Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/14/2018

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Hubertus Heil (Minister:in)

Politiker ID: 11003142

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ohne Zweifel ist Deutschland ein starkes Land. Wir haben eine außerordentlich erfreuliche und starke wirtschaftliche Entwicklung, die sich auch am Arbeitsmarkt niederschlägt. Wir haben den höchsten Stand sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung seit der deutschen Einheit und die zweitniedrigste Erwerbslosenquote in der Europäischen Union. ({0}) Bei allen Fragen, die im Moment diskutiert werden: Das ist etwas, worauf dieses Land durchaus stolz sein kann. ({1}) – Warten Sie mal ab. Gleichwohl ist es so, dass der Blick auf die gesamtwirtschaftliche Lage nicht den Blick dafür verstellen darf, dass es zwar vielen Menschen in diesem Land gut geht, aber eben nicht allen. Klar ist auch, dass trotz der guten wirtschaftlichen Lage auch bei vielen Menschen, denen es heute wirtschaftlich gut geht, sich Sorgen und Ängste breitmachen, dass sich Zukunftsängste in diese Gesellschaft fressen. Es gibt politische Scharlatane, die versuchen, aus diesen Ängsten ein Geschäftsmodell zu machen. ({2}) Wer das nicht will, der muss dafür sorgen, dass die Menschen sich auf einen starken Sozialstaat verlassen können, und genau dafür arbeiten wir. ({3}) Um es an konkreten Beispielen darzustellen: Wir sind als Koalition im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auf dem Weg, entscheidende Schritte voranzugehen. Wir haben die Brückenteilzeit auf den Weg gebracht, damit die Arbeit zum Leben passt, damit es die Chance gibt, tatsächlich von Teilzeit in Vollzeit zurückzukehren. ({4}) Wir haben dafür gesorgt, dass der soziale Arbeitsmarkt auf den Weg kommt, damit auch langzeitarbeitslose Menschen in Deutschland nicht abgehängt sind, sondern die Chance auf selbstbestimmte, sozialversicherungspflichtige Arbeit haben, und dafür investiert diese Koalition 4 Milliarden Euro. Ich finde, das ist der richtige Weg. ({5}) Ebenfalls zentral ist, dafür zu sorgen, dass ein Kernversprechen unseres Sozialstaates in diesen Zeiten erneuert wird. Dieses Kernversprechen ist, dass man nach einem Leben voller Arbeit eine angemessene, eine ordentliche Alterssicherung hat. Weil in der öffentlichen Debatte einiges durcheinandergeht, würde ich gern mal erläutern, wie wir vorgehen. Wir haben den „Rentenpakt für Deutschland“ auf den Weg gebracht, der insgesamt vier Elemente hat. Es geht zum einen um die doppelte Sicherungslinie. Es geht darum, dass wir das Rentenniveau, das heißt das Verhältnis von allgemeiner Lohn- und Gehaltsentwicklung zur Erhöhung von Renten, in einem ersten Schritt bis 2025 bei 48 Prozent sichern werden und gleichzeitig dafür sorgen werden, dass die Beiträge nicht über 20 Prozent steigen werden. Das heißt zum Zweiten, dass wir die Erwerbsminderungsrenten für zukünftige Fälle, für Menschen, die nicht mehr können, verbessern werden, weil die Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters für diese Menschen nicht zur Falle werden darf. Das heißt zum Dritten, dass wir die Kindererziehungszeiten für Frauen – aber auch für Männer –, die vor 1992 Kinder zur Welt gebracht und erzogen haben, verbessern werden. Ich bin den Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen von der Union, Herr Dobrindt, außerordentlich dankbar, dass wir eine Lösung gefunden haben, dass das für jedes Kind in Deutschland gilt. Davon profitieren 10 Millionen Eltern in Deutschland. Auch das ist ein wichtiger Schritt. ({6}) Viertens entlasten wir Geringverdiener. Geringverdiener kann man nicht so sehr über die Senkung von Lohn- und Einkommensteuern oder des Soli entlasten, weil viele von ihnen gar keine oder wenig Lohn- und Einkommensteuer und auch keinen Soli zahlen. Deshalb werden wir sie bei den Beiträgen entlasten, und zwar ohne dass sie sich in ihren Rentenanwartschaften verschlechtern. Das, meine Damen und Herren, ist ein wesentlicher Schritt zur Alterssicherung. Dieser Rentenpakt geht in die richtige Richtung. Das ist der erste Schritt, den wir gehen werden. ({7}) Der zweite Schritt im System der Alterssicherung, der in der Koalition vereinbart ist, betrifft das nächste Jahr. Wir werden im nächsten Jahr die Grundrente einführen, damit diejenigen, vor allen Dingen Frauen, die ihr Lebtag gearbeitet und eingezahlt haben, aber so niedrige Löhne hatten, dass die Rente am Ende nicht höher ist als die Grundsicherung, bessergestellt werden als diejenigen, die nie eingezahlt haben. Das ist eine Frage des Respekts vor der Lebensleistung, und dafür werden wir im nächsten Jahr sorgen, meine Damen und Herren. ({8}) Wir werden auch die Selbstständigen im nächsten Jahr in das System der Alterssicherung in Deutschland einbeziehen. Es ist übrigens vor allen Dingen das deutsche Handwerk, das das seit vielen Jahren fordert. Ich finde es wichtig, dafür zu sorgen, dass wir auch diese Menschen in den Schutz der Alterssicherung einbeziehen und dass nicht zu wenig Vorsorge da ist und am Ende andere mit ihren Steuern diese Menschen über die Grundsicherung unterstützen müssen. Auch das ist ein Beitrag zur Verlässlichkeit eines Sozialstaats; auf den können sich Menschen, eben auch Selbstständige, und das gesamte System dann verlassen, meine Damen und Herren. ({9}) Der Rentenpakt ist der erste Schritt. Das, was ich gerade beschrieben habe, 2019, ist der zweite Schritt. Der dritte Schritt ist sicherlich der schwierigste. Deshalb wird darüber in unserer Gesellschaft diskutiert und gerungen. Wir haben die Rentenkommission auf den Weg gebracht. Die wird Anfang 2020 Vorschläge machen für die Frage: Wie geht es eigentlich von 2025 bis 2040 weiter? Wir alle wissen, dass dann die Generation der sogenannten Babyboomer nach und nach in Rente gehen wird, das heißt die Generation der Menschen, die in den 50er- und frühen 60er-Jahren geboren wurden, und das ist eine große Generation. Später, nach dem Pillenknick, werden es dann weniger; in meiner Generation werden es weniger. Das heißt, ab 2040 werden mutmaßlich weniger Menschen in Rente gehen, aber bis dahin eine ganze Menge mehr. Ich finde, es ist des Schweißes der Edlen wert, dass wir tatsächlich darum ringen, wie wir das System langfristig stabil halten. Die Position meiner Partei ist bekannt und ist auch nicht neu. Wir wollen, dass das Rentenniveau über 2025 hinaus bei 48 Prozent bleibt. Andere gehen andere Wege. Ich sage das in Richtung FDP: Dann sagen Sie den Menschen doch nicht nur, was Sie nicht wollen, sondern auch, was Sie wollen, nämlich dass die Rente schrumpft und dass die Lebensarbeitszeit steigt. Das ist nicht unser Weg; das ist Ihr Weg. ({10}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Zukunft der Alterssicherung entscheidet sich aber nicht nur im System der Rente oder der privaten und betrieblichen Altersversorgung, sondern vor allem am Arbeitsmarkt. Die spannenden Fragen in den 20er- und 30er-Jahren werden sein: Wie viele Menschen sind in Arbeit? Was sind das für Arbeitsverhältnisse? Wie ist das Arbeitszeitvolumen? Wie ist die Erwerbsbeteiligung von Frauen? Wie ist die allgemeine Lohn- und Gehaltsentwicklung? Deshalb ist das, was wir am Arbeitsmarkt jetzt einleiten, entscheidend für die Frage der Sicherungssysteme, aber auch für die Frage, wie wir es schaffen, möglichst vielen, wenn nicht gar allen Menschen, die im erwerbsfähigen Alter sind, eine Chance auf selbstbestimmte Arbeit zu guten Arbeitsbedingungen und Löhnen zu geben; das ist für das System der Alterssicherung mindestens genauso wichtig. ({11}) Lassen Sie mich an einem konkreten Beispiel zeigen, was wir da machen. Wir haben in den letzten Wochen hart gearbeitet, in der Koalition auch intensiv diskutiert und gemeinsam etwas geschafft, worauf ich sehr stolz bin, nämlich dafür gesorgt, dass wir angesichts der guten wirtschaftlichen Lage mit den Überschüssen der Bundesagentur für Arbeit verantwortungsvoll umgehen. „Verantwortungsvoll umgehen“ heißt, eine Balance zu schaffen. Auf der einen Seite stehen die notwendigen Rücklagen bei der Bundesagentur für Arbeit für konjunkturell schwierigere Zeiten. Vor zehn Jahren haben wir das erlebt, als die Weltwirtschaftskrise uns auf den Kopf gefallen ist und wir mit dem Mittel der Kurzarbeit – Olaf Scholz war damals Arbeitsminister – Hunderttausenden, Millionen von Menschen in Deutschland geholfen haben, nicht arbeitslos zu werden. Dafür brauchen wir Rücklagen; die haben wir. Auf der anderen Seite haben wir Entlastungsspielräume, und die haben wir in verantwortungsvoller Art und Weise genutzt. Wir werden den Arbeitslosenversicherungsbeitrag gesetzlich zum 1. Januar 2019 um 0,4 Prozentpunkte senken und dann noch einmal um 0,1 Prozentpunkte per Rechtsverordnung. Das sind Milliardenentlastungen, die auch notwendig sind, um die Lohnnebenkosten angesichts von Kostensteigerungen zum Beispiel bei der Pflege stabil zu halten. Auch das ist ein verantwortungsvoller Weg. ({12}) Und: Wir haben etwas getan, was für die Zukunft der Arbeit, vor allen Dingen im digitalen Wandel, aus meiner Sicht eine der wichtigsten Weichenstellungen ist, nämlich dafür gesorgt, dass wir Beschäftigte und Unternehmen, vor allen Dingen kleine und mittelständische Unternehmen, die in Weiterbildung, in Qualifizierung investieren, gezielt unterstützen können, und zwar alle Unternehmen, die im Strukturwandel sind. Mein Ziel ist, dass wir zukünftig im digitalen Wandel, der in kürzerer Zeit die Arbeitswelt intensiv verändern wird, die Chancen nutzen. Denn die gute Nachricht ist: Es wird uns nach allem, was wir wissen, die Arbeit in Deutschland nicht ausgehen. Aber die anstrengende Nachricht ist: Es wird in vielerlei Hinsicht eine andere Arbeit sein. Deshalb werden wir jetzt in Beschäftigungsfähigkeit und Qualifizierung investieren. Mein Ziel ist, dass wir Arbeitslosigkeit zukünftig verhindern, bevor sie entsteht. Deshalb gehen wir mit diesen Investitionen einen ersten Schritt auf dem Weg Richtung Arbeitsversicherung. ({13}) Zum Schluss, meine Damen und Herren – ich habe es vorhin gesagt –: Wir haben eine widersprüchliche Situation: eine wirtschaftlich gute Lage, aber gleichzeitig Zukunftsängste. Ich glaube, dass unsere Aufgabe ist, gemeinsam in diesem Parlament im Bereich Arbeit und Soziales dafür zu sorgen, dass die Menschen das berechtigte Gefühl haben, dass sie sich in diesen Zeiten des Wandels auf einen handlungsfähigen Sozialstaat tatsächlich verlassen können. Nicht Frust und Angst, sondern realistische Zuversicht, konkretes Handeln schaffen Vertrauen in unsere soziale Demokratie. Dazu leistet dieser Etat seinen Beitrag. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. ({14})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Abgeordnete Uwe Witt, AfD. ({0})

Uwe Witt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004937, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste des Hohen Hauses! Herr Arbeitsminister Heil, Sie und Ihre Parteifreunde spielen sich nicht nur als vermeintliche Vertreter der kleinen Leute auf, sondern neuerdings auch als Richter über Gut und Böse. Entscheidend für Ihre Klassifikation von Gut und Böse ist bei Ihnen weder die Wahrheit noch die Vernunft, sondern lediglich Ihre verdrehte linke Ideologie. ({0}) Das haben Vertreter Ihrer Partei wieder einmal in der Plenardebatte am Mittwoch hier in diesem Hohen Hause eindrücklich unter Beweis gestellt, als sie einen neuen negativen Meilenstein in der Geschichte der SPD darstellten. Sie und Ihre Genossen sind es, die dieses Land mit ihrer linken Ideologie dauerhaft gespalten haben. ({1}) Sie selber haben in einem Zeitungsinterview auf die Frage, was denn mit den Flüchtlingen, die bereits in Deutschland sind, geschehen soll, ({2}) einen Satz gesagt, der Ihre Ideologie deutlich macht. Sie sagten: Wir müssen zusehen, dass wir uns nicht ein ideologisches Bein stellen und die Falschen wieder zurückschicken. – Dieser eine Satz zeigt deutlich, welche Haltung Sie sich offenbar in Bezug auf Ihr politisches Wirken zu eigen gemacht haben. Die Grundlage für das politische Handeln gewählter Volksvertreter sollte doch um Gottes willen nicht ideologisch sein. Wenn Politiker per Stellenanzeige gesucht würden, dann wird darin nichts von Ideologie stehen, sondern von Vernunft, Verantwortung und Qualifikation, ({3}) und zwar Verantwortung für das eigene Volk an erster Stelle und globale Interessen allenfalls an zweiter Stelle, nicht umgekehrt. ({4}) Vernunft und Verantwortung, Herr Bundesminister, das ist es, was Ihr politisches Handeln bestimmen sollte, und das ist es, was die Wähler von ihrer Regierung erwarten – nicht Ideologie. Darum gestatten Sie mir, dass ich Ihren Satz geringfügig umformuliere: Wir müssen zusehen, dass wir uns nicht ein ideologisches Bein stellen und die Falschen ins Land holen. ({5}) Zum Haushaltsplan. In der Einleitung des siebten Kapitels des Einzelplans 11 mit dem schönen Namen „Arbeitswelt im Wandel, Fachkräftesicherung“ beschreiben Sie, warum sich die Arbeitswelt in einem tiefgreifenden Transformationsprozess befinde, der Unternehmen und Beschäftigte unter Druck setze. Als Gründe geben Sie neben der Digitalisierung den seit vielen Jahren diskutierten demografischen Wandel, die Globalisierung und den Wertewandel an. Den Hauptgrund, Ihre linke Ideologie zu transportieren, verschweigen Sie; denn dieser ganze Haushaltsposten trieft von Ihrer Ideologie. ({6}) Ich nenne den Haushaltstitel 684 08, „Förderung von Maßnahmen zur Stärkung der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen …“. Hier wollen Sie die gesellschaftliche Unternehmensverantwortung fördern und zum Beispiel Unternehmen bei ihrer gesellschaftlichen Verantwortung unterstützen, um zu einer sozialen und ökologischen Gestaltung der Globalisierung beizutragen. Das Ganze gipfelt darin, dass Sie in Titel 544 06-165  600 000 Euro dazu verwenden, um sich selber und Ihrer Partei bei einer SPD-Show durch Deutschland – bei Ihnen Dialogtour genannt – ein weiteres Mal mit Steuergeldern ein Denkmal zu setzen. Wissen Sie, wenn es die Abschiedstournee für Sie und Ihre Partei ist, sind die Steuergelder endlich einmal richtig von Ihnen verwendet worden. ({7}) Kommen wir zurück zur Digitalisierung der Arbeitswelt. Jeder weiß, dass die jetzige Stufe der Digitalisierung unsere Arbeitswelt und unser Leben nachhaltig verändern wird. Insbesondere darum muss man sich in der Regierung kümmern. Aber was soll dabei herauskommen, wenn man die Umsetzung der Digitalisierung genau jenen anvertraut, die in Bezug auf den demografischen Wandel, die Globalisierung und den Wertewandel seit vielen Jahren alles getan haben, um dieses Land zunehmend in eine Identitäts- und Existenzkrise zu stürzen, und die die Gesellschaft durch ihr unverantwortliches Handeln gespalten haben? Ich will ja gar nicht kleinlich sein. Man kann auch an seinen Aufgaben wachsen und aus Erfahrung lernen. Wenn man sich aber die Ergebnisse ansieht, die die von Angela Merkel geführten Bundesregierungen bis heute produziert haben, dann gewinnt man immer mehr den Eindruck, als wollten sie ihr eigenes Land wie ein Stück Zucker im Kaffee auflösen. Zurück zum Haushaltsplan: Für die Grundsicherung für Arbeitsuchende wollen Sie 2019 insgesamt 36,1 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Dank Ihrer ideologischen, verantwortungslosen und vor allen Dingen nicht an den Bedarf der Wirtschaft angepassten linken SPD-Zuwanderungspolitik leben in Deutschland heute 2 Millionen Migranten und Flüchtlinge von Hartz IV. ({8}) Das sind 34 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger. Im Jahr 2011 lag dieser Anteil noch bei 19 Prozent. Dieses Land braucht einen Paradigmenwechsel in der Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik – weg von Ideologie, hin zu Vernunft und Verantwortung. Es sind sicher nicht die heutigen Regierungsparteien, die darauf die richtige Antwort haben. Daher lehnen wir Ihren Haushaltsentwurf ab. Danke schön. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß, CDU/CSU. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Bevor ich auf den Bundeshaushalt zu sprechen komme, erlauben Sie mir eine Vorbemerkung zu der ersten Oppositionsrede, die wir in dieser Debatte gehört haben. Ich finde, zur Opposition gehört auch, dass man zu den harten Fakten der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik Stellung nimmt und dazu vielleicht auch konzeptionell etwas sagt. Das hat leider völlig gefehlt. ({0}) Das zeigt, was man von dieser Seite des Hauses zu den Fragen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zu erwarten hat, nämlich schlichtweg nichts. ({1}) Der Bundeshaushalt 2019 ist für uns der Auftakt zu einer zukunftsweisenden sozialpolitischen Gesetzgebung. Ich bitte alle Mitbürgerinnen und Mitbürger, trotz aller Miesmacherreden zur Kenntnis zu nehmen, dass wir diese vom Bundesarbeitsminister bereits geschilderte außergewöhnlich gute wirtschaftliche Situation dazu nutzen, echte Leistungsverbesserungen für die Menschen einzuführen, die es auch dringend nötig haben. ({2}) Das ist doch ein großartiger Erfolg in dieser Situation. Dazu gehört für mich zuallererst: Wenn wir schon bei Steuern und Sozialabgaben eine so gute Einnahmesituation haben, wie wir sie haben, und genügend Rücklagen haben, müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, aber auch den Unternehmen etwas zurückgeben. Deswegen weise ich auf eine der aus meiner Sicht wichtigsten Verabredungen, die die Große Koalition für diesen Herbst getroffen hat, hin: Wir wollen den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung nicht nur um die 0,3 Prozentpunkte, die im Koalitionsvertrag stehen, senken, sondern wir wollen sie insgesamt um 0,5 Prozentpunkte absenken und haben dann in Nürnberg, bei der BA, trotzdem eine noch weiter anwachsende Rücklage, um gerüstet zu sein, falls wir in Krisenzeiten mal schnell handeln müssen. Das heißt, wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger, wir entlasten die Unternehmen in Deutschland deutlich, und gleichzeitig betreiben wir Vorsorge für die Zukunft. Etwas Besseres kann es nicht geben. Das ist eine großartige Botschaft, die wir in diesem Herbst senden. ({3}) Wenn man dann noch die Einführung der vollen Parität bei der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung hinzunimmt, was die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und übrigens auch die Rentnerinnen und Rentner ebenfalls noch einmal entlastet, dann kann man sagen: Das ist eine gute Botschaft. Der wirtschaftliche Erfolg kommt konkret bei den Bürgerinnen und Bürgern an. ({4}) Wir nehmen da Leistungsverbesserungen vor, wo wir es für notwendig halten und wo es die Bürgerinnen und Bürger auch erwarten. Das sind die Leistungsverbesserungen bei der Mütterrente, und das sind vor allen Dingen die Leistungsverbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente. Gerade diejenigen, die wegen Krankheit, Unfall vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden müssen, verdienen die besondere Solidarität der Gesellschaft, des Staates, der Versichertengemeinschaft. Insofern setzen wir mit dieser starken Anhebung bei der Erwerbsminderungsrente ein klares Zeichen: Ja, wer nicht mehr kann, der hat zu Recht Anspruch auf die Solidarität des Sozialstaates, und wir gewähren diese Solidarität auch. ({5}) Die anhaltend gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt nutzen wir zu Recht dafür, jetzt denjenigen Langzeitarbeitslosen, die in der Vergangenheit kaum eine oder gar keine Chance auf einen Weg in Arbeit und Teilhabe hatten, diese Möglichkeit aufzutun, ob man das nun Hartz IV nennt oder Grundsicherung für Arbeitsuchende, wie es im Gesetz heißt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir legen mit diesem Bundeshaushalt mehr Geld auf den Titel für die Verwaltungskosten, um genügend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren Jobcentern zu finanzieren. Außerdem erhöhen wir die Mittel, die wir einsetzen, um über 4 Milliarden Euro über die gesamte Legislaturperiode, um Langzeitarbeitslose gezielt wieder in Arbeit zu bringen, zu fördern und zu unterstützen. Das ist eine großartige Botschaft, dass wir auch diejenigen an diesem wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben lassen wollen, die es bisher am Allerschwersten hatten. ({6}) Wir ermöglichen durch einen Haushaltsvermerk zum ersten Mal das, was wir konzeptionell ja über viele Jahre strittig diskutiert haben, nämlich den sogenannten Passiv-Aktiv-Tausch. Die Botschaft des Passiv-Aktiv-Tausches ist: Es ist besser, Arbeit zu finanzieren, als Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Dieses Prinzip wird mit diesem Haushalt noch einmal stark unterstrichen. Damit wird auch für die Bundesländer eine neue Möglichkeit aufgetan, einzusteigen. Jawohl, wir finanzieren Arbeit und nicht Arbeitslosigkeit. Das ist die Botschaft dieses Bundeshaushaltes. ({7}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Tat ist die Frage, wie sich unsere Arbeitswelt durch die Digitalisierung verändert, was das für die Unternehmen bedeutet, was das für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet, eine der großen Zukunftsfragen, der wir uns stellen. Der Punkt ist der: Man kann so etwas mit Angstmacherei betreiben. Angst ist aber ein schlechter Ratgeber, auch für die Politik. Unser Ansatz ist: Wir zittern nicht voller Angst vor dem, was auf uns zukommt. Wir sorgen nicht für zusätzliche Verunsicherung. Vielmehr wollen wir die Digitalisierung als eine Chance begreifen, auch als eine Chance zur weiteren Humanisierung der Arbeitswelt. Da liegen die wahren Potenziale und Möglichkeiten der Digitalisierung, der digitalisierten Arbeitswelt in der Zukunft. ({8}) Aber natürlich muss man, muss jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer sich darauf vorbereiten können. Deshalb werden wir eine nationale Weiterbildungsstrategie umsetzen, deshalb werden wir noch in diesem Herbst erste Elemente beschließen, nämlich einen erweiterten Zugang zur Weiterbildungsförderung für beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und eine Stärkung der Weiterbildungs- und Qualifizierungsberatung durch die Bundesagentur für Arbeit. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das zeigt: Wir haben keine Angst vor der Gestaltung der Zukunft, eine Angst, mit der offensichtlich etliche politische Kräfte in Deutschland ein Geschäft betreiben wollen, sondern wir packen die Chancen für mehr und bessere Qualifizierung bei den Hörnern. Digitalisierung ist, wie gesagt, für uns kein Angstmacher, sondern eine Chance für eine bessere Zukunft, auch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. ({9}) Dann befinden wir uns in diesem, aber erst recht im nächsten Jahr in der Umsetzung des in der vergangenen Legislaturperiode beschlossenen Bundesteilhabegesetzes. Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses große Ziel, wirklich zu einer inklusiven Gesellschaft zu werden, in der Menschen mit Behinderungen so selbstverständlich und natürlich mit uns leben und zusammenarbeiten, wie es auch für Menschen ohne Behinderungen gilt, ist eine tolle Vision, die unser aller Anstrengung bedarf. Ich darf daran erinnern, dass im nächsten Monat, im Oktober, die Wahlen zu den Schwerbehindertenvertretungen stattfinden werden. Es ist auch ein Element des Bundesteilhabegesetzes, dass wir die Stellung der Schwerbehindertenvertretung gestärkt haben. Wir haben die Freistellungen verbessert, wir haben auch die technische und administrative Unterstützung verbessert, und wir haben auch die Beteiligungsrechte verbessert. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich hoffe, dass sich viele engagierte Menschen mit Behinderungen, die in unseren Betrieben arbeiten, für die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung zur Verfügung stellen. Diese Schwerbehindertenvertreter in unseren Betrieben machen einen tollen Job, und sie verdienen unser aller Unterstützung. ({10}) Mehr fördern denn je, Leistungsverbesserungen für diejenigen, die besonders der Hilfe und Unterstützung bedürfen, verantwortungsvolle Zukunftsvorsorge treffen – das ist die, wie ich finde, gute Botschaft des Bundeshaushaltes 2019. Es ist eine insgesamt gute Botschaft für unser Land und für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger. Vielen Dank. ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Johannes Vogel, FDP. ({0})

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat kann man nicht in der ersten Debatte zu Arbeit und Soziales nach der Sommerpause und erst recht nicht in einer Haushaltsdebatte sprechen, ohne auf das Schauspiel einzugehen, das Union und SPD in diesem Sommer in der Rentenpolitik veranstaltet haben. ({0}) Das Rentenpaket der Großen Koalition ist noch nicht einmal durch den Bundestag, da will ausgerechnet der Bundesfinanzminister die milliardenschweren Mehrausgaben der Großen Koalition, die Gießkannenpolitik, die Sie in der Rente machen, auch noch dauerhaft festschreiben, ohne zu sagen, wie er das finanzieren will. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das zeigt, dass Ihre Politik Ansprüche schafft, die dauerhaft unfinanzierbar sind. Unfinanzierbar ist in der Rentenpolitik aber unverantwortlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Die SPD will damit übrigens eine Rentenformel dauerhaft zulasten der Jungen manipulieren, die sie selber einmal eingeführt hat. ({2}) Gerade der Bundesfinanzminister weiß – oder er müsste zumindest wissen –, über welches Volumen wir hier reden. Allein im Jahr 2035 – da sind wir noch nicht einmal bei 2040 – reden wir über 80 Milliarden Euro zusätzlich Jahr für Jahr. ({3}) Wie soll das finanziert werden? Soll der Rentenbeitragssatz zulasten der Jüngeren explodieren, was gerade Geringverdiener überfordern würde? Setzen Sie auf wundersame Brotvermehrung im Steuertopf? Wollen Sie die Steuern erhöhen? Um das Volumen einmal klarzumachen: Das wäre eine Mehrwertsteuersatzerhöhung in Höhe von 6 Prozentpunkten oder das vierfache Volumen des heutigen Solis. Diese Fragen müssen Sie beantworten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition. ({4}) Das tun Sie aber nicht, ({5}) und das ist erschreckend; denn „Wünsch dir was“ ist kein Politikkonzept, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Kommen Sie mir nicht mit der Begründung, die der Bundesfinanzminister in den letzten Wochen in einem Zeitungsinterview gegeben hat. Da hat er nämlich gesagt: Ja, der Bundeshaushalt steigt im Schnitt um etwa 3 Prozent Jahr für Jahr, und damit könnte man die Mehrausgaben finanzieren. – Er hat vergessen, zu erwähnen, dass auch in den letzten Jahren der Rentenzuschuss ohnehin jedes Jahr um 3 Prozent gestiegen ist, weil die Löhne steigen und wegen Ihrer allgemeinen Rentenpolitik. Dasselbe Geld zweimal ausgeben, geht nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Für neue Rentenausgaben können Sie das nicht verwenden. Vom Bundesfinanzminister erwarte ich mehr, nämlich ein Konzept und keine Milchmädchenrechnung. ({7}) Nicht besser als die SPD – das muss ich allerdings auch sagen – ist die Union. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben über den Sommer ein bisschen auf mich gewirkt wie der Zauberlehrling: die Geister, die ich rief. Wir haben immer gefragt: Wie sollen die Ansprüche, die Sie in Ihrem Rentenpaket jetzt postulieren, dauerhaft finanziert werden? Sie haben gesagt: Ja, bis 2025 ist das kein Problem. – Die Debatte über den Sommer zeigt, dass man so schnell nicht von Ansprüchen runterkommt, die man einmal in die Welt gesetzt hat. Liebe Kollegen, was macht in der Lage ausgerechnet die CSU? Die nutzt den Sommer auch, um schon wieder neue versicherungsfremde Leistungen zu fordern. Da fragt man sich doch: Was für ein Gedanke steht eigentlich hinter Ihrer Sozialpolitik? ({9}) Wissen Sie: Was mich am meisten stört, ist, dass all diese Vorschläge, die im Wochentakt von Ihnen kommen, nicht zielgerichtet gegen Altersarmut helfen, sondern Sie vielmehr das Geld mit der Gießkanne auskippen. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen in der Rentenpolitik endlich wieder in Jahrzehnten denken und nicht in Legislaturperioden. Wirklich erschreckend ist – das ist mir wichtig, weil ich finde, dass das die Ebene ist, über die wir hier in der Debatte sprechen müssen – die Begründung des ganzen Vorschlags, das – so haben wir gelesen – verhindere einen deutschen Trump. Ähnliches haben wir übrigens auch schon vom Bundesinnesminister, von Horst Seehofer, in den letzten Monaten gehört. Ich finde es wirklich besorgniserregend, wenn das der Stand der Analyse der Bundesregierung in der Frage ist, wie man auf die Herausforderungen durch Populisten reagiert, und es ist auf mehreren Ebenen abwegig. Erstens. Wir haben ja schon in der letzten Legislaturperiode eine beispiellose Leistungsausweitung in der Sozialpolitik erlebt – so stark wie in den letzten Jahrzehnten nicht –, und nach dieser Legislaturperiode sitzt eine neue rechtspopulistische Kraft hier im Parlament. Also offenbar funktioniert das Konzept nicht. Zweitens. Wir müssen doch einmal gemeinsam überlegen: Was macht Populisten stark? Ich glaube, es sind in erster Linie Ängste, weil sie die Ängste dann in Richtung Minderheiten lenken oder an beiden Rändern des politischen Spektrums einfache Antworten für komplexe Probleme versprochen werden können. ({11}) Ängste schüren aber auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition. Lieber Hubertus Heil, ich habe eben auch von dir wieder gehört, die Rente würde schrumpfen. Wir können ja auch einmal eine Umfrage machen, wie viele Menschen glauben, dass ihre ganz konkrete individuelle Rente schrumpft, wenn Sie von sinkendem Rentenniveau reden. ({12}) Die Wahrheit ist aber: Die Renten steigen auch künftig – nur etwas weniger stark als die Löhne. Einen anderen Eindruck zu kreieren, halte ich, gerade angesichts der Herausforderungen durch Populisten, für fatal. ({13}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer glaubt, dass er bei Herausforderungen durch Populisten einfach nur das Portemonnaie zücken muss, der wird scheitern. Ein Scheitern können wir uns hier aber nicht erlauben. ({14}) Ich will zum Abschluss noch auf einen Punkt eingehen, den ich eben vom Kollegen Peter Weiß gehört habe. Lieber Peter Weiß, ich finde schon bemerkenswert, dass die Große Koalition sich hierhinstellt und sagt: Wir sind stolz darauf, dass wir die Menschen durch die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags um 0,5 Prozentpunkte entlastet haben. – Das ist – zurückhaltend formuliert – irreführend. ({15}) Sie beschließen zum einen eine Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags um 0,5 Prozentpunkte. Auf der anderen Seite kündigen Sie an, dass Sie genau im selben Zeitraum den Pflegeversicherungsbeitrag um 0,5 Prozentpunkte heben werden. ({16}) Gleichzeitig sorgt Ihre Rentenpolitik dafür, dass der Rentenbeitrag schneller und stärker steigen wird als ursprünglich geplant. ({17}) Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sind vielleicht mit dem Ziel einer Entlastung der Bürgerinnen und Bürger gestartet, sind aber bei einer perspektivischen Mehrbelastung der Bürgerinnen und Bürger angekommen. Da sollten Sie auch keinen anderen Eindruck erwecken. Das ist unehrlich. ({18})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Vogel, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Ich hatte mit dem Kollegen Fricke vereinbart, dass die Zeit bei ihm entsprechend abgezogen wird.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Der Arme. ({0})

