Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mitte Mai 2019, also in nicht allzu ferner Zeit, wählen die europäischen Bürgerinnen und Bürger ihr neues Europaparlament. Das neue Parlament wird dann die Volksvertretung von rund 450 Millionen Europäern und Europäerinnen sein; das sind fast anderthalbmal so viele Einwohner wie in den USA und immerhin 6 Prozent der Weltbevölkerung. Eine solche länderübergreifende freie, demokratische Wahl von dieser Größenordnung ist weltweit einzigartig. Faire und freie Wahlen bilden das Fundament funktionierender Demokratien. Und dieses Fundament gilt es natürlich besonders in Zeiten rasanten technologischen Wandels wirksam zu schützen; denn unsere Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass die demokratischen Willensäußerungen der Wählerinnen und Wähler durch gezielte Desinformationskampagnen, Cyberangriffe oder Datenmissbrauch allzu leicht verfälscht werden können.
Beim heute beginnenden Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs wollen wir daher über Schritte zur Wahrung der inneren Sicherheit beraten, und zwar gerade auch zur Vorbereitung der Europawahl 2019. Damit führen wir die schon recht gute Diskussion des informellen Rats in Salzburg vom September fort. Innere Sicherheit beginnt – wie es das Wort schon sagt – natürlich erst einmal zu Hause. Sie ist aber nachhaltig heute nur noch international sicherzustellen. Kein Staat kann das alleine gewährleisten. Er kann nicht allein gewährleisten, dass Wahlmanipulatoren oder Cyberkriminelle nicht agieren; denn die machen vor Grenzen nicht halt.
In Brüssel wird es daher mit Blick auf die Europawahl darum gehen, bessere Regeln bei der Datenverarbeitung zu schaffen, damit personenbezogene Informationen, beispielsweise aus den sozialen Medien, nicht für Wahlkampfzwecke missbraucht werden können. Wir wollen zudem Leitlinien für den Umgang mit Parteien schaffen, die in ihren Kampagnen aktiv Desinformation betreiben. Und das bedeutet in letzter Konsequenz auch, in solchen Fällen über finanzielle Sanktionen nachzudenken. Denn Politik bedeutet Verantwortung: Wer sich nicht an die demokratischen Spielregeln Europas hält, der kann auch nicht erwarten, von der Europäischen Union Mittel zur Parteienfinanzierung zu erhalten.
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Auch das ist wehrhafte Demokratie, meine Damen und Herren.
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– Fühlt sich da jemand angesprochen?
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Wir wollen uns auch zukünftig verstärkt mit Cyberangriffen und den dahinterstehenden Akteuren beschäftigen und uns darüber austauschen. Damit wollen wir diesen Angriffen durch präventive Maßnahmen vorbeugen, uns im Falle eines Angriffs gegenseitig warnen und aus gemachten Erfahrungen lernen. Die Kommission hat dazu bereits 2017 Vorschläge unterbreitet, zum Beispiel zur Europäischen Agentur für Netz- und Informationssicherheit – ähnlich wie wir das aus Deutschland durch das BSI kennen – und durch einen freiwilligen, aber einheitlichen europäischen Rahmen für Cybersicherheitszertifikate, die zum Beispiel bei der Gesundheitskarte Anwendung finden könnten.
Deutschland unterstützt ein stärkeres gemeinsames Vorgehen, ist allerdings skeptisch, wenn es um operationelle Tätigkeiten solcher Agenturen geht; denn es könnte sehr schnell passieren, dass nationale und europäische Aktionen nicht gut koordiniert werden. Das heißt, wir sagen zur Koordinierung Ja, zum operativen Eingreifen Nein. Aber darüber wird jetzt weiter beraten.
Meine Damen und Herren, wir werden auch darüber sprechen, wie wir die Informationen unserer nationalen Datenbanken in Europa besser miteinander vernetzen können. Damit wird dann unsere Fähigkeit, terroristische Anschläge frühzeitig zu vereiteln, bedeutend erhöht. Die Anschläge von Paris, Barcelona oder Berlin haben uns schmerzlich vor Augen geführt, dass der Kampf gegen den Terrorismus auch ein Wettlauf des Wissens ist. Es ist kein akzeptabler Zustand, dass wir Attacken nicht verhindern können, weil unsere IT-Systeme national und international nicht kompatibel sind. Daran muss gearbeitet werden.
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Zudem soll in Europa die Löschung illegaler Inhalte wie von Terrorpropaganda auf Internetseiten deutlich vereinfacht werden, ohne jedoch – das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen – die Grundfreiheiten unserer Bürgerinnen und Bürger zu beschneiden. Hier zeigt sich erneut: Europa ist nicht nur entschlossen, sondern zunehmend auch in der Lage, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen und damit eines seiner wichtigsten Versprechen, nämlich das Stabilitäts- und Sicherheitsversprechen, zu erfüllen.
Ein Stabilitätsversprechen haben wir auch für die Wirtschafts- und Währungsunion abgegeben. Ich sage ganz klar – ich glaube, viele von Ihnen spüren das auch –: In bewegten Zeiten wie diesen können wir froh sein, eine gemeinsame Währung in Europa zu haben, den Euro.
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Gerade für uns Deutsche als eine der weltweit aktivsten Handelsnationen ist es von großem Wert, nicht als einzelnes Land dem freien Spiel globaler Finanzströme ausgesetzt zu sein. Es ist und bleibt ein Kernziel dieser Bundesregierung, die Stabilität und Krisenfestigkeit des europäischen Währungs- und Wirtschaftsraums weiter zu festigen. Dazu gehört die Stärkung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Bewältigung und Prävention von Krisen; dazu gehören aber auch Fortschritte bei der Bankenunion und die Frage von Haushaltsmitteln für die Euro-Zone.
Der französische Präsident Emmanuel Macron und ich sowie die Bundesregierung – in Person der Finanzminister von Frankreich und von Deutschland – haben dazu im Sommer gemeinsame Vorschläge gemacht. Beim morgen stattfindenden Euro-Gipfel werden wir uns zum Zwischenstand der Arbeiten berichten lassen, die in der Euro-Gruppe zur Stärkung der Währungsunion laufen. Entscheidungen stehen nicht an. Wir werden im Übrigen im sogenannten inklusiven Format tagen, das heißt zu 27, also auch mit den Mitgliedstaaten, die nicht dem Euro-Raum angehören.
Für die Bundesregierung ist klar, dass am Ende das Gesamtpaket für eine Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion stimmen muss. Erst dann werden wir zustimmen können. Dabei gilt unverändert: In der Währungsunion bleibt jeder Mitgliedstaat zunächst selbst für seine Wirtschafts- und Haushaltspolitik verantwortlich. Jeder Staat des Euro-Raums steht in der Pflicht, für Stabilität zu sorgen und notwendige Reformen für seine Wettbewerbsfähigkeit zu ergreifen. Und das gilt gerade in wirtschaftlich guten Zeiten.
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Zugleich sind wir – das haben wir schmerzhaft erfahren – in der Wirtschafts- und Währungsunion so eng miteinander verflochten, dass nationale Politik auch immer Auswirkungen auf die anderen Mitgliedstaaten haben kann. Stabile Haushalte sind eine wichtige Voraussetzung für eine gute wirtschaftliche Entwicklung in jedem einzelnen Land. Solide öffentliche Finanzen sind aber auch Voraussetzung für Vertrauen in die Währungsunion.
Dabei bleibt unser Wegweiser der Stabilitäts- und Wachstumspakt. Ich werde mich mit aller Entschiedenheit dafür einsetzen, dass in Europa auch weiterhin das Prinzip gilt: Verantwortung und Solidarität, Haftung und Kontrolle – das sind jeweils zwei Seiten derselben Medaille.
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Meine Damen und Herren, die Krisenfestigkeit Europas gilt es nicht nur in der Wirtschafts- und Währungspolitik, sondern auch in der Migrationspolitik zu erhöhen. In den vergangenen Wochen und Monaten habe ich wie viele andere Mitglieder der Bundesregierung im Rahmen des Bürgerdialogs zur Zukunft Europas mit vielen Menschen intensiv über europapolitische Fragen und ihre Vorstellungen zur Zukunft Europas diskutiert. Dabei wurde eines immer wieder ganz deutlich: Die Bürgerinnen und Bürger setzen in der großen Mehrzahl bei Flucht und Migration nicht auf nationale Alleingänge, sondern auf europäische Lösungen, nicht auf Abschottung, sondern auf Zusammenarbeit, gerade weil sie auch den Raum der Freizügigkeit, den Schengen-Raum, schätzen und erhalten wollen.
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Es ist daher richtig, dass sich der anstehende Europäische Rat auch weiter mit der europäischen Zusammenarbeit in Flucht- und Migrationsfragen beschäftigt. Wir wollen gezielter gemeinsam gegen Schleuser vorgehen. Dazu soll Europol verstärkt mit Drittstaaten zusammenarbeiten, und wir wollen auch beim Schutz der Außengrenzen und bei Rückführungen gemeinsam besser werden. Wir werden zum Beispiel über ein gestärktes Mandat für Frontex beraten. Hier gibt es noch sehr unterschiedliche Vorstellungen unter den einzelnen Mitgliedstaaten. Wir werden es aber mit Sicherheit nicht schaffen – um keine falschen Erwartungen zu schüren –, über die faire Verteilung innerhalb der Europäischen Union zu sprechen. Das bleibt ein ungelöstes Thema.
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Meine Damen und Herren, natürlich werden wir auch die Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitstaaten weiter vertiefen. Hierzu habe ich bei meiner Afrika-Reise Ende August viele Gespräche geführt und wichtige Impulse mitgenommen. Auch die österreichische Präsidentschaft wird im Dezember noch einmal ein Treffen mit wesentlichen Akteuren aus Afrika durchführen.
Das Migrationsthema zeigt uns, dass nachhaltige Lösungen zu wichtigen Fragen nur gemeinsam und nur im Dialog mit den Staaten außerhalb Europas zu finden sind. Wir suchen den Dialog nicht nur mit den Staaten Afrikas, sondern natürlich auch mit allen strategischen Partnern. Deshalb bin ich froh, dass unmittelbar im Anschluss an den Europäischen Rat in Brüssel ein Europa-Asien-Gipfel stattfinden wird, der sogenannte ASEM-Gipfel. Dieser ASEM-Gipfel ist seit 20 Jahren ein bewährtes Forum für den Austausch zwischen Europa und Asien. 51 Mitgliedstaaten nehmen daran teil, 28 davon aus der Europäischen Union, gemeinsam mit der Schweiz und Norwegen. Auf der asiatischen Seite sind es 21 Staaten, darunter China – nach den USA der wichtigste Handelspartner der Europäischen Union – und Japan, mit dem wir Europäer ja erst im Juli ein wegweisendes Freihandelsabkommen unterzeichnet haben.
Wenn man sich diesen Gipfel anschaut, dann sieht man, dass die politischen Repräsentanten zwei Drittel der Weltbevölkerung, des Welthandels und der Weltwirtschaftsleistung vertreten. Das Motto des diesjährigen 12. ASEM-Treffens lautet: „Europa und Asien: globale Partner für globale Herausforderungen“. Ich glaube – das ist mir besonders wichtig –, dass wir mit diesem Gipfel ein Signal aussenden können für multilaterale Zusammenarbeit, für den festen Glauben daran, dass daraus Win-win-Situationen entstehen, und dass diese multilaterale Zusammenarbeit weiterentwickelt werden sollte. Dazu ist dieser Gipfel ein wichtiges Signal.
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Die asiatischen Länder, mit denen wir uns treffen, China, Südkorea, Japan, sind natürlich Akteure, die in technologischer Hinsicht sehr innovativ, dynamisch und damit auch unsere Wettbewerber sind. Deshalb war es, glaube ich, heute früh eine gute Nachricht, dass das Weltwirtschaftsforum Deutschland, was Innovationen anbelangt, auf Platz eins weltweit gesetzt hat. Das heißt nicht, dass wir selbstzufrieden sein können.
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Wäre es Platz fünf, hätte die FDP das gleich erwähnt. Aber bei Platz eins?
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– Ich finde, wir können uns gemeinsam freuen. Wir müssen sowieso noch besser werden, damit wir das halten – aber immerhin.
Auf jeden Fall: Wir wollen den ASEM-Gipfel auch nutzen, um unsere Kultur- und Wirtschaftsräume besser miteinander zu vernetzen und dadurch auch neue Chancen zu schaffen. Der Leitbegriff hierfür ist ja Konnektivität. Hier geht es zum Beispiel um bessere Flugverbindungen zwischen Europa und Asien oder auch um die Verknüpfung unserer digitalen Netze, aber auch darum, Menschen, Städte und Regionen stärker zusammenzubringen, um so neue Möglichkeiten und Impulse für Forschung, Bildung, Innovation oder Tourismus zu schaffen.
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– Danke schön.
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– Manch einer hat auch wirklich noch ein Gefühl für das Wesentliche. – Danke schön.
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Denn es gilt, dass die EU auch handelspolitisch ein Signal für freie Märkte und gegen Protektionismus setzt. Deshalb freue ich mich, dass wir am Rande dieses Gipfels auch ein Freihandelsabkommen mit Singapur unterzeichnen werden.
Meine Damen und Herren, der Europäische Rat wird sich schließlich einem Thema widmen,
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das sich die meisten von uns so nicht gewünscht haben, nämlich dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Er wird in weniger als sechs Monaten stattfinden. In den letzten Wochen und Monaten haben beide Seiten intensiv miteinander verhandelt. Beide Seiten haben auch guten Willen gezeigt. Beide Seiten haben sich aufeinander zubewegt. Der Chefunterhändler der EU, Michel Barnier, schätzt, dass mittlerweile für das Austrittsabkommen 90 Prozent des Textes stehen. Wir haben uns heute auch in der Bundesregierung in der sechsten Sitzung unseres Brexit-Ausschuss mit dieser Frage befasst. Aber wir müssen konstatieren, dass leider nach wie vor der Durchbruch in einer zentralen Frage nicht gelungen ist: Das ist die Frage der Zukunft der Grenze zwischen Irland und Nordirland. Hierbei geht es nicht nur um die Integrität des europäischen Binnenmarkts, sondern auch um den Erhalt des Karfreitagsabkommens, das vor 20 Jahren die Gewalt auf der irischen Insel beendet hat.
Jeder, der schon einmal internationale Verhandlungen geführt hat, weiß natürlich, dass das Schwierigste bekanntermaßen zum Schluss kommt. Die Tücke liegt hier sehr im Detail. Deshalb gilt es gerade jetzt, weiter auf der Grundlage unserer Prinzipien und vor allen Dingen auch in geschlossener Formation der 27 an einer überzeugenden Lösung für beide Seiten zu arbeiten. Die Chance, rechtzeitig ein gutes und tragfähiges Austrittsabkommen hinzubekommen, ist nach wie vor da. Es liegt auch im Interesse unserer Beziehungen zu Großbritannien, im Interesse der Wirtschaft – gerade der europäische Automobilverband hat heute noch einmal einen Appell an uns gerichtet – und natürlich auch im Interesse der Menschen in unseren Ländern.
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In einem nächsten Schritt wollen wir auch die künftigen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien auf eine neue Grundlage stellen. Unsere Grundgedanken, wie wir uns das vorstellen können, haben wir mit Großbritannien bereits besprochen. Aber darüber muss noch verhandelt werden.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal, wie schon häufig vorher, betonen: Ich wünsche mir, dass Großbritannien auch nach seinem Austritt ein enger und vertrauensvoller Partner Europas bleibt.
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Es hat Europa in den letzten Jahrzehnten mitgeprägt und -gestaltet: politisch, wirtschaftlich und auch kulturell. Zugleich gehört es selbstverständlich ebenso zu einer verantwortungsvollen und vorausschauenden Regierungsführung, dass wir uns auf alle Szenarien vorbereiten, das heißt einschließlich der Möglichkeit, dass Großbritannien ohne ein Abkommen die Europäische Union verlässt. Wir haben in der Bundesregierung begonnen, uns auch darauf angemessen vorzubereiten. Da stellt sich eine Vielzahl ganz konkreter Fragen, zum Beispiel: Wie behandeln wir am Tag nach dem Austritt die etwa Hunderttausend britischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die teilweise seit vielen Jahren in Deutschland leben? Wie behandeln wir zum Beispiel Lehrer mit britischer Staatsbürgerschaft, die heute einen Beamtenstatus haben, und wie kann das dann fortgeführt werden? Wie können wir unsere Behörden, gerade den Zoll, auf neue Aufgaben und Belastungen angemessen vorbereiten? Wie vermeiden wir Nachteile für deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger und für deutsche Unternehmen in Großbritannien? Bei den Verhandlungen mit Großbritannien zu diesen und vielen weiteren Fragen muss immer klar sein, dass, auch wenn wir Härten vermeiden wollen, am Ende immer der Unterschied zwischen einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union und einer Partnerschaft mit der Europäischen Union als Drittstaat deutlich werden muss und auch werden wird.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, dies sind die Themen des Europäischen Rates, des Euro-Gipfels und des ASEM-Gipfels von heute Abend bis Freitag. Wie Sie sehen, stehen diese Tage ganz im Zeichen großer Ereignisse, die im kommenden Jahr auf Europa zukommen werden. Auf diese wollen wir vorbereitet sein, und dafür bitte ich um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank.
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Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Vorsitzende der AfD-Fraktion, Dr. Alice Weidel.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Zur Desinformation, liebe Bundeskanzlerin, ein Wort: Sie haben den Bundesverfassungsschutzpräsidenten geschasst, weil er Ihrer Desinformation widersprochen hat, und haben damit gezeigt, was Sie für ein Demokratieverständnis haben.
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Zum Brexit. Ich möchte zitieren:
Ich kann nicht ausschließen, dass der britische Austritt Lust auf mehr machen würde in anderen Ländern.
So EU-Kommissionspräsident Juncker im Mai 2016, wenige Wochen vor der Abstimmung über den Brexit. Dank solcher Aussagen war von Anfang an klar, wie die Marschrichtung der Kommission und auch die der Bundeskanzlerin aussehen würde: Statt das Ergebnis einer demokratischen Volksabstimmung eines Partnerlandes in Demut zur Kenntnis zu nehmen und Selbstkritik zu üben, ist man sich in Brüssel sofort einig: Es muss ein Exempel statuiert werden. Großbritannien muss bestraft werden. – Das ist Ihre Politik.
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Daran ändert auch die nun beschlossene halbherzige Verlängerung der Übergangsfrist nichts; denn der Zugang zum Binnenmarkt ist für die Briten bereits jetzt eingeschränkt. Die Verhandlungsführung der Europäischen Union mit der zweitstärksten europäischen Volkswirtschaft ist unfair, ja, sie ist unverantwortlich.
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Die EU-Bürokraten haben Angst. Ohne Drohgebärden lässt sich die Union anscheinend auch nicht mehr zusammenhalten. Und das haben ja auch Sie, Frau Bundeskanzlerin, in Ihrer Rede überdeutlich ausgedrückt: Parteien, die es wagen, zu widersprechen, werden sanktioniert.
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Vernunft spielt anscheinend grundsätzlich keine Rolle mehr. Gesinnungs- statt Verantwortungsethik, das ist Ihre oberste Handlungsmaxime.
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Wenn die historisch gewachsenen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Großbritannien und dem übrigen Kontinent leichtfertig destabilisiert werden, so wie Sie es tun, wenn kollektive Selbstschädigung betrieben wird, wird Europa weltwirtschaftlich das Nachsehen haben. Das trifft vor allem Deutschland; denn Großbritannien ist einer unserer wichtigsten Handelspartner. Für diese Herausforderung brauchen wir Antworten – Antworten, die Sie bis heute, auch in Ihrer Rede, nicht geliefert haben. Wir hingegen sehr wohl.
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Es ist im Interesse unseres Landes, dass der freie Warenaustausch mit dem Vereinigten Königreich sicher und auf Augenhöhe geregelt wird.
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Auch muss für künftige Austrittkandidaten der Exit-Artikel 50 der europäischen Verträge reformiert werden. Das habe ich bereits vor dem Brexit gefordert.
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Die Frage, was hinter der Ausgangstür kommt, muss doch klar definiert werden, und das passende Vertragsformat ist auch dafür bereits da: das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, den EWR, von 1992. Garantiert sind hier die vier Freiheiten, die Freiheiten des Waren-, Kapital-, Dienstleistungs- und Personenverkehrs. Dabei müssen wir aber den Personenverkehr neu fassen. Wir brauchen einen freien Verkehr von Arbeitnehmern und Selbstständigen, keinen freien Zugang in die Sozialsysteme.
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Und in einer Haftungsgemeinschaft ohne Sperrminorität nach dem Brexit, in der am Ende Deutschland zahlt, ist kein Wettbewerb, kein erfolgreiches Wirtschaften mehr möglich. Das ordnungspolitische Prinzip von der Einheit von Handlung und Haftung wird verletzt und führt zur Fehlallokation von Kapital, so wie wir es heute sehen. Und deshalb brauchen wir eine neue Vorstellung von Europa, eine Rückbesinnung auf die individuellen Stärken. „Staatenbund statt Bundesstaat“ ist hier die Losung.
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In einer erfolgreichen Gemeinschaft muss immer eine Widerspruchs- und Austrittsmöglichkeit angelegt sein, kurz: rote Karte oder Ausgangstür. Das heißt: Die Mitgliedstaaten müssen durch Vetorechte Veränderungen und Abweichungen herbeiführen oder bei Unveränderlichkeit der Regeln die Mitgliedschaft aufkündigen können.
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Das schafft Wettbewerb, einen Standortwettbewerb, einen Wettbewerb der besten Systeme, den wir so dringend brauchen.
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Europa muss sich wieder auf die Grundprinzipien der Subsidiarität und der demokratischen Rechte nationaler Parlamente besinnen. Darum müssen der EU-Kommission im ersten Schritt die legislativen Hoheitsreche entzogen werden.
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Roman Herzog hat sich bereits 2014 an Sie, Frau Bundeskanzlerin, gewandt und klar gefordert:
Wir brauchen Abwehrrechte der nationalen Parlamente gegen die Kompetenzüberschreitungen in Brüssel …
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Leider sind die Worte des ehemaligen Bundespräsidenten und Verfassungsrichters bei Ihnen auf taube Ohren gestoßen.
Eine Chance für Europa wäre doch:
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– „Subsidiaritätsrüge“, höre ich hier gerade, verbunden mit einem deutlichen Rückbau der EU, der Institutionen, die ja eben gerade den Standortwettbewerb behindern. Wie kann diese Reform aussehen? Ein Staatenbund mit gleichberechtigten Mitgliedern, die untereinander einen freien Handel organisieren, ohne Haftungsübernahmen und ohne Drohkulissen.
Aber Sie machen genau das Gegenteil: Eine Fiskalunion durch Steuerharmonisierung, eine Sozialunion durch Einwanderung in die Sozialsysteme, die Vergemeinschaftung der Staatsfinanzierung durch die EZB sind keine Antworten für die Zukunft Europas, sehr geehrte Damen und Herren.
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Die gewählten nationalen Parlamente brauchen ein klares Vetorecht gegenüber Brüsseler Vorgaben. Mitgliedstaaten müssen im Zweifel von EU-Vorgaben abweichen dürfen. Und ganz klar: Den nationalen, demokratisch gewählten Parlamenten gehört die Hoheit über die EU-Institutionen und nicht umgekehrt.
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Nur so hat Europa wieder eine Zukunft. So lässt sich bewahren, was Europa stets ausgemacht hat: eine Einheit in der Vielfalt zu sein.
Vielen herzlichen Dank.
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Nächste Rednerin ist die Vorsitzende der SPD-Fraktion, Andrea Nahles.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Mai 2019 wird in Europa gewählt, und vor uns liegen mit Sicherheit entscheidende Monate für Europa. Vieles, was wir die letzten vier Jahre erlebt haben, ist anders gelaufen, als wir uns das bei der letzten Europawahl gedacht haben. Die Nachwirkungen der Finanzkrise, Brexit, Flucht nach Europa, nicht zuletzt eine neue Politik der US-Regierung – all das hat die Tagesordnung in Europa komplett geändert. Vieles, was wir uns vorgenommen hatten, konnten wir nicht umsetzen.
Manche versuchen, daraus jetzt etwas abzuleiten, nämlich: Die Zeit für Europa sei vorbei, man müsse jetzt am besten alles wieder in der nationalen Hütte, also in der nationalen Logik, lösen. – Ich sage: eine Verdrehung der Tatsachen.
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Finanzmarktkrise, Brexit, Flucht, Trump – diese Ereignisse sind kein Beleg für das Ende Europas oder das Scheitern Europas. Das sind Ereignisse, die belegen: Das genaue Gegenteil ist notwendig; wir brauchen mehr Europa, und zwar jetzt.
