Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ganz herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Bezahlbarer Wohnraum ist die soziale Frage unserer Zeit; das ist mittlerweile schon fast ein geflügeltes Wort geworden. Für ihn zu sorgen, ist aber eben richtig, und es besteht dringender Handlungsbedarf.
Im Koalitionsvertrag haben wir deswegen viele Maßnahmen vorgesehen, um diese soziale Frage zu lösen. Die Antworten bestehen natürlich zu einem großen Teil aus Bauen – vor allem bezahlbaren Wohnraum zu bauen –, aus steuerlichen Vorteilen und aus mehr Möglichkeiten auch für die Kommunen. Aber ein Baustein ist eben auch das Mietrecht. Denn bis all diese Maßnahmen, die wir vereinbart haben, greifen, steigen die Mieten weiter. In Ballungszentren – das wissen wir alle – sind die Möglichkeiten, neu zu bauen, ohnehin begrenzt.
Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, Maßnahmen zur Verbesserung der Mietpreisbremse sowie zum Schutz vor überhöhten Mieten nach Modernisierungen vorzunehmen. Wir haben uns auch darauf verständigt, dass wir etwas gegen das missbräuchliche Herausmodernisieren tun wollen.
({0})
Schnelligkeit ist an diesem Punkt wichtig. Wir schulden den Mieterinnen und Mietern ein zügiges und beherztes Tätigwerden. Deswegen bin ich auch sehr froh, dass wir diesen Gesetzentwurf nur etwa sechs Monate nach Regierungsbildung nun in der ersten Lesung beraten können.
({1})
Ich will nicht verhehlen, dass ich mir durchaus noch weiter gehende Möglichkeiten vorstellen kann, weiter gehende Maßnahmen, um Mieterinnen und Mieter zu schützen. Über solche Maßnahmen wird sicherlich in dieser Legislaturperiode auch noch heftig gerungen werden. Jetzt ist aber vorrangig, dass wir die Maßnahmen, die wir auf dem Tisch haben, zügig verabschieden.
Welche sind das? Erstens. Studien haben uns gezeigt, dass Mieterinnen und Mieter die Mietpreisbremse dort, wo sie anwendbar ist, nutzen, dass sie aber noch deutlich besser werden muss, dass sie vor allen Dingen transparenter und leichter handhabbar werden muss. Dem kommen wir jetzt nach.
Wenn sich Vermieterinnen und Vermieter auf Ausnahmen von der Mietpreisbremse berufen wollen, haben sie zukünftig eine Auskunftspflicht bezüglich dieser Ausnahmen. Das heißt, sie müssen vor Abschluss des Mietvertrages unaufgefordert sagen, auf welche dieser Ausnahmen sie sich gegebenenfalls berufen. Nur so können die Mieterinnen und Mieter beurteilen, ob die Mietpreisbremse greift oder nicht. Nur so können sie rechtssicher wissen, welche Miete sie am Ende zahlen müssen. Gibt es keine solche Angabe vor bzw. bei Vertragsabschluss, dann darf der Vermieter diese höhere Miete eben auch nicht verlangen.
({2})
Der Mieter, die Mieterin kann zu viel gezahlte Miete ab dem Zeitpunkt der Rüge zurückbehalten oder zurückverlangen. Es reicht in Zukunft ein einfaches: „Ich rüge eine überhöhe Miete“ oder „Ich rüge einen Verstoß gegen die Mietpreisbremse“. – Der Mieter muss nicht mehr konkret darlegen, wie hoch beispielsweise die Vormiete war. Das war bisher eines der Probleme, da die Mieterinnen und Mieter gar nicht die Möglichkeit hatten, diese Informationen zu bekommen, die sie damals noch brauchten.
({3})
Zweitens: die Modernisierungsumlage. Es ist für viele Mieterinnen und Mieter ein großes Problem, dass sie nach einer Modernisierung ihre Miete nicht mehr bezahlen können. Dem dürfen wir nicht tatenlos zusehen. Denn wir alle wissen: Wohnraum ist eben mehr als irgendeine Ware; Wohnen ist Zu-Hause-Sein. Deswegen führen wir erstmals und bundesweit – das ist ganz wichtig – eine absolute Kappungsgrenze ein. Eine Mieterhöhung ist nur bis zu 3 Euro pro Quadratmeter innerhalb von sechs Jahren zulässig.
({4})
Des Weiteren senken wir in angespannten Wohnungsmärkten den Umlagesatz, mit dem die Kosten an die Mieter weitergegeben werden können, von 11 auf 8 Prozent. Das bietet Mietern einen Schutz vor weit überzogenen Maßnahmen und vor Luxusmodernisierungen.
Dritter Punkt. Wir werden die Mieterinnen und Mieter vor dem schikanösen Herausmodernisieren schützen. Wir wollen die schwarzen Schafe unter den Vermieterinnen und Vermietern erfassen und ihnen dieses Geschäftsmodell zunichtemachen. Dabei geht es um sehr belastende Maßnahmen – wir kennen das –, dass zum Beispiel das Gas oder der Strom abgestellt wird oder dass der Weg aufgegraben und nicht wieder zugemacht wird; das reicht manchmal bis hin zu nächtlichen Anrufen. Wer solche Maßnahmen einsetzt, um Mieterinnen und Mieter aus ihren angestammten Wohnungen zu vertreiben, der muss sich zukünftig einem Bußgeld von bis zu 100 000 Euro ausgesetzt sehen.
({5})
Hier setzen wir ein ganz klares Zeichen: Herausmodernisieren aus Profitgier ist Unrecht. Das ist auch ein wichtiges Zeichen, das der Staat geben muss: Die Rechtsordnung sieht dem nicht länger tatenlos zu.
Den Mieterinnen und Mietern geben wir außerdem mit einer neuen Vermutungsregelung mehr in die Hand, um einen Schadensersatzanspruch in so einem Fall gegen die Vermieterinnen und Vermieter geltend zu machen, die so unterwegs sind. Das heißt, sie können dann das, was sie mehr bezahlen müssen, zum Beispiel wenn sie umziehen, auch vom Vermieter zurückbekommen.
Schließlich – viertens –: Für kleinere Modernisierungsmaßnahmen bis zu einem Umfang von 10 000 Euro pro Wohnung führen wir ein vereinfachtes Verfahren ein. Das ist natürlich insbesondere für die privaten Vermieterinnen und Vermieter wichtig, die trotzdem gewährleisten wollen, dass sie ihren Mieterinnen und Mietern eine gute, eine moderne Wohnung überlassen, da sie sich dadurch weniger Bürokratie ausgesetzt sehen und trotzdem einen Anreiz haben, so tätig zu werden. Sie müssen weniger Darlegungspflichten beachten und können die Mieterhöhung besser umsetzen.
Wir kümmern uns also um alle die, die Schutz verdienen: um die Mieterinnen und Mieter und um die anständigen Vermieterinnen und Vermieter. Wir sanktionieren die, die nicht rechtmäßig unterwegs sind. Das ist insgesamt ein sehr, sehr gutes Paket, und ich freue mich auf die weitere Diskussion und Ihre Zustimmung.
({6})
Nächster Redner ist der Abgeordnete Jens Maier, AfD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einem meiner letzten Beiträge zum Thema Mietpreisbremse habe ich bereits darauf hingewiesen, dass man ein totes Pferd nicht mehr reiten kann. Genau das versucht die Regierung jedoch mit diesem Gesetzentwurf, mit dem man die bereits gescheiterte Mietpreisbremse verbessern will. Dabei sagt einem bereits der gesunde Menschenverstand, dass man über eine Änderung der Rechtslage nichts an der tatsächlichen Situation auf dem Mietwohnungsmarkt ändern kann. Diese Situation ist durch eine hohe Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum, besonders in den Ballungsgebieten, geprägt. Die am Markt real wirkenden Kräfte werden dadurch nicht außer Kraft gesetzt. Sie werden auch nicht wesentlich zu beeinflussen sein. Momentan bewirkt die Mietpreisbremse genau das Gegenteil von dem, was sinnvoll wäre.
({0})
Sie verhindert bereits in ihrer jetzigen Form den dringend notwendigen Neubau von Wohnungen durch private Investoren. Nur das würde die reale Lage verändern, nur das würde zu einer Verbesserung führen.
({1})
Da kann man nur sagen: Bauen, bauen, bauen ist das Gebot der Stunde.
Die in diesem Entwurf enthaltenen Regelungen verursachen zudem eine Fülle an neuer Bürokratie. Dieses Mehr an Bürokratie macht es für Vermieter wenig attraktiv, ihre Wohnung oder ihr Haus überhaupt länger als nur zum vorübergehenden Gebrauch als Wohnraum zu vermieten. Die geplante Einführung von Informationspflichten für den Vermieter bringt außer Aufwand überhaupt nichts. Was will ich denn als Mieter, der dringend eine Wohnung braucht, tun, wenn der Vermieter seiner Informationspflicht nicht nachkommt? Rechtstreue einfordern? Vor Gericht ziehen? Was bringt denn das? Der Entwurf berücksichtigt doch gar nicht das Machtgefälle zwischen Mieter und Vermieter. Das kann er auch nicht, weil das Machtverhältnis keinen rechtlichen, sondern einen tatsächlichen Hintergrund hat.
In die richtige Richtung geht es, dass die Kosten für bestimmte Modernisierungsmaßnahmen in Gebieten mit zu wenig Wohnraum für die Bevölkerung nur noch in Höhe von 8 Prozent statt wie bisher in Höhe von 11 Prozent auf die Mieter umgelegt werden können. Aber warum sollen weiterhin die Länder festsetzen, wann die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen in einer Gemeinde besonders gefährdet ist? Das sollte für meine Begriffe der Bund übernehmen.
Im Hinblick auf die geplante Änderung von § 559d Satz 1 Nummer 3 BGB und von § 6d des Wirtschaftsstrafgesetzes fällt negativ auf, dass die Formulierung „erheblichen, objektiv nicht notwendigen Belastungen des Mieters“ ausgesprochen unbestimmt ist. Die geplante Vorschrift ist ein völliger Missgriff.
({2})
Wann ist eine bauliche Veränderung in einer Weise durchgeführt, dass sie geeignet ist, zu erheblichen, objektiv nicht notwendigen Belastungen des Mieters zu führen? Jeder Mieter, der nach einer baulichen Veränderung nicht zufrieden ist oder schlichtweg seinem Vermieter eins auswischen will, kann nunmehr in seiner Anzeige behaupten, er sei einer erheblichen, objektiv nicht notwendigen Belastung ausgesetzt gewesen. Leute, da wird viel Arbeit auf die Ordnungsämter zukommen, wenn sie dann die Zweckmäßigkeit von Bauarbeiten beurteilen sollen! Viele Ämter werden davon absehen, die angezeigten Taten zu verfolgen, weil im Ordnungswidrigkeitenrecht der Opportunitätsgrundsatz gilt. Dann macht man nämlich lieber gar nichts, als riesigen Aufwand bei der Tatsachenermittlung zu betreiben.
Besser wäre es, an das subjektive Befinden des Mieters zum Beispiel in gesetzlicher Analogie zu § 559 Absatz 4 BGB anzuknüpfen. So wäre es möglich, dass der Mieter schon ab Kenntnis der geplanten Modernisierung seinen Vermieter anspricht und ihm sagt, die Folgen der baulichen Modernisierung träfen ihn hart und brächten ihm keinen Vorteil. Dann könnte sich der Vermieter hierauf einstellen, und die Nachweisbarkeit im Verfahren wäre auch einfacher.
({3})
Zu dem Antrag der Linken sei nur so viel gesagt: Frau Wagenknecht hat auf dem Bundesparteitag der Linken in Leipzig darauf hingewiesen, dass inzwischen mehr Arbeitslose und Arbeiter, auch solche mit Gewerkschaftsbuch, ihr Kreuz bei der AfD als bei der SED-Nachfolgepartei machen.
({4})
Da Sie offenbar die Hoffnung aufgegeben haben, noch als Vertreter der Arbeiter punkten zu können, stürzen Sie sich seit Monaten mit immer neuen Anträgen auf das Thema Miete und sehen gar nicht, dass Sie sich dabei noch mehr entlarven. Niemand mit Verstand will einen Einstieg in eine sozialistische Wohnraumbewirtschaftung.
({5})
Welche Qualität das Wohnen im Sozialismus hatte, konnte man in der DDR sehen. Mehr braucht man dazu nicht zu sagen.
Vielen Dank.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jan-Marco Luczak, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte am Anfang feststellen, nachdem ich Ihre Rede, Herr Maier, gehört habe, dass die AfD anders als, glaube ich, alle anderen Parteien hier in diesem Hohen Hause das Problem steigender Mieten in großen Städten, in Ballungsgebieten überhaupt nicht als solches erkannt hat. Sie sind offensichtlich nicht, wie Sie sich hier immer darstellen, die Partei der kleinen Leute. Sie negieren das Problem. Das muss man an dieser Stelle festhalten.
({0})
Bei uns ist das anders. Wir sehen natürlich, dass steigende Mieten in den großen Städten, in den Ballungsgebieten ein wirkliches Problem sind. Breite Teile der Bevölkerung sind mittlerweile davon betroffen. Wir als Union nehmen das wirklich sehr ernst. Wir wollen nicht, dass Menschen aus ihren angestammten Wohnvierteln verdrängt werden, weil wir der Auffassung sind, dass es gut ist, wenn wir durchmischte Kieze haben. Deswegen machen wir als Koalition ein umfassendes Paket für einen besseren Mieterschutz.
Wir haben hier schon gehört, was in diesem Paket enthalten ist. Für uns ist ganz zentral, dass wir die Transparenz auf dem Wohnungsmarkt erhöhen und Mieter in die Lage versetzen, ihre Rechte, die sie schon heute haben, besser geltend zu machen. Deswegen führen wir jetzt eine Auskunftspflicht ein: Vermieter müssen, wenn sie eine Ausnahme von der Mietpreisbremse geltend machen, das auch deutlich machen, damit Mieterinnen und Mieter wissen, woran sie sind und das gegebenenfalls auch überprüfen können.
Damit diese dann ihre Rechte auch wirklich geltend machen, senken wir die Hürde. Wir sagen, im Gegensatz zur qualifizierten Rüge, die wir bisher gehabt haben, wo Mieterinnen und Mieter substanziiert darlegen mussten, aus welchen Gründen sie der Auffassung sind, dass die Miete zu hoch ist, da senken wir die Hürden. Wir sagen, eine einfache Rüge reicht aus. Wir müssen uns im gesetzgeberischen Prozess noch genau ansehen, wie wir das ausgestalten. Wir sind zum Beispiel der Auffassung, dass es nicht ausreicht, dass man einfach nur ins Blaue hinein rügt, irgendein Anknüpfungspunkt muss schon vorhanden sein. Aber damit schaffen wir genau das, was richtig und wichtig ist: Wir müssen Mieterinnen und Mieter in die Lage versetzen, ihre Rechte geltend zu machen.
({1})
Der zweite Bereich, dem sich dieses Gesetz widmet, ist der ganze Bereich der Modernisierung. Wir wollen, dass auch nach einer Modernisierung die Mieten noch bezahlbar sind. Deswegen wollen wir – das haben Sie, Frau Ministerin, schon dargelegt – die Höhe der Modernisierungsumlage begrenzen: Wir senken die Modernisierungsumlage von 11 Prozent auf 8 Prozent ab. Wir sehen eine absolute Deckelung, eine Kappungsgrenze vor und setzen damit einen Anreiz für eine wirtschaftlich vernünftige Entwicklung. Dann gibt es – das ist uns als Union besonders wichtig gewesen – ein vereinfachtes Verfahren für die privaten Kleinvermieter, wenn sie eine kleine Modernisierungsmaßnahme machen wollen. Das ist ein ganz wichtiges Instrument, damit dort mehr an energetischer Modernisierung, mehr an altersgerechtem Umbau passiert.
Wir müssen allerdings sehr stark darauf aufpassen, dass das in der Praxis auch funktioniert. So, wie die Regelung jetzt im Kabinettsbeschluss gestaltet ist, wird sie, glaube ich, ins Leere laufen, weil dort eine Ausschlussfrist vorgesehen ist: Wenn jemand von einem vereinfachten Verfahren Gebrauch gemacht hat, dann ist für die nächsten fünf Jahre eine normale Modernisierungsmieterhöhung ausgeschlossen. Das wird gerade in Wohnungseigentümergemeinschaften häufig dazu führen, dass das Instrument des vereinfachten Verfahrens nicht zur Geltung kommen wird. Da müssen wir noch nachbessern.
Mir ist ein Punkt sehr wichtig – das war übrigens eine Forderung, die wir von der Union in die Koalitionsverhandlungen mit eingebracht haben –: Wir wollen die schwarzen Schafe, die es unter den Vermietern auf dem Wohnungsmarkt gibt, bekämpfen. Wir dulden nicht, dass jemand Modernisierungen in missbräuchlicher Weise nutzt, um Menschen ganz bewusst, ganz zielgerichtet aus den Wohnungen herauszumodernisieren. Das darf es nicht geben. Wir müssen all diejenigen schwarzen Schafe, die so vorgehen, hart sanktionieren. Deswegen wird es zukünftig einen Ordnungswidrigkeitentatbestand geben. Das wird Schadensersatzansprüche auslösen. Das ist gut und richtig so. Wir müssen schauen, dass das ganz genau und zielgerichtet diejenigen trifft, die es treffen soll, nämlich die schwarzen Schafe, aber nicht das Gros der anderen, der privaten Kleinvermieter. Deswegen ist es wichtig, verschärft auf das Tatbestandsmerkmal der subjektiven Belastung in diesem Gesetz zu achten.
Es ist uns wichtig, die schwarzen Schafe an die Kandare zu bekommen, nicht nur, weil wir Mieter schützen wollen, sondern auch, weil sie das gesellschaftliche Klima vergiften, in dem wir momentan unsere politische Diskussion führen. Wir müssen sehr aufpassen, dass wir als Politik unsere Gesetze nicht nur von den Extremen ableiten,
({2})
nicht immer nur Schwarz und Weiß betrachten, nicht immer nur auf diejenigen schauen, die wirklich Missbrauch betreiben, sondern wir müssen uns vor Augen führen, dass die weit überwiegende Mehrheit der Menschen in unserem Land, die Wohnungen vermieten, ein sehr gutes Verhältnis zu ihren Mieterinnen und Mietern hat. Diese dürfen wir an dieser Stelle nicht belasten. Da spreche ich von den privaten Kleinvermietern, da spreche ich etwa von dem Handwerker, der eine Wohnung zur Altersvorsorge hat. Diejenigen dürfen wir nicht aus dem Markt drängen; denn die werden wirklich gebraucht.
({3})
An dieser Stelle sollten wir sehr genau aufpassen.
({4})
Ich möchte am Ende meiner Rede noch einen Punkt ansprechen, bei dem ich mich ehrlicherweise ein bisschen geärgert habe. Die Ministerin hat gerade gesagt, wir müssten über die Forderungen, über die wir gerade diskutieren, noch weiter hinausgehen. Ich habe heute Morgen ein großes Interview in der „Welt“ mit dem Kollegen Michael Groß gelesen, in dem er ganz weitreichende Forderungen nennt, was wir im Mietrecht noch alles machen müssten. Er fordert mehr Regulierung, einen Mietenstopp, er fordert, dass Mieter ihre Miete im Prinzip selber absenken dürfen, die Mietpreisbremse flächendeckend einzuführen, die Modernisierungsumlage auf 5 Prozent abzusenken.
({5})
All das wird von der SPD jetzt noch zusätzlich gefordert.
Dazu könnte ich fachlich noch sehr viel sagen, aber ich habe leider keine Zeit mehr, deswegen nur so viel: Am Ende würde dieser Mietenstopp zu einem Investitionsstopp führen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir brauchen. Wir müssen mehr, schneller und kostengünstiger bauen, wenn wir das Problem in den Griff bekommen wollen.
({6})
Was mich da wirklich geärgert hat, ist nicht so sehr die fachliche Seite, sondern dass sich die SPD an dieser Stelle wieder selber klein macht. Wir haben doch ein gutes und ausgewogenes Paket gemacht. Lassen Sie uns dieses Paket doch jetzt einfach einmal auf den Weg bringen!
({7})
Lassen Sie uns den Menschen doch sagen, dass es gut ist, dass es richtig ist, was wir machen! Spielen Sie von der SPD in der Koalition doch nicht schon wieder Opposition! Das hilft Ihnen am Ende doch nicht. Sie stehen in den Umfragen gerade bei 14 Prozent.
({8})
Lernen Sie doch daraus! Lassen Sie uns dieses Paket gemeinsam kraftvoll nach vorne bringen! Das hilft den Menschen in unserem Land. Bringen Sie nicht wieder Streit in dieses Gesetzgebungsverfahren.
Vielen Dank.
({9})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katharina Willkomm, FDP.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht Ihre Wünsche werfe ich Ihnen vor, sondern das, was Sie in der Wirklichkeit damit anrichten. Die Mietpreisbremse muss weg, und sie darf nicht weiterentwickelt werden.
({0})
Warum? Wie im Internet stand, hat allein die seit Monaten wabernde Diskussion um Mietrechtsverschärfungen dazu geführt, dass die Mieten zuletzt auch in bestehenden Mietverhältnissen auf viel breiterer Front gestiegen sind als zuvor.
({1})
Warum? Weil die Vermieter das Mietrechtsvorhaben dieser Regierung ganz richtig verstanden haben. Auch wenn dieses Gesetz zustande kommt, will der Vermieter auf lange Sicht auf den grünen Zweig kommen. Deshalb darf er seine Bestandsmieter nicht mehr weitgehend in Ruhe lassen und das Auseinandergehen von Kosten und Einnahmen erst beim nächsten neuen Mieter wieder ausgleichen.
Nein, er steht unter dem Druck, die Mieten im Bestand permanent zu erhöhen. Bei diesem einen Punkt gelingt der Großen Koalition, was sie sonst nicht hinbekommt: die Umgestaltung eines Politikbereichs auch ohne gesetzgeberisches Handeln. Dieselskandal, Flugausfälle, Fachkräftemangel in der Pflege – es gibt viele andere Themen, wo die Leute sich wünschten, das würde immer funktionieren.
({2})
Greifen wir nur ein Beispiel aus Ihrem Vorhaben, um zu zeigen: Sie wollen sicher das Gute. Sie erreichen aber etwas anderes: Der Wegfall der qualifizierten Rügepflicht ist ganz klar eine Erleichterung für den Mieter. Aber was Sie tatsächlich kreieren, ist eine Rüge des Mieters ins Blaue hinein.
Schon Ihre Grundannahme ist unzutreffend. Der Deutsche Richterbund hat bereits im Hinblick auf den Referentenentwurf darauf hingewiesen, dass die Gerichte so viel vom Mieter gar nicht verlangen. Der Mieter muss in der Rüge lediglich die Tatsachen mitteilen, auf denen die Beanstandung der vereinbarten Miete beruht. Wozu? Damit er die Zulässigkeit der vereinbarten Miete zunächst prüft, bevor er deren Höhe moniert. Besondere Anforderungen werden an die Begründung der Rüge jedoch nicht gestellt.
Auch Ihre Forderungen zu Kappungsgrenzen und zur Kostenumlage bei Modernisierungen dienen für sich genommen dem Geldbeutel der Mieter. An dieser Absicht gibt es nichts zu kritisieren – im Gegenteil.
({3})
Dass Sie mit diesen Vorschlägen aber zugleich massiv das Investitionsklima verschlechtern, das müsste doch zumindest die Union erkennen.
({4})
Was Sie tatsächlich fördern, ist die Gefahr, den Modernisierungsstau im Bestand zu vergrößern. Das hilft Ihnen weder, die vollmundigen Klimaschutzziele zu erreichen, noch bringt es uns bei den Herausforderungen des demografischen Wandels weiter.
({5})
Wir brauchen nicht noch mehr vom Falschen. Deshalb lehnt die FDP diesen Gesetzentwurf ab.
Vielen Dank.
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Caren Lay, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss schon sagen: Wenn ich mir diese Debatte so anhöre, dann habe ich wirklich das Gefühl, dass viele sich überhaupt nicht vorstellen können, wie das ist, wenn man morgens Angst haben muss, einen Brief des Vermieters aus dem Briefkasten zu ziehen und ihn zu öffnen. Aber Hunderttausende Mieterinnen und Mieter kennen diese Angst.
Ich war kürzlich bei einer Versammlung von Vonovia-Mietern in Stuttgart: ein Saal voller verzweifelter Menschen mit kleinem Einkommen; die meisten Rentnerinnen und Rentner. Sie haben Angst, Briefe vom Vermieter zu öffnen, Angst vor jeder Mieterhöhung, Angst vor jeder Modernisierungsumlage, Angst vor jeder getricksten Nebenkostenabrechnung. Sie haben Angst, dass sie sich ihre Wohnung nicht mehr leisten können, und diese Angst teilen inzwischen 74 Prozent der Mieterinnen und Mieter in den Städten. Das ist doch schlimm. Dagegen müssen wir doch etwas tun.
({0})
Da können wir hier doch nicht solche Reden halten und sagen: Es ist schon alles passiert.
Der Gesetzentwurf der Regierung hilft da leider nicht viel weiter, schon alleine, weil zur Deckelung der Bestandsmieten, also der Altmietverträge, rein gar nichts unternommen wird. Dabei ist das doch das zentrale Problem.
({1})
Die Mietpreisbremse gilt ja nur dann, wenn Leute auch tatsächlich umziehen. Da feiern Sie sich jetzt ab über die Auskunftspflicht bezüglich der Höhe der Vormiete. Ich meine, das ist schön und gut. Man könnte auch sagen: Das ist lieb und nett. – Aber das zentrale Problem ist es doch eigentlich gar nicht. Davon profitiert doch nur ein Bruchteil der Mieterinnen und Mieter. Wenn vielleicht 0,5 Prozent der Mieter irgendwas von dieser Regelung haben, dann ist es wirklich viel.
Warum ist denn die Mietpreisbremse ein Rohrkrepierer? Warum funktioniert sie nicht? Wegen der ganzen Bedingungen, wegen der ganzen Ausnahmen, die damals die Lobbyisten der Immobilienwirtschaft mit Unterstützung der Union in dieses Gesetz geklagt haben. Deswegen sagen wir als Linke: Die Ausnahmen bei der Mietpreisbremse gehören abgeschafft – aber Fehlanzeige!
({2})
Das gilt auch für wirkungsvolle Sanktionen gegen die Vermieter: Wer gegen ein Gesetz verstößt, der muss in einem Rechtsstaat bestraft werden. Was überall normal ist, das gilt bisher nur nicht bei der Mietpreisbremse. Das ist doch wirklich absurd.
({3})
Das Schärfste ist: In zwei Jahren läuft die Mietpreisbremse schon wieder aus. Sie ist gerade eingeführt worden, funktioniert nicht, bei ihr wird kaum nachgebessert, und bald läuft sie schon wieder aus. Ehrlich gesagt, wenn man es mit einem besseren Mieterschutz wirklich ernst meinte, dann wäre das das Erste, was man angehen müsste.
({4})
Meine Damen und Herren, die Mietpreisbremse wird wirklich noch als das wirkungsloseste Gesetz aller Zeiten ins „Guinness-Buch der Rekorde“ einziehen,
({5})
und diese angebliche Nachbesserung wird daran auch nichts ändern.
({6})
Für Mieterinnen und Mieter kommt diese Tatenlosigkeit der Regierung wirklich teuer. Nehmen wir doch aus aktuellem Anlass mal das Bundesland Hessen. Frankfurt ist bereits jetzt die zweitteuerste Stadt in Deutschland. Wir zahlen dort inzwischen 20 Prozent mehr als 2013. In der Stadt Offenbach hatten wir im gleichen Zeitraum einen Anstieg um fast 30 Prozent auf über 10 Euro pro Quadratmeter bei einem neuen Mietvertrag. Fast die Hälfte der Offenbacher muss mehr als 30 Prozent seines Einkommens für die Miete ausgeben. Da bleibt für Anschaffungen, für Urlaub kein Pfennig mehr übrig. Eine ähnliche Situation haben wir in Kassel, in Darmstadt und in Frankfurt. Das kann doch wirklich nicht wahr sein.
({7})
Heute habe ich im Hessen-Trend die sinkenden Umfragewerte von Union und SPD gesehen: Vielleicht hat es etwas damit zu tun; vielleicht hat es mit dieser verpennten Mietenpolitik der letzten fünf Jahre zu tun.
({8})
Dieses Gesetz wird nicht viel helfen. Die Mietpreisbremse bleibt Etikettenschwindel. Sie feiern sich hier für heiße Luft kurz vor den hessischen Landtagswahlen; aber der Effekt ist minimal.
Die Kosten der Modernisierung können auch weiterhin auf die Mieterinnen und Mieter umgelegt werden. Die Modernisierungsumlage ist ja das Verdrängungsinstrument Nummer eins. Die Absenkung der Modernisierungsumlage von 11 auf 8 Prozent der Modernisierungskosten ist ein Schritt in die richtige Richtung, löst aber das Kernproblem nicht. Das Kernproblem besteht darin, dass die Modernisierungsumlage in erster Linie eines ist: ein Finanzprodukt für Investoren.
({9})
Die Vonovia-Mieter in Stuttgart und viele andere können ein Lied davon singen. Mit kaum einer anderen Geldanlage kann man so viel Geld verdienen wie mit der Modernisierung von Mietwohnungen in deutschen Großstädten. Das zieht doch Spekulanten förmlich an. Deswegen gehört die Modernisierungsumlage abgeschafft.
({10})
Das ist einer von mehreren Punkten, die wir als Linke fordern.
Zweitens muss die Mietpreisbremse ohne Ausnahme gelten.
Drittens wollen wir einen Mietenstopp. Auf angespannten Wohnungsmärkten darf die Miete nicht mehr steigen als die Inflationsrate.
({11})
Das fordert Die Linke seit 2013. Ich freue mich sehr, dass die SPD das übernommen hat, bin aber gespannt, ob das bei der Abstimmung dann immer noch gilt.
({12})
Wir wollen außerdem – das ist ein ganz wichtiger Punkt – Mieterinnen und Mieter vor Kündigungen und vor Zwangsumzügen besser schützen. Auch davon findet sich in diesem Gesetzentwurf kein einziges Wort.
Kollektive Rechte von Mieterinnen und Mietern wollen wir als Linke stärken, auch Gewerbetreibende, kleine Läden, Klubs und Kulturbetriebe müssen wir besser schützen.
Letzter Punkt. Die Umlage von Betriebskosten muss auch zukünftig einheitlich, transparent und auch mieterfreundlich ausgestaltet und umfassend definiert werden. Zu oft wird auch hier getrickst. Auch das ist ein wichtiges Thema für die Vonovia-Mieter in Stuttgart.
Wenn ich mir das so anhöre, dann empfehle ich vielleicht jedem von Ihnen, insbesondere den Herrschaften hier im rechten Teil des Raumes, dort mal einen Besuch. Wenn ich mir diesen schwachen Gesetzentwurf ansehe, dann habe ich das Gefühl: Sie wissen gar nicht, was auf dem Wohnungsmarkt so los ist, und das, meine Damen und Herren, muss sich dringend ändern.
({13})
Jetzt hat das Wort die Kollegin Canan Bayram, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal beschäftigen wir uns hier mit dem Mietrecht. Jetzt ist tatsächlich ein Gesetzentwurf vorgelegt worden, der von der Regierung, von den Regierungsfraktionen abgefeiert wird, und man fragt sich da schon etwas. Vor zehn Jahren hätte das eine Lösung sein können, aber dieses Gesetz kommt mindestens zehn Jahre zu spät, und damit sind wir nicht einverstanden.
({0})
Dann haben Sie sich neulich noch beim Wohngipfel abgefeiert, wo der für das Thema Wohnen verantwortliche Minister nicht war, weil er sich um anderes gekümmert hat. Ich war in meinem Wahlkreis bei einem alternativen Wohngipfel, und da wurden die wirklichen Probleme verhandelt, die es in Deutschland beim Thema „Mieten und Wohnen“ gibt, meine Damen und Herren.
({1})
Da war es tatsächlich so, dass diskutiert wurde, dass die Rechte von Mieterinnen und Mietern unzureichend formuliert sind. Daran ändert dieser Gesetzentwurf nichts, und deswegen lehnen wir ihn in dieser Form ab.
({2})
Im Moment gibt es auf dem Wohnungsmarkt tatsächlich viel zu viel Spekulation und Erwartungen in Bezug auf Geld. Es macht doch keinen Sinn, durch diese Modernisierungsmaßnahmen noch mehr Geld reinzustecken. Es macht doch gar keinen Sinn, dass der Staat, der teilweise die Mieten zahlt, immer weiter Geld in den Immobilien- und Wohnungsmarkt reinsteckt. Nein, was die Leute brauchen, ist Recht, ist Schutz durch Recht, durch Recht für Mieterinnen und Mieter.
({3})
Sie haben versäumt, dies heute tatsächlich zu stärken.
({4})
Es geht natürlich darum, dass Sie zum Kündigungsschutz überhaupt nichts geregelt haben.
({5})
Heute kann jeder, jeder vertragstreue Mensch, unverschuldet Gefahr laufen, seinen Mietrechtsschutz zu verlieren,
({6})
weil Sie ihn nicht schützen,
({7})
obwohl wir das als Parlament nicht nur könnten, sondern auch müssten, meine Damen und Herren.
({8})
Ich habe heute Morgen die Zeitungen aufgeschlagen und gelesen, dass der Kollege von der SPD alle Rezepte hat. Ich fand das, was ich gelesen habe, ehrlich gesagt, ganz toll. Da habe ich mich nur gefragt: Warum hat denn die SPD die Frau Barley damit beauftragt, die Rechte der Mieterinnen und Mieter zu schützen? Sie hätte doch den Kollegen daransetzen sollen; dann wären wir heute vielleicht einen Schritt weiter, als wir tatsächlich sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie können den Leuten nicht vormachen, dass Sie mehr wollen und nicht können, wenn Sie noch nicht mal dafür kämpfen, dass die Mieterinnen und Mieter geschützt sind.
({9})
Jetzt hat das Wort der Kollege Johannes Fechner, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Nicht nur in den Großstädten und in den Universitätsstädten sind die Mieten in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Wenn sich selbst Normalverdiener keine zentrale Wohnung mehr leisten können oder wenn bei Familien die Hälfte des Einkommens für die Miete draufgeht, dann müssen wir etwas gegen diese hohen Mieten tun, und genau das tun wir heute mit dem Mieterschutzgesetz. Dieses Gesetz verhindert, dass die Mieten wegen Modernisierung so stark wie bisher steigen können, und deshalb ist es ein gutes Gesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Dabei sei ganz klar gesagt: Wir müssen in Deutschland Wohnungen sanieren. Die Gebäude verbrauchen in Deutschland etwa ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs und sind für rund ein Drittel der CO 2 -Emissionen verantwortlich. Deswegen wollen wir selbstverständlich Investitionen in Wohnungen ermöglichen. Aber auf der anderen Seite wollen wir verhindern, dass Mieterinnen und Mieter wegen der Umlage von Modernisierungskosten in finanzielle Nöte kommen, ihre Wohnung am Ende verlassen müssen; „herausmodernisieren“ nennt man das, und das machen wir als SPD nicht mit, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Mit diesem Mieterschutzgesetz sorgen wir dafür, dass zukünftig Modernisierungskosten nur noch in Höhe von 8 Prozent statt bisher 11 Prozent umgelegt werden können, und ich mache keinen Hehl daraus, dass wir in den Verhandlungen den Wert von 6 Prozent erreichen wollen. Auch in Ihrer Fraktion, Kollege Luczak, gibt es die Ersten, die verstehen, dass das sinnvoll ist; ich erinnere an den Brief Ihrer CDU-Kollegen, und deshalb werden wir uns in den Verhandlungen dafür einsetzen.
({2})
Die zweite wichtige Neuerung besteht darin, dass wir bundesweit erstmals einen Deckel bekommen, dass die Miete nach Modernisierung um nicht mehr als 3 Euro pro Quadratmeter innerhalb von sechs Jahren erhöht werden kann. Das wollen wir auf jeden Fall. Besser wäre es, hier auf eine Grenze von 2 Euro zu gehen. Wir hören aus Ihrer Fraktion Stimmen, die dieses Anliegen teilen, und da werden wir Sie in den parlamentarischen Verhandlungen, Herr Kollege Luczak, beim Wort nehmen.
({3})
Die dritte Neuerung besteht darin, dass der Mieter zukünftig Schadensersatzansprüche hat, wenn ihm der Vermieter Modernisierungen ankündigt, er aus Angst vor deutlich höherer Miete die Wohnung verlässt, dann aber gar nicht renoviert wird. Mit unserem Gesetz kann der Mieter zukünftig Schadensersatz, etwa für die Umzugskosten, geltend machen. Das Vergraulen der Mieterinnen und Mieter mit vorgeschobenen Gründen ist nicht in Ordnung, und das beenden wir mit diesem Gesetz.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz schafft wichtige Verbesserungen, weil die Umlage von Modernisierungskosten deutlich begrenzt wird. Wir tun das in einem fairen Ausmaß, sodass die Investitionen nach wie vor möglich bleiben. Wir wollen aber deutlich mehr; so dramatisch ist die Lage auf dem Wohnungsmarkt.
Weil der Mietspiegel für die ortsübliche Vergleichsmiete entscheidende Bedeutung hat, wollen wir die Berechnungsgrundlagen verbessern und den Betrachtungszeitraum von vier Jahren auf sechs Jahre ausweiten. Wenn immer mehr unionsregierte Länder die Mietpreisbremse auslaufen lassen – sie funktioniert nämlich dort, wo sie gilt; das zeigen deutschlandweit Urteile –, wenn also Ihre Parteifreunde sie deutschlandweit auslaufen lassen, dann zeigt das, dass wir eine bundesweite Regelung brauchen.
({5})
Weil wir Mieterinnen und Mieter nicht im Regen stehen lassen wollen, wenn Wuchermieten verlangt werden, wollen wir den § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes anwendbar ausgestalten, sodass die Mieter mit Wuchermieten nicht allein sind, sondern Behörden hiergegen vorgehen können, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({6})
– Es geht hier um die schwarzen Schafe, nicht um die breite Masse, und deswegen brauchen wir diese Verbesserungen.
Wir freuen uns auf das Gesetzgebungsverfahren, weil wir die Chance haben, ganz konkrete Verbesserungen für die Mieterinnen und Mieter zu erreichen. Der Druck auf den Wohnungsmarkt lässt keine Verzögerung zu. Vor allem müssen wir den Mieterinnen und Mietern Instrumente an die Hand geben. Bis all die Maßnahmen, die wir beschlossen haben, um den Bau von mehr Wohnraum zu schaffen, greifen, brauchen wir Verbesserungen im Mietrecht.
Dank an Justizministerin Barley und die Mitarbeiter im BMJV!
({7})
– Ja, einen Applaus ist das wert. – Sie haben dieses Gesetz zügig vorgelegt. Lassen Sie uns gemeinsam diese wichtigen Verbesserungen für die Mieterinnen und Mieter beschließen.
Vielen Dank.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Udo Hemmelgarn, AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauer auf den Tribünen! Deutschland im Oktober 2018: Seit mehr als zehn Jahren befindet sich dieser Staat im Rettungswahn – dank der Merkel-Regierung und auch Teilen der Opposition.
({0})
Sie wollen die EU retten, den Euro retten, Banken retten, Griechenland retten, das Klima retten,
({1})
Flüchtlinge retten und retten unsere Bürgerinnen und Bürger mit Fahrverboten vor dem Feinstaub, obwohl die Atemluft seit der Industrialisierung wohl nie so gut war wie heute.
({2})
Viele Menschen weltweit fragen sich mittlerweile: Sind diese Deutschen noch zu retten?
({3})
Wenn diese Politik sich fortsetzt, wird es in einigen Jahren heißen: Rette sich, wer kann!
({4})
Jetzt haben sich insbesondere die Linken auf die rote Fahne geschrieben: Rettet den Mieter! Der Feind ist auch schon ausgemacht. Es ist der böse Vermieter, obwohl es sich bei Vermietern zu über 60 Prozent um private Kleinvermieter handelt, und die haben in den letzten Jahren die Miete vielfach nicht erhöht.
Die Regierung versucht jetzt, mit viel sozialistischem Klamauk dem extrem angespannten Wohnungsmarkt den nächsten Stoß zu versetzen: durch Verschärfung der Mietpreisbremse, neue Kappungsgrenzen bei der Modernisierung, mehr Bürokratie für den Vermieter – ohne einen positiven Effekt für den Mieter. Das, liebe Entwurfsverfasser, wird so nicht funktionieren, wird die Neigung von Kleinvermietern, in den Mietwohnungsbau zu investieren, weiter verringern und – von Ihnen sicher nicht gewünscht –: Es wird zu einer Konzentration auf die großen Wohnungsgesellschaften führen.
Glauben Sie denn wirklich, dass die Mietpreisbremse sozial ist?
({5})
Sie führt doch dazu, dass sich der Vermieter für den Mieter entscheiden wird, der am solventesten ist. Das Hauptziel muss doch sein, kurzfristig einen funktionsfähigen Wohnungsmarkt wiederherzustellen. Es gilt, die Schere zwischen Angebot und Nachfrage zu schließen.
({6})
– Ja.
({7})
Das wird nur in einem fairen Abstimmungsprozess zwischen Investoren und Politik gelingen und nicht mit Restriktionen.
Auch die von der Bundesregierung aufgelegten kleinlichen und peinlichen Förderprogramme werden an der derzeitigen Wohnungsmisere nichts ändern.
({8})
– Warten Sie doch ab. – Vor allem das Ziel, in dieser Legislaturperiode 1,5 Millionen Wohnungen neu zu bauen, wird damit bei weitem nicht erreicht. Hier bedarf es wirksamerer Maßnahmen. Deshalb fordern wir von der AfD die Abschaffung der Grund- und Grunderwerbsteuer bei voller Kompensation durch den Bund,
({9})
eine nachhaltige Unterstützung der Städte und Gemeinden beim Baulandmanagement, insbesondere in den Metropolregionen,
({10})
eine Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsprozesse, ein Ende des Dämmwahnsinns, ein Moratorium für die Energieeinsparverordnung
({11})
und die nachhaltige Stärkung des ländlichen Raums zur Entlastung der Metropolregionen.
({12})
So lässt sich der Wohnungsmarkt neu beleben – sachgerecht und ohne ideologische Scheuklappen.
({13})
Für die finanzschwächeren Mieter fordern wir eine sofortige und kräftige Erhöhung des Wohngeldes sowie die Erweiterung des Empfängerkreises. Finanzieren, meine sehr verehrten Damen und Herren, lässt sich das Ganze relativ einfach: durch ein Ende des Rettungswahns.
Vielen Dank.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Karsten Möring, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bedauerlicherweise habe ich nur vier Minuten Redezeit. In dieser Zeit kann ich in der Tat nicht all den Quatsch und all die Falschbehauptungen, die von der Kollegin Bayram und von der Kollegin Lay aufgestellt worden sind, widerlegen.
({0})
Das können wir vielleicht bei anderer Gelegenheit noch mal vertiefen.
Ich kann nur sagen: Mit solchem Käse kommt man in der Frage, um die es hier geht, nicht weiter. Über die Ignoranz bei der AfD angesichts der konkreten Situation in den großen Städten und der Mieterlage dort brauchen wir gar nicht zu reden.
({1})
Fehlende Wahrnehmung der Wirklichkeit ist das, was uns nichts bringt.
Ich möchte mich kurz auf den Teil unseres Mietrechts konzentrieren, wo es um die Modernisierungen geht. Bei der Modernisierung, die wir alle wollen, gibt es zwei Aspekte: Wir haben die energetische Modernisierung, und wir haben die Modernisierungen der Wohnungen insgesamt. Dazu gehört zum Beispiel der notwendige altersgerechte Umbau.
Unsere Sanierungsquoten liegen deutlich unter 1 Prozent. Wir wissen alle, dass wir diese Quoten erhöhen müssen. Deswegen: Bei allen Fragen über die Begrenzung von Anrechnungsmöglichkeiten, über die Begrenzung von Mieterhöhungen im Zusammenhang mit Modernisierungen müssen wir sehr genau im Auge behalten, dass wir dadurch die Modernisierungen nicht so weit zurückfahren, dass wir eine Sanierungsquote von über 1 bis 1,5 Prozent gar nicht mehr erreichen können.
Wir müssen also eine Abwägung treffen. Diese Abwägung haben wir in diesem Gesetz vorgenommen. Wir haben sie auf zweierlei Weise vorgenommen. Wir haben einmal gesagt: Die Absenkung der Modernisierungsumlage auf 8 Prozent in den angespannten Wohnungsmärkten dient dazu, dass die Mieterhöhung durch Modernisierung erträglich bleibt.
Wir haben außerdem bei Modernisierungsmieterhöhungen eine Grenze von 3 Euro pro Quadratmeter eingezogen. Wenn dann im Einzelfall trotzdem kolportiert wird, dass eine Mieterhöhung, die diese 3‑Euro-Grenze ausschöpft, zu einer Mieterhöhung von 80, 90, 100 Prozent führt, dann kann das sein. Aber das geht nur, wenn die Ausgangsmiete nur 3 Euro pro Quadratmeter betrug. Wenn wir in diesem Kontext über Probleme bei Mieterhöhungen reden, dann sollten wir nicht nur über Prozentsätze, sondern auch über absolute Beträge reden; denn dann handelt es sich in der Regel um Wohnungen in einem Zustand, in dem eigentlich keiner wohnen will.
Der Spruch: „Ruinen schaffen ohne Waffen“, der gilt, liebe Frau Lay, wenn Sie eine solche Wohnungspolitik durchsetzen. Dann wird nämlich nichts mehr gemacht. Sie werden am Ende nur noch Wohnungen an Mieter verteilen können, die einem Anspruch auf eine moderne Wohnung bei weitem nicht gerecht werden.
({2})
Warum können wir eine Differenzierung zwischen 8 Prozent Mieterhöhungsmaximum in angespannten Wohnungsmärkten und 11 Prozent im übrigen Wohnungsmarkt vertreten? Wir wollen die Modernisierung, wir wollen die energetische Modernisierung, und wir brauchen sie auch. Der entscheidende Punkt ist aber: Wo fangen wir an? Wenn wir die Erhöhung der Modernisierungsquote auf 1,5 Prozent in den Bereichen, wo wir keine angespannten Wohnungsmärkte haben, schaffen, ist das beispielsweise unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes genauso gut, wie wenn wir das in angespannten Wohnungsmärkten machen. Wir müssen ja nicht überall gleichzeitig anfangen.
Der entscheidende Punkt ist aber, dass wir all diese begrenzenden Faktoren hinsichtlich Miethöhe usw. als Lösung für die Zeit angespannter Wohnungsmärkte brauchen. Deswegen ist es richtig, und es bleibt richtig, dass die endgültige Lösung nur darin besteht, ausreichend Wohnraumangebote zu haben.
Liebe Kollegen von der FDP und zum Teil auch von der AfD, ich sehe überhaupt nicht, dass das, was wir bisher im Mietrecht beschlossen haben, ein Investitionshindernis ist. Es wird viel gebaut. Ich sehe da überhaupt keine Bremse. Ich glaube auch, dass wir bei dem, was wir jetzt beschließen, keinen Bremseffekt auslösen. Wir müssen das im Auge behalten, das muss ausgewogen sein, aber unsere Ziele wollen wir erreichen. Das geschieht mit diesem Gesetz. Deswegen ist dieses Gesetz gut, und wir sollten es auch nicht schlechtreden, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD.
Danke.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Daniel Föst, FDP.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Die Mietpreisbremse sollte ersatzlos gestrichen werden, da sie weitgehend wirkungslos ist und dort, wo sie wirkt, den Abbau von Wohnungsknappheit behindert.
({0})
Dieser Satz stammt nicht von mir – auch wenn er absolut richtig ist –, sondern er stammt von den Beratern der Bundesregierung, genauer gesagt vom Wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums. Dass Sie nicht auf uns hören, sind wir ja gewohnt, das gehört zu Ihrem politischen System, aber hören Sie doch wenigstens auf Ihre eigenen Fachleute; denn die liegen mit ihrer Analyse goldrichtig.
({1})
Die Mietpreisbremse kann das Problem der Mietenexplosion nicht lösen. Sie verschlimmert sogar das Problem; denn sie ist eine Wohnbaubremse. Darum gehört sie nicht verschärft, sondern abgeschafft.
({2})
Herr Kollege Föst, der Kollege Mindrup würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Herr Mindrup, gerne.
Herr Kollege, Sie wissen ja, dass der Wissenschaftliche Beirat zugegeben hat, dass er nicht wusste, dass die Mietpreisbremse nicht für Neubauten gilt und dass deswegen die Voraussetzung für dieses Gutachten gar nicht korrekt ist.
({0})
Noch zwei Anmerkungen zu Ihrer Rede. Sie predigen ja gerade wieder die reine neoliberale freie Marktwirtschaft, nicht die soziale Marktwirtschaft.
({1})
Wenn sie funktionieren würde, gilt ja das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Es gibt eine gigantische Nachfrage nach kostengünstigem Wohnraum, aber den befriedigt diese Marktwirtschaft im Augenblick gar nicht; er wird gar nicht angeboten. Also funktioniert sie an dieser Stelle nicht.
({2})
Noch ein Punkt. Ich kenne bei mir im Wahlkreis eine Familie mit zwei Kindern, die die ganze Zeit ihre Miete zahlt. Das Haus ist im letzten Jahr im Prinzip komplett saniert worden. Jetzt ist das Haus verkauft worden. Die Miete soll aufgrund einer Luxusmodernisierung von 600 auf 1 500 Euro steigen. Die Wohnung wird im Internet angeboten. Die Makler sagen: Im nächsten Jahr ist die Familie draußen. – Die Fenster und die Heizungsanlage sollen natürlich im Winter ausgewechselt werden. Was sagen Sie denn diesen Leuten?
({3})
Herr Mindrup, dem Wirtschaftsbeirat ist ein Lapsus unterlaufen: nicht nur, dass die Mietpreisbremse nicht bei Neubauten gilt, sondern sie gilt auch nicht bei Erstvermietungen ab Oktober 2014. Aber trotzdem ist die Analyse richtig.
({0})
– Das mögen Sie ideologisch so bewerten. – Der Wissenschaftliche Beirat, Ihre Fachleute, sind in ihrer Analyse nicht davon abgewichen.
({1})
Sie haben völlig zu Recht gesagt: In den Städten fehlt Wohnraum, und der vorhandene ist zu teuer. – Dann müssen wir dieses Problem lösen: Dann bauen wir mehr, bauen wir schneller und bauen wir günstiger. Vergessen wir den ländlichen Raum nicht.
({2})
Die Sanierungen in allen Ehren; wir brauchen Sanierungen im Bestand, ohne Frage – aus energetischen Gründen, weil die Bevölkerung älter wird, weil auch die Wohnqualität steigen muss. Dass wir die Sanierungsumlage von 11 auf 8 Prozent reduzieren, ist okay, aber es stellt sich die Frage: Steigt die Miete um 400 Euro oder um 350 Euro? Das löst doch kein Problem.
({3})
Wenn wir wollen, dass der Bestand energetisch saniert wird, und wenn wir wollen, dass für die ältere Gesellschaft vorgesorgt wird, dann müssen wir auch schauen, dass wir uns das leisten können.
({4})
Das ist eine Aufgabe von Vermietern, Mietern und Staat. Deswegen wäre zum Beispiel eine Abschaffung der Modernisierungsumlage das Ende jeder Investition im Bestand. Das wäre ein fatales Signal.
({5})
Aber vielen Dank für Ihre Frage.
({6})
– Frau Nissen ist schon wieder in Wallung; sehr schön.
Die Regierung glänzt bei dem Thema Mietpreisbremse mit Beratungsresistenz; das haben wir heute wieder gesehen. Die Ministerin sagt, die Analyse der Fachleute sei „verantwortungslos“, ihre Parteikollegen sprechen von „marktradikalem Unfug“. So dünnhäutig reagiert man nur auf ein wissenschaftliches Gutachten, wenn die Realität mit der eigenen Ideologie kollidiert.