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, geben Sie der Sozialpolitik eine ganz andere Richtung! Helfen Sie durch Maßnahmen in der Rentenversicherung zielgerichtet gegen Altersarmut! Modernisieren Sie die Rente, zum Beispiel durch flexiblen Renteneintritt, und machen Sie die kapitalgedeckte Vorsorge, die wir in einer alternden Gesellschaft brauchen, endlich besser! ({0}) Das wäre moderne Rentenpolitik. Vielen Dank. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Etat für Arbeit und Soziales ist der größte Einzelplan im Bundeshaushalt, und darum, finde ich, müssen wir ihn auch in einen größeren Zusammenhang stellen. Es ist der zehnte Jahrestag der Finanzkrise, und die Krisenkosten haben eben nicht die 1 Prozent Superreichen und auch nicht die kriminellen Banker bezahlt, sondern die Menschen, die ihr Geld auf ehrliche Weise verdienen. Das ist ungerecht und unsozial, und das werden wir immer wieder anprangern. ({0}) Im Unterschied zur FDP, die gerade vor mir gesprochen hat, fordern wir natürlich höhere Steuern, und zwar für die richtigen Leute. Wir fordern eine Vermögen- und eine Finanztransaktionsteuer. Dann könnten wir unser Land auch sozialer gestalten. ({1}) Ich will das mit der Finanzkrise vielleicht noch etwas konkreter erklären: Eine vierköpfige Familie hat mindestens 3 000 Euro für die Pleitebanken bezahlt. Nun ist ja ein Familienentlastungsgesetz beschlossen worden. Dadurch wird eine Familie mit zwei Kindern und einem Jahresbruttoeinkommen von 66 000 Euro im Jahr knapp 600 Euro mehr in der Tasche haben. Das heißt also, dass erst nach fünf Jahren die Belastung durch die Finanzkrise ausgeglichen wird. Das ist doch eine Veralberung der Menschen. Das ist keine Politik für die Mehrheit, aber genau das brauchen wir: eine Politik für die Mehrheit der Menschen in unserem Land. ({2}) Durch die soziale Spaltung wird die Verunsicherung vorangetrieben und damit auch die innere Sicherheit in unserem Land aufs Spiel gesetzt. Das dürfen wir nicht zulassen. ({3}) Schauen wir auf die Kinderarmut. Sie ist höher als offiziell angegeben. Nach Schätzung des Kinderschutzbundes tauchen etwa 1,4 Millionen bedürftige Kinder in offiziellen Sozialhilfestatistiken überhaupt nicht auf. Die Gründe sind bürokratische Hindernisse oder auch die Scham der Eltern. Es leben also 4,4 Millionen Kinder in einem der reichsten Länder der Welt in Armut. Das ist nicht nur eine Schande, sondern auch das verstärkt die soziale Unsicherheit und muss dringend bekämpft werden. ({4}) Schauen wir auf den Mindestlohn. Wir als Linke haben viele Jahre für die Einführung des Mindestlohnes gekämpft. Es ist gut, dass es ihn endlich gibt. Aber wir wissen genau: Er ist zu niedrig. Der Mindestlohn muss auf mindestens 12 Euro pro Stunde erhöht werden, damit die Menschen wirklich anständig davon leben können. ({5}) Schauen wir uns den immer unsicherer werdenden Arbeitsmarkt an. 7 Millionen Menschen arbeiten in unserem Land im Niedriglohnsektor, bei 1,2 Millionen Menschen reicht der Lohn nicht zum Leben, sie müssen zum Amt gehen und aufstocken, und eine weitere Million Menschen sind als Leiharbeiter tätig, ganz zu schweigen von den 3,2 Millionen Beschäftigten, die nur befristet angestellt sind. So viel soziale Unsicherheit im Arbeitsleben ist eine Gefahr für unsere Demokratie, und wir müssen unsere Demokratie verteidigen, meine Damen und Herren. ({6}) „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“, sagte Karl Marx, und er hatte recht. Schauen wir auf die Rente. In meinem Wahlkreis Berlin-Lichtenberg hat sich die Zahl der Menschen, die Grundsicherung im Alter beziehen müssen, weil die Rente nicht reicht, in nur vier Jahren um 25 Prozent erhöht. Altersarmut ist besonders in Ostdeutschland ein zunehmendes Problem. Sie wissen alle, dass die Menschen, die 1990 in Rente gegangen sind, 100 Jahre alt werden müssen, um vergleichbare Renten zu bekommen wie ihre Brüder und Schwestern, oder vielleicht nur Cousinen oder Cousins, in Westdeutschland. Nun hat sich die vergangene Koalition dafür gefeiert, dass die Ost- und die Westrenten angeglichen wurden. Ich will Ihnen erklären, warum das nicht ehrlich ist. Mit „Mogelpackung“ ist das viel zu nett umschrieben; ({7}) denn die Umrechnung der Ostlöhne, von vielen fälschlich als „Höherwertung“ bezeichnet, wird abgeschafft. Das heißt konkret: Eine heute 54-jährige Verkäuferin im Osten wird mit ihrem Rentenbeginn wegen der wegfallenden Umrechnung 360 Euro weniger Rente im Jahr bekommen als ihre Kollegin in den alten Ländern. ({8}) Ich finde, das ist ungerecht und spaltet weiter. Das dürfen wir nicht zulassen. ({9}) Meine Damen und Herren, wir werden im kommenden Jahr 30 Jahre Mauerfall und im darauffolgenden Jahr 30 Jahre deutsche Einheit feiern. Ich finde, es ist unerträglich, dass es in unserem Land noch solche Unterschiede gibt. Solche Unterschiede verstärken die soziale Unsicherheit. Wir wollen Sicherheit für unser Land, und dafür kämpfen wir. Vielen Dank. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Ekin Deligöz, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Guten Morgen! Das ständige Gezerre der Koalition, das uns seit gestern schon wieder durch die Nachrichten begleitet, hat leider auch vor dem größten Etat des Haushalts keinen Halt gemacht. Ja, es ging hoch her, es wurden viele Themen behandelt, aber, ehrlich gesagt, hat sich das alles gar nicht rentiert. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Herr Scholz hat die Rente leider nicht gerettet. Der Arbeitsminister konnte sich bei den zusätzlichen Beitragssatzsenkungen bei der Arbeitslosenversicherung nicht durchsetzen. Dafür steigt der Beitragssatz zur Pflegeversicherung nicht wie angedacht um 0,2 Prozentpunkte, sondern um 0,5 Prozentpunkte. Und nein, Herr Weiß, es geht nicht allein darum, ob die BA eine Rücklage hat oder nicht, sondern es geht darum, ob wir genug Mittel im BA-Etat haben werden ({0}) für Qualifizierung und Weiterbildung, um die Menschen in unserem Land fit zu machen für eine sich wandelnde Arbeitswelt. ({1}) Genau den Spielraum aber kürzen Sie zulasten der Bürgerinnen und Bürger, und das ist falsch. ({2}) Die ursprüngliche Idee war viel besser; aber Sie wollten es ja so. Jetzt komme ich zu dieser Mütterrente II, weil Sie sich damit so rühmen. Ja, Sie machen jetzt etwas gesetzlich: Mütterrente II und Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente. Bei dem Grundsatzstreit zur Rente wird es aber bleiben; denn Sie haben eine Kommission eingesetzt, die sich mit dem Thema beschäftigen soll. Damit schieben Sie die eigentlichen Entscheidungen auf die lange Bank, weil Ihre doppelte Haltelinie nur von kurzer Dauer ist. Ich bezweifle, dass diese Regierung wirklich etwas zur Nachhaltigkeit der Rente beitragen wird. Sie werden erst einmal die Ergebnisse abwarten, dann werden Sie darüber reden, und am Ende wird nichts dabei herauskommen, und dann können wir uns wieder mit Wahlprogrammen beschäftigen, aber nicht mit dem, was Sie verändert haben. Dahinter steckt auch die Absicht, dass Sie verdecken wollen, was Sie mit der Mütterrente II wirklich machen. Man muss die Zahlen einmal nennen. Auch die Mütterrente II wird nicht über Steuermittel finanziert, wie es sich eigentlich gehören würde – denn das wäre die Solidarisierung aller –, sondern nur von Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern. Ich nenne Ihnen die Zahl: Von 2014 bis 2025 werden die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler alleine 90 Milliarden Euro aufbringen müssen, um das zu finanzieren. Sie nennen das gerecht, ich nenne das ungerecht. ({3}) Und dann legen Sie noch eins drauf: Die CSU ist im Wahlkampf. Sie muss jetzt mit irgendetwas trumpfen. Sie hat in Bayern gelernt, dass sie viele Geldgeschenke verteilen kann, und jetzt kommt sie mit der Mütterrente III. Diese Mütterrente III würde wiederum nur die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler jährlich 3,8 Milliarden Euro kosten. Sie sollten aus Bayern lernen. Die Leute sind nicht so doof. Sie lassen sich nicht durch falsche Konstruktionen und irgendwelche Geldgeschenke locken. Sie wollen Nachhaltigkeit und Zuverlässigkeit, sie wollen, dass Sie Verantwortung übernehmen. ({4}) Das Einzige, was Sie hier machen, ist Parteipolitik; aber für Rentenstabilität sorgen Sie damit nicht. ({5}) Nur beim Thema Altersarmut sind Sie echt ruhig. Da geht es sehr ruhig zu. Bei der Erwerbsminderungsrente unternehmen Sie jetzt einen Schritt nach vorne – da wäre mehr drin; ({6}) das wissen Sie selbst –; aber bei der Grundrente, die früher mal Lebensleistungsrente genannt wurde – es ist egal, wie Sie das Kind nennen –, passiert eigentlich gar nichts. Wenn es um Altersarmut geht, bemerkt man bei Ihnen keine Bewegung. Damit lassen Sie sich viel Zeit. Nicht nur wir Grüne, sondern auch die Wirtschaftsforschungsinstitute wie zum Beispiel das DIW sagen: Hier muss ganz dringend gehandelt werden; hier muss wirklich etwas geschehen. Aber wir sehen nichts. ({7}) – Herr Kollege, Sie kennen also unsere Vorschläge; die sind gut genug. ({8}) – Stellen Sie mir eine Frage, dann geht das nicht von meiner Redezeit ab. Jetzt komme ich zu dem Bereich Arbeit: sozialer Arbeitsmarkt. Das ist ein Paradigmenwechsel. Das finden wir super; aber Sie müssen das natürlich konsequent umsetzen, und zwar auch im Etat. ({9}) Die bisherigen Maßnahmeprogramme haben nämlich gezeigt: Wenn Sie zu knapp kalkulieren, dann funktionieren diese Maßnahmen nicht, sondern laufen ins Leere. Lernen Sie daraus. Der Erfolg hängt davon ab, ob wir genug Finanzmittel dafür einstellen und ehrgeizig vorangehen. ({10}) Auch die Jobcenter haben wir im Blick. Da flexibilisieren Sie jetzt ein bisschen. Das ist gut so. Im Verfahren wird sich zeigen, ob das genug ist oder nicht. Für die BA wird das aber trotzdem eine harte Zeit. Auf zwei Punkte will ich am Schluss noch hinweisen. Leider passiert überhaupt nichts an der Stelle, an der wir den dringendsten Handlungsauftrag haben – dazu höre ich nichts –, nämlich beim Bildungs- und Teilhabepaket. ({11}) Was ist mit Kinderarmut? Was können wir dagegen tun? Was können wir auch präventiv tun? Damit beschäftigen Sie sich noch nicht einmal. Gott sei Dank passiert jetzt etwas bei den Rehamodellvorhaben. Das wurde auch Zeit. Sie haben sich damit wirklich lange Zeit gelassen. Endlich kommt da Schwung rein. Das haben wir all den Menschen zu verdanken, die sich aus der Zivilgesellschaft heraus stark dafür engagiert haben. Diese Menschen können das. Herr Minister, Sie sollten das bitte auch tun. ({12})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Mast, SPD. ({0})

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Zuschauerrängen hier oben! Wir leben in einer Zeit, in der unsere Demokratie täglichen Angriffen ausgesetzt ist. Wir leben in einer Zeit, in der unsere Grundwerte – damit meine ich vor allen Dingen auch unsere Grundrechte – ({0}) täglich angegriffen werden. Deshalb ist es so wichtig, dass wir an dieser Stelle heute klarmachen, dass wir Verunsicherung, Hass und Hetze nur mit einer klaren Haltung und dem Engagement für Sicherheit begegnen können. Wenn ich das Wort „Sicherheit“ in der Debatte zum Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales unter der Federführung unseres Bundesarbeitsministers Hubertus Heil in den Mund nehme, meine ich als Sozialdemokratin vor allen Dingen soziale Sicherheit. ({1}) Denn sie war gestern wichtig, sie ist heute wichtig, und sie wird auch morgen wichtig sein. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben sie zu jedem Zeitpunkt fest im Blick. Denn es geht konkret darum: Machen wir das Leben der Menschen jeden Tag Schritt für Schritt besser? Genau darüber diskutieren wir heute, wenn es um diesen Bundeshaushalt geht. ({2}) Lassen Sie mich dazu kommen, wo wir das tun. In dieser Debatte wurde schon mehrfach angesprochen, dass wir über den Sommer eine engagierte und, wie ich finde, sehr gute Debatte über die Sicherheit der Rente, ({3}) die den Generationenvertrag neu begründet, geführt haben, auf Initiative von Olaf Scholz, dem Vizekanzler in dieser Bundesregierung. ({4}) Ich bin dankbar, dass wir diese Debatte führen. Denn wir haben in der Koalition in der letzten Legislatur gelernt, dass es nicht nur darum geht, mit konkreten Gesetzen für soziale Sicherheit zu sorgen – da waren wir auch in der letzten Legislatur unter unserer Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles engagiert –, sondern dass wir auch Debatten über die Zukunft dieses Landes führen müssen. Ja, wir haben gemeinsam eine Rentenkommission eingesetzt – ich darf Mitglied dieser Rentenkommission sein –, die sich mit der Zeit nach 2025 beschäftigt. Aber es ist auch wichtig, dass die Menschen in diesem Land mit uns darüber diskutieren: Was heißt „Generationengerechtigkeit“? Was heißt es, nicht Jung gegen Alt auszuspielen? Was heißt es, für Sicherheit in der ersten Säule der gesetzlichen Rentenversicherung in diesem Land zu sorgen? Genau das haben wir getan. ({5}) In diesem Haushalt findet sich der erste große Schritt auf dem Weg dorthin. Arbeitsminister Heil hat es schon ausgeführt – deshalb muss ich keine Details mehr nennen –: Wir setzen die doppelte Haltelinie bis zum Jahr 2025 um. Das heißt, endlich steigen die Renten wieder so wie die Löhne. Das ist ein neues Versprechen an Alt und Jung in diesem Land. Dass wir die doppelte Haltelinie einführen, bedeutet auch, dass die Beitragssätze stabil bleiben. ({6}) Wir schaffen es zum allerersten Mal, durch Steuergelder eine Demografierücklage aufzubauen; das wird aus meiner Sicht noch viel zu wenig erwähnt. ({7}) Hier sorgen wir also ganz konkret für soziale Sicherheit. Damit treten wir auch den Angriffen auf unsere Demokratie jeden Tag engagiert entgegen. Zweiter wichtiger Punkt: der soziale Arbeitsmarkt. Wir haben bzw. ich persönlich habe 13 Jahre gebraucht, um meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU vom Konzept des sozialen Arbeitsmarktes als gesetzlicher Grundlage zu überzeugen. Es geht dabei darum, dass Menschen, die in diesem Land am Rand stehen, endlich eine würdevolle Arbeit bekommen, eine Arbeit mit einem Arbeitsvertrag, die Perspektiven liefert und ihnen wieder einen Grund gibt, in dieser Gesellschaft mit dabei zu sein. Ich finde, das ist eine ganz große Errungenschaft. Denn wenn wir über soziale Sicherheit reden, dann geht es nicht nur darum, ob die Leute von diesem Sozialstaat Geld bekommen, sondern es geht auch um Teilhabe, Chancen und neue Perspektiven. Genau das schaffen wir mit dem sozialen Arbeitsmarkt. ({8}) In diesem Haushalt wird dafür von den 4 Milliarden Euro, die wir in der Koalition gemeinsam verabredet haben, 1 Milliarde Euro bereitgestellt; das ist gut. In diesem Haushalt findet sich noch etwas, worüber wir uns schon viele Jahre austauschen, nämlich die Finanzierung von Arbeit statt Arbeitslosigkeit in diesem Land. Endlich haben wir es durch den Haushaltsvermerk hinbekommen, dass 700 Millionen Euro jährlich im Rahmen eines Passiv-Aktiv-Transfers bereitstehen. Damit finanzieren wir auch die neuen Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose, die in Zukunft wieder ein Vorbild für ihre Kinder sein können, weil sie einen Grund haben, morgens aufzustehen. Ich finde, was wir hier zusammen hinbekommen haben, ist eine große Leistung. ({9}) Drittens geht es um mehr Chancen auf Qualifizierung in Zeiten der Digitalisierung, um bessere Mieten und vieles, vieles Weitere, und zwar nicht nur bei der Debatte zu diesem Einzelplan, sondern in der gesamten Woche. Ich bin froh, dass diese Regierung das Leben der Menschen Tag für Tag besser macht. Wir müssen viel öffentlich darüber diskutieren, auch darüber, wo die Unterschiede zwischen den zwei bzw. drei Koalitionspartnern sind. Nur dann kommt in diesem Land an, dass wir um dieses Leben der Menschen jeden Tag ringen. Ich bin froh, dass wir diesen Haushalt heute einbringen und eben mit Zuversicht in die Zukunft schauen. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Ulrike Schielke-­Ziesing, AfD. ({0})

Ulrike Schielke-Ziesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004873, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Verehrte Gäste! Was war das für ein Sommertheater, als Finanzminister Scholz Mitte August plötzlich ein stabiles Rentenniveau bis 2040 propagierte. Da spielte er den starken Mann, ein entsprechendes Finanzierungskonzept bleibt er aber bis heute schuldig. Die Ankündigung hätte zu keinem Zeitpunkt ungünstiger sein können: Der Minister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, verteidigt bis heute sein Rentenpaket als eine Bereicherung für Deutschland. ({0}) Dabei werden wieder versicherungsfremde Leistungen eingeführt, die die gesetzliche Rentenversicherung schröpfen und damit ein stabiles Rentenniveau bis 2040 enorm gefährden. Die SPD muss sich hier schon einigen, was sie möchte: auf Kosten der Versicherten und Rentner weitere Geschenke verteilen oder die Rente zukunftssicher gestalten? Mit Ihrem Sommerlochgetöse waren Sie nicht besonders hilfreich und verunsichern eher die Menschen. ({1}) Mit großem Brimborium hat Minister Heil sein Rentenpaket vorgestellt, das nichts Geringeres verspricht als Sicherheit und Gerechtigkeit für alle Generationen. Es geht um die doppelte Haltelinie, Verbesserungen bei Mütterrente und Erwerbsminderungsrente und die Entlastung von Geringverdienern. Geringverdiener sollen bei den Sozialbeiträgen entlastet werden, um der Altersarmut vorzubeugen. Diese Maßnahme geht rein technisch zulasten der zukünftigen Rentner, da diese Zuschüsse durch eigene Rentenversicherungsbeiträge gestützt werden müssen. Dazu sollen nämlich keine Steuermittel aufgewendet werden. Dies bedeutet also, dass der Versuch, Altersarmut zu bekämpfen, die gesetzliche Rentenversicherung ein weiteres Mal belastet. Die Besserstellung einer Einkommensgruppe darf aber nicht zulasten einer anderen Einkommensgruppe gehen. Daher ist diese fiktive Höherbewertung eine versicherungsfremde Leistung und müsste aus Steuermitteln finanziert werden. ({2}) Die Verlängerung der Zurechnungszeit bei Erwerbsminderungsrenten ist grundsätzlich richtig und sinnvoll. Aber auch diese Leistung ist versicherungsfremd und aus Steuermitteln zu finanzieren. Wenigstens haben Sie sich nun bei der Mütterrente II in die richtige Richtung bewegt und weichen von der Vorgabe aus dem Koalitionsvertrag ab, dass die Mütterrente II erst ab dem dritten Kind angerechnet werden soll. Allein diese Änderung könnte bis zu 3,8 Milliarden Euro im Jahr kosten. Ich gehe davon aus, dass sich wenigstens diese Leistung im Haushaltsplan des BMAS niederschlägt, da die Beitragszahlungen für Kindererziehungszeiten im Kapitel 1102 extra ausgewiesen werden. Dass ich die Erhöhung dieses Titels bis jetzt nicht im Haushaltsplanentwurf finden konnte, ist sicherlich nur ein Versehen des Hauses. Der Bundeszuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung schrammt im Jahr 2019 knapp an der 100-Milliarden-Euro-Grenze vorbei. Der Zuschuss für versicherungsfremde Leistungen und die Beitragszahlungen für Kindererziehungszeiten liegen bei über 40 Milliarden Euro. Würde man die versicherungsfremden Leistungen ehrlich ansetzen, läge der Bundeszuschuss weit höher. Bis dahin zahlen die Rentner durch eine geringere Rente und die Beitragszahler durch höhere Beiträge für die Wahlgeschenke, die Minister Heil macht. ({3}) Damit haben Sie, verehrter Minister Heil, das Ziel – Sicherheit und Gerechtigkeit für alle Generationen – klar verfehlt. In den anderen Kapiteln unterscheidet sich der Einzelplan 11 des Haushaltsplanentwurfs für das Jahr 2019 von dem des Vorjahres nur in wenigen Bereichen. Es werden weiterhin dieselben falschen Schwerpunkte gesetzt, ein Lerneffekt ist nicht erkennbar. Wieder werden 470 Millionen Euro in berufsbezogene Deutschsprachförderung gesteckt, obwohl der Abruf der Mittel weitaus geringer ist; 2017 lag er gerade mal bei rund 60 Millionen Euro. Im Jahr 2018 sind wir im Moment bei 99 Millionen Euro angelangt. Das zeigt doch, dass die Migranten sich entweder nicht für eine berufsbezogene Sprachförderung interessieren oder es ihnen an Motivation mangelt, einen Beruf überhaupt ausüben zu wollen. ({4}) Ihre Wunschvorstellung, dass diese Menschen recht schnell in die Sozialkassen einzahlen würden, hat sich nicht bewahrheitet. Es stellt sich die Frage, wie viel Prozent von ihnen überhaupt je in die Sozialkassen einzahlen werden. ({5}) Ein Industriestaat wie Deutschland benötigt qualifizierte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, um den wirtschaftlichen Aufschwung so weit wie möglich fortzuführen, und keine Zuwanderung in unsere überlasteten Sozialsysteme. ({6}) Schaffen Sie endlich mehr sozialversicherungspflichtige Stellen durch Anreize für die Wirtschaft statt mehr Planstellen für Ihr Ministerium. Menschen, die in sozialversicherungspflichtigen Berufen tätig sind, stützen unsere gesetzliche Rentenversicherung; das ist das beste Rentenkonzept, das wir in Deutschland haben. ({7}) Es ist bezeichnend, dass Sie für das gesamte Kapitel 1107 „Arbeitswelt im Wandel, Fachkräftesicherung“ gerade einmal 43 Millionen Euro zur Verfügung stellen, während für den Posten „berufsbezogene Deutschsprachförderung“ von Flüchtlingen 470 Millionen Euro bereitgestellt werden. Damit investieren Sie keineswegs in die Zukunft Deutschlands. ({8}) Sie sind mit den hausgemachten Problemen überfordert, und das sehen die Bürger. ({9}) Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Einzelplan 11 setzt wieder nicht die richtigen Akzente. Unser Minister für Arbeit und Soziales belastet mit seinen Reformen weiterhin sowohl Arbeitnehmer als auch Rentner in Deutschland. Dabei zahlen die Deutschen längst europaweit die höchsten Sozialabgaben. Eine Mehrbelastung können wir ihnen einfach nicht mehr zumuten. ({10}) Lassen Sie die Arbeitnehmer nicht für Ihr Versagen bezahlen. Wir benötigen eine zukunftsfähige Sozialpolitik für Deutschland und nicht die allbekannten Eingriffe in die Rentenkasse. Vielen Dank. ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSU. ({0})

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesem Haushalt, so schien es mir bei der Lektüre, kreuzen sich zwei Entwicklungslinien, die für die Definition unseres Sozialstaats und der sozialen Marktwirtschaft in den nächsten Jahren entscheidend sind. Da ist zum einen die Frage nach den Renten. Die Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung steigen deutlich an. Sie liegen im Haushaltsentwurf bei 93 Milliarden Euro. Das ist der bei weitem größte Ausgabeposten im Etat des Bundesministers für Arbeit und Soziales. Der Anstieg hat mit der Einführung der Mütterrente und der Verbesserung der Erwerbsminderungsrente zu tun – ein entsprechendes Rentenpaket beraten wir demnächst im Deutschen Bundestag. Gleichzeitig machen wir uns Gedanken darüber, wie wir die Rente nachhaltig gestalten wollen. Menschen brauchen in ihren Biografien, auch in ihren Nacharbeitsbiografien, ein Stück Berechenbarkeit. Deswegen war es richtig, dass wir eine Rentenkommission eingesetzt haben, die diese Fragen für uns klärt. Richtig ist auch, dass wir gesagt haben: Wir machen bis 2025 eine doppelte Haltelinie, und zwar sowohl bezogen auf den Beitrag als auch auf das Rentenniveau. Ich finde, das ist schon eine beachtliche Leistung. Für die CDU sage ich: Wenn das unsere Idee gewesen wäre, hätten wir diese ordentlich abgefeiert. ({0}) Ich will den Kollegen der Sozialdemokratie ja keine Ratschläge erteilen, aber der positive kommunikative Effekt dieser Haltelinie ist durch die zeitgleiche Blutgrätsche des Finanzministers leider verpufft. ({1}) Das war keine kommunikative Meisterleistung. ({2}) Aber zu ernsteren Themen. Meine Damen und Herren, schaut man sich Szenarien der langfristigen Entwicklung von Rentenniveau, Bundeszuschuss und Beitragshöhe an, so basieren diese Szenarien in der Regel auf bestimmten Grundannahmen. Einige Grundannahmen sind recht stabil, etwa der demografische Aufbau unserer Gesellschaft, andere sind es nicht, etwa die Frage des Wachstums, der Produktivität oder der Attraktivität unseres Standorts. Das bringt mich zur zweiten Entwicklungslinie, symbolisiert im Haushalt an dem verdienstvollen Vorhaben, eine Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft einzurichten. Meine Damen und Herren, die Debatte darüber, welche Konsequenzen die digitale Revolution für das Arbeitsleben hat, ist längst in vollem Gange. Viele Beobachter scheinen der Ansicht zu sein, dass wir Zeiten entgegengehen, in denen sich Arbeitsbeziehungen und Arbeitsformen ebenso disruptiv, also revolutionär, verändern wie zu Beginn der industriellen Revolution. Eine Studie des IAB aus dem Jahr 2018 schätzt die Arbeitsplatzverluste für die Bundesrepublik auf etwa 25 Prozent ein, sprich: Ein Viertel aller Arbeitsplätze entfällt durch digitale Innovation, durch Robotik, durch 3-D-Druck und viele andere technologische Revolutionen. Gegenzurechnen sind die Arbeitsplätze, die neu entstehen. Aber diese Anzahl ist deutlich schwerer abzuschätzen. Somit kreuzen sich zwei Szenarien. Auf der einen Seite wollen wir brauchbare und valide Zahlen, auf denen wir unsere Planung für die Renten bis 2040 basieren können. Auf der anderen Seite macht uns die digitale Revolution deutlich, dass solche Zahlen vermutlich auf Sand gebaut sein könnten. Deswegen erscheint mir richtig, dass wir uns gegen absehbare Konsequenzen der digitalen Revolution wappnen: durch Investitionen in Aus- und Weiterbildung, auch in den Betrieben selbst; der Minister hat es in seiner Rede besonders erwähnt. Ein weiterer Punkt erscheint mir wichtig, wenn wir die Szenarien der Arbeitswelt in den nächsten Jahren aufspannen, die Frage nämlich, welche Investitionsbedingungen in Deutschland vorherrschen. Unser Standortvorteil war bislang: ein hoher sozialer Friede durch eine funktionierende Sozialpartnerschaft, gut ausgebildete Menschen und eine gute Infrastruktur. Wir waren immer ein wenig teurer, aber auch ein wenig besser. Das soll so bleiben. Deswegen brauchen wir ein Zuwanderungsgesetz, das gut ausgebildeten Menschen in Deutschland eine Perspektive bietet – damit sie helfen, Deutschland eine Perspektive zu geben. ({3}) Wir brauchen starke Sozialpartner und nicht Firmen, die lediglich Trittbrettfahrer der Sozialpartnerschaft sind. Deswegen ist es richtig, Flexibilisierungsmöglichkeiten für Firmen von einer funktionierenden Sozialpartnerschaft abhängig zu machen. Wir brauchen schließlich und vor allem eine offene Gesellschaft, weil wir nur so in einer globalisierten Wirtschaft bestehen können. Ich persönlich glaube, dass ein Protektionismus, wie ihn die Vereinigten Staaten zurzeit vorleben, zu Wohlstandsverlusten führt. Und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass nationalistische und fremdenfeindliche Parolen nicht helfen, den Standort zu entwickeln und attraktiv zu halten, weder in den USA noch hier. ({4}) Meine Damen und Herren, in einem kleinen Büchlein las ich dieser Tage den Satz, das Konservative sei eine Lebensnotwendigkeit für eine gleichgewichtige, das Humane achtende gesellschaftliche Entwicklung. Das finde ich richtig; denn wir dürfen Menschen bei der rasanten Entwicklung der Globalisierung nicht überfordern. Wir dürfen nicht zulassen, dass das, was den Menschen wichtig ist, zerstört wird: Familie, Freunde, religiöse Bezüge, die Freude an der Natur und vieles mehr. Das macht Menschen krank, und kranke Menschen sind keine Leistungsträger. Das hatte vielleicht auch Papst Franziskus im Auge, als er von einer Wirtschaft sprach, die tötet. Eine solche Wirtschaft wollen wir nicht. ({5}) Wir wollen aber auch nicht, dass das Humane durch falsche Frontstellungen zerstört wird: Frontstellungen zwischen Jung und Alt, zwischen den Geschlechtern, zwischen unterschiedlichen Herkunftsbiografien in Deutschland. Auch das macht die Stärke unseres Wirtschaftsstandorts aus. Wer Menschen wegen ihrer Herkunft oder ihrer Hautfarbe unter Generalverdacht stellt, wer zum Jagen aufruft und sich dann klammheimlich freut, dass dies als Aufforderung zum Zuschlagen durchaus richtig verstanden wurde, der darf sich nicht wundern, wenn ein Standort wie Deutschland an Attraktivität einbüßt. Ich verstehe es, wenn man zögert, in einem Land zu investieren, in dem es zu Jagdszenen gegen Minderheiten kommt, in einem Land, in dem Kleinkriminelle, Neonazis und AfD-Funktionäre eine unheilige Allianz eingehen. ({6}) Das Fehlen dieser Investitionen zerstört aber die Zukunft vieler Menschen, die auf einen sicheren Arbeitsplatz hoffen, die berechenbare Lebensperspektiven wollen. Diese mutwillige Zerstörung der Zukunft dieser Generationen hat aber mit dem Humanum oder dem Konservativen nun rein gar nichts zu tun. ({7}) Meine Damen und Herren, der Autor der Zeilen über das Humane und das Konservative war im Übrigen Alexander Gauland. Lange ist es her. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Kollege Otto Fricke, FDP. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Zimmer, ich danke für die nachdenkliche Rede; eine solche tut auch einmal gut. Ich konnte vielem zustimmen, an einem Punkt aber will ich direkt ansetzen: Sozialpolitik muss neben der Verantwortung für den Mitmenschen am Ende immer auch stimmen, muss sich rechnen – nicht im Interesse von Einzelnen, sondern im Interesse der Gesellschaft. Wenn Sie beim Thema Rente von den zwei Haltelinien gesprochen haben, haben Sie bewusst die beiden anderen Haltelinien, nämlich die Frage des Renteneintrittsalters und die Frage des Bundeszuschusses, nicht erwähnt. Dass der andere Teil nie richtig erwähnt wird, ist die eigentliche Krux bei dieser Debatte. Wenn wir über die Frage reden, wann man denn in Rente gehen kann: Der hinter mir sitzende Präsident hat durch seine Leistung gezeigt, dass die Antwort auf die Frage, wann das richtige Alter für den Renteneintritt ist, nichts mit einer Zahl zu tun hat, sondern damit, welche Leistungen man erbringen kann, und wenn es solche sind, wie die am Dienstag in der Rede, dann sind sie gut. Damit müssten wir uns eigentlich viel mehr beschäftigen als mit der reinen Zahl; ({0}) denn es gibt Menschen, bei denen es mit 60 nicht mehr geht, es gibt aber auch Menschen, wie wir hier ja erlebt haben, bei denen es mit über 70 noch geht. Reden wir darüber? Sagen wir, dass wir da flexibler sein müssen? Nein! Insbesondere Sie von der linken Seite gaukeln den Menschen vor, ({1}) dass Sie, wenn Sie konkrete Zahlen versprechen, sie auch einhalten können. Das Nichteinhalten liegt doch nur an einer einzigen Sache: Sie können nicht rechnen. ({2}) Ich will das mal ein wenig verdeutlichen: Wenn wir uns die geplanten Mehrausgaben angucken – auch der Finanzminister sagt ja, dass sie alle in Zukunft dem Bereich „Arbeit und Soziales“ zustehen; er sagt auch, dass wir bei einem Wachstum von 3 Prozent jeden Rentenzuschuss hinbekommen –, dann gebietet es die Ehrlichkeit, zu sagen: Von den geplanten Mehrausgaben, die der Finanzminister in der Finanzplanung, über die wir heute auch reden, vorgesehen hat, entfallen allein 50 Prozent auf die großen Rentenzuschüsse. Wenn man das zusammenrechnet, dann sieht man: 65 Prozent aller Mehrausgaben sind alle rentenpolitischen Leistungen. Wenn Sie den Haushalt für Arbeit und Soziales insgesamt betrachten, dann erkennen Sie, dass 70 Prozent der Mehreinnahmen bis 2022 alleine für diesen Haushalt rausgehen. Das ist eine riesige Verantwortung, der Sie nicht gerecht werden; denn mit den anderen 30 Prozent muss auch die Zukunft dieses Landes gestaltet werden. Wenn ich die Beiträge der Großen Koalition, aber auch der Linken in dieser Debatte hier höre, dann wird mir klar, dass es Ihnen nur um diesen Haushalt geht. Sie müssen aber doch irgendwann auch mal erkennen, dass dieser Haushalt nicht das Einzige ist, was dieses Land groß macht. Dass Ihnen 70 Prozent der Mehreinnahmen in Zukunft zustehen – darüber muss man noch reden –, mag der Finanzminister mit seiner Äußerung auch noch unterstützen, aber, verdammt nochmal: Zukunft ist mehr als immer nur das Versprechen von neuen Leistungen, von denen Sie nicht wissen, wer sie bezahlen soll. ({3}) – Das sagt die FDP, ja. Zu den Themen Verantwortung, Mitmenschlichkeit und anderes: Es war für mich in dieser Woche aus persönlichen Gründen sehr interessant, zu sehen, wie wir Abgeordneten unsere persönliche Verantwortung wahrnehmen. Ich finde es immer schön, wenn das angesprochen wird. Eben gab es zum Beispiel dieses hämische Lachen, weil der Kollege Vogel mir angeblich eine Minute Redezeit weggenommen hat. Erstens war es besprochen, zweitens ist es, selbst wenn es nicht besprochen gewesen wäre, eine gute Tat und nichts, worüber man lächeln kann, wenn ich einem Freund eine Minute mehr Redezeit gebe. ({4}) – Das ist genau wieder dieselbe Art. Für Sie geht es bei der Frage, wer sozial verantwortlich ist, immer nur um Gleichmacherei. Für uns ist das eine Frage der Verantwortung. Fragen Sie doch mal in Ihrer ach so sozialen linken Fraktion nach, wie viele Abgeordnete einen Auszubildenden haben. Wenn Sie diese Frage mit „null“ beantwortet haben, dann können wir sehr gerne weiter über soziale Verantwortung reden. Es kommt auf das Handeln und nicht auf das Reden an. ({5}) Meine Damen und Herren, ich möchte kurz noch auf die Bundesagentur für Arbeit eingehen. Herr Minister Heil, ja, wir senken den Beitrag. Kollege Vogel hat sehr schön dargestellt, was an dieser Stelle noch fehlt, dass Sie nämlich auch hätten sagen müssen, dass es dafür an anderer Stelle zu einer Erhöhung kommt. Das wird gleich der Kollege Spahn tun, und er wird sagen: Wir erhöhen. – Das ist dann auch sicherlich nicht falsch. Kollege Heil, Sie hätten wenigstens so ehrlich sein sollen, zu sagen, dass Sie in arbeitsmarktpolitisch besten Zeiten die Bundesagentur für Arbeit mit neuen Ausgaben belasten und dabei auch den Beitragszahler einbeziehen. Sie hätten den Beitrag noch weiter senken können. Wenn Sie sich Ihre Vereinbarungen im Koalitionsvertrag angucken, dann hätten Sie auch ehrlich sagen müssen: Es läuft zwar alles gut, aber, lieber Beitragszahler, wir bauen die Leistungen noch einmal aus. Selbst wenn das in Ordnung ist, weil man irgendwann ja auch mal für neue Leistungen aus den Beitragsgeldern sorgen muss, müsste man als Minister doch eigentlich auch sagen: In guten Zeiten brauchen wir bestimmte Leistungen vielleicht nicht. – Streichen Sie wirklich Leistungen in diesem Bereich? Nein, das tun Sie nicht. Sie geben mehr Geld für alle von niemandem, und das soll am Ende noch irgendjemand glauben. Das funktioniert einfach nicht. ({6}) Zum Schluss will ich kurz sagen: Wir werden uns in den Haushaltsberatungen sehr genau angucken, was mit den Leistungen für Langzeitarbeitslose, für die wir was tun müssen, wirklich passiert, ob § 16e und § 16i SGB II funktionieren. Ich fürchte, dass da leider dasselbe herauskommen wird wie bei diesem Haushalt: Sie können weder Mathematik, noch können Sie rechnen, aber Sie können im Sommer schöne Erklärungen abgeben. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Kipping, Fraktion Die Linke. ({0})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Werte Zuschauerinnen und Zuschauer! Meine Damen und Herren! Herr Fricke, Ihre Einlassungen zum späteren Renteneintrittsalter waren wirklich entlarvend. Offensichtlich kommt es Ihnen nicht in den Sinn, dass die Arbeitssituation für etwas betagtere Menschen, zum Beispiel in der Altenpflege oder beim Gerüst­bau, so schwer ist, dass man sie nicht einfach mit der Arbeit hier im Bundestag vergleichen kann. ({0}) Dieser Haushaltsentwurf zeigt vor allem eins: die Begrenztheit dieser Bundesregierung. Die Lage im Land ist verdammt ernst. Zukunftsängste, Ausgrenzung, soziale Spaltung treiben die Gesellschaft auseinander. Die Feinde der Demokratie nutzen das für ihre Zwecke. ({1}) Wir stehen also vor großen Aufgaben: Es gilt, die Demokratie zu verteidigen und die soziale Spaltung in diesem Land zu überwinden. Beides erfordert Mut: den Mut zu grundlegenden Alternativen. Kosmetische Korrekturen werden dem Ernst der Lage nicht gerecht. ({2}) Nun sehe ich ja, dass sich die SPD redlich müht, Konflikte mit der Union einzugehen: bei der Rente, beim Wohnen und in der Arbeitsmarktpolitik. Was aber am Ende als konkretes Regierungshandeln rauskommt, bleibt oft auf dem Niveau kosmetischer Korrekturen. Auch eine kleine Verbesserung wie bei der Erwerbsminderungsrente ist möglich. Aber am Ende, wie zum Beispiel beim Rentenniveau, bleibt es vor allen Dingen Symbolpolitik. Liebe SPD, das wird dem Ernst der Lage wirklich nicht gerecht. ({3}) Sehen wir der Wahrheit ins Gesicht. An der Seite dieser Union wird die SPD die soziale Spaltung im Land nicht überwinden. Ja, diese Regierung hat einfach ausgedient. ({4}) Ich will aus Zeitgründen nur einige Probleme von vielen ansprechen, die auch im Haushalt deutlich werden. Gelegentlich wird der Eindruck erweckt, dass der Hartz-IV-Regelsatz nur eine sehr kleine Anzahl Menschen im Land und immer nur die anderen treffen würde. Tatsache ist aber, dass 7,4 Millionen Menschen direkt von der Höhe des Hartz-IV-Regelsatzes betroffen sind und von diesem Geld abhängig sind. Umso mehr, sage ich, ist es unerträglich, dass dieser Satz immer wieder gezielt politisch kleingerechnet wird. ({5}) Unter den 7,4 Millionen Menschen sind auch eine halbe Million armer Altersrentner mit der Grundsicherung. Wir wissen, dass viele, die Anspruch darauf hätten, die Leistungen nicht beantragen: aus Scham, aus Unsicherheit und Angst. Zur offiziellen Armut kommt also noch die verdeckte Armut hinzu. Wir reden auch über Menschen, die nach einem langen Leben, womöglich mit so manchem Schicksalsschlag, am Ende mit einer mickrigen Rente ihren Lebensabend fristen müssen und ihre Rente oft noch durch Flaschensammeln aufbessern müssen. Ich finde, diese Menschen haben einfach ein Recht auf einen würdevollen Lebensabend. ({6}) Deshalb reicht es nicht, dass Rentenniveau zu halten, sondern das Rentenniveau muss deutlich erhöht werden, auf mindestens 53 Prozent. ({7}) Deshalb brauchen wir soziale Garantien, die alle Menschen in diesem Land sicher vor Armut schützen, wie eine solidarische Mindestrente, damit kein Rentner und keine Rentnerin unter 1 050 Euro fällt. ({8}) Um es zusammenzufassen: Nötig ist ein mutiger Einsatz für ein Land, in dem alle garantiert vor Armut geschützt sind, in dem die Mitte deutlich besser gestellt ist und in dem die Arbeit sicher vor Armut schützt. Ja, so können wir die soziale Spaltung in diesem Land überwinden. So können wir die Demokratie verteidigen. Doch dieser Haushalt wird diesem Anliegen nicht gerecht. Insofern sage ich: Dieser Haushaltsentwurf ist für mich vor allem eins: ein Ansporn, für eine andere Regierung weiterzukämpfen und für andere Mehrheiten in diesem Land, und zwar für fortschrittliche Mehrheiten. Vielen Dank. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Sven Lehmann, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Sven Lehmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004801, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr soziale Gerechtigkeit ist in der Tat das, was sich immer mehr Menschen in Deutschland sehnlichst wünschen. Mehr soziale Gerechtigkeit ist aber eine Frage des politischen Mutes und der richtigen Prioritäten. Davon ist dieser Haushalt leider Lichtjahre entfernt. Es gibt mit der Gießkanne überall etwas mehr, ohne aber an die wirklichen Ursachen von Armut und Ungerechtigkeit heranzugehen. So macht man keine mutige Sozialpolitik, Herr Minister. ({0}) Fangen wir bei den Kindern und Familien an: Es ist unerträglich, dass in einem reichen Land wie Deutschland knapp 2 Millionen Kinder in Hartz IV leben und noch mehr Kinder armutsgefährdet sind. Kinder haben eigene soziale Rechte. Deswegen wird es Zeit, die Familienförderung endlich vom Kopf auf die Füße zu stellen, und es wird Zeit, eine Kindergrundsicherung zu schaffen, von der alle Kinder profitieren. ({1}) Dafür bräuchte es aber den Mut zum Systemwechsel, und genau der fehlt dieser Bundesregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Stattdessen gibt es einen Flickenteppich an Einzelmaßnahmen. Die Erhöhung von Kindergeld und Kinderfreibeträgen geht komplett an armen Familien vorbei. Das Geld fehlt dann an anderer Stelle, zum Beispiel, um die Kinderregelsätze endlich so auszugestalten, dass Familien in Hartz IV sich auch mal einen Ausflug oder ein Geburtstagsgeschenk leisten können. Das können nämlich viele dieser Familie nicht. Auch beim Bildungs- und Teilhabepaket herrscht große Mutlosigkeit. Die Idee war ja eigentlich, Kindern den Zugang zu Bildung, Kultur und Sport zu ermöglichen, die sich das sonst nicht leisten können. Herausgekommen ist aber ein großes Bürokratiemonster. Rund 3 Millionen Kinder in Deutschland haben einen Anspruch darauf, und gerade einmal rund 600 000 nehmen diese Leistungen in Anspruch. Das ist eine verdammt schlechte Bilanz, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Jetzt kündigt die Union an, die Leistungen für den Schulbedarf um 20 Euro erhöhen zu wollen. Schön und gut, aber ich sage Ihnen: Seien Sie doch einfach mutig! Schaffen Sie das Bildungs- und Teilhabepaket ab! Geben Sie das Geld lieber in höhere Kinderregelsätze, und geben Sie es den Kommunen, damit die vor Ort gute Angebote für Kinder kostenfrei ermöglichen können. Das wäre mutige Sozialpolitik, die die Kinder und Familien auch spüren, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Apropos Mut. Die Sommerpause stand ja ein bisschen unter dem Motto: Die SPD möchte ihr sozialdemokratisches Profil wieder stärken. Und ich sage Ihnen: Ich fand das sogar gut. Ich fand es gut, dass die Republik endlich einmal über Themen diskutiert, die die Menschen im Alltag wirklich bewegen. Aber was ist daraus geworden? Die Ankündigung von Andrea Nahles, die harten Sanktionen für junge Hartz-IV-Bezieher zu entschärfen, finde ich richtig. Aber was passiert eigentlich nach der Ankündigung? Ich habe die Regierung gefragt: nichts. Es ist kein Gesetz geplant. Oder nehmen wir die Rentendebatte: Die Debatte, wie das Rentenniveau gesichert werden kann, ist wichtig. Aber genauso wichtig wäre es, gezielt dafür zu sorgen, dass Menschen nach einem langen Erwerbsleben nicht in die Altersarmut rutschen. Das betrifft vor allem Frauen, und Altersarmut von Frauen bekämpft man eben nicht mit der Mütterrente, ({4}) für die Sie mal eben mit knapp 4 Milliarden Euro tief in die Beitragskassen greifen. Altersarmut würden Sie bekämpfen mit einer Garantierente, die sicherstellt, dass Menschen trotz langer Erwerbszeiten im Alter nicht zum Sozialamt gehen müssen. Das wäre ein wirksamer Beitrag gegen Altersarmut, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Jetzt zur größten Enttäuschung: Ihr Vorhaben, einen sozialen Arbeitsmarkt einzuführen und damit Chancen für Langzeitarbeitslose und Menschen mit geringer Qualifikation zu schaffen, begrüßen wir ausdrücklich. Das haben wir auch immer gefordert. Aber so wie Sie das umsetzen – Mindestlohn statt Tariflohn, sieben Jahre Leistungsbezug als Voraussetzung und damit quasi ein Ausschluss für Menschen mit Fluchtgeschichte –, droht dieses so wichtige Vorhaben zum Rohrkrepierer zu werden. Deswegen braucht es deutliche Korrekturen an diesem Gesetz, damit es ein Erfolg wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Ich komme zum Schluss. Ihr Etat, Minister Heil, ist sozialpolitischer Flickenteppich, und zwar ein Flickenteppich dort, wo wir eigentlich ein dicht gespanntes Netz bräuchten, das Menschen wirksam vor Armut schützt, das sie fördert und stärkt. Gute Sozialpolitik wird aus Mut gemacht. Freuen Sie sich also auf viele gute und mutige Änderungsanträge von uns im Ausschuss. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Frauke Petry. ({0})