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Großbritannien spürt bitter, was es wirklich heißt, den Schutz der Europäischen Union zu verlieren. Wir können Großbritannien diese bittere Erfahrung und diesen Weg nicht ersparen.
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Es war nämlich nicht die EU, die Großbritannien aufgefordert hätte, auszutreten, sondern das, was wir jetzt haben, ist eine unausweichliche Konsequenz des Brexit. An der gemeinsamen Linie aller Mitgliedstaaten gibt es aus meiner Sicht nichts zu rütteln.
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Ich möchte es noch einmal klar sagen: Der freie Verkehr von Waren, von Dienstleistungen, von Personen und von Kapital – das gehört nun mal zusammen.
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Einen Binnenmarkt à la carte für Großbritannien kann es nicht geben. Es darf keine Rosinenpickerei geben. Es darf kein anderes europäisches Land auch nur die Idee bekommen, dass das geht.
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An dieser Stelle ganz klare Unterstützung für die Verhandlungslinie der Europäischen Kommission!
An die Adresse Großbritanniens kann man nur sagen: Noch ist es nicht zu spät, um vernünftige Lösungen zu finden. Genau darüber reden wir ja in diesen Wochen. Wir wissen, wie schwierig die Grenzfrage in Bezug auf Irland und Nordirland ist; Frau Merkel hat darauf hingewiesen. Aber auch hier ist eine der wesentlichen Voraussetzungen, dass sich die britische Regierung bewegt; denn eines kann man nicht oft genug wiederholen: Es war Großbritannien, das alles hingeschmissen hat. Weil es um die Menschen geht, sind wir bereit, alles Menschenmögliche zu tun, um gute Lösungen zu finden.
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Es darf aber unter keinen Umständen Zugeständnisse geben, die zulasten der Bürgerinnen und Bürger im Rest von Europa gehen. Das geht auch nicht.
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Dabei meine ich vor allem: Zukünftige Handelsabkommen Großbritanniens dürfen nicht – auch nicht über die Grenze Nordirlands – die Standards europäischer Handelsabkommen unterlaufen. Das ist aus meiner Sicht keine Option.
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Damit bin ich beim zweiten Thema des Gipfels: Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion. Das ist ein Dauerthema, weil es so besonders wichtig ist. Die Entscheidungen stehen für Dezember an. Danach wird es Monate dauern, bis sich alles konstituiert hat, und es wird erstmal keine Möglichkeiten geben, voranzukommen. Ich bitte daher, diesen Gipfel wirklich ernsthaft zu nutzen, um eine Vertiefung voranzutreiben und beispielsweise im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion Fortschritte zu erreichen. Das Zeitfenster für Einigungen schließt sich nämlich, und wir wollen, dass wir jetzt handlungsfähig sind. Das war einer der wichtigen Gründe, warum wir diese Regierung unterstützt und gebildet haben. Deutschland und Frankreich haben in diesem Sinne in Meseberg eine gemeinsame Marschrichtung entwickelt. Das finde ich wichtig; man sollte auch weiterhin zusammenarbeiten.
Der Ausbau des Europäischen Stabilitätsmechanismus und seine Weiterentwicklung zum Europäischen Währungsfonds sollten bis Jahresende vorankommen.
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Wir setzen damit auch darauf, dass Wirtschaftskrisen – wir können nicht sicher sein, dass es in Zukunft nicht wieder welche gibt – schneller und besser gelöst werden können als die Finanzkrise 2008. Darum geht es dabei. Wir brauchen weitere Schritte zur Stärkung der Bankenunion und zum Abbau der Risiken in den Bankenbilanzen. Ich bin deswegen Bundesfinanzminister Olaf Scholz dankbar, dass Bewegung in die Verhandlungen gekommen ist und dem Europäischen Parlament jetzt etwas vorliegt. Das zeigt, dass man in Europa schwierige Themen in schwierigen Zeiten erfolgreich voranbringen kann. Das sollte uns Mut machen für die Klärung anderer Fragen.
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Aus meiner Sicht brauchen wir Klarheit: Ohne den Euro wären wir vollständig von der US-Geldpolitik abhängig; mit dem Euro sichern wir uns die Handlungsfähigkeit, die wir brauchen.
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Je besser die Regeln – und das ist für mich die Grundlogik – hinter dem Euro sind, desto stabiler wird der Euro sein und desto besser können wir zukünftige Krisen bewältigen. Das ist der Zusammenhang, um den es geht. Ich weiß, wenn die Leute „Bankenunion“, „Bankenbilanzen“ usw. hören, dann sind sie skeptisch. Nein, es geht um die Frage, ob wir autonom und selbstbestimmt in Europa Finanz- und Geldpolitik machen und zukünftig in Krisen selbstständiger und autonomer agieren können. Das ist der Kern, worum es in Europa geht.
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Wir werden auch – das steht jetzt an – ausbuchstabieren müssen: Was heißt das jetzt genau: Wirtschafts- und Finanzpolitik? Das heißt für mich zum Beispiel auch Investitionsbudget. Das heißt für mich auch ein Stabilisierungsfonds für Arbeitslosenversicherung. Das heißt für mich auch eine Besteuerung von digitalen Wirtschaftsunternehmen.
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Das ist eine wichtige Frage, die geklärt und vorangetrieben werden muss. Die letzte große Krise hat sich vor allem auf dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger abgespielt, übrigens am wenigsten noch in Deutschland, aber in allen anderen europäischen Ländern. Viele spüren die Auswirkungen bis heute. Wir müssen bei der nächsten Krise so aufgestellt sein, dass die Milliarden in die Rettung von Arbeitsplätzen und nicht in die Rettung von Banken fließen.
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Deswegen verhandelt Olaf Scholz einerseits über die europäische Arbeitslosenversicherung und andererseits über die Bankenunion. Das ist der Zusammenhang. Wir müssen beides hinbekommen; nur eines davon reicht nicht.
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Es ist vollkommen klar, dass das alles nicht einfach ist, und sicher werden wir im Dezember nicht alles, was ich vorgetragen habe, verabreden können. Aber worauf es für mich ankommt, ist: An Deutschland dürfen die Verhandlungen in dieser wichtigen Phase nicht scheitern. Wir müssen verhandlungs- und abschlussfähig sein.
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Deutschland muss bei diesen Verhandlungen zusammen mit Frankreich die Lokomotive sein.
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Zur Stärkung unserer Autonomie und Handlungsfähigkeit gehört auch eine gute Partnerschaft mit Asien. Wir haben größtes Interesse daran, mit den asiatischen Staaten in einen regelbasierten internationalen Welthandel innerhalb der Weltordnung zu kommen. Ich begrüße es daher sehr, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs mit den asiatischen Kollegen zum Europa-Asien-Gipfel zusammenkommen, auch mit China. Ja, das ist das Gegenteil von Handelskrieg. Das ist eine internationale Politik, von der alle Beteiligten profitieren können. So muss es sein und nicht so, dass man sich mit Strafzöllen und Handelskrieg gegenseitig das Leben schwer macht.
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Die österreichische Ratspräsidentschaft hat sich, wie Sie wissen, einen Schwerpunkt gesetzt: die Stärkung der inneren und äußeren Sicherheit Europas. Mit den bislang erzielten Fortschritten kann man beim besten Willen nicht zufrieden sein – das ist eine Zwischenbilanz –; daran muss dringend weitergearbeitet werden. Kooperation und Zusammenarbeit sind gerade in Fragen der Sicherheitspolitik von entscheidender Bedeutung.
Da es in den anstehenden Beratungen übrigens auch um Cybersicherheit geht, möchte ich in diesem Haus einen Punkt besonders hervorheben: Dass wir heute einen US-Präsidenten haben, der offen die Spaltung Europas vorantreiben will, hat auch mit massiven Lecks in der Cybersicherheit zu tun. Der US-amerikanische Wahlkampf ist massiv durch rechtswidrigen Umgang mit Daten beeinflusst worden. Das darf bei den Wahlen zum Europäischen Parlament nicht passieren.
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Wir müssen unsere demokratischen Entscheidungsprozesse vor rechtswidriger Einflussnahme von innen und außen schützen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein starkes Europa ist gut für die Bürgerinnen und Bürger, ein schwaches Europa – das ist meine tiefste Überzeugung – ist schlecht für die Bürgerinnen und Bürger; denn nur mit einem starken Europa können wir heute das leisten, was wir als Bürgerinnen und Bürger von einem handlungsfähigen Staat insgesamt erwarten dürfen. Europa bedeutet Schutz, Europa bedeutet auch Selbstbehauptung, Europa bedeutet neue Perspektiven in unsicheren Zeiten. Deswegen wird diese Europawahl nicht irgendeine Wahl sein. Es geht um nichts weniger als um die Zukunft eines friedlichen, eines weltoffenen, eines auf Kooperation und wechselseitiges Unterhaken und Stärken ausgerichteten und eines wirtschaftlich starken Europas. Das wird in unserem Land von innen angegriffen, und es wird leider auch von vielen von außen angegriffen. Deswegen ist das eine der wichtigsten Europawahlen, und es lohnt sich, auf der Strecke dahin noch möglichst viel gemeinsam herauszuholen. In diesem Sinne wünsche ich den Beratungen viel Erfolg.
Danke.
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Jetzt hat das Wort der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Christian Lindner.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Bundeskanzlerin, wissen Sie, was mir an Ihrer Regierungserklärung am besten gefallen hat? Dass Ihr erster Gedanke beim Wort „Innovation“ FDP war.
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Überhaupt sind Sie sehr gelöst aufgetreten. Man hat den Eindruck: Kaum ist Horst Seehofer nicht im Raum, läuft hier alles ein klein wenig smoother ab.
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Sie haben über einige Fragen gesprochen, zu denen ich uns gerne positionieren will:
Erstens: die Fairness bei der Wahl zum Europäischen Parlament und die Cybersicherheit. In den Zielen stimmen wir überein. Auch wir wollen, dass diese für unseren Kontinent so wichtige Wahl unter fairen, unter demokratischen Bedingungen abläuft. Dafür können wir aber auch in Deutschland Voraussetzungen schaffen. Wir müssen in Deutschland dafür sorgen, dass das Geschäftsmodell des Qualitätsjournalismus weiter funktioniert. Hubertus Heil hat alles Mögliche aus dem Koalitionsvertrag bereits in Angriff genommen; diese Passage ist bislang noch nicht bearbeitet. Und wenn wir über demokratische Wettbewerbsgleichheit sprechen, frage ich Sie: Warum haben Sie die Reform des Parteiengesetzes nur genutzt, um mehr Geld in den Topf zu tun, und nicht, um die Transparenz zu erhöhen? Das wäre im Sinne der demokratischen Wettbewerbsgleichheit auch notwendig gewesen.
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Zweitens: die Wirtschafts- und Währungsunion. Wir wollen die Wirtschafts- und Währungsunion stärken; wir wollen sie krisenfest machen. Nicht das, was die AfD sagt, dient den Interessen der deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Nur eine Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion, eine Stärkung ihrer Regeln führt dazu, dass die Europäische Zentralbank ihre Geld- und Zinspolitik normalisiert. Über eine Reform der Währungsunion – nur darüber – stoppen wir die Enteignung der Sparerinnen und Sparer in Deutschland. Das muss also in Angriff genommen werden.
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Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zu diesem Thema aber exakt das Gleiche – ich werde im Protokoll nachschauen, ob nicht sogar dasselbe – gesagt wie in den letzten Regierungserklärungen. Dabei hat sich die Lage fundamental verändert. Die Vorschläge aus dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD – inklusive des Meseberg-Beschlusses – sind doch längst tot.
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Zwei Drittel des Ecofin haben sich dagegengestellt. Der neugewählte Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion,
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der Kollege Brinkhaus,
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hat noch in seiner alten Funktion ein Fachpapier vorgelegt, das diametral eine andere Tonalität hat
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als all das, was im Koalitionsvertrag steht.
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Herr Brinkhaus, ich bin sehr gespannt, was Sie hier gleich sagen. Wir werden das mit Ihrem Papier vergleichen: Prägt der Mann das Amt oder das Amt den Mann? Das werden wir gleich erleben, und das werden wir genau nachzeichnen.
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Fundamental verändert sich also etwas im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion. Und dann kommt hier heute der Bundesfinanzminister, stellt Gedanken über eine europäische Arbeitslosenversicherung an und sagt, darüber verhandele er.
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Wir haben das in der letzten Zeit ja öfter erlebt: Herr Scholz sagt etwas zum Thema Rente, und aus der Koalition heißt es, das habe keine Aussicht darauf, umgesetzt zu werden. Herr Altmaier erzählt irgendetwas zum Thema Solidaritätszuschlag; einen Tag später ist das aus der Welt. Jetzt kommt also die europäische Arbeitslosenversicherung von Herrn Scholz. Und was passiert? Nicht nur das gesamte Verbände-Deutschland, sondern auch der Koalitionspartner sagt zu diesem Gedanken: Mit uns nicht.
Richtig ist der Reflex der Unionsfraktion;
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denn die Verantwortung für den Arbeitsmarkt darf nicht gelöst werden von der Verantwortung für die Standortbedingungen, also für das wirtschaftspolitische Umfeld. Deshalb ist es ein falscher Weg, den Sie beschreiten.
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Sie haben dafür nur von den Grünen Applaus bekommen. 11,4 Milliarden Euro stehen im Raum, die überwiesen und in einen Topf gezahlt werden sollen, von dem man nicht weiß, was damit finanziert werden soll. Der Publizist Gabor Steingart schreibt dazu heute Morgen:
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Mit solchen Vorschlägen versucht die SPD offenbar, die Wahl in Griechenland zu gewinnen.
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Frau Bundeskanzlerin, auch zu Italien haben wir nichts gehört. Wie kann man – wie Andrea Nahles – über die Vertiefung der Bankenunion sprechen, das heißt letzten Endes über die Übernahme von Haftungsrisiken für private Banken in Italien durch Deutschland? Wie kann man darüber sprechen? Frau Nahles, Ihre Partei hat einmal in einem Europawahlkampf plakatiert: „Finanzhaie würden FDP wählen“. Heute, nach Ihrer Rede, kann man sagen: „Finanzhaie würden SPD wählen“, weil Sie am langen Ende mit dem Geld der Steuerzahler private Banken in Italien raushauen wollen.
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Herr Finanzminister, ich hätte von Ihnen oder von der Bundeskanzlerin etwas anderes erwartet, dass Sie nämlich hier und heute klipp und klar sagen, dass Sie sich in Brüssel dafür einsetzen, dass die Europäische Kommission ein Defizitverfahren gegen die links-/rechtspopulistische Regierung in Rom einleitet, weil die Fiskalregeln durchgesetzt werden müssen. Das wäre der richtige Schwerpunkt gewesen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach aktuellen Gutachten benötigen Sie für all das, was Sie in der Wirtschafts- und Währungsunion auf europäischer Ebene verabschieden wollen, eine Zweidrittelmehrheit in diesem Haus, die die Große Koalition nicht hat. Das ist eine besondere Verantwortung, auch für die parlamentarische Opposition. Deshalb will ich Ihnen für meine Fraktion sagen: Selbstverständlich begleiten wir das alles konstruktiv. Für uns ist aber wichtig, dass die finanzpolitische Eigenverantwortung der Mitglieder der Euro-Zone erhalten bleibt. Wir können uns gut vorstellen, realwirtschaftliche Investitionen in Europa in private, innovative Projekte, die Arbeitsplätze schaffen, oder in die Verbesserung der regionalen Infrastruktur mit zu unterstützen, am besten aus einem Posten des Etats der Europäischen Union. Aber ein europäischer Währungsfonds darf nicht zu einem Dispokredit für Regierungen wie die in Rom werden, die, wie aktuell, offen Geld verschenken wollen, nur um der Europäischen Union eine lange Nase zu drehen. Wenn wir einen Europäischen Währungsfonds unterstützen, Frau Bundeskanzlerin, dann nur, wenn die finanzpolitische Eigenverantwortung gestärkt ist, die Fiskalregeln klarer durchgesetzt werden und bei möglichen Programmen die privaten Gläubiger von Staatsanleihen auch an den notwendigen Umschuldungen beteiligt werden, damit Risiko und Haftung zusammenbleiben.
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Drittes Thema: Migration. Seit Ihrer letzten Regierungserklärung, seit der Koalitionskrise, seit dem Europäischen Rat hat sich nichts verändert. Zum EU-Gipfel in Salzburg muss man sagen: außer Spesen nichts gewesen. Die bilateralen Abkommen, die die Bundesregierung geschlossen hat, führen entweder zu nichts oder dazu, dass wir noch mehr Menschen aufnehmen müssen aufgrund der Familienzusammenführung.
Sie haben hier über den Schutz der europäischen Außengrenzen gesprochen. Ihr Parteifreund Orban hat doch gesagt, Frontex und einer Stärkung von Frontex stelle er sich entgegen, weil er keine Söldner in Ungarn sehen wolle. Ich habe nicht gehört, dass Sie Herrn Orban in dieser Frage kritisiert hätten. Die klare Ansage muss doch sein, Frau Bundeskanzlerin: Wir wollen Frontex stärken. Und wenn ein Mitglied der Europäischen Union wie Ungarn daran nicht teilnehmen will, dann wird das Ungarn Herrn Orbans eben nicht mehr an Schengen teilnehmen können. Frontex und Schengen gehören zusammen. Wenn er Frontex nicht will, dann kann er auch nicht bei Schengen bleiben.
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Erhöhen Sie also mal den Druck! Keine falsche Rücksichtnahme!
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Wo sind die Ausschiffungsplattformen? Gehen Sie das mit beispielsweise Spanien, Portugal und Italien doch bilateral an, wenn es keine Einigung in Europa gibt.
Und nicht zuletzt: Nutzen Sie doch, bitte schön, als Regierungskoalition die Möglichkeiten, die wir in Deutschland haben. Wir könnten doch in Deutschland die Fallzahlen signifikant reduzieren, wenn wir in den Maghreb-Raum endlich leichter abschieben könnten, und zwar indem wir die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern machen.
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Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag hat genau das gefordert: Die Maghreb-Staaten sollten sichere Herkunftsländer werden, und die Bundesregierung will das ja auch.
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Nun hat Herr Schäfer-Gümbel in Hessen gesagt, die CDU/CSU würde eine Abstimmung darüber vertagen, hinter die Landtagswahl in Hessen, weil sie die Grünen im Wahlkampf schonen wollte. Ich kann Ihnen nur sagen: Wie viele Bälle wollen Sie denen noch zuspielen, dass die etablierten Parteien nicht in der Lage sind, offensichtliche Probleme zu lösen?
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Herr Schäfer-Gümbel hat recht.
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Zum vierten Punkt: ASEM-Gipfel. Frau Merkel, ich begrüße das Bekenntnis zum Freihandel; aber bitte nicht nur in Singapur. Ratifizieren Sie hier CETA!
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Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass in Ihrer Regierungserklärung und auf der Agenda des ASEM-Gipfels ein Wort noch auftaucht. Wissen Sie, welches Wort? Klimaschutz.
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– Warten Sie mal ab! Das ist genau die Reaktion, die ich erwartet habe. Dafür habe ich ein Wort: Klimanationalismus ist das.
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Wenn man die Erderwärmung stoppen will, reicht es nicht, in Deutschland über einen Braunkohleausstieg nachzudenken, der physikalisch und ökonomisch gar nicht so leicht zu realisieren ist. Eine Menschheitsaufgabe global anzugehen, dazu gehört, dass man auf solchen Gipfeln darüber spricht, wie die Rodung von Regenwald verhindert werden kann, wie stattdessen aufgeforstet wird und welche technologischen Möglichkeiten wir haben, dort erneuerbare Energien in den Markt zu bringen, wo sie wirklich physikalischen Nutzen stiften.
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Herr Präsident, ich klaue dem Kollegen Lambsdorff noch eine Minute. – Fünfter und letzter Punkt: der Brexit. Wir müssen uns darauf einstellen, dass es zu einem harten Brexit kommt. Wir bedauern das sehr, aber es sieht so aus, als wenn es in Großbritannien im Parlament eine Mehrheit nicht gibt. Das ist bedauerlich; denn damit ist ja ein Stück Selbstschädigung des Vereinigten Königreichs verbunden. Das ist übrigens das Ergebnis Ihrer Freunde von UKIP – typischer Populismus: erst mit Demagogie Entscheidungen herbeiführen und dann, wenn alles in Trümmern liegt, sich vom Acker machen wie UKIP und Farage –; in Großbritannien sehen die Menschen das.
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Es wird also möglicherweise einen harten Brexit geben. Und die Bundesregierung ist genauso paralysiert wie die Regierung in Großbritannien. Wir stellen eine Große Anfrage, und Sie sagen: Wir können sie erst im Mai 2019, nach dem Brexit, beantworten. – Das reicht nicht, Frau Merkel. Herr Barnier hat die nordrhein-westfälische Landesregierung von CDU und FDP gelobt, die einen Brexit-Beauftragten hat. Wer ist der Brexit-Beauftragte der Bundesregierung?
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Wer kümmert sich in der Bundesregierung beispielsweise darum, dass das London Clearing House, eine wichtige Abwicklungsstation für derivative Finanzprodukte, nicht nach Paris geht, sondern den Finanzplatz Frankfurt stärkt?
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– Herr Scholz, es ist bemerkenswert, dass Sie sich darum kümmern wollen.
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Als Brexit-Beauftragter hätte ich von Ihnen nicht Papiere über eine europäische Arbeitslosenversicherung erwartet, sondern dass Sie die Zollbehörden auf den Brexit vorbereiten, um die Bürokratiekosten zu reduzieren, indem die Verfahren abgestimmt und digitalisiert werden. Wo ist denn da was auf den Weg gebracht?
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Herr Scholz, das, was ich von Ihnen kenne, ist nur eines: Die Steuer- und Finanzverwaltung wird auf den Brexit vorbereitet, damit dem Fiskus ja kein Euro entgeht.
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Das allein reicht aber nicht.
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Ein letzter Gedanke. Frau Bundeskanzlerin, meine sehr verehrten Damen und Herren, nach dem, wie die AfD hier argumentiert hat, will sie einen Rabatt für Großbritannien beim Ausscheiden. Das kann nicht sein; das ist gegen die Interessen des deutschen Steuerzahlers. Das ist für Farage und UKIP gut, aber nicht für die Bundesrepublik Deutschland. Auf der anderen Seite wollen wir aber auch keine Strafe. Wir wollen einen fairen Brexit, so schwer er auch ist. Vor allen Dingen wollen wir, dass nach diesem Brexit das Band zu Großbritannien nicht zerreißt. Sie müssen also über Städtepartnerschaften, über kulturellen Austausch und über wirtschaftlichen Austausch sprechen. Das Ziel muss sein – und das erreichen Sie nicht mit einer so nüchternen Analyse wie die Ihre, Frau Merkel –, dass die Kinder derer, die heute in Brüssel und London über den Austritt des Vereinigten Königreichs verhandeln, irgendwann wieder über den Beitritt der Briten zur Europäischen Union verhandeln. Das geht nicht so nüchtern.
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Nächster Redner ist der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ralph Brinkhaus.
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Wenn ich mir meine Vorredner so anhöre, dann wünsche ich mir, dass wir uns hin und wieder auch einmal die Zeit nehmen, uns über das Glück, dass wir dieses Europa haben, zu freuen, anstatt uns immer nur die Sorgen zu erzählen.
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– Ja, rufen Sie ruhig „Oh“. – Ich kann Ihnen eines sagen: Wir werden in den nächsten Wochen den 100. Jahrestag des Endes des Ersten Weltkrieges begehen, der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, dem der Zweite Weltkrieg gefolgt ist und in dem keine Familie in Mittel-, Ost- und Westeuropa nicht mindestens einen Angehörigen verloren hat. Dass das nicht wieder passiert, ist das Verdienst dieses großen Friedensprojektes Europa.
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Deswegen werde ich, soweit es sich irgendwie anbietet, jede meiner Reden zu Europa damit eröffnen, dass Europa an erster Stelle ein Friedensprojekt ist, an zweiter Stelle ein Friedensprojekt ist und an dritter Stelle ein Friedensprojekt ist und dass wir uns gar nicht oft genug sagen können, wie wichtig das ist, anstatt uns hier bei allen Sorgen und Nöten, die es tatsächlich gibt, gegenseitig zu beweinen.