({7})
Ihre sogenannte Mietpreisbremse ist nichts anderes als reine Wohlfühlrhetorik; denn sie wird den Mietern nicht helfen, am Ende wird sie den Mietern schaden.
({8})
Sie bekämpft nicht die Ursachen, sondern doktert nur an den Symptomen herum.
({9})
In Deutschland – das ist hier im Hohen Haus ja unbestritten – fehlen 1,5 Millionen Wohnungen, und deshalb explodieren die Mieten. Die Lösung heißt also: mehr bauen, schneller bauen, günstiger bauen, und wir dürfen den ländlichen Raum nicht länger vergessen.
({10})
Das einzige aber, das die Regierung zustande bringt, ist mehr Regulierung und das Wahlgeschenk Baukindergeld, das ja zum Glück nicht funktioniert hat.
({11})
Wir brauchen massive Investitionen in den Wohnungsbau, und die schaffen wir nur, wenn alle Akteure an einem Strang ziehen. Die Strategie der Regierung müsste also heißen: mehr Kooperation, weniger Konfrontation. Aber Sie senden mit Ihrer Regulierungsorgie ein verheerendes Signal an alle aktuellen und zukünftigen Vermieter. Die Mietpreisbremse verhindert den so dringend benötigten Neubau von Wohnungen, weil sie die kleinen Vermieter aus dem Markt drängt.
({12})
Frau Nissen, die vielen Kleinvermieter, die über 60 Prozent der Mietwohnungen bereitstellen, haben irgendwann die Schnauze voll und werden das Vermietungsgeschäft sein lassen; sie verkaufen und investieren nicht. Im Ergebnis gibt es noch weniger Wohnungen, noch größere Mietkonzerne, und die Preise explodieren noch stärker. Die Leidtragenden Ihrer ideologischen Politik sind die Mieter.
({13})
Um den Wohnungsmangel zu beheben, brauchen wir mehr Kooperation und weniger Konfrontation. Ich weiß, dass die Mietpreisbremse nicht bei Neuvermietungen wirkt. Aber was ist denn bei dem nächsten und übernächsten Mieter? Sie haben ein Preisregime, das Investitionen gerade von kleinen Vermietern im Markt aushebelt und bremst. Wir wollen auch nicht alles in einer Hand. Wir brauchen ein durchmischtes Angebot bei der Vermietung. Und da ist das, was Sie tun, gefährlich. Mit Ihrem Gesetzentwurf bewirken Sie genau das Gegenteil: Sie verhindern den Wohnungsbau, Sie drängen kleine Vermieter vom Markt. Sie lösen damit keine Probleme, Sie schaffen neue, und das ist sehr gefährlich.
({14})
Zu einer Zwischenbemerkung erteile ich dem Kollegen Westphal, SPD, das Wort. – Entschuldigung es liegt ein Missverständnis vor. – Herr Mindrup, Sie haben gerade eine Zwischenfrage gestellt. Ich kann Ihnen jetzt nicht noch einmal das Wort erteilen. Wir haben eine Redezeitvereinbarung, und die kann ich nicht beliebig ausweiten.
Deswegen erteile ich jetzt das Wort Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werter Kollege Föst, Ihre Rede hat gezeigt: Die FDP will beim Mietrecht nichts machen. Damit sagen Sie den Menschen, die heute in einer Mietwohnung in den großen Ballungsräumen leben, dass Ihnen die Mietenanstiege dort herzlich egal sind.
({0})
Das ist eine Position, die man einnehmen kann; aber ich rate davon ab. Wenn ich mir den Gesetzentwurf der Großen Koalition anschaue, dann muss ich am Ende sagen: Das ist ein Minimalkompromiss, den Sie in der Koalition gefunden haben. Sie streiten sich hier sozusagen auf offener Bühne darüber,
({1})
wie es weitergehen soll; aber den Menschen da draußen in den Städten wird das nicht helfen. Dieser Gesetzentwurf ist nichts anderes als Augenwischerei.
({2})
Es gibt ein paar kleine Fortschritte – das ist gar keine Frage –, und die SPD hat auch gekämpft. Aber angesichts dessen, dass Sie der Union das Geschenk Baukindergeld in Höhe von 12 Milliarden Euro gemacht haben, haben Sie als SPD beim Mietrecht zu wenig bekommen.
({3})
Ich sage Ihnen auch, warum das zu wenig ist. Es ist deswegen zu wenig, weil die Mietpreisbremse in zwei Jahren in ganz Deutschland auslaufen wird, und dann sind wir wieder bei null bei der Frage des Mietenanstiegs im Bestand. Ganz ehrlich, Frau Barley, sich hierhinzustellen, eine Reform zu verkünden und zu sagen: „Jetzt helfen wir den Menschen da draußen“, aber in zwei Jahren ist dieses Ding abgelaufen, ist wirklich erbärmlich.
({4})
Deswegen ist dieser Gesetzentwurf nichts wert und Augenwischerei. Und wenn wir die Entfristung der Mietpreisbremse in den Beratungen nicht hinbekommen, dann machen wir uns als Deutscher Bundestag und als Wohnungspolitiker wirklich lächerlich.
({5})
Ulli Nissen, ganz kurz – weil du wahlkampftechnisch immer wieder reinrufst und gerade Hessen ansprichst –: Diese Entfristung der Mietpreisbremse kann nicht Priska Hinz in Hessen machen. Das müsst ihr hier in Berlin machen, das muss Frau Barley machen, dafür müsst ihr als Bundestagsfraktion der SPD kämpfen.
({6})
Zu dieser wunderbaren Kappung bei der Modernisierungsumlage auf 3 Euro pro Quadratmeter: Ich werde von Mieterinnen und Mietern, die von Herausmodernisierung oder Modernisierung der Mietbestände betroffen sind, immer wieder eingeladen. Ich war vor einiger Zeit bei einer älteren Dame, 80 Jahre, in ihrer 50‑Quadratmeter-Wohnung. Diese Frau kann sich mit ihrer Rente die Mietsteigerung um 150 Euro einfach nicht leisten. Dieses soziale Problem – jemand wohnt 30 Jahre in einer Wohnung, muss am Ende ausziehen und kann vielleicht höchstens die Erstattung der Umzugskosten einklagen – auszublenden, ist doch absurd. Es geht darum, dass diese Frau ihre Wohnung behalten kann.
({7})
Herr Kollege Kühn, die Kollegin Nissen würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Sehr gern.
Lieber Chris Kühn, in Hessen regiert – noch! – die CDU mit den Grünen. In Hessen läuft die Mietpreisbremse schon im Sommer nächsten Jahres aus. Sie wurde von vornherein für vier Jahre gemacht, und dann ist sie auch noch falsch gemacht worden. Das ist sehr seltsam. Warum? In Hessen gibt es eine Kündigungssperrfrist von fünf anstatt zehn Jahren bei Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen gibt es die Möglichkeit, einen Genehmigungsvorbehalt zu machen. Das ist in Hessen nicht gemacht worden. Das finde ich schon höchst seltsam. Es ist leicht, uns hier zu kritisieren, dass wir nicht alles umsetzen; aber selber, auf Landesebene, wo ihr in der Regierungsverantwortung seid, so vehement wichtige Dinge wie gerade diesen Genehmigungsvorbehalt nicht zu machen, finde ich schon sehr seltsam. Ich mache am Sonntag in Frankfurt meinen „Rundgang des Grauens – Den Miethaien auf der Spur“.
({0})
Da sehen wir viele Häuser, die genau davon betroffen sind. Die Anwohner haben gesagt: Warum haben die Grünen das in Hessen nicht gemacht? Warum habt ihr es nicht gemacht?
Frau Kollegin, die Wahl in Hessen ist am Sonntag in acht Tagen.
({0})
Herr Kollege Kühn, Sie dürfen antworten.
Danke, Herr Präsident, für diesen Hinweis. Deswegen will ich nur eine Sache sagen: Die Mietpreisbremse wird natürlich in Hessen innerhalb des gesetzlichen Rahmens verlängert werden.
({0})
Dass die Mietpreisbremse in zwei Jahren ausläuft, ist keine Entscheidung des Landes Hessen, sondern es ist eine Entscheidung der Bundesregierung.
({1})
Übrigens hätte die Große Koalition in der letzten Wahlperiode eine Mietpreisbremse einführen können, die bundesweit gilt. Das hat sie nicht gemacht; vielmehr hat sie den Schwarzen Peter den Ländern zugeschoben.
({2})
Die Bundesregierung hätte in der letzten Wahlperiode auch entscheiden können, dass es keine Ausnahmetatbestände bei der Mietpreisbremse gibt. Das hat sie nicht gemacht. Und wer hat da mitregiert? Die SPD.
({3})
Deswegen sage ich ganz klar: Wer auf Bundesebene solche Probleme beim Mietrecht hat, sollte nicht in jeder Debatte mit dem Finger auf andere zeigen.
({4})
Wir reden hier über Bundesrecht und nicht über Frankfurt und nicht über Hessen.
Ihre Redezeit war bei Zulassung der Zwischenfrage schon am Ende angelangt.
({0})
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege Kühn.
Danke, Herr Präsident. – Zum Schluss sage ich: Was wir wirklich bräuchten, wäre eine Stärkung des Kündigungsschutzes – davon ist hier nichts zu sehen –, eine Reform des Wirtschaftsstrafgesetzes, damit Mietwucher wirklich begrenzt wird, eine realistische Betriebskostenabrechnung sowie endlich ein Gewerbemietrecht, sodass Kitas nicht mehr aus dem Kiez verdrängt werden.
Danke schön.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wohnen ist ein Grundbedürfnis aller Menschen, eine zentrale Frage von Lebensqualität und freier Entfaltung der Persönlichkeit. Wohnen ist in den vergangenen Jahren deutlich teurer geworden, vor allem in den Ballungsgebieten und in den Speckgürteln im Umland. Gleichzeitig haben wir Leerstände an anderen Stellen. In meinem Wahlkreis gibt es beides: Im Umfeld von Köln und Bonn haben wir hohe Mieten und auch weiterhin Zuzug, in ländlichen Bereichen aber auch Leerstand.
Genauso haben wir Unterschiede bei den Vermietern. Es gibt große kommerzielle Vermieter. Sie stellen im Übrigen gar nicht die Mehrzahl der Wohnungen auf dem Mietmarkt, sondern das tun die kleinen privaten Vermieter, diejenigen, die eben mit einer Wohnung ihre Altersvorsorge sichern und deren Kapital wir unbedingt brauchen,
({0})
um genügend Wohnraum schaffen zu können.
Deshalb ist uns als Union beides wichtig:
({1})
Wir sehen zum einen die Situation der Mieter, die mit steigenden Mieten konfrontiert sind und zurechtkommen müssen. Auf der anderen Seite sehen wir aber auch die Situation der Vermieter, die wir nicht überfordern dürfen.
Wir reden im Moment sehr viel über den Wert von Volksparteien. Ich glaube, hier zeigt sich der Wert von Volksparteien. Wir sehen nämlich, dass bei den anderen Parteien die einen nur auf Marktwirtschaft setzen, die anderen aber ein Vermieterbashing auf eine Weise betreiben, wie es wirklich nicht mehr schön ist, den Vermieter zum Klassenfeind erklären und dabei völlig außer Acht lassen, dass es die Vermieter sind, die die Entscheidungen treffen, die uns weiterführen und zur Problemlösung beitragen.
({2})
Es ist also gerade die Aufgabe der Volksparteien, diese Konflikte, bei denen legitime Interessen auf beiden Seiten stehen, zu lösen und einen Konsens zu herbeizuführen, es nicht darauf ankommen zu lassen, ob gerade die eine Seite oder die andere Seite 50 Prozent plus x hat und beide wie ungebremste Züge aufeinander zurasen.
Um zum Thema Mieten zurückzukommen: Der beste Problemlöser bei steigenden Mieten ist natürlich ein größeres Wohnungsangebot.
({3})
Ein größeres Wohnungsangebot gibt dem Mieter die Möglichkeit, zu sagen: Wenn mir das hier zu teuer wird, dann suche ich mir eine andere Wohnung. – Das bringt den Mieter auf Augenhöhe mit dem Vermieter. Deshalb ist der wichtigste Ansatz: Bauen, bauen, bauen.
({4})
Das haben wir uns auch vorgenommen. 1,5 Millionen zusätzliche Wohnungen sollen in dieser Wahlperiode entstehen. Das Baukindergeld hilft dabei. Auch das Gesetz zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsneubaus haben wir auf den Weg gebracht. Es gibt viel neues Geld für den sozialen Wohnungsbau.
({5})
– Richtig! 2,5 Milliarden Euro. – Weitere Ansätze sind richtig: Die BImA soll günstiges Bauland abgeben; denn daran fehlt es häufig.
Aber auch beim Breitbandausbau in ländlichen Regionen haben wir uns viel vorgenommen. Wir tun alles, was dazu beiträgt, um das Wohnen auch auf dem Land attraktiv zu halten. Das hilft, um den Zuzugsdruck auf die Ballungsgebiete abzumildern.
Ich will zwei weitere Punkte nennen: Erstens. Wir müssen uns auch um das Wohnungseigentumsgesetz kümmern, und manches neu regeln, modernisieren und zwischen Mietrecht und WEG-Recht abstimmen, damit auch in vermietete Eigentumswohnungen investiert werden kann.
Zweitens ist mir wichtig, dass wir uns auch darum kümmern, das Potenzial von kleineren Wohnungsbaugenossenschaften unter die Lupe zu nehmen. Das ist ein ganz spannendes Thema; denn wir können hier die Schaffung von neuem Wohnraum mit wichtigen neuen gesellschaftlichen Ansätzen verbinden.
({6})
Dazu gehört altersübergreifendes und altersgerechtes Wohnen; aber auch Modelle wie Carsharing, E‑Bike-Sharing oder die gemeinsame Photovoltaikanlage auf dem Dach gehören dazu. Das sind Modelle, die nicht nur im Mietrecht, sondern übergreifend dazu führen, dass wir zu modernen Wohnformen kommen. Der 7. Altenbericht sagt auch schon etwas dazu.
({7})
Heute debattieren wir aber die Ansätze im Mietrecht. Sie sind schon mehrfach genannt worden; deshalb fasse ich mich an der Stelle etwas kürzer. Wir verschärfen die Mietpreisbremse. Wir verbessern sie aus Sicht der Mieter an zwei Punkten. Die Auskunftspflichten werden verschärft, und bei den Rügepflichten wird es für die Mieter leichter. Es gehört für eine Volkspartei auch dazu, jetzt nicht zu sagen: Das ist die Lösung aller Dinge. – Vielmehr sind wir da realistisch.
Wir denken aber, dass die Mietpreisbremse dort, wo sie wirkt, von Bedeutung ist. Dazu gibt es Urteile, die genau das bestätigen. Trotzdem wissen wir, dass sie das Problem alleine nicht lösen kann; denn sie hat den Effekt, dass der Mieter, der von ihr profitiert, günstiger wohnt, andere Mieter aber finden trotzdem keine Wohnung. Deshalb müssen die anderen Maßnahmen auf den Weg gebracht werden.
Außerdem sieht der Gesetzentwurf Verbesserungen bei den Regelungen zu Modernisierungskosten vor. Das ist die Hilfe für die Bestandsmieter. Diese Regelungen machten häufig hohe Steigerungen bei Bestandsmieten möglich. Ich halte es für nicht ganz unproblematisch, wenn der Vermieter einseitig entscheiden kann, was er macht, und die Kosten von den Mietern getragen werden müssen, auch dann, wenn der Wohnwert nicht immer gesteigert wird.
Ich sehe aber auch: Wir brauchen die Investitionen für energetische Sanierung. Dabei wird Wohnen für alle teurer – für Eigentümer ebenso wie für Mieter. Deshalb müssen wir zu einem fairen Ausgleich kommen und beides im Blick behalten.
Mir ist wichtig, dass wir unsere Vorstellungen im Mietrecht parallel zu den Veränderungen bei den steuerlichen Abschreibungen beraten und verabschieden.
({8})
Das muss ein Paket bleiben. Wir werden insgesamt viele Maßnahmen zusammenführen, die auf dem Wohnungsmarkt helfen. Ich freue mich auf die Beratungen.
Herzlichen Dank.
({9})
Nächster Redner ist Michael Groß, SPD.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn möchte ich – ich bin heute mehrfach adressiert worden – feststellen, dass ich das Mieterschutzgesetz der Ministerin sehr gut finde. Es ist ein erster wichtiger Schritt, um die soziale Funktion des Mietrechts weiter zu stärken.
({0})
Ich bin sehr zufrieden, weil der Gesetzentwurf zum Teil schon über einige Dinge, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, hinausgeht.
Zum Zweiten möchte ich sagen – wir wurden ja mehrfach angesprochen –: Die Situation auf vielen Wohnungsmärkten hat sich seit der Koalitionsvereinbarung noch verschärft.
({1})
Das Parlament sollte doch auf der Höhe der Zeit sein.
({2})
Deswegen bin ich der Meinung – das ist das berühmte Struck’sche Gesetz –: Wir sind als Parlament natürlich in der Verantwortung, zu schauen, was wir besser machen können, auch wenn der Gesetzentwurf schon sehr viel besser ist. Dazu haben wir uns geäußert; Herr Fechner hat dazu Stellung genommen. Wir sind der festen Überzeugung, dass wir noch einiges auf den Weg bringen müssen.
({3})
Was wollen wir erreichen? Wir wollen erreichen, dass Familien in der Nähe eines Kindergartens, in den sie ihr Kind schicken wollen, eine Wohnung finden. Wir wollen erreichen, dass Familien ein Kind in die Schule schicken können, die es auf kurzem Weg erreichen kann, also auch in ein Quartier ziehen können, in dem sie leben und ihre Nachbarschaft finden wollen. Deswegen wollen wir die Mietpreisbremse schärfen. Das erreichen wir durch die Transparenzpflicht und die vereinfachte Rüge.
Wir wollen außerdem erreichen, dass ältere Menschen nicht aus ihrem Quartier vertrieben werden.
({4})
Wir wollen erreichen, dass ältere Menschen nicht aus einem Umfeld herausmodernisiert werden, von dem sie wissen: Hier kann ich mich auf die Nachbarschaft verlassen; ich kann mich darauf verlassen, dass ich in einer Nachbarschaft, in der ich 30 Jahre gelebt und gute Freunde gefunden habe, Unterstützung finde und zum Beispiel für mich eingekauft wird. – Das wollen wir erreichen. Wir sagen: Niemand darf herausmodernisiert werden.
({5})
Vor allen Dingen wollen wir erreichen, dass jemand nach einer Modernisierung,
({6})
die wir ja alle wollen, eben nicht mehr 180 Euro zusätzlich, sondern nur noch 130 Euro zusätzlich zahlen muss. Besser wäre es noch, er müsste nur 100 Euro mehr Miete im Monat bezahlen – und das dauerhaft.
Wer sagt, dass durch das Mieterschutzgesetz Investitionen verhindert werden, dem sage ich – die Kolleginnen und Kollegen haben das mehrfach gesagt –: Neubauten sind ausgenommen. Wir verhindern keine Investitionen. Die Zahl der Baugenehmigungen ist im ersten halben Jahr gestiegen. Das ist ein Erfolg der Großen Koalition.
({7})
Warum? Weil wir mehr Geld zur Verfügung stellen: Bis 2022 sind es 5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau. Über das Baukindergeld haben wir noch gar nicht gesprochen. Es war nicht unser Lieblingsthema, aber wir haben mitgemacht, weil wir gesagt haben: Wir wollen, dass auch Familien Wohneigentum bilden können.
Ich kann Ihnen aber sagen: Es gibt daneben ein gutes Instrument. Das ist die Wohnungsbauprämie. Es gibt über 20 oder 30 Millionen Verträge. Das ist ein Instrument, das man noch ausbauen könnte. Wir haben also viel zu tun.
Ich glaube nicht an die unsichtbare Hand des Marktes. Wer hier immer noch erzählt: „Der Markt wird es regeln“, irrt. Die Menschen, die gesagt haben, dass der Markt es schon regelt, sind inzwischen 300 Jahre tot. Wir fliegen inzwischen zum Mond.
({8})
Ich glaube daran, dass wir ein Korrektiv brauchen. Ich glaube daran, dass wir Genossenschaften brauchen. Ich bin der Kollegin Winkelmeier-Becker sehr dankbar, dass sie das Thema aufgegriffen hat. Wir brauchen Genossenschaften und kommunale Wohnungsunternehmen als Korrektiv auf dem Markt.
({9})
Wir haben im Koalitionsvertrag erreicht, dass wir diese Genossenschaften und die Menschen, die sich in ihnen engagieren wollen – eine Einlage ist eine Stimme – sowie die Kommunen, die entscheiden können, was vor Ort Sinn macht, stärken.
Herzlichen Dank. Glück auf!
({10})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Michael Frieser, CDU/CSU.
({0})
Vielen herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Manchmal glaubt man in der Debatte tatsächlich, man sei etwas irritiert vom Eindruck, der entsteht. Es wird versucht, den Eindruck immer wieder zu untermauern – auch wenn man unter Realitätsverdrängung leidet. Aber diesem Eindruck, Frau Bayram, muss ich schon widersprechen. Sie haben hier behauptet, unser Bundesinnenminister, der auch für Bauen und Wohnen zuständig ist, hätte nicht bzw. nicht ganz am Wohngipfel teilgenommen. Das entspricht nicht der Wahrheit. Wenn ich richtig informiert bin, waren Sie nicht da. Das ist der Unterschied.
({0})
Passen Sie also bitte auf, dass Sie nicht die Realität Ihren Eindrücken unterordnen.
({1})
Mir ging es auch darum, einmal deutlich zu machen, dass wir vor dem Hintergrund der Diskussion, dass wir es in Ballungsräumen mit einem sehr sensiblen Wohnungsmarkt zu tun haben, passgenaue Instrumente schaffen. Vielleicht sind sie nicht marktschreierisch, aber sie sind passgenau auf diesen sensiblen Wohnungsmarkt zugeschnitten. Es kommt darauf an, in dieser Diskussion immer wieder darauf hinzuweisen, dass der Wohnungsbau in Deutschland nicht Berlin, nicht München, nicht Stuttgart, nicht Frankfurt alleine ist, sondern dass zwei Drittel aller kleinen privaten Vermieter in einem ausgeglichenen Wohnungsmarkt agieren, wo ein gutes Einvernehmen zwischen Vermieter und Mieter besteht. Dass das die Realität ist, muss auch einmal betont werden.
({2})
Noch einmal: Die entscheidenden Botschaften dieses Gesetzentwurfes sind meines Erachtens angekommen. Wer Zwangslagen ausnützt, wer Mieter herausmodernisiert, wer über Eigenbedarf betrügt, dem soll das Handwerk gelegt werden und nicht den anderen, die an einem guten Einvernehmen zwischen Vermieter und Mieter interessiert sind. Wir sollten bitte auch mit dieser marktschreierischen Rhetorik aufhören, sondern diejenigen stärken, die ihren Groschen umdrehen und sagen: Ich versuche es im Wohnungsbau. – Wir leben in einer Niedrigzinsphase. Da geht es gerade noch so mit dem Thema Investitionen. Aber lassen Sie die Zinsen ein Stück weit ansteigen, dann werden Sie erleben, dass privates Geld nicht mehr in den Wohnungsbau fließt, wenn wir die falschen Signale aussenden.
({3})
Insofern muss ich ehrlich sagen, liebe Kollegen – ich kann es mir nicht verkneifen –: Kaum ist der Gesetzentwurf im Kabinett, überholt man sich zwei Tage später selber mit dem Programm der SPD zum Thema Mietenstopp. Wie macht man sich selbst das Handwerk schwer?
({4})
Wie macht man deutlich, dass dieser Erfolg, den diese Bundesregierung erreicht hat, direkt am nächsten Tag wieder überholt wird?
({5})
Ich kann das tatsächlich nicht mehr verstehen, aber ich verstehe die diesbezügliche Entscheidung des Wählers.
Wir müssen andere Themen setzen. Ich bin sehr dankbar, Lisa Winkelmeier-Becker, für den Hinweis, den Blick etwas zu weiten und zu sagen: Wenn man in den Ballungsräumen nicht mehr in die Fläche gehen kann, weil die Fläche nicht da ist, dann müssen wir nach oben. Dazu braucht man die Entrümpelung der Bauordnungen.
({6})
Dazu muss man schauen, dass man nicht immer wieder von vorne anfängt, wenn man beispielsweise einen Dachgeschossausbau machen will. Es muss natürlich in den Städten auch eine Flächenpolitik geben, die etwas mit Konversion, mit der Frage von Brachflächen und mit der Frage von Flächenrecycling zu tun hat. Es geht darum, Bürokratie abzubauen. Mit diesem Gesetz bauen wir Bürokratie ab. Es geht um vereinfachte Verfahren bei der Abrechnung und bei der Umlage. Es geht auch darum, Genehmigungsverfahren zu verkürzen. Den sozialen Wohnungsbau neu zu denken, vom Subjekt her zu denken, den Menschen zu helfen, die als Mieter darin leben, das ist etwas, was wir als Anreiz geben müssen.
({7})
Um unser Ziel von 1,5 Millionen Wohnungen zu erreichen, brauchen wir jede Hand, jeden Cent, nicht nur bei den Genossenschaften, sondern vor allem auch bei den privaten Investoren. Deshalb kann ich nur sagen: Wahlkampfträchtige Märchen vom geldgierigen Vermieter und vom hilflosen Mieter helfen niemandem und schaffen vor allem in Ballungsräumen keine einzige Wohnung.
({8})
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/4672 und 19/4885 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Dann bitte ich, die notwendigen Platzwechsel zügig vorzunehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Strafjustiz pfeift bedauerlicherweise aus dem letzten Loch. Das ist regional einmal schlimmer, einmal weniger schlimm. Aber insgesamt ist sie seit Jahren nicht mehr in der Lage, die ihr vom Gesetz zukommende Rolle bei der Bewahrung und gegebenenfalls Wiederherstellung der inneren Sicherheit ausreichend zu erfüllen.
({0})
– Das ist ewig bestritten worden, sogar jetzt schon wieder. – Dabei hat doch anscheinend selbst die Koalition das eingesehen; denn sonst hätte sie nicht vereinbart, dass die Länder 2 000 Richter und Staatsanwälte nebst Folgepersonal einstellen sollen.
({1})
Dass da etwas im Argen liegt, scheint also sogar hier angekommen zu sein.
({2})
Die große Frage ist: Wird das klappen?
({3})
– Es wäre schön, wenn es klappen würde. Allerdings ist der Pferdefuß daran: Das bringt keine schnelle Abhilfe; denn es wird einige Jahre dauern, bis das an der Front gewissermaßen spürbar ist. Deswegen brauchen wir Maßnahmen, die sofort wirken und die helfen, den Verfahrensstau an den Gerichten abzubauen. Dies sind Strukturänderungen.
Hier ist als Erstes an unser Rechtsmittelsystem zu denken. Es ist geprägt von Berufung und Revision. Hier geht es um die Revision, die bekanntlich darin besteht, dass ein Urteil, das dem Revisionsgericht nicht gefällt, aufgehoben und zurückverwiesen wird.
({4})
– Vielen Dank für die Belehrung. Selbstverständlich.
({5})
Tatsächlich ist es allerdings so, dass die Maßstäbe häufig nach dem persönlichen Bauchgefühl gehen: Vier Jahre sind zu viel, drei Jahre wären richtig gewesen, also wird das Urteil aufgehoben. Das Ergebnis ist, dass Verfahren, die Tage, Wochen, Monate, teilweise jahrelang gedauert haben, noch einmal verhandelt werden müssen, alles noch einmal von vorne. Das ist eine irrsinnige Zumutung für alle Beteiligten. Denken Sie an die Zeugen, die noch einmal kommen müssen. Denken Sie an die vergewaltigte Frau, die noch einmal das Vergnügen hat, in der Hauptverhandlung von den Verteidigern des Angeklagten durch den Fleischwolf gedreht zu werden. Ich habe das oft genug erlebt. Es ist zum … Ich hätte mich beinahe unparlamentarisch ausgedrückt. Das muss geändert werden. Das kann geändert werden, indem wir die Revision durch die Annahmeberufung ersetzen.
({6})
Auch mit der Berufung kann man Rechtsfortbildung betreiben, eine Richtigkeitskorrektur vornehmen. Man kann alle weiteren Maßnahmen, über die ein höchstes Gericht verfügt, ausüben.
Herr Kollege Reusch, die Kollegin De Ridder aus der SPD-Fraktion möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ich habe viele Punkte, wenig Zeit. Ich bitte um Verständnis, dass ich gerne fortfahren möchte.
Bitte, das ist Ihr gutes Recht.
Danke. – Das bisherige Revisionsgericht BGH wird dadurch auch nicht überfordert, weil es eine Annahmeberufung ist. Das heißt, die Hauptverhandlung wird in dem Maße durchgeführt, wie es dem hohen Gericht erforderlich erscheint. Wenn der Zeuge XY noch einmal zu vernehmen ist, dann wird er vernommen, und fertig. Das würde insbesondere bei den Landgerichten eine große Auswirkung haben und zu einer deutlichen Verfahrensbeschleunigung führen.
Ein zweiter Punkt ist die Ausdehnung des Strafbefehls auf alle Verfahrensarten, alle Strafen. Es gibt auch bei schweren Delikten eine große Anzahl von Fällen, die von der Sachlage, Rechtslage, Beweislage völlig klar sind. Alles ist klar. Einer Hauptverhandlung zur Klärung von Zweifelsfragen bedarf es nicht. Hier könnte man den Strafbefehl bringen, der nur rechtskräftig werden kann, wenn alle einverstanden sind. Es wird also keinem Unrecht geschehen. Die grässlichen Vorschriften für einen Deal könnte man bei der Gelegenheit gleich streichen.
({0})
Was wir brauchen, ist außerdem ein erweitertes Instrumentarium, um den gewandelten Herausforderungen seit Kaisers Zeiten gerecht zu werden. Wir haben den Straßenraub, der eine wahre Pest geworden ist. Wir haben Messerattacken, die dramatisch zugenommen haben, in einem früher nie gekannten Umfang. Es ist den Geschädigten nicht vermittelbar, wenn der Täter, der vielleicht sogar noch auf frischer Tat erwischt worden ist, nach Feststellung seiner Personalien wieder laufen gelassen werden muss, weil kein Haftgrund besteht. Deswegen brauchen wir einen Haftgrund für solche Fälle;
({1})
denn Messerstecher und Straßenräuber gehören in den Knast. Wir schreiben die entsprechenden Delikte in § 112 Absatz 3 StPO, und schon ist die Kugel rund.
({2})
Bei den Sechsmonatsvorlagen kommen immer wieder Fälle vor, dass brandgefährliche Leute freigelassen werden müssen, weil es die Justiz nicht geschafft hat oder weil irgendjemand einen Fehler gemacht hat. Das ist so weit in Ordnung, wenn der Mensch nicht gefährlich ist. Es ist unverantwortlich, die Risiken für zum Beispiel staatliches Versagen künftigen Opfern überzuhelfen. Also muss hier eine Ausnahme her, dass die Freilassung dann nicht erfolgt, wenn Wiederholungsgefahr im Sinne von § 112a Absatz 1 StPO besteht.
({3})
Beim Jugendgerichtsgesetz müssen wir die Heranwachsenden herausnehmen und auf sie ausnahmslos Erwachsenenrecht anwenden. Bei Verbrechen im Sinne des allgemeinen Rechts wird in § 17 Absatz 3 angefügt, dass immer von der Schwere der Schuld auszugehen ist, mit der Folge, dass bei Verbrechen nach allgemeinem Recht immer Jugendstrafe zu verhängen ist.
({4})
Schließlich haben wir ein weiteres Ärgernis. Das ist die Frage der Ausweisung krimineller Ausländer. Hier ergeht ein Strafurteil. Wenn es rechtskräftig geworden ist, wird es der Ausländerbehörde geschickt. Diese leitet das ganze Verwaltungsverfahren ein. Irgendwann haben wir nach Jahren, wenn wir den Verwaltungsrechtsweg hinter uns gebracht haben, einen bestandskräftigen Ausweisungstitel. So weit, so schön, das könnte man abkürzen, indem man dem Strafrichter bereits die Ausweisung verhängen lässt.
({5})
Es wundert sich niemand, wenn der Strafrichter die Fahrerlaubnis oder die Gewerbeerlaubnis kassiert. Da liegt es doch im System, dass auch die Aufenthaltserlaubnis kassiert werden kann.
({6})
Schon haben wir diesen ganzen Verwaltungsvorgang dramatisch verkürzt. Die Ausländerbehörde kann dann überlegen, ob und gegebenenfalls wie sie den Menschen loswird.
Wir hätten noch sehr viele Punkte zu erörtern, aber wir haben keine Zeit.
({7})
– Es ist sehr schade. Aber ich verspreche Ihnen, im Ausschuss werde ich darauf zu sprechen kommen
({8})
und Ihnen die Punkte vorstellen, für die jetzt die Zeit fehlt, sollte überhaupt die Bereitschaft bestehen, im Ausschuss darüber zu reden.
Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche einen schönen Tag.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Axel Müller, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Fünf Minuten Redezeit habe ich, und die reichen bei weitem nicht aus, um auf all das einzugehen, was der Antrag der AfD an kritikwürdigen Punkten enthält. Zusammengefasst, Herr Kollege Reusch, fahren Sie regelrecht mit der Planierraupe durch den Garten des Strafrechts und des Strafprozessrechts.
({0})
Angeblich braucht es das nach Ihrer Meinung, weil es auf Bundesebene und Landesebene Defizite in der Exekutive gibt, weil es den Behörden immer schwerer fällt, innere Sicherheit als zentrale Aufgabe des Staates zu gewährleisten. Das ist nicht richtig. Die Polizeiliche Kriminalstatistik – wir hatten mehrfach in diesem Hause Gelegenheit, uns darüber zu unterhalten – spricht eine ganz andere Sprache. Im Jahr 2017 haben wir einen Rückgang der Straftaten um 25 Prozent verzeichnet.
({1})
Das ist der stärkste Rückgang bei den Straftaten seit 25 Jahren. Aber das genügt Ihnen ja noch nicht. Deshalb haben wir in Verantwortung dessen den Pakt für den Rechtsstaat geschlossen. Er sieht einen Stellenaufwuchs – Sie haben es gesagt, Herr Kollege Reusch – von 2 000 Stellen bei der Justiz und 7 500 bei der Polizei vor. 2 000 Stellen davon sind bereits geschaffen. Wir wollen und werden auch das Handwerkszeug der Justiz verbessern, indem wir das Verfahrensrecht so reformieren, dass es tauglich ist, das heißt, wir gehen an die vier großen B heran.
({2})
Da ist zum einen das Befangenheitsrecht, zum anderen die Besetzungsrüge, zum Dritten das Beweisantragsrecht und zum Vierten das Beitrittsrecht zur Nebenklage.
Ich greife aus Ihrem Antrag exemplarisch sechs Punkte aus einer fast endlosen Kritikliste heraus, die man hier anbringen kann. Meine Kollegen werden das nachher noch fortsetzen.
Erstens. Stichwort „Mehrarbeit“, Stichwort „Ausweisung durch den Strafrichter“. Was heißt das denn? Sie sagen es selber, Sie wollen § 69c StGB einführen. Der Strafrichter macht jetzt künftig auch die Arbeit der Verwaltungsgerichte. Wo ist denn da eine Entlastung? Das ist doch eine Mehrarbeit für den Strafrichter.
({3})
Sie wollen diese Menschen, wenn eine Ausweisung durch den Strafrichter angeordnet wird und Sie sie nicht in ihre Heimatländer zurückführen können, in Drittstaaten schicken. Dort wollen Sie Hafteinrichtungen bauen. Was ist das denn? Eine Rückkehr in die Kolonialzeit? Das erinnert fatal an die britische Strafkolonie in Australien im 18. Jahrhundert.
({4})
Ihr Schwelgen in der Vergangenheit, Herr Kollege Reusch, findet sich auch bei der Reform des Tatbestandes des schweren Raubes, § 250 StGB, wieder. Sie haben jetzt den Straßenraub als eigene Tatvariante wieder aus der Mottenkiste herausgeholt. So, wie Sie es in Ihrer Begründung schreiben, stand das nämlich im Strafgesetzbuch des Jahres 1871.
({5})
Das ist doch nicht mehr und nicht weniger als Effekthascherei. Das Strafgesetzbuch bietet doch dem Gericht in § 46 StGB die Möglichkeit, eine Strafe nach der Schuld des Täters festzusetzen, und dazu gehört auch die Begehungsweise. Das verkennen Sie völlig.
Ein weiterer Kahlschlag. Sie haben selber gesagt, dass die Revisionsinstanz abgeschafft werden soll und es ausschließlich nur noch eine Berufungsinstanz geben soll. Was heißt das denn in der Praxis? Der durch ein Schwurgericht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilte mögliche Mörder – es ist ja nicht rechtskräftig – hat nur noch eine einzige Instanz, nämlich die Berufungsinstanz, aber nur dann – das haben Sie unterschlagen –, wenn die Berufung zugelassen wird. Das heißt also, ich kann ein Urteil unter Umständen, wenn ich zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden bin, nicht überprüfen lassen.
({6})
Das dient weder der Rechtsfortbildung noch erfüllt es die Mindestvoraussetzungen einer Rechtsweggarantie nach Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz.
({7})
Das ist der Gang in den Unrechtsstaat. So ganz nebenbei wollen Sie dann die unliebsame Verfahrensabsprache abschaffen. Gut, ich war in meiner richterlichen Tätigkeit – das verhehle ich hier nicht – kein Freund von Verfahrensabsprachen. Sie sind kompliziert. Das gebe ich gerne zu. Aber sie helfen doch, umfangreiche schwierige Beweisaufnahmen zu verhindern und abzukürzen. Dieser Vorschlag ist also, wenn Sie eine Beschleunigung der Verfahren erreichen wollen, nicht förderlich, sondern kontraproduktiv.
({8})
In Ihrem Rundumschlag machen Sie auch vor dem Jugendstrafrecht nicht halt. Hier wollen Sie de facto den Erziehungsgedanken aus dem Jugendstrafrecht herausstreichen. Reine Abschreckung ist zukünftig das Motto: Repression statt Spezialprävention. Dabei übersehen Sie aber, weil Sie gleichzeitig auch noch die Untersuchungshaft für Jugendliche und Heranwachsende verschärfen wollen – das ist Ihnen offensichtlich doch entgangen –, dass es in § 72 des Jugendgerichtsgesetzes eine Vorrangprüfung gibt. Als Jugendrichter oder als Ermittlungsrichter muss ich zunächst einmal prüfen, ob ich den jugendlichen Heranwachsenden nicht in eine andere Einrichtung als in eine Haftanstalt stecken möchte, weil man nämlich aus erzieherischen Gründen junge Menschen nicht mit Erwachsenen in eine Haftanstalt steckt. Das verkennen Sie auch.
({9})
Zu guter Letzt – ich sagte ja, die Redezeit ist begrenzt – gehen Sie an die Strafvollstreckung heran. Es passt Ihnen nämlich auch nicht, dass diese bei den Ländern liegt. Es passt Ihnen auch nicht, dass Strafvollzugsanstalten Resozialisierungsbemühungen unternehmen, dass Strafvollzugsanstalten, die täglich mit den Verurteilten arbeiten und vielleicht viel näher dran sind und besser beurteilen können, ob er eine Vollzugslockerung oder einen Hafturlaub verdient, um ihn resozialisieren zu können, das in eigener Zuständigkeit entscheiden können. Das soll künftig der Staatsanwalt tun, der den Menschen vielleicht nur nach Aktenlage kennt. Wo führt das denn hin? Das ist doch völlig realitätsfern.
({10})
Herr Kollege Müller, ich erinnere Ihren eigenen Hinweis. Die Redezeit ist nicht mehr begrenzt, sie ist vorüber. Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich bin auch am Ende meiner Rede. – Sie brauchen dafür eine Zweidrittelmehrheit. Das ist realitätsfern. Das werden Sie nie erreichen. Sie fordern uns allen Ernstes auf, diesen Antrag in einem Ausschuss zu behandeln. Ich sage Nein.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jürgen Martens, FDP.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man sich diesen Gesetzentwurf mit seinen zahlreichen Vorschlägen zur Änderung der verschiedensten Materien – vom Grundgesetz bis zum Staatsangehörigkeitsgesetz – durchliest, denkt man, man hat es mit einem besonders sorgfältig ausgearbeiteten Gesetzentwurf zu tun.
({0})
Aber am Ende kommt man zu dem Ergebnis: Strafrecht und Strafprozessrecht sind juristische Uhrmacherarbeit. Sie arbeiten nur mit der Kettensäge.
({1})
Entfall der Revisionsverfahren, Zulassung nach Belieben des Gerichts, Beweiserhebung – einer der Grundrechtsansprüche eines Angeklagten – nach dem Ermessen des Gerichts, Wegfall des Jugendstrafrechts bei Heranwachsenden und Freiheitsstrafe von über einem Jahr grundsätzlich erst einmal ohne Aussetzung zur Bewährung – das alles wird mal eben schnell geregelt. Das sind aber Projekte, von denen jedes für sich eine langwierige Evaluierung und Evidenzerhebung erfordern würde. Was die Freiheitsstrafe von über einem Jahr grundsätzlich ohne Bewährung angeht, frage ich Sie: Haben Sie einmal an die Anzahl der Haftplätze gedacht, die Sie dafür brauchen?
({2})
Haben Sie einmal nachgesehen, wo es die gibt? Haben Sie vielleicht einmal mit den Ländern gesprochen, in welchen Zeiten die dafür erforderlichen Gefängnisse gebaut werden können?
({3})
Natürlich nicht, meine Damen und Herren. Das ist ein Musterbeispiel für einen Gesetzentwurf fürs Schaufenster, aber nicht für den Gebrauch.
({4})
Sie regeln ein Sonderstrafrecht, nämlich ein Sonderstrafrecht für Ausländer.
({5})
Die Folgen der Tat sind andere als bei anderen. Sie knüpfen ausschließlich an den Umstand an, dass der Betroffene ein Ausländer ist. Das bezeichnet man als Sonderstrafrecht.
({6})
Das ist aus gutem Grund in Anbetracht der Erfahrungen in Deutschland unzulässig.
({7})
Sie sehen – nicht als strafrechtliche Sanktion, sondern als staatsangehörigkeitsrechtliche Folgesanktion – sogar die Ausbürgerung von Menschen vor, selbst wenn diese staatenlos werden, was Sie sogar erkannt haben. Denn Satz 2 von § 25a des Staatsangehörigkeitsgesetzes soll nach Ihrem Vorschlag bestimmen:
Dem
– dem Verlust der Staatsangehörigkeit –
steht nicht entgegen, dass er dadurch staatenlos wird.
({8})
Wir haben mindestens fünf verbindliche völkerrechtliche Abkommen, die genau das untersagen. So bestimmt Artikel 8 des EU-Abkommens über die Staatsangehörigkeit:
Ein Vertragsstaat darf keiner Person seine Staatsangehörigkeit entziehen, wenn sie dadurch staatenlos wird.
Das scheint Sie nicht zu interessieren.
({9})
Sie, die Sie hier antreten, um angeblich Recht und Ordnung zu verteidigen, stürzen sich sehenden Auges in einen Verstoß gegen etliche völkerrechtliche Verträge.
({10})
Eines nehme ich Ihnen besonders übel, und zwar die folgende geplante Regelung im Staatsangehörigkeitsgesetz:
Entstammt der Ausländer einer Familie, die in besonderer Weise kriminell auffällig geworden ist, so darf die Einbürgerung nur erfolgen, wenn hierdurch entstehende Gefahren für die öffentliche Sicherheit … auszuschließen sind.
Satz 2 soll lauten:
Der Bundesminister des Inneren wird ermächtigt, eine Liste der kriminell besonders auffälligen Familien zu führen.
({11})
Eine solche Liste ist die Wiederauferstehung der Sippenhaft, meine Damen und Herren.
({12})
Wer kommt dort hinein? Das sagen Sie nicht. Sie sprechen von „Familie“. Wie weit ist das gefasst? Das sagen Sie nicht. Was ist „in besonderer Weise kriminell auffällig“?
({13})
Ich denke da nicht nur an Araber-Clans, sondern zum Beispiel auch an Familien aus Österreich, von denen etliche Familienangehörige im Zusammenhang mit dem gewerbsmäßigen Betrug beim Verkauf von Fahrzeugen mit unzulässigen Abschalteinrichtungen aufgefallen sind. Auch das würde ich als „in besonderer Weise kriminell“ bezeichnen, meine Damen und Herren.
({14})
Die familienbezogene Erfassung von Straftätern gab es zuletzt im Dritten Reich. Dafür wurden vom Reichssicherheitshauptamt sogenannte Sippschaftsbögen geführt.
({15})
Wollen Sie die als Muster wieder vorlegen?
({16})
Sie könnten es dadurch sehr einfach haben und Ihr Ziel eines kurzen Prozesses deutlich schneller erreichen.
({17})
Deswegen werden wir Ihrem Gesetzentwurf mit Sicherheit nicht zustimmen.
({18})
Nächster Redner ist Helge Lindh, SPD.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Element dieses Gesetzentwurfes ist eine Form einer generalpräventiven Haft, einer Präventivhaft jenseits unserer Verfassung. Ich nehme dies zum Anlass für eine dringend notwendige Generalabrechnung mit dem Geist, der aus diesem Vorhaben, diesem Artikelgesetz spricht.
Wunderbar – in erschreckender Weise wunderbar – dazu passt, was wir in den letzten Tagen erleben durften: Die AfD hat in verschiedenen Landesverbänden Medienplattformen – ich nenne sie „Onlinepranger für Lehrerinnen und Lehrer“ – eingerichtet, in denen unliebsame, politisch zu kritische Lehrerinnen und Lehrer angeprangert werden.
({0})
Was ist für Sie „zu kritisch“? Wer AfD-kritisch ist, ist dort zu denunzieren. Bereits damit verlassen Sie eindeutig den Boden des Rechtsstaates. Das passt aber wie die Faust aufs Auge zu Ihren rechtspolitischen Vorstellungen.
({1})
Wenn Sie jenseits des Rechtsstaates anprangern wollen, haben auch wir das Recht, anzuprangern,
({2})
allerdings ganz legitim und auf dem Boden des Rechtsstaates.
({3})
Was wir dazu nutzen, ist allein das Papier, das Sie heute vorgelegt haben. Ich fordere alle auf, die es lesen können – auch alle Juristinnen und Juristen, die es in die Finger bekommen –, es zu verbreiten, es in lesbare Sprache zu übersetzen und deutlich zu machen, was das ist und was uns erwartet. Wir haben uns vielleicht lange täuschen lassen. Aber wer das liest, weiß, wohin die Reise mit der AfD geht und in welch einen Unrechtsstaat wir uns bewegen.
({4})
Schauen wir uns an, was wir da finden: Abschaffung der Revision – das wurde schon genannt –, Präventivhaft in Drittstaaten – Kafkas Strafkolonie wird in diesem Sinne wiederauferstehen –, aber kein Hinweis, wie das finanziert und strukturiert werden soll. Wir finden als Begründung den Hinweis, es sei eine Tatsache – eine Tatsache! –, dass die Exekutive in diesem Land nicht mehr für Recht und Ordnung, für Sicherheit und für das Gewaltmonopol einstehen könne. Woher nehmen Sie diese Tatsache? Keine Begründung! Hinzu kommt, dass Sie gestern noch ausgeführt haben, dass Syrien doch ein sicheres Land sei. Ich frage Sie: Ist für Sie also die Voraussetzung dafür, dass ein Staat die innere Sicherheit gewährleistet, dass es Folterkeller gibt, dass ein Polizei- und Militärstaat herrscht und dass wir einen totalitären Staat haben?
({5})
Ein Satz – der Kollege von der FDP wies schon darauf hin – macht das ganz deutlich. In der Problemerklärung heißt es:
({6})
Auch soll die Einbürgerung von Ausländern erschwert werden,
({7})
deren Familie bereits
({8})
– lassen Sie mich doch bitte ausreden –
gehäuft strafrechtlich in Erscheinung getreten sind.
Entweder müsste es „Familien“ und „sind“ oder „Familie“ und „ist“ heißen. Wenn Sie über Einbürgerung sprechen, verwenden Sie also auch noch falsches Deutsch, was bei Ihnen ja häufiger passiert.
({9})
Auch das ist etwas verwirrend, lässt aber auf Ihre Gedanken schließen.
Was tun Sie da? Sie führen wieder die Idee einer Sippenhaft ein.
({10})
Ich spreche für eine Partei, deren Abgeordnete ins KZ gegangen sind, die dafür gekämpft haben, dass es in diesem Land kein Sonderrecht für Juden gibt, die dafür eingestanden sind, dass es kein Schicksal ist, welche Herkunft man hat. Wir können sagen: Im Leben nicht werden wir zulassen, dass solcher Geist hier im Parlament und in diesem Land herrscht.
({11})
Schauen wir uns die weiteren Instrumente an, die Sie einführen wollen. Beispielsweise soll unser Einbürgerungsrecht komplett verändert werden. Sie wollen einen Abschied vom Ius soli. Übrigens haben wir ja gar kein reines Ius soli, sondern eine Verbindung von Abstimmungsprinzip und Geburtsprinzip. All das soll geschliffen werden. All die Rechte, die mühsam erkämpften Rechte für Menschen mit Migrationshintergrund, für die auch wir eingetreten sind, sollen verschwinden.
Und bei den Ausreisepflichten – man sehe es sich genau an – ist als ein Grund genannt: wenn Ausländer oder ihre Familienangehörigen oder Haushaltsangehörigen – man muss genau darauf achten – abhängig sind von SGB-XII – oder SGB-II-Leistungen, von Grundsicherung oder Sozialhilfe. Wenn man sich das genau ansieht, stellt man fest: Im Grunde soll dadurch nach Ihren Vorstellungen ein nicht unerheblicher Teil der Ausländer in diesem Land ausreisepflichtig werden. Meinen Sie das wirklich ernst? Meinen Sie, dass 40 Prozent der Einwohner meiner Stadt nach Ihrem Gutdünken dieses Land verlassen sollen? Gewiss nicht.
({12})
Ihre Vorstellungen von innerer Sicherheit haben noch einen ganz anderen Haken. Sie verwechseln nämlich gesellschaftliche Entwicklung, auch mögliche gesellschaftliche Missstände, mit Strafrecht.
({13})
In Wichlinghausen zum Beispiel, einem Stadtteil mit großen sozialen Problemen in meiner Stadt, wird das, was Sie vorschlagen, keinem Menschen helfen. Es wird aber helfen, wenn wir, was wir verstärkt tun müssen, die sozialen Lebensbedingungen verbessern, wenn mehr Polizei vor Ort ist und wenn wir Ordnungspartnerschaften einrichten. Das sind Maßnahmen zur inneren Sicherheit, aber gewiss nicht Ihr Ausländer- und Sippenhaftrecht.
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, in einem sind wir uns einig. Da muss man gar nicht die Rassismuskeule rausholen; die haben Sie selber in der Hand. Man muss nur sehen, was für ein Gedanke dahintersteckt. Was ist der Grund – erklären Sie es mir; der Grundinstinkt sollte doch in jedem von uns stecken –, dass jemand, der geflüchtet ist und hier lebt
({15})
oder der aus der Fremde hierhergekommen ist, aus Ihrer Sicht nicht die gleichen Rechte genießen sollte? Was ist das für eine Botschaft, die wir, die Sie damit aussenden – das müssen wir klar benennen – an alle Menschen hier im Parlament – noch zu wenige –, auf den Tribünen, und im Land, die jetzt zuhören und einen Migrationshintergrund haben oder Ausländer sind? Was ist das für eine Botschaft? Die Botschaft lautet: Ihr seid nicht gewollt; ihr seid minderwertig, ihr genießt nicht die gleichen Rechte. – Das kann man nicht hinnehmen. Dazu können wir nicht schweigen. Da müssen wir viel lauter werden, als wir es bisher waren.