Dr. Frauke Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004851, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit 144 Milliarden Euro beträgt der Einzelplan 11 fast 40 Prozent des gesamten Bundeshaushaltes. Er ist der größte Teilhaushalt. Und doch können wir wiederholen, was schon 2013 in der Zeitung stand: Die Rente frisst den Bundeshaushalt. Fast 100 Milliarden Euro fließen aus diesem größten Teilhaushalt in den trotzdem immer klammen Rententopf, und in der Tat: Sie haben bisher kein Konzept, wie das Absinken des Rentenniveaus respektive das weitere Ansteigen des Beitragsniveaus verhindert werden kann, außer immer wieder das Gleiche zu fordern: den aktuellen Steuerzahlern und den zukünftigen weiter in die Tasche zu greifen. ({0}) Meine Damen und Herren, Kinder sind unsere Zukunft. Aber die Alten sind nicht unsere Vergangenheit. Deswegen: Legen Sie endlich offen, wie viele rentenfremde Leistungen im Rententopf versteckt sind! Misten Sie den gesamten Bundeshaushalt aus, und entlasten Sie die Bürger, damit Bürger privat vorsorgen können! Der Kapitalmarkt gibt das aktuell nicht her. Aber Wohneigentum ist eine wesentliche Altersvorsorge. Sie tun nichts dafür, dass sich mehr Bürger in Deutschland eigenes Wohneigentum leisten können. ({1}) Noch etwas: Wir brauchen endlich eine aktivierende Politik für mehr Arbeit. 36 Milliarden Euro pro Jahr für die Grundsicherung, davon 20 Milliarden Euro für Hartz IV, offenbaren, dass Sie gerade nicht das tun, was Sie vorgeben zu tun. Sie schaffen keine besseren Rahmenbedingungen für Arbeit. Hartz IV – um es klar zu sagen – verhindert Arbeit. Jede Hartz‑IV-Familie kennt es: Anrechnung von Vermögen, Bedarfsgemeinschaften und vor allem die sträfliche Verrechnung von Zuverdiensten gerade auch aus der Kindergeneration produzieren einen Hartz‑IV-Teufelskreis. Wenn heute der 17‑jährige Sohn neben Schule und Ausbildung Geld verdienen geht, um unabhängig vom Staat, von Sozialleistungen zu werden, dann nehmen Sie diesem 17‑Jährigen nicht nur Hoffnung, sondern Sie nehmen ihm bis zu 80 Prozent des verdienten Geldes wieder ab. Das ist keine Sozialpolitik. Das ist menschenunwürdig. ({2}) Jeder, der arbeitet, muss definitiv mehr – und zwar nicht nur ein bisschen mehr, sondern signifikant mehr – haben als jeder Arbeitslose. Dann kann man Hartz‑IV-Sätze perspektivisch auch schrittweise senken, wenn mehr gearbeitet werden kann. So können wir Millionen Menschen zur Arbeit aktivieren. So senken wir sekundäre soziale Kosten und Gesundheitskosten, die im Einzelplan 11 natürlich nicht auftauchen. ({3}) Hilfe zur Selbsthilfe, das sollte der Leitspruch für eine gute Sozialpolitik sein. Die Bürger sind mündig und von uns als solche zu fördern und zu fordern. Davon sind Sie mit Ihrer Politik weit entfernt. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Peter Aumer, CDU/CSU. ({0})

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Tagen reden wir sehr viel über den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land. Am treffendsten hat das aus meiner Sicht unser Bundestagspräsident in dieser Woche formuliert, als er sagte: Wir erkennen erst jetzt so richtig, welche Auswirkungen der Zustrom an Flüchtlingen und Migranten auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land hat. Weiter sagte er: Nur der Ausgleich untereinander wird zu mehr Akzeptanz für den unausweichlichen gesellschaftlichen Wandel führen. Dieser Ausgleich untereinander funktioniert nur, wenn wir den Haushalt Arbeit und Soziales zukunftsfest und zukunftssicher machen. Ich glaube, dass der Haushalt, dessen Entwurf heute vorliegt, seinen Beitrag dazu leistet. Mehr Akzeptanz für unsere Politik, wie von Bundestagspräsident Schäuble angemahnt, schaffen wir nur, wenn alle in unserem Land auch von unserer wirtschaftlichen Stärke profitieren. Mehr Akzeptanz für unsere Politik schaffen wir nur, wenn wir den Menschen in unserem Land zeigen, dass wir die großen Herausforderungen unserer Zeit wie die Digitalisierung, die unsere Gesellschaft verändert, verlässlich politisch begleiten und gestalten. Mehr Akzeptanz für unsere Politik schaffen wir nur, wenn es in unserer Gesellschaft gelingt, dass es gerecht zugeht. Als Schlagwort möchte ich hier nur den Generationenvertrag nennen. ({0}) Lassen Sie mich bitte auf diese drei Punkte eingehen. Punkt eins: Alle müssen von der wirtschaftlichen Stärke unseres Landes profitieren. Deshalb war es gerade für die CSU wichtig, dass es zu einer Absenkung um 0,5 Prozentpunkte bei der Arbeitslosenversicherung kommt, eine Entlastung von 6 Milliarden Euro. Sehr geehrter Herr Vogel, es ist unverständlich, eine Rechnung aufzumachen, die das eine mit dem anderen vergleicht. ({1}) Wir müssen nur schauen, vor welch großen Herausforderungen wir in der Pflegeversicherung stehen. Wir bieten insbesondere den Familien neue Leistungen an. Daher ist es, glaube ich, klar, dass man – das sollte gerade einem FDPler geläufig sein –, wenn man mehr Leistungen anbietet, Mehrkosten hat und diese durch Geld decken muss. ({2}) Das darf man nicht verrechnen. Wir haben das Möglichste herausgeholt, und das ist auch gut so. Die CSU schaut vor allem – das hat unser Landesgruppenvorsitzender in seiner Rede angesprochen – auf die Entlastung der politischen Mitte. Dazu gehören der Abbau des Solidaritätszuschlags, aber auch der Abbau der kalten Progression. Dazu gehört aber auch, weiter daran zu arbeiten, dass wir Vollbeschäftigung in unserem Land erreichen. Die Union hat hier in den letzten Jahren sehr viel erreicht; aber es gibt noch einiges zu tun. Der Haushalt spiegelt das wider, sehr geehrter Herr Minister, mit mehr Geld für die Jobcenter und deren wichtige Arbeit, aber auch für das neue Regelinstrument Teilhabe am Arbeitsmarkt, um gerade langzeitarbeitslosen Menschen Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt zu geben. Punkt zwei: die großen Herausforderungen unserer Zeit verlässlich politisch begleiten und gestalten, keine Wahlkampfrede halten, sondern Themen ansprechen, die die Menschen in unserem Land aus meiner Sicht auch bewegen. Das eine Thema ist die Digitalisierung, die die Welt verändert. Dies müssen wir ins Arbeitsleben mit aufnehmen und bei unseren politischen Entscheidungen hinsichtlich der Arbeitswelt von morgen berücksichtigen. Hierzu gehört unter anderem, wie es auch der Haushalt darstellt, die Förderung von innovativen Projekten, aber auch die neue Denkfabrik digitale Arbeitsgesellschaft, Herr Minister. Ich bin gespannt, was da rauskommt. Die Erwartungen sind groß, und es ist auch viel Geld im Haushalt vorgesehen. Ich glaube, da muss man schon schauen, dass man diesen Prozess gut und verantwortungsvoll begleitet. Eine der großen Herausforderungen, die wir aktuell zu bewältigen haben, ist der Umgang mit dem Fachkräftemangel in unserem Land. Es ist gut und wichtig, dass wir das Fachkräftezuwanderungsgesetz schnell auf den Weg bringen. Hoffentlich zeigt es schnell Auswirkungen, dass gerade unsere Handwerker und die mittelständischen Betriebe neue Fachkräfte bekommen. Der dritte Punkt: Es muss gerecht zugehen in unserer Gesellschaft. Mit dem Rentenpakt wurden wichtige Punkte auf den Weg gebracht. Uns war wichtig, dass das Rentenniveau bis 2025 bei 48 Prozent stabilisiert wird. Zur Gerechtigkeit gehört aber auch die Ausweitung der Mütterrente. Dies hat die CSU im Koalitionsvertrag gefordert, und das haben wir umgesetzt. Wir haben Wort gehalten. Das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Anhaltspunkt für Gerechtigkeit – auch wenn es der ein oder andere anders sieht. Aber den Menschen vor Ort, insbesondere den Frauen, kann man schlecht erklären, warum Leistungen vor 1992 anders behandelt werden als Leistungen nach 1992. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine der wichtigsten Aufgaben wird es sein, den Generationenvertrag zukunftsfest zu machen. Hier hat die eingesetzte Rentenkommission eine wichtige Aufgabe. Zur Gerechtigkeit gehört auch, dass man vor allem diejenigen von staatlichen Leistungen profitieren lässt, die es am meisten brauchen. Sehr geehrter Herr Bundesminister, die Diskussion zum bayerischen Landespflegegeld und zum Familiengeld in Bayern war unverständlich. Diese Diskussion hat die Menschen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, zutiefst verunsichert. Ich denke, dass wir gerade in diesem Bereich den Menschen, die Kinder erziehen, die Angehörige pflegen, dieselben Leistungen zukommen lassen müssen wie denen, die keine Grundsicherung erhalten. ({4}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser Haushalt setzt die richtigen Schwerpunkte, verantwortungsvoll und vernunftorientiert – ganz im Gegensatz zu dem, was Sie behauptet haben, Herr Kollege Witt. Gemessen werden wir sicher daran, ob es uns gelingt, unsere Gesellschaft wieder zusammenzuführen. Die wichtigste Aufgabe von uns allen in diesem Hohen Haus ist es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land in den Mittelpunkt unserer Arbeit zu stellen. Dazu gehört der soziale Zusammenhalt, der gestärkt werden muss. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Michael Groß, SPD. ({0})

Michael Groß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004045, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Dieser Haushalt ist davon gekennzeichnet, dass er zukunftsweisend ist, dass er für die soziale Sicherheit in diesem Land sorgen muss und kann und dass er für Solidarität und Zusammenhalt sorgt. Dafür möchte ich Hubertus Heil außerordentlich danken, weil es ein Haushalt ist, der uns in die Zukunft führen kann. Herzlichen Dank, Hubertus, an dein Haus und an deine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! ({0}) Was tun wir hier? Wir investieren in Menschen. Neben den 38 Milliarden Euro Investitionen in Steine, Beton, Schienen, digitalen Ausbau investieren wir in Menschen in Deutschland, und das ist notwendig und richtig. Wir investieren in Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, in Rentner und Rentnerinnen, in Menschen mit Behinderung. Wir investieren aber auch in Menschen, die in unseren Behörden arbeiten, etwa in den Jobcentern. Ich möchte den Menschen, die im Bundesversicherungsamt, im Bundessozialgericht, im Bundesarbeitsgericht arbeiten, herzlich danken, dass sie so eine hervorragende Arbeit leisten. ({1}) Ich möchte auf die Rentendiskussion eingehen. Was passiert zurzeit? Wir haben als Koalition – das muss man hier auch noch mal außerordentlich hervorheben – ein Rentenpaket auf den Weg gebracht, das bis 2025 dafür sorgt, dass Rentnerinnen und Rentner erst einmal sicher sein können, dass ihre Kaufkraft nicht zurückgeht. Es geht um die Kaufkraft, und es geht um die Frage: Wie wird mein Lebensstandard sein? – Gerade war davon die Rede, dass der Finanzminister Olaf Scholz eine Blutgrätsche durchgeführt hat. Dazu kann ich nur sagen: Es war ein intelligenter Pass in die Spitze, um ein Tor zu schießen, und nichts anderes! ({2}) Wir haben nämlich vor, die Rente auch über 2025 hinaus durch einen belastbaren Generationenvertrag abzusichern. Olaf Scholz hat auch Vorschläge gemacht, wie das zu refinanzieren ist. ({3}) – Das können Sie ja nachlesen; das muss ich jetzt nicht in meiner Zeit noch mal referieren. ({4}) Er hat gesagt: Wir müssen die höheren Einkommen stärker besteuern. ({5}) Aber das ist eine lange Diskussion. Ich möchte noch mal darauf hinweisen, dass wir in der Arbeitswelt – das war auch schon Thema – Veränderungen haben, und wir müssen natürlich darauf eingehen, indem wir wesentlich mehr für diejenigen tun, die sich weiterbilden müssen, die sich im Arbeitsleben umstellen müssen, aber auch für diejenigen Arbeitslosen, die wieder in den Arbeitsprozess wollen. Deswegen ist es richtig, dass wir eine Qualifizierungsoffensive durchführen. Das Haus hat das auf den Weg gebracht. Neben der Beschäftigung mit der Frage: „Wie müssen Menschen im Arbeitsleben qualifiziert werden?“, wollen wir die Beratung wesentlich verbessern, damit Menschen frühzeitiger wissen: Wohin muss ich mich im Berufsleben umorientieren? Was kann ich tun, um meinen Beruf zu behalten oder einen Wiedereinstieg zu finden? Der soziale Arbeitsmarkt ist ein ganz wichtiges Instrument für die Regionen, in denen die Langzeitarbeitslosigkeit besonders hoch ist. Im Ruhrgebiet beträgt der Anteil der Langzeitarbeitslosen an den Arbeitslosen 60 Prozent, also höher als im Durchschnitt in Deutschland. Von daher ist es enorm wichtig, dass diese Menschen wieder den Weg in den Beruf finden, dass sie Vorbild für ihre Kinder sind. Wir müssen Ihnen das Erlebnis vermitteln: Ich kann wieder von meiner Arbeit leben, selbstbestimmt leben, brauche kein soziales Taschengeld – es ist auch kein soziales Taschengeld – und schaffe selbst etwas. Wir müssen natürlich erreichen – das ist auch wieder eine Forderung, die wir gemeinsam in der Koalition umsetzen müssen –, dass wir statt Mindestlohn Tariflohn finanzieren können. Das ist auch wichtig für die Städte im Ruhrgebiet, die ansonsten diesen sozialen Arbeitsmarkt wahrscheinlich nicht werden umsetzen können oder dürfen. Ich möchte noch was zum Bundesteilhabegesetz sagen. Hier wird immer kolportiert: Wir tun zu wenig. – Es gibt dort den größten Aufwuchs, nämlich über 30 Prozent Aufwuchs auf über 400 Millionen Euro. Für die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung sind 58 Millionen Euro etatisiert. Es geht ja darum, dass wir Menschen durch eine gezielte, objektive, neutrale Beratung ermöglichen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Sie sollen so beraten werden, dass Angehörige und Betroffene selbst sich zurechtfinden. Das ist eine Riesenleistung des Hauses. Ich will das nur noch mal betonen, weil das heute mehrfach kritisiert wurde. ({6}) Ein letzter Satz an den Kollegen Witt von der AfD. Herr Witt, Sie haben am Anfang gesagt: Das ist Ideologie. – Es geht darum, dass wir das Leben der Menschen verbessern. Ich bin stolz darauf, dass es hier nicht um ideologische Auseinandersetzungen geht, sondern um die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen, um Solidarität und Zusammenhalt. ({7}) Ich hatte mal einen Statistikprofessor, der hinsichtlich Wechselbeziehungen, Korrelationen, gesagt hat: Immer wichtig ist die Annahme, die man am Anfang hat. – Um mal ein Beispiel zu geben: Wenn die Mutter sagt: „Die Störche bringen die Kinder“, und man beobachtet: „Es gibt weniger Störche“, dann schließt man: Also kommen weniger Kinder. – Oder andersherum: Man beobachtet „Es kommen mehr Störche“ und schließt daraus: Also gibt es mehr Kinder. – Wenn man so denkt, ist man, glaube ich, dieser Welt nicht mehr gewachsen. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Axel Fischer, CDU/CSU. ({0})

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Wirtschaft brummt. Der Arbeitsmarkt ist robust; 3 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr als vor vier Jahren. Die Arbeitslosigkeit sinkt; 200 000 Arbeitslose weniger als im Vorjahr. Löhne und Transfereinkommen steigen. Die Renten sind erheblich gestiegen. Die Bundesregierung hat gerade eine weitere Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes beschlossen. Die Kehrseite ist ein sich verschärfender Arbeitskräftemangel. Und die sprudelnden öffentlichen Einnahmen führen natürlich zu neuen Begehrlichkeiten: immer neue Verwendungs- und Verteilungswünsche und Umverteilungsinitiativen. So soll der Haushalt für den Bereich Arbeit und Soziales steigen, von 136 Milliarden Euro im Jahr 2017 auf nun 144 Milliarden Euro im kommenden Jahr. Der Kollege Mattfeldt hat gestern hier betont, dass das mehr als 40 Prozent der gesamten geplanten Ausgaben des Bundes für das nächste Jahr sind. Aktuelle Beschlüsse der Bundesregierung drohen zu erheblichen Belastungen zukünftiger Leistungserbringer zu werden. Sie gehen mit wachsenden Risiken für zukünftige Bundeshaushalte einher und engen die Haushaltsspielräume zukünftiger Verantwortlicher in Politik und Gesellschaft ein. Meine Damen und Herren, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat sich diese Woche besorgt über die Situation im Land geäußert. Er sprach von wachsender Verunsicherung und einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft. Als Ursache für die von Wolfgang Schäuble angesprochene Verunsicherung sehe ich wachsendes Unverständnis, das sich in der Bevölkerung breitmacht. Sehen wir uns einmal wesentliche mediale Ereignisse der zurückliegenden Sommerpause an: Da ist der gesellschaftlich gut integrierte afghanische Bäcker, der selbst den Lebensunterhalt für sich und seine Familie erwirtschaftet und strafrechtlich nie in Erscheinung getreten ist, der aber trotzdem abgeschoben werden soll. Demgegenüber steht der Fall eines vielfach straffällig gewordenen Gefährders aus Nordafrika, der jahrelang auf Kosten der Allgemeinheit gelebt hat und dessen zunächst erfolgreiche Abschiebung gemäß Gerichtsbeschluss rückgängig gemacht werden muss. Ich habe mich gefragt: Was halten die Menschen wohl von einem Staatswesen, das solche Ergebnisse produziert? Wie verlässlich schätzen sie es wohl ein? Dann gab es die Ereignisse im sehr finanzschwachen Duisburg, wo Polizei und Staatsanwaltschaft, nicht etwa die Behörden selbst, gegen Sozialmissbrauch vorgegangen sind. Was denken die Menschen in der U-Bahn oder im Bus, die frühmorgens zur Arbeit fahren? Welches Signal geht hiervon aus? Wird gegen Sozialmissbrauch erst dann vorgegangen, wenn die Mitarbeiter unübersehbar Schwierigkeiten haben, zwischen den Luxuskarossen der angeblich sozial Bedürftigen ins Gebäude zu kommen? Mit welchem Gefühl schaut der arbeitende Bevölkerungsteil in Deutschland wohl auf diese Ereignisse? Vertrauen in unsere Verwaltung schafft man anders. Meine Damen und Herren, trotz jährlich ansteigender Sozialleistungen wächst Unzufriedenheit und Neid auf Leistungen für Migranten. Dieser wird von bestimmten Gruppen dann auch noch geschürt, und das, obwohl diese nur die Minimalleistungen erhalten. Das gipfelt dann oft im unterschwellig transportierten Pauschalvorwurf, Migranten wären ohnehin nur zum Abgreifen von Sozialleistungen gekommen und wären ansonsten arbeitsscheu. Und in der Tat sind nur wenige der neu Hinzugekommenen sofort in unseren Arbeitsmarkt integrierbar. Aber ich frage Sie: Ist das verwunderlich? Notwendige Voraussetzungen wie Fachwissen, Fertigkeiten und Arbeitshaltung fallen ja nicht vom Himmel. Wie lange und wie viel haben wir in junge Menschen investiert, bis sie nach 18, 21 oder 26 Jahren oder noch viel später in den Arbeitsmarkt eingetreten sind? Allein die Konsumausgaben betragen bis zur Volljährigkeit mehr als 130 000 Euro. Hinzu kommen die Kosten für die staatliche Kinderbetreuung, die Beschulung, die betrieblichen Ausbildungskosten, die Kosten für Berufsschulen, Hochschulen, um nur einige Beispiele zu nennen. Da liegen wir schnell bei weit über 200 000 Euro, selbst wenn kein Medizinstudium finanziert wurde. Die Bundesregierung geht hier dankenswerterweise mit großen Schritten in die richtige Richtung. Für Integrationskurse und berufsbezogene Sprachförderung von Migranten sind im Entwurf des Bundeshaushalts rund 1,1 Milliarden Euro vorgesehen. Hinzu kommen Mittel zur Integration in den Arbeitsmarkt. Damit wollen wir denjenigen Migranten eine Perspektive geben, die bereit sind, am Arbeitsmarkt teilzunehmen und sich in die Gesellschaft zu integrieren. Neben dem Bund sind aber insbesondere die Länder gefordert. Junge Menschen aus anderen Kulturkreisen brauchen Deutschunterricht und Wertevermittlung. Deshalb begrüße ich ausdrücklich die Initiative von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der in seinem Bundesland Geld in die Hand genommen und Lehrer eingestellt hat, um jungen Migranten vor der Eingliederung in den Regelunterricht die für einen Lernerfolg notwendigen Sprachkenntnisse und Verhaltensweisen des Zusammenlebens zu vermitteln. ({0}) Meine Damen und Herren, der größte Ausgabenposten im Sozialhaushalt wie im Bundeshaushalt insgesamt werden auch im kommenden Jahr die Zuschüsse des Bundes an die Rentenversicherung sein. Mit etwa 100 Milliarden Euro im kommenden Jahr gibt der Bund nämlich ein Vielfaches als Zuschuss für die Versorgung unserer Rentner aus im Vergleich zu dem, was für die berufliche Integration von Migranten aufgewendet wird. Dieser Bundeszuschuss wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiter stark anwachsen müssen. Wie reagiert nun die Bundesregierung auf diese Herausforderung? Die Bundesregierung verschärft unter anderem mit der doppelten Haltelinie die Probleme der Finanzierung unseres Sozialsystems weiter. Würde das so umgesetzt und beibehalten, müsste der Bundeszuschuss perspektivisch auf mehr als 200 Milliarden Euro jährlich anwachsen. Der „Focus“ titelte letzte Woche: „Zeitbombe Altersversorgung“. Und der Demografiebeauftragte der Unionsfraktion, unser geschätzter Kollege Michael Frieser, schreibt in einem aktuellen Beitrag in der „FAZ“ dazu – ich zitiere –: Generationengerechtigkeit scheint nur noch eine Worthülse. Anstatt also zu einer nachhaltigen Finanzierbarkeit beizutragen, ist das Ziel wohl die Abschaffung des Rentensystems durch Nichtfinanzierbarkeit. ({1}) Meine Damen und Herren, schon heute ächzen die Leistungserbringer in Deutschland unter der Last von Steuern und Abgaben. Es ist daher wenig verwunderlich, wenn vonseiten der Wirtschaft Vorschläge für die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 72 Jahre erfolgen. Denn eine solche enorme Finanzlast engt nicht nur die finanziellen Spielräume des Bundes ein, sie senkt auch die zukünftige Attraktivität des Landes für mobile, qualifizierte Arbeitskräfte. Das schwächt massiv die Zukunftsfähigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in Deutschland. Diese Unternehmen sind letztendlich der Ort, an dem motivierte Arbeitnehmer, zu denen vielleicht dann auch viele gut ausgebildete und integrierte Migranten gehören, den Wohlstand erarbeiten bzw. produzieren, von dem die Menschen in Deutschland einst leben werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der von der Bundesregierung vorgelegte Haushalt wird aktuellen Herausforderungen im Bereich des Arbeitsmarkts gerecht. Im Bereich der Rentenversicherung kommt die Bundesregierung ihren bestehenden Verpflichtungen nach. Mit Blick auf die Zukunft brauchen wir aber nicht nur vonseiten der Bundesregierung dringend positive Signale und Veränderungen, die das Vertrauen der Menschen in unseren Staat, seine Behörden und unser Sozialsystem befördern. ({2}) Diesen Herausforderungen werden wir in den Haushaltsberatungen gerecht werden. Vielen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen mir nicht vor.

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ziemlich exakt auf den Tag genau vor sechs Monaten ist die neue Bundesregierung angetreten. Wir sind angetreten, um auch im Bereich der Gesundheits- und Pflegepolitik ganz konkret den Alltag von 5,5 Millionen Menschen, die jeden Tag im Gesundheitswesen arbeiten – Ärzte, Pflegekräfte, Apotheker, Heilmittelerbringer, viele, viele andere –, aber auch von Millionen Menschen, die als Pflegebedürftige, als Patienten, als Angehörige von Patienten und Pflegebedürftigen mit dem Gesundheitswesen in Kontakt kommen, besser zu machen. Ich habe hier vor der Sommerpause in den ersten Haushaltsberatungen für dieses Jahr drei Projekte aus unserem Haus angekündigt, die bis zum Sommer angestoßen sein sollen. Wenn ich auf das schaue, was wir auf den Weg bringen konnten, was wir vorlegen konnten bis zur Sommerpause, dann kann ich sagen: Genau das ist auch gelungen. Diese drei Gesetze zeigen im Übrigen auch: Zwar ist der Etat des Bundesministeriums für Gesundheit bei weitem nicht der größte innerhalb des Bundeshaushaltes, aber mit Blick auf die gesetzliche Krankenversicherung und die private Krankenversicherung, für die wir ja auch den Rahmen setzen, sehen wir, wie viele Millionen Menschen jeden Tag aufs Neue im Alltag mit dem Gesundheitswesen, mit der Pflege zu tun haben. Und da ganz konkret Alltags-, Lebenssituationen, oft übrigens existenzielle und sehr intime Lebenssituationen berührt sind, ist das eben doch ein Politikfeld, das am Ende mehr oder weniger für alle 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ein wichtiges, ein großes Thema ist. Man muss ja nur eine konkrete Situation nehmen: die Pflege eines älteren Mannes in einer Pflegeeinrichtung, der dort dann bis ins Sterben hinein begleitet wird. Da ist natürlich der Pflegebedürftige selbst, für den es wichtig ist, dass er gut gepflegt wird, dass die Pflegekräfte gut ausgebildet sind, aber vor allem auch, dass Zeit ist, um Fürsorge, um Miteinander zu leben. Da sind die Angehörigen, die sich die Frage stellen: Geht es Vater gut im Pflegeheim? Geht es dem Mann, dem Partner gut in der Pflegeeinrichtung? Da sind die Pflegekräfte, die jeden Tag mit viel Einsatz, mit viel Empathie dabei sind, die aber eben auch, nachdem es in den letzten Jahren an vielen Stellen eine große Arbeitsverdichtung gegeben hat, immer wieder Privatleben, Dienstpläne, die Anforderungen des Alltags zusammenbringen müssen. Ihre Familien bekommen natürlich mit, was los ist, wenn der Vater, die Mutter in der Pflege arbeitet, und spüren, was das oft dann eben auch für das Familienleben bedeutet. Da ist der Arbeitgeber, der im Moment Fachkräfte sucht vor dem Hintergrund eines Arbeitsmarktes, der in ganz Deutschland ziemlich leer gefegt ist, was dazu führt, dass oft auch Anfragen – im Moment jedenfalls, insbesondere in der ambulanten Pflege –, ob Unterstützung gegeben werden kann durch Pflegedienst in der Familie, leider abgelehnt werden müssen. Das ließe sich beliebig fortsetzen mit Blick auf Ärzte, auf Heilmittelerbringer, auf Krankenhäuser, die sehr konkret für diese einzelne Situation – ein älterer, pflegebedürftiger Mann in einer Pflegeeinrichtung – Alltag gestalten, in sehr intimen, persönlichen, existenziellen Situationen zusammen sind. Genau da setzen wir an: keine Luftschlösser versprechen, keine Milliarden. Ich halte auch nichts von diesem Wettbewerb: Wer fordert mehr Stellen? 50 000, 80 000, 120 000. Vielmehr wollen wir konkret schauen: Wie machen wir Dinge im Alltag besser? ({0}) Das Sofortprogramm Pflege umfasst da ein erstes Paket von Maßnahmen. Wir sagen zum einen: Im Krankenhaus wird jede zusätzliche Stelle ab dem 1. Januar 2019 in der Pflege voll finanziert. Das ist eine klare Ansage: Kein Geld für Pflegekräfte ist keine Ausrede mehr für Krankenhausgeschäftsführer. Das Geld in den Krankenhäusern wird ab dem 1. Januar da sein. Jede zusätzliche Pflegekraft wird finanziert. ({1}) Außerdem gibt es 13 000 neue Pflegestellen in der Altenpflege; das ist ein erster Schritt. Ich weiß, dass Weiteres nötig ist; aber es ist ein klares, wichtiges Signal, dass das Ganze zum ersten Mal durch die Sozialversicherung voll finanziert wird. Die Tarifbezahlung in den Krankenhäusern wird voll finanziert schon ab diesem Jahr. Das Gleiche wollen wir bei der Tarifvergütung in der Altenpflege. Hubertus Heil und ich sind da in Gesprächen mit den Arbeitgebern, mit den Gewerkschaften, um regelhaft zu einer Tarifvergütung in der Altenpflege zu kommen, wie wir sie in der Krankenpflege heute schon haben. Und: Ja, auch wir wissen: Das eine ist, Stellen zu schaffen und zu finanzieren, das andere ist, sie jetzt auch zu besetzen. Ich weiß, dass viele sagen: reicht nicht, zu wenig, zu klein, ist nur ein erster Schritt. – Ja, aber jede Reise beginnt mit einem ersten Schritt. Wenn wir in einem Bereich, in dem so viel Vertrauen verloren gegangen ist wie in der Pflege, wo viele Pflegekräfte, wie ich es am Samstag in Paderborn bei einer Veranstaltung wieder erlebt habe, gar nicht wirklich daran glauben, dass wir überhaupt verstanden haben, worum es geht, und dass wir etwas ändern wollen, wenn wir da Vertrauen zurückgewinnen wollen, dann geht es eben darum, an ganz vielen Stellen konkret zu arbeiten: von der Schaffung der Finanzierung von Stellen über die Ausbildungsoffensive in der Konzertierten Aktion Pflege und die Frage, wie wir Menschen, die einmal in der Pflege gearbeitet haben, ermuntern können, in die Pflege zurückzukommen, bis hin zur Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland und zur Tarifbezahlung. Denn das ist der beste Weg, um Vertrauen zurückzugewinnen. ({2}) Das Gleiche gilt für das Versichertenentlastungsgesetz. Damit entlasten wir Arbeitnehmer, Arbeiter, Rentnerinnen und Rentner in Deutschland bei den Krankenversicherungsbeiträgen. Damit verbessern wir ganz konkret die soziale Situation von Selbstständigen und Soloselbstständigen, zum Beispiel Kioskbesitzer, Taxifahrer oder viele andere. Für ihre soziale Absicherung haben sie ja im Monat oft nur 1 000 oder 1 200 Euro übrig. Wir halbieren den Mindestbeitrag zur Krankenversicherung und helfen damit ganz konkret. Das geht weiter damit, dass wir sagen – angesichts der guten Finanzentwicklung bei den Krankenkassen fühlen wir uns seitens der Bundesregierung darin in unserem Vorschlag bestärkt –, dass da, wo es sehr hohe Rücklagen gibt – bei einzelnen Kassen sind es zwei, drei, vier Monatsausgaben –, die nicht für die Versorgung benötigt werden, die Versicherten dann auch entlastet werden sollen. Es ist ihr Geld, es sind ihre Beiträge. Geld für die Versorgung ja, aber nicht Geld horten. Das ist nicht die Aufgabe von Krankenkassen. Auch das haben wir im Versichertenentlastungsgesetz geregelt. ({3}) Mit einem Gesetz für schnellere Termine und eine bessere Versorgung gehen wir das große Aufregerthema der Wartezeiten bei der ambulanten ärztlichen Versorgung an. Jeder hat schon einmal die Situation erlebt: Der Nachbar ist privatversichert und hat schon nächste Woche den Termin, der gesetzlich Versicherte aber beim selben Facharzt vielleicht erst in zwei, drei, vier Monaten. Ja, viele Ärzte machen keinen Unterschied zwischen privat und gesetzlich Versicherten, aber zu oft wird er eben doch gemacht. Wir wollen das nicht lösen, indem alle drei, vier Monate warten, sondern wir wollen im gesetzlichen System Anreize setzen, und zwar ganz konkret: mit einer Terminservicestelle, die 24 Stunden erreichbar sein soll, mit einer Auflösung der Problematik, dass ein Arzt, wenn er zusätzlich Patienten annimmt, nicht finanziell bestraft wird, sondern die Leistung auch angemessen vergütet bekommen soll, und durch Unterstützung vonseiten des Hausarztes in konkreten Situationen dabei, beim Facharzt einen Termin zu bekommen. An dieses Aufregerthema, das zu Recht eines ist, werden wir herangehen und mit kleineren und größeren Maßnahmen ganz konkret für Verbesserungen sorgen, damit eben Menschen, Patienten, bei denen es medizinisch angezeigt ist, schneller einen Termin bekommen. Auch für die ländlichen Räume – die beste Terminservicestelle hilft nicht, wenn keine Ärzte da sind, zu denen man vermitteln kann – haben wir Maßnahmen im Paket. Hier geht es darum, finanzielle Anreize zu setzen, zum Beispiel die Frage der Zusammenarbeit im ländlichen Raum, auch telemedizinisch, weiter auszubauen und zu verbessern, sowie klare Signale zu senden, dass es attraktiv ist und sich lohnt, sich auch im ländlichen Raum und in bestimmten Stadtteilen, in denen wir das Problem übrigens auch schon haben, niederzulassen. Wir honorieren es, wenn sich Ärzte und Ärztinnen entscheiden, genau dort in die Versorgung zu gehen. ({4}) Diese und andere Themen zeigen, dass es ganz konkret um die Verbesserung des Alltages von Bürgerinnen und Bürgern, von Millionen Menschen jeden Tag geht. Darum geht es auch in der Debatte über die Organspende. Der Gesetzentwurf, den wir vorgelegt haben, bezweckt, mehr Zeit und mehr Geld für die Abläufe in den Kliniken zu haben, um Organspender zu identifizieren. Darum geht es bei der Novelle des Arzneimittelgesetzes, womit wir Aufsicht, Kontrolle verbessern, damit ein solcher Vorfall, wie er jetzt konkret bei Valsartan passierte, so nicht wieder vorkommen kann. Bei all dem – damit bin ich beim Finale, Herr Präsident – möchte ich vor allem auch Dankeschön sagen. Ich denke, in einer Haushaltsdebatte, in der es auch um Stellen geht und um die Frage, wie ein Ministerium ausgestattet ist, ist ein Dankeschön an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Kolleginnen und Kollegen im Bundesministerium für Gesundheit angebracht. Sie leisteten in den letzten Wochen und Monaten viele Überstunden, weil wir gesagt haben, dass wir in den ersten Monaten zeigen wollen, dass das, was wir uns in der Koalition vorgenommen haben, tatsächlich einen Unterschied macht. Wir wollen konkret jeden Tag daran arbeiten, nicht, dass wir das Paradies schaffen – das macht im Zweifel sowieso jemand anders –, aber dass es konkret besser wird im Alltag. Dafür ein herzliches Dankeschön an all diejenigen, die da mithelfen. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Detlev Spangenberg, AfD. ({0})

