme erkennen, Probleme anerkennen, die Debatte darüber führen, wie wir Probleme lösen, und es dann konkret tun, entscheiden, Schritt für Schritt. Das machen wir in dieser Koalition. Das tun wir für die Pflege in Deutschland mit diesem Gesetz. Ehrlich gesagt, würde ich mich freuen, wenn wir das gemeinsam auch so in die Pflege tragen würden. Denn nur, wenn diese Botschaft ankommt, werden wir noch mehr Menschen ermuntern können, in diesen wichtigen Beruf zu gehen. ({15})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Jens Spahn. – Nächster Redner: Harald Weinberg für die Fraktion Die Linke. ({0})

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mal versuchen, zu diesem Thema eine andere Perspektive einzunehmen. Das Ganze ist aus meiner Sicht ein großer Erfolg der protestierenden Krankenhausbeschäftigten, die über Jahre nicht lockergelassen haben und mit Aktionen, Protesten, Demonstrationen, Streiks, Petitionen, Volksbegehren usw. Druck gemacht haben. ({0}) Ich kann nur sagen: Herzlichen Glückwunsch an diese Aktiven, die wir im Übrigen schon seit Jahren begleiten. Es lohnt sich, zu kämpfen und Druck zu machen. Das Ergebnis liegt jetzt in Form dieses Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes vor. Zwar ist das Glas nicht komplett voll, aber es ist immerhin halbvoll. Was ist gut? Die Herausnahme der Pflegekosten aus den Fallpauschalen und die Einführung von Pflegebudgets – ich will das deutlich betonen – ist gut, und das ist kein Rückgriff in die „sozialistische Mottenkiste“, wie Herr Franke es mal bei einer Debatte 2015 zu einem Antrag von uns gesagt hat, ({1}) sondern das ist ein Schritt nach vorne. ({2}) Die komplette Refinanzierung von neuen Pflegestellen und die Aufstockung von Pflegestellen für die Arbeit am Patienten ist gut. Die komplette Refinanzierung der Tarif­erhöhungen ist gut. Was ist noch ungenügend, und was fehlt? Es gibt kein Personalbemessungsinstrument, das sich tatsächlich am Bedarf der zu Pflegenden ausrichtet. Es gibt das Instrument der Personaluntergrenzen. Das ist aus unserer Sicht ungenügend. Wir bekommen jetzt schon Rückmeldungen aus den Krankenhäusern, dass die Regelungen in den Personalverordnungen, die die Untergrenzen betreffen, eher zu viel Verwirrung und zu vielen Komplikationen in den Krankenhäusern führen werden und nicht zu einem wirklichen Fortschritt. Andere Dinge sind bereits gesagt worden. Die anderen Berufsgruppen, die am Patienten arbeiten, müssen eigentlich einbezogen werden. Es wird Abwanderungsprozesse aus der ambulanten Pflege und zulasten der Altenpflege- und der Rehaeinrichtungen geben. In beiden Anträgen, die wir vorgelegt haben, werden diese Themen wenigstens adressiert. Das Problem ist nur: Die Koalitionsfraktionen gucken sich diese Anträge zwar an, lehnen sie dann aber einfach ab und gehen nicht weiter darauf ein. Ich ziehe aber das Fazit: Weil wir anerkennen, dass dies ein wichtiger, wenn auch unzureichender Schritt in die richtige Richtung und womöglich ein Einstieg in den Ausstieg aus den Fallpauschalen, aus dem DRG-System, ist, werden wir uns enthalten. Vielen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Harald Weinberg. – Nächster Redner: der eben zitierte Edgar Franke. Es muss eine beeindruckende Rede gewesen sein, wenn er sich drei Jahre danach noch erinnert. Herr Franke, Sie haben das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Edgar Franke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004033, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Drei Themen beherrschen die Diskussion in der Gesundheitspolitik: Das ist immer wieder gute Pflege, das ist flächendeckende Versorgung, und das ist die Verbesserung der Versorgungsqualität in den Krankenhäusern. Bei vielen Verbesserungen haben wir Sozialdemokraten die Feder geführt und viel für die Menschen konkret erreichen können, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0}) Sei es zum Beispiel bei der Tagespflege, bei der Kurzzeitpflege, bei der Verhinderungspflege: Da haben wir viele Reformen durchgeführt. Auch die Medizinischen Versorgungszentren, meine sehr verehrten Damen und Herren, hätte es ohne Sozialdemokraten nicht gegeben. Ich habe gerade bei mir im Wahlkreis das erste kommunal geführte MVZ eingeweiht, und zwar in der mit gut 1 000 Einwohnern vielleicht kleinsten Stadt Westeuropas, der Stadt Schwarzenborn, in die sonst kein Arzt mehr hingehen würde. Durch unsere Reform haben wir erreicht, dass auch kommunal geführte MVZ möglich sind, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({1}) Mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz, wie es so schön heißt, bringen wir weitere Verbesserungen auf den Weg. Wir werden nicht nur für mehr Personal sorgen – es ist natürlich schwierig, 13 000 neue Stellen einzurichten, aber wir versuchen es wenigstens –, wir werden vor allen Dingen für eine bessere Bezahlung in den Krankenhäusern und vor allem in der häuslichen, in der mobilen Pflege sorgen. Das ist ein Riesenfortschritt, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich darf auch noch sagen: Auch bei der häuslichen Krankenpflege kann jetzt die tarifliche Vergütung von den Krankenkassen nicht mehr als unwirtschaftlich abgelehnt werden, und das gilt, Maria Klein-Schmeink und Frau Zimmermann, in gleichem Maße für die Altenpflege. Das haben wir nämlich schon beschlossen; das darf man nicht vergessen. Das war ein großer Fortschritt. ({2}) Was mir als ehemaligem Chef einer kommunalen Krankenpflegestation und Bürgermeister wirklich wichtig ist, ist, dass wir die Wegekosten in der mobilen Krankenpflege gerade auf dem Land endlich ordentlich finanzieren; denn das war ein Grund, warum viele kommunale Krankenpflegestationen ins Minus geraten sind. Wir sorgen jetzt dafür, dass ältere Menschen selbstbestimmt in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können. Auch das ist ganz positiv. Das ist eine grundlegende Reform, die wir eigentlich nur begrüßen können, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({3}) Die Einführung der Fallpauschalen 2004 hat sicherlich dazu geführt, dass Pflegestellen von Jahr zu Jahr abgebaut worden sind; das kann man nicht bestreiten. Zugunsten von Gewinnen oder zur Deckung von Kosten in anderen Bereichen ist Geld abgezogen worden. Das wird in Zukunft nicht mehr möglich sein. Auch das ist ein Riesenfortschritt dieses Gesetzes. ({4}) Wir werden die Pflegekosten aus den Fallpauschalen herausnehmen. Wir werden den Krankenhäusern sogar die Tarifsteigerungen vollständig refinanzieren. ({5}) Das heißt, es lohnt sich für die Kliniken nicht mehr, am Pflegepersonal zu sparen. Wenn das kein politischer Erfolg in der Pflege ist, dann weiß ich nicht. ({6}) Ich weiß natürlich auch, dass es zum Teil daran hapert, dass die Länder nicht ordentlich finanzieren, etwa Investitionen und vieles andere mehr. Aber wir stützen, wenn Sie so wollen, die Pflege. Es ist sozusagen eine Notwehrmaßnahme des Bundes, weil die Länder nicht ordentlich finanzieren; so kann man es auch sehen. ({7}) Wir präzisieren, meine sehr verehrten Damen und Herren, die auszugliedernden Personalkosten. Wir wollen eben nicht, wie meine Kollegin Moll immer sagt, dass Pflegerinnen und Pfleger in erster Linie dokumentieren. Wir wollen nicht, dass sie Brote schmieren. Dadurch, dass für die pflegeentlastenden Maßnahmen das Pflegebudget um bis zu 3 Prozent erhöht werden kann, sorgen wir mittelbar dafür, dass effizienzsteigernde Personalmaßnahmen nicht wieder rückabgewickelt werden. Das ist auch vernünftig; denn wir haben momentan kein Personalbemessungsinstrument. Dessen Einführung wäre auch vermeidbar, wenn das System so funktionieren würde, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich möchte noch was zum Krankenhausbereich und zum Wettbewerb um Qualität sagen. Wir brauchen einen Wettbewerb um Qualität; denn die Leute stimmen mit den Füßen ab. Wo gehen die Leute hin? Sie gehen in die Krankenhäuser, wo sie sozusagen erfahrungsgemäß gut betreut werden. Deswegen muss Versorgungsqualität Maßstab unserer Politik sein. Es kann natürlich sein, dass in Ballungszentren Krankenhäuser oder einzelne Abteilungen in diesen die Qualität nicht mehr bringen; dann sind sie entbehrlich. Deswegen erhöhen wir die finanziellen Anreize, sodass Abteilungen leichter umgewandelt werden können, zum Beispiel in geriatrische Einrichtungen oder Hospize. Auch das ist im Sinne des Fortschritts eine vernünftige Sache. Letzter Punkt. Vor allen Dingen brauchen wir natürlich Versorgungssicherheit. Wir brauchen auch die kleinen Krankenhäuser, wenn sie bedarfsnotwendig sind. Diesen Krankenhäusern müssen wir helfen, zumal viele ambulant tätige Ärzte aus der Fläche verschwinden. Deswegen reicht das Instrument der Sicherstellungszuschläge allein nicht aus. Wir brauchen ein Instrument, mit dem wir unabhängig von den Ländern den bedarfsnotwendigen Krankenhäusern auf dem Land, die für die Versorgung wirklich wichtig sind, finanziell helfen. Wir haben damit, dass wir ihnen bis zu 400 000 Euro pro Jahr zur Verfügung stellen – insgesamt sind 50 Millionen Euro dafür vorgesehen –, jetzt ein Instrument geschaffen, das den kleinen Krankenhäusern auf dem Land hilft. Das ist mir persönlich ein ganz wichtiger Punkt, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Und mir persönlich ist wichtig, dass Sie jetzt rasch zum Ende kommen.

Dr. Edgar Franke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004033, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme, hochgeschätzte Chefin, zum Schluss. ({0}) Ich freue mich, dass wir mit diesem Gesetz vieles bewegen, auch im Hinblick auf regionale Schlaganfallabteilungen, die jetzt erhalten werden können.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Die Chefin macht jetzt aber Ernst.

Dr. Edgar Franke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004033, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Durch einen Änderungsantrag haben wir erreicht, dass keine Versorgungsstrukturen zerstört werden, dass der Versorgungsauftrag wahrgenommen werden kann. Konkrete Gesundheitspolitik machen die Sozialdemokraten, und das ist der rote Faden sozialdemokratischer Gesundheitspolitik: Politik für die Menschen, für unsere Patientinnen und Patienten. Danke schön. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Edgar Franke. – Nächster Redner: Lothar Riebsamen für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Lothar Riebsamen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004135, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute das „Sofortprogramm Pflege“. Ein Sofortprogramm zeichnet sich dadurch aus, dass es von einer neuen Bundesregierung mit Priorität eingebracht wird, dass es zügig beraten wird und dass es unverzüglich in Kraft tritt. Das ist bei diesem Gesetz gewährleistet. Deswegen ein herzliches Dankeschön an das BMG, an der Spitze Minister Jens Spahn, und an alle Kolleginnen und Kollegen, die an diesem Gesetz mitgewirkt und dafür gesorgt haben, dass wir ab 1. Januar zu besseren Verhältnissen in der Pflege kommen! ({0}) An diesem Gesetz ist gut, dass es faktisch keine Deckelung der Pflegestellen im Krankenhaus, am Bett sozusagen, mehr gibt. Das war in der Vergangenheit der Fall. Zukünftig wird jede zusätzliche Stelle, die im Krankenhaus benötigt wird, von den Kassen durchfinanziert: neue Stellen ebenso wie die Aufstockung von Teilzeitstellen auf Ganztagsstellen. Hier liegt meines Erachtens ein besonderes Potenzial. ({1}) Gut ist, dass die Tariferhöhungen im Bereich der Pflege zu 100 Prozent ausgeglichen werden. Wir hatten in der Vergangenheit auch in der Pflege die Situation, dass es einen Tarifabschluss mit 3 Prozent gab, der Orientierungswert aber nur bei 2 Prozent lag. Die Schere ging also auseinander. Sie wird zukünftig nicht mehr auseinandergehen. Deswegen ist es auch ein guter Tag für die Krankenhäuser, was die Finanzierung in der Pflege anbelangt. ({2}) Dann ist gut an diesem Gesetz, dass wir ein separates Budget für die Pflege bekommen, dass Besonderheiten, individuelle Dinge in den einzelnen Krankenhäusern, in den Regionen berücksichtigt werden können. So wird in der Pflege die Situation geschaffen, dass die Selbstkosten, die ein Krankenhaus in diesem Bereich hat, auch gedeckt sind. Das Beste an diesem Gesetz ist, dass wir wieder besser über Pflege reden können. ({3}) Es war in den vergangenen Monaten und Jahren doch das Problem, dass schlecht über die Pflege geredet wurde. Das ist für mich das Allerwichtigste: besser über die Pflege, wieder gut über die Pflege reden zu können, sodass wir Menschen gewinnen, insbesondere junge Menschen, die diesen schönen Beruf auch ergreifen und nicht deswegen fernbleiben, weil schlecht darüber geredet wird, weil die Finanzierung nicht gesichert ist. Es ist aufgrund der demografischen Entwicklung – immer mehr ältere Menschen mit Mehrfacherkrankungen, immer weniger junge Menschen, die die Pflege übernehmen können – notwendig, in der Tat, in Zukunft komplett neue Wege zu gehen; wir werden mit diesem Gesetz noch nicht am Ende sein. Deswegen bin ich dankbar, dass in diesem Gesetz auch die Arbeit der Krankenhäuser gewürdigt wird, die bereits in der Vergangenheit gewusst haben, dass Pflegepersonal ein knappes und wertvolles Gut ist, und mit dieser Ressource sorgsam umgegangen sind, die Innovationen gemacht haben, in Prozesse investiert haben. Dass diesen Krankenhäusern ihr Erfolg bleibt, wird in diesem Gesetz gewährleistet. Darüber hinaus wird all den Krankenhäusern, die einen Nachholbedarf haben – es gibt auch hier eine technische Entwicklung –, die Möglichkeit eröffnet, einen entsprechenden Beitrag zu leisten; denn bis zu 3 Prozent der Investitionen in Innovationen, in Produktivität, in die Pflege werden im Pflegebudget berücksichtigt; und auch das ist gut an diesem Gesetz. ({4}) Es geht aber nicht nur um Strukturen im Kleinen – in den Häusern –, es geht auch um die großen Strukturen. Wir vervierfachen den Strukturfonds, um die Strukturen insgesamt zu verbessern. Wir investieren in Deutschland außerdem in Digitalisierung, auch in den Pflegeheimen, und schaffen zusätzliche 13 000 Stellen in den Pflegeheimen. Das ist ebenfalls ein wertvoller Bestandteil dieses Gesetzes, der die Pflege weiterbringt. Wir reden durch dieses Gesetz wieder gut über die Pflege. Wir werden mit Sicherheit einen Beitrag dazu leisten, dass junge Menschen wieder in diesen schönen Beruf gehen. Wir leiten damit auch einen Paradigmenwechsel bei den Überlegungen zur Finanzierung der Pflege auch in der Zukunft ein. Deswegen ist es ein guter Tag für die Patientinnen und Patienten, für die alten Menschen und für die Pflegerinnen und Pfleger in unserem Land. Herzlichen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Lothar Riebsamen. – Letzter Redner in der Debatte: Dr. Roy Kühne für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Roy Kühne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004334, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen, Zuhörer und Zuschauer! Wir reden über ein Thema, bei dem wir über kurz oder lang alle irgendwie mitreden müssen. Es wird Sie tangieren; Sie werden nicht drumherum kommen. Deshalb ist es wichtig, dass wir heute dieses Pflegepersonal-Stärkungsgesetz verabschieden. Blicken wir zurück in die Vergangenheit, sehen wir, dass Pflege in den letzten 20 Jahren eine immense Veränderung erlebt hat. Vor 20 Jahren fand Pflege primär im Stillen statt; es wurde nicht darüber geredet. Opa saß hinten, Oma saß am Ofen. Pflege hat sich zunehmend nach außen verlagert. Ich sehe es – das sage ich ganz offen, Harald Weinberg – als immensen Gewinn bei den Kollegen von den Linken, dass ihr euch heute nur enthaltet und nicht dagegenstimmt. Deshalb gerade an euch: Herzlichen Dank. Die Kollegen von der FDP kann ich nicht verstehen. Soweit ich weiß, haben wir über das Gesetz doch massiv geredet. Ich denke schon, dass es wertvoll ist – das hat auch der Minister gesagt –, das auch mal positiv darzustellen und ein gutes Signal zu senden. ({0}) – Ich habe nur drei Minuten Zeit. Ganz locker bleiben.

Dr. Marco Buschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004023, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 11. November 1918, also fast auf den Tag genau vor 100 Jahren, beendete der Waffenstillstand von Compiègne die Kriegshandlungen des Ersten Weltkriegs. Das industrialisierte Menschenschlachten hörte endlich auf. Fast 10 Millionen Menschen hatte es das Leben gekostet. Hätte es damals schon das Fernsehen gegeben, dann kämen uns die Fernsehbilder vom Ende dieser Verhandlungen in Compiègne vermutlich gespenstisch vertraut vor. Über mehrere Tage rang der deutsche Verhandlungsführer Matthias Erzberger um eine Einigung. Völlig erschöpft und übermüdet verließ er im Morgengrauen des 11. Novembers den Eisenbahnwaggon, in dem die französischen und deutschen Verhandler ihrer schwierigen Aufgabe nachgegangen waren. Mit Blick auf diese Bilder möchte ich hier eines sagen: Was ist es doch für ein großes Glück, dass es bei den langen, schwierigen und gewiss auch kräftezehrenden Verhandlungen in Brüssel oder Straßburg, die sich heute oft genug bis ins Morgengrauen erstrecken, nicht mehr um Krieg und Frieden oder die Beendigung des gegenseitigen Abschlachtens geht! Was ist es doch für ein großes Glück, dass der Prozess der europäischen Einigung uns mittlerweile schon sieben Jahrzehnte des Friedens gebracht hat! ({0}) Dieses große Glück währt also nun schon viel länger als die Phase des Friedens, die der Waffenstillstand von Compiègne eingeleitet hat. Mit dem Wissen von heute können wir auch rückblickend sagen, was mit dazu beigetragen hat: Die Zeit nach dem Waffenstillstand von Compiègne war geprägt von gegenseitigem Misstrauen. Es herrschte der Gedanke vor, man könne nach der Entkräftung durch den Großen Krieg selbst nur wieder stark werden, indem man die Nachbarn schwächt. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich wurden in dieser Zeit als Nullsummenspiel betrachtet, bei dem niemals beide Seiten gewinnen können. Es gab zwar auch Annährungsversuche – ein Zeugnis dafür ist der gemeinsame Friedensnobelpreis für die Außenminister Frankreichs und Deutschlands, Aristide Briand und Gustav Stresemann –, aber es gab in dieser Zeit eben viel zu viele politische Kräfte, die gerade keine Versöhnung wollten. Für viel zu viele Politiker ging es nach Compiègne nicht um den Frieden, sondern um Sieg und Niederlage. Die berüchtigte Dolchstoßlegende, die der Herr Bundespräsident heute schon angesprochen hat, versuchte, eine Niederlage des Militärs in einen Sieg und den politischen Wunsch nach Frieden in Verrat umzudeuten. Es ging um Hass, es ging um Demütigung, und es ging um Revanche. Wir wissen heute, was diese Krisengewinnler von damals, die aus zunehmender politischer Polarisierung Kapital schlagen wollten, angerichtet haben, und wir können diejenigen namentlich benennen, die politische Krisen als ein Geschenk betrachten. All diejenigen, die auch heute davon reden, dass politische Krisen ein parteipolitisches Geschenk sein könnten, sollten das in Zukunft vielleicht stärker beachten. ({1}) Das zeigt, wie entscheidend es war, dass Frankreich und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg einen völlig anderen Weg gegangen sind als nach Compiègne. Beide Länder haben sich von der Idee des Null­summenspiels verabschiedet. Heute wissen wir, dass sich Frankreich und Deutschland gegenseitig stärken können, ohne andere zu schwächen. Diese Überzeugung ist das Fundament der deutsch-französischen Partnerschaft. Sie hat sich als Motor für ein friedliches Europa bewiesen. Sie prägt nicht nur den Élysée-Vertrag von 1963, sondern auch ganz maßgeblich die europäische Integration, die wir auch mit anderen, aber vor allem eben gemeinsam mit Frankreich vorangebracht haben. Vor dem Hintergrund der Geschichte wissen wir, dass das nicht selbstverständlich ist. Umso stärker müssen wir diese Tradition pflegen. An diese Tradition wollen wir anknüpfen, sie pflegen und mit noch mehr Leben erfüllen. Mit unserem Antrag schlagen wir dem Deutschen Bundestag Maßnahmen vor, um die deutsch-französische Partnerschaft weiter zu stärken. Das betrifft die Abstimmung zwischen Frankreich und Deutschland in der Außen- und Sicherheitspolitik. Hier ist zwingend eine stärkere Zusammenarbeit nötig; auch damit beide Länder sich in der Europäischen Union gemeinsam für eine Außen- und Sicherheitspolitik aus einem Guss einsetzen können. Die heutige Weltlage, meine Damen und Herren, macht das unabweisbar; das sollte Konsens in diesem Haus sein. Deutschland und Frankreich müssen aber auch gemeinsam daran arbeiten, dass die EU-Mitgliedstaaten auch in Handelsfragen mit einer Stimme sprechen. Wir müssen die multilaterale Handelsordnung und insbesondere die Regeln der Welthandelsorganisation verteidigen. Und das ist nicht nur eine Frage des Wohlstands; es ist eine Frage des Friedens. Denn: „Es ist der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann“; so hat es Immanuel Kant in seiner Denkschrift „Zum ewigen Frieden“ geschrieben. Er hat damit als Erster die friedensstiftende Wirkung von freiem Welthandel beschrieben. Deutschland und Frankreich müssen sich in der EU gemeinsam für ein praktikables europäisches Asylrecht starkmachen. Dazu gehört, dass wir Frontex von der jetzigen zwischenstaatlichen Struktur zu einem echten Grenzschutz ausbauen. Denn ein effektiver Schutz der Außengrenzen sichert die Errungenschaften des Schengener Abkommens, also die Freizügigkeit, die uns allen so lieb und teuer ist. ({2}) Der Waffenstillstand von Compiègne hat den Krieg beendet; aber er hat keinen dauerhaften Frieden gestiftet. Genau das, einen dauerhaften Frieden, haben wir der deutsch-französischen Partnerschaft nach dem Zweiten Weltkrieg zu verdanken. Diese Partnerschaft, diese Freundschaft mit Frankreich ist nicht selbstverständlich, sie fällt nicht vom Himmel. Sie bedarf der ständigen Pflege und Neubegründung. Dazu möchte unser Antrag einen Beitrag leisten. Daher werbe ich über die Grenzen der Fraktionen hinweg – das sollte uns einen –: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Stimmen Sie für die deutsch-französische Freundschaft. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Buschmann. – Nächster Redner: Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir von der CDU/CSU-Fraktion finden es gut und richtig, dass wir heute hier über diesen Antrag beraten – wir werden ihn dann im Ausschuss weiter bearbeiten –, weil es uns am Herzen liegt, uns zwei Tage vor dem 100. Jahrestag des Waffenstillstands von Compiègne der Frage zuzuwenden, warum es eigentlich mit diesem Projekt der Friedensstiftung nach dem Ersten Weltkrieg, in dem ja auf allen Seiten enorme Traumatisierungen stattgefunden haben und die Friedenssehnsucht der Menschen enorm groß war, dennoch nicht gelungen ist, einen dauerhaften Frieden zu etablieren, und was wir daraus für die heutige Zeit lernen können. Ich glaube, der Sinn und Nutzen einer Debatte heute, 100 Jahre danach, ist die Erkenntnis, dass wir die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen dürfen. Ich glaube, einer der wesentlichen Fehler in der Situation zwischen November 1918 und Juni 1919, als der Versailler Vertrag geschlossen wurde, war, dass zum einen auf der Seite der Besiegten zu wenig Akzeptanz von Schuld und zu wenig Erkenntnis von Verantwortung, die daraus erwächst, vorhanden war und dass man zu leicht und zu gerne den Legenden, der Dolchstoßlegende oder der Legende vom verstümmelten Sieg, angehangen hat, anstatt zu erkennen, dass es natürlich eine ganz maßgebliche Verantwortung auf der Seite Deutschlands gab. Zum anderen hat man auf der Seite der Sieger zu wenig beachtet, dass natürlich auch der Unterlegene Würde hat, dass auch die zukünftige Generation des unterlegenen Volkes ein Recht auf Zukunft hat. Beides ist nicht beachtet worden. Man hat sich in gegenseitige Demütigungen verstrickt. Das ging ja so weit, dass Adolf Hitler nach dem vorläufigen Sieg über Frankreich im Juni 1940 den Eisenbahnwaggon aus dem Pariser Museum in den Foret de Compiègne hat stellen lassen, um die französische Seite zu demütigen, indem er den französischen Generalstab zwang, den Waffenstillstand nach dem Westfeldzug am gleichen Ort wie 1918 zu unterzeichnen. Das ist eine Demütigung gewesen, die natürlich ein enormes Problem darstellte und der Versöhnung entgegenstand. Daraus haben wir für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gelernt. Wir haben gelernt, dass man auch nach einem solch schrecklichen Krieg die Würde des anderen akzeptieren und Schuld und Verantwortung anerkennen muss und dass diese beiden Voraussetzungen Versöhnung eben erst möglich machen. Die deutsch-französische Aussöhnung ist eines der großen Wunder, eines der großen Geschenke der Geschichte. Ich selbst bin als Austauschschüler in Compiègne gewesen und habe den Großvater meiner Gastfamilie besucht. Dieser alte, vom Krieg traumatisierte Mann sagte immer zu mir: Ne jamais la guerre! – Niemals wieder Krieg. Ich als 15-jähriger Deutscher konnte gar nicht verstehen, warum dieser Opa in Frankreich mir das sagen musste; aber er war eben noch unter dem Eindruck des Krieges. Und es ist wunderbar, dass es uns gelungen ist, das zu überwinden. Ich freue mich sehr darauf, dass wir im kommenden Januar an das anknüpfen, was wir bereits in diesem Jahr im Januar mit Blick auf die Weiterentwicklung der deutsch-französischen Freundschaft begonnen haben – regierungsseitig durch die Erneuerung des Élysée-Vertrags, parlamentsseitig durch die Erneuerung eines entsprechenden Parlamentsabkommens, an dem ja alle Fraktionen gut und maßgeblich arbeiten. Ich freue mich darauf, dass wir auch für die Zukunft die richtigen Lehren ziehen und Deutschland bei den Vereinten Nationen, im UN-Sicherheitsrat, einen Beitrag dazu leisten kann, das geordnete und geregelte System von Konfliktbewältigung weiterzuentwickeln; denn dieses System ist Stress ausgesetzt: Russland bricht bestehende europäische Verträge – die Charta von Paris – durch den Einmarsch auf der Krim und seinen Einfluss in der Ostukraine. Amerikanische Präsidenten kündigen Verträge auf, von denen wir eigentlich geglaubt haben, dass sie ein Stück weit Fundament der gemeinsamen regelbasierten Ordnung darstellen. In Europa ist die multilaterale europäische Struktur durch den Austritt der Briten aus der EU, aber eben auch durch die Skepsis in anderen Mitgliedstaaten gefordert. Wir müssen den Multilateralismus stärken. Wir müssen die Lehre ziehen, dass Konflikte in multilateralen Strukturen friedlich beigelegt werden müssen, dass der – von mir aus nächtelange – Dialog der Weg ist, wie wir unsere Konflikte bewältigen, und eben nicht mehr die Konfrontation. Lasst uns die Win-win-Situation für die Menschen in der Welt stärken! Deutschland soll dazu einen Beitrag leisten. Das ist für mich die Lehre aus dem heutigen Gedenktag. Danke schön. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Jürgen Hardt. – Nächster Redner: ­Armin-Paulus Hampel für die AfD-Fraktion. ({0})

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste im Deutschen Bundestag! Ich glaube, Herr Hardt, Sie müssen Ihre Geschichtsbücher vielleicht etwas umschreiben. Das Versailler Diktat war der Samen für den nächsten Waffengang im Zweiten Weltkrieg. Lesen Sie mal bei dem australischen Wissenschaftler Christopher Clark nach, welche Analysen er zum Ersten Weltkrieg vornimmt. Ich glaube, Ihr Bild über den Ersten Weltkrieg ist da ein bisschen veraltet. Das ist das Entscheidende. ({0}) Herr Buschmann, Sie haben recht: Die zweite Katastrophe hat uns dann endlich zur Einsicht getrieben. Nachdem Deutsche und Franzosen über Jahrhunderte hinweg Generation für Generation auf den Schlachtfeldern Europas geopfert haben, ohne über längere Zeit einen Vorteil zu erringen, versuchen wir es nun glückseligerweise friedlich miteinander. Ja, der Élysée-Vertrag – Charles de Gaulle und Konrad Adenauer – war für die deutsch-französische Freundschaft der Grundstein, den wir erhalten wollen und müssen; gar keine Frage. ({1}) Bei der Feier zum Élysée-Vertrag ist übrigens nicht aufgefallen – darüber ist auch in den Medien nicht berichtet worden –: Bei uns war das Haus voll; die Französische Nationalversammlung war maximal halb gefüllt. ({2}) Denken Sie mal darüber nach! Es ist auch interessant, wie die Franzosen das sehen. Die Konsequenz daraus ist, dass wir – übrigens auch mit Blick in die weiter zurückliegende Geschichte, auf Otto von Bismarck – mit einem Netzwerk von Verträgen unser Land stabil und friedlich mit den Nachbarn halten wollen. Genau das ist heute nicht der Fall: Mit Herrn Putin sind wir im Streit. Herrn Trump vertrauen wir nicht mehr. Wir haben Herrn Orban mit seiner Vorstellungsweise nicht mehr akzeptiert. Mit den Polen sind wir über Kreuz. Selbst die Österreicher – siehe Global Compact for Migration – verlassen uns. Wir haben also nicht die freundschaftlichen Verbindungen, wie wir sie nach allen Seiten zu unseren näheren und weiteren Nachbarn brauchen. Herr Macron – das sage ich immer wieder – hat uns nach seinem Wahlsieg nicht die Hand zur Freundschaft gereicht, sondern die Hand in unsere Tasche gesteckt, weil er Frankreich reformieren will, und zwar mit deutschem Geld. Das sollten wir hier auch mal ganz klar betonen. ({3}) Wenn wir über die deutsch-französische Zusammenarbeit reden wollen, dann müssen wir uns darüber gewahr werden, dass wir eine ganz große deutsch-französische Aufgabe haben. Sie wissen, was jetzt kommt: Die Alternative für Deutschland ist überzeugt, dass die gemeinsame Währung verheerend war für Europa, dass die Aufgabe der Maastricht-Kriterien und die Einführung des Euro diesen Kontinent spalten werden. Dann sind wir die Europäer, und Sie sind die Spalter Europas, weil Sie es zugelassen haben. ({4}) Wir müssen über eine Euro-Nachkriegs – – eine Nach-Euro-Ordnung ({5}) nachdenken, wenn der Euro zusammengebrochen sein wird. Und er wird zusammenbrechen, meine Damen und Herren. Dann sind die Deutschen und Franzosen gefordert, eine Ordnung zu finden, in der wir diesen Streit – Sie wissen: bei Geld hört die Freundschaft auf –, der, ich sage es Ihnen voraus, kommen wird, friedlich gemeinsam miteinander lösen werden. Deutschland und Frankreich werden aufgerufen sein, die Nach-Euro-Ordnung neu und friedlich zu gestalten. Das ist die Herausforderung für Deutschland und Frankreich, meine Damen und Herren. Danke schön. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nächster Redner: Dr. Nils Schmid für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Nils Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004876, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei mir zu Hause gibt es eine Champignystraße. Bis 1918 wurde in Deutschland der Sedantag gefeiert. Noch in der Nachkriegszeit hat die ältere Generation in Deutschland manchmal von den „Franzmännern“, in Frankreich von den „Boche“ geredet. Dass wir heute, 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs, das alles nicht mehr tun – keinen Sedantag mehr feiern, keine Straßen mehr nach Siegen über französische Armeen benennen, nicht mehr von „Boche“ und „Franzmännern“ reden –, ist ein großes Geschenk. Und es ist eine große Errungenschaft nach mehreren deutsch-französischen Kriegen, dass die deutsch-französische Freundschaft heute gefestigt ist und sich die europäischen Staaten in der Europäischen Union zum gegenseitigen Vorteil zusammengeschlossen haben. Wir wollen heute, an diesem historischen Gedenktag, den wir heute Vormittag ja schon begangen haben, auch in Erinnerung rufen, dass nach Generationen, die nichts anderes als Krieg zwischen Deutschland und Frankreich gekannt haben, zwei Generationen herangewachsen sind, die nur Frieden zwischen Deutschland und Frankreich und in Europa kennen. Das ist großartig, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0}) Auch wenn die große Versöhnungsarbeit, die große Einigungsarbeit erst nach dem Schrecken und den deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs gelungen ist, so wollen wir doch aus Anlass dieses historischen Datums des Waffenstillstands daran erinnern, dass erste Versuche, erste Schritte zur Versöhnung, erste Schritte zur Einigung Europas schon nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs unternommen worden sind. Heute reden wir viel von Multilateralismus und regelbasierter Weltordnung. Der erste Versuch war der Völkerbund, der nach dem Ersten Weltkrieg ins Leben gerufen worden ist. Das war der Vorläufer der Vereinten Nationen. Wir sollten – ähnlich wie mit Blick auf die Weimarer Republik – diese Versuche nicht nur als letzten Endes historisch gescheitert abtun, sondern auch daran erinnern, dass schon nach diesem furchtbaren Ersten Weltkrieg Politiker aus allen Ländern versucht haben, Lehren daraus zu ziehen, und dass sie die Ansätze einer regelbasierten multilateralen Weltordnung aufgebaut haben. Wir sollten daran erinnern, dass die ersten Versuche der deutsch-französischen Aussöhnung ebenfalls in diese erste Nachkriegszeit gefallen sind. Briand und Stresemann sind genannt worden. Ich will einmal sagen: Von der rechten Seite des damaligen Reichstags wurde Stresemann als Erfüllungspolitiker verunglimpft. Auch daran muss man erinnern, wenn wir die Mühen und die langen Wege der Versöhnung heute, an diesem Tag, wieder ins Gedächtnis rufen. ({1}) 1925 hat die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ein Grundsatzprogramm verabschiedet, in dem die Vereinigten Staaten von Europa als Vision auf die Tagesordnung gesetzt worden sind. Das ist auch Teil der Nachkriegsgeschichte nach 1918, und es ist gut, dass heute ein Teil dieser Vision verwirklicht worden ist und dass wir mit der Neuformulierung des Élysée-Vertrags, die gerade verhandelt wird, die deutsch-französische Freundschaft stärken wollen. Es ist ein besonderer Fortschritt, dass Assemblée nationale und Deutscher Bundestag ein Parlamentsabkommen vereinbart haben, das in den nächsten Wochen auch in diesem Hohen Haus zur Ratifizierung gelangen wird, mit dem die Verzahnung der politischen Zusammenarbeit, der Austausch der politischen Kultur und auch der Aufbau einer gemeinsamen demokratischen Kultur zwischen Deutschland und Frankreich auf eine ganz neue Stufe gehoben werden. Ich freue mich sehr und bedanke mich auch bei allen, die daran mitgewirkt haben, dass wir aus Anlass des Jahrestages der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags im Januar des nächsten Jahres dann diesen Vertrag unterzeichnen können. Das ist ein weiterer Baustein zur deutsch-französischen Versöhnung. ({2}) Gerade das sollte auch Anlass sein, noch einmal in Erinnerung zu rufen, was die Triebkräfte für den Ersten Weltkrieg waren. Ja, es war der Nationalismus. Deshalb gilt immer noch das politische Vermächtnis des großen französischen Staatspräsidenten Mitterrand, der gegen Ende seiner Amtszeit in Erinnerung gerufen hat: „Le nationalisme, c‘est la guerre“. Diese Gleichung vergessen manche dank der großartigen Nachkriegszeit, der Friedenszeit in Europa. Aber es gilt unverändert, meine sehr verehrten Damen und Herren: Nationalismus bedeutet Krieg. Deshalb gilt es, Nationalismus in seinen Anfängen entschieden entgegenzutreten. ({3}) Da wir ja heute den Gedenktag an die Ausrufung der Republik haben, erlaube ich mir, mit den Sätzen zu schließen: Es lebe die deutsche Republik! Es lebe die deutsch-französische Freundschaft! Es lebe die Europäische Union! Vielen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Schmid. – Nächster Redner: Fabio De Masi für die Fraktion Die Linke. ({0})

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg mit bis zu 19 Millionen toten Soldaten und Zivilisten links und rechts des Rheins – in Europa, im Nahen Osten, in Afrika und Ostasien. Es war der erste Krieg, bei dem systematisch Gas und chemische Waffen zum Einsatz kamen. Eine der grausamsten Schlachten war der Angriff deutscher Truppen auf Verdun. Unsere Urgroßväter und Urgroßmütter, ob Franzosen oder Deutsche, wurden von diesem Krieg gezeichnet. Wir verneigen uns vor den Französinnen und Franzosen, die Deutschland nach zwei Weltkriegen die Hand reichten. ({0}) Meine Fraktion möchte sich ausdrücklich beim Bundespräsidenten bedanken, der heute früh ein weiteres wichtiges Ereignis, den Aufstand der Kieler Matrosen, würdigte, die sich ebenfalls vor 100 Jahren gegen eine kriegstrunkene Obrigkeit auflehnten und das Ende der Monarchie besiegelten. ({1}) Ihre Hoffnungen auf ein gerechtes und friedliches Deutschland wurden jedoch enttäuscht. Dies mündete im Faschismus und seinem Bündnis mit der deutschen Industrie, im Zweiten Weltkrieg mit über 60 Millionen Toten und dem Massenmord an Europas Jüdinnen und Juden. Diese Verbrechen waren nicht nur Verbrechen an der gesamten Menschheit, sondern sie waren auch Verbrechen an Deutschland, Verbrechen an dem Deutschland Manns, Rilkes, Schuberts, Zetkins und Brechts. ({2}) Daher ist es in diesem Haus unsere gemeinsame Pflicht, dafür zu sorgen, dass in diesem Land nie wieder jene ans Ruder kommen, die heute wieder vom nationalen Größenwahn besoffen sind. ({3}) Die Euro-Krise, die verheerende Kürzungspolitik, die Stellvertreterkriege im Nahen und Mittleren Osten, die Staatenzerfall, Terror und Flucht schaffen, haben die EU in eine tiefe Krise geführt. Die EU hat aber nur eine Zukunft, wenn sie sozialen Zusammenhalt, Abrüstung und Frieden stiftet und den Interessen einer Mehrheit der 500 Millionen EU-Bürger dient. ({4}) Eine EU mit noch 28 Mitgliedstaaten hat aber viele Vetospieler, die häufig Fortschritte blockieren. Eine engere deutsch-französische Zusammenarbeit ist daher notwendig. Für Frankreich war es beim ersten Élysée-Vertrag wichtig, dass Europa unabhängiger von den USA wird. Ein neuer Élysée-Vertrag, der der Aufrüstung Europas dient, oder eine europäische Armee, die den Parlamentsvorbehalt bei Militäreinsätzen schwächt, wie es bereits in den EU-Verträgen angelegt ist, werden den Herausforderungen unserer Zeit jedoch nicht gerecht. ({5}) Eine Lehre aus der Geschichte lautet: Europa muss abrüsten, nicht aufrüsten, und den Dialog mit Russland suchen. Wir halten es für einen großen Fehler – ich sage das nicht aus billigem parteipolitischen Kalkül –, wenn der deutsche Finanzminister mit Emmanuel Macron zehn Jahre nach der Finanzkrise eine echte Finanztransaktionsteuer beerdigt. Eine Börsenumsatzsteuer, die Derivate, also Finanzwetten, ausnimmt, untergräbt die europäische Zusammenarbeit, weil sich kleinere Staaten an einer solchen Steuer gar nicht erst beteiligen werden, da der Aufwand sich für sie nicht lohnt. Wir halten es ebenso für einen großen Fehler, wenn der deutsche Finanzminister eine gerechte Besteuerung von Internetgiganten wie Google blockiert und stattdessen auf die OECD verweist, ({6}) wo es um noch mehr Steueroasen geht als in der EU und wo auch die USA blockieren. Warum nutzen Deutschland und Frankreich die verstärkte Zusammenarbeit statt für Aufrüstung nicht einmal für Mindest- bzw. Strafsteuern auf Finanzflüsse in Steueroasen? Dies hätte einen echten Nutzen für die Bürger in Europa. ({7}) Warum nicht eine Abschöpfung hoher Vermögen in Deutschland und Frankreich nach dem Vorbild des deutschen Lastenausgleichs nach dem Zweiten Weltkrieg, wie es der französische Ökonom Thomas Piketty fordert? Damit ließen sich öffentliche Investitionen in die grenzüberschreitende Infrastruktur finanzieren oder die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich bekämpfen. ({8}) Wir halten es auch für einen großen Fehler, wenn die Bundeskanzlerin und Herr Macron trotz der Euro-Krise weiter die Kürzung von Löhnen, Renten und öffentlichen Investitionen betreiben. Die chronischen Exportüberschüsse Deutschlands und mittlerweile auch der Euro-Zone münden in Handelskriegen und begünstigen neue Schuldenkrisen. Warum nicht öffentliche Investitionen vom Stabilitäts- und Wachstumspakt, von den Defizitkriterien von Maastricht ausnehmen, da sie auch Vermögen für zukünftige Generationen stiften? Bei den Rüstungsinvestitionen haben Deutschland und Frankreich dies diskutiert. Warum nicht bei Krankenhäusern, Universitäten oder Schulen? ({9}) Meine Fraktion begrüßt eine engere deutsch-französische Zusammenarbeit – ich selbst war an den Verhandlungen über das Parlamentsabkommen beteiligt –, sie muss aber die richtigen Lehren aus der Geschichte ziehen. ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Fabio De Masi. – Nächste Rednerin: Dr. Franziska Brantner für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Am Sonntag jährt sich das Ende des Ersten Weltkrieges zum 100. Mal. Der Erste Weltkrieg war vor allem auch eine deutsch-französische Tragödie. Da kommen wir her, und da wollen wir nie wieder hin. Aber zwischen 1918 und heute war noch ein Krieg. Erst danach wurden endlich die richtigen Konsequenzen für Demokratie und für Europa gezogen – zum Glück. Das bedeutet gegenseitige Solidarität und kein „Mein Land zuerst“. Das bedeutet, dass es fair zugeht. Nationalismus nie und nimmer, meine Damen und Herren! ({0}) Ich danke der FDP für die Debatte. Es ist gut, dass Sie diesen Antrag gestellt haben und dass wir deswegen heute hier darüber diskutieren können. ({1}) – Danke schön, Sie können ruhig klatschen. ({2}) – Ich finde es wirklich gut, dass Sie diese Debatte heute auf die Tagesordnung gesetzt haben. Wir wissen, es ist immer auch ein Wettkampf unter den Fraktionen, welches Thema aufgesetzt wird. Deswegen finde ich es richtig gut, dass Sie es getan haben. Aber ich finde, wenn wir unser Europa und unsere Demokratie erhalten wollen, müssen wir auch aufzeigen, wo die Unterschiede bei den Fraktionen in diesem Haus sind, wenn es darum geht, die deutsch-französische Kooperation auszugestalten. Von daher erlauben Sie mir, auch zu sagen, wo wir Differenzen zu Ihrem Antrag sehen. Sie fordern, dass sich Deutschland und Frankreich bei der Beschaffung und dem Export von Rüstungsgütern besser abstimmen. Das ist uns Grünen zu wenig. Wir brauchen nicht nur bessere Abstimmung, sondern wir brauchen klare gemeinsame Regeln für die Beschaffung, aber eben auch für den Export von Rüstungsgütern, und zwar gute Regeln auf hohem Standard, meine Damen und Herren. ({3}) Die FDP fordert in ihrem Antrag auch, dass sich Deutschland und Frankreich bei den Handelsverträgen dafür einsetzen sollen, dass der Abbau von Handelshemmnissen im Mittelpunkt steht. Da kann ich Ihnen nur sagen: Für uns Grüne stehen die Bürgerinnen und Bürger im Mittelpunkt und nicht die Handelshemmnisse. ({4}) Das bedeutet dann auch Umweltstandards, Verbraucherschutzstandards, Standards bei der Daseinsvorsorge. Das steht für uns im Mittelpunkt. Aber die größte Schwäche des Antrags ist, dass er kein Wort über die Euro-Zone verliert. Dabei ist das einer der wichtigsten Bereiche, bei dem Deutschland und Frankreich vorangehen müssen. Hier geht es, Herr Hampel, nicht darum, sich gegenseitig in die Tasche zu greifen – wo ist eigentlich Herr Hampel? ist egal –, sondern es geht darum, dass wir gemeinsam in unsere gemeinsame Zukunft investieren. Das steht auf der Tagesordnung und ist auch dringend notwendig, meine Damen und Herren. ({5}) Es bringt nichts, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU, CSU und SPD, von der Großen Koalition, wenn Sie hier immer wieder die Prinzipien erwähnen, um die es richtigerweise geht – Herr Hardt, Sie haben es sehr schön ausgedrückt –, aber in der Realität die Politik dem nicht entspricht. Ich kann nur sagen, dass es okay ist, wenn man nicht alle Vorschläge von Herrn Macron sofort akzeptiert; man kann auch Nein sagen. ({6}) Hier habe ich den Anspruch an Sie, dass Sie eine Alternative vorlegen, dass Sie sagen, was Sie wollen. Bis jetzt haben wir nur einen Vorschlag von Finanzminister Scholz: die Arbeitslosenversicherung. Aber davon will in der Regierung niemand etwas hören. Von daher haben wir bis jetzt noch keine Antwort von der Regierung dazu, was wir nach vorne gerichtet haben wollen. Das ist eine verpasste Chance. So geht deutsch-französische Kooperation eben nicht. ({7}) Ich bin beim Suchen in unserer Geschichte auf einen Satz von Helmut Kohl gestoßen: Wir werden die Grenzen zwischen unseren Ländern abschaffen. Das hat er 1984 gesagt. Das war das Versprechen von Mitterrand und Kohl, das jetzt im Schengener Grenzkodex verankert ist. Dieses Versprechen scheinen einige vergessen zu haben. Ich erinnere nur an die Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Österreich, die seit mittlerweile drei Jahren existieren. Die Fakten heute sind aber, dass nur noch 15 Prozent der Asylbewerber über Bayern nach Deutschland einreisen. In acht Wochen, also zwei Monaten, hat die Bayerische Grenzpolizei genau vier Asylbewerber abgewiesen. Das heißt, wir haben diese Grenzkontrollen in einer wichtigen Region wegen vier Personen in zwei Monaten. Das hat nichts mehr zu tun mit dem Versprechen von Helmut Kohl, ein freies Europa gemeinsam zu gestalten. ({8}) Kommen Sie dahin wieder zurück. Lassen Sie uns die neuen Nachbarschaftsregionen gemeinsam ausgestalten. Dafür haben wir gute Vorschläge erarbeitet. Ich hoffe, dass wir es im Januar gemeinsam beschließen. Ich danke Ihnen. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Franziska Brantner. – Nächster Redner: Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war vor rund vier Jahren als Vertreter des Deutschen Bundestages in Verdun bei der Zeremonie zum Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges dabei. Mich hat es damals tief bewegt. Vielleicht gibt es keinen anderen Ort, an dem man sich so klar werden kann über die Dimensionen, über die wir sprechen, über die Dimensionen des Leids, die der Erste Weltkrieg über die Menschen in unseren beiden Ländern gebracht hat. Dies kann man geradezu spüren, wenn man in diese Landschaft schaut, die bis heute durchfurcht ist von den Einschlägen der Granaten, die als Zeugen dieser Blutmühle immer als Mahnung bleiben werden, wenn man die Reihen der Gräber, die quasi nicht enden wollen, der Soldaten, der jungen Menschen, die dort ihr Leben gelassen haben, anschaut. Wenn man das erlebt, finde ich, dann empfindet man gleichzeitig eine besondere Dankbarkeit für die Dimension, die die deutsch-französische Freundschaft bedeutet. Deshalb will ich ganz ausdrücklich unterstreichen: Ja, es ist ein Glücksfall, dass Deutschland und Frankreich Freunde geworden sind, dass die Franzosen heute unsere besten Freunde sind und dass wir dieses Kapitel fortschreiben dürfen. ({0}) Ich will ganz bewusst formulieren, was unser Auftrag heute ist. Der Auftrag unserer Generation ist, mit Dankbarkeit zurückzublicken, was Adenauer, de Gaulle und viele andere angestoßen haben, und jetzt klar und entschlossen voranzugehen. Wir sind in der nächsten Woche in Paris mit Präsident Schäuble bei seinem Kollegen Parlamentspräsident ­Ferrand. Mit den Präsidien beider Parlamente und mit den Vertretern der Freundschaftsgruppen werden wir dort das neue Parlamentsabkommen vorstellen. Mit diesem schlagen wir ein neues Kapitel in der deutsch-französischen Partnerschaft auf. Wir stärken die parlamentarische Dimension und geben neue Impulse. Es wird eine ganz neue Qualität sein. Herzstück dieses Parlamentsabkommens, das wir am 22. Januar in der Assemblée nationale und im Bundestag beschließen wollen, soll eine deutsch-französische Parlamentarische Versammlung sein, bestehend aus jeweils 50 Abgeordneten aus der Assemblée nationale und 50 Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Sie wird jeweils geleitet von den beiden Parlamentspräsidenten mit zwei jährlichen Tagungen, mit Impulsen zur deutsch-französischen Partnerschaft und Impulsen zur Weiterentwicklung der Europäischen Union. Ich finde, das ist etwas sehr Besonderes – wenn wir uns gerade am heutigen Tage, zwei Tage vor dem 11. November, vergegenwärtigen, dass es diese beiden Parlamente waren, die im Ersten Weltkrieg Kriegsanleihen, Kriegskredite beschlossen haben, um gegen den jeweils anderen Krieg zu führen –, dass wir im nächsten Jahr dahin kommen können, wenn es die Fraktionen dieses Hauses mitttragen, dass wir eine gemeinsame deutsch-französische Parlamentarische Versammlung haben, die gemeinsam tagt, gemeinsame Vorschläge macht, die die deutsch-französische Freundschaft damit noch mehr unumkehrbar macht und mit der wir als Parlamentarier zum Ausdruck bringen: Wir wollen gemeinsam die Partnerschaft unserer Länder vertiefen und dieses gemeinsame Haus Europa weiterbauen. ({1}) Wir unterstreichen damit: Die deutsch-französische Partnerschaft ist mehr als ein Regierungsvertrag, aber der ist trotzdem wichtig. Deshalb begrüßen wir die Arbeiten unserer Regierungen am neuen Élysée-Vertrag. Wir wollen als Parlamentarier die heutige Stunde nutzen, um unsere Erwartungen an den Vertrag zu formulieren. Er muss ehrgeizig werden, er darf sich nicht in schönen Worten erschöpfen, es müssen konkrete Taten folgen, und er muss Verbesserungen für das Leben der Menschen ergeben. Wir brauchen echte und erkennbare Fortschritte. Dafür arbeiten wir, darauf setzen wir. Das wollen wir heute in den Mittelpunkt stellen im Sinne der deutsch-französischen Partnerschaft für Europa. Herzlichen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Andreas Jung. – Nächster Redner: Norbert Kleinwächter für die AfD-Fraktion. ({0})

Norbert Kleinwächter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004781, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Werte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute vor 100 Jahren rief Philipp Scheidemann die deutsche Republik von diesem Gebäude aus. Was für ein Akt des Mutes! Die Souveränität von einer lang institutionalisierten Institution, dem Kaiser, in dieses Haus zu legen, dem deutschen Volk zu übertragen, das hier im Deutschen Bundestag seine Willensbildung findet – das war ein wirklicher Akt des Mutes. ({0}) Scheidemann würde sich im Grabe herumdrehen, wenn er lesen würde, was Grüne und FDP heute an diesem 100. Jahrestag wagen zu beantragen. ({1}) Ihnen kann es gar nicht schnell genug gehen, die erbittert erkämpfte Souveränität für das Volk durch demokratische Willensbildung, durch Wahlen, wieder an eine entfernte Institution, dieses Mal nach Brüssel, abzugeben. ({2}) Und die Anträge unterscheiden sich gar nicht mal so sehr. Die Grünen wollen es vor allem in finanzieller, die FDP will es vor allem in politischer Hinsicht. Ich will auf die größten Verfehlungen eingehen. Im Antrag der Grünen tauchen schöne Begriffe auf: Währungsfonds, Stabilisierungsfonds, Zukunftsfonds usw. usf. Was damit gemeint ist, ist – Sie sprachen vorhin von Solidarität, aber nie von Verantwortung –: Irgendjemand in der Europäischen Union kann Mist bauen, ohne dass wir darauf den geringsten Einfluss hätten, und am Ende zahlt der deutsche Bürger mit seinem Steuergeld und haftet dafür. Das meinen Sie damit. ({3}) Besonders gefährlich ist Ihre Zukunftsperspektive. Sie wollen Infrastrukturprojekte, wichtige Eisenbahnnetze und die Digitalisierung über europäische Fonds finanzieren. ({4}) Ich sage Ihnen: Normalerweise zahlen wir deutlich mehr in diese Fonds ein, als wir wieder herausbekommen. Wenn bei mir im Landkreis, in Goyatz, das Internet zu langsam ist, dann brauche ich einen Bagger und Glasfaserkabel und keinen Wasserkopf in Brüssel. ({5}) Besonders perfide ist aber, was die selbsternannten Liberalen fordern. Da geht es um ein europäisches Asylrecht. Das ist so ein System Merkel: Nun sind sie halt da und sollen auf alle Mitgliedstaaten verteilt werden. Ob die Staaten oder die Kommunen das wollen, ist vollkommen egal. ({6}) Besonders gefährlich ist: Sie wollen eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik mit Mehrheitsprinzip. Das würde bedeuten: Auch wenn die Deutschen strikt dagegen sind, würden andere nach dem Mehrheitsprinzip darüber entscheiden, mit wem wir Verträge machen, wie wir uns positionieren, welche Sanktionen wir verhängen und – vielleicht irgendwann – wo wir in den Krieg ziehen. ({7}) Philipp Scheidemann hat ganz bestimmt nicht vor 100 Jahren hier die deutsche Republik ausgerufen, damit 100 Jahre später ein EU-Bürokrat über Leben und Tod eines deutschen Soldaten entscheidet oder über unsere Nachbarn in unseren Städten und Gemeinden. ({8}) – Ich nehme die Zwischenfrage gerne an, Frau Präsidentin.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Gut. Frau De Ridder.