Meine Damen und Herren, Europa ist aber nicht nur ein Friedensprojekt. Europa ist auch das größte und erfolgreichste wirtschaftspolitische Projekt, das wir je zustande gebracht haben, und dabei spreche ich nicht nur vom Binnenmarkt. Wir können uns darüber streiten, ob 17, 18, 19 oder 20 Prozent unserer Arbeitsplätze dranhängen. Wir wissen aber eines: Ohne diesen Binnenmarkt würden Menschen ohne Arbeit dastehen, würden Hallen leer stehen und hätten wir auch nicht die Steuereinnahmen und den Wohlstand, womit wir uns viele Dinge leisten können, die uns allen hier in diesem Haus wichtig sind.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa ist im wirtschaftlichen Bereich nicht nur ein Binnenmarktprojekt. Wir sind die größte Handelsmacht der Welt. Wie wichtig das ist, haben wir gerade in den letzten Wochen und Monaten gesehen. Es wäre sonst gar nicht möglich, dass sich alle asiatischen Regierungschefs mit Deutschland alleine treffen. Wie dringend notwendig das ist, sehen wir doch angesichts der expansiven – einige sagen: aggressiven – Politik von China. Hier müssen wir als Europäer doch zusammen dagegenhalten.
Die Bundeskanzlerin hat es gerade angesprochen: Wir schließen ein Freihandelsabkommen mit Singapur ab. Ich kann für meine Fraktion nur eines sagen: Wir lieben gutgemachte Freihandelsabkommen und werden uns dafür einsetzen, dass diese Freihandelsabkommen zusammen mit unseren europäischen Freunden weiter abgeschlossen werden,
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weil das der Weg ist, wie wir den Wohlstand in Deutschland sichern.
Wir werden natürlich die Wirtschafts- und Währungsunion weiterentwickeln, aber wir nehmen uns auch die Freiheit, den einen oder anderen Vorschlag aus Brüssel oder Frankreich zu kritisieren; denn wenn wir ein gutes Europa wollen, dann müssen wir uns konstruktiv-kritisch damit auseinandersetzen und dürfen nicht alles mitmachen, was vorgeschlagen wird, weil zumindest aus unserer Sicht auch in der Vergangenheit nicht alles vernünftig und richtig war. Als deutsches, als nationales Parlament ist es unsere Aufgabe, darauf zu achten.
Europa ist aber auch – das haben wir ebenfalls in den letzten Jahren gelernt – ein Projekt, das eine gemeinsame Lösungsplattform für uns alle bietet, eine Lösungsplattform für Probleme, die wir nicht alleine lösen können. Das sind Großforschungsprojekte, der Klimaschutz und der Umweltschutz. Das lässt sich nicht an nationalen Grenzen aufhalten.
Es gibt zwei wichtige Themen, die wir auf dem bevorstehenden Gipfel besprechen werden. Das eine Thema ist die Migration. Es ist doch völlig klar, dass eine Strategie zur Vermeidung von Flucht- und Migrationsursachen nicht alleine von Deutschland verfolgt werden kann. Das müssen wir zusammen in Europa machen. Es ist doch völlig klar, dass der Schutz unserer Außengrenzen gemeinsam von allen europäischen Staaten organisiert werden muss. Es ist doch völlig klar, dass die gerechte Verteilung der Lasten durch Flucht und Vertreibung nur europäisch organisiert werden kann.
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Nun kann man sagen: Das alles dauert so lange; Fortschritte werden nicht schnell genug erzielt. – Eine kleine Rückblende, 104 Jahre zurück, 1914: Wie froh wäre man damals gewesen, wenn kleine Fortschritte hätten gemacht werden können! Wie froh wäre man gewesen, wenn man ein Forum, wie wir es in Brüssel haben, gehabt hätte, bei dem sich 26, 27 bzw. 28 Staats- und Regierungschefs darauf einigen, dass man lieber langsam etwas zusammen macht, als dass man etwas gegeneinander macht.
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Vor diesem Hintergrund bleibe ich dabei: Trotz all der Probleme, die wir haben, ist Europa ein großartiges Friedensprojekt, ein großartiges Wirtschaftsprojekt und ein großartiges Problemlösungsprojekt. Es ist unsere Aufgabe, dieses Europa nicht zu bekämpfen, es nicht kleinzumachen, sondern es jeden Tag in sehr kleinteiliger Arbeit zu verbessern.
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Natürlich läuft nicht alles gut. Über ein anderes Thema werden wir auf dem bevorstehenden Gipfel ebenfalls reden. Das ist der Brexit. Das war für uns eine schmerzhafte Entscheidung der Briten. Natürlich müssen wir uns täglich fragen: Wie konnte es dazu kommen? Was haben wir falsch gemacht, und was können wir besser machen, damit so etwas nicht noch einmal passiert? Aber eines ist auch richtig: Wir müssen und werden die Entscheidung des britischen Volkes respektieren.
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Das ist jetzt so. Auch wenn es am Ende nur Verlierer gibt, müssen wir jetzt das Beste daraus machen.
Wie machen wir das? Dazu fünf Punkte: Der erste Punkt. Wir sollten dabei fair bleiben. Wir haben den Briten hier in Deutschland sehr viel zu verdanken. Die Briten waren in den meisten Fällen ein sehr verlässlicher Partner und haben meistens an unserer Seite des Verhandlungstisches in Brüssel gesessen. Deshalb werden wir weiterhin eine Verhandlung unter Freunden führen.
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Der zweite Punkt. Es ist natürlich besser, wenn wir einen Konsens erzielen. Wir werden hart daran arbeiten, einen Konsens herzustellen.
Der dritte Punkt. Es wird keinen Konsens um jeden Preis geben. Das wurde hier schon mehrfach gesagt – auch von Herrn Lindner –: Wir können nicht zulassen, dass es einen Rabatt oder eine Rosinenpickerei gibt. Das geht nicht. Wer die europäischen Vorteile genießt, muss auch die europäischen Lasten tragen; das ist überhaupt keine Frage. Wir sind auch ziemlich kompromisslos bei unseren Grundfreiheiten. Auch das ist überhaupt keine Frage.
Wir müssen immer – das ist der vierte Punkt – an unsere Verantwortung gegenüber Nordirland denken. In Nordirland gibt es eine mehr als hundertjährige Geschichte von Gewalt, Tod und Terror. Diese ist durch das Karfreitagsabkommen beendet worden. Wir müssen ganz genau aufpassen, dass die Brexit-Verträge nicht dazu führen, dass diese Geschichte wiederauflebt. Hier haben wir eine große Verantwortung. Ich bin froh, dass alle Redner das so erwähnt haben. Damit werden wir sehr achtsam und vorsichtig umgehen.
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Der fünfte Punkt. Es gibt ein Leben nach dem Brexit, auch ein Zusammenleben mit dem Vereinigten Königreich. Wir arbeiten in vielen Projekten in den Bereichen Bildung und Forschung, aber auch bei der Verteidigung zusammen. Frau von der Leyen, ich bin sehr froh, dass Sie zusammen mit Ihrem britischen Kollegen gerade in den letzten Wochen bewusst das Zeichen gesetzt haben, dass die beiden Armeen weiterhin gemeinsam in Deutschland üben und zusammenarbeiten. Ich teile Ihre Vorstellung, Herr Lindner – auch wenn das momentan unrealistisch erscheint –: Die Tür zur Europäischen Union muss für das Vereinigte Königreich offen bleiben.
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Nun sollten wir vielleicht noch ein bisschen über unsere Rolle im Gipfelkonzert der europäischen Politik reden. Ich habe manchmal das Gefühl – das sage ich ganz selbstkritisch –, dass wir in zwei Paralleluniversen leben: Da gibt es Brüssel; hier gibt es den Deutschen Bundestag als nationalen Gesetzgeber. – Das ist nicht so vorgesehen. Wir haben durch den Vertrag von Lissabon, durch das Grundgesetz und auch durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Deutscher Bundestag ziemlich viele Pflichten und Rechte. Diese sollten wir mehr nutzen.
Wir haben die Pflicht, unsere Regierung im Rat zu kontrollieren. Wir haben das Recht zur Stellungnahme und zur Mitwirkung an europäischen Rechtsetzungsprozessen. Wir haben das Instrument der Subsidiaritätsrüge,
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das wir wohl gar nicht so oft nutzen, wie wir es vielleicht nutzen könnten. Und wir haben natürlich die Souveränität über den Haushalt. Die haben wir allerdings weidlich genutzt und auch richtig genutzt.
Ich kann uns alle nur dazu ermuntern und aufrufen, dass wir uns als nationales Parlament nicht als die anderen begreifen, sondern dass wir uns als integralen Inhalt und Bestandteil des europäischen Rechtsetzungsprozesses begreifen und dass wir deswegen noch viel öfter über Europa reden, als wir das derzeit tun.
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Zum Schluss möchte ich drei Wünsche äußern.
Erster Wunsch: Ich wünsche mir, dass wir Europa nicht immer nur auf die Finanzfragen reduzieren und uns nicht darauf beschränken, uns neue Töpfe zu überlegen, mit denen wir noch einmal Geld verteilen können. Obwohl das so einfach ist, sollten wir dieser süßen Versuchung widerstehen und uns mehr den Sachfragen zuwenden, die wirklich wichtig sind – Migration, äußere und innere Sicherheit, gemeinsame Forschung, gemeinsame Bildung, Erasmus und viele andere Sachen. Dadurch würden wir die Akzeptanz von Europa nachhaltig steigern. Es ist allemal besser, Lösungen zu finden, als Probleme mit Geld zuzuschütten.
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Zweiter Wunsch: Ich wünsche mir, dass die Geschichte von Europa zukünftig nicht mehr von Politikern, Beamten, Journalisten oder Wissenschaftlern erzählt wird,
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sondern dass sie emotional von denjenigen erzählt wird, die Europa groß gemacht haben und die von Europa profitiert haben. Es geht – ich habe das hier schon einmal gesagt – um meinen deutschen Studienfreund, der im Erasmus-Programm seine schwedische Frau kennengelernt hat und heute eine europäische vielsprachige Familie hat, die in ganz Europa lebt. Es geht um den estnischen Softwareingenieur, der durch die Förderung der Europäischen Union ein Start-up in Tallinn nun aufbauen konnte und im Gegensatz zu seinen Eltern und Großeltern Zukunft hat. Es geht auch um die alte Frau, die ich auf Vertriebenen-Veranstaltungen gesehen habe, die von den Schrecken ihrer Kindheit und ihrer Jugend, von Gewalt, Flucht und Vertreibung gezeichnet ist und uns erzählen kann, dass wir durch diese Europäische Union seit 70 Jahren in Frieden leben, meine Damen und Herren.
Dritter Wunsch: In den 50er-Jahren sind europäische Staatsmänner – der Italiener de Gasperi und die Franzosen Monnet und Schuman – in einer ganz schwierigen Situation, obwohl sie überhaupt keinen Grund dazu gehabt haben und obwohl es viel Widerstand in der eigenen Bevölkerung gab, auf Konrad Adenauer zugegangen und haben gesagt: Wir müssen in Europa gemeinsam etwas machen. Wir machen das trotzdem.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche mir, dass wir heute den Mut haben – trotz aller vorhandenen Schwierigkeiten sind wir hinsichtlich Europa in einer viel einfacheren Situation als Schuman, Monnet, de Gasperi und Adenauer –, auch zu sagen: Wir machen es trotzdem.
Danke schön.
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Jetzt hat die Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Dr. Sahra Wagenknecht, das Wort.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin! Dass Deutschland zurzeit eine handlungsunfähige Regierung hat, die offenkundig voll damit ausgelastet ist, Woche für Woche um ihr politisches Überleben zu kämpfen, ist nicht nur für die Menschen in Deutschland eine Belastung. Eine Lame Duck im Kanzleramt macht auch die Lösung der Probleme in Europa nicht leichter.
({0})
Von diesen Problemen gibt es wahrlich mehr als genug. Die endlosen Brexit-Verhandlungen sind wahrscheinlich noch nicht einmal das größte darunter.
Europa ist in schlechter Verfassung. Die soziale Ungleichheit wächst, und die Lebensunsicherheit, die Zukunftsangst von immer mehr Menschen nehmen zu. In den Ländern des Südens wie Italien haben sich die Lebensverhältnisse der Mehrheit in den letzten Jahren spürbar verschlechtert, und ein erheblicher Teil der jungen Generation steht ohne Zukunft da. Herr Brinkhaus, wenn das für Sie das „erfolgreichste Wirtschaftsprojekt der Geschichte“ ist, dann muss man sich wirklich einmal fragen, wo Ihre Maßstäbe liegen;
({1})
denn es sind die unsozialen Vorgaben der EU-Verträge, die genauso zu dieser Situation beigetragen haben wie die dreisten Politikdiktate aus Brüssel und Berlin. Beides hat dazu beigetragen, dass dieses Europa immer unsozialer geworden ist. Im Ergebnis haben antieuropäische Kräfte eben leichtes Spiel. Wir haben heute eine Situation, wo die FPÖ und die Lega Nord jeweils in den Regierungen ihrer Länder sitzen.
Wie es in Europa aussehen könnte, wenn die nächste große Krise offen ausbricht, das möchte ich mir lieber nicht ausmalen. Für diese Zerstörung des europäischen Zusammenhalts tragen Sie, Frau Merkel, eine ganz erhebliche Mitverantwortung.
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Es ist doch kein Wunder, dass Europa auseinanderdriftet, wenn ausgerechnet die Regierung des wirtschaftlich stärksten Landes ständig gegen den Geist der guten Nachbarschaft verstößt.
„Made in Germany“ stand früher vor allem für Qualität und solide Ingenieursarbeit. Der wichtigste Wettbewerbsvorteil unserer Wirtschaft waren ihre gut ausgebildeten Fachkräfte. Heute hat Deutschland einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa. Wir exportieren Fleisch und Nahrungsmittel. Viele Branchen finden keine Fachkräfte mehr, weil unser Bildungssystem chronisch unterfinanziert ist und falsche Weichen stellt und weil miese Löhne junge Menschen davon abhalten, sich für bestimmte Berufe überhaupt noch ausbilden zu lassen.
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Und da erzählen Sie allen Ernstes, Frau Merkel, Ihr Ziel sei eine Stabilisierung der Währungsunion. Was die Währungsunion gefährdet, sind ganz sicher nicht die geringfügigen Rentenverbesserungen, die die italienische Regierung gerade beschlossen hat. Was die Währungsunion irgendwann einmal sprengen wird, das sind schlechte Löhne, schmale Renten und rekordniedrige Investitionen in Deutschland; denn das stranguliert unseren Binnenmarkt. Das liegt letztlich diesen extremen Exportüberschüssen zugrunde, mit denen wir immer mehr Menschen gegen uns aufbringen. Das muss doch endlich beendet werden.
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Auch klimapolitisch gehört die Bundesregierung doch längst zu den Bremsern in Europa. Jüngstes Beispiel dafür war die Abstimmung über die CO 2 -Grenzwerte. Statt guter Industriepolitik, die die Grundlage für unseren künftigen Wohlstand und ein umweltgerechtes Wirtschaften legt, machen Sie schlechte Lobbypolitik, um Ihre Freunde und Ihre Spender in den Chefetagen der Autoindustrie zufriedenzustellen. Ich finde, bei so einer Politik können die Wähler doch nur noch davonlaufen.
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Da wollten Sie doch tatsächlich ein Mal Handlungsfähigkeit beweisen, nämlich beim Dieselskandal. Da muss ich nun wirklich sagen: Wenn so etwas wie der Dieselkompromiss herauskommt, wenn die Bundesregierung ein Mal handlungsfähig ist, dann kann man schon fast froh sein, dass das nicht mehr allzu oft vorkommt.
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Es kann doch nicht wahr sein, dass Sie der Autoindustrie jetzt noch eine goldene Brücke dafür bauen, mit ihrem eigenen Betrug auch noch ein Geschäft zu machen, während Sie die Dieselfahrer komplett im Regen stehen lassen. Ich kann Ihnen noch einmal die Zahlen nennen: Die Autohersteller haben allein in den letzten fünf Jahren über 100 Milliarden Euro Gewinn gemacht, unter anderem mit dem Betrug an ihren Kunden. Deswegen finde ich: Jetzt bringen Sie doch wenigstens das bisschen Rückgrat auf, die Hersteller zu verpflichten, die notwendige Hardwarenachrüstung auf eigene Rechnung durchzuführen! Alles andere ist doch armselig.
({7})
Das gleiche Trauerspiel findet in der Steuerpolitik statt. Da macht die EU-Kommission unter dem Eindruck dieser vielen Steuerskandale ausnahmsweise einmal einen richtigen Vorschlag, nämlich dass die Konzerne in Zukunft ihren Umsatz und ihre Steuerzahlungen einzeln nach den einzelnen Ländern ausweisen sollen. Und wer legt selbst gegen diesen zarten Vorstoß in Richtung mehr Steuergerechtigkeit sein Veto ein? Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz.
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Also, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, bei solchem Personal müssen Sie sich doch nicht wundern, wenn Sie bei Wahlergebnissen im einstelligen Bereich landen.
({9})
Zusammenhalt kann es aber nur in einem Europa geben, in dem die sozialen Unterschiede innerhalb der Länder nicht immer weiter wachsen. Im Europäischen Rat steht das soziale Europa allerdings schon seit vielen Jahren nicht mehr auf der Tagesordnung. Seit Jahren wird stattdessen über Bankenrettung, über Sozialabbau oder über Migration, über Aufrüstung und über neue gemeinsame Kriege debattiert. Es ist doch nicht erstaunlich, dass so ein Europa die Menschen nicht mehr begeistern kann.
Wenn Sie über Migration reden, sollten Sie vielleicht ein Mal auch über die anhaltende Mitverantwortung Europas reden. Das ist doch das zentrale Thema dabei.
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Jeder noch so ambitionierte Marshallplan für Afrika muss doch scheitern, solange europäische Agrarkonzerne Millionen Kilo an Tomatenkonserven und Hühnerfleisch nach Afrika exportieren, gegen die kein afrikanischer Bauer auch nur den Hauch einer Chance hat.
({11})
Damit verschärfen Sie doch die Probleme. Damit verursachen Sie doch genau das, bei dem Sie jetzt ständig darüber reden, wie Sie mit den Auswirkungen zurechtkommen.
Inzwischen wächst der Hunger auf dieser Welt wieder. 20 000 Menschen sterben jeden Tag an Hunger – 20 000! Statt endlich etwas gegen dieses unvorstellbare Elend zu unternehmen, pumpen Sie noch mehr Geld in Rüstung und noch mehr Geld in Waffen und werben dafür sogar noch auf europäischer Ebene. Ich finde, so eine Politik ist eine Schande.
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Es ist doch kein Geheimnis: Neben Armut und Perspektivlosigkeit sind eben Kriege der Hauptgrund für globale Fluchtbewegungen. Umso erschreckender finde ich es, dass die Bundesregierung eine der wenigen erfreulichen Festlegungen im Koalitionsvertrag offenbar nie ernst genommen hat. Ich rede von der Festlegung, an Staaten, die an dem blutigen Krieg im Jemen beteiligt sind, keine Waffen mehr zu liefern. Diese Festlegung war offenbar von vornherein nichts als weiße Salbe, um die GroKo-Gegner in der SPD ruhigzustellen; denn allein seit März wurden Waffen im Wert von 254 Millionen Euro an einen der Hauptbeteiligten im Jemen-Krieg, nämlich an die islamistische Kopf-ab-Diktatur Saudi-Arabien, geliefert und Genehmigungen für weitere Großaufträge erteilt.
Im Jemen droht laut UN eine der größten humanitären Katastrophen dieser Welt, und einem der Hauptverantwortlichen für diese Katastrophe, einem der Hauptverantwortlichen für diese Verbrechen liefern Sie unter Bruch Ihres eigenen Koalitionsvertrages unbeeindruckt weiter die Mordwerkzeuge. Was ist denn das für eine Skrupellosigkeit? Was ist denn das für eine unsägliche Politik?
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Von der scheinheiligen Doppelmoral, die nicht nur Trump, sondern auch Sie im Fall des ermordeten Journalisten Khashoggi, an den Tag legen, ganz zu schweigen!
({14})
– Na ja, ich weiß ja, wie Herr Maas damals bei einem anderen Mord reagiert hat. Da wurden massenweise Diplomaten ausgeladen und aus Deutschland ausgewiesen,
({15})
während in diesem Fall jetzt plötzlich die saudischen Diplomaten wieder willkommen sind und man die entsprechende Macht hofiert. Wenn das nicht Doppelmoral ist, dann weiß ich nicht, was Doppelmoral ist.
({16})
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Wer zu spät geht, den bestraft es erst recht. Das gilt nicht nur für Horst Seehofer; das gilt auch für Sie, Frau Bundeskanzlerin. Allerdings ist diese Regierung vor allem eine Strafe für unser Land. Ich denke, auch Europa braucht dringend eine deutsche Regierung, die die Kraft für einen Richtungswechsel aufbringt, eine Regierung, die zu einer Politik der guten Nachbarschaft zurückkehrt, die unfaire Handelspraktiken beendet und die sich um eine Stärkung des sozialen Zusammenhalts in Europa bemüht, statt Lobbyisten zu bedienen. Statt diesen Richtungswechsel weiterhin zu blockieren, sollten Sie lieber gehen, Frau Merkel.
({17})
Nächste Rednerin ist die Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Herr Brinkhaus, Sie haben zu Recht über die große Vergangenheit Europas als Friedensprojekt gesprochen, als dieses Gemeinsame, das wir haben, als das Größte und das Schönste, was wir zu verteidigen haben. Ich fände es gut, wenn wir über dieses Europa auch als ein echtes Zukunftsprojekt mit echten Ambitionen reden könnten; denn darum geht es heute und in diesen Tagen.
({0})
Ich finde, dass wir diese Verpflichtung haben angesichts dessen, dass 81 Prozent der Menschen in Deutschland sagen: Europa ist eine gute Sache. – Da sage ich Ihnen, Frau Merkel: So eine langweilige, unambitionierte, unleidenschaftliche Rede wie heute hier haben diese 81 Prozent der Deutschen nicht verdient.
({1})
Ich will in meiner Rede heute hier auf die zentrale Zukunftsfrage eingehen, über die wir in Europa gemeinsam reden könnten, was wir aber leider nicht tun. Herr Lindner, deswegen rede ich jetzt darüber, wie es in Europa mit dem Klimaschutz aussieht.
Frau Merkel hat in ihrer Rede von Vernunft, von Solidität, von Zuverlässigkeit gesprochen. 17 – in Worten: siebzehn! – EU-Vertragsverletzungsverfahren laufen gegen unser Land allein im Umweltbereich, meine Damen und Herren. Dabei geht es nicht um so etwas wie DIN-Normen oder Zollbestimmungen, sondern da geht es um Nitratbelastung im Wasser, da geht es um Luftverschmutzung, da geht es um die Gesundheit der Menschen in diesem Land. Ich finde, das können wir uns nicht leisten. Nur Griechenland und Spanien verletzen häufiger das EU-Recht als Deutschland. Es ist doch absurd, was wir da machen!
({2})
Auf der anderen Seite steht Deutschland auf der Bremse, Beispiel Artensterben. Es gibt immer noch keine Positionierung zur Gemeinsamen Agrarpolitik. Auch das Thema Glyphosat wird nicht gerade dazu dienen, Vertrauen zu schaffen, dass wir da eine Lösung erreichen. Bei den Fischfangquoten, Frau Klöckner, haben Sie an diesem Montag wieder gezeigt, worum es Ihnen geht. Ihnen sind die Fische in der Ostsee und die Jobs der Fischer egal, frei nach dem Motto: Ostseehering und Dorsch bye bye! Das ist europäische Politik, bei der Sie auf der Bremse stehen, die wir aber dringend bräuchten.
({3})
Oder – ziehen wir es wieder ein bisschen größer – die Klimaziele, die CO 2 -Einsparung: Nur keine ambitionierten Klimaziele! Frau Schulze wurde an die Kette gelegt. Nicht einmal 5 Prozent mehr waren möglich. Und obendrauf gab es dann noch lasche CO 2 -Grenzwerte für die Autobosse. Ja wo leben wir denn?
({4})
– Die waren es ja, die wieder angerufen haben, Herr Lindner; darum geht es ja.
({5})
– Ja, die Jobs; das ist genau der Punkt, über den ich jetzt gerne reden will.
Kommen Sie mir bitte nicht damit, Herr Lindner nicht, Frau Nahles nicht und auch sonst niemand: Mit Innovationen sichert man Jobs. –
({6})
Man sichert sie mit Einsparung von Energie und Rohstoffen, meine Damen und Herren.
({7})
Da bin ich beim Internationalen Gewerkschaftsbund, der das mit einem Satz klar und deutlich auf den Punkt gebracht hat:
({8})
Auf einem sterbenden Planeten gibt es keine Jobs. – Das ist der Punkt, um den es geht.
({9})
Sie unterzeichnen das Klimaschutzabkommen von Paris, und hinterher wird es von dieser Bundesregierung regelrecht sabotiert. Meine Damen und Herren, die Heißzeit ist keine Laune der Natur, sie ist menschengemacht. Im Moment trocknen der Rhein und die Spree aus.