Detlev Spangenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004898, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine echte Oppositionspartei wie die AfD und auch die Scheinoppositionen von links, grün und gelb können natürlich alle viel vorschlagen. Ändern können wir grundsätzlich nichts. ({0}) Daraus folgt: Die Regierungsparteien müssen sich wieder die Kritik anhören, die schon bei der letzten Haushaltsrede angebracht wurde. Das heißt, ich gehe wieder auf die Titel ein, die aus unserer Sicht fragwürdig und ungenügend sind. Zum Titel 681 01, zur freiwilligen privaten Pflegevorsorge. Der Bundesminister hat eben von kleinen Schritten gesprochen. Das ist wirklich ein kleiner, mickriger Schritt. Der ist so mickrig, dass es schon direkt peinlich ist: 60 Euro im Jahr für eine Pflegeversicherungsvorsorge, meine Damen und Herren. Das kann man so einfach nicht akzeptieren. Was ist denn los? Die Leute haben das Land aufgebaut. Die werden in dieser Richtung abgespeist. Also, das ist aus meiner Sicht entsetzlich, meine Damen und Herren. Eine Unterdeckung bei diesem Betrag, den Sie zwar erhöht haben – ich nehme an, aufgrund unserer letzten Einlassung – von 51 auf 53 Millionen Euro, 2 Millionen Euro sind ja Verwaltungsausgaben, schafft da auch keine Abhilfe. Es scheint sehr knapp gestrickt zu sein. Aber das ist nicht der Hauptgrund. Der Hauptgrund ist wirklich der zu geringe Ansatz. Außerdem muss sichergestellt sein, dass keine Anrechnung beim Sozialbezug stattfindet. Dieses Geld sollte wirklich den Leuten im Alter dazu dienen, einen höheren Standard in den Pflegeeinrichtungen zu erhalten, sodass sie sich mehr leisten können; es sollte also nicht verrechnet werden. Das, meine Damen und Herren, wäre das Wichtigste bei diesem Titel. ({1}) Ich komme zum Titel 1505 „Internationales Gesundheitswesen“. Da haben wir mehrere Positionen, die darauf ausgerichtet sind, das Geld ins Ausland zu bringen, um dort in irgendeiner Form Hilfe zu leisten. Wir haben den Betrieb von Zentren mit der WHO, wir haben 1,5 Millionen Euro für die Entwicklung deutscher Vorstellungen auf dem Gebiet der internationalen Gesundheitspolitik. Wir haben den Titel 686 01 „Stärkung der internationalen öffentlichen Gesundheit“ in Höhe von 72 Millionen Euro; als Begründung steht dort: „für die multilaterale Zusammenarbeit“. Bei dieser Position bin ich sehr kritisch. Das muss man einmal im Verhältnis zu unseren Rentnern sehen. Fürs Alter geben wir da 53 Millionen aus, und hier liegen wir gleich bei rund 80 Millionen Euro. Ich habe allerdings eine kleine innere Revision für mich gemacht. Wir hatten gestern die Informationsveranstaltung mit Frau Baehrens im Unterausschuss Globale Gesundheit. Was mich dort wirklich beruhigt hat, war die Aussage der dort vertretenen Sachverständigen, dass diese Mittel, die wir ins Ausland bringen, wirklich Hilfe zur Selbsthilfe sind und dass sie auch an die Bedingung geknüpft sind, dass die Nehmerländer auch eigene Leistungen mit einbringen müssen. Da muss ich sagen: Da war ich sehr beruhigt. Da freue ich mich darüber. Insofern kritisiere ich nur die Verhältnismäßigkeit, nicht die Summe selbst. Ich kritisiere die Verhältnismäßigkeit, was die Mittel für unsere eigene Bevölkerung und die Mittel für das Ausland angeht. Aber ansonsten muss ich sagen: Das hat mir sehr gefallen. Vielen Dank für diese Veranstaltung. ({2}) Ich komme zu den Beiträgen an internationale Organisationen; das hatten wir schon bei der letzten Debatte. Ich kritisiere grundsätzlich, dass wir bei Verträgen, die wir schließen, immer noch eins draufgeben. Ein Vertrag wird geschlossen und eingehalten. Ich sehe keinen Grund, dass wir immer noch freiwillige Leistungen draufpacken. Das sind die Positionen 4. und 5. des Titels 687 01. Dafür habe ich kein Verständnis. Es reicht, wenn wir Verträge einhalten. Deutschland muss nicht immer die Spendierhosen anhaben, wenn es darum geht, Geld ins Ausland zu schaffen. ({3}) Ich komme zum Titel 531 05, „Aspekte der Migration und Integration im deutschen Gesundheitswesen“. Da hatten wir beim letzten Mal schon 4,3 Millionen Euro. Es ist etwas weniger geworden. Die Begründung ist nach wie vor abenteuerlich: um Fehlinanspruchnahme zu verhindern. Ich könnte mir jetzt vorstellen: Ich gehe als Bürger nach Australien und sage: So, stellt mal ein bissel Geld ein, damit ich mich dort zurechtfinde. – Hier wird doch schon wahnsinnig viel Geld für solche Menschen ausgegeben. Das geht in die Milliarden, meine Damen und Herren. Müssen wir denn da noch einmal eine Position reinbringen? Deswegen habe ich den bösen Verdacht, dass das womöglich als Unterstützung an diese ominösen Migrationsorganisationen geht. Ich denke da an diesen furchtbaren Integrationsgipfel, dessen Zielsetzung die Aushöhlung des Grundgesetzes und eine Schwächung der deutschen Gesellschaft ist. Ich habe Angst, dass das dahintersteckt. Es gibt zumindest so einen Verdacht. Ich hoffe, dass das nicht der Fall ist, meine Damen und Herren. ({4}) Wie sieht es mit Transparenz aus? Das Finanzwissenschaftliche Forschungsinstitut an der Uni in Köln spricht von Ausgaben in Höhe von 11 268 Euro pro Monat pro Asylbewerber. In dieser Untersuchung wird auch Transparenz gefordert, damit man weiß, wofür die Leistungen sind, wo sie hingehen und wie sie überhaupt zusammenlaufen. Für den Bürger in Deutschland ist es natürlich schnurzpiepe; der muss es eh bezahlen. Aber es wäre hochinteressant, mal zu wissen, wie das überhaupt zusammenkommt. Er muss es ja bezahlen. Und wenn dort Gesundheitsaufwendungen drin sind – und da sind garantiert welche drin –, dann sollten die auch im Einzelplan 15 sichtbar sein und nicht irgendwo versteckt werden, damit der Bürger denkt, es ist gar nicht so schlimm. Nein, diese Aufwendungen gehören in den Haushaltstitel, in den sie auch hingehören, wenn solche Ausgaben gemacht werden, nämlich in den Gesundheitshaushalt. ({5}) Zu meinem letzten Punkt, dem Asylbewerberleistungsgesetz. Ich sehe keinen Grund, bei den Sozialleistungen nach Sozialgesetzbuch XII Nichtdeutsche den deutschen Staatsbürgern gleichzustellen. Das sage ich Ihnen klipp und klar. Nach 15 Monaten werden sie gleichgestellt. Meine Damen und Herren, Hilfe bedeutet nicht Gleichsetzung. Das sind Steuermittel, die Leute müssen das erarbeiten. Ich fordere Sie noch mal auf: Denken Sie an die eigene deutsche Bevölkerung. Wenn jemand Hilfe bekommt, dann ist das eine dolle Sache, aber er muss doch nicht gleichgestellt werden und damit die gleichen Leistungen erhalten. Das sollte auch kein Dauerzustand sein. ({6}) Ich fordere in aller Deutlichkeit die Beachtung der deutschen Beitragszahler und Steuerzahler in diesem Bereich. Fazit: Wir erkennen die Bemühungen des Bundesministers für Gesundheit an, insbesondere die Überschüsse der Krankenkassen zur Absenkung der Belastung für die deutschen Bürger heranzuziehen. Wir fordern aber mit Nachdruck: Tun Sie mehr für die eigenen Bürger, die dies alles bezahlen müssen. Die Bürger haben ein Recht darauf. Recht vielen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Karl Lauterbach, SPD. ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich ganz herzlich dafür bedanken, dass wir in der Großen Koalition in den Bereichen Gesundheit und Pflege bisher gut zusammengearbeitet haben. Das muss hier einmal gesagt werden. ({0}) Wir haben sehr viel auf den Weg gebracht. Diese Dynamik beobachten wir nicht in allen Bereichen. Derzeit sind einige Gesetze in der Vorbereitung – der Minister hat sie eben vorgetragen –, die sehr stark die Handschrift der SPD aus der Koalitionsvereinbarung tragen. Dass diese Gesetze mit dem gleichen Enthusiasmus auf den Weg gebracht werden, dafür möchte ich mich im Namen meiner Partei ganz herzlich bedanken. ({1}) Ich will das mit Beispielen unterfüttern. Zum Ersten. Wir haben seit Jahren dafür gekämpft, dass die Parität im Gesundheitssystem wiederhergestellt wird. Denn wenn die Parität nicht wieder eingeführt würde, würde das zu erheblichen finanziellen Belastungen in unserem Gesundheitssystem führen, verursacht zum Beispiel durch Technologie, die rasant voranschreitet, durch steigende Lebenserwartung, aber auch durch den demografischen Wandel. All das wirkt sich auf das Gesundheitssystem sehr viel stärker aus als auf das viel diskutierte Rentensystem. Man darf die Kosten nicht gegeneinander aufrechnen, aber klar ist: Im Bereich Gesundheit werden die Kostensteigerungen größer sein als im Rentensystem. Wenn wir die Parität nicht wieder einführen würden, dann würden die Kostensteigerungen von den Arbeitnehmern alleine zu tragen sein, die Arbeitgeber müssten nichts schultern. Schon nach kurzer Zeit wäre das für Rentner nicht bezahlbar. Das wäre im Prinzip eine Wegnahme der jährlichen Rentenerhöhung durch eine Steigerung der Kosten im Gesundheitssystem. Das können wir abwenden. Daher ist die Wiedereinführung der Parität, die wir beschlossen haben, ein ganz wichtiger Beitrag für die solide und dauerhafte Finanzierung unseres Gesundheitssystems. ({2}) Zum Zweiten. Sehr viele Selbstständige verdienen zum Beginn ihrer Tätigkeit nicht so gut. Viele von ihnen wählen derzeit die private Krankenversicherung, weil sie am Anfang billiger ist. Später aber steigen die Prämien stark. Dann bedauert man den Wechsel in die private Krankenversicherung sehr oft, weil man die Prämien nicht mehr bezahlen kann. Man muss dann zum Teil Leistungseinschränkungen in Kauf nehmen. Dass wir jetzt die Einstiegsbeiträge für die gesetzliche Krankenversicherung für Selbstständige halbieren, wird die gesetzliche Krankenversicherung für die Selbstständigen, die am Anfang nicht so gut verdienen, im Vergleich zur privaten deutlich attraktiver machen. Wir werden damit verhindern, dass diejenigen, die sich privat versichern, im Alter die hohen Prämien nicht zahlen können. Das halte ich für sehr wichtig. Wenn wir langfristig ergänzen könnten, dass diejenigen, die sich für die private Krankenversicherung entschieden haben und sich jetzt in einer Notlage befinden, wieder in die gesetzliche Krankenversicherung oder eine Bürgerversicherung zurückkehren könnten, dann wäre der nächste Schritt erreicht. Aber auch der Schritt, den wir jetzt gehen, ist ein ganz wichtiger Schritt zum Schutz vor Altersarmut und vor Verarmung von Selbstständigen, die nicht gut verdienen. ({3}) Der Minister hat darauf hingewiesen, dass die Krankenkassen kein Geld horten dürfen. Das ist in der Tat richtig. 10 Milliarden Euro Überschüsse im Gesundheitsfonds, 20 Milliarden Euro Überschüsse bei den Kassen selbst – das sind Mittel, die den Versicherten gehören. Ich will im Zusammenhang mit dieser Reserve aber ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir zunächst einmal ungerechte Doppelbelastungen beseitigen müssen. Daher gehört für uns die Beseitigung der doppelten Verbeitragung der Betriebsrenten zu den unbedingt durchzuführenden Maßnahmen. Bevor wir Geld an alle ausschütten, müssen wir erst einmal diejenigen schützen, die jetzt als Einzige in unserem System – das sind ausgerechnet Rentner mit kleinen zusätzlichen Betriebsrenten – den doppelten Beitrag zahlen. ({4}) Die Rückführung auf die normale, einfache Betriebsrentenverbeitragung ist für uns ein ganz wichtiges Anliegen. Darüber werden wir noch zu diskutieren haben. Bei der Krankenpflege machen wir einen Quantensprung. Das ist tatsächlich so. Im Bereich der Krankenpflege unternehmen wir zurzeit die größte Reform seit der Einführung der Fallpauschalen Anfang der 2000er-Jahre. Der springende Punkt, der wichtigste Punkt ist, dass jede zusätzliche Pflegestelle zu 100 Prozent refinanziert wird, also nicht nur die Tariferhöhungen refinanziert werden, sondern auch die zusätzliche Stelle am Bett selbst. Somit hat jedes Krankenhaus die Möglichkeit, zusätzliche Stellen zu schaffen, ohne dass man sich wirtschaftlich verschlechtert. Das gilt dann ab sofort. Langfristig nehmen wir ab 2020 die Pflege komplett aus dem Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern um die Finanzierung über Fallpauschalen heraus, indem wir zurückkommen zur Erstattung der eigentlichen Pflegekosten. Das heißt, die Krankenhäuser bekommen dann die Pflegekosten von den Krankenkassen in der nachgewiesenen Höhe erstattet. Damit ist die Pflege der erste Bereich, der aus dem Wettbewerb der Krankenhäuser im Gesundheitssystem komplett herausgenommen wird. Die einzige Begrenzung wird dann sein: Wie viele Pflegekräfte können wir ausbilden? Wie viele Menschen gewinnen wir für diesen wichtigen, unterbewerteten Beruf? – Das werden mehr sein als heute, weil sich mit der zunehmenden Zahl der Arbeitskräfte in der Pflege die Arbeitsbedingungen verbessern werden. Und auch die Bezahlung wird sich verbessern. Damit wird der Beruf attraktiver, auch für diejenigen, die über eine entsprechende Ausbildung verfügen, aus dem Beruf ausgestiegen sind und zurückkommen wollen. Auch für junge Leute, die sich für eine Ausbildung in diesem Bereich entscheiden, sind das wichtige Faktoren. Das ist ein sehr wichtiger Schritt in Richtung Verbesserung der gesamten Krankenhausversorgung in Deutschland. ({5}) Ich komme zum letzten Punkt, zum Abbau der Zweiklassenmedizin. An dieser Stelle sind die Budgets der Praxen das große Problem. Sie erschweren den gesetzlich Versicherten oft den Zugang zum Facharzt. Ich sehe das nicht so wie der Minister; ich bin nicht der Meinung, dass das ein gefühltes Problem ist, also ein Aufregerthema. Ich bin der Meinung, dass das ein tatsächliches Problem ist. Wenn ich krank bin und mir Sorgen mache und einen Facharzttermin brauche, dann ist das nicht nur gefühlt ein Problem; denn wenn ich zu lange warte oder keinen Termin bekomme, dann kann ich im Notfall sogar sterben. Somit ist die jetzige Situation nicht haltbar. Das ändern wir, indem offene Sprechzeiten eingeführt werden, zu denen ich den Arzt ohne Termin aufsuchen kann. Behandlungen, die über die Terminservicestellen, die wir neu aufstellen, vermittelt werden, werden nicht auf das Budget angerechnet. ({6}) Das heißt, die Ärzte werden plötzlich ein großes Interesse daran haben, diese Termine zur Verfügung zu stellen. Das wird eine deutliche Verbesserung der Versorgung von gesetzlich Versicherten durch Fachärzte – aber nicht nur in diesem Bereich – mit sich bringen. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Abbau der Zweiklassenmedizin. Auch das werden wir in den nächsten Monaten auf den Weg bringen. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Aschenberg-Dugnus für die Fraktion der FDP. ({0})

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Jens Spahn, Sie haben eben sehr eindrucksvoll geschildert, was Sie in den ersten sechs Monaten geschafft haben: drei Gesetze. Das ist wirklich eindrucksvoll. Na ja, Sie sind auch noch jung, und Sie wollen vielleicht auch noch mal mehr werden als Gesundheitsminister. Insofern ist das in Ordnung. Mir ist auch aufgefallen, dass Sie in Ihrer Rede gesagt haben, dass Sie den Alltag der Menschen spürbar verbessern wollen. Schauen wir doch einmal, ob Sie mit Ihren Gesetzen dem Anspruch, den Sie an sich selber haben, gerecht werden. Ich nehme jetzt einfach einmal das Terminservice- und Versorgungsgesetz heraus – zur Pflege wird sich meine Kollegin Nicole Westig noch äußern – und da den Part zur Anhebung der verpflichtenden Mindestsprechstundenzeiten. Es gibt die Verpflichtung, mindestens fünf Stunden pro Woche als offene Sprechstunden anzubieten; auch der Kollege Lauterbach hat das genannt. Sie wissen doch ganz genau, Herr Minister, dass die Mehrzahl der Niedergelassenen den gesetzlich Versicherten im Alltag weit mehr als 25 Stunden anbietet. Was also soll diese Regelung? Das ist nur wieder ein sozialistischer Eingriff. ({0}) Die wenigen Niedergelassenen, die diese Sprechstundenzeiten nicht anbieten, haben ja möglicherweise auch Praxisbesonderheiten, zum Beispiel, dass sie viel ambulant operieren. Auch diese Zeit kommt dann den gesetzlich Versicherten zugute. Was ich immer wieder besonders nachdenkenswert finde, ist, dass Sie dann sagen: Ach, na ja, diejenigen, die 25 Stunden anbieten, haben doch nichts zu befürchten. – Doch, Herr Minister, die haben etwas zu befürchten. Die neuen Kontroll- und Berichtspflichten – ich nenne das immer „die Sprechstundenpolizei“ – haben sie zu befürchten. Denn das ist das, wozu Ihr Gesetz führt: Es wird viel mehr Bürokratie geschaffen. Diese Zeit hätten wir lieber für die Behandlung von Patienten. ({1}) Für alle Niedergelassenen muss es doch wie Hohn klingen, wenn aus Ihrem Haus dann noch gesagt wird, das würde einen geringfügigen Erfüllungsaufwand für die Praxisorganisation darstellen. Statt unnötige Regelungen abzubauen, setzen Sie mit dem TSVG noch ordentlich einen drauf. Das ist nicht in Ordnung. Der Gesundheitsökonom Dr. Drabinski aus Kiel, aus Schleswig-Holstein, nennt Ihr Gesetz den „Einstieg in die ambulante Staatsmedizin“. Recht hat der Mann. ({2}) Der Chef der Techniker Krankenkasse sieht die erhöhte Pflichtsprechstundenzahl zur Reduzierung von Wartezeiten mit großer Skepsis. Auch er hat recht. Lieber Jens Spahn, auch aus Ihren eigenen Reihen wird das TSVG öffentlich kritisiert. Üben Sie sich doch ein bisschen mehr in kritischer Selbstreflexion, und streichen Sie diese unnötige Regelung. Das wäre ein guter erster Schritt. ({3}) Mein Fraktionsvorsitzender, Christian Lindner, hat am Mittwoch in der Aussprache gesagt, er hätte sich von Minister Spahn etwas mehr Merz gewünscht und herausgekommen sei mehr Blüm. Da muss ich meinem Fraktionsvorsitzenden widersprechen: Ich sehe Sie eher auf der Linie von Ulla Schmidt. Ich weiß nicht, ob Ihrer Fraktion das gefällt. ({4}) Kommen wir zum zweiten kritischen Punkt: zu den Vergütungsanreizen. Bei Vergütungsanreizen bin ich ja grundsätzlich ganz bei Ihnen. Anreize sind immer besser als Zwang. Aber schauen wir uns auch das ein bisschen näher an: extrabudgetäre Leistungen für neue Patienten, offene Sprechstunde. In der Realität wird das zu einem Ärztehopping führen. Denn was macht ein Patient, der bei seinem langjährigen Arzt keinen Termin bekommt? Er hüpft zum nächsten, immer in die offene Sprechstunde. Negativ auswirken wird sich diese Maßnahme insbesondere auf die reguläre Versorgung. Lieber Jens Spahn, verkaufen Sie die Niedergelassenen vor Ort nicht für dumm. Die sogenannten Vergütungsanreize, die Sie ihnen da vor die Nase halten, sind nämlich nur ein kleiner Teil dessen, was Sie ihnen durch die Budgetierung vorenthalten und nicht ausbezahlen. Das ist doch das ganze Problem. Seien Sie mutig, und schaffen Sie die Budgetierung gleich ab. Das würde den Alltag sowohl der Patienten als auch der Niedergelassenen erheblich verbessern. Damit würden Sie das, was Sie eigentlich vorhaben, auch durchsetzen. ({5}) Jetzt zum letzten Punkt, der mich bei der ganzen Diskussion wirklich sehr nervt. Überall, wo Sie und auch andere reden, wird immer wieder der hohe Wert der Freiberuflichkeit für die ambulante Versorgung herausgestellt und betont, wie wichtig sie für die Patientenversorgung ist. Ja, da bin ich ganz bei Ihnen. Aber wie sieht denn die Realität aus, Herr Spahn? Gedeckelte Budgets, zentralisierte Bedarfsplanung, Pflichtstundenzahl, Zeitplausibilitätsprüfungen, bürokratischer Misstrauensaufwand: Das soll junge Ärztinnen und Ärzte motivieren, sich niederzulassen? Das ist doch lächerlich. Da müssen Sie schon eine andere Politik machen und andere Gesetzentwürfe vorlegen. ({6}) Lieber Jens Spahn, lassen Sie die Menschen, die sich um die Gesundheit anderer kümmern, doch einfach selbstbestimmt arbeiten – ohne Einmischung, ohne mehr Bürokratie. Das würde den Alltag aller wirklich spürbar verbessern. Danke sehr. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man sich den Haushalt des Gesundheitsministeriums anguckt – 15,3 Milliarden Euro –, dann kann man vielleicht ein falsches Bild bekommen. Denn – Kollege Spahn hat es schon gesagt – für Gesundheit wird in Deutschland natürlich wesentlich mehr aufgebracht: 11,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Damit man sich das ein bisschen besser vorstellen kann: 1 Milliarde Euro pro Tag wird in Deutschland für Gesundheit aufgebracht. Natürlich wollen viele von diesem Geld etwas abhaben. Wir müssen dafür sorgen, dass es in die richtigen Hände gelangt, dass es den Richtigen zugutekommt – nämlich den Menschen, die krank oder pflegebedürftig sind, und den Beschäftigten im Gesundheitssystem – und nicht in private Rendite fließt, meine Damen und Herren. ({0}) Seit 2003 mussten die Arbeitgeber für ihre Beschäftigten weniger in die Krankenversicherung einzahlen, die Lasten wurden den Versicherten aufgebürdet. Die Linke hat von Anfang an gegen die Abschaffung der Parität bei den Beiträgen gekämpft. Jetzt scheint dies endlich erreicht. Das ist eine gute Nachricht. Aber auch die Sonder- und Zusatzbeiträge müssen endlich abgeschafft werden. Meine Fraktion hat dazu einen Antrag vorgelegt; ich hoffe, dass Sie ihn alle unterstützen. ({1}) Seit Mitte 2005 haben die Versicherten allein durch Sonder- und Zusatzbeiträge 145 Milliarden Euro mehr in die Krankenversicherung eingezahlt als die Arbeitgeber. Das ist ungerecht. Diese Ungleichbehandlung muss endlich aufhören. ({2}) Ein weiteres Dauerthema ist der Personalmangel im Gesundheitswesen. Ein aktuelles Beispiel ist der Personalmangel in den psychiatrischen Einrichtungen. Kürzlich schrieben Betriebs- und Personalräte aus knapp einhundert Einrichtungen einen offenen Brief an den Gesundheitsminister; sie klagten über schlechte Personalausstattung und Überlastung. Mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz werden nun einige Proteste aufgegriffen; allerdings – und das ist unsere Kritik – beziehen Sie, Herr Spahn, ausschließlich Pflegekräfte ein, andere Berufe in den Krankenhäusern bleiben außen vor. Wir wollen als Linke auch eine bedarfsgerechte Finanzierung von Hebammen, Ärztinnen und Ärzten und natürlich auch des Servicepersonals; das ist die richtige Forderung. ({3}) Wie dramatisch die Situation ist, zeigen wochenlange Streiks wie am Uniklinikum Düsseldorf oder am Uniklinikum Essen oder der geplante Streik am Homburger Uniklinikum. Es geht um mehr Personal auf den Stationen, und da sind wir – bei allen Ankündigungen – von einer Lösung noch weit entfernt. ({4}) Meine Damen und Herren, ich war dabei, als in der vergangenen Woche in Berlin-Steglitz der 50. Geburtstag des Universitätsklinikums Benjamin Franklin gefeiert wurde. Dieses Klinikum wurde damals mit Unterstützung der USA errichtet. Zeitzeugen berichteten, dass damals alle Berufsgruppen ausreichend Zeit hatten, miteinander zum Wohle der Patienten zu beraten und Erfahrungen auszutauschen, und wünschten dem Universitätsklinikum Benjamin Franklin eine bessere Personalausstattung, damit das Personal auch in Zukunft wieder Zeit hat, gemeinsam über eine gute Arbeitsweise zum Nutzen und zum Wohle der Patienten zu beraten. – Das ist eine Erfahrung von vor 50 Jahren aus, wie man damals sagte, West-Berlin. Ich finde, da sollten wir anknüpfen. ({5}) Häufig werden, weil Geld für die Sanierung fehlt, Personalmittel in die Sanierung von Krankenhäusern gesteckt. Hier ist ein riesiger Investitionsstau entstanden. Wir schlagen vor, den Bundesländern für jeden Euro, den sie zusätzlich in Krankenhäuser investieren, aus Bundesmitteln einen weiteren Euro zu zahlen, bis zu einer Gesamthöhe von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr und auf zehn Jahre begrenzt. Das wäre gut angelegtes Geld – wenn da nicht die Investitionsbremse der Bundesregierung wäre. Wir werden diesen Vorschlag wieder in die Haushaltsberatungen einbringen. Wir hoffen natürlich auf Ihre Zustimmung, meine Damen und Herren. ({6}) In meiner Rede zum Haushalt 2018 habe ich gesagt – ich zitiere mich selbst, mit Erlaubnis des Präsidenten –: Wer unser Gesundheitssystem dem freien Spiel des Marktes überlässt, handelt verantwortungslos gegenüber den Patientinnen und Patienten und den Beschäftigten. ({7}) – Das ist überhaupt kein Quatsch. – Offensichtlich hat sich der Gesundheitsminister meine Mahnung zu Herzen genommen. ({8}) In einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“ erklärt Jens Spahn richtig, dass wir die Pflege nicht einfach dem Markt überlassen können, denn: … die Versuchung ist naturgemäß groß, bei diesem größten Kostenblock so zu sparen, dass es zulasten der Pflegekräfte und der Pflegebedürftigen geht. Denn zu wenig Kollegen bedeutet für die Pflegekräfte Dauerstress, Krankheit, Selbstausbeutung in einem eh schon sehr fordernden Beruf. Wenn diese Erkenntnis dann noch in die Tat umgesetzt würde, wäre, glaube ich, uns allen geholfen; denn wir brauchen ein gerechtes Gesundheitssystem, das allen dient und nicht nur denen, die viel Geld haben. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die Kollegin Katja Dörner ist die nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit gleich drei Gesetzesverfahren ist Jens Spahn nach der Sommerpause am Start. Das klingt nach viel Aktivität, das klingt nach einem ganz großen Macher in der Gesundheitspolitik. ({0}) Aber leider steckt nicht viel dahinter. ({1}) Drei Gesetzgebungsverfahren gleichzeitig, aber die wirklich großen Baustellen im Gesundheitswesen werden gerade nicht angepackt. Es ist mehr Schein als Sein, und das ist leider viel zu wenig, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Was packt Jens Spahn unter die schöne Überschrift „gute Versorgung“? Da finden wir kräftige Honorarerhöhungen für die Fachärzte. Natürlich wünschen wir jedem und jeder, dass er und sie ein gutes Einkommen hat. Aber hilft das, die grundlegenden Strukturprobleme in unserem Gesundheitswesen anzugehen? Natürlich nicht. Das ist alter Wein in neuen Flaschen. Das ist das, was wir kannten – von Herrn Bahr, von Herrn Rösler, von Herrn Gröhe. Das ist nun wirklich nichts Neues. Was wir tatsächlich bräuchten, wäre eine stärkere Verzahnung der Sektoren, eine echte sektorübergreifende Versorgung und eine neue Aufgabenverteilung zwischen den Gesundheitsberufen. ({3}) Denn wir wissen doch alle: Landauf, landab fehlt es an Personal in den Gesundheitsberufen. Dabei denke ich nicht nur an die Ärztinnen und Ärzte, sondern ich denke auch an die Pflegekräfte und an die therapeutischen Berufe. ({4}) Ich bin sehr gespannt, Herr Minister, welche Ergebnisse Sie aus dem gestrigen Gipfel ziehen. Wir hoffen sehr, dass es solide Ergebnisse sind. Denn wer heute beispielsweise die Hilfe eines Psychotherapeuten oder einer Hebamme braucht, der muss sich entweder auf lange Wartezeiten oder auf weite Wege einstellen. Das ist nicht im Sinne der Patientinnen und Patienten. Wir erwarten, Herr Minister, dass Sie endlich die Ärmel tatsächlich hochkrempeln. ({5}) Es ist richtig, dass der Mangel an Pflegepersonal in den Krankenhäusern angegangen werden soll. Aber auch bei diesem Thema bleiben Sie weit hinter dem Notwendigen zurück; immerhin bewegt sich etwas. Diese Aktivitäten müssen aus unserer Sicht Hand in Hand gehen, um die Ursachen der falschen Mittelverwendung in den Krankenhäusern zu beheben. Das sind doch die unzureichenden Krankenhausinvestitionen. Was aber gerade nicht sein darf, ist, dass ausschließlich die gesetzlich Versicherten für die Versäumnisse der Länder zahlen sollen, obwohl die Investitionen allen Patientinnen und Patienten nützen. Das ist hochgradig ungerecht. Man sieht leider: Wenn es darauf ankommt, liegt Herrn Spahn die PKV doch näher am Herzen als die gesetzlich Versicherten. Das ist einfach nicht in Ordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Wir finden es natürlich gut und richtig, dass die paritätische Finanzierung der Beiträge wiederhergestellt wird. Aber den Krankenkassen den Auftrag zu erteilen, ihre Rücklagen abzubauen, und gleichzeitig Gesetze auf den Weg zu bringen, die zu erheblichen Ausgabensteigerungen führen können, passt aus unserer Sicht überhaupt nicht zusammen und ist auch nicht im Sinne der Versicherten. ({7}) Wenn man die drei laufenden Gesetzesvorhaben nebeneinanderlegt, erkennt man, dass sich in den kommenden beiden Jahren zusätzliche Ausgaben bzw. Mindereinnahmen bei den gesetzlichen Krankenversicherungen von bis zu 8 Milliarden Euro ergeben. Es mag für diese Ausgabensteigerungen gute Gründe geben, aber die einzig auf eine schnelle Schlagzeile zielende Vorgabe an die Kassen, ihre Rücklagen aufzulösen, ist in dieser Kombination aus unserer Sicht falsch. Das führt zu Discounterkrankenkassen in einem ruinösen Wettbewerb um die niedrigsten Beiträge, und das führt garantiert nicht zu einer besseren Versorgung. Deshalb kritisieren wir das scharf. ({8}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich habe den Medien entnommen, dass Jens Spahn jetzt menschlicher auftreten will – weniger poltern, mitfühlend statt markt­radikal. Und obwohl Horst Seehofer die Migration zur „Mutter aller Probleme“ erklärt, springt Jens Spahn nicht auf das Thema an; kein Wort zu Chemnitz und keine Meinung zu Maaßen. Das kommt einem schon fast komisch vor, ({9}) man muss sich fast Sorgen machen. Es ist so, als würde Dagobert Duck mit Goldstücken um sich schmeißen. Ich vermute eher einen Wolf im Schafspelz. Wer für die Hebammen nichts tut, wer die Logopädinnen und Logopäden sowie die Ergotherapeuten so lange im Regen stehen lässt, wer sich in der Debatte um den § 219a Strafgesetzbuch nicht auf die Seite der kriminalisierten Ärztinnen und Ärzte und der hilfesuchenden Frauen stellt, der zeigt: Man kann sich zwar selbst zum mitfühlenden Minister erklären, es wäre aber viel wichtiger, einer zu sein. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Tino Sorge. ({0})