Dr. Daniela De Ridder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004386, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kleinwächter, finden Sie im Ernst, dass es geboten ist, uns hier so ein widerliches rhetorisches Feuerwerk anzubieten an einem Tag, an dem wir der Opfer des Ersten Weltkrieges gedenken sollten? Sie haben sich offensichtlich aufgemacht – Sie haben eben von schönen Begriffen gesprochen –, das Wörterbuch des Hasses und des Unmenschen neu zu schreiben. ({0}) Beantworten Sie ruhig meine Frage. Ein einfaches Ja genügt mir; denn das bestätigt das, was wir Woche für Woche erleben müssen. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kleinwächter ist jetzt dran.

Norbert Kleinwächter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004781, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Liebe Frau Kollegin, heute ist tatsächlich ein besonderes Datum. Wir gedenken verschiedener Ereignisse; das haben Sie ansatzweise richtig festgestellt. Wir hatten sehr viele Minuten Redezeit. Insbesondere mein Kollege Armin-Paulus Hampel hat zur deutsch-französischen Freundschaft gesprochen. Wir hatten sehr viele Minuten der Diskussion über den Ersten Weltkrieg, über den Vertrag, über die Entwicklung usw. usf. Aber wir haben heute auch – darüber hat heute übrigens auch der Bundespräsident gesprochen – den Gedenktag an die Ausrufung der Republik. Sie sollten das im Kontext sehen. Ich sage Ihnen ganz deutlich mit den Worten von Scheidemann: Wir müssen schon auf die Souveränität und auf die Demokratie in diesem Lande achten und können nicht mit blumigen Worten – – ({0}) Ja, es war schlimm, aber das ist keine Begründung, es wieder schlimmer zu machen. ({1}) Deswegen rufe ich Ihnen zu: Es lebe die parlamentarische Demokratie, es lebe die Bundesrepublik Deutschland. Ich danke Ihnen. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nächster Redner: Axel Schäfer für die SPD-Fraktion. ({0})

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mitgliedern der AfD steht es nicht zu, den sozialdemokratischen Regierungschef und ehemaligen Oberbürgermeister von Kassel hier für sich in Anspruch zu nehmen. ({0}) Er hat im Übrigen schon damals gesagt, was die Gefährdung der Demokratie anbelangt: Der Feind steht rechts. ({1}) Ich danke den Kolleginnen und Kollegen von FDP und Grünen für die heutige Initiative. Die Diskussion im Vorfeld des neu zu formulierenden Élysée-Vertrages macht deutlich: Ja, im Bundestag gibt es einen praktizierten Verfassungsbogen europäischer Solidarität. FDP, CDU/CSU, Grüne, SPD und Linkspartei stehen gemeinsam für das, was mein Vorredner nicht verstanden hat: Souveränität im Sinne unseres Grundgesetzes, im Verständnis der fünf Fraktionen heißt – das steht am Anfang unserer Verfassung –, dass wir als Deutsche gleichberechtigt in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen wollen. ({2}) Die Väter und Mütter unserer Verfassung wollten, dass unser Land nie mehr so souverän wird, dass es seinem französischen Nachbarn den Krieg wird erklären können. Diese Form von Souveränität wollen wir genau nicht. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der deutsch-französischen Zusammenarbeit wird es darauf ankommen, dass man Zeichen setzt. Ich erinnere an die Zeichen, die bisher gesetzt worden sind: Adenauers Zustimmung zu den Vorschlägen von Monnet, was die Gründung der EGKS anbelangt, Willy Brandts Initiativen mit Georges Pompidou zur Reform der EG, die Vorschläge von Valéry Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt zu einem europäischen Währungssystem, die Verbindung von Helmut Kohl mit François Mitterrand für ein vereintes Deutschland in einem gemeinsamen Europa und natürlich die gemeinsame Haltung von Jacques Chirac und Gerhard Schröder gegen den Irakkrieg – eine deutsch-französische Gemeinschaft, auf die wir stolz sein können. ({4}) Wir müssen gerade am heutigen Tag hervorheben: Es heißt, der Erste Weltkrieg war die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Der Irakkrieg darf nicht zur Urkatastrophe des 21. Jahrhunderts werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Praxis ist entscheidend. Der französische Präsident Macron hat entsprechende Vorschläge gemacht. Ja, Kollegin Brantner, es ist wahr, dass es noch keine komplette Antwort unseres Landes auf die Vorschläge gibt. Daran müssen wir arbeiten. Aber nein, Frau Kollegin Brantner, es geht nicht nur um die Arbeitslosenversicherung, sondern es geht auch um die Finanztransaktionsteuer und um die Vollendung der Bankenunion. Natürlich arbeitet auch der Finanzminister daran; ich glaube, das wissen Sie auch. Aber entscheidend wird sein, dass uns das, was Macron gesagt hat, wirklich gelingt, nämlich die europäische Gemeinschaft – „Selbstbehauptung“ ist unser Wort dafür – zu stärken, dass wir mehr Schritte zur Einigung brauchen, dass wir vor allen Dingen die Demokratie voranbringen müssen und dass wir das eng deutsch-französisch abstimmen. Ich sage auch: Deshalb brauchen wir heute einen mutigen Schritt, eine Selbstverpflichtung, gerade in diesem Haus. Vorgestern haben die Sozialdemokraten ihren Spitzenkandidaten für die Wahl des Europäischen Parlaments 2019, Frans Timmermans, nominiert, gestern die Christdemokraten in der EVP-Familie den ihren. Das waren beides wichtige Schritte. Die Konsequenz daraus ist, dass wir uns in diesem Hause – die beiden Fraktionen natürlich zuerst; ich hoffe, die anderen drei Fraktionen folgen – wirklich in die Augen schauen und in die Hand hinein versprechen: Wir tragen dazu bei, dass das Ergebnis der Europawahl tatsächlich in die Entscheidung über den Kommissionspräsidenten mündet und sich nicht die Staats- und Regierungschef irgendjemanden aussuchen. Damit müssen wir Ernst machen; das hat Macron auch eingefordert. Das wird unsere Aufgabe sein, und das ist natürlich für Sozialdemokraten ein sozialdemokratischer Präsident der Europäischen Kommission. Vielen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Axel Schäfer. – Nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion: Ursula Groden-Kranich. ({0})

Ursula Groden-Kranich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004280, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! An einem Tag wie heute und nach den mahnenden Worten unseres Bundespräsidenten schauen wir jetzt auf das Ende des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren, auf das Ende des Grande Guerre, wie er in Frankreich heißt, und wir schauen auf die vertiefte deutsch-französische Freundschaft. Ich komme aus Mainz, einer Stadt, die eine sehr wechselvolle Beziehung zu Frankreich hat. ({0}) Denn in Mainz haben Familien aus erster Hand erfahren, was Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen bedeutet. Meine Mutter hat als Kind den Zweiten Weltkrieg erlebt, meine Großmutter den Ersten Weltkrieg, und meine Generation konnte in Frieden und in Freiheit aufwachsen. Das ist die größte Errungenschaft, die wir heute auch feiern dürfen, meine Damen und Herren. ({1}) Unsere Vorfahren standen unter dem Eindruck der vermeintlich deutsch-französischen Erbfeindschaft – einer Feindschaft, die Weltkriege unvermeidbar erscheinen ließ. Der Élysée-Vertrag von 1963 schuf nach dem Zweiten Weltkrieg einen Rahmen, in dem sich Deutsche und Franzosen näherkommen konnten und dies auch getan haben: durch Städtepartnerschaften, Kulturprojekte, Jugendbegegnungen, aber auch durch wirtschaftliche Beziehungen beider Nationen. Die Freundschaft, die sich daraus entwickelte, die Versöhnung der beiden Völker, war wiederum die Voraussetzung für das Europa, in dem wir heute in Frieden und Freiheit leben. Ich selbst habe diese versöhnten Beziehungen durch eine der ältesten deutschen Partnerschaften von Städten zwischen Mainz und Dijon erleben dürfen und von der jahrelangen Tradition des Schüleraustauschs profitiert. Jugendaustausch und Städtepartnerschaften sind Themen, die wir in unserer deutsch-französischen Arbeitsgruppe ganz besonders benannt haben. Denn Städtepartnerschaften sind heute etwas in die Jahre gekommen; aber sie sind der Motor, der die deutsch-französische Freundschaft für jeden Bürger greifbar macht und stabilisiert. ({2}) Die europapolitische Zusammenarbeit wurde seitdem immer wieder durch das deutsch-französische Tandem angetrieben, und sie bildet die Grundlage für unser – wie Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble treffend formulierte – Rendezvous mit der Globalisierung. ({3}) Was bedeutet diese deutsch-französische Freundschaft, und was können wir daran machen? Denn für die Generation unserer Kinder ist es selbstverständlich, dass Deutschland mit Frankreich und Europa in Frieden lebt. Aber wir haben es heute gehört: Es ist unsere Pflicht, daran zu arbeiten, jeden Tag daran zu arbeiten, und das tun wir auch mit dem neuen Deutsch-Französischen Parlamentsabkommen. Damit haben wir mit unseren französischen Kolleginnen und Kollegen parteiübergreifend und grenzübergreifend etwas geschaffen, was vor 100 Jahren niemand sich hat vorstellen können. ({4}) – Nein, Herr Kleinwächter, ich möchte Ihre Frage nicht beantworten. Sie haben sich in der Deutsch-Französischen Arbeitsgruppe einbringen können, und deswegen war ich sehr verwundert über Ihren heutigen Redebeitrag, wo Sie immer betont haben, wie wichtig Ihnen die deutsch-französische Freundschaft ist. ({5}) – Die Frage, wer hier heute was missbraucht hat, werden wir beantworten. Sie sehen es so. Wir sehen den Missbrauch ganz, ganz anders, und ich glaube, das ist jedem deutlich geworden. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsch-französische Freundschaft ist gut für die Zukunft aufgestellt. Ich finde es unheimlich erfreulich, dass wir mit unseren französischen Kollegen in Deutschland und Frankreich auf Französisch und auf Deutsch gemeinsam an dem Projekt „Europa und deutsch-französische Zukunft“ arbeiten. Wir stehen vor großen Herausforderungen, und dabei hilft es uns sicher, wenn wir auch Deutsch und Französisch sprechen. Es lebe die deutsch-französische Freundschaft! Vive l‘amitié franco-allemande! Danke schön. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben besonders am heutigen Tag die Verpflichtung, aus der Geschichte zu lernen. Die Ereignisse der letzten 100 Jahre zeigen, dass diese Erkenntnis nicht zu jedem Teil der deutschen Geschichte gegenwärtig war. Das politische Klima nach dem Ersten Weltkrieg war nicht von Versöhnung und Zusammenarbeit geprägt, sondern vom Gedanken des Stärkeren und des Misstrauens. Es stand nicht Zusammenarbeit im Vordergrund, sondern die Frage: Wie kann ich selbst alleine stark bleiben? Die Geschichte hat gezeigt, dass dieser Weg falsch war. Wir müssen aber auch daran erinnern, dass bereits nach dem Ersten Weltkrieg die ersten Pflanzen der Aussöhnung und der Friedensarbeit zwischen Deutschland und Frankreich entstanden sind, nicht nur durch Aristide Briand und Gustav Stresemann, die 1926 dafür mit dem Friedensnobelpreis geehrt worden sind, sondern übrigens auch durch Ferdinand Buisson und Ludwig Quidde, die 1927 den Friedensnobelpreis bekommen haben. Diese Bemühungen waren – das ist bitter für unsere Geschichte – am Ende ohne Erfolg. Wie sehr müssen wir uns das Glück vor Augen führen, dass es gelungen ist, nach einem weiteren, noch viel grausameren Krieg die deutsch-französische Aussöhnung zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Was hat das denn auf die Franzosen für einen Eindruck gemacht, dass sie sich mit Deutschland auseinanderzusetzen haben – einem Land, das den Nachbarn zweimal überfallen hat und durch das furchtbare Geschehnisse aufgetreten sind wie das Massaker von Oradour-sur-Glane, das wir niemals vergessen dürfen? Es waren de Gaulle und Adenauer, zwei Staatsmänner, die beide jeweils den Ersten und Zweiten Weltkrieg erleben mussten, die diese Aussöhnung auf den Weg gebracht haben. Aber diese Aussöhnung wäre nicht möglich gewesen ohne das französische Volk. Es wäre nicht möglich gewesen ohne viele Menschen, die bereit waren, zu sagen: Plus jamais la guerre. – Und es wäre nicht möglich gewesen ohne die vielen Initiativen, die in den letzten 50, 60 Jahren entstanden sind, durch Städtepartnerschaften und Schüleraustausche. Ich selbst bin Anfang der 90er-Jahre in Frankreich von meiner damaligen Gastfamilie sehr herzlich empfangen worden. Und das war nur 80 Kilometer von Oradour-sur-Glane entfernt. Mit dem gesamten historischen Wissen kann ich sagen, was es eigentlich für eine Gnade ist, dass wir das alles erleben dürfen. Deswegen sage ich heute ganz bewusst: Es ist ein Teil des glücklichen Umstandes unserer Geschichte, dass die deutsch-französische Freundschaft lebt und diese Aussöhnung gelungen ist. ({0}) Und ja, wir haben daraus die Verpflichtung, diese Freundschaft weiter zu vertiefen. Das beginnt mit der Sprache, damit, dass wir wieder stärker bereit sein müssen, die Sprache des Nachbarn zu lernen und zu sprechen – auf beiden Seiten des Rheins. Es beginnt damit, dass wir dafür sorgen müssen, dass in den Schulen noch stärker aufeinander zugegangen wird. Es beginnt damit, dass wir Städtepartnerschaften weiter pflegen. Es beginnt aber auch damit, dass sich die gewählten Parlamentarier in dieses Projekt noch stärker einbringen, die direkt vom Volk gewählten Vertreter Deutschlands und Frankreichs, und zwar nicht indem wir die anderen in Europa ausschließen, sondern indem wir ein gutes Beispiel abgeben, dass Europa, dass Freiheit, dass Frieden und Sicherheit nur gemeinsam entstehen können. Es geht nicht mehr um ein „Die einen gegen die anderen“, sondern die Frage ist einzig und allein: Wie können wir es gemeinsam besser machen für Frieden und für Freiheit in Europa? Das ist die wichtige Botschaft am heutigen Tag. Deswegen bin ich froh, dass wir nächstes Jahr dieses Parlamentsabkommen beraten und beschließen werden. Vielen Dank.

Silvia Breher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004681, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute bringen wir einen Entwurf zur Änderung des Tierschutzgesetzes ein. Das haben sich alle Beteiligten nicht einfach gemacht. Bis hierher waren es intensive Auseinandersetzungen in der Sache – und sie sind es weiterhin. Wir werden die Frist zum Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration letztmalig um zwei Jahre verlängern. ({0}) Somit geben wir allen Beteiligten die Möglichkeit, diesen Ausstieg erfolgreich zu schaffen. Uns ist dabei sehr wohl bewusst, dass dies vielen Kolleginnen und Kollegen schwerfällt, aber wir werden unsere Bäuerinnen und Bauern mit Sauenhaltung in Deutschland nicht im Stich lassen. ({1}) 2013 wurde die betäubungslose Kastration verboten, mit einer Übergangszeit bis Ende dieses Jahres. Fakt ist aber leider auch, dass sich die bis heute in Deutschland zugelassenen Alternativen am Markt nicht oder nicht ausreichend durchgesetzt haben. ({2}) Ja, es werden Eber gemästet, aber ihr Marktanteil beträgt nur 10 Prozent . Und ja, es gibt die Immunokastration; aber zur Wahrheit gehört auch, dass es für das Fleisch dieser geimpften Tiere schlichtweg keinen Markt gibt. ({3}) Es gibt die Alternative der Inhalationsnarkose mit dem Wirkstoff Isofluran. Aber hier fehlen leider noch immer die arzneimittelrechtliche Zulassung, die Möglichkeit der Anwendbarkeit durch den Landwirt und am Ende schlichtweg auch die Geräte. Wir können jetzt lange beklagen, dass wir diese Situation haben, aber das hilft uns nicht weiter. Wenn wir diese Frist jetzt nicht verlängern, dann wird das das Aus vor allem für die kleinen und mittleren Ferkelzuchtbetriebe in Deutschland bedeuten. Lassen Sie uns doch einmal ehrlich sein: Dem Tierschutz, auch nur einem einzigen Ferkel würden wir damit nicht helfen. Denn wie sieht es am Markt wirklich aus? Nur noch 75 Prozent aller Ferkel in diesem Land werden in Deutschland geboren. Die Tendenz ist stark fallend. Der Rest der Ferkel kommt schon heute aus unseren Nachbarländern, importiert aus Dänemark oder den Niederlanden. Insgesamt sind das über 11 Millionen Ferkel im Jahr. ({4}) Diese Tendenz ist stark steigend. Diese Ferkel sind kas­triert, und zwar nach Methoden, die unserem Tierschutzgesetz ab Januar nicht mehr entsprechen werden. Was würde ohne Fristverlängerung in Deutschland passieren? Ich kann es Ihnen sagen: Unsere Bäuerinnen und Bauern mit Sauenhaltung müssten ihre Türen schließen – und das für immer. Nur, den Ferkeln helfen wir nicht, die werden weiterhin kastriert, nur eben in Dänemark oder in den Niederlanden oder irgendwo im europäischen Ausland, und werden anschließend nach Deutschland importiert. ({5}) Wir wollen unsere Verantwortung aber nicht an unsere Nachbarländer abgeben, wir nehmen die Verantwortung hier in Deutschland an. Deswegen verlängern wir die Frist. Gleichzeitig legen wir aber rechtssicher fest, dass nach diesen 24 Monaten in Deutschland der Ausstieg gelingt. Das BMEL wird mit einer bis Ende Mai vorzulegenden Rechtsverordnung zum Handeln verpflichtet. Die arzneimittelrechtliche Zulassung von Isofluran soll schnellstens erfolgen. Die Möglichkeit der Anwendbarkeit durch den Landwirt wird herbeigeführt. Es wird Schulungen für die Landwirte geben und eine Informationskampagne zu den Alternativen. Wir wollen ein Förderprogramm zur Unterstützung der Betriebe bei der Anschaffung der Narkosegeräte. Das BMEL hat darüber hinaus eine Berichtspflicht: Jedes halbe Jahr sollen wir hier im Hause über die Fortschritte bei der Umsetzung unterrichtet werden. Damit wir unseren Ferkelerzeugern den endgültigen Ausstieg – ich betone: den endgültigen Ausstieg – in den nächsten beiden Jahren ermöglichen, dafür benötigen wir diese eine letzte Fristverlängerung. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das Wort hat als Nächstes der Kollege Stephan Protschka, AfD-Fraktion. ({0})

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Habe die Ehre! Herr Präsident! Gott zum Gruße, meine Kollegen und Kolleginnen! Liebe Gäste im Plenum! Liebe Zuschauer zu Hause! Kein Mensch, der ein bisschen Gefühl hat, möchte, dass Tiere unnötig leiden. Die AfD steht deswegen klipp und klar für eine mitfühlende und würdevolle Behandlung aller Tiere – bei Haltung, bei Transport und vor allem bei Schlachtung. ({0}) Tiere sind nämlich Mitgeschöpfe und keine Sachgegenstände, wie das heute noch im Gesetz steht. ({1}) Dass wir heute aber dennoch über die Verlängerung der betäubungslosen Ferkelkastration sprechen müssen, dafür sind alle Landwirtschaftspolitiker von CDU/CSU, SPD, Grünen und Linken verantwortlich. Sie, meine Damen und Herren, haben es seit fünf Jahren in der Hand gehabt, etwas für unsere Ferkelzüchter und für die Ferkel zu unternehmen. Das haben sie komplett versäumt. ({2}) Seit 2013 gibt es nämlich die Grundlage im Tierschutzgesetz für ein Ende der betäubungslosen Ferkelkastration. Sie alle haben das in den letzten fünf Jahren verschlafen, so wie Sie so viel verschlafen haben in unserem Land. ({3}) Sie haben anscheinend einfach nur Ihre Hände in den Schoß gelegt und haben gemeint, irgendwie würde der Markt das Problem in den nächsten fünf Jahren schon lösen. Aber das Problem hat sich leider nicht gelöst. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und von der SPD, es greift zu kurz, lediglich die Frist um zwei Jahre zu verlängern. Jetzt müssen die Verantwortlichen im Bundesministerium für Landwirtschaft endlich handeln. Doch wie handeln sie? Wie bei der Dürrehilfe greift die Große Koalition zu kurz. Sie legen sich verantwortlich für die betroffenen Landwirte in Deutschland unnötig frühzeitig auf Isofluran als einziges Mittel fest. Frau Breher, dazu steht in Ihrem Gesetzentwurf: Alternativen, keine. Es gibt allerdings sehr viele Alternativen dazu. Die chirurgische Kastration mittels Isofluran als Inhalationsnarkose – das hat die Frau Kollegin schon gesagt – verlangt einen höheren apparativen Aufwand, da ein spezielles Narkosegerät benötigt wird. Die Anschaffungskosten belaufen sich auf bis zu 10 000 Euro je Gerät. Zudem steht Isofluran unter Verdacht, Leberschäden hervorzurufen. Ich weiß nicht: Wir schützen die Tiere; aber unsere Tierärzte lässt man in Zukunft unter Leberschäden leiden, oder wie? Man denkt in diesem alten Haus einfach nicht mehr. Es wird nur noch Blödsinn erzählt. ({5}) Das möchte ich einmal klären. Dann kommt nämlich der nächste Antrag, dann kommen die arbeitsrechtlichen Bedenken, wenn der Veterinär irgendwelchen Mitteln ausgesetzt ist, die Leberschäden hervorrufen. ({6}) Genauso wie bei der Vollnarkose mittels Injektion ist auch bei Ferkeln eine höhere Sterblichkeit durch Isofluran möglich. Die AfD-Fraktion spricht sich deswegen nachdrücklich für die Kastration der Ferkel mittels Lokalbetäubung aus. ({7}) Ich sehe, dass es schon blinkt; ich hätte noch so viel zu sagen. – Das ist eine tierfreundliche Methode, und sie ist für Züchter wirtschaftlich tragbar. Deswegen fordern wir die Regierung auf, endlich zu handeln. Ich muss jetzt etwas weglassen, weil der Präsident mir schon Zeichen gibt. – Die CDU/CSU hätte es in der Hand, mithilfe einer bürgerlichen Mehrheit aus CDU/CSU, FDP und AfD endlich etwas für die Ferkelerzeuger und für den Tierschutz zu machen. Die AfD ist auf alle Fälle bereit, konstruktive Lösungen zu suchen. ({8}) Mit der bürgerlichen Mehrheit wäre es möglich, für die Landwirte, für unsere Bauern und für unsere Ferkel etwas zu tun. Danke schön, meine Damen und Herren. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Als Nächstes hat das Wort für die SPD-Fraktion die Kollegin Susanne Mittag. ({0})

Susanne Mittag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004355, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Fünf Jahre, 10 000 Betriebe, 20 Millionen männliche Ferkel – darüber reden wir heute. Das ist keine Kleinigkeit. Seit fünf Jahren gibt es das wirklich sehr gute Gesetz – das wollen wir einmal festhalten –, und ab dem 1. Januar 2019 ist die betäubungslose Kastration von bis zu acht Tage alten Ferkeln verboten. Und nein, sie sind nicht eine Woche lang nach ihrer Geburt schmerzunempfindlich. Das ist jetzt wissenschaftlich bewiesen. Es tut ihnen weh. ({0}) Es gibt 10 000 Sauenhalter in Deutschland, größtenteils kleine und mittelständische Betriebe – das muss man auch akzeptieren –, und rund 40 Millionen Ferkel insgesamt deutschlandweit. Dazu kommen 10 Millionen, die aus den Niederlanden und Dänemark importiert werden. Ich sage das, damit man die Größenordnung vor Augen hat. Wo ist das Problem? Leider ist das Problem die mangelnde Tatkraft im Landwirtschaftsministerium. Das tut mir jetzt ein bisschen leid; aber das müssen wir einmal benennen. Ab dem 1. Januar 2019 sollten Ferkel nur noch schmerzfrei kastriert werden. Das ist ein wichtiger Schritt; denn in unseren Nachbarländern reicht das Wort „schmerzlindernd“ aus. Da darf das ruhig ein bisschen weh tun, und zwar auch noch in den nächsten Jahren. Ich weiß nicht, was sich Landwirtschaftsministerium und die vielen Verbände – das möchte ich ganz deutlich sagen – bei der Vorbereitung der Umsetzung dieses Gesetzes, das es schon fünf Jahre gibt, gedacht haben. Wahrscheinlich nicht so viel. Sie haben wahrscheinlich gedacht: „Das wird schon irgendwie klappen“, oder: „Wir warten einfach auf einen vierten Weg“; dazu gibt es ja wieder so einen merkwürdigen Antrag. Letztendlich ist der Ferkelzüchter in der ganzen Diskussion vor Ort alleingelassen worden. Er muss gucken, wie er damit umgeht. Aber was bringt es nun, über vergossene Milch zu reden, wie man in der Landwirtschaft sagt? Es gibt ja drei Möglichkeiten: Ebermast. Das Wort ist wohl selbsterklärend. Am Ferkel bleibt alles dran, aber ein geringer Marktanteil. Eberimpfung. Das ist in Belgien und Australien zum Beispiel ein völlig gängiges und unproblematisches Modell. Das Ferkelchen bleibt komplett, der Mäster muss impfen. Und nein, das ist kein Hormon, was immer wieder verbreitet wird. ({1}) Der Marktanteil ist auch gering, weil der Verbraucher das angeblich nicht will. Wer sagt das eigentlich? – Die Schlachtindustrie, die sich organisatorisch umstellen müsste und in der Mitte der Wertschöpfungskette eine enorme Marktmacht entwickelt hat. Das gilt zumindest für die großen Unternehmen. Darüber wird auch noch zu reden sein. ({2}) Die dritte Möglichkeit ist – gängig ausgedrückt – die kleine Ferkelmaske, die Isoflurannarkose. Eine kurze Betäubung – nein, das Ferkel liegt nicht stundenlang irgendwo rum; es handelt sich um Minuten – ({3}) und eine Wundbehandlung. Das wird seit zehn Jahren in der Schweiz erfolgreich praktiziert. Das gibt es in Deutschland beim Tierschutzlabel des Deutschen Tierschutzbundes und im Biobereich. Auch hier ist der Marktanteil immer noch sehr gering. Das wird sich jedoch ändern, da wir diese letzte Methode endlich praxisreifer machen und die Anwendungsbreite erheblich verbessern. ({4}) Das Ministerium wird erstmals verpflichtet, per Verordnung zu regeln, dass diese Narkose durch den Landwirt durchgeführt werden kann. Da sind wir uns einig. Das ist ein Riesenschritt. Leider gibt es nämlich nicht genügend Tierärzte für 80 Prozent der Ferkel. Zusätzlich gibt es Geld für Geräte – das ist schon gesagt worden –, damit die Alternative innerhalb der Frist komplett umgesetzt werden kann. Das hätte alles schon durch Frau Klöckners Vorgänger – das muss man gerechtigkeitshalber sagen – erledigt werden können, ist es aber nicht. Darum holen wir das jetzt nach, und zwar mit einem verbindlichen Handlungskatalog für das Ministerium, mit Fristen – das ist auch schon erwähnt worden – für die erforderliche Verordnung, für die Beschulung der Tierhalter, Beratung für Betriebe und für eine öffentliche Kampagne zur Aufklärung darüber, dass diese drei Methoden sehr wohl gut anwendbar sind. Das ist, wie schon gesagt, die allerletzte Frist, ohne Aussicht auf nochmalige Verlängerung. Das muss jetzt endlich umgesetzt werden. ({5}) Wir tun das, damit die Ferkelzüchter eine Perspektive haben und der Markt nicht mit unter Schmerzen kastrierten Ferkeln aus dem Ausland aufgefüllt wird. Diese Entscheidung fällt mir überhaupt nicht leicht, und schon gar nicht als Tierschutzbeauftragte. Damit sich die Versäumnisse nicht wiederholen, werden wir diesem Änderungsgesetz einen Entschließungsantrag anfügen, der das Ministerium auch in weiteren seit langem offenen Tierschutzfragen ein bisschen antreiben soll – sagen wir mal so –, damit es beschleunigt vorangeht. ({6}) Dazu zählt zum Beispiel der TÜV für Tierschutzställe. Eckpunkte dafür liegen im Ministerium schon vor. Es geht um Wege zum Ausstieg aus dem Enthornen von Rindern und dem Abschneiden von Ringelschwänzen von Schweinen, was per EU-Richtlinie von 1994 eigentlich schon längst verboten ist. Es droht ein Vertragsverletzungsverfahren. Frau Klöckner hatte das schon einmal mitgeteilt. Da muss jetzt mal langsam ein bisschen Dampf rein. ({7}) Hinsichtlich des Verhinderns des Tötens von Eintagsküken ist das Landwirtschaftsministerium mit Verbrauchern, zum Beispiel der REWE-Gruppe, auf einem guten Weg. Auch da gibt es mittelfristig offenbar eine Lösung. Das habe ich mit Begeisterung gehört. Wir brauchen einen Sachkundenachweis für Tierhalter. Wieso kann in Deutschland eigentlich jeder alles halten? Das geht doch nicht. Bezüglich der Tiertransporte im In- und Ausland hat sogar die Agrarministerkonferenz zum Handeln aufgefordert, und zwar auf EU-Ebene, aber auch auf nationaler Ebene. Der Export von Schlachttieren aus Deutschland kann verboten werden. Das ist überhaupt kein Problem. Das kann kurzfristig organisiert werden. Es geht auch um den Handel mit Exoten und Welpen über Tierbörsen und das Internet. Das ist eine Art der organisierten Kriminalität, die es schon lange zu regeln gilt. Auch da ist es wichtig, dass wir jetzt endlich eine Frist festschreiben. ({8}) Hier können wir vergleichsweise leicht und kurzfristig einiges regeln. Wir können die Anonymität der Verkäufer verbieten. Es gibt schon eine Studie über Handlungsmöglichkeiten. Die muss nur umgesetzt werden. Wir wollen nicht, dass man weiterhin untätig bleibt. Wir diskutieren darüber eigentlich schon viel zu lange. ({9}) Ohne Fristen, klare Handlungskataloge und eine enge parlamentarische Begleitung scheint das nicht zu schaffen zu sein. Wir stellen mit der Gesetzesänderung und dem kommenden Entschließungsantrag sicher, dass wir in übersichtlicher Frist mehr für Tierschutz tun können. Das Tier soll nicht länger nur unseren Vorgaben angepasst werden, sondern der Mensch muss sich irgendwann auch einmal den Bedürfnissen der Tiere anpassen, diese akzeptieren und entsprechend handeln. Ich hoffe, dass wir das in der Koalition gut hinbekommen, und zwar innerhalb dieser Frist. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die Kollegin Carina Konrad hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Carina Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004789, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte über die Kastration männlicher Ferkel ist – das ist mir eben wieder bewusst geworden – wirklich ein absurdes Theater. Jetzt muss ich in der Debatte erfahren, dass die SPD auch noch einen Entschließungsantrag an den vorgelegten Gesetzentwurf anhängt. Ich glaube Ihnen, Frau Breher, dass die Koalition sich die Aufgabe, überhaupt irgendetwas zu verhandeln, nicht einfach gemacht hat. Wir konnten das in der Debatte medial verfolgen. Das, was hier passiert, das kann man aber keinem mehr erklären. Das ist gedankenlos, orientierungslos und leichtfertig. Es geht hier um zwei Dinge. Es geht erstens um mehr Tierschutz, natürlich. Dafür wurde das Gesetz vor mehr als fünf Jahren geändert; das wurde jetzt mehrmals hier gesagt. Aber was ist gefolgt? Fünf Jahre Inaktivität, fünf Jahre Wegducken. Jetzt soll es die Koalition richten, weil es weder der letzte Bundeslandwirtschaftsminister noch die jetzige Bundeslandwirtschaftsministerin hinbekamen, endlich zu handeln. Dabei geht es nicht darum, dass es keinen Weg gibt. Nein. Aktuell stehen vier Wege zur Auswahl. Die politische Aufgabe dabei wäre es lediglich gewesen, für die Akzeptanz der Wege zu sorgen, die jetzt schon möglich sind: die nichtchirurgischen Eingriffe und die Zulassung von Medikamenten bei Eingriffen, die chirurgisch notwendig werden könnten. Frau Breher hat die Zahlen eben genannt. Es ist wichtig, dass alle Wege möglich sind; denn jeder dieser Wege bringt mehr Tierschutz als der Weg, den Sie jetzt gehen, indem Sie einfach nur die Frist verlängern. ({0}) Es ist nicht so, als würde das nicht gehen. Unsere Nachbarn in Dänemark und in den Niederlanden machen es vor. Wir konnten uns mit allen Fraktionen bei der Ausschussreise vor einigen Wochen davon überzeugen. Schon heute kommen über 11 Millionen Ferkel jährlich aus diesen Ländern zu uns, und wir erzählen unseren Bauern hier ernsthaft, es sei hier nicht möglich, die Wege einzuschlagen, die dort lange gegangen werden. ({1}) Ihnen ist nicht nur das Wohl der Tiere wurscht, sondern auch – das ist mein zweiter Punkt – die Existenz der Landwirte. Diese wird hier leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Sie setzen auch – das ist noch viel, viel schlimmer – den Ruf der Landwirtschaft leichtfertig aufs Spiel, wenn die Frist noch weiter verschoben wird; denn die Branche steht eh schon vor großen Herausforderungen, die unbedingt politisch gelöst werden müssen. Frau Ministerin Klöckner, Sie sagen, Sie wollen ein staatlich organisiertes Tierwohllabel auf den Weg bringen. Dieses Label bringt nichts, wenn nachher keine Tiere mehr darunter vermarktet werden können. Wie wollen Sie die großen Probleme lösen, die noch in der Warteschleife sind, gerade für die Schweinehalter in Deutschland? Ich erinnere nur an die Debatten, die uns noch bevorstehen, um Kastenstand, um Abferkelbuchten usw. Ohne Landwirte wird es kein Tierwohl geben. Die Landwirte haben bewiesen, dass sie das umsetzen wollen. Spätestens seit der Brancheninitiative Tierwohl im Jahr 2015, bei der es eine große Zahl von Anmeldungen gab, haben sie gezeigt, dass sie die Tierhaltung weiterentwickeln wollen. ({2}) Aber sie werden hier aktiv daran gehindert. Heute schließen die Ferkelerzeuger die Tore, morgen die Schweinehalter, und übermorgen steht das Aus der Tierhaltung insgesamt in Deutschland vor den Türen. Frau Ministerin, ändern Sie das! Machen Sie dieses Thema jetzt zur Chefsache, und lösen Sie das Problem. Sorgen Sie dafür, dass der Ruf der Landwirte wieder ein guter Ruf wird. Wenn Sie auch in Zukunft noch Schwarzwälder Schinken oder auch Thüringer Rostbratwurst aus Fleisch aus Deutschland essen wollen, dann gehört dieses Thema auf den Tisch. Wir müssen diese Debatte wirklich ernsthaft führen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich erteile das Wort der Kollegin Amira Mohamed Ali, Fraktion Die Linke. ({0})

Amira Mohamed Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004823, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung ... So Artikel 20a des Grundgesetzes. Aber wie ernst nehmen Sie unser Grundgesetz eigentlich, Kolleginnen und Kollegen von der Regierung? ({0}) Sie schlagen uns eine Gesetzesänderung vor, die das Staatsziel Tierschutz ignoriert. Dieser Gesetzentwurf empört zu Recht viele Menschen. Er stellt wirtschaftliche Interessen über unsere Grundwerte. Er zerstört Vertrauen in die Gesetzgebung. Das ist unverantwortlich. ({1}) Es soll für weitere zwei Jahre erlaubt werden, Ferkel ohne Betäubung zu kastrieren. Warum wird kastriert? Weil man den sogenannten Ebergeruch verhindern möchte, den etwa 5 Prozent der Schweine nach der Geschlechtsreife ausbilden. Die Kastration erfolgt, indem man den Ferkeln Hoden und Samenstrang herausschneidet. Bei der überwältigenden Zahl der Tiere geschieht das aktuell ohne Betäubung. Unser Staatsziel Tierschutz gebietet es aber, Leid von Tieren auf ein unvermeidbares Minimum zu begrenzen; denn Tiere sind keine Sachen, die man behandeln und ausbeuten kann, wie man will. Es sind Mitgeschöpfe, die unter unserem Schutz stehen. ({2}) Deshalb wurde die Kastration ohne Betäubung im Tierschutzgesetz ausdrücklich verboten, und das ist gut so. ({3}) Für die Schweineproduzenten wurde allerdings eine Ausnahmeregelung aufgenommen, befristet auf fünf Jahre. Sie sollten Gelegenheit haben, sich auf das Verbot einzustellen. Die Ausnahmeregelung läuft am Ende dieses Jahres aus. Wir stellen fest: Die Branche hat sich nicht auf das Verbot eingestellt. Die Zeit ist nicht genutzt worden. Die mächtigen Industrieverbände haben offenbar darauf vertraut, dass die Regierung die Ausnahmeregelung verlängern wird, wenn sie es fordern, und genau das geschieht jetzt. Die Regelung soll um zwei Jahre verlängert werden. Das ist entsetzlich: für die Tiere, aber auch für die Menschen; denn die Verlängerung dieser Ausnahmeregelung erschüttert zu Recht das Vertrauen darin, dass Gesetze eingehalten werden, dass Grundwerte nicht einfach wirtschaftlichen Interessen geopfert werden. ({4}) Es gibt Alternativen zur Kastration: die Jungebermast. Sie ist in den Niederlanden, in Spanien und Großbritannien eine Standardprozedur. Es gibt auch eine Impfung gegen den Ebergeruch, die sogenannte Immunokastration. Sie ist zum Beispiel in Belgien Standard. Aber diese Methoden sind aufwendiger als die Kastration ohne Betäubung. Deshalb sträubt sich die Branche. Das ist unverantwortlich. ({5}) Weil es diese Alternativen gibt, ist es verfassungswidrig, die Kastration ohne Betäubung weiterhin zu erlauben. Es verstößt gegen das Staatsziel Tierschutz; denn dieses Tierleid ist vermeidbar. ({6}) Mit dieser Meinung bin ich nicht allein. Viele Rechtswissenschaftler sehen das so. Ich kenne keine seriöse Gegenmeinung. Sie wollen, dass wir ein verfassungswidriges Gesetz verabschieden. Sie fördern die Politikverdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger, indem Sie sich die Gesetze von der Lobby diktieren lassen. Das ist völlig inakzeptabel! Die Linke stellt sich dem klar entgegen. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Friedrich Ostendorff ist der nächste Redner für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich nicht erinnern, je ein solches agrarpolitisches Versagen erlebt zu haben wie bei der betäubungslosen Ferkelkastration. ({0}) Was Sie heute vorlegen, ist inhaltlich nicht ganz verkehrt. Aber das hätten wir doch alles zum 1. Januar 2019 machen können. Falsch und unerklärlich ist Ihre unverantwortliche fünfjährige Verschleppung dieser Entscheidung. ({1}) Falsch ist es aber auch, Frau Ministerin, dass Sie als Tierschutzministerin erklärt haben, nicht zuständig zu sein. Falsch, fahrlässig und unfair ist das Nichtstun von CDU/CSU, mit der Sie die Sauenhalterinnen in eine beispiellose Verunsicherung getrieben haben. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erleben in der Sauenhaltung seit Jahren einen beispiellosen Strukturbruch. 1998 hatten wir 88 000 sauenhaltende Betriebe, heute 8 300: 90 Prozent Verlust. Das haben Sie mit Ihrer Untätigkeit weiter forciert. Während Sie fünf Jahre lang nichts taten, hat fast ein Viertel der verbliebenen Sauenhalter aufgegeben. Viele hätte man mit etwas mehr Planungssicherheit halten können, meine Damen und Herren. Dabei war die Hausaufgabe der Ministerin und der Koalition klar formuliert. Die Hausaufgabe lautete: Finden Sie Wege zur wirksamen Schmerzausschaltung. Wirksame Schmerzausschaltung! Jeder weiß, dass Ebermast, Immunokastration, Injektionsnarkose und Inhalationsnarkose heute die möglichen Wege sind. Statt diese umzusetzen, haben Sie von CDU/CSU den vierten Weg mit Lokalanästhesie ins Spiel gebracht, ohne den Wirkungsnachweis erbringen zu können. Nach wie vor ist der Wirkungsnachweis nicht erbracht, wie in der Studie, die letzte Woche vorgestellt wurde, noch einmal betont wurde. Niemand wird gegen neue, nachweislich wirksame Verfahren der Schmerzausschaltung sein. Aber im Moment gibt es sie eben nicht, meine Damen und Herren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Grünen halten viel davon, gesetzliche Fristen einzuhalten: aus Respekt vor den Betroffenen, aus Respekt vor dem Gesetz. Deshalb halten wir Grünen das Reißen der Frist zum 1. Januar 2019 für ein verheerendes Signal an die Gesellschaft. ({3}) So schaffen wir kein Vertrauen in die Politik, meine Damen und Herren, und kein Verständnis für die Landwirtschaft von heute. Aber wenn Sie jetzt schon in die Verlängerung gehen, warum denn dann noch zwei Jahre? Viele Umsetzungsdetails in Ihrem Vorschlag sind sehr richtig. Aber das könnte man doch alles viel schneller haben. Dafür braucht man doch keine zwei Jahre. Meine Damen und Herren, die Menschen wollen, dass endlich gehandelt wird. Die Sauenhalter brauchen endlich verlässliche Rahmenbedingungen. Und die jährlich 20 Millionen betroffenen Ferkel müssen endlich von ihrem unnötigen Leid befreit werden. ({4}) Deshalb bringen wir Grünen heute einen umfassenden Tierschutz-Novellierungsantrag ein, der schon lange auf die Tagesordnung gehörte, weil im Umgang mit dem Mitgeschöpf Tier noch sehr vieles verändert werden muss, wie es unser Grundgesetz schon seit Jahren verlangt. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Hermann Färber, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hermann Färber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Tierschutzgesetz enthält für das Kastrieren von Ferkeln innerhalb der ersten Lebenswoche eine Ausnahme vom Betäubungsgebot. Der Gesetzentwurf sieht nun vor, die Übergangsfrist bis zum vollständigen Verbot um zwei Jahre zu verlängern. Was ist der Hintergrund? Es stehen drei Verfahren zur Verfügung. Alle diese drei Verfahren haben Vorteile, aber auch Nachteile. Das erste Verfahren ist – das wurde schon angesprochen – die Ebermast, also der völlige Verzicht auf die Kastration. Das Problem dabei ist die Gefahr einer extremen Geruchs- und Geschmacksverunreinigung des Fleisches. ({0}) An dieser Stelle möchte ich das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ein Stück weit in Schutz nehmen. Die Märkte, die der Branche vor fünf Jahren versprochen wurden, sind allesamt nicht vorhanden. Sie waren nie vorhanden und wurden auch nicht geschaffen. Wir haben uns in der Praxis nur verwundert die Augen reiben können, wer alles plötzlich Eberfleisch vermarkten wollte. Die Probleme, die seit 100 Jahren bekannt sind, wenn man in ein saftiges Ebersteak beißt – Frau Mohamed Ali, ich lade Sie dazu einmal ein –, das von einem Stinker kommt, wurden ignoriert. ({1}) Wir konnten gar nicht glauben, was uns alles gesagt wurde, wie gut das schmecken soll. Das zweite Verfahren ist die Immunokastration, also die Impfung gegen den Ebergeruch. In dieses Verfahren wurden in der Tat in den vergangenen Jahren große Hoffnungen gesetzt. Das Problem dabei ist, dass es in der öffentlichen Diskussion bei den Verbrauchern in die Nähe von Hormonen gerückt wurde. Das stimmt zwar nicht, aber der Eindruck wurde erweckt. ({2}) Deshalb hat sie leider nicht die notwendige Akzeptanz, zumindest bisher nicht. Das dritte Verfahren ist die Vollnarkose mit dem Narkosegas Isofluran. Dabei wird das Tier mit dem Kopf in eine Narkosemaske gesteckt und in Bewusstlosigkeit versetzt. Währenddessen kann die Operation schmerzfrei durchgeführt werden. Für den postoperativen Schmerz wird zusätzlich ein schmerzlinderndes Mittel eingesetzt. Diese Methode soll das Standardverfahren werden. Allerdings gibt es da noch einige Probleme, die wir lösen müssen. Isofluran benötigt die dafür notwendige Zulassung. Es darf bisher nur durch Tierärzte und im Rahmen von Ausnahmegenehmigungen eingesetzt werden. Die Tierärzte haben aber gar nicht die notwendige Arbeitskapazität zur Verfügung, um dies in allen Betrieben durchzuführen. Hinzu kommen Probleme beim Anwenderschutz. Das Narkosegas Isofluran ist leicht flüchtig und breitet sich aus, sodass die Gefahr besteht, dass es vom Menschen eingeatmet wird. Bei schwangeren Frauen ist nicht auszuschließen, dass der Fötus geschädigt wird. Deshalb müssen die Geräte vom Hersteller noch etwas optimiert werden. Diese Optimierung muss schon aus Sicherheitsgründen vor dem Einsatz in der breiten Praxis erreicht werden. Das sind wir den Menschen schuldig, die damit umgehen. Darüber hinaus muss eine Verordnung auf den Weg gebracht werden, die es den Landwirten ermöglicht, die Anwendung von Isofluran selbst durchzuführen. Dazu gehört auch die fachkundige Unterweisung und Schulung im Umgang mit dem Betäubungsgas. Unabhängig davon müssen wir uns die Möglichkeit für weitere Alternativen offenlassen; das hat mit der Fristverlängerung um zwei Jahre nichts zu tun. Wenn wir die Frist nicht verlängern, bedeutet das konkret, dass wir in Deutschland aus der Ferkelerzeugung aussteigen. Das wäre dann der sogenannte fünfte Weg. Die Folge ist, dass die kleinen Ferkel dann aus Dänemark und den Niederlanden über 1000 Kilometer in den süddeutschen Raum transportiert werden müssen. Das kann hier im Haus niemand wirklich wollen. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Färber. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/5522, 19/5533 und 19/5564 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalition hat in der Tat wichtige energiepolitische Weichenstellungen im Koalitionsvertrag gestellt. Wir werden die Energiewende nur zum Erfolg führen, wenn wir diese energiepolitischen Weichenstellungen auch ernst nehmen. Ich darf zitieren – das ist praktisch die Präambel zum Energiethema –: „Wir führen die Energiewende sauber, sicher und bezahlbar fort“. Weiter heißt es: „Wir gestalten die Energiewende mit den Menschen, Kommunen und Unternehmen“. ({0}) Das ist nicht blanke Lyrik, sondern ganz wichtig. Es darf nicht Lyrik bleiben. Wenn wir das ernst nehmen – obwohl es trivial klingt –, müssen wir in den nächsten Tagen und Wochen an der vorliegenden EEG-Novelle etwas ändern. ({1}) Wenn die Energiewende erfolgreich sein soll, sind folgende Punkte unabdingbar: erstens eine klare Verankerung des Zubaus von Energieerzeugungsanlagen mit der Synchronisierung von Netzkapazitäten, zweitens verbindliche Innovationsansätze für die Erneuerbare-Energie-Branche, damit erneuerbare Energien endlich die verlässliche Säule in unserer Energieversorgung werden können und zugebaute Kapazitäten in vollem Umfang genutzt werden können, und drittens – das ist mir besonders wichtig – eindeutige und verbindliche Akzeptanzkriterien. Dazu gehören insbesondere höhenabhängige Abstände von Windkraftanlagen zur Wohnbebauung. ({2}) Wenn wir das nicht machen, wird uns die Energiewende nicht gelingen. Die Energiewende soll doch das Leben der Menschen verbessern und soll das Leben der Menschen nicht weiter beschränken. ({3}) Deswegen dürfen keine Maßnahmen von oben herab gegen die Menschen in den Energieerzeugungsgebieten durchgedrückt werden. Wenn der Storch, der Kranich und der Graureiher 6 Kilometer Abstand zum nächsten Windrad bekommen, dann ist es nicht erklärbar, warum repowerte Anlagen mit einer Höhe von 230 Meter auf bis zu 800 Meter an menschliche Wohnbebauungen herankommen dürfen. Da haben wir großen Erklärungsbedarf. ({4}) Was wurde nun im Entwurf geregelt? Ich muss mich in den verbleibenden zwei Minuten kurz fassen. Das ist zum einen die umstrittene Sonderausschreibung von 2 x 4 GW – jeweils für Windkraft- und Photovoltaikanlagen –, um – so steht es im Koalitionsvertrag geschrieben – die CO 2 -Lücke bis zum Jahr 2020 zu schließen. Aber Voraussetzung ist – so steht es auch geschrieben – die entsprechende Aufnahmefähigkeit der Netze. Das ist auch logisch. Alles andere macht auch keinen Sinn; denn wenn es keine Nutzbarkeit gibt, spart man kein einziges Gramm CO 2 ein. Wir haben zum anderen – auch das ist sehr wichtig – eine bedarfsgerechte Nachtkennzeichnung von Windkraftanlagen eingeführt, um unnötige Blinksignale zu vermeiden. Wenn in Windparks 100, 120 oder sogar 150 Windkraftanlagen die ganze Nacht blinken, dann ist das eine Einschränkung für die Menschen. Das muss verhindert werden. Aber wir müssen auch hier nachbessern. Das muss für Bestandsanlagen genauso gelten wie für Neuanlagen. Dafür werden wir sorgen. Dann gibt es in der Tat einen zaghaften Ansatz für Innovationsausschreibungen. Er ist viel zu gering. Wir haben angefangen, Innovationsausschreibungen vorzunehmen. Wir brauchen aber stärkere Innovationsanreize für die Branche, sodass sie endlich nutzbare Energie bereitstellt und die Energie einen Abnehmer findet. Da müssen wir nachbessern, damit das im Gesetz tiefer verankert wird. Es gibt eine Arbeitsgruppe für die Themen Netz und Akzeptanz, die bis März 2019 tagen soll. Meine Damen und Herren, das ist zu unverbindlich. Wir brauchen jetzt Signale für die Anwohner, dass hier Verbesserungen eintreten. ({5}) Es ist übrigens auch nicht zielführend, lieber Herr Kollege Saathoff, dass Sie bei der Befragung Ihrer eigenen Bundesregierung am vergangenen Mittwoch geäußert haben: Die von der Union gewünschte Abstandsregelung sollte nicht dem Schutz der Anwohner dienen, sondern den Ausbau der Windenergie verhindern. – Wenn Sie so argumentieren, dann ist das nicht zielführend. Wenn Sie so auf die Argumente von anderen reagieren, ist das nicht zielführend. Sie müssen sich nicht wundern, wenn man Ihren Argumenten dann nicht mehr folgt. Sie schaden damit nicht nur der Energiewende, sondern auch der Außenwirkung der Politik. ({6}) Meine Damen und Herren, es ist in der Tat so: Der Welpenschutz ist vorbei. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Branche endlich die notwendigen Innovationen bekommt und eine selbstständige Säule für die Energieversorgung werden kann. Die Zeit der Dauersubventionierung muss vorbei sein. Ein Weiter-so darf es nicht geben. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächster Redner: für die Fraktion der AfD der Kollege Steffen Kotré. ({0})