({10})
Das ist nicht mehr lustig, das ist ein riesiges Problem.
({11})
Dies ist der letzte EU-Gipfel vor der Klimakonferenz in Katowice. Warum bitte verweigern Sie sich der Initiative von Frankreich und Luxemburg, den Weltklimabericht zum Thema zu machen? Sie könnten ja ein Mal überraschen. Sie könnten zeigen, dass Sie aus dem Wahlergebnis in Bayern gelernt haben.
({12})
Sie könnten zeigen, dass Sie verstanden haben, was für die Menschen bei der Wahl an diesem Wochenende ein entscheidendes Thema war – man hat es schon lange davor im Hambacher Wald, aber auch auf der Straße erlebt –: Klimaschutz ist ihnen zentral wichtig. Da reicht es nicht, nur ein Stichwort zu erwähnen, sondern das heißt, tatsächlich etwas zu tun und entsprechend zu verhandeln. Darum muss es gehen.
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Liebe Bundesregierung, stoßen Sie nicht länger die vor den Kopf, die in unserem Land engagiert, weltoffen und optimistisch sind. Hören Sie auf, gutes Regieren durch Kleinhäckseln der Probleme, die Sie selbst geschaffen haben, zu ersetzen. Wenn heute in Brüssel wieder einmal über den Brexit verhandelt wird, dann muss bei der Einigung doch auch eines klar sein: Es kann nicht sein, dass – das gilt für alles, was wir gemeinsam noch wollen, gemeinsamer Handel usw. – plötzlich europäische Gesundheits- und Umweltstandards infrage gestellt werden. Frau Merkel, das geht definitiv nicht. Sie müssen diese Standards erhalten, wenn Sie nach Brüssel fahren.
({14})
Deswegen will ich zum Schluss sagen: Die zentralen Probleme dieses Kontinents bleiben ungelöst: Klimaschutz, Flucht, gerechte Steuer- und Finanzpolitik. Das Ergebnis ist auf der einen Seite nationaler Populismus. Auf der anderen Seite sehen wir aber eine wachsende Mehrheit der Bürger in diesem Land, die Europa wollen, die eine soziale Union, Klimaschutz, eine tolerante Gesellschaft wollen und die dafür auf die Straße gehen – einmal abgesehen von der Initiative von Frau Wagenknecht. Das sind im eigentlichen Sinne die Bürgerinnen und Bürger Europas, die mehr Europa wollen, die weniger Kurzfristigkeit wollen, die mehr Kooperation und keinen Nationalismus wollen, die mehr Ökologie wollen. Hören Sie endlich auf mit ihrem Weiter-so! Hören Sie endlich auf mit Ihrem Warten auf irgendwelche Wahlen! Tun Sie endlich, was zu tun ist, und tun Sie nicht mehr nur so, als ob! Die Menschen haben das verdient.
Vielen Dank.
({15})
Nächster Redner ist der Kollege Alexander Dobrindt, CDU/CSU.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Göring-Eckardt, Sie beschreiben die großen Herausforderungen, die wir in Europa gemeinsam angehen müssen, die wir ja auch gemeinsam angehen wollen. Es sind die zentralen Herausforderungen angesichts der Frage, ob wir in Europa auch in Zukunft in Sicherheit leben können. Aber die Gemeinsamkeit, die Sie betonten, kommt im Europa-Wahlprogramm der Grünen überhaupt nicht zum Ausdruck. In Ihrem Wahlprogramm weisen Sie darauf hin, dass es eine Reihe von Ländern in Europa gibt, mit denen Sie überhaupt nicht mehr zusammenarbeiten wollen. Ob das Österreich, Rumänien, Polen, Ungarn, Italien ist, Sie weisen darauf hin, dass sich diese Länder nicht zur europäischen Idee bekennen. Es ist doch grundfalsch, alle um uns herum ausgrenzen zu wollen und dann von einer Gemeinsamkeit in Europa zu reden. Dieser Weg funktioniert nicht.
({0})
Wir müssen schon akzeptieren, dass es in Europa auch die Unterschiedlichkeit gibt. Wir wollen natürlich die Einheit in Vielfalt, aber es geht um die echte Einheit in Vielfalt.
Frau Weidel, wenn Sie hier stehen und von Europa reden, dann nehme ich Ihnen das nicht ab. Sie reden von einer „roten Karte für Europa“. Sie reden eigentlich von einem rückwärtsgewandten Europabild. Sie reden von der Vergangenheit der Abschottung. Sie reden von Nationalismus. Ich glaube, dass bei Ihnen eher das beheimatet ist, was Ihr Parteikollege Herr Höcke über Europa sagt.
({1})
Er nennt es „den Weg des kollektiven Wahnsinns“. Meine Damen und Herren, beim besten Willen: Wer die EU, wer Europa,
({2})
wer den Gedanken eines friedlichen Zusammenlebens in Europa als „den Weg des kollektiven Wahnsinns“ beschreibt, der hat den Wahnsinn zu Beginn des 20. Jahrhunderts nie verstanden und keine Schlüsse daraus gezogen.
({3})
Wir stellen fest, dass wir in Europa sehr unterschiedliche Gedanken haben, wenn es darum geht, wie man es gemeinsam positiv gestalten kann. Wir wollen ein Europa, das solidarisch ist, ein Europa, das sozial miteinander umgeht. Aber wenn man, Frau Wagenknecht, Europa per se als „unsozial“ bezeichnet,
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dann muss man auch sehen, dass es Ihre linkspopulistischen Freunde in Italien sind, die unsere Solidarität maßlos strapazieren.
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Nicht Europa ist unsozial, sondern Ihre linken Freunde sind es, die weiter Schulden machen und damit die Solidarität in Europa infrage stellen. Das ist doch die Wahrheit über Ihren Kurs.
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Es ist eine gute Nachricht – wie es die Frau Bundeskanzlerin gesagt hat –, wenn wir vom Weltwirtschaftsforum hören, Deutschland sei Innovationsführer in der EU. Wir sind globaler Innovationschampion. Das ist ein starkes Prädikat. Deswegen ist es richtig, dass wir darüber reden und diese Rolle weiter ausbauen. Innovation ist der zentrale Wohlstandsfaktor für Europa.
Aber wir wissen, dass wir auch Schwächen haben und bei denen wir deutlich besser werden müssen. Bei der Weltkonferenz zur künstlichen Intelligenz vor wenigen Wochen in Schanghai war aus Europa nur ein einziges Unternehmen vertreten, und bei einer dort verkündeten internationalen Forschungsallianz ist keine europäische Universität dabei. Das ist ein Warnschuss für den Innovationsstandort Deutschland, für den Innovationsstandort Europa. Gerade wir als Innovationsführer auf der Welt dürfen nicht in einer digitalen Schlüsseltechnologie wie der künstlichen Intelligenz zurückfallen; deswegen wollen wir die Innovationsführerschaft auch da erreichen. Dazu brauchen wir auch europäische Beschlüsse. Wir brauchen eine europäische Initiative zur künstlichen Intelligenz; bei deren Umsetzung wollen wir helfen.
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Diesen Herausforderungen müssen wir uns notwendigerweise stellen; denn wir wollen ein Europa, das sich nicht pauschal in diese vermeintlichen Gegensätze „immer mehr“ oder „immer weniger“ Europa gliedern lässt. Wir wollen ein sicheres Europa. Wir wollen ein Europa, das den Bürgern Ängste nimmt und Chancen gibt. Vertrauen, Stabilität, Sicherheit, darum geht es.
Wir wissen, dass wir das nicht alleine schaffen können. Wohlstandschancen in Europa zu ermöglichen, geht – denken wir an die Digitalisierung – nur mit einem gemeinsamen Binnenmarkt. Wenn wir auf der Weltbühne auf Augenhöhe mitspielen wollen, dann geht das nur, wenn wir mehr in die gemeinsame Verteidigung investieren und auch gemeinsame Streitkräfte aufbauen. Wenn wir den Terrorismus bekämpfen wollen, dann müssen wir im Bereich Sicherheit zusammenarbeiten.
Meine Damen und Herren, wir können übrigens auch die Frage der illegalen Einwanderung nur dann lösen, wenn wir uns gemeinsam um den Schutz der Außengrenzen kümmern.
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Da ist der Ausbau und Aufbau und die Stärkung von Frontex ein ganz wesentlicher Punkt; aber man muss Frontex dann auch an der richtigen Stelle und an den richtigen Elementen stärken. Wer kritisiert, dass Ungarn nicht nach mehr Frontex schreit, der verkennt, dass gerade Ungarn das Land ist, das seine Außengrenzen im Sinne Europas schützt. Wir müssen Frontex nicht da stärken, wo es funktioniert, sondern in den Regionen, wo es nicht funktioniert.
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Dazu gehört, dass wir uns in den Verhandlungen zum Brexit sehr klar darüber werden, was die Alternativen zu einer Verständigung mit den Engländern sind. Einfach zu akzeptieren, dass es vielleicht einen harten Brexit gibt – mit all seinen Folgen –, ist uns deutlich zu wenig. Deswegen gilt es, jetzt auch dafür zu sorgen, dass diejenigen, die in den Verhandlungen aktiv sind, eine hohe Bereitschaft zur Einigung haben. Wir haben kein Interesse daran, dass es zu einer Bestrafung Englands kommt. Wir haben kein Interesse daran, dass England sich weiter von Europa entfernt. Wir haben ein Interesse daran, dass am Ende dieser Verhandlungen eine Partnerschaft Doppelplus steht: eine Partnerschaft, die enger ist als mit allen anderen Ländern außerhalb der Europäischen Union. Wir haben ein Interesse daran, dass wir offene Grenzen am Ärmelkanal und sichere Grenzen am Mittelmeer haben, und nicht andersherum, meine Damen und Herren.
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Dass Großbritannien die EU verlässt, ist Fakt; aber wir sollten alle daran arbeiten, dass Großbritannien auch emotional ein enger Teil Europas bleibt. Es ist deswegen aus meiner Sicht nicht hilfreich, wenn in den Einladungen zum Europäischen Rat deutlich darauf hingewiesen wird, dass ein harter Brexit wahrscheinlicher ist denn je. Allein diese Formulierung, diese Art der Situationsbeschreibung, ist schon nicht hilfreich. Die größte Gefahr für die Stabilität Europas ist doch nicht nur die Entscheidung der Briten. Die größte Gefahr ist doch der falsche Umgang mit dieser Entscheidung von beiden Seiten. Deswegen müssen wir daran arbeiten, dass wir uns nicht weiter voneinander entfernen, sondern so eng wie möglich zusammenbleiben; dem müssen die Verhandlungen jetzt gelten und nichts anderem.
Wir haben einen Binnenmarkt. Großbritannien ist nach wie vor einer unserer engsten Partner. Wir haben eine Sicherheitsstruktur in Europa, bei der wir auf die Engländer nicht verzichten wollen. Wir haben eine europäische Verteidigungspolitik, die im Aufbau ist und die, glaube ich, dringend auch auf die Unterstützung Englands angewiesen ist.
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Und wir haben eine britische Jugend, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die offensichtlich ganz anders denkt als diejenigen, die zur Abstimmung gegangen sind.
Jetzt kann man dies als Vorwurf an diejenigen, die eben nicht daran teilgenommen haben, formulieren, oder man kann sagen: Man hat Verantwortung gerade für die Jugend in Europa und dafür, dass sie nicht durch falsche Entscheidungen aus der Vergangenheit langfristig in Mitleidenschaft gezogen wird. Deswegen muss auch ein Signal an die jungen Menschen in Europa von dieser Zusammenkunft ausgehen. Wir haben ein Interesse daran, dass die Jugend in Europa engstens zusammenbleibt – in Partnerschaft, in Einigkeit, in Gemeinschaft – und nicht durch wirtschaftliche Interessen auseinandergetrieben wird, meine Damen und Herren.
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In diesem Sinne erwarten wir uns kluge Beiträge vom kommenden EU-Gipfel. Wir wissen, wie außerordentlich schwierig die Verhandlungen sind. Aber wir wünschen Ihnen, liebe Frau Bundeskanzlerin, ausdrücklich Erfolg, damit wir gemeinsam dafür sorgen können, dass die Zukunft Europas in einem gemeinsamen Europa liegt und nicht in einem Europa, das die Unterschiede betont.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Vorsitzende der AfD-Fraktion, Dr. Alexander Gauland.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorfall ereignete sich in den seligen Zeiten der Königin Victoria weiland Kaiserin von Indien. Ein Sturm hatte die Funkverbindung zwischen Europa und den Britischen Inseln unterbrochen. Tags darauf erschien die „Times“ mit der Überschrift: Kontinent isoliert. – Ja, liebe Freunde, diese Zeit gab es einmal. Es gab eine Zeit, da war das Überlegenheitsgefühl der Briten gegenüber dem Kontinent für die Europäer hinter Calais gewöhnungsbedürftig und jedenfalls kein Baustein zum gegenseitigen Verstehen. Das ist lange vorbei.
Heute hat man eher das Gefühl, dass die Bürokraten in Brüssel und, ja, auch manche französischen Freunde mit einer langen historischen Erinnerung den Briten diese Haltung irgendwie vergelten wollen und nach dem Motto handeln: Wer nicht hören will, muss fühlen. Oder diplomatischer ausgedrückt: Zeigen wir ein für alle Mal, um von jeder Nachahmung abzuschrecken, dass, wer das Brüsseler Europa verlässt, entsprechend bestraft werden muss.
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Es wäre Ihre Aufgabe, Herr Kollege Brinkhaus, genau diese Haltung der europäischen Partner zu korrigieren;
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denn Verhandlungen, meine Damen und Herren, sind keine Strafexpedition, und das von Ihnen so gelobte – zu Recht gelobte – Friedensprojekt kann nur funktionieren, wenn wir die Briten auch dabei als die Freunde behandeln, die sie sind.
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Ich darf daran erinnern: Die Briten haben für ein freies Europa auf den Schlachtfeldern Flanderns und an den Stränden der Normandie geblutet. Ja, es gibt Politiker und Intellektuelle, die behaupten, mit dem Brexit hätten die Briten Europa verlassen. Das habe ich auch bei Herrn Dobrindt wieder gehört. Nein, die Briten haben Europa gar nicht verlassen; sie haben eine bestimmte Union, die konstruiert ist, verlassen.
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Das ist eine Spielart der ununterbrochenen Gleichsetzung, die Sie hier alle machen: Europa ist gleich EU. Nein, Europa ist nicht gleich EU.
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Zum einen haben die Briten kulturell immer zu Europa gehört – da werden sie auch bleiben –, zum anderen – ja, das muss man sagen – war es immer englische Politik, auf dem Festland keine Vormacht zu dulden und selbst von außen darauf Einfluss zu nehmen, dass dort kein Land zu mächtig wird. Europa zu vereinigen, war nie ein britisches Ziel. Dieses Ziel verfolgten die Franzosen unter Napoleon und in gewisser Weise leider auch die deutsche Politik im 20. Jahrhundert. Ich weiß: Vergleiche sind immer schwierig.
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Wer sich auch nur oberflächlich mit Geschichte auskennt, wer also weiß, welche enorme Bedeutung die Souveränität für die Briten besitzt, der hat sich – so ist es mir gegangen – mehr über den EU-Beitritt gewundert als über den Brexit. Denn für viele Briten ist heute die EU jene unfreundliche Vormacht auf dem Festland, die ihnen ihre Souveränität streitig macht, und das muss man abbauen, wenn man mit den Briten auf Augenhöhe weiter verhandeln und leben will, meine Damen und Herren.
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In der angeblichen Sturheit von Premierministerin May – man kann das ja immer wieder lesen – lebt der alte Geist von Winston Churchill und Margaret Thatcher. Man muss die nicht mögen; aber es ist eben typisch britisch. Wir Deutschen sind Weltmeister im Souveränitätsverzicht, aber wir können nicht von anderen erwarten, dass sie alles machen wie wir. Es herrscht in der EU inzwischen eine Stimmung des „Mitgefangen, mitgehangen“. Umgekehrt darf derjenige, der ausscheidet, nicht mehr mit Freundlichkeit rechnen. Wir sind dagegen, dass die Briten jetzt in einen harten Brexit getrieben werden, und wir erwarten von der Frau Bundeskanzlerin, dass sie Einfluss nimmt auf ihren Freund Macron, damit in diese Richtung nicht weiter verhandelt wird.
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Ja, es ist von Kollegen schon gesagt worden: Der Nordirland-Konflikt könnte da in einer Weise wieder aufleben, die wirklich eine Katastrophe für Europa und nicht nur für die britischen Inseln wäre.
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Aber, meine Damen und Herren, viele Beobachter sehen den harten Kurs der EU-Unterhändler als Strafaktion gegen die Abtrünnigen. Zugleich lesen und hören wir, dass der Rücktritt vom Brexit möglich sei und die Briten noch die Chance hätten, ihren Fehler zu korrigieren. Das ist Zuckerbrot und Peitsche und kein Verhandeln auf Augenhöhe, meine Damen und Herren.
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Mit Genehmigung des Präsidenten ein Zitat: „Das Recht der Briten, die Briten so zu regieren, wie diese es möchten, ist uns wichtig“, schrieb der englische Schriftsteller Frederick Forsyth 2013 in einem Kommentar. „Unsere Väter kämpften für dieses Recht, sie litten, und sie starben dafür.“ Wenn heute das Gros der Gesetze, Verordnungen und Verbote von nicht gewählten EU-Bürokraten hinter verschlossenen Türen in Brüssel formuliert und anschließend von einem Pseudoparlament mit überbezahlten Mitgliedern abgenickt würde, erinnere ihn das doch stark an die alte DDR.
Ich muss Ihnen gewiss nicht erklären, meine Damen und Herren, warum solche Worte bei uns in der AfD auf große Sympathie stoßen.
Danke.
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Nächster Redner ist der Kollege Martin Schulz, SPD.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Am vergangenen Freitag gab es eine Einigung zwischen Theresa May und ihren Unterhändlern und den Unterhändlern der Europäischen Union. Diese Einigung schloss insbesondere ein, dass die Übergangsfrist, die von Großbritannien gewünscht worden war, um ein weiteres Jahr verlängert wird, damit im Rahmen der dann entstehenden Zollunion die anstehenden Fragen gelöst werden können – ein fairer Deal, wie ihn Großbritannien verlangt hat und wie ihn die EU zugestanden hat. Als Theresa May dann nach London, nach Hause fährt, sagen ihr mindestens vier ihrer Regierungsmitglieder: Mit uns nicht. – Wieder steht der Zug still.
({0})
Warum? Warum steht der Zug still, der in Europa fahren müsste? Aus einem ganz einfachen Grund:
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Seit mehreren Jahren wird Europa in Geiselhaft genommen von einer einzigen Partei, der Konservativen Partei Großbritanniens, deren innere Machtstruktur dazu führt, dass Großbritannien handlungsunfähig und paralysiert ist. Und wenn es einen Punkt gibt, an dem man einer Regierungschefin sagen müsste: „Erst das Land, dann die Partei“, dann gilt das für Theresa May in diesen Tagen. Sie hat im Unterhaus eine Mehrheit. Die Liberaldemokraten, die Konservativen, die proeuropäisch sind, die übrigens in der Mehrheit sind, und auch ein großer Teil aller anderen Abgeordneten, die in der Opposition sind, sind der Meinung: Das ist ein fairer Deal. Theresa May hat eine Mehrheit. Wir können mit einem fairen Deal zum Brexit in dieser Woche zu Ende kommen. Also, liebe Frau May, handeln Sie!
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Und das, was Sie hier erzählen, ist völliger Unsinn, und zwar aus einem ganz einfachen Grund.
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– Mit der Geschichte haben Sie es nicht so, Herr Gauland.
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– Ihr Name ist auch Programm. Sie heißen Braun, glaube ich.
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Ihr Geschichtsverständnis – das haben wir gerade wieder gehört – hat einen einzigen Tenor und das ist der, den ich auch Frau Merkel mit auf den Weg nach Brüssel geben möchte, wenn es um die Migration geht – ich wiederhole das –: die permanente Wiederholung der Hetze gegen Minderheiten, die permanente Wiederholung der Hetze gegen Migranten, das permanente Reduzieren des Dramas, das hinter dem Dritten Reich und dem Niedergang der Weimarer Republik stand. Das ist Ihre Rhetorik in diesem Hause; permanent, in jeder Rede. Es ist Schluss damit, dass die Leute sich das von Ihnen bieten lassen.
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Da können Sie noch so viele beleidigende Zwischenrufe machen. Die Migration bleibt. Natürlich brauchen wir eine Sicherung der Außengrenze in der Europäischen Union. Ja, klar brauchen wir Frontex, aber wir brauchen auch eine Reform von Dublin und eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge. Wir werden nicht jeden Flüchtling in Europa aufnehmen können – das stimmt –, aber wir schauen nicht tatenlos zu, wie das Mittelmeer zum Massengrab verkommt und Sie in Zynismus darüber lachen.
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Wir brauchen in Europa Pragmatismus und humanitäre Verantwortung gleichermaßen. Das sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Die Kombination aus moralischer Verantwortung und realem pragmatischem Handeln hat Europa immer ausgezeichnet. Ich hoffe, der Europäische Rat handelt in dieser Kombination.
Was hier die ganze Zeit diskutiert wird, liebe Kolleginnen und Kollegen, verkennt doch eines: Wir leben in einem Epochenbruch. Die Welt verändert sich rabiat und rasant – ja. Und die Feinde der Demokratie, diejenigen, die die plurale Gesellschaft negieren, die die Instrumente der Diffamierung und des Herabwürdigens jeder anderen Meinung zum strategischen Ziel erhoben haben, sitzen nicht nur im Weißen Haus und brechen jede Moral international. Sie sitzen auch in diesem Haus.
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Den Geist der 250 000 Menschen, die am Wochenende hier in Berlin auf die Straße für die Unteilbarkeit der Werte unserer Verfassung gegangen sind,
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brauchen wir, wenn es darum geht, Europa nach vorne zu bringen.
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Ich hätte mir gewünscht, dass diese 250 000 Menschen, die hier demonstriert haben, und die Zehntausende in den anderen Städten die gleiche mediale Aufmerksamkeit gehabt hätten wie die 5 000 – Ihre Anhänger und die Pegida-Schreihälse – sie in Chemnitz bekommen haben.
({11})
Denn diese Menschen repräsentieren 81 Prozent, von denen Frau Göring-Eckardt gesprochen hat, die hinter diesem Projekt stehen, hinter einem Projekt, das defizitär sein mag, das unvollendet sein mag, aber das drei wesentliche Ziele für unsere Kinder und deren Kinder verfolgen muss:
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eine nachhaltige Entwicklung der Umwelt, damit wir unsere Luft noch atmen können – unsere Kinder und deren Kinder auch –,
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die Verteidigung der individuellen, unveräußerlichen Grundrechte des Menschen – das Folterverbot, das Willkürverbot, die Garantie des Instanzenzuges vor Gericht, die Abschaffung der Todesstrafe –, die Werte, für die Europa steht: ökologisch, die individuellen Grundwerte, die sozialen Grundrechte in Europa, dass wir ein Streikrecht haben, dass wir Versammlungsfreiheit haben, dass wir Pressefreiheit haben. Das alles gibt es in dieser Form nur auf einem Teil des Planeten: in der Europäischen Union.
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Ja, ich weiß, die Gegner Europas wollen das abschaffen. Aber die Menschen, die hier auf die Straße gehen, wollen das nicht. Die wollen diese Werte verteidigen, und sie wollen diese Union verteidigen. Nein, Europa ist nicht die Europäische Union; da haben Sie wohl recht. Aber die Europäische Union ist das Beste, was Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs begegnet und passiert ist,
({15})
und dafür gilt es doch, auf diesem Europäischen Rat zu kämpfen.
Frau Merkel ist ja jetzt schon weg; Sie musste Ihren Flieger nehmen. Ich hätte ihr das gerne gesagt, sage es dann aber dem Vizekanzler: Wir haben einen Koalitionsvertrag geschrieben mit der Überschrift: „Ein neuer Aufbruch für Europa“ und „Eine neue Dynamik für Deutschland“ – ökologisch, ökonomisch, sozial, politisch. In der internationalen multilateralen Welt wird es eine neue Dynamik für Deutschland nur dann geben, wenn es einen neuen Aufbruch für Europa gibt.