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Dörner, Sie müssen sich entscheiden, was Sie dem Bundesminister Jens Spahn nun eigentlich vorwerfen: Ist er zu schnell? Ist er zu langsam? Macht er zu viel? Macht er zu wenig? ({0}) Kollegin Aschenberg-Dugnus, Sie haben hier schöne Vergleiche gemacht, wem der Bundesminister denn am nächsten kommt. Wenn man bedenkt, wie viele Gesetze auf den Weg gebracht worden sind, würde ich nicht sagen, dass Jens Spahn eher in Richtung Ulla Schmidt geht oder eher in Richtung Norbert Blüm. Ich würde sagen, dass er viel PS auf die Straße bringt und eher wie Sebastian Vettel ist. ({1}) Dies ist der fünfte Bundeshaushalt infolge ohne neue Schulden. Unsere Krankenkassen haben 20 Milliarden Euro an Rücklagen. Das darf uns aber natürlich auch nicht blenden. Wir müssen uns darüber verständigen, wie wir ganz grundsätzlich unser Gesundheitssystem zukunftssicher entwickeln wollen. Es mag in der Gegenwart stabil aussehen, auch finanziell, aber wir müssen definieren, in welchen Bereichen wir die Versorgung weiter aktiv gestalten und verbessern wollen, ja verbessern müssen. Zum Thema Pflege; es ist schon angesprochen worden. Ich habe den Eindruck, an einigen geht hier völlig vorbei, dass es zum Beispiel das Sofortprogramm Pflege gibt. Es wird immer gesagt, das sei zu wenig, da müsse mehr gemacht werden. Der Bundesminister hat das hier angesprochen: Es ist ein erster Schritt, und dieser geht in die richtige Richtung. Es geht uns darum, die Lebensqualität der Pflegebedürftigen zu verbessern, aber auch darum, die konkreten Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte zu verbessern. Insofern kann man das nicht immer so abtun und sagen, im Haushalt stünde dazu nichts drin. Ich will jetzt hier nicht jede einzelne Position des Haushaltes referieren, aber wenn wir im Haushalt die Ausgaben beispielsweise für innovative Pilotprojekte in der Gesundheitsversorgung, Rehabilitation und Pflege von 500 000 Euro auf 10 Millionen Euro erhöht haben, dann stelle ich fest, das ist eine Verzwanzigfachung. Das muss man einmal so deutlich sagen. Ich möchte nicht alle Themen ansprechen, sondern möchte mich nun auf das Thema Digitalisierung konzentrieren. Digitalisierung ist ein Megatrend, gerade im Gesundheitsbereich. Wir wissen alle, dass wir gerade hier noch viel mehr machen müssen. Man kann sich darüber streiten, was in den letzten Jahren vielleicht nicht so optimal gelaufen ist, aber wir müssen uns darüber verständigen und nach außen kommunizieren, welche enormen Potenziale das für uns alle hat. Da kann man nicht immer so tun, als betreffe es einen nicht, der Einzelne darf sich nicht nur fragen, was das für ihn bedeutet, sondern wir müssen genau darstellen, was Digitalisierung für die Qualität im Alltag eines jeden bedeutet. Wir sprechen beispielsweise über medizinische Apps. Tausende Diabeteserkrankte können über Medizingeräte, die über medizinische Apps gesteuert werden, ihre Blutzuckerwerte unter Kontrolle halten. Dadurch steigt die Lebensqualität, die ärztliche Behandlungsqualität nimmt zu. In der Radiologie sprechen wir über selbstlernende Algorithmen, über bessere radiologische Diagnosemöglichkeiten, die heutzutage teilweise schon bessere Diagnosen geben, als es der einzelne Arzt tun könnte. Im Bereich seltene Erkrankungen haben wir die Möglichkeit, dass wir große Mengen an Studiendaten zusammenführen können und damit selbst bei Indikationen mit nur wenigen Hundert Betroffenen Lösungsmöglichkeiten, Behandlungsansätze generieren können. Bei den onkologischen Erkrankungen sehen wir, dass bei den häufigsten Krebsarten, ob das nun Brustkrebs oder Prostatakrebs ist, dank moderner Medizin und dank einer guten Gesundheitsversorgung fünf Jahre nach der Diagnose noch rund 90 Prozent der betroffenen Menschen leben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies müssen wir positiv konnotiert in der Öffentlichkeit debattieren. Deshalb brauchen wir eine Debatte, wie die Chancen der Digitalisierung auch in der Gesellschaft besser genutzt werden können. Da können wir uns nicht immer nur auf vermeintliche Gefahren für die Privatsphäre und den Datenschutz zurückziehen, sondern müssen uns darüber verständigen, wie unsere Digitalstrategie aussieht, welches E-Health-Zielbild wir haben und was Digitalisierung für uns alle bedeutet. Man darf nicht immer nur so tun, als hieße das, wir würden nur noch von Robotern gepflegt, wir würden uns ärztliche Sprechstunden nur noch im Internet aussuchen können. Das ist nicht der Fall. Insofern ist der Haushalt auch für diesen Bereich eine sehr gute Grundlage. Ich habe mich auf die beiden Bereiche Pflege und Digitalisierung beschränkt. Anhand dieser beiden Beispiele habe ich gezeigt, wie wir uns als Union die Zukunft im Gesundheitswesen vorstellen. Wir stellen uns den demografischen Herausforderungen. Wir machen uns fit für den demografischen und den digitalen Wandel. ({2}) In Richtung Opposition sage ich: Dazu gehört letztendlich auch, dass wir unser Gesundheitssystem nicht ständig schlechtreden und nur die Dinge, die vielleicht nicht funktionieren, nach außen kommunizieren, sondern dass wir Tag für Tag gemeinsam daran arbeiten, wie wir das besser machen können. Das machen wir unionsseitig, und wir freuen uns über Ihre Unterstützung. Weil Jens Spahn die vielen fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien für die Arbeit am Haushalt gelobt hat, will ich das auch für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tun, die natürlich genauso viele Überstunden und genauso viel Arbeit investiert haben. Herzlichen Dank an alle. ({3}) Herzlichen Dank für die Debatte. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die AfD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin Dr. Birgit Malsack-Winkemann. ({0})

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004813, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Auch beim Teilhaushalt „Gesundheit“ gilt der Prophet im eigenen Lande nichts. Wiederholt haben wir, die AfD, angemahnt, dass es bislang keine Statistiken und Auswertungen zu flüchtlingsbedingten Kosten im Zusammenhang mit dem Gesundheitsfonds gibt ({0}) und dieses dringend benötigt wird, um sämtliche Kosten zu ermitteln, für die der Beitrags- und Steuerzahler – und zwar zum einen über den Gesundheitsfonds und zum anderen über seine Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung – aufzukommen hat. ({1}) Denn eine Auswertung der Zahlen des direkt dem Bundesministerium für Gesundheit unterstellten Robert-­Koch-Instituts zu Infektionskrankheiten ergibt, dass es hierzu allen Anlass gibt: Im Jahr 2014 wurden zum Beispiel 4 533 Tuberkulosefälle gemeldet, im Jahr 2016  5 915 – ein Anstieg um fast 25 Prozent. Migration ist offenbar der Hauptgrund für diesen Anstieg; denn der Anteil der im Ausland geborenen Patienten betrug im Jahr 2016 drei Viertel aller registrierten Fälle, genauer gesagt: 74,3 Prozent. Auffällig ist das häufig junge Erkrankungsalter der 20- bis 24-Jährigen bei mehr als doppelt so vielen Männern wie Frauen. Über die Hälfte der Erkrankten stammten dabei aus vier Ländern, nämlich Somalia, Afghanistan, Syrien und Eritrea. Für eine Standardtherapie werden vier Antibiotika gleichzeitig für sechs Monate gebraucht. Wenn es sich um multiresistente Erreger handelt, übersteigen die Behandlungskosten leicht 50 000 Euro. Die Häufigkeit von Hepatitis B ist von 2014 mit 755 Fällen auf 3 006 Fälle in 2016 angestiegen, also um mehr als 300 Prozent, und die Zahlen steigen weiter. Rechnet man die diesjährigen Zahlen hoch, kommt man auf 4 645 Fälle, also auf eine Steigerung auf über 600 Prozent seit 2014. Bei den Männern waren hier am häufigsten die 15- bis 19-Jährigen betroffen, bei Asylsuchenden kamen 62 Prozent aus Afrika. Die Erkrankungszahlen bei Hepatitis C liegen 2018 statistisch hochgerechnet mit circa 5 800 sogar noch höher. Die Behandlung von Hepatitis C ist dabei besonders teuer; denn nach dem Landessozialgericht Darmstadt haben auch Asylbewerber einen Anspruch auf eine kostenintensive medizinische Therapie. Das entsprechende Medikament kostet rund 600 Euro pro Tablette, die drei Monate täglich einzunehmen ist. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004813, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Nein. – Das sind rund 54 000 Euro pro Hepatitis-C-Patient allein für Tabletten. Rechnen Sie das einmal auf circa 5 800 Erkrankungen hoch! Noch teurer ist eine Behandlung von HIV, besser bekannt als Aids. Allein die lebenslang notwendige Dia­gnostik und HIV-Arzneimitteltherapie kostet das Gesundheitssystem nach dem Gesundheitsministerium circa 500 000 Euro pro Patient. Stand März 2016 lebten in Deutschland ausweislich einer Schätzung des Robert-Koch-Instituts circa 70 000 Infizierte. Am meisten verbreitet ist Aids in der Subsahara-Region. Dort werden Infektionsraten von bis zu 40 Prozent der erwachsenen Bevölkerung erreicht. Und woher kommen viele unserer Asylbewerber? Meine Damen und Herren, die vorgenannten Krankheiten sind nur eine kleine Auswahl der Krankheiten, die in Deutschland auf Kosten des Beitrags- und Steuerzahlers therapiert werden, und diese Regierung hält es für überflüssig, diese offensichtlich erheblichen Kosten, die uns alle treffen, zu ermitteln. ({0}) Welch ein Zeugnis von Arroganz und Verantwortungslosigkeit! Wenn es um eine Brille geht, die ein gesetzlich Krankenversicherter benötigt, muss er schon fast blind sein, bevor er einen nur geringen Teil erstattet bekommt. ({1}) Wenn es um Zahnbehandlungskosten geht, ist dies für viele mittlerweile unerschwinglich. Wenn es um Kosten für eine spätere Pflege geht, muss jeder hierfür selbst vorsorgen. Eine ausreichende staatliche Unterstützung fehlt, sodass die Pflegeversicherung immer noch mit circa 3 Milliarden Euro unterfinanziert ist. Wenn es um Steuer- und Beitragseinnahmen geht, scheut ebendieser Staat keine Mühe, alle Einnahmequellen seiner Bürger im Einzelnen zu ermitteln. Sogar die Rentner werden nicht verschont. Ja, man kommt sich als Steuerzahler als Melkkuh derjenigen vor, die sich diesen Staat zur Beute gemacht haben. ({2}) Das muss verhindert, das muss gestoppt werden. ({3}) Jeder Steuerzahler muss sehen und verstehen, dass seine Steuern und Abgaben, die er zahlt, wirtschaftlich wirklich sinnvoll ausgegeben werden. Voraussetzung hierfür ist, dass sämtliche Kosten, für die er aufzukommen hat, transparent und nachvollziehbar ermittelt werden. Und dazu gehören die flüchtlingsbedingten Kosten im Zusammenhang mit dem Gesundheitsfonds. Meine Damen und Herren, nach einer Metaanalyse, über die das „Ärzteblatt“ am 23. Mai 2018 berichtete, hat jeder vierte Migrant in Europa antibiotikaresistente Bakterien. Wenn aber jeder vierte Migrant mit antibiotikaresistenten Bakterien besiedelt oder infiziert ist und zudem noch die beschriebenen Krankheiten nach Deutschland kommen, bedarf es zum einen einer gründlichen Gesundheitsuntersuchung jedes Migranten und zum anderen einer Form der Quarantäne der erkrankten Migranten im Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung. Unsere Bevölkerung hat einen Anspruch darauf, dass die eigene Regierung sie vor eingeschleppten Krankheiten schützt, ({4}) und das nicht nur im Hinblick auf die exorbitanten Kosten. ({5}) Und wenn diese Regierung das unterlässt, macht sie sich gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung doppelt schuldig. Aber was will man von dieser Regierung, die von diesen Themen bislang nichts sehen, nichts hören und vor allem nicht darüber sprechen wollte, auch anderes erwarten? Danke schön. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die Kollegin Sonja Steffen ist die nächste Rednerin für die Fraktion der SPD. ({0})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Nach dieser wirklich von Hass und Häme strotzenden Rede der Frau Malsack-Winkemann ({0}) fällt es wirklich schwer, wieder zum eigentlichen Thema zurückzukehren. Das will ich an dieser Stelle tun: Ich rede heute hier als Haushälterin der SPD-Fraktion zum Einzelplan 15, also zum Einzelplan des Gesundheitsministeriums. Der größte Teil dieses Einzelplanes, nämlich 14,5 Milliarden Euro von insgesamt 15,3 Milliarden Euro, fließt, wie gesetzlich festgelegt, in einen Gesundheitsfonds. Das heißt, wir hier im Parlament haben darüber zu entscheiden, wie wir die verbleibenden rund 770 Millionen Euro an Steuergeldern, die wir zur Verfügung haben, einsetzen. Ich möchte ganz gerne auf ein paar Bereiche eingehen, die vor allem von dem Aufwuchs in Höhe von 63 Millionen Euro profitieren. Da wäre zum Beispiel das Robert-Koch-Institut. Ich glaube, es ist an dieser Stelle wichtig, das Robert-Koch-Institut von den Besudelungen meiner Vorrednerin zu befreien und mit ihren kruden Kaffeesatzrechnereien ein wenig aufzuräumen. ({1}) Kernaufgaben des Robert-Koch-Institutes sind die Erkennung, die Verhütung und die Bekämpfung von Krankheiten. Hier werden Krankheiten auf allen Ebenen untersucht: von ADHS bis zur Zuckerkrankheit, vom Virus in der Körperzelle bis zum Übergewicht in der Bevölkerung. Diese Erkenntnisse in ihrer ganzen Breite dienen als gute, als sehr wichtige Grundlage für Prävention und Früherkennung. Also reden wir hier über 125 Jahre Erfolgsgeschichte. Ich freue mich, dass wir in diesem Haushalt 17 Millionen Euro mehr für dieses Institut einstellen werden. ({2}) Dazu passt auch der neue Titel für Projekte und Maßnahmen zur Stärkung der Patientensicherheit. Herr Minister, hier geht es unter anderem um Aufklärung und um Maßnahmen, zum Beispiel zur Vermeidung von Krankenhausinfektionen und von Antibiotikaresistenzen. Hierfür wollen wir in diesem Haushalt erstmalig 5 Millionen Euro einstellen und Verpflichtungsermächtigungen über insgesamt 9 Millionen Euro eingehen. Das halte ich für eine gute Sache, nicht nur, weil es notwendig ist, bessere Maßnahmen zur Verhinderung von Infektionen und Krankheiten zu ergreifen, sondern auch aus einem ganz anderen Grund. Ich glaube, es ist wichtig, die Bevölkerung besser zu informieren, um so mit manchen Ängsten aufzuräumen. Denn oftmals sind die tatsächlichen Gefahren nicht bekannt. Aufklärung ist hier besonders wichtig. Wenn sie vom Gesundheitsministerium kommt, ist sie glaubwürdig und seriös, und sie vermeidet nicht nur Erkrankungen, sondern vielleicht auch den einen oder anderen unnötigen Arztbesuch. Wir haben einen weiteren Titel im Haushalt, der gerade uns von der SPD-Fraktion besonders freut. Das sind die 8,7 Millionen Euro für die Unterstützung der durch Blutprodukte HIV-infizierten Personen. Hintergrund des Titels ist, dass es Anfang der 80er-Jahre einen sehr großen Skandal in Deutschland gab, den sogenannten Blutprodukteskandal. Von 1981 bis 1984 wurden aus Kostengründen nicht hitzebehandelte Blutprodukte verwendet, und mehr als 4 000 Menschen – wahrscheinlich ist die Dunkelziffer noch viel höher –, insbesondere Bluter, infizierten sich damals durch verunreinigte Gerinnungspräparate mit HIV, Hepatitis B und Hepatitis C. Ich will noch einmal kurz auf meine Vorrednerin eingehen. Ich finde es wirklich widerlich, dass sie hier die Krankheiten und die Schicksale, die dahinterstehen, für ihre Hasstiraden gegen Migranten missbrauchte. ({3}) Meine Damen und Herren, seit 1995 erhalten die Betroffenen Leistungen, und zwar bislang aus einer Stiftung, und diese Stiftung war auf freiwillige Zuwendungen der Pharmaindustrie, des Deutschen Roten Kreuzes und der Länder angewiesen. Nun ist es endlich gelungen – an dieser Stelle möchte ich meiner Kollegin Bärbel Bas meinen herzlichen Dank aussprechen, weil ich weiß, dass sie sich dafür ganz besonders eingesetzt hat –, dass der Bund ab 2019 diese Leistungen übernimmt. ({4}) Wir von der SPD-Fraktion wollen, dass wir uns in den Beratungen zum Haushalt 2019 noch einmal mit diesem Titel befassen, um zu sehen, ob die Höhe noch angemessen ist oder ob wir hier vielleicht noch mehr Unterstützung leisten sollen. ({5}) Meine Damen und Herren, schon in den nächsten Sitzungswochen werden wir uns nicht nur mit dem Haushalt beschäftigen, sondern mit zwei weiteren sehr wichtigen Gesetzen aus dem Bereich der Gesundheit. Über das Versichertenentlastungsgesetz ist schon vieles gesagt worden. Vor allem mein Vorredner aus meiner Fraktion, Herr Lauterbach, hat schon darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass wir gerade die Solo-Selbstständigen unterstützen. Ich will noch einmal betonen: Es handelt sich hier nicht immer um Berufsanfänger. Ich weiß aus meinem Wahlkreis, aber auch aus Berlin: Es gibt unglaublich viele Solo-Selbstständige. Wir sind froh, dass sie da sind. Sie beleben das Geschäft, und sie machen das Leben leicht, weil man dann immer noch den Metzger und die Friseurin um die Ecke besuchen kann. Diese Menschen werden extrem entlastet, wenn wir zukünftig den Beitrag von 350 Euro monatlich auf 170 Euro senken. Ein letztes Wort noch zum Pflegepersonal-Stärkungsgesetz. Auf Wahlkreisreisen habe ich, wahrscheinlich wie Sie alle auch, mit Pflegerinnen und Pflegern gesprochen. Ein Gespräch hat mich da besonders beeindruckt. Ein Pfleger aus meinem Wahlkreis, der sieben Tage die Woche im Dreischichtsystem als Pfleger arbeitet und mit einem Nettoeinkommen von 1 500 Euro nach Hause geht, hat zu mir gesagt: Frau Steffen, ich freue mich, wenn Sie etwas für die Pfleger tun, sodass wir in Zukunft damit rechnen können, dass unsere Arbeit die Wertschätzung erhält, die sie braucht. In diesem Sinne wünsche ich uns gute Beratungen und freue mich auf die folgenden Sitzungswochen. Vielen Dank fürs Zuhören. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die Kollegin Nicole Westig spricht nun für die FDP-Fraktion. ({0})

Nicole Westig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004931, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht nur Herr Minister Spahn möchte etwas für die Pflege tun, auch die Bundeskanzlerin hat am Mittwoch gesagt, dass sie da mitziehen möchte. Sie sagt, sie wolle stärker herausstellen, dass diejenigen, die Menschen pflegen, einen tollen Beruf machen. Fangen wir endlich damit an! Mehr Stellen in der Pflege werden geschaffen und finanziert. Das ist gut so. Jetzt gilt es, die Stellen auch zu besetzen. Alles beginnt mit einem ersten Schritt, Herr Minister. Aber zum Beispiel aus der Konzertierten Aktion Pflege muss jetzt schnell ein Gesamtkonzept für mehr Pflegekräfte hervorgehen. Sonst drängt sich uns der Eindruck auf, Herr Minister, Ihre Politik sei reine Flickschusterei. ({0}) Die Kanzlerin will zudem Tempo bei der Digitalisierung machen. Ich bin meinem Kollegen Tino Sorge dankbar, dass auch er dieses Thema angesprochen hat, dass er eine Debatte darüber anstoßen will. Ich möchte nicht nur eine Debatte darüber anstoßen. Ich möchte Gas geben in Sachen Digitalisierung. Denn digitale Anwendungen bei Logistik und Dokumentation können helfen, Pflegenden das zurückzugeben, was ihnen momentan am meisten fehlt: Zeit, Zeit für den Menschen, Zeit für die Pflege am Bett. Klug eingesetzt, ist die Digitalisierung ein Baustein, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen. Aber digitale Anwendungen können auch eine große Hilfe für pflegende Angehörige sein. Immerhin werden mehr als 70 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt. Wir dürfen diese vielen Menschen nicht aus dem Blick verlieren. ({1}) Sensorik zur Sturzmeldung und Monitoringsysteme bei Weglauftendenzen können pflegende Angehörige entlasten. Aber diese Maßnahmen sind in der Pflegeversicherung bislang gar nicht abgebildet. Hier müssen wir dafür sorgen, dass die Leistungen der Pflegeversicherung im 21. Jahrhundert ankommen. Die Bundesregierung hat das Schulgeld für Pflegeberufe abgeschafft. Die Abschaffung des Schulgelds für die Gesundheitsfachberufe wie Physiotherapeuten oder Logopäden soll folgen. Das ist richtig und überfällig. Aber wie soll die künftige Finanzierung der Ausbildungsstätten aussehen? Die Finanzierung der Pflegeschulen wird den Ländern überlassen. Was gänzlich fehlt, ist eine Anschubfinanzierung für die Schulen, damit sie den Paradigmenwechsel in der Pflegeausbildung gestalten können. Ich möchte betonen: Es handelt sich um die Ausbildung in einem Mangelberuf, in einem Beruf, für den wir um jede Fachkraft ringen. Wo, wenn nicht hier, muss sich der Bund für die Finanzierung verantwortlich fühlen? ({2}) Herr Minister, Sie haben sich gestern mit Vertreterinnen und Vertretern der Gesundheitsfachberufe getroffen. Diese sind in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Dabei leisten sie überaus wichtige Beiträge, zum Beispiel in der Prävention. Prävention und Rehabilitation bieten große Chancen, Pflegebedürftigkeit hinauszuzögern. Das steigert nicht nur die Lebensqualität der betroffenen Menschen. Auch ergibt sich langfristig ein wirtschaftlicher Payback. Mit jedem Monat, den ein Mensch später pflegebedürftig wird, sparen die Pflegeversicherung, die Sozialhilfe und nicht zuletzt die potenziell Pflegebedürftigen selbst bares Geld. ({3}) Überhaupt steht und fällt die Zukunft der Pflege mit ihrer nachhaltigen Finanzierung. Herr Minister Spahn, wie sieht Ihr Konzept aus? Aktuell stellen Sie eine Erhöhung des Beitragssatzes um 0,5 Prozentpunkte in Aussicht. Dabei weiß jeder, dass dies noch nicht das Ende ist. Was wir aber benötigen, ist ein Finanzierungskonzept, das weder die Pflegebedürftigen selbst noch nachfolgende Generationen zusätzlich belastet. Wir Freien Demokraten sagen ehrlich, dass es dabei nicht ohne private Vorsorge gehen wird; denn die Pflegeversicherung ist aus gutem Grund als Teilkasko angelegt. Wir sind deshalb froh, dass die Bundesregierung unseren Vorschlag aus den letzten Haushaltsberatungen aufgegriffen hat, die Leistungen des Bundes für die Förderung der freiwilligen privaten Pflegevorsorge zu erhöhen. Besser spät als nie! ({4}) Sehr geehrter Herr Minister, uns ist klar, dass dieser Einzelplan nur einen Bruchteil der Pflege steuern kann. Den weitaus größeren Anteil daran hat die Pflegeversicherung. Damit besteht in diesem Bereich aber auch eine besondere Verantwortung gegenüber den Beitragszahlern. Wenn wir Politik nicht nur für diese Legislaturperiode machen wollen, sondern auch für nachfolgende Generationen, dann müssen wir jetzt beherzt umsteuern. Spätestens wenn die Babyboomer pflegebedürftig werden, kollabiert das System. Das müssen wir verhindern. Wir Freie Demokraten sind bereit, daran verantwortungsvoll mitzuwirken. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächste Rednerin: die Kollegin Pia Zimmermann, Fraktion Die Linke. ({0})

Pia Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004454, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich grüße an dieser Stelle alle Menschen mit Pflegebedarf, die zu Hause, in Pflegeheimen oder in Krankenhäusern sind. Ich wünsche ihnen, dass sie gut versorgt werden und gepflegt werden können. ({0}) Meine Damen und Herren, Herr Spahn, wir haben eine Gemeinsamkeit. Wir haben festgestellt, dass es einen Pflegenotstand gibt; das ist ja schon mal was. Aber umso erschreckender ist es, dass sich dieses Thema im Haushaltsentwurf des Kabinetts nicht wirklich widerspiegelt. Sie versichern den Bürgerinnen und Bürgern seit Monaten, Sie würden ihre Ängste und Sorgen um eine gute Pflege ernst nehmen. Doch das Einzige, was Sie ernst nehmen, ist die schwarze Null, und ihr wird weiterhin alles andere untergeordnet. Sie wollen die Menschen mit Ihren Versprechungen und mit Ihren Ankündigungen ruhigstellen. Dabei liegt es in der Verantwortung des Bundes, für einen guten Sozialstaat zu sorgen. Er muss für eine Finanzierung sorgen, die gute Arbeitsbedingungen in den Gesundheitsberufen garantiert. Das darf nicht allein den Krankenversicherten aufgebürdet werden. Dasselbe gilt natürlich auch für die Versorgungsqualität in allen Bereichen. Wie entlasten Sie eigentlich pflegende Angehörige? Wer stemmt die nötigen Investitionen? Wo bleibt ein vernünftiges Pflegekräftegewinnungsprogramm? ({1}) Viele Fragen, viel zu wenige Antworten. Ich frage mich wirklich, wo Sie die Mittel für diese Punkte im Haushalt versteckt haben. Im Einzelplan des Gesundheitsministeriums kann ich sie jedenfalls nicht finden. Herr Spahn, die Situation spitzt sich weiter zu. Das erkennen Sie auch – sagen Sie zumindest, beispielsweise mit den Worten „Konzertierte Aktion Pflege“. Hier kommt es jetzt darauf an, Ihre soziale Rhetorik zu entlarven. Sie wollen 2 Millionen Euro für eine Pflegekampagne bereitstellen, genauso viel wie 2018. Aber von dieser Kampagne haben die Menschen gar nichts. Die beste Pflegekampagne wären Investitionen. Aber haben Sie Steuermittel für eine bessere Pflegeinfrastruktur überhaupt in Betracht gezogen? ({2}) Nein, haben Sie nicht. Sie setzen weiter auf das Pflichtgefühl der Beschäftigten in der Pflege und der pflegenden Angehörigen, frei nach dem Motto von Angela Merkel: Der größte Pflegedienst der Nation ist die Familie. – Ich kann Ihnen auch sagen: Wenn Sie so was behaupten, dann werten Sie die Berufe in der Pflege ab, weil Sie damit zum Ausdruck bringen: Pflege kann jeder. – Und so ist es nicht. ({3}) Ich schlage Ihnen vor: Reden Sie mal mit den Pflegekräften vor Ort, Herr Spahn. Ich mache das jedenfalls regelmäßig. Wenn Sie das auch tun würden, dann würden Sie merken, dass die Bedingungen in diesem anstrengenden, aber auch sehr erfüllenden Beruf immer schlechter werden. Der Bundesregierung fehlt das Verantwortungsgefühl für ein Thema, das mehr als zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger sehr wichtig ist, nämlich das Thema „Gesundheit und Pflege“. Sie könnten die Zukunft der Pflege gestalten, und Sie treten laut auf; aber in der Sache ducken Sie sich weg. Im Haushaltsentwurf finde ich kein Pflegethema im Bereich Prävention, kein Pflegethema im Bereich Forschung. Da frage ich Sie: Woher sollen denn die Anstöße für bessere Bedingungen kommen? ({4}) Meine Damen und Herren, längst erleben wir, dass immer mehr Pflegeheime von Großinvestoren übernommen werden. Die Pflege von Menschen als Renditeobjekt, das ist doch der pure Wahnsinn. Ich sage Ihnen: Stoppen Sie diese Privatisierung sofort! ({5}) Aber Sie diskutieren im „Handelsblatt“, welche Rendite bei Pflegeeinrichtungen wohl angemessen ist. Ich kann Ihnen sagen: gar keine. ({6}) Geben Sie das Geld für eine gute Pflege für alle Menschen aus, und lösen Sie endlich diesen unsäglichen Pflegevorsorgefonds auf, für den jetzt schon unsägliche Summen an Strafzinsen gezahlt werden müssen. Geben Sie dieses Geld da aus, wo es jetzt gebraucht wird: im Bereich Gesundheit und Pflege. ({7}) Ich sage Ihnen noch was: Sorgen Sie dafür, dass Menschen vor Profite gestellt werden und nicht andersherum. Meine Damen und Herren, auch dieser Haushaltsentwurf ist nicht am Bedarf und an den Bedürfnissen orientiert. Sie lassen die Menschen alleine: die Beschäftigten in den Krankenhäusern, in den Pflegeeinrichtungen, in den ambulanten Pflegediensten und die pflegenden Angehörigen zu Hause. Dieser Haushaltsentwurf entlarvt Ihre Reden und Ankündigungen, dass Gesundheit und Pflege besser werden sollen. Sie verbreiten nur reine Sprechblasen und machen leere Versprechungen. Eine Sache möchte ich noch sagen, liebe Bundesregierung: Wir werden weiterhin die Finger in die Wunden legen, bis dieses Thema endlich wirklich angemessen behandelt wird und Pflege in diesem Land ein Menschenrecht für alle ist. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächste Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Kordula Schulz-Asche. ({0})

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gern mit einem Lob für den Minister beginnen; denn er hat das Sommerloch sehr gut genutzt, um sich als Macher darzustellen. In den sozialen Medien nennen die Pflegekräfte ihn jetzt schon den Medienminister und gar nicht mehr den Gesundheitsminister. Aber Imagekampagnen allein sind keine Gesundheitspolitik. ({0}) Wenn ich mir anschaue, was an Gesetzen und Gesetzentwürfen in der letzten Zeit eingebracht wurde, wird mir zumindest beim zweiten Blick angst und bange um die pflegebedürftigen Menschen, um ihre Angehörigen, um die Pflegeberufe und um die Pflegeversorgung insgesamt. In den nächsten 20 Jahren wird die Zahl der Menschen, die pflegebedürftig sind, auf 4 Millionen ansteigen. Das heißt, dass wir 44 Prozent mehr Pflegekräfte brauchen, um für diese Menschen zu sorgen. Das schaffen wir nur, wenn alle Gesundheitsberufe, wenn alle, die mit diesen Menschen zu tun haben, zusammenarbeiten. ({1}) Das ist meiner Meinung nach das Zentrale. Wir brauchen den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Zusammenarbeit aller, die ein Interesse an pflegebedürftigen Menschen haben. Nun haben Sie die Konzertierte Aktion in der Pflege einberufen. Ich finde die Idee grundsätzlich gut, aber wir wissen nach über einem halben Jahr nicht mehr als die Namen der einzelnen Arbeitsgruppen. Wir können doch jetzt nicht ein Jahr darüber diskutieren, was man alles machen könnte. Wir brauchen dringend die Überführung von vorhandenen Ideen in die Praxis der Gesundheitspolitik. ({2}) Ein weiteres Beispiel: Die Ausbildungsreform ist schon verabschiedet. Da wurde die Altenpflegeausbildung zu einer Ausbildung zweiter Klasse gemacht. In der Umsetzung der Zusammenlegung der verschiedenen Ausbildungsberufe besteht jetzt das Problem, dass in der Altenpflege unter Umständen Ausbildungsplätze wegfallen. Da frage ich Sie: Welche Konzepte haben Sie? Warum finden wir im Bundeshaushalt zum Beispiel keine Anschubfinanzierung für die Kooperation von Kranken- und Altenpflegeschulen? Darum kümmern Sie sich nicht. Ich fordere Sie auf, dass wir in diesem Punkt noch mal nachsteuern. ({3}) Zu Ihrem sogenannten Pflegepersonal-Stärkungsgesetz. Ich teile viele Punkte, die darin enthalten sind, aber als alleinige Maßnahme wird das zur Folge haben, dass erneut aus der Altenpflege Fachpersonal abgezogen wird. Diese Angst teilt der Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen. Wenn das tatsächlich passiert, bricht vor allem im ambulanten Bereich die Pflege zusammen. Das kann man doch nicht verantworten. Der Versuch, allein im Krankenhausbereich die Situation der Pflegekräfte zu verbessern, reicht nicht aus. ({4}) Deswegen das Fazit Ihres ersten halben Jahres: Es ist Stückwerk, aber mit Katastrophenpotenzial. Deswegen müssen wir darüber reden, was jetzt zu tun ist. ({5}) Wir müssen die Pflege aufwerten, den Beruf als Ganzes attraktiver machen und weiterentwickeln. Wir brauchen natürlich bessere Bezahlung, wir brauchen mehr Ausbildung und mehr Personal, und wir brauchen auch bessere Arbeitsbedingungen. Aber ich frage Sie: Wie ist Ihre Antwort auf die Frage, wie wir die zusätzlichen 13 000 Pflegekräfte – wir wissen, dass wir noch mehr brauchen – tatsächlich rekrutieren? Wo sollen die herkommen? Die Vorschläge von Westerfellhaus sind bei Ihnen gar nicht auf der Tagesordnung, und deswegen sage ich: Wir brauchen auch Antworten auf die Frage, wo zusätzliches Personal gewonnen werden kann. Darauf haben Sie bisher keine Antwort. ({6}) Wir brauchen neue Pflegekonzepte, die patientenorientiert sind. Wir brauchen Strukturreformen in Stadt und Land, um auch in ländlichen Räumen die Versorgung sicherzustellen und vor allem professionelle Unterstützung für pflegende Angehörige zu schaffen. Wir brauchen natürlich auch – wir wissen alle, dass es teurer wird – eine breite Aufstellung in der Finanzierung. Die muss durch eine Bürgerversicherung gerechter werden. Wir müssen sicherstellen, dass die junge Generation mit Beiträgen nicht überlastet wird. ({7}) Das ist es: Wir haben viel zu tun in der Pflege. Wir haben viel zu tun für die Pflege und für die vielen Menschen, die auf Pflege angewiesen sind und in Zukunft zunehmend darauf angewiesen sein werden. Deswegen glaube ich, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt das Wichtigste ist, gerade auch angesichts dessen, was wir hier an Hass und an Hetze gehört haben. Wir werden das Problem der Pflege nur lösen, wenn wir in einer friedlichen Gesellschaft leben, wo alle Menschen, die bereit sind, mit Menschen zu arbeiten, akzeptiert sind. Die brauchen wir alle. Danke schön. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Stephan Pilsinger. ({0})