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Um mit Herrn Professor Sinn, dem ehemaligen Präsidenten des ifo-Instituts, eines Wirtschaftsforschungsinstituts, zu sprechen: Die Energiewende kostet fürchterlich viel Geld, reduziert den Lebensstandard und verschandelt unsere Landschaft. ({0}) Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Energiewende nicht funktionieren kann – und so ist es. Die Bundesregierung reitet hier ein totes Pferd. ({1}) Ohne ökonomisch sinnvolle industrielle Speichermöglichkeiten gehen Stromerzeugung und Stromverbrauch nicht zusammen. Wir haben diese Speicher nicht, und auch in den nächsten 10 oder 20 Jahren werden wir diese Speicher nicht haben. Power-to-X mit einem unterirdischen Nutzungsgrad von 10 bis 20 Prozent ist eher eine Energievernichtungsmethode. ({2}) Wenn eine grüne Politikerin behauptet, wir könnten Strom in den Netzen speichern, dann ignoriert sie schlichtweg physikalische Grundgesetze. ({3}) Aber so ist eben das Denken im „Wünsch dir was“-Wolkenkuckucksheim. In unserer sozialen Marktwirtschaft geht es eigentlich so vonstatten: Erst kommt der Bedarf, und der wird dann gedeckt; aber bei der Energiewende ist es genau umgekehrt: Erst wird der erneuerbare Strom erzeugt, und dann schaut man, ob und wie man ihn entsprechend abnimmt. ({4}) Das ist Planwirtschaft. ({5}) Im Ergebnis zahlen wir doppelt so viel für den Strom wie die Menschen in Frankreich und dreimal so viel wie die Menschen in Bulgarien. ({6}) – Nein, es ist kein Quatsch. Der erneuerbare Zappelstrom kann die Nachfrageschwankungen im Sekundenbereich nicht ausgleichen. Das können nur konventionelle Kraftwerke; sie können das elektrotechnische Netz stabilisieren. Der erneuerbare Strom kann es nicht. Ab 40 bis 50 Prozent erneuerbarer Zappelstrom wird der Netzzusammenbruch wahrscheinlicher. Wir können das leider in Südaustralien sehen. Dort ist es schon Realität geworden. Die Blackouts kann man dort beobachten. Hinzu kommt, dass die deutsche Energiewende völlig sinnlos ist. Wir sparen kein Gramm CO 2 ein. ({7}) Wenn wir hier in Deutschland entsprechend vorgehen würden, wäre das wirklich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wenn die erneuerbaren Energien so toll wären, warum müssen wir dann die Leistungskapazität der Stromerzeugung zusätzlich mit konventionellen Kraftwerken erhöhen? Warum wohl? Um es mit einem Bild zu sagen: Wir haben einen schicken Mercedes in der Garage; aber wir nutzen den Trabant, den wir öfter in die Werkstatt schicken müssen. ({8}) Mit der AfD wird es keinen weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien geben. Wir stehen zu unserer Braunkohle, unserem heimischen marktfähigen Energieträger. Weltweit sind 1 600 Kohlekraftwerke in Bau und in Planung. Also, so schlecht kann die Kohle nicht sein. Wenn wir an die Kosten für die Energiewende denken – 1 Billion Euro –: Was könnten wir mit diesen Mitteln machen? Wir könnten Alters- und Kinderarmut abstellen. Wir könnten unser Bildungssystem sanieren. Wir könnten die Familien fördern. Das wäre sinnvoll, aber nicht die Energiewende. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Kollege Johann Saathoff. ({0})

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, dass wir uns freuen können, dass wir heute in die erste Lesung des Energiesammelgesetzes einsteigen können. Ursprünglich hieß es ja mal 100-Tage-Gesetz. Später sagte eine böse Seele, es sei ein 100-Tage-zu-spät-Gesetz. Ich finde es richtig, dass wir jetzt auf dem Weg sind; denn wir bekommen etwas, was zumindest aus der sozialdemokratischen Perspektive durchaus gefeiert werden kann – wir haben es nämlich im Koalitionsvertrag verankert –: ({0}) Wir bekommen Sonderausschreibungen von 4 Gigawatt für Photovoltaik und Sonderausschreibungen von 4 Gigawatt für Windenergie. ({1}) Der Ausbau in einer Größenordnung von 4 Gigawatt ist letzten Endes nicht mehr, wie wir es eigentlich vereinbart hatten, für zwei Jahre vorgesehen, sondern für drei Jahre. Das kann man kritisieren. Aber ich finde, man kann auch sagen: Das ist eine realistische Einschätzung der Umsetzung, die mindestens bei den Projekten für Windenergie onshore gilt. Es dauert eben eine Zeit lang, bis man die Umsetzung tatsächlich durchführen kann. Am Ende sind diese Sonderausschreibungen dafür da, dass wir unsere Klimaziele erreichen. Diese Klimaziele können wir nur erreichen, indem wir mit den Sonderausschreibungen vernünftig vorangehen und indem eine realistische Umsetzung auch tatsächlich stattfinden kann. ({2}) Was mir heute noch ein kleines bisschen fehlt, ist die Einbindung eines Offshoresonderbeitrags. Den hatten wir nämlich auch miteinander vereinbart. Aber wir sind ja heute in der ersten Lesung. Wir haben noch eine Anhörung, und wir werden die zweite und dritte Lesung dann später haben. Ich bin sicher, dass wir in dieser Frage noch einmal miteinander sprechen können. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, über Bürgerakzeptanz ist schon einiges gesagt worden. Wir führen eine bedarfsgerechte Befeuerung der Windenergieanlagen ein. Dass ich das noch erleben darf! ({4}) Ich habe schon vor zehn Jahren als Bürgermeister der Gemeinde Krummhörn versucht, das zu regeln, um die Belastungen der Bürgerinnen und Bürger ein Stück weit zu minimieren, soweit das denn möglich war. Wir sind immer am Bundesverkehrsministerium gescheitert. Dass jetzt der Weg offen ist, ist fast schon als einmalige Chance zu betrachten. ({5}) Ich finde, an dieser Stelle muss man noch mal deutlich sagen: Es ist genau richtig, dass man die bedarfsgerechte Befeuerung mit Blick auf die Bürgerakzeptanz wählt und nicht unsinnige, überdimensionierte Abstandsregelungen, die eigentlich nur ein Ziel haben, nämlich die Erneuerbaren zu verhindern. ({6}) In Ostfriesland sagt man, wenn jemand von außen immer wieder hereinkommentiert, ohne wirklich Ahnung zu haben, Herr Kotré: „De schlauste Kaptein steiht imme an’t Diek.“ Das gilt in diesem Fall natürlich auch. ({7}) Wir schaffen Planbarkeit. Planbarkeit brauchen wir nämlich für das Klimaschutzabkommen. Da ist die Lage verdammt ernst – das muss man an dieser Stelle mal ganz deutlich sagen –; denn wir haben einen Klimawandel. Da können Sie die Bauern fragen. Da können Sie die Menschen fragen, die an der Küste wohnen. Die können Sie nicht einfach abschreiben, indem Sie den Klimawandel negieren. Insofern muss das Klimaschutzabkommen planbar sein für die Menschen, die in Klimaschutzmaßnahmen investieren, aber auch für die Menschen, die in erneuerbare Energien investieren. Ich freue mich auf die Anhörung. Es gibt viele Dinge zu besprechen, zum Beispiel die Frage der Zukunft des Solardeckels. Hinsichtlich der „Südquote für Windenergie“ hat Herr Altmaier in der Befragung der Bundesregierung diese Woche schon zugesagt, dass in Süddeutschland 0,3 Cent mehr für Windenergie gezahlt werden sollen. Es wird also konstruktive Beratungen geben. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Martin Neumann, FDP-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach monatelangem Hickhack der Großen Koalition liegt das Energiesammelgesetz nun endlich vor. Die Bundesregierung hat es jetzt sehr eilig und möchte das Gesetz nun im Expressverfahren durch Bundestag und Bundesrat prügeln. Wir sollten uns trotzdem ausreichend Zeit nehmen; denn es geht hier tatsächlich um gravierende Dinge, die letztendlich uns alle betreffen. Wir müssen das Gesetz unter die Lupe nehmen. Ziel muss sein, einen Erfolg der Energiewende in Richtung Klimaschutz zu erreichen. Das ist, glaube ich, klar. Also: Ja zu Paris. Das gelingt aber nicht mit ideologischem Blindflug und auch nicht mit ausufernder Planwirtschaft. ({0}) Stattdessen brauchen wir einen Wettbewerb emissionsarmer Energieträger. Wir brauchen eine deutliche Erhöhung der Eigenverantwortung, das heißt mehr Einbeziehung der Menschen. Und – das ist ganz wichtig an dieser Stelle; das geht uns auch alle an – es muss um Versorgungssicherheit gehen, das heißt Versorgungssicherheit stets und ständig. Ich will noch einen Punkt draufsetzen – es ist ein Irrglaube, dass uns Europa hilft, wenn irgendwas mal nicht funktioniert –: Wir brauchen Versorgungssicherheit auch auf europäischer Ebene. Dafür müssen wir arbeiten. ({1}) Jetzt komme ich zu dem Positiven. Der Gesetzentwurf, den wir zu Beginn der Diskussion erhalten haben, enthält einige positive Ansätze. Diese möchte ich nennen. Der erste wäre das Thema Innovationsausschreibungen. Wir brauchen jetzt mehr Netz- und Systemdienlichkeit. Das ist gut. Ich glaube, das ist zu wenig und zu spät gekommen. Positiv ist auch, dass eine Teilbefreiung von der EEG-Umlage für KWK-Anlagen rückwirkend zum 1. Januar möglich sein wird. Das schafft endlich Rechtssicherheit für Unternehmen. Das brauchen wir, und es ist längst überfällig. ({2}) Herr Saathoff hat das Thema Nachtkennzeichnung – auch das ist etwas Wichtiges – und das Thema Akzeptanz angesprochen. Ich habe es bei verschiedenen Podiumsdiskussionen gehört und immer wieder vor Augen geführt bekommen: Wir müssen die Menschen mitnehmen. Die Energiewende geht nicht ohne die Menschen. ({3}) Das trifft letztendlich auch für das zu, was wir an der Stelle machen müssen. Noch ein paar Sätze; ich habe nur noch 60 Sekunden. Im Gesetz geht es um die Sonderausschreibung für Wind- und Sonnenanlagen. Ja, das ist im Koalitionsvertrag enthalten, aber unter dem Vorbehalt von Netzkapazität und Speicher. Hiervon, meine Damen und Herren, kann doch keine Rede sein. Schauen wir uns die Tatsachen an: Die letzte Ausschreibung – da ging es um Windenergie an Land – war unterzeichnet. Wenn man jetzt auf die Idee kommt, die Ausschreibungsmenge einfach zu erhöhen, führt das ein wettbewerbliches Instrument ad absurdum. Das funktioniert nicht. ({4}) Außerdem – wie gesagt, ich fasse mich aus Zeitgründen kurz –: Die Bundesregierung macht im Moment einen Doppelfehler. Man kann nicht einerseits Eigenverbrauch und Direktversorgung – das wollen wir ja, wir wollen die Menschen mitnehmen – massiv behindern und andererseits die noch erforderlichen EEG-Marktprämien zu schnell kappen. Beides läuft gegeneinander. Da muss man einfach sagen: Das funktioniert so nicht. ({5}) Ich sage dem Bundeswirtschaftsminister, der jetzt nicht anwesend ist, dass man den Stromkunden bitte keinen Sand in die Augen streuen soll. Sie tun so, als wenn der Netzausbau längst umgesetzt wäre. Fakt ist aber eines: Das Gesetzespaket ist noch nicht mal in der Abstimmung. Wenn ich noch eine Zahl zum Abschluss nennen darf: Von den 5 900 benötigten Kilometern Stromleitungen sind erst rund 150 Kilometer realisiert. Wie wollen Sie das bewältigen? Diese Frage steht im Raum. Welche Gedanken haben Sie sich in diesem Kontext zu der Rolle von intelligenten Netzen gemacht? Denken Sie hier über stärkere Anreize nach, um Investitionen zu ermöglichen? Wenn Sie gedankenlos munter weiter Wind- und Solaranlagen zubauen, so ist das keineswegs eine Weichenstellung für eine sichere und bezahlbare Energiewende, sondern eine Irrfahrt aufs Abstellgleis, um im Bild zu bleiben. Ich bedanke mich. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächster Redner ist der Kollege Lorenz Gösta Beutin, Fraktion Die Linke. ({0})

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Demokratie braucht Vertrauen, gerade wenn wir es mit den großen Herausforderungen unserer Zeit zu tun haben. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union und von der SPD, sind leider gerade dabei, massiv Vertrauen zu verspielen. Dass bei Ihnen nach einem halben Jahr Nachdenken darüber, ob es Ihnen möglich ist, den Koalitionsvertrag überhaupt umzusetzen, nur ein vermurkstes Energiesammelgesetz herauskommt, ist bezeichnend für den Zustand der Großen Koalition. ({0}) Ich will das an drei Punkten konkret deutlich machen. Erstens. Sie alle haben das Bild von stillstehenden Windrädern vor Augen. Die Bundesregierung will, dass wir das in Zukunft noch viel häufiger sehen. Wenn nämlich zu viel Strom im Netz ist – so ist es vorgesehen –, sollen künftig Anlagen der erneuerbaren Energien abgeschaltet werden, wenn das günstiger ist. Wissen Sie, was insgesamt noch viel günstiger wäre? Die Netze freizumachen von dreckigem Kohlestrom, die 20 dreckigsten Kohlekraftwerke abzuschalten. ({1}) Das würde unserer Gesundheit nützen; das würde dem Geldbeutel der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nützen; und das würde der Bekämpfung des Klimawandels nützen. Das wäre der richtige Weg. ({2}) Zweitens. Sie kürzen die Einspeisevergütung beim Solarstrom, und das in einer Situation, in der wir den Ausbau der Photovoltaik eigentlich verdoppeln müssten, wenn wir die Klimaziele für 2030 überhaupt noch erreichen wollen. Dafür müssten wir zunehmend Solaranlagen in die Städte und auf die Mietshäuser bekommen. Sie aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, bremsen gerade geplante Mieterstromprojekte aus. Sie nehmen den Unternehmerinnen und Unternehmern in der Solarbranche in unserem Land die Planungssicherheit. Das ist ein verheerendes Signal. ({3}) Sie gefährden mit diesem Schritt die Akzeptanz der Energiewende. Sie gefährden damit kleine und mittelständische Unternehmen. Und Sie gefährden damit Arbeitsplätze in der Solarbranche. ({4}) Ändern Sie das! ({5}) Drittens. Am meisten Akzeptanz für die Energiewende bekommen wir, wenn wir die Menschen direkt daran beteiligen. Dafür lautet das Zauberwort „Bürgerenergie“. Das bedeutet, dass Menschen vor Ort, direkt in den Kommunen, in Genossenschaften an Projekten der erneuerbaren Energie beteiligt werden. Es gäbe dafür einen sehr einfachen Weg. Laut Europäischer Union ist es möglich, mit einer Regelung Energieanlagen der Bürgerenergie unter 18 Megawatt von Ausschreibungen auszunehmen. Schreiben Sie doch das in Ihr Gesetz! ({6}) Zusammengefasst: In allen drei Punkten löst dieses Gesetz überhaupt keine Probleme. Es schafft teilweise sogar neue Probleme. Es muss dringend geändert werden. Die Energiewende wird nur gelingen, wenn sie demokratisch, wenn sie dezentral und wenn sie sozial gerecht ist. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin Dr. Julia Verlinden. ({0})

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Jetzt hat die Bundesregierung endlich energiepolitisch etwas vorgelegt, und es ist sehr schade und komisch, dass Herr Altmaier heute nicht hier ist. Im schwarz-roten Koalitionsvertrag behaupten Sie, Sie wollten innerhalb von zwölf Jahren auf 65 Prozent Erneuerbare beim Strommix in Deutschland kommen. Aber spätestens heute wird diese Behauptung endgültig zur Farce angesichts dessen, was Sie hier abliefern. ({0}) Denn Sie verweigern einen klaren Ausbaupfad bis 2030 für die erneuerbaren Energien. Das bedeutet: weiterhin keine Planungs- und Investitionssicherheit für diese Branche. Das bedeutet: Gefährdung von Tausenden von Arbeitsplätzen. ({1}) Und das bedeutet: Sie haben weiterhin keinen funktionierenden Plan, wie Sie Ihre selbstgesteckten Klimaziele endlich erreichen wollen und wie Sie uns vor teuren EU-Vertragsstrafen bewahren, die zwangsläufig auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zukommen. Heute sehen wir: Zwischen Sonntagsreden und echtem Regierungshandeln liegt bei Ihnen ein meilenweiter Unterschied. Wie lange wollen Sie die Menschen eigentlich noch für dumm verkaufen? ({2}) Wind- und Sonnenstrom sind heute billiger als jedes fossile Kraftwerk; aber Sie verweigern unserer Gesellschaft die rasche, volkswirtschaftlich sinnvolle Modernisierung unseres Energiesystems. Sie blockieren Investitionen in eine Hightechindustrie für die Zukunft. Damit verhindern Sie auch weitere Innovationen und zukunftssichere Arbeitsplätze. ({3}) Viele Länder in Europa und auf der ganzen Welt zeigen da deutlich mehr Engagement. ({4}) Genauso, wie Sie die Autokonzerne gar nicht in den Griff kriegen wollen, wollen Sie auch RWE und Co einfach weiter so machen lassen wie bisher. Sie erzählen deswegen weiterhin das Märchen, wir müssten erst mal auf den Netzausbau warten, bevor der Klimaschutz das nötige Tempo aufnehmen kann. Sie definieren deswegen ein Netzengpassgebiet, und dort lassen Sie neue Windenergieanlagen nur noch begrenzt zu. ({5}) Aber, meine Damen und Herren, fossile Kraftwerke dürfen dort natürlich unbegrenzt gebaut werden. Das sagen Sie selbst. Aber Sie merken es hoffentlich auch, wie heuchlerisch es ist, mit zweierlei Maß zu messen, je nachdem, wie es Ihnen und dem fossilen Kartell gerade passt. ({6}) Eine Märchenstunde gehört nicht ins Parlament. Wir wollen konkret an einem zukunftsfähigen Energiesystem arbeiten und die Rahmenbedingungen schaffen, die das ermöglichen und nicht blockieren. Da unterscheiden wir uns ganz grundsätzlich voneinander. ({7}) Jetzt kürzen Sie die Vergütung für mittelgroße Solaranlagen mal eben um 20 Prozent, auch für diejenigen, die seit Monaten an ihrer Anlage planen, die alles durchkalkuliert haben, die den Bau vorbereitet haben. Diese Unterstützerinnen und Unterstützer der Energiewende bremsen Sie nun vollkommen willkürlich und demotivierend aus. Verlässliche Politik sieht anders aus. ({8}) – Hoffentlich ändern Sie noch was daran. ({9}) Gleichzeitig kürzen Sie den Mieterstromzuschlag und machen so viele Mieterstromsolaranlagen, insbesondere auf Bestandsgebäuden, total unwirtschaftlich. Wollen Sie die Energiewende den Mieterinnen und Mietern weiterhin vorenthalten? Hier sind ganz dringend Reformen nötig. Wir wollen die großen Potenziale für Sonnenstrom auf bisher ungenutzten Dächern endlich ausschöpfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der GroKo, es ist schon krass, dass Sie für diesen Tagesordnungspunkt nur 27 Minuten eingeplant haben; ({10}) ich vermute: weil es Ihnen peinlich ist, dass Sie als Regierung einfach keine Kraft mehr haben, hier irgendwas zu gestalten. ({11})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion der CDU/CSU hat das Wort der Kollege Dr. Andreas Lenz. ({0})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass die grundsätzliche Einigung innerhalb der Koalition beim sogenannten Energiesammelgesetz steht. Richtig ist natürlich auch, dass die Unsicherheit, die in den letzten Monaten sämtliche Marktteilnehmer betroffen hat, nicht zuträglich war. Es werden jetzt hinsichtlich der Sonderausschreibungen zum einen die Punkte aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt; zum anderen schaffen wir Rechtssicherheit bei der KWK. So zeigt die Koalition mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, dass sie handlungsfähig ist. Es hieß in den letzten Monaten oft, die Energiewende werde verschleppt. Dass wir beim Ausbau der Erneuerbaren vorankommen, zeigt eine Zahl ganz deutlich: 39 Prozent betrug der Anteil der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch zwischen Januar und Oktober dieses Jahres. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist ein Rekordwert. ({0}) Es wird Sonderausschreibungen geben, insgesamt je 4 Gigawatt bei Windanlagen an Land und bei Photovoltaik, gestreckt bis ins Jahr 2021. Wir können schließlich nicht mehr ausschreiben, als es an umsetzbaren Projekten in der Pipeline gibt. Wir brauchen und wir wollen hier auch Wettbewerb. Das ist schon ein Unterschied zwischen uns und Ihnen. Wir wollen den Anteil der Innovationsausschreibungen weiter deutlich erhöhen: bis auf 500 Megawatt 2021. Die Bundesnetzagentur begrüßt diesen Schritt ganz ausdrücklich. Wir brauchen eine Energiewende 2.0, bei der Netzdienlichkeit, Speicher und Flexibilität viel mehr berücksichtigt werden. All das wird hier erprobt und, wenn es dann funktioniert, auf die allgemeinen Ausschreibungen übertragen. Darauf haben wir als Union immer gedrängt. Es ist ein wichtiger Schritt, der uns jetzt gelungen ist. Wir müssen in den Berichterstattergesprächen sicher noch einzelne Punkte besprechen; ich nenne hier nur einige. Bei der Biomasse, aber auch bei der Photovoltaik gibt es noch Handlungsbedarf. Ich sage hier ganz klar: Wir wollen Photovoltaik auch zukünftig lieber auf dem Dach als auf dem Feld, und das wird auch so bleiben. ({1}) Auch hinsichtlich der Frage der Akzeptanz werden wir weiter neue Ansätze suchen müssen. Deshalb wird eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen – wir haben es schon gehört –, die bis Ende des ersten Quartals 2019 Lösungsansätze vorschlägt. Es ist natürlich so: Wenn wir bis 2030  65 Prozent Erneuerbare im Strombereich haben wollen, dann müssen wir das unterlegen und auch tragbare, akzeptanzstiftende Lösungen finden. Deshalb ist auch klar, dass nach Verabschiedung des Energiesammelgesetzes die Herausforderungen hinsichtlich des Umbaus der Energieversorgung weiterbestehen. Das gilt im Bereich der Speicher, generell im Bereich Power-to-X. Bayern wird beispielsweise eine eigene Wasserstoffstrategie umsetzen und gibt hier natürlich auch dem Bund ein Beispiel. Wir müssen außerdem klären, was Versorgungssicherheit bedeutet, gerade im nationalen Kontext. Ich will nicht, dass Deutschland bei der Stromversorgung von Nachbarstaaten abhängig ist. Die sichere Energieversorgung ist die Grundlage unserer industriellen Basis. Auch beim Netzausbau haben wir noch große Herausforderungen; das wurde vielfach angesprochen. Wir wollen nicht, dass es in Deutschland verschiedene Stromgebotszonen gibt. Deswegen sind die Anstrengungen, die im Moment gerade im Netzausbau unternommen werden, eminent wichtig. Aber – es ist wichtig, auch das bei so einer Debatte zu betonen – es gibt auch die Chancen der Energiewende. Diese Chancen wollen und werden wir weiterhin nutzen. In dem Sinne ist es jetzt ein guter Aufschlag, und wir werden in den Berichterstattergesprächen weiter Klärungen suchen, finden und dann auch tragfähige Kompromisse bzw. Lösungen vorlegen. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der letzte Redner zu Zusatzpunkt 15 ist der Kollege Timon Gremmels, SPD-Fraktion. ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich als letzten Redner der Debatte auf den ersten Redner der Debatte Bezug nehmen. Herr Koeppen, Sie haben hier in den Raum gestellt, dass Ihnen Akzeptanz sehr wichtig ist. Ich stelle mir allerdings schon die Frage, warum aus Ihrem Haus dann ein Gesetzentwurf kommt, der die erneuerbare Energiequelle, die am ehesten akzeptiert wird, die breit akzeptiert wird, die Photovoltaik, dermaßen beschneidet. Das ist aus meiner Sicht ein Widerspruch. ({0}) – Das CDU-geführte Energieministerium. Ich hatte Ihnen so viel Mitdenken unterstellt. Ich bitte um Entschuldigung. – Also: Sie nehmen gerade in diesem Punkt, wo es die größte Akzeptanz in der Bevölkerung gibt, immens hohe Einschnitte vor. ({1}) Das ist etwas, was zwischen den Koalitionspartnern gar nicht vereinbart war; das muss man an dieser Stelle auch mal deutlich sagen. Wir haben im Koalitionsvertrag deutlich gemacht, dass wir den Ausbau der erneuerbaren Energien wollen. Die Sonderausschreibungen kommen, sowohl für Photovoltaik als auch für Windkraft. Es ist uns gelungen – das ist unser Erfolg –, dass diese auf den Deckel von 52 GW nicht angerechnet werden. Das ist wichtig. Das ist ein gutes und ein wichtiges Signal an die Solarwirtschaft, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({2}) Allerdings muss man dazusagen – auch das hat das Bundeswirtschaftsministerium schon eingeräumt –, dass wir, wenn wir nichts tun, auch wenn die Sonderausschreibungen nicht auf den Deckel angerechnet werden, im Jahr 2020/21 den durch den Deckel beschriebenen Wert erreichen und dass es danach keine Förderung für Photovoltaik mehr gibt. Ich halte das und wir halten das für sehr gefährlich, und wir sind da ganz gespannt. Wenn man mal in den bayerischen Koalitionsvertrag hineinguckt: Die Kolleginnen und Kollegen der Bayernkoalition sehen das ähnlich. Ich hoffe sehr, dass wir in der Frage des 52-GW-Deckels in den nächsten Wochen noch Bewegung hineinbekommen, und setzen da ganz auf unsere Freunde von der CSU, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({3}) Lassen Sie mich aber noch etwas Zweites sagen, auch zum Bereich der Photovoltaik. Wir müssen gucken, dass wir für den Bereich der 40-kW- bis 750-kW-Dachanlagen eine bessere Regelung hinbekommen. Es kann nicht sein, dass diesem Segment jetzt auf einmal sozusagen der Todesstoß versetzt wird – auch etwas, was wir in den Koalitionsgesprächen in keinster Weise besprochen haben. Es stand auf einmal im Gesetzentwurf. Auch hier besteht dringend Redebedarf. Wir wollen Photovoltaik auf Dächern. Wir wollen hier auch weiter eine Förderung. Hier müssen wir miteinander ins Gespräch kommen, sodass wir ganz deutlich vorankommen. PV-Dachanlagen sind die Treiber der dezentralen, bürgernahen Energiewende; vor allem sind sie die Akzeptanztreiber der Energiewende, und deswegen dürfen wir ihnen keine Steine in den Weg legen. ({4}) Lassen Sie mich zum Schluss einen dritten Punkt sagen, bei dem aus unserer Sicht noch dringender Handlungsbedarf ist. Das ist in der Tat die Frage des Mieterstrommarkts. Ich weiß, dass in der letzten Wahlperiode, in der ich dem Hohen Haus noch nicht angehört habe, die Kolleginnen und Kollegen lange gekämpft haben, um ein Mieterstromprojekt auf den Weg zu bringen. ({5}) Das ist richtig, und das ist wichtig. Mittlerweile haben wir ein zartes Pflänzchen Mieterstrom, ein ganz zartes Pflänzchen, ({6}) und wir dürfen es jetzt nicht leichtfertig zertreten; wir dürfen es nicht am Ende kaputtmachen. Wir brauchen Mieterstromprojekte, um die Energiewende voranzutreiben. Das steht im Koalitionsvertrag, und deswegen müssen wir in diesem Bereich noch nacharbeiten. ({7}) Lassen Sie mich mit folgendem Gedanken enden, um dann noch mal auf die Dachanlagen und auf die Frage der Anlagen zwischen 40 und 750 kWp zurückzukommen. Es kann doch nicht sein, dass wir auf der einen Seite Sonderausschreibungen wollen und fördern – die brauchen wir – und auf der anderen Seite bei diesen Anlagen Einschnitte vornehmen. Das ist ein Nullsummenspiel. Das würde dazu führen, dass wir am Ende des Tages keinen Ausbau der Photovoltaik haben. Den brauchen wir aber, weil das einer der wichtigen Motoren der Energiewende ist. In diesem Sinne freue ich mich auf sachliche, auf fachliche Beratungen im Ausschuss, sodass wir der Energiewende noch einen Schub verleihen und nicht Gefahr laufen, uns von den Oppositionsfraktionen anhören zu müssen, wir würden sie ausbremsen. ({8}) Dafür steht die SPD nicht zur Verfügung. Danke schön. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich schließe die Aussprache zu Zusatzpunkt 15. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/5523 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Dr. Daniela De Ridder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004386, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! An diesem denkwürdigen 9. November wollen wir uns mit der Situation des Jemen befassen. Seit der militärischen Intervention der von Saudi-Arabien geführten Koalition im Jahre 2015 im Jemen erleben wir dort eine der größten humanitären Katastrophen unserer Zeit. Doch bei aller Bitternis: Dort, wo es viel Schatten gibt, gibt es doch auch ein wenig hoffnungsvolles Licht. Lassen Sie mich deshalb zunächst einmal ganz herzlich Dank und Anerkennung sagen an die zivilen Aufbauhelferinnen und Aufbauhelfer, die dort immer noch zugegen sind und ihre schwierige Aufgabe erfüllen. Seit der letzten Debatte über den Jemen-Konflikt, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind – dies sicher auch bedingt durch die Ermordung des saudischen Regimekritikers Khashoggi – keine Rüstungsgüter an Saudi-Arabien mehr ausgeliefert worden, und es werden auch keine Genehmigungen zum Export mehr erteilt. Selbst die Rüstungsgüter, die sich bereits in der Auslieferung befanden, wurden gestoppt. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die heutige Realität. Als SPD-Abgeordnete halten wir es mit einem Wort von Helmut Schmidt, das da lautet: „Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln, als eine Minute schießen.“ Das gilt für uns Sozialdemokraten, aber das sollte für uns alle hier in diesem Hohen Hause von Bedeutung sein.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Daniela De Ridder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004386, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu. Ich möchte den Gesamtkontext vortragen. Ich glaube, die Situation im Jemen gebietet dies. Wir begrüßen daher ausdrücklich – das will ich noch mal betonen – die US-amerikanische Forderung nach einem Waffenstillstand und nach neuen Gesprächen mit den Konfliktparteien. Für uns in der Bundesrepublik kann dieser Aufruf doch nur bedeuten, dass wir das Momentum jetzt nutzen müssen – und das vor allem vor dem Hintergrund, dass die deutsche Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat ab Januar beginnt. Dazu gehört auch, dass wir die Menschenrechte stärker forcieren, dass wir Konfliktprävention und -nachsorge stärker akzentuieren können, dass wir für Stabilisierung sorgen und auch im Rahmen der Sicherheitspolitik eine ambitionierte Klimapolitik, die diesen Namen verdient, betonen. Und ja, dazu gehört auch die Rüstungskontrolle. Bundesminister Heiko Maas hat das in seiner Rede vor der UN-Generalversammlung schon deutlich gemacht: Es bedarf mehr und keineswegs weniger Multilateralismus. ({0}) Wir brauchen aber auch mehr Verbindlichkeit für Vorgaben, Zusagen und ganz konkrete Maßnahmen. Ich glaube, das schulden wir den Menschen im Jemen, aber auch weltweit den Menschen, die unter Krieg und Krisen leiden. ({1}) Ganz besonders mit Blick auf die Bilder der toten und verhungernden Menschen im Jemen sage ich: Die Schaffung stabiler Verhältnisse muss auch ein Versprechen an die Betroffenen vor Ort sein. Auch da zeichnet sich Hoffnung ab; denn der Premierminister Al Saud hat schon mehrfach zu erkennen gegeben, dass er verhandlungsbereit ist. Das macht uns Hoffnung, dass er auch bereit ist, die deutsche Vermittlerrolle zu akzeptieren. Das ist etwas, was wir begrüßen sollten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es gilt außerdem, an der zivilen Aufbauhilfe weiter zu arbeiten. Ich sage das ganz besonders mit Blick auf die medizinische Versorgung, auf Bildung, aber auch auf den Wiederaufbau insgesamt. Dies schulden wir den Menschen im Jemen. Ich will noch zu allerletzt – Herr Friedrich, wenn ich Gelegenheit habe, das in der Minute, die mir verbleibt, noch ausführen zu dürfen – ({2}) auf den Antrag der Grünen eingehen. Ich habe hier einen sehr interessanten Aspekt gelesen: Es wird verlangt – ich hoffe, ich habe das richtig verstanden –, dass der Bundessicherheitsrat, der sich aus wesentlichen Teilen des Kabinetts zusammensetzt, um das gesamte Kabinett erweitert werden soll. ({3}) Wenn ich das richtig verstanden habe, geht es hier darum, auch die Frauenministerin und die Umweltministerin zu beteiligen – vielleicht können wir das in der Diskussion gleich noch klären. Das finde ich hochinteressant; die dürfen ja immer schon bei Entscheidungen dazukommen. Aber das hieße doch dann auch, dass sehr viel stärker als bisher umwelt- und klimapolitische Aspekte von Krieg und Krisen eine Rolle spielen müssen. Und es hieße auch, dass Genderaspekte eine Rolle spielen müssen – und das würde ich sehr gerne unterstützen. Oder umgekehrt: Sie unterstützen mich in der Arbeit des Unterausschusses für zivile Krisenprävention dabei. Das dürfte ein hochinteressanter Aspekt sein. ({4}) Liebe Frau Brugger, Sie haben das Wort von Sigmar Gabriel, der genau diese Forderung nach mehr Kontrolle und Einschränkungen von Rüstungsexporten gestellt hatte, seinerzeit ja nur als Wahlkampfgeplänkel abgetan. Ich glaube, das war Ihrerseits verwegen. Wir sollten lieber gucken, dass wir die Modernisierung von Rüstungsgütern im Griff behalten. Dazu bedarf es auch einer EU-politischen Perspektive. Ich bin sehr gespannt, welche Vorschläge Sie an dieser Stelle zu machen haben. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die AfD-Fraktion hat das Wort der Kollege Professor Dr. Lothar Maier. ({0})

Prof. Dr. Lothar Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004812, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vier vorliegenden Anträge – zwei der Linken, zwei der Grünen – haben allesamt dasselbe Ziel, nämlich die Verunmöglichung weiterer Rüstungsexporte aus Deutschland, ({0}) egal wohin. Als Beispiel wird in diesem Fall allerdings die Konfliktsituation auf der Arabischen Halbinsel verwendet. Vor dem Hintergrund Ihrer bisherigen verteidigungspolitischen Intentionen muss man sich allerdings fragen: Wollen Sie – die Antragsteller dieser vier Anträge – eigentlich überhaupt ein verteidigungsfähiges Deutschland? Oder wollen Sie eines, das möglichst klein und hilflos ist, das sich auf soziale Verteidigung stützt, was sich dann nicht mit Streitkräften bewerkstelligen lässt, sondern vielleicht mit Sozialpsychologen und Sozialpädagogen? ({1}) Schaut man sich an, was Sie in der Vergangenheit dazu gesagt haben, muss man wohl eher das Letztere annehmen. Zugleich fordern Sie – zuletzt in den vergangenen Wochen – immer wieder moralisch begründete Interventionen auch der deutschen Streitkräfte in Ländern, in denen es kaum wirkliche deutsche Interessen gibt. Diesen Widerspruch werden Sie zunächst mal auflösen müssen, bevor Sie Rüstungsexporte verhindern können. ({2}) Ungeachtet Ihrer Politik und der Politik der Koalitionsparteien gibt es immer noch deutsche Streitkräfte – zumindest in Resten. ({3}) Für die Rüstungsindustrie gilt dasselbe. Das Gleiche kann sicherlich auch von den Streitkräften vieler unserer Nachbarländer gesagt werden, die unter der falschen Vorstellung einer Friedensdividende über Jahre und Jahrzehnte kaputtgespart worden sind. Die Einsatzfähigkeit von Streitkräften hängt ganz allgemein von drei Dingen ab. Erstens: von der Einsatzbereitschaft der Soldaten, der Motivation der Soldaten. Wir wollen die einmal als gegeben annehmen, auch wenn einige Parteien in diesem Haus wenig dafür tun, das zu erhalten. Sie hängt zweitens ab von dem vorhandenen Material der Streitkräfte: an Waffen, an Ausrüstung, an Munition, an Sicherheitsausrüstung und allem anderen, was dazugehört. Sie setzt sich drittens aus der Kapazität der Industrieproduktion zusammen, und das bestimmt die Durchhaltefähigkeit bei Konflikten, die nicht nur ein paar Tage dauern, sondern auf mittlere und lange Sicht durchzuhalten sind. Damit allerdings sieht es in Deutschland schlecht aus. Die deutsche Rüstungsindustrie beschäftigte im Jahr 1990 noch knapp 300 000 Menschen. Heute sind es 55 000, ein Bruchteil davon. Der gesamte Umsatz der deutschen Rüstungsindustrie betrug im Jahr 2016 – das ist die letzte verlässliche Zahl, die ich finden konnte – 13 Milliarden Euro; das ist weniger als der gesamte Umsatz des Sportartikelherstellers Adidas mit 21 Milliarden Euro. Nun tritt ein Mechanismus ein, den wir aus allen wirtschaftlichen Bereichen kennen: Fehlen Aufträge, vermindern Unternehmen die Produktionskapazitäten, und es geht noch weiter bergab. Sind die bestellten Stückzahlen minimal, dann steigen die Stückkosten; das ist ebenfalls ein wirtschaftliches Grundprinzip. Wenn Sie das verhindern wollen, bleibt nur der Export, der die Stückkosten auf einer Höhe hält, die vertretbar ist für die eigenen Streitkräfte und auch für die Exportkunden. Fällt der Export weg, dann steigen die Ausrüstungskosten für die eigenen Streitkräfte ins Unermessliche. Dann müssten Sie am Ende nicht 1,5 oder 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes dafür aufwenden, sondern eher das Doppelte. Sie können ja schon mal überlegen, welche Sozialprojekte Sie dann streichen. ({4}) Wir haben über die Jahrzehnte eine immer restriktivere deutsche Exportpolitik gehabt. Sie führt inzwischen zu Verrücktheiten wie German-free-Produktionen, also der Produktion von Rüstungsgütern, in denen garantiert kein Stück aus deutscher Produktion enthalten ist, damit der Kunde nicht befürchten muss, dass er auf dem Trockenen sitzt, wenn die Deutschen mal wieder sagen: Wir liefern nicht. – Wer Exportzusagen macht, der muss auch bereit sein, zu liefern, auch wenn sich die aktuelle Lage geändert hat. Was bedeutet das nun für Exporte in Länder der Arabischen Halbinsel? Die dort andauernden Konflikte sind weitgehend Stellvertreterkriege. Dort überschneiden sich Interessen der USA, des Iran, der Türkei, Russlands, Israels, Saudi-Arabiens und anderer Mächte. Die direkt oder indirekt intervenierenden Mächte dort verfügen über alle erdenklichen Möglichkeiten, ihre jeweiligen Verbündeten zu jeder Zeit mit Waffen und Ausrüstung zu versorgen, egal was Deutschland macht. Auch die Art und Mentalität der dort agierenden Kämpfer, die zum Teil wirklich noch Stammeskrieger sind, und die Topographie des Geländes etwa im südlichen Arabien machen eine externe Rüstungskontrolle praktisch unmöglich – eine Erfahrung, die auch schon die Ägypter in den 1960er-Jahren machen mussten, als sie dort intervenierten. Das häufigste Interesse Deutschlands an anderen Ländern ist, dass dort Stabilität herrscht, weshalb die regionalen Ordnungsmächte unterstützt werden. Allerdings sollten diese mit dem Ziel eingreifen, die Konflikte zu beenden und sie nicht eskalieren zu lassen und ins Endlose zu steigern. Jemandem Waffen zu liefern, der damit dauerhaft erfolglos ist, liegt nicht im deutschen Interesse. Vor diesem Hintergrund allerdings kann auch die Belieferung Saudi-Arabiens durchaus diskutiert werden. Ich danke Ihnen. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Maier. – Als Nächster spricht zu uns der Kollege Bernhard Loos, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bernhard Loos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004806, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann hier im Hohen Haus offenbar nicht oft genug wiederholen: Statt einer emotional geführten Debatte ist eine sachliche, an Fakten orientierte Analyse angemessen und notwendig. Dazu gehören zwei Grund­erkenntnisse: Wir brauchen kein Rüstungsexportkon­trollgesetz und auch kein generelles Verbot des Exports von Rüstungsgütern. ({0}) Wir haben folgende Interessen: Erstens, nationale Verteidigungsfähigkeit. Zentrale Aufgabe eines Staates ist die Gewährleistung der Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger, also eine unabhängige Wehr- und Abwehrfähigkeit. Zweitens, Erhalt einer eigenen wehrtechnischen Industrie. Wir brauchen eine deutsche Verteidigungs- und wehrtechnische Industrie. Oder wollen Sie mit deutschen Steuergeldern in den USA, in China, Russland, Frankreich, England usw. Arbeitsplätze schaffen und in Deutschland unsere bestehenden wehrtechnischen Arbeitsplätze vernichten? Aktuelle Meldungen zeigen ja bereits, dass gerade das passiert.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Bernhard Loos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004806, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Am Schluss; ich muss meine Redezeit einhalten. Er muss nur zuhören, dann kriegt er alle Informationen. Drittens, Bündniszusammenhalt. Innerhalb der NATO und der EU arbeitet Deutschland eng mit seinen Partnern für Sicherheit, Frieden und Freiheit zusammen. Das bedeutet zweierlei: Wir planen und produzieren gemeinsame Rüstungsprojekte. Das bedeutet auch, dass man sich gegenseitig als Verbündete Verteidigungstechnologien nutzbar macht. Um dies umzusetzen, sind Rüstungsexporte aus Deutschland an EU, NATO und NATO-gleichgestellte Länder für uns selbstverständlich und notwendig. Ein Blick auf die geltende Rechtslage zeigt: Die Ausfuhr aller Rüstungsgüter ist bereits genehmigungspflichtig. Bei allen Ausfuhrgenehmigungen werden von der Bundesregierung dabei die öffentlich bekannten außen-, sicherheits- und menschenrechtspolitischen Aspekte im Rahmen des Kriegswaffenkontrollgesetzes, der Außenwirtschaftsverordnung, der Politischen Grundsätze der Bundesregierung und des Gemeinsamen Standpunktes des Rats der EU sorgfältig abgewogen. Die regelmäßige Vorlage eines Rüstungsexportberichts und die Debatte hier im Deutschen Bundestag sorgen für eine besondere Transparenz in der Rüstungsexportpolitik in Deutschland, auch für die deutsche Öffentlichkeit. Wenn die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen jetzt so entschieden ein Rüstungsexportkontrollgesetz fordern, ({0}) frage ich: Warum haben Sie eigentlich in den sieben Jahren Ihrer Regierungszeit von 1998 bis 2005 kein solches auf den Weg gebracht? ({1}) Die existierenden Rüstungsexportrichtlinien stammen aus dem Jahr 2000, als Sie den Außenminister gestellt haben. Sie kommen immer so moralisierend daher, machen die Menschen im Land ganz verrückt und handeln selbst ganz anders. Bei uns nennt man das scheinheilig. Also spielen Sie jetzt nicht wieder die Moralapostel! ({2}) Dennoch ist eine Linie bereits seit Jahren klar: Wir werden noch restriktiver werden, insbesondere bei Lieferungen an Drittländer und in dem Bereich der Kleinwaffen. ({3}) Ich zitiere dazu aus dem Koalitionsvertrag: Wir schränken die Rüstungsexporte für Drittländer weiter ein, die weder NATO noch EU-Mitgliedsländer sind, noch diesen gleichgestellt … Wir werden ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind. ({4}) Im Fall „Saudi-Arabien und Jemen“ hat die Bundesregierung nach dem ungeheuerlichen Mordkomplott in Istanbul gehandelt und einen Stopp von Rüstungsexportgenehmigungen und Ausfuhren nach Saudi-Arabien veranlasst. ({5}) Ich stimme in dem Punkt Bundeswirtschaftsminister Altmaier völlig zu. Er hat in der „SZ“ am 24. Oktober gesagt: Es hat keine Folgen positiver Art, wenn nur wir die Exporte nicht weiter durchführen, aber gleichzeitig andere Länder diese Lücke füllen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Bernhard Loos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004806, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Er strebt eine zumindest europäische Lösung an. Ich halte einen dauerhaften Alleingang Deutschlands für schwierig und nicht problemlösungsorientiert. ({0}) Es kommt also darauf an, verantwortungsbewusste Rüstungsexportpolitik zu machen –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, bitte.

Bernhard Loos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004806, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– und einen Ausgleich zwischen notwendiger strenger Exportkontrolle, der Wahrung außen- und sicherheitspolitischer und wehrtechnischer Interessen und der Wahrnehmung der wachsenden sicherheitspolitischen Verantwortung Deutschlands zu schaffen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, ein letzter Satz! Sonst entziehe ich Ihnen das Wort.

Bernhard Loos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004806, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ihre Anträge sind leider Ausdruck eines Realitätsverlustes. Diesen Weg werden wir nicht gehen. Wir wollen Sicherheit für unsere Bürger garantieren. So, und das nächste Mal hören Sie zu und reden nicht immer dazwischen. ({0}) Danke. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Sehr verehrter Herr Kollege Loos, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, in allem Ernst: Ich bin wirklich gewillt, von der Geschäftsordnung Gebrauch zu machen. Eine Minute zu überziehen, ist einfach nicht in Ordnung. Ich werde von § 35 Absatz 3 Gebrauch machen und nach einmaliger Mahnung dem jeweiligen Redner das Wort entziehen, damit wir noch etwas vom Abend haben. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass eine Zwischenfrage eine Zwischenfrage ist und keine Endfrage. Deshalb kann man eine Zwischenfrage nicht am Ende stellen. Herr Kollege Pflüger hat um eine Kurzintervention gebeten. Die lasse ich zu.

Tobias Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004852, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Herr Kollege Loos, Sie haben gesagt: Wir brauchen kein Rüstungsexportkontrollgesetz. – Dazu meine ganz konkrete Frage: Ist das die Position der Koalition? Also, lehnt die Koalition aus CDU, CSU und SPD ein Rüstungsexportkontrollgesetz ab? Das wäre eine Positionierung, die mir neu ist. Wenn das aber Ihre Position ist, wäre das ja nicht ganz uninteressant. Der zweite Punkt. Sie haben gesagt, die Exporte nach Saudi-Arabien seien gestoppt worden. Meine konkrete Frage dazu ist: Haben wir alle nur im virtuellen Raum mitbekommen, dass die Lieferung von Patrouillenbooten nach Saudi-Arabien genehmigt wurde, oder war das real? Und wann sind die Exporte nach Saudi-Arabien denn gestoppt worden, während des Jemen-Krieges oder jetzt, nach der Khashoggi-Geschichte? Was konkret ist eigentlich gestoppt worden?

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Loos, Sie haben das Wort.