({16})
Das ist unwürdig, und es ist auch eine Beleidigung des Rechtsstaates; denn der Rechtsstaat lebt davon, dass es gerade ungeachtet der Herkunft keine absolute Sicherheit gibt, keine absolute Freiheit und keine absolute Gerechtigkeit. Das ist die Geburtsstunde der Toleranz, und die Demokratie lebt davon, dass das Ziel demokratisch ist, aber auch der Zweck und die Mittel. Sie aber haben weder demokratische Ziele noch demokratische Zwecke, und Ihr Vorschlag zeigt, dass Sie demokratische Mittel überhaupt nicht wollen.
({17})
Einer, den Sie, wie ich weiß, sehr schätzen, nämlich der Strafrechtler Fischer, hat einmal auf Folgendes hingewiesen – Sie argumentieren ja gerne damit, dass unser Recht so lückenhaft sei –: Dass es lückenhaft ist, ist das Prinzip unseres Rechtsstaates. Sonst bräuchten wir – damit komme ich zum Schluss – nämlich nur einen einzigen Paragrafen. Der lautet: Das menschliche Handeln ist strafbar und wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis lebenslänglich bestraft. Absatz 2: Für Ausnahmen wenden Sie sich bitte an die nächste Polizeidienststelle.
Genau das ist nicht der Staat, in dem wir leben wollen.
({18})
Deshalb fordere ich alle in diesem Land, die diesen Text lesen können, die vielleicht auch Zweifel haben, die sich besorgte Bürger nennen, ja selbst die, die Sie gewählt haben oder die Pegida unterstützen, auf:
Herr Kollege Lindh.
Gucken Sie sich das an und bedenken Sie –
Herr Kollege Lindh, Sie reden jetzt zulasten der Redezeit Ihres nächsten Fraktionskollegen; damit das klar ist.
– ich komme zum Schluss –: Jetzt noch sind es die Ausländer und Flüchtlinge, aber irgendwann werden Sie selbst es sein, die dieses Denken treffen wird.
Vielen Dank.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gökay Akbulut, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei dem Gesetzentwurf der AfD handelt es sich um einen weiteren rechtspopulistischen Angriff auf den Rechtsstaat und auf unsere Demokratie. Dieser Gesetzentwurf hat einige Parallelen zum Dritten Reich. Die Forderungen verstoßen gegen das Grundgesetz, gegen die Rechtsstaatlichkeit, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention sowie gegen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen.
({0})
Sie zeigen einmal mehr, dass Sie weder Ahnung noch Interesse an unserem Grundgesetz haben.
({1})
Nach diesem Entwurf sollen Grund- und Menschenrechte von Geflüchteten und Migrantinnen komplett ausgehebelt werden. Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen: Es gibt keinen kausalen Zusammenhang zwischen Herkunft und strafrechtlichem Verhalten.
({2})
Laut der Kriminalstatistik des Innenministeriums ist der Anteil an Delikten von Nichtdeutschen im Jahr 2017 um 2,7 Prozent zurückgegangen.
({3})
Auch bei der Kriminalität von Geflüchteten ist ein Rückgang der Zahlen zu verzeichnen, was man aber bei der Kriminalstatistik Ihrer Partei nicht behaupten kann. Derzeit laufen 24 Verfahren gegen Mandatsträgerinnen und -träger der AfD wegen Betrug, Steuerhinterziehung, sexueller Nötigung, Beihilfe zu gefährlicher Körperverletzung bis hin zu Volksverhetzung. Ihre Liste ist sehr lang.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 heißt es: „Jeder Mensch hat den Anspruch auf eine Staatsangehörigkeit.“ Laut der AfD sollen Einbürgerungen zu Ermessensentscheidungen werden und um Ausschlussgründe erweitert werden. Erschwert werden soll die Einbürgerung auch, wenn Familien bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten sind.
({5})
Die AfD will hier die Sippenhaft einführen wie im Dritten Reich. Sie wollen mit Ihren Forderungen die Staatenlosigkeit fördern und Menschen entrechtlichen.
Viele Migrationsforscher kritisieren die Einbürgerungspolitik in Deutschland. Deutschland bürgert im internationalen und europäischen Vergleich wenig Menschen ein. Im vergangenen Jahr haben gerade einmal 112 000 Personen die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Wir brauchen dringend eine Einbürgerungsoffensive.
({6})
Die Linke tritt für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeitsrecht ein. Wir fordern die Verkürzung der Frist für Einbürgerungen, die Senkung der Gebühren sowie die Abschaffung der Einbürgerungstests. Außerdem sollten Einbürgerungen unabhängig vom Einkommen erfolgen. Deutschwerden darf nicht vom Geldbeutel abhängen.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in ihrem Gesetzentwurf fordert die AfD unter anderem, dass ausländische Straftäter, die zu einer Haftstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wurden und nicht abgeschoben werden können, unter deutscher Aufsicht in Staaten außerhalb der EU untergebracht werden. Hierdurch sollen Sonderrechte geschaffen und Menschengruppen externalisiert werden. Das erinnert uns doch sehr stark an Guantánamo oder gar an den Madagaskar-Plan der Nazis. Die von Ihnen geforderte Präventivhaft ist die Spitze des Eisbergs. Das ist offensichtlich verfassungswidrig.
Mit diesem Gesetzentwurf und Ihrer Law-and-Order-Politik stellen Sie eine Gefahr für den Rechtsstaat und auch für die innere Sicherheit dar. Ihr Entwurf gehört in den Papierkorb.
Vielen Dank.
({8})
Nächste Rednerin ist Canan Bayram, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich den Gesetzentwurf das erste Mal gelesen habe,
({0})
habe ich mich gefragt: Ist das ein Gesetzentwurf, oder kann das weg? Es ist tatsächlich erstaunlich, wie es einem Menschen, der vorher beruflich in einem Bereich eingesetzt war, den man nicht geringschätzen sollte, gelingt, so einen Gesetzentwurf zu schreiben. Dann habe ich mich damit getröstet, dass er immerhin kein Buch geschrieben hat. Das, was Sie hier ausführen, ist tatsächlich beachtlich, weil Sie sich sozusagen den ganzen Frust als früherer Staatsanwalt, der Sie ja vor Ihrer Abgeordnetentätigkeit waren, von der Seele geschrieben haben. Sie haben dann das eine mit dem anderen verwurschtelt, und am Ende ist etwas herausgekommen, bei dem Sie sich Sorgen machen müssen, was es über Sie aussagt. Die Fachlichkeit haben Sie hier komplett über Bord geworfen.
({1})
Straf- und Verwaltungsrecht haben Sie durcheinandergeschmissen. Die Statistik – da haben Sie sich wahrscheinlich an Herrn Sarrazin orientiert – haben Sie aus dem Hobbykeller, und am Ende ist etwas herausgekommen, mit dem wir uns hier leider ernsthaft beschäftigen müssen.
({2})
Ich will mit dem anfangen, was die Kollegen schon angesprochen haben. Sie wollen die Revision abschaffen, aber Sie können nicht erklären, was Sie den Menschen stattdessen an die Hand geben wollen und wie Sie den Rechtsschutz, den Sie damit abschaffen wollen, ausgleichen. Sie wollen beim Jugendstrafrecht und beim Justizvollzug Änderungen vornehmen, ohne deutlich zu machen, wie Sie mit den Folgen dieser Änderungen umgehen wollen. Sie haben keine Antworten darauf. Sie haben in Ihrer Rede gesagt, dass die Antworten nicht in eine Achtminutenrede passen, aber offenbar haben Ihre Antworten auch nicht in den Gesetzentwurf reingepasst, und da war die Zahl der Seiten unbegrenzt. Da hätten Sie uns ja informieren können.
({3})
Tatsächlich ist es ja so, dass Sie beim Thema „Migration und Einbürgerung“ und all dem, was in Ihrer Partei so dazu gesagt wird, ein Stück weit den Versuch unternehmen – so will ich es Ihnen einmal unterstellen –, das in eine rechtliche Form zu gießen, die das handhabbar macht. Aber ich muss Ihnen sagen: Auch da sind Sie kläglich gescheitert. Es ist Ihnen weder gelungen, verfassungskonforme Regelungen auf den Weg zu bringen, noch, eine handhabbare Form dessen hier auf den Weg zu bringen. Die Kollegen haben es schon gesagt: Soll denn der Strafrichter nun auch die Arbeit des Verwaltungsrichters übernehmen? Wenn Sie das wollen, fragt sich: Warum eigentlich? Warum sollen wir etwas zusammenführen, was getrennt doch sehr gut gelingt? Die Antwort darauf bleiben Sie uns schuldig.
({4})
Angesichts der „Ausländer raus“-Parolen der AfD haben Sie ja die Anforderungen Ihrer Partei nicht ganz umgesetzt, weil Sie nicht so radikal sind, wie wir es hier sonst von Herrn Seitz oder Herrn Curio gewohnt sind. Man muss schon sagen: Eigentlich ist es ja wünschenswert, dass Leute, die in den Bundestag kommen, ihre Erfahrungen aus den Berufen, die sie früher ausgeübt haben, einbringen. Bei Ihnen als früherem Staatsanwalt hätte man Hoffnung haben können, dass Sie hier etwas Ordentliches vorlegen. Aber das ist Ihnen nicht gelungen. Es ist vielleicht eine gewisse Ironie des Schicksals, dass 40 Jahre nach Gründung der Alternativen Liste gerade eine Grüne Ihnen hier bescheinigen muss, dass nach Ihrem hier vorliegenden Gesetzentwurf der Rechtsstaat in einer Art und Weise gefährdet wäre, dass selbst wir Grüne ihn gegen die AfD nicht nur verteidigen müssen, sondern auch verteidigen wollen. Deswegen werden wir diesen Gesetzentwurf auf jeden Fall ablehnen. Aber wir sind bereit, darüber im Ausschuss zu diskutieren.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Patrick Sensburg, CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem wir in der letzten Woche eine Vorlage der AfD diskutiert haben, in der es um Religionspolizei, Abschaffung des Koran oder vielleicht sogar des Islam ging – das alles konnte man ihr nicht so genau entnehmen –,
({0})
haben wir jetzt einen Gesetzentwurf, über den man wenigstens in der Sache diskutieren kann. Er hat 43 Seiten, eine Vielzahl von Punkten ist ausformuliert. Da hat sich die Antragstellung also schon um Wesentliches verbessert. Ich glaube, er kommt auch aus einer anderen Feder; da scheint es ganz unterschiedliche Lager in Ihrer Fraktion zu geben.
({1})
Hierüber kann man reden.
In der Sache muss ich aber viele Punkte ansprechen, mit denen man wirklich Probleme haben muss. Artikel 16 GG ist angesprochen worden. Ich freue mich schon auf die Überschrift „AfD will Reichsbürger ausweisen“ und auf die Diskussion in Ihren Reihen; denn Sie wollen ja die deutsche Staatsangehörigkeit zugrunde legen, und von denen wird die sowieso nicht akzeptiert.
({2})
Ich höre, in Ihren Reihen gibt es viele, die mit diesen Damen und Herren sympathisieren. Damit geben Sie also das klare Signal, sie demnächst abschieben zu wollen, nachdem Sie ihnen flugs die Staatsangehörigkeit genommen haben.
({3})
Von daher ist das eine interessante Wende bei Ihnen. Sie können ja dann noch erklären, warum Sie so etwas machen und damit der Ausbürgerungspolitik der Nazizeit inhaltlich folgen. Ich glaube, wir brauchen eine solche Regelung nicht.
({4})
Das Gleiche gilt für die Regelung im Jugendstrafrecht. Wir haben Regeln, die aus meiner Sicht – dazu haben wir als Union schon öfter Anträge gestellt – von der Rechtsprechung nicht hinreichend angewendet werden. Die Regel sollte sein: Der 18- bis 21‑Jährige wird nach dem Erwachsenenstrafrecht beurteilt, außer in den Fällen, wo er die Tragweite seiner Handlungen nicht erkennen kann. Das wird in der Regel aber inzwischen von der Justiz, von den Gerichten angenommen. Diesbezüglich haben wir als Union immer wieder Handlungsbedarf angemahnt. Unterstützen Sie uns also, aber schaffen Sie die Regel nicht gänzlich ab, wie in Ihrem Antrag gefordert! Das hieße, das Kind mit dem Bade ausgießen. So geht es leider eben auch nicht.
§ 11 Staatsangehörigkeitsgesetz ist angesprochen worden. Dass Sie jetzt mit der Gießkanne der Sippenhaft das Thema angehen und sagen, dass jeder, der aus einer auffällig gewordenen Familie stammt, schon in den Blick genommen wird, kann doch nicht Ihr Ernst sein. Das ist doch keine differenzierte Rechts- und Justizpolitik. Auch da geht Ihr Gesetzentwurf zu weit.
Als Hochschullehrer äußere ich eine Bitte. Nehmen Sie den Vorlesungen nicht die actio libera in causa, ein wunderbar in den Vorlesungen unter Juristen ausdiskutiertes Problem: Wie handele ich bei Teilschuldunfähigkeit, § 21, und bei Schuldunfähigkeit, § 20 StGB? Dazu gibt es eine dezidierte Rechtsprechung, ganze Bibliotheken an Literatur; das ist ausdiskutiert, da müssen wir nichts ändern. Das ist Teil der Juristenausbildung. – Nehmen Sie dies den Vorlesungen nicht, indem Sie eine unklare Regelung treffen.
({5})
Zum Ende zur StPO. Eine Bitte an die Bundesregierung, an die Justizministerin: Wir haben in der letzten Legislaturperiode eine große StPO-Reform versucht. Sie ist in Einzelregelungen stecken geblieben, obwohl sich das Ministerium zusammen mit einer Kommission viel Mühe gemacht hat. Es ist dann nicht zu einem Ergebnis gekommen; das ist nun einmal so. Aber in dieser Legislaturperiode müssen wir den großen Bereich – man kann jetzt nicht sagen: die Left-overs – noch einmal anpacken. Daran, ob sie die großen Themen zeitnah angepackt hat, wird auch die Justizministerin gemessen werden – schafft sie es, oder schafft sie es nicht? –, und da ist die StPO-Reform wirklich ein großes Thema. Wir müssen das wirklich mit Nachdruck angehen und dürfen nicht auf Vorlagen der AfD warten. Da ist die Ministerin in der Verantwortung, und ich hoffe, sie wird der Verantwortung gerecht.
Danke schön.
({6})
Jetzt hat das Wort Konstantin Kuhle, FDP.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach gut einem Jahr im Deutschen Bundestag macht mich eines immer wieder nachdenklich. Das ist die Tatsache, dass es Angehörige der Sicherheitsbehörden und der Justiz gibt – Polizisten, Bundespolizisten, Staatsanwälte, Leitende Oberstaatsanwälte –, die aufgrund ihrer praktischen Erfahrungen frustriert sind, die in ihrem täglichen Leben und Erleben, etwa des Managements der Migrationskrise, Erfahrungen machen, die sie frustriert zurücklassen. Ich glaube, dass alle Parteien, alle Fraktionen im Deutschen Bundestag sich sehr genau mit den praktischen Erfahrungen auseinandersetzen müssen, die etwa Leitende Oberstaatsanwälte, Staatsanwälte in ihrer täglichen Arbeit machen.
Lieber Kollege Reusch, Sie haben sich hier so diplomatisch hingestellt und über leichte Modifikationen im Bereich der Strafprozessordnung, des Strafrechts, des Verwaltungsrechts gesprochen, aber ganz bestimmte Punkte nicht genannt, vielleicht, weil Sie es selber besser wissen,
({0})
und das sind die Punkte Sippenhaft, Sonderstrafrecht und Staatenlosigkeit.
({1})
Merken Sie eigentlich nicht, dass Sie all die praktischen Erfahrungen, die Ihre Kolleginnen und Kollegen bei der Staatsanwaltschaft und bei der Polizei tagtäglich machen und – und die haben vielleicht gute Ideen, wie wir im Deutschen Bundestag die Gesetze verbessern können, beispielsweise, indem wir bei Abschiebungen die Zahl der zuständigen Polizeibehörden und Ausländerbehörden reduzieren, damit das schneller vonstattengeht –, in den Dreck ziehen, indem Sie sich hier zum Anwalt von Verfassungswidrigem und von Radikalität machen?
Lieber Kollege Reusch, man sollte in den Reihen der Rechtspopulisten nicht denjenigen einen Vorwurf machen, die überzeugte Rechtsradikale sind, und auch nicht denjenigen, die es nicht besser wissen. Aber man sollte denjenigen einen Vorwurf machen, die sich im Gewand der Bürgerlichkeit und der Biederkeit mit einer solchen Radikalität gemein machen. Da fragt man sich wirklich: Wie kann so jemand eigentlich noch in den Spiegel gucken?
({2})
Das ist der Beweis dafür, dass es Ihnen – das hat Herr Gauland ja in seinem Gastbeitrag für die „FAZ“ beschrieben – überhaupt nicht um tatsächliche Problemlösung geht, sondern um die Anstachelung einer gesellschaftlichen Debatte und um das Durchsetzen eines rassistischen und menschenfeindlichen Weltbildes. Sie sollten sich wirklich selber fragen – hier wurden ja viele Kolleginnen und Kollegen attackiert, weil sie beispielsweise kein Jura studiert haben oder vielleicht noch jünger an Jahren sind –: Was hätte dieser Roman Reusch mit Anfang 20, am Beginn seines Jurastudiums davon gehalten, einen solchen Gesetzentwurf lesen zu müssen? Hätte er sich nicht möglicherweise dafür geschämt, mit einer solchen Radikalität konfrontiert zu sein?
Die Erfahrungen, die die Beamtinnen und Beamten jeden Tag sammeln, sollten Anlass sein, dass wir tatsächlich in der Sache miteinander diskutieren, aber nicht, dass wir Frust zur obersten Leitmotivation unseres politischen Handelns erheben. Deshalb ist dieser Gesetzentwurf in Gänze abzulehnen.
Vielen Dank.
({3})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sonja Steffen, SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Normalerweise hat man es bei AfD-Vorlagen mit zackigen, kurzen und populistischen Anträgen zu tun. Diesmal verhält es sich in der Tat etwas anders: Wir haben einen Gesetzentwurf vorliegen, der ganze 45 Seiten umfasst, anscheinend eine Fleißarbeit ist und einen sehr harmlosen Inhalt hat: Verbesserung der inneren Sicherheit, Verbesserung der Justiz. – Die Überschrift verheißt vielleicht Gutes; wenn man sich mit dem Gesetzentwurf beschäftigt, ist aber festzustellen: Auch diesmal ist Ihnen nichts Gutes gelungen.
Je länger, je schlimmer, sollte man meinen, wenn man diesen Gesetzentwurf von Anfang bis Ende liest, was wir im Zuge der Beschäftigung damit bedauerlicherweise tun mussten. Man schaut beim Lesen des Gesetzentwurfs in einen Abgrund der technischen Fehler, man schaut in einen Abgrund der Verfassungswidrigkeit, und man schaut in einen Abgrund der Unmenschlichkeit und des Rassismus.
({0})
Sie, Kolleginnen und Kollegen von der AfD, werden verstehen – ich nehme das Ergebnis gleich vorweg –, dass wir von der SPD-Fraktion diesen Gesetzentwurf ablehnen werden.
({1})
Wir haben hier in der Debatte schon viele Punkte besprochen: Jugendstrafrecht, Revision, Sippenhaft, Sonderstrafrecht. Das will ich jetzt nicht wiederholen. Ich will mich auf drei Gründe, weshalb meine Fraktion diesen Gesetzentwurf ablehnen wird, beschränken, die in dieser Debatte noch nicht, zumindest nicht ausführlich, zur Sprache kamen.
In § 69c StGB, den Sie einfügen wollen, geht es darum – das ist hier schon erwähnt worden –, dass man den Gerichten im Strafrecht eine zusätzliche Aufgabe gibt. Diese Aufgabe heißt: Wir entziehen zukünftig allen straffällig gewordenen, allen strafrechtlich zu verurteilenden Ausländern – so nennen Sie das immer – die Aufenthaltserlaubnis und weisen sie aus. – Darüber kann man vielleicht mal nachdenken; wir von der SPD-Fraktion finden das natürlich schlimm.
Besonders schlimm finde ich aber – ich muss sagen, Herr Reusch, ich hätte Ihnen juristisch wirklich etwas mehr zugetraut –, dass Sie in diesem neu einzufügenden Paragrafen schreiben:
Einer weiteren Prüfung nach § 62 bedarf es nicht.
Schaut man in den § 62 StGB, dann liest man vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Meine Damen und Herren, jeder Jurist und jede Juristin weiß – das lernen wir im ersten Semester Strafrecht, kleiner Schein –, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Teil des Rechtsstaatsprinzip und unabänderbar ist. Das Bundesverfassungsgericht würde Ihnen dieses Gesetz bereits an dieser Stelle in der Luft zerreißen.
({2})
Ich habe vorhin gesagt, der Gesetzentwurf hat technische Fehler. Dazu will ich nur einen Punkt erwähnen. Man kennt diese technische Fehlerhaftigkeit ja schon von Ihnen; aber Sie verweisen in Ihrem Gesetzentwurf auf einen § 55a Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes. In Ihrem Gesetzentwurf steht:
Auf Ausländer im Sinne des § 55a … des Aufenthaltsgesetzes …
Diese Vorschrift gibt es gar nicht. Das ist also auch technisch wirklich unter aller Kanone.
Ein ganz entscheidender Grund für unsere Ablehnung sind aber – jetzt wird es wirklich grotesk – Ihre Ideen zur Duldung. Sie wollen § 60 des Aufenthaltsgesetzes wie folgt ändern – ich zitiere das jetzt mal, obwohl es mir schwerfällt –:
({3})
Erweist sich eine Abschiebung als ... verboten, so ist der Ausländer in einer in einem aufnahmebereiten Drittstaat gelegenen Einrichtung unterzubringen.
Wie soll man sich das vorstellen? Welcher Staat sollte denn dazu bereit sein, wenn man sich denn auf den Gedanken einlässt? Nordkorea? Madagaskar? Alcatraz?
({4})
Wie soll das gehen?
Damit nicht genug. Sie sagen darüber hinaus: Wenn das nicht funktioniert – davon ist ja auszugehen –, dann sollen diese Menschen, diese gesamten geduldeten Menschen – Stand April 2018 handelt es sich hierbei übrigens um 170 000 Menschen –, ins Gefängnis. Die sollen dann alle in Haft gehen.
({5})
Das ist wirklich lächerlich.
({6})
Das Gleiche fordern Sie, wenn jemand vollziehbar ausreisepflichtig ist. Das wären dann 232 000 Personen. Die sollen dann allesamt ins Gefängnis gehen.
Das bedeutet, die Frau aus Togo, die es mit möglicherweise zwei oder drei minderjährigen Kindern geschafft hat – das muss man an dieser Stelle auch mal sagen –, in Deutschland anzukommen,
({7})
bringen Sie in den Knast. Sie bringen genauso die tschetschenische Familie in den Knast, die gar keine Ausweise erhalten hat, weil das total schwierig ist. Die sind manchmal extrem gut integriert,
({8})
übrigens besser als der eine oder andere Deutsche.
({9})
Diese Menschen bringen Sie quasi allesamt ins Gefängnis.
Also: Der Gesetzentwurf ist insgesamt verfassungswidrig,
({10})
er trieft vor Rassismus, er ist eine Schande für das Hohe Haus und beweist erneut: Sie gehören hier nicht hin.
({11})
Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der Abgeordnete Friedrich Straetmanns für die Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir behandeln heute den von der AfD vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur inneren Sicherheit. Ausgehend von einer nicht den Tatsachen entsprechenden Bedrohungslage, die die AfD der Bevölkerung seit Jahren vorgaukelt, kommt jetzt der strafprozessuale Rundumschlag. So will sie Rechtsmittel streichen, Beschuldigtenrechte zusammenstutzen und Gerichte in ihrem Tagesgeschäft bevormunden.
Ich muss Ihnen von der AfD einmal sagen: Das macht mich sauer.
({0})
Gerade das von Ihnen zur Streichung vorgesehene Rechtsmittel der Revision hat sich als Überprüfung der gerichtlichen Rechtsanwendung bewährt. In meiner beruflichen Praxis als Richter ist die Existenz eines mehrstufigen Rechtswegs ein unverzichtbares Instrument der Qualitätssicherung. Die bundesgerichtlichen Urteile werden ausgewertet und werden somit Maßstab für künftige Entscheidungen.
({1})
Ich muss es Ihnen wohl noch einmal in Erinnerung rufen: Das Strafrecht ist die Ultima Ratio staatlichen Handelns. – Wer hier bei der Kontrolle die Axt anlegt, will entweder einen anderen, einen autoritären Staat oder weiß schlicht nicht, was er tut.
In Ihrem Entwurf geht es genauso weiter: Die volle Härte des Gesetzes soll nun jede Person treffen, die das 18. Lebensjahr vollendet hat, ohne dass individuelle Reife und Verständnisfähigkeit gewürdigt werden können.
({2})
Heute muss das Gericht bei Angeklagten unter 21 Jahren abwägen, ob er oder sie die geistige Reife eines verständigen Erwachsenen aufweist. Wie wir alle aus Erfahrung wissen, gibt es gerade in dieser Altersgruppe erhebliche Entwicklungsunterschiede.
({3})
Was die Missachtung der Beschuldigtenrechte anbelangt, sind meine Fraktion und ich durch Ihre Anträge und Gesetzentwürfe durchaus leidgeprüft. Gerade bei den Ermittlungsbefugnissen darf es ja auch bei den Koalitionsfraktionen immer noch etwas mehr sein. Was Sie hier vorlegen, schlägt aber dem Fass den Boden aus: Fristen kürzen, Anforderungen erhöhen, Beweisverwertungsverbote einschränken. Ihr Entwurf, Herr Reusch, liest sich wie der heimliche Wunschzettel eines übereifrigen Staatsanwalts mit Hang zu Belastungstendenzen: Im Zweifel immer gegen den Angeklagten.
({4})
Sie verlassen damit die Ebene einer fairen, auf die Rechte der Beteiligten sorgfältig Rücksicht nehmenden Strafjustiz zugunsten einer Aburteilung am Fließband. Das mag dem Rechtsempfinden eines Teils Ihrer Anhängerschaft entsprechen, dem rechtsstaatlichen Charakter dieser Republik jedoch nicht.
({5})
Gerade bei der von Ihnen vorgeschlagenen massiven Ausweitung der Untersuchungshaft zeigt sich das ganz deutlich: Ohne dass ein konkreter Haftgrund – wie etwa Fluchtgefahr – vorliegt, soll die Inhaftierung, wenn man Ihnen folgt, zur Regel werden.
Angesichts der Häufung von Straftaten bei Ihren Funktionären und Anhängern erlaube ich mir abschließend die Bemerkung: Wenn das einmal nicht nach hinten losgeht.
Vielen Dank.
({6})
Nächster Redner ist Dr. Volker Ullrich für die Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf hat den Titel: „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Inneren Sicherheit ...“. Er müsste vielmehr heißen: „Gesetz als tiefes Misstrauen gegenüber dem Rechtsstaat und seinen Institutionen – Gesetz zum Abbau von Grundrechten und Bürgerrechten“.
({0})
Sie stellen mit diesem Gesetzentwurf Ihr tiefes Unverständnis unserer rechtsstaatlichen demokratischen Ordnung in das Rund unseres Plenums.
Ich möchte an einer Stelle deutlich aufzeigen, dass Sie unseren Rechtstaat und die Funktionsweise von Gerichten nicht verstehen wollen oder verstehen können. Sie schreiben beispielsweise auf Seite 22 – ich zitiere –:
Das geltende Recht erfährt zudem massive Beschränkungen im Anwendungsbereich durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (ECHR).
Nicht nur, dass es politisch sehr unklug ist, in einem Zeitraum, in dem wir dafür kämpfen, dass die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Anwendung finden, diese hier in Abrede zu stellen, sondern ich muss Ihnen zurufen, dass das geltende Recht durch die Rechtsprechung ja geradezu seine Ausformung findet. Rechtsprechung gehört zum geltenden Recht dazu. Es schränkt das Recht nicht ein, sondern ermöglicht es erst. Das ist ein fundamental anderes und falsches Rechtsstaatsverständnis, meine Damen und Herren.
({1})
Es ist viel ausgeführt worden. Ich möchte zu einigen Punkten noch Stellung nehmen. Zum einen: Sie wollen die strafrechtliche Revision abschaffen. Damit schneiden Sie Angeklagten die Möglichkeit ab, ihr Urteil in strafrechtlicher Hinsicht zu überprüfen. Das widerspricht der Rechtsweggarantie des Grundgesetzes.
Heute ist übrigens noch gar nicht über Ihren Vorschlag gesprochen worden, die sogenannte Verständigung im Strafverfahren abzuschaffen. Seit 2009 ist der sogenannte Deal auch in § 257c der Strafprozessordnung geregelt, der nichts anderes besagt, als dass es auch eine Art prozedurales Vorgehen gibt, auf eine Verständigung hinzuwirken. Warum ist die Verständigung notwendig? Aus zwei Gründen: zum einen, um lange Verfahren abzukürzen und zu beschleunigen. Dies dient dem Rechtschutz und der Verwirklichung von Rechtsstaatlichkeit. Aber auch ein zweiter Punkt ist ganz entscheidend: Es dient auch dem Opferschutz; denn gerade durch die Verständigung wird oftmals den Opfern von schwerer Gewaltkriminalität oder von Sexualdelikten eine Aussage erspart. Wenn Sie diese Verständigung wieder abschaffen, dann müssen Sie vielen Opfern wieder sagen: Ihr habt vor dem Täter auszusagen. – Das ist eine ganz massive Belastung. Ihr Antrag sagt also ganz klar und deutlich: Sie wollen weniger Opferschutz in unserem Land haben.
({2})
Es ist heute viel von Ihren Vorschlägen zu einer Art Präventivhaft, zur Ausweisung in Drittstaaten, zu einer Art Kollektivhaft und vielen Punkten mehr gesprochen worden. Dies hat mich ein wenig an ein Buch des deutsch-amerikanischen Politikwissenschaftlers Ernst Fraenkel erinnert, der dargelegt hat, dass es in anderen historisch bitteren Stunden einen Dualismus gab zwischen dem Normenstaat auf der einen Seite und dem Maßnahmenstaat auf der anderen Seite, der aus politischer Zweckmäßigkeit heraus handelt, der also eine Kategorie von Recht schafft, die losgelöst vom Rechtsstaat existiert. Ich sage Ihnen ehrlich: Ihr Antrag erinnert mich an diesen Doppelstaat. Es ist unwürdig, dass Sie das so diesem Hohen Haus vorlegen, meine Damen und Herren.
({3})
Ich will Ihnen sagen, was unser Weg ist: Wir wollen einen Pakt für den Rechtsstaat.
({4})
Wir wollen eine Stärkung des Vertrauens in rechtsstaatliche Institutionen. Wir wollen mehr Stellen bei Bund und Ländern, bei Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten. Wir wollen eine StPO-Reform, die die Beschuldigtenrechte wahrt und gleichzeitig Verfahren beschleunigt. Wir wollen mehr Opferschutz. Wir wollen auch eine Spezialisierung der Justiz, gerade auch im Bereich Insolvenz- oder Baurecht. Und ja, wir werden viele Anstrengungen unternehmen, um auch die Digitalisierung der Justiz voranzutreiben. Aber alles in einem ganz wichtigen Geist: dem Geist der Verhältnismäßigkeit, des Übermaßverbots, des Schutzes von Grundrechten und des Vertrauens in unsere rechtsstaatlichen Institutionen. Ohne das geht es nicht, und da werden wir weiter arbeiten.
Ihren Antrag werden wir ablehnen.
Herzlichen Dank.
({5})
Letzter Redner ist der Abgeordnete Christoph Bernstiel für die Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste auf den Tribünen! Wenn wir heute über den Gesetzentwurf der AfD zur Verbesserung der inneren Sicherheit sprechen, so erinnert mich das ein wenig an den Filmklassiker „Und täglich grüßt das Murmeltier“,
({0})
nur leider ist Ihr Antrag nicht so lustig. In regelmäßigen Abständen versucht die AfD, mit möglichst medienwirksamen Anträgen Aufmerksamkeit zu erzeugen und die Regierung in ein schlechtes Licht zu rücken. Besonders häufig greifen Sie dabei das Thema „innere Sicherheit“ auf.
Grundsätzlich finde ich es äußerst positiv, wenn wir über Maßnahmen sprechen, wie wir die innere Sicherheit in unserem Land verbessern können. Insofern habe ich auch Ihren Antrag wieder einmal unvoreingenommen und interessiert gelesen. Doch leider wurde ich – wie so oft – enttäuscht.
({1})
Es ist wieder das alte Muster: Die AfD blättert durch den Koalitionsvertrag, oder sie stöbert in Fraktionsbeschlüssen der CDU/CSU, bis sie etwas findet, was sie für ihre eigenen Zwecke gut verwenden kann, und im Anschluss gibt sie dann noch eine Schippe Forderungen obendrauf, und fertig ist der Gesetzentwurf. Doch dabei überziehen Sie meistens so maßlos, dass es für uns verantwortungsbewusste Abgeordnete unmöglich ist, Ihren Vorhaben zuzustimmen.
({2})
Es kann natürlich auch sein, dass das genau das Ziel Ihres Antrages ist, denn danach können Sie sich wieder in den sozialen Netzwerken daran laben, wie böse die Altparteien sind und dass wir die Probleme nicht lösen wollen.
({3})
Aber wissen Sie was: Daran haben wir uns mittlerweile gewöhnt. Das ist auf Dauer auch ein bisschen langweilig. Überraschen Sie uns doch mal wieder! Bringen Sie doch mal wieder etwas Neues!
({4})
Aber hören Sie bitte auf, Angst in der Bevölkerung zu schüren, indem Sie ein Bild von Deutschland zeichnen, das es so überhaupt nicht gibt.
Jetzt fragen Sie sich vielleicht, was ich meine. Herr Gauland, Sie schauen? Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus Ihrem aktuellen Antrag: Sie schreiben, die Ausländerkriminalität sei seit 2015 dramatisch gestiegen. – Ja, das stimmt. Aber Sie verschweigen in diesem Zusammenhang, dass diese Form der Kriminalität überhaupt erst seit 2015 erfasst wird. Wo ist denn da die Bezugsgröße? Überhaupt arbeiten Sie sich in Ihrem Antrag mal wieder an Ihrer Lieblingszielgruppe, den Ausländern, ab. Dann gibt es noch ein bisschen Rechtsbeschneidung hier und ein paar härtere Strafen da, und schwuppdiwupp sind alle Probleme gelöst.
({5})
Doch die Realität ist eine ganz andere. Wissen Sie, welche Bevölkerungsgruppe die meisten Straftaten begeht?
({6})
– Nein, ich verrate es Ihnen: Das sind die Deutschen. 90 Prozent aller Straftaten in diesem Land gehen nach wie vor auf unser Konto, aber davon steht kein Wort in Ihrem Antrag. Stattdessen sind es wieder die Migranten, die für alles Übel verantwortlich sind.
({7})
Sie sprechen von Terrorismus und sagen, dass unsere Behörden zunehmend Schwierigkeiten damit hätten, auf diese Gefahr einzugehen. Das stimmt, und genau aus diesem Grund haben wir das Bundesinnenministerium mit so vielen Mitteln ausgestattet wie noch nie zuvor in dieser Geschichte. Ich sage Ihnen: Das ist gut investiertes Geld; denn erst kürzlich hat das Bundesamt für Verfassungsschutz in Zusammenarbeit mit einem ausländischen Nachrichtendienst einen verheerenden Terroranschlag verhindert, indem es Allah H. beim Bau einer Rizinbombe gestoppt hat.
({8})
Dafür danke ich an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BfV ganz herzlich sowie Hans-Georg Maaßen ganz persönlich, unter dessen Führung dieser Erfolg noch zustande gekommen ist.
({9})
Doch zurück zu Ihrem Antrag. Sie nehmen Bezug auf die Bedrohung durch Cyberangriffe, doch wie wir diesen entgegentreten können, dazu steht kein Wort in Ihrem Antrag. Kein Problem, ich übernehme das gern und erkläre Ihnen gleich einmal, wie wir das Thema „innere Sicherheit“ angehen.
({10})
Wir haben mit dem Pakt Rechtsstaatlichkeit bereits 15 000 neue Stellen in Polizei und Justiz geschaffen. Wir haben das BKA-Gesetz in diesem Jahr beschlossen und ermöglichen damit dem Bundeskriminalamt, auch Daten aus verdeckten Ermittlungen zur Terrorabwehr einzusetzen. Wir wollen mit dem Programm „Polizei 2020“ eine Datenschnittstelle herstellen, über die zukünftig alle Polizeien in den Ländern zugreifen können, um gemeinsame Ermittlungsergebnisse zu erzielen. Wir reagieren auf Angriffe im Cyberraum – den Sie vernachlässigen –, indem wir das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik mit 349 neuen Stellen ausstatten und für das wir zukünftig neue rechtliche Befugnisse schaffen wollen. Das BSI soll zukünftig nicht nur Unternehmen beraten, sondern auch Bürgerinnen und Bürger aktiv auf Schwachstellen hinweisen. Erst in der letzten Woche haben wir über den Entwurf des IT-Sicherheitsgesetzes 2.0 debattiert.
({11})
Herr Bernstiel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich bin gerade so gut in Form, nein.
Mit diesem Gesetz werden wir die Cybersicherheitsarchitektur in Deutschland weiter stärken. Meine Damen und Herren, so verbessert man die innere Sicherheit in unserem Land, und nicht mit solchen Anträgen wie von Ihnen.
({0})
Nun zum Schluss: Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, Sie haben sich jetzt bestimmt herrlich über die Kritik an der AfD gefreut, aber nun auch noch einige Worte an Sie. Der schnellste und einfachste Weg, die innere Sicherheit in unserem Land zu verbessern, ist, mehr Polizei auf die Straße zu bringen. Dies würde uns sofort gelingen, wenn Sie endlich aufhören würden, bei Demonstrationen die Antifa zu unterstützen, und wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, aufhören würden, mit Rechtspopulisten gemeinsam Hand in Hand zu marschieren. Denken Sie bitte einmal darüber nach!
Herzlichen Dank.
({1})
Der Abgeordnete Spangenberg erhält jetzt die Gelegenheit zu einer Kurzintervention.
Recht vielen Dank. – Kollege Bernstiel und auch die vorhergehenden Redner, die diese Ausländerkriminalität hier so verharmlosen, ich darf Ihnen einmal ein paar Zahlen nennen: Wir haben in Deutschland ungefähr 6 Millionen Straftaten pro Jahr bei ungefähr 2 Millionen Straftatverdächtigen. Also: 6 Millionen Straftaten und 2 Millionen Straftatverdächtige. Bei den Straftatverdächtigen haben wir 610 000, also ungefähr 600 000, Nichtdeutsche. Von 2 Millionen sind 600 000 Nichtdeutsche. Wenn Sie das hochrechnen, dann sind das 1,8 Millionen Straftaten pro Jahr durch Nichtdeutsche, meine Damen und Herren, die Sie hier reingeholt haben – zu unseren eigenen deutschen Kriminellen noch dazu. Es ist eine große Sauerei und eine Verhöhnung der Opfer – das sage ich in aller Deutlichkeit –, wie Sie das hier verharmlosen. 1,8 Millionen Straftaten durch Nichtdeutsche, meine Damen und Herren: Da sollten Sie sich mal Gedanken machen, was mit den Opfern passiert. Um die geht es hier, und nicht um Ihre Täter, die Sie hier hätscheln.
({0})
Möchten Sie darauf antworten, Herr Bernstiel?
Sehr geehrter Kollege, besser hätten Sie das doch gar nicht belegen können, was ich gerade gesagt habe. Wissen Sie, es geht hier um Straftaten, und da ist es mir egal, wer die begangen hat. Jede Straftat ist eine zu viel. Warum verkürzen Sie das immer wieder nur auf eine Zielgruppe? Kümmern Sie sich darum, dass wir generell unser Land sicherer machen. Das ist das, was wir wollen. Hören Sie auf, mit Ihren populistischen Anträgen immer nur eine Zielgruppe herauszuschneiden.
({0})
Genau das haben Sie nämlich wieder belegt. Und bitte unterstellen Sie uns nicht, dass wir die Opfer verhöhnen. Das machen Sie jeden Tag, indem Sie immer wieder eine Realität konstruieren, die es so nicht gibt. Lassen Sie uns also bitte damit in Ruhe, und lassen Sie uns auf die Sachebene zurückkommen. Jede Straftat ist eine zu viel. Dafür arbeiten wir: für seriöse Politik.
Danke.
({1})
Vielen Dank. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
({0})
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/5040 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung beim Ausschuss für Recht und Verfassungsschutz liegen soll. – Anderweitige Vorschläge sehe ich nicht. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute mehr denn je müssen wir uns die Frage stellen, wie es um die Freiheit von Menschen bestellt ist, Religion oder ihre Weltanschauung frei wählen und ausüben zu dürfen oder gar zu können. Dabei schauen wir hinaus in die Welt, aber wir schauen auch auf uns selbst: Wie steht es nun um diese Freiheit? Genau in dieser Eingangsfrage sehen wir schon einen elementaren Unterschied des Koalitionsantrages und übrigens auch des Grünenantrages zum AfD-Antrag. Christenverfolgung ist abzulehnen und zu verurteilen, wo immer sie stattfindet; das ist zweifelsohne richtig.
({0})
Der Kontext ist aber größer. Das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit geht weit darüber hinaus. Es betrifft jeden einzelnen Menschen, ganz unabhängig davon, welche Religion oder Weltanschauung er oder sie vertritt.
({1})
Überall dort, wo Weltanschauungsfreiheit, also sowohl die Freiheit, keiner Religionsgemeinschaft angehören zu wollen, als auch die Religionsfreiheit, also die Freiheit, sich seine jeweilige Religion selbst aussuchen zu dürfen, eingeschränkt oder verletzt wird, müssen wir uns dem entgegenstellen, dies deutlich benennen und klar für die Menschen eintreten, denen dieses Recht in irgendeiner Weise beschnitten wird.
({2})
Wir stellen in unserem Antrag fest, dass dieses Menschenrecht vielerorts massiv beschnitten wird. Mit 31,4 Prozent der Weltbevölkerung sind die Christen nicht nur die größte Glaubensgemeinschaft; sie sind auch die am häufigsten von Einschränkungen und Verletzungen der Religionsfreiheit betroffene Gruppe, und zwar dort, wo sie eine Minderheit darstellen; denn in der Regel geht es hier um das Verhältnis von Mehrheiten und Minderheiten. Gleichzeitig drehen sich sogenannte religiöse Konflikte selten wirklich um religiöse Inhalte. In den allermeisten Fällen geht es um Macht, um Dominanz und Unterdrückung zwischen Mehrheiten und Minderheiten.
Zudem ist auch folgende Tatsache zu beachten: Die wenigsten, auch von uns, suchen sich ihre Religion selbst aus. Man wird zunächst einmal in eine Familie hineingeboren und ist meist auch erst einmal – oftmals ohne dies zu hinterfragen – Mitglied der dort gelebten Religion oder Weltanschauung. Das gilt für Mehrheiten und Minderheiten in gleicher Weise. Ein gewisses Zufallsprinzip lässt sich kaum leugnen, wenn wir ehrlich sind. Wenn wir uns das klarmachen, ist es doch umso bemerkenswerter, wie schnell einige gegen andere Religionen sich auszusprechen bereit sind und gleichzeitig zugeben, dass Religion in ihrem Leben gar keinen großen Stellenwert hat.
Noch bemerkenswerter ist es, dass einige bereit sind, ganze Gruppen von Menschen aufgrund ihrer geografischen Herkunft Religionen zuzuordnen, ohne zu wissen, welche Bedeutung die Religion überhaupt im Leben dieser Menschen hat, und ohne zu wissen, wie und ob sie jeweils ihre Religion leben. Es ist schon fast ein gewisser Kategorisierungswahn dabei.
Von Einschränkungen der Religionsfreiheit sind nahezu alle – Christen, Muslime, Juden, Bahai, Jesiden, Buddhisten, Aleviten und viele mehr – betroffen. Wer glaubwürdig für Religions- und Weltanschauungsfreiheit eintreten will, der darf diese Gruppen eben nicht gegeneinander ausspielen, sondern muss sie ernsthaft als gleichwertig behandeln.
({3})
Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist einer unserer Werte. Sie ist ein Menschenrecht, und dieses gilt es zu schützen, gerade auch in unserem Land und übrigens unabhängig davon, ob es andernorts missachtet wird.
Bedauerlich ist die Logik, die mir häufig entgegenschlägt, und deswegen möchte ich sie hier einmal ansprechen: „Gehen Sie mal in die Türkei und bauen dort eine Kirche; Sie werden das nicht überleben“, hat mir gerade wieder jemand geschrieben. Ich glaube, dass hier der Kern des Problems verfehlt wird. Vielleicht sage ich doch einmal etwas dazu, weil ich mittlerweile den Eindruck habe, dass es manche nicht wissen: Es gibt Kirchen in der Türkei. Allein vom früheren Wohnhaus meiner Eltern konnte man fußläufig zwei armenische Kirchen, eine griechisch-orthodoxe und eine katholische Kirche erreichen.
Aber es gab zum Beispiel auch einmal das Projekt, in Alanya eine Kirche zu bauen, weil viele Deutsche dort mittlerweile ihre Wintermonate verbringen. Auch dort könnte es ja eine Kirche geben – das habe ich persönlich unterstützt –, aber dies ist leider gescheitert, was eben zeigt: Wir haben trotz aller existierenden Kirchen in vielen Ländern ein großes Problem mit der Religionsfreiheit; das ist richtig. Aber falsch ist der Umkehrschluss. Wir wollen doch nicht ernsthaft den zentralen Wert der Religionsfreiheit bei uns einschränken, weil dies andere tun.
({4})
Wir wollen uns doch nicht mit Ländern wie Saudi-Arabien auf eine Stufe stellen. Das ist doch Irrsinn. Uns ist das individuelle Recht auf Weltanschauungsfreiheit und Religionsfreiheit sehr wichtig, und das sollten und wollen wir ja auch klar und deutlich zeigen und leben. Nur dann sind wir auch glaubwürdig in unserem Wunsch, dass Religionsfreiheit für alle und überall Gültigkeit haben soll.
Man liest auch in einem Parteigrundsatzprogramm vom uneingeschränkten Bekenntnis zur Glaubensfreiheit, welches dann im nächsten Satz direkt wieder eingefangen wird, indem dort geschrieben wird, der Religionsausübung seien Grenzen zu setzen. Wir haben diese Debatte hier in ähnlicher Form schon letzte Woche geführt. Deswegen möcht ich nur eins noch einmal sehr klar sagen: Dieses Land hat ganz klare Grenzen für alle Arten von Überschreitungen, nämlich unser Grundgesetz. Darin finden alle Bewohner unseres Landes sehr genau, was sie machen dürfen und was nicht. Wenn sie die Grenzen des Gesetzes überschreiten, dann können sie sich weder auf das Alte Testament noch auf den Koran oder etwas anderes berufen. Wenn man sich nicht an die Gesetze hält, bekommt man ein Problem. Und Religion hin oder her: Strafmildernde Urteile für frauenverachtende Taten sind meiner Meinung nach immer vollkommen fehl am Platz.
({5})
Ich möchte an dieser Stelle einen wichtigen Punkt wiederholen: Dieses Menschenrecht schützt nicht Religionen, auch nicht einzelne; daraus ließe sich sonst ja ableiten, dass bestimmte Glaubensrichtungen weniger schützenswert seien als andere. Dieses Recht schützt das Individuum, es schützt jeden Einzelnen und jede Einzelne, frei zu entscheiden, ob er oder sie zu einer Gemeinschaft gehören möchte, zu welcher er oder sie gehören möchte oder ob er oder sie sich zu keiner solchen Gruppe zugehörig fühlt. Niemand, keine Gruppe, keine Partei in diesem Land, hat das Recht, Menschen in Gruppen einzuteilen und diesen eine Wertigkeit zuzusprechen oder ihnen individuelle Freiheitsgrenzen aufzuzeigen.
({6})
Wer das nicht begriffen hat, hat das Konzept der Religionsfreiheit nicht verstanden oder weigert sich, dies zu tun.
({7})
Nun geht es ja meistens leider um Muslime, wenn wir über dieses Thema in diesem Hohen Hause sprechen. Deswegen möchte ich schon noch Folgendes bemerken: Das Aufkommen extremistischen Terrors, die Menschenrechtslage in bestimmten islamischen Ländern, gewaltsame Konflikte im Nahen Osten – das nehmen manche leider gleich zum Anlass, die Religionsfreiheit und -gleichheit in unserem Land in Zweifel zu ziehen. Diejenigen, die friedlich leben, werden mit allen in einen Topf geworfen, die kriminell oder terroristisch sind. Das ist für viele ein sehr schwer zu ertragender Zustand, besonders, wenn solche Debatten sehr unverhohlen in diesem Hause geführt werden; wir haben ein solches Beispiel gerade erlebt. Ich möchte noch einmal allen Rednerinnen und Rednern, die dies sehr deutlich zurückgewiesen haben, einen ganz herzlichen Dank aussprechen.
({8})
Zum Schluss: Leider wurde es viele Jahrzehnte nicht so richtig kommuniziert, wie sich Minderheitsreligionen in Deutschland organisiert haben. Es wurde in Hinterhöfen, Garagen oder Gewerbegebieten gebetet, es wurde damals vielleicht das angelegt, wovor heute viele Angst haben. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns dem erneut zuwenden. Wir erleben leider viel Kritik an Muslimen in unserem Land, der nicht einmal ein Halbwissen zugrunde liegt – übrigens auch bei vielen Muslimen nicht; auch das muss man sagen. Um das zu ändern, brauchen wir eben eine gute Ausbildung, eine gute islamisch-theologische Ausbildung;
({9})
denn nur so kann, wie ich glaube, gewährleistet werden, dass wir auch deutsche Imame in den Moscheen haben, dass auch einmal auf Deutsch gepredigt werden kann, dass man eben nicht dieses Gefühl haben muss: Wir wissen nicht, was dort passiert.
Wir haben auch Hunderttausende Schülerinnen und Schüler, die sich für einen entsprechenden Religionsunterricht interessieren könnten. Ich finde – das habe ich auch letztes Mal schon gesagt – den dialogischen Religionsunterricht besser,
({10})
in dem allen Schülerinnen und Schülern Grundkenntnisse über mehrere Religionen an den Schulen vermittelt werden, in dem sie über ihre religiösen und weltanschaulichen Positionen diskutieren können und in dem geklärt wird, wie gutes Zusammenleben geht.
Mein Kollege Frank Schwabe wird gleich noch weiter zum Antrag sprechen. Ich hoffe erst einmal, dass wir es schaffen werden, diese Debatte ordentlich zu führen, dass wir nicht wieder einzelne Gruppen ausgrenzen.
Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Nächster Redner ist Jürgen Braun für die AfD.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Es ist typisch und auch markant, dass diese Koalition Frau Özoğuz ins Rennen schickt als gemeinsame erste Rednerin, um einen Antrag zu begründen.
({0})
– Warten Sie es ab. – Frau Özoğuz, so nett Sie im persönlichen Umgang sind – ich schätze Sie im persönlichen Umgang sehr –,
({1})
wissen Sie was, Ihre Initiativen, die Sie als Zuständige im Kanzleramt entwickelt haben für eine Migrationsgesellschaft, waren eindeutig gegen das Grundgesetz gerichtet.
({2})
Das muss man hier einmal deutlich feststellen.
({3})
Eindeutig gegen das Grundgesetz gerichtet! Die Migration darf unser Grundgesetz nicht verändern, und es muss auch nichts täglich neu ausgehandelt werden am Zusammenleben in unserem Land. Die Rechte gelten für alle.
({4})
Dass diese Debatte überhaupt stattfindet, ist ein Triumph für die AfD.
({5})
Viermal haben Sie sich nicht getraut, unser Thema, die Christenverfolgung, im Ausschuss zu behandeln und ins Plenum zu bringen. Im April bereits haben wir unseren Antrag „Christenverfolgung stoppen und sanktionieren“ eingebracht. Und wie wichtig dieses Thema ist, sehen Sie auch an diesem Buch von Martin Mosebach „Die 21“ über koptische Christen, die in Libyen zu Märtyrern für ihren Glauben wurden. In diesen Tagen erleben wir die zahlenmäßig größte Christenverfolgung der Menschheitsgeschichte. Das sagt die Hilfsorganisation Open Doors und andere auch. Wie kann es angesichts dessen sein, dass Sie ein geschlagenes halbes Jahr brauchen, um überhaupt irgendetwas zu religiöser Verfolgung aufs Papier zu bringen?