Wir haben jetzt monatelang erlebt, dass sich auch dieses Haus mit anderen Dingen befassen muss und noch der letzte quersitzende Gedanke in irgendeiner Provinz dieses Landes wichtiger war als der Aufbruch in Europa. Deshalb erwarte ich von diesem Europäischen Rat, meine Damen und Herren, dass er seiner Verantwortung nachkommt, den Hetzern, die auch im Rat sitzen, ihre Grenzen aufzuzeigen
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und eine Schlussfolgerung zu ziehen, die wir dringend brauchen. Jede handelnde Politikergeneration hat eine oberste Pflicht, nämlich sich die Frage zu stellen: Können unsere Kinder und deren Kinder
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damit rechnen, dass sie in der gleichen Wohlstandssicherung, in der gleichen individuellen Freiheit und in der gleichen Umwelt, die lebenswert ist, leben können, wie wir das gekonnt haben? Wenn wir eine Antwort auf diese Frage, die nämlich global ist, geben wollen, dann ist es nicht die Renationalisierung, sondern die gemeinsame europäische Anstrengung.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Alexander Ulrich, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeskanzlerin hält eine Regierungserklärung, kann oder will aber nicht bis zum Ende der Debatte da sein.
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Ich finde es eine komische Art und Weise, wie wir hier miteinander umgehen. Wenn sie eine Regierungserklärung hält, dann hat auch die Bundeskanzlerin bis zum Schluss gewährleistend da zu sein,
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und das sollten wir in Zukunft auch so halten.
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Die Europäische Union befindet sich bekanntermaßen in einer langanhaltenden Krise, und kein anderes Thema symbolisiert das mehr als der 29. März 2019 und der Austritt Großbritanniens aus dieser EU. Dieser Austritt und der 29. März 2019 rücken näher. Viele wünschen sich immer noch ein zweites Brexit-Referendum. Das wird es bis dahin nicht mehr geben. Deshalb, glaube ich, ist es dringend notwendig, dass wir jetzt zu einem guten Deal mit Großbritannien kommen, und dieser gute Deal braucht auch die notwendige Zeit. Denn ein „No-Deal-Brexit“ hätte katastrophale Auswirkungen auf vieles: nicht nur auf die Menschen in Großbritannien, sondern auch auf die Menschen in Europa und in Deutschland und auch auf die Zukunft der Europäischen Union. Deshalb ist dieser Deal nicht unter Zeitdruck zu machen, und daher appellieren wir auch an die Bundesregierung, sich bei diesem Europäischen Rat dafür einzusetzen, dass wir den Verhandlungszeitraum verlängern. Wir brauchen offenkundig mehr Zeit, über den 28. März 2019 hinaus.
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Der Artikel 50 in den Verträgen lässt diese Möglichkeit auch, wenn sich die Mitgliedstaaten darauf verständigen.
Wie könnte ein solcher guter Deal aussehen?
Der erste Punkt: Er muss das Karfreitagsabkommen und damit den Frieden Irlands sichern; das ist dringend notwendig.
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Die Abwesenheit einer physischen Grenze ist für den Friedensprozess zentral. Die harte Grenze in Irland muss vermieden werden. Das ist die Top-Priorität. Premierministerin May war ja auch bereit, der EU in dieser Frage entgegenzukommen, nicht aber der rechte Tory-Flügel – Herr Schulz, Sie haben auch darüber gesprochen – und auch nicht der Koalitionspartner aus Nordirland. Mit dieser Regierung wird es offensichtlich nicht zu einem guten Deal kommen. Deshalb setzen wir auf Neuwahlen in Großbritannien mit einem Premierminister Corbyn.
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Das wäre gut für Europa und gut für Großbritannien.
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Der zweite Punkt ist: Es muss verhindert werden, dass der Brexit zu einem Abbau von Bürgerrechten führt. Die Aufenthaltsrechte der EU-Bürger in Großbritannien und umgekehrt sollten unabhängig vom Austrittsabkommen gesichert werden. Das sollte die EU nicht weiter blockieren.
Drittens verhindert ein guter Deal, dass der Brexit den Standortwettbewerb mit Lohn- und Steuerdumping weiter anheizt. May hat ja kürzlich die Katze aus dem Sack gelassen: Die Tories wollen nach dem Brexit durch Niedrigsteuern Investitionen aus anderen Ländern abwerben. – Hier muss die EU unnachgiebig sein und mit Straf- bzw. Quellensteuern drohen.
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Übrigens wäre auch hier Corbyn der bessere Verhandlungspartner.
Viertens gehört zu einem guten Deal natürlich eine gute Perspektive für die künftigen Beziehungen. Dafür muss die EU ihr Dogma der Unteilbarkeit der Binnenmarktfreiheiten verändern. Wir müssen Großbritannien bei Abkommen wie Kanada, Singapur oder andere Länder behandeln.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Es ist viel von rechten Entwicklungen in Europa berichtet worden. Ich bin dankbar und glücklich, dass am Wochenende 240 000 Menschen hier in Berlin gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit und für mehr Sozialstaatlichkeit auf der Straße waren.
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Ich gratuliere allen Organisationen, die daran teilgenommen haben; denn es war ein gutes Zeichen für Deutschland und für Europa, dass wir den rechten Tendenzen etwas entgegenzusetzen haben.
Vielen Dank.
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Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Schulz, danke für diese feurige und starke Rede für Europa. Aber ich würde mir wünschen, dass Sie Ihrem Finanzminister, Herrn Scholz, seines Zeichens immer noch Mitglied Ihrer Partei, mal etwas mehr Dampf unterm Hintern machen.
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Da ist doch nichts.
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Wo ist denn der Aufbruch für Europa? Wir warten immer noch darauf. Sie haben ihn vor einem halben Jahr versprochen. Seither wird blockiert und ausgesessen. Da kommt nichts. Das ist fahrlässig und tragisch. Es ist schade, dass es Sie braucht, um hier etwas Dampf zu machen. Ansonsten ist unter dieser Regierung leider keine Bewegung für Europa zu spüren.
({2})
Zum Brexit sage ich: Es reicht – enough is enough. Entgegen allen Behauptungen, die hier immer wieder gemacht werden, kann die EU dem UK nicht weiter entgegenkommen. Sie hat schon unglaublich viele Zugeständnisse gemacht. Ich gebe Ihnen mal ein konkretes Beispiel: Es wird auch in Zukunft Bereiche geben, in denen UK europäisches Recht übernehmen wird: bei der inneren Sicherheit, konkret beim Datenaustausch. Wenn dann zum Beispiel der Verdacht besteht, dass sich UK nicht an die Datenschutzbestimmungen hält, wer entscheidet dann, ob unsere Daten weitergegeben werden dürfen oder nicht? Bis jetzt ist da der Europäische Gerichtshof die letzte Instanz. Diese Bedingung hat die EU ja schon lange aufgegeben. Und was ist jetzt der Verhandlungsstand? Es soll erst einen Ausschuss und dann ein Streitschlichtungsgremium geben. Dann würde man denken: Na ja, zur Not ruft man dann den Europäischen Gerichtshof an und fragt nach seiner Meinung. – Selbst das hat UK verhindert und gesagt: Das geht nur, wenn beide Seiten damit einverstanden sind – also nie. Das ist Justiz à la carte, und das geht nicht, meine Damen und Herren.
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Es ist absolut richtig, wenn Frankreich darauf besteht, dass jede Seite alleine die Meinung – nicht das Urteil – des Europäischen Gerichtshofs einholen können muss. Ich bitte diese Bundesregierung, Frankreich dabei zu unterstützen, hart zu bleiben und solch eine Justiz à la carte nicht zu ermöglichen.
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Das war nur ein kleines Beispiel; davon gibt es viele. Die britische Seite macht Pirouetten und schlägt Volten, weil auch gar nicht klar ist, wofür es im britischen Parlament eine Mehrheit gibt. Und wir sehen, wohin es führt, wenn Populisten sich durchsetzen. Es ist nicht unsere Aufgabe, Theresa May oder die Tory-Partei zu retten, sondern es ist unsere Aufgabe, die Europäische Union zu schützen und zu stärken. Diese Aufgabe müssen wir im Blick haben.
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An die Herren von der CSU: Lassen Sie den Populismus rechts liegen, verlassen Sie die Seite von Nationalchauvinisten wie Herrn Orban, und kommen Sie an die Seite derjenigen, die Europa stärken wollen. Da sind Sie immer herzlich willkommen.
Ich danke Ihnen.
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Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Katja Leikert, CDU/CSU.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt schon einiges gehört: Wir haben gehört, dass Sahra Wagenknecht behauptet, die Menschen seien nicht mehr begeistert von Europa. Wir haben von Alice Weidel irgendwas über einen Staatenbund gehört – irgendwas wird da theoretisiert –, und von Herrn Gauland wird historisiert. Die Realität ist eine ganz andere: Die Menschen sind nach wie vor von Europa stark überzeugt. 60 Prozent der Menschen in Europa halten die Europäische Union für ein gutes Projekt, in Deutschland sind es sogar 80 Prozent der Menschen. Das heißt, die Bürgerinnen und Bürger sind wesentlich schlauer als das, was wir hier von den Seiten links und rechts von uns gehört haben.
Richtig ist aber auch – auch das müssen wir zur Kenntnis nehmen –, dass in einzelnen Mitgliedstaaten – Großbritannien ist das beste Beispiel dafür, aber auch Italien – die EU-Skepsis gewachsen ist. Wir müssen deshalb die Vorteile der Europäischen Union, die für viele von uns in diesem Hohen Haus selbstverständlich sind, immer wieder erklären und betonen. Wir müssen die Europäische Union laufend besser machen – natürlich gibt es Korrekturbedarf –, aber der Kerngedanke der Europäischen Union ist richtig und wichtig.
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Die Tagesordnung des Europäischen Rats wird vom Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union dominiert. Viele von uns bedauern den Schritt Großbritanniens. Aber der Austritt Großbritanniens wird nichts an der geografischen Nähe zu uns ändern, und wir wollen weiterhin ein vertrauensvolles und freundschaftliches Verhältnis zu Großbritannien und eine enge Zusammenarbeit auf möglichst vielen Gebieten.
Aber mir ist es gar nicht so wichtig, über die technischen Aspekte des Brexit zu sprechen. Der Austrittsprozess, der sich so schwierig gestaltet – wir merken, wie kompliziert es ist, das auseinanderzuflechten –, zeigt, wie eng die 28 Nationalstaaten miteinander verbunden sind. Großbritannien war 45 Jahre Mitglied in der Europäischen Union, und diese 45 Jahre haben zu einer wirklich hohen Dichte an Verbindungen geführt. Das geht von Lieferketten, Produktionsabläufen, gemeinsamen Unternehmen, Finanzbeziehungen und Forschungseinrichtungen hin zu persönlichen Beziehungen und Erwerbsbiografien über die Grenzen hinweg. Hier wird Europa für die Menschen ganz konkret. In allen Bereichen, in denen die Vertiefung, die Vergemeinschaftung stattgefunden haben, gilt, dass das immer zum Nutzen der Beteiligten geschehen ist, für die Menschen, für die Unternehmen, für die Wissenschaft.
Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union zeigt uns darüber hinaus – jedenfalls geht das mir und einem Großteil meiner Fraktion so –, wie geradezu paradox es ist, eine funktionierende und höchst erfolgreiche Gemeinschaft aufzulösen und gleichzeitig wieder darüber nachzudenken, wie man neue Verträge und neue Verbindungen ausgestalten kann. Wir lösen Großbritannien aus dem Binnenmarkt bzw. Großbritannien löst sich selbst aus dem Binnenmarkt und aus der Zollunion heraus, und gleichzeitig müssen wir neue Formen finden, wie wir zusammenarbeiten wollen. Spätestens am Beispiel Irland wird deutlich – Ralph Brinkhaus hat es vorhin gesagt –, was hinter dem Friedensprojekt Europa steht.
Warum ist das alles so? Warum tun wir uns damit so schwer? Wir tun uns so schwer, weil gemeinsam alles leichter zu erreichen ist und – so platt es klingt – weil eine kluge Kooperation am Ende immer besser ist, als wenn jeder so vor sich hin werkelt. Genau aus dieser Verbundenheit und diesem komplexen Regelwerk – liebe Alice Weidel, vielleicht hören Sie an dieser Stelle einmal zu –,
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aus der Tatsache, dass wir Souveränität an die europäischen Institutionen abgegeben haben, ist die Stärke Europas erwachsen.
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Nach wie vor stimmt der Satz: Je besser die Europäische Union funktioniert, desto besser ist es für jeden einzelnen Mitgliedstaat.
Wirtschaftlich ist die Europäische Union ein beispielloser Erfolg. Auch die Kanzlerin hat es vorhin gesagt: Niemals in der Geschichte – vielleicht ist das auch ein historischer Fakt, der interessieren könnte – und nirgends auf der Welt ging es so vielen Menschen so lange so gut wie heute in der Europäischen Union.
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Und weil es heute so selbstverständlich erscheint und man mit diesen großen Ideen anscheinend spielen kann, ist es wichtig, zu erwähnen, woher der Erfolg rührt. Der Erfolg rührt von einem Binnenmarkt, von Freihandel und davon, dass wir gemeinsame Regelungen und Standards im Bereich Waren und Dienstleistungen haben, dass wir keine Zölle mehr haben und die Grenzen weg sind; ich brauche es nicht zu wiederholen, wir haben es oft genug gehört. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, jedenfalls wollen, dass diese einmalige Erfolgsgeschichte anhält, und jedem, der in nationale Kleinstaaterei zurückfallen will, dem erteilen wir eine ganz klare Absage.
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Für uns ist ganz klar – und genau das zeigt eben der Brexit –: Wenn es heute keine Europäische Union geben würde, dann würden wir sie erfinden.
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Wir würden anfangen, mit anderen Staaten Verträge zu schließen und Abkommen zu machen, dann wahrscheinlich eine Zollunion entwickeln und darüber hinaus die Menschen in einem Binnenmarkt stärker miteinander verbinden. Wir haben das Glück, heute die Vision unserer politischen Väter und Mütter zu leben.
Ich jedenfalls wünsche mir mehr Mut und Zuversicht, um diese weltweit einzigartige Union von Staaten zu stärken und zukunftsfest zu machen. Ich wünsche der Bundeskanzlerin heute viel Erfolg beim Europäischen Rat.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes hat das Wort der Kollege Martin Hebner, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Merkel ist offensichtlich bereits im Abflug. Von ihr haben wir heute gehört: Politik bedeutet Verantwortung. Und dann begann sie mit einer Desinformation: Europa schützt die Bürger. – Frau Merkel oder die Regierung wäre zu fragen: Warum gab es Terroranschläge in Berlin, London, Paris, Barcelona und vielen weiteren Städten, und warum gab es solche nicht in Warschau, Prag, Budapest? Was machen diese osteuropäischen Staaten richtig, und was machen Sie, auch als Regierung hier, falsch? – Ein kleiner Hinweis: Wir haben in Deutschland Tausende von Islamisten und Tausende Taliban. Überlegen Sie sich, wie viele davon in den osteuropäischen Staaten sind.
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Zum Thema Brexit: Am 23. Juni 2016 haben die Bürger des Vereinigten Königreichs in einem Referendum, in einer Entscheidung aller Bürger, über den Verbleib in der EU abgestimmt. Die Mehrheit der Bürger hat für einen Austritt votiert. Die Kommentare in den meisten deutschen Medien waren in dem Falle vernichtend. Es fehlte – im Übrigen auch bei vielen hier – der Respekt vor dem Willen der Bürger, vor dem Votum der Bürger.
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Es wird alles bemüht, um dieser demokratischen Entscheidung die Legitimität zu nehmen, um sie infrage zu stellen und die Brüsseler EU-Bürokratie als alternativlos darzustellen, als Schicksals- oder, besser gesagt, als Zwangsgemeinschaft. So gestaltet die EU-Kommission den Austritt aus der EU, den Brexit, so schwierig und so problematisch wie möglich, um ihn, egal was es kostet, zu verhindern.
In der „FAZ“ vom vergangenen Montag wurde getitelt: „Irrationale EU“. Damit hat sie nicht recht; denn von Anfang an, bereits nach dem Schock über die Mehrheitsentscheidung für den Brexit, stand das Ziel im Vordergrund, zu bestrafen, abzuschrecken und eine Nachahmung zu verhindern, weil – das hat auch Frau Nahles vorhin hier geäußert – sich das nicht wiederholen dürfe. Wie die „FAZ“ im Weiteren richtig erkannt hat, haben die Briten sich bewegt, aber die EU keinen Zentimeter.
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Das ist in diesem Falle ganz klar. Die „FAZ“ hat hier ganz korrekt berichtet; denn die Briten haben eingelenkt, teilweise sogar eine Unterwerfung unter die europäische Schiedsgerichtsbarkeit etc. angenommen, im Übrigen auch die Konditionen von Herrn Barnier, was die Kosten anbelangt.
Meine Damen und Herren, nun verweigert die EU den Briten den Zugang zu Teilen des Binnenmarktes. Das wird hier als sogenannte Rosinenpickerei dargestellt. Wäre die EU wirklich attraktiv, könnte sie gelassen, absolut gelassen mit dem Brexit umgehen; aber die EU ist unattraktiv geworden.
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Sie zieht ihre Mitglieder nicht mehr an, Euro- und Flüchtlingskrise lassen grüßen. Deshalb will die EU-Kommission jeden bestrafen, der sie verlässt, so wie eine rachsüchtige, hässliche Alte.
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In Brüssel herrscht eine verkrustete EU-Bürokratie mit über, meine Damen und Herren, 60 000 Mitarbeitern! Allein die EU-Kommission hat 32 000 Mitarbeiter. Die Briten haben festgestellt, dass die EU reformunfähig ist. Aber wie eine Krake, die alle Macht an sich zieht, will sie immer mehr Kompetenzen zu sich herüberziehen. Genau dazu haben die Briten Nein gesagt. Sie haben auch Nein gesagt zur intransparenten, wenig demokratischen, nicht legitimierten Brüsseler Gesetzgebung, zur unbegrenzten Freizügigkeit als Einfallstor für ungesteuerte illegale Migration, zu einer fast irre zu nennenden Regelungs- und Subventionswut und zu einer immer weiter ausufernden Finanz- und Ausgabenpolitik.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
All das, meine Damen und Herren, führte zum Brexit; das muss man sich ganz klar vor Augen führen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Auch das Unter-Druck-Setzen der britischen Regierung jetzt ist fast als abstoßend anzusehen. Denn wir alle wissen: Im Moment ist die britische Regierung wirklich nicht stark.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss!
Denn es hat bisher, vor Frau May, keine andere Partei mit der DUP, mit der Democratic Unionist Party, regieren müssen.
Meine Damen und Herren, die große Bitte an diese Regierung ist, sich in diesem Falle – auch im Interesse Deutschlands, der deutschen Handelsbeziehungen – für einen geregelten Austritt von Großbritannien aus der Europäischen Gemeinschaft einzusetzen.
Vielen Dank.
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Herr Kollege, ich bitte darum, dass Sie, wenn ich Sie auffordere, zum Schluss zu kommen, wirklich zum Schluss kommen. Das nächste Mal entziehe ich Ihnen das Wort.
Als Nächstes für die SPD-Fraktion der Kollege Christian Petry.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass die Bayern-Wahl rum ist; denn die proeuropäischen Töne aus der Union sind wieder sehr laut und sehr stark. Das ist, glaube ich, ein gutes Signal.
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– Das waren sie eigentlich nicht immer. Sie wissen, Herr Hardt, dass die Töne auch einmal ein bisschen anders und schräg waren. – Ich finde es ja gut: Herr Dobrindt hat eine proeuropäische Rede gehalten. Das hat er schon lange nicht mehr gemacht. Das ist etwas Positives.
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Herr Brinkhaus, ich habe das gut gefunden, was Sie gesagt haben; ich gratuliere Ihnen auch zu Ihrer Wahl. Ich würde mich freuen, wenn wir auch bei solchen „Kleinigkeiten“ wie dem Steuerrecht – bei der Harmonisierung der Körperschaftsteuer,
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bei der Einführung der Finanztransaktionsteuer, bei der Digitalsteuer – auf eine Linie kämen.
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Das wäre ein Schritt nach vorn, was die Finanzierung dieser großartigen Europäischen Union angeht.
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Die Nervosität beim Brexit steigt ein bisschen; das wissen wir, das haben wir gehört. Die Europäische Union ist attraktiv; sonst würde nicht so gerungen werden. Der Verbraucherschutz ist eine ganz starke Säule. Beim Umweltschutz gibt es Regelungen, auf die sich viele verlassen. Britische Bauern haben Angst. Die EU schützt sie und gibt ihnen Sicherheit, die dann nicht mehr da ist. Das ist alles attraktiv; darum geht es in den Verhandlungen. Das macht es ja auch so schwierig; denn der Brexit war auf Lügen gebaut. Man darf das nicht vergessen: Die Kampagne war in weiten Teilen erstunken und erlogen.
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Sie kennen doch die Bilder von dem roten Bus: 350 Millionen Pfund gibt es pro Woche zurück, „take back control“ im Gesundheitssystem – alles erstunken und erlogen! Darauf ist das Votum gebaut worden, und das macht die Sache doch sehr schwierig.
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Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, bin ich froh, dass weiter verhandelt wird, dass die Europäische Union Zugeständnisse macht und Entgegenkommen zeigt. Wir müssen selbstverständlich darauf achten – da stimme ich mit vielen meiner Vorredner überein –, dass wir in Respekt vor der britischen Nation verhandeln. Das ist eine große Nation, die uns Deutschen viel gebracht hat, der wir viel zu verdanken haben. Dieser Respekt muss sich auch in den Verhandlungen, im Verhandlungston widerspiegeln. Deswegen – da bin ich mir sicher – werden wir noch eine Einigung finden. Auch diese starke Demokratie – eine der ältesten Demokratien, auf jeden Fall älter als die deutsche – hat es verdient, dass wir hier eine gute Lösung finden. Die Verlängerung um ein Jahr ist ein gutes Signal.
Ich hoffe, dass es so kommt, wie es oft kommt: dass kurz vor Schluss – wegen mir in der letzten Nacht – noch die Vernunft einsetzt und eine Einigung erzielt wird, damit man dann die notwendige Zeit hat und vielleicht auch auf diesem Weg umkehren kann. Es gab ja große Politiker, die hier gesagt haben: Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen.
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– Herbert Wehner lässt grüßen.
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Insofern ist natürlich nicht auszuschließen, dass man in Zukunft wieder den Weg zurückgeht. Warum denn nicht? Es wird in Großbritannien Wahlen geben. Es wird neue Regierungen geben. Möglicherweise wird das, was wir empfinden, was jetzt im Bewusstsein bei uns, aber auch bei den Briten gewachsen ist, dazu führen, dass es wieder einen Weg zurück gibt. Das würde mich sehr freuen.
In diesem Sinne glaube ich, dass dieses fantastische Friedensprojekt, dieses fantastische Projekt Europa, das uns Wohlstand und Sicherheit bringt, ausbaufähig ist. Im Hinblick auf die Wahl im nächsten Jahr müssen wir diese positiven Zeichen nach vorne setzen. Gerade wir in der Bundesrepublik Deutschland haben unseren Frieden, unser gesellschaftliches System, unseren Wohlstand im Wesentlichen der Europäischen Union zu verdanken. Dies leichtfertig durch Falschinformationen zu diskreditieren, ist fast sträflich. Dennoch wird es auf der einen Seite gemacht.
Es ist unsere Chance, im nächsten Jahr dies nach vorne zu tragen, dies zur Wahl, zur Abstimmung zu stellen: Wollen wir unseren Frieden, unseren Wohlstand mit unseren Partnern hier sichern und ausbauen, oder wollen wir dies im nationalistischen Wahn zerstören? Ich bin für Ersteres, und ich glaube, viele in der Bundesrepublik, 80 Prozent, 90 Prozent und mehr, sehen dies auch so. Deshalb ist mir vor der Europawahl nicht bange. Wir haben die richtigen Themen.
In diesem Sinne: Glück auf!
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Vielen Dank, Herr Kollege Petry. – Als Nächste Katharina Dröge, Bündnis 90/Die Grünen, zu einem Zwei-Minuten-Beitrag.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Kollegen von der FDP, Herr Lindner – der jetzt leider mal wieder nicht mehr da ist –
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hat in einem Punkt seiner Rede recht: Herr Lindner hat eben die Bundeskanzlerin dafür kritisiert
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– die ist auch leider nicht mehr da –, dass sie mit Blick auf den Europäischen Rat und mit Blick auf den anstehenden ASEM-Gipfel das ganze Thema Klimaschutz nicht erwähnt hat. Ich finde, er hat recht, dies zu kritisieren.
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In einer Zeit, in der US-Präsident Trump aus dem internationalen Klimaschutzabkommen ausgetreten ist und in der die Klimakrise dramatisch fortschreitet, wäre es so wichtig, dass die Europäische Union hierauf eine Antwort findet, wäre es wichtig, dass die Bundesrepublik Deutschland wenigstens versuchen würde, eine Antwort darauf zu finden. Doch nichts davon passiert.