Bernhard Loos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004806, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nach meiner Kenntnis – das kann man heute in der Presse lesen – hat die Werft in Mecklenburg-Vorpommern bereits Kurzarbeit angeordnet, weil sie die Schiffe nicht ausliefern kann. Das ist für mich ein ganz klarer Beweis der Auswirkungen eines solchen Rüstungsexportstopps. Und nachdem wir jetzt schon so viele Sicherungsmaßnahmen in Sachen Rüstungsexport eingebaut haben, bin ich ganz klar der Meinung, dass es nicht notwendig ist, ein Rüstungskontrollgesetz zu erlassen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Darf ich darauf hinweisen: Es gibt keine Zwiegespräche. – Die Frage ist möglicherweise unzureichend beantwortet. ({0}) Herr Kollege Pflüger, bitte nehmen Sie Platz. Die Frage ist beantwortet. Als nächste Rednerin spricht zu uns die Kollegin ­Renata Alt, FDP-Fraktion. ({1})

Renata Alt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004654, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Am 23. Februar stand ich hier zum ersten Mal und durfte in diesem Hohen Haus meine erste Rede halten. Damals ging es auch um das Thema Jemen und um den Antrag der Kollegen der Grünen und der Linken. Schon damals betonte und appellierte ich an die Bundesregierung, wie wichtig es ist, alles Mögliche zu unternehmen, um die humanitäre Katastrophe im Jemen zu verhindern bzw. zu stoppen. Wo stehen wir heute, neun Monate später? Die Situation ist noch dramatischer als damals. Der Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran um die regionale Vormacht wird weiterhin auf dem Rücken der jemenitischen Bevölkerung ausgetragen. Die humanitäre Lage bleibt katastrophal. Die Blockade von Häfen und Flughäfen betrifft regelmäßig auch humanitäre Hilfslieferungen. Die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren ist chronisch mangelernährt. Drei Viertel der Bevölkerung bleibt auf Hilfe angewiesen. Friedensgespräche scheitern regelmäßig, zuletzt im September. Seit Dienstag dieser Woche eskaliert die Situation im Jemen zusehends. Die Bundesregierung muss deshalb gemeinsam mit europäischen Verbündeten und den USA auf ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen drängen. ({0}) Es muss jetzt vorrangig darum gehen, die Zivilisten zu befreien, die zwischen den Fronten eingesperrt sind, zum Beispiel in der Hafenstadt al-Hudaida. Ihr kommt eine entscheidende Rolle bei der Versorgung der Bevölkerung zu. Ohne eine ausreichend große Verlade- und Transportkapazität in den wenigen verbliebenen Häfen des Landes können die 22 Millionen Menschen, die heute Not leiden, nicht versorgt werden. Wir können auch nicht akzeptieren, dass das international agierende Rote Kreuz in den Hauptstädten der Kriegsparteien um Erlaubnis bitten muss, um vor Ort helfen zu dürfen. ({1}) Es darf nicht sein, dass es weiterhin nur Lippenbekenntnisse gibt. Das beziehe ich auch ausdrücklich auf die Bundesregierung. ({2}) Dass die Umsetzung des Koalitionsvertrages Sie herausfordert, ist allgemein bekannt. Doch wie unverblümt Sie Ihre eigenen Absprachen brechen, ist schon bemerkenswert. Seit dem groß angekündigten Stopp von Rüstungsexporten haben Sie Ausfuhren im Wert von über 250 Millionen Euro an Saudi-Arabien genehmigt. ({3}) Noch dazu stehen einige dieser Exporte im Verdacht, für die Seeblockade gegen den Jemen eingesetzt zu werden. ({4}) Es ist wirklich beschämend, Herr Loos – wo ist er? –, ({5}) dass es erst des abscheulichen Mordes an Jamal ­Khashoggi bedurfte, damit diese Bundesregierung endlich verkündete, keine neuen Genehmigungen mehr zu erteilen. ({6}) Lassen Sie Ihren Worten auch Taten folgen! Waffenlieferungen in Krisengebiete darf es nicht geben. ({7}) Doch eine Diskussion über ein nationales Rüstungsexportgesetz, wie Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen und Linken, es fordern, ist der falsche Weg. ({8}) Damit werden wir die Exportpraxis weder in Deutschland noch in Europa effektiv ändern können. Das zeigen heute schon Projekte wie Eurofighter und das Radarsystem COBRA. Hier hilft kein nationaler Alleingang. Außen- und Sicherheitspolitik sind schon längst europäisiert. Lassen Sie uns deshalb bitte eine andere Strategie wählen! Wir brauchen einen anderen Ansatz. Wir brauchen eine europäisierte Rüstungskontrolle. ({9}) Es wird ein harter Weg; ich bin mir dessen bewusst. Aber lassen Sie uns die Gespräche beginnen! Die Regierung ist jetzt am Zug. Ich bitte Sie: Beginnen Sie dringend diese Gespräche! Fangen Sie an, mit den Kooperationspartnern in Europa zu sprechen, damit wir endlich zu einer europäischen Lösung der Rüstungskontrolle kommen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie bitte zu Ihrem letzten Satz.

Renata Alt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004654, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Setzen Sie sich bitte noch aktiver für den Frieden im Jemen ein, als Sie es bis jetzt getan haben! Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank. – Als Nächstes für die Fraktion Die Linke die Kollegin Sevim Dağdelen. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Gerade haben wir noch darüber gelacht, dass die FDP doch nicht ganz konsequent ist beim Thema „Rüstungsexporte in Krisengebiete stoppen“. Aber eigentlich bleibt einem das Lachen im Halse stecken, wenn man sich die Situation im Jemen vor Augen führt. ({0}) So war es vorgestern bei mir, als ich die Vertreter von Ärzte ohne Grenzen getroffen habe, die im Jemen eine großartige Arbeit leisten. Die Vereinten Nationen schlagen schon seit längerem Alarm: 14 Millionen Menschen im Jemen droht der Hungertod, die Hälfte davon sind Kinder. Laut dem Kinderhilfswerk UNICEF leiden 1,8 Millionen Kinder unter fünf Jahren im Jemen unter akuter Unterernährung. Alle zehn Minuten stirbt dort ein Kind an vermeidbaren Krankheiten. Das sind fünf ganze Schulklassen Tag für Tag. – Diese humanitäre Katastrophe ist nicht vom Himmel gefallen; sie ist keine Naturgewalt. Diese Katastrophe im Jemen ist menschengemacht. Mitverantwortlich für das massenhafte Leid im Jemen ist diese Bundesregierung, die skrupellos Waffenlieferungen an die Jemen-Kriegsallianz genehmigt hat. ({1}) Das ist unerträglich. Es ist unerträglich, dass Sie dafür mitverantwortlich sind und das wissentlich und willentlich weiter betreiben. Deshalb fordern wir: Hören Sie endlich auf damit! Statt, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, die Rüstungsexporte an diese Allianz im Jemen einzustellen, werden von Kanzlerin Merkel, Vizekanzler Scholz und Außenminister Maas munter immer weitere Mordwerkzeuge geliefert. Im Rüstungsexportbericht für das erste Halbjahr 2018 ist Saudi-Arabien Platz drei der Rüstungsexportgenehmigungen sicher. Selbst im letzten Quartal haben Sie an die Fürsten der Finsternis noch Waffenlieferungen im Wert von 254 Millionen Euro genehmigt. Das heißt, seit Jahresbeginn, seit 1. Januar 2018, hat diese barbarische Kopf-ab-Diktatur in Riad Kriegsgerät für insgesamt 416 Millionen Euro von CDU/CSU und auch SPD bekommen. Darunter sind ebendiese Patrouillenboote, die laut Medienberichten für die Durchsetzung der barbarischen Hungerblockade im Jemen zum Einsatz kommen. ({2}) Ich finde, es ist mehr als genug Zeit verstrichen, hier zu handeln. Sie müssen endlich handeln und Ihre Unterstützung für diesen Krieg einstellen. ({3}) Die Wochenzeitung „Die Zeit“ schreibt in ihrer aktuellen Ausgabe Folgendes – ich zitiere –: … die saudische Luftwaffe wird … von amerikanischen Truppen beraten, beliefert und betankt. Auch Großbritannien und Frankreich leisten militärische Unterstützung, alle europäischen Rüstungsproduzenten liefern Kriegsgerät, darunter Kampfjets und Bomben. Deutsche Waffen sind ebenfalls im Einsatz. Das heißt: Ohne Unterstützung aus dem Westen könnten Saudi-Arabien und die gesamte Kriegsallianz den Krieg gegen den Jemen nicht länger führen. Hören Sie endlich auf mit dieser Unterstützung des Krieges im Jemen! ({4}) Es reicht nicht, dass die saudische Diktatur im Jemen seit Jahren einen barbarischen Krieg führt – mit anderen natürlich, also auch mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, mit denen Sie ja super Geschäfte machen. Es reicht auch nicht, dass dort Journalisten, Menschenrechtler, Frauenrechtlerinnen verfolgt werden und deren Proteste und Oppositionsarbeit blutig niedergeschlagen werden. Was hat die Bundesregierung gemacht? Statt die Kriegsverbrechen dieses Regimes zu verurteilen, hat Außenminister Maas bei seinem Besuch der UNO in New York nichts Besseres zu tun gehabt, als diesen Kriegsverbrechern aus Riad noch den roten Teppich auszurollen. ({5}) Wenige Tage bevor ein von Kronprinz Mohammed bin Salman entsandtes Mordkommando im saudischen Konsulat in Istanbul den Journalisten Khashoggi zersägt und zerstückelt hat, behauptete Herr Maas doch tatsächlich, dass Saudi-Arabien eine „wichtige Rolle für Frieden und Stabilität in der Region und in der Welt“ spiele. Wer angesichts der Verbrechen, die Saudi-Arabien verantwortet, so etwas sagt, der hat meiner Meinung nach nicht nur kein Herz, sondern auch keinen klaren Verstand mehr. ({6}) Wir fordern Sie auf: Hören Sie auf mit Ihrer Unterstützung des Krieges im Jemen! Beenden Sie dieses Leid! Wenn Sie hier schon bei jeder Gelegenheit von anderen Menschen in Deutschland Haltung fordern, dann sollte auch ein Bundesaußenminister endlich einmal gegenüber der Despotie in Riad Haltung zeigen. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Die nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 385 Panzerabwehrwaffen an Jordanien, Gefechtsköpfe für die Flugabwehr an die Vereinigten Arabischen Emirate, Artillerieortungssysteme an Saudi-Arabien – das ist nur ein kleiner Auszug aus der Giftliste des letzten Bundessicherheitsrates, der hinter verschlossenen Türen über die Genehmigung von Rüstungsexporten entscheidet. Meine Damen und Herren, wissen Sie, was diesen Staaten noch gemeinsam ist? Sie sind Teil der Kriegsallianz, die seit fast vier Jahren die Menschen im Jemen übel und brutal aushungert und zerbombt. Ich würde gerne fragen – aber es ist ja niemand da –, ob einer der Minister und Ministerinnen im Bundessicherheitsrat eigentlich auch nur einen guten und vernünftigen Grund dafür nennen kann, warum diese Waffenexporte genehmigt werden. ({0}) Ich habe in den letzten Jahren immer wieder nachgefragt. Ich habe keinen einzigen Grund gehört, aber mir fallen Tausende dagegen ein. SPD und Union haben in ihren Koalitionsverhandlungen in dieser Sache ja einen kurzen lichten Moment gehabt und einen Exportstopp für die Staaten, die am Krieg im Jemen beteiligt sind, vereinbart. Dieser hielt allerdings nur ein paar Tage; denn als der Koalitionsvertrag fertig war, haben Sie Schlupflöcher eingebaut, die so groß waren, dass gleich einmal acht Patrouillenboote nach Saudi-Arabien Durchfahrt hatten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der brutale, skrupellose Mord am Journalisten Jamal Khashoggi steht doch exemplarisch für ein Willkürregime, dem ein Menschenleben einfach nichts wert ist und das kritische Stimmen im schrecklichsten Sinne des Wortes mundtot macht. Erst nach dieser Tat hat Bundeskanzlerin Angela Merkel endlich reagiert und ein Ende der Rüstungsexporte in Aussicht gestellt. Vor diesem Hintergrund drängen sich mir zwei Fragen auf. Die erste ist: Warum eigentlich erst jetzt? ({1}) Die zweite Frage ist: Gilt das denn auch für die bereits genehmigten Waffensysteme? Diesbezüglich haben wir nachgefragt und keine Antwort bekommen, und es ist höchste Zeit, dass endlich auch alle bereits genehmigten Exporte komplett vom Tisch genommen werden. ({2}) Es ist schade, dass Sie, Herr Willsch, Ihre Position auf der Rednerliste mit dem Kollegen Loos getauscht haben; denn Sie werden hier bestimmt wieder wie in jeder Debatte sagen: Schon wieder setzen die Grünen und die Linken das auf die Tagesordnung. ({3}) Ich sage Ihnen: Wir werden das immer wieder auf die Tagesordnung setzen, bis der letzte Herr Willsch und Herr Pfeiffer das verstanden haben. ({4}) Sehr gerne hole ich das nach, was der Kollege Loos ({5}) hier eingefordert hat: die faktenorientierte Debatte der letzten Jahre. Ich weiß noch, wie wir über die Patrouillenboote gesprochen haben. Damals haben Sie zu uns gesagt: Es sind doch nur ein paar nette Bötchen. – Dann haben wir gesagt: Dann bräuchten Sie ja keine Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz. – Dann haben Sie gesagt: Übertreiben Sie doch nicht so. Mit Bötchen kann man ja keine Menschenrechte verletzen. Alles, was schwimmt, ist unproblematisch. – Sie können im Fall von Saudi-Arabien und dem Jemen genau sehen, wie man mit Booten Menschenrechte verletzen kann, indem man eine völkerrechtswidrige Seeblockade errichtet und die Menschen im Jemen aushungert. ({6}) Das Letzte, was dann von Ihnen kam, war: Wir haben mit Saudi-Arabien vereinbart, dass sie diese Waffen nicht im Jemen-Krieg einsetzen werden. – Auch das ist mittlerweile von der Realität widerlegt. Wir wissen, dass die Boote, die an der Seegrenze zum Jemen patrouillieren, ihre Transponder regelmäßig ausschalten. Was glauben Sie denn, was die machen? ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt einfach keine guten Gründe, Frieden, Sicherheit und Menschenrechte immer wieder den Gewinninteressen der Rüstungslobby zu opfern. Der Fall Saudi-Arabien ist wirklich ein Paradebeispiel dafür, wie Union und SPD in außenpolitischen Fragen keine Haltung zeigen und keinen Kompass haben. ({8}) Es stimmt; ich habe Sigmar Gabriel auch immer wieder kritisiert. Aber ganz ehrlich: Ich habe meinen Ohren und meinen Augen nicht getraut, ({9}) als ich gesehen habe, dass Ihr Außenminister Heiko Maas am Rande der UN-Generalversammlung sich noch bei Saudi-Arabien entschuldigt und von Missverständnissen gesprochen hat. ({10}) Es braucht hier nicht Relativierung. Vielmehr braucht es hier klare Kante für Menschenrechte. Es ist ja wohl unvorstellbar, dass der ehemalige deutsche Botschafter in Saudi-Arabien jetzt für eine PR-Agentur arbeitet, die das Königshaus berät. So etwas muss das Auswärtige Amt genehmigen. Entweder sind Sie hier getäuscht worden – dann hoffe ich, dass Sie diese Genehmigung zurücknehmen –, oder Sie wussten davon – dann ist es das nächste Versagen in der Frage Saudi-Arabien. ({11}) Ich frage mich auch, wo Ihr Kollege Ramsauer ist. ({12}) Ich habe gedacht: Das kann doch einfach nicht wahr sein. Trotz Mord an Khashoggi, trotz des Jemen-Kriegs beschließt er, mit einer Wirtschaftsdelegation nach Saudi-Arabien zu reisen. So naiv kann doch wirklich niemand sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({13}) Liebe Kollegin De Ridder, ich nehme es vielen in Ihren Reihen ab, dass sie ein Problem mit diesen Exporten haben, auch dem Kollegen Mützenich. Die Geradlinigkeit, die Sie haben, würde ich mir für Ihre Ministerinnen und Minister im Bundessicherheitsrat wünschen. Fragen Sie die doch mal, ob sie als SPD-Minister nicht die Möglichkeit hätten, im Bundessicherheitsrat all diese Exporte sofort zu stoppen. Machen Sie da endlich mal Druck! ({14}) Meine Damen und Herren, man kann Rüstungsexporte als Spielstein in einer großen außenpolitischen Taktiererei sehen, man kann Kriegswaffen für normale Wirtschaftsgüter halten, und man kann Saudi-Arabien als Stabilitätsanker und strategischen Partner bezeichnen, wie das die Bundesregierung tut. Aber wer das tut, der sollte aufhören, dauernd von einer neuen deutschen Verantwortung in der Außen- und Sicherheitspolitik in der Welt zu sprechen. ({15}) Wir Grüne haben heute hier zwei Anträge vorgelegt. Im einen Antrag fordern wir Sie auf, im Fall Jemen endlich klare Haltung zu zeigen, die richtigen Antworten zu geben und die Rüstungsexporte ohne Wenn und Aber zu stoppen. Im anderen Antrag fordern wir ein verbindliches Rüstungsexportkontrollgesetz, damit die strengen Regeln aus den Richtlinien endlich einen verbindlichen Charakter erhalten und ein für alle Mal Schluss ist mit Rüstungsexporten an Autokraten und in Krisengebiete. ({16})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ich bedanke mich herzlich, Frau Kollegin Brugger. – Als Nächstes jetzt der Kollege Klaus-Peter Willsch, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Brugger, ich glaube, ich muss mal checken, ob Sie meinen Account gehackt und meine Rede vorher schon gelesen haben. ({0}) In der Tat wollte ich daran erinnern, dass wir uns nicht das erste Mal mit diesem Thema beschäftigen. Wir haben diese Woche im Wirtschaftsausschuss, meine Damen und Herren, wieder ausführlich den gesamten Themenkomplex behandelt. Es standen dazu acht Punkte auf der Tagesordnung. Wir haben alle Facetten erneut besprochen, wie wir es hier auch immer wieder tun. Gleichwohl wird immer wieder das gleiche Märchen erzählt, nämlich dass Deutschland die Waffenschmiede der Welt sei und Kriege dieser Welt mit deutschen Waffen ausgefochten würden. ({1}) Beides ist falsch. Das, was wir hier schon immer vorgetragen haben, wurde im Rahmen der Anhörung im Wirtschaftsausschuss, die wir dazu hatten, ({2}) eindeutig belegt. Vielleicht schauen Sie sich das einmal in der Mediathek an; denn Wiederholung prägt bekanntlich ein. Es ist eindeutig beides widerlegt worden. ({3}) Die Rüstungsexportpolitik der Bundesrepublik Deutschland ist im Vergleich äußerst restriktiv. ({4}) Auch der Vertreter der IG Metall hat es eingeräumt. In dessen Stellungnahme hieß es: Auch wenn die Einschätzungen über die Genehmigungspraxis der Bundesregierung unterschiedlich sind, so bleibt doch festzuhalten, dass die Rüstungsexportkontrolle in Deutschland im internationalen Vergleich restriktiv gestaltet ist. Sie haben ja einige Mitglieder der IG Metall bei sich. Vielleicht hören Sie bei denen mal nach. Auf die Frage, welche Konflikte denn konkret mit deutschen Waffen angeheizt würden, konnte nicht einmal die von den Linken benannte Vertreterin von Pax Christi nur einen einzigen benennen. ({5}) Ich spreche hier für die Arbeitsgruppe Wirtschaft meiner Fraktion. Die Außenpolitiker werden das Thema Jemen-Konflikt noch näher beleuchten. Aber hier spielen deutsche Waffen keine Rolle, auch nicht die Patrouillenboote. Sie bekommen wie ich die gleichen Informationen vom Auswärtigen Amt. Das Auswärtige Amt hat erst gestern wieder betont, dass der Hafen von Hudaida operational ist, das heißt offen. 70 Prozent aller humanitären und kommerziellen Exporte werden über diesen Hafen abgewickelt. Es ist also eine Mär, dass Saudi-Arabien mithilfe deutscher Patrouillenboote die Anlieferung von Hilfsgütern verhindert. Auf den Kriegsschauplätzen dieser Welt wird nicht mit deutschen, sondern mit chinesischen, russischen, ukrainischen oder iranischen Waffen gekämpft. Deutsche Waffen spielen in diesen Konflikten überhaupt keine Rolle, auch im Jemen nicht. Der Anteil Deutschlands am Kleinwaffenexport liegt im Promillebereich.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke?

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Willsch, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie erzählen hier, dass deutsche Waffen nicht an diesen Kriegen und auch nicht am Jemen-Krieg beteiligt seien. Was ist denn zum Beispiel mit den Eurofightern? Die Eurofighter sind zu einem Drittel deutsch. Ohne deutsche Produkte würden die Eurofighter gar nicht fliegen. Die Eurofighter bombardieren Hochzeitsgesellschaften und Schulkinder im Jemen. ({0})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Liebich, Sie führen einen zentralen Punkt an, mit dem wir uns in der Frage der Rüstungskooperation auseinandersetzen müssen. ({0}) Die Tatsache, die auch schon im Rahmen dieser Debatte beklagt worden ist, ist, dass viele unserer potenziellen Kooperationspartner grundsätzlich infrage stellen, ob mit uns überhaupt noch kooperiert werden kann. ({1}) Das kommt von solchen Überlegungen, wie Sie sie gerade anstellen. Der Eurofighter wird von einer europäischen Firma geliefert. Daran hat Deutschland Anteil. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, bitte, es gibt eine Frage, dann die Antwort. ({0})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben Ihre Frage gestellt. Normalerweise ist es so, es kommt eine Frage, und dann bekommt man eine Antwort. ({0}) Die Antwort kann Ihnen gefallen oder nicht, aber Sie können Ihre Frage formulieren, und ich formuliere meine Antwort. Das müssen Sie hinnehmen. ({1}) Genau auf diesen Punkt wollte ich noch zu sprechen kommen. Wenn Sie sich darüber Gedanken machen, wie wir zu ökonomisch sinnvollen Konditionen für die Bewaffnung unserer eigenen Armee – ich bin überzeugt davon, wir brauchen eine eigene Armee; wenn man die eigene Armee nicht bezahlt, zahlt man eine Besatzungsarmee – kommen können – wir müssen bei uns eine Rüstungsproduktion haben, um unsere Armee mit eigenen Produkten ausstatten zu können –, dann geht es nur, wenn wir Losgrößen erreichen. Nun gehen wir in internationale Kooperationen. Wir wollen mit den Franzosen die nächste Generation Panzer bauen. ({2}) Wir wollen mit den Franzosen unbemannte Flieger bauen. Wir wollen mit den Franzosen, möglichst auch mit den Engländern zusammen, die nächste Generation Kampfflugzeuge entwickeln. Die alle stellen das infrage, weil Sie sagen, wenn ein deutscher Anteil dabei ist, dann kann man nicht mehr in die Welt exportieren. Das können Sie von mir aus im britischen Parlament fragen, aber fragen Sie das nicht mich. ({3}) Das ist eine Frage, die nicht hierhin passt, die aber genau einen Punkt aufzeigt, der bei unserer restriktiven Exportpolitik problematisch ist.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lechte?

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. Wer ist das?

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

FDP-Fraktion. ({0})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Entschuldigung, ja, jetzt klingelt es wieder.

Ulrich Lechte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004799, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Klaus-Peter Willsch, lieber Kollege, nachdem der Kollege Loos weg ist, habe ich jetzt die Chance, eine Nachfrage zu stellen. Vorhin ging es auch um die Kurzarbeit auf der Werft, wo die Patrouillenboote hergestellt werden. Wir von der FDP-Fraktion haben uns schon überlegt, in einer schriftlichen Einzelfrage klären zu lassen, ob es nicht toll wäre, wenn die Bundeswehr diese Patrouillenboote übernimmt. Damit wäre keine Kurzarbeit mehr nötig, und wir hätten endlich Schiffe für die Missionen im Mittelmeer. Die Bundeswehr braucht ja Ausrüstung. Wir hätten das Problem von den Linken und den Grünen und auch unser Problem gelöst, weil man nicht wirklich ausschließen kann – das können auch Sie nicht, lieber Kollege Willsch –, dass die Patrouillenboote – „Patrouillenboote“, das hört man schon am Namen – für die Blockade des Jemen durch Saudi-Arabien eingesetzt werden. Das kann Klaus-Peter Willsch hier im Deutschen Bundestag nicht ausschließen.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin ja gelernter Mann des Heeres, Flugabwehrsoldat. ({0}) Inzwischen bin ich Sanitäter. Ich maße mir jetzt nicht an, der Marine Vorschläge zu machen, was sie in ihrer Bedarfsliste nach vorne platzieren muss, weil es gerade irgendwo Exportprobleme gibt. ({1}) Ich halte es nicht für ein besonders schlüssiges Beschaffungskonzept, zu sagen: Was wir nicht ausliefern können und was an unerledigten Exportaufträgen herumsteht, das geben wir dann unserer Armee. Ich glaube, dieser Ansatz ist nicht ganz rational. ({2}) Vielen Dank für die Frage. Der renommierte Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, Professor Krause, hat im Rahmen der Anhörung bekräftigt: Der Hinweis auf das finanzielle Volumen deutscher Rüstungsexporte ist ohne die entsprechende Kontextualisierung weitgehend sinnlos. Die Behauptung, wonach Deutschland drittgrößter Waffenexporteur der Welt sei, lässt sich nach einer kritischen Sichtung der verfügbaren und belastbaren Zahlen ohnehin nicht aufrechterhalten. Also: Die Experten haben im Rahmen dieser Anhörung am laufenden Band linke Ammenmärchen entlarvt, und sie haben eindringlich gewarnt – darauf bin ich schon eingegangen –, mit unserer restriktiven Rüstungsexportpolitik, bei der in immer noch höherem Maße Restriktionen gefordert werden, gefährden wir unsere eigene Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit. Ich will Ihnen, Frau Alt, eines zu bedenken geben. Bei Ihrer kategorischen Aussage bezüglich der Spannungsgebiete hätte ich mir ein Wort zu den Waffenlieferungen an die Peschmerga gewünscht. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass das einer der am wohlsten abgewogenen und wirksamsten Möglichkeiten der militärischen Hilfe gewesen ist, die wir in den letzten Jahrzehnten gemacht haben. Sie sind erklärtermaßen mein Lieblingskoalitionspartner; das wissen Sie ja; wenn wir wieder einmal zusammen eine Mehrheit haben, dann kommen wir in diesen Fragen wieder zu einer Rationalität. ({3}) Rüstungsexporte sind ein Mittel, lokale Sicherheitsstrukturen zu stärken, aber auch eine Möglichkeit, zu verhindern, dass noch mehr Länder eigene Rüstungsindustrien aufbauen. Wir als Union halten es für essenziell, dass wir als Hochtechnologieland in der Lage sind, auf diesem Markt präsent zu sein, um unseren eigenen Soldaten, die wir in gefährliche Einsätze schicken – – ({4}) – Sie müssen sich beeilen. Ich nehme die an, ich habe nur noch 13 Sekunden.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, ich habe mir schon gedacht, dass das jetzt kommt. – Frau Kollegin, Sie haben jetzt die Möglichkeit zu einer Zwischenfrage. – Ich kann es leider nicht ändern, so ist es.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, ich versuche, es auch ganz kurz zu machen. – Ich bin Ihrer Meinung, man sollte sicherheitsrelevante Technologie selber behalten und nicht an andere Staaten geben. Deswegen wäre es doch ganz sinnvoll, Sie schließen die Regelungslücke, mit der Rheinmetall im Augenblick über Italien, über Südafrika, über die Türkei sensibles, wichtiges, sicherheitsrelevantes Know-how an Staaten verscherbelt, die uns hinterher wieder sicherheitspolitische Probleme bereiten. Wir sind doch einer Meinung, dass wir das nicht wollen. Dann könnten wir doch diese Lücke endlich schließen. ({0})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Keul, Sie waren bei der Anhörung dabei. Ich glaube, die ganze Zeit. ({0}) Sie haben dort sehr wohl zur Kenntnis nehmen können, wenn Sie denn zugehört haben und es aufnehmen wollten, dass die Experten fast übereinstimmend gesagt haben, dass es keine Regelungslücke gibt. Auch Know-how-Weitergabe, der USB-Stick, die Mail, ist strafbewehrt, wenn es genehmigungspflichtige Inhalte anbelangt. Insofern ist Ihre Frage zwar nett, weil sie meine Redezeit noch einmal kurz verlängert, aber sie geht inhaltlich ins Leere. Trotzdem vielen Dank für die Frage. ({1}) Abschließend noch einen Satz. Wir müssen im Interesse unserer eigenen Armee und unserer Soldaten Anschluss halten. Wir müssen im Sinne der Anschlussfähigkeit und der Bündnisfähigkeit die Rüstungsindustrie behalten. Wir alle mögen uns eine Welt ohne Waffen wünschen. Ich bin mir sicher, wir werden sie nie haben. Es gilt, vorbereitet zu sein und gerüstet zu sein, um Bedrängnis zu widerstehen und den Partnern zu helfen. Das sehen wir als Union als Aufgabe einer sinnvollen Verteidigungspolitik und Rüstungsexportpolitik. Danke schön. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Florian Post, SPD-Fraktion. ({0})

Florian Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Aufgrund des brutalen Mordes an dem Journalisten Khashoggi war es richtig, dass die Bundesregierung die weitere Auslieferung der zur Auslieferung stehenden Patrouillenboote an Saudi-Arabien gestoppt hat. Nichtsdestotrotz bleibt es uns nicht erspart, die Folgen zu bedenken – sie wurden heute auch im „Tagesspiegel“ angesprochen –: Große Teile der 300 Mitarbeiter, die sich in der entsprechenden Werft mit dem Bootsbau befasst haben, sind in Kurzarbeit geschickt worden. 35 Boote waren bestellt, 15 sind bereits ausgeliefert. Mit der Produktion 8 weiterer Boote wurde begonnen, 2 bereits fertiggestellte Boote liegen nun auf Halde. Die Krux ist, dass die Genehmigung für den Bau der Boote vor fünf Jahren erteilt wurde. Jetzt haben sich die politischen Rahmenbedingungen geändert, was zu der Entscheidung geführt hat, dass wir nicht mehr ausliefern. Das muss möglich sein. Wir haben immer argumentiert – zumindest ist das die Auffassung der SPD-Fraktion –, dass gerade bei Rüstungsexporten das Arbeitsplatz- und Industrieargument keine überragende Rolle in der Argumentation spielen darf. Nichtsdestotrotz tragen wir aber die politische Verantwortung, die sich daraus ergebenden Konsequenzen abzufedern. Es kann nämlich nicht sein, dass die Belegschaft und die Unternehmen, die im guten Glauben des Bestehens einer Genehmigung gehandelt haben, die Zeche zahlen müssen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das mit Kosten für den Bundeshaushalt verbunden ist. Man könnte über eine Fondslösung nachdenken und Entschädigungen zahlen. Der Kollege Loos ist leider nicht mehr anwesend. Ich muss schon sagen, dass es zum Anstand in einer Debatte gehört, nicht unmittelbar nach seiner Rede aufzustehen und den Saal zu verlassen. ({0}) Das möchte ich dem geschätzten Wahlkreiskollegen Loos – ich mag ihn eigentlich ganz gern – klarmachen. Es heißt ja „Debatte“ und nicht „Monolog“. Es wäre schön, wenn er noch da wäre. Dann könnte ich ihm die Reihenfolge bei der Entscheidung über Rüstungsexporte klarmachen. Es gibt das Außenwirtschaftsgesetz, es gibt das Kriegswaffenkontrollgesetz und es gibt die gemeinsamen Grundsätze der Bundesregierung, die jeder Einzelfallentscheidung über einen Rüstungsexport zugrunde liegen. Diese gemeinsamen Grundsätze kommen aus dem von ihm zitierten Jahr 2000. Damals hat noch Rot-Grün regiert, aber auch von der Union wurden diese Grundsätze übernommen. Die Regel ist, dass wir grundsätzlich keine Rüstungsexporte genehmigen. Aber von diesem Grundsatz kann es begründete Ausnahmen geben, und diesen Ausnahmen liegen diese Grundsätze zugrunde. Das ist die Reihenfolge, die einzuhalten ist. Die SPD arbeitet daran, die Grundsätze zu überarbeiten. Wir wollen die Exekutivverantwortung nicht komplett ins Parlament verlagern. ({1}) Natürlich entscheidet der Bundessicherheitsrat. Es ist eine Exekutiventscheidung, welche Rüstungsexporte genehmigt werden und welche nicht. Die Aufgabe des Parlaments und der Fraktionen ist es, die Politischen Grundsätze, nach denen sich die Regierung zu richten hat, zu definieren. Ich möchte dem Kollegen Loos auch in einem Punkt deutlich widersprechen. Selbstverständlich brauchen wir auch künftig eine wirksame Rüstungsexportkontrolle. Die jetzige Rüstungsexportkontrolle zeigt ja auch Wirkung. ({2}) Neben der Tatsache, dass im ersten Halbjahr 2018 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum die Rüstungsexporte um 1 Milliarde Euro zurückgegangen sind, haben wir im Koalitionsvertrag mit der Union vereinbart, dass grundsätzlich keine Exporte von Kleinwaffen mehr an Drittstaaten genehmigt werden. Wir setzen uns selbstverständlich dafür ein, dass in Europa eine ganz enge Abstimmung in der Rüstungsexportkooperation stattfinden muss. Es bringt nämlich nichts, wenn mit unterschiedlichen Maßstäben gearbeitet wird und die Rüstungsgüter dann doch in problematischen Gebieten landen. Wir begrüßen es, dass Österreich, das derzeit den Vorsitz im Europäischen Rat innehat, einen Rüstungsexportstopp nach Saudi-Arabien begrüßt und sich eindeutig gegen weitere Exporte ausgesprochen hat. Wir als SPD-Fraktion werden den Prozess der Erarbeitung weiterer Grundsätze und weiterer Transparenzmaßnahmen hier im Parlament konstruktiv begleiten. Ich hoffe, dass wir auf unseren Koalitionspartner zählen dürfen. Ich lade Sie recht herzlich zur Zusammenarbeit ein. Herzlichen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Post. – Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Thorsten Frei. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte etwas zum Rahmen der heutigen Debatte sagen. Der Krieg im Jemen hat seit dem Jahr 2014 eine unglaubliche Entwicklung genommen. Wenn man sich überlegt, wie alles begonnen hat, nämlich als Auseinandersetzung unmittelbar vor Ort: Es gab kleine Gruppen, einen abgesetzten Präsidenten. Es gab ein Gegeneinander von Einzelpersonen und Einzelgruppen. Dann hat sich der Konflikt zu einem Stellvertreterkrieg zwischen Schiiten und Sunniten, zwischen Iran und Saudi-Arabien entwickelt. Das ist in der Tat unglaublich. Schaut man sich die Bilanz der Schäden an, stellt man fest: 30 000 Tote, davon allein 10 000 Zivilisten, die durch Bombardements ums Leben gekommen sind. Wenn man sich anschaut, dass zwei Drittel der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen sind und etwa die Hälfte akut von Hunger bedroht ist, dann muss man sagen: Es ist aller Mühen wert, einen Beitrag dazu zu leisten, dass sich die Situation vor Ort endlich ins Gegenteil verkehrt. Das beginnt damit, dass den Konfliktparteien klar wird, dass es für sie keine militärische Lösung gibt, sondern dass es am Ende nur darum gehen kann, wie man zur Sicherheitsratsresolution 2402 zurückkommen kann, wie es gelingen kann, nach einem Waffenstillstand eine politische Lösung unter dem Dach der UN zu erreichen. Ich bin sowohl dem Außenminister von Großbritannien als auch dem Außenminister der USA dankbar, dass sie einen erneuten Vorstoß im Sicherheitsrat machen wollen. Natürlich bin ich auch Ihnen, Herr Außenminister, dankbar, dass Sie diese Bemühungen flankieren. Ich glaube schon, dass die Bundesregierung mit ihren Gesprächskanälen zu den wichtigen Stakeholdern einen effektiven Beitrag dazu leisten kann, dass es endlich gelingt, eine Trendwende in diesem Konflikt zu schaffen. Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die humanitäre Hilfe. Deutschland hat mit der Verfünffachung seiner humanitären Hilfe auf 165 Millionen Euro im vergangenen Jahr einen effektiven Beitrag geleistet. Jetzt geht es darum, die Mittel erstens zu verstetigen und zweitens auch dafür zu sorgen, dass humanitäre Hilfe bei denen ankommt, die dringend darauf angewiesen sind. Eine weitere Bemerkung in diesem Zusammenhang: Mit der Forderung nach humanitärer Hilfe kann man sich nicht immer nur an den Westen richten. Auch die arabischen Staaten, China und Russland sind gefordert. Sie dürfen sich nicht verabschieden, wenn es darum geht, effektiv zu helfen. Der dritte Aspekt, den ich ansprechen möchte, ist die Rüstungsexportkontrolle, die in den vorliegenden Anträgen angesprochen ist. Dazu ist zu sagen, dass wir in Deutschland eine der restriktivsten Rüstungsexportkontrollen der Welt haben. ({0}) Das ist auch der Grund dafür – der Kollege Post ist darauf eingegangen –, warum wir in diesem Bereich einen Rückgang um 1 Milliarde Euro haben. Auch wenn man sich die Situation der arabischen Welt anschaut, dann stellt man fest: Das sind etwa eine Viertelmilliarde Euro in der ersten Jahreshälfte 2018 gewesen. Das ist wirklich ein kleiner Betrag im Verhältnis zu dem, was andere Staaten dort machen; darauf weist im Übrigen auch das renommierte Friedensforschungsinstitut SIPRI aus Stockholm hin. Deswegen ist es in der Tat völlig ineffektiv, an dieser Stelle auf eine rein deutsche Lösung zu setzen. Wir brauchen eine europäische Lösung. ({1}) Ich möchte aber gleich einen Zahn ziehen: Sie brauchen nicht zu glauben, dass sich andere Staaten an den strengen deutschen Kriterien orientieren werden. ({2}) Hören Sie sich einmal an, was der französische Präsident sagt, was der Ministerpräsident von Spanien, ein Sozialist, sagt. Moral ist ihnen weniger wichtig als Arbeitsplätze. ({3}) Deshalb kommt es darauf an, hier eine gesamthafte Lösung zu finden, zu effektiven Ergebnissen zu kommen und keine Placebopolitik zu betreiben. ({4}) Herzlichen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Frei. – Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich dem Kollegen Markus Koob, CDU/CSU-Fraktion, das Wort zu einem Drei-Minuten-Beitrag. ({0})

Markus Koob (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004331, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. Dank Klaus-Peter Willsch ist mir eine Minute geklaut worden; aber ich versuche, trotzdem meine Rede hinzubekommen. Die Lage im Jemen ist hinreichend dargestellt worden. Wir diskutieren hier heute auch nicht zum ersten Mal darüber. Die humanitäre Lage hat sich verschlechtert, besonders noch mal in den letzten Tagen. Wir kriegen aktuelle Meldungen von Ärzte ohne Grenzen, vom internationalen Roten Kreuz, von Amnesty International, nach denen sich die Lage dramatisch verschlechtert hat und es weitere Angriffe gibt. Zum Beispiel musste Ärzte ohne Grenzen die Arbeit im Süden einstellen. All das macht schon ein wenig die Hoffnung zunichte, dass der Ankündigung Saudi-Arabiens, sich an einem UN-Prozess beteiligen zu wollen, um für Frieden in dieser Region zu sorgen, auch Taten folgen. Gleichzeitig muss auch erwähnt werden – das kommt mir hier in der Debatte ein bisschen zu kurz –, dass die Verantwortung nicht nur bei Saudi-Arabien liegt, sondern auch andere Länder – speziell der Iran, der die Huthi-Rebellen unterstützt – ihrer Verantwortung gerecht werden müssen; sie müssen einen Beitrag zur politischen Lösung dieses Problems leisten. Auch ich hoffe sehr, dass die neuen Impulse, die aus den USA kommen und auch vom deutschen Außenminister unterstützt werden, dazu führen, dass wir diese humanitäre Katastrophe endlich beenden können und Frieden in dieser Region erreichen können. Weil die Lage aber heute so ist, wie sie ist, ist es auch richtig und gut, dass wir hier erneut über das Thema Rüstungsexporte reden und auch Antworten geben. Wir haben das im Koalitionsvertrag unter anderem dadurch getan, dass wir gesagt haben, dass wir über die bereits genehmigten Waffenlieferungen hinaus keine weiteren Waffen nach Saudi-Arabien liefern wollen. Es ist auch gut, dass wir jetzt, nach dem mutmaßlichen Mord an ­Jamal Khashoggi, darüber reden, auch bereits genehmigte Waffenexporte auf den Prüfstand zu stellen. Dennoch muss ich sagen: Ich plädiere in der Debatte um Rüstungskontrolle insgesamt, aber auch speziell um Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien für etwas mehr Realismus. Kollege Frei hat gerade die Einschätzung des schwedischen Forschungsinstituts angesprochen. Ich will hier die Zahlen nennen. Laut diesem Institut haben sich bei den Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien zwischen 2013 und 2017 folgende Anteile ergeben: Der deutsche Anteil an Rüstungsexporten lag bei 1,7 Prozent, der Anteil Frankreichs bei 3,6 Prozent , der Anteil Großbritanniens bei 23 Prozent und der US-amerikanische Anteil bei 61 Prozent. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen finde ich die Einschätzung der Grünen-Vorsitzenden, dass wir Saudi-Arabien mit einem Stopp deutscher Rüstungsexporte „wirklich richtig, richtig treffen“ könnten, zumindest außerordentlich optimistisch. Das heißt nicht, dass wir nichts tun können. Es heißt aber, dass wir einen Realismus in der Debatte brauchen und wir uns vor allem mit der Frage auseinandersetzen müssen: ({0}) Wie können wir künftig eine gemeinsame europäische Rüstungspolitik auf den Weg bringen? Es kam jetzt leider nur in einer Zwischenfrage das Thema auf, was eigentlich mit den europäischen Rüstungskooperationen passiert. Natürlich müssen wir darüber reden, was wir mit denen machen. Wir brauchen hier mehr Realismus. Eine Beendigung deutscher Rüstungsexporte allein wird diesen Konflikt, wird auch keinen anderen Konflikt auf dieser Erde beenden. Wir müssen hier europäische Lösungen finden. Darum sollten wir uns kümmern. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen jetzt ein frohes Wochenende. Ich habe meine Rede in fast drei Minuten geschafft. Vielen Dank, Herr Präsident. ({1})

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Es kommt eigentlich nicht so oft vor, dass man Gesetze einbringen muss, die man am liebsten gar nicht einbringen würde. In diesem Fall ist es aber so. Das hat einen Grund: Ich glaube, nicht nur ich, sondern ganz viele hier und in ganz Deutschland bedauern den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Aber letztlich akzeptieren wir natürlich die Entscheidung, die die britische Bevölkerung getroffen hat, und setzen uns mit den Konsequenzen auseinander. Das heute vorliegende Brexit-Übergangsgesetz ist eine dieser Konsequenzen. Dieses Gesetz schafft Rechtsklarheit für die Bürgerinnen und Bürger und für Unternehmen während der geplanten Übergangsphase bis Ende 2020. Neben diesem Gesetz werden wir in nächster Zeit weitere Gesetze vorlegen – auch für den Fall, dass das Vereinigte Königreich am Ende ohne Abkommen austreten wird. Um es an dieser Stelle einmal ganz klar zu sagen: Natürlich will die Bundesregierung eine Einigung, und das will auch die Europäische Kommission. Wir arbeiten zusammen mit der Europäischen Kommission mit Nachdruck darauf hin, und ich bin optimistisch, dass uns das auf den letzten Metern gelingen wird. Wir sind nämlich auf den letzten Metern; egal ob es jetzt 90 Prozent oder 95 Prozent sind, die bereits in einem Kompromiss ausverhandelt sind, darunter auch durchaus schwierige Teile wie die Rechte der Bürger und die Frage der finanziellen Entflechtung. Das alles sind Fortschritte, die sich in den letzten Tagen noch weiterentwickelt haben. Ich bin zuversichtlich, dass es am Ende zu einem Austritt des Vereinigten Königreiches mit einem Abkommen kommt. Das ist gut für alle Beteiligten. Der schwierigste Punkt bleibt – das ist hier nicht unbekannt – die Grenzfrage auf der irischen Insel. Das ist deshalb schwierig, weil es eben nicht nur um wirtschaftliche oder Zollfragen geht, sondern letztlich um den vor 20 Jahren mühsam errungenen Frieden in Nordirland. Nordirland verdankt diesen Frieden der Europäischen Union und ihren offenen Grenzen. Alle Seiten wissen das und sind sich auch ihrer Verantwortung für den Erhalt dieses Friedens bewusst – in Europa, aber natürlich vor allen Dingen in Irland und in Nordirland, also im Vereinigten Königreich. Am Ende muss daher ein Austrittsabkommen stehen, das den Frieden in Nordirland, gleichzeitig aber auch – und das ist die eigentliche Problematik – die Integrität des Binnenmarktes als Fundament der Europäischen Union wahrt. Dabei steht eines völlig außer Frage: Der Brexit darf nicht das Ende unserer Partnerschaft mit unseren britischen Freundinnen und Freunden bedeuten. Das Vereinigte Königreich bleibt Teil unserer Werte- und Handlungsgemeinschaft in Europa, und dieses Europa steht mit oder ohne Großbritannien vor immensen Herausforderungen. Ich denke an die Konflikte in unserer Nachbarschaft, ich denke an den künftigen Umgang mit den USA, mit Russland oder mit China, ich denke an den Terrorismus oder die Bedrohungen für die innere Sicherheit. Wir brauchen auch künftig eine außen- und sicherheitspolitische Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich, die so eng und so weitreichend ist, wie dies außerhalb der Europäischen Union nur möglich ist. Deshalb arbeiten wir schon jetzt parallel mit den entsprechenden Vertretern der britischen Regierung daran. ({0}) Gleiches gilt auch für die Handelsbeziehungen. Natürlich werden diese ganz unvermeidbar weniger eng sein, als das heute der Fall ist. Irgendwo muss sich dieser Austritt ja auch bemerkbar machen. Letztlich setzen wir aber alles daran, unnötige Schranken und Hürden zu vermeiden und gleichzeitig den Binnenmarkt und die Wettbewerbsfähigkeit auch unserer Wirtschaft in diesen Verhandlungen zu schützen. Das muss auch ein Teil der Ergebnisse sein. Für die Europäische Union geht es nicht allein um ihr künftiges Verhältnis zum Vereinigten Königreich. Es geht auch um Glaubwürdigkeit, und es geht, ja, letztlich auch um die Zukunft des gemeinsamen europäischen Projektes. In zwei Tagen, am 11. November, werden überall in Europa die Glocken läuten und uns das Ende des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren noch einmal vor Augen führen. Dieses gemeinsame Gedenken erinnert uns aber auch daran, was die Antwort auf die dunkelsten Kapitel des vergangenen Jahrhunderts gewesen ist, nämlich Europa. Unsere Antwort auf die Globalisierung, den Klimawandel, die demografische Entwicklung, die Migration liegt nicht in der Rückbesinnung auf den Nationalstaat. Unser nationales Interesse definiert sich eben nicht in Abgrenzung zu unseren Nachbarn. Nur gemeinsam mit ihnen werden wir unsere Werte und Interessen in einer Welt, in der zunehmend wieder das Recht des Stärkeren gilt, durchsetzen können. ({1}) Dafür, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir das bewahren, wovon frühere Generationen nur träumen konnten, nämlich ein einiges Europa. Herzlichen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister. – Als Nächstes spricht für die AfD-Fraktion der Kollege Martin Hebner. ({0})

Martin Hebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004740, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kanzlerin Merkel gab am 17. Oktober dieses Jahres, also vor drei Wochen, genau hier, in dieser Runde, eine Regierungserklärung zum Brexit ab. Es sei, so sagte Frau Merkel, nach monatelangen Verhandlungen noch nicht klar, wie der Austritt Großbritanniens aus der EU aussehen könne. Frau Merkel war aber optimistisch und sagte wörtlich, die Bundesregierung bereite sich angemessen auf die Zeit nach dem 29. März 2019, also auf die Zeit nach dem Brexit, vor. Sie sprach, meine Damen und Herren, von einer angemessenen Vorbereitung, und jetzt haben wir hier diesen dünnen Entwurf für ein Brexit-Übergangsgesetz vorliegen. ({0}) Dieser Entwurf der Bundesregierung ist äußerst knapp und kurz und beinhaltet lediglich, dass a) der Übergangszeitraum nach dem Brexit 21 Monate beträgt und dass b) wechselseitige Einbürgerungen von Deutschen in Großbritannien und Briten in Deutschland durch den Stichtag des Brexit nicht erschwert werden sollen. Meine Damen und Herren, das ist alles, nicht mehr. Kein Gesamtterminplan, wann welche weiteren Gesetze für die Regelungen des Brexit vom Bundestag zu beschließen sind! Doch es werden, Herr Maas, ja wohl einige werden, wie Sie gerade schon gesagt haben. Auch die Wirtschaft bekommt nur Teilinformationen und schaut auf die mit sich selbst beschäftigten Bürokraten in Brüssel und Berlin. ({1}) Bekannt ist nach wie vor nur der Abschlusstermin, der Termin des Brexit. Ein Unding! Den Herren im Ministerium ist es eventuell entgangen, aber der deutsch-britische Außenhandelsumsatz betrug im letzten Jahr 121 Milliarden Euro. Unsere Ausfuhren hatten einen Umfang von 84 Milliarden Euro, und unsere Einfuhren 37 Milliarden Euro. Für uns Deutsche hat diese gesamte Beziehung, in diesem Falle die Handelsbeziehung, eine enorm hohe Bedeutung. ({2}) Wir und auch Sie in Ihrem Ministerium leben vom Ertrag unserer Wirtschaft. Sie sollten unsere Wirtschaft und unsere Bürger unterstützen. Bürokratie und Ihr Ministerium sind kein Selbstzweck. Wir benötigen zeitnah Regelungen für unsere heimische Wirtschaft und Industrie, wie sie in Bezug auf ihre Lieferketten mit den bürokratischen Auflagen und Vorschriften nach dem Brexit umgehen sollen. Es heißt aber immer nur: Wir warten. – Wir warten auf wen? Im Moment hört es sich so an: nicht auf London, sondern auf Godot. ({3}) Nur dabei schneiden wir uns und unserer Wirtschaft ins eigene Fleisch. Dass die Brüsseler Bürokratie versucht, den Brexit so schwer wie möglich zu gestalten, ist doch offensichtlich. Brüssel will abschrecken, damit nicht noch andere Länder dem Beispiel Großbritanniens folgen. Das ist ein reiner Brüsseler Egoismus und nutzt nur der EU-Kommission. Aber anstatt Klarheit hinsichtlich der rechtlichen Regelungen und der Kooperation mit Großbritannien zu schaffen, damit die deutsche Wirtschaft und unsere Bürger die Erträge erarbeiten können, die Sie in Ihren Ministerien ausgeben, legen Sie dem deutschen Steuerzahler nur noch mehr Lasten auf.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Martin Hebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004740, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Aber ja, gerne doch.