Stephan Pilsinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004853, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister Spahn! Meine Damen und Herren! Unser Gesundheitssystem ist eines der besten überhaupt, und der Einzelplan Gesundheit im Bundeshaushalt leistet einen wichtigen Beitrag zur Stabilität dieses Systems. Bundesminister Spahn hat den Turbo eingelegt und in seiner kurzen Amtszeit schon einige wichtige Gesetzentwürfe angestoßen, und zwar den Entwurf zum Versichertenentlastungsgesetz, zum Pflegepersonal-Stärkungsgesetz, zum Terminservice- und Versorgungsgesetz und zum Gesetz für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende. Ich bin fest überzeugt, dass nach seiner Amtszeit unser Gesundheitssystem deutlich besser geworden sein wird. ({0}) Es ist aber auch wichtig, dass wir in Zeiten guter Konjunktur nicht nur Wohltaten verteilen, sondern auch in die Zukunft investieren. Und deshalb bin ich der Meinung, dass wir in Zukunft verstärkt in die Themen Digitalisierung, Biotechnologie und innovative Behandlungsmethoden investieren müssen. Es freut mich als Berichterstatter für das Thema Organspende besonders, dass wir über dieses Thema reden, und es freut mich, dass für Aufklärung über Organspende 5,7 Millionen Euro ausgegeben werden. Dies erscheint mir umso wichtiger, wenn man sich die aktuellen Organspendezahlen in Deutschland ansieht. Diese sind erschreckend niedrig. Im vergangenen Jahr hat sich die Organspende erneut rückläufig entwickelt. Dies darf nicht so bleiben! Daher bin ich Bundesminister Spahn auch äußerst dankbar, dass er sich dieses Themas angenommen hat und den Entwurf des Gesetzes für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende erarbeitet hat. Der Gesetzentwurf erkennt richtigerweise, dass die schlechten Organspendezahlen auf Probleme im Prozess der Organspende zurückzuführen sind. Und: Der Gesetzentwurf zieht hieraus auch die richtigen Schlüsse: Er schafft die strukturellen und finanziellen Veränderungen in den Entnahmekrankenhäusern, die notwendig sind, um die Organspendezahlen nachhaltig zu erhöhen. Sehr erfreulich ist auch, dass der Gesetzentwurf eine Regelung für die Freistellung des Transplantationsbeauftragten enthält; so kann dieser künftig ungestört seiner wichtigen Aufgabe nachgehen. Ein weiterer wichtiger Punkt, den der Gesetzentwurf enthält, ist die Einrichtung neurologischer konsiliarärztlicher Bereitschaftsdienste. Damit wird sichergestellt, dass in jedem Entnahmekrankenhaus zeitnah der Hirntod festgestellt werden kann. Aktuell ist das Problem, dass gerade kleinere Häuser nicht über das notwendige Know-how verfügen. Problematisch finde ich allerdings die Forderung von Bundesminister Spahn und anderen, die doppelte Widerspruchslösung einzuführen. Dies halte ich nicht für die richtige Lösung. Ein Blick auf die weltweite Situation zeigt, dass es unterschiedliche Lösungen gibt mit unterschiedlichen Erfolgen. So haben zum Beispiel die USA, wo es die Zustimmungslösung gibt, hohe Organspendezahlen. In Schweden haben sich die Organspendezahlen trotz Einführung der Widerspruchslösung nicht verbessert. Somit kann man nicht ohne Weiteres sagen, die Widerspruchslösung würde automatisch bessere Organspendezahlen mit sich bringen. ({1}) Dies legt vielmehr den Schluss nahe, dass die schlechten Organspendezahlen auf Probleme im Prozess der Organspende zurückzuführen sind. Dies wurde mir auch in Gesprächen mit dem Deutschen Ethikrat, der Deutschen Stiftung Organtransplantation sowie der Deutschen Krankenhausgesellschaft bestätigt. Auch eine Studie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Kiel kommt zu diesem Ergebnis. ({2}) Umso mehr ist es für mich unverständlich, dass darüber hinaus die doppelte Widerspruchslösung gefordert wird. Die Widerspruchslösung finde ich ethisch äußerst bedenklich. ({3}) Ein bloßes Nichtssagen kann doch nicht einfach als Zustimmung gewertet werden. ({4}) Ich bin grundsätzlich für die Beibehaltung der Entscheidungslösung. Sinnvoll fände ich zum Beispiel die verpflichtende Entscheidungslösung. Nach diesem System sollen alle Bürgerinnen und Bürger zu einer einheitlichen Gelegenheit, zum Beispiel bei der Ausstellung eines neuen Personalausweises oder der Gesundheitskarte, befragt werden, ob sie Organspender sein möchten. Dies wird zum Beispiel erfolgreich im US-Bundesstaat Maryland praktiziert. Mit der verpflichtenden Entscheidungslösung werden das Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen und die Freiheit des Menschen gewahrt, und auch die Integrität des Körpers wird geachtet. Um auch das Recht auf Nichtentscheidung zu wahren, ist es wichtig, eine dritte Auswahlmöglichkeit zu bieten, nämlich: Ich möchte mich nicht entscheiden. Mit der verpflichtenden Entscheidungslösung werden auch die Angehörigen des potenziellen Organspenders entlastet. Im Rahmen der doppelten Widerspruchslösung müssen die Angehörigen in einer emotionalen Ausnahmesituation eine Entscheidung für den Patienten treffen. Dies ist emotional so nicht zuzumuten. In meiner Tätigkeit als Arzt habe ich im Krankenhaus erlebt, wie belastend es für Angehörige ist, zu entscheiden, ob lebenserhaltende Maßnahmen eingestellt werden sollen, wenn keine Patientenverfügung vorliegt. Die Angehörigen waren deutlich entlastet, wenn der Patient seinen Willen zuvor schriftlich festgehalten hatte und ihnen damit diese höchst emotionale Entscheidung abgenommen wurde. Daher ist es so wichtig, dass sich jeder mit dem Thema Organspende zu Lebzeiten auseinandersetzt und dokumentiert, ob er Spender sein möchte oder nicht. Dadurch bleibt es den Angehörigen erspart, den vermeintlichen Patientenwillen zu ergründen. Bei der Widerspruchslösung kann man nicht mehr von einer Organspende sprechen, da eine Spende immer auch eine Freiwilligkeit voraussetzt. ({5}) Vielmehr müsste man von einer Organabgabepflicht sprechen. Solch einen fundamentalen Paradigmenwechsel dürfen wir nicht zulassen. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion: die Kollegin Bärbel Bas. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004006, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Im Entwurf sind für den Gesundheitsetat 15,2 Milliarden Euro vorgesehen. Wir alle wissen, dass der größte Teil dieses Geldes in den Gesundheitsfonds fließt. Wir haben damit, mit insgesamt 14,5 Milliarden Euro, im Moment eine stabile Finanzierung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Durch diese Finanzierung tragen wir miteinander dazu bei, dass das Rückgrat in der Solidargemeinschaft stabil bleibt. Karl Lauterbach hat es angesprochen: Wir kommen zurück zur paritätischen Finanzierung, sodass Arbeitgeber und Versicherte dieses System wieder zu gleichen Teilen finanzieren. Das ist ein notwendiger Schritt, um die Solidargemeinschaft stabil zu halten. ({0}) Ich muss doch noch auf die AfD eingehen; ich habe lange mit mir gerungen. Vielleicht können die Kollegen sich einfach mal austauschen. Herr Spangenberg hat anerkennenderweise gesagt, dass die Mittel, die wir international investieren, dabei helfen, eben genau die Krankheiten, die Frau Malsack-Winkemann angesprochen hat, zu bekämpfen, und zwar weltweit. Er hat das selber anerkannt; vielleicht tauschen Sie sich mal aus. Anstatt hier nur zu hetzen, ganze Nationen zu beschimpfen und zu behaupten, deren Bürger würden nur mit irgendwelchen ansteckenden Krankheiten durch die Gegend laufen, sollten Sie sich mal die Ursachen angucken. Dabei kann Ihnen Ihr eigener Fraktionskollege vielleicht helfen. ({1}) Es ist richtig, dass wir das Thema Pflege in den Fokus genommen haben. Ich möchte noch einmal daran erinnern, was wir in der letzten Legislatur durchgesetzt haben. Damals haben wir dafür gekämpft, dass das Begutachtungsverfahren verändert wird. Ich sage das deshalb, weil immer so getan wird, als würde das Thema Pflege erst jetzt im Fokus sein. Wir haben dafür gesorgt, dass viel mehr Menschen Pflegeleistungen in Anspruch nehmen können. Auch das war ein wichtiger Schritt. Wir hören allerdings jetzt, dass die Leistungen, die wir verbessert haben, zum Teil nicht in Anspruch genommen werden, weil die ambulanten Pflegedienste diese Leistungen nicht erbringen können. Deshalb müssen wir uns die Strukturen in der ambulanten Pflege in der Tat noch einmal anschauen. Ich finde es aber auch richtig, dass wir jetzt den Schwerpunkt auf den stationären Bereich legen. Ich persönlich würde die Konzertierte Aktion Pflege nicht unterschätzen; denn da kommen alle Berufsgruppen zusammen, um genau die Themen, die sowohl von den Grünen als auch von den Linken angesprochen wurden, unter Fachleuten zu diskutieren. Ich sage aber für die SPD-Fraktion: Wir warten nicht ewig. ({2}) Wir erwarten spätestens nach zwölf Monaten – so wie angekündigt – Vorschläge für Maßnahmen, die wir umsetzen können, die dafür sorgen, dass die Versorgung mit Pflegekräften besser wird, der Beruf attraktiver wird, damit wir junge Menschen für diesen Beruf motivieren. Dabei geht es auch um Arbeitsbedingungen, um Arbeitsschutz, um Gesundheitsförderung und um die Bezahlung. Ja, wir haben einen Mindestlohn in der Pflege. Den haben wir durchgesetzt, und das ist auch richtig. Es ist aber erschreckend, dass es viel zu wenige Tarifverträge gibt. Da müssen wir etwas tun. ({3}) Ich bin sehr dankbar, dass sowohl Arbeitsminister Heil als auch Gesundheitsminister Spahn daran arbeiten, mit den Gewerkschaften und Arbeitgebern einen Flächentarifvertrag hinzubekommen. Warum ist der so wichtig? Damit wir ihn – da wird die FDP möglicherweise jetzt gleich wieder aufjaulen – für allgemeinverbindlich erklären können, ({4}) damit auch dort, wo es keinen Tarifvertrag gibt, die Beschäftigten davon profitieren können. Das wollen wir als Sozialdemokraten durchsetzen, und das ist ganz entscheidend. Diese Punkte, denke ich, zeigen noch einmal deutlich, dass es auch um die Frage geht: Wo sollen die Pflegekräfte herkommen? Da gibt es im Land im Moment eine Debatte. Die einen sagen: Wir haben viel zu viel Zuwanderung. – Die anderen sagen: Wir müssen im Ausland Arbeitskräfte anwerben. Ich glaube, abschließend muss man noch einmal sagen: Wir haben jetzt schon sehr viele Menschen, die zugewandert sind und die in der Pflege arbeiten oder gerade eine Ausbildung machen. Deshalb ist es wichtig, dass wir jetzt endlich auch über dieses Fachkräftegesetz, Zuwanderungsgesetz, Einwanderungsgesetz – egal, wie Sie es nennen – reden. Wir müssen erstens diesen Menschen, die jetzt schon in diesen Bereichen arbeiten, eine Perspektive geben, ihnen eine Zukunft geben, ihnen auch sagen, dass wir sie brauchen, und dürfen sie nicht aus dem Land hetzen. Zweitens müssen wir in diesem Bereich viel mehr tun, um die wieder zurückzuholen, die schon einmal in der Pflege gearbeitet haben. ({5}) Das ist übrigens auch ein Thema der Pflegekampagne. Deswegen halte ich sie nicht für unsinnig. Vielmehr ist es schon bemerkenswert, dass drei Ministerien jetzt Hand in Hand arbeiten wollen, nicht nur das Gesundheitsministerium, sondern auch das Familienministerium und der Arbeitsminister, um Kräfte, die in der Pflege gearbeitet haben, mit guten Arbeitsbedingungen, guten Löhnen auch wieder in die Pflege zu bekommen. Das muss der Schwerpunkt sein. Das haben wir jetzt angepackt, und dafür bin ich sehr dankbar. Ich freue mich schon auf die weiteren Haushaltsberatungen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Alexander Krauß. ({0})

Alexander Krauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn die Deutschen gefragt werden, was sie vom Leben wünschen, dann antworten die meisten: mehr Gesundheit. Die Gesundheitspolitik ist bei uns im Land zum Glück kein Randthema mehr, sondern zentrales Thema, das die Menschen wirklich bewegt. Wir reden zwar hier im Bundestag sehr gern über den Morbi-RSA oder Präexpositionsprophylaxe oder Kryokonservierung. Damit können die Normalbürger aber nichts anfangen. Doch die Begriffe bezeichnen ja verschiedene Puzzleteilchen, die unser Gesundheitswesen besser machen. Die Menschen wünschen, ja sie erwarten, dass es eine gute medizinische Versorgung gibt, und das, wie ich finde, zu Recht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Volksmund sagt: Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Das Umgekehrte gilt allerdings auch: Wo ein Spahn ist, da wird gehobelt. ({0}) Herr Minister, das Lob, das Sie gehört haben, war manchmal ein bisschen vergiftet, manchmal auch nicht. Aber ich glaube, man kann anerkennen, dass wir jetzt viele Gesetzentwürfe haben, dass der Minister sehr viel vorgelegt hat und dass dieses Thema Gesundheit sehr präsent ist. ({1}) Liebe Freunde, wir diskutieren Gesundheit nicht nur in irgendwelchen Fachmedien. Auch beim Normalbürger ist angekommen, was sich hier im Deutschen Bundestag, was sich hier in Berlin bewegt. Es findet in den Talkrunden statt, es findet in den Zeitungen statt – selbst in der Zeitung mit den vier großen Buchstaben. Wir haben uns eine Menge vorgenommen. Ich möchte auf ein Gesetz eingehen, auf das Terminservice- und Versorgungsgesetz. Wir haben schon Terminservicestellen bei den Kassenärztlichen Vereinigungen, die auch ganz wichtig sind. Ich komme aus dem ländlichen Raum. Als ich im Sommer unterwegs war, haben viele Menschen zu mir gesagt: Ich habe ein Problem, bei uns im Erzgebirge einen Augenarzt zu finden. – Ich glaube, andere Kollegen können Ähnliches berichten, wie schwierig das ist, einen Termin zu bekommen. Ich finde, wir müssen die Kassenärztlichen Vereinigungen dabei unterstützen, dass sie das besser hinbekommen. Deswegen ist der Ansatz richtig, dass wir sagen: Wenn man diese Terminservicestelle anruft, dann muss die rund um die Uhr erreichbar sein, an 24 Stunden am Tag, an 365 Tagen im Jahr, damit man einen Termin vereinbaren kann, und zwar nicht nur einen Facharzttermin, wie das derzeit der Fall ist, sondern eben auch, wenn man einen Hausarzt sucht oder einen Kinderarzt. Auch einen solchen Termin sollte man bekommen. Oder: Mich hat ein Bürger angesprochen, ein Pfarrer, der seine neue Pfarrstelle angetreten hat und zum Hausarzt gehen wollte. Da hat man ihm gesagt: Gehen Sie doch bitte schön zu Ihrem alten Hausarzt; denn bei uns in der Stadt gibt es eigentlich keinen mehr, der Sie behandeln kann. – Dann hat er bei zwei Hausärzten angerufen. Er wohnte 100 Kilometer entfernt. Das ist natürlich keine Antwort. Wir müssen es hinbekommen, dass ein Bürger, wenn er umzieht, dann natürlich auch einen Hausarzt für seine Familie und für sich hat, von dem er behandelt wird.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von dem Kollegen Schinnenburg von der FDP-Fraktion?

Alexander Krauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte schön.

Dr. Wieland Schinnenburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004874, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, dass ich die Frage stellen kann. – Ich habe eine Frage zu den Terminservicestellen. Ist Ihnen bewusst, dass diese keine einzige neue Arztstelle schaffen und dass sie aus den Honoraren finanziert werden, die jetzt schon gedeckelt sind? Das heißt, das Geld, das die Terminservicestelle kostet, fehlt nachher für die Behandlung.

Alexander Krauß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich gehe auf diesen Punkt noch ein. Vielen Dank für die Frage. Ich möchte noch einen Punkt ergänzen, bevor ich Ihre Frage beantworte. – Die Terminservicestellen sind nicht nur für die Facharzttermine da, nicht nur für die Vermittlung des Hausarztes, sondern es soll auch dazu kommen, dass sie in Akutfällen vermitteln. Wenn ich also einen Hausarzt akut brauche, weil ich eine schwere Grippe habe, dann muss auch das möglich sein. Jetzt zu Ihrer Frage. Ich bin dankbar, dass wir nicht nur sagen: „Ihr müsst das irgendwie machen“, sondern dass wir sagen: Es wird auch budgetär extra vergütet, wenn ihr zusätzlich offene Sprechstunden anbietet. – Das ist eine Möglichkeit, die dazu führt, dass mehr Patienten behandelt werden. Es geht nicht darum, dass man das Tischtuch sozusagen hin- und herzieht, sondern darum, dass es größer wird. In Regionen, in denen es zu wenige Ärzte gibt, soll es einen Zuschlag für die behandelnden Ärzte geben. Das sorgt dafür, dass die Ärzte vielleicht gerne mehr behandeln wollen und dass es attraktiver wird, in Regionen zu gehen, in denen es zu wenige Ärzte gibt. Ferner gibt es eine zusätzliche Vergütung dafür, wenn man neue Patienten aufnimmt. Auch das ist ein ganz wichtiger Punkt. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die größte Herausforderung im Gesundheitswesen ist für mich, wie wir es hinbekommen, dass wir auch in Zukunft genügend Ärzte haben. Hier müssen wir mithelfen – wir sind ein Spieler auf diesem Spielfeld –, dass es genügend Ärzte in unserem Land gibt. Ja, die Zahl der Ärzte ist in den letzten Jahren gestiegen. Dennoch: Die Gesellschaft ist auch älter geworden. Deswegen geht man häufiger zum Arzt. Hinzu kommt – das ist wahrscheinlich der Hauptpunkt –: Wir stellen fest, dass es einen Einstellungswandel gibt, was das Thema Arbeit betrifft, nicht nur bei Ärzten, sondern bei anderen Berufsgruppen auch. Der Präsident der Sächsischen Landesärztekammer sagt, für einen Arzt, der in den Ruhestand geht, braucht er zwei bis zweieinhalb, die nachkommen, weil sich die Einstellung zur Arbeit geändert hat. Die Hausärzte, die 70 Stunden pro Woche arbeiten, die am Samstag da sind, die immer kommen, wenn man sie anruft, werden immer weniger. Deswegen muss es uns gelingen, wesentlich mehr Ärzte auszubilden. Das geht vor allem über die Schaffung von mehr Studienplätzen. Deswegen können wir die Länder nur ermutigen, hier mehr zu tun. Ich bin dankbar für Länder, die das tun, wie Nordrhein-Westfalen und Bayern. ({1}) – Ja, das ist wirklich einen Applaus wert, weil es viel Anstrengung und viel Geld erfordert. Deswegen vielen Dank an Nordrhein-Westfalen, das eine neue medizinische Fakultät in Bielefeld aufbaut, und vielen Dank an die Bayern, die in Augsburg eine zusätzliche medizinische Fakultät einrichten wollen. All das ist richtig und wichtig. Bei diesem großen Kraftakt sollten wir die Länder unterstützen, damit es uns gelingt, die medizinische Versorgung zu sichern. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie mit uns den Hobel in die Hand, damit etwas Gescheites herauskommt. Der Minister hat gut vorgelegt. Ich bin sicher: Wir werden etwas Gutes daraus machen. Glück auf! ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der letzte Redner zu diesem Geschäftsbereich ist der Kollege Josef Rief, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Josef Rief (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste auf der Tribüne und zu Hause! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zum Gesundheitsthema komme, möchte ich mich bei unserer Bundeskanzlerin bedanken für ihre entscheidenden Worte am Mittwoch. Auch Präsident Wolfgang Schäuble danke ich für seinen Beitrag am Dienstag. Er hat, wie es seine Art ist, mit klaren Worten Stellung bezogen, die Situation zusammengefasst. Unser Land braucht einen politischen und gesellschaftlichen Diskurs. Demonstrationen sind selbstverständlich ein legitimes Mittel der Beteiligung. Diese müssen aber zwingend gewaltfrei und ohne Hass oder gar Naziparolen stattfinden. ({0}) Aus Untersuchungen, meine sehr geehrten Damen und Herren, wissen wir, dass die Unzufriedenheit von Teilen der Gesellschaft nicht von materieller Not herrührt. Ein Pfarrer in meiner Heimat sagte mir so richtig, dass vor allem Seelennot zu Unzufriedenheit führt. Offensichtlich leiden große Teile der Bevölkerung daran. Die Schnelllebigkeit in der heutigen Zeit führt zu weiterer Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Die globale Vernetzung, die digitale Berieselung und die ständige Erreichbarkeit am Mobiltelefon bringen so einiges mit sich. In Hamburg demonstrierten Kinder sogar, um ihre Eltern auf deren ausufernde Handynutzung aufmerksam zu machen. Die Kinder fordern zu Recht mehr Zeit und Fürsorge für sich ein. ({1}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch der Gesundheitshaushalt hat unmittelbar mit den genannten Themen zu tun. Wir erhoffen uns viele Vorteile von der Digitalisierung, müssen aber auch etwaige negative Folgen der Entwicklung im Blick haben. Ich freue mich, dass der Gesundheitshaushalt, wie er uns im Entwurf vorliegt, eine deutliche Orientierung in die Zukunft hat. Dabei kommen wir nicht nur unserer Verantwortung im Inland nach, sondern verstärken auch unser Engagement für eine bessere internationale Gesundheit. Die WHO ist hier als Hauptträger zu nennen. Der Kampf gegen Infektionskrankheiten wie Ebola muss weitergehen, gerade in einer globalisierenden Welt, nicht zuletzt zu unserem eigenen Schutz. Krankheiten machen nicht vor Landesgrenzen halt. Ich glaube, die Menschen – die meisten Menschen, auch hier – sind davon überzeugt. Alle anderen irren. ({2}) Wir investieren in die Weiterentwicklung beim so wichtigen Thema Pflege. Die Pflegekampagne wird weitergeführt. Neben vielem anderen fördern wir nun mit 10 Millionen Euro Projekte zur Entwicklung und Testung von Versorgungs- und Ausbildungsmodellen, die uns im Bereich Versorgung, Pflege und Rehabilitation voranbringen. Damit werden wir Lösungen für die Zukunft untersuchen lassen und auch deren Umsetzung ermöglichen. Für Forschung werden wir im Gesundheitsbereich im kommenden Jahr insgesamt über 105 Millionen Euro bereitstellen. Von Stillstand oder gar Rückwärtsgewandtheit kann also bestimmt nicht die Rede sein, auch wenn sich die Oppositionsfraktionen in dieser Woche – auch heute – viel Mühe gegeben haben, das immer wieder zu behaupten. Dazu, dass Ulla Schmidt mit Jens Spahn verglichen wird, muss ich sagen: Es ist immer noch besser, als wenn Jens Spahn mit einem Gesundheitsminister von den Liberalen verglichen worden wäre. ({3}) Da wäre dann nämlich klar gewesen, dass Jens Spahn der innovativste Minister von allen ist. ({4}) Es ist auch interessant, dass hier diskutiert und beklagt wird, dass die Pflege- und Krankenkassenbeiträge steigen und letzten Endes zu wenig Geld für die Menschen, die in der Pflege arbeiten, bereitgestellt wird. Gleichzeitig wird beklagt, dass der böse Bund zu wenig Geld für Investitionen in die Krankenhäuser ausgibt. Umgekehrt brüsten sie sich in den Ländern – gerade in Berlin – damit, dass sie jetzt sogar Schulden tilgen möchten. Das geht so nicht; entweder das eine oder das andere. Ich möchte einfach sagen: Adam Riese ist vielleicht ein besserer Ratgeber in Haushaltssachen als Karl Marx. ({5}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit 14 Millionen Euro in den kommenden vier Jahren fördern wir die Patientensicherheit in Deutschland. Dabei im Fokus steht der Kampf gegen Krankenhausinfektionen, die immer noch sehr hoch sind und den Behandlungserfolgen entgegenstehen. Zu guter Letzt will ich nicht unerwähnt lassen, dass mit 14,5 Milliarden Euro der Löwenanteil des Gesundheitshaushalts an die gesetzlichen Krankenversicherungen fließt. Wir finanzieren damit viele versicherungsfremde Leistungen. Das ist kein kleiner Beitrag für die Beitragsstabilität. In Deutschland arbeiten mehr als 5,5 Millionen Menschen im Gesundheitsbereich – Menschen, die sich im Schichtdienst, auch am Wochenende, um Patienten und Pflegebedürftige kümmern und unser Land mit Leben füllen. Für diesen Einsatz können wir uns nicht genug bedanken. Daraus entsteht aber auch unsere Pflicht, als Politik und Gesellschaft, die Bedingungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Gesundheit und Pflege stets zu verbessern. Das fängt schon damit an, dass wir aufzeigen, welch spannende und erfüllende Tätigkeiten es auf diesem Gebiet gibt. Wertschätzung und Unterstützung sind gefragt und nicht das Schlechtreden einzelner Berufsbilder. ({6}) Ich bin überzeugt, dass wir zusammen mit Minister Spahn – unserem sehr guten Minister Spahn – die richtigen Prioritäten setzen. Meine Damen und Herren, ich freue mich auf die Haushaltsverhandlungen im Ausschuss. Ich bin überzeugt, dass wir auch für 2019 einen Haushalt beschließen, der für eine positive Entwicklung in Deutschland sorgt und weiter ohne neue Schulden auskommt. Mit diesem Haushalt bleibt Deutschland ein Hort der Solidität, Innovation und Nachhaltigkeit. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Rief. – Es liegen zu diesem Geschäftsbereich keine weiteren Wortmeldungen vor.

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bei der AfD weiß man immer nie, ob sie bleibt oder ob sie geht. ({0}) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir jetzt die laufende Woche Revue passieren lassen können. Der vorliegende Haushalt wurde von der Bundesregierung erstellt, und in dieser Woche haben wir ihn über alle Ressorts diskutiert. Ich kann sagen: Der natürliche Feind des Guten ist das Bessere. Das heißt, der Kollege Rehberg und ich werden innerhalb der Koalitionsfraktionen aus diesem guten Haushalt einen besseren machen. Das werden die Haushaltsberatungen dann ergeben. Wir werden uns hier Ende des Jahres zur zweiten und dritten Lesung treffen. Wenn man sich den Haushalt anguckt, so sieht man: Wir wollen bezahlbare Wohnungen bauen, das Wohneigentum fördern, den Mietwucher stoppen und den sozialen Wohnungsbau fördern. Wir fördern auch den Bau von Mietwohnungen – das kam im September ins Kabinett –, wir führen das Baukindergeld ein, und BImA-Grundstücke sollen vergünstigt an Kommunen abgegeben werden. ({1}) Wir werden die gesetzliche Rente bis 2025 sichern. Das Rentenniveau wird gesichert. Die Rente wird nicht sinken. Wir Sozialdemokraten werden dafür sorgen, dass das bis 2040 fortfolgend auch so ist. ({2}) Man muss jetzt die Weichen stellen. Wir als Sozialdemokraten glauben, dass man das auch finanzieren kann. Mit unserem geschätzten Koalitionspartner reden wir über das 2-Prozent-Ziel. Sie glauben, dass man pro Jahr 40 Milliarden Euro mehr für die Bundeswehr ausgeben kann. Ich finde, dann sollte es kein Problem sein, auch die Rente zu sichern. Über all das werden wir diskutieren, wie sich das in einer Koalition gehört: freundlich im Ton, ab und an strittig in der Sache. Aber wir werden uns einigen. Es hat uns ja ausgezeichnet, dass wir hier Entscheidungen fällen. ({3}) Wir haben in der letzten Legislaturperiode und auch in diesem Haushalt viele neue Stellen geschaffen, damit wir einen starken, einen handlungsfähigen Staat haben. Der Regierungsentwurf enthält 6 400 neue Stellen, davon 3 100 neue Stellen für die Sicherheitsbehörden, 750 Stellen für den Zoll und 1 250 Stellen für den Abbau der sachgrundlosen Befristung. Dass dieser Haushaltsentwurf ein guter ist, hat sich bei den Beratungen der Einzeletats gezeigt. Die Wirtschaft brummt, die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist exzellent, den Haushalten geht es gut, den Sozialversicherungen auch, aber es geht nicht jedem Menschen in diesem Land gut. Wir werden uns in dieser Koalition für bezahlbares Wohnen und für sichere Renten einsetzen, damit wir auch die Menschen abholen, denen es eben nicht so gut geht. Ein Land ist sicher, ein Land ist lebenswert, wenn wir die Menschen mitnehmen, wenn es allen Menschen gut geht. Dafür sorgt eben auch dieser Haushalt. ({4}) Gerade wir Sozialdemokraten haben gesagt: Man muss bauen, bauen, bauen. Das ist die beste Mietpreisbremse. – Trotzdem braucht man auch eine richtige Mietpreisbremse, die funktioniert. Deswegen muss man die Ausnahmen beseitigen. ({5}) Gleichzeitig wollen wir dafür sorgen, dass schwerpunktmäßig bezahlbare Wohnungen gebaut werden, und man wird sehen, dass die BImA ihre Aufgabe entsprechend tun wird. Wenn Menschen mit normalem Einkommen in den Großstädten immer mehr Probleme haben, überhaupt eine bezahlbare Wohnung zu finden, ({6}) dann muss der Staat etwas tun. ({7}) Ehrlicherweise muss man sagen, dass das auch die Aufgabe der Bundesregierung ist. Wir werden mit den Ländern gemeinsam verhandeln, damit man entsprechende Grundgesetzänderungen durchsetzen kann. ({8}) Wir werden uns zusammen mit der CDU hier im Parlament dafür einsetzen, dass es den Maßstab der Zusätzlichkeit gibt, ({9}) dass das Geld obendrauf kommt. Es soll nicht so sein, dass wir das Geld obendrauf geben und die Länder es unten wieder wegnehmen. Ich glaube, dass das wichtige Punkte sind. Die werden wir verankern. Am Ende werden natürlich Partei- und Fraktionsvorsitzende darüber zu entscheiden haben. ({10}) Erlauben Sie mir abschließend noch eine Bemerkung. Man muss im Deutschen Bundestag auch gesellschaftliche Debatten führen. In dieser Haushaltsdebatte geht es um die Frage, ob wir in einem sozialen und gerechten Land leben. Wir müssen aber auch eine Debatte darüber führen, was wir in diesem Land tolerieren und akzeptieren wollen. ({11}) Wenn wir uns angucken, was wir in dieser Woche von der AfD gehört haben, ({12}) dann stellen wir fest: Sie von der AfD wollen die Reichen fördern, ({13}) und Sie wollen nicht, dass die Rente weiterhin umlagefinanziert abgesichert wird. ({14}) Sie können hier austeilen und diese Gesellschaft spalten und trennen, aber wenn sie eine klare Ansage bekommen: „Bis hierhin und nicht weiter!“, wenn sie hören, dass Menschen in diesem Land, egal welchen Geschlechts, welcher Religion, welcher Rasse, gleich und anständig zu behandeln sind, ({15}) wenn sie hören, dass wir hier nicht spalten und keinen Hass säen wollen, ({16}) dass wir zusammenbleiben wollen, dann zieht die AfD aus dem Plenarsaal aus. Ich finde, man muss in dieser Gesellschaft einen Diskurs darüber führen: Was wollen wir uns erlauben? Wollen wir das, was in Chemnitz ist, wo diese Herren die Wegbereiter für Menschen sind, die mit dem Hitlergruß grüßen, für Menschen, die als Mob durch die Gegend laufen, wo man Angst hat, wo es Skinheads und nationalbefreite Zonen gibt? ({17}) Ich glaube, das wollen wir alle nicht. ({18}) Deswegen braucht keiner die AfD. Deswegen braucht jeder einen vernünftigen Haushalt. Wir werden hier gemeinsam zeigen, dass dieser Staat handlungsfähig ist. Vielen Dank. ({19})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist für die AfD-Fraktion der Kollege Kay Gottschalk. ({0})

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine verehrten Kollegen! Liebe Mitbürger hier auf den Tribünen! Ich möchte mich bedanken – Sie haben mir die Vorlage gegeben, Herr Kahrs; anscheinend haben Sie heute Kreide gefressen –, und zwar bei der Polizei, die anscheinend als letzte Gewalt im Staate noch willens ist, die zweitgrößte demokratische Partei Deutschlands, nämlich die AfD, zu schützen. ({0}) Der Bundespräsident und, wenn es nach dem Willen der SPD ginge, auch der Präsident des Verfassungsschutzes, sollen hier ja wegfallen. Wenn man das betrachtet, denkt man, Sie streben wahrscheinlich eine Gleichschaltung – das würde Ihnen so gefallen – der EZB, des Bundesverfassungsgerichts und des Verfassungsschutzes an. Wenn ich mir nochmals die Diskussionen hier im Parlament in den letzten Tagen vor Augen führe und auch, wer das Wort „Hass“ ({1}) in den Mund genommen hat, muss ich sagen: Sie sind es, meine Damen und Herren von der SPD, die einen massiven Anschlag auf unseren Rechtsstaat und seine noch unabhängigen Institutionen verfügen. ({2}) Anscheinend mutiert die SPD in ihrem politischen Überlebenskampf zur Partei des Tabubruchs, zum Recht des Stärkeren, zu einer Partei, die, wie ich schon sagte, zur Gleichschaltung aufruft. Ich hätte einen Bannervorschlag für Sie: ({3}) Das wäre doch als neues Banner für Sie ideal. Vielleicht sind Sie dann sogar volksnah. ({4}) Apropos „Rechtsradikale und hässliche Gestalten“, Herr Kahrs, ich sehe hier keine Rechtsradikalen im Raum, nirgendwo. ({5}) Aber ich sehe Gestalten, Herr Kahrs. Ich darf Sie zitieren: „Ich krieg dich, du Schlampe.“ Ich kann Sie aber beruhigen: Für 800 D-Mark konnten Sie damals auch noch keinen Charakter kaufen. ({6}) Es passt in Ihr Bild, in Ihr Menschenbild und in Ihren Bewertungsmaßstab, dass Sie Herrn Edathy für einen prima Kerl halten. Alles Weitere können Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, in der „FAZ“ und im „Abendblatt“ über das Politsystem der SPD, der sogenannten Volkspartei, nachlesen. Also, wer hier schon längst auf den „Misthaufen der Geschichte“ gehört, das sind Sie, Herr Kahrs, definitiv. ({7}) Ich verleihe Ihnen den Titel „Parlamentsproll des Monats“ oder „Politischer-Pöbel-Sprecher“ Ihrer Partei. Diesen Titel haben Sie in dieser Haushaltswoche gewonnen. ({8}) – Ja, dazu komme ich jetzt. Sie scheinen meine Rede zu kennen. ({9}) An zweiter Stelle – es handelt sich, wie ich schon sagte, um eine Haushaltsdebatte; dieses Thema haben Sie ja verlassen; Sie sprachen vom gesellschaftlichen Diskurs – möchte ich mich bei den Steuerzahlern bedanken. Die haben nämlich bei diesem Haushalt in der Tat ein großes Dankeschön verdient. ({10}) Aber eigentlich möchte ich Supersozi Scholz auffordern, sich bei den Steuerzahlern für diesen dreisten Raubzug durch die Portemonnaies der Bürgerinnen und Bürger zu entschuldigen. Das wäre das Richtige. Wenn man sich diesen Haushalt ansieht, muss man sagen: Sozialdemokrat sind Sie schon lange nicht mehr. Darauf will ich eingehen. ({11}) Der Belastungs-Check des Bundes der Steuerzahler macht es deutlich: Wenn Sie, meine Damen und Herren, arbeiten, bleiben Ihnen von jedem Euro, den Sie verdienen, sage und schreibe 45,7 Cent. Falls Sie auch das nicht glauben – Sie sind ja immer für Fake News, aber wir servieren Fakten; Herr Kahrs will glauben, dass er die Rente rettet, nun gut –: ({12}) Der Steuerzahlergedenktag – das ist die Bankrotterklärung der sogenannten Sozialdemokratischen Partei Deutschlands – war noch 1970 am 9. Juni. Das ist der Tag, meine Damen und Herren, an dem Sie alle anfangen, für die eigene Tasche Geld zu verdienen. Bis dahin bedient sich der Staat mit seinen „tollen“ Ausgaben und der „Entlastung aller Bürger“, Herr Kahrs, bei Ihnen. 2013 war es der 7. Juli. Trotz toller Steuereinnahmen und Entlastung – eine glatte Lüge, Herr Kahrs – ist es 2018 der 18. Juli, so spät wie noch nie. Das ist keine Entlastung der Bürger. Das nenne ich moderne Sklaverei. ({13}) Es bleibt also der Satz: Sozis plündern dich. – Dafür haben Sie mit diesem Haushalt wieder einmal das beste Beispiel geliefert. Das gilt auch für Ihre Rede. Sie sagten, 90 Prozent der Bürger könnten bzw. würden Sie zum Ende der Legislatur entlasten. Die anderen 10 Prozent – das haben Sie hier ja im Prinzip so gesagt – können das also ruhig zahlen. Diese anderen 10 Prozent sind diejenigen, die in der Gleitzone zwischen 60 000 und 66  000 Euro Jahreseinkommen und darüber liegen. ({14}) Die kann man also nach Ihren Worten – und das ist Ihre soziale Gerechtigkeit – plündern. Nein, meine Damen und Herren, folgen Sie bei diesen sprudelnden Einnahmen dem Antrag der AfD, der hier zur Beschlussfassung kommt. Schaffen Sie den Solidaritätszuschlag zum 1. Januar 2019 ab! Wann denn sonst? Liebe Kollegen von der FDP, machen auch Sie mit! ({15}) Noch ein paar Verbesserungsvorschläge – denn kreativ sind auch wir, und wir wollen uns beteiligen –: Wie wäre es denn, wenn Sie die Entfernungspauschale indexieren würden? Die Entfernungspauschale – Sie kennen sie unter dem volkstümlichen Namen „Pendlerpauschale“ – liegt seit 2004 bei 30 Cent pro Kilometer. Sie entlasten also die Bürger und die Arbeitnehmer, die fleißig sind und pendeln? Der Arbeitnehmer-Pauschbetrag beträgt 1 000 Euro, und er liegt seit 2011 unverändert bei diesem Betrag. Der Behinderten-Pauschbetrag ist gar seit 1975 unverändert. Und nun kommt der Kracher: Deutschland wurde ja 1954 Fußballweltmeister. Der Werbungskostenbetrag für Sonstige Einnahmen – wenn man zum Beispiel in eine Riester-Rente oder eine Rürup-Rente investiert; auch dafür sind, glaube ich, irgendwelche Herrschaften von Ihnen verantwortlich – liegt seit 1954 bei 102 Euro. – Sie sehen: Hier sitzen Raubritter, die nur vorgeben, Sie zu entlasten. ({16}) Zum Schluss zum internationalen Belastungsvergleich. Europaweit werden Familien in Deutschland am höchsten belastet, nämlich mit 43,6 Prozent. Nur die Griechen liegen in diesem Vergleich noch vor uns. Das Fazit ist also: Wenn ich mir viele Ihrer sogenannten Geschenke anschaue, stelle ich fest, dass es sich doch nur um Anpassungen handelt, die Sie als Gesetzgeber aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vornehmen mussten. Wesentliche Entlastungen, meine Damen und Herren – ich glaube, das habe ich hier dargelegt –, nehmen Sie nicht vor. Folgen Sie unseren Vorschlägen! Dann sind Sie tatsächlich eine Partei, die die Bürgerinnen und Bürger – Sie dort oben auf der Tribüne, die jeden Tag fleißig arbeiten gehen; dafür ein großes Dankeschön – entlastet. ({17}) Sie tun das nicht mehr, und wir lösen Sie ab. Auf Wiedersehen, SPD! ({18})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege Gottschalk, Sie haben hier ein Plakat hochgehalten. ({0}) Es ist in diesem Hause nicht erlaubt, derartige Demonstrationen vorzunehmen; es ist erlaubt, sich verbal zu äußern. Ich bitte, das künftig zu unterlassen, und rüge das ausdrücklich. ({1}) Der nächste Redner ist der Kollege Dr. André Berghegger, CDU/CSU-Fraktion. ({2})