Gerade in dieser Woche, angesichts des ASEM-Gipfels, wo die Bundesrepublik Teil von zwei Freihandelsabkommen wird – dem Freihandelsabkommen mit Singapur, das unterzeichnet werden soll, und dem Freihandelsabkommen mit Vietnam, das die Kommission zum Abschluss vorlegen will –, hätten sie die Chance gehabt, den Klimaschutz zu stärken, sie hätten die Chance gehabt, den Klimaschutz zum essenziellen Bestandteil von Freihandelsabkommen zu machen.
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Sie hätten dafür sogar in der Europäischen Union Bündnispartner gehabt: Der französische Präsident Macron hat wiederholt gesagt, dass es mit ihm kein Freihandelsabkommen geben wird, wenn das Pariser Klimaschutzabkommen nicht effektiv verankert ist. Und wer blockiert? Ausgerechnet die deutsche Bundesregierung. Ich sage Ihnen: Das können wir so nicht durchgehen lassen. Ich würde mich freuen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wenn es eine gemeinsame Initiative von Ihnen und uns hier im Deutschen Bundestag für die Verankerung von Klimaschutz in Handelsabkommen geben könnte. Dazu lade ich Sie herzlich ein.
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Wir haben eine zweite Herausforderung angesichts eines grassierenden Rechtspopulismus auf der ganzen Welt, der in der Handelspolitik auf Nationalismus und Abschottung setzt; diese Herausforderung ist, dafür zu werben als Demokraten, dass man Globalisierung gerecht gestalten kann. Denn was Sie in der Vergangenheit getan haben, ist, zu negieren, dass diese Globalisierung Ungerechtigkeiten, Ungleichheiten erzeugt. Wenn Sie die Menschen, die das so sehen, nicht den Antworten der Rechtspopulisten überlassen wollen, dann müssen Sie darauf setzen, dass man Globalisierung regeln kann, dass man in Handelsabkommen Arbeitnehmerrechte, Menschenrechte und Klimaschutz verankern kann, dass man in der Lage ist, Globalisierung gerecht zu gestalten. Das ist nämlich möglich. Das Einzige, was bislang nicht passiert ist, ist, dass Sie es tun. Und dazu lade ich Sie ein.
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Vielen Dank für die Einladung, Frau Kollegin Dröge. – Als Nächster für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Jürgen Hardt.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meinen Redeteil darauf verwenden, über das Asiatisch-Europäische Gipfeltreffen zu sprechen. Der ASEM-Gipfel ist ein ebenfalls extrem wichtiges Ereignis. Die Europäische Union umfasst 6 Prozent der Weltbevölkerung. Die 51 Staats- und Regierungschefs, die morgen in Brüssel zusammenkommen, repräsentieren über 60 Prozent der Weltbevölkerung, über 60 Prozent des Weltbruttosozialprodukts und über 60 Prozent des Welthandels.
Wir als Europäische Union und als Deutschland haben mit Blick auf die Staaten Asiens eine ambitionierte Agenda. Unsere Antwort auf die stockenden Handelsgespräche mit den Vereinigten Staaten von Amerika war, dass wir die Bemühungen um gute und faire Handelsabkommen mit anderen Staaten intensiviert haben. So ist es gut, dass die Europäische Union das Handelsabkommen mit Japan abgeschlossen hat – im Übrigen ein Abkommen, das die Europäische Union in voller Souveränität abschließt –, und wir werden auch am Rande des Gipfels das Handelsabkommen mit Singapur unterzeichnen – ein Abkommen, dessen Investitionsteil im Übrigen eines Tages auch den Deutschen Bundestag beschäftigen wird; denn der ist noch nicht fertig und wird im Zweifel auch in die Zuständigkeit der nationalen Parlamente fallen.
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Die Handelspolitik ist übrigens ein schönes Beispiel dafür, dass übertragene Souveränität wiedergewonnene Souveränität ist. Betrachten wir zum Beispiel die Handelsauseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten von Amerika: Wo stünden wir als Deutschland, als Belgien, als die Niederlande, als Portugal und auch als Großbritannien, wenn jeder auf sich allein gestellt wäre? Dann würde man den Briten ihre geplanten Exporte von schottischem Whiskey, uns natürlich die Automobilindustrie usf. vorhalten. Nein, dadurch dass wir zusammenstehen, haben wir die Kraft und die Souveränität wiedergewonnen, uns mit unseren Vorstellungen von fairem Handel durchzusetzen. Das zeigt sich gerade in der Handelspolitik in besonderer Weise, und deswegen gibt es eben nicht die Alternative: nationale Souveränität oder europäische Souveränität. Vielmehr gibt es ganz viele und eine wachsende Zahl von Themen, bei denen die Souveränität für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes nur dadurch bewahrt und geschützt werden kann, dass wir bereit sind, sie ein Stück weit auf eine multinationale und multilaterale Ebene zu verlagern.
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Mit Blick auf die 51 Staaten, die beim ASEM-Gipfel zusammenkommen, sei auch darauf hingewiesen, dass wir in Europa und in Asien keine Situation wollen, in der sich einzelne Staaten entscheiden müssen, ob sie ihre Wirtschaftsbeziehungen zur Europäischen Union intensivieren wollen, ihre Wirtschaftsbeziehungen zu China oder eben ihre Wirtschaftsbeziehungen im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsunion, die ja maßgeblich von Russland mitbestimmt wird.
Ich bin vor wenigen Tagen in Kasachstan und in Georgien gewesen. Eines der Themen war genau, dass wir auf diesem Doppelkontinent eine Handelsatmosphäre schaffen sollten, in der eben nicht das Entweder-oder, sondern das gemeinsame Win-win im Mittelpunkt steht. In diesem Sinne, glaube ich, sollten die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung auf diesem ASEM-Gipfel auch für eine Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok werben, was letztendlich für alle Bürgerinnen und Bürger unseres Doppelkontinents von großem Nutzen wäre.
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Wir müssen natürlich auch im Blick haben, dass es auch Unterschiede in unseren Wirtschaftssystemen und Wirtschaftsordnungen gibt, die uns zu bestimmten Schlussfolgerungen veranlassen. Die chinesische Regierung – das gilt aber auch für die russische Regierung – hat etwa eine im Wirtschaftssystem des Landes begründete Herrschaft über die Wirtschaft, die es der Regierung erlaubt, wirtschaftliche Instrumente als politisches Instrument einzusetzen. Walter Eucken hätte gesagt: China ist eine Zentralverwaltungswirtschaft. Dort entscheidet nicht der CEO auf der Grundlage von Wirtschaftszahlen, ob eine Investition sinnvoll ist, sondern er muss im Zweifel die Kommunistische Partei Chinas fragen, ob er diese Investitionen so oder anders vornehmen kann. – Das wird natürlich auch eingesetzt. Das müssen wir uns vergegenwärtigen, und wir müssen auch Antworten finden, wenn wir den Eindruck haben, dass nicht wirtschaftliche, sondern politische Gründe das entsprechende wirtschaftliche Handeln des Landes bestimmen.
In diesem Sinne glaube ich, dass wir einen guten ASEM-Gipfel haben werden und dass wir die Handelsbeziehungen zu den Staaten im anderen Teil unseres Doppelkontinents entwickeln und ausbauen werden.
Danke schön.
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Vielen Dank, Herr Kollege Hardt. – Als Nächstes für die SPD-Fraktion der Kollege Dr. Jens Zimmermann.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über zwei Jahre nach dem Brexit-Referendum am 23. Juni 2016 ist eigentlich alles genau so gekommen, wie es vor der Abstimmung vorhergesagt wurde. Die Austrittsbefürworter haben von einer rosigen Zukunft für Großbritannien gesprochen, die Wirtschaft stagniert aber und ist maximal verunsichert. „Wir behalten alle Vorteile des Binnenmarktes“, haben sie gesagt. „Draußen ist draußen“, heißt allerdings die Realität. „Dass mit der Grenze in Irland werden wir schon irgendwie hinbekommen“, war auch einer der Lösungsvorschläge. Fakt ist: Zum ersten Mal seit dem Abschluss des Karfreitagsabkommens steht der Frieden in Nordirland auf Messers Schneide.
Die SPD unterstützt die Bemühungen der Bundesregierung, der Bundeskanzlerin, des Außenministers, eine Lösung für die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien zu finden. Klar ist aber auch, meine Damen und Herren: In London sitzen noch immer die gleichen konservativen Kräfte am Drücker, die mit genau diesen falschen Hoffnungen das positive Brexit-Referendum – die Entscheidung über den Austritt – überhaupt erst herbeigeführt haben. Deswegen kann eine Lösung am Ende auch nur aus London kommen.
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Mir ist aber an dieser Stelle vor allem wichtig, gegenüber unseren Freunden in Irland unserer Solidarität Ausdruck zu verleihen. Es darf keine harte Grenze auf der irischen Insel geben, und der Frieden muss gesichert werden, meine Damen und Herren.
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Das Angebot der EU 27 liegt auf dem Tisch. Premierministerin May muss dafür sorgen, dass sie in London für ihre eigene Position Mehrheiten bekommt. Das kann weder hier im Deutschen Bundestag noch im Europäischen Rat erledigt werden. Die Frage ist, wie man sich in London entscheidet.
Ich will nur darauf hinweisen: Vor dem Brexit-Referendum gab es von europäischer Seite schon Angebote. David Cameron ist damals aus Brüssel zurückgekommen mit Lösungen, die möglicherweise ein besseres Szenario dargestellt hätten als all das, was wir nun am Ende des Brexit sehen werden. Aber damals waren es die gleichen Leute in London – Boris Johnson, Jacob Rees-Mogg, diese ganze Truppe in der konservativen Partei –, die von Anfang an nur ein Interesse hatten: Raus aus Europa, egal was es koste!
Wir müssen uns aber, meine Damen und Herren, immer wieder klarmachen: Die Tür für Verhandlungen und ein positives Ergebnis – auch noch kurzfristig – ist offen. Deutschland und – darin bin ich mir sicher – auch Frankreich werden diese Tür nicht zuschlagen. Aber eines ist auch klar: Am Ende muss Theresa May, muss Großbritannien alleine durch diese Tür gehen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Zimmermann. – Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Florian Hahn.
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Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns auf der Abschlussetappe bis zum Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union Ende März 2019. Wir wollen – das haben fast alle Fraktionen festgestellt – keinen harten Brexit, und wir wollen ein fairer Verhandlungspartner sein; das sind wir auch. Das ist gar keine Frage. Aber wichtig bei den Verhandlungen ist, dass Großbritannien kein Wettbewerbsvorteil zulasten der EU erwächst. Wir müssen unbedingt vermeiden, dass der Brexit ein attraktives EU-Austrittsmodell wird. Das ist im Übrigen genau das, was die AfD gerne hätte: ein attraktives EU-Austrittsmodell, dem sich andere anschließen, damit die aus Sicht der AfD verhasste Europäische Union so, wie sie ist, endlich in sich zusammenbricht. Und das müssen wir verhindern.
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Die auf Hochtouren laufende Diskussion über die Austrittsdetails lässt den Blick auf die zentralen Fragen des Brexit derzeit in den Hintergrund rücken. Warum hat das Referendum auf der britischen Insel im Juni Erfolg gehabt? Wie konnte es so weit kommen? Und vor allem: Was können wir tatsächlich daraus lernen? Mit Sicherheit ging es dabei um Besonderheiten der britischen Innenpolitik, die nicht ohne Weiteres auf andere Länder übertragen werden können. Eines jedoch ist auch klar: Es ging um falsche Versprechen, falsche Erwartungen an Brüssel und eine über Jahre schleichende Entfremdung der Bevölkerung vom europäischen Einigungsprozess. Deswegen müssen wir auf die unbestreitbaren Erfolge der Vergangenheit hinweisen. Die Bürger wollen aber auch wissen, worin der konkrete Mehrwert gemeinsamen Handelns auf europäischer Ebene besteht.
Die vielbeschworene immer engere Union ist kein Selbstzweck und schon gar nicht ein Selbstläufer. Den Bürgern geht es nicht um immer weitere Kompetenzübertragungen nach Brüssel, sondern insbesondere um Subsidiarität, um Stabilität und um Sicherheit. Subsidiarität, Stabilität und Sicherheit – das ist unser Ansatz und nicht eine unkonditionierte Umverteilung von denen, die Leistung bringen und gut haushalten, zu denen, die sich genau darauf verlassen. Deshalb werden wir uns ganz genau ansehen, was sich Finanzminister Scholz unter dem Stichwort „europäische Arbeitslosenversicherung“ vorstellt. Ich kann Ihnen heute schon versprechen: Eine reine Geldtransfusion für schwache Ökonomien werden wir als CDU/CSU nicht mitmachen.
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– Das ist schon immer unsere Linie. Genau das machen wir auch in Zukunft.
Die Sicherheit ist zu einem der wichtigsten Anliegen der Europäer geworden. Sie erwarten von ihrer Union, dass sie sie schützt. Die Bürgerinnen und Bürger wollen sich in Europa sicher fühlen. Der Schutz unserer Gesellschaften und unserer Freiheit liegt in unserer gemeinsamen Verantwortung. Ich bin der aktuellen österreichischen Ratspräsidentschaft deshalb äußerst dankbar dafür, dass sie die Sicherheitsthemen zum Schwerpunkt ihrer Ratspräsidentschaft gemacht hat. Auch beim Europäischen Rat heute und morgen stehen die Themen der inneren und äußeren Sicherheit auf der Tagesordnung. Auch wenn keine finalen Entscheidungen zu erwarten sind, möchte ich alle Beteiligten ermuntern, volle Anstrengungen an den Tag zu legen, damit wir hier tatsächlich substanziell weiterkommen.
Cybersicherheit ist beispielsweise aktuell einer der wichtigsten Punkte auf dem Weg zur Vollendung des digitalen Binnenmarkts der Europäischen Union. Cyberangriffe werden flexibler und professioneller. Auch die Angriffsmethoden verändern sich. Der aktuelle Lagebericht des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik ist entsprechend alarmierend. Umso wichtiger ist es, dass wir die Einrichtung einer schlagkräftigen EU-Agentur für Cybersicherheit vorantreiben und die Einführung eines EU-weiten Zertifizierungssystems für Cybersicherheit beschleunigen.
An der Stärkung der Sicherheit Europas führt kein Weg vorbei. Die Zukunft der Europäischen Union als Friedensprojekt für kommende Generationen hängt nun auch von der Gründung einer Sicherheits- und Verteidigungsunion ab. Wir sind hier schon einen großen Schritt vorangekommen. Wir müssen aber auch insgesamt weiter für eine gute Europäische Union arbeiten. Das ist es, was die Bürger von uns erwarten.
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Als letztem Redner erteile ich dem Kollegen Detlef Seif, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Kollege Hebner hat vorhin die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom vergangenen Montag zitiert. Er hat richtig zitiert. Dort wurde tatsächlich behauptet, dass die EU von Großbritannien Zugeständnisse verlange, sich selbst aber keinen Zentimeter bewege. Ich sage Ihnen: Das glatte Gegenteil ist richtig.
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EU-Verhandlungsführer Michel Barnier hat das Verhandlungsziel fest im Blick: Die Europäische Union und Großbritannien sollen auch zukünftig eng und freundschaftlich verbunden sein. Aber das, meine Damen und Herren, darf nicht auf Kosten der Europäischen Union erfolgen. Der Bestand der Europäischen Union muss sichergestellt sein. Es darf auch nicht zulasten des europäischen Binnenmarkts gehen.
Der Europäische Rat hat in seinen Verhandlungsleitlinien von vornherein festgelegt, welchen Aufbau die Verhandlungen haben müssen und welche roten Linien nicht überschritten werden dürfen. Das war auch bitter nötig. Der frühere Brexit-Minister und Verhandlungsführer David Davis benahm sich in den ersten Verhandlungsrunden regelrecht wie auf einem Basar. Er hat gesagt: Die Regeln über die zukünftigen Verpflichtungen finanzieller und sonstiger Art vertagen wir mal, bis das Austrittsabkommen vorliegt. – Erst die stringente und zielführende Verhandlungsführung der Europäischen Union stellte sicher, dass relativ zügig Einigkeit über die Bürgerrechte, die finanziellen und sonstigen Verpflichtungen sowie eine Übergangsphase bis Ende 2020 erzielt wurde.
Rund 90 Prozent der Punkte sind jetzt im Prinzip geregelt. Aber, meine Damen und Herren, nichts ist vereinbart, bevor nicht alles vereinbart ist.
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Und es gibt zwei Knackpunkte:
Soweit Großbritannien den Zugang zum Binnenmarkt für Waren anstrebt, kann das nur funktionieren, wenn sämtliche Standards der Europäischen Union angewandt werden, die nicht nur das Endprodukt als solches betreffen, sondern auch alle Herstellungs- und Lieferprozesse; denn mit diesen verbunden sind Standards der Arbeitswelt und Umweltstandards. Das wollen Sie von der AfD wahrscheinlich nicht verstehen, wenn Sie behaupten, wir wollten Großbritannien bestrafen. Es geht darum, dass die Unternehmen in den anderen Mitgliedsländern, in Deutschland nicht benachteiligt werden. Wir wollen Großbritannien gleichstellen. Aber es kann doch nicht sein, dass die bessere Bedingungen haben als wir.
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Die Grenze zwischen Irland und Nordirland – ein ganz wichtiger Punkt. Die Situation vor Ort ist wirklich fragil. Es kann in der Tat der Konflikt wieder aufleben. Das muss um jeden Preis verhindert werden. Großbritannien strebt aber an, aus der Zollunion und auch aus dem Binnenmarkt auszutreten. Letztlich ließe sich, wenn man das so eins zu eins umsetzte, eine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland nicht vermeiden.
Die Europäische Union hat gesagt: Wir müssen hier eine Notfallregelung schaffen, die das ausschließt. – Die Europäische Union war sogar bereit, im Rahmen einer Notfalllösung vorzusehen, dass die Zollunion auf ganz Großbritannien ausgedehnt wird. Aber das ist nicht möglich über ein Austrittsabkommen, sondern nur im Rahmen einer politischen Erklärung, und die hat Großbritannien abgelehnt. Das ist der Streitpunkt. Da geht es nicht um Bestrafen und Schlechterstellen. Schauen Sie sich mal die umfangreichen Verhandlungen an. Sie werden Michel Barnier und dem Verhandlungsteam nicht einmal im Ansatz gerecht, wenn Sie behaupten, hier seien sachfremde Erwägungen vorhanden, die eine Rolle spielten.
Sollte das Austrittsabkommen vorliegen, besteht natürlich das Problem, dass man eine Mehrheit im britischen Unterhaus finden muss. Zurzeit gibt es für keine denkbare Variante eine Mehrheit. Aber sollte das Abkommen vorliegen, dann haben die Abgeordneten zu entscheiden: entweder für ein geordnetes Verfahren oder für ein völlig ungeregeltes Verfahren. Der Ausgang ist total offen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass hier eine Eigendynamik einsetzt.
Nach Gesprächen, die ich vor zwei Wochen mit David Lidington – das ist der Vertreter der Premierministerin – und einem Brexit-Sonderberater von Theresa May geführt habe, bin ich äußerst zuversichtlich, dass man dort kompromissbereit ist und seinerseits auch alles tun wird, um eine Regelung zu finden. Beide Seiten müssen bereit sein, an die Grenzen des Machbaren zu gehen, um große Nachteile für Großbritannien und die EU zu vermeiden. Sonst könnte sich der Brexit tatsächlich zu einem Drama in mehreren Akten entwickeln.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Seif. – Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/5044. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Entschließungsantrag gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke und mit den Stimmen der anderen Fraktionen des Hauses abgelehnt.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Stirbt ein Mensch im Straßenverkehr, sind laut einer von uns beauftragten Studie im Schnitt 113 weitere Personen direkt betroffen. Dazu gehören Familie und Freunde, aber auch Rettungssanitäter, Feuerwehrleute, Polizisten und natürlich auch der Unfallverursacher selber.
Dramatische Unfälle können dramatische Folgen haben, nicht nur Trauer und gesundheitliche Schäden, sondern auch psychische Belastungen. Deswegen ist unsere Aufgabe, die Zahl der Verkehrsunfälle zu reduzieren, und deswegen haben wir 2011 ein Verkehrssicherheitsprogramm gestartet – mit einem sehr ambitionierten Ziel, nämlich die Zahl der Verkehrstoten bis 2020 um 40 Prozent zu senken.
Wir haben auf diesem Weg schon sehr viel erreicht. Der Unfallverhütungsbericht von 2016/2017 zeigt da eine sehr gute Tendenz. Demnach hat sich die Zahl der Verkehrstoten im Zeitraum von 2011 bis 2017 um 20 Prozent reduziert: von 4 009 auf 3 180. Insgesamt lag damit diese Zahl auf dem niedrigsten Stand seit 1950. Das ist ein guter Erfolg, auch im Vergleich zu den Jahrzehnten zuvor; es ist ein ermutigender Trend. Aber natürlich gibt es noch viel zu tun.
Die Entwicklung ist klar: Die Mobilität auf der Straße verändert sich, und darauf müssen wir mit zahlreichen Maßnahmen in vielen Handlungsfeldern reagieren.
Wir haben drei Handlungsfelder ausgemacht, nämlich „Mensch“, „Infrastruktur“ und „Fahrzeugtechnik“. Mit einer Rekordsumme von fast 15 Millionen Euro machen wir mit Aufklärungs- und Informationsmaßnahmen gute Fortschritte. Ich darf dem Hohen Hause Danke sagen für die zusätzlichen Millionen, die uns für zusätzliche Maßnahmen gewährt wurden. Damit konnten viele Projekte gestartet werden wie die Kampagne „Runter vom Gas“ oder die „Ich trag’ Helm“-Kampagne, die Onlinekampagne „MOTORRAD: Aber sicher!“ und die Kampagne zum begleiteten Fahren mit 17.
Es gibt Sicherheitsprogramme für Kinder und Senioren. Ich darf mit Blick auf die Kinder verweisen auf die „Käpt’n Blaubär“-Hefte mit einer Auflage von 4,5 Millionen, die in den Kindergärten und Grundschulen ausgeteilt werden.
Wir haben zudem die Straßenverkehrs-Ordnung verändert. Das Handyverbot am Steuer wurde um das Verbot von Tablets erweitert. Man ahnt gar nicht, wie einfallsreich man an dieser Stelle ist. Ein Verstoß muss hart geahndet werden.
Wir haben neue Herausforderungen, vor allem, was die Themen „Infrastruktur“ und „Fahrzeugtechnik“ betrifft. Natürlich werden die Fahrzeuge immer moderner und bieten uns gute Möglichkeiten. Jede technische Verbesserung führt auch zu einer Verbesserung der Unfallstatistik, weil 90 Prozent der Unfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen sind. Deswegen geht es auch um die digitalen Möglichkeiten: Digitales Testfeld Autobahn und intelligente Straßenverkehrsinfrastruktur.
Wir schaffen ein modernes Straßenverkehrsrecht. Das jüngste Beispiel dafür, wie wir mit Aktionen die Herausforderungen sehr intensiv angehen, ist gerade in der städtischen Mobilität das Thema „Lkw – Radfahrer/Fußgänger“ oder auch „Auto – Radfahrer/Fußgänger“. Wir haben die „Aktion Abbiegeassistent“ gestartet. Momentan ist das freiwillig. Danke, dass sich so viele beteiligt haben! Gerade die Versorger der Supermärkte darf ich da als Beispiel nennen. Momentan ist es eine freiwillige Aktion des Bündnisses, das ich gestartet habe.
In dem Zusammenhang möchte ich Finanzminister Scholz sehr herzlich danken, der heute in der Kabinettssitzung gesagt hat, er werde die Förderung, die wir machen wollen, nämlich zur Nachrüstung der Lkws mit den Abbiegeassistenten, auch unterstützen. Wir haben auf europäischer Ebene einen Prozess. Hier habe ich Protest eingelegt, weil die Übergangsfristen für eine verpflichtende Einführung aus deutscher Sicht zu lang sind. Deswegen werden wir da noch sehr viel zu diskutieren haben.
Wir möchten alle Unfälle im Straßenverkehr verhindern, vor allem die tödlichen Unfälle. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag ein Folge-Verkehrssicherheitsprogramm für den Zeitraum 2021 bis 2030 vereinbart. Das ist eine gute Botschaft, um eine Vision zu erfüllen, nämlich die sogenannte Vision Zero. Das ist, glaube ich, über die Parteigrenzen hinweg eine Gemeinschaftsaufgabe. Damit hat sich heute das Kabinett sehr ausführlich befasst, und darüber freue ich mich sehr, weil es eine positive Botschaft mit einem positiven Trend ist.
Vielen Dank, Herr Minister.