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Hebner, ich habe gerade mit Verwunderung zur Kenntnis genommen, wie Sie die deutsch-britischen Handelsbeziehungen betont haben und sogar die Volumina beschrieben haben. Ich kann mich aber schwach entsinnen, dass die AfD den Brexit gefeiert hat und sozusagen ein Befürworter des Brexit war. ({0}) Ich kann mich auch an die jüngste Wachstumsprognose der Europäischen Union erinnern, nach der Großbritannien im nächsten Jahr auf Platz 27 von 27 liegen wird. Ich möchte Ihnen aber eine ganz konkrete Frage bezüglich Ihres Obmanns im Auswärtigen Ausschuss, Herrn Bystron, stellen, der sich vor kurzem mit Herrn Bannon getroffen hat. Herr Bannon ist ein bekannter Rechtsextremist, der die Zerstörung und Zerschlagung der Europäischen Union befürwortet. ({1}) Ist es Ihr wirtschaftspolitischer Kurs, dass Sie dafür eintreten, dass wir ein Europa der 28 verschiedenen Nationalstaaten haben, in dem wir aber keinen wirtschaftlichen Fortschritt mehr erreichen würden? ({2})

Martin Hebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004740, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich glaube, ich habe Ihre Frage jetzt rein akustisch nicht komplett verstanden. Ich weiß nicht, wen Sie jetzt genau meinten. Sie sagten, Herr Bystron hat sich getroffen? ({0}) – Herr Bystron sitzt meines Wissens nicht im EU-Ausschuss, ({1}) und ich weiß von dem Treffen – das muss ich jetzt ganz direkt sagen – nichts. Was ich aber definitiv sagen kann, ist, dass wir selbstverständlich dafür sind, dass ein souveräner Staat – und Großbritannien ist das natürlich – in jedem Falle die Möglichkeit zu einem Austritt aus der EU haben soll. Selbstverständlich. Wir glauben auch, dass dieser Austritt durchaus für weitere gedeihliche Wirtschaftsbeziehungen – darauf nahmen Sie gerade am Anfang ja Bezug – sorgen könnte, wenn das Ganze jetzt nicht noch mit weiteren Hemmnissen seitens der EU-Bürokratie versehen wird, sondern sauber geregelt wird. Für die deutsche Industrie bedarf es natürlich einer Regelung, die nicht nur von Brüssel gestaltet wird, sondern ab einem gewissen Zeitpunkt – ich komme aus dem Projektgeschäft – muss schlicht und ergreifend auch ein Plan B vorgehalten werden. Dann sollten auch solche Probleme wie die, die jetzt am Horizont auftauchen, nicht direkt greifen. Ihre Frage ist insoweit hoffentlich beantwortet. ({2}) Wir waren bei der grundsätzlichen Frage, dass zulasten unserer Steuerzahler immer weitere Regelungen erfolgen. Infolge des Brexit sollen die deutschen Beiträge zur EU von jährlich 30 Milliarden Euro netto auf 45 Milliarden Euro netto steigen. Meine Damen und Herren, warum eigentlich? Warum können die EU-Bürokratie und die Gesamtkosten nicht einfach verringert werden? Warum soll Deutschland bei einer Verringerung der Einwohnerzahl im Territorium der EU in dem Falle hier weiter als alleiniger Zahlmeister fungieren? ({3}) Die Brüsseler Bürokratie muss sich einfach einschränken. Die Bevölkerungszahl verringert sich mit dem Brexit – wenn er denn vollzogen wird – ja auch um 13 Prozent. Aber was passiert stattdessen? Die EU-Kommission schlägt weitere Erhöhungen – in diesem Falle Finanzierungen – für die Jahre ab 2021 vor, und offensichtlich wird hier von der deutschen Regierung sogar auch noch eine Mehrbeteiligung Deutschlands befürwortet: denn der Haushalt der EU soll von derzeit 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU über 1,1 Prozent für die Jahre 2021 bis 2027 auf rund 1,13 Prozent steigen, was auch eine Erhöhung unseres Beitrags zur Folge hätte. Meine Damen und Herren, das ist eine weitere zusätzliche Belastung. Wir von der AfD lehnen a) weitere zusätzliche Belastungen des Steuerzahlers ab und b) eine weitere Expansion der Bürokratie und der Aufgabenzuordnung in Richtung Brüssel, ({4}) und wir plädieren dafür, dass für die deutsche Wirtschaft – das geht an die Adresse von Herrn Maas – eine stabile und saubere Planungsgrundlage geschaffen wird. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Dr. Katja Leikert, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Katja Leikert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004337, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über Europa reden, und zwar über eines der traurigsten Kapitel, den Brexit, dann reden wir auch darüber, was Europa für uns alle meint. Denn nichts führt uns mehr als dieses bedauerliche Ereignis vor Augen, was passiert, wenn ein Land diese wunderbare Gemeinschaft verlässt. Wir hier, zumindest die meisten von uns – Sie dort auf der rechten Seite nicht; das haben wir ja eben wieder gehört –, empfinden es so, dass Europa unsere täglich gelebte Vision von Frieden und Freiheit ist. ({0}) Dass die Europäische Union nicht perfekt ist, das wissen auch wir. Dass sie das Beste ist, was 28 Staaten in einer Nachbarschaft auf die Beine stellen können, das wissen wir aber auch, und das ist weltweit einmalig. ({1}) Und für dieses Europa, liebe Kolleginnen und Kollegen, lohnt es sich zu kämpfen, gerade in Zeiten von Brexit und Populismus. ({2}) Wir wissen, wenn wir in Europa zusammenstehen, unsere wirtschaftliche Stärke bündeln, noch enger in den Bereichen Sicherheit, Umwelt und Forschung zusammenarbeiten, dann können wir noch stärker sein. Das ist ein Europa, das ich möchte, für meine Familie, für meine Kinder, für meine Eltern, für uns alle hier, ein Europa, das uns eine Heimat gibt, persönliche Entwicklungschancen fördert, Wohlstand und Sicherheit bietet. Umso tragischer ist es – deswegen verstehe ich die Töne auf der rechten Seite dieses Hauses nicht –, dass gerade einer unserer engsten Nachbarn, Großbritannien, entschieden hat, nicht mehr Teil dieser Gemeinschaft zu sein. Da geht es mir wie dem Minister: Ich bedaure das sehr, und ich halte es auch nicht für besonders klug. ({3}) Das ist nämlich ungefähr so, als würde man das Internet verlassen. Auch das ist nicht besonders sinnvoll. ({4}) Man kann daran arbeiten, die Inhalte zu verändern, aber rauszugehen, ist nicht der beste Weg. Es wurde jedoch anders entschieden.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Katja Leikert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004337, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, danke, besonders nicht von Herrn Kleinwächter. ({0}) Den habe ich nämlich heute Morgen schon hören dürfen. ({1}) – Genau, müssen. Genau deshalb müssen wir handeln. Gerade weil wir die Briten nach wie vor als enge Freunde betrachten, ist es wichtig, dass wir gut vorbereitet sind. Und wir sind gut vorbereitet. Der Entwurf des Brexit-Übergangsgesetzes steht heute zur Beratung an. Wir brauchen dieses Gesetz – und es muss nicht 20 Millionen Seiten dick sein –, um eine Übergangsphase auf den Weg zu bringen und zu regulieren. Das ist so eine Art softe Landung zwischen dem Austritt Großbritanniens ({2}) – vielleicht hören Sie zu, damit Sie das dann auch verstehen – und einer neuen, noch zu vereinbarenden Zukunft zwischen Großbritannien und Deutschland. Die Übergangsphase ist derzeit vereinbart, kommt aber nur zustande, wenn das Austrittsabkommen zustande kommt. Es ist richtig: Hier hakt es auf europäischer Ebene noch. Für uns ist es aber grundsätzlich wichtig, dass wir mit den Briten hier eine gute Lösung finden. Wir bleiben dabei: Es muss einen Unterschied machen – auch das hat der Minister eben gesagt –, ob ein Staat Mitgliedsland ist oder eben nicht. Die Europäische Union mit ihren vier Freiheiten besteht nun einmal aus vier Freiheiten und nicht nur aus einer. Uns als CDU/CSU-Fraktion ist es aber wichtig, die 45 Jahre britischer EU-Mitgliedschaft weiterhin als ein hohes Gut zu betrachten. Der Brexit macht noch eins deutlich. Er macht deutlich, was die ganzen Lügen, was Populisten Schlimmes bewirken können. Wenn wir uns in Europa umschauen, dann sehen wir in Frankreich eine Marine Le Pen. Wir sehen in Italien einen Matteo Salvini. Wir sehen, wie sie versuchen, ein Land gegen das andere auszuspielen oder, wie Boris Johnson und Nigel Farage es gemacht haben, ({3}) den Menschen einzureden – das haben Sie hier eben auch wieder getan –, ({4}) dass die Europäische Union nur Geld kostet und nichts bringt. ({5}) Nigel Farage und Boris Johnson sind mit Bussen durch London gefahren, auf denen stand, die Europäische Union würde in der Woche 350 Millionen Pfund kosten und davon könne man jede Woche ein Krankenhaus bauen. ({6}) Alles Blödsinn! ({7}) Was wir jedenfalls nicht brauchen, sehr verehrte Damen und Herren, sind Hetzer. Was wir nicht brauchen, sind Spalter. Wir wollen keinen nationalen Egoismus. Wir lassen uns dieses Europa mit unseren gemeinsamen Werten und Überzeugungen nicht kaputtmachen, und wir lassen uns von diesen Populisten unsere tiefe Freundschaft zu Großbritannien nicht ruinieren. Deshalb sorgen wir für einen guten Übergang. ({8}) Herzlichen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Konstantin Kuhle, FDP-Fraktion. ({0})

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ende März 2019 wird das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlassen. Das ist eine dunkle Stunde für alle überzeugten Europäerinnen und Europäer. Gleichwohl gilt es, die souveräne Entscheidung des britischen Volkes zu respektieren. Dieser Schritt im März 2019 wird einen Gesetzgebungsbedarf für den nationalen Gesetzgeber auslösen. Heute liegt uns das sogenannte Brexit-Übergangsgesetz vor, mit dem ein Teil dieses nationalen Gesetzgebungsbedarfs erledigt werden soll. Dazu gehört unter anderem, dass es im Bereich der Staatsangehörigkeit für eine Übergangsphase von zwei Jahren auch weiterhin möglich sein soll, dass jemand mit britischem Pass die deutsche Staatsangehörigkeit weiterhin die britische behält. Meine Damen und Herren, das ist völlig richtig. Ich will Ihnen an einem Beispiel mal erklären, was die chaotische Verhandlungsführung der britischen Regierung ganz konkret für Briten, die in Deutschland leben, bedeutet. Gucken wir uns einmal an, was das für Kommunalpolitiker bedeutet, die in Deutschland als Briten in die Kommunalparlamente gewählt worden sind und dort jetzt mit britischem Pass sitzen: Sie verlieren, wenn sie nicht eingebürgert werden, Ende März einfach ihr Mandat – einfach so –, ({0}) weil das verbunden ist mit der Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union. Deswegen ist es richtig, diesen Menschen die Einbürgerung zu erleichtern, damit sie parallel beide Pässe behalten können. ({1}) Das ist ein europäischer Schritt. Deswegen unterstützt die Fraktion der Freien Demokraten dieses Brexit-Übergangsgesetz. Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. ({2}) Meine Damen und Herren, wenn einem der Entwurf eines Brexit-Übergangsgesetzes vorgelegt wird, dann denkt man: Das muss jetzt der große Wurf sein. In Ihrer Rede haben Sie, Herr Bundesaußenminister, leider nichts anderes zum nationalen Gesetzgebungsbedarf ausgeführt, als im Grunde genommen den Brief von Staatsminister Roth an die Abgeordneten noch einmal vorzulesen. ({3}) Dafür brauchen wir aber keine Debatte. Wir brauchen eine Debatte, um herauszufinden, was eigentlich die politische Priorität der Bundesregierung bei den Brexit-Verhandlungen ist. Es ist absolut richtig, dass die Europäische Union sich darauf verständigt hat, dass Michel Barnier einheitlich für die EU verhandelt hat – er hat da einen guten Job gemacht –, ({4}) und es ist zu Recht verboten, dass bilaterale Verhandlungen stattfinden. Aber das Verbot bilateraler Verhandlungen, meine Damen und Herren, ({5}) bedeutet für die Bundesregierung kein Verbot, eigene politische Akzente zu setzen. Über diese politischen Akzente muss auch im Parlament diskutiert werden. Wir könnten zum Beispiel einmal darüber sprechen, wie die Bundesregierung sich im Bereich Bildung gerade für die junge Generation im Vereinigten Königreich einsetzen könnte, die mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt hat. Wir könnten zum Beispiel darüber sprechen, dass die Bundesregierung sich dafür einsetzt, dass das Vereinigte Königreich nach dem Brexit Vollmitglied bei Erasmus bleibt. ({6}) Ich will nicht, dass es nach dem Brexit keine britischen Erasmus-Studenten mehr in Deutschland gibt. Zugleich müssen wir auch ein Zeichen an die junge Generation im Vereinigten Königreich senden, damit beim nächsten Brexit-Referendum das ungeschehen gemacht werden kann und das Vereinigte Königreich, wenn einige Jahre vergangen sind, wieder zurückkehrt in den Kreis der Mitgliedstaaten. ({7}) Meine Damen und Herren, ich will einen zweiten politisch prioritären Bereich nennen. Das ist der Bereich der inneren Sicherheit. Deswegen hat die Fraktion der Freien Demokraten einen eigenen Antrag zu diesem Tagesordnungspunkt eingebracht. Wir haben ein vitales Interesse daran, dass das Vereinigte Königreich und die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union auch nach dem Brexit miteinander für die öffentliche Sicherheit in Europa insgesamt sorgen. Gemeinsame Terrorismusabwehr und gemeinsame Kriminalitätsbekämpfung sind wichtig. Aber auch wenn Daten europäischer Bürgerinnen und Bürger nach dem Brexit ins Vereinigte Königreich übertragen werden, müssen die europäischen Grundrechte weitergelten, und zwar die aus der Grundrechtecharta und die aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, und es muss auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gelten. Das Vereinigte Königreich muss im Zuge der Verhandlungen über diesen Sicherheits­pakt dazu aufgefordert werden, Urteile dieser Gerichte, die besagen, dass die Privatsphäre nicht hinreichend geschützt ist, tatsächlich umsetzen; denn der Brexit darf nicht zulasten der Bürgerinnen- und Bürgerrechte in Europa gehen. ({8}) Deswegen werben wir dafür, heute nicht nur das Brexit-Übergangsgesetz in diesem Parlament in die nächste Runde zu schicken, sondern auch einen Antrag, der einen eigenen Ansatz dieses Parlaments und eine politische Priorität der Bundesrepublik Deutschland in den Vordergrund stellt, nämlich dass es eine Sicherheitskooperation mit den Briten unter Wahrung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger gibt. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Kuhle. – Als Nächstes spricht zu uns der Kollege Andrej Hunko, Fraktion Die Linke. ({0})

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch nach dem Brexit wird Großbritannien Teil Europas ({0}) und unser Nachbar sein. ({1}) Deswegen gilt es, die Verhandlungen so zu führen, dass wir auch nach dem Brexit gute Beziehungen zu Großbritannien haben werden. Die Vorstellung einer Bestrafung, dass die Briten sozusagen bluten müssen, weil sie jetzt die Familie der EU verlassen, weisen wir seit Beginn der Verhandlungen ganz entschieden zurück. ({2}) Wir stehen vor der entscheidenden Phase der Verhandlungen. Nach wie vor – das ist hier viel zu wenig diskutiert worden – ist das Szenario eines No Deals nicht ausgeschlossen. Das ist aber keine Lösung. Zwar gibt es 95 Prozent Einigkeit, aber das sind die 95 Prozent, die auch am Anfang relativ klar waren. Entscheidende Punkte sind noch nicht geklärt. Ich sage hier ganz deutlich: Bevor wir zu einem No-Deal-Szenario mit all den dramatischen Folgen kommen, plädiere ich dafür, in diesem Fall lieber den Verhandlungszeitraum zu verlängern. Das ist auf Grundlage der Verträge möglich und in Artikel 50 des EU-Vertrages geregelt. ({3}) Das würde, Herr Außenminister, notwendige politische Prozesse in Großbritannien ermöglichen und nachher vielleicht auch Verhandlungen mit einer neuen Regierung unter Jeremy Corbyn. ({4}) Nach dem Brexit werden vier der fünf größten europäischen Städte nicht mehr in der Europäischen Union sein. Das sind neben London eben Moskau, Istanbul und Petersburg. Nur Paris ist noch in der Union. Das heißt, wir müssen auch – das sage ich besonders am 100. Jahrestag des Endes des Ersten Weltkrieges – die Beziehungen europäisch so ordnen, dass wir nicht einen Teil Europas gegen einen anderen stellen, dass wir nicht die EU, wie es jetzt teilweise vorgesehen ist, aufrüsten und sozusagen einen Block gegen andere europäische Regionen bilden. ({5}) Ich darf daran erinnern, dass im mittelfristigen Finanzrahmen der Europäischen Union ein Europäischer Verteidigungsfonds vorgesehen ist, dass wir mit PESCO auf dem Weg zu einer EU-Armee sind, dass aber auf der anderen Seite geplant ist, die Mittel für den Kohäsionsfonds, also für das, was wir eigentlich in Europa brauchen, nämlich mehr sozialen Ausgleich, verstärktes Bemühen um Herstellung gleicher Lebensverhältnisse innerhalb der Europäischen Union, zu kürzen. Das ist der falsche Weg. Wir brauchen mehr sozialen Ausgleich innerhalb der Europäischen Union. Wir brauchen mehr Kooperation, auch über die Europäische Union hinaus. ({6}) Das jetzt hier vorgelegte Brexit-Übergangsgesetz sieht das vor, was wir für die Verhandlungen von Anfang an gefordert haben, nämlich dass die Rechte der betroffenen Bürgerinnen und Bürger, das heißt der EU-Bürgerinnen und Bürger in Großbritannien und der britischen Bürgerinnen und Bürger in der EU, gesichert werden. Das Ganze hat nur einen Haken, Herr Maas: Das Gesetz gilt, so wie ich das lese, nur dann, wenn es zu einem Übergangsabkommen kommt. Wenn es ein No-Deal-Szenario gibt, ist das nicht gesichert. Deswegen fordern wir, dass die Regelungen über die Rechte der Bürger – das fordern wir von Anfang an – von den Brexit-Verhandlungen ausgenommen werden, separat vereinbart und damit gesichert werden und nicht zum Gegenstand von Verhandlungen werden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nun spricht zu uns die Kollegin Dr. Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In Großbritannien herrscht Chaos. Niemand hat eine Vorstellung davon, welches Abkommen Premierministerin May in welcher Form mit ihrer zerstrittenen Partei durchs Parlament bringen will. Zum Glück wurde die EU von diesem Chaos bis jetzt nicht angesteckt. Michel Barnier behält einen kühlen Kopf. Er verhandelt sachlich und hat im Rücken die Einigkeit der EU-Staaten. Der Stil der Verhandlungen stimmt. Aber wir müssen aufpassen, dass wir den Briten nicht zu weit entgegenkommen. ({0}) Ich nenne Ihnen drei Beispiele, bei denen wir den Briten eigentlich schon zu weit entgegengekommen sind. Erstens. Es geht um die Rolle des Europäischen Gerichtshofes. ({1}) Die Forderung, dass der EuGH im Streitfall die letzte Instanz bleibt, hat die EU schon lange aufgegeben. Für Großbritannien und die EU soll es stattdessen ein eigenes Streitschlichtungsgremium geben. Gibt es da keine Einigung – das war dann die zweite Position der EU –, könnte der EuGH, der Europäische Gerichtshof, für eine Meinung angerufen werden, individuell von jeder Seite. Das ist auch schon abgeräumt. Jetzt soll es nur noch eine Meinung des Europäischen Gerichtshofs geben, wenn beide Seiten damit einverstanden sind, also nie. ({2}) Das ist doch eine Wahnsinnsidee, Herr Maas. Da können Sie doch überhaupt nicht zustimmen. Das ist Justiz à la carte. ({3}) Zweitens. Es geht bei der Lösung für Irland, die jetzt auf dem Tisch liegt, darum, dass Großbritannien in der Zollunion bleibt und keine Grenze in Irland hat, also nicht Teil des Binnenmarktes ist, wie das ursprünglich die Forderung war, sondern vollen Zugang zum Binnenmarkt via Nordirland hat, aber nur im Rahmen der Zollunion. Das heißt im Klartext: Die EU kann wichtige Standards nicht mehr überprüfen. Da geht es um Produktstandards, also was im Essen drin ist, aber vor allen Dingen um die Regeln, unter welchen Bedingungen Produkte hergestellt werden, also um Standards im Arbeitsmarkt und im Umweltbereich. Dieses Modell von einem de facto vollen Zugang zum Binnenmarkt bei niedrigeren Standards ist eine Gefahr für die EU an sich. ({4}) Wenn sich das durchsetzt – du hast den vollen Zugang zum Binnenmarkt, kannst aber niedrigere Standards machen –, warum soll denn dann noch einer in der EU bleiben? Das ist doch der Anreiz für alle anderen, aus der Union auszutreten. Stimmen Sie daher, Herr Maas, dem nicht zu. Da ist man eindeutig einen Schritt zu weit gegangen. ({5}) Wenn Sie das Ihren Wählern besser verkaufen wollen, dann können Sie es einfach so sagen: Das benachteiligt deutsche Unternehmen. Das ist ein Nachteil für unsere Unternehmen. Das können Sie doch wohl nicht hinnehmen, liebe Bundesregierung. ({6}) Ein dritter Punkt, bei dem man auch schon sehr weit gegangen ist. Die EU hat Großbritannien eine gegenseitige Anerkennung bei den Finanzdienstleistungen angeboten. Auch da müsste doch eigentlich Klarheit herrschen: Wer vollen Zugang zum Kapitalmarkt haben will, muss sich anpassen und auch die Binnenmarktregeln für den Finanzdienstleistungssektor übernehmen. ({7}) Ja, Herr Kuhle, Sie haben absolut recht: Wenn wir über eine Sicherheitskooperation reden – das ist für beide Seiten wichtig –, dann muss dabei klar sein, dass unsere Grundrechte, unsere Daten gesichert sind. Das ist die Grundlage; aber sie ist ja alles andere als gesichert. Wir werden daher Ihrem Antrag – er wird ja erst in den Ausschuss überwiesen, kommt dann aber zurück – hier im Bundestag zustimmen. Wir finden, das ist ein sehr guter Antrag, den Sie da vorgelegt haben, und bedanken uns, dass Sie diesen wichtigen Punkt eingebracht haben. Ein letzter Punkt. Wenn das Austrittsabkommen steht, wäre das eine Gelegenheit, den Britinnen und Briten die Chance zu geben, eine informierte Entscheidung über die Zukunft ihres Landes innerhalb oder außerhalb der EU zu treffen. 700 000 Menschen haben dafür demonstriert. Das war doch ein Wahnsinnszeichen. Ich finde, das hat Mut gemacht für Europa. Für mich ist auch ganz klar: Die Briten sind immer herzlich willkommen. Die Tür ist offen. Ich danke Ihnen. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Brantner. – Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt das Wort der Kollege Florian Hahn. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Austrittsabkommen ist von höchster Bedeutung; denn ohne dieses würden die Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich nächstes Jahr in ein ungeregeltes Chaos stürzen. Damit das nicht geschieht, sieht der Entwurf des Austrittsabkommens eine Übergangsphase von Ende März 2019 bis Ende 2020 vor, in der das Königreich weiterhin wie ein EU-Mitgliedstaat behandelt werden soll, obwohl es dann bereits aus der EU ausgetreten ist. Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Ohne Austrittsabkommen und ohne Übergangsphase droht eine schmerzhafte Bruchlandung, an der niemand ein Interesse haben kann, weder das Vereinigte Königreich noch die EU, weder die Wirtschaft noch die betroffenen Bürger. Aber wir können kein Abkommen nur um des Abkommens willen beschließen. ({0}) Der gestern in Helsinki nach einer fulminanten Rede mit 80 Prozent gewählte Spitzenkandidat der EVP für die kommende Europawahl, mein Freund Manfred Weber, hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Unterschied zwischen Mitgliedschaft und Nichtmitgliedschaft erkennbar sein muss. Ich sage noch einmal ausdrücklich: Wichtig bei all den Verhandlungen ist, dass Großbritannien kein Wettbewerbsvorteil zulasten der EU erwächst. ({1}) Wir müssen unbedingt vermeiden, dass der Brexit ein attraktives EU-Austrittsmodell wird, das entsprechend Nachahmer findet und das dann letztlich zur Rückabwicklung der Europäischen Union führt. ({2}) Darum geht es, Herr Kollege Hunko, nicht um irgendeine Bestrafung, sondern darum, dass wir genau dies vermeiden. Ich denke, die Mehrheit in diesem Haus stimmt mit mir überein, wenn ich sage: Wir wollen keine Rückabwicklung der Europäischen Union. Wir wollen eine EU, die stark macht, die unseren Wohlstand genauso wie unsere Regionen, unsere Nationen, unsere Identitäten, unsere Kulturen, unsere Solidarität, unsere Wirtschaft und unsere Sicherheit stark macht. Darum geht es bei der Europäischen Union, für die wir alle hier kämpfen. ({3}) Das Brexit-Übergangsgesetz enthält im Wesentlichen zwei Regelungen, die für die Übergangsphase gelten sollen. Erstens stellt das Gesetz sicher, dass im Fall eines geregelten Brexit das Vereinigte Königreich nach Bundesrecht bis Ende 2020 weiterhin wie ein EU-Mitgliedstaat behandelt werden kann. Zweitens gewährleistet das Gesetz, dass Briten, die in der Übergangsphase die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen, und Deutsche, die die britische Staatsbürgerschaft beantragen, ihre britische bzw. ihre deutsche Staatsangehörigkeit nicht aufgeben müssen, auch wenn über ihre Anträge erst nach Ablauf der Übergangsphase entschieden wird. Die Relevanz des Themas Staatsangehörigkeit zeigt sich auch in meinem Wahlkreis. Derzeit leben im Landkreis München mehr als 1 200 britische Staatsangehörige. Während in den zweieinhalb Jahren vor dem Referendum nur 34 britische Staatsbürger die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt haben, hat sich diese Zahl nach dem Referendum auf heute über 300 fast verzehnfacht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche mir, dass es doch noch gelingt, den Austrittsprozess konstruktiv und positiv zu gestalten. Wenn es zu einem geregelten Brexit kommt, dann bin ich optimistisch, dass auch der erforderliche Anschub und das notwendige Vertrauen erzeugt werden, um in den nächsten Jahren das künftige Verhältnis einvernehmlich und zügig zu regeln. Davon unabhängig teile ich die Botschaft unseres Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus, aber auch das, was die Kollegin Brantner gerade gesagt hat: Die Tür zur Europäischen Union muss für das Vereinigte Königreich immer offen bleiben. Herzlichen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Hahn. – Als nächster Redner hat der Kollege Metin Hakverdi, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Metin Hakverdi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004289, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor über zwei Jahren haben sich die Bürgerinnen und Bürger des Vereinigten Königreichs in einer Volksabstimmung mit einer knappen Mehrheit dafür entschieden, aus der Europäischen Union auszuscheiden. „Take back control“, das war der Schlachtruf derjenigen, die sich mit Verve für einen Austritt aus der Europäischen Union engagiert haben. Das sind die Gleichen, die heute wieder von einer Splendid Isolation träumen, also von einer wunderbaren Isolation. Auch die Claqueure dieser sogenannten wunderbaren Isolation müssen jetzt erkennen, dass in einer globalisierten Welt Souveränität und Kontrolle innerhalb nationaler Grenzen eine Illusion sind. Klimawandel, Digitalisierung, Flucht und Vertreibung nehmen keine Rücksicht auf Grenzen. Diese Herausforderungen verlangen Kooperation, verlangen gemeinschaftliches Handeln und gemeinsame Regeln. Auf der britischen Insel dämmert den Verantwortlichen allmählich, dass die Durchsetzung eigener souveräner Interessen am besten in einer gemeinschaftlichen Union funktioniert. Wer einen gemeinsamen Binnenmarkt will, der muss sich gemeinsamen Regeln unterwerfen. Hinter der Debatte über das Cherry Picking verbirgt sich tatsächlich eine Debatte über die Quadratur des Kreises. Ein Binnenmarkt, bei dem nicht alle den gleichen Regeln unterworfen sind, ist kein Binnenmarkt. Das wollen sich einige noch immer nicht eingestehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser Phase darf man noch darauf hoffen, dass alles gut geht, dass wir eine Einigung hinbekommen. Man muss aber andererseits auf das Schlimmste vorbereitet sein. Ich nenne zwei Beispiele. Deutsche haben Gesellschaften nach britischem Recht gegründet, mit denen sie in Deutschland am Wirtschaftsleben teilnehmen. Oder britische Bürgerinnen und Bürger haben sich bei uns niedergelassen. Sie arbeiten hier oder haben Unternehmen gegründet. Sie haben im Vertrauen auf die Funktionsfähigkeit und den Fortbestand der Europäischen Union gehandelt. Diese Menschen dürfen wir nicht im Regen stehen lassen. Dieses Gesetzesvorhaben ist ein erster Einstieg, und weitere sind in Vorbereitung. Ich glaube, es ist richtig und vernünftig, auf Übergangslösungen zu setzen; denn viele Fragen, die wir kurzfristig zu regeln haben, werden den Rahmen künftiger Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich betreffen. Es ist wichtig, dass wir diesen Rahmen gemeinsam mit unseren Partnern in der Europäischen Union aushandeln. Kolleginnen und Kollegen, der Brexit ist ein bedauerlicher, ein trauriger, wahrscheinlich sogar ein tragischer Vorgang. Wie auch immer man es betrachtet, es gibt keine Gewinner. Damit aber ein befriedeter Konflikt auf der irischen Insel nicht wiederauflebt, brauchen wir eine pragmatische Lösung für das Grenzregime zwischen Nordirland und der Republik Irland. ({0}) Hier gilt unsere deutsche Solidarität den Menschen auf der irischen Insel insgesamt. Der vor Jahrzehnten mühsam erzielte Friedensvertrag darf jetzt nicht aufs Spiel gesetzt werden. Bei meinen Gesprächen in Dublin und Belfast ist mir deutlich geworden, dass es große Sorgen um den Bestand dieses Friedens gibt. Diese Sorgen müssen wir sehr ernst nehmen. ({1}) Das bedeutet, dass eine Lösung der Grenzfrage nicht hinter die Regelungen des Karfreitagsabkommens zurückfallen darf. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Hakverdi. – Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Dr. Christoph Ploß das Wort. ({0})

Dr. Christoph Ploß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004854, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Austritt Großbritanniens ist – das wurde in dieser Debatte deutlich – einer der größten politischen Einschnitte in den vergangenen Jahren. Für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist in diesem Zusammenhang klar, dass wir den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union außerordentlich bedauern. Er wird die Europäische Union, er wird das geeinte Europa am Ende nicht stärken, sondern er wird es schwächen. Aber vor allem wird aus unserer Sicht der Brexit Großbritannien schwer zusetzen. Wie auch immer, die Tür in Richtung Großbritannien bleibt auch nach dem Brexit offen. Wir wünschen uns, dass Großbritannien irgendwann einmal in die Europäische Union zurückkehrt und dass wir als vereinte Europäer die gemeinsamen Herausforderungen angehen, beispielsweise bei einer gemeinsamen Außenpolitik, bei der Digitalisierung oder bei Investitionen in künstliche Intelligenz. Doch der Brexit ist Realität, und wir müssen uns als Bundesrepublik Deutschland auf alle möglichen Szenarien vorbereiten, von einem harten Brexit bis hin zu einem umfassenden Abkommen mit Großbritannien. Dabei sollte der Grundsatz gelten: Wir müssen versuchen, die beste Lösung in den Verhandlungen herauszuholen, uns aber gleichzeitig auf das schlimmste Szenario vorbereiten. Die schlimmste Variante wäre – das haben einige Vorredner schon deutlich gemacht – der harte Brexit; denn ohne einen kontrollierten Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union wäre Großbritannien ein sogenannter Drittstaat. Es würden die Regeln der WTO gelten. Von einem Tag auf den anderen würden Zölle von 4 Prozent auf Autoteile oder noch viel mehr bei Agrarprodukten fällig. Das bedeutet: Großbritannien würde behandelt werden wie das afrikanische Land Botswana. Das wäre für unsere Wirtschaft, unsere Unternehmen, die zahlreichen Arbeitsplätze und die Bürger in unserem Land ein echtes Horrorszenario. Das würde am Ende dazu führen, dass ganze Handelsketten zerstört werden und dass wir Europäer vielleicht sogar ein Visum beantragen müssen, um nach Großbritannien reisen zu dürfen. Man könnte noch andere Beispiele nennen wie die Luftfahrt. Derzeit können britische Airlines zwischen Deutschland und Frankreich oder Spanien hin- und herfliegen. Hier hätte ein harter Brexit zur Folge, dass der Flugverkehr zum Erliegen käme. Von Frankfurt, München oder Hamburg nach London fliegen, das wäre dann unmöglich bzw. zumindest für eine gewisse Zeit unmöglich. Deswegen unterstützen wir als CDU/CSU-Fraktion die Bundesregierung dabei, sich regelmäßig mit Verbänden und Unternehmen auszutauschen, um diese rechtzeitig auf die schlimmsten Szenarien vorzubereiten. Für uns ist aber auch klar, dass wir vor diesem Hintergrund einen geregelten Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union wollen. Wir wollen auch nach dem Brexit mit Großbritannien eng verbunden bleiben. Das kann man für diverse Bereiche durchdeklinieren. Ob bei der Bekämpfung des Terrorismus, Cybersicherheit oder der Bekämpfung der internationalen Kriminalität, wir müssen zusammenarbeiten, genauso wie in allen wirtschaftlichen Fragen. Deswegen müssen wir jetzt im Deutschen Bundestag die Grundlage dafür schaffen, dass wir einen Übergangszeitraum bis Ende 2020 vereinbaren, in dem die EU-Regeln für Großbritannien noch gelten; denn dadurch würden die Folgen des Austritts für alle Seiten abgefedert, und die Bürger, die Unternehmen und die zahlreichen Organisationen in unserem Land könnten sich mit einer Übergangsregelung besser auf die Veränderungen einstellen. Das schafft die Zeit, die wir brauchen, um mit Großbritannien das endgültige Verhältnis zu klären und auszuverhandeln. Von einer Freihandelszone bis zum Verbleib in der Europäischen Zollunion ist alles denkbar. Deswegen sage ich hier zum Schluss, Herr Präsident: Lassen Sie uns in den nächsten Monaten alles daransetzen, das Bestmögliche aus dem Brexit zu machen. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Ploß. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/5313 und 19/5528 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Dr. Marc Jongen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004768, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Liebe Bürgerinnen und Bürger hier im Saal und zu Hause an den Monitoren! Heute Morgen in der Gedenkstunde ist das Wort schon gefallen: Der 9. November ist ein Schicksalstag für Deutschland – im Guten wie leider auch im Bösen. Das letzte Mal geschah Schicksalhaftes im großen Maßstab am 9. November 1989, als die friedliche Revolution in der DDR die Mauer zu Fall brachte und der Weg zur deutschen Einheit frei wurde. ({0}) Ein intensives Gefühl der Freude versetzte Ost- und Westdeutsche damals für einige Tage und Wochen in einen euphorischen Gleichklang und schweißte sie emotional zusammen – die Wiedergeburt der Nation aus dem Geist der Euphorie sozusagen. ({1}) Wenn heute im prosaischen Alltag die Klage über Besserwessis oder Jammerossis manchmal überhandzunehmen droht, empfehle ich, dieses euphorische Einheitsgefühl – für die Ostdeutschen ja auch ganz stark Freiheitsgefühl – in sich zu reaktivieren, das ja in uns allen noch nachglimmt, sozusagen als schwache Hintergrundstrahlung des Urknalls der deutschen Einheit. ({2}) Dies vorausgeschickt, ist es gut und richtig, an dieses freudige Ereignis mit einem Freiheits- und Einheitsdenkmal zu erinnern, ({3}) ganz im Sinne des demokratischen Patriotismus übrigens, den unser Bundespräsident heute Morgen hier beschworen hat. Wir haben so viele Mahnmale, die an die dunklen Zeiten unserer Geschichte erinnern – auch sie sind wichtig –; aber wenn wir wirklich Ernst machen wollen mit dem Sowohl-als-auch, von dem Herr Steinmeier heute sprach, wenn das kein Lippenbekenntnis bleiben soll, dann brauchen wir zum Ausgleich dringend auch eine helle, eine freudige Seite der Erinnerungskultur, meine Damen und Herren. ({4}) Das Freiheits- und Einheitsdenkmal „Bürger in Bewegung“ aber – jetzt kommt leider das Aber –, das neben dem rekonstruierten Berliner Stadtschloss errichtet werden soll – im Volksmund „Bundesbanane“, „Bundeswippe“ oder „Obstschale“ genannt –, wird dem Anspruch eines würdigen Erinnerns an die deutsche Wiedervereinigung überhaupt nicht gerecht. ({5}) Ich möchte es in den Worten des Abgeordnetenkollegen Arnold Vaatz von der CDU sagen: Hier wird das wohl bedeutendste Ereignis der deutschen Geschichte auf Kindergeburtstagsniveau verzwergt. – Wie wahr! ({6}) Die Künstler Milla und Waltz haben zwar bei der wichtigen emotionalen Komponente angesetzt, aber es hätte wohl des Formats eines Schillers oder Beethovens bedurft, um das in einen würdigen Entwurf zu übertragen. Von der überschwänglichen Einheitsfreude, der ja auch ein tiefer historischer Ernst zugrunde lag, bleibt hier nur der billige Spaß übrig, der durch das Neigen einer Wippe nach rechts oder nach links entsteht. Das politische Prinzip der Bürgerbewegung wird auf die blanke physikalische Kinetik reduziert. ({7}) Die zweistellige Millionenzahl an Menschenleben, die Herr Vaatz angesprochen hat, die der Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung seit 1917 gekostet hat, bleibt völlig ausgeblendet. Um diesen Ernst einzufangen, wird man sicher nicht nur auf der emotionalen Ebene ansetzen dürfen, sondern man wird konzeptionell tiefer bohren müssen. Dieser Entwurf ist also inhaltlich misslungen. Allein deshalb muss er gestoppt und der Wettbewerb neu ausgeschrieben werden, meine Damen und Herren. ({8}) – Hören Sie mal zu. Es kommen aber noch andere, sehr wichtige Argumente hinzu. In aller Kürze: Das Denkmal steht an der falschen Stelle; es gibt an der Berliner Schlossfreiheit kaum Bezüge zur deutschen Einheit. ({9}) Viel eher sollten hier die historischen Kolonnaden wiedererrichtet werden. Der Bau würde die noch vorhandene und teuer restaurierte historische Bausubstanz am Sockel des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Denkmals zerstören. Sieben dicke Betonpfeiler würden durch die unterirdischen Gewölbe gerammt – ein Irrsinn, wie ein Gutachten des Berliner Denkmalamts feststellt. ({10}) Dasselbe Gutachten spricht auch von einer „wackeligen Schale auf schwabbeligem Grund“. Das heißt, es ist unklar, ob der Baugrund die Bewegungen dieses tonnenschweren Konstrukts überhaupt aushalten würde. ({11}) Auch die Kosten laufen aus dem Ruder: Statt anfänglich kalkulierter 10 Millionen Euro sind wir jetzt bei 17 Millionen Euro, bei jährlichen 150 000 Euro Betriebskosten. Ein Argument noch für die Grünen, die das alles nicht überzeugt: Die seltene Fledermausart „Pipistrellus“ würde grausam aus den unterirdischen Gewölben vertrieben. ({12}) Das Wichtigste aber: Die Bürger in Berlin und in ganz Deutschland lehnen diesen albernen Entwurf mit großer Mehrheit ab. 60 Prozent sind nach einer Umfrage dagegen. Liebe Abgeordnete der anderen Parteien, ich weiß, auch viele von Ihnen sind gegen dieses misslungene Denkmal, über die Parteigrenzen hinweg. Sie nennen sich ja oftmals „die demokratischen Parteien“. Werden Sie doch heute mal diesem Anspruch gerecht. Setzen Sie sich über Fraktionszwang und Parteitaktik hinweg. Stimmen Sie mit der AfD ({13}) und mit Ihrem Gewissen für den Stopp dieser überdimensionierten Rummelplatzattraktion und für einen neuen Wettbewerb, sowohl was den Entwurf als auch was den Standort betrifft. Vielen Dank. ({14})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin Elisabeth Motschmann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor 80 Jahren brannten Syna­gogen. Der 9. November 1938 gehört zu den dunkelsten Kapiteln in unserer Geschichte. Der 9. November 1989, der Tag des Mauerfalls, gehört hingegen zu den glücklichsten Momenten und Tagen der deutschen Geschichte. Dieses Wechselbad der Gefühle wird bleiben, weil beide Ereignisse auf einen Tag fallen. Heute reden wir aber über 1989. Dass es gelungen ist, eine friedliche Revolution hinzubekommen, und dass nicht, wie viele im Osten befürchtet haben, sowjetische Panzer rollten, ist ein historisches Geschenk und ist keineswegs selbstverständlich. Noch im August 1989 wurden auf Anweisung der SED-Führung Internierungspläne erstellt, und in einem Schreiben von Erich Honecker an die SED-Bezirksleitungen vom 22. September 1989 forderte er – Zitat –, dass die feindlichen Aktionen im Keim erstickt werden müssen. ({0}) Jeder kann sich noch ganz genau daran erinnern, wo und wann ihn vor 29 Jahren die Nachricht vom Fall der Mauer erreichte. Viele konnten es zunächst kaum glauben. Die Bilder von jubelnden und vor Freude weinenden Menschen haben wir alle noch in Erinnerung. Es gibt wohl keinen anderen Tag in unserer jüngeren Geschichte, an den sich die Menschen in Ost und West vereint mit so großer Freude und Dankbarkeit erinnern. ({1}) Meine Damen und Herren, wir müssen wieder lernen, uns zu freuen und auch dankbar zu sein. Das kommt mir oft viel zu kurz. ({2}) Über 25 000 DDR-Bürger waren im Sommer 1989 geflohen. Hunderttausende Menschen hatten immer mehr Mut gefasst, für ihre Freiheit auf die Straße zu gehen. Ohne den Mut dieser Menschen wäre der Fall der Mauer undenkbar gewesen, und ohne den Mut dieser Menschen wäre auch ein Jahr später die deutsche Einheit nicht möglich gewesen. Ich danke diesen Mutigen ganz ausdrücklich an dieser Stelle. Für mich sind das Helden. An sie wollen wir mit dem Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin erinnern. ({3}) Wir wollen dieses Denkmal nicht nur für uns bauen, sondern wir wollen es für die nächsten Generationen bauen. Wir hatten das Glück, den Mauerfall mitzuerleben, und wollen dieses Glück weitertragen. Für viele Menschen kam der Mauerfall zu spät; auch das will ich hier noch einmal sagen. 250 000 Menschen wurden in der DDR aus politischen Gründen verhaftet. 135 000 Minderjährige wurden in Spezialheime verlegt. Die Mauer, der sogenannte antifaschistische Schutzwall, war 1 400 Kilometer lang und wurde von 30 000 Soldaten mit Schießbefehl bewacht. Hunderte von Menschen verloren ihr Leben beim Versuch, zu fliehen. Die aktuelle Debatte um die genaue Zahl der Toten befremdet mich. Jeder Tote an der Grenze unseres Landes war ein Toter zu viel. Meine Damen und Herren, wir stehen heute nicht am Beginn der Debatte über das Freiheits- und Einheitsdenkmal, sondern Gott sei Dank an deren Ende. Bereits vor 20 Jahren – man mag es kaum sagen – forderten die Initiatoren Florian Mausbach, Günter Nooke, Jürgen Engert und Lothar de Maizière in einem offenen Brief ein Freiheits- und Einheitsdenkmal. Für diese Initiative erhielten sie übrigens 2008 den Deutschen Nationalpreis. Vor elf Jahren, am 9. November 2007, haben wir hier im Bundestag mit großer Mehrheit den Beschluss gefasst, dieses Denkmal zu bauen. 2008 haben wir dann mit großer Mehrheit auch den Standort des Freiheits- und Einheitsdenkmals beschlossen. Ich rufe Ihnen den Beschluss noch einmal in Erinnerung – Sie haben ihn offenbar vergessen, Herr Jongen –: Nach Abwägung historischer und inhaltlicher Aspekte ist als Standort der Sockel des Kaiser-­Wilhelm-Denkmals auf der Schlossfreiheit vorgesehen. Nach diesem Beschluss kam es wie so oft in Denkmalschutzprozessen zu Zeit- und Planungsverzögerungen und zu einem erheblichen Abstimmungsbedarf mit dem Land Berlin. 2015 konnte dann die Baugenehmigung erteilt werden. Ich gehe davon aus, dass sie ordnungsgemäß erteilt worden ist, meine Damen und Herren; das wurde hier in Zweifel gezogen. Bereits damals sind alle Aspekte des Denkmalschutzes in die Baugenehmigung eingeflossen, auch die historischen Mosaiken. Nachdem es durch den Zeitverzug zu Kostensteigerungen kam, haben wir im Juni 2017 mehrheitlich den Beschluss gefasst, am Freiheits- und Einheitsdenkmal festzuhalten. ({4}) Dreimal haben wir hier beschlossen, es zu bauen. ({5}) Auch im Koalitionsvertrag – das interessiert Sie nicht, aber das interessiert uns schon – ({6}) haben wir uns erneut zu dem Denkmal bekannt. Ich sage hier auch ganz klar: 15 Millionen Euro sind viel Geld. Aber dieses Denkmal ist es wert. Punkt! ({7}) Seit einem Monat liegen nun alle Voraussetzungen für die Realisierung vor. Nach einem 20-jährigen Prozess können und wollen wir nun endlich den Bau starten. Alles ist entschieden. Alles ist demokratisch entschieden. Und nun kommt die AfD um die Ecke und will das Denkmal stoppen. Ich will Ihnen mit einem Zitat unserer Kulturstaatsministerin antworten. Sie hat gesagt: Wer das Denkmal will, muss es jetzt so bauen wie geplant. Die Beschlusslage nun erneut infrage zu stellen, macht das Projekt kaputt. Jede neue Debatte – das sage ich jetzt nach rechts gerichtet – ist ein „Killerargument“. Wir wollen dieses Denkmal aber nicht killen, sondern endlich bauen. Dazu sollten Sie sich auch durchringen; denn es kann nicht sein, dass Sie an diesen Tag nicht erinnern wollen. Wir wollen das. ({8}) Im kommenden Jahr feiern wir den 30. Jahrestag des Mauerfalls. Ich freue mich schon jetzt darauf, dass wir dann hoffentlich den ersten Spatenstich machen. Sie können ja fernbleiben, wenn Sie das nicht gut finden. Ich komme und freue mich auf den Tag. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Das ist schön, Frau Motschmann. Vielen Dank auch an Sie. – Als nächster Redner hat der Kollege Hartmut Ebbing, FDP-Fraktion, das Wort. Ich weise darauf hin: Das ist seine erste Parlamentsrede. ({0})

Hartmut Ebbing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004706, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Besucher auf der Tribüne! Wenn ich Ihren Antrag so lese, sehr geehrter Herr Dr. Jongen, muss ich mich doch sehr wundern. Zum einen strotzt dieser Antrag nur so vor falschen Zitaten und übertriebenen Zahlen. Insbesondere mit den irreführenden und falschen Angaben zu den Kosten der Sockelsanierung betreiben Sie meines Erachtens erneut billigen Populismus. ({0}) Zum anderen – und das hat mich doch nachhaltig stutzig gemacht – monieren Sie, Herr Dr. Jongen, die vorgesehene Anbringung der Kernsätze der friedlichen Revolution: „Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk.“ Sie müssen mir mal erklären, warum Sie das nicht in Ordnung finden. Ich dachte, dies wäre ein Kerngedanke Ihrer rattenfängerischen, ähm, menschenfängerischen Politik. ({1}) Auch ich habe meine Zweifel an dem Standort des Freiheits- und Einheitsdenkmals. Ich bin der Meinung, das Denkmal passt weder thematisch noch gestalterisch vor das Eosanderportal des Schlossnachbaus. Weder fanden hier große Demonstrationen statt, die zum Fall des SED-Regimes beitrugen, noch hat der Platz eine besondere Bedeutung im Prozess der Wiedervereinigung Deutschlands. ({2}) Ganz im Gegenteil: Der Ort erinnerte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit seinem monumentalen Reiterstandbild Wilhelms I. gemeinhin an das Erbe der Hohenzollern. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt der Schlossplatz als zentraler Platz des SED-Regimes, dessen Machtzentralen sich rund um diesen Ort gruppierten. Darüber hinaus besteht für mich die Gefahr, dass der Denkmalentwurf den Gesamteindruck des rundherum gerade wiederentstehenden historischen Bauensembles mit dem Schlossnachbau und der Bauakademie nachhaltig schmälern wird. ({3}) Aber über Geschmack lässt sich ja trefflich streiten. Es hat einen fairen und sauberen Wettbewerb gegeben, und dies gilt es zu akzeptieren. ({4}) Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass die Meinung der Berlinerinnen und Berliner ernster genommen wird und diese stärker in das Verfahren eingebunden werden. Schließlich bauen wir hier ein Denkmal für die nächsten 100 Jahre. Vielleicht hätte man künftigen Generationen die Chance zur Teilhabe an der Gestaltung der Schlossfreiheit ebenfalls ermöglichen sollen. Auch vernehmen wir – das haben wir schon gehört –, dass ganze Fledermauskolonien immer noch in dem frisch sanierten sogenannten Mühlengrabengewölbe sozusagen beheimatet sind. Ich bin auch in Sorge, dass die Bedenken des Landesamts für Denkmalschutz nicht ernst genommen werden. Dennoch – und da spreche ich ausdrücklich für die gesamte Fraktion der Freien Demokraten – ist es unerlässlich, die Handlungsfähigkeit des Parlamentes und die Glaubwürdigkeit der Politik aufrechtzuerhalten. Der Bundestag hat sich nunmehr in drei Beschlüssen ausdrücklich, mit großer Mehrheit und wiederholt für die Errichtung des Denkmals auf der Schlossfreiheit eingesetzt. Diese Mehrheitsbeschlüsse gilt es nun zu honorieren und umzusetzen. ({5}) Daher lehnen wir Freien Demokraten den Antrag der AfD ab. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Ebbing. – Nächste Rednerin ist die Kollegin – – ist der Kollege Martin Rabanus, SPD-Fraktion. ({0})

Martin Rabanus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das mit der „Rednerin“ bekomme ich nicht hin; ich will trotzdem schauen, dass ich einen Beitrag in der Debatte leisten kann.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Das war geschlechtsneutral gemeint, Herr Kollege.

Martin Rabanus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ach! Das ist man von der FDP gar nicht so gewohnt, okay. ({0}) Zum Thema. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne, vor den Fernsehern und an den sonstigen Geräten! Ich will auch damit beginnen, die vergangene Zeit ein bisschen Revue passieren zu lassen, heute, an diesem 29. Jahrestag des Falls der Mauer. Tatsächlich ist von Kollegin Motschmann schon gesagt worden: 20 Jahre ist es inzwischen her, dass über die Idee – übrigens nicht in irgendwelchen Parteiklüngeln oder Parteikadern, sondern tatsächlich zivilgesellschaftlich getragen – zu diskutieren begonnen wurde, einen anständigen, vernünftigen, angemessenen Ort des Gedenkens, des Erinnerns und des Feierns in Form eines Freiheits- und Einheitsdenkmals in der Hauptstadt zu finden. 20 Jahre ist das her. Daraufhin wurde durchaus kontrovers – das sei zugestanden – darüber diskutiert, wie, wo, wann. Aber schließlich sind eine Reihe von Beschlüssen gefasst worden, die bis heute ihre Gültigkeit haben: 2007 die Grundsatzentscheidung zur Errichtung eines Denkmals, 2008 der konkrete Ort und auch das konkrete Denkmal, das nicht von irgendwelchen politischen Fantasten oder parteipolitischen Ideologen oder wem auch immer festgelegt worden ist, sondern so, wie man das vernünftigerweise tut: Ein Wettbewerb von Fachleuten hat zu diesem Entwurf geführt. Ich sage hier: Die Beschlüsse, die 2017 vom Deutschen Bundestag bestätigt wurden, gelten, gelten für die SPD-Fraktion. Wir stehen zu der Beschlusslage des Deutschen Bundestages. ({1}) Schließlich und endlich wurde die Baugenehmigung erteilt. Sie wurde in diesem September verlängert, und der Haushaltsausschuss hat im September auch die Mittel freigegeben. Das heißt, nach allem, was wir im Moment abschätzen können, steht der Realisierung des Projekts nichts entgegen. Es besteht sogar die Chance – das ist mir im Übrigen wichtig –, dass wir 2020, zum 30. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung, mit diesem Denkmal fertig sind und diesen Ort geschaffen haben. Die AfD will das nicht. Die AfD will das Freiheits- und Einheitsdenkmal nicht. ({2}) Sie will es nicht so, und sie will es nicht dort. Sie will zurück zum Kaiser Wilhelm. Das wollen Sie gedanklich gesellschaftspolitisch wahrscheinlich sowieso, aber Sie wollen es auch architektonisch; Sie wollen die Kolonnaden wiederhaben, die das alte Denkmal geziert haben. Das kann man so wollen. ({3}) Eine Mehrheit in diesem Parlament will es nicht. ({4}) Das macht Sie zu einer Minderheit in diesem Parlament, ({5}) und das ist auch gut so. Das ist auch keine Rolle, aus der Sie ein Opferdasein ableiten können, sondern es ist dankenswerterweise in der Demokratie so, dass Minderheiten durchaus etwas beantragen können, selbstverständlich; aber Mehrheiten können das ablehnen, und das wird dieser Deutsche Bundestag auch tun. Die AfD hat sich also diesbezüglich entschieden. Was ich an dem Antrag eigentlich schade finde, ist, dass Sie – das ist bei anderen schon angeklungen – die Leistungen der Menschen der ehemaligen DDR, die dazu geführt haben, dass wir überhaupt einen Grund haben, ein Freiheits- und Einheitsdenkmal bauen zu wollen, in Ihrem Antrag mit keinem Wort würdigen. Mit keinem Wort bringen Sie Stolz darüber zum Ausdruck, dass diese Menschen friedlich und mutig eine Diktatur zum Sturz gebracht haben, dass diese Menschen für Freiheit, für Reisefreiheit, für Meinungsfreiheit, für Pressefreiheit, für Rechtsstaatlichkeit, für Demokratie gekämpft haben. Das hätten Sie in Ihrem Antrag mal würdigen sollen; dann wäre ihm wenigstens etwas Gutes abzugewinnen. Das ist leider nicht der Fall. Vielleicht liegt es daran, dass Sie, Herr Dr. Jongen, weiter weg waren, als die Ereignisse stattgefunden haben. ({6}) Ich selber weiß noch sehr genau, wie das war am 9. November, und ich weiß noch sehr genau, dass ich die Chance hatte, am 12. November hier in Berlin vor Ort zu sein, hier mit dabei zu sein in dieser Stimmung, die wirklich als Zeitenwende empfunden wurde, die, ja, eigentlich als gesellschaftliche Sprunginnovation damals empfunden wurde, als eine neue Zeit der Gemeinsamkeit und des Friedens.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Rabanus, der Kollege Jongen würde gern eine Zwischenfrage stellen.