Dr. André Berghegger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004252, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine Redezeit im Rahmen der Schlussrunde auf den Haushalt verwenden. ({0}) Die Schlussrunde dient ja dazu, die Woche Revue passieren zu lassen. Was haben wir erlebt? Einige kontroverse Debatten, teilweise sehr emotionale Debatten. Wir müssen immer bedenken, dass der Haushalt ja in Zahlen gegossene Politik ist. Da haben wir naturgemäß unterschiedliche Meinungen. Aber lassen Sie uns bitte nach parlamentarischen Regeln debattieren und streiten! Diesen Eindruck hatte ich diese Woche nicht immer uneingeschränkt. ({1}) Zu Beginn meiner Rede möchte ich – er ist jetzt nicht anwesend – meinen Kollegen von der CSU, Alois Karl, zitieren. Er hat nämlich gestern gesagt: Wir haben diese Woche einige gute Reden der Opposition gehört, aber noch bessere der Koalition. ({2}) In diesem Sinne würde ich sagen: Der Regierungsentwurf, den wir hier vorliegen haben, ist ausgeglichen, seriös und vor allen Dingen solide. Wir nehmen keine neuen Schulden auf. Die schwarze Null von Wolfgang Schäuble, 2014 das erste Mal wieder erreicht, wird durchgeschrieben. Wir finanzieren die prioritären Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag aus. Und seit 17 Jahren halten wir das erste Mal die Maastricht-Kriterien ein, und zwar mit der Vorgabe von 60 Prozent gesamtstaatlicher Verschuldung, am BIP gemessen. Das ist nicht nur eine einzelne Zahl. Es ist einfach glaubwürdig, sichert finanzpolitische Unabhängigkeit und ist vor allen Dingen generationengerecht, die beste Vorsorge für unsere Kinder und Enkelkinder. ({3}) Ich habe natürlich auch einige Kritik aus der Opposition wahrgenommen im Laufe dieser Woche. Wenn sie ernsthaft war, dann hat sie aber nicht immer getragen. Ich würde das gerne an einem Beispiel deutlich machen. Anja Hajduk – ich sehe sie leider nicht –, die geschätzte Kollegin von den Grünen im Haushaltsausschuss, hat im Rahmen der allgemeinen Finanzdebatte gesagt, wir hätten uns an die Überschüsse schon gewöhnt, die finanziellen Spielräume würden fast ausgereizt und nur durch die Entnahme aus der Rücklage würde der Haushaltsausgleich ermöglicht ({4}) und die Schuldenbremse sei nur ganz knapp eingehalten. Erwecken Sie dadurch, auch Sie, sehr geehrter Herr Kollege Kindler, nicht den Eindruck unseriöser Haushaltspolitik! Das trägt nämlich nicht. Erstens. Wir halten die Schuldenbremse ein. Es gibt nicht „ein bisschen einhalten“, es gibt nur „einhalten“ oder „nicht einhalten“. Wir halten sie ein, auch im kommenden Haushalt. Richtig ist, dass wir bis 2022 die Rücklage abgebaut haben werden. Aber bei dem Beitrag von Frau Hajduk wurde vergessen, dass in jedem Jahr größere Vorsorge getroffen wird im Haushalt, als Entnahmen aus der Rücklage entgegenstehen. Allein die ausgewiesene globale Minderausgabe ist viel höher als die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage. Zusätzlich sorgen wir in verschiedensten Bereichen vor: Familienentlastungsgesetz ist hier ein Stichwort, das Kindergeld, der Grundfreibetrag, der Abbau der kalten Progression, und ab 2021 hat Herr Scholz die jährliche Zuführung in die Rücklage „Demografievorsorge Rente“ aufgenommen. Es gibt eine globale Mehrausgabe für Investitionen. Ich kannte dieses System vorher noch nicht; aber es ist aufgenommen worden. All das zeigt in der Zusammenschau, dass wir den Haushalt konkretisieren und quasi verschieben. Das ist eine seriöse Finanzpolitik. ({5}) Das Einzige, was ich – mit einem Augenzwinkern – Frau Hajduk in diesem Redebeitrag zugutehalten kann: Sie hatte nur fünf Minuten Redezeit und konnte die letzten Elemente nicht alle erwähnen. ({6}) Zurück zur allgemeinen Finanzdebatte. Ich betone hier wieder – das wurde schon erwähnt –: Ich mache mir Sorgen wegen des deutlichen Anstiegs der Sozialausgaben ({7}) auf inzwischen über 50 Prozent des Haushalts und wegen der Stagnation der Investitionen. Das ist ein ungutes Verhältnis. Wir müssen hier nachsteuern und versuchen, die Investitionen zu erhöhen. Wir müssen das Verhältnis zwischen Investitionen und Sozialausgaben ernsthaft korrigieren und werden im Rahmen der Haushaltsberatungen, denke ich, versuchen, nachzusteuern und die Investitionen zu erhöhen; denn Investitionen stärken unsere Zukunft und sorgen am Ende auch für Wohlstand. Genauso werden wir uns dafür einsetzen, auch im Rahmen einer sachlichen Diskussion, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, so wie wir es im Koalitionsvertrag verabredet haben, ohne aber die Herausforderungen aus den Augen zu verlieren. Es gibt nämlich Herausforderungen für den Haushalt, die noch nicht etatisiert sind. Als Beispiele seien der mittelfristige Finanzrahmen der EU, die Auswirkungen des Brexit oder ein möglicher Euro-Zonen-Haushalt genannt. All das erschwert zukünftige Planungen; aber wir müssen diese Stichworte im Hinterkopf haben. Ich möchte noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema ansprechen, das im Laufe dieser Woche auch eine Rolle spielte: der Bereich Bauen und Wohnen. Es ist uns allen klar – jeder merkt das in seinem Wahlkreis –: Die Immobilienmärkte sind angespannt. Mieterinnen und Mieter müssen einen beträchtlichen Anteil ihres monatlichen Budgets für die Miete aufwenden, und für einige ist es schlicht und ergreifend nicht zu leisten, Eigentum zu bilden. Das beste Mittel, um diesen Markt zu entspannen, ist: Bauen, bauen, bauen! Das sorgt am Ende auch für niedrigere Mieten in diesem Land. Der Staat kann hier passende Rahmenbedingungen setzen. Wir als Koalition werden dafür sorgen, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Miete und Eigentum anzusteuern, und versuchen, entsprechende Anreize zu setzen. Die Koalition hat ein Maßnahmenbündel in Planung. Zwei Beispiele möchte ich gerne erwähnen – sie kommen beide aus dem Innenministerium –: Zum einen ist das Baukindergeld für das kommende Jahr mit 570 Millionen Euro eingeplant. Hier sollen Impulse dafür gesetzt werden, für möglichst viele Menschen den Traum vom Eigenheim wahr werden zu lassen. Zum anderen geht es um den sozialen Wohnungsbau; Johannes Kahrs hat das bereits angesprochen: Das ist zwar eine wichtige Aufgabe, aber eine Aufgabe der Länder. Der Bund stellt hierfür im kommenden Jahr, wie in den vergangenen zwei Jahren, 1,5 Milliarden Euro bereit; so war die Absprache. Mit der Gegenfinanzierung durch die Länder könnten, über den Daumen gerechnet, 45 000 Wohnungen entstehen. 45 000 Wohnungen! Wenn ich mir angucke, wie sich die Bautätigkeit in den letzten Jahren entwickelt hat, wird deutlich: Wir hatten 2012/2013 den Tiefstand erreicht; damals wurden 9 800 Wohnungen im ganzen Land errichtet. 2017 haben wir nach eigenen Meldungen der Länder mit 26 200 Wohnungen den vorläufigen Höchststand erreicht. Dabei war die Bandbreite riesig: Während im letzten Jahr 7 200 Wohnungen in Nordrhein-Westfalen errichtet wurden, waren es in Sachsen-Anhalt ganze 6 Wohnungen. Ich kann nur hoffen, dass diese 6 Wohnungen im ganzen Land gut verteilt worden sind. Deswegen an dieser Stelle ein Appell an alle Länder: Setzen Sie das Geld, das wir als Bund bereitstellen, zweckentsprechend ein! Finanzieren Sie gegen, so wie es die Absprache war, und bauen Sie! ({8}) Was können wir als Bund Weiteres tun? Verschiedenste Maßnahmen sind angesprochen. Ein konkreter Vorschlag lautet: Wir müssen, sehr geehrter Herr Scholz, die BImA verstärkt nutzen, auch in ihrer Symbolwirkung. Sie hat zwar nicht die Größe, um all die Themen umfassend zu lösen, aber wir können Vorbildwirkung entfalten. Wir können mit der BImA neu bauen, nachverdichten, aufstocken, und zwar in Ballungsgebieten, um insbesondere Wohnraum für Bundesbedienstete – Bundeswehr, Bundespolizei, Zoll etc. – zur Verfügung zu stellen. All das ist vom BImA-Errichtungsgesetz gedeckt. Wir können zudem Mieten am unteren Rand der ortsüblichen Vergleichsmieten erheben, um nicht auch noch preissteigernd zu wirken. Wir werden im Haushaltsausschuss in Kürze eine Reform der BImA-Richtlinie besprechen, um nach den Erfahrungen aus der Praxis den Kommunen noch weiter entgegenzukommen. All das ist, glaube ich, nur ein kleiner Baustein. Ich bin der festen Überzeugung: Nur gemeinsam mit allen Beteiligten, auch und insbesondere mit den privaten Investoren, können wir eine Lösung des Problems erreichen. Ich komme zum Schluss. Zusammenfassend haben wir eine komfortable Ausgangssituation im Haushalt. Die ist aber hart erarbeitet, von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie von den Unternehmern. Begleitet wurde das Ganze über Jahre durch eine seriöse Haushalts- und Finanzpolitik. Lassen Sie uns so weitermachen, aber die gute Ausgangslage nicht ausreizen! Es bleiben Herausforderungen und Unwägbarkeiten. Wir als Parlament haben den Anspruch, eigene Akzente zu setzen; ich lade alle dazu herzlich ein. Danke an Sie, Herr Scholz, und Ihr Team für die gute Zusammenarbeit und die Vorarbeit. Ich freue mich auf die anstehenden Beratungen. Ich bedanke mich für das freundliche Zuhören und bin froh, dass alle im Sitzungssaal geblieben sind. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Dr. Florian Toncar. ({0})

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die teilweise zu hörenden Loblieder, aber auch die sehr sachlichen Beiträge zum Haushalt, wie gerade eben von Ihnen, Herr Kollege Berghegger, stehen meines Erachtens in einem bizarren Kontrast zu dem Gesamtbild, das diese Koalition in dieser Woche hier abgibt. Die Causa Maaßen dominiert die Woche. Es handelt sich um die zweite schwere Krise dieser Koalition, die keine sechs Monate alt ist und bereits zum zweiten Mal vor existenziellen Fragen steht. So viel Zerrüttung in einer Koalition in so kurzer Zeit gab es noch nie, und das zum Schaden unseres Landes, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Ich kann nur sagen: Sie haben es nicht geschafft, in dieser Woche dieses isolierte, überschaubare Problem rund um Herrn Maaßen zu regeln. Fangen Sie endlich an, das Grundthema anzugehen! Schaffen Sie faire Einwanderung mit klaren Regeln im Bereich „Flucht und Asyl“ für einen realistischen, fairen Zugang für Qualifizierte zu unserem Arbeitsmarkt! Sorgen Sie dafür, dass die Regeln, die es gibt, auch vollzogen werden! Das ist wichtiger, als über Personen zu diskutieren. Das ist das einzige Rezept gegen die wachsende Verunsicherung und Ungeduld, die wir in unserer Gesellschaft jeden Tag spüren. ({1}) Meine Damen und Herren, Herr Bundesminister Scholz, wir alle wissen es: In diesen Tagen jährt sich zum zehnten Mal die Pleite von Lehman Brothers und damit die Eskalation der globalen Finanzkrise. Herr Bundesminister, Sie haben dazu heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ etwas geschrieben. Vielem davon kann ich zustimmen. Trotzdem möchte ich daran erinnern – aus aktuellem Anlass –, dass die Krise vor zehn Jahren eben auch von der Politik kolossal unterschätzt wurde. ({2}) Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat noch am Tag nach der Lehman-Pleite, am 16. September 2008, hier im Bundestag gesagt – ich zitiere –: Es gibt keinen Anlass – das sage ich sehr bewusst –, an der Stabilität des deutschen Finanzsystems zu zweifeln. Binnen Tagen wurde er von der Realität widerlegt. Deshalb mein Appell aus Anlass dieses Jahrestages: Es ist einiges getan worden, manches besser geworden. Trotzdem sollten wir uns im Klaren darüber sein, dass wir weitere Dinge tun müssen, damit sich solche Krisen nicht wiederholen, damit das Finanzsystem wirklich stabiler wird. Das bedeutet für die Bankenunion in Europa, Herr Minister – das ist ja ein großes Thema in diesem Jahr –: Sorgen Sie dafür, dass sie auf fairen Wettbewerb und gute Geschäftsmodelle ausgerichtet wird! Sorgen Sie dafür, dass das Prinzip „Abwicklung vor Bankenrettung“ endlich wirklich durchgesetzt wird und dass Zombiebanken nicht mehr mit Steuergeld gerettet werden können wie jüngst in Italien! Sorgen Sie dafür, dass es keine neuen Töpfe gibt, über die die soliden Banken für die Abwicklung der weniger soliden am Ende haften müssen, wie beispielsweise bei Modellen für eine europäische Einlagensicherung! Vor allem, Herr Minister: Beenden Sie die Pläne dafür, dass doch wieder Steuergeld für die Restrukturierung von Banken aufgewendet wird! Sie planen auf europäischer Ebene einen sogenannten Backstop, eine Kreditlinie aus öffentlichen Geldern für Bankenrestrukturierung. Es ist genau die falsche Konsequenz aus der Krise rund um Lehman, dass schon wieder die Steuerzahler am Ende mit Krediten für Bankenrettungen einstehen sollen. ({3}) Herr Minister, wir brauchen auch eine Beendigung der Politik des billigen Geldes. Natürlich führte eine exzessive Kreditvergabe in den USA durch zu billiges Geld dazu, dass eine Kreditblase entstanden ist. Deswegen: Werfen Sie Ihr Gewicht und das Gewicht der Bundesregierung in die Waagschale, wenn es darum geht, nächstes Jahr die Spitze der EZB neu zu besetzen! Mir ist die Staatsangehörigkeit eines EZB-Präsidenten herzlich egal. Aber das Profil des Präsidenten muss sein, dass er für Preisstabilität sorgt – dafür muss er bekannt sein – und für sonst nichts. Das ist das Profil, das wir von einem EZB-Präsidenten erwarten. ({4}) Meine Damen und Herren, es gibt dieses Jahr noch einen anderen Jahrestag – das wird von vielen hier, gerade von den Sozialdemokraten, peinlich verschwiegen –: 15 Jahre Agenda 2010; ({5}) sie wurde 2003 auf den Weg gebracht. Wir Freien Demokraten wollten damals weiter gehen, haben das aber im Bundesrat unterstützt. Ich glaube, wir müssen uns klar darüber werden: Unser Land zehrt bis heute davon, dass es damals politischen Mut gab, auf Eigenverantwortung zu setzen, die Menschen stärker in die Verantwortung zu nehmen und, insbesondere – das war damals ein erklärtes Ziel von Gerhard Schröder –, keine untragbaren Belastungen für die künftigen Generationen zu begründen. Generationengerechte Sozialsysteme, das war ein Element dieser Agenda. Herr Minister, deswegen finde ich es ganz besonders bedauerlich, dass ausgerechnet Sie es sind, der als Sozialdemokrat durchaus in der Tradition von Gerhard Schröder steht, der einen Vorschlag für unser Rentensystem macht, der im Jahr 2040 Mehrausgaben von 75 Milliarden Euro begründen würde. Das ist genau das Gegenteil der sozialdemokratischen Politik, die eigentlich Erfolg hatte, die in den letzten Jahren sogar dazu beigetragen hat, dass es unserem Land gut ging. Ich kann Sie nur auffordern: Nehmen Sie davon bitte wieder Abstand! ({6}) Das hilft nicht. Das wird keinen Bestand haben und bei den Menschen auch nicht die Wirkung haben, die Sie erreichen wollen, weil es am Ende nicht finanzierbar sein wird. Sorgen wir dafür, dass unser Land eine Agenda 2030 bekommt! Flexibilisieren wir beispielsweise die Arbeitszeiten! Das brauchen wir in der digitalen Wirtschaft, in der heutigen Arbeitswelt. Flexibilisieren wir den Renten­eintritt! Entlasten wir die Bürger bei Steuern und Abgaben! Sie werden nach der aktuellen Steuerschätzung im Jahr 2022 im Bund 46 Milliarden Euro mehr als 2018 einnehmen. Es kann mir keiner erzählen, dass man mit 46 Milliarden Euro Mehreinnahmen, die in den nächsten vier Jahren pro Jahr anfallen werden, keine substanzielle Entlastung, keinen Abbau des Soli, keine Senkung der Unternehmensteuern und keinen Abbau der kalten Progression finanzieren kann. Das ist möglich, wenn Sie wollen. ({7}) Gehen Sie diesen Weg; denn wir werden uns nicht mehr länger auf vergangenen Reformerfolgen ausruhen können. Wir brauchen eine neue Agenda, die nach vorne weist und für Investitionen und wirtschaftlichen Schwung in Deutschland sorgt. Das müssen Sie durch ein Umsteuern Ihrer Politik endlich hinbekommen. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion Die Linke spricht nun Dr. Gesine Lötzsch. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu Beginn der Haushaltsberatungen hatte ich zwei Fragen gestellt: Erstens. Was sind die wirklichen Probleme der Menschen in unserem Land? Zweitens. Bietet die Regierung mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf 2019 die richtigen Lösungen? Der Grundfehler ist, dass wir immer noch ein ungerechtes Steuersystem haben. 1 Prozent der Menschen in unserem Land ist unverschämt reich und wird nicht vernünftig besteuert. Wir müssen endlich eine Vermögensteuer einführen, damit wir wirklich in die Zukunft investieren können. ({0}) Ich will Überlegungen zum Thema Sicherheit in den Mittelpunkt meiner Ausführungen stellen. Von der Regierungskoalition wird „Sicherheit“ sehr eng gefasst. Sicherheit ist für Sie: mehr Polizei, mehr Geheimdienste, mehr Bundeswehr. Wundern Sie sich nicht darüber, dass die Unsicherheit zunimmt, obwohl die Polizei mehr Wasserwerfer hat, die Geheimdienste mehr Telefone abhören und die Bundeswehr immer mehr Waffen bekommt? Offensichtlich ist mehr vom Selben nicht die richtige Lösung. ({1}) Ich finde, wir müssen die innere, die äußere und vor allen Dingen die soziale Sicherheit betrachten, und dann stellen wir schnell fest, dass die soziale Sicherheit der Dreh- und Angelpunkt ist. Durch die Agenda 2010 haben Sie die soziale Sicherheit für viele Menschen aus den Angeln gehoben, und meine Einschätzung widerspricht hier der Einschätzung der FDP diametral. ({2}) Das hat unser Land nicht vorangebracht, sondern zu mehr Unsicherheit geführt. ({3}) Das Ereignis, das unser Land in den vergangenen Jahren am dramatischsten destabilisierte und unsere innere Sicherheit gefährdete, ist die Finanzkrise. Es gibt genügend Experten, die der Auffassung sind, dass die Krise noch nicht ausgestanden ist. Von „Schlafwandlern“ ist die Rede. Es gibt einfach immer noch zu viele faule Kredite, und es gibt nichts, was wirksam dagegen getan wird. Ich befürchte, dass eines Tages wieder ein erstaunter Finanzminister hier steht. Auch ich kann mich gut daran erinnern, wie Steinbrück damals sagte: Das alles hat doch mit uns nichts zu tun. – Was für eine dramatische Fehleinschätzung! So etwas darf nie wieder geschehen. ({4}) Eine mindestens ebenso destabilisierende Wirkung hatte die Agenda 2010. Die SPD sagt gerne: Reden Sie nicht mehr darüber! – Das Problem ist nur, dass alles, was damals beschlossen wurde, immer noch eine dramatische Wirkung hat und immer mehr Unsicherheit schafft. Ich will Ihnen das an Zahlen belegen: 7 Millionen Menschen in unserem Land arbeiten im Niedriglohnsektor. Bei 1,2 Millionen Menschen reicht der Lohn nicht zum Leben; sie müssen zum Amt gehen und aufstocken. 1 Million Menschen sind als Leiharbeiter tätig, ganz zu schweigen von den 3,2 Millionen Beschäftigten, die nur befristet angestellt sind. So viel soziale Unsicherheit im Arbeitsleben gab es noch nie. Diese soziale Unsicherheit ist eine Gefahr für unsere Demokratie, und wir müssen unsere Demokratie verteidigen, meine Damen und Herren. ({5}) Der renommierte Ökonom Piketty schreibt in seinem globalen Report über die Ungleichheit, dass das Durchschnittseinkommen der unteren 50 Prozent 12 000 Euro im Jahr betrug. Das sind also – stellen Sie sich das vor – 1 000 Euro im Monat. Wenn sie dann noch befristet beschäftigt sind, dann wundert es nicht, dass diese Menschen an unserem Wirtschaftssystem, dem Kapitalismus und der Demokratie verzweifeln, und dem müssen wir entgegentreten. ({6}) Die innere Sicherheit wird auch durch die Investitionsbremse gefährdet. Es ist doch unter allen vernünftigen Ökonomen Konsens, dass wir unsere Schulen, Krankenhäuser, Universitäten, Busse und Bahnen auf Verschleiß fahren. Die Antwort des Finanzministers auf diese riesige Herausforderung lautet, die Investitionen im nächsten Jahr zu senken und dann auf einem niedrigen Niveau einzufrieren. Aber Sie müssen sich doch einmal vorstellen: Schulen, Krankenhäuser, Universitäten, Busse und Bahnen kann man eben nicht einfrieren. Die muss man in Ordnung halten. Dafür brauchen wir Investitionen. ({7}) Die Fixierung auf die schwarze Null gefährdet damit die innere Sicherheit in unserem Land. Aber schauen wir einmal auf die äußere Sicherheit. Jeder weiß, dass sie nicht von der Bundeswehr abhängt; ein Glück, kann ich da nur sagen. ({8}) Die Bundeswehr reicht das Geld der Steuerzahler nur an die Rüstungsindustrie weiter. Diese freut sich über fette Gewinne und liefert häufig Waffen und Geräte, die eben nicht funktionieren. Ein ziviles Unternehmen wäre aufgrund von Regresszahlungen schon bankrottgegangen. Doch für die Rüstungsindustrie sind Regresszahlungen ein Fremdwort. Ich finde, das ist nicht mehr hinzunehmen. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Lötzsch, Entschuldigung, seit zwei Minuten versuche ich, Sie zu fragen, ob Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Müller aus der Unionsfraktion zulassen.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, vielen Dank. – Die äußere Sicherheit, meine Damen und Herren, hängt vielmehr vom Welthandel ab. Die Bundesregierung steht in der Kritik, die Regeln des Welthandels massiv zu verletzen. Leistungsbilanzüberschüsse dürfen laut EU-Absprachen 6 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht übertreffen. Seit 2011 liegt der deutsche Überschuss beständig über dieser Höchstgrenze. Ich finde, dem müssen wir entgegentreten, weil diese deutsche Handelspolitik Europa weiter destabilisiert. Das sagen nicht nur wir, das sagt auch die EU-Kommission. Wir müssen dem ein Ende setzen. ({0}) Denn dieser Überschuss hängt direkt mit dem deutschen Niedriglohnsektor zusammen. Französische Wissenschaftler haben ausgerechnet, dass deutsche Dumpinglöhne in Frankreich circa 400 000 Arbeitsplätze vernichtet haben. Die ökonomische Destabilisierung unserer Nachbarn destabilisiert Europa insgesamt und damit auch die äußere Sicherheit. Meine Damen und Herren, innere und äußere Sicherheit sind also in erster Linie von ökonomischen Faktoren abhängig. Aber wer seit Jahrzehnten der neoliberalen Marktgläubigkeit verfallen ist, kann das leider nicht erkennen. Aber es würde unserem Land helfen, wenn wir endlich wieder zu einer strengen Regulierung des Marktes kämen und die globalen Konzerne kontrollierten. Dann hätten wir auch mehr Sicherheit mit einem solidarischen Sozialsystem, meine Damen und Herren. ({1}) Wir als Fraktion Die Linke haben in dieser Woche viele gute Vorschläge gemacht; einige will ich benennen. Meine Kollege Fabio De Masi forderte wie auch die EU-Kommission, dass Konzerne öffentlich machen müssen, wie hoch die Gewinne und Steuerzahlungen in jedem Land sind, in dem sie wirtschaftlich aktiv sind. Doch ausgerechnet der deutsche Finanzminister legte dagegen sein Veto ein. Ein unglaublicher Vorgang, meine Damen und Herren! Mein Kollege Victor Perli kritisierte, dass der Bahnvorstand Teilverkäufe, Privatisierungen und harte Einschnitte bei den Beschäftigten plant. Die Linke sagt ganz klar: Nicht mit uns! Hören Sie endlich auf, die Bahn auf Verschleiß zu fahren! ({2}) Meine Kollegin Sabine Leidig bezeichnete Stuttgart 21 als die „größte Fehlinvestition der Eisenbahngeschichte“. Sie forderte, der Stuttgarter Bahnhof müsse oben bleiben. Das würde 4 Milliarden Euro sparen, die wir woanders gut gebrauchen könnten. ({3}) Meine Kollegin Heidrun Bluhm forderte Konsequenzen für die Autokonzerne, die die Käuferinnen und Käufer betrogen haben. Den Anforderungen unserer Zeit wurde nicht entsprochen. Das ist nicht in Ordnung. Mein Kollege Lorenz Gösta Beutin kritisierte, dass die Bundesregierung die Kosten für den Kohleausstieg den Bürgern auflaste, während die Gewinne, die die Konzerne haben, unangetastet blieben. Auch hier müssen wir heran. Meine Kollegin Amira Mohamed Ali kritisierte, dass an weniger als 2 Prozent der Schulen und Kitas Essen angeboten wird, das die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung erfüllt. Wie können wir uns so etwas leisten, frage ich Sie, meine Damen und Herren. ({4}) Mein Fraktionsvorsitzender, Dietmar Bartsch, forderte eine Steuerreform, die die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen entlasten und die Superreichen belasten würde. Gregor Gysi von der Linken warnte vor einem Freihandelsabkommen, wonach ein afrikanisches Land alles zollfrei nach Deutschland und Deutschland alles zollfrei in das afrikanische Land liefern dürfe. Wer da den Kürzeren zieht, ist ja wohl klar. Meine Kollegin Sevim Dağdelen findet es erschreckend, dass der Militärhaushalt drastisch erhöht wird, statt die Mittel für Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit kräftig aufzustocken. Meine Damen und Herren, mit dieser kurzen Zusammenfassung nur einiger Vorschläge aus meiner Fraktion habe ich Ihnen gezeigt, dass wir diesen Haushalt entscheidend verbessern können. Wir müssen uns einigen, wohin wir mit diesem Land wollen: Wollen wir die Spaltung vertiefen, oder wollen wir mehr soziale Sicherheit? Wollen wir ein gerechtes Land? Wenn Sie mit uns ein gerechtes Land wollen, dann setzen Sie sich für unsere Vorschläge ein. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Ekin Deligöz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines muss man Ihnen lassen: Die Rahmendaten für diesen Bundeshaushalt sind ausgezeichnet. Es gibt eine gute Konjunktur. Die Beschäftigungslage ist stabil. Es gibt üppige Steuereinnahmen. Dieser Wohlstand wird von allen Menschen in diesem Land gemeinsam erarbeitet, übrigens auch von Migrantinnen und Migranten. ({0}) Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Aber offensichtlich ist diese Feststellung in dieser Regierung nicht selbstverständlich. Wenn Herr Seehofer mit dem Satz daherkommt, dass Migration die Mutter aller Probleme ist, diskreditiert er die Leistungen genau dieser Menschen. ({1}) Ja, auch die Migrantinnen und Migranten haben in diesem Land einen großen Beitrag zum Wohlstand des Landes geleistet. Auch sie zahlen Steuern. ({2}) Auch sie erhalten die Sozialversicherungen aufrecht. Auch sie sind stolz auf die Leistung, die hier erbracht wird. So wie eben alle anderen auch, und deswegen wollen sie auch den Respekt dafür. Ja, auch die Migrantinnen und Migranten wollen, dass sich in diesem Land etwas verändert, dass etwas gestaltet und vorangebracht wird, übrigens so wie alle anderen Menschen in diesem Land auch. Aber die Bundesregierung ist ja eher damit beschäftigt, ständig miteinander zu streiten, als irgendwelche Ideen zu entwickeln, wie es in diesem Land vorangehen kann. ({3}) Von dem Etat lesen wir genau diese Beliebigkeit ab. Sie tun zwar überall ein bisschen mehr, da und dort – Sie stellen Ihre Parteipolitik vor das, was eigentlich gestaltet werden muss –, aber Sie haben keinen Kompass, keine Idee, keine Richtung, Sie haben noch nicht einmal einen Gestaltungsanspruch, etwas voranzubringen. Das ist das Traurige an dieser Geschichte. Deshalb gehe ich einen Schritt voran. Ich nenne Ihnen drei Politikfelder, wo dringend heute etwas getan werden muss, damit wir auch in Zukunft davon profitieren, also wo wir heute für morgen handeln müssen. Das erste Thema ist die Klimakrise, das zweite ist Bildungsteilhabe und sozialer Ausgleich und das dritte ist Frieden und Entwicklung. Ich fange mit dem ersten Punkt an. Die volle Härte der Klimakrise haben wir in diesem Sommer bemerkt. Wir konnten eigentlich nur noch hinterherrennen und reparieren. Besser wäre es aber, zu agieren, statt hinterherzurennen und zu reparieren. ({4}) Deshalb müssen Sie endlich von den 50 Milliarden Euro für klimaschädliche Subventionen in diesem Etat runterkommen. Das, was Sie im Gegenzug in den Klimaschutz stecken, ist ein Witz. Das ist doch lächerlich. Nehmen Sie nur ein Beispiel, ganz einfach zu gestalten, von heute auf morgen: Wir schaffen das Dienstwagenprivileg ab. Wir gehen in die Dieselbesteuerung und investieren stattdessen in schlaue, nachhaltige Mobilitätskonzepte. ({5}) Damit bringen Sie wirklich etwas in Bewegung. Damit machen Sie übrigens auch Wirtschaftsförderung, wenn Sie das so haben wollen. Warum machen wir das denn nicht? Oder: Wie kommt es eigentlich, dass für bestimmte Wählergruppen – oder bestimmte Einkommensgruppen – das Geld relativ locker sitzt wie beim Baukindergeld, bei Kinderfreibeträgen und der Mütterrente? ({6}) Aber wenn es um andere Gruppen geht, geht alles besonders langsam, und ist besonders zu überlegen, nämlich dann, wenn es um sozialen Ausgleich geht: Bildungs- und Teilhabepaket, Kinder in Armut, Anpassung der Regelsätze, Grundrente oder Kinderzuschlag. Sie kriegen nicht einmal den kleinsten gemeinsamen Nenner hin, weil Sie in dieser Politik keinen gemeinsamen Nenner haben, wenn es um Armut geht. ({7}) Oder nehmen wir den dritten Punkt. In den Debatten war zu hören: Die Welt ist in Aufruhr; sie verändert sich. Das verunsichert. Ob Brexit, Syrien, iranisches Atomprogramm oder die Rolle der USA: Wir brauchen die Diplomatie. Das müsste unsere Stärke sein. Wir brauchen die Entwicklungshilfe und die humanitäre Hilfe. Das müsste unser Markenzeichen im Ausland sein. Dann gucken wir uns die Finanzplanung an und stellen fest: Ja, für das Verteidigungsministerium wird mehr Geld ausgegeben, aber nicht für Entwicklungszusammenarbeit, nicht für die Diplomatie, nicht für das Auswärtige Amt. Das ist das, was dieses Land eigentlich als Priorität setzen müsste, und genau das verpassen Sie im Moment. ({8}) Irgendwie überrascht mich das alles aber auch nicht. Um neue Ideen zu haben und das Land zu gestalten, brauchen Sie Willen zur Veränderung. Diese Regierung hat diesen Willen aber nicht. Sie kann gar nicht gestalten, weil sie keine Ideen hat. Sie hat den inneren Kompass verloren. Gott sei Dank gibt es uns Grüne. Wir haben die Vorschläge. ({9}) In einem gebe ich Ihnen nicht Recht, Herr Kollege Berghegger. Ich finde, die Reden der Opposition waren dieses Mal weit besser als die der Koalition. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Olaf Scholz. ({0})

Not found (Minister:in)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten über einen sehr guten, sehr soliden Haushalt mit sehr ordentlichen Zahlen. Wenn ich richtig zugehört habe, haben fast alle Redner dieses Hauses immer wieder auf die guten Zahlen und Daten hingewiesen. ({0}) Sie haben im Übrigen erörtert, warum das alles nicht genügend besage. Aber ich halte fest: Tatsächlich ist dies ein Haushalt, der über sehr gute Daten verfügt und der es uns ermöglicht, die wichtigsten Aufgabenstellungen für die Zukunft dieses Landes zu lösen. Deshalb bin ich für die bisherige Haushaltsdebatte sehr dankbar und bin gespannt auf das, was das Parlament mit dem Haushaltsentwurf im Rahmen der weiteren Beratungen machen wird. Ich habe da das vollste Vertrauen. Es gibt ein paar Dinge, die jetzt gesagt werden müssen. Das eine ist der Hinweis auf die Finanzkrise und unseren Umgang damit. Ja, mit der Finanzkrise und den daraus entstehenden Veränderungen ist damals nicht in jeder Hinsicht gut umgegangen worden. Aus meiner Sicht ist es unverändert richtig, festzuhalten, dass wir damals nicht die Instrumente und auch nicht immer den Willen hatten, mit aller Energie dagegen vorzugehen, die notwendig gewesen wäre, damit die Beiträge, die dann die Staatshaushalte zur Sanierung von Banken und zur Stabilisierung des Finanzwesens haben leisten müssen, geringer ausgefallen wären. Deshalb ist es umso wichtiger und umso richtiger, dass wir bei allen anstehenden Reformen und institutionellen Verbesserungen der Europäischen Union dafür Sorge tragen, dass wir entsprechende Mittel und Handlungsmöglichkeiten bei einer möglicherweise später eintretenden Finanzkrise hätten. Deshalb dürfen wir auch nicht zögern. Ich bin fest davon überzeugt: Wir müssen die Bankenunion jetzt vollenden, damit wir die Instrumente und Möglichkeiten für die Zukunft haben. ({1}) Ein wichtiges Instrument ist ein solider Haushalt. Er eröffnet uns die Möglichkeit, auf Basis unserer Finanzlage zu handeln. Tatsächlich wird es immer wieder so sein – ob das nun eine Wirtschaftskrise ist, die wegen der Finanzmärkte entsteht, oder aus anderen Gründen –, dass wir in einer wirtschaftlichen Krise über große Möglichkeiten verfügen müssen, gegenzuhalten und gegenzusteuern. Aus diesem Grund bin ich fest davon überzeugt, dass der Kurs der Bundesregierung, in dieser Zeit ohne neue Schulden auszukommen und den Anteil der Schulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt zu senken, richtig ist. Wir sind noch lange nicht da, wo wir als Land schon einmal waren. Allein der Blick auf 1990 und die folgenden Jahre zeigt uns, dass die Schuldenquote schon einmal bei 40 Prozent lag. Wir sind jetzt schon froh und stolz, dass es uns gelingt, im Laufe dieses oder des nächsten Jahres die Schuldenquote auf unter 60 Prozent zu senken. Das ist ein gutes Ergebnis. Aber ich sage ausdrücklich: Wir müssen alles dafür tun, damit wir, wenn wir handeln müssen, nicht auf andere angewiesen sind und damit wir bei der Politik, die wir hier in Deutschland entwickeln, nicht andere mitreden lassen müssen, weil wir keine eigenen Gestaltungsspielräume mehr haben. ({2}) Ich habe den Haushalt einbringen und vieles sagen können, was mir auf dem Herzen liegt und was ich für die Zukunft unseres Landes wichtig halte. Im Hinblick auf die Debatte will ich zwei, drei wichtige Punkte aufgreifen, um sie noch einmal zu unterstreichen. Der erste Punkt ist, dass wir etwas für die Zukunft tun müssen. Deshalb ist es richtig, dass die Investitionen einen so hohen Stellenwert im nächsten Haushalt und in den folgenden Jahren haben werden. Ich sage Ihnen: Das ist für die Koalition zentral. Wir werden immer stark investiv geprägte Haushalte haben. Die Investitionen werden eine aktive Rolle bei der Haushaltspolitik der nächsten Jahre spielen. ({3}) Wir werden außerdem dafür sorgen, dass wir Geld für die Zukunft unseres Landes ausgeben. Das betrifft dann zum Beispiel die Mittel, die wir den Schulen zur Verfügung stellen wollen, damit eine gute Schulinfrastruktur da ist. Das betrifft dann zum Beispiel die Mittel, die wir dafür einsetzen wollen, dass wir mit Forschung und Entwicklung vorankommen. Über das hinaus, was sich in diesem Haushalt abbildet, gibt es weitere Vorhaben, die die Koalition hat. Eines will ich hier nennen, weil es uns in der nächsten Zeit bewegen wird – das Bundesministerium der Finanzen arbeitet sehr hart daran, einen klugen und vernünftigen Vorschlag zu entwickeln –: Wir brauchen eine steuerliche Forschungsförderung, die die Förderungsmöglichkeiten, die wir heute haben, durch direkte Unterstützung von denjenigen, die forschen, ergänzt. Das ist nicht ganz einfach – das muss man sagen –, weil wir natürlich nicht einfach nachmachen können, was andere haben, die zum Beispiel über ein System direkter Forschungsförderung nicht verfügen, wie es in Deutschland existiert. Dieses System zu pflegen und es zu ergänzen um ein dazu gut passendes System der aktiven Unterstützung der Unternehmen, die viel Forschung in unserem Lande betreiben, das ist eine richtige Sache. Ich sage Ihnen hier: Das Bundesministerium arbeitet daran, dazu einen guten Vorschlag zu machen. ({4}) Ein zweiter Schwerpunkt, der in diesem Haushalt eine Rolle spielt, ist, dass das Leben bezahlbar sein muss. Das dürfen wir angesichts explodierender Mieten und Immobilienpreise nicht gering schätzen. Wer sich einmal die Mietpreise oder die Immobilienpreise in Städten wie London, Paris, San Francisco, Los Angeles, Boston oder New York anguckt, der weiß, dass Männer und Frauen mit normalem Einkommen in ganz großen Bereichen, die sich Innenstadt nennen und die zu durchfahren oft viele Stunden dauert, sich eine Wohnung dort nicht leisten können. Ich bin fest davon überzeugt, dass es eine Qualität unseres Landes sein und bleiben soll, dass man als jemand mit normalem Einkommen in den guten Lagen unserer Städte auch eine Wohnung finden kann, dass diejenigen, die normale Arbeit verrichten, nicht stundenlang pendeln müssen, nur deshalb, weil das Wohnen in den Städten zu teuer geworden ist. Wir brauchen eine Offensive beim Wohnungsbau. Wir brauchen mehr Sozialwohnungen, und wir werden das mit der Politik der Bundesregierung unterstützen. ({5}) Das gilt im Übrigen, wenn wir über Bezahlbarkeit reden, auch für Krippen und Kitas. Ich will das einmal unterstreichen, weil ja viele Meinungen zu diesem Thema existieren. Aber der Test ist gemacht: Dort, wo in Deutschland weitgehend Gebührenfreiheit für Krippen und Kitas existiert, ist die Nachfrage sehr groß. Das hat zu einer breiten Entlastung von vielen Bürgerinnen und Bürgern und auch derjenigen, die zwar nicht arm sind, aber einfach nur ein normales Einkommen haben, geführt. Ich finde es einen Skandal, dass in einigen Orten Deutschlands ein Ehepaar, bei dem beide als Verkäufer in der Innenstadt arbeiten, die Höchstgebühr zahlen muss, weil die Regelung so ausgestaltet ist. Insofern ist es ein wichtiger Beitrag für die Bezahlbarkeit des Lebens und dafür, dass die Familien in diesem Lande ein gutes Leben führen können, dass wir die Kitagebühren senken und dass das mit dem Gute-Kita-Gesetz vorbereitet wird. ({6}) Letzte Bemerkung, weil es angesprochen worden ist: Ja, ich glaube, stabile Renten sind für die Zukunft unseres Landes von allergrößter Bedeutung. Ich bin fest davon überzeugt, dass es eine Aufgabe demokratischer Politik ist, sicherzustellen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger darauf verlassen können. Wer jetzt mit 17 die Schule verlässt, zahlt vielleicht 50 Jahre Beiträge und will dann 10, 20, 30 Jahre – je nachdem, was das Lebensglück ihm möglich macht – von dieser Einzahlung als Rentner oder Rentnerin profitieren. Das sind so viele Jahrzehnte, dass es sehr wohl keine Sache ist, die wir irgendwie dem Schicksal überlassen können, sondern eine Frage, bei der wir zuständig sind, Stabilität zu garantieren. Deshalb sage ich: Das ist ein Ziel guter Politik – meines ist es auf alle Fälle. Schönen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Peter Boehringer für die AfD-Fraktion. ({0})