({6})
Sie waren es, die sich ein parlamentarisches Foulspiel leisteten, indem Sie den Antrag im Juni plötzlich von der Tagesordnung nehmen ließen und dann wieder und wieder im Ausschuss für Menschenrechte – insgesamt viermal. Klärungsbedarf in der Koalition hätten Sie, hieß es von der Union. Klärungsbedarf – jawohl, das war eine parlamentarische Notbremse. Das tut man nicht, wenn es um gekreuzigte Menschen in Syrien geht, um von Bomben zerfetzte Kopten in Ägypten.
({7})
Sie haben das Thema viermal von der Tagesordnung abgesetzt, Sie haben diese bitter nötige Debatte um volle vier Monate verzögert. Die größte Oppositionspartei, die AfD, hat die anderen Fraktionen vorgeführt; denn sie alle hatten nichts vorzuweisen.
({8})
Nun endlich: Zwei weitere Anträge liegen vor. Was darin steht, ist auch nicht grundlegend falsch; denn es gibt überall Verfolgung, und Angehörige jeder Religion sind betroffen. Aber wie ernüchternd: Zwei Anträge voller überflüssiger Allgemeinplätze! Was Ihnen fehlt, und zwar allen Altparteien, ist die korrekte Wertung und Einordnung.
({9})
Als religiöse Ideologie betreibt der Islam die weltweite Verfolgung. Das ist der entscheidende Unterschied.
({10})
Das schließt nicht aus, dass auch Moslems Opfer religiöser Verfolgung sind; doch fast ausschließlich handelt es sich hier um Opfer innerislamischer Verfolgung: Moslems gegen Moslems. Diese verfolgten Menschen verdienen natürlich auch unsere Solidarität.
({11})
Doch dem werden Sie nicht gerecht. Sie bringen hier nette Anträge ein, die auf ein nebulöses Weltethos zielen und die Probleme der Menschen verfehlen. Denn wer würde nicht gerne in einer Welt ganz ohne Verfolgung leben? Aber das ist ein Traum, wie der Kommunismus, wo Gott verleugnet wird, wo Völkermördern wie Lenin, Stalin, Mao und Pol Pot Tür und Tor geöffnet wird. Linke und Grüne haben dort ihre Ursprünge und Vorbilder.
({12})
Sie alle wollen mit Ihren beiden Anträgen den Menschen Sand in die Augen streuen. Offensichtlich hat Sie der fundierte, sachliche und weiterführende Antrag der AfD gelähmt und Ihre Fraktionen entzweit. Auch die Union ist dabei im Lager der linksgrünen Hypermoral angekommen. Die Menschen im Lande wissen es: Das C im Namen gebührt ab jetzt der AfD!
({13})
Sechs Monate – und nun dieser Antrag, verehrte Kollegen der einst christlichen Union: nicht direkt falsch, aber viel zu allgemein, zu gefällig, zu lau. Lassen Sie mich dazu die Offenbarung des Johannes zitieren, Kapitel 3, Vers 16. Dort schreibt Johannes der Evangelist im Namen Jesu Christi:
Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien.
({14})
Zitat Ende. – Laue Christen sind halbe Heiden. Ein Antrag, der für alle und jeden passt,
ist lau!
({15})
Noch ein Wort zum Antrag der Grünen. In diesem Antrag entlarven sie sich selbst. Ausgerechnet die Islamkonferenz wird immer wieder erwähnt, eine Institution, die von muslimischen Verbänden missbraucht wird, um unseren Rechtsstaat zu verhöhnen. Ihnen fehlt offenbar jede Orientierung.
Jetzt ist die Zeit, um an diejenigen zu denken, die am stärksten verfolgt werden. Ingeborg Bachmann hat gesagt:
({16})
„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ Hören Sie den verfolgten Christen im Nahen und Mittleren Osten zu. Diese Menschen sagen die Wahrheit, auch die Wahrheit über den Islam.
({17})
Das Wort hat als nächster Redner Michael Brand für die Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Das C in unserem Parteinamen ist eine Provokation.“ – Dieser Satz eines ehemaligen CDU-Generalsekretärs hat eine wichtige Bedeutung für unsere heutige Debatte. Die Provokation des C bedeutet nämlich, dass wir dem christlichen Menschenbild verpflichtet sind, und das christliche Menschenbild bedeutet, dass wir allen Menschen verpflichtet sind, nicht alleine den Christen. Das C ist für uns auch ein Leitfaden unseres politischen Handelns.
({0})
Das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, übrigens das, was uns von denen unterscheidet, die über Christen reden und die das Reden über Christenverfolgung nicht etwa aus religiösen Gründen, sondern aus politischen Gründen auf die Agenda heben. Denen geht es um Spaltung; denen geht es um Hass.
({1})
Das hat die Bemerkung zu Frau Kollegin Özoğuz eben gezeigt. Uns geht es um das Gegenteil: um das friedliche Miteinander.
({2})
Das Thema Christenverfolgung lässt sich auch keineswegs auf einen Kulturkampf zwischen Christentum und Islam reduzieren, wie mancher behauptet – auch um bewusst zu spalten. Mir spricht so aus dem Herzen der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick, der formuliert hat:
Unser Einsatz für die Christen ist exemplarisch, aber nicht exklusiv.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Christen sind die größte Gruppe der Gläubigen auf diesem Globus. Sie zählen auch die größte Zahl der Verfolgten. Insbesondere in intoleranten Ländern – ob kommunistisch, islamistisch oder nationalistisch – zählen sie als Minderheit zu den Verfolgten dieser Erde. „Leben und leben lassen, glauben und glauben lassen“, so treffend hat es der in Kairo geborene und heutige Bischof der koptischen Christen in Deutschland, Bischof Damian, der dort oben sitzt, kürzlich in einem persönlichen Gespräch gesagt.
({3})
Auf der Tribüne sitzen gesuchte wie geschätzte Gesprächspartner, die Vertreter von vielen Religionsgemeinschaften, insbesondere der christlichen Religionsgemeinschaften. Auch Jesiden, Juden, Muslime, die so starker Verfolgung weltweit unterworfen sind, hören uns zu. Wir freuen uns, dass Sie da sind. Wir werden gleich nach der Debatte auf Einladung des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU Ralph Brinkhaus die Gelegenheit zum Austausch haben. Seien Sie uns herzlich willkommen!
({4})
Ich will angesichts auch der Teilnahme von Jesiden sagen: Wir freuen uns, dass eine Jesidin, eine zerbrechliche und eine mutige Frau, Nadia Murad, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wird. Sie hat die Hölle erlebt. Sie setzt sich heute für andere ein. Noch über 3 000 Frauen sind versklavt in IS-Gefangenschaft. Auch die müssen befreit werden, und die Täter müssen vor einem internationalen Gericht zur Verantwortung gezogen werden.
({5})
Liebe Gäste, keiner von Ihnen und kein wahrer Gläubiger wird auch nur einen Gedanken daran verschwenden, den Schutz von bedrohten Minderheiten zu einer billigen polemischen Münze in einer innenpolitischen Debatte umfälschen zu wollen.
({6})
Nein, wer die verfolgten Christen wirklich schützen will, der muss konkret arbeiten. Diese Koalition tut das.
({7})
Ich will an dieser Stelle ganz besonders Volker Kauder für seinen langjährigen Einsatz und auch für seinen künftigen Einsatz danken.
({8})
Viele aus der Opposition tun das. Wir haben im Koalitionsvertrag Ziele festgelegt, die dem Schutz verfolgter religiöser Minderheiten dienen. Neu ist ein Beauftragter der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit, Markus Grübel, der gleich das Wort ergreifen wird. Ich verweise auch auf unseren Stephanuskreis; Heribert Hirte wird sich gleich zu Wort melden. Es wird künftig einen Bericht über die weltweite Lage der Religionsfreiheit mit einem systematischen Länderansatz geben. Das ist was Neues. Das wird sich auch in der konkreten Politik widerspiegeln, und es spiegelt sich eben auch in unserem Antrag wider, den Sie vorliegen haben: „Menschenrecht auf Religionsfreiheit weltweit stärken“. Er umfasst sieben Seiten und enthält sehr konkrete Forderungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Außenpolitik ist eine Außenpolitik mit menschlichem Gesicht. Wir setzen uns international mehr als viele andere Länder für Verfolgte ein, besonders auch für Verfolgte, die ihres Glaubens wegen verfolgt werden, und das tun wir nicht als Regierung oder als Opposition; wir tun dies als Bundestag insgesamt. Es zählt zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland, dass wir uns für Menschenrechte – und die Religionsfreiheit ist ein zentrales Menschenrecht – weltweit einsetzen. Das ist ein großes und ein wertvolles Gut dieses Landes.
Verfolgung von religiösen und anderen Minderheiten geht zurück auf Ausgrenzung und Intoleranz. Wer sich gegen Hass auflehnt, wer für Toleranz und Miteinander statt für Ausgrenzung kämpft, der tut aus meiner Sicht ein christliches und – auch das möchte ich sagen – ein gottesfürchtiges Werk.
({9})
Wer aus ehrlichen Motiven den Schutz von christlichen und anderen Minderheiten verbessern will, der ist uns willkommen. Wer aber unaufrichtig und mit der Absicht, zu spalten, das Elend der Schutzlosen missbraucht,
({10})
der trifft auf unsere Ablehnung und auf unseren aktiven Widerstand.
({11})
Ich appelliere bei diesem sehr grundsätzlichen Thema an alle Religionsgemeinschaften, an alle politischen Gruppierungen und an alle Menschen guten Willens: Lassen Sie uns gemeinsam für Verfolgte eintreten, so wie wir das auch bisher getan haben! Lassen Sie uns den Dialog der Religionsgemeinschaften fördern, um immer mehr Verständnis zu fördern und immer weniger Ausgrenzung zu erlauben! Unterstützen wir in allen Ländern diejenigen, die in der Mehrheit sind, nämlich solche, die als Christen, als Juden, als Muslime, als Buddhisten, als Hinduisten oder andere wissen, wie wertvoll der Glaube ist, und deshalb so großen Respekt vor denjenigen haben, die ihren Glauben auch praktizieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will mit einer Begebenheit enden. Als Papst Franziskus vor einigen Jahren Albanien besuchte und ein älterer Mann in traditioneller Kleidung gefragt wurde, ob er denn auch zur Begrüßung des Papstes komme, antwortete er – er war ganz offensichtlich ein Muslim – freudestrahlend: Natürlich werde ich den Papst begrüßen. Ich muss nur noch vorher in die Moschee, um zu beten, und dann gehe ich auf die Straße, um ihn zu begrüßen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt Millionen solcher Beispiele, die nicht nur die Verfolgung von Christen und anderen Minderheiten, sondern eben das Miteinander und den Schutz füreinander dokumentieren. Lassen Sie uns gemeinsam, Christen wie Nichtchristen, weiterarbeiten. Wir dürfen nicht aufhören, uns für eine Welt einzusetzen, in der wir Brüder und Schwestern im Glauben sind und in der wir die Freiheit der anderen schützen, Glauben auch zu praktizieren. Das Wichtigste daran ist, wieder und wieder das gute Beispiel zu setzen und immer wieder den Hass und die Ausgrenzung zu bekämpfen.
Vielen Dank.
({12})
Als Nächstes spricht Dr. Stefan Ruppert für die Fraktion der FDP.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eine Bemerkung vorweg machen: Dieses Haus hat sich schon um Religionsfreiheit weltweit gekümmert, unter anderem initiiert durch Volker Kauder, als Sie von der AfD diesem Haus noch nicht angehörten, und wir werden uns weiter darum kümmern, auch wenn Sie diesem Haus nicht mehr angehören werden.
({0})
Insofern kann ich Ihnen mit dem Bibelzitat, das Sie gebracht haben, vielleicht antworten:
Wenn jemand spricht: „Ich liebe Gott“, und hasst seinen Nächsten, der ist ein Lügner.
({1})
So lesen wir bei Johannes.
Die Nächstenliebe hört nicht da auf, wo die Religion endet. Sie macht keinen Unterschied zwischen Weltanschauungen und Religionen. Sie macht keinen Unterschied dabei, ob jemand glaubt oder nicht glaubt, welcher Religion er auch immer angehört. Ich habe im Gegenteil den Eindruck: Leider geht auch in unserem Land der Respekt vor Religiosität etwas verloren. Wir fordern diesen Respekt immer wieder neu ein. Das heißt nicht, dass es im Namen der Religion irgendeinen Rabatt auf strafrechtliche oder verfassungsrechtliche Ordnungen gibt; aber es heißt: Wir müssen Menschen in ihrer ganzen Individualität begreifen, ob sie glauben, ob sie nicht glauben. Es gibt ja negative und positive Religionsfreiheit. Wer das nicht tut, der unterschätzt die Komplexität des Individuums. Dafür fordern wir Respekt.
({2})
Offen gesagt, fand ich frühere Anträge der Koalition zu diesem Thema aussagekräftiger. Ich hätte mir ein Wort zu Saudi-Arabien gewünscht. Kaum ein Land in dieser Welt geht so fahrlässig mit Religionsfreiheit um wie Saudi-Arabien. Wer erlebt, wie radikalisiert der Wahhabismus etwa in Malaysia und in anderen Ländern am Werk ist, der hätte sich schon gewünscht, dass auch unser Außenminister, statt nur Aufklärung zu fordern, ein etwas deutlicheres Wort zu Saudi-Arabien und der dortigen Politik und der Verachtung von Menschenrechten findet. Leider war da wenig zu hören.
({3})
Leider finden wir in dem Antrag zu viele Allgemeinplätze anstatt konkreter Maßnahmen. Man hat den Eindruck: Der Antragstext wurde im Dialog von CDU/CSU und SPD etwas abgeschliffen. Der eine hat dem anderen nicht gegönnt, dieses oder jenes hineinzuschreiben. So bleibt er leider etwas nichtssagend.
Ich finde den Grünenantrag etwas aussagekräftiger. Da ist zum einen die Religionsfreiheit gut beschrieben. Ich finde es zum anderen auch richtig, dass die Islamkonferenz genannt wird; denn auch in unserem Land müssen wir dafür sorgen, dass das religiöse Miteinander besser funktioniert. Leider werden wir Parlamentarier durch den Innenminister immer wieder von der Teilnahme an dieser Konferenz ausgeschlossen. Es ist ein Closed Shop. Wer glaubt, wir kämen so zu guten Ergebnissen, der irrt.
({4})
Ich danke allen Vertretern der Religionsgemeinschaften für ihr positives Tun. Kämpfen wir gemeinsam für die Religionsfreiheit weltweit!
Vielen Dank.
({5})
Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Christine Buchholz für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Religionsfreiheit schützt vor allem die Freiheit des Menschen, sich religiös oder weltanschaulich selbst zu bestimmen und danach zu leben. Sie enthält drei Dimensionen: die individuelle Freiheit zum Glauben, die individuelle Freiheit vom Glauben
({0})
– das ist leider in diesem Antrag nicht wirklich konkret ausgeführt – und die Freiheit, seinen Glauben öffentlich und sichtbar zu leben. Die Linke verteidigt das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit in all ihren Dimensionen.
({1})
Wir wenden uns dagegen, wenn Religion instrumentalisiert wird, zum Beispiel, wenn Religion missbraucht wird, um Herrschaft zu legitimieren, oder wenn Religion missbraucht wird, um Menschen gegeneinander auszuspielen. Es ist gut, wenn nach der Debatte über den Bericht der Regierung zur weltweiten Religionsfreiheit heute wieder über dieses Thema diskutiert wird. Das sage ich nicht nur, weil ich mich als nichtgläubiger Mensch seit über 25 Jahren intensiv mit Religion und Menschen unterschiedlichster Religionsgemeinschaften in Deutschland und weltweit auseinandersetze; das sage ich vor allen Dingen, weil es mit der AfD eine Fraktion im Bundestag gibt,
({2})
die das universelle Menschenrecht auf Religionsfreiheit mit Füßen tritt,
({3})
die Menschen gegeneinander ausspielt und die dem Islam das Recht auf Religionsfreiheit abspricht.
Nur ein Satz zum Antrag der AfD zur Christenverfolgung: Mit ihrem Rassismus und mit ihrem selektiven Verständnis von Menschenrechten ist die AfD eine denkbar schlechte Anwältin für Christen weltweit, die verfolgt und bedrängt sind.
({4})
Nun zum Antrag der Regierungsfraktionen. Der Antrag „Menschenrecht auf Religionsfreiheit weltweit stärken“ enthält richtige Punkte. Die Linke begrüßt es, wenn Menschenrechte Grundlage von Außenpolitik sind.
({5})
Aber lassen Sie mich auch einige kritische Anmerkungen machen. Ich teile vieles, was Aydan Özoğuz in ihrer Rede gesagt hat. Aber wenn Sie richtigerweise die Allgemeingültigkeit des Menschenrechts auf Religionsfreiheit herausstellen, dann gibt es doch eine Schlagseite in Ihrem Antrag. Ich will das an einem Punkt deutlich machen.
Sie schreiben mit Blick auf das Christentum, was faktisch natürlich absolut richtig ist:
Auf keine andere Religionsgemeinschaft entfallen mehr Verfolgte.
Sie schreiben aber auch, das Christentum ist nun mal die größte Religionsgemeinschaft weltweit. Aber ist das entscheidend? Die religiöse Unterdrückung ist vielfältig, und alle Religionen sind betroffen. Angesichts der massiven Unterdrückung der muslimischen Uiguren in China oder der Rohingya in Myanmar muss doch klar sein: Die verschiedenen Fälle und Religionen dürfen nicht gegeneinander aufgerechnet werden.
({6})
Für Die Linke gibt es keine Hierarchie der Unterdrückung. Jede Unterdrückung muss bekämpft werden.
({7})
Noch ein Kommentar zu Herrn Braun, der sich auf die Kopten in Ägypten bezogen hat. In den Gefängnissen von Herrn el-Sisi, für den Sie gewisse Sympathien empfinden,
({8})
sitzen Zehntausende, und da sitzen Muslime, Christen und Atheisten. Dazu würde ich auch gern mal ein klares Wort von Ihnen hören.
({9})
Sie von den Regierungsfraktionen führen in Ihrem Antrag zu Recht das Leid der Jesiden im Irak an. Wir begrüßen es, wenn Christen und Jesiden wieder eine Perspektive im Irak bekommen. Aber was nicht zusammenpasst mit der Anerkennung des Leids der Jesiden in Ihrem Antrag, ist die Schmutzkampagne Horst Seehofers gegen das BAMF in Bremen, die auf dem Rücken von jesidischen Geflüchteten ausgetragen wurde.
({10})
Angeblich zu hohe Schutzquoten in Bremen wurden skandalisiert; dabei waren jesidische Flüchtlinge als Opfer von Mord und Terror des IS offenkundig Schutzbedürftige.
Wenn wir dieses Leid, zu Recht, beklagen, müssen wir uns fragen: Wie konnte der IS so stark werden? Was hat das mit den Zerstörungen der Irakkriege zu tun? Was hat das mit einer irakischen Regierung zu tun, die religiöse Spaltung bewusst verstärkt und Sunniten und andere benachteiligt? Und auch der sogenannte Krieg gegen den Terror: Repression und Unterdrückung befeuern an anderen Orten dieser Welt den Terror, unter dem dann wieder Minderheiten leiden. – Ich finde, darüber sollten Sie nachdenken, bevor Sie die Bundeswehr das nächste Mal entsenden oder Waffen exportieren.
({11})
Schade ist es, dass Sie den Antrag nicht nutzen, um die friedenspolitische Bedeutung der Religionsgemeinschaften herauszustellen. Die EKD schreibt:
So kann unter Umständen eine säkulare Menschenrechtsorganisation in einem islamischen Land über bessere Einflussmöglichkeiten verfügen als eine noch so starke westliche Kirche. Oft ist vielversprechend, gemeinsam mit muslimischen Organisationen aktiv zu werden ...
Ich fände es gut, wenn Sie zum Beispiel diesen Gedanken bei der Einbindung unterschiedlicher religiöser oder weltanschaulicher Akteure in die Entwicklungszusammenarbeit aufgreifen und stärken würden.
({12})
Die Regierungsfraktionen sprechen in ihrem Antrag anders als Aydan Özoğuz in ihrer Rede nicht über die Religionsfreiheit hierzulande in Deutschland. Ich finde, wir sollten stärker auch vor der eigenen Haustür kehren. Als am vergangenen Wochenende 240 000 Menschen unter dem Hashtag #Unteilbar demonstriert haben, haben sie auch für Religionsfreiheit demonstriert.
({13})
Im Aufruf heißt es:
Die derzeitigen Angriffe auf Menschenrechte, Religionsfreiheit und Rechtsstaat sehen wir mit großer Sorge.
Es gibt viele Initiativen des interreligiösen und weltanschaulichen Dialogs, beispielsweise den Frankfurter Rat der Religionen. Sie leisten eine unglaublich wichtige Arbeit, die zu würdigen ist.
Die Aufgabe der Bundesregierung ist es, für die Religionsfreiheit und auch für die Gleichberechtigung der Religionen zu sorgen. Dafür brauchen wir die rechtliche Gleichstellung aller Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften in Deutschland.
({14})
Das bedeutet auch, Wege zu finden, die rechtliche Gleichstellung des Islams in Deutschland endlich umzusetzen. Wir brauchen einen neutralen Staat; denn er ist die Voraussetzung für eine umfassende Gleichberechtigung der Religionen in Deutschland. Und: Wir wollen die Gewährung von individueller Religionsfreiheit. Ob Kippa, Kopftuch oder Kreuz – jeder und jede soll sein oder ihr Bekenntnis in der Öffentlichkeit zeigen können und darf dadurch nicht in der Berufswahl eingeschränkt werden.
({15})
Wenn Sie das umsetzen, wäre das auch ein starkes Signal für einen glaubwürdigen Einsatz für Religionsfreiheit weltweit.
Vielen Dank.
({16})
Nächster Redner ist der Kollege Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder Mensch muss das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit haben – in Deutschland und weltweit.
({0})
Für uns Grüne im Bundestag gilt: Es gibt kein Menschenrecht erster und zweiter Klasse. Religionsfreiheit ist genauso elementar wie andere Grundrechte. Es gibt auch keine Religion erster und zweiter Klasse. Alle Religionen sind gleich viel wert. Religiöse Vielfalt ist praktizierte Realität in unserem multireligiösen und säkularen Land, und das ist auch gut so.
({1})
Und, ob Bibel oder Koran: Keine heilige Schrift steht über unserem Grundgesetz! Das ist eine Selbstverständlichkeit.
({2})
Religionsgemeinschaften wirken auf dem Globus vielerorts friedensstiftend und völkerverständigend. Probleme wachsen dort, wo religiöser Fanatismus ausbricht und religiöse Minderheiten bedroht sind. Wir sagen Nein zu Fundamentalismus, und wir sagen Ja zum Schutz von Religion und vor Religion.
({3})
Die Bundesregierung muss endlich aktiver werden gegen jede Diffamierung und Verfolgung von Gläubigen, Glaubensgemeinschaften, religiösen Minderheiten und Konfessionslosen. Unsere Verfassung und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte stellen alle unter ihren Schutz: Juden, Muslime, Buddhisten und Atheisten.
Bei künftigen Bundesberichten zu Religions- und Weltanschauungsfreiheit muss neben der weltweiten auch die inländische Lage systematisch erfasst werden. Denn bevor wir mit dem Finger auf andere Länder zeigen, müssen wir hier in Deutschland sicherstellen, dass die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit gilt.
({4})
Anschläge auf Synagogen und Moscheen, Attacken auf Juden und Muslime haben in Deutschland leider zugenommen. Stellvertretend will ich erinnern an den Angriff am 27. August dieses Jahres auf ein jüdisches Restaurant in Chemnitz aus einem rechten Aufmarsch heraus. Bei den Protesten waren auch Mitglieder der AfD da. Ich frage mich: Wo war da Ihr Einsatz für Religionsfreiheit?
({5})
Das sind abscheuliche Angriffe gegen Glaubensfreiheit, religiöse Pluralität und damit gegen alle demokratischen Werte. Das darf niemand hier im Haus hinnehmen. Weil die AfD solche deutschen Zustände verharmlost, verneint oder Antisemitismus und Islamophobie schürt, ist sie kein Anwalt für Religionsfreiheit.
({6})
Da brauchen Sie gar nicht rumkrakeelen. Wer wie Sie von der AfD das Leid verfolgter Rohingya ignoriert, misst mit zweierlei Maß und ist brutalst unglaubwürdig.
({7})
Offensichtlich haben Sie wenig von christlicher Nächstenliebe gehört; denn Sie treten christliche Werte tagtäglich mit Füßen – allein gegenüber Asylbewerbern. Deswegen ist die AfD auch auf Kirchentagen nicht willkommen.
({8})
Christliches, zivilisiertes Verhalten verbrämen Sie als „Gutmenschentum“. Ich sage Ihnen: Lieber Gutmensch als Unmensch. Herz statt Hetze bringt uns weltweit weiter.
({9})
– Ja, ich mache von meinem Recht auf freie Meinungsäußerung gerade Gebrauch. Es gibt ja viele Belege dafür, wie Sie in Chemnitz agiert haben.
({10})
Uns und sicher allen demokratischen Fraktionen im Haus ist wichtig, friedlich und interreligiös mit Muslimen zusammenzuleben. Deswegen fordern wir in unserem Antrag einen Neuanfang der Deutschen Islamkonferenz: integrativ und transparent. Der Antrag der Koalition blendet dieses Thema aus. Warum eigentlich? Weil Innenminister Seehofer mit Nichtstun glänzt? Das ist schlecht; denn es verhindert Fortschritte im Inland bei der Integration eines aufgeklärten Islam. Hier müssen sich natürlich auch die Islamverbände bewegen.
({11})
Nichtstun schmälert deutsche Glaubwürdigkeit im Dialog mit Regierungen anderer Länder und auch in internationalen Gremien wie dem UN-Menschenrechtsrat. Da sind Sie als Koalition zu kurz gesprungen.
Was mich am Ansatz der CDU/CSU nicht überzeugt: Sie tun so, als sei Religionsfreiheit das elementarste, das zentralste aller Menschenrechte. Für mich ist es ein wichtiger Artikel der 30 Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Jeder der 30 Artikel ist elementar.
({12})
Bei CDU/CSU strapaziert mich auch ein bisschen die Selbstbeweihräucherung, mit der Sie den neuen Posten des Religionsfreiheitsbeauftragten feiern. Warum bringen Sie denn nicht denselben Elan auf, um das Amt der Menschenrechtsbeauftragten endlich zu stärken?
({13})
Ihre Ausstattung muss endlich auf internationales Niveau, erst recht angesichts der Weltlage und unserer internationalen Rolle. Warum rücken Sie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes nicht in Ihren Fokus? Beide stehen für alle Menschenrechte ein. Das ist auch die Grundhaltung des Grünenantrags. Wir kämpfen gegen jede Diskriminierung an.
({14})
Meine Damen und Herren, in vielen Ländern und Regionen ist Verfolgung wegen Religionszugehörigkeit bitterer Alltag. Neben Christen und Juden sind unter anderem betroffen: die muslimischen Rohingya, die Ahmadiyya und die Bahai, die Jesidinnen, die Schabak, Aleviten, Schiiten, Sunniten, Uiguren und Tibeter. Diese und andere gehören geschützt. Religions- und Weltanschauungsfreiheit muss für alle gelten, nicht exklusiv für eine Mehrheitsreligion.
({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend ist mir wichtig, dass wir den Einsatz für die Menschenrechte nicht auf das Thema Religion verengen dürfen. In diesem Jahr debattieren wir zum fünften Mal im Plenum über Religion. Eine gewisse politische Unwucht ist das schon. Daher seien Sie gewiss, dass wir anderen Menschrechtsmegathemen mehr Raum geben werden,
({16})
wie Kinderrechten, Frauenrechten, LGBTI-Rechten, Presse-, Meinungs-, Versammlungs- und Wissenschaftsfreiheit. Denn: Menschenrechte sind unteilbar, sie sind universell und unveräußerlich. Gemeinsam Verfolgte schützen, das wäre die beste Botschaft dieses Bundestages.
({17})
Nächster Redner ist der Abgeordnete Frank Schwabe für die Fraktion der SPD.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Zunächst einmal will ich mich am Anfang bei denjenigen bedanken, die hier schon in sehr vernünftiger Art und Weise geredet haben: bei Aydan Özoğuz, die ganz zu Beginn geredet hat, aber auch beim Kollegen Brand. Ich finde, wenn man irgendwann herausfinden will, wer hier in diesem Hause verantwortlich handelt und sich ernsthaft mit Themen auseinandersetzt, dann muss man sich eigentlich nur die ersten drei Redebeiträge dieser heutigen Debatte angucken. Zwischen Frau Özoğuz und Herrn Brand redete Herr Braun, der versuchte, diese Debatte nur zur Spaltung zu nutzen, statt den Menschen – Christen oder sonst wem – auf der Welt in irgendeiner Art und Weise zu helfen.
({0})
Für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten geht es in der Tat um die Universalität der Menschenrechte. Das Recht auf Religionsfreiheit ist eines dieser Rechte neben vielen anderen Rechten, die im Deutschen Bundestag entsprechend gewürdigt werden und auch gewürdigt werden sollen. Im Übrigen – auch das will ich noch mal betonen – ist es für uns auch ein Recht, das entsprechend geachtet werden muss, keiner Religion anzugehören.
Eigentlich muss man der AfD auch ein Stück weit dankbar sein, weil durch das Abspielen der ewig selben Platte, finde ich, zumindest eines deutlich wird: dass die übergroße Mehrheit in diesem Hause ganz vernünftig ist und dass wir es schaffen, in einer solchen Debatte – jedenfalls von der linken Seite des Hauses bis zur FDP – durchaus eine große Übereinstimmung hinzubekommen.
Mit dieser großen Übereinstimmung machen wird deutlich: Wir wollen uns Menschenrechtsthemen widmen – vielleicht mit unterschiedlichen Akzentuierungen, aber wir wollen auf gar keinen Fall, dass das Thema zur Spaltung genutzt wird –, wir wollen zusammenführen, wir wollen die Menschenrechte in diesem Land und darüber hinaus achten.
({1})
Herr Ruppert hat das Thema Saudi-Arabien angesprochen, Frau Özoğuz hat es erwähnt – ich will das an der Stelle noch mal sagen –: Der mutmaßliche bestialische Mord an Jamal Khashoggi ist verheerend und schrecklich und erfordert drastische internationale Reaktionen. Man muss, glaube ich, aber auch deutlich machen: Mit Religion hat das Ganze natürlich nichts zu tun, sondern es hat etwas zu tun mit einer wirklich perfiden Art und Weise, mit der Machtpolitik durch Saudi-Arabien ausgeübt wird.
({2})
Ich glaube, es ist richtig, wenn wir das im Deutschen Bundestag über alle Grenzen verurteilen. Ich will die Gelegenheit zumindest nutzen, dass das gesagt wird.
({3})
Der letzte Bericht, der zur Freiheit der Religion aus dem Auswärtigen Amt vorgelegt wurde, ist inspiriert worden von Professor Heiner Bielefeldt, dem ehemaligen Chef des Deutschen Instituts für Menschenrechte und dem deutschen und vielleicht auch internationalen Fachmann für das Thema Religionsfreiheit und den Umgang des Islam mit den Menschenrechten. Ich würde allen Beteiligten des Hauses sehr empfehlen, noch mal in seine Texte zu gucken und sich daran zu orientieren.
Auf ein Thema des Antrags will ich noch eingehen, weil wir mitten in den Haushaltsberatungen sind. Wenn wir das Thema Religionsfreiheit weltweit durchsetzen wollen und wenn wir wollen, dass nicht nur Religionsfreiheit, sondern auch andere Menschenrechtsthemen weltweit durchgesetzt werden, nämlich dass Menschen ihre Rechte bekommen, dann brauchen wir auch das entsprechende Personal dafür. Deswegen besteht vielleicht noch die Gelegenheit, in den Haushaltsberatungen darauf hinzuwirken, dass unsere Botschaften in einer Art und Weise ausgestattet sind – so ist es auch in dem Antrag angelegt –, dass sie die Religionsfreiheit, aber auch andere Menschenrechte – die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechte und humanitäre Hilfe nickt – international durchsetzen können. Ich glaube, das ist ein Appell an uns alle, in den Haushaltsberatungen gemeinsam dafür zu sorgen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Religionsfreiheit und andere Menschenrechte sind weltweit durch autoritäre Regierungen unter Druck – leider auch in Europa. Ich finde, es ist eine wichtige Aufgabe und höchste Zeit, dazu Klartext zu reden und gemeinsam für Freiheit und Menschenrechte zu kämpfen, egal welches Geschlecht, welche Hautfarbe, welche sexuelle Orientierung die Menschen haben oder an was sie glauben oder nicht glauben. Dafür sollten wir alle gemeinsam sorgen.
Herzlichen Dank.
({5})
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Anton Friesen für die AfD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Geehrte Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften! Ich will am Anfang einen Satz zu den schon länger hier Sitzenden sagen: Was wir hier gehört haben, war die Instrumentalisierung eines äußerst wichtigen Themas für parteipolitisches Klein-Klein. Das wurde auf dem Rücken der verfolgten Christen ausgetragen. Sie sollten sich dafür schämen!
({0})
Wer hier, wie der Kollege Gehring, von „Unmenschen“ spricht, der gebraucht das Vokabular von Nationalsozialisten. Ich weiß nicht, in welcher Goebbels-Rede Sie das nachgelesen haben; aber das gehört nicht in dieses Haus.
({1})
– Im Gegensatz zu Ihnen nicht.
({2})
Vor den Augen der Welt findet seit Jahren ein Genozid an den Christen durch den „Islamischen Staat“ statt. Und was tut die Bundesregierung? Sie kann sich nicht einmal durchringen, diese systematische Ausrottung, Vertreibung, Unterdrückung und Ermordung von Christen als solche zu benennen. Das EU-Parlament, das US-Repräsentantenhaus und auch das britische Unterhaus haben den IS-Genozid an den Christen genauso wie den Völkermord an den Jesiden richtigerweise längst anerkannt.
({3})
In Deutschland dagegen herrscht Schweigen, wenn gemordet wird. Es herrscht Schweigen, wenn ein Aufschrei nötig wäre.
({4})
Sieht so eine menschenrechtsorientierte Außenpolitik aus, von der Sie immer so gerne schwadronieren?
({5})
Im Nahen Osten, einer der Kernregionen unseres christlichen Glaubens, stellten Christen um 1900
20 Prozent der Bevölkerung. Heute sind es nur noch nicht einmal mehr als 5 Prozent. Der Exodus der Christen dort sollte uns alle mit tiefer Besorgnis erfüllen. Nicht zu Unrecht stellt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages fest, dass Christen die weltweit aus religiösen Gründen am häufigsten verfolgte Personengruppe sind.
({6})
Wenn Sie den Mut haben, wirklich etwas gegen die Christenverfolgung zu tun, dann stimmen Sie unserem Antrag zu. Er enthält kein allgemeines Blabla, sondern viele konkrete Maßnahmen, wie die Kürzung der Entwicklungshilfe für Verfolgerstaaten, Programme gegen Christenfeindlichkeit bei den Asylbewerbern und auch den Vorschlag, Flüchtlingskontingente für verfolgte Christen einzurichten.
Vielen Dank.
({7})
Als Nächster spricht der Abgeordnete Markus Grübel für die Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Bundesregierung und die Koalition aus CDU, CSU und SPD setzen Zeichen. Wir setzen uns noch stärker als bisher für die Religions- und Weltanschauungsfreiheit ein. Religionsfreiheit – ein fundamentales Menschenrecht. Im Dezember werden wir uns an 70 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte erinnern – ein großer zivilisatorischer Fortschritt! Und doch: Die Verletzung der Religionsfreiheit hat massiv zugenommen in der Welt: Drei Viertel aller Menschen leben in Ländern, die Religionsfreiheit einschränken oder gar völlig infrage stellen. Leider zeigt uns der Blick ins Inland: Auch in Deutschland gibt es Verfolgung aus religiösen Gründen. In der Statistik lesen wir: 2017 gab es 1 504 antisemitische Straftaten, 1 074 islamfeindliche Straftaten und 129 christenfeindliche Straftaten in Deutschland. Dem stellen wir uns gemeinsam entgegen.
({0})
Meine Aufgabe wird sein, einen Bericht über die Lage der Religionsfreiheit in der Welt zu erstellen. Ich will im kommenden Jahr zusammen mit dem Auswärtigen Amt und dem BMZ mit Ihnen, den Abgeordneten des Deutschen Bundestages, aber auch mit der Zivilgesellschaft und insbesondere den Kirchen und Religionsgemeinschaften diesen Bericht erarbeiten und vorlegen. Ich möchte dabei einen länderspezifischen Ansatz wählen, aber auch thematische Schwerpunkte bilden, zum Beispiel zum Recht auf Konversion, aber auch Aufklärung über interreligiöse Kooperationen leisten. Der Bericht soll ein verständliches Nachschlagewerk werden für eine breite Öffentlichkeit.
({1})
Religionsfreiheit ist nie exklusiv, sie gilt immer auch allen benachteiligten religiösen Minderheiten.
In meiner letzten Rede hier im Deutschen Bundestag habe ich über die Lage der Jesiden und Christen im Norden Iraks geredet. Heute möchte ich über die Lage der Rohingya in Myanmar und Bangladesch sprechen. Ich habe die Camps in Cox’s Bazar im Süden Bangladeschs besucht. Da leben 600 000 Rohingya auf engstem Raum unter schlimmsten Bedingungen. 40 Prozent von ihnen sind unter zwölf Jahre alt: Kinder, die keine richtige Schule besuchen können. Die Erwachsenen haben keine Arbeit. Die Grundbedürfnisse werden zwar befriedigt; aber die Lage ist insgesamt aussichtslos. Regen führt zu Erdrutschen; während des Monsuns leben die Menschen buchstäblich im Schlamm. In dieser Region Bangladeschs ist das Verhältnis von Einheimischen zu Flüchtlingen eins zu sechs, ein Einheimischer, sechs Flüchtlinge: Wir wissen, was das für Spannungen erzeugen kann. Die Mehrzahl der Rohingya will zurück in ihre Heimat Myanmar. Die Angst vor Verfolgung und die Frage nach einer Existenzgrundlage halten sie davon ab.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, kann man Radikalisierung und islamistischen Hasspredigern besser den Boden bereiten als mit solchen Zuständen? Wir müssen im europäischen Rahmen dringend dafür sorgen, dass religiöse Diskriminierungen nicht belohnt werden. Die Weltgemeinschaft darf niemals hinnehmen, dass Staaten versuchen, sich religiöser oder ethnischer Minderheiten zu entledigen.
({2})
Es gibt Regionen in Myanmar, in denen Buddhisten, Muslime und Christen friedlich zusammenleben; das muss der Maßstab sein. Wenn die Bundesregierung sich dem Thema Religionsfreiheit widmet, dann immer mit einem Ziel: alle Menschenrechte zu stärken. Ich möchte an dieser Stelle explizit meiner Kollegin, der Menschenrechtsbeauftragten Frau Kofler, und dem Antisemitismusbeauftragten Herrn Klein danken.
({3})
Den Grünen sage ich: Für jeden von uns gibt es wahrlich genug Arbeit.
Zurück zur Religionsfreiheit: Leider werden Religionen heute häufig von Staaten oder Gruppen missbraucht. Ich möchte aber auch eine andere Seite betrachten, nämlich das große Potenzial der Religionen. Es gibt weltweit viel mehr religiöse Menschen guten Willens als Fanatiker. Wir müssen noch viel mehr tun, um das positive Potenzial der Religionen auszuschöpfen. Ich rege deshalb auch an, dass wir bei der Ausbildung von Diplomaten und WZ-Referenten an den Botschaften die Religionssensibilität und die Religionskompetenzen stärken.
Ich möchte meine Rede mit zwei positiven Beispielen schließen, die ganz hervorragend zeigen, wie interreligiöses Miteinander funktionieren kann. Solche guten Beispiele können auch zur Nachahmung dienen.
Beispiel Mosul: In dieser vom IS zerstörten Stadt haben jüngst 30 junge Irakerinnen und Iraker gemeinsam ein Zeichen gesetzt. Sie reinigten zusammen die örtliche Moschee und die beschädigte Kirche der Heiligen Jungfrau Maria – wahrlich ein Zeichen der Hoffnung.
({4})
Beispiel Senegal: Vor einer Woche habe ich mit dem senegalesischen Bildungsminister gesprochen. Im Senegal hat das friedliche Miteinander der Religionen Tradition – Karamba Diaby nickt. Der erste Präsident war Christ, und das in einem Land mit über 90 Prozent Muslimen. Damit Religionsfreiheit auch heute in Zeiten von Radikalisierung fortbesteht, schaut der senegalesische Staat jetzt stärker in die Koranschulen und bindet sie in das öffentliche Schulsystem ein. Ziel ist, einerseits religiöse Schulbildung zu ermöglichen, aber auch die Werte der Republik wie Religionsfreiheit und Toleranz zu vermitteln. So verhindert man fundamentalistische Einflussnahme, die entstehen könnte, wenn andere diese Koranschulen finanzieren.
Diese Beispiele illustrieren das Anliegen unseres Antrages. Religionsfreiheit ist ein zentrales Menschenrecht und steht für nachhaltige Entwicklung. Religionen werden missbraucht – leider viel zu oft. Religionen haben aber auch ein großes Potenzial, zum Frieden in der Welt beizutragen. Lassen Sie uns in diesem Sinne für Religions- und Weltanschauungsfreiheit kämpfen.
Vielen Dank.
({5})
Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Gyde Jensen für die Fraktion der FDP.
({0})
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was im April galt, Herr Braun, das gilt immer noch. Dieser Antrag der AfD-Fraktion ist nichts als ein Feigenblatt für Ausgrenzung von Religionsgemeinschaften.
({0})
– Die Spaltung kommt noch, Herr Gauland.
({1})
Christenverfolgung wird in Ihrem Antrag einseitig als Problem islamischer Staaten deklariert. Damit zerstören Sie das Prinzip der Gleichwertigkeit aller Glaubensgemeinschaften.
Meine Damen und Herren, in diesem Antrag steht, dass Christen geschützt werden sollen. Dem stimmen wir als Freien Demokraten natürlich definitiv zu.
({2})
Die Wirkung des Antrags der AfD-Fraktion ist allerdings eine ganz andere. Religionen werden hier gegeneinander ausgespielt. Das ist Ihr Ziel. Unser Ziel ist das nicht. Wer Religionen gegeneinander ausspielt, schadet allen Religionen – auch dem Christentum.
({3})
Für die AfD-Fraktion geht es bei diesem Thema nicht um den Schutz vor Verfolgung; es geht um die Ausgrenzung von Muslimen. Genau so verstehen Sie eben auch Menschenrechte: Für die einen gelten sie ein bisschen mehr, für die anderen ein bisschen weniger.
Im Gegensatz zu Ihnen bin ich fest davon überzeugt, dass uns in diesem Hohen Hause gerade der Glaube an die Gültigkeit der Menschenrechte und daran, dass diese für alle gleichermaßen gelten, einen sollte.
({4})
Wenn ich Ihren Antrag lese, muss ich feststellen: Sie scheinen das Konzept von Menschenrechten vorsätzlich falsch verstehen zu wollen. Als Vorsitzende im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe habe ich schnell eines gelernt: Die Art, wie Sie Politik machen, hat Methode. Was Sie machen, ist eigentlich nichts anderes als gesellschaftliche Brandstiftung.
({5})
Ich möchte Ihnen gern noch mal erklären, warum das so ist. Im politischen Streit darf es nie um das Ob von Menschenrechten gehen. Niemand in diesem Haus darf ernsthaft die These aufstellen, dass Menschenrechte für bestimmte Gruppen mehr oder weniger gelten. Es gibt keine Menschenrechte light.
({6})
Es gibt auch keine Menschen erster und zweiter Klasse. Ihr Auftreten an dieser Stelle ist ein ausgewiesenes Beispiel für die Demagogie, die Sie in die Gesellschaft tragen wollen.
({7})
Das hat auch nichts mit schlechter Kinderstube zu tun. Vielmehr entscheiden Sie sich bewusst für Provokation um jeden Preis. Wir müssen hier viel mehr darüber reden, wie Menschenrechte zur Geltung gebracht werden können. Da ist noch viel zu tun: international, national. Doch während wir hier über die Akzeptanz von Vielfalt sprechen, versuchen Sie nur – und jetzt kommt es, Herr Gauland –, zu spalten.
({8})
– Sie können gerne Bullshit-Bingo spielen; es ist trotzdem wahr. – Menschenrechte sind nicht an Bedingungen geknüpft. Sie müssen nicht verliehen werden. Sie sind für alle gleich, und sie sind unveräußerlich. Das hat Herr Gehring von den Grünen ebenfalls gesagt.
Genau aus diesem Grund fordert das Grundgesetz nicht: Die Würde des Menschen darf nicht angetastet werden. Vielmehr steht dort: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Jeder, der Menschenrechte anrührt, verletzt sie. Zu Menschenrechten kann man daher auch keine Meinung haben. Entweder man achtet sie und liegt richtig, oder man achtet sie nicht und liegt falsch.
({9})
Der Deutsche Bundestag sollte auf dem Boden der Verfassung, auf dem Boden von Rechtsstaatlichkeit ein Zeichen gegen jedwede religiöse Gewalt setzen. Wir sind in der einzigartigen Position, so viel für Menschenrechte tun zu können – für den Schutz von Leben, für Religionsfreiheit, für Freiheit und Menschenrechte weltweit.
Mit diesem Antrag machen Sie von der AfD-Fraktion sich zu einer unheiligen Sammlung von Biedermännern und Brandstiftern. Das ist ein Buch von Max Frisch. Das sollten Sie vielleicht auch mal lesen.
({10})
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Sebastian Brehm für die Fraktion CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen und Glaubensgemeinschaften! Sehr geehrte Gäste auf den Zuschauertribünen!
Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn …
In Nordkorea wird man wegen dieses Glaubensbekenntnisses als Feind des Regimes in ein Arbeitslager gesperrt, gefoltert und zu schwerer Zwangsarbeit gezwungen. In Afghanistan betreiben selbsternannte Glaubenswächter Lynchjustiz, und Gerichte verhängen Todesurteile beim Bekenntnis zu einer anderen Religion als dem Islam. In Indien wollen extremistische Hindus ihr Land von Christen und Muslimen säubern. Dabei wird zu oft weggeschaut, teilweise herrscht sogar Straffreiheit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind nur drei traurige Beispiele religiös verfolgter Menschen weltweit. Als Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion und als Christen fühlen wir uns natürlich den Christen in der Welt ganz besonders verbunden. Dennoch sind die Menschenrechte nicht exklusiv, sondern universell und gelten damit für alle.
({0})
Für die Verfolgung der Christen ist laut Open Doors der islamische Extremismus die Haupttriebkraft. Deshalb ist es – das muss man in einer solchen Debatte auch ansprechen – umso bedauerlicher, dass in der Kairoer Erklärung der Menschenrechte der Organisation der Islamischen Konferenz keine notwendige Abgrenzung vorgenommen wird. Auch in unserem Land müssen wir die aktuellen Entwicklungen genau anschauen. Das muss man in so einer Debatte auch ansprechen.
Aber die Beispiele, insbesondere von Nordkorea und Indien, zeigen, dass keineswegs nur islamistisch und islamisch geprägte Länder für die Einschränkung der Religionsfreiheit, besonders für Christen, verantwortlich sind. Das wäre unsachlich, einseitig und viel zu kurz gegriffen.
({1})
Als CDU/CSU-Fraktion ist es unsere tiefste Überzeugung, dass Religionsfreiheit das zentrale Grund- und Menschenrecht ist, welches die Würde des Menschen in den Mittelpunkt rückt. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ – das betrifft eben jeden. Das betrifft den Nächsten, den Christen, den Moslem, den Nichtgläubigen, den Hindu, die Bahai, den Jesiden, alle Menschen in unserem Land. Das ist unsere tiefe Grundüberzeugung.
({2})
Überall, wo das zentrale Menschenrecht der Religionsfreiheit eingeschränkt wird, gibt es keinen Frieden, gibt es keine Demokratie, keine Rechtsstaatlichkeit und kein Recht auf Gedanken- und Gewissensfreiheit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der „Ökumenische Bericht zur Religionsfreiheit von Christen weltweit“ der Deutschen Bischofskonferenz und der EKD aus dem Jahr 2017 weist darauf hin, dass 48 von 198 Staaten das zentrale Menschenrecht auf Religionsfreiheit teilweise sogar erheblich einschränken. Deshalb dürfen wir nicht wegschauen. Deshalb müssen wir aktiv werden. Und wir sind es; wir handeln.
Insbesondere mit unserem Antrag setzen wir heute ein wichtiges Zeichen für die Förderung der Vernetzung der Kirchen und Glaubensgemeinschaften weltweit, für bilaterale Gespräche und multilaterale Dialogformen.
Die religiösen Akteure, die heute bei uns zu Gast sind, gehören zu den wichtigsten zivilgesellschaftlichen Kräften weltweit. Es ist wichtig, eine systematische Erhebung religionsspezifischer Daten vorzunehmen und anschließend eine Vernetzung durchzuführen,
({3})
um Hunger, Elend, Ungerechtigkeit und Fluchtursachen wirksam zu bekämpfen und Frieden zu schaffen. Das ist der wesentliche Punkt unseres Antrags.
Es freut mich sehr, liebe Vertreterinnen und Vertreter der Glaubensgemeinschaften, dass Sie heute bei dieser Debatte anwesend sind. Das ist ein starkes Zeichen gegen jegliche Art von Extremismus, ein starkes Zeichen für Freiheit und Verantwortung und ein starkes Zeichen für Religionsfreiheit weltweit.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Raum füllt sich langsam für die gleich anstehende namentliche Abstimmung. Ich bitte alle, die Unterhaltungen so zurückhaltend zu führen, dass der letzte Redner dieser Debatte nicht beeinträchtigt wird.
Das ist Dr. Heribert Hirte für die Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor allen Dingen aber: Liebe Vertreter der Religionsgemeinschaften auf der Tribüne! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Sie, sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne, stehen seit vielen Jahren im Austausch mit dem Stephanuskreis der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, einem freiwilligen Zusammenschluss von vielen Abgeordneten meiner Fraktion, der sich bereits vor acht Jahren gegründet hat, um als Sprachrohr für bedrängte und verfolgte Christen in der ganzen Welt da zu sein.
Es war eine Initiative von Volker Kauder, mit der er sich in so vorbildlicher Weise für die Religionsfreiheit und insbesondere für die verfolgten Christen in der ganzen Welt eingesetzt hat – und das seit vielen, vielen Jahren.
({0})
Ich möchte auch daran erinnern, dass es Volker Kauder war, der sich für die Resolution zum Völkermord an den Armeniern eingesetzt hat, die ja umstritten war und am Ende die Zustimmung fast des ganzen Hauses bekommen hat. Der Handschlag zwischen Volker Kauder und Cem Özdemir ist durch die Medien gegangen. Auch dafür nochmals herzlichen Dank!
({1})
Religionsfreiheit – wir haben es schon mehrfach gehört – ist ein zentrales, vielleicht sogar das zentrale Grund- und Menschenrecht. Denn wenn die Religionsfreiheit verletzt oder gefährdet wird, stehen auch andere Grundrechte wie die Meinungs-, die Presse-, die Versammlungsfreiheit oder die Gleichbehandlung von Mann oder Frau unter Druck. Deshalb ist der Einsatz für die Religionsfreiheit für uns immer auch ein Einsatz für andere wichtige Grund- und Menschenrechte.
Wenn man dann in unserem kleinen Handbuch nachsieht, welche religiöse Affinität die Kollegen von der AfD-Fraktion haben, und feststellt, dass fast 90 Prozent keine Angabe zur Religionszugehörigkeit machen, dann weiß man, dass das, was Sie hier machen, nicht etwa das ist, was der Kollege Ruppert fordert, wenn er von Respekt vor der Religiosität redet, sondern die Missachtung ebendieser Grund- und Menschenrechte.