Martin Rabanus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Wunsch ist sein gutes Recht, aber ich führe den Gedanken fort; also: Nein, danke. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Sie möchten nicht; bitte.

Martin Rabanus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es wäre sinnvoll gewesen, in einem solchen Antrag wirklich mal aufzunehmen, dass die Menschen eine unglaubliche Leistung vollbracht haben, dass dieser 9. November in besonderer Weise neu aufgeladen worden ist, nachdem er in unserer Geschichte so wichtig ist; wir haben das heute Morgen an verschiedenen Stellen begangen. Es war vor 100 Jahren die Ausrufung der ersten deutschen Republik durch Philipp Scheidemann. Es war dann – das ist heute Morgen auch deutlich geworden – der erste Versuch Adolf Hitlers, an die Macht zu kommen. Es war 1938 die Reichspogromnacht. Und es war zum Schluss die friedliche Revolution. Diese friedliche Revolution wollen und müssen wir vernünftig würdigen. Über Geschmack lässt sich streiten – das ist überhaupt nicht mein Punkt; das ist völlig klar –, aber über eines lässt sich nicht streiten, nämlich darüber, dass es eine historische Leistung der Bürgerinnen und Bürger der DDR war, die dazu geführt hat, dass wir in einer friedlichen Revolution zu Einheit und Freiheit in Deutschland gekommen sind. Darauf ist die SPD ausgesprochen stolz; ich bin es auch. Ihren Antrag lehnen wir ab. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Zu einer kurzen Zwischenintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Jongen.

Dr. Marc Jongen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004768, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Rabanus, ich glaube, Sie haben bei meiner Rede nicht wirklich zugehört. Ich habe ausdrücklich die Verdienste und den Mut der Bürger in der DDR, die die friedliche Revolution betrieben haben, gewürdigt. Wir haben auch gesagt: Wir wollen ein Freiheits- und Einheitsdenkmal, aber wir wollen dieses Denkmal nicht. Damit sehen wir uns einig mit der großen Mehrheit der Berliner und auch der Deutschen. Ich frage Sie: Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass Umfragen ergeben haben: „60 Prozent wollen dieses Einheits- und Freiheitsdenkmal, diesen Entwurf, nicht“? Wie reagieren Sie darauf? Sind Sie wie Herr Kollege Ebbing offenbar auch der Meinung, dass es wichtiger ist, dass das Parlament auf seinen Beschlüssen, die es einmal gefasst hat, auf seinen falschen Beschlüssen, auf seinem Standpunkt sozusagen rechthaberisch beharrt, als dass es die Umsetzung eines offensichtlich misslungenen Entwurfs verhindert, solange dies noch möglich ist? Danke.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Rabanus, Sie können antworten; Sie müssen nicht.

Martin Rabanus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Kollege Jongen, Sie haben selber in Ihrem Beitrag den heutigen Morgen zitiert und auch auf die Gedenkveranstaltung Rückgriff genommen. Sie haben dann wahrscheinlich auch den Bundespräsidenten gehört, der skeptisch konnotiert hat: diejenigen, die für sich in Anspruch nehmen, für das Volk zu reden. – Den Fehler begehen Sie gerade wieder. Selbstverständlich ist es so, dass man unterschiedlich zu diesem Entwurf stehen kann; das ist überhaupt nicht die Frage. Die Frage ist nur, ob Sie mit Ihrer Position eine Mehrheit oder eine Minderheit darstellen. Ich sage: Sie stellen damit eine Minderheit dar, und deswegen müssen Sie akzeptieren, dass Ihr Antrag keine Mehrheit finden wird. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Simone Barrientos, Fraktion Die Linke. ({0})

Simone Barrientos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004660, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der hier vorliegende Antrag der AfD zum Freiheits- und Einheitsdenkmal ist – man kann es ganz kurz machen – wie die AfD: hinterlistig, rückwärtsgewandt, überflüssig. ({0}) Man kann es noch genauer sagen: Ein Scheinphilosoph – Jim Knopf, der Scheinriese; Sie erinnern sich – hantiert mit Scheinargumenten. Aber wenn man die Katze aus dem Sack holt, dann versteht man: Hier geht es um des Kaisers Bart. Es geht um Kaiser Wilhelm, um genau zu sein, um den Kaiser also, der verantwortlich ist für den deutschen Kolonialismus, für den Genozid an den Herero, für den Ersten Weltkrieg. Die AfD will unter dem Deckmantel des Denkmalschutzes den wilhelminisch-preußischen Geist wiederbeleben. Da machen wir nicht mit; wir lehnen den Antrag ab; völlig klar. ({1}) Klar, auch Die Linke hat Bedenken und hat mit diesem Einheitsdenkmal nicht viel am Hut. Es ist auch nach unserer Auffassung der falsche Ort; die Kostenfrage ist heikel; denkmalschutzrechtliche Bedenken wurden bagatellisiert, und der Entwurf ist, so finden wir, nicht zeitgemäß, nicht mehr; es ist viel Zeit vergangen. Der entscheidende Unterschied aber zwischen unserer Kritik am Denkmal und dem Antrag der AfD ist, dass es uns tatsächlich um die damals friedlich demonstrierenden Menschen geht. ({2}) Denen da, der AfD, geht es – ich habe es schon gesagt – um des Kaisers alten Bart, und – wer weiß – vielleicht auch um ein anderes kleines Bärtchen. ({3}) Erlauben Sie mir anlässlich der Gedenkstunde heute Morgen, mal was ganz Grundsätzliches anzubringen, was mich wirklich umtreibt. Kollege Kahrs sprach neulich davon, dass Hass hässlich macht. ({4}) Ich glaube, wenn man es so formuliert, macht man es sich zu einfach. Ich glaube nämlich nicht, dass es Hass ist, der die, die in der AfD das Sagen haben, antreibt. Es ist Verachtung. Es ist Freude daran, Angst zu schüren. Es ist Freude daran, Hass zu säen. Und es ist Freude daran, zu zerstören. ({5}) Es geht um Macht. Aber entscheidend ist, dass diese Leute abgrundtief böse sind – ganz, ganz böse. ({6}) Victor Jara, der chilenische Sänger, den die Faschisten im Stadion von Santiago de Chile ermordet haben, hinterließ ein letztes Gedicht. Kurz vor seiner Ermordung hat er es geschrieben. Darin heißt es in einer Nachdichtung von Leander Sukov: Welches Grauen schafft die Fratze des Faschismus!  Die führen ihre Pläne kunstvoll präzise aus. Sie achten nichts. Und jeder vergossene Tropfen Blut ist ihnen Orden, und jedes Massaker ist ihnen Heldentat. ({7}) Das sind diese Menschen. Vor 50 Jahren ohrfeigte Beate Klarsfeld den amtierenden Bundeskanzler Kiesinger. Der sprach danach von „Radaugruppen in Universitätsstädten“, und brachte sie damit in Verbindung. Das waren die Studentenunruhen, die ebenfalls sehr antifaschistisch geprägt waren. Und schon sind wir im Heute. Ich muss wirklich sagen: Wenn einzelne Kolleginnen und Kollegen – nicht alle – immer wieder daherkommen und Linke und Rechte in eine Ecke stellen, dann ist das verdammt nochmal unredlich. Das gehört sich nicht. ({8}) Denn die einen treibt Humanismus, die anderen treibt Menschenverachtung. Man diffamiert also die einen und verharmlost die anderen. ({9}) Deshalb sagt diese Gleichsetzung deutlich mehr über diejenigen aus, die sie in die Welt bringen, als über uns.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Barrientos, denken Sie bitte an die Redezeit. Die ist abgelaufen.

Simone Barrientos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004660, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Letzter Satz.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte.

Simone Barrientos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004660, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das Freiheits- und Einheitsdenkmal wird kommen. Mir wäre lieber, es käme eine Politik, die die Lebensleistung auch der Menschen aus den neuen Bundesländern anerkennt und denen, die damals friedlich demonstrierten und hoffnungsvoll in die Zukunft schauten, mit Respekt begegnet. ({0}) Danke schön. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Erhard Grundl, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Erhard Grundl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004733, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Tribünen! Als Mensch, der sich dem niederbayerischen Motto „Der Pfarrer predigt nicht zweimal“ verschrieben hat, stellen einen die AfD-Anträge tatsächlich auf eine schwere Probe. Redundanz ist eigentlich unvermeidlich; denn es ist immer das Gleiche mit der AfD und ihren Anträgen. Fakten sind bei Ihren Anträgen Nebensache. Sie unterstellen beim Denkmal Schwierigkeiten bei der technischen Umsetzung und beim Denkmalschutz, die längst geklärt sind. ({0}) Sie behaupten, die Baugenehmigung sei am 9. Oktober ausgelaufen – wenigstens behaupten Sie das in Ihrem Antrag. Das ist sie nicht. Die zuständigen Behörden, das Land Berlin, der Denkmalschutz, der TÜV sind bei den baufachlichen Fragen einbezogen worden. Fakt ist, dass weder die denkmalgeschützten Gewölbe noch der Sockel zerstört werden. Im Gegenteil: Der 1948 beschädigte Sockel wurde saniert. Fakt ist auch: Für das Freiheits- und Einheitsdenkmal werden durch zwei darunterliegende Gewölbe Säulen geführt, um die Gewölbe zu entlasten. Die Mosaike wurden entfernt, restauriert und eingelagert – nicht zerstört. Nachgebessert wurde bei der Barrierefreiheit. Und natürlich wurde die Bodenbeschaffenheit hier und an anderen Orten geprüft. Im Übrigen ist es kein Geheimnis, dass der Berliner Baugrund per se schwierig ist. Schließlich steht auch dieses mächtige Gebäude auf Tausenden von Eichenpfählen. In dem vorliegenden Antrag fordern Sie nun, den Bau zu stoppen. An der Stelle des Freiheits- und Einheitsdenkmals wollen Sie Kolonnaden, wie sie einst das Reiterdenkmal Kaiser Wilhelms I. einrahmten. Ihre ganze Rückwärtsgewandtheit, Ihr bräsiges Kunstverständnis, ja Ihr grundsätzliches Problem mit der Freiheit der Kunst manifestiert sich für mich in dieser Forderung. ({1}) Für mich ist klar: Wenn es ein Freiheits- und Einheitsdenkmal geben soll, dann gehört das in den Osten von Berlin – dahin, wo die friedliche Revolution stattgefunden hat, der wir Deutschen unsere Einheit verdanken. ({2}) Wir Grüne haben den Entscheidungsprozess immer kritisch begleitet. Wir haben die Intransparenz bei den Ausschreibungen kritisiert und die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger angemahnt. Ihr Antrag strotzt vor Halbwahrheiten und Behauptungen. Er stammt aus Ihrem braunen Büchlein der populistischen Bauernfängerei. Statt Joseph Beuys zu bemühen – was Sie im Antrag machen –, sollten Sie lieber Mr. Burns von den „Simpsons“ zitieren, ({3}) der gesagt hat: Hilfe! Hier passiert etwas, aber ich weiß nicht, was es ist. ({4}) Über dieses Denkmal wurde gestritten, und darüber soll gestritten werden; das wird auch künftig so sein. Das ist nicht nur gut so, sondern das ist alles entscheidend, Herr Dr. Jongen. ({5}) Nicht jede und jeder, der im Herbst 1989 auf die Straße ging, wollte das Ende der DDR. Viele wollten Reformen. Gemeinsam aber war allen der Mut, mit den Füßen gegen ein repressives System zu stimmen und Haltung zu zeigen. Die Geschichte der deutschen Einheit ist noch lange nicht aufgearbeitet. Ein streitbares Freiheits- und Einheitsdenkmal, das die Einheit feiert und die große demokratische Bewegung der Revolution von 1989 würdigt, ist wichtig. Es erinnert an Hoffnungen und Erwartungen, ({6}) auch an die Hoffnungen und Erwartungen, die noch nicht erfüllt worden sind. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es hat eine besondere Bedeutung, an einem 9. November über das Freiheits- und Einheitsdenkmal zu debattieren. Das Streben nach Freiheit, Demokratie und Einheit, aber auch bittere Rückschläge und furchtbare Abwege haben die deutsche Geschichte geprägt, insbesondere vor 80 Jahren mit einem ganz schrecklichen Abgrund. Dem Ausruf der Republik vor 100 Jahren folgte ein knappes Jahr später eine demokratische, liberale und sozial moderne Verfassung – sicherlich nicht perfekt, aber geeignet, um das Versprechen auf Demokratie und Freiheit einlösen zu können. Es sollte anders kommen – auf furchtbare Art und Weise. Wir müssen uns fragen: Was ist eine demokratische, freiheitliche Ordnung wert, wenn es nicht genügend Demokraten gibt, die sie verteidigen wollen? Wie sehr müssen wir diejenigen wertschätzen, die mit Mut nach Freiheit, Gerechtigkeit und Würde auf friedlichem Weg suchen? Das sind die Fragen, vor denen wir stehen. Auch dafür steht das Denkmal. Nach dem Zweiten Weltkrieg war uns hier im Westen ein Neustart der Bundesrepublik Deutschland mit einer Verfassungsordnung in Freiheit und Frieden gegönnt, die sich noch stärker von den Feinden der Demokratie und der Freiheit abgrenzt. Im Osten war die Diktatur der Unfreiheit. Es war der unabdingbare Freiheitswille von Millionen von Menschen der DDR, der am Ende erfolgreich war – friedlich, mutig, gekennzeichnet von dem Willen nach einem glücklichen Ausgang. An diese glückliche Fügung der Geschichte, an schöne Stunden nach bitteren Jahren der deutschen Geschichte dürfen – und ich meine: müssen – wir erinnern. Dafür steht dieses Freiheits- und Einheitsdenkmal. Wenn ich mir diesen Antrag ansehe, dann stelle ich fest: Er ist mehr als kleinteilig. Er denkt nicht in historischen Dimensionen, sondern es geht darum, in diesem Hohen Hause getroffene Entscheidungen verächtlich zu machen und infrage zu stellen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. ({0}) Der Bundestag hat den Standort für das Denkmal beschlossen und bekräftigt. Es gab einen internationalen Wettbewerb, an dem renommierte Künstler teilgenommen haben. Wie bei so vielen Denkmälern, Bauwerken und Kunstwerken gilt auch hier: Es scheiden sich die Geister. Die Meinungen sind unterschiedlich. Aber ist es nicht bereits das Vorhandensein von unterschiedlichen Meinungen, die einem Denkmal erst recht einen Wert verleihen? Ist es nicht die vielseitige Debatte über den Standort und auch über die Ausgestaltung, die zeigt, dass sich in diesem Denkmal Pluralismus spiegelt? ({1}) Deswegen sollten wir es vielleicht gerade in seiner Widersprüchlichkeit so lassen. Ich darf darauf hinweisen, dass eine ganz besondere Bewandtnis dieses Denkmals auch für die Schicksalhaftigkeit des heutigen Tages steht: Die Menschen können auf dieser Wippe ins Gleichgewicht kommen oder es durch Bewegung in eine Richtung verändern. Wenn sich auf beiden Seiten gleich viele Menschen befinden, reicht es aus, dass einer von einer Seite zur anderen geht, um die Dinge zu verändern. Und so ist das auch mit dem Willen zur Freiheit und zum Pluralismus: dass jeder Einzelne wertgeschätzt wird. Durch dieses Denkmal kommt zum Ausdruck, dass es die Menschen selber waren, die sich gegen diese Mauer und gegen Unterdrückung aufgelehnt haben, die am Ende erfolgreich gewesen sind. Dafür steht dieses Denkmal. Ich bin sicher, dass dieses Freiheits- und Einheitsdenkmal, wenn es einmal gebaut ist, von Millionen von Menschen aus aller Welt besucht werden wird. Vielleicht schauen auch viele Menschen, die noch in Unfreiheit leben müssen, auf dieses Denkmal. Dieses Denkmal mit seiner besonderen Ästhetik kann auch Mut machen: Mut zur Freiheit, Mut zu Werten, Mut zur Demokratie. Wenn dieses Signal von diesem Denkmal, von diesem Symbol in Berlin ausgeht, dann haben wir viel erreicht. Die Geschichte hat für unser Land am 9. November 1989 nach bitteren Stunden einen guten und glücklichen Ausgang genommen. Diesen wollen wir in dieses Denkmal übersetzen, und davon lassen wir uns von kleinteiligen Anträgen nicht abhalten. Ich bitte, dass wir dieses Denkmal an diesem Standort mit diesem Wettbewerb bauen. Das sind wir uns schuldig. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell ist die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/5531 an den Ausschuss für Kultur und Medien vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Bettina Hagedorn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003545

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Bundesregierung bringt heute einen weiteren Gesetzentwurf ein. Wir haben ja schon eine Reihe von Gesetzen, die für die Menschen und Kommunen viel Gutes bedeuten, in zweiter und dritter Lesung diese Woche beschlossen. Heute diskutieren wir über einen weiteren wichtigen Gesetzentwurf in erster Lesung; denn wir alle wissen, dass die Länder und Kommunen 2015, in dem Jahr, als die Flüchtlinge in großer Zahl zu uns nach Deutschland kamen, mit dem Bund Verabredungen getroffen haben, damit Länder, Kommunen und der Bund gemeinsam diese große und verantwortungsvolle Aufgabe schultern können, von der wir alle wollen, dass sie gelingt. Diese Regelungen, die damals in sogenannten Kamingesprächen getroffen wurden, laufen aus. Viele von uns werden sich noch daran erinnern, als alle Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten und die Kanzlerin zusammensaßen und weitreichende, milliardenschwere Verabredungen getroffen haben, und zwar einvernehmlich. Es geht jetzt darum, dass es am 18. September dieses Jahres erneut eine Verabredung zwischen den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten und der Bundesregierung gegeben hat, wie man nun mit dieser Situation umgeht. Dabei ist verabredet worden, zunächst einmal in 2019 alles so fortzuführen, um den Ländern und Kommunen die finanzielle Sicherheit zu geben, um in das Jahr 2019 zu starten und alles solide abfinanzieren zu können. Aber damit ist es nicht getan, liebe Kolleginnen und Kollegen – das ist wichtig –, der Bund ist den Ländern und Kommunen erneut weiter entgegengekommen. Wir haben 2015 ein bestimmtes Prozedere beschlossen. Das heißt, es gab Geld für Integrationsleistungen, Unterbringung usw., die der Bund geschultert hat, und es wurde gesagt, es gibt Abschläge. Diese werden spitz abgerechnet, wie wir das so schön sagen. Und diese Spitzabrechnung steht jetzt ins Haus; sie wird sich mit den Abschlägen für 2019 auf eine gewaltige Summe addieren. Diese will ich kurz vortragen. Bei der Spitzabrechnung wird über Umsatzsteuerpunkte abgerechnet, das ist so verabredet worden. Die Spitzabrechnung führt dazu, dass etwa 1,6 Milliarden Euro für die Zeit bis Ende 2018 und 482 Millionen Euro für 2019 zusätzlich gezahlt werden. Die Übernahme der Integrationspauschale, die berühmten 670 Euro im Monat für Asylbewerber, die sich im Verfahren befinden, wird fortgesetzt. Auch da gibt es eine einmalige Erhöhung um 435 Millionen Euro für 2019, die maßgeblich die Kosten der Kinderbetreuung decken und für Investitionen verwendet werden sollen. Die KdU – die Kosten der Unterkunft – übernimmt der Bund ohnehin zu 100 Prozent und wird das auch 2019 tun. Das alleine sind 1,8 Milliarden Euro. Weil wir wissen, dass der Wohnungsbau so ein großes Problem ist – nicht nur wegen der Flüchtlinge, sondern für alle Menschen in Deutschland –, haben wir für 2019 zusätzliche Mittel in Höhe von 500 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau verabredet. Das alles addiert sich bis 2020 auf die gewaltige Summe von 16 Milliarden Euro, mit der wir Länder und Kommunen entlasten. In diesem Sinne bitte ich Sie alle um Ihre Unterstützung. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Franziska Gminder, AfD. ({0})

Franziska Gminder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004728, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Abgeordnete! Liebe Gäste! Frau Staatssekretärin, vielen Dank für Ihren Vortrag. Ich bin jetzt überschüttet worden mit einer ganzen Fülle von Zahlen, die mir vorher nicht vorgelegen haben. Das müsste ich jetzt eigentlich in meinem Vortrag einbauen; ich werde versuchen, das Beste daraus zu machen. Mir geht es um den Fonds „Deutsche Einheit“, das Sondervermögen zur Sanierung der fünf neuen Länder nach der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes. Dies wurde unter anderem über die Verteilung der Umsatzsteuer geregelt. Nach der Tilgung bis Ende 2018 verzichtet der Bund mit diesem Gesetzentwurf auf Umsatzsteuereinnahmen zugunsten der Länder und Kommunen bzw. gibt diese zurück. Für den Bund bedeutet das 2019 rund 6,1 Milliarden Euro und danach jährlich circa 2,2 Milliarden Euro Mindereinnahmen. Damit entlastet der Bund die Länder über die Umsatzsteuerverteilung, um sich an den Kosten der Integration der Flüchtlinge zu beteiligen. Dies soll mit diesem Entwurf um ein Jahr verlängert werden. Das Volumen wurde genannt: 3,7 Milliarden Euro. Hauptanlass für das Gesetz ist die absehbare Abfinanzierung des Fonds „Deutsche Einheit“. Das finden wir gut und richtig. Schuldentilgung ist immer der richtige Weg. Die finanzielle Entlastung der Länder und Kommunen bei der Integration von Flüchtlingen ist das Hauptproblem. Wir als AfD fordern, die fortgesetzte Beteiligung des Bundes an den Integrations- und Betreuungskosten der Länder und Gemeinden zu beenden. ({0}) Zur Finanzierung schlage ich eine Anhebung der 15-prozentigen Beteiligung der Kommunen am Lohn- und Einkommensteueraufkommen des Bundes auf 20 Prozent vor. ({1}) Das wäre eine Lösung. Zusätzlich hat die AfD vorgeschlagen, auch den Investitions- und Tilgungsfonds abzufinanzieren, und zwar durch eine Auflösung der Asylrücklage, die sage und schreibe über 30 Milliarden Euro beträgt. Die Gemeinden, die die Hauptlasten der Flüchtlingskrise zu tragen haben, werden am wenigsten entlastet: nur um 2,3 Milliarden Euro in 2019, danach gar nicht mehr. Die AfD vertritt generell das Subsidiaritätsprinzip. Die kleinste Einheit, also hier die Kommunen, die die Hauptlast der Kosten für die Flüchtlinge tragen, müssten daher den Löwenanteil aus der Auflösung des Sondervermögens erhalten. Die Alimentierung der Flüchtlinge im Inland ist der falsche Weg. Die richtige Lösung wäre: Remigration der nicht aufenthaltsberechtigten Migranten, eine Grenzschließung Deutschlands und die Nichtunterzeichnung des unsäglichen Global Compact for Migration. ({2}) Alle reden über Fluchtursachenbekämpfung. Die größte Fluchtursache und Anziehungskraft sind die Sozialleistungen und die Rundum-Sorglos-Pakete, ({3}) die hierzulande für Migranten bereitgehalten werden, insbesondere die Wahlleistungen für Migranten, die endlich in Sachleistungen umgewandelt werden müssen. ({4}) Zum großen Teil werden diese Wahlleistungen ins Ausland überwiesen. Viele Staaten sind darüber glücklich.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Gminder!

Franziska Gminder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004728, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich komme zum Schluss.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ja, ich bitte darum.

Franziska Gminder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004728, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Die Gesamtkosten der Flüchtlingsbetreuung belaufen sich auf unglaubliche 20 Milliarden Euro pro Jahr, vor allem für den Bund. Zum Vergleich: Im Haushalt 2019 sollen für Bildung und Forschung rund 18 Milliarden Euro ausgegeben werden; für Gesundheit werden es nur 15,8 Milliarden Euro sein. Was könnte man mit diesem gigantischen Betrag von 20 Milliarden Euro in den Heimatländern der Flüchtlinge Positives erzielen? Die AfD sieht darin den besseren Wert. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Klaus-Dieter Gröhler, CDU/CSU. ({0})

Klaus Dieter Gröhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste auf der Tribüne! Schön, dass Sie am Freitagnachmittag die Arbeit des Parlaments live verfolgen. Wir beginnen gerade mit der Beratung eines eher untypischen Gesetzes. Wieso ist es untypisch? Normalerweise gelten Gesetze ja für Bürgerinnen und Bürger. Die Gesetze bringen neue Belastungen oder Entlastungen, wobei die von CDU und CSU geführte Koalition sich auf die Fahne geschrieben hat, möglichst viele Entlastungen für die Bürger herbeizuführen. Oder aber: Gesetze regeln die Lebensverhältnisse neu. Gestern zum Beispiel, meine Damen und Herren, haben wir mit dem Familienentlastungsgesetz erhebliche Vergünstigungen für Familien beschlossen, mit dem neuen Rentengesetz die Altersversorgung stabilisiert und erhöht, und mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz haben wir heute dafür gesorgt, dass sich die Situation der Pflegekräfte und der zu pflegenden Menschen erheblich verbessern wird. Ich darf an der Stelle einmal feststellen, dass sich gerade eine erfolgreiche Gesetzgebungswoche dem Ende zuneigt. Der Gesetzentwurf, der nun zur Debatte steht, regelt nichts für Bürgerinnen und Bürger, sondern er regelt die Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Bundesländern. Gleichwohl kann dieser Gesetzentwurf erhebliche Auswirkungen für die Menschen vor Ort haben. Warum ist das so? Weil der Bund den Ländern durch unterschiedliche Maßnahmen finanziell erheblich entgegenkommt und damit auch die finanzielle Situation der Kommunen, der Städte und Gemeinden, also dort, wo die Menschen den Staat tagtäglich erleben, deutlich verbessern kann. Damit erfüllen wir die Zusagen des Bundes gegenüber den Ländern und erhöhen ihre finanziellen Spielräume erheblich. Insofern ist die Überschrift des Tagesordnungspunktes eigentlich ein Stück weit verwirrend; denn die Frage der Integrationskosten ist nur ein ganz kleiner Teil dieses Gesetzespakets. Aber das haben nicht alle im Haus verstanden. Wir entlasten die Länder, meine Damen und Herren, in einer Situation, in der die Länderhaushalte aktuell deutliche Überschüsse aufweisen. Allein in den ersten drei Quartalen des Jahres 2018 haben die Länder fast 20 Milliarden Euro Überschuss erwirtschaftet. Das sind 7 Milliarden Euro mehr als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Das gilt sowohl für die Länder im Osten als auch im Westen, sowohl für die Stadtstaaten als auch für die Flächenländer. Die Steuereinnahmen der Länder steigen erheblich; insgesamt wachsen die Ländereinnahmen um fast 5 Prozent, die Ausgaben steigen allerdings nur um 2,3 Prozent. Anfang des nächsten Jahrzehnts werden die Länder erstmalig mehr Steuereinnahmen verbuchen können als der Bund. Durch die verschiedenen Rechtsänderungen, die mit dem Gesetzentwurf verbunden sind, verzichtet der Bund im Jahre 2019 auf 6 Milliarden Euro Steuereinnahmen, und ab 2020 verzichtet er jeweils auf rund 2,2 Milliarden Euro. Mit diesem Verzicht verbinden wir allerdings auch eine Erwartung, meine Damen und Herren, nämlich die finanzielle Absicherung der Pflichtaufgaben der Länder und eine deutliche Verbesserung der Finanzausstattung der Kommunen. ({0}) Dabei ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass das ja nicht die erste Entlastung ist, die wir vorgenommen haben. Der eine oder andere kann sich vielleicht noch an die BAföG-Entlastung erinnern, die dazu führen sollte, dass die Länder mehr Geld für die Universitäten zur Verfügung stellen, was damals leider nicht ganz so gut geklappt hat. Ich will hier aber keine Länderschelte machen; ({1}) aber eines muss klar sein: Die erheblichen Aufwüchse, die die Länder aktuell zu verzeichnen haben und die durch die Umsetzung dieses Gesetzentwurfs noch größer werden, müssen zur Verbesserung der Lebenssituation der Bürgerinnen und Bürger vor Ort führen. Wir wollen uns eben nicht damit abfinden, meine Damen und Herren, dass Schwimmbäder und Sportplätze wegen mangelnder Sanierung geschlossen sind, Toiletten und Fachräume in Schulen marode sind, Stadteilbibliotheken und Seniorentreffs finanziell austrocknen und das verrostete Rolltor am Feuerwehrgerätehaus nicht mehr geöffnet werden kann. Diese Koalition, meine Damen und Herren, erweist sich so länderfreundlich wie keine andere zuvor. Ich glaube, wir dürfen deshalb auch mit Recht erwarten, dass die Länder das Geld zweck- und zielgerichtet einsetzen. In dem Gesetzespaket, das nun zur Beratung in den Ausschüssen ansteht, ist auch eine Leistung an die Länder enthalten, für die das im besonderen Maße gilt: Die Mittel des Bundes zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus werden nämlich um 500 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro erhöht. Diese von der Union geführte Koalition ist der Auffassung, dass die aktuell wichtigste soziale Frage die ausreichende Versorgung mit Wohnraum zu bezahlbaren Preisen ist. Und weil wir von der CDU/CSU uns darüber klar sind, dass die Stärkung von Mieterrechten und die Mietpreisbremse zwar wichtige Instrumente sind, aber der Neubau die entscheidende Antwort ist, um auf die gestiegenen Bedürfnissen nach Wohnraum entsprechend zu reagieren, wollen wir, dass gebaut wird. Deshalb gibt es jetzt das Baukindergeld, die steuerliche Absetzbarkeit der Schaffung neuen Wohnraums, den Einstieg des Bundes in den eigenen Wohnungsbau für Bundesbedienstete und schließlich die Erhöhung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau. Auch hier gilt, meine Damen und Herren, dass wir an die Länder die deutliche Erwartung haben, dass dieses Geld tatsächlich für diesen Zweck ausgegeben wird und nicht für andere, zweckfremde Aufgaben verwendet wird, wie es leider in der Vergangenheit, insbesondere in Berlin, öfter passiert ist. In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratungen und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Linda Teuteberg, FDP, ist die nächste Rednerin. ({0})

Linda Teuteberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004913, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland hat in den vergangenen Jahren in kurzer Zeit einen Zuzug von Migranten erlebt wie noch nie zuvor in der Geschichte der Republik. Und auch wenn die Zahlen rückläufig sind, stehen wir doch bei einer wirksamen Integration und der Bewältigung der Folgen dieser Entwicklung noch ganz am Anfang. Es geht um die Integration Hunderttausender Menschen, die für längere Zeit oder für ihr ganzes Leben bei uns zu Hause sein werden. Die größte und unmittelbare Verantwortung für die Bewältigung dieser Herkulesaufgabe liegt bei unseren Ländern und Kommunen. Unsere Städte und Gemeinden und die Bundesländer dabei zu entlasten, ist unsere Pflicht und Schuldigkeit. Doch der Weg, den die Bundesregierung wählt, um dieses Ziel zu erreichen, ist ein Holzweg. ({0}) In den Jahren der Krise mag es richtig und pragmatisch gewesen sein, den finanziellen Ausgleich über eine höhere Umsatzsteuerbeteiligung zu erreichen. Im Jahr 2018 mit einer inzwischen auf mindestens 24 Milliarden Euro angewachsenen Flüchtlingsrücklage im Rücken ist die von der Koalition heute vorgeschlagene Verlängerung dieser Regelung aber eine Frechheit. ({1}) Deutlicher können Sie nicht zeigen, dass diese Rücklage keinem sachlichen Zweck dient, sondern dass Sie hier Milliarden in einem Schattenhaushalt parken. Was Sie hier machen, ist, um es noch höflich zu sagen, haushälterisch unsauber und unredlich. ({2}) Nicht nur haushaltspolitisch liegen Sie damit daneben, auch sachpolitisch lässt Ihre Arbeit mehr als zu wünschen übrig; denn es werden zwar vom Bund, von den Ländern und Kommunen Milliarden für die Integration ausgegeben, aber ein tragfähiges Konzept, wie wir in Deutschland gelingende Integration gestalten können, gibt es nach wie vor nicht. Das gibt es nicht beim Bund, der eine nachhaltige, kulturelle und soziale Integration überhaupt nicht im Blick hat, und das gibt es noch viel weniger im föderalen Dreieck zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Die Bundesregierung spielt hier nur den Geldgeber, aber ansonsten keine Rolle. So wird Integration in Deutschland nicht gelingen, meine Damen und Herren. Wir brauchen endlich einen Integrationsgipfel von Bund, Ländern und Kommunen, damit sich alle föderalen Ebenen auf Ziele, Maßnahmen und die Finanzierung eines tragfähigen Integrationskonzeptes verständigen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Kerstin Kassner, Fraktion Die Linke, ist die nächste Rednerin. ({0})

Kerstin Kassner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004324, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Leistungen der Kommunen sind ohne Zweifel ein starker Faktor unserer Demokratie. In den Städten und Dörfern findet unser tägliches Leben statt; hier werden Lösungen für aktuelle Probleme gefunden. Auf die Frage im Zusammenhang mit den Geflüchteten wurden und werden unkonventionelle und kreative Antworten gegeben, von der Verwaltung in den einzelnen Orten, aber auch durch ein ganz starkes ehrenamtliches Engagement. Und dafür muss man an dieser Stelle noch einmal herzlich Danke sagen. ({0}) Aber auch hier gilt: Ohne Moos nix los. Dafür brauchen die Kommunen eine angemessene finanzielle Ausstattung. Die Bundesregierung will, dass sich der Bund auch im kommenden Jahr an den Integrationskosten beteiligt. So weit, so gut. Das reicht allerdings nicht aus. Es handelt sich hierbei um eine gesamtstaatliche Aufgabe, und daher bleiben wir bei unserer Forderung, dass der Bund die Hälfte der Integrationskosten tragen sollte. Außerdem sollten die finanziellen Hilfen für die Kommunen zur Integration von Geflüchteten unbefristet gewährt werden. Die Integration ist eine langfristige Aufgabe. Sie endet nicht einfach im Jahre 2019. Ich möchte, auch um einer rechten Legendenbildung entgegenzuwirken, darauf hinweisen, dass die Situation der Kommunen bereits vor 2015 sehr angespannt war. Das habe ich in meiner Zeit als Landrätin oft genug sehr schmerzhaft spüren müssen. Über viele Jahre und Jahrzehnte hat sich ein gewaltiger Investitionsstau angehäuft. Nach dem Kommunalpanel der Kreditanstalt für Wiederaufbau wird der Investitionsrückstand inzwischen auf 159 Milliarden Euro beziffert, eine grandiose Zahl, eine gewaltige Aufgabe, die sehr viel umfasst: Bildung, kommunale Infrastruktur usw. All das brauchen wir. Der Aufgabenkreis der Kommunen ist in der Vergangenheit immer mehr erweitert worden – ich erinnere nur an Hartz IV –, ohne dass ihnen ausreichende Mittel für die Erfüllung der Aufgaben zugestanden wurden. Das ist das Grundproblem des Gesetzes. Es ändert nichts am chronischen Finanzmangel der Kommunen. Vielmehr wird die Politik der kurzfristigen Mittelzuweisungen fortgesetzt. Die Kommunen brauchen aber Planungssicherheit, da sie nur über eine stabile Einnahmesituation die geforderten Aufgaben dauerhaft gut erfüllen können. Ich weiß, liebe Koalitionäre: Sie denken, mit der Gewährung dieser Zuweisung würden Sie kommunalfreundliche Politik machen. ({1}) Aber nein: Nur dann, wenn wirklich eine konsequente Einhaltung des Konnexitätsprinzips erreicht würde, wäre Ihre Politik kommunalfreundlich. ({2}) Die Kommunen dürfen weder bei den Integrationskosten noch bei der Erfüllung anderer Aufgaben vom gönnerhaften Wohlwollen des Bundes abhängig sein. Kommunale Selbstverwaltung ist gelebte Demokratie. Daran sollten wir besonders an einem 9. November hier gemeinsam denken. Vielen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Stefan Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen, ist der nächste Redner. ({0})

Stefan Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004877, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor einigen Wochen kam die Meldung, dass die Koalition Länder und Kommunen bei der Integration entlasten will. Aber weit gefehlt: Denn kurz darauf folgte auch schon das Dementi aus dem Finanzministerium, dass es hier nicht um zusätzliche Mittel geht. Nein, es werden lediglich Maßnahmen fortgeführt, die es schon gibt. Wir finden es gut, dass die Mittel weiter fließen, und wir finden es auch gut, dass der Beitrag der westdeutschen Kommunen zum Fonds „Deutsche Einheit“ jetzt ausläuft. Aber eine Überraschung ist das nicht. Im Koalitionsvertrag sind 8 Milliarden Euro vereinbart, um kommunale und Landesprogramme fortzuführen. Eine Überraschung wäre es, wenn Sie die Finanzverfassung neu aufstellen und verlässlich ausgestalten würden. Aber Sie begnügen sich auch hier wieder einmal mit Klein-Klein. Nur weitermachen wie bisher reicht aber nicht. ({0}) Mit der Versorgung von geduldeten Menschen sind Städte und Gemeinden im Moment vollkommen alleingelassen, und von den zusätzlichen Mitteln für die Kosten der Unterkunft für anerkannte Asylberechtigte profitieren vor allem wirtschaftsstarke Kommunen. Aber was ist mit den finanzschwachen Kommunen? Ihre Vorlage gleicht hier wieder einem Tropfen auf den heißen Stein. Bitte reden Sie sich jetzt nicht damit heraus, dass es ja Länderaufgabe ist, die Kommunen finanziell auszustatten. ({1}) Das Grundgesetz verpflichtet Sie und uns alle dazu, für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen. Wir haben in dieser Woche ja in aller Klarheit darüber diskutiert. Für mich war das auch mehr als nur eine Orientierungsdebatte. Zu den zusätzlichen 500 Millionen Euro für die soziale Wohnraumförderung. Mal ganz ehrlich: Zusätzlich ist da gar nichts. Das ist Augenwischerei. Sie setzen lediglich das um, was ohnehin schon beschlossen war. Wenn Sie tatsächlich etwas zusätzlich machen wollen, dann stocken Sie doch die Mittel auf 2 Milliarden Euro auf und führen Sie eine neue Wohngemeinnützigkeit ein. So können Sie mehr sozialen Wohnraum schaffen. ({2}) Ich würde mir wünschen, mal so richtig positiv von Ihnen überrascht zu werden, und zwar dadurch, dass Sie die Probleme einmal strukturell angehen würden, statt dann Geld nachzuschießen, wenn es nicht mehr anders geht. Gestalten Sie die Mittel in Sachen Flucht und Integration dauerhaft aus. Tun Sie etwas gegen den Investitionsstau. Helfen Sie den Kommunen, Fördermittel auch abzurufen und der demografischen Entwicklung in den Städten und im ländlichen Raum zu begegnen. Unterstützen Sie sie dabei, Altschulden abzubauen. Entlasten Sie bei den steigenden Sozialkosten. Kurzum: Machen Sie ein Gesamtpaket anstelle solcher zeitlich befristeter Trostpflaster. ({3}) Dann nämlich entlasten Sie die Kommunen tatsächlich, und dann gibt es hinterher auch nichts mehr zu dementieren. Vielen Dank. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort Martin Gerster, SPD. ({0})

Martin Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003758, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bei dem heute vorliegenden Gesetzentwurf geht es unter anderem darum, Länder und Kommunen beim Thema Integration nicht alleinzulassen. Das gilt insbesondere bei der wichtigen Frage der Finanzierung. Grundsätzlich könnte es sich der Bund, könnten wir es uns hier im Deutschen Bundestag ja recht einfach machen, auf das Grundgesetz verweisen und sagen: Wir als Bund machen unsere Hausaufgaben, tun und finanzieren das, wofür wir zuständig sind, kümmern uns also um die Bekämpfung von Fluchtursachen, kümmern uns um Grundsicherung, um Integrationskurse, und Länder und Kommunen sind für die Aufnahme und Betreuung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern zuständig. Punkt, aus! Aber, werte Kolleginnen und Kollegen, mit knapp 900 000 eingereisten Schutzsuchenden allein im Jahr 2015 handelte es sich damals eben um eine zweifelsohne außergewöhnliche Situation. Ich finde, es war vollkommen richtig, dass wir bereits im Jahr 2016 eine besondere Entlastung von Ländern und Kommunen beschlossen haben und diese jetzt um ein weiteres Jahr verlängern. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir bekennen uns damit erneut zu unserer gemeinsamen Verantwortung für eine nachhaltige Bewältigung der Folgen des erhöhten Flüchtlingszugangs im Jahr 2015. Nicht zuletzt aufgrund dieser erheblichen Unterstützung durch den Bund hat sich ja auch die Finanzsituation in den Länderhaushalten äußerst positiv entwickelt. Das belegen die Zahlen der Länderhaushalte. Der Kollege Klaus-Dieter Gröhler hat ja bereits darauf hingewiesen: 2016  6,2 Milliarden Euro Plus, 2017  12,4 Milliarden Euro Plus und für 2018 – nach dem aktuellen Monatsbericht des Bundesfinanzministeriums sieht es ja nicht schlecht aus – 19,6 Milliarden Euro Plus. Werter Kollege Schmidt, ich komme da schon zu einem anderen Ergebnis. Ich glaube, man kann nicht behaupten, dass wir Länder und Kommunen vollkommen alleingelassen haben, wie Sie es gerade dargestellt haben. Ich denke, wir haben da eine gute Lösung gefunden. Wir von der SPD-Fraktion finden, dass wir diese Finanzierungsanteile des Bundes auch bis ins Jahr 2019 verlängern sollten. ({1}) Im Übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen, erschöpft sich der Beitrag des Bundes beim Thema Integration ja nicht darin. Wir hatten ja erst gestern und heute Nacht die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses des Bundestages. Da haben wir ja noch mal deutlich draufgelegt, beispielsweise beim Thema Integrationskurse plus 52 Millionen Euro oder auch bei der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer plus 18,5 Millionen Euro, damit vor Ort die Betreuung und die Begleitung der Zugewanderten gut funktionieren. Denn die Frage, ob Integration gelingt oder nicht, entscheidet sich nicht nur, aber vor allem vor Ort. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Alois Rainer, CDU/CSU. ({0})

Alois Rainer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004384, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommt der Bund seiner nationalen Verantwortung für die Länder und Kommunen in besonderer Weise nach. In den zurückliegenden Jahren stand unser Land vor großen Herausforderungen. Diese Herausforderungen konnten wir nur gemeinsam dank der guten wirtschaftlichen Situation, aber vor allem dank der vielen unterstützenden Menschen in unserem Land, die ehrenamtlich tätig waren, meistern. Gemeinsam trugen alle dazu bei, dass wir diese gesamtstaatliche Herkulesaufgabe, die Bewältigung der Flüchtlingssituation, in Deutschland stemmen konnten. Und ich weiß, was die Menschen bei uns in Bayern und in den anderen Bundesländern, im gesamten Bundesgebiet geleistet haben. Deswegen war und ist es auch richtig, dass der Bund seine unterstützende Aufgabe wahrgenommen hat und auch weiterhin wahrnimmt. An den flüchtlingsbezogenen Kosten von Ländern und Gemeinden wird sich der Bund um ein weiteres Jahr beteiligen. ({0}) Die Fortsetzung der Flüchtlingsfinanzierung entspricht dem Koalitionsvertrag bis auf den einmaligen Betrag in Höhe von 435 Millionen Euro für flüchtlingsbezogene Kinderbetreuungskosten. Über die Änderung des Finanzausgleichsgesetzes verzichtet der Bund in den kommenden Jahren auf folgende Einnahmen aus der Umsatzsteuer: Im Jahr 2018 sind es rund 1,6 Milliarden Euro, im Jahr 2019 rund 6,1 Milliarden Euro und im Jahr 2020 ff. jeweils circa 2,2 Milliarden Euro. Das BMF und auch wir Haushälter haben hierfür entsprechende Vorsorge getroffen. Ein weiteres Thema in diesem Artikelgesetz – das ist vor allem für die Kommunen erfreulich – ist, dass die fiktive Restschuld des Fonds „Deutsche Einheit“ zum Jahresende vollständig getilgt sein wird. Damit entfällt der Länderanteil an der Umsatzsteuer dauerhaft ab 2019. Den Kommunen möchte ich auch hier ein großes Dankeschön aussprechen. Ich durfte in dieser Zeit auch als Bürgermeister tätig sein. Es kam in Gesprächen mit Vertretern westdeutscher Kommunen immer die Frage auf: Wie lange müssen wir noch für den Fonds „Deutsche Einheit“ zahlen? – Jetzt ist es so weit. Wir können dies abschließen. Dieser wichtigen solidarischen Leistung der westdeutschen Kommunen gebührt mein besonderer Dank. ({1}) Wie gesagt: Mit der Abfinanzierung entfällt die Grundlage für die Mitfinanzierung der westdeutschen Kommunen. Diese Kommunen werden im Jahr um circa 500 Millionen Euro entlastet. Weitere 500 Millionen Euro pro Jahr erhalten die Länder zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus durch die Änderung des Entflechtungsgesetzes, sodass wir jetzt 1,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stellen. Ich hoffe, diese 1,5 Milliarden Euro werden auch in Anspruch genommen. So selbstverständlich ist das nämlich auch nicht. Wir können gerne einmal über eine Erhöhung diskutieren, aber entsprechende Initiativen müssen auch von den Ländern kommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch eines sagen: Es wurde viel über die Kommunen gesprochen, denen es angeblich so schlecht gehen sollte. Es mag vielleicht die eine oder andere Kommune in unserem Land geben, die in arger finanzieller Bedrängnis ist, auch bei mir im Wahlkreis an der Grenze zur Tschechischen Republik. Aber eines steht auf alle Fälle fest: In erster Linie sind die Länder zuständig. Außerdem gilt: Diese unionsgeführte Bundesregierung, gebildet seit 2013 zusammen mit der SPD im Rahmen der Großen Koalition, ist die kommunalfreundlichste Bundesregierung, die wir jemals gehabt haben. Auch dies muss in diesem Haus gesagt werden. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Rainer, mit diesem Lob auf die Bundesregierung ist Ihre Redezeit erschöpft. ({0})

Alois Rainer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004384, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende. Danke. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf der Drucksache 19/5465 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Jörg Cezanne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004693, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor ziemlich genau zehn Jahren hatte der Bundestag in einer Nacht-und-Nebel-Aktion riesige Summen, dreistellige Milliardenbeträge, zur Rettung angeschlagener Banken in der Finanzkrise bereitgestellt. Ein Element, um zu verhindern, dass sich so etwas wiederholt, war der Vorschlag, eine Steuer auf Finanzgeschäfte einzuführen. Damit sollte zum einen der Finanzsektor an den Krisenkosten beteiligt werden – und nicht nur die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler –, zum anderen geht es darum, Finanzgeschäfte, die, verkürzt dargestellt, nur riskante Wetten auf die Preise von Unternehmen, Wohnungen oder gar Lebensmittel sind, zu erschweren. Eine solche Steuer ist auch heute noch notwendig. ({0}) Seit 2012 gibt es dazu auch einen klaren Beschluss. SPD und Grüne hatten damals ihre Zustimmung zum Fiskalvertrag, mit dem die sogenannte Schuldenbremse in den EU-Mitgliedstaaten eingeführt wurde, an die Einführung einer Finanztransaktionsteuer geknüpft. Diese sollte möglichst alle Finanzinstrumente umfassen, also neben Aktien auch Anleihen, Devisen und vor allem Derivate. Die EU-Kommission hat 2011 das Aufkommen einer solchen Steuer auf 55 Milliarden Euro im Jahr geschätzt. Für den Fall, dass das jetzt seit sechs Jahren laufende Verfahren der Verstärkten Zusammenarbeit nicht zu einem Erfolg kommt, war ausdrücklich die Einführung der Finanztransaktionsteuer durch weniger Staaten im Rahmen einer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit vereinbart. Die Bundesregierung hat diese Vereinbarung bisher nicht erfüllt. Auf die Schwierigkeiten bei den Gesprächen in der Verstärkten Zusammenarbeit hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz im Juni dieses Jahres mit einem neuen Vorschlag reagiert. Im Schulterschluss mit dem französischen Präsidenten und Ex-Banker Macron will er sich nun die britische Aktiensteuer zum Vorbild nehmen und in der gesamten EU einführen. All jene Geschäfte, die besonders von professionellen Spekulanten genutzt werden, wären damit außen vor. Diese Scholz-Steuer hätte man schon vor Jahren ohne jegliche Verhandlung mit anderen Staaten einführen können. Das Aufkommen läge bei mageren 5 Milliarden Euro im Jahr. Mit diesem Vorschlag von Scholz würde das Ergebnis jahrelanger Verhandlungen zunichte gemacht. Der Vorschlag der EU-Kommission für eine umfassende Finanztransaktionsteuer ist viel cleverer. Er nimmt das Sitzland der Transaktionsteuer zum Ausgangspunkt, lässt sich daher auch auf Derivate problemlos anwenden, und die Steuer ist damit kaum zu umgehen. Durch die neuen Melde- und Kooperationsabkommen, die es in den letzten Jahren gegeben hat, ist es viel leichter geworden, Steueransprüche weltweit durchzusetzen. Darauf kann man eine umfassende Steuer aufbauen, sowohl mit europäischen Partnerländern, aber notfalls auch im Alleingang. Meine Damen und Herren, es wäre natürlich am besten, wenn eine umfassende Steuer im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit noch vereinbart werden könnte. Wenn das aber nicht möglich sein sollte, dann sollte Deutschland mit einer umfassenden Finanztransaktionsteuer vorangehen. Partner dafür sollten dann in der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit gesucht werden. Danke schön. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Thomas de Maizière, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Thomas Maizière (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004105, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir eine Finanztransaktionsteuer einführen wollen und dass wir sie auch in dieser Legislaturperiode zum Abschluss bringen wollen. Wir wollen damit die Finanzbranche stärker in die Pflicht nehmen, auch ihren Beitrag zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben zu leisten. Wir wollen auch riskante Spekulationsgeschäfte damit etwas dämpfen. Wir wollen aber nicht, Kollegen von den Linken, dass Bürger und Investoren wegen der Finanztransaktionsteuer weniger in deutsche Aktien investieren. Wir wollen nicht, dass die private Altersvorsorge geschwächt wird. Wir wollen auch nicht, dass unsere Börsenstandorte wie etwa der Standort Frankfurt am Main geschwächt werden. ({0}) Es muss einen Unterschied machen, ob man das Handeln am Finanzmarkt ohne reinen Gewinn betreibt oder im Interesse der Absicherung der eigenen Altersvorsorge. Deswegen fordern wir – dazu haben Sie nichts gesagt – Ausnahmen von der Steuerpflicht für staatlich geförderte Altersvorsorgemaßnahmen. Es gibt noch viele andere Fragen: Ab welcher Summe soll der Aktienhandel steuerpflichtig werden? Wie hoch soll der Steuersatz sein? Welche Effekte hat der kommende Brexit? Das alles gilt es einzubeziehen in die Gespräche mit den Partnern, mit denen wir die Finanztransaktionsteuer einführen wollen. Nun fordern Sie – und das ist der eigentliche Witz Ihres Antrags – einen nationalen Alleingang, wenn eine zwischenstaatliche Einigung nicht gelingt. Diesem Punkt widerspreche ich vehement. Das wäre Unsinn. ({1}) Wir halten, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, an einer gemeinsamen Einführung einer solchen Steuer fest. Warum ist ein Alleingang Unsinn? Die Lösung kann nicht eine isolierte nationale Umsetzung sein. Sie ginge zulasten deutscher Standorte und deutscher Kunden. Ihr Vorschlag führte nur dazu, dass es keine wesentlichen Einnahmen geben würde. Wenn Sie 5 Milliarden Euro für zu wenig halten, dann können Sie doch nicht im Traum davon ausgehen, dass Sie im nationalen Alleingang auch nur 50 Millionen Euro einnehmen. Die Finanztransaktionen werden dann nur im Ausland stattfinden. Was Sie vorschlagen, nennt man im Fußball ein klassisches Eigentor. ({2}) Die Entwicklung des Finanzplatzes Frankfurt darf nicht durch die Einführung einer Finanztransaktionsteuer im Alleingang beeinträchtigt werden. Das gilt im Übrigen auch für potenzielle Neuansiedlungspläne im Zusammenhang mit dem Brexit. Ein nationaler Alleingang löst das Problem also nicht. Unser Vorschlag ist ein international abgestimmtes Verfahren, zumindest eines auf europäischer Ebene, mit wichtigen Partnern. Nur mit einem oder zwei hat das keinen Sinn. Diese Ansicht haben wir schon immer vertreten, und wir vertreten sie weiterhin. Der jetzige Präsident des Bundestages und vormalige Bundesfinanzminister hat in diesem Sinne verhandelt. Bundesminister Scholz hat kürzlich – Sie haben selber darauf hingewiesen – anhand eines französischen Modells Eckpunkte unterbreitet. ({3}) All das ist in der Prüfung. Ihr Antrag, vorschnell die Finanztransaktionsteuer notfalls auf nationalem Wege einzuführen, ist nicht zielführend, ist unnötig und liegt nicht im deutschen Interesse. Wir gehen allerdings davon aus – das sage ich in Richtung des Bundesfinanzministers – und erwarten mit Nachdruck, dass die Verhandlungen jetzt so vorangetrieben werden, dass wir bald zu einem Abschluss kommen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dr. Bruno Hollnagel, AfD, ist der nächste Redner. ({0})