Geschäftsleitend möchte ich darauf hinweisen, dass während der Regierungsbefragung immer nur eine Frage möglich ist; Frage und Antwort dürfen jeweils maximal 60 Sekunden dauern. Das ist anders als bei der Fragestunde. Damit die Fragesteller das schon mal im Kopf haben!
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, im ersten Teil der Regierungsbefragung nur Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde.
Die erste Frage hat der Kollege Thomas Lutze, Die Linke.
Sehr geehrter Herr Scheuer, uns einen vielleicht zwei Sachen. Das eine ist, dass wir beide gern Auto fahren, und das andere ist, dass wir ein Problem damit haben, wenn Menschen im Straßenverkehr zu Tode kommen oder schwer verletzt werden. Aus dem Grund meine Frage: Warum gibt es in Deutschland immer noch kein Tempolimit auf Autobahnen? Alle anderen europäischen Länder haben das. In Frankreich gilt auf Landstraßen jetzt Tempo 80 statt Tempo 90; das ist gerade verschärft worden. Da gibt es gewisse Trends. Die macht Deutschland nicht mit.
Warum kommunizieren wir nicht endlich 0,0 Promille Alkohol im Blut im Straßenverkehr, sondern lassen das immer noch so ein bisschen offen? Beim Thema Cannabis machen Sie es ja auch knallhart.
Die Koalition hat die klare Vereinbarung getroffen, dass es kein Tempolimit auf deutschen Autobahnen gibt. Wir haben eine Richtgeschwindigkeit. Die hat sich bewährt. Die Autobahnen sind die sichersten Straßen, die wir in Deutschland haben. Das geht vor allem auch mit dem technologischen Fortschritt einher. Wir haben nicht nur neue Autos, technisch weiterentwickelte Autos, sondern auch intelligente Verkehrsbeeinflussungsmaßnahmen dort, wo sie angebracht sind.
Zum Zweiten: Da zeigen die Ergebnisse, dass die Zahlen, was Alkohol im Straßenverkehr betrifft, durch unsere Informationskampagnen rückläufig sind. Deswegen haben wir an beiden Punkten, die Ihre Frage beinhaltet, keinen Bedarf zur Nachbesserung.
Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt der Kollege Gero Storjohann, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Minister! Herzlichen Dank für diesen sehr ausführlichen Bericht. Ich begleite die Berichte des Ministeriums ja schon 15 Jahre. – Viele Initiativen, die auf Bundesebene gestartet werden, müssen in den Ländern umgesetzt und mit den Ländern besprochen werden. Zwei Punkte habe ich hier, die mit den Ländern vielleicht besprochen werden sollten: Das Erste ist die Überwachung der Gurtanlegepflicht. Wir haben sicherlich sehr viele junge Fahrer, die den Gurt bewusst nicht mehr anlegen, sondern sich draufsetzen und dadurch ein hohes Risiko fahren. Das Zweite sind die Motorradfahrer. Illegale Kfz-Rennen haben wir verboten. Da gibt es noch keine Erfahrung; aber auch da müssen ja die Bundesländer Potenzial an Überwachung zur Verfügung stellen, um eine Verbesserung zu erreichen. Wie weit sind Sie in diesen Gesprächen?
Es gibt in der Tat Gespräche und gemeinsame Arbeitsgruppen, die dazu führen sollen, dass wir mit den Ländern zusammen Lösungen finden, wie die Überwachung vor Ort besser vollzogen werden kann. Das ist nicht nur die Gurtpflicht. Natürlich arbeiten wir auch an realistischen Themen und praktischen Erfahrungen. Wenn man selber als Verkehrsteilnehmer beim Vorbeifahren in andere Autos reinschaut, sieht man, dass in manchen fleißig telefoniert wird; da kann der Bußgeldsatz noch so hoch sein. Wir müssen daher auch kontrollieren können. Das betrifft vor allem die Gurtpflicht und die Handynutzung.
Die Umsetzung ist für uns an dieser Stelle sehr, sehr wichtig. Deswegen wird es auch weiterhin äußerst intensive Gespräche mit den Ländern geben, vor allem auch über die abscheulicherweise in Mode gekommenen Rennen, die wir vor allem nächtens in Innenstädten zu verzeichnen haben, auch gepuscht durch die sozialen Medien. Die müssen wir in den Griff bekommen, und da gibt es auch kein Nachgeben, sondern da müssen wir weiter im Gespräch, vor allem mit den Polizeien, bleiben.
Vielen Dank, Herr Minister. – Ich möchte darauf hinweisen, dass wir dort oben eine Ampel haben. Als Verkehrsminister ist Ihnen die Beleuchtung mit Sicherheit bekannt.
Warum? War meine Antwort zu lang, Herr Präsident?
Ja, wir waren schon bei Tiefrot. Wenn Sie auf die Uhr gucken – die zeigt jetzt 15.42 Uhr –, können Sie das sehen, Herr Minister Scheuer.
Ja. Ich habe mit einem Fahrverbot gerechnet.
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Als Nächste hat die Kollegin Daniela Wagner das Wort zu einer Frage.
Herr Minister, wann passen Sie den Bußgeldkatalog an, sodass verkehrsgefährdendes Verhalten deutlich strenger geahndet wird, zum Beispiel Parken auf Gehwegen oder Radwegen, Geschwindigkeitsübertretung, Nötigung und anderes mehr?
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Wir haben uns den Bußgeldkatalog zum wiederholten Mal angesehen. Es bringt ja nichts, wenn wir da ständig nachjustieren, ohne für diese neuen Tatbestände die Kontrolldichte zu verbessern. Deswegen sehe ich da keinen Bedarf zur Ausweitung der Bußgeldtatbestände. Vielmehr müssen wir zu einer besseren Umsetzung kommen. Das zeigt auch meine Antwort auf die Frage des Kollegen Storjohann: dass wir mit den Polizeien vor Ort in intensivem Dialog sind, um genau diese Vergehen besser ahnden zu können.
Ich weiß natürlich, dass sich in der städtischen Mobilität einiges verändert hat. Es ist für jeden Radfahrer lästig, wenn auf Fahrradwegen Fahrzeuge parken. Auch dazu wurden mir im Bürgerdialog schon diverse Fragen gestellt. Ich habe zugesagt, dass wir uns das noch mal genau anschauen, auch in den Gesprächen mit den Polizeien zu deren Erfahrungen, wie eben gesagt.
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Aber Hintergrund ist auch, dass ich mir ein rücksichtsvolles Verhalten aller Verkehrsteilnehmer vorstelle. Man sieht die einen oder anderen, wie sie ihr Vorrecht zum Ausdruck bringen durch Hasstiraden oder durch Schlagen auf die Motorhaube, nur weil sie meinen, mit dem Fahrrad jetzt durchfahren zu können. Ich glaube, wir alle sollten daran appellieren, dass sich die Verkehrsteilnehmer untereinander rücksichtsvoll verhalten.
Vielen Dank, Herr Minister. – Ich kann nur sagen: Augen auf im Straßenverkehr. Sie haben diesmal die Zeit noch weiter überschritten. Sie können sich freuen, dass es keinen Bußgeldtatbestand für diese Zeitüberschreitung gibt.
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Herr Präsident, dann rege ich an, dass man die Ampel direkt hierherstellt. Ich habe keine Sicht auf die Ampel.
Herr Scheuer, ich sage noch mal: Augen auf im Straßenverkehr. Wenn Sie einfach geradeaus schauen würden, würden Sie sehen: Links neben der Uhrzeit, die dort aufgeblendet ist, gibt es eine Ampel.
Als Nächstes rufe ich zu diesem Komplex den letzten Fragesteller auf; das ist der Kollege Markus Uhl, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Minister, vielen Dank für den Bericht. – Sie haben es eben schon angesprochen: Wir erleben einen Wandel in der Mobilität unseres Straßenverkehrs. Trotz steigender Fahrleistung geht die Zahl der getöteten und der verletzten Menschen im Straßenverkehr zurück. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung des Autoverkehrs wollte ich fragen: Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, damit sich die Zahl der Getöteten und Verletzten weiter reduziert?
Das ist ein zentraler Punkt. Unser Ansatz ist, Mobiles und Digitales zu vernetzen. Wir wollen nicht nur die Maßnahmen der analogen Welt nutzen, sondern sehen vor allem – ich denke da an unser großes Förderprogramm für die digitalen Verkehrsmanagementsysteme – die vorhandenen Möglichkeiten im Digitalen, die wir erst jetzt, wo wir die Finanzausstattung dafür haben, zum Laufen bringen können. Das werden wir natürlich intensiv nutzen.
Ich bedanke mich für die Frage, weil ich glaube, die Digitalisierung im Verkehrsbereich ist immer außerhalb des Blickes. Das Verkehrsministerium wird stets mit Verkehr und Mobilität in Verbindung gebracht. Wir tun gut daran, auch die Chancen des digitalen Zeitalters miteinzubeziehen.
Jetzt habe ich es geschafft, die Zeit einzuhalten, Herr Präsident.
Vielen Dank, Herr Minister. Auch Sie sind lernfähig.
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Damit haben wir den ersten Teil der Regierungsbefragung abgeschlossen. Wir kommen nun zum zweiten Teil der Befragung: Fragen zu weiteren Themen der Kabinettssitzung und sonstige Fragen. – Das Wort für die erste Frage hat der Kollege Oliver Luksic.
Herr Präsident! Herr Minister, das Thema Diesel stand auch auf der Tagesordnung. Diese Woche findet außerdem die Verkehrsministerkonferenz statt. Die Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Freien Demokraten hat ergeben, dass bisher erst acht Messstellen überprüft worden sind. Es gibt ja einen einstimmigen Beschluss, alle Messstellen zu überprüfen. Bei vier Messstellen gab es Probleme. In Aachen gab es sogar ein Fahrverbot basierend auf einer rechtswidrigen Messung. Wir sind der Überzeugung, dass wir dieses Thema dringend angehen und auch die Bundesimmissionsschutzverordnung präzisieren und vereinheitlichen müssen, damit wir europaweit gleiche Vorgaben haben.
Meine Fragen an Sie sind: Sind Sie nicht auch der Meinung, dass es einer gewissen Absurdität entspricht, dass ausgerechnet das Automobilland Deutschland weltweit die einzige Insel der Dieselfahrverbote ist? Liegt das vielleicht daran, dass wir anders messen als der Rest von Europa? Teilen Sie diese Auffassung? Und wenn Sie diese teilen: Was wollen Sie daran ändern?
Frageteil eins: Antwort ist Ja.
Frageteil zwei: Wir ändern es, indem wir Vorgaben durch einstimmigen Beschluss der Verkehrsministerkonferenz haben und wir in Kontakt mit den Bundesländern sind. Wie Sie vom Bundesland Nordrhein-Westfalen wissen, gab es hier schon eine Überprüfung. Da waren einige Messstellen nicht korrekt. Wir stehen in Kontakt mit den anderen Bundesländern zwecks einer Überprüfung der Messstellen, um auch da Klarheit zu haben.
Vielen Dank. – Als Nächstes hat das Wort der Kollege Hermann Färber, CDU/CSU-Fraktion.
Ich habe eigentlich eine Frage zum Geschäftsbereich Landwirtschaft. Der kommt, glaube ich, später dran. Oder ist auch der jetzt an der Reihe?
Herr Kollege, bei der Regierungsbefragung wäre das jetzt, das andere ist dann die Fragestunde. Ich weiß nur nicht, ob der Herr Minister Scheuer über landwirtschaftliche Themen Auskunft geben kann.
Das werden wir sehen. – Meine Frage zum Geschäftsbereich Landwirtschaft betrifft das Thema Ferkelkastration. Es geht um den Begriff der „wirksamen Schmerzausschaltung“, bei dem sich Praxis und Wissenschaft momentan letztendlich in einer ausweglosen Situation befinden. Ich hätte die Frage: Welche Maßnahmen im Bereich der Ferkelkastration sind in der Forschungsförderung geplant? Ich nehme an, der Herr Verkehrsminister ist da durchaus im Bilde. – Danke schön.
Herr Kollege, ich kenne mich zwar bei der Ferkelkastration wunderbar aus, weil ich ebenfalls einen Wahlkreis mit vielen betroffenen Landwirten habe, aber der Kollege Fuchtel kennt sich noch besser damit aus. Deswegen leite ich zur Beantwortung der Frage weiter.
Herr Kollege, das BMEL unternimmt große Anstrengungen, um durch Forschungen hier weitere mögliche Lösungen zu finden. Wenn Sie das in Zahlen ausgedrückt bekommen möchten: Allein in den letzten Jahren wurden in diesem Bereich 8,3 Millionen Euro investiert. Auch aktuell gibt es Forschungsmaßnahmen, um weitere Methoden zu erarbeiten, mit denen man das Problem besser lösen kann.
Herzlichen Dank. – Die nächste Fragestellerin ist die Kollegin Ingrid Remmers, Fraktion Die Linke.
Herr Minister, Sie propagieren im Abgasskandal ja die Softwarelösung. Jetzt haben Tests des amerikanischen Joint Research Centre ergeben, dass die NO x -Emissionen nach der Softwarelösung sogar noch zunehmen. Wieso halten Sie und das KBA vor diesem Hintergrund die Veränderung der Software für ausreichend, um die Fahrzeuge in einen zulassungskonformen Zustand zu bringen? Im Zusammenhang damit, ganz aktuell: Hat Opel die Verwendung einer Abschalteinrichtung eingeräumt?
Zu Frageteil eins: Wir vertrauen auf unsere Erkenntnisse, und die besagen: Durch die Softwareupdates wird es eine Schadstoffreduzierung von bis zu 30 Prozent geben. Deswegen brauchen wir da auch keine anderen Untersuchungen.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Wie Sie wissen, haben wir seit 2015 Untersuchungen bei Opel zu Abschalteinrichtungen, die wir für rechtswidrig ansehen. Jetzt kam eine Diskussion über eine fünfte Abschalteinrichtung auf; da läuft das Verfahren. Opel könnte sich zeitlich etwas mehr anstrengen; das haben wir auch immer eingefordert. Die Durchsuchungen führten dazu, dass wir die geforderten Daten lückenlos an die Staatsanwaltschaft übergeben haben.
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Vielen Dank. – Sie müssen damit nicht zufrieden sein.
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Als Nächstes hat für die SPD-Fraktion die Kollegin Marja-Liisa Völlers das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister, auf der Homepage des Bundesverkehrsministeriums – Stand 9. Oktober dieses Jahres – kommentieren Sie den aktuell gerade präsentierten Deutschland-Takt. Zu dessen Auswirkung habe ich eine Frage.
Der Bundesverkehrswegeplan 2030 enthält Einzelprojekte, zum Beispiel die Bahnstrecke ABS/NBS Hannover–Bielefeld, für die Höchstgeschwindigkeiten festgeschrieben werden. Der letzte Woche vorgestellte Gutachterentwurf zum Deutschland-Takt sieht zum Beispiel auf dieser Strecke um 70 bzw. 120 Kilometer höhere Höchstgeschwindigkeiten vor. Erfordert diese Planung eine parlamentarische, durch Abstimmung legitimierte Anpassung bzw. Veränderung des 2016 beschlossenen Bundesverkehrswegeplans und Bundesbedarfsplans für die Bundesschienenwege? – Vielen Dank.
Frau Kollegin, das wurde Ihnen gut aufgeschrieben. Wir wollten im Rahmen des „Zukunftsbündnis Schiene“ ein Element vorstellen, das seit zehn Jahren diskutiert wird: den Deutschland-Takt. Wir werden ihn etappenweise einführen. Und bei der Einführung des Deutschland-Taktes ist es notwendig, dass es Ertüchtigungen der Strecken gibt. Wir werden Anfang November die Maßnahmen des Potenziellen Bedarfes – so heißt das –, die bewertet wurden und zum Vordringlichen Bedarf aufsteigen, vorstellen. Der Deutschland-Takt wurde schon vorgestellt, und andere Maßnahmen werden noch folgen.
Wir denken mit dem Deutschland-Takt in die Zukunft und wollen natürlich auch Strecken ertüchtigen. Diese Koalition hat sich konkrete Ziele gesetzt, wie beispielsweise eine Elektrifizierungsquote von 70 Prozent und Kapazitätsverdichtungen mit ETCS. Das ist auch bei der von Ihnen genannten Strecke der Fall. Deswegen ist das erklärbar.
Vielen Dank, Herr Minister. – Nächster Fragesteller ist der Kollege Stephan Kühn, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Minister, Sie haben unlängst die Beschlüsse bzw. den Verhandlungsstand zu den CO 2 -Flottengrenzwerten für neue Pkw und leichte Nutzfahrzeuge des EU-Umweltministerrats kommentiert. Sie sind in der Presse so zitiert worden:
Es wurde eben nur so verhandelt, man könnte es halbherzig nennen, dass ein schlechterer Wert herauskam, als in der Bundesregierung vereinbart.
Nun hat sich die Bundesregierung vorgenommen, die Klimaschutzziele zu erreichen, indem die Emissionen im Verkehrssektor bis 2030 um etwa 30 Prozent sinken sollen. Sie haben keine ambitionierten Flottenziele in Ihrem Maßnahmenkatalog. Die Frage ist: Mit welchen Maßnahmen wollen Sie dieses Ziel, umgerechnet 70 Millionen Tonnen CO 2 im Verkehrssektor bis 2030 einzusparen, denn erreichen?
Über diese Maßnahmen wird noch zu diskutieren sein – auch im parlamentarischen Prozess. Ich habe das kommentiert, weil ich den Vorschlag der Europäischen Kommission für gut gehalten habe. Daran angelehnt, hat sich auch in der Bundesregierung eine abgestimmte Haltung vor dem Umweltministerrat ergeben. Dass ich als Verkehrsminister meine fachliche Meinung dazu kundtue, ist klar: dass ich eine Reduzierung um 30 Prozent für besser gehalten hätte als das Ergebnis, das jetzt erzielt wurde.
Wir werden ein ganzes Bündel von Maßnahmen schnüren, damit der Verkehrssektor seinen Beitrag leistet. Dazu gibt es ja schon ganz konkrete Maßnahmen bzw. einen Maßnahmenkatalog. Ich darf auf die 1 Milliarde Euro für das „Sofortprogramm Saubere Luft“, das Sie kennen, verweisen.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Markus Uhl.
Herr Minister, unsere Mobilität ist im Wandel. Wir reden heutzutage immer mehr über alternative Antriebstechnologien. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung getroffen, um E-Mobilität oder die Brennstoffzelle als Antriebstechnologie zu fördern?
Herzlichen Dank für die Frage. – Wir fördern seit Jahren – auch schon vor der Debatte um die Grenzwerte in den Innenstädten – technologieoffen. Wir gehen nicht nur an die Elektromobilität technologieoffen heran, sondern auch an die Brennstoff- und Wasserstoffzelle. Wir fördern bei den alternativen Antrieben die Forschung zu synthetischen Kraftstoffen. Wir untersuchen viele Dinge, um Ergebnisse hinsichtlich verschiedener Fahrzeuggattungen zu erhalten.
Wer heute schon sagen kann, welche Antriebsart in 15 Jahren schlussendlich führend sein wird, müsste hellseherische Fähigkeiten haben. Deswegen muss sich der Industriestandort Deutschland auch mit allen Möglichkeiten aufstellen. Allein für die Förderung der Elektromobilität hat mein Haus in den letzten Jahren 1 Milliarde Euro zur Verfügung gestellt.
Wir gehen auf diesem Weg weiter – gerade beim Thema Wasserstoffzelle. Wir fördern die Infrastruktur. Das heißt, wir wollen die Einrichtung von 100 000 Ladepunkten für Elektrofahrzeuge und von 100 neuen Wasserstofftankstellen fördern, sodass die ganze Bandbreite alternativer Antriebe abgebildet werden kann.
Trotzdem bleiben der Benzin- und Dieselantrieb, aufbauend auf deutscher Ingenieurskunst, immer noch ein Element unserer Mobilität.
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Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage hat der Kollege Oliver Luksic, FDP-Fraktion.
Herr Minister, Sie haben in der letzten Dieseldebatte im Plenum über Fetischismus beim Thema Nachrüstung gesprochen. Auch der Ministerpräsident in Hessen dringt weiter medial auf die Möglichkeit der Nachrüstung. Das halte ich für nachvollziehbar.
Sie setzen aber voll und ganz auf die Umtauschprämie. Sie haben gesagt, Sie seien kein Autohändler und auch der Staat sei kein Autohändler. Sie preisen diese Prämien jetzt an, die eigentlich nichts anderes sind als die bisher bekannten Rabatte, die man bekommt, wenn man ein Fahrzeug ganz normal erwerben will. Auch Ferdinand Dudenhöffer hat das als Etikettenschwindel bezeichnet; denn es gibt – und das ist auch meine Überzeugung – keinen Unterschied zwischen diesen vermeintlich neuen Umtauschprämien und dem, was auch schon vor dem Dieselgipfel am Markt angeboten wurde.
Ich weiß nicht, ob Sie die Industrie nicht doch als Autohändler vertreten wollen. Deswegen ist meine Frage an Sie: Können Sie denn ausschließen, dass derjenige, der sein Fahrzeug umtauschen oder ein neues Fahrzeug erwerben will, dabei massiv draufzahlen muss? Ja oder nein?
Danke für die Eingrenzung meiner Redezeit. – Vorbemerkung: Dass Sie Herrn Dudenhöffer in dieser Aussprache erwähnen, ist fast ein unfreundlicher Akt; aber das ist Ihre Meinung dazu.
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Das, was uns umtreiben muss, ist, dass wir eine Flottenerneuerung bekommen, weil die Hardwarenachrüstung nicht unmittelbar und sofort und kurzfristig umgesetzt werden kann. Deswegen sind diese Prämienmodelle umso wichtiger. Ich darf noch einmal daran erinnern, dass das „Sofortprogramm Saubere Luft“ mit der Hardwarenachrüstung für die Dieselbusse, für die Kommunalfahrzeuge, jetzt neu für die Handwerker- und Lieferfahrzeuge sehr viele Elemente umfasst. Förderumfang: 80 Prozent. Der zweite Baustein betrifft die Autoindustrie. Da sind a) die Umstiegsprämie und b) die Hardwarenachrüstung zu nennen. Die Umstiegsprämien werden jetzt auch von den Herstellern vorgestellt, und ich bleibe dabei: Ich werde da selber keine Kaufberatung machen. Ich weiß, um welche Modelle es sich handelt. Wir werden eine intensive Informationskampagne machen. Wir werden an alle Dieselbesitzer – das sind 1,4 Millionen in den betroffenen 14 Städten – einen Brief des Kraftfahrt-Bundesamtes weiterleiten, in dem alle Informationen enthalten sind, auch die verschiedenen Bürger-Hotlines, die mein Ministerium einrichten wird, aber auch die Hotlines der Hersteller, die genau diese Frage beantworten werden. Das ist nicht Aufgabe eines Ministers, sondern das muss zwischen Endkunden und Autohändlern stattfinden.
Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Lisa Badum, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Minister Scheuer, auch bei mir geht es um das Thema „CO 2 -Grenzwerte bei Pkws“. Herr Seehofer hatte ja am Montag angekündigt, dass die CSU mehr Umwelt- und Klimapolitik machen will. Da würde ich mich freuen, wenn was kommt. Aber ich weiß, Sie sind für die Bundesregierung da. Daher die Frage: Sie hatten ja gesagt, man braucht keine willkürlichen politisch-ideologischen Grenzwerte nach dem Muster „Pi mal Daumen“. Handelt es sich aus Ihrer Sicht bzw. aus Sicht der Bundesregierung bei den Werten, die vom Rat festgelegt wurden und die Sie ja nicht wollten, um willkürliche politisch-ideologische Grenzwerte? Anschließend die zweite Frage: Ist die Problematik „Pi mal Daumen“ nicht eher, dass die CO 2 -Labormesswerte der Autohersteller maßgeblich von dem abweichen, was die Autos im Realbetrieb dann ausstoßen? Man geht ja von einer Abweichung um 40 Prozent aus. Wäre es wichtig, an dem Punkt mal einzuhaken?
Vielen Dank.
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Wir haben schon längst eingehakt, Frau Kollegin, nämlich mit einer von allen gestellten Forderung nach vollständiger Transparenz des Messverfahrens. Das setzen wir ja jetzt auch um, damit für den Endkunden vollständige Transparenz hergestellt ist, also ist Ihr Anliegen schon längst erfüllt. Ich würde mir auf europäischer Ebene bei den nationalen Typgenehmigungen genau diese Strenge und Transparenz auch von anderen Herstellerländern wünschen. Hierzu gibt es aber auf europäischer Ebene, obwohl Deutschland intensiv dafür gekämpft hat, keine Mehrheiten.
Das Zweite ist: Ich habe meine fachliche Meinung zu den CO 2 -Grenzwerten. Die technisch machbaren Grenzwerte liegen für mich nach allen Erkenntnissen meines Hauses bei einer Reduktion um 30 Prozent, und das habe ich auch so kommentiert.