({2})
Wir setzen uns für Christen ein, aber wir tun dies „nicht exklusiv, sondern exemplarisch“, hat der katholische Erzbischof Schick so schön formuliert. Mein Kollege Michael Brand hat dies eben noch einmal gesagt. Diese Überlegung finden Sie in unserem Antrag wieder. In den vergangenen vier Jahren, in denen ich unseren Stephanuskreis geleitet habe, habe ich deshalb den Fokus nie allein auf die Christen gelegt, sondern immer auch andere religiöse Minderheiten in den Blick genommen.
({3})
Es ist zu betonen, dass in Pakistan neben den Christen auch die Ahmadiyya-Moslems verfolgt sind. Eine ganz ähnliche Lage treffen wir in Indien, Myanmar und China an. Nochmals – meine Vorrednerin hat es eben gesagt –: In diesen Ländern gibt es keine muslimischen Mehrheiten, sondern atheistische, buddhistische oder hinduistische Mehrheiten. Die Aleviten stehen im Übrigen auch unter Druck, weil sie von vielen Moslems nicht als richtige Moslems angesehen werden, und dass der Streit zwischen Sunniten und Schiiten im Nahen Osten ein Streit innerislamischer Natur ist, ist allgegenwärtig.
Nicht selten stehen auch Christen gegen Christen. Ich denke nur an Nordirland. Deshalb müssen wir vorsichtig sein bei den Verhandlungen um den Brexit. Aus ganz aktuellem Anlass möchte ich an die Ukraine erinnern, wo die Loslösung der dortigen Kirche vom Moskauer Patriarchat ganz bewusst nicht als religiöse Entscheidung zu werten ist. Wir vom Stephanuskreis haben die ukrainischen Bischöfe hier gehabt und sie in diesem Bestreben unterstützt.
({4})
Der entscheidende Punkt ist schon mehrfach gesagt worden: Ein ganz besonderes Augenmerk ist darauf zu legen, dass Staaten Religion nicht für ihre Zwecke instrumentalisieren dürfen. Denn die Religionsfreiheit wird bedroht von Nationalismen, die ihre Nation mit einer bestimmten Religion verbinden und andere Religionen als ausländisch, fremd und unpatriotisch abtun. Das müssen wir bekämpfen, und daran wollen wir gemeinsam arbeiten. Deshalb: Stimmen Sie unserem Antrag zu.
Herzlichen Dank.
({5})
Da weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, schließe ich jetzt die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/5041 mit dem Titel „Menschenrecht auf Religionsfreiheit weltweit stärken“. Wir stimmen über diesen Antrag auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD namentlich ab.
Ich möchte aus gegebenem Anlass, weil sich gestern einige Kollegen bei der Stimmabgabe verspätet hatten, darauf hinweisen: Aufgrund einer eindeutigen Festlegung des Präsidiums ist eine nachträgliche Stimmabgabe nicht möglich. Wenn ich nachher die Abstimmung schließe, dann können Sie Ihre Stimmkarte, wenn Sie sie noch nicht abgegeben haben, wieder ins Fach zurücklegen, aber nicht mehr nachträglich hier beim Präsidium abgeben. Diese Möglichkeit gibt es nicht mehr.
Ich bitte nunmehr die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Dann eröffne ich die erste namentliche Abstimmung, und zwar über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD.
Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte abgegeben? – Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir werden Ihnen das Ergebnis der Auszählung später bekannt geben.
Jetzt kommen wir zur zweiten Abstimmung. Sie betrifft den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/4559 mit dem Titel „Einsatz für Religions- und Weltanschauungsfreiheit weltweit verstärken“. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung.
Ich bitte die nächste Gruppe der Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind an allen Abstimmungsplätzen Urnen vorhanden und genügend Schriftführer anwesend? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Ich sehe keine Reaktion. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, auch bei dieser Abstimmung mit der Auszählung zu beginnen. Wir werden Ihnen das Ergebnis später mitteilen. Wir kommen jetzt zur dritten Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion der AfD mit dem Titel „Christenverfolgung stoppen und sanktionieren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/5115, den Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/1698 abzulehnen. Die Fraktion der AfD verlangt namentliche Abstimmung. Es geht also hier darum, dass über die Ausschussempfehlung –, Ablehnung des Antrages –, abgestimmt wird, nicht über den Antrag selbst.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses zum Antrag der AfD.
Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es um die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geht, nimmt Michael O’Leary, der Chef der Billigfluglinie Ryanair, kein Blatt vor den Mund. Ich darf zitieren:
Heute müssen Unternehmen-Chefs sagen, unsere Beschäftigten sind unser wichtigstes Asset. Was für ein Schwachsinn. Die Beschäftigten sind unser größter Kostenblock und viele sind so faul, dass wir sie ständig in den Hintern treten müssen.
({0})
Ich finde, dieses Zitat lässt tief blicken, und ich finde, eine solche arbeitnehmerfeindliche Haltung hat in einer sozialen Marktwirtschaft, die diesen Namen verdient, nichts, aber auch gar nichts verloren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
In den letzten Wochen habe ich viele persönliche Gespräche mit Flugbegleiterinnen und Piloten geführt, die hier in Deutschland leben und täglich von deutschem Boden aus ihren Dienst für Ryanair antreten. Das kann ich Ihnen allen nur sehr empfehlen, wenn Sie es noch nicht selbst getan haben; denn die Geschichten, die diese Menschen zu erzählen haben, sind erschreckend. Fast 70 Prozent der in Deutschland stationierten Flugbegleiterinnen sind bei einer dubiosen irischen Leiharbeitsfirma angestellt, nicht selten mit Armutslöhnen in Vollzeit von unter 1 000 Euro im Monat. Versetzungen quer durch Europa, von heute auf morgen und ohne jegliche Mitbestimmung, sind an der Tagesordnung. Was das für junge Familienväter und -mütter bedeutet, können Sie sich sicher leicht ausmalen.
Auch beim Kündigungsschutz verstößt das Unternehmen systematisch gegen geltendes deutsches Recht. Wer sich mehr als dreimal krankmeldet, wird nicht selten zum Personalgespräch nach Irland zitiert und riskiert, seinen Job zu verlieren. Die Folge: Flugbegleiterinnen und Piloten steigen krank ins Flugzeug, anstatt sich auszukurieren – das alles auch zulasten der Sicherheit der Passagiere.
1,5 Milliarden Euro Gewinn hat Ryanair mit diesem Geschäftsmodell im letzten Jahr gemacht. 1,5 Milliarden Euro, liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich übt ein solches Geschäftsmodell Druck auf die gesamte Flugverkehrsbranche aus, geraten Löhne und Arbeitsbedingungen auch bei anderen Flugunternehmen unter Druck. Ich kann nur sagen: Ich finde, es ist eine Riesensauerei, was da bei Ryanair passiert, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Ich frage mich schon, warum Aufsichtsbehörden und Regierung diesem Treiben schon so lange tatenlos zusehen. Umso beeindruckender finde ich, dass die Flugbegleiterinnen und Piloten sich jetzt gemeinsam gegen diese Zustände wehren
({3})
und, ja, dass sie quasi aus Notwehr jetzt auch für ihre Rechte streiken. Diese mutigen Frauen und Männer – einige von ihnen sind heute hier auf der Tribüne zu Gast –
({4})
fordern nicht mehr und nicht weniger als Respekt für die eigene Arbeit, Löhne, von denen sie leben können, und Arbeitsbedingungen, die nicht krankmachen. Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt, liebe Kolleginnen und Kollegen!
({5})
Und sie kämpfen für einen Betriebsrat. Denn das Betriebsverfassungsgesetz sieht für das fliegende Personal – und nur für dieses – vor, dass der Arbeitgeber der Gründung einer Personalvertretung ausdrücklich per Tarifvertrag zustimmen muss. Doch Ryanair verweigert seinen Beschäftigten nicht nur die Gründung eines Betriebsrats. Auch das grundgesetzlich garantierte Streikrecht wird ganz offen torpediert – mit Lügen, Einschüchterungen und Abmahnungen.
Am Standort Bremen – dort, wo die Flugbegleiterinnen es als Erstes gewagt haben, sich gewerkschaftlich zu organisieren und zu wehren – will Ryanair jetzt ein Exempel statuieren und den Standort schließen. Nur damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich will Ryanair auch weiterhin von und nach Bremen fliegen und am dortigen Flugverkehr verdienen – nur eben ohne die wehrhafte Bremer Belegschaft. Die soll von heute auf morgen in aller Herren Länder versetzt werden. Ich finde, diese Angriffe auf das Streikrecht, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind völlig inakzeptabel.
({6})
Deshalb ist es gut und wichtig, dass fraktionsübergreifend zahlreiche Kolleginnen und Kollegen aus diesem Haus – ich will sie jetzt nicht nennen; einige sind im Saal – persönlich Patenschaften für die streikenden Beschäftigten übernommen haben. Aber dem müssen jetzt auch Taten folgen. Denn mit jedem Tag, den wir warten, verlieren weitere Ryanair-Beschäftigte ihren Job, und viele andere werden weiter Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik verlieren.
Deshalb: Lassen Sie uns jetzt schnell gemeinsam handeln! Meine Fraktion hat dazu konkrete Vorschläge vorgelegt. Ich habe heute Morgen erfreut zur Kenntnis genommen, dass Arbeitsminister Heil bereits darauf reagiert und einen Teil unserer Vorschläge übernommen hat.
({7})
Ich hoffe nur, das ist nicht wieder eine der bekannten Ankündigungen, denen dann nichts folgt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD.
Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass künftig auch das fliegende Personal einen Betriebsrat wählen kann, ohne dabei auf die Zustimmung des Arbeitgebers angewiesen zu sein!
({8})
Aber lassen Sie uns auch dafür sorgen, dass auch bei Billigfluglinien wie Ryanair – und das betrifft nicht nur Ryanair – das Streikrecht gilt. Wenn ein Unternehmen wie Ryanair glaubt, weiterhin grundlegende Arbeitnehmerrechte verletzen zu müssen, dann muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass die Fluglinie ihre Start- und Landerechte in der Bundesrepublik verliert, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({9})
Das wäre ein starkes und wichtiges Signal, nicht nur an Ryanair-Chef O’Leary,
sondern auch an alle, die glauben, sich in Deutschland wie in einer Bananenrepublik gebärden zu können.
Vielen Dank.
({10})
Nächster Redner ist Wilfried Oellers für die Fraktion CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Linken haben heute einen Antrag zu der besonderen Situation bei der Fluggesellschaft Ryanair eingereicht. Lassen Sie mich dazu zunächst etwas Allgemeines sagen.
Tarifautonomie und Mitbestimmung sind Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft, die unser Land stark gemacht haben. Wir haben gesehen – ich denke da insbesondere an 2008/2009 zurück –, dass gerade die Tarifpartnerschaft dazu geführt hat, dass man gut durch diese schwierige Zeit gekommen ist. Deswegen ist es wünschenswert – das sollte für jedes Unternehmen selbstverständlich sein –, die Tarifpartnerschaft zu leben und sie mit Inhalten zu füllen.
Wenn man solche Entwicklungen wie bei Ryanair sieht, dann muss man aber ganz ehrlich sagen: Das kann man in keiner Weise gutheißen und schönreden. Das sage ich ganz deutlich, und das mache ich auch nicht.
({0})
Das, was dort geschieht, ist in dieser Form sicherlich zu verurteilen. Da bin ich also gar nicht ganz so weit von Ihnen weg.
({1})
Die Frage ist natürlich, wie wir darauf reagieren. Sie, liebe Kollegen von den Linken, haben zwei Vorschläge eingereicht. Ich will auf den ersten Vorschlag, den im Hinblick auf § 117 Betriebsverfassungsgesetz, eingehen. Wenn man sich diese Regelung anschaut, muss man sich natürlich fragen: Was ist da damals geregelt worden, und was war der Hintergrund? Dass man zwischen Bodenpersonal und Flugpersonal unterschieden hat, hatte den Hintergrund, dass es eine Ortsungebundenheit der im Flugbetrieb tätigen Mitarbeiter gibt, die gesetzgeberisch nicht ganz einfach zu regeln ist. Deswegen ist es in meinen Augen nicht verkehrt, dass man die Tarifpartnerschaft heranzieht, um diese Einzel- und Sonderfälle speziell regeln zu können.
In diesem Zusammenhang muss man aber auch zur Kenntnis nehmen, dass es, bezogen auf § 117 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz, mehr als zehn Tarifverträge gibt. Wenn man jetzt fordert, diesen Paragrafen zu streichen, dann entzieht man den Tarifverträgen ein bisschen die Grundlage. An dieser Stelle muss man also aufpassen. Ich will nicht in Abrede stellen, dass man sich den § 117 Betriebsverfassungsgesetz vor dem Hintergrund dieser neuen Situation – und an solchen Situationen muss man Gesetze immer messen – noch einmal genau anschauen muss. Aber ich denke, an der Stelle müssen wir vorsichtig sein, wie wir damit umgehen.
({2})
Der Vorschlag, den Minister Heil unterbreitet hat, ist schon angesprochen worden. Ich will meinem Vorredner ein bisschen widersprechen. Er hat das nicht übernommen. Er hat vielleicht den Grundgedanken übernommen, dass wir § 117 angehen müssen, aber er hat nicht Ihren Vorschlag übernommen, § 117 zu streichen. Das muss man der Ehrlichkeit halber dazusagen.
Wir werden uns das Problem ganz genau anschauen. Sie machen mit Ihrem Antrag dazu den Aufschlag. Ich bitte aber, wie gesagt, zu berücksichtigen, dass wir trotz § 117 Absatz 2 schon funktionierende Tarifverträge haben. Daher muss man das sicherlich auch aus diesem Lichte heraus betrachten.
Sie haben als zweiten Punkt die ILO-Kernarbeitsnormen angesprochen, die einzuhalten sind. Ich meine, das sollte für diejenigen, die sie ratifiziert haben, eine Selbstverständlichkeit sein. Aber bei der konkreten Formulierung in Ihrem Vorschlag muss man berücksichtigen, welche Kreise das dann im Ergebnis zieht. Sie haben jetzt den Fall Ryanair im Blick. Die ILO-Kernarbeitsnomen sind zwar von vielen Nationen ratifiziert worden, aber inwieweit sie sich tatsächlich daran halten, muss man vielleicht noch einmal genau überprüfen. Ich habe so meine Bedenken, ob der Antrag an der Stelle nicht zu weitgehend ist.
Insgesamt muss man sicherlich auch feststellen – das ist auch ein Appell an die Allgemeinheit –: Natürlich versucht erst einmal jeder, für sich das Günstigste herauszuholen, um möglichst viel zu verdienen. Aber da, wo man Dumpingpreise einsetzt, gibt es in der Tat erst einmal Wettbewerbsunterschiede, und man muss vor allem sehen, dass die Dumpingpreise auf dem Rücken von bestimmten Leuten ausgetragen werden. Das darf nicht sein.
Deswegen freue ich mich schon auf die Beratungen. Damit werden wir uns intensiv befassen. Sehen Sie mir nach, dass ich in der Kürze der Zeit – der Antrag wurde erst gestern verteilt – nicht näher darauf eingehen kann. Aber das sehen wir uns sicherlich noch ganz genau an.
Danke schön.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Und heute vor allem sehr geehrte Gäste auf den Tribünen! Ryanair und die Europäische Union erinnern mich als Thüringer an unseren großen Thüringer, den großen Deutschen Johann Wolfgang von Goethe:
Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.
Ryanair und die EU: Die Geister, die ich rief mit der Liberalisierung des Luftmarktes, diese Geister werd ich nicht mehr los.
Zu der Liberalisierung des Luftmarktes wird mein Freund Dr. Dirk Spaniel sprechen. Ich werde mich hier und heute wie der Kollege Oellers vor allem mit arbeitsrechtlichen Fragen des Antrages der Linken beschäftigen.
Es ärgert schon, wenn man sieht, wie der Arbeitskampf bei Ryanair geführt wird. Von Sozialpartnerschaft ist dort nicht viel zu sehen. Dennoch sehe ich den Antrag der Linken eigentlich als Anlass, um über den Sachverhalt zu sprechen, aber nicht als entscheidungsreifen Antrag.
Einfach mal das Gesetz ändern, weil die Gewerkschaft ihren Job nicht macht, kann nicht ernsthaft gefordert werden.
({0})
– Das ist kein Quatsch. – Ich will es für die Nichtjuristen kurz erläutern.
§ 117 BetrVG, also das Betriebsverfassungsgesetz, normiert die Nichtanwendbarkeit des Gesetzes für das fliegende Personal. Sehr wohl besteht die Möglichkeit nach § 117 Absatz 2 BetrVG, dass die Tarifparteien, also die Gewerkschaft und das Flugunternehmen, die Einsetzung eines Betriebsrates und den Umfang seiner Rechte vereinbaren. Das ist erst einmal Gegenstand bzw. Gesetzeslage per se heute.
Immer wieder haben die Gewerkschaften im arbeitsrechtlichen Bereich die Attacke gegen diese Regelung des § 117 BetrVG – insbesondere Absatz 2 – geritten. Regelmäßig bis auf kleine Ausnahmen sind sie damit auf die Nase gefallen.
Das BAG sagt in seiner richtungsweisenden Entscheidung unter Rückgriff auf Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz: Gleiches ist gleich, und wesentlich Ungleiches ist auch ungleich zu behandeln. Die Herausnahme des fliegenden Personals aus dem Geltungsbereich des BetrVG ist durch vernünftige, sich aus der Natur der Sache heraus ergebende Gründe geboten und nicht willkürlich und damit grundgesetzkonform. – Das sagen die höchsten bundesdeutschen Arbeitsrichter.
Diese richtungsweisende Entscheidung wird noch einmal durch den Beschluss 1 ABR 59/13 bestätigt, in dem das Arbeitsgericht ausführt, dass die Tarifvertragsparteien den Umfang der Rechte des Betriebsrates außerhalb des Betriebsverfassungsgesetzes einvernehmlich regeln können.
Ich komme zurück auf das, was der Kollege Oellers von der CDU/CSU sagte: Es geht. § 117 Absatz 2 ist praktikabel. Es gab schon Tarifverträge mit Vereinbarungen über Betriebsräte bei der Lufthansa, der TUI Group, vormals Air Berlin, Aero Lloyd, Dan-Air, bei der Deutschen Luftverkehrsgesellschaft, bei Pan Am Express, Pan Am, Hapag Lloyd, World Airways, British Airways, Condor Flugdienst usw. Manche von den Fluggesellschaften bestehen nicht mehr, manche sind hinzugekommen. Es war und ist also machbar, Tarifverträge und somit auch Vereinbarungen über die Betriebsräte für das fliegende Personal abzuschließen.
Dass im vorliegenden Fall die Gewerkschaft augenscheinlich nicht genügendes taktisches Geschick hat, um den Brocken Ryanair zu knacken, ist kein Grund, eine Lex specialis zu erlassen.
({1})
Ich bin der Meinung, hier sollten die Gewerkschaften ihre Hausaufgaben machen. Sie sind es, die immer wieder auf Tarifautonomie bestehen, und dann, wenn es mal nicht geht, rufen sie nach dem Staat, den sie sonst nicht haben wollen.
({2})
Wir von der AfD, der Partei der kleinen Leute,
({3})
– ja, lachen Sie! gucken Sie doch mal hoch! wir bieten denen Hilfe an, und Sie lachen –
({4})
sind bereit, den betroffenen Arbeitnehmern Unterstützung zu gewähren, die jetzt von den Gewerkschaften nicht mehr unterstützt werden bzw. jetzt auf diesem Weg in den Bundestag verwiesen werden.
({5})
Im Ausschuss sind wir gerne bereit, zu diesem Thema mitzuarbeiten.
Danke schön.
({6})
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner: Bernd Rützel für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich glaube, die Beurteilung der Rede meines Vorredners und dieser Aussagen können am allerbesten die in den Unternehmen beurteilen, die streiken und sich die ganze Zeit bemühen, einen Tarifvertrag zu bekommen. Sie wissen das am allerbesten, und sie bilden sich am intensivsten ein Urteil darüber. Ich habe mir auch diesbezüglich ein Urteil gebildet.
({0})
Ich glaube, eine Flugbegleiterin hat es auf den Punkt gebracht. Sie hat gesagt: Wenn ihr glaubt, ihr könnt für 20 Euro irgendwohin fliegen, dann nur deshalb, weil wir für euch die Zeche bezahlen. – Weil man beim Flugzeug nicht einen Flügel weglassen und am Material sparen kann, weil das Ding dann nicht mehr fliegt, wird bei den Menschen gespart. Dieser Wettbewerb, dieses Dumping nach unten, geht wirklich auf die Knochen, und das lassen sich die Menschen auch nicht mehr länger bieten.
Ich bin froh, dass wir viele Streikpaten haben, dass wir Streikpaten der ersten Stunde wie Cansel Kiziltepe, Andreas Rimkus oder Arno Klare dabei haben. Auf diese Leute bin ich stolz.
({1})
Ich bin aber auch stolz auf unseren Arbeitsminister Hubertus Heil, der nicht nur hier an diesem Pult vor drei Wochen Folgendes deutlich gemacht hat:
Wer Globalisierung zur Ausbeutung missbraucht, wie das bei Ryanair der Fall ist, muss unseren entschiedenen Widerstand erfahren.
({2})
Das ist nicht nur eine Ankündigung, das sind nicht nur Aussagen, sondern er handelt auch. Heute früh – dafür bin ich dir dankbar, lieber Pascal Meiser – war unser Arbeitsminister zusammen mit Frank Bsirske von Verdi in Frankfurt bei den Beschäftigten. Er kam auch nicht mit leeren Händen; er hatte etwas im Gepäck dabei. Denn der Punkt ist, dass das Flugpersonal vom Betriebsverfassungsgesetz eben nicht so geschützt ist wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Land, die Tarifverhandlungen führen und sich eine Personalvertretung geben können. Aber für diejenigen, für die es keine Tarifverträge gibt, müssen wir etwas tun. Das ist notwendig, das ist endlich angesagt, und es ist auch fair.
Ganz speziell wollen wir – jetzt müssen wir in die Details gehen – den § 117 des Betriebsverfassungsgesetzes nicht abschaffen, aber wir müssen ihn ergänzen. Wir müssen einen Satz hinzufügen, der heißt:
Für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn keine Vertretung durch Tarifvertrag nach Absatz 2 errichtet ist.
Mehr ist es nicht; aber das hilft, dass sie ihr eigenes Leben und Schicksal selbst in die Hand nehmen und ihre eigene Stärke zur Geltung bringen können. Wir werden das einbringen. So, wie ich die jetzige Rede von Wilfried Oellers gehört habe, glaube ich auch und bin sehr zuversichtlich, dass wir dies auf den Weg bringen; denn damit helfen wir den Menschen, aber wir helfen uns letztendlich auch selber, die wir immer wieder gern ins Flugzeug steigen.
({3})
Sehr geehrte Damen und Herren, Deutschland ist ein sehr attraktiver Standort für Produktion, für Dienstleistungen, für Handel. Das liegt daran, dass wir gute Infrastrukturen haben, dass wir eine sehr gute Gesundheitsversorgung haben, dass wir gute Fachkräfte haben, weil sie eben gut und vernünftig ausgebildet wurden, und es liegt an der Verlässlichkeit.
Die Gewerkschaften und die Arbeitgeber gehen zwar oft hart miteinander um; aber sie gehen immer fair miteinander um. Diese Tarifvertragsparteien wissen, welches die besten Lösungen für die Beschäftigten sind, und sie finden auch immer die sinnvollsten Lösungen. Damit sind sie und damit ist Deutschland sehr erfolgreich.
({4})
Den mitbestimmten Unternehmen – das ist nachlesbar und nachweisbar – geht es wirtschaftlich besser; vor allen Dingen geht es aber in mitbestimmten Unternehmen den Menschen, die dort beschäftigt sind, besser.
Das ist eben bei Ryanair nicht der Fall. Deren Chef O’Leary – es wurde schon gesagt – sagt Verhandlungstermine ab, er kommt gar nicht dahin, wenn eingeladen wird. Sie kommen gar nicht zusammen, um zu diskutieren. Ich verstehe die Vehemenz nicht, mit der sich Ryanair gegen Mitbestimmung stemmt, die Vehemenz, die Ryanair gegen Tarifverträge aufbringt, die Vehemenz, die Gründung von Betriebsräten zu verhindern. Wenn sie so bockig sind, dann müssen wir handeln, und das werden wir tun.
({5})
Ein Freund von mir ist Pilot. Was er mir erzählt hat, ist erschreckend. Bis vor kurzem musste das Begleitpersonal die interne Ausbildung selber bezahlen. Die Löhne sind in Ordnung, aber nur, wenn sie fliegen. Die Vorbereitungszeit am Boden und anderes werden gar nicht bezahlt. Das Ganze läuft über irische Arbeitsverträge, über eine Leiharbeitsfirma. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall? Nein. Das kann man dann alles später noch einfordern; aber erst einmal gibt es keinen Lohn, wenn man krank ist. Das sind Zustände, die wir nicht wollen und die wir nicht brauchen.
Die Frage ist eben auch: Was wollen wir, wenn wir unterwegs sind, wenn wir fliegen? Wollen wir dann nicht Kabinenpersonal und Piloten haben, die sich keine Gedanken um ihre Rechte machen müssen, sondern wissen, dass sie die nötige Zeit und Sicherheit haben, um faire Arbeitsbedingungen mitgestalten zu können? Wollen wir nicht, dass sie gut ausgebildet sind, dass sie motiviert sind, sodass sie auch gute Arbeit leisten können? So ist das in Deutschland.
Wenn der Ryanair-Chef eben 1,5 Milliarden Euro Gewinn auf Kosten der Beschäftigten machen will, dann sind wir wieder bei der Flugbegleiterin, die gesagt hat: Wenn ihr glaubt, ihr könnt für 20 Euro irgendwohin fliegen, dann nur deshalb, weil wir für euch die Zeche bezahlen. – Diese Zeche dürfen die Beschäftigten nicht länger bezahlen müssen. Das machen sie auch nicht; sie haben nämlich ihr Schicksal in die eigene Hand genommen.
Ich bin froh, dass wir von der ersten Stunde an bei Verdi Paten haben, und ich bin froh, dass Hubertus Heil heute früh in Frankfurt war, dass er dies, was ich vorgetragen habe, eingebracht hat, sodass wir es demnächst hoffentlich erfolgreich zusammen umsetzen. Es ist höchste Zeit dafür, und es gibt keinen Grund, das nicht zu machen – für die Menschen, die da oben auf der Tribüne sitzen, und für deren Kollegen. Dafür sollten und müssen wir das tun.
Ich danke Ihnen.
({6})
Vielen Dank, Bernd Rützel. – Nächster Redner: Carl-Julius Cronenberg für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen von der Union, dass nach der Bayern-Wahl und aktuellen Umfragen der Katzenjammer groß ist, kann ich verstehen. Dass sich Ihre Regierung jetzt vorschnell den politischen Forderungen der Linken anschließt, erstaunt mich dann aber schon.
({0})
Ob der Weg in die Beliebigkeit der Weg aus den Umfragetiefs ist, wage ich zu bezweifeln.
In dieser Woche haben wir 100 Jahre Sozialpartnerschaft gefeiert. Dahinter steht der kluge Gedanke, dass Sozialpartner, also Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, miteinander über Löhne und Arbeitsbedingungen verhandeln, nicht der Staat. Da, wo verhandelt wird, treten auch Konflikte auf, da wird gerangelt; am Ende kommt der Kompromiss.
Klar ist: Kein Arbeitgeber sollte die Gründung eines Betriebsrates verhindern. Klar ist aber auch: Die Tarifautonomie ist das Fundament des sozialen Friedens in Deutschland und muss daher geschützt werden.
({1})
Schnellschüsse in Form von Änderungen des Betriebsverfassungsgesetzes verunsichern die Tarifpartner und sind damit kontraproduktiv.
Genau das aber ist Gegenstand des Antrags. Konkret geht es um die Abschaffung des § 117 des Betriebsverfassungsgesetzes. Es gibt aber gute Gründe, warum die Arbeitnehmervertretung für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen anders funktioniert als für die Beschäftigten am Boden. Es geht um Tätigkeiten an einem bestimmten Ort, was in der Luftfahrt schwierig ist. Auch die Arbeitszeiten variieren stark. Nicht zuletzt gibt es Eigenarten in Bezug auf Gesundheit und Sicherheit. All das spricht erst einmal dafür, hier die Arbeitnehmervertretung im Rahmen eines Tarifvertrages zu regeln.
({2})
Mitbestimmung in der Luftfahrt gibt es, und zwar seit über 60 Jahren. Das ist geübte Praxis. Die Abschaffung des § 117 würde die Sozialpartnerschaft da untergraben, wo sie gut funktioniert. Das lehnen wir ab. Sozialpartnerschaft braucht Kontinuität und Verlässlichkeit, meine Damen und Herren, sonst wird sie geschwächt.
({3})
Selbst wenn man dem Antrag folgt, würde er ja nicht den aktuellen Konflikt lösen. Sie schreiben ja selbst, dass es um eine Tarifauseinandersetzung geht, um Arbeitsbedingungen und Entlohnung.
({4})
Wer bei jedem Tarifkonflikt vorschnell nach dem Gesetzgeber ruft, der höhlt am Ende die bewährte Tarifautonomie aus. Dann braucht es am Ende keine Tarifpartner mehr, also auch keine Gewerkschaften. So wird Tarifbindung jedenfalls nicht gestärkt, sondern eher geschwächt.
({5})
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Klaus Ernst?
Ja.
Herr Ernst, da gibt es auch eine Redezeitbegrenzung; ich sage es nur gleich einmal präventiv.
({0})
Aber, Frau Präsidentin, Sie wissen doch, dass ich meine Redezeit immer einhalte.
({0})
Danke, dass Sie die Frage zulassen. Ich möchte Sie noch einmal darauf hinweisen bzw. Ihre Erinnerung auffrischen, dass es nicht um eine Lex Ryanair geht, sondern es darum geht, einen Zustand herzustellen, in dem sichergestellt ist, dass Menschen, die ihre Arbeitszeit im Flieger verbringen, das tun können, was andere auch tun können, nämlich einen Betriebsrat gründen.
({1})
Ich wollte Ihnen noch einmal ans Herz legen, dass das der Sinn ist. Es geht also eher darum, einen normalen Rechtszustand herzustellen.
Der Vorschlag, der jetzt auf dem Tisch liegt – eine Ergänzung, sodass die in dem Bereich bestehenden Tarifverträge erhalten bleiben und trotzdem die Möglichkeit besteht, einen Betriebsrat zu gründen –, ist doch ein sehr vernünftiger Vorschlag. Damit würden zwar nicht alle Probleme bei Ryanair gelöst; aber dann hätten die betroffenen Menschen dort zumindest das Recht, einzufordern, dass ihr Arbeitgeber, der derzeit jedes Gespräch und jede Tarifverhandlung verweigert, mit dem Betriebsrat redet, weil der Betriebsrat das Recht dazu hat.
({2})
Wollen Sie tatsächlich mit dem, was Sie hier sagen, dazu beitragen, dass Ryanair diese unwürdigen Zustände im Umgang mit den eigenen Leuten beibehalten kann, ohne dass sich etwas ändert? Das ist meine Frage, die ich an Sie stelle.
({3})
Herr Cronenberg, jetzt haben Sie das Wort.
Zunächst einmal sage ich: Mit Ihrem Antrag zielen Sie sehr wohl auf eine Lex Ryanair ab, vielleicht sogar – wenn ich mir die Reden heute Morgen dazu vor Augen führe – eine Lex Michael O’Leary. Wenn es Ihnen wirklich um die Sache ginge, würden Sie das Urteil des Bundesarbeitsgerichts, das im Dezember gesprochen wird, abwarten. Darin wird nämlich eine ganze Menge geklärt werden.
Es ist sicher richtig, dass man sich diesen Paragrafen in Ruhe anschaut und das Betriebsverfassungsgesetz an dieser Stelle weiterentwickelt. Wir sind nicht dagegen. Aber jetzt sozusagen auf der Welle der öffentlichen Empörung mitzureiten
({0})
und das Urteil nicht abzuwarten, zeigt, dass hinter diesem Antrag eine politische Absicht steckt und es nicht um eine Lösung in der Sache geht.
({1})
Jetzt bin ich im Grunde schon wieder bei meiner eigentlichen Rede. – Sie erwähnen eben nicht, dass ein Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht über die Vereinbarkeit des § 117 Betriebsverfassungsgesetz mit EU-Recht läuft. Im Dezember wird das Urteil gesprochen; das habe ich eben erwähnt. Wieso warten wir das nicht ab?
Genauso wundert mich die Forderung, dass die ILO-Kernarbeitsnormen herangezogen werden sollen, um festzustellen, wer in Deutschland starten und landen darf. Die ILO selbst gibt an, dass die Erklärung als Appell zu verstehen ist und keine Sanktionsmöglichkeiten daraus abgeleitet werden können. Als Entscheidungsgrundlage sind diese Normen offensichtlich ungeeignet. Deswegen wird man den Eindruck nicht los, dass es eben nicht um die Sache geht, sondern um einen populistischen Ritt auf der Welle der öffentlichen Empörung.
({2})
Der Gesetzgeber darf auf dieser Welle nicht mitschwimmen, auch wenn die Verhandlungskultur der Airline uns vielleicht nicht passt. Ich warne vor einer Lex Ryanair. Das widerspricht unserem Rechtsstaatsprinzip.
({3})
Meine Damen und Herren, nach 100 Jahren Sozialpartnerschaft braucht es ein Update: moderne Tarifverträge, modernes Betriebsverfassungsrecht. Das muss einfacher werden. Es darf auch nicht passieren, dass sich Tarifverträge zu Luxusabkommen entwickeln. Dann darf man sich nämlich nicht wundern, wenn die Tarifbindung sinkt. Das wollen wir alle nicht.
Der vorliegende Antrag ist unpräzise, nicht zielführend
({4})
und untergräbt die Tarifautonomie. Deswegen lehnen wir ihn ab. Wir begründen das noch mal im Ausschuss.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Carl-Julius Cronenberg. – Nächste Rednerin: Beate Müller-Gemmeke für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf den Tribünen! Als Erstes bedanke ich mich ganz herzlich bei der Fraktion Die Linke dafür, dass wir heute diese Debatte führen können;
({0})
denn bei Ryanair läuft gewaltig was schief: Es gibt keinen Tarifvertrag, Betriebsräte sind nicht erwünscht, schlechte Bezahlung, Leiharbeitskräfte in der Kabine, und Piloten wurden als Selbstständige angeheuert, auf Honorarbasis. Wenn es in der Arbeitswelt schmutzig ist, dann ist Ryanair immer mittendrin, und das ist nicht akzeptabel.
({1})
Die Beschäftigten lassen sich das nicht mehr bieten, und das zu Recht. Die Piloten und das Kabinenpersonal streiken und fordern einen Tarifvertrag. Dafür haben sie Respekt, Anerkennung und unsere volle Solidarität verdient.
({2})
Ryanair ist aber immer noch auf Konfrontationskurs: Streikende Beschäftigte werden fotografiert, bedroht und eingeschüchtert; Ryanair will einen Standort schließen und an einem anderen die Zahl der Flugzeuge reduzieren. Das sind Strafaktionen, und das geht gar nicht. Deshalb haben wir, mein Kollege Oliver Krischer und ich, einen Brief an die Unternehmensleitung geschrieben, und wir sind auch beide Paten; denn diese Form der Auseinandersetzung ist unsäglich und an Dreistigkeit kaum zu überbieten.
({3})
Die Beschäftigten haben das Recht, sich in Gewerkschaften und Betriebsräten zu organisieren; denn die Sozialpartnerschaft ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Natürlich haben die Beschäftigten auch das Recht, für gute und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen und auch für ihre Interessen zu streiken. Dann gibt es ja auch noch die Kernarbeitsnormen der ILO, und die gelten weltweit, für alle, auch für Ryanair.
({4})
Neben Öffentlichkeit braucht es auch politischen Druck. Die Linke fordert, dass die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen an die Landerechte gekoppelt wird. Das können wir spontan unterstützen; aber wir wollen es auch noch mal rechtlich prüfen. Außerdem soll es bei der Mitbestimmung für den Luftverkehr keine Ausnahmen mehr geben. Diese Forderung steht bereits in unserem Antrag zur betrieblichen Mitbestimmung. Deshalb unterstützen wir das natürlich, und zwar aus vollem Herzen.
({5})
Ryanair ist gewerkschaftsfeindlich und positioniert sich als Billiganbieter rücksichtslos auf dem Markt auf Kosten seiner Beschäftigten. Damit muss Schluss sein. Die Beschäftigten brauchen nicht nur einen Tarifvertrag, sondern auch starke Betriebsräte. Für den Kampf dafür wünschen wir den Beschäftigten viel Kraft, einen langen Atem und vor allem viel Erfolg.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Beate Müller-Gemmeke. – Nächster Redner: Uwe Schummer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Verehrtes Präsidium! Kolleginnen und Kollegen! Es gibt auch eine gute Nachricht heute: Gestern wurden die Verhandlungen zwischen Ryanair und den Gewerkschaften wieder aufgenommen. Sie reden wieder miteinander. Das ist ja das, was Sozialpartnerschaft ausmacht, dass man nicht nur in einen Konflikt geht, sondern auch kultiviert Gespräche führt und es am Ende zu einem Kompromiss kommt. Man redet über einen Sozialtarifvertrag, der natürlich in erster Linie die kurzfristig nach den Warnstreiks durchgesetzte Schließung des Standortes Bremen, aber auch die Reduzierung der Flüge am Standort Weeze, am Niederrhein, im Blick hat.
Die DNA unserer Gesellschaft ist die soziale Marktwirtschaft, und der Kern der sozialen Marktwirtschaft ist die Sozialpartnerschaft. Es stimmt: Autonomie kommt aus dem Griechischen und bedeutet: nach eigenen Gesetzen leben, und der Gesetzgeber hält sich zurück. Trotzdem gibt es Regeln, damit Arbeitskämpfe nicht eskalieren, sondern geordnet stattfinden. Tarifverhandlungen ohne Streikrecht, das wäre wie kollektive Bettelei. Da muss Waffengleichheit herrschen.
({0})
Und am Ende herrscht die Friedenspflicht, und es entsteht eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Das ist das, was die produktive Kraft des sozialen Friedens ausmacht, dass in Deutschland mehr Arbeitsstunden verloren gehen durch Festreden als durch Arbeitskämpfe.
({1})
Das Bundesverfassungsgericht hat Kriterien für Arbeitskämpfe festgelegt: Nur eine Gewerkschaft kann einen Streik führen; es muss um tariflich regelbare Ziele gehen; die Existenz eines Unternehmens darf nicht gefährdet werden, das gilt für beide Seiten. Letztendlich geht es auch darum, dass die Mittel, die angewandt werden, verhältnismäßig sind.
Diese Tarifautonomie und die Koalitionsfreiheit sind verfassungsrechtlich stark geschützt, in Artikel 9 Grundgesetz. Ich zitiere:
Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.
Da ist die Verfassung, unser Grundgesetz, sehr eindeutig. Weder die Schließung eines Betriebes noch die Versetzung von Maschinen und Arbeitnehmern als Reaktion in einem Arbeitskampf ist daher rechtlich geboten, sondern rechtswidrig.
({2})
Auch über den Wolken kann die Freiheit im Umgang mit Menschen nicht grenzenlos sein. Von daher ist unser Appell an die Betriebskultur von Ryanair – und das darf die Politik –: Nichts ist ohne jede Debatte und ohne jede Kritik in der öffentlichen Auseinandersetzung. Verdienen wie in Deutschland, Steuern zahlen wie in Irland und Arbeitsrecht wie in Albanien – das nehmen wir nicht hin.
({3})
Wir haben im Koalitionsvertrag eine klare Vereinbarung zwischen Union und SPD zur Bildung von Betriebsräten. Das ist ein Arbeitsauftrag, Kollege Rützel, den wir ohnehin im Koalitionsvertrag festgelegt haben. Wir wollen die Bildung von Betriebsräten erleichtern. Dieses Thema werden wir dann auch miteinander beraten, und natürlich ist die Ausnahmeregelung im § 117 BetrVG auch Gegenstand einer solchen Prüfung, die wir vornehmen werden; denn hier wird die Bildung eines Betriebsrates blockiert.
({4})
Wir haben diesen Auftrag bereits im Koalitionsvertrag formuliert. Es geht um einfaches Wahlrecht, um Onlinewahlen für die Betriebs- und Personalräte; aber offenkundig gehört dies auch zu der Thematik, und wir werden es miteinander verhandeln und klären. Die Regelung ist übrigens – ich habe einmal nachgesehen – von 1972 von einer sozialliberalen Koalition. In der Zwischenzeit hat sich doch einiges getan und verändert.
({5})
Meine lieben Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen, so wie jeder Passagier sichere und saubere Maschinen erwartet, so erwarten auch wir von Ryanair soziale Sicherheit und eine saubere Unternehmenskultur.
({6})
Deutschland ist ein sozialer und demokratischer Rechtsstaat. Dies gilt für alle, auch für Ryanair.
({7})
Vielen Dank, Uwe Schummer. – Nächster Redner: Dr. Dirk Spaniel für die AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie bereits von meinem Fraktionskollegen Jürgen Pohl ausgeführt, liegt das Problem nicht nur im Betriebsverfassungsgesetz, sondern auch in der Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs ohne gleichzeitige europaweite Angleichung der Arbeits- und Sozialgesetzgebung.
({0})
Selbstverständlich sollten Beschäftigte in Deutschland ihr Recht auf Streik und Mitbestimmung uneingeschränkt in allen Unternehmen in gleicher Weise geltend machen können.
Das ist aber nicht das Problem, das wir hier haben. Wir sehen hier die Auswirkungen ungebremster Europäisierung, die anderen Fraktionen ja offenbar nicht schnell und weit genug gehen kann.
({1})
Wir wünschen uns ein Europa freier Nationen im fairen Wettbewerb miteinander. Diese Regierung behindert deutsche Unternehmen und Mitarbeiter. Es scheint fast so, als stünden Sie im regierungsinternen Wettbewerb, wie man deutsche Unternehmen, Bürger und Arbeitnehmer zugunsten des Auslands „entreichern“ kann. Eine Kosmetik am Betriebsverfassungsgesetz wird daran nichts ändern.
({2})
Das Korrektiv nach Ansicht der Alternative für Deutschland kann nur sein, fairen Wettbewerb endlich zu ermöglichen und die deutschen Marktteilnehmer am internationalen Wettbewerb durch Befreiung von unfairen Wettbewerbsnachteilen zu ertüchtigen.
({3})
– Ja, ja, ja. – Auch in der Luftfahrtbranche gilt: Wir brauchen eine alternative Politik für Deutschland, und hier ist der Name Programm.
({4})
Diese Bundesregierung hat es bisher wie ihre Vorgänger versäumt, gesetzliche Rahmenbedingungen an die Realitäten des internationalen Wettbewerbs im Luftverkehr anzupassen. Der europäische Luftverkehrsmarkt ist der wettbewerbsintensivste der ganzen Welt. Fast 250 Airlines kämpfen an den europäischen Flughäfen um die Passagiere. Das sind mehr als auf jedem anderen Erdteil. Die in Deutschland im Vergleich zu Belgien oder Luxemburg langsamen behördlichen Genehmigungsverfahren von Frachtchartern verschaffen unseren Flughäfen unfaire Nachteile. Sowohl die deutsche Luftverkehrsteuer als auch der deutsche Sonderweg bei der Finanzierung der Sicherheitskontrollen und die typisch deutschen, teilweise extrem rigiden Nachtflugverbote an unseren Flughäfen belasten die gesamte Branche.
({5})
Die Vorstellung der Linksfraktion, dass sich Luftfahrtunternehmen in Deutschland an die Normen der Internationalen Arbeitsorganisation halten müssen oder ihre Start- und Landerechte in Deutschland verlieren, wie es bei Ihnen durchklang, halten wir für einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Tarifautonomie.
({6})
Wer Globalisierung und Europäisierung ohne Rücksicht auf unser Land vorantreibt, muss sich nicht wundern, dass er der Verschlechterung von Arbeitsbedingungen in unserem Land Tür und Tor öffnet.
({7})
Für uns jedenfalls ist es kein Grund zur Freude, dass die Luftverkehrsindustrie weitere 140 Verbindungen verliert. Deutschland darf nicht zum verkehrspolitischen Entwicklungsland werden. Die verkehrsfeindlichen Ideologien, die wir hier im Parlament immer wieder erleben, gelten nicht nur beim Diesel, sondern natürlich auch am Himmel und zeigen auch Wirkung: Das Wachstum der Luftverkehrsbranche zwischen 2010 und 2016 in Europa betrug 28 Prozent im Mittel. Deutschland liegt mit 17 Prozent Wachstum auf dem vorletzten Platz, und das ist Ihre Schuld, jawohl!
({8})
Ja, die Luftverkehrsteuer belastete die Branche im Jahr 2016 mit rund 1 Milliarde Euro. Diesen Betrag zahlen zur Hälfte die deutschen Unternehmen. Alle hundert anderen in Deutschland tätigen Luftverkehrsunternehmen teilen sich den gesamten Rest. Schaffen wir das Wettbewerbshindernis Luftverkehrsteuer ab! Das haben Sie übrigens auch im Koalitionsvertrag stehen, aber noch nicht umgesetzt.
({9})
Nur mit international fairen Bedingungen gibt es gesunde Unternehmen, und nur mit gesunden Unternehmen können wir unsere Arbeitnehmerrechte und Arbeitsstandards überhaupt umsetzen. Dafür steht die AfD.
({10})
Deshalb enthalten wir uns bezüglich Ihres der Idee nach richtigen, aber in der Umsetzung falschen Antrags.
Vielen Dank.
({11})
Danke schön, Herr Spaniel. – Nächster Redner: Michael Gerdes für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem aber auch liebe Kolleginnen und Kollegen von Ryanair oben auf der Tribüne!
({0})
Ich möchte jetzt nicht auf den Beitrag der AfD eingehen; denn er spricht eigentlich für sich. Ich habe verstanden, dass Sie im Grunde genommen irisches Streikrecht bzw. Arbeitsrecht nach Deutschland importieren wollen. Das werden wir nicht mitmachen.
({1})
Die Luftverkehrsbranche kämpft nicht nur in Deutschland mit den verschiedensten Problemen. Marode bzw. zu kleine Flughäfen oder auch Flughäfen, die nicht fertigwerden
({2})
– doch, die gibt es leider, Herr Rützel –, Engpässe im Luftraum und lange Wartezeiten bei den Passagierkontrollen, fehlendes Flugpersonal, Maschinen ohne Ersatzteile und schwankende Kerosinpreise – all das sind handfeste unternehmerische Herausforderungen, die Kostendruck erzeugen. Der Wettbewerb der Fluggesellschaften ist groß. Dass dieser Druck auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abgewälzt wird und in schlechten Arbeitsbedingungen mündet, ist dennoch vollkommen inakzeptabel.
({3})
Warum müssen Mitarbeiter angesichts von 1,5 Milliarden Euro Gewinn über schlechte Arbeitsbedingungen und Löhne klagen? Die Berichte von Piloten und Flugbegleitern bringen uns ins Grübeln. Es geht um schlechte Löhne, fragwürdige Leiharbeitsverträge, Dauerbefristungen, Verträge ohne Mindeststundenzahl, Versetzungen und Verweigerung von deutschen Arbeitnehmerrechten. Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, habe ich absolutes Verständnis für die Streiks der vergangenen Monate.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat Ende September mit seinem Besuch bei den Streikenden am Flughafen Schönefeld ein deutliches Zeichen gesetzt. Warnstreiks sind ein Grundrecht, das Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht verweigert werden darf, auch nicht von Ryanair. Auch die Absage Ryanairs an eine Personalvertretung verletzt die Grundregeln.
Hier schauen wir nicht tatenlos zu, ohne Wenn und Aber. Minister Heil führt Gespräche mit Verdi und Beschäftigten von Ryanair. Das Ziel ist nicht, Herr Oellers, die komplette Abschaffung des § 117 des Betriebsverfassungsgesetzes, sondern die Durchsetzung von Betriebsräten. Der SPD-Minister stärkt die Mitbestimmung mit der Forderung nach einer Betriebsratsgarantie, und das ist gut so.
({5})
Das ist keine Lex Ryanair. Das Einfordern von Arbeitnehmerinteressen ist Teil unserer sozialen Marktwirtschaft, und dabei muss es auch in Zeiten der Globalisierung bleiben. Löhne und Arbeitsbedingungen sollten nicht einseitig festgelegt, sondern zwischen den Tarifparteien fair ausgehandelt werden. Als SPD glauben wir fest an die Sozialpartnerschaft. Wir stehen für gute Arbeit am Boden und in der Luft.
({6})
Wer Beschäftigte schlecht bezahlt, Ruhezeiten missachtet oder nicht ausreichend qualifiziert, muss mit unserer Gegenwehr rechnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie es der Zufall so will – wir haben es schon gehört –, haben wir in dieser Woche den 100. Geburtstag der Sozialpartnerschaft gefeiert. Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass es diese Partnerschaft an manchen Stellen gar nicht gibt, und das ist bitter. Mitbestimmung schadet nicht; sie hat Deutschland stark gemacht.
({7})
Wie einige von Ihnen wissen, komme ich aus dem Steinkohlenbergbau. Die Sozialpartnerschaft stand bei uns immer an erster Stelle; denn Mitbestimmung heißt immer auch Mitverantwortung, Mitverantwortung für das Benennen von Problemen, für die Suche nach Lösungen, für die Umsetzung neuer Geschäftsideen oder die Einführung neuer Prozesse. Sozialpartnerschaft heißt also Geben und Nehmen, und miteinander lassen sich dann auch Krisen bewältigen. Das sind Grundsätze, die man bei Ryanair anscheinend noch lernen muss.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Luftverkehr gilt das Prinzip der Heimatbasis, und ich bin froh, dass sich die Beschäftigten von Ryanair europaweit organisieren und in verschiedenen Ländern streiken; denn in der Einheit liegt der Schlüssel. Es muss klar sein, dass das Verlegen einer Heimatbasis keinen Zweck hat. Bestimmte Sozialstandards dürfen nicht unterwandert werden und sollten überall in Europa gelten. Das ist gelebte Solidarität.
({9})
Die unterschiedlichen Geschäftsmodelle der Flugbranche und die dazugehörigen Arbeitsstandards werden bei der Europäischen Agentur für Flugsicherheit bereits diskutiert. Sie nimmt sogenannte atypische Arbeitsverhältnisse, die häufig prekäre sind, unter die Lupe. Das ist ein richtiger Schritt, dem rechtliche Maßnahmen und europaweite Sozialstandards folgen müssen.
Die Ankündigung der Firma Ryanair, den Standort Bremen zu verlassen, gleicht der Steuervermeidungstaktik mancher global agierender Unternehmen, nach dem Motto: Wir verlegen unseren Unternehmenssitz dorthin, wo die Steuern besonders niedrig sind und keine Mitbestimmung droht. – So ist kein Staat zu machen; ein solches Geschäftsgebaren stiftet soziale Unruhe und vergrößert soziale Ungleichheiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich appelliere an Ryanair, für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen. Andernfalls heißt die Quintessenz: Wer mit Ryanair fliegt, fliegt billig, aber nicht preiswert; er fliegt auf Kosten der Beschäftigten.
Zeigen wir uns solidarisch mit der Forderung der Gewerkschaft Verdi, die bei Ryanair aktiv ist. Schluss mit Dumping im Luftverkehr!
Wir werden den Antrag der Linken in unseren Beratungen positiv bewerten und entsprechend einarbeiten. Im Moment geht er uns nicht weit genug. Ich denke, da ist noch gemeinsam Luft nach oben.
({10})
Herzlichen Dank und Glück auf – auch für Sie von Ryanair!
({11})
Vielen Dank, Michael Gerdes. – Nächster Redner: Dr. Marcel Klinge für die FDP-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die aktuelle Firmenphilosophie von Ryanair hat aus Sicht der Freien Demokraten nicht mehr viel mit der Idee und den Prinzipien von sozialer Marktwirtschaft zu tun.