Dr. Bruno Hollnagel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004760, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Finanztransaktionsteuer will die Linke eine neue Steuer einführen, als ob wir nicht genügend Steuern und Abgaben zu zahlen hätten. Mehr Steuern heißt: mehr Bevormundung, weniger freie Entscheidung. Wir wollen weniger Steuern und dafür mehr Freiheiten für die Bürger. ({0}) Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass der Bundestag verpflichtet sei, den Finanzsektor an den Kosten der Krise zu beteiligen. Wenn Sie damit meinen sollten, der Bankensektor sei per se schuld, dann täuschen Sie sich gewaltig. Wer ist denn der Schuldige? Schuld sind Staaten, die sich überschuldet haben. ({1}) – Vorher gab es schon viel zu viele Schulden. – Schuld ist eine Politik, die zuließ, dass der Ordnungsrahmen gesprengt wurde. Es war in den USA seit langem politische Absicht, auch weniger begüterten Familien die Möglichkeit zu bieten, ein Eigenheim zu kaufen. Deswegen wurde in den 1970er-Jahren der Community Reinvestment Act verabschiedet. Die Umsetzung erfolgte wesentlich durch Government-sponsored Enterprises. Zu ihnen zählten im Wesentlichen Fannie Mae und Freddie Mac. Sie gaben staatlich garantierte Anleihen heraus. Das Geld, das man damit eingenommen hatte, wurde genutzt, um das fehlende Eigenkapital zu ersetzen. Das Ergebnis war: Wenig vermögende Familien konnten sich ein Haus kaufen, ohne dafür haften zu müssen. Denn: Konnten oder wollten Hauseigentümer die Hypothekenzinsen nicht bezahlen, schickten sie den Schlüssel einfach an die Hypothekenbank zurück und die Sache war erledigt. Das Ergebnis war: Es haftete alleine die Immobilie. Damit war das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit durchbrochen. Meine Damen und Herren, wer die ökonomischen Gesetze missachtet, der muss sich nicht wundern, wenn er scheitert. ({2}) Und deswegen musste das Ganze scheitern. Wenn Sie also die Hauptschuldigen bestrafen wollen, dann sollten Sie die Politik bestrafen. In Deutschland hat die Politik dem Wachsen der Banken und dem Handel mit neuen und zweifelhaften Finanzprodukten praktisch tatenlos zugesehen. Die Politik sonnte sich sogar im Glanz der Banken. Denken Sie an Frau Merkel. Sie richtete auf Steuerzahlerkosten eine Geburtstagsparty für Josef Ackermann, einem Manager der Deutschen Bank, aus. ({3}) Die Politik sah zu, wie die Banken in Deutschland zu groß und zu komplex wurden, um scheitern zu können. Das war der große Fehler. Jetzt fordern Sie, dass die Bürger dafür zur Kasse gebeten werden sollen. Vermögensanlagen werden dadurch teurer, die private Altersvorsorge weniger rentabel, und Sie schwächen durch die Transaktionsteuer den Bankenplatz Deutschland und gefährden damit Arbeitsplätze. Zielgenau treffen Sie die Falschen. ({4}) Zusammenfassend ist zu sagen: Die Finanztransaktionsteuer schädigt die Wertpapiersparer und Investoren und schwächt den Bankenstandort Deutschland. Ihr Antrag ist abzulehnen. Danke schön. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Cansel Kiziltepe, SPD. ({0})

Cansel Kiziltepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004328, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Besuchertribünen! 1936: Die Idee einer Finanztransaktionsteuer erblickt zum ersten Mal das Licht der Welt. John Maynard Keynes bringt nach der großen, tiefgreifenden Weltwirtschaftskrise erstmals die Idee einer Verkehrssteuer auf alle Transaktionen ins Spiel, um Spekulationen einzudämmen. 1972: James ­Tobin greift diese Idee auf und macht einen Vorschlag zur Besteuerung von Devisengeschäften. Und in der Politik? In der Politik wird die Einführung der Finanztransaktionsteuer erst seit der Finanzkrise ernsthaft diskutiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines sage ich Ihnen: Sie ist längst überfällig. ({0}) Die Finanzkrise vor zehn Jahren hat uns deutlich gezeigt: Die Gewinne wollen die Banken und die Investoren gerne für sich haben, aber wenn sie tief im Sumpf stecken, dann soll doch bitte schön die Allgemeinheit für sie einspringen. Und die hat es auch gemacht, aber nicht aus Mitleid. Nein, die Finanzbranche drohte einfach alle anderen mit in den Abgrund zu reißen. Daraus müssen wir eine Lehre ziehen und endlich eine Finanztransaktionsteuer einführen. ({1}) Wir wollen mit der Einführung einer europäischen Finanztransaktionsteuer erreichen, dass die Finanzspekulationen, insbesondere im Hochfrequenzhandel, eingedämmt werden. Wir wollen aber auch, dass die Finanzbranche an den Kosten der Finanzkrise angemessen beteiligt wird. Damit diese Ziele auch wirklich erreicht werden, muss diese Steuer selbstverständlich in vielen Staaten – in so vielen Staaten wie möglich – eingeführt werden. Sie muss aber auch eine breite Bemessungsgrundlage haben, damit eine entsprechende Wirkung erzielt werden kann. Niedrige Steuersätze sollen dafür Sorge tragen, dass es nicht zu Liquiditätsengpässen kommt. Herr de Maizière, Sie können mir angesichts der Gewinne, die eingefahren werden, nicht erzählen, dass 0,01 Prozent, so wie es im Vorschlag der EU zur Richtlinie steht, eine zu hohe Belastung für die Finanzbranche wären. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, in Ihrem Antrag fordern Sie, der Einführung der Finanztransaktionsteuer eine hohe Priorität einzuräumen. Das tun wir auch, das ist richtig. Denn die Verhandlungen im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit von aktuell zehn Staaten stecken seit einem Jahr fest. Springt ein weiteres Land ab, ist es vorbei. Genau aus diesem Grund ist es wichtig, mit Nachdruck für die Einführung einer europäischen Finanztransaktionsteuer einzustehen und sie einzufordern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, an unserem Ziel als SPD-Fraktion, die Einführung einer umfassenden Finanztransaktionsteuer, hat sich nichts geändert. Doch um eine Lösung zu erreichen, benötigen wir auch die anderen Länder. Österreich hatte sich das auf die Fahnen geschrieben, wackelt aber mittlerweile. Es gilt nun, die verstärkte Zusammenarbeit wiederzubeleben, aber auch auf EU-Ebene Möglichkeiten zu suchen, um diese Steuer einzuführen. Es gibt mittlerweile Stimmen aus vielen Ländern Europas, auch im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit, die das Projekt infrage stellen, weil sie in erster Linie ihre eigenen Finanzhandelsplätze schützen und stärken möchten, statt sich endlich, wie seit 2011 vereinbart, konstruktiv an der Beendigung der Arbeiten im Rahmen dieser Zusammenarbeit zu beteiligen. Diese Gefahr müssen wir ernst nehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Im Antrag der Linken wird jetzt ein nationaler Alleingang vorgeschlagen. Wir von der SPD-Fraktion haben ihn auch gefordert. Priorität hat für uns aktuell aber die europäische Lösung. Wir arbeiten daran. Weil eine solche Lösung möglich ist, setzen wir alles daran, sie zu erreichen. Wir wollen, dass Finanzspekulation eingedämmt wird, und das geht mittlerweile im Rahmen der Globalisierung eben nur europäisch oder international. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als SPD kämpfen seit Jahren dafür, dass in Europa eine Finanztransaktionsteuer eingeführt wird. Deshalb haben wir auch dafür gekämpft, dass dieses Thema Eingang in den Koalitionsvertrag fand. Das haben wir geschafft. Die SPD-Fraktion wird auch weiter dafür streiten, dass Europa endlich eine Finanztransaktionsteuer bekommt. Vielen Dank. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frank Schäffler, FDP, ist der nächste Redner. ({0})

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muss eigentlich den Linken dankbar sein, dass sie dieses Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt haben. ({0}) Denn es zeigt, dass die Regierung hier ein totes Pferd reitet. Seit mindestens fünf Jahren wird auf europäischer Ebene über dieses Thema gesprochen, aber so richtig weitergekommen sind wir nicht. Was sind eigentlich die Gründe, weshalb man über dieses Thema spricht? Meine Vorrednerin hat gerade die Historie beschrieben und dabei James Tobin erwähnt. Er hat die sogenannte Tobin-Steuer, quasi die Devisentransaktionsteuer, erfunden, aber er hat sich später zumindest von seinen Fans, die ihm zugejubelt haben, ganz eindeutig distanziert. Er hat damals in einem „Spiegel“-Interview gesagt: … der meiste Applaus kommt von der falschen Seite. Sehen Sie, ich bin Ökonom und wie die meisten Ökonomen ein Anhänger des Freihandels. Ich befürworte außerdem den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank, die Welthandelsorganisation – all das, wogegen diese Bewegung anrennt. Die missbrauchen meinen Namen. Also, Sie werben mit Apologeten, die Sie gar nicht wirklich unterstützen. ({1}) Deshalb sollten Sie besser die Ursachen angehen. Die Ursachen haben weniger mit den hochspekulativen Dingen zu tun. Ich sage, sie sind eher ein Symptom der Krise. Die eigentliche Krise hängt damit zusammen, dass die Notenbanken auf dieser Welt über Jahrzehnte die Geldmenge massiv ausgeweitet haben und diese Geldmenge im Kern in die Vermögensgüterpreise bzw. in die Devisenmärkte geflossen ist und diese Volatilitäten ausgelöst hat. Ich will an dieser Stelle sagen: Das, was diese Regierung an Maßnahmen macht, hat mit dem, was ursprünglich diskutiert wurde, überhaupt nichts mehr zu tun. Das Scholz/LeMaire-Papier bezieht sich letztendlich nur noch auf Aktien, die in dem eigenen Land emittiert werden. Wenn wir das umsetzen, wird ein Länderfinanzausgleich zwischen den Ländern, in denen es keine größeren Aktiengesellschaften gibt, und denen, die solche Aktiengesellschaften haben, die Folge sein. Deshalb ist das, glaube ich, ein großer Irrglaube. ({2}) Abschließend will ich sagen: Diejenigen, die Sie treffen, sind die kleinen Sparer in diesem Land. ({3}) Union Investment – das ist nun nicht die Investmentgesellschaft des Großkapitals in diesem Land – hat ausgerechnet, dass diejenigen, die über 40 Jahre 100 Euro pro Monat sparen, am Ende 10 Prozent weniger an Ablaufleistung in einem Investmentfonds hätten. Das wäre die Folge einer FTT in Deutschland, wenn wir sie einführen würden. Ich glaube, diesen Irrweg sollten wir verlassen. Steigen wir endlich von diesem toten Pferd ab! Vielen Dank. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Lisa Paus, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste Rednerin. ({0})

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns im Jahr 2018, also zehn Jahre nach der Finanzkrise. Vor zehn Jahren waren sich eigentlich alle einig, dass der Finanzsektor aus dem Ruder gelaufen ist und dass er sich stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen hat. Das führte zur Idee der Einführung der Finanztransaktionsteuer. Damals war man sich einig. ({0}) Das war damals so richtig wie heute. Sechs Jahre ist es inzwischen her, dass nicht nur fraktionsübergreifend für die Einführung geworben wurde, vielmehr gab es sogar eine Vereinbarung von CDU, CSU, SPD, FDP, Grünen – und auch die Linken haben das unterstützt –, dass wir in Deutschland die Finanztransaktionsteuer einführen und im Zusammenhang mit dem Fiskalpakt verhandeln wollen. Es ist fünf Jahre her, dass begonnen wurde, ernsthaft zu verhandeln. Es ist eben nicht nichts passiert. Das zeigt gerade Ihre wunderbare, wirklich sehr gute Kleine Anfrage zu dem Thema. Seit fünf Jahren wird verhandelt, und auf Arbeitsebene ist im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit tatsächlich sehr viel erreicht worden. Ein Ergebnis vom 6. Mai 2014 ist: Die, die sich zusammengefunden hatten, haben sich auf eine schrittweise Einführung verständigt. In der ersten Stufe sollte es um Aktien und einige Derivate gehen. Und es wurde festgehalten, dass eine Beschränkung auf Aktien nicht sinnvoll ist, weil sonst die Umgehung der Besteuerung über Aktienderivate zu erwarten sei. Man hat sich verständigt, sie einzuführen. Im Januar 2015 hat man noch einmal bekräftigt: Die Finanztransaktionsteuer soll mit breitestmöglicher Bemessungsgrundlage und niedrigen Steuersätzen 2016 eingeführt werden. Im Dezember 2015 gab es eine noch stärkere Einigung, nämlich auf die konkrete Ausgestaltung sowohl bei der Aktienbesteuerung – das ging übrigens schon über das hinaus, was aktuell diskutiert wird – als auch im Bereich der Derivate. Das Ganze wurde dann, weil es eben bereits fertig war, in der Ratsarbeitsgruppe im Oktober 2016 allen 28 Mitgliedstaaten vorgestellt. Spätestens zu dem Zeitpunkt hätte man den Sack zuschnüren können und müssen. Es ist aber nicht passiert. Wir hatten damals einen Finanzminister Schäuble, der genau diesen Sack nicht zugemacht hat. Es gab daraufhin eine Pressemitteilung von Herrn Carsten Schneider von der SPD-Fraktion, ({1}) der das nicht in Ordnung fand. Darin hieß es: „Die SPD wird … nicht beim stillen Tod der Finanztransaktionssteuer assistieren.“ Er formulierte weiter, dass er sich dann lieber für die Einführung einer nationalen Steuer einsetzen werde. ({2}) Dann kam die Bundestagswahl, und im März hat Carsten Schneider für den Eintritt der SPD in die Große Koalition geworben und gesagt: Das Wichtigste ist, dass wir das Finanzministerium führen werden. Das ist zum Beispiel entscheidend, um die Finanztransaktionsteuer europaweit einzuführen. Das geht nur, wenn man mit Verve dahintersteht und so auch verhandelt. Soweit das Versprechen. Da hatte ich tatsächlich auch entsprechende Erwartungen. Und was passierte dann? Dann kam Olaf Scholz. ({3}) Ich gebe zu, ich habe mehrfach darüber nachgedacht, welchen Begriff ich dafür verwende. Ich habe nach wie vor keinen gefunden. Es hat mich einfach nur fassungslos gemacht, was Olaf Scholz uns jetzt präsentiert.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Paus, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Falls Ihnen der Begriff noch einfällt, dann bitte gleich. ({0})

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann nur sagen: In meinen schlimmsten Albträumen wäre mir nicht eingefallen, was jetzt passiert. Dazu werden wir die Hand nicht reichen, und wir werden öffentlich machen, was Sie hier unter dem Deckmantel „Dazu wird weiter zu verhandeln sein“ machen. Deswegen sind wir sehr glücklich über den Antrag der Linken zu dieser Angelegenheit. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Sepp Müller, CDU/CSU. ({0})

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen der Linken, mich wundert eigentlich, dass Sie auf dieser Seite des Hauses sitzen – wenn man Ihren Antrag liest, stellt man fest, dass Sie mit den Populisten, die auf der anderen Seite des Hauses sitzen, unterwegs sind. ({0}) Ihr Antrag ist in größten Teilen nationalistisch, er ist in größten Teilen europafeindlich, er ist in größten Teilen populistisch. ({1}) Warum? Das zeige ich Ihnen gleich: Anstatt Europa zu stärken, sagen Sie, Sie wollen das Thema auf eine nationale Ebene herunterzoomen. Das geht überhaupt gar nicht. Wir müssen europäisch zusammenarbeiten, gerade bei einer Finanztransaktionsteuer. Aber anscheinend sind Sie bei dem Thema weder Fisch noch Fleisch, wie Sahra Wagenknecht mit ihrer großen Aufbruchstimmung, wo Sie nicht wissen, ob Sie rechts oder links stehen sollen – dann mit dem Populismus immer geradeaus. ({2}) Sie sind absolut undifferenziert. Sie wollen alles zusätzlich mit der Finanztransaktionsteuer belegen. Neben Aktien – der Vorschlag von unserem Bundesfinanzminister Olaf Scholz steht – wollen Sie auch Devisenhandel mit der Finanztransaktionsteuer belegen. Was heißt das? Mein Gemüsebauer aus Dabrun, der ein Termingeschäft macht, um sich sein Geld heute zu sichern für die Ernte im nächsten Jahr, soll besteuert werden. Das schlagen Sie vor! Sie wollen unsere kleinen landwirtschaftlichen Betriebe immer mehr ausmerzen. Das finde ich furchtbar, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gerne.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte.

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Kollege Müller, ist Ihnen bekannt, dass ein Minister mit einem ganz ähnlichen Parteibuch wie Sie – er stammt aus Ihrer Parteienfamilie –, mit einem ganz ähnlichen Namen wie Sie – er ist für Entwicklungshilfe zuständig – kürzlich in einer Fernsehsendung mit dem Gedanken gespielt hat, die Finanztransaktionsteuer national einzuführen? Würden Sie Ihren Parteifreund als einen schlimmen Nationalisten und Populisten bezeichnen, oder zu welcher Bewertung gelangen Sie dort? ({0})

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr De Masi, für Ihre Frage. Sie offenbart eindeutig, wie europafeindlich die Linken sind ({0}) und wie europafreundlich CDU und CSU mit Gerd Müller an der Spitze, mit Manfred Weber an der Spitze sind. ({1}) Und sie zeigt auch eindeutig, dass Sie am 9. November, diesem historischen Datum, die Dreistigkeit besitzen, ideologisch wieder die Mauern aufzuziehen, ({2}) gegen die die Menschen 1989 Gott sei Dank angegangen sind. Sie zeigt eindeutig, wie ideologisch und populistisch die Linken unterwegs sind. ({3}) Gerd Müller sagt zu Recht: Wir brauchen die Finanztransaktionsteuer, um unter anderem Entwicklungshilfe zu finanzieren. ({4}) Das ist der richtige Weg. Aber nicht national, ({5}) nicht nationalistisch, sondern europafreundlich, meine sehr geehrten Damen und Herren! ({6}) Das ist der Unterschied zwischen uns und den Populisten rechts wie links im Haus, die hier Hand in Hand marschieren. ({7}) Ihre Vorschläge sind undifferenziert, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen der Linken, weil Sie auch Anleihen unter die Finanztransaktionsteuer stellen wollen. Ich frage mich, was Ihre Freunde aus Griechenland und aus Italien dazu sagen. Wenn wir uns die Verschuldungssituation des griechischen Staates und des italienischen Staates anschauen ({8}) und sehen, wie viel Staatsanleihen dort vergeben sind, dann würde jeder Zehntelprozentsatz dieser Finanztransaktionsteuer dazu führen, dass in Griechenland weniger Rente ausgezahlt wird, dass in Italien weniger Kindergärten gebaut werden. ({9}) Dass Sie das wollen, das beweisen Sie eindeutig mit dieser Vorlage, weil Sie alles gleich machen wollen. Das wird es mit uns als CDU/CSU nicht geben. ({10}) Man sieht natürlich, wie unredlich das ist. Sie wollen ideologisch erst mal das Großkapital besteuern, weil das aus Ihrer Sicht alles böse ist. Alles über einen Kamm zu scheren, das ist die Ideologie der Linken. ({11}) Wir haben uns in der Großen Koalition unter dem Kapitel „Europa“ bewusst zur Finanztransaktionsteuer bekannt. Warum tun wir das? ({12}) Weil wir in Europa zusätzliche Aufgaben zu finanzieren haben. Wir als Große Koalition stehen für Europa, ({13}) und um Europa krisenfest zu machen, brauchen wir – das wissen wir – eine europäische Verteidigungszusammenarbeit. ({14}) Wir wissen als Große Koalition, dass wir Entwicklungszusammenarbeit in Europa gemeinsam finanzieren müssen. ({15}) Und wir wissen als Große Koalition, dass wir in Europa die Außengrenzen sichern müssen; das fängt in Ungarn an und hört in Griechenland auf. ({16}) Damit wir diese zusätzlichen Aufgaben finanzieren können, die europäischen Aufgaben, setzt sich die Große Koalition dafür ein, die Finanztransaktionsteuer europaweit einzuführen – aber nicht ideologisch, sondern weil wir für Europa gut sind. Herzlichen Dank. ({17})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell ist die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/4886 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Die Überweisung ist so beschlossen.

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesministerin von der Leyen! Als die Fraktionen der Großen Koalition zum ersten Mal die ersten Berichte des Bundesrechnungshofes von der Tagesordnung des Haushaltsausschusses genommen haben, da war die Dimension dessen, was wir heute besprechen, der Öffentlichkeit noch nicht klar. Damals haben Sie als Bundesministerin und als Haus versucht, den Eindruck zu erwecken, es seien hier und da Verwaltungsfehler gemacht worden. Dies ist, meine Damen und Herren, seit Wochen nicht mehr haltbar. Der Bundesrechnungshof wirft Ihnen zu Recht vor, dass Sie systematisch und bewusst Recht gebrochen und getäuscht haben – um das an dieser Stelle ganz klar festzuhalten. ({0}) Ich will gerade für meine Fraktion sagen: Wir haben nichts dagegen, dass ein Ministerium private Expertise heranzieht. Wir haben nichts gegen privates Know-how, auch im Geschäftsbereich des Bundesverteidigungsministeriums. Aber, um es klar zu sagen, was wir nicht wollen, ist, dass Berater sich gegenseitig beraten, was wir nicht wollen, ist, dass Berater sich gegenseitig Rechnungen schreiben. Das, meine Damen und Herren, gehört sich schlicht nicht. Sie haben dafür die politische Verantwortung, Frau von der Leyen. ({1}) In der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses sind weitere Mittel beispielsweise für einen schweren Transporthubschrauber freigegeben worden. Auch an der Stelle sind Sie in der Verantwortung. Wir haben immer mehr den Eindruck, dass der Haushalt des Bundesverteidigungsministeriums zu einem Selbstbedienungsladen geworden ist. Das Vergaberecht ist bei Ihnen zu einer Empfehlung degradiert worden. Das Vergaberecht, Frau von der Leyen, ist aber kein Angebot, es ist rechtlich bindend. Die Frage, die wir heute diskutieren, ist nicht, ob Recht in Ihrem Geschäftsbereich gebrochen worden ist, sondern schlicht und einfach, in welchem Ausmaß, welche Dimension diese Affäre hat; das ist – Stand heute – Fakt. ({2}) Wir müssen an dieser Stelle festhalten, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht wissen, ob auf den Staat Schadensersatzklagen zukommen werden. Wir können zum heutigen Zeitpunkt beispielsweise nicht wissen, ob die Europäische Union vor dem Hintergrund des rechtswidrigen Verhandelns Ihres Hauses ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten könnte. Die Leidtragenden sind nicht nur die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland – das allein wäre schlimm genug –, weil nicht der Wirtschaftlichste, nicht derjenige, der am Leistungsfähigsten ist, den Auftrag bekommen hat, sondern derjenige, der offensichtlich am besten politisch vernetzt war. Das wäre allein schon schlimm genug. Ich will an dieser Stelle aber sagen: Die Leidtragenden dieser Affäre sind auch die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, meine Damen und Herren, ({3}) die unter einer schlechten Beschaffung leiden, und die Bundeswehr leider auch, deren Ruf zurzeit in Mitleidenschaft gezogen wird. Frau von der Leyen, die Vergabe an externe Dritte – ich befürchte, da hat in den letzten Jahren ein Missverständnis bestanden – entbindet Sie nicht von Ihrer politischen Verantwortung für die Führung Ihres Hauses und Ihres Geschäftsbereichs. In der Öffentlichkeit wird immer wieder von einem „Buddy-System“ gesprochen. Diesem Eindruck, diesem fatalen Eindruck von der Inhaberin eines so wichtigen Amtes konnten Sie bisher leider nicht entgegenwirken. Frau von der Leyen, Sie sind im sechsten Amtsjahr Bundesministerin der Verteidigung. Für die Vorgänge in Ihrem Haus tragen Sie und ganz allein Sie die politische Verantwortung. Auch das muss klar festgehalten werden, meine Damen und Herren. ({4}) Was uns besorgt, ist, dass wir jeden Tag mehr erfahren. Heute Mittag wurde beispielsweise berichtet, dass herausgekommen ist, dass ein weiterer Rahmenvertrag offensichtlich auch rechtswidrig vergeben worden ist, und zwar mit einem Volumen von sage und schreibe 390 Millionen Euro. Wir reden hier über das 3-Prozent-Ziel. Sie sprechen von einem 2-Prozent-Ziel, wir von einem 3-Prozent-Ziel, weil wir nicht nur über Verteidigung reden wollen, sondern auch über gute Diplomatie. Wir reden darüber, dass wir die äußere Sicherheit stärken wollen. Da ist es fatal, wenn mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ein solches Schindluder getrieben wird. Das ist ein Skandal, Frau von der Leyen. ({5}) Es ist auch ein Skandal, dass wir all das nicht zuerst von Ihnen erfahren, sondern von den Medien. Deswegen ist Ihre Zusage, all das aufzuklären, derzeit jedenfalls nicht eingelöst. Der eine oder andere hat ja schon von einem Untersuchungsausschuss gesprochen, auch ich. Ich will Ihnen eines sagen: Ich täte mich, Stand heute, schwer, den Untersuchungsauftrag gut zu formulieren; denn das Ausmaß der Affäre ist auch mangels eines Aufklärungswillens von Ihnen derzeit sehr, sehr schwer zu formulieren. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Frau von der Leyen, Sie haben auf meine Frage in der Sitzung des Haushaltsausschusses, wann Sie zum ersten Mal Kenntnis von dieser Affäre bekommen haben, geantwortet, das sei Ende September der Fall gewesen. Frau von der Leyen, nicht nur vor dem Hintergrund der heutigen Berichterstattung, sondern auch vor dem Hintergrund der Berichte, die uns heute vorliegen, muss man sagen: Das ist schlicht und einfach die Unwahrheit gewesen. Ich fordere Sie auf, heute die Gelegenheit zu nutzen, der Öffentlichkeit endlich die Wahrheit über diese Affäre zu sagen. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dürr. – Frau Bundesministerin von der Leyen, Sie haben jetzt unmittelbar Gelegenheit, darauf zu antworten. Sie haben das Wort. ({0}) – Sie hat keine Karten bei sich.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dürr, ich will gerne auf Ihre Themen eingehen. Ich möchte aber vorher – ich glaube, das ist auch eine Frage der Fairness dem Haus und dem nachgeordneten Bereich gegenüber – das, was Sie eben in den Raum gestellt haben, einordnen. Wir haben heute Morgen um 3 Uhr den Haushalt des Bundesverteidigungsministeriums im Haushaltsausschuss verabschiedet: eine Erhöhung des Budgets auf 43 Milliarden Euro, eine Steigerung um 12 Prozent. Was steht dahinter? Dahinter steht ein gewaltiger Wachstums- und Modernisierungsschub, den wir in den letzten fünf Jahren in der Bundeswehr gehabt haben. Wir haben das Rüstungsvolumen verfünffacht, weil die Sicherheitslage es verlangte. Wir mussten die Kontrolle über Gesellschaften wiedererlangen, die unsere Bundeswehr mit Bekleidung, Fahrzeugen und IT versorgen. Zehn Jahre lang gab es für die HIL kein Konzept; jetzt steht das Konzept. Wir haben die BWI neu aufgestellt, damit wir im IT-Bereich unabhängiger werden von der Industrie. Wir haben die LHBw am Rande des Konkurses vorgefunden – Sie alle waren Zeuge dessen –; sie steht jetzt wieder auf soliden Füßen. Wir haben die Cybertruppe gegründet, das erste Cyberkommando in Europa überhaupt. Wir sind mitten in der Digitalisierung einer Großorganisation mit einer Viertelmillion Menschen. Um diesen Schwung nach vorne zu schaffen und so eine Dynamik zu entfalten, hat es eine gewaltige Kraftanstrengung im Verteidigungsministerium und den nachgeordneten Behörden und in der Bundeswehr gegeben. Hier geht zunächst einmal mein Dank an all die Menschen, die das ermöglicht haben. ({0}) Um so einen Schwung zu schaffen, braucht man aber auch den Rat und den Blick und das Wissen von außen. Das sind die Beratungs- und Unterstützungsleistungen. Jedes Ressort nutzt sie. Wie sehen sie bei uns aus? Fast 40 Prozent sind Wirtschaftsprüfung und juristische Expertise. Wirtschaftsprüfung muss von außen kommen. Juristische Expertise in unserem Haus ist groß – das ist richtig –; aber wir haben manches nicht im Haus, und das aus gutem Grund. Es macht zum Beispiel überhaupt keinen Sinn, über Jahrzehnte einen Steuerrechtsexperten für internationalen Rechtetransfer vorzuhalten, weil wir das nur alle Jubeljahre brauchen. Wir haben in der letzten Zeit einen gebraucht. Der Rat von außen hat dazu geführt, dass wir eine Umsatzsteuerzahlung, in die wir hineingelaufen wären – die hätten wir in Luxemburg bezüglich des TLVS leisten müssen –, nicht zahlen mussten. 600 Millionen Euro sind dadurch gespart worden. Es macht zum Beispiel überhaupt keinen Sinn, dass wir die Fähigkeit „Akkreditierung von Studiengängen“ vorhalten. Die brauchen wir alle Jubeljahre mal. Wir kaufen sie von außen ein, wenn unsere Bundeswehr-Universitäten sie brauchen. ({1}) Der zweite große Teil ist Nutzung, Wartung, Instandhaltung. Es macht sehr viel Sinn, dass wir Kooperationen mit zivilen Werksfeuerwehren schließen, wenn Industriegelände genau neben Liegenschaften der Bundeswehr liegen. Für diesen privaten Schutz zahlen wir gerne. Das sind auch Unterstützungsleistungen. Der dritte große Komplex sind wehrtechnische Studien; Sie kennen sie alle. Wir haben sie in der Vergangenheit gebraucht, wir brauchen sie heute, wir werden sie in Zukunft brauchen. MKS 180 ist das Stichwort, oder TLVS. Digitalisierung ist der vierte Bereich, ein Riesenbereich. Wir haben große Sprünge nach vorne gemacht. Vor fünf Jahren gab es null Digitalisierungsstrategie im Verteidigungsministerium und in der Bundeswehr: kein digitales Lagebild, keine digitale materielle Einsatzbereitschaft, Großgerät wurde händisch gezählt, Patientenakten auf Papier geführt, überhaupt alle Akten auf Papier. Wir bauen jetzt eine überwölbende Digitalarchitektur für die grüne und die weiße IT. Das ist anders als der Flickenteppich, den es bisher gab. Eine solche Großorganisation wie die Bundeswehr konsequent zu digitalisieren, das schafft man nicht innerhalb von ein paar Jahren, und das schafft man nicht ohne Hilfe von außen. ({2}) Natürlich ist es richtig, dass wir parallel mit Hochdruck eigene Expertise aufbauen müssen. Wir haben die BwConsulting komplett neu aufgestellt, um eigene Beratungskapazitäten auf Dauer zu bekommen. Wir rufen sie auch immer mehr ab, weil dort die Kapazitäten jetzt wachsen. Wir haben den Cyberstudiengang ins Leben gerufen. Aber bis aus Studenten Cyberexperten werden, vergehen Jahre, und in diesen Jahren müssen wir modernisieren, und wir müssen weiter wachsen. Wie viel macht das, was Sie eben angesprochen haben, am großen Ganzen aus? Ich glaube, auch das gehört zur Einordnung. Verglichen mit dem gesamten zivilen Personalkörper beträgt das Volumen an Externen – nur der zivile Personalkörper – 0,3 Prozent. Das liegt im Promillebereich! ({3}) Und wenn man das Budget anschaut, stellt man fest, dass die Beratungs- und Unterstützungsleistungen bei 0,5 Prozent liegen, ebenfalls im Promillebereich. Haben wir alles richtig gemacht? Nein. In der Art und Weise, wie abgerufen wurde, haben wir in Teilen Fehler gemacht. Wir schließen im Jahr über 10 000 Verträge ab. Und ja, es hat Fehler gegeben. Es hat Vergaberechtsverstöße gegeben, weil aus den falschen Rahmenverträgen Leistungen abgerufen worden sind, die dort nicht hätten abgerufen werden dürfen. Es ist teilweise nicht dokumentiert worden: Bedarf, Notwendigkeit, Wirtschaftlichkeit. ({4}) Die Einbindung Externer ist nicht immer korrekt verlaufen. Das hätte nicht passieren dürfen. Wir haben uns zu sehr auf die großen Milliardenprojekte konzentriert. Wir hätten mehr auch auf diesen Teil in der Bundeswehr achten müssen. Ja, diesen Schuh ziehen wir uns an. Ob das nun bei „CIT Quadrat“ oder bei PLM oder der BWI oder im großen Bundesrechnungshofbericht, über den wir diskutiert haben, der Fall ist – die Muster sind sich sehr ähnlich. Wir akzeptieren diese Kritik des Bundesrechnungshofs. Wir sind auf seine Verbesserungsvorschläge eingegangen, unter anderem – das mache ich kursorisch: Schulungen, zentrale Dienstaufsicht, Fachaufsicht, gebündelte Vergabestelle, bessere Qualitätskontrolle, interne Ermittlungsgruppe, auch für Einzelfälle; nur um einige der Themen zu nennen. Deshalb zusammenfassend: Sie fordern von uns Ergebnisse, und die Lage erfordert es: funktionierendes Großgerät, Verteidigung im Cyberraum und, und, und. Wir sind mit aller Kraft dabei, dies schnell umzusetzen. Ja, es gab Nachlässigkeit, Abkürzungen, Einzelversagen und auch Überforderung. ({5}) Die politische Gesamtverantwortung für alles trage ich. Da, wo wir Fehler gemacht haben, muss konsequent gegengesteuert werden. Wo es Ansatzpunkte für individuelles Fehlverhalten gibt, ermitteln wir in die Tiefe. Auf dem Weg sind wir. Ich darf den Bundesrechnungshof zitieren, mit Erlaubnis des Präsidenten: Wir halten die vom BMVg ergriffenen und angekündigten Maßnahmen für geeignet, um einen ordnungsgemäßen, wirtschaftlichen und transparenten Einsatz von externen Dritten ... künftig sicherzustellen. Zitat Ende. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächster Redner hat der Kollege Rüdiger Lucassen, AfD-Fraktion, das Wort. ({0})

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Dass der Staat oft nicht gut mit dem Geld seiner Bürger umgeht, ist bekannt. Ursula von der Leyens Ministerium sticht da besonders heraus. Da hilft auch ihre gerade gehörte Schönrederei überhaupt nicht. ({0}) Der Bundesrechnungshof machte jetzt darauf aufmerksam, dass das BMVg sehr viel Geld für eine externe Möbelberatung ausgab. Buche Dekor oder Birke hell: Das war offenbar eine Frage, die das Bundesministerium der Verteidigung mit seinen 2 730 Beschäftigten nicht aus eigener Kraft beantworten konnte. ({1}) So etwas wird von Ihnen bezahlt, sehr geehrte Zuschauer auf den Rängen, und von all denen, die jetzt von ihrer Arbeit nach Hause kommen und ins wohlverdiente Wochenende gehen. ({2}) In Ursula von der Leyens Ministerium geht es aber nicht nur um die Verschwendung von Steuergeld, sondern vor allem um die Frage, unter welchen Umständen solche Verträge vergeben wurden. Diese Frage haben Sie eben wieder nicht beantwortet, genauso wie Sie auch nicht beantwortet haben, seit wann Sie von diesen Unregelmäßigkeiten wussten, nämlich nicht erst seit September, sondern mindestens seit März dieses Jahres. ({3}) Da hat nämlich der Bundesrechnungshof herausgefunden, dass in über 80 Prozent der geprüften Verträge an externe Auftragnehmer – es geht um Millionensummen – die geltenden Vergabevorschriften nicht eingehalten wurden. Es wurde nicht öffentlich ausgeschrieben. In 96 Prozent der Fälle fehlte die vorgeschriebene Wirtschaftlichkeitsprüfung. Das heißt, es wurde nicht ermittelt, ob die Beauftragung eines Unternehmens für die Bundeswehr Sinn macht oder nicht. Jetzt muss man natürlich fragen, warum diese Gesetze nicht eingehalten wurden. Von der Leyens Ministerium sagte dazu sinngemäß: weil wir diese Beraterfirmen bereits gut kannten und weil wir von der Sinnhaftigkeit des Auftrags stets überzeugt waren. Prüfen und Ausschreiben war deshalb nicht nötig. – Genau an diesem Punkt kommen wir zum Kern der Berateraffäre im Hause von der Leyen; denn hier wurde offensichtlich nicht nur Geld verschwendet, sondern Aufträge wurden rechtswidrig an einen kleinen Kreis von Unternehmensberatern vergeben, vorbei an den Regeln zur Verhinderung der Vetternwirtschaft. Die Geschichte beginnt schon im August 2014. ({4}) Da macht Ministerin von der Leyen eine hochbezahlte Frau der Unternehmensberatung McKinsey zur Staatssekretärin, Frau Suder. Diese fängt sofort an, ihre Branchenkollegen nachzuholen und nach und nach mit Aufträgen zu versorgen. Man kennt sich und vertraut sich. Ausgeschrieben wird da nicht mehr. Da geht alles nach persönlicher Bekanntschaft. Es entwickelt sich im Verteidigungsministerium ein enges Netzwerk. ({5}) Da kann man dann lesen, dass McKinsey-Kollegen – wieder McKinsey! – der damaligen Staatssekretärin Katrin Suder – wieder Frau Suder! – schnell zu einer anderen Firma wechselten, um danach im BMVg beraten zu können. Da kann man dann lesen, dass etwa Generalleutnant Erhard Bühler, ehemaliger Leiter der Abteilung Planung, der Patenonkel des Kindes eines dieser Berater ist und sich sehr für diese Firma eingesetzt habe. Da kann man dann auch lesen, dass eine Wirtschaftskanzlei doppelt so hohe Stundensätze in Rechnung stellte und dass das beauftragte Gutachten zur Privatisierung von Panzerwerkstätten aber gar nicht mehr benötigt wurde. Und warum nicht? Weil die Entscheidung offenbar längst getroffen war, persönlich angewiesen durch die damalige Staatssekretärin Katrin Suder – wieder Frau Suder. Vorgestern im Verteidigungsausschuss habe ich Frau von der Leyen gefragt: Können Sie ausschließen, Frau Ministerin, dass es bei der Vergabe von Aufträgen persönliche Vorteilsnahme gab? ({6}) Die Antwort lautete: Nein. Was macht Ministerin von der Leyen nun? Sie tut so, als ob sie mit all dem überhaupt nichts zu tun hat; das haben wir eben wieder gehört. Das sind andere, nachgeordnete Bereiche! Als wenn sie mit all dem nichts zu tun hat! Sie gibt die Aufklärerin in eigener Sache. Aber aufklären und kontrollieren muss das Parlament. Am Mittwoch lehnten alle anderen Fraktionen den Antrag der AfD auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses mit der Begründung ab, ({7}) der Antrag hätte formale Fehler gehabt. Woran ist Ihnen denn nun gelegen? An Aufklärung oder an Formalitäten? ({8}) Wenn Sie Aufklärung wollen, dann stellen Sie einen ordentlichen Antrag, um die Vergabepraxis der millionenschweren Aufträge im Verteidigungsministerium aufzuklären. Die AfD wird sich dann daran beteiligen. Danke schön. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dennis Rohde, SPD-Fraktion. ({0})

Dennis Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns in dieser Haushaltsbereinigungswoche im Rahmen der Berichterstattergespräche bisher jeden Tag mit den Beratungs- und Unterstützungsleistungen im BMVg beschäftigt. Wir hatten Montag ein Berichterstattergespräch mit den Staatssekretären, wir hatten Dienstag ein Berichterstattergespräch mit den Staatssekretären, Mittwoch war es Thema im Verteidigungsausschuss, Donnerstag im Haushaltsausschuss, und heute diskutieren wir das im Plenum. Ich will sagen, dass die Intensität, mit der wir uns mit diesen Fragestellungen auseinandersetzen, richtig ist, weil die Vorwürfe und die Anschuldigungen, die ja auch von außen erhoben werden, so massiv sind, dass sie einer intensiven Aufarbeitung bedürfen. Ich möchte aber auch deutlich machen, dass man nicht aufarbeitet, indem man Anträge oder auch keine Anträge stellt, irgendwelche Ausschüsse einzurichten. Wir hatten Montag das Berichterstattergespräch. Da war der Vertreter der AfD anwesend und hat nicht eine einzige Frage gestellt. Wir hatten am Dienstag ein Berichterstattergespräch. Da war der Vertreter der AfD schon gar nicht mehr anwesend. Wir hatten die Möglichkeit, viele Fragen zu stellen. Sie haben deutlich gemacht, dass es Ihnen anscheinend nicht um die Sachaufklärung geht. ({0}) Ich möchte festhalten, dass wir zwei Berichte des Bundesrechnungshofes vorliegen haben, die unterschiedlichste Versäumnisse aufzeigen. Dazu kommt die Presseberichterstattung mit verschiedensten Vorwürfen, teilweise gegen einzelne Personen. Aber was wissen wir? Wir wissen: Der BRH hat festgestellt, dass Rahmenverträge zur Auftragserteilung genutzt wurden, die nicht hätten genutzt werden dürfen. Ich sage für unsere Fraktion: Das muss zeitnah, das muss sofort abgestellt werden. ({1}) Wir wissen, dass bei der Vergabe im BMVg in einer Vielzahl von Fällen die Beachtung vergaberechtlicher Vorschriften zumindest nicht dokumentiert wurde. Es fehlen oft Ausführungen zur Notwendigkeit. Es fehlen Ausführungen zur Wirtschaftlichkeit. Auch die Art und Weise von Direktvergaben wird vom Bundesrechnungshof kritisiert. Das wissen wir. Aus diesem Wissen ergeben sich viele Fragezeichen und unsere Aufträge. Für uns muss selbstverständlich sein – das ist das Erste –, dass künftig alle Regelungen des Vergaberechts bei allen Vergaben im Bundesministerium der Verteidigung berücksichtigt werden. Das ist eine Selbstverständlichkeit, aber diese muss man an dieser Stelle wahrscheinlich noch einmal betonen. Viel wichtiger ist uns, dass alle Vergaben, die in den letzten Jahren vorgenommen wurden, auf ihre Vergaberechtskonformität hin überprüft werden. Das haben Sie uns, Frau Ministerin, zugesagt. Dieser Bericht ist uns wichtig. Aber der wichtigste Punkt ergibt sich am Ende. Wenn festgestellt wird, dass einzelne Vergaben nicht mit dem Vergaberecht konform gingen, dann muss aufgeklärt werden, ob das wissentlich und/oder willentlich von einzelnen Personen gesteuert, beauftragt wurde. Dann müssen auch die Hintergründe für diese konkrete Vergabe recherchiert werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Wir erwarten, dass alle Fälle von Rechtsbruch – ich rede nicht vom Strafrecht, das ist nicht unsere Aufgabe – umfassend aufgeklärt und geahndet werden, weil wir eine Verantwortung haben. Wir haben nicht zuletzt eine Verantwortung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten, gegenüber der Truppe dafür, dass der Maßstab, den wir bei ihnen anlegen, nämlich sich rechtskonform zu verhalten, sämtliche Regelungen unseres Landes zu beachten, ausschließlich und überall gilt. Das muss auch das Ergebnis der Aufarbeitung der Fragen sein, die vor uns liegen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Es darf – das muss das Ziel sein – am Ende keinen Anschein mehr geben, dass man es im Zweifel mit dem Vergaberecht nicht so genau nimmt. Es ist unsere Aufgabe, das aufzuarbeiten. Hinzu kommt eine politische Debatte über die Frage nach der Zahl externer Dritter. Das eine ist die Frage nach den konkreten Fällen: Waren diese vergaberechtskonform? Die andere ist die politische Debatte: Wie viel externe Beratung halten wir im Geschäftsbereich der Bundesministerin der Verteidigung eigentlich für richtig? Ich möchte für meine Fraktion deutlich machen: Der Einsatz externer Dritter darf immer nur im Ausnahmefall stattfinden und darf nie eine dauerhaft angelegte Lösung sein. ({4}) Nur Beamte haben einen Diensteid geleistet. Nur Beamte haben einen Eid geleistet, Gesetze zu wahren und gewissenhaft ihre Amtspflichten zu erfüllen. Das ist eine sehr wichtige Voraussetzung insbesondere für den Sicherheitsbereich. Gerade wenn wir Externe dauerhaft einsetzen, dann besteht die große Gefahr des nachhaltigen Verlusts eigener Fähigkeiten und der sich daraus ergebenden dauerhaften Abhängigkeit von externen Beratern. Das darf uns insbesondere im Sicherheitsbereich in diesem Land nicht passieren. Wir erwarten das, von dem wir glauben, dass es im ureigensten Interesse auch von Ihnen liegt, Frau von der Leyen, nämlich eine komplette, eine umfassende Aufklärung gemeinsam mit dem Parlament, gemeinsam mit den Berichterstatterinnen und Berichterstattern, die sich in den letzten Wochen intensiv damit auseinandergesetzt haben. Wir erwarten Handlungen, die am Ende sämtlichen Anschein ausräumen, dass man es mit dem Vergaberecht nicht so genau nimmt. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Rohde. – Als Nächster für die Fraktion Die Linke der Kollege Matthias Höhn. ({0})