Die nächste Frage stellt der Kollege Markus Uhl für die CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Minister, vielen Dank für die Ausführungen. – Ich würde gerne wissen, welche Maßnahmen die Bundesregierung insgesamt ergreift, um das Thema „Digitalisierung in der Mobilität“ verkehrsträgerübergreifend voranzubringen. – Vielen Dank.
Wir haben bei uns im Ministerium eine Forschungsinitiative, den sogenannten mFUND, wo sich gerade junge Firmen, Start-ups, um 150 Millionen Euro Fördermittel bewerben können, um neue Ideen in das System der Mobilität zu bringen. Wir haben zudem im „Sofortprogramm Saubere Luft“, wo wir über 1 Milliarde Euro sprechen, 500 Millionen Euro für die digitalen Verkehrsmanagementsysteme. Im Rahmen des letzten Förderaufrufs haben wir 340 Anträge zugesandt bekommen mit einem Volumen von 330 Millionen Euro. An diesen Volumina sieht man, dass wir den Fokus sehr stark auf dem Thema Digitales haben, weil wir, wie gesagt, eine Weiterentwicklung brauchen, nämlich von der analogen Welt hin zu einer Vernetzung zwischen mobil und digital. Ich glaube, auch die technischen Neuerungen der Fahrzeuge zeigen – Car-to-Car-Communication und vieles mehr; ich bin mit Blick auf die Uhr noch nicht einmal beim automatisierten und autonomen Fahren –, wie intensiv diese genutzt werden können. Wir werden noch viel Diskussionsstoff haben. Ich freue mich, dass diese Themen bei der Nationalen Plattform „Zukunft der Mobilität“ intensiv diskutiert werden.
Der Kollege Bernd Reuther aus der FDP-Fraktion stellt die nächste Frage.
Sehr geehrter Herr Minister, die Bayerische Staatsregierung lässt seit geraumer Zeit ein klares positives Votum zum Ausbau des Flughafens München vermissen. Der Bund ist ein nicht unbedeutender Anteilseigner des Flughafens München. Daher meine Frage angesichts der neuen Regierungsbildung in Bayern: Wann rechnet die Bundesregierung mit dem Baubeginn für die dritte Start- und Landebahn in München? Rechnet sie überhaupt noch mit dem Bau dieses für Bayern so wichtigen Infrastrukturprojektes? Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um dieses Projekt doch noch auf die Piste zu bringen? – Danke.
Bitte, Herr Minister.
Herr Kollege, dass Sie so ein Herz für Bayern haben, ist mir jetzt überraschend bewusst geworden. Vielen herzlichen Dank dafür.
Wie Sie wissen, hat am letzten Sonntag eine Wahl stattgefunden. Jetzt gibt es Sondierungsgespräche und eine Koalitions- und Regierungsbildung. Dies wollen wir erst einmal abwarten. Wir sind drei Partner: Stadt München, Freistaat Bayern und der Bund. Dann werden wir mit den Partnern zusammen darüber diskutieren, welche Beschlüsse die bayerische Seite im Koalitionsvertrag vereinbart hat. Wie ich darüber als unmittelbarer regionaler Anrainer denke, können Sie sich vorstellen; denn der Flughafen ist ein absoluter Wirtschaftsturbo und Arbeitsplatzgarant sowie eine Drehscheibe, die wir auch im Verkehrssystem in Deutschland dringend brauchen. Dazu gehören auch die Möglichkeiten der Ausweitung dieses wichtigen Airports.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zwar nur noch zwei Minuten in der vorgesehenen Fragezeit, ich habe aber noch acht Wortmeldungen. Ich werde sie alle entsprechend unseren Regeln zulassen. Ich bitte darum, dass sich sowohl die Fragestellerinnen und Fragesteller an die Zeitvorgaben halten als auch – ich habe hier keinen Anlass zur Sorge – der Herr Minister bei der Antwort.
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Frau Präsidentin, Sie sind ein bisschen gütiger als Ihr Vorgänger.
Die anschließende Fragestunde verkürzt sich dann entsprechend. Dies nur als Hinweis.
Die nächste Frage stellt der Kollege Matthias Gastel.
Herr Minister, es geht mir um „Saubere Luft und die Sicherung individueller Mobilität in unseren Städten“. Sie haben bei den Stickoxiden einen Grenzwert von 270 Milligramm definiert. Im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur haben Sie in der letzten Woche auf Nachfrage gesagt, dass dieser Grenzwert im Realbetrieb eingehalten werden müsste. Ich habe Ihnen zu der gleichen Fragestellung eine schriftliche Frage gestellt, die heute beantwortet wurde. Da heißt es, es sei noch nicht klar, es müsse noch innerhalb der Bundesregierung abgestimmt werden. Auf der Homepage Ihres Ministeriums wiederum steht: „Der Wert muss im Realbetrieb eingehalten werden.“
Deswegen meine Frage: Was davon stimmt jetzt? Ist es jetzt innerhalb der Bundesregierung klar, dass es um den RDE geht, also um den Wert, der im Realbetrieb eingehalten werden muss? Wann soll gemessen werden, und wer soll messen?
Herr Kollege, die positive Antwort bezüglich des Realbetriebs befindet sich in der Antwort der Großen Anfrage der FDP-Fraktion, die wir heute im Kabinett behandelt haben. Wir müssen – für das Bundes-Immissionsschutzgesetz ist das BMU federführend – einen Entwurf erarbeiten. An meinen Verlautbarungen hat sich seit der Ausschusssitzung und der Beschlussfassung über dieses Konzept in der Koalition nichts verändert.
Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Dirk Spaniel.
Herr Scheuer, wir hatten hier mehrfach festgestellt, dass Sie, was das Thema Stickoxidmessungen angeht, verbal weitgehend auf unsere Vorschläge eingegangen sind. Wir haben jetzt auch einen Antrag eingebracht, in dem wir eine wissenschaftliche Neubewertung der Grenzwerte auf europäischer Ebene fordern. Wie kann es sein, dass die Regierungskoalition, nachdem Sie hier in einer Aktuellen Stunde gesagt haben, dass Sie unser Anliegen unterstützen, im Ausschuss unseren Antrag ablehnt? Das hat mich doch sehr überrascht.
Sie meinen jetzt die Grenzwerte auf europäischer Ebene?
Richtig, die wissenschaftliche Neubewertung der Grenzwerte auf europäischer Ebene.
Wir werden weiterhin über die Grenzwerte diskutieren. Wir haben an dieser Stelle aber Zeitdruck bei der Umsetzung der ganz konkreten Maßnahmen, die darauf zielen, die Grenzwerte in den 65 Innenstädten, die betroffen sind, zu unterschreiten. Deswegen liegt die Konzentration vor allem auf den Maßnahmen, die von der Europäischen Union eingefordert sind. Ich bin mir sehr sicher: Mit diesen Maßnahmen werden wir in vielen Städten, in denen es jetzt eine Grenzwertüberschreitung gab, die Grenzwerte unterschreiten. Denn schon jetzt ist messbar, dass die Luft durch Maßnahmen der Bundesregierung noch sauberer geworden ist als schon in den letzten Jahren.
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Nachfragen gehen jetzt nach unseren Regeln nicht. – Jetzt ist der Kollege Christian Jung dran.
Sehr geehrter Herr Minister, wir von der FDP schreiben unsere Fragen in der Regel selbst. Deswegen sind sie manchmal vielleicht auch so kritisch. –
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Ich sage das, weil Sie vorhin dazu etwas gesagt haben.
Ein wichtiges Thema, mit dem wir uns in den letzten Tagen und Stunden sehr intensiv beschäftigt haben, ist das Feuer in einem ICE bei Montabaur. Die Frage, die wir uns nach vielen Berichten von Brandschutzexperten stellen, ist, wann denn die Schnellfahrstrecke Frankfurt–Köln wieder in Betrieb geht und ob dann auch Züge des Typs ICE 3 sofort dort wieder fahren dürfen.
Wir sind in Kontakt mit der Deutschen Bahn AG. Es gibt eine weitgehende Untersuchung. Sie waren ja selbst heute im Ausschuss dabei, als ein Berichterstattergespräch vereinbart wurde. Bevor nicht gesicherte Erkenntnisse vorliegen, kann und werde ich mich dazu nicht äußern. Zu den Mutmaßungen, die teilweise kursieren, werde ich keinen Kommentar abgeben. Wir müssen die gesicherten Ergebnisse der Untersuchung abwarten.
Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Lars Herrmann.
Vielen Dank. – Meine Frage zählt eher zum Bereich der sonstigen Fragen an die Bundesregierung. Man liest in letzter Zeit in der Presse häufig von Flüchtlingen, die aus der Abschiebehaft flüchten. Letztmalig ist das Anfang Oktober in Darmstadt geschehen: Ein algerischer und ein tunesischer Staatsangehöriger haben sich da durch Flucht ihrer Abschiebung entzogen.
Meine Frage an die Bundesregierung wäre: Wie viele Ausländer – ich meine hier Ausländer im Sinne des § 4 Aufenthaltsgesetz – haben nach Kenntnis der Bundesregierung die Abschiebehaft durch Flucht verlassen?
Darüber gab es keine Diskussion im Kabinett. Ich würde diese Frage vom zuständigen Haus schriftlich beantworten lassen, damit Sie diese Auskunft erhalten.
Danke, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Kerstin Andreae.
Vielen Dank. – Ich möchte wissen, ob es im Kabinett und zwischen den Ressorts eine Diskussion zu dem 20-Milliarden-Steuersenkungsprogramm gab, das Wirtschaftsminister Altmaier, wie wir der Zeitung entnehmen konnten, anstrebt. Der Finanzminister der gleichen Bundesregierung hat am Tag darauf gesagt, dass er das 20-Milliarden-Steuersenkungsprogramm ablehnt. Es betrifft vor allem die Abschaffung des Soli. Ich würde gerne wissen, ob es die Regel und die Strategie der Bundesregierung wird, Konflikte in dieser Form öffentlich auszutragen, ob das Kabinett einen Zeitplan hat, um über dieses Thema zu diskutieren, und inwiefern die Aussage des Wirtschaftsministers, dass wir eine Verstetigung der Investitionsausgaben auf hohem Niveau brauchen, damit im Einklang steht, dass die Investitionsausgaben sinken.
Frau Kollegin, als Repräsentant der CSU in der Koalition und in der Bundesregierung hätte ich gerne heute im Kabinett über ein Entlastungspaket geredet; aber es wurde nicht darüber geredet.
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– Sie haben mich gefragt, ob das heute Thema im Kabinett war, und die Antwort ist Nein.
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Gut, also wir sind jetzt nicht im Dialog. Die Kollegin meint, sie hätte zwei Fragen in eine Frage gepackt, aber der Minister hat so geantwortet, wie er antwortet.
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Wenn es nicht Thema der Kabinettssitzung war, dann kann ich nur mit Nein antworten.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Daniela Ludwig.
Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Bereich der Luftfahrt hatten wir einen Verspätungs- und Annullierungssommer, der sich so – ich denke, das ist Konsens im ganzen Haus – nicht wiederholen darf. Wir merken, dass es nach wie vor hakt. Der Luftraum ist knapp. Das hat unterschiedliche Ursachen. Sie haben dankenswerterweise zu einem größeren Treffen in Hamburg gemeinsam mit mehreren Verkehrsministern aus den Ländern eingeladen, um mit den wichtigsten Playern darüber zu reden, wie wir solchen Dingen zukünftig entgegenwirken können. Würden Sie bitte für das Haus die wichtigsten Maßnahmen, die diesbezüglich anstehen, zusammenfassen?
Danke, Frau Kollegin. – Neben dem „Zukunftsbündnis Schiene“ haben sich Politik und Wirtschaft, in dem Fall Vertreter der Luftverkehrswirtschaft, vor allem von Flughäfen und Airlines, auf dem Luftfahrtgipfel auf ein Paket von 25 Maßnahmen geeinigt; denn wir wollen nicht, dass sich die Situation wie im Sommer 2018 wiederholt. Im März 2019 wird das nächste Treffen stattfinden, um die 25 Maßnahmen einem Monitoring zu unterziehen.
Um welche Maßnahmen geht es? Die Flughäfen werden beispielsweise allen Platz ausnutzen, um zusätzliche Abfertigungslinien zu bauen. Die Airlines werden mehr Reservecrews und Reserveflugzeuge bereitstellen. Auch die digitalen Möglichkeiten der Informationsweitergabe müssen verbessert werden. Die Passagierrechte sind sowieso unstrittig, aber wenn es zu einer Verspätung kommt, dann müssen die Passagiere sehr zeitnah informiert werden. Zu den weiteren Maßnahmen verweise ich auf die Homepage des BMVI.
Die in Hamburg verabschiedeten 25 Maßnahmen umfassen konkrete Zeitpläne. Alle waren sich einig, dass wir dafür sorgen müssen, dass das System des Luftverkehrs in Deutschland verlässlich ist. Im Jahr 2018 ist das nicht der Fall gewesen, weil es auch sehr viel quantitatives Wachstum gab. Wir müssen auch über eine verbesserte Lotsenausbildung und über Themen des europäischen Luftraums, was verbesserte Rahmenbedingungen angeht, sprechen. Über die 25 Maßnahmen wurde vollumfänglich Einigkeit erzielt.
Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Stephan Brandner.
Vielen Dank. – Am vergangenen Samstag, den 13. Oktober, fand in Berlin der Aufmarsch „Unheilbar“,
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ich meine, der Aufmarsch „Unteilbar“ mit einigen Tausend Teilnehmern statt. Zu den Befürwortern dieser Veranstaltung gehörte Medienberichten zufolge Bundesminister Maas. Bei der Veranstaltung kam es zu massiven antisemitischen und israelfeindlichen Ausfällen.
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Zudem wurde lautstark und öffentlich gefordert – Zitat – „Schweine“ wie Bundeskanzlerin Merkel und Bundesinnenminister Seehofer müsse man „aus dem Amt jagen“. Ich frage die Bundesregierung: Warum haben Sie nach dem skandalösen Verlauf dieser Demonstration die Geschehnisse dort nicht kommentiert, wie beispielsweise die Geschehnisse in Chemnitz?
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Welche Maßstäbe gelten für die Bundesregierung grundsätzlich bei der Bewertung von Demonstrationen?
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Über die Maßstäbe der Bundesregierung wird Ihnen Staatsminister Roth etwas sagen.
Bitte, Herr Staatsminister.
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter, ich vermag Ihnen nichts über die Grundsätze der Bundesregierung zu sagen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich es außerordentlich begrüße, dass Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung sich gemeinsam mit vielen Bürgerinnen und Bürgern demonstrativ für die Menschenrechte, für Demokratie und für die Menschenwürde eingesetzt haben.
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Ich kann nicht für Herrn Bundesminister Maas sprechen, aber ich bin mir sicher, dass sich alle Beteiligten, die die Bundesregierung oder auch meine Fraktion vertreten, selbstverständlich gegen alle Stimmen aussprechen, die sich mit diesen Zielen nicht vereinbaren lassen.
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Wir treten hier für Toleranz und Respekt ein – die Werte, die nicht von allen Abgeordneten dieses Hauses vertreten werden. Deshalb ist es für uns wichtig, dass wir uns diesen Werten verpflichten, auch wenn einige wenige Teilnehmende an dieser Demonstration diese Werte offenkundig nicht vertreten haben. Aber damit sollten wir nicht die vielen diskreditieren, die für Demokratie, gegen Rassismus, gegen Intoleranz und für ein starkes Europa aufgetreten sind.
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Ich habe jetzt noch sechs Wortmeldungen vorliegen und bitte wirklich, sowohl bei der Fragestellung als auch bei der Beantwortung auf die Zeit zu achten. – Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Gottfried Curio.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich frage die Bundesregierung: Im Dezember will die Regierung den Globalen Pakt für Migration unterzeichnen. Dieser Pakt verpflichtet die unterzeichnenden Staaten zur Aufnahme von Migranten auch ohne Flucht- oder Asylgrund in nicht begrenzter Zahl samt Familiennachzug, dies auch bei illegalem Grenzübertritt, auch bei Nutzung strafbarer Wege wie Schleusung und ohne Betrachten ihrer Herkunft, ihres rechtlichen Status oder ihrer Qualifikation. Meine Frage: Wenn dann sämtliche bisher geltenden Kriterien der Zuwanderungsberechtigung entfallen und damit auch jede Prüfung im Rechtsweg und jede nicht freiwillige Rückführung, wie sehen Sie unter diesen Vorzeichen den Sinn und die Arbeit der AnKER-Zentren, etwa hinsichtlich der Anwendung von Kriterien für die Aufnahme, hinsichtlich des rechtlichen Migrationsstatus und der Verteilung im Land bzw. der Rückführung?
Danke, Herr Kollege. – Ich würde dem Staatsminister Roth, der sich gemeldet hat, das Wort übergeben.
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter, ich bin dankbar dafür, hier noch einmal erwidern zu können, weil ich doch sehr darüber verwundert bin, dass Sie eine ähnliche Frage stellen wie die, die eine Ihrer Kolleginnen bereits in der vergangenen Woche gestellt hat. Da sie bar jeglicher Faktenlage ist, will ich hier noch einmal deutlich machen, worum es im Kern geht: Der Globale Migrationspakt, nicht zu verwechseln mit dem Globalen Pakt für Flüchtlinge, ist keine völkerrechtlich bindende vertragliche Grundlage, und es geht überhaupt nicht um die Verteilung oder um die Umsiedlung von Geflüchteten. Es geht um die Steuerung und um die Sicherung von Migration, und dabei geht es um die Unterstützung von Herkunftsländern, von Transitländern und Ländern, die Migrantinnen und Migranten aufnehmen. Insofern bin ich sehr verwundert darüber, dass Sie abermals hier den Versuch unternehmen, mit Unwahrheiten und offenkundig auch mit Lügen Fakten zu verdrehen. Ich weise das von mir.
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Die nächste Frage stellt die Abgeordnete Daniela Kluckert.
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Frau Präsidentin, vielen Dank. – Herr Minister, die Digitalisierung wird alles verändern, unser ganzes Leben. Natürlich wird in Zukunft auch die Antwort auf die Frage, ob eine Region für Menschen attraktiv ist, ob sie dort weiter wohnen können und wollen, auch davon abhängen, ob dort eine hochwertige und gut ausgebaute digitale Infrastruktur vorhanden ist. Bisher haben Sie alle Ziele gerissen. Wir wünschen Ihnen natürlich weiterhin viel Erfolg mit Ihren Zielen, sowohl im Gewerbebereich, wo die Koalition das Ziel verfolgt, alle Gewerbegebiete anzubinden, als auch mit dem Ziel für 2025. Gerade in strukturschwachen Regionen sind aber wenige Gewerbegebiete vorhanden; die Unternehmen befinden sich dort häufig in Einzelhäusern. Deswegen lautet meine Frage: Haben Sie darüber hinaus noch weitere Pläne, wie Sie gerade an die Kleinunternehmen herangehen wollen? Und wie sehen Sie die Problematik, dass viele der für den Breitbandausbau zuständigen Kommunen und Länder gerade in strukturschwachen Gebieten nicht die notwendigen Mittel dafür haben? Wie wollen Sie die über die Bundesförderung hinaus unterstützen?
Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land zu ermöglichen. Deswegen haben wir neben dem Mobilfunkgipfel
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mit der Förderrichtlinie für den Breitbandausbau weitere Maßnahmen ergriffen. Die Nachfrage ist auf, sage ich mal, Rekordniveau. Wir können uns da nicht beklagen, weil wir nämlich auch die Förderrichtlinie verschlankt haben und mit den Projektierern und den Entscheidern vor Ort – auch dort, wo es gehakt hat – in einem intensiven Dialog standen. Deswegen wird eine klare Perspektive sein, nicht nur Förderbescheide im Rahmen des in Europa am umfangreichsten gestarteten Ausbauprogramms, nämlich Breitband in Deutschland, zu erteilen, sondern auch die konkrete Umsetzung im Rahmen der Bauprojekte in Angriff zu nehmen. Da haben wir zugegebenermaßen einen Flaschenhals, der uns etwas Probleme bereitet.
Trotzdem sind wir mit unseren Beratern vor Ort und helfen den Kommunen intensiv. Wir werden nicht nur für Krankenhäuser, Schulen und Gewerbegebiete, wie Sie richtig sagen, Sonderprogramme auf den Weg bringen, sondern uns auch und gerade mit Blick auf den Mittelstand im ländlichen Raum gemeinsam mit den Kommunalpolitikern und den Projektentwicklern die Bereiche anschauen, in denen es notwendig ist, für den Erhalt der Arbeitsplätze die notwendige digitale Infrastruktur bereitzustellen.
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Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Rainer Kraft.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Minister, die Ausfälle auf der Regierungsbank machen nichts. Kaum halbieren sich die Prozentzahlen, liegen die Nerven blank.
Kommen wir zu einem Verkehrsthema. Letzte Woche kam es zum Abbruch des Startes von Sojus MS-10. Die Besatzung ist Gott sei Dank wohlauf, aber die Nutzlast, sowohl die Personen als auch die sonstige Nutzlast, fehlt jetzt der Raumstation ISS, die ja unter dem Kommando von Alexander Gerst, einem deutschen Astronauten, steht. Im Orbit ist noch ein weiteres Raumschiff, Sojus MS-09. Es hat allerdings nur eine maximale Aufenthaltsdauer im Weltraum von 200 Tagen. Diese laufen Ende Dezember dieses Jahres ab. Jetzt zu meinen Fragen:
Erstens. Wie wirkt sich der Ausfall des Versorgungsschiffs auf den Status der Internationalen Raumstation aus?
Zweitens. Wird die jetzige Besatzung – eine Frau und zwei Männer – Ende Dezember dieses Jahres auf die Erde zurückkehren müssen?
Drittens. Da dies ja der zweite technische Defekt im Sojus-Raumschiff in Folge war: Wie sieht die Bundesregierung die weitere Zusammenarbeit mit der russischen Agentur Roskosmos?
Danke, Herr Kollege. – Wir befinden uns in der Analyse dieses Vorfalls, der uns aufgrund der Berichterstattung in den Nachrichtenmagazinen schon gebannt in den Weltraum hat schauen lassen. Wir sind auch in der Abstimmung zwischen dem Wirtschaftsministerium, dem Koordinator für Luft- und Raumfahrt und unserem Haus, weil es da einige Schnittstellen gibt. Ich würde Ihnen vorschlagen, dass wir Ihnen nach der Auswertung einen Bericht zusenden.
Danke, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt die Abgeordnete Claudia Müller.
Vielen Dank. – Auch meine Frage betrifft eher den Bereich des Wirtschaftsministeriums. Es gab gestern vom BDI-Mittelstandsausschuss Kritik daran, dass das Wirtschaftsministerium bis jetzt keine wirkliche Mittelstandsstrategie vorgelegt hat. Meine Frage an die Bundesregierung: Wie antworten Sie auf diese Kritik, und halten Sie das, was bis jetzt als „Strategiepaket Wirtschaft“ vorgelegt wurde, wirklich für ausreichend, um den Mittelstand zu stärken?
Kollege Wittke.
Vielen Dank, Frau Kollegin Müller. – Ich kann Ihnen sagen, dass die Mittelstandspolitik einen hohen Stellenwert im Bundeswirtschaftsministerium und in der Arbeit des Bundeswirtschaftsministers einnimmt. Das können Sie allein an den unterschiedlichen Förderprogrammen und auch an der vorgelegten Mittelstandsstrategie ablesen. Dass Verbände gegenüber ihren Mitgliedsunternehmen trotzdem noch mehr einfordern, kann ich nachvollziehen. Das gilt sicherlich auch für den gerade von Ihnen zitierten Vorgang.
Die vorletzte Frage stellt der Abgeordnete Dirk Spaniel. – Das hat sich erledigt.
Dann hat Christian Jung als letzter Fragesteller in diesem Format das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich habe eine Frage an Herrn Minister Scheuer. Ich habe vor einer Woche eine Frage zur Lkw-Schummelsoftware gestellt. Meine Frage ist: Kann die Bundesregierung die von mir bereits letzte Woche genannte Zahl von etwa 25 Prozent in Deutschland verkehrender Lkws bestätigen, die mit manuell ein- und ausschaltbarer Schummelsoftware zur Täuschung bei den Lenkzeiten unterwegs sind, und wie möchte die Bundesregierung die Einhaltung der Lenkzeiten in diesen Fällen zukünftig kontrollieren und sicherstellen?
Herr Kollege, den letzten Stand zur Beantwortung Ihrer Frage habe ich nicht. Ich würde Sie bitten, eine schriftliche Antwort zu akzeptieren.
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Danke, Herr Minister.