({0})
Ich persönlich kenne kein inhabergeführtes Unternehmen in der Tourismuswirtschaft, das seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern so wenig Wertschätzung entgegenbringt. Deswegen ist es auch richtig, dass sie jetzt für bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung kämpfen. Sie haben dafür unsere Sympathie und unsere Unterstützung.
({1})
Was mich aber genauso ärgert – und jetzt spreche ich als tourismuspolitischer Sprecher der FDP –, ist, dass Linke, SPD und teilweise auch die Grünen diesen Fall nun für eine Generalabrechnung mit dem Geschäftsmodell „Low Cost“ nutzen. Dafür gehen die Beschäftigten ganz sicherlich nicht auf die Straße.
({2})
Fakt ist, dass Ryanair, Easyjet und Co den Luftmarkt in Europa in den letzten zwei Jahrzehnten umgekrempelt haben, und zwar durchaus positiv. Durch das gestiegene Angebot können sich mehr Menschen – auch mit schmalem Geldbeutel – Urlaubsreisen leisten.
({3})
Der Angebotswettbewerb im Flugverkehr schafft nicht nur viele Arbeitsplätze im Tourismus, sondern verhindert auch Preisexplosionen. Wir alle haben den Fall der Strecke Frankfurt–Berlin im letzten Jahr nach der Air-Berlin-Pleite und was da mit den Preisen passiert ist, noch gut im Kopf.
({4})
Der Angebotswettbewerb sorgt eben auch für eine große Streckenauswahl, insbesondere an kleineren Luftfahrtstandorten.
({5})
Der Geschäftsreise- und Städtetourismus, eine der boomenden Branchen in Deutschland, lebt von Direktverbindungen. Wer zwei, drei, vier Tage verreist, der möchte eben nicht permanent umsteigen. Hier liegt die Stärke von Low-Cost-Anbietern, weil sich die großen Netzwerk-Carrier teilweise zu fein sind, diese Strecken anzubieten. Allein Ryanair und Easyjet bieten zusammen über 2 700 Point-to-Point-Verbindungen in Europa an. Die FDP-Fraktion will dieses Angebot für alle Reisenden und für alle Urlauber erhalten,
({6})
und daher kommt ein Entzug von Start- und Landerechten, wie es Die Linke als Sanktion vorschlägt, ganz sicherlich nicht infrage.
({7})
Sie kennen die Situation auf dem europäischen Flugmarkt. Ihr Vorschlag würde da Chaos reinbringen und ihn nicht ordnen,
({8})
und deswegen werden wir dem nicht folgen.
Ich bin der festen Überzeugung: Kein Unternehmen ist dauerhaft am Markt erfolgreich, wenn es keine motivierten und engagierten Mitarbeiter hat.
({9})
Der Ryanair-Vorstand wird zwangsläufig radikal umdenken müssen – nicht zuletzt auch wegen des erheblichen Pilotenmangels in Deutschland. Und bei der Kabinenbesatzung sehen wir einen ganz ähnlichen Trend.
Wir Freie Demokraten setzen in der laufenden Auseinandersetzung deswegen voll und ganz auf die Tarifpartner und eben nicht auf die parteiischen Schiedsrichter von der Linken.
({10})
Wir sind sicher, dass alle Beteiligten selbst zu einem guten Ergebnis kommen. Das ist auch notwendig; denn Dauerstreik hat viele Verlierer, und über einen haben wir heute noch gar nicht gesprochen, nämlich die Reisenden, deren Urlaubsträume zu Tausenden zerplatzen.
({11})
Vielen Dank, Dr. Klinge. – Nächster Redner: Oliver Krischer für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Geschäftsmodell von Ryanair sind frühkapitalistische Methoden, um sich per Dumping einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, und ich sage hier an dieser Stelle ganz klar: Das geht nicht. Das müssen wir stoppen.
({0})
Scheinselbstständigkeit, keine ordentliche Krankenversicherung, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, keine Bezahlung von Überstunden, und ich habe sogar gehört, dass man als Pilot auch noch 2 Euro für ein Glas Wasser bezahlen muss: Das alles sind Dinge, die in einer modernen Arbeitswelt nichts verloren haben, und es ist richtig, dass die Kollegen von den Linken das hier thematisieren und dass wir hier eine Debatte darüber haben.
({1})
Ich bin niemand, der immer nur Beifall klatscht, wenn DGB-Gewerkschaften etwas machen – ich habe in meinem Wahlkreis im rheinischen Braunkohlerevier eine entsprechende Auseinandersetzung –, aber dazu, was ich hier gerade von ganz rechts außen gehört habe, möchte ich mal ehrlich und in aller Klarheit sagen: Für das, was Verdi und andere hier in den letzten Wochen geleistet haben, um die Beschäftigten zu organisieren, um diesen Machenschaften von Ryanair Einhalt zu gebieten, sollten wir unseren Dank aussprechen. Das sollte hier an dieser Stelle mal klar sein.
({2})
An den Kollegen der AfD: Wenn man das weiterdenkt, was Sie hier vorschlagen, dann hat man fast das Gefühl, dass Sie sich um eine Wahlkampfspende von Michael O’Leary bewerben. Das war ja wohl das, worum Sie sich hier beworben haben.
({3})
Dumping in Deutschland soll stattfinden, das ist okay, nur darf es an dieser Stelle nicht irisch sein: Das, was Sie hier vertreten, ist lächerlich.
({4})
Ich will aber noch eines sagen; denn ich glaube, das muss man in einer solchen Debatte auch benennen: Wenn ein Flug quer durch Europa günstiger ist als die Taxifahrt zum Flughafen, dann stimmt etwas nicht,
({5})
dann findet ganz offensichtlich – darüber haben wir heute gesprochen – Dumping auf Kosten der Beschäftigten statt.
({6})
Es findet aber auch – das muss man hier an der Stelle auch mal klar sagen, und nach dem, was wir gerade gehört haben, sage ich das mal in Richtung FDP – Dumping auf Kosten der Umwelt statt, weil die externen Kosten nicht internalisiert werden; nur deshalb sind diese Flüge so billig.
({7})
Meine Damen und Herren, ich habe überhaupt nichts gegen das Fliegen, aber die Kosten dürfen am Ende nicht von den Beschäftigen, der Umwelt und den Anwohnern, die vom Lärm bedroht sind, getragen werden. Das muss internalisiert werden, und deshalb ist der Antrag richtig, weil wir dadurch darüber reden, wie wir endlich zu Kostengerechtigkeit im Luftverkehr kommen. Dazu braucht es eine Debatte.
Wenn Ryanair etwas Gutes bewirkt hat, dann das, dass wir diese Debatte hier an dieser Stelle endlich führen.
Ich danke Ihnen.
({8})
Vielen Dank, Oliver Krischer. – Nächster Redner: Frank Heinrich für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erinnerte mich vorhin, als ich hier saß, an ein Lied von einem Liedermacher:
Ist schon alles gesagt, sind wir wirklich schon dort, wo das Reden aufhört und die Tat folgt dem Wort?
Mir fiel das ein, weil wirklich kaum ein Argument übrig bleibt, das hier nicht schon genannt wurde. Andererseits ist es ja unser Ziel, dass am Schluss Taten folgen. Ich möchte deshalb einige Stichworte, die hier gefallen sind, noch mal nennen und zusammenfassen.
Ryanair ist inzwischen als schwieriger Arbeitgeber bekannt, und das ist wahrscheinlich noch sehr nett gesprochen. Das drückt sich auch in einer hohen Fluktuation im Unternehmen aus. In der „Zeit“ von gestern heißt es, dass die Piloten drei Tage Bedenkzeit haben, um sich zu entscheiden, an welchen Standort in einem anderen Land sie umziehen wollen, um dort bereits ab dem 6. November den Dienst anzutreten.
Viele andere Beispiele sind hier genannt worden; beispielsweise soll ein Standort verkleinert oder aufgelöst werden. Das ist mehr als schwierig. Herr Heil hat gesagt, da gebe es ein hohes Maß an Verunsicherung. Auch das ist sehr nett gesprochen.
Der Protest hat inzwischen durch die Beispiele unserer eigenen Bekannten und von Leuten aus unseren Wahlkreisen ein Gesicht bekommen, er ist uns vor Augen geführt worden. Gestern hörte ich jemanden, der sagte: Aber wenn man bei so einem Billiganbieter zu arbeiten anfängt, dann muss man das doch wissen. – Auch wenn das stimmt: Der globalisierte Wettbewerb geht hier – ausgelöst auf der einen Seite durch die Airline und auf der anderen Seite durch die Käufer der Billigflüge, die Konsumenten – wirklich auf Kosten der Mitarbeiter; all das geschieht auf dem Rücken der Mitarbeiter.
Beim Ringen der Sozialpartner geht es natürlich auch um die Frage: Werden die hohen Gewinne wirklich nur zugunsten des Unternehmens erzielt, bleiben die Mitarbeiter tatsächlich außen vor? Werden die Personalkosten zugunsten des Unternehmens bewusst niedrig gehalten, oder geht es hier wirklich um die letzte Rettung im Wettbewerb? – Es sieht so aus, als geschehe das am Schluss einfach nur wegen der Gewinne. So legen es zumindest viele Zahlen nahe. Diese Form der Gewinnmaximierung ist Ausdruck unseres Zeitgeistes. Kollege Rützel hat gesagt, das geschehe auf dem Rücken der schwächsten Glieder der Kette. – Aber man muss da auch die Kritik am Konsumenten miteinbeziehen.
Trotzdem – mein Kollege Schummer hat es vorhin gesagt – reden die beiden Seiten wieder miteinander. Der Wind scheint sich da zu drehen. Der äußere Druck nimmt zu. Die Kapazitäten in der Luft und am Boden sind erschöpft, die Konjunktur trübt sich ein, die Betriebskosten steigen. Das sind die äußeren Rahmenbedingungen. Offensichtlich laufen jetzt Gespräche mit Verdi und der Vereinigung Cockpit. Ryanair hält eine Einigung vor Weihnachten für möglich. Es gibt neue Angebote von Ryanair, und die Machtverhältnisse scheinen sich zugunsten der Arbeitnehmer zu verändern. Das wäre mit Blick auf das Prinzip der Sozialpartnerschaft wirklich ein Erfolg. Weil es um dieses Prinzip in unserem Land geht, muss sich auch der Ausschuss für Arbeit und Soziales darum kümmern und damit beschäftigen. – Die Streiks von Ryanair-Mitarbeitern in sechs anderen Ländern haben im Übrigen offensichtlich Erfolge gezeigt.
Ich danke Minister Heil dafür, dass er sich in die Gespräche eingemischt hat und am Flughafen Schönefeld Gespräche geführt hat, dass er deutlich gesagt hat – da sind wir uns ja einig –, dass die Möglichkeit der Bildung eines Betriebsrates eine der tragenden Säulen unserer Marktwirtschaft ist. Es liegt also in unserem gemeinsamen Interesse, dass die heutige Debatte zu einer gesetzlichen Klarstellung führt. Da geht es nicht um die Abschaffung eines Paragrafen, wie Sie es in Ihrem Antrag mit aller Schärfe gefordert haben. Es geht auch nicht gleich um eine Verweigerung von Start- und Landerechten. Es geht da ein bisschen um die Frage der Gesinnungsethik und der Verantwortungsethik. Wir müssen konkret entscheiden – nicht nur von Herzen, sondern auch im Sinne der Angelegenheit. Deswegen sollte man nicht einfach den entsprechenden Paragrafen abschaffen, sondern ihn möglicherweise verändern und eine Klarstellung vornehmen. Ein Vorschlag, über den wir gerne diskutieren können, liegt vor. Es ist besser, den Paragrafen zu reparieren, als ihn abzuschaffen und irgendwelche neuen Bedingungen zu schaffen. Die Regelungslücke sollte, wenn sie denn besteht, geschlossen werden.
Ich bin guter Hoffnung, dass der drehende Wind dazu führt, dass wir bald Ergebnisse sehen werden. Ich habe allerdings auch ein Plädoyer an alle Beteiligten: Kommen wir zeitnah zu einem konstruktiven Ergebnis! Damit meine ich die beiden Sozialpartner, die im Sinne der Arbeits- und Sozialstandards und somit der Beschäftigten verhandeln sollten. Aber ich meine auch uns, die Politik – wir sollten die Regelungslücke schließen –, sowie die Konsumenten.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({0})
Vielen Dank, Frank Heinrich. – Der letzte Redner in dieser Debatte: Max Straubinger für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Geschätzte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute den Antrag der Fraktion Die Linke, der letztendlich darauf beruht, dass die Firma Ryanair mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Arbeitskampf steht. Ich sage ganz bewusst: Unsere Sympathie und vor allen Dingen auch unser Beistand gelten den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei Ryanair,
({0})
und das – ohne zu viele Beurteilungen vornehmen zu wollen – auch zu Recht; denn manche Arbeitsbedingungen bei Ryanair sind ein Hohn für die soziale Marktwirtschaft. Das gilt es hier zu verdeutlichen und nicht zu verniedlichen. Insofern ist es wichtig und richtig, dass jetzt für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Ryanair – vor allen Dingen auch mit internationaler Unterstützung – vielleicht doch im Rahmen einer Tarifpartnerschaft vernünftige Tarifverträge zustande gebracht werden.
Dass dies bisher nicht geschehen ist, kann man nicht nur daran sehen, dass der Vorstandsvorsitzende von Ryanair – gelinde gesagt – offensichtlich ein sehr schwieriges Verhältnis zu den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, zu seinen Bediensteten hat, sondern auch an einigen Anstellungsformen, die meines Erachtens einer stärkeren Überprüfung bedürfen, vor allen Dingen hinsichtlich der Frage, ob Scheinselbstständigkeit besteht oder nicht. Da kann man nur zum einen unsere Organe auffordern, diese Beschäftigungsverhältnisse zu überprüfen, und zum anderen die Betroffenen selbst dazu auffordern, entsprechende Statusfeststellungen einzuleiten.
({1})
Ich glaube, das wäre eine besondere Unterstützung des Anliegens.
Ich möchte aber auch feststellen – es ist wichtig, das zu verdeutlichen –, dass der § 117 des Betriebsverfassungsgesetzes, den die Linken fordern vollends abzuschaffen, die Grundlage für gute tarifliche Vereinbarungen ist, die viele Fluggesellschaften zugunsten ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und auch zugunsten des Unternehmens und der Mitbestimmung getroffen haben. Deshalb habe ich wenig Verständnis für die Forderung, diesen Paragrafen einfach abzuschaffen. Vielmehr gilt es hier, die Rechte und die rechtlichen Möglichkeiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu stärken. Deshalb tun wir gut daran, unseren Koalitionsvertrag – Kollege Uwe Schummer hat bereits darauf hingewiesen – zur Umsetzung zu bringen, indem wir Möglichkeiten der Einrichtung eines Betriebsrates stärken und damit auch der Sozialpartnerschaft ein besonderes Gewicht in der sozialen Marktwirtschaft geben.
({2})
Da sind wir alle aufgefordert, eine gute Grundlage zu schaffen. Das ist für uns schon entscheidend.
Ich habe kein Verständnis dafür, wenn ständig eine billige Europaschelte betrieben wird, wie es die Kollegen der AfD gewöhnlich tun. Das hat man heute beim Abgeordneten Dr. Spaniel erleben dürfen, für den Europa offensichtlich ein Feindbild darstellt und der dann auch noch behauptet hat, dass die sozialen Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im europäischen Einigungsprozess vergessen worden wären. Das ist mitnichten so.
Ich möchte mit der Genehmigung der geschätzten Frau Präsidentin aus der entsprechenden Richtlinie vom 11. März 2002 zitieren, in der im Artikel 7 – „Schutz der Arbeitnehmervertreter“ – festgestellt wird:
Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die Arbeitnehmervertreter bei der Ausübung ihrer Funktion einen ausreichenden Schutz und ausreichende Sicherheiten genießen, die es ihnen ermöglichen, die ihnen übertragenen Aufgaben in angemessener Weise wahrzunehmen.
Hier gibt es also kein Versäumnis, verehrte Damen und Herren von der AfD-Fraktion; vielmehr – im Gegenteil – haben wir hier bereits die entsprechenden Grundlagen mit geschaffen.
Ich bin dankbar, dass jetzt wieder Gespräche geführt werden, und hoffe, dass bei Ryanair bald bessere und vor allen Dingen auf guter Grundlage fußende Arbeitsbedingungen einkehren. In diesem Sinne werden wir die Beratungen auch weiterhin vorantreiben.
({3})
Vielen Dank, Max Straubinger. – Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/5055 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen, und ich wünsche Ihnen eine sehr lebendige und kräftige Debatte im Ausschuss.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Die Verbesserung der Situation auf dem Wohnungsmarkt“, unter dieser Überschrift steht der heutige Plenartag. Heute Morgen hat schon die Justizministerin ein Gesetz zur Verbesserung, zur Stärkung der Rechte von Mieterinnen und Mietern eingebracht, und ich kann heute ein Gesetz einbringen, durch das wir diese Situation verändern, verbessern wollen. Dieser weitere Baustein ist das Gesetz zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsneubaus.
Meine Damen und Herren, Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist heute keineswegs mehr nur eine Situation, die geringverdienende Menschen in unserem Land betrifft. Nein, viel weitere Kreise sind davon mittlerweile betroffen, auch Menschen, von denen man denkt: Eigentlich haben sie doch ein auskömmliches Einkommen. Selbst die haben heute insbesondere dann, wenn es sich um Personen mit einer Familie handelt, ein Problem, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Dieses Problem gibt es nicht nur in den Ballungsräumen; aber da ist die Situation natürlich sehr angespannt.
Selbst wenn sie Wohnraum finden, dann ist es oftmals so, dass die Miete einen großen Teil des Einkommens frisst. Damit muss Schluss sein. Menschen müssen wieder die Möglichkeit haben, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Deswegen ist es gut und richtig, dass diese Bundesregierung sich auf den Weg gemacht hat und eine Wohnraumoffensive vorlegt. Wir wollen nämlich 1,5 Millionen neue Wohnungen schaffen – zumindest wollen wir Beiträge dazu leisten, dass diese geschaffen werden –, damit die Menschen in diesem Land nicht an den Rand gedrängt werden, sondern wieder die Möglichkeit haben, arbeitsplatznah eine bezahlbare Wohnung zu finden.
({0})
Das ist eine Aufgabe, die man nicht mit der Verabschiedung eines Gesetzentwurfs löst – allein heute liegen zwei Vorlagen dazu vor –, sondern nötig ist ein Strauß an Maßnahmen. Dazu gehört beispielsweise, dass der Bund auch Grundstücke günstig an die Länder abgibt, wenn diese dann darauf bezahlbaren, günstigen Wohnraum schaffen. Die Mietpreisbremse habe ich schon angesprochen. Die Absenkung der Modernisierungsumlage ist ein Teil, aber eben auch das Gesetz, das ich Ihnen jetzt gerne vorstellen möchte – es sieht die Möglichkeit einer Sonderabschreibung vor –, zählt dazu. Die Möglichkeit der steuerlichen Förderung durch eine Sonderabschreibung führt dazu, dass neue Wohnungen geschaffen werden, dass neue Mietwohnungen geschaffen werden; denn nur wenn neue Wohnungen, neue Mietwohnungen geschaffen werden, kann die Nachfrage insgesamt gedeckt werden.
Meine Damen und Herren, durch die Einführung dieser zeitlich befristeten Sonderabschreibung von jährlich 5 Prozent über vier Jahre setzen wir die erforderlichen Anreize für eine zeitnahe Investition. Allerdings muss auch klar sein, dass die Sonderabschreibung auf solche Baumaßnahmen beschränkt wird – beschränkt dadurch, dass der Bauantrag oder auch die Bauanzeige zwischen dem 1. September 2018 und dem 31. Dezember 2021 gestellt bzw. eingereicht wird. Da geht es nicht darum, in irgendeiner Weise Leute zu drangsalieren, sondern es geht darum, Druck zu machen, damit zeitnah etwas geschieht. Man darf nicht auf irgendwelche Zeiträume verschieben, sondern jetzt ist Handlungsbedarf, und deswegen gibt es diese zeitlichen Befristungen.
({1})
Meine Damen und Herren, um diesen Anreiz für bezahlbaren Mietraum, den sich dann Familien, Menschen mit mittlerem oder geringem Einkommen leisten können, zu schaffen, sieht der Gesetzentwurf, den ich Ihnen vorstelle, eine Grenze bei 3 000 Euro je Quadratmeter Wohnfläche bezogen auf die Herstellungskosten – die Grundstückskosten sind hier nicht mit einzubeziehen – vor. Wenn die Kosten eines solchen Neubaus darüber lägen, dann wäre er von dieser Förderung ausgeschlossen. Das heißt, es geht nicht darum, Luxuswohnungen zu fördern, sondern es geht darum, in diesem Preissegment dafür zu sorgen, dass Menschen eine entsprechende Wohnung finden. Es geht auch nicht darum, innerhalb von bestehenden Häusern, von bestehenden Gebäuden eine Verlagerung zu fördern. Nein, nur dann, wenn neue Wohnungen geschaffen werden, wenn also beispielsweise auf ein Dach aufgesetzt wird oder ein Anbau erfolgt, gibt es dafür diese steuerliche Förderung. Das ist uns ganz wichtig.
Was ein ganz wichtiger Aspekt in diesem Bereich ist: Diese neugeschaffenen Wohnungen müssen dann für zehn Jahre auch zu Wohnzwecken vermietet werden. Es kann also nicht sein, dass man sie nur für eine kurze Zeit vermietet, die steuerliche Förderung nutzt und sie dann anderweitig verwendet; das geht nicht.
Ich glaube, das sind die richtigen Leitplanken, zwischen denen wir uns da bewegen, um einen weiteren Baustein zur Verbesserung der Situation auf dem Wohnungsmarkt zu schaffen.
({2})
Meine Damen und Herren, wir haben uns auch bemüht, schon frühzeitig dafür zu sorgen – denn unionsrechtliche Vorgaben sind bei solchen steuerlichen Förderungen immer mit zu berücksichtigen –, dass wir da entsprechend EU-rechtlicher Vorgaben auf der sicheren Seite sind. Das ist gelungen. Deswegen freue ich mich, jetzt in die Beratungen einsteigen zu können. Lassen Sie uns diese aber ebenfalls zügig vorantreiben; denn die Zeit drängt. Die Menschen warten zu Recht dringend darauf, dass hier etwas ganz konkret geschieht.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({3})
Vielen Dank, Christine Lambrecht. – Nächster Redner: Kay Gottschalk für die AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Mitbürger auf den Tribünen und – hoffentlich zahlreich – zu Hause vor den Bildschirmen! Heute debattieren wir ein Gesetz – die Staatssekretärin Frau Lambrecht hat es vorgestellt –, durch das der Mietwohnungsneubau steuerlich gefördert werden soll, so wie eben von ihr beschrieben. Ich nenne das einfach – ich werde das auch im Folgenden ausführen – „Scheinheiligkeitsplacebogesetz“ und werde Ihnen auch gleich belegen – hören Sie gut zu –, warum Sie in Deutschland so hohe Mietpreise, insbesondere in den rot regierten Ballungsräumen, haben.
({0})
Als Ziel gibt dieses Gesetz an, dass 1,5 Millionen neue Wohnungen gebaut werden. Das lassen wir uns auf der Zunge zergehen: 1,5 Millionen neue Wohnungen. Dafür soll sowohl – Sie haben es ausgeführt – der Neubau von Gebäuden als auch der Ausbau bestehender Gebäude gefördert werden. Aber wie immer bei dieser Regierung: Gut gedacht ist eben nicht handwerklich gut gemacht. Ihr Entwurf ist im Prinzip eine Wiedereinführung des § 7b Einkommensteuergesetz. Sie wollen in den ersten vier Jahren zuzüglich zu der vorhandenen 2-prozentigen Abschreibung eine Sonderabschreibung von 5 Prozentpunkten ermöglichen. Anschaffungs- und Herstellungskosten sind dort dann zu berücksichtigen. Dies entspräche immerhin einer Förderung von 28 Prozent in den ersten vier Jahren.
Jetzt kommen wir zum Thema Bauanträge. Ich glaube, Investoren und Menschen, die investieren, können selbst am besten entscheiden, wann sie investieren. Sie haben diese gesetzliche Regelung zeitlich begrenzt.
Zum Zweiten hat dieser Paragraf, den Sie dort einführen, eine Realitätsverweigerung schon innewohnend, nämlich – Sie sagten es bereits – Anschaffungskosten von 3 000 Euro pro Quadratmeter. Meine Damen und Herren, überlegen Sie noch mal! 3 000 Euro pro Quadratmeter! Wir von der AfD wie auch viele Experten da draußen – der Bund der Steuerzahler und viele mehr – sehen gerade hier das existenzielle Problem dieses Gesetzes. Diese Grenze berücksichtigt nämlich nicht das Preisgefälle zwischen Stadt und Land oder zwischen Ost und West, meine Damen und Herren. Vielleicht können Sie in der Börde für 3 000 Euro pro Quadratmeter eine Luxuswohnung erstellen, was Sie ja eigentlich nicht wollen, Frau Lambrecht; aber versuchen Sie das mal in München, Hamburg oder Stuttgart! Es ist schier ein Witz und Realitätsverweigerung. Schon hier versagt dieses Gesetz.
({1})
Weiterhin fallen Kaufnebenkosten voll in diese Grenze hinein. Die Nebenkosten – das werde ich Ihnen gleich zeigen –, bis zu 15 Prozent in den rot regierten Ballungsräumen, führen dazu, dass tatsächlich nur Hardwarekosten, so nenne ich es mal, von 2 550 Euro entstehen können. Nochmals: Viel Spaß dabei in Berlin und München!
Nun zur harten Realität, liebe Steuer- und Abgabenjunkies der GroKo! Sie verschweigen, dass die Hauptkostentreiber in den letzten Jahren sowohl bei den Warmmieten wie auch bei den Herstellungskosten und damit auch bei den Kaltmieten Bund, Länder und Gemeinden sind, meine Damen und Herren. Da sind noch nicht mal die Kosten Ihrer exorbitanten Gier bei der Grunderwerbsteuer dabei. Seit 2015 sind die Baunebenkosten insbesondere durch Bund, Länder und Gemeinden um über 15 Prozent – die sitzen dort, die Preistreiber! – gestiegen. Man macht eigentlich nur eines: Man gibt ihnen – und versucht, sie zu beruhigen – Geld zurück, das man den Menschen einfach nimmt.
Hinzu kommt noch Ihre geniale Energiewende. Ja, klasse, nicht? Die Nebenkosten! Um 20 Prozent sind die Stromkosten dank Ihrer Energiepolitik seit 2009 gestiegen. Und wer badet das aus? Die Mieter! Und Sie versuchen hier, in guter linker Manier, natürlich die bösen Vermieter dafür zu instrumentalisieren. Die Mietwucherer sitzen hier, bei der GroKo, meine Damen und Herren da draußen!
({2})
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung einer Kollegin der SPD, von Frau Esken?
Selbstverständlich. Die Zeit ist ja gestoppt; wunderbar.
Natürlich ist die Zeit gestoppt.
Danke.
Frau Esken, bitte.
Herr Kollege Gottschalk, mich würde mal interessieren, weil Sie immer wieder darauf hinweisen, dass wir das, was wir tun, aus Steuern oder Abgaben finanzieren, wie denn Sie, wenn Sie als AfD-Fraktion hier mal einen ernsthaften Antrag einbringen würden, den Staat zu finanzieren gedenken.
Ich glaube nicht, dass eine Mietpreisbremse oder solche Instrumentarien wirken. Geben Sie den Menschen doch wie in den 70er-Jahren wieder die Chance, sich in den sogenannten Speckgürteln niederzulassen! Muss der Mensch wirklich unmittelbar zur Arbeit, bauen Sie wieder die Infrastruktur, damit die Menschen pendeln können. Fördern Sie das Pendeln!
({0})
– Hören Sie mir doch zu! – Entlasten Sie den Druck in den Städten und in den Gemeinden, indem Sie ganz einfach die ländlichen Regionen wieder fördern, auch mit dem ÖPNV.
({1})
– Ich glaube, ich habe geantwortet. – Das wäre ein Konzept. Nicht immer so eine Mietpreisbremse! Ja, ich weiß, der Ruf nach dem Staat, nach Gesetzen – das sehen wir bei der Mietpreisbremse.
({2})
Also, meine Damen und Herren, Sie haben hier die nächste Mogelpackung; ein Placebo.
Die zweite Bedingung ist dann aber wirklich makaber und auch lächerlich. Zehn Jahre muss die Wohnung entgeltlich überlassen werden; so heißt es im Gesetz. Der Erstkäufer muss im Falle des Verkaufs – Flexibilität; Sie wollen ja eigentlich Privatleute, nicht Investoren, insbesondere nicht institutionelle Investoren, fördern – dafür Sorge tragen, dass die Wohnung auch vom Käufer entgeltlich, so heißt es im Gesetz, weitervermietet wird. Administrativer Aufwand, den die EU nicht besser inszenieren könnte! Man merkt, warum Ihnen die EU so gefällt. In diesem Fall: Absurdistan lässt grüßen, meine Damen und Herren!
({3})
Kommen wir zum nächsten Punkt. 1,5 Millionen Wohnungen sollen geschaffen werden. Marktwirtschaft! Fragen Sie die Handwerker! Versuchen Sie heute doch mal, einen Handwerker zu kriegen! Der kommt in ein, eineinhalb Monaten. Die Auftragsbücher sind voll. Das sagt sogar die CDU-Kollegin Scharrenbach in NRW. Auch Experten des DIW bescheinigen: Die Auftragsbücher sind voll. – Wie wollen Sie denn in dieser Zeit 1,5 Millionen Wohnungen bauen? Das ist schlichtweg aufgrund der Kapazitätsengpässe nicht möglich.
Nun kommen wir zur Marktwirtschaft. Kleine Lehrstunde, meine Kollegen von der SPD: „Marktwirtschaft“ heißt: Wenn Sie jetzt die Nachfrage zusätzlich ankurbeln, führt das sogar noch zu Preissteigerungen, was Ihre 3 000-Euro-Grenze völlig ad absurdum führt.
Also, meine Damen und Herren: Dieses Gesetz ist handwerklich schlecht gemacht. Es führt an der Marktwirtschaft vorbei. Es wird zu weiteren Preissteigerungen führen, weil es auch Mitnahmeeffekte gibt – auch ein Stichwort, das Sie sich vielleicht hinter die Ohren schreiben sollten.
Wie ich also eingangs sagte: Dieses Gesetz ist vielleicht gut gedacht, aber grottenschlecht gemacht. Deshalb können wir von der AfD-Fraktion nicht zustimmen, und wir werden dann auf weitere konstruktive Diskussionen im Ausschuss setzen.
Danke schön.
({4})
Vielen Dank. – Nächster Redner: Olav Gutting für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir hatten hier an dieser Stelle vor knapp zweieinhalb Jahren schon mal eine Debatte zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsbaus.
({0})
Damals ist das Gesetz leider gescheitert. Heute haben wir eine neue Chance, und die sollten wir unbedingt nutzen.
Dieser zweite Anlauf bei diesem Gesetz zeigt aber auch eines: Die Notwendigkeit zum Bau von neuen Wohnungen, steigende Mieten und Wohnungsmangel sind nichts Neues. Das ist nicht aktuell vom Himmel gefallen, sondern dieses Problem haben wir schon einige Zeit.
({1})
Zur Wahrheit gehört: Ja, die Probleme auf dem Wohnungsmarkt sind in Teilen natürlich auch von der Politik mitverursacht. Die Erhöhung der Grunderwerbsteuer in den Ländern, die Verschärfungen bei der Energieeinsparung, Verschärfungen im Mietrecht, die Baupreissteigerungen, vor allem auch die Niedrigzinspolitik und andere Maßnahmen zeigen Wirkung.
Ich will Ihnen noch was sagen: Ich komme aus der Rheinebene. Bei uns wird Kies abgebaut. Kies braucht man zum Bauen. Wenn aber der Anspruch unserer Gesellschaft dahin geht, dass wir einen immer stärkeren Schutz von Umwelt und Natur wollen, dann bedeutet das, dass man neue Abbauflächen im Bereich Kies gar nicht mehr bekommt.
({2})
Das bedeutet: Wir steuern hier in eine Rohstoffverknappung hinein, die natürlich wiederum zu einer Preissteigerung bei den Rohstoffen für den Bau führen wird. Deswegen müssen wir uns schon überlegen, was wir hier tun.
Vor allem – das sagen alle Experten – fehlen aber Flächen zum Bauen. Das Hauptproblem der bestehenden Wohnungsknappheit liegt darin, dass wir nicht genug Bauland ausgewiesen bekommen.
Jetzt weiß ich auch, dass man mit vorhandenen Flächen sorgsam umgehen muss. Da geht es um die Bewahrung der Schöpfung. Wir wollen keine blinde Versiegelung der Landschaft. Wir möchten vor allem, dass verdichtet wird und dass aufgestockt wird. Aber irgendwann muss man entscheiden, was einem wichtiger ist, ob einem wichtiger ist, dass wir Wohnraum für junge Familien schaffen, oder ob einem wichtiger ist, eine vereinzelte Gelbbauchunke zu retten. Diese Entscheidung müssen wir treffen.
Hier sind vor allem die Kommunen gefordert. Die Kommunen müssen jetzt schnell neue Flächen für den Mietwohnungsbau zur Verfügung stellen. Wir machen parallel dazu beim Bund unsere Hausaufgaben. Mit dieser steuerlichen Förderung des Mietwohnungsbaus geben wir einen zusätzlichen Impuls, um neuen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
({3})
Ich glaube, dass diese viermal 5 Prozent Sonder-AfA zusätzlich zu der linearen Abschreibung einen Impuls am Markt hervorrufen wird. Ich glaube, diese Abschreibung im Zeitraum von vier Jahren, zusammen 28 Prozent, wird Wirkung zeigen. Es wird einen zusätzlichen Impuls, einen zusätzlichen Anschub beim Mietwohnungsbau geben.
Auch hier haben wir darauf geachtet – vorhin hat es die Staatssekretärin schon gesagt –, dass die Leitplanken bei dem Ganzen stimmen. Neben der zehnjährigen Mietnutzungsverpflichtung gibt es die vieldiskutierte Kostengrenze beim Bau, maximal 3 000 Euro pro Quadratmeter. Das wird jetzt viel kritisiert. Ich glaube, wir müssen das noch mal genau angucken, auch in der Anhörung. Aber eines ist klarzustellen – das wurde vorhin schon gesagt –: Diese Grenze von 3 000 Euro pro Quadratmeter berücksichtigt nicht den Grund und Boden; der ist herauszurechnen. Deswegen ist das Argument der AfD falsch.
({4})
Die höheren Bodenpreise in Ballungszentren spielen bei dieser Rechnung überhaupt keine Rolle; deswegen sind in Ballungszentren und im ländlichen Bereich quasi gleiche Voraussetzungen gegeben.
({5})
Eine weitere sinnvolle Einschränkung, die wir in diesem Gesetz haben, ist die maximale Bemessungsgrundlage von 2 000 Euro pro Quadratmeter für die Sonderabschreibung. Ich glaube, auch das ist vernünftig.
Was wir ebenfalls haben, ist die De-minimis-Regelung, die das Gesamtfördervolumen für den Einzelnen auf 200 000 Euro beschränkt. Gerade bei dieser De-minimis-Regelung ist es, glaube ich, wichtig, dass wir erklären, warum die im Gesetz steht. Man muss nämlich wissen, dass die Alternative, also eine Förderung ohne diese De-minimis-Regelung, bedeutet hätte, dass wir auf europäischer Ebene ein Notifizierungsverfahren gebraucht hätten. Wir hätten das Ganze der Europäischen Kommission zur Genehmigung beihilferechtlich vorlegen müssen.
({6})
Wer weiß – das wissen wir alle –, wie langsam die Mühlen in Brüssel mahlen, der weiß, dass das schlecht gewesen wäre. Wir brauchen diesen Impuls am Wohnungsmarkt jetzt, und wir brauchen ihn schnell. Deswegen geht es leider nicht ohne diese Einschränkung der De-minimis-Regelung.
Neben der Förderung von sozialem Wohnungsbau, für die der Bund in den nächsten Jahren zusätzlich 4 Milliarden Euro auf den Tisch legt, der kürzlich gestarteten Förderung beim Baukindergeld – auch ein wichtiger Punkt – und neben der Rekordförderung im Bereich des Städtebaus ist die Einführung dieser Sonderabschreibung mit weiteren 1,5 Milliarden Euro Förderung ein wichtiger weiterer Baustein im gemeinsamen Programm der Wohnungsraumoffensive, die wir zusammen, Bund, Länder und Kommunen, beschlossen haben.
({7})
Die Betonung liegt hier auf „gemeinsam“: Wir haben das gemeinsam beschlossen, und wir wissen, dass wir es nur gemeinsam schaffen können, mehr bezahlbaren Wohnraum im ganzen Land zu bauen.
Ich will daher an dieser Stelle alle Akteure auf den Wohnungsmärkten auffordern – die Politik, die staatlichen Stellen auf allen Ebenen, die Bauwirtschaft, die Immobilienwirtschaft, aber auch die Mietervertretungen, die Gewerkschaften und die privaten Unternehmer –: Nutzen Sie die Möglichkeiten, die wir mit unseren Bausteinen der gemeinsamen Wohnraumoffensive geschaffen haben!
Es kommt jetzt darauf an, dass dieses Gesetz zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsneubaus schnell verabschiedet und umgesetzt wird.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Gottschalk, AfD?
Eigentlich ist es ja schon relativ spät am Nachmittag, aber ausnahmsweise, ja.
({0})
Danke, Herr Kollege Gutting. – Ich möchte Sie nur fragen, ob Sie mir zustimmen: Die Grund- und Bodenpreise waren überhaupt nicht Gegenstand meiner Rede – ich habe von den 15 Prozent der Kosten seit 2000 gesprochen, die Bund, Länder und Kommunen verursachen –, weil Sie nämlich diesen Eindruck vermittelt haben. Ich habe die Grund- und Bodenpreise extra rausgenommen.
({0})
Etwa für 3,7 Prozent – das entspricht 82 Euro pro Quadratmeter – sind Vorgaben von Kommunen für die Preissteigerungen verantwortlich. Bei weiteren 11,2 Prozent – das sind etwa 248 Euro pro Quadratmeter – sind Vorgaben von Bund und Ländern dafür verantwortlich.
({1})
Ich habe die Baulandpreise extra rausgenommen, weil sie nicht Gegenstand des Gesetzes sind.
Würden Sie mir daher zustimmen, dass Bund, Länder und Kommunen einen gehörigen Anteil an den Preissteigerungen der letzten Jahre im Bereich des Wohnungsbaus haben?
Danke schön.
({2})
Jetzt ist Herr Gutting dran.
Herr Kollege, wenn Sie mir zugehört hätten, hätten Sie festgestellt: Genau das habe ich vorhin erläutert.
({0})
Selbstverständlich haben wir dazu beigetragen, dass Baukosten erhöht wurden; das ist auch keine Frage.
Trotzdem: Die 3 000 Euro sind sportlich. Wir haben Anhörungen und Beratungen dazu. Aber ich glaube, dass man, wenn man innovativ baut, Grund und Boden herausrechnet und berücksichtigt, dass bei der Berechnung die Nebengebäude hinzugezählt werden, dann auch für 3 000 Euro vernünftig bauen kann. Wir wollen explizit keinen Luxuswohnbau, sondern wir wollen bezahlbare Mieten. Deswegen ist eine Grenze in dieser Form total richtig.
({1})
Wichtig ist, dass wir dieses Gesetz jetzt schnell umsetzen. Wichtig ist, dass wir es zusammen mit den weiteren Punkten dieser Wohnraumoffensive umsetzen. Das gilt an dieser Stelle auch als Aufforderung an unseren Koalitionspartner: Wir brauchen jetzt wirklich nicht kleines Karo, sondern wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass mehr Wohnraum entsteht, dass Mieten bezahlbar bleiben. Das ist ein wichtiges Ziel der Politik der CDU/CSU und dieser Koalition. Dieses Gesetz ist ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur Erreichung dieses Ziels.
({2})
Vielen Dank, Olav Gutting. – Nächster Redner: Markus Herbrand für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Obwohl seit Jahren immer mehr Geld in den Wohnungsmarkt fließt, hat sich die Wohnungsnot in den Ballungsräumen weiter verstärkt.
({0})
Nun widmet sich die Bundesregierung diesem Thema durch die steuerliche Förderung des Mietwohnneubaus – eine längst überfällige Maßnahme. Zwischen Erkenntnisgewinn und Problembehebung liegen ja oft sehr viele Jahre, bei dieser Bundesregierung oft ganz besonders viele Jahre. Zur Problembehebung wird dieser Gesetzentwurf keinen Beitrag leisten. Er ist im Ansatz nicht geeignet, die bestehenden Probleme zu lösen. Er greift wesentlich zu kurz,
({1})
weil wir, jedenfalls in Ballungsräumen, sehr viele Wohnungen in ganz kurzer Zeit benötigen werden.
Wie wenig Sie bereit sind, selbst in die Lösung dieses Problems zu investieren, zeigt der sehr überschaubare Haushaltswirkungsansatz in Höhe von 235 Millionen Euro. Dass Sie da selbst schon weiter waren, unterstreicht die Gesetzesinitiative aus 2015/2016; der Kollege Gutting hat das angesprochen. Dort waren Steuermindereinnahmen bis zu 1,2 Milliarden Euro vorgesehen. Damals waren Abschreibungssätze von bis zu 10 Prozent vorgesehen. Das Problem ist also wesentlich größer, als Sie es hier zeigen – und das wissen Sie auch ganz genau, jedenfalls ein Teil von Ihnen.
Beides also – die schnelle Umsetzung und viel neuer Wohnraum – wird nicht erreicht, wenn Sie die Sonder-AfA so konditionieren, nämlich durch eine zeitliche Begrenzung, durch eine absolute Höchstgrenze der Herstellungskosten, durch eine Maximalhöhe der förderfähigen Herstellungskosten, durch eine Regelung, die auch wesentliche Marktteilnehmer außen vor lässt, nämlich die eher großen Player. Wenn wir hier eine Problemlösung herbeiführen wollen, brauchen wir große Player, sonst schaffen wir das nie. Auch der Abschreibungssatz ist wahrscheinlich zu gering.
Wenn Sie also wirklich glauben, dass dieser Gesetzentwurf ein großer Wurf gegen den Wohnungsmangel ist, zeigen Sie aus meiner Sicht einen besonderen Sinn für Humor.
({2})
Als Praktiker sage ich Ihnen: Riesige Praxisprobleme sind vorprogrammiert. Eine dreifache Begrenzung, Haltefristen – im Zusammenhang mit den privaten Veräußerungsgewinnen –, Subventionsnachweispflichten – das ist alles unglaublich praxisfremd.
Was wir wirklich benötigen, ist ein Gesamtkonzept. Neben den steuerlichen Rahmenbedingungen müssen wir auch andere Dinge angehen, die das bislang hemmen. Wir müssen die Rahmenbedingungen und die Planungssicherheit für Betriebe verbessern, sonst sind die Betriebe nicht bereit, beispielsweise die notwendigen Ausbildungskapazitäten zu schaffen. Was soll also die Begrenzung auf vier Jahre?
Wir müssen an das Baurecht ran. Machen Sie endlich das Bauen billiger, indem Sie die völlig überhöhten Standards reduzieren.
({3})
Bringen Sie endlich ein vernünftiges Modell auf den Weg, das die Eigentumsquote in Deutschland erhöht. Wer Eigentum hat, der muss später nicht mieten. Außerdem ist Eigentum auch ein Beitrag gegen Altersarmut.
Und schließlich: Sorgen Sie für eine bessere Infrastrukturanbindung des ländlichen Raums; denn es wollen gar nicht alle Menschen im Ballungsgebiet leben. Bei uns in der Eifel ist es auch wunderschön.
({4})
Was wir aber brauchen, ist eine vernünftige Verkehrsanbindung und ein schnelles Internet auf dem Land.
({5})
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, der Überweisung stimmen wir selbstverständlich zu. Wir hoffen im Finanzausschuss auf zielgerichtete Beratungen.
Herzlichen Dank.
({6})
Vielen Dank, Kollege Herbrand. – Nächster Redner für die Fraktion Die Linke: Jörg Cezanne.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetz will die Bundesregierung ausdrücklich den Bau von Mietwohnungen für Menschen mit mittlerem und niedrigem Einkommen fördern. Private Bauherren und Investoren sollen dafür über vier Jahre eine Steuerentlastung erhalten. Das Ziel teilen wir, der Weg dahin überzeugt uns nicht.
({0})
Das eigentliche Problem – die Frau Staatssekretärin hat es sozusagen von hintenrum angesprochen – im Mietwohnungsbau sind zurzeit gar nicht die Herstellungskosten oder die Baukosten. Das eigentliche Problem sind die Bodenpreise, insbesondere da, wo Wohnungen fehlen.
({1})
Nehmen wir ein Beispiel aus meiner Heimat: Im Frankfurter Nordend kostet der Quadratmeter mindestens 4 500 Euro. Wenn Sie diese Grundstückskosten auf ein normales Mietshaus umlegen, dann sind das schon 2 000 Euro pro errichtetem Quadratmeter Mietwohnung. Auf solchem Grund kann kein bezahlbarer Wohnraum gebaut werden. Da sind ganz andere Maßnahmen notwendig.
({2})
Es ist richtig, dass öffentlicher Grund und Boden zur Verfügung gestellt wird. Das Land Hessen darf aber nicht Perlen aus der Frankfurter Innenstadt, wie das alte Frankfurter Polizeipräsidium, einfach an den meistbietenden Investor verscherbeln.
({3})
Herr Gutting hat von den wesentlichen „Leitplanken“ gesprochen, aber die zentrale Leitplanke, damit das irgendwie funktionieren könnte, fehlt. Es gibt im Gesetz keine Mietpreisbindung. Warum sollte ein Investor eine mit Steuervergünstigungen fertiggestellte Mietwohnung für 8 Euro Kaltmiete vermieten,
({4})
wenn der Wohnungsmarkt und das Mietrecht ihm problemlos erlauben, sie auch für 16 oder 18 Euro zu vermieten?
({5})
Letztlich verschenken Sie mit dem Gesetz nur Geld an Immobilieninvestoren, ohne dass eine ernsthafte Gegenleistung erbracht werden muss. Die Verpflichtung, die geförderte Wohnung für mindestens zehn Jahre zu vermieten, reicht nicht aus.
({6})
Ein weiterer Punkt, bei dem wir Zweifel haben: Ein großer Teil der 60 000 Wohnungen im Jahr, die die Bundesregierung meint fördern zu können, sind heute schon in der Planung und werden ohnehin gebaut. Bauanträge können nur bis Ende 2021 gestellt werden. Es ist also zu befürchten, dass der Wohnungsbau nicht angeregt wird, sondern nur bereits geplante Wohnprojekte für die Bauherren billiger werden. Das nennt man Mitnahmeeffekt, und das hilft niemandem.
({7})
Was heiß das aus unserer Sicht? Die Bilanz der derzeitigen Wohnungspolitik bleibt insgesamt desaströs. Das lässt sich am Beispiel meines Heimatlandes Hessen ganz gut zeigen: Allein in der Zeit von 2014 bis 2017 sind in Hessen 30 000 Sozialwohnungen verloren gegangen, aus der Mietpreisbindung herausgefallen. Gleichzeitig ist die Zahl der offiziell registrierten anspruchsberechtigten Haushalte, die mit einer Sozialwohnung versorgt werden müssten, auf 51 000 angestiegen. Meine ehemalige Chefin und Fraktionsvorsitzende im Hessischen Landtag, Janine Wissler, sagt an dieser Stelle immer: Dafür hätte man keine grüne Ministerin gebraucht. Das hätte die FDP auch alleine geschafft.
({8})
Wir brauchen keine ungezielten Steuergeschenke, sondern einen kompletten Neustart beim Wohnungsbau. Wir brauchen eine Rückkehr zur Gemeinnützigkeit.
({9})
Wir brauchen ein öffentliches Wohnungsbauprogramm. Die Sozialbindung sollte dauerhaft bestehen bleiben. Die Stadt Wien hat es mit einem solchen Vorgehen geschafft – Sie kennen das Beispiel; aber die machen das schon seit 100 Jahren –, die Mieten auf einem Niveau von 4 bis 5 Euro pro Quadratmeter zu halten. Das ist ein gutes Beispiel, dem wir nacheifern sollten.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Jörg Cezanne. – Nächste Rednerin: Lisa Paus für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Jetzt kommen wir von der Eifel über Frankfurt nach Berlin.
So ist es, Frau Präsidentin. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Gutting, Sie haben bereits darauf hingewiesen: Es gab einen solchen Gesetzentwurf schon vor gut zwei Jahren. Der war damals Murks. Und der Gesetzentwurf, der heute vorliegt, ist immer noch Murks. Man kann sogar sagen: Er ist noch murksiger als der vor zwei Jahren,
({0})
weil er eben nicht denjenigen helfen wird, die Hilfe brauchen.
Wir brauchen in Deutschland nicht irgendwo neue Wohnungen – wir haben derzeit übrigens über 100 000 leerstehende Wohnungen –, sondern da, wo sie benötigt werden, nämlich in den Ballungsgebieten, wo wir eine angespannte Wohnlage haben. Nach Ihrem Entwurf betrifft es alle. Wir brauchen auch nicht irgendwelche Wohnungen in angespannten Wohnlagen, in den Ballungsräumen, sondern bezahlbare Wohnungen. Aber dieser Gesetzentwurf geht, ebenso wie das Baukindergeld, komplett an dem Problem vorbei.
({1})
Und das wissen Sie auch. Wir hatten eine Expertenanhörung, weswegen der letzte Gesetzentwurf auch versenkt worden ist. In dieser Anhörung wurden Kritikpunkte genannt, die in den Debattenbeiträgen schon verschiedentlich vorkamen.
Erstens. Für bezahlbaren Wohnraum braucht man nicht nur gedeckelte Baukosten – das ist ganz entscheidend –, sondern eben auch eine Mietpreisbindung; denn sonst kommen die gedeckelten Baukosten nicht bei den Mieterinnen und Mietern an. In Ihrem Gesetzentwurf steht dazu nichts. Das müssen wir ändern.
({2})
Zweiter Punkt. Dieses Gesetz gilt tatsächlich nur für einen sehr, sehr eingeschränkten Bereich der Privatwirtschaft. Die Genossenschaften und andere Wohnungsbaugesellschaften profitieren nicht davon. All die, die zurzeit noch dafür sorgen, dass wir bezahlbaren Wohnraum haben, profitieren nicht von dieser Sonder-AfA. Sie bräuchten eine Investitionszulage – das wurde in der Expertenanhörung eingefordert –; die schaffen Sie auch nicht. Auch da könnten Sie nachbessern.
({3})
Der dritte Punkt wurde gerade genannt: Dieses Gesetz ist zeitlich begrenzt. Frau Lambrecht, Sie haben das ausdrücklich gelobt. Aber faktisch ist es doch so, dass sich ein Haus, eine Wohnung nicht von heute auf morgen baut. Man braucht eine Genehmigung usw. Das heißt de facto: Weil die Förderung auf drei Jahre begrenzt ist, wird das Gesetz womöglich zu fast 100 Prozent reine Mitnahmeeffekte generieren, weil eben nur die Dinge, die schon geplant sind, dann tatsächlich auf den Weg gebracht werden. Daher wären wir auch hier für eine andere Regelung.
({4})
Der vierte Punkt wurde ebenfalls bereits genannt: Sie legen die Förderobergrenze auf 3 000 Euro Baukosten pro Quadratmeter und die Bemessungsgrundlage auf 2 000 Euro fest. Das passt faktisch für keine Region in Deutschland. Deswegen haben Sie auch im Bundesrat von den verschiedenen Bundesländern verschiedene Stellungnahmen gehört. Baden-Württemberg möchte die Grenze hochsetzen, Bayern natürlich auch, Brandenburg möchte die Grenze natürlich herabsetzen, andere Länder auch.