Matthias Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will so beginnen: Frau Ministerin, Sie haben heute, jetzt hier, in ähnlicher Weise ausgeführt, wie Sie das bereits am Mittwoch im Ausschuss getan haben. Ich will vorwegnehmen: Die Art und Weise, wie Sie mit diesem Problem umgehen, wird der Situation und der Verantwortung, die Sie als Ministerin haben, nicht gerecht. ({0}) Sie reden zunächst sehr ausführlich über Dinge, die eigentlich mit dem konkreten Gegenstand, über den wir hier reden, nichts zu tun haben. Wenn wir auf das Thema kommen, dann machen Sie zwei Dinge: Sie erwecken den Eindruck, Sie würden sich an die Spitze der Aufarbeitung in Ihrem Ministerium setzen; Sie würden Transparenz herstellen. Im Übrigen würde es sich – „individuelle Fehler“ haben Sie eben gesagt – um ein Problem auf der Verwaltungsebene handeln. Ich will dazu sagen: Erstens. Frau Ministerin, Sie sind nicht die Spitze der Aufarbeitung, sondern Sie sind die Spitze des Problems. ({1}) Zweitens. Transparent machen Sie auch nur das, was ohnehin nicht länger unter der Decke gehalten werden kann. Und drittens. Es ist ziemlich durchschaubar, so zu tun, als würden wir über schlechtes Handling im Vollzug der Verwaltung reden. Sie haben gemeinsam mit der damaligen Staatssekretärin Suder – ich habe das bereits am Mittwoch im Ausschuss gesagt – eine Kultur im Verteidigungsministerium eingeführt, die da hieß: Externe Berater, übernehme das Ruder, koste es, was es wolle! – Was wir heute zum Thema BWI erneut erfahren haben, bestätigt das leider. ({2}) Der Bericht des Bundesrechnungshofs stellt Ihnen ein vernichtendes Urteil aus. Hunderte Verträge in der letzten Legislaturperiode an Dritte vergeben, Wert mehrere 100 Millionen Euro! Fazit: Im Regelfall bestand keine Notwendigkeit für die Vergabe. Sie haben in fast allen Fällen keinen Nachweis über die Wirtschaftlichkeit erbracht. Regelmäßig wurden die Aufträge freihändig vergeben, sehr oft sogar ohne jeden Wettbewerb. So bedient man eben gute Bekannte und Ex-Kollegen. Ich will ein Beispiel nennen; ich nehme jetzt nicht eine dieser großen Millionensummen, aber auch das findet sich im Bundesrechnungshofbericht. Hier geht es um eine Veranstaltung, für die ein Spiel und eine Facebook-Seite online gestellt werden sollen. Es wird auf einen Wettbewerb verzichtet, weil im Ministerium einfach mal behauptet wird: Es gibt in ganz Deutschland nur eine einzige Firma, die in der Lage ist, eine Facebook-Seite online zu stellen. ({3}) Da werden nicht Fehler im Verfahren gemacht. Da wird sich ganz frech über jede Regel hinweggesetzt. ({4}) Ein derartiger Umgang mit Steuergeld, diese Verschwendung und diese Form von Vetternwirtschaft können nicht ohne Konsequenz bleiben. Aber es geht in diesem Zusammenhang nicht nur um die Frage – das wurde schon angesprochen –, ob es bei der konkreten Vergabe immer mit rechten Dingen zugeht. Es geht um ein sehr grundsätzliches Problem, nämlich: Wer hat eigentlich das Sagen in einem so sensiblen Bereich wie dem Verteidigungsministerium – der Staat oder private Firmen? Der Bundesrechnungshof hat nicht ohne Grund in seinem Bericht darauf hingewiesen, dass hier die Neutralität und Unabhängigkeit staatlicher Organe berührt sind. Im Verteidigungsausschuss ist der Opposition und im Übrigen auch den Medien unterstellt worden, wir würden mit unserer Kritik an Ihrem Gebaren der Bundeswehr schaden. Nein, die Ministerin hat mit ihrem Agieren den Bendlerblock als Zweigstelle von McKinsey & Co erscheinen lassen. Sie schaden dem Ansehen der Bundeswehr. ({5}) In der Tat – anders als das auch in dieser Woche noch behauptet wurde – ist es natürlich nicht so, dass Sie erst in diesem Herbst von all diesen Vorgängen erfahren haben. Wir wissen mittlerweile, dass es spätestens im März dieses Jahres der Fall war, wenn nicht sogar noch früher. Ich will sehr deutlich sagen: Ich habe mittlerweile Zweifel, dass es ein Zufall war, dass nur wenige Wochen später Staatssekretärin Suder aus dem Amt verabschiedet wurde. Außerdem wurde Frau Suder anscheinend jenseits jedes Problembewusstseins im Zusammenhang mit diesen Vorgängen auch noch mit dem goldenen Ehrenkreuz verabschiedet. Das ist der Sachlage gänzlich unangemessen. ({6}) Frau von der Leyen, Sie haben auch heute darauf hingewiesen, dass Sie die politische Verantwortung für diese Vorgänge tragen, für Vorgänge, die mit hundertfachem Rechtsbruch verbunden sind. Sie haben vor einiger Zeit – damals zu Recht – einigen in der Bundeswehr vorgeworfen, sie hätten ein Haltungsproblem. Ich wünschte mir, dass Sie in dieser Situation auch einmal Haltung zeigen, die Verantwortung real übernehmen und Ihr Amt freimachen würden. Herzlichen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Höhn. – Als nächster Redner spricht zu uns der Kollege Dr. Tobias Lindner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, wir reden jetzt den fünften Tag in Folge über diese Berateraffäre. Ich habe, ehrlich gesagt, nach Ihrem heutigen Auftritt noch immer Zweifel, ob Sie wirklich verstanden haben, was für ein Problem Sie haben. ({0}) Sie stellen sich an dieses Pult und sprechen darüber, dass Sie nur 0,5 Prozent des Verteidigungsetats für Beratung und Unterstützungsleistung ausgeben. Das sind mehr als 200 Millionen Euro. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber für mich sind 200 Millionen Euro eine ganze Menge Geld, genauso wie für die meisten Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. ({1}) Wer sich so hinstellt und Probleme, die nicht nur beim Geld bestehen, sondern auch bei der Frage, ob hier private Unternehmen hoheitliche Aufgaben wahrgenommen haben, herunterspielt, hat die Dimension des Problems nicht verstanden. ({2}) Quasi wie Mephisto im „Faust“ haben Sie zu Beginn Ihrer Amtszeit „Unternehmensberatung!“ gerufen und das Volumen im Haus für solche Leistungen mehr als verdoppelt. Sie haben es versäumt, klare Regeln und eine klare Steuerung dafür aufzustellen. Das Ergebnis ist, dass Sie selbst ein Transparenzproblem kreiert haben. Das zeigt sich, wenn man sich die Beantwortung Kleiner Anfragen ansieht, in der Sie eingestehen müssen, dass Sie gar keinen Überblick haben und nicht abschließend sagen können, ob Listen alle Leistungen enthalten, dass Sie selbst den Überblick über die Frage verloren haben, wie viel Beratung und Unterstützung in Ihrem Haus vorhanden sind. Das Ergebnis sind natürlich, wenn man den Überblick verliert, Fehler. Es gibt zwei Berichte des Bundesrechnungshofs, ein weiterer ist unterwegs. Dabei geht es nicht nur um Cyber oder um Dokumentation. „Dokumentation“ hört sich so an, als hätte jemand vergessen, eine Akte zu knicken, zu lochen und abzuheften. Nein, im Bericht des Bundesrechnungshofs steht, dass in mindestens Dreiviertel der Fälle nicht der Nachweis erbracht wurde, ob die Beratung überhaupt notwendig war, ob es überhaupt einen Bedarf gab. Das hat nichts mit Dokumentation zu tun, sondern mit der Grundfrage, ob Sie Steuergeld hier richtig und vernünftig einsetzen, Frau von der Leyen. ({3}) Die Vorwürfe sind weitaus größer. In den Medien ist von einem – Neudeutsch – „Buddy-System“ zu lesen – früher hat man von Vetternwirtschaft gesprochen –, das es aufzuklären gilt, um zu erfahren, ob tatsächlich etwas dahintersteckt. Es war zu hören, dass Berater im Ministerium aufgetreten sind, als wären sie selbst Beamte, und hoheitliche Aufgaben übernommen haben. Mir sind Geschichten zu Ohren gekommen, die ich von diesem Pult aus, ehrlich gesagt, gar nicht erzählen will. Sie haben den Überblick verloren, und wer den Überblick verliert, der verliert am Ende die Kontrolle. So wie Faust Mephisto rief und die Geister, die er rief, nicht mehr loswurde, hatten Sie am Ende des Tages keinen Überblick und keine Kontrolle mehr, was Unternehmensberatungen in Ihrem Geschäftsbereich so alles tun. Es ist eine Führungsaufgabe, hier Vorgaben zu machen. Es ist Ihre Aufgabe, zu führen; es geht nicht nur um Aufklärung. Sie hätten am Anfang klare Regeln aufstellen müssen. Sie stellen sich jetzt an das Pult und erzählen, was Sie alles tun. Ja, es ist eine Selbstverständlichkeit, dass eine Ministerin, wenn sie erfährt, dass es zu Fehlern gekommen ist, alles tut, um das abzustellen. Aber Sie sollten doch auch mal die Frage beantworten, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass wir heute diese Misere haben, Frau von der Leyen. ({4}) Wir haben jetzt fünf Tage am Stück über dieses Thema gesprochen und nachgefragt; denn wir Grüne haben gesagt: Uns ist es wichtig, erst mal zu versuchen, mit normalen parlamentarischen Mitteln Licht ins Dunkel zu bekommen. – Ich dachte eigentlich, dass ich nach diesen fünf Tagen ruhiger schlafen kann, ein besseres Gewissen habe, mehr weiß. Was ich zugeben muss, ist: Ich habe nach diesen fünf Tagen eher das Gefühl, dass Sie uns wie Salamischeiben Tag für Tag einen neuen Vorgang, neue Punkte präsentieren, ({5}) neue Dokumente, durch die wir durch Zufall erfahren, statt dass, lieber Kollege Brandl, das Ministerium am Montag vielleicht mal den Aktenschrank aufmacht und sagt: So groß ist das Problem. – Wenn man so vorgeht, dann muss man sich doch die Frage stellen lassen, ob einem wirklich an Aufklärung gelegen ist, Herr Kollege. ({6}) Weil die AfD zwar einen Tagesordnungspunkt dazu beantragt hat, aber keinen Antrag vorlegt, und weil der Kollege Dürr zu Recht fragt, was man formulieren könnte – manchmal sind ja auch wir Serviceopposition, Herr Kollege Dürr –, ({7}) habe ich einen Entwurf dabei; er ist in meiner Aktentasche, auch in den kommenden Tagen. Frau Ministerin, wir werden schauen, ob sich an Ihrem Verhalten etwas ändert, ob wir die Dinge nur scheibchenweise erfahren oder Ihnen an wahrer Aufklärung gelegen ist. Davon machen wir unsere Entscheidung abhängig, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu beantragen. Herzlichen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lindner. – Ich habe Ihre Bemerkung in Richtung des Kollegen Dürr nicht so verstanden, dass Sie ihn jetzt aufgefordert haben, an Ihre Aktentasche zu gehen. ({0}) Als Nächstes spricht zu uns der Kollege Henning Otte, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ja schon beeindruckend, wenn die Grünen sich hierhinstellen und sich beschweren, dass das ein ewiges Thema ist, nachdem sie in dieser Woche eine Frage nach der anderen gestellt haben und eine Dokumentation nach der anderen gefordert haben, anstatt mal zu sehen, worum es eigentlich geht, anstatt mal den Sachverhalt ins Auge zu fassen, ({0}) anstatt mal die sicherheitspolitische Lage ins Auge zu fassen, anstatt mal festzustellen, dass wir in Deutschland vor großen Herausforderungen stehen, dass wir uns an der sicherheitspolitischen Lage orientieren müssen, dass Truppe, Personal und Gerät gefordert sind, dass wir eine Talsohle der Einsparungen hinter uns haben, dass wir jetzt in einem Aufgalopp in kürzester Zeit Personal rekrutieren müssen, dass wir Gerät beschaffen müssen, dass wir modernisieren müssen. Sie verkennen völlig, dass es neben den Auslandseinsätzen auch eine Bündnisverteidigung gibt, dass Russland mit dem Überschreiten der roten Linie durch eine aggressive Politik wie der Besetzung der Krim, den Unterstützungsleistungen für den Diktator in Syrien eine Bedrohung für die Nachbarn darstellt. Es geht doch darum, dass wir die Sicherheitspolitik ins Auge fassen, dass wir Antworten darauf geben und den Soldaten endlich das Gerät geben, das sie brauchen. ({1}) Das ist eine Herkulesaufgabe. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir die Vergabepraxis flexibilisieren wollen, dass wir das Haushaltsrecht anpassen wollen, dass wir die Beschaffungsorganisation überprüfen wollen. Da ist es doch nur gut, wenn es mal einen Blick von außen auf diese komplexen Sachverhalte gibt, dass man sich mal externe Beratung holt. ({2}) Wer glaubt, immer alleine die Antwort finden zu müssen, ist, glaube ich, nicht auf dem richtigen Weg. ({3}) Es geht auch darum, dass wir die Digitalisierung in der Bundeswehr umsetzen, dass wir die Modernisierung umsetzen, dass wir die Ausrüstung nach vorne bringen. Deswegen wundert es mich schon, dass gerade die FDP, die ja immer ein Herz für die Wirtschaft hat und liberal aufgestellt ist, sagt, eine externe Beratung sei nicht gut für die Truppe ({4}) und sie habe keinen Formulierungsvorschlag, weil sie den Überblick verloren habe. Dann nehmen Sie doch mal Einblick. Lassen Sie sich doch erklären, worum es wirklich geht. Aber das alles ist ja gar nicht so schlimm wie bei der AfD. Die AfD stellt einen Hilfsantrag, hat Formulierungsschwierigkeiten. Das ist wirklich Flügelschlagen im Hühnerstall. Militärisch würde man sagen: „Noch mal üben!“, wenn Sie es denn ernst meinen. Aber Sie meinen es ja nicht ernst, meine Damen und Herren. Es geht darum, dass wir internationale Projekte haben, für die wir Expertise im internationalen Recht brauchen, dass wir technisch versierte Geräte wie schwere Transporthubschrauber haben, dass wir juristische Sachverhalte haben, wofür wir Beratung brauchen, und dass wir vor allem auch organisatorisch besser werden wollen. Deswegen gilt es hier, Kapazitäten zu nutzen – zugegeben, so viel wie nötig, so wenig wie möglich. Der Anspruch muss sein, externe Beratung vorübergehend zu nutzen. ({5}) Aber wenn es denn für die Einsatzbereitschaft und für die Einsatzversorgung notwendig ist, dass wir externe Beratung haben, um das Gerät an die Truppe zu bringen, dann ist das, glaube ich, eine ganz adäquate und notwendige Sachlage. Ich kann nur sagen: Wir sind fest davon überzeugt, dass wir die Einsatzbereitschaft unserer Bundeswehr erhöhen müssen, dass wir auch externe Expertise nutzen müssen, um besser zu werden. ({6}) Wir glauben nicht, dass alles richtig ist, was im Verteidigungsministerium entschieden wird. Aber wir sagen: Wir wollen Expertise nutzen, um jeden Tag besser zu werden, um das Gerät noch schneller an die Truppe zu bringen. Wenn ich zur Fraktion Die Linke sehe, stelle ich mir schon die Frage: Geht es Ihnen eigentlich darum, die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu erhöhen? Wollen Sie vielleicht gar keine externe Beratung, weil Sie sagen: „Eigentlich ist die Bundeswehr doch ganz gut aufgestellt, wenn man sieht, was an der russischen Grenze passiert, wie sich die Nachbarn dort Sorgen um ihre Souveränität machen“? Wir sagen ganz deutlich: Externe Beratung ist ein notwendiges Mittel – so viel wie nötig, so wenig wie möglich –, um darzustellen, dass wir die Einsatzbereitschaft unserer Bundeswehr erhöhen müssen. Deswegen ist eine Beratung von außen, von Dritten, durchaus sinnvoll. Herzlichen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Otte. – Ich möchte noch einmal an das Thema erinnern, um das es geht. ({0}) Das Thema lautet „Umgang mit externen Beratern im Geschäftsbereich des BMVg“. Als nächster Redner hat der Kollege Jan Nolte von der AfD-Fraktion das Wort. ({1})

Jan Ralf Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004842, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine Damen und Herren! Natürlich ist die Ministerin jetzt bestrebt, die Lage ein bisschen besser darzustellen, als sie ist – das macht sie schon die ganze Woche –, und es verwundert auch nicht, dass die CDU sie hier unterstützt, dabei am Thema vorbeidiskutiert und stattdessen ganz allgemein über die Notwendigkeit von Beratungsleistungen spricht. ({0}) Herr Otte, in Ihrer Haut hätte ich auch nicht stecken wollen. Sie müssen hier reden, obwohl es rein gar nichts gibt, was man zur Verteidigung der Ministerin vorbringen kann. ({1}) Die Notwendigkeit von Beratungsleistungen soll hier heute nicht infrage gestellt werden, obwohl klar ist, dass die Strategie des BMVg langfristig darauf ausgelegt sein muss, die vakanten Stellen zu besetzen und den Anteil externer Dritter zu reduzieren. Worüber wir heute wirklich sprechen müssen, ist, dass das Ministerium von Frau von der Leyen über Jahre hinweg massiv gegen Regularien zur Vergabe von Aufträgen an externe Dritte verstoßen hat; das ist das Thema heute. Es wurde schon oft angesprochen, welche Verstöße dies im Einzelnen waren: Leistungen wurden aus Rahmenverträgen abgerufen, die einen ganz anderen Zweck hatten. Die Notwendigkeit von Leistungen wurde kaum geprüft, die Wirtschaftlichkeit auch nicht, und in vielen Fällen sind Aufträge freihändig und ohne Wettbewerb vergeben worden. Es sind solche Schlagzeilen, Frau Ministerin, die die Bundeswehr gerade überhaupt nicht gebrauchen kann. Unsere vielen fähigen und hochmotivierten Soldaten und zivilen Mitarbeiter leiden darunter, dass die Bundeswehr derzeit so oft negativ in die Presse gerät. Dieser Vorfall rückt sie erneut in ein schlechtes Licht. Das demotiviert unsere Soldaten, und die Verantwortung tragen Sie. ({2}) Es ist natürlich gut, dass Sie jetzt Maßnahmen ergreifen. Aber von 2015 bis 2017 hat offenbar kaum eine Kontrolle stattgefunden. Nicht einmal einen generellen Überblick hatte man. Jetzt wird gehandelt. Aber man muss auch klar sagen, dass es kein besonderes Zeichen von Verantwortungsbewusstsein ist, zu handeln, wenn der Bundesrechnungshof rügt und die Presse die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Missstände lenkt. Verantwortungsbewusst wäre es gewesen, von vornherein diese systematische Missachtung des Rechts zu verhindern. ({3}) Die Bundeswehr wird auch in Zukunft einen Aufwuchs ihrer finanziellen Mittel brauchen. Davon ist meine Fraktion überzeugt. Dafür setzen wir uns auch weiter ein; gar keine Frage. Aber Sie haben es uns jetzt selbst erschwert, das für Ihr eigenes Ressort dem Steuerzahler zu vermitteln. Er muss ja davon ausgehen, dass mit dem Geld nicht anständig umgegangen wird. ({4}) Die prekäre Materiallage, zu der die undurchdachte Sparpolitik vergangener Jahre geführt hat, kann nicht von heute auf morgen gelöst werden. ({5}) Aber es wäre ein Leichtes gewesen, diese Lage zu verhindern, indem die Praxis der Vergabe von Aufträgen unserer Bundeswehr an Externe gewissenhaft geprüft worden wäre. So wäre unserer Bundeswehr diese Negativ­aufmerksamkeit erspart worden. ({6}) Sie haben vorgetragen, was Sie für die Bundeswehr alles machen. Sie setzen sich für Trendwenden ein. Das ist gut, aber das ist auch Ihre Hauptaufgabe als Verteidigungsministerin und kann nicht als Rechtfertigung gelten, Recht zu brechen. Leider wird Ihr Wirken inzwischen auch von so manchem Unschönen überschattet. Nicht nur die heutige Debatte ist dafür ein Beleg. Wir erinnern uns zum Beispiel an den völlig grundlosen Austausch des G36; auch dafür wird der Steuerzahler letztlich aufkommen müssen. Wir erinnern uns auch an die Luftnummer um die beiden Soldaten aus Illkirch, in deren Zuge Sie mal eben die gesamte Bundeswehr unter Naziverdacht gestellt und Unschuldige gebrandmarkt haben. (Beifall bei der AfD Ich jedenfalls hoffe, dass die Maßnahmen, die Sie jetzt ergriffen haben, für die Zukunft Abhilfe schaffen und dass man dementsprechend auch im Ministerium zukünftig nicht mehr die Notwendigkeit sehen wird, Mails zu versenden, in denen Soldaten und zivilen Mitarbeitern verboten wird, mit Abgeordneten zu sprechen. ({7}) Wer kein schlechtes Gewissen hat, braucht Transparenz ja nicht zu fürchten. Danke. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Nolte. – Als Nächstes für die SPD-Fraktion die Kollegin Siemtje Möller. ({0})

Siemtje Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frei nach dem Motto an einem Freitagabend „Das Beste kommt zum Schluss“ freue ich mich über die Initiative der FDP, dass wir uns in einer Aktuellen Stunde dem Thema der externen Beratung der Bundeswehr öffentlich widmen können. ({0}) In den letzten Wochen haben wir immer wieder aus der allgemeinen Berichterstattung von immer neuen Vorwürfen im Zusammenhang mit externen Dritten im Verteidigungsministerium erfahren. In den nichtöffentlichen Sitzungen des Verteidigungsausschusses und des Haushaltsausschusses konnten bisher nicht alle Fragen, die wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier, also als Volksvertretung haben, beantwortet werden. Wesentliche Vorwürfe des Bundesrechnungshofes zur unrechtmäßigen Vergabepraxis wurden durch das Ministerium eingestanden. Die Fülle der Vorwürfe und betrachteten Vorgänge irritiert mich. Aus meiner Sicht ist es unerlässlich, diese Vorwürfe restlos aufzuklären. ({1}) Natürlich haben Sie recht, Frau Ministerin, wenn Sie sagen, dass diese Summe nur 0,5 Prozent Ihres Haushaltes ausmacht. Aber diese Summe ist in ihrem tatsächlichen Ausmaß ein dreistelliger Millionenbetrag. Eine Verniedlichung dieser Summe führt nicht dazu, dass die Vorwürfe, die im Raume stehen, verschwinden. Es handelt sich um Summen, die Bürgerinnen und Bürgern unermesslich hoch erscheinen. Dass diese Nachfragen stellen, geschieht zu Recht und kann ich sehr gut nachvollziehen. ({2}) Zudem ist die Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Deutschland eine zentrale Hoheitsaufgabe des Staates. Allein dem Anschein, dass externe Dritte sich dieser Hoheitsaufgabe zu sehr genähert haben könnten, muss mit uneingeschränkter Transparenz und Aufklärungswillen des Ministeriums entgegengetreten werden. ({3}) Sowohl aus der Presse als auch aus dem Bericht des Bundesrechnungshofes und aus den Berichten des Ministeriums wird deutlich: Es gibt eine zu große Nähe zwischen Beratungsfirmen und Beamten des Ministeriums, sodass vergaberechtliche Grenzen nicht eingehalten worden sein könnten. Es gibt Verstöße gegen das Vergaberecht, sowohl handwerklich als auch qualitativ. Es gibt personelle Konsequenzen im Verteidigungsministerium, deren Begründungen noch nicht voll ersichtlich sind. Uns allen gemeinsam muss daran gelegen sein, diese Situation vollumfänglich aufzuklären. ({4}) Der Bundesrechnungshof schreibt, dass der Einsatz von Externen nicht nur mit Risiken für einen wirtschaftlichen und sparsamen Mitteleinsatz verbunden ist, sondern auch die Neutralität staatlicher Organe gefährdet sein kann. Allein der Verdacht, dass dieses Prinzip in Zusammenhang mit externen Dritten im Verteidigungsministerium und im nachgeordneten Bereich nicht eingehalten worden sein könnte, muss zwingend dazu führen, dass bei uns allen die Alarmglocken schrillen und wir alles daransetzen, diesen Verdacht auszuräumen. Die Verantwortung von Deutschland in der Welt ist gestiegen; ja, darüber haben wir diese Woche schon gesprochen. Ja, die Aufgaben der Bundeswehr sind komplexer geworden. ({5}) Aber das allein kann keine Begründung dafür sein, dass die Bundeswehr ihre Aufgaben nicht mehr selbst erledigen kann und auf externe Berater zurückgreifen muss. Die Bundeswehr muss als Arbeitgeber sowohl für militärische als auch für zivile Beschäftigte attraktiv sein. Wir müssen gewillt sein, die Kompetenz im Ministerium zu halten, auch wenn damit Personalaufbau verbunden ist. ({6}) Wir sollten nicht über externe Beratung Expertise außerhalb des Hauses aufbauen. Ich sage noch einmal: Sicherheit und Verteidigung sind eine staatliche Aufgabe. Das Parlament fordert Aufklärung. Es ist klar, dass es zu Verstößen beim Vergaberecht kam. Wir möchten konkret wissen: Wie konnte es dazu kommen, dass das Ministerium keinen Überblick über die Anzahl der Beraterverträge und beratungsnahen Unterstützung hatte? Wie viele Aufträge wurden tatsächlich freihändig vergeben? Um welche Summen handelte es sich? Und: Wie viele ehemalige Unternehmensberater waren in den vergangenen Jahren in leitenden Funktionen im Ministerium beschäftigt? Zudem: Was sind die tatsächlichen Gründe für die von mir bereits beschriebenen personellen Konsequenzen? Also: Vollumfängliche Aufklärung, das Beheben der bereits aufgezeigten Mängel und vor allen Dingen deutliche Veränderungen in der Personalstruktur können unser Ziel sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, damit das Ministerium weiterhin selbstständig und kompetent in jeder Hinsicht arbeiten und handeln kann. Vielen Dank und uns allen ein schönes Wochenende. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner spricht für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Reinhard Brandl. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute ist eigentlich ein guter Tag für die Bundeswehr. Vor ziemlich genau 13 Stunden haben wir im Haushaltsausschuss den Einzelplan 14 beschlossen mit – die Ministerin hat es erwähnt – 12 Prozent Aufwuchs. Wir haben große Projekte mit auf den Weg gebracht. Es wäre eigentlich ein guter Tag, sich darüber im Sinne der Bundeswehr zu freuen. ({0}) Was die Frau Ministerin geschafft hat, ist, die Bundeswehr von einer schrumpfenden Organisation in eine wachsende Organisation umzuwandeln. Sie hat nach 25 Jahren Schrumpfkurs die Trendwende geschafft. Die Bundeswehr wächst wieder. ({1}) Ihr Wachstum ist aber kein Selbstzweck, sondern sie wächst, weil das die sicherheitspolitische Lage erfordert. Ich würde mir wünschen, dass sie noch schneller wachsen würde und dass es uns noch schneller gelänge, qualifiziertes Personal für die Bundeswehr zu bekommen. Wir haben in der Bundeswehr verschiedene Aufgaben zu erledigen. Wir haben im Moment das Thema der Einsätze. Wir haben im Moment das Thema des Auffüllens der hohlen Strukturen. Wir haben im Moment die Herausforderungen durch Modernisierung und Digitalisierung. ({2}) Die Gleichzeitigkeit dieser Aufgaben kann nur mit externer Unterstützung bewältigt werden. Jetzt komme ich zu den Beratern. Die ganze Woche über wurde jeden Tag versucht, die eigentlich gute Botschaft für die Bundeswehr zu überlagern, ({3}) indem immer wieder verschiedene Dokumente herausgezogen wurden und gesagt wurde: Hier sind Fragen, hier sind Fragen, hier sind Fragen! Ganz unterschiedliche Themen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, wurden dabei vermengt. Ich beginne mit dem Kollegen Dürr. ({4}) Der Kollege Dürr hat vorher groß angekündigt: Es gibt einen Riesenskandal bei der BWI um die vergaberechtswidrige Beauftragung eines Rahmenvertrags für über 300 Millionen Euro. – Herr Kollege Dürr, habe ich Sie richtig zitiert? ({5}) – 390. – Herr Dürr, das ist falsch. ({6}) Bei dem Themenfeld handelt es sich nicht um die Frage, ob der Vertrag vergaberechtswidrig zustande gekommen ist, sondern bei dem Themenfeld ist die Frage, ob der Geschäftsführer der BWI den Aufsichtsrat ({7}) hätte informieren müssen ({8}) über diese Vergabe, entweder vorher oder nachher. Zu dieser Frage gibt es zwei unterschiedliche Rechtsgutachten. ({9}) – Nein! Nein, es geht um die juristische Frage, wann der Geschäftsführer den Aufsichtsrat informiert. Das hat überhaupt nichts mit einem Buddy-System in irgendeiner Form zu tun. ({10}) Der Auftrag ist im Wettbewerb zustande gekommen; ich glaube, es sind insgesamt sieben oder acht Unternehmen, die ein Konsortium gebildet haben. Die haben für verschiedene Lose den Auftrag gewonnen. Es ist absolut konstruiert, aus diesem Vorgang – – ({11}) – Unter anderem auch deswegen. ({12}) Aber bitte, was hat das jetzt mit dem Thema „externe Berater“ zu tun? ({13}) – Nein! Es hat nichts mit Frau von der Leyen zu tun. ({14}) – Wir können versuchen, das ernsthaft – –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Geschätzter Herr Kollege, erlauben Sie eine kurze Zwischenbemerkung. – Die Geschäftsordnung bittet den Redner, zur Sache zu reden. Das mache ich jetzt bei Ihnen nicht. Ob die Zwischenrufe zur Sache gehören, Herr Kollege Müller, hat das Präsidium nicht zu beurteilen. Sie haben natürlich recht: Es gehört auch nicht zur Sache, so zwischenzurufen. Ich habe Sie nicht gerügt. ({0}) – Ja, aber auch da gilt: Das Parlament ist umso lebhafter, je mehr Zwischenrufe gemacht werden. Aber wenn es zu laut wird, wird das Präsidium einschreiten; keine Sorge, Herr Müller. Jetzt, Herr Kollege, können Sie fortfahren.

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe keine Angst vor lebhaften Diskussionen. Das gehört zum Parlament dazu. Ich verstehe ja die Opposition, dass sie bei einer so erfolgreichen Ministerin ({0}) versucht, in irgendeiner Form etwas zu finden, um es ihr ans Zeug zu flicken. Aber das funktioniert nicht. ({1}) Es hat die ganze Woche lang nicht funktioniert. Jeden Tag kam ein anderer Vorwurf. Wir haben ein Dokument bekommen. Dann hat Kollege Lindner gesagt: In dem Dokument gibt es einen Verweis auf ein nächstes Dokument. Das hätte ich gern am nächsten Tag. – Am nächsten Tag ging es genauso. Das können wir gern so weitermachen. Ich störe euch auch nicht dabei. Wir arbeiten gut zusammen. Aber wichtig ist das Signal: Wir brauchen in der Bundeswehr auch in Zukunft die Unterstützung durch externe Personen, weil es uns nicht gelingt, in der Kürze der Zeit bei der Fülle der Aufgaben das notwendige Personal zu bekommen. Jetzt werde ich ein bisschen ernst. Wenn auch bei den Soldatinnen und Soldaten und bei den zivilen Mitarbeitern der Eindruck aufkommt, dass die Vergabe von Beraterverträgen in irgendeiner Form anrüchig ist oder dass laufende Projekte plötzlich pauschal gestoppt werden, ({2}) weil man nicht sicher ist, ob man weiterarbeiten kann, ({3}) wenn es dazu kommt, dass die Dokumentation aller Vergabeentscheidungen und aller Begründungen plötzlich viel wichtiger wird als die Qualität, ({4}) wenn nur gefragt wird: „Ist das Formblatt richtig ausgefüllt?“, ({5}) und keiner mehr fragt: „Ist das in der richtigen Qualität erbracht worden?“, ({6}) dann haben wir ein echtes Problem in der Bundeswehr, und dann würde aus dieser Diskussion heraus auch ein Schaden entstehen. Meine Damen und Herren, ich gratuliere der Ministerin zu dieser Woche, ({7}) insbesondere zum Haushalt, und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Herzlichen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Brandl. – Als Nächstes hat das Wort die Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack-­Zimmermann. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Brandl, das Pferd des Weißen Ritters war jetzt echt lahm. Eines sei vorweg gesagt: Dass das Verteidigungsministerium grundsätzlich externe Unterstützung in Anspruch nimmt, ist natürlich keine Affäre und auch kein Skandal, ({0}) sondern notwendige Folge der enormen Herausforderungen der Bundeswehr. ({1}) Aber, Frau Ministerin, Sie haben zum Thema Vergabe nichts gesagt. ({2}) Der Einsatz externer Unterstützung gerade in einem so sensiblen Bereich wie der Verteidigung muss natürlich planvoll erfolgen, er muss unter strikter Kontrolle erfolgen in einem klaren zeitlichen Rahmen, und natürlich müssen auch alle Beschäftigten im Hause mitgenommen werden. Frau Ministerin, Ihnen muss doch klar gewesen sein, dass das Aufeinandertreffen von Ministerialbürokratie und Beratern nicht immer so reibungslos erfolgt wie bei Ihnen und der ehemaligen Staatssekretärin. Was passiert, wenn Beamte keine Handlungssicherheit haben, wenn es keine funktionierende Aufsicht gibt, wenn vieles einfach weiterläuft, weil sich niemand verantwortlich fühlt, das können wir heute sehen. Dann werden Verträge über Abermillionen abgeschlossen, ohne dass die Notwendigkeit oder Wirtschaftlichkeit nachgewiesen wurde; aber noch viel schlimmer ist, dass das Vergaberecht keine Anwendung fand. Dann machen es sich Berater im Ministerium auch mal kuschelig und sind von außen betrachtet nachher gar nicht mehr von den Beamten zu unterscheiden. Dann kommen natürlich Verdachtsmomente auf – von wegen Vetternwirtschaft –, dass Berater sich gewissermaßen die Aufträge selber vergeben. Was sich uns hier offenbart, Frau Ministerin, zeugt auch von einem strukturellen Problem in Ihrem Haus. Es sind nicht einzelne schlampig ausgefüllte Formulare, die hier das Problem sind. Es geht um insgesamt mindestens 56 Fälle, in denen es niemand für nötig hielt, den erforderlichen Papierkram richtig zu bearbeiten. Frau Ministerin, bei der versprochenen Fehleranalyse müssen und sollten Sie auch Ihr eigenes Führungsverhalten überdenken. Sie sind jetzt seit fünf Jahren im Amt und haben offensichtlich die Organisation des Ministeriums noch immer nicht so richtig durchdrungen. Sie überlassen die administrative Führung des Hauses allein Ihren Staatssekretären. 2016 haben Sie verkündet, Sie erwarten Transparenz, Ordnung und Compliance, und Sie wollen vorbildlich sein. Aber das Ausrufen von Zielen und Trendwenden – das ist wichtig; keine Frage – reicht nicht für eine Verteidigungsministerin; denn das Ressort braucht auf jeder Ebene Führung. ({3}) Sie versprechen uns gerne viel und dass es besser werden soll. Ich glaube Ihnen auch, dass Sie das ernst meinen. Ihre Startposition vor fünf Jahren war denkbar schlecht. Doch anstatt die Verwaltung so aufzustellen, dass sie die versprochene Leistung auch bringen kann, üben Sie einen irren Druck aus. Aus dem BAAINBw gibt es schon lange Berichte, dass niemand mehr Verantwortung übernehmen will, weil alle – auf gut Deutsch – Schiss haben. Eine Führungskultur, die geprägt ist von Schuldzuweisungen und vorschnellen Entscheidungen, bringt uns in der Sache wirklich nicht weiter. Es braucht auch niemanden zu wundern, wenn in einem solchen Umfeld alle dankbar sind für jede Form der Unterstützung und niemals so genau nachgefragt wird, ob die Vergabe wohl ordentlich gelaufen ist. Dass jetzt immer mehr öffentlich wird, hat weniger mit dem Aufklärungswillen des Ministeriums zu tun als mit den verprellten Beratungsfirmen, die nicht zum Zuge gekommen sind und jetzt in geradezu unappetitlicher Weise über die Medien mit Dreck werfen. Ihr Haus hat uns in den vergangenen Tagen mit Dokumenten und Zahlen zugeschüttet. Da war auch viel Harmloses dabei; manches war nicht so wirklich relevant. Sie haben im Ausschuss versucht, den Umfang dieser Affäre kleinzureden, indem Sie immer größere Vergleichsmaßstäbe – das haben Sie gerade auch gemacht – angelegt haben. Aber, Frau Ministerin, das Einzige, was klein war, war der Erkenntnisgewinn. ({4}) Diese gesamte Affäre ärgert, weil all diese Vorgänge zulasten der Bundeswehr gehen. Wir brauchen für die Ausstattung wirklich jeden Euro. Wir brauchen daher vor allem eine funktionierende Beschaffung mit einer sauberen Ausschreibung. ({5}) Dazu benötigen wir eine wohldurchdachte Reform des Beschaffungswesens und eine Bundeswehrverwaltung ohne Angst vor ihrer Ministerin. Ihr Haus, Frau von der Leyen, braucht aber ganz sicher eine neue Fehlerkultur und – das muss ich hier an der Stelle sagen – auch eine andere, neue Führungskultur. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Dr. Strack-­Zimmermann. – Als Nächstes für die SPD-Fraktion die Kollegin Gabi Weber. ({0})

Gabi Weber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004438, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen, insbesondere Herr Kollege Brandl! Ich bin eben doch etwas stutzig geworden, als Sie versucht haben, uns weiszumachen, dass es nicht Aufgabe des Parlamentes sei, die Regierung zu kontrollieren. ({0}) Das habe ich nicht ganz verstanden. ({1}) Denn ich habe es immer so verstanden, dass wir als Parlament hier einerseits den Haushalt beschließen – das ist in dieser Nacht hervorragend gelungen – und auf der anderen Seite kontrollieren, was mit diesem Geld passiert. Das ist die Aufgabe, mit der wir uns heute ein Stück weit beschäftigen. ({2}) Da muss man sagen, dass für die jetzige Situation Frau von der Leyen als Ministerin tatsächlich verantwortlich ist. Wir sind an einem Punkt, wo wir darüber nachdenken müssen, dass das, was wir jetzt sehen, im Kern eine Frage der staatlichen Souveränität ist. Ich möchte gerne für die Menschen, die jetzt noch auf den Tribünen sitzen, einmal zusammenfassen, um was es im Moment geht. Wir diskutieren einen Bericht des Bundesrechnungshofes und die Folgen daraus. Kernpunkte dieses Berichtes sind: Erstens. Es wurde nicht geprüft, ob Hilfe von außen wirklich benötigt wurde. Zweitens. Jeder kommunale Beamte, der Aufträge vergibt, hat die Pflicht, die Wirtschaftlichkeit zu prüfen. Im Verteidigungsministerium hat man das offensichtlich nicht für nötig befunden. Die Vergabeverordnung gilt aber für alle staatlichen Stellen. Drittens. Bestandteil der Arbeit der Vergabe ist, Vergleichsangebote einzuholen. Auch das ist nicht erfolgt, sondern es wurde meist frei an den jeweils vermeintlich einzigen Anbieter direkt vergeben. Das geschah regelmäßig und ohne Begründung. Das ist Vergabe nach Gutsherrenart und kann nicht hingenommen werden. ({3}) Jedem Kommunalbeamten würde ein solches Vorgehen den Kopf kosten. Viertens und zu guter Letzt. Schließlich hatte – das ist mehrfach genannt worden – das Verteidigungsministerium keine Übersicht über die abgeschlossenen Verträge. Meine Damen und Herren, das ist ein Zustand, den man so nicht hinnehmen kann. Deshalb ist hier Aufklärung bezüglich dessen, was da im Einzelnen gelaufen ist, dringend notwendig. Auch der Versuch der Relativierung, Frau Ministerin, ist sehr misslich. Wir wissen, dass es um Beraterverträge in Höhe von 150 Millionen Euro im Jahr 2016 und in Höhe von 100 Millionen Euro im Jahr 2017 ging. Nur zum Vergleich, um eine Größenordnung herzustellen: Die sieben dringend benötigten leichten Mehrzweckhubschrauber kosten 72,4 Millionen Euro, und die müssten dringend an Land kommen – nur um das in ein Verhältnis zu setzen. Frau Ministerin, Sie sind verpflichtet, unmissverständlich und aktiv aufzuklären. Im Moment ist dieser Aufklärungswille nicht ganz deutlich erkennbar. ({4}) Es ist mehrfach gesagt worden, dass Sie seit März von dem Sonderbericht wussten. Uns haben Sie diesen Sachverhalt nicht erklärt. Der ist durch Zufall am Mittwoch im Verteidigungsausschuss zutage getreten. Liebe Kollegen und Kolleginnen, sich und seine Bürgerinnen und Bürger verteidigen zu können, gehört zum Kern des Staates. Daraus folgt: Alles, was im Bereich Verteidigung geschieht, muss in staatlicher Hand liegen. Entscheidungen über Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit sind nicht an irgendwelche Unterstützungsfirmen zu vergeben. Das Gleiche gilt für die Beratung. Ein Staat muss immer dafür sorgen, insbesondere in diesem Kernbereich, eigenes, niemand anderem verpflichtetes und von niemand anderem abhängiges Personal zu haben. Schon gar nicht ist es hinnehmbar, dass Strukturen entstehen, die zu Selbstbedienung führen. Faktisch sitzen private Beratungsfirmen offensichtlich an wichtigen Stellen im Verteidigungsministerium. Genau diesen Schluss lässt der Bericht des Bundesrechnungshofes zu. Sehr geehrte Frau Ministerin, seit Jahren monieren wir von der SPD die schleppende Besetzung offener Dienstposten. Eklatant sichtbar ist dies beispielsweise im Bereich der Beschaffung. Ausweislich Ihres eigenen Berichts vom Oktober fehlen dort 20 Prozent der Stellen. Das ist nicht aufzuholen durch externe Beratung und Unterstützungsleistungen. ({5}) Wir haben Sie immer darin unterstützt, dass dieses Personal auch eingestellt werden kann. Das sollte dringend beschleunigt werden. ({6}) – Das ist keine Vogel-Strauß-Politik, sondern ich denke, es geht hier im Moment darum, sehr genau hinzuschauen und offenzulegen, was da im Einzelnen passiert ist. Diese Aufklärung ist unbedingt notwendig, um Vertrauen in die gesamten Vorgänge im Ministerium haben zu können und auch für die Bundeswehr wieder vertrauenswürdige Zustände zu erreichen. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Bettina Margarethe Wiesmann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bettina Margarethe Wiesmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004934, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich werde mich bemühen. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen Debatte ist schon viel gesagt worden. Deshalb möchte ich mich auf wenige ergänzende Bemerkungen beschränken und besonders zwei Kritikpunkte herausgreifen, die in der ganzen Woche immer wieder eine Rolle gespielt haben. In Ihren öffentlichen Äußerungen, Herr Kollege Dr. Lindner, haben Sie gesagt, der Bundesrechnungshof stelle nicht nur das Wie, sondern – anders als vom Ministerium vorgebracht – auch das Ob der externen Unterstützung infrage. ({0}) Diese Behauptung ist nicht stichhaltig, und das wundert mich; denn ich erlebe Sie immer wieder als scharfsinnigen Kollegen. ({1}) Warum nicht stichhaltig? Der Bundesrechnungshof moniert – und daran gibt es auch nichts zu beschönigen – die Verfahrensweisen bei der Beauftragung externer Berater und Leistungen in vielfältiger Weise – vieles ist schon angesprochen worden –: fehlende Bedarfsnachweise, mangelhafte Dokumentation, falsche Zuordnung; ich will nicht alles wiederholen. So weit, muss man sagen, so schlecht. Aber dies alles ist vom Ministerium erstens selbst analysiert, zweitens eingestanden, nachvollzogen und auch adressiert worden. Sie aber gehen hin und behaupten, ein fehlender Bedarfsnachweis oder sogar eine fehlende Bedarfsprüfung – daran gibt es gar keinen Zweifel – bedeute eine grundsätzliche Kritik am Einsatz von Beratern ({2}) – das waren Ihre Worte im Interview –, also eine Infragestellung der extern erbrachten Leistungen in der Sache. Der Bundesrechnungshof hat aber gar nicht überprüft, ob diese oder jene Leistung auch intern oder gar nicht hätte erbracht werden können oder sollen. Er hat sich mit den inhaltlichen, den materiellen Fragen ja gar nicht beschäftigt. Diese Unterscheidung – deshalb sage ich das alles auch nur – ist nicht nebensächlich. Worte machen nämlich einen Unterschied. Wenn eine Regierung Verfahrensfehler begeht, ist das eine Sache und natürlich kritikwürdig. Sie kritisiert sich ja im Übrigen selbst. ({3}) Wenn Sie aber aus der Verfahrensbeanstandung eine Infragestellung in der Sache machen, dann untergraben Sie ein Grundvertrauen in die Entscheidungen der Bundesregierung. Das kann man machen, wenn man Belege hat. Die liefert aber der Bericht des Bundesrechnungshofes nicht. ({4}) – Ich weiß nicht, was diese Bemerkung hier soll. Zweitens. Das Verwischen der Kritik am Wie und am Ob führt dann zu dem sehr weitreichenden Vorwurf – der ebenfalls mehrfach in dieser Woche und auch heute erhoben wurde –, es gebe ein Kulturproblem in diesem Bereich, und zwar im Umgang mit Fehlern – das waren, glaube ich, auch Ihre Worte – ({5}) und im Umgang mit externer Unterstützung; das haben hier viele gesagt. Ich kann die mangelnde Fehlerbearbeitung so nicht erkennen. Das Ministerium hat binnen weniger Wochen gehandelt, eine wichtige Zentrale Dienstvorschrift herausgegeben und substanzielle organisatorische Veränderungen vorgenommen. Die hat hier heute niemand erwähnt. Nicht weniger irritierend ist es, dass die Inanspruchnahme externer Unterstützung von Ihnen und anderen Rednern heute Abend generell in Zweifel gezogen wird – nicht von der FDP; das will ich ausdrücklich zugestehen. Damit bedienen Sie bereits reichlich vorhandene und medial verstärkte Vorbehalte gegenüber Regierungshandeln in der Bevölkerung. Natürlich muss man immer kritisch sein oder von mir aus auch misstrauisch. Aber Sie tun damit noch mehr, und das ist nicht gut: Sie untergraben nämlich auch das Bewusstsein für die dringend benötigten Reformen zur Modernisierung und Leistungssteigerung der Bundeswehr. Denn was machen Unternehmensberater? Dazu möchte ich noch etwas sagen. Sie stellen vorübergehend Expertise bereit, die ein Unternehmen oder eine Organisation benötigt, aber nicht hat oder auch nicht auf Dauer haben sollte. Unternehmensberater analysieren mit ihrem Blick von außen Strukturen und Abläufe, die nicht leistungsfähig oder nicht mehr anforderungsgerecht sind. Sie machen Lösungsvorschläge, zu denen die Organisation alleine aus ihrer Prägung und Tradition heraus, aus mangelndem Vergleich, manchmal auch aus Vorbehalten gegenüber Veränderungen oder aus einer Mischung von alldem, nicht immer hinreichend in der Lage ist. ({6}) Oder sie unterstützen den Aufbau neuer Geschäftsfelder, in denen keine eigenen Erfahrungen vorhanden sind, wo aber schnell gehandelt werden muss. All das funktioniert in der Breite der Privatwirtschaft, ja, und hilft, diese leistungsfähig zu erhalten. Sonst würde nämlich auch kein Vorstand auf der Welt dafür etwas bezahlen. Natürlich müssen die Regeln der öffentlichen Verwaltung beachtet werden, und natürlich erfordert der Umgang mit Steuermitteln besonders strenge Regeln, zumal in diesem Bereich. Die Bundeshaushaltsordnung stellt tatsächlich hohe Anforderungen, an denen sich im vorliegenden Fall die Vorwürfe ja auch festmachen. Sie müssen beachtet werden, selbstverständlich. Aber von einem generellen Kulturproblem oder gar einem Sumpf zu sprechen, wie es manche getan haben, das schürt Misstrauen, und das dient auch nicht dem, was unser Land wirklich braucht: einen ordentlichen Umgang mit diesen Themen und eine systematische und zügige Modernisierung der Bundeswehr, wie sie in Arbeit ist. Denn wenn irgendjemand ernsthaft glaubt, die Herkulesaufgaben im Verteidigungsministerium könnten bei all den Belastungen aus der Vergangenheit – ich will sie nicht aufzählen; die Redezeit ist auch gleich um – und den laufend steigenden Anforderungen, die schon erwähnt worden sind, intern so ganz nebenbei erledigt werden, der irrt. Es geht nämlich nicht um das Ob von Beratereinsätzen; es geht um das Wie: Wie kann das so gestaltet und gesteuert werden, dass ein maximaler Nutzen aus den eingesetzten Mitteln zu erhalten ist – letzter Satz –, dass die Befähigung der Organisation für die neuen Aufgaben fortschreitet und dass die Ziele tatsächlich erreicht werden? Meine Damen und Herren, Ministerium und Bundeswehr befinden sich in einem gigantischen Umbauprozess bei laufendem Betrieb und steigenden Anforderungen. Wir sollten unserer Verantwortung für Kontrolle nachkommen, ohne den Grundansatz zu gefährden; denn mit Bordmitteln allein wird das nichts. Danke schön. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. Es war ein Kleist’scher Satz über zwei Seiten. – Der letzte Redner des heutigen Abends ist der Kollege Oswin Veith, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Oswin Veith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004428, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich werde es versuchen. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Ich stehe jetzt vor unser aller wohlverdientem Dienstschluss und der Heimreise. Ich bitte um Verständnis und versuche, es so kurz wie möglich zu machen. ({0}) Ich erlaube mir, den einen oder anderen einzufangen und von dem Stern herunterzuholen, auf den man sich gerade galaktisch geschossen hat. Ich versuche, kurz zu erläutern, worum es hier eigentlich geht. ({1}) Was ist der Sachstand, und was ist überhaupt passiert? ({2}) Das ist schnell getan. Ich fasse zusammen: Erstens. Der Bundesrechnungshof prüft routinemäßig einen Sachverhalt in einem Ministerium. Zweitens. Es gibt einen Prüfbericht, in dem unter anderem Mängel im Verwaltungshandeln notiert werden. Drittens. Das Ministerium schlägt Gegenmaßnahmen zur Mängelbeseitigung vor. Viertens. Der Bundesrechnungshof begrüßt die Maßnahmen, hält sie für geeignet und schließt den Prüfungsvorgang ab. Fertig, das war es. Er kündigt an, in einigen Jahren wiederzukommen. Darüber reden wir. Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen, was die 17 Finanzkontrollbehörden der Republik, genannt Rechnungshöfe, machen. Ich hatte die Freude und Ehre als junger Regierungsdirektor zweieinhalb Jahre am Hessischen Rechnungshof dienen zu dürfen. ({3}) Ich leitete eine Prüfungsabteilung, war persönlicher Referent des Präsidenten und Pressesprecher des Landesrechnungshofes in Darmstadt. Wissen Sie, was Ihre Fraktion, die FDP, gemacht hat? Ihnen haben wir zu verdanken, dass wir hier heute Abend noch sitzen – alles gut und recht, sei’s drum. ({4}) Ihre Fraktion hat damals im Hessischen Landtag beschlossen, dass die Prüfungsleistungen, die für die Prüfung überörtlicher kommunaler Körperschaften in Hessen erbracht werden, durch Fremdleistungen und Prüfungsgesellschaften ersetzt werden. ({5}) Das gilt bis zum heutigen Tage. Ich kann Ihnen ehrlich sagen: Ich fand das damals schon gut. ({6}) Aus diesem Grunde verstehe ich gar nicht, warum Sie an der einen Stelle jenes tun und an der anderen Stelle kritisieren. Deshalb gehört das auch hierhin. Ich glaube, ich weiß, wovon ich rede. ({7}) Also, noch einmal kurz zusammengefasst: Soweit ich das verstanden habe, steht im Bericht – ich habe einige schreiben dürfen, und in dem einen oder anderen Bericht stehen Sätze, die ich auch hier lesen kann –: ({8}) 56 Verträge mit einer Summe von rund 94 Millionen Euro sind in der Zeit von 2015 bis 2017 geprüft worden. Es ist Verwaltungshandeln festgestellt worden – notabene: darum geht es. Und was hat das Ministerium getan? Die aufgezeigten Mängel sind größtenteils öffentlich eingeräumt worden – auf der Sitzung am Mittwoch und heute Abend wieder –, und es sind Maßnahmen eingeleitet und ergriffen worden, die Mängel abzustellen. Dazu gehören – ich will es Ihnen noch einmal sagen – erstens eine Dienstvorschrift für die Inanspruchnahme externer Dienstleister, zweitens die schon erwähnte Fachaufsicht und drittens eine zentrale Beschaffungsstelle zur Bündelung aller Beschaffungen. Ja was wollen sie denn noch? ({9}) – Sie hätten den Bericht zu Ende lesen müssen, ({10}) zitieren Sie nicht immer nur die Dinge, die Ihnen genehm sind, sondern auch die, die der Rechnungshof aufgeschrieben hat. Der Rechnungshof hat drei Maßnahmen bereits geprüft und uns in der vergangenen Woche mitgeteilt, dass er sie für geeignet hält. Ich darf zitieren, mit der freundlichen Genehmigung des Herrn Präsidenten: Der Bundesrechnungshof begrüßt, die komplexe Vorschriftenlage zum Einsatz externer Dritter übersichtlicher und transparenter zu gestalten. – Auch das steht da drin. Deshalb kann ich nur sagen: Das Ministerium hat zugesagt, Maßnahmen zu ergreifen, um die Notwendigkeit dieses Einsatzes von externen Dienstleistern zu reduzieren. Weiter gehende Empfehlungen konnte ich im Bericht nicht erkennen, und sie hält der Rechnungshof derzeit auch für nicht erforderlich. Für den Bundesrechnungshof – so sieht es aus – ist der ganze Vorgang offensichtlich abgeschlossen, nur für die Opposition nicht. Sei’s drum. ({11}) Der Ministerin darf ich an dieser Stelle herzlich Dank sagen für die umfangreiche und detaillierte Unterrichtung am Mittwoch und heute und auch für die Einordnung dieses Sachverhaltes, der die durchaus aufgeregte Berichterstattung in der Presse, die von manchen, auch von Ihnen, geschürt wurde, wieder ins rechte Licht rückt. ({12}) Auf der Grundlage der Faktenlage kann ich daher feststellen: Erstens. Die Bundeswehr hat kein Beratungsproblem. Angesichts der Herausforderungen, vor denen die Truppe aktuell steht – wir haben nur einige davon gehört –, erscheint es notwendig, auch weiterhin die Expertise für uns zu verwenden. Gut so, dass Sie das wenigstens im Kern nicht bestreiten. Zweitens. Das Primat der Politik steht: Dienstleister werden im Auftrag der Politik tätig, bestimmen sie aber nicht. Sie übernehmen auch nicht das Verteidigungsressort; der Anteil lag nur bei 5 Prozent. Ich schließe. Ich kann nur an FDP und Grüne appellieren, dass wir im Sinne der Bundeswehr unsere Energie auf die wesentlichen Dinge lenken, nämlich die Bundeswehr so auszustatten, dass sie ihre Aufträge, die wir ihr geben, erfüllen kann. Wenn dieses Signal von dem heutigen Abend ausgeht, wäre das ein guter Weg. Ihnen allen eine gute Heimreise und ein schönes Wochenende. Danke schön. ({13})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Veith. – Es ist bemerkenswert, in welcher Kürze Sie mehr als fünf Minuten ausgeschöpft haben. ({0}) Wir sind damit am Schluss der Aktuellen Stunde und damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen ein wirklich erholsames Wochenende und die Beruhigung aller Nerven, die heute angespannt waren. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 20. November 2018, 10 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Sitzungsende: 18.46 Uhr)