({5})
Diese Grenze passt auf kein konkretes Bauprojekt in Deutschland. Daher finden wir auch dieses Herangehen falsch. Man könnte es spezifischer machen. Man könnte zum Beispiel in Bezug auf die angespannten Wohnlagen, die Ballungsgebiete sagen: Wir fördern insbesondere Dachausbau oder -ergänzungen. – Dann hat man auch das Bodenpreisproblem nicht. Auch das machen Sie bisher nicht. Auch da würden wir uns wünschen, das würden Sie ändern.
({6})
Zum Schluss kann man eigentlich nur sagen: Ändern Sie den Gesetzentwurf! Jetzt beinhaltet er keine Sozialbindung, keine Beschränkung auf angespannte Wohnlagen. So wie ich den Gesetzentwurf verstehe, stellt sich sogar die Frage, inwieweit Sie hier ein Bauherrenvertriebsmodell für die gesamte EU gemacht haben. Das hat noch keiner thematisiert; aber das Gesetz hätte Anwendung für die gesamte EU. Wir wissen, dass die Baukosten in der EU teilweise deutlich unter 2 000, 3 000 Euro liegen. Das könnte ein richtiges Investitionsprojekt werden, würde in Deutschland aber nicht zu weiteren Wohnungen führen. Daher haben wir noch deutlichen Beratungsbedarf.
Wir haben in Deutschland ja die Erfahrung mit dem Aufbau Ost gemacht; auch da gab es diese super Sonder-AfA. Sie hat einiges bewirkt, erfolgte aber nach dem Prinzip Gießkanne. Wir mussten danach mithilfe zusätzlicher Programme Wohnungen wieder abreißen, weil viel an der Nachfrage vorbei gebaut worden ist. Da wurde nicht nur viel öffentliches Geld verschwendet. Die Schrottimmobilien, die zum Beispiel die Berliner Bankgesellschaft in die Knie haben gehen lassen, finden sich in vielen anderen Banken in diesem Land wieder, sozusagen kaschiert. So etwas brauchen wir nicht wieder. Deswegen bitte ich Sie eindringlich: Entweder Sie überarbeiten diesen Gesetzentwurf radikal, oder Sie ziehen ihn noch einmal zurück.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. – Unsere Position ist: einmal öffentlich gefördert, dauerhaft preisgebunden. Wir brauchen ein Gesetz zur Wiedereinführung einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit.
({0})
Es sollen diejenigen bauen, die bezahlbaren Wohnraum schaffen können. Wir wollen eine Investitionszulage plus Steuerbefreiungen für diejenigen –
Das war echt ernst gemeint.
– das ist der letzte Satz –, die dazu bereit sind, ihren sozialen Beitrag zu leisten. Das würde tatsächlich und dauerhaft zu bezahlbarem Wohnraum in den Ballungsgebieten führen.
Herzlichen Dank. – Danke, Frau Präsidentin.
({0})
Nein, ich bitte wirklich alle darum, sich an die Redezeit zu halten. Vielen herzlichen Dank. Wir haben nämlich noch einiges vor uns.
Jetzt wäre eigentlich ein Redner dran, den wir nicht finden. – Eigentlich ist Mario Mieruch dran; er war angemeldet. Aber das fällt aus. Es wäre nett, so etwas dann rechtzeitig anzukündigen, aber gut.
({0})
– Nein, die Redezeit wird nicht einfach übertragen.
Nächste Rednerin: Cansel Kiziltepe für die SPD-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Ich bin mir sicher, jeder kennt die Geschichten von Menschen, die in Berlin, aber auch in anderen Groß- und Universitätsstädten Schwierigkeiten haben, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Man geht zur Wohnungsbesichtigung und trifft auf Hunderte von Interessenten. Es ist aussichtslos. – Das ist keine Ausnahme. Das ist mittlerweile die Regel, liebe Kolleginnen und Kollegen, und das ist kein Zustand.
({0})
Deswegen brauchen wir politische Antworten, und zwar auf allen Ebenen, auf Bundesebene, Landesebene und kommunaler Ebene, und das so schnell wie möglich.
Es war gut, dass wir beim Wohngipfel viele gute Forderungen durchsetzen konnten, und wir haben hier auch schon über die Verschärfung der Mietpreisbremse, die Absenkung der Modernisierungsumlage, höheres Wohngeld usw. usf. debattiert. Wir brauchen aber mehr. Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum, und daran arbeiten wir.
({1})
Um das zu erreichen, müssen wir auf der einen Seite die Bestandsmieten schützen und auf der anderen Seite den Bau von neuen bezahlbaren Mietwohnungen fördern. Ein Instrument von vielen – das hat Christine Lambrecht, unsere Staatssekretärin, gesagt – ist die Sonderabschreibung für den Neubau von Mietwohnungen. Ziel dieser Maßnahme soll es sein, dass private Unternehmen bezahlbaren Wohnraum bereitstellen. Da die Sonderabschreibungen zu Steuermindereinnahmen bei den Ländern führen, brauchen wir hierfür die Zustimmung der Länder.
Für uns ist wichtig, dass wir Anreize für den Bau von bezahlbaren Mietwohnungen setzen. Die Fragen, die wir uns stellen, sind: Wie schaffen wir das? Welche Wirkung wird die Sonderabschreibung für den Neubau von Mietwohnungen haben? Welcher Wohnraum wird gebaut werden? Welche Unternehmen profitieren davon? Auch damit werden wir uns in den parlamentarischen Beratungsverfahren beschäftigen.
Nun zu den Bundesländern. Just am heutigen Vormittag hat sich auch der Bundesrat mit diesem Thema beschäftigt. Man sieht an den Stellungnahmen und Beschlüssen, dass eine allgemeine steuerliche Förderung nach dem Gießkannenprinzip als wenig zweckmäßig erachtet wird. Man hört auch, dass diese Subvention eher auf Gebiete beschränkt werden sollte, wo tatsächlich Bedarf besteht. Es wird auch gefordert, eine Mietobergrenze einzuführen und diese an die Sonderabschreibung für den Neubau von Mietwohnungen zu koppeln, damit die Sonderabschreibung für den Neubau von Mietwohnungen wirksam wird. Das sind alles berechtigte Einwände, wie wir finden.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, klar ist auch: Diese Maßnahme wird nicht ausreichen; das wissen wir. Es ist eine Maßnahme unter vielen. Wir brauchen viel mehr. Um den Druck aus dem Wohnungsmarkt zu nehmen, brauchen wir zudem eine mieterfreundliche Umsetzung der Grundsteuerreform und ein Verbot der Share Deals, um Spekulationen einzudämmen. Auch daran arbeiten wir.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen auch den sozialen Wohnungsbau stärken. Das haben wir in Angriff genommen. In den kommenden Jahren werden 5 Milliarden Euro investiert. Wir wollen das weiter stärken und auch das Grundgesetz hierfür ändern. Daran arbeiten wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner.
Die Maßnahme, die wir heute hier vorgelegt haben, geht in die Beratungen. Ich hoffe, dass die Stellungnahmen und der Beschluss des Bundesrates dabei berücksichtigt werden.
Danke schön.
({4})
Vielen Dank, Frau Kiziltepe. – Der letzte Redner in dieser Debatte: Sebastian Brehm für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Rat der Immobilienweisen geht in seinem Frühjahrsgutachten 2018 davon aus, dass in einigen Großstädten in Deutschland, in den Ballungsräumen, der Kauf- und Mietpreisanstieg bald zu Ende ist. Dennoch hatten wir in den Jahren 2015 und 2016 jeweils eine durchschnittliche Preissteigerung von 8,8 Prozent. Im Jahr 2017 lag diese noch einmal bei 7,7 Prozent. Das heißt, in den letzten drei Jahren lag der Kauf- und Mietpreisanstieg allein in den großen Städten bei etwa 25 Prozent. Deswegen ist es gerade für junge Familien, aber auch für ältere Menschen in den Ballungsräumen schwierig geworden, Eigentum zu erwerben. Es ist zu teuer, und die Nachfrage ist groß. Daher ist eine unserer wichtigsten Aufgaben in der Politik, jetzt Maßnahmen zu ergreifen, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken.
Ich glaube, die ganze Diskussion über die Mietpreisbremse führt nicht dazu, dass wir mehr Wohnungen in den Großstädten oder in den Ballungsräumen haben werden.
({0})
– Nein! – Denn die Verknappung des Wohnraums bleibt bestehen. Das Einzige, was hilft, wenn man die Preise in den Großstädten wirklich senken will, ist: Bauen, bauen, bauen.
({1})
Alles andere sind keine Maßnahmen, um ein breiteres Angebot an Wohnraum zu schaffen. Deswegen haben wir uns als Koalition zum Ziel gesetzt, die Anzahl der neugebauten Wohnungen um 50 Prozent zu erhöhen und 1,5 Millionen neue Wohnungen in dieser Legislaturperiode zu schaffen. Dieses Ziel werden wir auch erfüllen, und zwar durch eine Kombination verschiedener Bausteine.
Der erste Baustein war die Einführung des Baukindergelds. Dafür gab es viel Kritik. Aber das Baukindergeld ist eine Erfolgsgeschichte. Schon im ersten Monat sind 22 000 Anträge gestellt worden.
({2})
Das ist gut für die jungen Familien in unserem Land. Bayern hat übrigens noch einmal etwas obendrauf gelegt.
Der zweite Baustein ist die Zur-Verfügung-Stellung neuer Grundstücke. Da sind natürlich die Kommunen mit ihren Wohnungsbaugenossenschaften gefragt, und da sind die Länder mit ihren Wohnungsbaugesellschaften gefragt, aber da ist auch der Bund gefragt. Beim Wohngipfel im September wurde bereits zugesagt, dass Grundstücke vom Bund schneller zur Verfügung gestellt werden. Das ist auch richtig so.
({3})
Ein dritter Baustein ist die steuerliche Förderung des Wohnungsneubaus durch die Einführung der befristeten, degressiven Abschreibung in Höhe von jeweils 5 Prozent für die nächsten vier Jahre, zusätzlich zur linearen Abschreibung.
Natürlich höre ich immer das Argument: Das führt zu Preissteigerungen. – Aber erinnern Sie sich mal an die degressive Sonderabschreibung beim Aufbau Ost von 50 Prozent im ersten Jahr. Natürlich hat das einerseits zu Preissteigerungen geführt; aber gleichzeitig ist die Nachfrage wesentlich angekurbelt worden, und es ist gebaut worden. Auch jetzt wird es so sein, dass die Nachfrage angekurbelt und mehr gebaut wird. Die signifikant höhere Abschreibung soll dafür sorgen, dass wir mehr Wohnraum bekommen.
Wenn wir über diesen Gesetzentwurf diskutieren, dann müssen wir auch über die feine Ausgestaltung reden. Dabei geht es um die verschiedenen Möglichkeiten, die bereits angesprochen wurden.
Erstens zur Fördergrenze von 3 000 Euro pro Quadratmeter der Baukosten. Ich glaube, dass das nach dem jetzigen Baukostenindex in Ordnung ist. Was ist aber in den nächsten drei oder vier Jahren? Können wir die Grenze von 3 000 Euro halten?
({4})
Man muss darüber noch einmal diskutieren und dann den Betrag vielleicht auch anpassen.
Das Zweite ist die europäische Restriktion durch die De-minimis-Verordnung, was bedeutet, dass der Gesamtbetrag der degressiven Abschreibung 200 000 Euro nicht überschreiten darf. Dabei geht es nicht um die absolute Höchstgrenze für Abschreibungen, sondern um den Zinsvorteil, der durch die vorgezogene degressive Abschreibung entsteht. Das ist schon sehr schwierig zu berechnen. Hier besteht noch Rechtsunsicherheit. Deswegen muss man, glaube ich, am Gesetzestext noch nachbessern und miteinander ins Gespräch kommen.
({5})
Drittens. Ich glaube, wir müssen aufpassen, dass wir mit der Mietrechtsnovelle, die gerade im Gesetzgebungsverfahren ist, einen Gleichlauf herstellen. Nichts wäre schlimmer, als den Wohnungsmarkt durch die genannten Maßnahmen anzukurbeln und dann diesen Effekt durch Mietpreisbindung, Mietpreisbremse und anderes wieder kaputtzumachen. Wir müssen also einen vorsichtigen Weg einschlagen, um den Effekt, den wir haben wollen, wirklich zu erzielen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist auch wichtig, das Ganze zu evaluieren. Bei einer normalen Erhöhung der Abschreibung gibt es keine De-minimis-Vorschriften und auch keine so komplizierte Berechnung. Deshalb muss man in dem gesamten Prozess überlegen, ob es nicht sinnvoller ist, die linearen Abschreibungen generell zu erhöhen. Ich lade herzlich dazu ein, darüber noch einmal ins Gespräch zu kommen. Wir sollten versuchen, hier eine Lösung zu finden.
({7})
Das würde einen noch größeren Impuls auf dem Wohnungsmarkt und noch höhere Effekte erzielen.
Unser Ziel muss es sein, in den nächsten Jahren Wohnungen zu bauen, zu bauen, zu bauen. Das müssen wir ermöglichen.
({8})
– Bezahlbar, selbstverständlich. – Deswegen werden wir diesen Gesetzentwurf weiter diskutieren. Ich hoffe, dass wir uns in den genannten Punkten miteinander abstimmen können, sodass wir einen sinnvollen Gesetzentwurf haben werden.
Herzlichen Dank.
({9})
Vielen herzlichen Dank, Herr Brehm. – Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/4949 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt keine weiteren Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Meine Damen und Herren! Wenn wir von Fahrverboten reden, gehen wir immer davon aus, dass diese Fahrverbote dazu führen, dass die Luft in Deutschland besser und die Gesundheit der Menschen geschont wird. Wenn wir aber nach Hamburg schauen und sehen, was dort tatsächlich passiert, wenn wir nach Stuttgart schauen und hören, was dort debattiert wird, dann lässt sich sagen, dass Fahrverbote nicht dazu führen, dass Emissionen vermindert werden und die Luft besser wird. Tatsächlich wollen die Leute nämlich weiter mobil sein, sind auf ihr Auto angewiesen, und weichen einfach nur von den Hauptstraßen auf die Nebenstraßen aus, von den Hauptstädten auf die Dörfer. Damit werden Emissionen nicht verringert, sondern einfach verschoben.
({0})
Weil wir sehen, dass die Wirkung nicht nur positiv ist, sondern es auch negative Aspekte gibt, sollten wir ganz vorsichtig sein, was die Grundlage angeht, auf welcher solche Entscheidungen basieren. Schauen wir uns doch einfach mal die Messstationen an! Nordrhein-Westfalen ist eines der Länder, die überprüft haben, wie eigentlich unsere Messstellen funktionieren. Dabei wurde festgestellt, dass von acht Messstellen vier falsch messen. In der Richtlinie ist festgelegt, dass die Umgebungsluft gemessen wird. In Stuttgart wird an einer Ampelanlage der an- und abfahrende Verkehr gemessen. Aber schon auf der Straßenseite gegenüber lassen sich diese Werte nicht verifizieren. In Oldenburg – ein ganz besonderes Schmankerl – werden die NO x -Grenzwerte auch dann überschritten, wenn die Straße gesperrt ist und dort kein einziges Auto fährt. Da fragt man sich doch: Ist es sinnhaft, eine Maßnahme wie ein Fahrverbot einzuführen, wenn falsch gemessen wird oder das Ganze nichts bringt? Darüber sollten sich die Bundesregierung und die Länder noch einmal Gedanken machen.
({1})
Die Frage ist hier: Ist es denn wirklich sachliche Politik oder ist es Ideologie, was wir hier betreiben? Heute hat die Verkehrsministerkonferenz getagt. Zufälligerweise haben sich das grün geführte Baden-Württemberg und das rot-rot-grüne Berlin dagegen ausgesprochen, überhaupt nur die technischen Anlagen zu überprüfen. Das ist etwas, was man den Menschen nicht verkaufen kann. Die Messungen müssen richtig gemacht werden,
({2})
und zwar bundesweit einheitlich und unter Ausschöpfung der möglichen Toleranzen. Die Fahrverbote führen nicht zu sauberer Luft; sie führen zur Verlagerung. Deswegen sollten wir sie vermeiden, wo es geht, und Toleranzen ausnutzen.
({3})
Wir sollten – das wurde im Umweltausschuss gesagt – die wissenschaftliche Basis noch einmal evaluieren und fragen: Wo genau liegen eigentlich die Grenzwerte, die wir einhalten können und die wir im Sinne der Nachhaltigkeit einhalten wollen? Auch das ist ein Ziel, das wir gemeinsam in Deutschland verfolgen sollten.
({4})
Letztlich sollten wir uns auf europäischer Ebene verstärkt für ein Moratorium einsetzen.
({5})
Es ist tatsächlich so, dass die Bundesregierung etwas spät in die Pötte gekommen ist. Das „Sofortprogramm Saubere Luft“ kam erst Ende letzten Jahres. Die Maßnahmen zur Digitalisierung, zum öffentlichen Nahverkehr sind jetzt erst langsam in Gang gekommen. Unsere Industrie hat ein bisschen geschlafen.
({6})
Aber jetzt steht sie Gewehr bei Fuß, und die Bundesregierung führt ja die Verhandlungen,
({7})
sodass zu erwarten ist, dass es hier auch bessere Motoren, bessere Antriebe gibt. Das müssen wir mit einer Mobilitätsgarantie gewährleisten. Damit wir das alles in der zur Verfügung stehenden Zeit schaffen, brauchen wir ein Moratorium. Wir bitten die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen.
({8})
Wenn sich die Bundesregierung dafür einsetzt, dann bitte ich inständig, dass sich das Umwelt- und das Verkehrsministerium nicht miteinander beschäftigen, sondern gemeinsam für die Sache einsetzen.
({9})
Die Verhinderung von Fahrverboten ist schließlich kein Selbstzweck. Vielmehr wollen wir Fahrverbote verhindern, damit wir am Ende zu besseren Luftwerten in ganz Deutschland kommen. Wir wollen nicht den Dieselgegnern helfen. Wir wollen den Menschen und der Umwelt in Deutschland helfen.
({10})
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner: Carsten Müller für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Herausforderungen rund um die Stickoxidthematik sind groß. Die Situation ist technisch höchst kompliziert und rechtlich besonders schwierig. Wir haben diese komplizierte Diskussion in einer Zeit zu führen, in der – das muss man vorwegstellen; ich mache das regelmäßig – die Automobilindustrie, die deutsche Automobilindustrie in Sonderheit, mit viel Einsatz praktisch das gesamte Vertrauen, das in sie gesetzt wurde, verspielt hat.
({0})
Das macht, wie gesagt, die Diskussion nicht leichter. Wir haben es mit Betrügereien, mit Tricksereien zu tun. Glaubwürdigkeit ist die Basis allen Handelns.
({1})
Es gibt eine enorme Verunsicherung in der Öffentlichkeit. Wie gesagt: Vor diesem Hintergrund führen wir heute diese Diskussion.
Es gilt, die Verantwortlichen für die Abgasbetrügereien zur Rechenschaft zu ziehen. Es gilt, Strafgelder auszusprechen. Sie wissen alle genauso gut wie ich, dass es bereits zu Inhaftnahmen gekommen ist. Ich halte das für dringend geboten und erforderlich.
({2})
Gleichwohl dürfen wir uns, wenn wir über Emissionen und Immissionen diskutieren, nicht nur von Gefühlen und groben Informationen leiten lassen, sondern wir müssen uns das genauer anschauen.
Wichtig ist, festzustellen: Die Stickstoffdioxidemissionen gehen stark zurück. Wir verzeichnen seit 1990 einen Rückgang um annähernd 70 Prozent, und das Ganze bei fast verdoppelter Fahr- und Transportleistung.
({3})
Wir können auch ganz konkret werden; ich habe das hier an dieser Stelle bei verschiedenen Gelegenheiten schon gemacht. Schauen wir uns die Werte der Messstation am Stuttgarter Neckartor an, dann stellen wir fest, dass es Überschreitungen des Stundenmittelwertes von 200 Mikrogramm Stickoxid im Jahr 2006 in 853 Stunden gegeben hat. Im Jahr 2017 gab es noch genau in 3 Stunden Überschreitungen. 853 zu 3 – selbst aus größerer Entfernung lässt sich auch für nicht Gutwillige und eher emotional Motivierte ein grober Trend erkennen.
Meine Damen und Herren, außerdem dürfen wir eines nicht unter den Tisch kehren: Wir haben es an den Messstandorten regelmäßig mit nicht unerheblicher Hintergrundbelastung zu tun. Am Standort Stuttgarter Neckartor liegt die Hintergrundbelastung gewichtet beispielsweise bei rund 43 Prozent. Interessant bei dieser Diskussion – deswegen müssen wir uns darüber unterhalten – ist, dass seit 2006 etwa 80 Prozent der Messstellen umgesetzt worden sind. Die Gruppe der nicht an ihrem Ort verbliebenen Messstellen ist durch eine Feststellung gekennzeichnet, nämlich dass die Emissionssituation, das heißt die Schadstoffbelastung, sich an diesem Ort dramatisch besser entwickelt hat als im Bundesdurchschnitt. Deswegen sind auch die Ergebnisse nur schwer vergleichbar. Insofern geht es um die Frage der Validierung der Standorte. Da gibt es im Übrigen – deswegen kommen die Kolleginnen und Kollegen der FDP etwas zu spät – bereits Maßnahmen.
In Nordrhein-Westfalen sind acht Standorte von Messstationen validiert worden. Vier haben sich als zutreffend ausgewählt erwiesen, in drei Fällen müssen technische Nachbesserungen erfolgen. Eine Messstation in Aachen ist rechtswidrig aufgestellt worden. Das Verhängnisvolle bei dieser einen Messstation ist, dass sie auch die Datenbasis für ein in den Raum gestelltes Fahrverbot darstellt.
({4})
Das heißt, wir nehmen das sehr genau unter die Lupe.
({5})
– Kleinen Moment, ich habe noch was für Sie. – Wir nehmen das genau unter die Lupe, und das ist auch richtig. Der Bundesverkehrsminister und die Landesverkehrsminister haben das bereits eingeleitet.
Das Stichwort „Europa“ ist gefallen, und wir reden viel über europäisch angeordnete Grenzwerte für Stickstoffdioxid. Meine Damen und Herren, insbesondere meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion, wir schauen ein bisschen in die Vergangenheit: Wie ist das eigentlich zustande gekommen? Das haben Sie möglicherweise auch gemacht. Sie haben vielleicht genauso erschreckt oder vielleicht ein bisschen erschreckter als ich festgestellt, dass, als diese Richtlinie im Dezember 2007 beraten worden ist, bedauerlicherweise kein Wort über die Stickoxide verloren wurde. Interessant ist auch, wer im Übrigen Hauptberichterstatter war. Das war nämlich Ihr Parteikollege Holger Krahmer.
({6})
Ich zitiere den FDP-Abgeordneten damals im Europäischen Parlament. Er lobte:
Der Kompromiss stellt die künftige EU-Luftqualitätspolitik auf eine solide Grundlage. Die neue Richtlinie hält die Balance zwischen ambitionierten Ziel- und Grenzwerten und der notwendigen Flexibilität für die Umsetzung in den Mitgliedstaaten.
Verehrte Frau Skudelny, Sie hätten einmal Ihren Kollegen Herrn Krahmer früher darüber informieren müssen. Das ist offensichtlich so nicht richtig gewesen.
Meine Damen und Herren, in dieser Zeit der Verunsicherung in der Bevölkerung geht es um wirksame und auch zügig wirkende Lösungen. Deswegen ist das “Sofortprogramm Saubere Luft“ genau das Richtige. Wir müssen Dieselbusse und ‑taxen nachrüsten, und wir müssen die Kommunen dazu bewegen, dass sie die zur Verfügung gestellten Mittel auch abrufen.
({7})
Die Stadt Frankfurt mit einem SPD-Oberbürgermeister hat aus diesem Topf in diesem Jahr noch nicht einmal 70 000 Euro abgerufen, also so gut wie gar nichts. Die Nachbarstadt und Landeshauptstadt Wiesbaden hat dagegen mehr als 15 Millionen Euro abgerufen und investiert. Das hilft den Menschen. In der einen Stadt haben wir angedrohte Fahrverbote, in der anderen Stadt nicht. Das müssen wir auch beim Namen nennen.
Es geht um das Thema Hardwarenachrüstung. Der Bundesrat hat sich vor wenigen Minuten dazu geäußert und positioniert. Man muss das Thema Hardwarenachrüstung sehr genau anschauen. Wir haben beispielsweise in diesem Haus bis vor kurzem – übrigens fraktionsübergreifend – auch Dieselpartikelfilter zur Hardwarenachrüstung empfohlen. Dabei ist eines offensichtlich unzureichend bedacht worden: dass nachgerüstete Dieselpartikelfilter zu einem stark erhöhten Stickstoffdioxidausstoß führen. Insofern gilt es, technische Umsicht walten zu lassen.
Ich persönlich bevorzuge das In-den-Blick-Nehmen der ganz konkret betroffenen Städte und Standorte; bauliche und technische Maßnahmen müssen dort erfolgen. Es ist geradezu aberwitzig, wenn man in der Stadt Stuttgart darüber nachdenkt, den Verkehrsfluss am Neckartor weiter zu behindern und zu verlangsamen, indem man dort eine Ampel einrichtet. Das darf alles nicht passieren. Wir müssen den Druck auf die Automobilhersteller aufrechterhalten.
Ich bin kein Freund von dogmatischen Antriebsalternativendiskussionen. Ich habe es aber wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass beispielsweise der VCD – das ist aus Unionssicht ein relativ unverdächtiger Zeuge – das erste Mal seit drei Jahren wieder die Anschaffung von hochgereinigten Diesel-Pkw aus Umweltgesichtspunkten empfiehlt.
Wir können – das will ich abschließend sagen – dem AfD-Antrag nicht zustimmen. Sie bieten den Leuten Steine statt Brot. Es geht um schnelle und wirksame Lösungen. Der FDP-Antrag kommt mit Bezug auf den Kollegen Krahmer etwa elf Jahre zu spät.
({8})
Wir wünschen Ihnen etwas mehr Beschleunigung.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Marc Bernhard, AfD.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Wir sprechen fast jede Woche über Dieselfahrverbote. Was hat sich für die Menschen draußen verändert? Nichts, rein gar nichts. Aber ich habe Ihnen ja schon letzte Woche versprochen, dass ich das im Deutschen Bundestag so lange wiederholen werde, bis es Ihnen zum Hals raushängt:
({0})
Der Stickstoffdioxidgrenzwert von 40 Mikrogramm ist völlig willkürlich.
({1})
Er stützt sich ausschließlich auf rein theoretische Hochrechnungen ohne jeden praktischen Bezug. Ich weiß auch, dass Sie den Vergleich nicht mehr hören wollen,
({2})
weil er Ihnen so schön die ideologische Maske vom Kopf reißt und jedem draußen ganz offensichtlich vor Augen führt, wie Sie, insbesondere auf der linken Seite, die Menschen über den Tisch ziehen.
({3})
Beim Rauchen einer einzigen Zigarette
({4})
atmen Sie 50 000 Mikrogramm Stickstoffdioxid ein. Eine Schachtel entspricht also 1 Million Mikrogramm. Wenn also das wahr wäre, was Sie hier immer wieder behaupten, hätte Helmut Schmidt keine einzige Legislaturperiode überlebt.
({5})
Jetzt sind Sie plötzlich ganz ruhig.
({6})
– Ja, schreien Sie nur. Die Wahrheit tut weh.
({7})
Der führende Lungenexperte Professor Köhler vergleicht Ihre theoretischen Hochrechnungen mit dem Hexenhammer im Mittelalter. Da geht es nämlich darum, wie und mit welchen Experimenten man eine Hexe erkennt.
(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Was haben Sie dem bezahlt?
Das wird durchaus rational erklärt. Aber die Grundfrage, ob es Hexen überhaupt gibt, wird nie gestellt. Genauso ist es hier im Deutschen Bundestag, wenn es um Stickstoffdioxid geht.
({8})
Alle klinischen Studien der WHO, den Grenzwert von 40 Mikrogramm zu bestätigen, sind krachend gescheitert – krachend gescheitert!
({9})
Die AfD fordert seit Monaten, den Grenzwert zum ersten Mal überhaupt objektiv wissenschaftlich zu überprüfen. Aber Sie alle von den anderen Fraktionen haben sogar die von uns beantragte Expertenanhörung abgelehnt. Sie müssen schon ziemlich große Angst haben, wenn Sie sich nicht einmal trauen, einer Anhörung zuzustimmen, die klären soll, ob es gerechtfertigt ist, den Menschen das Auto und damit ihre Freiheit wegzunehmen. Das ist ganz genauso wie beim Hexenhammer im Mittelalter.
({10})
Selbst in Kalifornien mit den strengsten Umweltvorschriften der Welt gelten 100 Mikrogramm, also das Zweieinhalbfache wie in Deutschland. Die US-Umweltbehörde hat diesen Grenzwert kürzlich noch einmal ausdrücklich bestätigt, weil dieser – so wörtlich – einen angemessenen Schutz der öffentlichen Gesundheit gewährleistet und insbesondere eine ausreichende Sicherheitsmarge, gerade auch für ältere Personen, Kinder und Menschen mit Asthma berücksichtigt.
Die FDP hat in ihrem Antrag all das aufgegriffen, was wir, die AfD, seit Monaten fordern
({11})
und auch in Anträgen in den Bundestag eingebracht haben,
({12})
nämlich die Überprüfung des Stickstoffdioxidgrenzwertes und die Korrektur der Aufstellungsbedingungen der Messstationen.
Auch Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, kopieren in Ihren Reden gerne Inhalte der AfD.
({13})
Komisch nur, dass Sie unsere Anträge immer ablehnen.
({14})
Zur allgegenwärtigen Doppelmoral der Grünen muss ich wirklich nicht viel sagen. Sie lassen sich gerne in Limousinen mit abgedunkelten Fenstern hin und her kutschieren. Für den Wahlkampf steigen Sie dann, wie Ihre ehemalige Ministerin Löhrmann, scheinheilig in Hybridautos um.
({15})
Auch wenn es Ihnen egal sein mag: Es gibt Menschen da draußen, deren Existenz an einem preiswerten und sparsamen Diesel hängt, wie den Handwerker in „Zeit Online“: Wir sind als Handwerksunternehmen in ganz Deutschland im Einsatz und fahren dorthin, wo der Kunde uns braucht. Elektroantriebe sind keine Alternative, vor allem aufgrund der geringen Reichweite. Auf Benziner umzusteigen, ist für uns auch nicht möglich. – Sie lassen diesen Handwerker und Millionen von Menschen immer noch alleine. Hören Sie endlich damit auf, die Existenz dieser Menschen nach der Hexenhammermethode zu zerstören, und stimmen Sie endlich der wissenschaftlichen Überprüfung der Grenzwerte zu!
Herzlichen Dank.
({16})
Jetzt hat das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Bernhard, der einzige, der hier Hexenzauber veranstaltet, sind Sie.
({0})
Sie versuchen, die Menschen zu verdummen, und Sie versuchen hier, existenzielle Gefährdungen für viele Menschen, gerade mit Atemwegserkrankungen, in unseren Städten zu verharmlosen. Das ist wirklich dreist.
({1})
Wenn Sie sagen, wir beschäftigen uns mit diesen Fragen nicht wissenschaftlich, dann hätten Sie in der letzten Woche bei der Anhörung des Umweltausschusses sein sollen. Dort war der Sachverständigenrat für Umweltfragen geladen. Er hat uns genau zu dieser Thematik fachkompetent Auskunft gegeben. Es ist sehr deutlich geworden, dass es die Stickstoffbelastung kombiniert mit der Feinstaubbelastung ist, die insbesondere Menschen, die dafür anfällig sind, wie Asthmatiker, ganz erhebliche Schäden zufügt. Deswegen sind die seit 20 Jahren geltenden Grenzwerte richtig.
({2})
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der AfD?
Immer.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Letzte Woche im Umweltausschuss – ich war beim Sachverständigenrat für Umweltfragen da –, war das dieser Sachverständigenrat, der gefordert hat, dass nicht diejenigen, die einen Effekt behaupten, ihn beweisen müssen, sondern dass diejenigen, die ihn in Zweifel ziehen, einen – wissenschaftlich nicht machbaren – Negativbeweis führen sollen? War das dieser Sachverständigenrat für Umweltfragen?
({0})
Auch mit dieser Frage versuchen Sie wieder, Nebelkerzen zu werfen.
({0})
– Ich mache das ja gerade. Wenn Sie nicht dazwischenschreien würden, könnten Sie sich meine Antwort auch anhören. – Es ging um die Frage, wie epidemiologische Studien insgesamt zu bewerten sind. Es ist bei diesen Studien so, dass man das nicht auf eine einzelne Ursache alleine zurückführen kann, sondern dass, wie ich vorhin ausgeführt habe, signifikant ist – das können Sie in den Studien nachlesen; lesen Sie es beim Umweltbundesamt und bei anderen nach –, dass es einen Sachzusammenhang zwischen Stickstoffbelastung, Feinstaubbelastung und Mortalitätsraten gibt. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Da können Sie hier x-mal den Hexenzauber vollziehen: Sie können die Wissenschaft nicht einfach vom Tisch wischen.
({1})
Es gibt ja eine neue Allianz von Leuten hier in diesem Haus, nämlich diejenigen, die Messstellen leugnen. Das ist ein wirklich spannendes Thema. Viele Vorredner haben hier etwas objektiv absolut Falsches behauptet, nämlich dass acht Messstellen überprüft worden seien und von denen vier falsch gewesen seien. Das ist Unsinn, und das ist eine Lüge.
({2})
Ich will in aller Deutlichkeit sagen: Tatsächlich sind acht Messstellen überprüft worden. Von diesen Messstellen ist eine tatsächlich falsch.
({3})
Sie fließt aber in die Betrachtungen, die an die EU weitergegeben werden, überhaupt nicht ein, weil es sich um eine kommunale Messstelle handelt.
({4})
Bei den anderen ist es so, dass sie trotzdem der Bundes-Immissionsschutzverordnung und den Aufstellungen entsprechen.
Mich wundert, dass dieses gut informierte Haus nicht zur Kenntnis nimmt, dass es seit dem 8. Oktober dieses Jahres einen Bericht des TÜV gibt, der alle 49 Messstellen in Nordrhein-Westfalen überprüft hat – alle, auf Biegen und Brechen. Das Ergebnis ist, dass alle 49 Messstellen den Bedingungen der Bundes-Immissionsschutzverordnung entsprechen, dass sie korrekt messen und korrekt aufgestellt sind.
({5})
Bei vier von ihnen gibt es zwar Mängel; aber das ändert nichts an dem Ergebnis, dass sie korrekt messen.
Deswegen: Hören Sie auf, sich zum Buddy der Automobillobby zu machen und hier Messstellen anzuzweifeln! Sorgen Sie lieber dafür, dass endlich etwas bei der Nachrüstung gemacht und dort der Druck erhöht wird!
({6})
Nächster Redner ist Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zum x-ten Mal belästigen FDP und AfD den Bundestag mit überflüssigen und vor allem unwissenschaftlichen Anträgen.
({0})
Genauso wie eben, als versucht wurde, die Zwischenfrage der AfD zu beantworten, ist die AfD auch bei den Fachgesprächen im Umweltausschuss nicht in der Lage, zuzuhören, wenn ihr die Fakten nicht passen. Dann hören Sie einfach weg. So kann man nicht arbeiten.
({1})
Die FDP fordert jetzt, dass die Messpunkte für Stickoxide verlagert werden. Die Messpunkte sollen zukünftig immer in 4 Meter Höhe, 10 Meter weg von der Straße, 50 Meter weg von verkehrsreichen Kreuzungen sein und natürlich so installiert werden, dass sie 270 Grad im Umkreis frei von der Luft umströmbar sind und messen. Das kann man natürlich machen. Dann fallen die Messergebnisse niedriger aus, und es gibt freie Fahrt für betrügerische Autolobbys.
({2})
Liebe Bürgerinnen und Bürger, wenn Sie an einer Hauptstraße wohnen, wenn Sie an verkehrsstarken Kreuzungen wohnen, wenn Sie in Stadtzentren wohnen müssen,
({3})
dann wird mit dieser geforderten Messmethode verschleiert, wenn Stickstoff-, Ozon-, Feinstaub- und andere Schadstoffkonzentrationen zu hoch sind.
({4})
Sie merken das dann an Asthmaanfällen und an dunklem Nasensekret, das Sie ausschnauben. Das ist nicht akzeptabel.
({5})
Die FDP bewegt sich mit dieser Politik in ihrer Tradition der Kumpanei mit betrügerischen Autofirmen, die lieber falsch messen, als reale und ehrliche Arbeit abzuliefern.
({6})
Wir Linke wollen lieber, dass schlechte Autos von der Straße verschwinden bzw. auf Kosten der Autokonzerne, die diesen Betrug begangen haben, ersetzt werden, damit unsere Umwelt besser und die Gesundheit geschützt wird.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Autobranche, ich habe als Qualitätsmanager in der Autoindustrie gearbeitet;
({8})
ich habe Produktionsanlagen in Tschechien und China installiert. Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Ich kenne die globalisierte Wirtschaft,
({9})
und ich kann Ihnen allen eines sagen: Wenn Pkws aus Deutschland zukünftig die vorgeschriebenen Normen bei unseren ausländischen Kunden nicht erfüllen – sei es in Amerika, sei es in China oder anderswo –, dann werden sie zum Ladenhüter. Dagegen hilft nur, die gültigen Gesetze einzuhalten; denn sonst verspielt man schnell das Kundenvertrauen, und das gefährdet Arbeitsplätze.
({10})
Im Umkehrschluss: Wenn Sie eine Aufweichung der Grenzwerte fordern, wenn Sie die Einhaltung der Grenzwerte verhindern
({11})
– genau so, wie es die Autobosse wollen –, dann gefährden Sie Arbeitsplätze. Diese Autobosse investieren gerade ganz massiv – in China, in den USA – in eine Autoproduktion, die die Normen und Gesetze einhält.
({12})
Wenn dann die deutschen Autos nicht mehr verkauft werden, werden diese Konzernbosse ganz schnell Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen, weil sie nicht mehr gebraucht werden. Das wollen wir Linke verhindern. Wir wollen, dass in Deutschland gute Autos gebaut werden, die die Umweltstandards einhalten. Wir wollen gute Qualität und gute Arbeitsplätze.
({13})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch kurz auf die Theorie zu den Luftgemischen zurückkommen. Ärzte und die WHO, alle bestätigen, dass Stickoxide im Gemisch schädlicher sind.
Herr Kollege Lenkert, der Kollege Spaniel würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
({0})
Nein, danke.
Bitte.
Die AfD vergisst eines: Die wirken in Kombination. Sie alle kennen Medikamentenbeipackzettel. Da steht explizit drin: „Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten“. Antibabypillen wirken weniger gut oder nicht, wenn man zu viel Alkohol trinkt, Allergiemittel wirken dann stärker. Genau das Gleiche passiert bei Ozon, bei Stickoxiden und bei Feinstaub. In der Kombination wirken sie stärker. Wenn man die Menge bei diesen Kombinationen verändert, ist die Wirkung größer. Das weiß jeder. Okay – außer der AfD.
({0})
Herr Kollege Lenkert, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
({0})
Ja. – Jeder, der seriös kalkuliert, weiß, dass man bei der Ursache ansetzen muss und dass Gesundmessen nichts bringt.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche selbst Ihnen ein ozonarmes und stickoxidfreies Wochenende.
Vielen Dank.
({0})
Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Bettina Hoffmann, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines ist ja klar: Grenzwerte fallen nicht vom Himmel. Sie werden durch gemeinsame Festlegungen getroffen. Sie müssen ambitioniert sein; sonst braucht man sie gar nicht. Man kann sie immer wieder hinterfragen; das ist durchaus berechtigt.
({0})
Was aber absolut nicht geht, ist, den Schutz der Gesundheit der Menschen, die hier bei uns leben, infrage zu stellen und sich darum nicht mehr zu kümmern. Genau das tun Sie nämlich, liebe FDP und AfD.
({1})
Beim Stickoxid ist der aktuelle Wert von 40 Mikrogramm nicht einmal ehrgeizig. Das will ich Ihnen erklären: Die Schweiz hat einen Grenzwert von 30 Mikrogramm, Österreich ebenfalls. Bereits 2003 hat der VDI empfohlen, 20 Mikrogramm anzusetzen.
({2})
Die WHO geht schon seit 2015 davon aus, dass bei Langzeitexposition bei einem Wert von 20 Mikrogramm mit Gesundheitsschädigungen zu rechnen ist.
({3})
Die Experten empfehlen auch, den Grenzwert beim nächsten Mal zu verschärfen und nicht einfach hochzusetzen, wie Sie es jetzt vorschlagen.
({4})
– In Ihrem Antrag lese ich davon nichts. Aber, Frau Skudelny, Sie ignorieren die internationale Studienlage und tun so, als seien die aktuellen Erkenntnisse nichts wert.
({5})
Die AfD diskreditiert an jeder Stelle die Wissenschaft. Das finde ich einfach nur schäbig.
({6})
Frau Kollegin Hoffmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
({0})
Dies gilt auch für die Studie des UBA,
({1})
die hier immer wieder, auch in Nebengeräuschen, diskreditiert wird. Es schätzt nach einer absolut anerkannten Methode, dass durch die Langzeitbelastung durch Stickoxid 6 000 Menschen im Jahr vorzeitig sterben.
({2})
Wenn wir über Opfer im Verkehr reden, würde ich diese Menschen freundlich mit dazuzählen. Diese Zahl ist bei Betonung aller Unsicherheiten und aller konservativen Annahmen einfach nur erschreckend.
({3})
Liebe Kollegen von der FDP, es gibt keine Einteilung in gute oder schlechte Wissenschaft, nur weil einem vielleicht die Ergebnisse nicht gefallen.
({4})
Wir müssen auch unbequeme Ergebnisse zur Kenntnis nehmen. Es tut mir wirklich leid, dass ich das so klar sagen muss, aber mit dieser Faktenignoranz sind Sie nahe dran an der Szene der Klimawandelleugner und in Ihrer Haltung kaum noch von der Argumentation der AfD zu unterscheiden. Da sollten Sie vorsichtig sein.
({5})
Was mich an Ihrem Antrag richtig aufregt, ist diese unsolidarische Haltung. Ihre Antwort an Menschen, die an sechsspurigen Straßen voller Abgase wohnen, lautet im Grunde sinngemäß: Dann sucht euch doch einfach eine andere Wohnung!
({6})
Damit verkennen Sie aber, dass viele Menschen dem nicht ausweichen und nicht einfach eine andere Wohnung nehmen können.
({7})
Genauso wenig können Kinder etwas dagegen tun, dass ihre Köpfe auf Auspuffhöhe nah an den Abgasen sind. Oder Asthmatiker und Schwangere: Sie können schlecht aufhören, lungenkrank bzw. schwanger zu sein. Für genau diese Menschen, die empfindlich sind, machen wir diese Grenzwerte, und dann müssen sie auch eingehalten werden. Das nennt man nämlich Vorsorgeprinzip. Das ist eine Leitlinie der deutschen Umweltpolitik.
({8})
Sie verabschieden sich von diesen Vereinbarungen.
Zu den Fahrverboten will ich nur noch eines sagen – dazu ist eigentlich schon genug gesagt worden –: Schuld an diesen Fahrverboten sind nicht die Grenzwerte und die Kläger, sondern die Autokonzerne, die betrogen haben, und die Bundesregierung, die bis heute nicht gehandelt hat.
({9})
In Ihrem Antrag finde ich keine Forderung nach Hardwarenachrüstung auf Kosten der Hersteller. Damit könnte man aber ziemlich schnell etwas erreichen.
({10})
Sie machen jetzt einen ganz komischen Vorschlag – in meinen Augen ist das absurd –: Sie wollen die Messstellen versetzen und die Möglichkeiten – ich zitiere – „ausreizen“. Das finde ich, gelinde gesagt, etwas plump.
({11})
Es erübrigt sich jede Diskussion über Grenzwerte, wenn deren Einhaltung noch nicht einmal seriös gemessen werden soll. Damit entlarven Sie sich selber. Es geht Ihnen ausschließlich darum, die Autokonzerne zu schonen. Die Gesundheit der Menschen ist Ihnen egal. Das sehen wir komplett anders. Deswegen werden wir Ihre Anträge beide ablehnen.
({12})
Jetzt hat das Wort der Kollege Oliver Grundmann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal zwei Punkte, bei denen ich den Unmut unserer Antragsteller sogar ein Stück weit nachvollziehen kann. Die Frage, ob und wie man diese Grenzwerte bewertet, ist eine wissenschaftliche und eine politische Diskussion, aber keine ideologische. Ob es Sinn macht, daran herumzuschrauben, und ob es überhaupt realpolitisch umsetzbar ist, darüber kann man streiten.
Dazu herrschen hier im Hause unterschiedliche Meinungen. Vorhin haben wir unterschiedliche Ausführungen, wie die von Herrn Bernhard, gehört. Aber was uns in dieser Diskussion überhaupt nicht hilft, Herr Staatssekretär Pronold und Frau Dr. Hoffmann, sind – das habe ich an dieser Stelle schon mehrfach gesagt – fragwürdige Studien mit Tausenden Dieseltoten, die sich bei genauerem Hinsehen als Karteileichen entlarven.
({0})
Das kann und darf uns nicht als Entscheidungsgrundlage dienen.
Was uns ebenso wenig hilft, sind die neuen Fahrverbot-Happenings wie in Hamburg: Hauptsache eine Straße sperren, egal wie lang und weit der Umweg ist – auf Kosten der Hafenarbeiter und der Krankenschwestern, die als Pendler zum Beispiel aus meinem Landkreis Stade nicht mehr auf direktem Wege zu ihren Arbeitsplätzen in die Hansestadt Hamburg fahren können,.
({1})
Hauptsache, die Gegner jubeln. Das sind ideologische Belehrungsmaßnahmen. Das ist Aktionismus und Eigen-PR, und das hilft überhaupt niemandem. Das wissen Sie auch.
({2})
Jetzt zur Überprüfung der Grenzwerte. Wir haben im Ausschuss schon ausgiebig darüber diskutiert. Es sind im Wesentlichen drei Gründe, die dagegensprechen. Ja, ich weiß, Sie wollen keine neuen Grenzwerte, sondern eine wissenschaftliche Überprüfung, die am Ende zu neuen Grenzwerten führt. Aber das ist im Ergebnis dasselbe, und es hilft uns auch nicht weiter.
Erstens. Es handelt sich um einen EU-Wert, also um eine Festlegung auf der Ebene der Europäischen Union. Wenn Sie ernsthaft eine Überprüfung der 40‑Mikrogramm-Grenzwerte veranlassen wollen, dann ist das dafür zuständige Gremium auf der EU-Ebene zu suchen, aber nicht im Deutschen Bundestag. Es macht schon aus formalen Gründen überhaupt keinen Sinn, das jetzt in Deutschland zu machen. Ich glaube nicht, dass ausgerechnet wir Deutschen jetzt die größte Unterstützung auf EU-Ebene erfahren werden.
({3})
Zweitens. Das Signal an die Bürger, das deutsche Volk, als dessen Vertreter wir ja gewählt sind, ist einfach nur fatal, nach dem Motto: Wir haben es nicht hingekriegt mit den Grenzwerten? Macht nichts: Grenzwerte runter, Tausende Diesel unter Wert verkauft oder verschrottet! Uns egal, das ist euer Problem da draußen.
({4})
Damit machen wir uns unglaubwürdig. Erst beschließen wir Grenzwerte, und jetzt, wo die Probleme mit der Umsetzung relevant werden, halten wir uns nicht mehr daran. Das geht so nicht.
Drittens. Das Signal an die Automobilindustrie: Einige haben gelogen und betrogen, was das Zeug hält? Macht nichts! Die Politik boxt euch da schon raus. – Ich kann nur sagen: Nein, diesmal nicht!
({5})
Ich habe immer betont, dass Autofahrer und Händler nicht für einzelne Betrügereien von Autoherstellern blechen dürfen und auch nicht blechen werden. Das ist unsere Haltung in der Union.
({6})
Deshalb gilt jetzt: Dranbleiben und Nachverhandeln.
Der gefundene Kompromiss war ein erster Schritt, die Dieselproblematik endlich zu lösen – nicht mehr und nicht weniger. Wenn jetzt alle Seiten weiterhin überzogene Forderungen stellen und keinen Zentimeter aufeinander zugehen, dann passiert im Grunde gar nichts, jedenfalls nicht in die richtige Richtung. Dann bekommen wir nämlich Fahrverbote, und das in einer Form und Güte, wie das keiner im Parlament wünschen möge.
Die letzten Tage und auch die letzten Stunden bin ich noch einmal mit dem VW-Cheflobbyisten sehr klar, deutlich und konsequent ins Gericht gegangen.
({7})
VW hat sich heute endlich bewegt. Sie haben heute eine Pressemitteilung herausgegeben, und das ist schon ein Schritt in die richtige Richtung. Aber ich sage an die Vorstände und leitenden Mitarbeiter von Volkswagen und auch an andere Unternehmen gerichtet, die Fehler gemacht haben: Wir werden das ganz genau im Blick behalten, und wenn es dort draußen Härtefälle gibt, dann werden wir das Ihnen, Herr Diess – das rufe ich Ihnen zu –, in den kommenden Tagen und Wochen zur Einzelfallprüfung auf den Tisch legen. Ich will eines klar sagen: Der Versuch, jetzt die Verantwortung auf die Händler abzuwälzen, etwa in der Frage von Gewährleistungsansprüchen bei den Nachrüstungen, wie es einige versuchen, ist unanständig. Auch das lehnen wir ganz entschieden ab.
Ein allerletzter Punkt: Dass die Messstellen gemäß den europäischen Vorgaben überprüft werden müssen, liegt auf der Hand, dass wir einheitliche standardisierte Messverfahren brauchen, ebenso. Darum kümmern wir uns, keine Frage. Aber diese Grenzwertdiskussion hilft im Moment nicht weiter. Wenn wir jetzt die Grenzwerte angehen – das ist mein letzter Satz –, dann lehnen sich die Autobosse in ihren schweren Alcantara-Sesseln zurück, und rein gar nichts verändert sich zum Besseren. Diesmal nicht! Nicht mit uns, nicht mit der Union. Wer guten Wein will, der darf den Gärungsprozess nicht verhindern.
Herr Kollege Grundmann, –
In diesem Sinne danke ich für die Aufmerksamkeit.
({0})
– ein Satz ist immer noch ein Satz.
Vielen Dank, Herr Schäuble.
Bitte sehr. – Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Ulli Nissen, SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten 20 Jahren sind die Luftemissionen deutlich reduziert worden. Das reicht aber nicht aus. Nach wie vor gibt es erhebliche negative Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit. Die vorgelegten Anträge von AfD und FDP zu Stickoxiden scheinen einfache Lösungen vorzusehen. Die Autohersteller, die uns hinter die Fichte geführt haben, würden sich darüber sehr freuen.
Die Gesundheit der Menschen wird gefährdet. Emissionen müssen deshalb deutlich abgesenkt werden. Auch die SDGs, die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030, fordern in Ziel 3 – Zitat –:
Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern.
Zielvorgabe 3.9:
Bis 2030 die Zahl der Todesfälle und Erkrankungen aufgrund gefährlicher Chemikalien und der Verschmutzung und Verunreinigung von Luft, Wasser und Boden erheblich verringern.
Ich glaube, davon haben AfD und FDP noch nichts gehört. Von diesen Zielen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir noch weit entfernt.
({0})
Jetzt haben Gerichte entschieden, dass die Gesundheit der Menschen vorgeht. Fahrverbote drohen. Um die Luft in den Städten zu verbessern, hat die Bundesregierung weitreichende Beschlüsse gefasst. Damit sollen auch drohende Fahrverbote verhindert werden.
({1})
In 65 betroffenen Städten, in denen die Messwerte bei einem Jahresmittel von 40 Mikrogramm Stickoxid liegen, soll das „Sofortprogramm Saubere Luft“ durch wichtige Maßnahmen aufgestockt werden, unter anderem: Kommunal- und Handwerkerfahrzeuge sollen in den betroffenen Gebieten technisch nachgerüstet werden. Der Bund trägt 80 Prozent der Kosten. Die Autohersteller sollen den Rest bezahlen.
Es gibt 14 weitere besonders betroffene Städte, wo die Messwerte 50 Mikrogramm überschreiten.
Dort sollen die Autohersteller den Fahrzeugbesitzern erstens attraktive Umstiegsprämien anbieten. Was ich dazu bisher von den Herstellern gesehen habe, ist in meinen Augen eine Frechheit, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Die Umstiegsprämien sind zum Teil geringer als das, was bisher an Rabatten bei Neukauf gewährt wurde.
({3})
So erscheint vielen die Umtauschaktion wie ein wunderbares Konjunkturförderprogramm für die Autohersteller. Das dürfen wir nicht zulassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Zweitens geht es um die technische Nachrüstung der Fahrzeuge. Leider gab es dafür seit dem Aufdecken des Dieselskandals von den CSU-Verkehrsministern Dobrindt und Scheuer, um es höflich auszudrücken, keine besonders starke Unterstützung. Herr Dobrindt hatte ja sogar noch bestritten, dass Nachrüstungen überhaupt machbar sind. Es war ein harter Kampf; jetzt wurde entschieden.
({5})
Erst einmal sollen Euro-5-Diesel eine Hardwarenachrüstung bekommen. Die Kosten einschließlich derer für den Einbau sollen die Autohersteller übernehmen. Leider hat bisher nur ein Autohersteller, Volvo, sich richtig ko operativ gezeigt. Die Reaktionen der anderen Autohersteller empören mich. Diese tun so, als hätten sie mit der Kostenübernahme nichts zu tun. Ich sehe das deutlich anders, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({6})
Die Menschen haben sich auch deshalb einen Euro-5-Diesel gekauft, weil in Verkaufsprospekten mit sauberen und umweltfreundlichen Fahrzeugen geworben wurde. Jetzt wissen wir: Das stimmt nicht. Ich bin Bankerin. Bei Finanzprodukten gilt die Prospekthaftung. Dies muss auch für Autos gelten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({7})
Außerdem sehe ich nicht nur eine rechtliche Verpflichtung, sondern auch eine moralische. Wer will bei einem Hersteller noch ein neues Fahrzeug kaufen, wenn er sich nicht darauf verlassen kann, dass Kosten für notwendige Nachrüstungen vom Hersteller übernommen werden? Ich nicht!
Thorsten Schäfer-Gümbel, der hessische SPD-Spitzenkandidat,
({8})
hat es in meinen Augen richtig formuliert – ich zitiere –:
Die Konzerne müssen sich ihrer Verantwortung stellen. Wer das nicht tut, den möchte ich nicht mehr bei Dienstwagen des Landes berücksichtigen.
({9})
Dagegen kritisiere ich den Noch-Ministerpräsidenten Volker Bouffier.
({10})
Dieser hatte vor dem Gipfel erklärt, er werde keiner Lösung zustimmen, die nicht auch für Frankfurt gilt. Jetzt wissen wir, er hat der Lösung zugestimmt, obwohl Frankfurt nicht zu den 14 Spezialstädten gehört. Für die Hardwarenachrüstung auf Kosten der Unternehmen setzt sich Herr Bouffier leider erst jetzt ein, ganz kurz vor den hessischen Wahlen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will keine autogerechte Stadt, ich will eine menschengerechte Stadt. Mein großes Ziel ist, möglichst viele Menschen zum Umstieg vom Auto auf umweltfreundliche Verkehrsmittel zu bewegen. Dazu gehört ein gut ausgestatteter, kostengünstiger Personennahverkehr, aber auch gute Bedingungen für Radfahrerinnen und Radfahrer.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam die Lebensbedingungen der Menschen verbessern. Die hier vorgelegten Anträge von Ihnen sind dafür nicht geeignet. Sie riskieren und bedrohen die Gesundheit und das Leben der Menschen. Deswegen werden wir die Anträge ablehnen.
Ich danke Ihnen.
({11})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Man guckt ja nach dieser ganzen Zeit schon mit ein bisschen Befremden auf die Diskussionen der letzten Monate rund um das Thema „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“. Wie groß war die Aufregung über die bislang immer noch nicht bewiesenen Unregelmäßigkeiten in der Außenstelle in Bremen und eventuell gar kriminelle Handlungen einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Wie groß war die Aufregung hier im Hause? Die Debatte, die Anschuldigungen und die Diskreditierungen, besonders auch aus dem Innenministerium, haben nachhaltig dazu geführt, dass das Vertrauen in die ganze Behörde bis auf ein Minimum zusammengeschrumpft ist.
Ich möchte nicht missverstanden werden: Wenn es Zweifel an der rechtsstaatlichen Durchführung von Verfahren gibt, ob bei positiven oder bei negativen Entscheidungen über einen Asylantrag, dann muss dem nachgegangen werden, und dann muss Politik handeln. Das sage ich ausdrücklich auch in Richtung des Innenministeriums: Sie können nicht „Skandal!“ rufen und dann, wenn die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird, das Thema in den Aktenschrank packen.
({0})
In diesem Fall waren das die Debatten über den Grenzschutz oder die Personalie Maaßen. Das geht nicht.
Ausdrücklich sage ich es auch in Richtung AfD und FDP, die zu diesen gesamten Missständen, die für uns in den vergangenen Jahren völlig offensichtlich waren, sogar einen Untersuchungsausschuss haben wollten. Ich frage mich: Reicht Ihnen das wirklich? Reicht Ihnen ein Untersuchungsausschuss, der irgendwann eingesetzt wird und die eigentlichen Fragen überhaupt nicht adressiert? Ist das alles, was Ihnen zum BAMF einfällt?
({1})
Man muss sich da die Frage stellen: Ist Ihnen denn egal, dass die Defizite weiter bestehen bleiben? Machen Sie sich eigentlich bewusst, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter tagtäglich über das Schicksal von Menschen und über ein Grundrecht entscheiden müssen? Warum also ist bisher keine Fraktion auf die Idee gekommen, auch nur einen Vorschlag zur Verbesserung des Bundesamtes hier vorzulegen?
Für den Aufriss, den vor allen Dingen FDP und AfD, aber auch das Innenministerium gemacht haben, ist das Ergebnis, gelinde gesagt, weniger als mickrig.
({2})
Wir Grünen haben schon vor Jahren angemahnt, dass es falsch ist, beim BAMF Personal abzubauen, obwohl die Zugangszahlen steigen. Gerade wenn man sich um die Mitarbeiterschaft im BAMF sorgt – das sollten wir tun; denn sie arbeiten unter schwierigsten Voraussetzungen und vor dem Hintergrund politisch fahrlässiger Entscheidungen –, muss man sagen:
Es ist doch wichtiger denn je, dass diese Behörde mit ausreichend Mitteln und Personal ausgestattet wird, und zwar an der richtigen Stelle – das ist ganz wichtig –, und dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kontinuierlich geschult werden und eine Supervision erhalten.
Es ist auch wichtiger denn je, dass Asylsuchende eine unabhängige Asylverfahrensberatung erhalten, und zwar nicht durch das BAMF, wie es jetzt angedacht ist, sondern durch unabhängige Akteure, die keine eigenen Interessen verfolgen, sondern Asylsuchende dabei beraten, wie dieses Asylverfahren abzulaufen hat, die sie in die Lage versetzen, zu erkennen, wenn im Asylverfahren Fehler passieren, beispielsweise durch das BAMF. Im Übrigen sind gut informierte Asylbewerber – dafür könnte man durch so eine Verfahrensberatung sorgen – auch eher bereit, das Ergebnis ihres Verfahrens zu akzeptieren, wenn sie schlichtweg verstehen, was da vonstattengegangen ist.
({3})
Es betrifft auch die Dolmetscherinnen, die zwingend ein angemessenes Sprachniveau mitbringen müssen.
Wir sagen auch: Es wäre wichtig, dass es Wortprotokolle und auch Tonmitschnitte gibt, damit man das Verfahren und die Herleitung eines Ergebnisses nachvollziehen bzw. kontrollieren kann.
Wir wollen, dass regelmäßig stichprobenartige Überprüfungen von positiven, aber eben auch von negativen Asylbescheiden stattfinden. Es kann uns doch nicht egal sein, dass zu bestimmten Zeiten ein Viertel aller Asylentscheidungen von Verwaltungsgerichten wieder kassiert wurde. Das können wir doch auch in unserem eigenen Interesse nicht akzeptieren. Das ist ein unglaublich großer Missstand. Hier muss zwingend gehandelt werden.
({4})
Wir wollen, dass das BAMF verpflichtet wird – wir haben ja in den vergangenen Monaten auch viel über rechtswidrige Abschiebungen gesprochen –, die Ausländerbehörden über laufende Gerichtsverfahren zu informieren, damit es eben nicht zu rechtmäßigen Abschiebungen kommt und Asylsuchende vor vollendete Tatsachen gestellt werden.
Für all diese Ziele, meine Damen und Herren, machen wir konkrete Vorschläge. Am besten fänden wir es, wenn das Ganze unterstützt und begleitet wird durch eine Expertenkommission, bestehend aus Wissenschaftlern, Richtern, Verwaltungsmitarbeitern, Rechtsanwälten und Dolmetschern, also den Menschen, die tatsächlich wissen, wie das Asylverfahren läuft, wo die Probleme in der Praxis liegen. Diese Menschen können uns dabei begleiten, im parlamentarischen Verfahren Verbesserungen auf den Weg zu bringen. Diese Verbesserungen sind zwingend notwendig. Genau darüber möchten wir mit Ihnen im Ausschuss diskutieren. Wir hoffen, dass das ergebnisoffen passiert.
Herzlichen Dank.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Michael Brand, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Dimension der Manipulationen in der BAMF-Außenstelle in Bremen war nicht so groß, wie befürchtet – glücklicherweise. Uns liegen mittlerweile ja auch Fakten vor, liebe Frau Kollegin Amtsberg. 145 Fälle, in denen manipulativ gehandelt wurde, sind jedenfalls nicht unerheblich. Deswegen ist natürlich die Frage nach der Qualitätssicherung richtig.
Wir finden, dass der Bundesinnenminister und das Ministerium sehr schnell und angemessen gehandelt haben. Wir haben im Innenausschuss ja sehr oft darüber diskutiert, und das direkt am Anfang. Wir haben dabei festgestellt, dass das BMI gehandelt hat. Ich nenne mal ein paar Dinge, die eingeführt worden sind: das „Mehr-Augen-Prinzip“ und die Überprüfung aller Auffälligkeiten, wenn in Außenstellen entweder ein deutliches Plus oder ein deutliches Minus an positiven oder negativen Entscheidungen vorlag. Man hat im Übrigen auch eine unabhängige Untersuchung durchführen lassen und den Bundesrechnungshof gebeten, das zu übernehmen. Bis zum Abschluss der Überprüfungen wurde der Bremer Außenstelle eben auch untersagt, weitere Asylentscheidungen zu treffen. Gleichzeitig wurden in der Tat eine Reihe von Maßnahmen zur Stärkung der Qualitätssicherung ergriffen.
Ich denke, hier ist auch politisch festzuhalten, dass die Sachaufklärung uns mehr hilft als die Polarisierung. Ich glaube, das ist die angemessene Antwort. Wir haben ja in der Debatte festgestellt, dass die Polarisierer – jetzt gucke ich nicht die Grünen an – im Parlament rechts und links sitzen. Die AfD behauptet bis heute wahrheitswidrig, dass unser Staat und unsere Beamtinnen und Beamten im BAMF eigentlich überhaupt nichts im Griff hätten.
({0})
Und Frau Jelpke hat erklärt, der BAMF-Skandal sei aufgebauscht worden, eigentlich habe es gar keinen gegeben.
({1})
Insofern bin ich den Grünen sehr dankbar dafür, dass sie in einem sehr wohltuenden Stil Punkte angesprochen haben.
Ich will auf einzelne Punkte eingehen, weil man, lieber Herr Gauland, nicht immer gleich einen roten Kopf bekommen sollte,
({2})
sondern einfach mal die Fakten zur Kenntnis nehmen sollte.
({3})
Frau Jelpke, für Sie gilt genau das Gleiche.
({4})
Die CDU/CSU misst der Qualitätssicherung im BAMF große Bedeutung bei.
({5})
Herr Präsident!
({6})
– Frau Weidel, reden Sie jetzt, oder rede ich?
Herr Kollege Brand, Zwischenrufe gibt es. Reden Sie einfach weiter.
({0})
Wenn es zu laut wird, werde ich eingreifen. Aber es geht noch.
Herzlichen Dank, Herr Präsident, für die Unterstützung.
({0})
Man sieht: Getroffene Hunde bellen. Sie fühlen sich von dem Vorwurf, den ich hier mache, getroffen.
({1})
Ich kann für uns als CDU/CSU nur sagen, dass wir der Qualitätssteigerung nachweislich große Bedeutung zumessen.
({2})
Herr Kollege Brand, jetzt möchte die Frau Kollegin Vogler aus der Fraktion Die Linke eine Zwischenfrage stellen.
Ich halte mich an Ihren Rat und spreche weiter.
({0})
Bitte sehr.
Wir haben schon im Koalitionsvertrag den Start einer Qualitätsoffensive im BAMF festgeschrieben. Im Übrigen ist auch im Masterplan des Bundesinnenministers entgegen der Auffassung der Antragsteller eine Qualitätssicherung im Asylverfahren vorgesehen. Das halten wir im Übrigen auch für sehr wichtig, und zwar aus zwei Gründen: zum einen zur Stärkung des Vertrauens in die Rechtmäßigkeit der BAMF-Entscheidungen und zum anderen zur Beschleunigung der Verfahren durch konstruktive Qualitätshinweise an einzelne Außenstellen und Bearbeiter.
Ich will auf ein paar Punkte eingehen, die Sie angesprochen haben, Frau Kollegin Amtsberg. Sie sprechen 37 Einzelmaßnahmen an. Wir haben einen Großteil davon weitgehend umgesetzt, einen nicht unerheblichen Teil umgesetzt, und andere wollen wir aus guten Gründen nicht umsetzen. Ich zähle beispielhaft ein paar Maßnahmen auf – das trägt vielleicht zum Erkenntnisgewinn bei –:
Asylsuchende werden seit Herbst 2016 bundesweit flächendeckend frühestmöglich erkennungsdienstlich behandelt und zentral registriert.
Die Sachentscheidungen im Asylverfahren werden mittlerweile wieder grundsätzlich von den Mitarbeitern getroffen, die auch die Anhörung durchgeführt haben. Eine vollständige Rückkehr zur Einheit von Anhörern und Entscheidern wird angestrebt.
Eine effektive Qualitätssicherung ist durch stichprobenweise Überprüfungen bereits gewährleistet. So werden im Umfang von 10 Prozent die täglichen Aktenlagen, die täglichen Anhörungen und die täglichen Abschlussarbeiten anhand von Checklisten in Außenstellen kontrolliert.
Zudem werden alle Bescheide, das heißt nicht nur Asylbescheide, sondern auch Widerrufsbescheide, zu 100 Prozent vor Zustellung überprüft.
Regelmäßige stichprobenartige Überprüfungen erfolgen zudem seitens der BAMF-Zentrale durch monatliche Stichprobenüberprüfungen.
({0})
– Herr Baumann, das stimmt doch wieder nicht, was Sie in Ihrem Zwischenruf sagen. Nehmen Sie doch einfach mal die Dinge zur Kenntnis. Lautstärke ersetzt keine Argumente. Hören Sie doch zu! Wir haben gehandelt.
({1})
Deswegen sind die Zustände andere als die, die Sie ständig beschreiben.
Ich will in einem Punkt widersprechen, Frau Amtsberg – diese Forderung werden wir nicht aufgreifen –: Auf die Durchführung von Dublin-Verfahren kann auch dann nicht verzichtet werden, wenn die Überstellung „voraussichtlich ausweglos“ erscheint, da die Dublin‑III-Verordnung unmittelbar geltendes Recht ist.
({2})
Ich will zusammenfassend sagen: Die geforderte umfassende Reform im BAMF ist bereits eingeleitet. Sie wird konsequent weitergeführt. Wir als CDU/CSU werden diesen Weg – da können Sie sich sicher sein – konstruktiv und kritisch begleiten.
Danke schön.
({3})
Herr Präsident! Werte Kollegen! Seit Bekanntwerden des Skandals um die Bremer Außenstelle Anfang des Jahres sind ja schrittweise immer erschreckendere Details über die Arbeitsweise des Amtes und die zugrundeliegende Politik bekannt geworden. Deswegen kann ich die Schönrednerei von eben nicht verstehen, wenn man die Schuldzuweisungen innerhalb der Regierung im Innenausschuss mitbekommen hat.
Dabei geht es nicht nur um die eine oder andere Außenstelle; das Versagen hat System. Die Bundesregierung hat offenbar 2015 – mitten im großen Flüchtlingsansturm – entschieden, nicht zum Wohle des Volkes, sondern zum Wohle der Statistik zu handeln und mit aller Gewalt den Aktenberg abzutragen. Am schnellsten ging das durch einfaches Abnicken und Durchwinken von Tausenden von Asylanträgen, wie es schon der Personalrat des BAMF vorausschauend 2015 kritisiert hat.
({0})
Deshalb ist es völlig berechtigt, dass man sich bei der Überprüfung der Asylbescheide in Bremen gezielt auf die positiven Asylbescheide konzentriert. Ein Bundesamt, das selbst einem aktiven Bundeswehrsoldaten Asyl gibt, zeigt auch, wie überhastet und unprofessionell Asylanträge aufgrund von ungeschultem Personal entschieden werden – wofür das Personal nichts kann.
({1})
Eine solche Behörde macht sich mit dieser Politik zur Beute von Betrügern und Schleppern, die eine humanitäre Katastrophe wie die Asylkrise für ihre eigenen niederen Ziele ausnutzen, seien es finanzielle Gewinne oder Terrorismus.
Die Reformvorschläge der Grünen, die selbsterdachte Qualitätsoffensive für das BAMF wiederum, können wir beim besten Willen nicht gebrauchen.
({2})
Ihr Vorschlag hat nämlich nichts mit Qualitätssicherung zu tun, sondern Sie wollen das BAMF endgültig und systematisch zur positiven Abstempelbehörde machen. Für jeden einzelnen Fall wollen Sie großzügige Zeiträume, viel zusätzliches Personal, finanzielle Unterstützung bei der Beweisfindung – natürlich pro Antragsteller –, neben den üblichen Gerichtsverfahren noch ein neues, nebulöses Beschwerdesystem. Die persönliche Anhörung soll von entscheidungserheblicher Bedeutung sein, die Bewertung des Einzelfalles darf nicht aus Textbausteinen bestehen, natürlich soll aber alles weiterhin strikt an objektiven Kriterien hängen.
({3})
Da können Sie neben den geforderten Neueinstellungen im BAMF gleich noch mal so viele Richter einsetzen, um die zu erwartende Klagewelle zu bewältigen.
Das Ziel Ihres Antrages ist eindeutig: Sie wollen systematisieren, was die Bundesregierung bis zum Bekanntwerden des Skandals in diesem Jahr schon heimlich in die Praxis umgesetzt hat. Die einzige Möglichkeit, bei weiterhin deutlich über 10 000 Asylanträgen pro Monat den Aktenberg abzutragen, ist, ein Verfahren möglichst schnell positiv zu bescheiden. Wer abgelehnt wird, klagt. Abgelehnte Anträge landen irgendwann wieder auf irgendeinem Tisch. Das alles verhagelt die heilige Statistik, die immer pünktlich zu irgendeiner Wahl ganz besonders schön aussehen muss.
Sie bedauern in Ihrem Antrag die mangelnde Glaubwürdigkeit der vom BAMF getroffenen Asylentscheidungen. Ja, warum sind sie unglaubwürdig? Weil die altbekannte, erbarmungslose deutsche Bürokratie sich Zeit gelassen hat, jeden Fall objektiv zu prüfen? Oder war es vielleicht doch, weil man ganz offensichtlich jede Pflicht zur Sorgfalt zugunsten der Massenabfertigung hat fallen lassen?
({4})
Das alles wollen Sie verbessern, indem Sie hinter jedem Prüfer noch einmal Armeen von Instanzen, Nachprüfern und Beschwerdestellen positionieren. Diese sollen ihm auf die Finger schauen, ob er nicht besser acht Wochen auf das mögliche Eintreffen von Dokumenten gewartet hätte, oder ob er die persönliche subjektive Geschichte des Antragstellers auch objektiv bewertet hat.
Dazu kommt die Tatsache, dass Ihr Vorschlag natürlich erst einmal jeden ins Land holt und dann erst prüft. Auch die regierungsfreundlichsten Statistiken und Meldungen zeigen, dass selbst die abgelehnten Asylbewerber das Land nur in Ausnahmefällen verlassen müssen, sofern sie nicht freiwillig gehen – egal, ob ausreisepflichtig, wie es Ende 2017 über 100 000 waren, oder geduldet, wie der IS-Terrorist, der in dieser Woche in Köln ein Mädchen mit einem Brandsatz verletzt und eine Geisel terrorisiert hat, ein Mann, der schon 2015 aus unserem Land hätte abgeschoben werden sollen –, nur, das BAMF hat die Frist verpasst. Das Interesse der hier schon länger Lebenden kommt in Ihrem Antrag nicht vor.
Nein, wenn Sie das BAMF entlasten wollen, dann muss der allererste Schritt sein, dass Sie die Asylzahlen reduzieren.
({5})
Denn während man sich mal wieder über die gesunkenen Asylzahlen von 2018 in der Koalition auf die Schulter klopft, sind diese nur im Vergleich zum Höhepunkt der Asylkrise niedrig. Schaut man in die offiziellen BAMF-Zahlen, so haben wir allein im bisherigen Jahr 2018 schon das Fünffache der Asylanträge des gesamten Jahres 2008.
Setzen Sie mit der Durchwink- und Abstempelpraxis keine Anreize! Unterbinden Sie den Shuttleservice auf dem Mittelmeer! Lassen Sie Asylanträge außerhalb Europas stellen und weisen Sie konsequent jeden an der Grenze ab, der aus einem sicheren Drittstaat einreisen will.
({6})
Entweder haben Migranten einen Antrag in einem anderen EU-Land gestellt, dann müssen sie dorthin und können über ein funktionierendes Verteilsystem nach Deutschland kommen, oder sie sind illegal hier. Helfen Sie mit, die rechtswidrige und willkürliche Aussetzung des Artikels 16a Grundgesetz seit 2015 zu beenden.
Zum Schluss:
({7})
Qualitätssicherung beim BAMF machen wir gerne mit. Ihr Antrag ist allerdings ein trojanisches Pferd mit dem Ziel der Institutionalisierung des seit 2015 laufenden Staatsversagens.
Vielen Dank.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Lars Castellucci, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns – und sie zahlen auch Steuern dafür –, dass die staatlichen Institutionen, die wir haben, funktionieren und ihre Arbeit gut machen. Deshalb ist es unsere Pflicht, für bestmögliche Verfahren und für eine bestmögliche Arbeit auch im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu sorgen. Die Hinweise, die wir aus dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen bekommen haben, werden wir uns anschauen; denn das Bessere ist der Feind des Guten, und Qualitätsmanagement im BAMF ist nicht irgendetwas, das irgendwann einmal beendet ist nach dem Motto: „Jetzt haben wir die Qualität, und anschließend läuft es dann“, sondern wir müssen ohnehin immer am Ball bleiben und auf die Qualität achten.
Im Ansatz unterscheiden wir uns allerdings; denn Sie stellen eine Reihe von Maßnahmen vor, und ich würde mit Ihnen zunächst gern über die Frage sprechen, was unsere gemeinsamen Ziele sein könnten. Ich habe mir drei für mich ganz zentrale Kennzahlen dafür herausgesucht. Ich denke, daran könnten wir messen, ob wir auf einem guten Weg sind. Offen gestanden sind das die Kennzahlen, die uns schon seit drei Jahren beschäftigen.
Erstens. Wie lange dauern eigentlich diese Verfahren? Viele Fragen, die wir hier im Bundestag miteinander behandeln, hängen damit zusammen, dass die Verfahren zu lange gedauert haben und dass wir dann mit Menschen zu tun haben, die hier schon seit vielen Jahren ansässig sind und natürlich angefangen haben, sich in diesem Land einzuleben, obwohl sie überhaupt noch nicht wissen, ob ihrem Antrag am Ende stattgegeben werden kann oder nicht. Wir hatten schon im Koalitionsvertrag von 2013 drinstehen: drei Monate Verfahrensdauer. Das ist das, was wir anstreben, und ich sage für die SPD-Bundestagsfraktion: Bei dieser Forderung bleiben wir. In drei Monaten sollte regelmäßig ein Asylantrag fair, gerecht und rechtsstaatlich ordentlich beschieden werden können.
({0})
Aber dort sind wir noch nicht.
Zweiter Punkt: unbearbeitete Anträge. Ihre Zahl ist deutlich gesunken, sie droht aber im Moment wieder zu steigen; denn wir sind nun in der Phase, in der wir jeden genehmigten Asylantrag nochmals anschauen werden, und zwar genau deshalb, weil wir sicher sein wollen: Wer ist im Land? Wie ist es mit der Registrierung? Ist uns wirklich keiner durch die Lappen gegangen? – Deshalb macht es Sinn, jetzt im Rahmen dieser Widerrufsprüfung zu schauen: Wer ist im Land? Sind die Verfahren ordentlich gelaufen? Haben wir alle Daten usw. erhoben? Damit droht wieder ein Steigen der Zahl der liegengebliebenen Fälle. Das wollen wir nicht akzeptieren. Quantität und Qualität darf man nicht gegeneinanderstellen. Wir wollen, dass dieser Berg unbearbeiteter Verfahren nach und nach abgebaut wird.
({1})
Ein dritter Aspekt betrifft die Frage: Wie viele dieser Verfahren sind eigentlich gerichtsfest? Dazu muss ich sagen, dass die Zahlen im Jahr 2017 alles andere als ermutigend waren. Es sind zwar Verfahren durchgeführt worden – ich glaube auch, mit großem Bemühen vieler Beteiligter –, aber am Ende muss man ja schauen, wie die Realität ist. Die Realität ist: Viele der Verfahren, über ein Drittel, waren am Ende nicht gerichtsfest. Wir müssen uns, gemeinsam mit unserem Koalitionspartner, das ehrgeizige Ziel setzen, diese Zahl auf jeden Fall auf unter 10 Prozent zu reduzieren, damit ordnungsgemäße Verfahren ihren Ausdruck darin finden, dass am Ende Gerichte sagen: Ja, das BAMF hat das Verfahren ordentlich durchgeführt und ist zur richtigen Entscheidung gekommen.
({2})
Alle diese Forderungen dürfen wir nicht einfach auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abwälzen, um quasi den Druck, den wir spüren, einfach weiterzugeben an die Beamtinnen und Beamten und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern sie brauchen auch unsere Unterstützung dabei.
({3})
Was ich von der Führung des Bundesamtes einfordere, ist, dass man uns sagt, was das Bundesamt dafür braucht. Diese Offenheit der Kommunikation zwischen der Führung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und dem Innenministerium, klare Ansagen, wie viel Personal man braucht, wie es mit Befristung oder Entfristung aussieht, was man an Ressourcen braucht, diese klare Kommunikation muss gewährleistet sein.
Ich sage das jetzt auch noch mal – offen gestanden eher an die Adresse unseres Koalitionspartners –: Wenn wir diese Verfahren verbessern wollen, dann ist ein entscheidender Schlüssel, dass wir die unabhängige Verfahrensberatung, die wir in unserem Koalitionsvertrag vereinbart haben, wirklich auch in der Fläche unabhängig umsetzen. Wir wissen es aus den Niederlanden, wir wissen es aus der Schweiz: Wenn eine unabhängige Asylverfahrensberatung eingewoben ist in die Asylverfahren, dann dauern sie nicht so lange und dann sind sie am Ende vor Gericht auch eher bestandsfest, und das sollte ja unser gemeinsames Ziel sein.
({4})
Das beste Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nützt uns allein gar nichts; denn die Probleme fangen ja nicht erst an, wenn bei uns Anträge gestellt sind.
({5})
Ein Punkt ist zum Beispiel – der ist ganz zentral –, dass Menschen, die sich auf den Weg machen, sehr frühzeitig einschätzen können müssen – durch Beratung, durch Unterstützung und Hinweise, die sie nicht von Schleppern und Schleusern bekommen, sondern von ordentlichen Institutionen –: Habe ich eigentlich eine Chance, dass ein Asylantrag, den ich stelle, genehmigt wird in Europa, oder habe ich das nicht? Oder habe ich andere Möglichkeiten? Wir wollen uns aufmachen, ein Einwanderungsgesetz für dieses Land zu schaffen. Das gibt Menschen, die kein Anrecht auf Asyl haben, eine Chance auf einen anderen Weg, auf Arbeitsmigration; auch das wird unsere Asylverfahren entlasten, und dafür arbeiten wir in diesem Herbst ganz intensiv.
({6})
Ein zweiter Punkt ist: Wo kommen denn die Menschen an? Die Menschen kommen, wenn sie über das Meer kommen, auf den Inseln an, in Griechenland, zum Teil auch in Spanien, viele in Italien. Wir müssen es schaffen, dass dort Asylverfahren schnell und rechtsstaatlich einwandfrei durchgeführt werden. Das ist überhaupt der Schlüssel: Gar nicht erst verteilen, gar nicht erst dieses Karussell in Gang setzen, sondern zu guten Verfahren, direkt wenn die Menschen Europa erreichen, kommen und dafür gemeinsame Standards in Europa durchsetzen. Wir brauchen ein europäisches Asylsystem, gemeinsame Standards. Es darf kein Zufall sein, ob man dort, wo man anlandet, eine Chance hat, ja oder nein. An dieser Europäisierung müssen wir mit aller Kraft arbeiten.
({7})
Ein letzter Aspekt, der in Ihrem Antrag, verehrte Frau Amtsberg, auch fehlt; er betrifft den für mich wichtigsten Punkt, und das ist die Integration. Denn das Bundesamt ist ein Bundesamt für Migration. Migration gibt es und wird es weiter geben. Am Ende kommt es darauf an, dass die Menschen, die dann hier sind, gut miteinander zusammenleben und das auch miteinander einüben können.
({8})
Ich will, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auch unser Kompetenzzentrum für das Thema Integration wird, dass wir es darin stärken. Wir wissen alle, worauf es ankommt: Es kommt auf Sprache an, es kommt auf Arbeit an, es kommt auf die Unterkunft an.
Aber das Allerwichtigste ist mir, dass wir Gelegenheiten schaffen, wo sich die Menschen begegnen können. Wenn ich in meinem Wahlkreis unterwegs bin und ich dann vielleicht eine ältere Dame treffe, die irgendwo im Stadtzentrum wohnt, und die mir dann sagt: „Herr Castellucci, ich fühle mich manchmal fremd im eigenen Land“, dann sortiere ich die nicht irgendwie links oder rechts ein mit ihrer Aussage, sondern ich nehme erst mal wahr, wie sie ihre Umwelt sieht. Sie sieht sie nämlich so, dass da andere Leute hingezogen sind, dass vielleicht viele weggezogen sind, dass plötzlich andere Sprachen um sie herum gesprochen werden, dass es vielleicht anders riecht; dass sich einfach viel verändert hat. Wir dürfen diese Menschen nicht alleinlassen darin, in dieser neuen Umwelt zurechtzukommen, sondern wir müssen für sie Gelegenheiten schaffen, einander zu begegnen, in Beziehungen miteinander zu kommen. Denn wenn wir einander begegnen, dann können wir uns kennenlernen, und wenn wir uns kennenlernen, dann können wir auch viele Ängste runterfahren, die in diesem Land vorhanden sind,
({9})
und dann können wir das auch gut miteinander schaffen, was Integration bedeutet, nämlich das gute Zusammenleben in unserem Land, von allen Menschen, die bei uns sind.
Vielen Dank.
({10})
Jetzt hat das Wort die Kollegin Linda Teuteberg, FDP.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im zurückliegenden Jahr haben wir in diesem Haus lang und viel über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gesprochen. Auch wenn das Thema im Augenblick aus den Schlagzeilen verschwunden ist: Die Probleme sind es nicht; viele Fragen, die uns hier bewegt und beschäftigt haben, sind längst nicht beantwortet.
Der neue Präsident des Bundesamtes hat kürzlich im Innenausschuss gesagt, dass, selbst wenn die Dimension erst mal geringer aussieht – wenn man die eher geringe Zahl von Fällen, in denen wirklich vorsätzlich rechtswidrige Entscheidungen gefällt wurden, sieht –, die strukturellen Probleme gleichwohl da sind und nicht kleingeredet werden dürfen. Da, denke ich, sollten wir uns einig sein.
({0})
Wie tiefgreifend und umfassend allerdings das Versagen der Bundesregierung beim Umgang mit dieser Behörde war, daran erinnert nicht nur die Kritik in den Vorbemerkungen im Antrag der Grünen, sondern das machen vor allem auch die Forderungen der Kolleginnen und Kollegen deutlich – die ich zum größten Teil sehr begrüße –, die viel zu oft eigentlich schlichte Selbstverständlichkeiten sind: was die Gründlichkeit der Verfahren betrifft, was die Ausbildung angeht, die Zuverlässigkeit von Dolmetschern, die Qualitätssicherung und auch das interne Informationsmanagement – alles Themen, die wir auch schon in den verschiedenen Sitzungen des Innenausschusses selbst angesprochen haben. Das alles hat in den letzten Jahren mehr als unzureichend funktioniert.
Auf die Bundesregierung ist dabei leider kein Verlass. Von der tiefgreifenden Reform, die Minister Seehofer hier am 8. Juni versprochen hat, ist bisher leider wenig zu sehen. Darum muss das Parlament Treiber der Veränderung sein. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass auch die Kollegen von den Grünen nicht – wie manchmal – unnötige Gegensätze aufbauen. Die gründliche Aufklärung der Vergangenheit genauso wie das Angehen von Reformen für die Zukunft sind keine Gegensätze, sie gehören zusammen.
({1})
Gerade wenn wir wollen, dass sich der Innenausschuss auf die notwendigen gesetzgeberischen Verbesserungen konzentrieren kann, sollte er sich nicht unnötig mit Sondersitzungen beschäftigen müssen. Auch in der Sache ist es besser, hier keine unnötigen Gegensätze aufzubauen. Die notwendige Reform und Stärkung des BAMF – was alles dort zu tun ist, ob es die personelle Stärkung ist oder die Arbeit an den genannten Bereichen, wo es Defizite in der Qualität gibt – ist doch kein Gegensatz zu anderen nötigen Maßnahmen wie der, über die wir hier gestern debattiert und abgestimmt haben, bei den sicheren Herkunftsstaaten etwa. Die Herausforderung, Migration rechtsstaatlich und wirksam gleichermaßen zu steuern, ist so groß, dass wir an ganz vielen Stellen ansetzen müssen. Rechtliche und tatsächliche Hindernisse angehen, im Ausgangsverfahren ebenso wie bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht, wenn tatsächlich nach einem rechtsstaatlichen Verfahren ein Anspruch abgelehnt wurde, all das gehört zusammen und ist nicht gegeneinander auszuspielen.
({2})
Insofern finde ich es ganz positiv, wenn Kollege Castellucci hier die Integration anspricht. Auch die muss man überhaupt nicht im Gegensatz sehen zur notwendigen Aufräum- und Reformarbeit beim BAMF. Ich würde eher sagen, umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wenn wir dort mehr Vertrauen in korrekte Verfahren schaffen, wird das auch die Akzeptanz für die notwendige Integration erhöhen.
({3})
Deshalb appelliere ich an uns alle, keine unnötigen Gegensätze aufzubauen, wo sie gar nicht da sind, sondern hier gemeinsam nach sinnvollen Lösungen zu suchen. Da sollten wir als Parlamentarier, Koalition und Opposition gleichermaßen, den Auftrag annehmen, Reformen auf den Weg zu bringen, zu denen die Exekutive offenbar unzureichend in der Lage ist. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns zu Recht, dass wir nach den Schwierigkeiten und Skandalen der letzten Jahre Ordnung schaffen und diese Behörde so aufstellen, dass sich diese Vorgänge nicht wiederholen können. Dafür werden wir Freien Demokraten uns jedenfalls mit aller Entschiedenheit einsetzen.
Vielen Dank.
({4})
Jetzt hat das Wort die Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Brand, ich glaube, es gibt kaum eine andere Fraktion in diesem Haus, die so viele Nachfragen zu den strukturellen Mängeln und Fehlern beim BAMF gestellt hat und auch Berichte im Innenausschuss beantragt und Haushaltsanträge gestellt hat, im Übrigen schon im Jahre 2013, was Personal beim BAMF angeht. Es ist wirklich eine Frechheit, wenn Sie sich jetzt hierhinstellen und so tun, als wenn Sie die Einzigen wären, die hier irgendetwas verbessert haben.
({0})
In der Tat – ich wiederhole es gerne – sind wir der Meinung, dass der angebliche BAMF-Skandal von Bremen ein konstruierter gewesen ist.
({1})
Hier ist vielmehr eine humanitär ausgerichtete Behördenleiterin runtergemacht worden.
({2})
Ihr Motiv war – das muss man sich einfach mal klarmachen –, verfolgten, traumatisierten, offensichtlich schutzbedürftigen jesidischen Flüchtlingen, von denen viele einem grausamen Völkermord entronnen waren, möglichst unkompliziert und schnell einen Schutzstatus in Deutschland zu verschaffen. Übrigens lag die Anerkennungsquote bei dieser Gruppe, um die es in Bremen ging, bundesweit bei etwa 100 Prozent.
({3})
Und was wurde vom Staatssekretär in die Öffentlichkeit getragen? „Korruption“, „organisierte Kriminalität“, „etwaige Geldzahlungen“ usw. Tatsächlich hat inzwischen ein Gericht veranlasst, dass das BMI solche Äußerungen von der Homepage nehmen muss bzw. nicht mehr aussprechen darf.
({4})
Es ist meines Erachtens wirklich ein Skandal, wie Sie mit dieser Frau umgehen.
Es geht hier vor allen Dingen um den Schutz. Ich will damit nicht sagen, dass es nicht aufgedeckt werden muss, wenn gegen Dienstvorschriften verstoßen wurde. Aber hier wurde wirklich ein Skandal aufgebauscht. Über Wochen wurden beispielsweise Falschmeldungen in den Medien verbreitet, in denen es immer wieder hieß, dass in Bremen in 1 200 Fällen zu Unrecht ein Schutzstatus erteilt worden sein soll. Tatsächlich hat es 2018 eine Prüfung gegeben: In 1 100 Fällen wurden Widerrufsprüfungen durchgeführt. Herr Kollege Brand, es wurden zwar in 125 Fällen Mängel festgestellt,
({5})
aber nur in 19 Fällen ist tatsächlich der Schutzstatus zurückgenommen worden. Nicht in allen Verfahren, in denen es Mängel gab, ist der Schutzstatus zu Unrecht erteilt worden. Das möchte ich Ihnen zur Richtigstellung mitgeben.
({6})
In diesem Zusammenhang will ich ganz klar sagen: Skandalös ist meines Erachtens nicht der völlig zu Recht gewährte Schutz, was die Jesiden oder auch andere Flüchtlinge angeht. Skandalös sind vielmehr die vielen zu Unrecht erfolgten Ablehnungen durch das BAMF. Allein im Jahr 2017 mussten die Verwaltungsgerichte 32 500 Asylbescheide – das sind etwa 40 Prozent – wieder aufheben, weil es Verfahrensmängel beim BAMF gab. Hier wurden Schutzsuchende im Grunde genommen alleingelassen, ihnen wurde kein Schutz gewährt. Das ist der eigentliche Skandal.
({7})
Skandalös ist auch, dass diejenigen, die für Verfahrensmängel beim BAMF politisch verantwortlich sind, bis heute keinerlei Reue und Einsicht gezeigt haben. Es waren Innenminister der CDU und der CSU, die sehenden Auges über Jahre hinweg, trotz mehrfacher Hilferufe aus dem BAMF, nicht für eine ausreichende Personalausstattung und eine funktionierende Technik im BAMF gesorgt haben. Statt diese wichtige Behörde für die Aufgaben in dieser Zeit, im Jahr 2015, entsprechend auszurüsten, hat man sie alleingelassen. Darum galt nach dem Wechsel an der BAMF-Spitze, als Herr Weise kam, auch das Motto: Masse statt Klasse. – Es ging also um Verfahrenserledigung um jeden Preis. Das ging natürlich zulasten der Qualität und übrigens auch auf Kosten der Gesundheit der Beschäftigten beim BAMF.
({8})
Auch bei der Fachaufsicht über das BAMF hat das Bundesinnenministerium komplett versagt: Statt seiner Aufsichtspflicht nachzukommen, hat das BMI seine Energie in diverse Verschärfungen von Gesetzen gesteckt, zum Beispiel bei der Familienzusammenführung.
Frau Kollegin Jelpke, achten Sie bitte darauf, dass Ihre Redezeit zu Ende ist?
Ja. Ich komme zum letzten Satz. – So viel zur Skandalisierung der Verfahrenspraxis.
Für uns ist völlig klar, dass es richtig ist, den Grünenantrag im Ausschuss zu beraten und in diesem Zusammenhang weiterhin Kontrolle auszuüben. Deswegen begrüßen wir diesen Antrag.
Ich danke Ihnen.
({0})
Michael Kuffer, CDU/CSU, ist der nächste Redner.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Das BAMF ist aus dem Fokus der Medien gerückt – dafür ist Herrn Präsidenten Sommer, vor allem aber auch dem Bundesinnenminister zu danken –,
({0})
aber ihm gilt weiterhin unsere volle Aufmerksamkeit. Zu wichtig ist seine Funktion als zentrales Instrument der Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung. Zu wichtig ist seine Funktion als Instrument zur Unterscheidung der Fälle von Menschen, die unsere Hilfe brauchen, von jenen Fällen von Menschen, die sie wollen, die aber eben in keiner humanitären Notlage sind. Zu wichtig ist auch seine Funktion als Sicherheitsbehörde.
Wenn ich Ihnen jetzt sage, dass in diesem Amt im letzten halben Jahr meines Erachtens unglaublich viel erreicht worden ist und damit auch Vertrauen zurückgewonnen worden ist, dann ist das kein Widerspruch dazu, dass wir unsere Bemühungen sehr konsequent fortsetzen müssen
({1})
und – das möchte ich hinzufügen – dauerhaft ein Ohr für die Belange dieser Behörde haben müssen, gewissermaßen in der Mühsal der Ebene und eben nicht nur in Sonntagsreden.
Wir haben mit dem Haushalt 2018 fast 1 650 zusätzliche Stellen für das Amt ermöglichen können. Wir haben knapp 4 500 Stellen entfristet. Man sieht auch, dass damit im Hinblick auf die Verfahrensbeschleunigung entscheidende Wirkungen erzielt worden sind. Der Rückstand ist fast vollständig abgebaut worden. Hatten wir zu Beginn des Jahres 2017 noch 430 000 offene Verfahren, waren es im September 2018 weniger als 60 000, wobei 90 Prozent dieser Verfahren jünger als 12 Monate waren. Wir haben aktuell eine Bearbeitungsdauer von 2,9 Monaten. Damit sind wir, glaube ich, auf einem sehr guten Weg, was die Verfahrensdauer betrifft.
({2})
Fachaufsichtliche Instrumente sind erheblich gestärkt worden, zum Teil neu eingeführt worden. Ein erweitertes Qualitätssicherungssystem ist etabliert. Es sind neue IT-Tools zur Identitätsfeststellung eingeführt worden. Die Pilotierung von Systemen zur Anhörungsunterstützung für Entscheider läuft.
Aber noch wichtiger – das möchte ich an dieser Stelle mit großem Dank hervorheben – ist freilich der Faktor Mensch. Mit der neuen Führung des Amtes hat nach meiner Wahrnehmung auch eine neue Führungskultur Einzug gehalten. Ich möchte an dieser Stelle Herrn Präsidenten Dr. Sommer, Frau Vizepräsidentin Schumacher und Herrn Vizepräsidenten Dr. Richter – stellvertretend für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – ausdrücklich für den Einsatz und die Zurückerlangung von Vertrauen danken.
({3})
Insofern sage ich Ihnen auch: Das BAMF des Jahres 2018 ist nicht mit dem BAMF der Jahre 2014 bis 2016 gleichzusetzen. So oder so möchte ich hier eine Lanze für die Mitarbeiter brechen: Die übergroße Mehrheit der BAMF-Mitarbeiter hat auch in den Jahren 2014 bis 2016 – –
({4})
– Es ist bezeichnend, dass Sie gerade, wenn es um die Mitarbeiter geht, wieder dazwischenkrakeelen. – Aber darum geht es mir jetzt: Der übergroße Anteil der Mitarbeiter hat auch in den schwierigen Jahren des BAMF die Aufgaben sorgfältig und korrekt verrichtet, und dies – das muss man immer wieder sehen – in einer beispiellosen Überlastungssituation.
({5})
Für die Zurückgewinnung des Vertrauens war und ist freilich auch die Aufarbeitung der Vorkommnisse essenziell. Die Prüfung durch die interne Revision hat ergeben, dass von den 4 568 Verfahren, an denen die verdächtigen Anwaltskanzleien beteiligt waren, 601 Fälle schwere Mängel aufwiesen, die dann auch zu Widerrufs- und Rücknahmeverfahren geführt haben; in 1 047 Fällen lagen formale Fehler und Unplausibilitäten vor, die aber in der Sache zu keiner falschen Entscheidung geführt haben.
Alle positiven Entscheidungen der Außenstelle Bremen seit 2006 sind mit einem immensen Aufwand geprüft worden: 63 Vollzeitentscheider, 13 000 Akten zu 18 000 Antragstellern, die gesichtet worden sind. Dafür wirklich sehr herzlichen Dank! Das war für die Zurückgewinnung des Vertrauens ebenso wichtig wie die hervorragende Zusammenarbeit des Amtes mit den Ermittlungsbehörden. Insofern glaube ich, dass in puncto Vertrauen sehr viel Boden gutgemacht worden ist.
Aus alldem waren Lehren zu ziehen, die auch gezogen worden sind. Qualität geht vor Quantität. Bundesminister Seehofer und Staatssekretär Mayer haben dies immer wieder bekräftigt, und ich halte es für richtig. Die Mitarbeiter- und die Abarbeitungszahlen müssen im richtigen Verhältnis zueinander stehen. Insofern glaube ich, dass das Amt nun auch für neue Aufgaben gerüstet ist.
Herr Kollege Kuffer, der Kollege Baumann möchte eine Zwischenfrage stellen.
Nein, danke; mit Rücksicht auf die Kollegen, die alle nach Hause müssen, jetzt nicht mehr.
({0})
Ein Beispiel für eine solche neue Aufgabe ist die Einbindung in die AnKER-Zentren und damit eben auch eine noch bessere und engere Zusammenarbeit mit den Verwaltungsgerichten.
Insofern will ich abschließend sagen, dass viel erreicht worden ist, dass wir weiterhin die Aufmerksamkeit auf dieses Amt richten müssen und werden. Aber einen Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wie Sie ihn hier stellen, in dem Sie Selbstverständlichkeiten postulieren wie „Alle im Rahmen der Anhörung vorgetragenen Gründe sind im Rahmen der Bescheiderstellung sorgfältig zu prüfen und zu bewerten“, den – man könnte sagen: derlei Gebrauchsanweisungen – brauchen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Amtes, glaube ich, nicht.
Vielen Dank.
({1})
Nächster und letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Josef Oster, CDU/CSU.
({0})
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Natürlich stehen auch wir von der Union für rechtssichere und gute Asylverfahren.
({0})
Natürlich sind auch wir uns bewusst, dass es beim BAMF durchaus erhebliche Defizite gab. Ich will noch mal betonen, was Kollege Kuffer gerade schon gesagt hat: Uns ist klar, dass dafür nicht mangelnde Leistungsbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verantwortlich war. Das Problem war, dass die Politik schlicht und ergreifend zu spät die notwendigen Ressourcen dort bereitgestellt hat. Das muss man so auch unumwunden benennen.
({1})
Entscheidendes hat sich aber mittlerweile im BAMF geändert. Es hat einen deutlichen Stellenaufwuchs gegeben, und es hat auch einen qualitativen Schub gegeben. Das BAMF ist aktuell in der Lage, sehr weitgehend seinen Auftrag zu erfüllen. Einiges bleibt – das ist uns bewusst – durchaus noch zu tun.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Einschätzung des Antrages der Grünen gibt es zu unserer Auffassung aber einen gravierenden Unterschied: Wir wollen gute, aber wir wollen auch schnelle Verfahren.
({2})
Würde man alle Vorschläge dieses grünen Antrages vollständig umsetzen, würde das zu deutlich längeren Asylverfahren in Deutschland führen, und das wollen wir ausdrücklich nicht.
({3})
Möglicherweise ist dieser Nebeneffekt von Bündnis 90/Die Grünen durchaus gewollt.
({4})
Denn auch bei der Anerkennung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer verzögern sie seit Monaten beschleunigte Asylverfahren.
({5})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wo aber wollen wir eigentlich hin? Wir brauchen nach meiner Überzeugung konsequente, menschliche und faire Asylverfahren in Deutschland. Was heißt das für mich? Was heißt das für die Union?
Erstens. Konsequente Verfahren müssen gut und schnell sein. Wer die Voraussetzungen für eine Asylanerkennung nicht erfüllt, muss unser Land eben umgehend wieder verlassen. Das ist im Interesse auch der betroffenen Personen, weil damit keine falschen Hoffnungen geweckt werden.
Zweitens. Die Verfahren müssen auch menschlich sein. Ein vernünftiger, rechtsstaatlicher Umgang ist dabei in Deutschland zum Glück selbstverständlich. Dafür garantiert nicht zuletzt unsere unabhängige Justiz.
Bei einer Dienstreise vor wenigen Wochen nach Griechenland musste ich feststellen, dass dort die Zustände aber alles andere als menschenwürdig sind. Die Bedingungen in dem überfüllten Flüchtlingslager auf Samos sind katastrophal und für die EU insgesamt inakzeptabel. Der Grund dafür ist ganz einfach: Die griechischen Behörden dort arbeiten schlicht und ergreifend viel zu langsam.
({6})
Auch das gehört dazu, wenn man Asylverfahren insgesamt, auch bei uns, bewerten möchte. Wenn dort täglich nur acht bis zehn Fälle bearbeitet werden, ist das für die vereinbarte Rückführung, etwa in Richtung Türkei im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens, viel zu wenig. Dort besteht akuter Handlungsbedarf, und dort sollten wir auch noch stärker helfen. Kollege Castellucci hat es eben schon angesprochen: Wenn dort die Dinge besser funktionieren, ist das auch im ureigenen Interesse Deutschlands.
({7})
Drittens. Unsere Verfahren müssen auch fair sein. Fair bedeutet für mich, keine falschen Anreize zu setzen, schnelle Rückführungen zu ermöglichen und Fehlverhalten konsequent zu ahnden. Zur Fairness gehört für mich aber auch, dass wir, wenn es um Anreize geht, uns auch über die deutschen Sozialleistungen für Zuwanderer unterhalten müssen. Denn eines ist für mich klar – ich glaube, das gilt für die Einschätzung vieler –: Natürlich sind die deutschen Sozialleistungen ein klarer Anreiz für eine Zuwanderung gerade auch in unser Land.
Wenn ich all die Dinge, die ich hier als Zielsetzung genannt habe, zusammenfasse, dann stelle ich fest: Die von uns geplanten AnKER-Zentren sind genau der richtige Weg. Dort wollen wir die von mir dargestellten konsequenten, menschlichen und fairen Asylverfahren schnell und rechtssicher gewährleisten. Den Antrag von Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren der Grünen, nehme ich daher gerne zum Anlass, Sie herzlich einzuladen, diesen Weg mit uns gemeinsam zu gehen.
Vielen Dank. Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende.
({8})
Damit sind wir am Schluss der Aussprache angelangt.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 19/4853 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Damit sind wir in der Tat am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Auch ich wünsche Ihnen ein gutes Wochenende und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 7. November 2018, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
(Schluss: 16.26 Uhr)