Peter Boehringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004675, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Scholz, ich bin etwas überrascht. Sie sprachen eben von der Bankenunion. Das würde ich auch sehr gern tun, wie immer – es ist enorm wichtig –, aber es ist nicht Gegenstand der Haushaltsberatungen; denn Sie weigern sich ja standhaft und konsequent, die Kosten und Risiken der Euro- und Bankenrettung in diesen Haushalt einzustellen. Deshalb: Gern endlich einstellen; dann reden wir im Ausschuss darüber und dann auch gern in der zweiten und dritten Lesung. ({0}) Ansonsten greife ich jetzt die Debattenbrocken auf, die hier im Raum nach dieser Woche unverdaut herumliegen. Es wurde schon erwähnt: Deutschland ist ein ausufernder Steuerstaat. Doch selbst 30 Jahre nach der Einheit weigert sich diese Bundesregierung, auch nur den Soli abzuschaffen. 50 Prozent – nicht etwa 10 Prozent, sondern 50 Prozent – des Soliaufkommens sollen dauerhaft erhalten bleiben. Kollege Dobrindt, vorgestern hier im Haus: Die Grünen verhindern die Abschaffung des Solis. – Nun bin ich kein natürlicher Verteidiger der Grünen, aber das ist nicht wahr. Es verhindern nicht die Grünen die Abschaffung des Solis; es ist die Koalition selbst, die das tut. ({1}) Die Grünen, 9 Prozent, würden hier nichts zur Sache tun. Es ist das uralte Verhalten der CSU: A sagen, B tun und Dritte beschuldigen. ({2}) Die Bürger in Bayern werden diese Heuchelei am 14. Oktober abstrafen; das ist sicher. ({3}) Zweitens: Investitionen. Frau Nahles, ebenfalls vorgestern: Wir haben einen waschechten Investitionshaushalt. – Und Herr Scholz eben: investiv geprägter Haushalt. – Das ist Realsatire. Es stimmt nicht. Dieser riesige Haushalt weist einen Rückgang der Investitionen aus. ({4}) Das ist das Zahlenwerk, das vorliegt. Besonders unverständlich ist, dass beim schnellen Internet gekürzt wird. Ich bin Informatiker. Wir diskutieren diesen Glasfaserausbau seit mehr als 25 Jahren. „Fibre to the Home“ haben wir in Berater-Slides dem Vorstand der Deutschen Post AG, später der Deutschen Telekom AG, bereits 1993/94 präsentiert. Hier in meinem Buch von 1994 gibt es ein ganzes Kapitel dazu. Der Bedarf an Breitband entstand schon 1993 mit dem Aufkommen des grafischen Internets. Wir forschten schon damals an den riesigen Möglichkeiten von Breitbandanwendungen und von künstlicher Intelligenz – auch ein vielbemühtes Wort hier. Das sind alles uralte Themen. Dieses Lehrbuch „Applied Artificial Intelligence“ ist von 1993. 1993! Der Breitbandausbau ist zwar – da gebe ich allen hier recht – eine der wichtigsten Infrastrukturaufgaben – da besteht überhaupt kein Dissens zwischen allen Parteien –, doch dieser Ausbau geschieht noch immer viel zu langsam. Im Haushalt 2019 wird tatsächlich die weitere Bezuschussung dieses Megathemas einfach eingestellt. Nein – ich höre jetzt schon den Zwischenruf, Herr Dr. Berghegger –, es gibt natürlich noch unverbrauchte Reste von 2018. Aber man hatte 25 Jahre Zeit, das zu machen. Es war meistens eine CDU-Regierung, und zwischendurch übrigens auch eine mit FDP-Beteiligung. Auch da war das Thema der Digitalpartei längst auf dem Tisch, 2009 bis 2013. Wir haben hier 20 Jahre Verspätung. ({5}) Drittens. Die SPD-Wunderwaffe, die Mietpreisbremse – das wurde ja eben fast auch schon wieder angesprochen –: ein durch und durch sozialistisches Konzept, das den Wohnungsmangel und den Substanzverfall der Wohnungen buchstäblich zementiert. Die DDR hat es jahrzehntelang vorgemacht – die Ergebnisse waren in den Städten nicht zu übersehen –, doch erfunden wurde dieses Konzept, die Mietpreisbremse, von anderen Sozialisten, nämlich von denen der 30er-Jahre. Herrmann Lampe, ein NSDAP-Funktionär – Zitat –: Der NS-Staat wird ... die Wirtschaft führen und deshalb auch Anspruch auf Festsetzung der Mieten erheben. Ja, und genau das ist 1936 dann auch geschehen. Es wurde der Mietpreisstopp deklariert. 2018 deklariert dasselbe nun die SPD. ({6}) Wo sind die Nazijäger, wenn man sie einmal wirklich bräuchte? Viertens. Minister Maas, hier vorgestern: Das deutsche Interesse hat einen Namen. Es heißt „Europa“. – Gemeint hat der Außenminister natürlich EU-ropa, wie immer. Die EU-ropa-Politik der Bundesregierung lautet: Es funktioniert nicht. Also machen wir mehr Europa. – Die SPD will gar das Einstimmigkeitsprinzip bei der EU aufgeben, also die EU-Regierung etablieren, den EU-Haushalt, den EU-Bundesstaat. Das ist alles illegal. Man träumt. Wie Macron träumen auch Schulz und Scholz von all diesen illegalen Dingen. Wo ist der Verfassungsschutz, wenn man ihn braucht? Das ist glatt illegal! ({7}) Die AfD macht bei diesen Rechtsbrüchen nicht mit. Wir machen Politik für Deutschland und Europa, aber nicht für EU-ropa. ({8}) Fünftens: Kosten der Zuwanderung. Das ist ein Dauerthema. Aber es ist nun einmal so: Selbst die offiziell zugegebenen Immigrationskosten entsprechen in diesem Haushalt der Summe der Einzelpläne der Ministerien für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, für Umwelt und des Äußeren. Wo sind die Sozial- und Umweltaktivisten, wenn man sie bräuchte? ({9}) Sechstens. Man hat durchaus Geld für einige interessante Dinge: Distriktentwicklung in Ghana, Geschlechtergerechtigkeit in Mosambik, Wohnraum in der Ukraine. Man hat natürlich auch Geld für Türkei-Finanzhilfen, noch mehr, als wir schon wussten. Heute Morgen bekam ich noch einmal zusätzliche Hilfen in Höhe von 500 Millionen Euro auf den Tisch; das wurde in Brüssel bereits beschlossen. Wirklich diskutiert haben wir über diesen Aufwuchs nicht. Das ist Geld für Diktator Erdogan, der völkerrechtsbrechende Angriffskrieger in Syrien. ({10}) Aber das scheint diese Bundesregierung nicht zu stören. Man ist in Syrien ja sogar selbst bellizistisch unterwegs. Wo sind die Friedensaktivisten, wenn man sie bräuchte? Wo ist auch hier der Verfassungsschutz? ({11}) Siebtens. Man hat Geld für Zahlungen an die EU: plus 13 Prozent, nun sind es 37 Milliarden Euro. Kollege Kiesewetter meinte dazu: Europa muss wieder mehr Strahlkraft entwickeln. – Dieses EU-ropa mit seiner Regeltreue. Auch das ist Realsatire. Wir haben bei der Euro-Rettung keine Regeln mehr eingehalten, schon seit 17 Jahren nicht mehr. Das haben wir diese Woche von Minister Scholz bestätigt bekommen. Das sind alles Rechtsbrüche und Aktivitäten gegen die liberale Marktwirtschaft. Wo sind die angeblichen Liberalen, wenn man sie bräuchte? Wo ist auch hier der Verfassungsschutz? ({12}) Ich bin am Ende meiner Zeit, deshalb kürze ich es hier ab: Die Heuchelei von der Verteidigung des Rechtsstaats und der Liberalität gegen die bösen Gefahren von rechts ist einfach nicht in Ordnung. Die wahre Bedrohung dieser Werte sitzt hier auf der Regierungsbank. Herzlichen Dank. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Carsten Schneider.

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Abgeordneter Boehringer, Sie haben hier eben in Ihrer Rede die SPD, die Sozialdemokraten und die von uns vertretene Mietpreisbremse mit den Aktivitäten der Nationalsozialisten verglichen. Sie haben uns gleichgesetzt. ({0}) Herr Boehringer, jemand, der die Bundeskanzlerin als „Merkelnutte“ bezeichnet, jemand, der in einer Partei ist, die in Chemnitz mit rechtsextremen Hooligans auf der Straße den Schulterschluss übt, dem verbietet sich ({1}) – da brauchen Sie nicht lachen, Herr Gauland –, ({2}) Sozialdemokraten, die 1936 verboten waren, die in Konzentrationslagern saßen, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um die Demokratie zu verteidigen, dieser Vergleich. ({3}) Ich weise das in aller Form zurück. Sie sind eine Schande für dieses Parlament. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich erteile Ihnen das Wort zu einer Erwiderung. ({0})

Peter Boehringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004675, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Kollege Schneider, ich bestehe nicht auf Ihrem Aufstehen. Sie können gerne sitzen bleiben, entgegen dem, was hier Usus ist, wie uns erst gestern der Bundestagspräsident belehrt hat. Alles in Ordnung. Es war die Reflexreaktion der SPD. Es hatte nichts mit der Sache zu tun. Sie wissen ganz genau, dass man nicht jedes – – Sie selbst haben schon Sauerstoffatome geatmet, die auch der größte Führer aller Zeiten, der GröFaZ, der größte Verbrecher schlechthin, geatmet hat. ({0}) Mache ich Ihnen daraus einen Vorwurf? Diese Qualität hat ungefähr Ihr Einwurf. Es ist doch völlig absurd, hier irgendeine Gleichsetzung hineinzufabulieren. ({1}) Aber: In der Sache ist die Mietpreisbremse ein durch und durch sozialistisches Konzept. Ich habe historisch korrekt darauf aufmerksam gemacht, dass es ein nationalsozialistisches Konzept war. Es ist nun einmal so. Sie können sich da nicht freisprechen an dieser Stelle. So ist die Lage nun einmal. – Ich glaube, die Zeit ist schon wieder vorbei. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir fahren in der Debatte fort. – Das Wort hat der Abgeordnete Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen am Ende der Einbringung des Haushalts in dieser ersten Haushaltswoche. Der Haushalt wird jetzt an die Ausschüsse überwiesen, insbesondere an den Haushaltsausschuss. Wir werden dort in den nächsten Wochen und Monaten hart daran arbeiten. Für diesen Haushalt gilt genau das Gleiche, was auch für Gesetze gilt: Kein Haushalt kommt so aus dem Bundestag heraus, wie er hineingekommen ist. – Dafür haben wir jetzt die Vorlage geschaffen. Die Woche war geprägt davon, dass darüber diskutiert wurde, dass die Einnahmesituation sehr gut ist. Das hat viele Ideen hervorgerufen, was man mit diesen Einnahmen machen kann: von Steuersenkungen bis zu Mehrausgaben. Es gab auch den einen oder anderen oder die eine oder andere, denen die Einnahmen nicht gereicht haben. Die haben gesagt, es müssten noch mehr Steuern erhoben werden, und wir brauchten noch mehr Geld. Das ist die eigentliche Gemengelage, die diskutiert worden ist. Ich möchte einmal anhand einiger Punkte aufzeigen, worum es bei einem zukunftsorientierten Haushalt sonst noch geht. Wir fangen einfach mal mit dem Thema Schulden an. Der Bundesfinanzminister hat gerade gesagt, dass wir das erste Mal seit Urzeiten die Vorgaben der europäischen Verträge wieder einhalten und vielleicht schon in diesem Jahr unterhalb der 60-Prozent-Schuldengrenze bleiben werden. Das ist eigentlich ein Grund, sich zu freuen. Wenn uns vor einigen Jahren jemand gesagt hätte, dass das so schnell gehen würde, dann hätten wir denjenigen mit großen Augen angeguckt und hätten das nicht geglaubt. Ich denke, Erfolge muss man feiern, auch diesen muss man feiern; denn das läuft richtig gut. ({0}) Aber ist das gut genug? Die Esten würden sagen: Unsere Schuldenquote liegt bei nur 10 Prozent; da ist noch Potenzial nach oben. – Ich will aber darauf hinaus, dass wir die sinkende Staatsverschuldung gemeinsam als Große Koalition erreicht haben, aber auch mit unseren Kollegen von den Freien Demokraten. Wir haben das erreicht, ohne Steuern zu erhöhen oder neue Steuern zu erfinden. Wir haben den Kommunen mehr Geld gegeben. Wir haben den Ländern mehr Geld gegeben. Wir haben mehr Geld für Investitionen und Bildung ausgegeben. Insofern ist das ein ganz großer Erfolg. Das reicht aber nicht; denn eine Schuldenquote von 60 Prozent bedeutet, dass wir alleine im Bund noch deutlich mehr als 1 Billion Euro Schulden haben. Das ist eine Menge Geld. Der Bundesfinanzminister hat gerade davon gesprochen und außerdem gesagt: Wir müssen schauen, dass auch zukünftige Generationen noch Gestaltungsspielräume haben. Deswegen muss man die Schulden im Auge behalten; denn zukünftige Generationen werden vielleicht etwas mehr Zinsen zahlen müssen als wir. Deswegen muss neben der Senkung von Steuern und Mehrausgaben unser Anspruch außerdem sein, den Schuldenstand konsequent zurückzuführen. Das ist vielleicht ganz altmodisch, dass man Schulden zurückzahlt, ({1}) aber man könnte ja darüber nachdenken, wenn am Ende des Jahres Überschüsse und noch Reste da sind, wenn noch Geld übrig ist, dieses Geld einfach mal für die Schuldentilgung zu verwenden. ({2}) Das könnten wir uns wieder vornehmen. Aber ein Haushalt ohne neue Schulden reicht nicht, um die Zukunftsfestigkeit herzustellen. Wir müssen auch investieren. Ich bin froh, dass wir Investitionen erhöht haben. Jetzt sagt aber der eine oder andere: Na ja, für das Jahr 2019 hätte das noch mehr sein können. – Das kann man sagen. Aber derjenige oder diejenige soll mir dann auch sagen, wo wir das Geld denn tatsächlich noch verbauen können; denn Geld für Investitionen bereitzustellen, ist das eine, das Geld muss aber auch abfließen. Insofern, denke ich, sind die Zahlen, die für 2019 im Haushalt stehen, in Ordnung. Wir müssen aber daran arbeiten – auch das ist schon gesagt worden –, die Investitionen für die Jahre 2020, 2021 und 2022 weiter zu erhöhen; denn – das ist wichtig – Investitionen machen nur Sinn, wenn sie verstetigt werden. Es reicht nicht, zu investieren, wenn Geld da ist, sondern wir müssen auch in schlechten Zeiten investieren. Jeder, der sich in der Kommunalpolitik oder auch in der Bundespolitik mit Haushalten befasst hat, weiß, wo zuerst gespart wird, wenn das Geld weniger wird. Es wird bei den Investitionen gespart. Das ist ein falscher Weg; diesen dürfen wir nicht gehen. Der dritte Punkt, der für einen zukunftsfesten Haushalt wichtig ist, ist der Bereich Bildung. Wir haben uns entschlossen – das war in der Union durchaus kein einfacher Vorgang –, dass wir den Ländern und Kommunen dabei stärker unter die Arme greifen, zum Beispiel – ich schaue die Bundesbildungsministerin an – bei der Digitalisierung von Schulen. Dafür müssen wir aber das Grundgesetz ändern, und das haben wir auch vor. Das können wir als Große Koalition aber nicht alleine; dafür brauchen wir auch die Opposition. Ich hoffe, dass wir das möglichst schnell und konstruktiv hinkriegen und dieses Thema nicht zu einem politischen Schlachtfeld machen, auf dem wir uns über andere Dinge auseinandersetzen. Es geht bei den Grundgesetzänderungen darum, dass wir das Geld schnell dahin geben können, wo es benötigt wird. Ich setze darauf, dass wir das gut hinbekommen. ({3}) Jetzt könnte man sagen: Das sind doch schon einige Zukunftspläne. Wir wollen auf die Schulden achten, in Bildung investieren und die Investitionen erhöhen. Reicht das? Nein, es gibt noch eine ganz andere und sehr wichtige Zukunftsfrage – und zwar nicht erst seit drei Wochen, sondern seit mehreren Jahren. Dabei geht es um den Zusammenhalt dieses Landes und den Zusammenhalt in dieser Gesellschaft. Da geht momentan aus unterschiedlichen Gründen, die ich hier gar nicht diskutieren möchte, eine Menge kaputt. Kann man die Gräben mithilfe der Haushaltpolitik überwinden? Das gelingt wahrscheinlich nicht allein mit den Mitteln der Haushaltspolitik, aber auch ein Bundeshaushalt muss den Anspruch haben, etwas für den Zusammenhalt der Gesellschaft zu tun. Ich möchte das an drei Beispielen erläutern. Erstens: Sozialausgaben. Wir von der Union sind nicht unbedingt große Freunde des Wortes „Umverteilung“. Trotzdem ist es notwendig, dass wir umverteilen, damit die Unterschiede in dieser Gesellschaft nicht zu groß werden. Pauschal davon zu sprechen, dass Sozialausgaben etwas Schlechtes sind, trägt dementsprechend nicht zur Herstellung der Zukunftsfähigkeit des Landes bei. Das hat eine Wirkung. Das hat auch eine gute Wirkung, weil es zeigt: Wir sind am Umverteilen, auch wenn die einen oder anderen behaupten, dass das nicht so ist. Das klappt ganz gut. Die Einkommensunterschiede werden nivelliert durch die Umverteilung, die wir vornehmen, und das ist ganz wichtig für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Zweiter Punkt: die Mitte der Gesellschaft. Wir kriegen in den letzten Tagen und Wochen immer die Rückmeldung: Ja, was tut ihr eigentlich noch für uns, für die Mitte der Gesellschaft? Im Haushalt muss auch etwas für die Mitte der Gesellschaft getan werden. Jetzt kann man sich darüber unterhalten, ob Dinge wie das Baukindergeld dazu tauglich sind oder nicht. ({4}) Aber es ist ein Zeichen an die Mitte der Gesellschaft. Denn was ist mehr in der Mitte als Familien mit Kindern mit mittlerem Einkommen, meine Damen und Herren? ({5}) Vor diesem Hintergrund ist es wichtig – der Bundesfinanzminister hat es gesagt –, dass wir uns mit dem Bereich Wohnen beschäftigen. Aber wir können den Bereich Wohnen nicht nur auf Mieten reduzieren. Vielmehr hat Wohnen für uns als Union auch immer etwas mit Wohneigentum zu tun, weil wir den Anspruch erheben, dass wir die Partei der Mieter und der Eigentümer sind, meine Damen und Herren. ({6}) Deswegen müssen wir auf dem Wohngipfel ein Paket schnüren, wo nicht nur Baukindergeld drin ist, wo nicht nur sozialer Wohnungsbau drin ist, sondern wo es auch um die Grunderwerbsteuer geht. Da sind die Länder gefordert. Es geht um Flächen, es geht um Bauvorschriften und viele andere Sachen. Das ist ein Zeichen an die Mitte der Gesellschaft, meine Damen und Herren. ({7}) Der letzte Punkt ist mir besonders wichtig. Wir haben in den letzten Jahren viel gemacht für die Ballungsgebiete. Das war richtig, und das war auch notwendig. Aber Zusammenhalt bedeutet auch Zusammenhalt innerhalb der Region, zwischen Land und Stadt. Deswegen ist es gut und richtig, dass sich diese Bundesregierung vorgenommen hat, insbesondere die ländlichen Räume zu fördern. Das hat auch ganz viel mit Zusammenhalt der Gesellschaft zu tun, und das ist gut. Strich drunter: Wir machen etwas im Bereich Bildung, wir investieren, wir haben einen Blick auf die Schulden. Wir haben in diesem Haushalt ganz stark den Zusammenhalt der Gesellschaft im Blick. Ein persönlicher Wunsch von mir, von vielen in der Union: Wir müssen auch etwas im Bereich Verteidigung tun, nicht weil die NATO es fordert, sondern weil es unsere eigene Sicherheit erfordert, nicht weil die USA uns drängen, sondern weil wir es unseren Soldatinnen und Soldaten schuldig sind, dass wir sie vernünftig ausstatten. Deswegen würde ich dringend darum bitten, dass wir das auch besonders im Fokus haben. Schlussstrich drunter – Frau Präsidentin, ein Satz noch –: Ich möchte mich noch einmal bei Ihnen bedanken, Herr Scholz. Das gilt auch für Ihre beiden Staatssekretärinnen, Frau Lambrecht und Frau Hagedorn. Wir arbeiten jetzt seit einem halben Jahr zusammen. Da ja gelegentlich darüber geredet wird, welche Konflikte es in unserer Koalition gibt, sage ich: Das läuft gut. Wir haben an einigen Punkten unterschiedliche Meinungen. Wenn das nicht so wäre, wären wir nicht in unterschiedlichen Parteien. Das ist sicherlich auch in Ordnung. Aber eines ist richtig: Wir versuchen, in gegenseitigem Respekt zueinander diesen Koalitionsvertrag vernünftig abzuarbeiten. Wir arbeiten hier im Finanz- und Haushaltsbereich sachlich, gut, respektvoll. Insofern kann ich entgegen anderslautenden Behauptungen nur sagen: Es eint uns eine Menge. Wir haben die Absicht, das Ganze gut zu machen, und zwar bis 2021 in dieser Großen Koalition. Herzlichen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bitte die nachfolgenden Rednerinnen und Redner, gegebenenfalls Danksagungen in der verabredeten Redezeit vorzunehmen und nicht noch hinten dranzuhängen. Das Wort hat der Kollege Otto Fricke für die FDP-Fraktion. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzte Frau Vizepräsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Brinkhaus, das war schon wohltuend. Auch auf die Gefahr hin, dass Ihnen das jetzt schadet, sage ich: Ich finde es gut, wenn vom Vorstand der CDU nicht immer nur so etwas kommt wie beim Rentenpaket: Wir können uns das leisten; das ist sicherlich etwas, was wir machen müssen. – Wenn wir hier über den Haushalt reden, dann finde ich immer die allgemeinen Finanzdebatten interessant, in denen wir alles in Abwägung bringen. Wir sagen, wie viel Geld wir ausgeben, wie hoch die Schuldenstände sind. Aber heute Morgen um 9 Uhr, als Minister Heil hier seinen Haushalt vorgestellt hat, ging es eigentlich nur um die Frage: Wo können wir noch mehr ausgeben? Wo brauchen wir noch mehr? ({0}) Kollege Brinkhaus, da geht es eben nicht um den Zusammenhalt per se, sondern da wird mit dem Argument „Zusammenhalt“ alles zugekleistert mit „Der Staat gibt mehr Geld“. ({1}) Ich habe mir das einmal angeschaut. Um das einmal bildlich zu verdeutlichen für die, die uns zuhören und zuschauen: Wenn man das, was der Staat in den nächsten Jahren ausgibt, auf die Redezeit, auf die Debattenzeit dieses Bundestages in dieser Woche übertragen würde, dann hätten wir von Dienstagmorgen bis Donnerstagabend nur über den Kollegen Heil und seine Pläne geredet, hätten dann am Freitagmorgen noch ein wenig über Frau von der Leyen und die Mehrausgaben, die sie bekommt, geredet, um dann bis heute Mittag um 14 Uhr, 15 Uhr, wenn wir fertig sind, über das Fitzelchen Rest zu reden. Was mich bei dieser Haushaltsdebatte so sehr ärgert, ist: Wir verlagern die Schwerpunkte. Wir sehen nicht, wo Zukunft ist. Wir reden nicht über das, was die Zukunft wirklich ausmacht. Herr Brinkhaus, keiner in diesem Hause will den sozialen Zusammenhalt zerstören. ({2}) Jeder hat andere Vorstellungen davon, aber er wird nur dadurch auf Dauer gerettet, wenn wir bei Familie, wenn wir bei Bildung, wenn wir bei innerer Sicherheit und bei allen anderen Themen auch sehen, was in Zukunft notwendig ist. Dafür muss man, anders, als es der Minister macht, und anders, als es die Koalition macht, Schwerpunkte bei den Mehrausgaben nicht immer nur in den Bereich Arbeit und Soziales legen. ({3}) Meine Damen und Herren, ich will noch auf eine Sache zu sprechen kommen, die mich in dieser Woche immer mehr genervt und die mich selbst bei der Lektüre anderer Literatur ein bisschen geärgert hat. Es geht um den Versuch, Haushaltspolitik aus dem Vordergrund herauszudrängen. Das verstehe ich in gewisser Weise; denn wer beschäftigt sich schon gerne mit Zahlen? ({4}) Das konnte man schon in der Schule sehen, wenn die Frage gestellt wurde: Wer geht in den Mathematikleistungskurs, oder wer mag das Fach gerne? Es sind immer wenige. Aber sie ist essenziell. Am Ende kommt man an der Mathematik nicht vorbei. Das sehen wir doch bei Despoten in der Türkei, die den großen Max machen, und in dem Moment, in dem gezählt wird, geht es auf einmal nicht mehr. Ohne den Vergleich zu ziehen – das betone ich –: Das Schlimmste bei allen Versprechen, die Politik macht, ist, wenn sich diese Versprechen am Ende nicht rechnen. ({5}) Herr Minister, ich muss noch einmal sagen: Sie müssen, wenn Sie solche Vorschläge zu Mehrausgaben machen und damit Vertrauen erzeugen wollen, auch die konkrete Berechnung vorlegen. Tun Sie das nicht, zerstören Sie Vertrauen. ({6}) Das wieder zurückzubekommen, ist das Schwierigste, was Politik überhaupt an Arbeit hat. Das haben Sie doch erlebt mit dem Bereich Rente in der Agenda 2010, die Sie damals gemacht haben. Deswegen noch einmal die Bitte: Legen Sie das im Laufe der Haushaltsberatungen vor, weil wir auch Finanzpläne mitbeschließen und über die Zukunft reden. Zum Schluss, meine Damen und Herren, zu der Aussage von Herrn Brinkhaus und allen anderen, die es auch gesagt haben: Der Schuldenstand sinkt auf 60 Prozent. – Hat die Politik etwas dazu getan? Nein, nicht wirklich. ({7}) Ist 1 Cent Schulden zurückgezahlt worden? Wenn wir ganz ehrlich sind, müssen wir sagen: Es ist kein Cent zurückgezahlt worden. ({8}) Wir sind immer noch auf demselben absoluten Schuldenstand. Wir profitieren – da sollten wir ehrlicher sein – davon, dass die Bürger, die Unternehmer gearbeitet haben, das Bruttoinlandsprodukt gestiegen ist und deshalb dieselben Schulden einen geringeren Prozentsatz ausmachen. Das gehört zur Wahrheit, Herr Brinkhaus, auch dazu. ({9}) Ich habe das Buch „Hoffnungsland“ des Ministers gelesen und habe – für alle, die es lesen wollen; der Kollege Rehberg hat es noch nicht gelesen; ich kann es ihm auch nicht empfehlen – in diesem Buch viel über Fragen der Zukunft gefunden, aber über die Frage der Finanzierung der Zukunft, Herr Minister – das wäre Ihre Aufgabe gewesen –, findet sich nichts. Das ist nicht Hoffnungsland, das ist hoffnungslos. Danke. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Sven-Christian Kindler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Minister kann sich bestimmt über so viel Werbung von Otto Fricke freuen. Sie haben, Herr Minister, am Anfang Ihrer Rede gesagt, dass Sie einen Haushalt mit sehr guten Zahlen vorgelegt hätten. Das sei von allen im Haus unbestritten. Meine Erinnerung war eine andere. Zugegeben, die finanzielle Lage sieht derzeit so gut aus wie nie. Die Frage ist aber: Woher kommt das eigentlich? Wir haben eine gute Konjunkturlage, und wir haben historisch extrem niedrige Zinsen. Aber das war nicht das Werk der Großen Koalition, Sie profitieren von der Politik niedriger Zinsen von Mario Draghi. Er hat viel für den Haushaltsausgleich getan, nicht diese Große Koalition. ({0}) Gehen wir die guten Zahlen im Haushalt doch einmal durch. 50 Milliarden Euro für klimaschädliche Subventionen gibt der Bund jedes Jahr aus. Sie zerstören unser Klima. Sie geben im Haushalt 2019  4 Milliarden Euro mehr für die Bundeswehr aus, und gleichzeitig werden in der mittelfristigen Finanzplanung die Etats für das Auswärtige Amt und die Entwicklungszusammenarbeit, also für Frieden und Entwicklung, in der Summe um 400 Millionen Euro gekürzt. Das wird diese Welt unsicher machen, sage ich Ihnen. ({1}) Die Investitionen stagnieren, und in der Finanzplanung sinkt die Investitionsquote sogar. Sie wollen mit der Einführung des Baukindergeldes 10 Milliarden Euro in zehn Jahren ausgeben, obwohl Sie wissen, dass das die Wohnungsmärkte in den Städten aufheizen wird. Das ist eine Subvention für Besserverdienende. Das sind keine guten Zahlen im Haushalt. ({2}) Nach dieser Woche muss man auch feststellen: Dieser Regierung fehlt der Wille zur Veränderung. Diese Regierung kann de facto nichts mehr entscheiden. Diese Haushaltswoche war wieder überlagert von der tiefen Krise, in der die Bundesregierung steckt. Diese Regierung hat es nicht geschafft, einen Verfassungsschutzpräsidenten zu entlassen, der – wie im Fall Amri – lügt wie gedruckt, der rechte Verschwörungstheorien in die Welt setzt und der wie jemand wirkt, der die AfD coacht. Und jetzt haben Sie das Problem schon wieder vertagt. Wie entscheidungsschwach sind Sie eigentlich in der Regierung? Wann werden Sie endlich Herrn Maaßen entlassen? ({3}) Wenn Sie nicht einmal die Kraft haben, das zu machen, dann fragt man sich doch: Wie gehen Sie die großen Herausforderungen an, die sich jetzt unserem Land, unserem Europa und unserer Gesellschaft stellen, nämlich Klima, Frieden, Gerechtigkeit, soziale Spaltung in diesem Land? Wie geht es weiter mit diesem Europa? Alles das muss man jetzt angehen, und alles das muss man jetzt im Haushalt angehen. Aber Sie können es eben nicht, weil Sie am Ende nicht durchsetzungsfähig sind, weil Sie sich nicht einig sind, und vor allen Dingen, weil Sie auch nicht den Willen haben, wirklich etwas zu verändern. ({4}) Das hat man auch in dieser Woche gesehen: Diese Regierung steht mit diesem Haushalt für ein Weiter-so. Das ist ein Haushalt, der in der reinen Gegenwart lebt. De ­facto verändern wollen Sie eigentlich nichts. Die Rednerinnen und Redner haben sich extrem dafür gelobt, dass sie hier ein paar Millionen und da ein paar Millionen mehr ausgeben, und haben sich reichlich abgefeiert. Aber sich der Herausforderung gestellt, dass sich grundlegend und strukturell etwas verändert, das haben sie nicht, und ich sage Ihnen: Das wird sich noch bitter rächen im Haushalt. ({5}) Ich möchte zum Ende noch auf einen Punkt eingehen: Europa und zehn Jahre Finanzkrise. Vor zehn Jahren ist Lehman Brothers pleitegegangen. Wir haben eine extrem schwere Finanzkrise erlebt – global, aber auch in Europa –, und das hat zu schweren sozialen und ökonomischen Verwerfungen in unserem Europa geführt. Völlig klar ist doch, dass es jetzt zu Veränderungen hin zu mehr Gerechtigkeit kommen muss, um den Euro und Europa zusammenzuhalten. Es muss zu einer Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion kommen. Man muss jetzt mit einer Investitionsoffensive und einer harten Bankenregulierung vorangehen. Man muss jetzt einen europäischen Währungsfonds installieren. Alles das wäre jetzt notwendig. Doch was war auf dem Juni-Gipfel der Europäischen Union? De facto hat man bis auf die Letztabsicherung beim Bankenfonds nichts entschieden. Sie haben alles auf die lange Bank geschoben, und ich sage Ihnen: Das ist verantwortungslos gegenüber unserem Europa. ({6}) Es zeigt sich nach dieser Haushaltswoche – das sieht man am Haushalt 2019 –: Ihnen fehlen die Kraft und der Wille, wirklich etwas zu verändern, wirklich etwas zu gestalten. Wir müssen die kommenden Haushaltsberatungen im Parlament nutzen, um diesen Haushalt noch zukunftsfest zu machen und Zentrales zu verändern. Wir werden dafür Vorschläge einbringen. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat der Kollege Dr. h. c. Hans Michelbach das Wort. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit etwas Persönlichem beginnen. Dies ist der 25. Bundeshaushalt, den ich heute mitberaten darf. ({0}) Meine Erfahrung: Haushaltsberatungen brauchen Klarheit und Sachlichkeit und müssen vor allem Perspektiven für die Zukunft aufzeigen. Was ich aber, meine Damen und Herren, in den vergangenen Tagen an politischer Skandalisierung, Verunsicherung und Stillosigkeit in unserem Parlament erlebt habe, ({1}) das ist genau das Gegenteil dessen, was die Menschen von uns erwarten, was die Menschen benötigen und was unser Land für die Zukunft braucht. ({2}) Wir als Union stellen unsere Politik der Mitte und der sozialen Marktwirtschaft dagegen. Sie ist die beste Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung unserer freiheitlichen Demokratie. Diese müssen wir erhalten und dürfen sie nicht durch solche Reden, wie sie hier gehalten wurden – mit Spaltpilzen, mit Anschuldigungen –, aufs Spiel setzen, meine Damen und Herren. ({3}) Dieser Haushalt ist für mich ein wichtiger Punkt, um den Menschen diese Politik der Mitte und der sozialen Marktwirtschaft noch einmal zu verdeutlichen. Dieser Haushalt ist geprägt von den Werten Freiheit, Solidarität und Eigenverantwortung, Mut und Optimismus. Die Erfolge dieser Politik sind doch unübersehbar: Rekordbeschäftigung, niedrigste Arbeitslosigkeit seit der deutschen Einheit, steigende Reallöhne, steigende Renten und anhaltendes Wirtschaftswachstum. ({4}) Das müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen. Mit dem vorliegenden Haushalt wird die Lage für die Menschen weiter verbessert. Das ist auch eine Tatsache. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. ({5}) Um einige Beispiele hinzuzufügen, wie wir die Lage der Menschen verbessern wollen: Erhöhung des Kindergelds, Verbesserung der Mütterrente, Anhebung der steuerlichen Grundfreibeträge, Abbau der ungerechten kalten Progression, Baukindergeld, Finanzierung von neuen Wohnungen, Ausbau der digitalen Infrastruktur, Ausbau und Modernisierung von Schienen- und Straßeninfrastruktur. Meine Damen und Herren, das sind keine Versprechen aus unserem Wahlprogramm, sondern das sind mit diesem Haushalt gelebte Tatsachen. Das können Sie mit scharfen Reden, wie Sie sie hier gehalten haben, auch nicht wegdiskutieren. Das sind die Tatsachen. Das ist die Wahrheit. ({6}) Zur Wahrheit gehört auch: Wir leben in einer Zeit tiefgreifender, schneller Veränderungen und Herausforderungen. Ich erinnere an die große Weltwirtschafts- und Finanzkrise vor fast auf den Tag genau zehn Jahren. Diesen Schock dürfen wir nie vergessen. Den erlebten Abgrund, vor dem wir standen, müssen wir immer vor Augen haben. Wie lautet das Fazit aus der Wirtschafts- und Finanzkrise? Es gibt keinen Automatismus in der wirtschaftlichen Entwicklung und für Stabilität am Finanzmarkt. Es braucht dafür immer wieder die richtigen Weichenstellungen, es braucht immer die richtigen Rahmenbedingungen. Dazu gehört auch die Vereinbarung im Koalitionsvertrag, keine Steuern zu erhöhen; denn man möchte keine kontraproduktiven Kräfte entfalten. Deshalb ist auch kein Platz für Gedankenspiele, für die Finanzierung künftiger Sozialausgaben die Steuern weiter zu erhöhen, wie das hier teilweise gefordert wurde. Das ist der falsche Weg. Wir müssen den Menschen in unserem Land größere Freiräume geben. Wir müssen sie entlasten, damit sie noch stärker am Wachstumserfolg teilhaben. ({7}) Dazu gehört nach meiner festen Überzeugung auch die vollständige Abschaffung des Solis. Wir brauchen ein einheitliches Soliabschaffungsgesetz. Das ist eine Frage der Wachstumsentwicklung, der Investitionsförderung und der politischen Glaubwürdigkeit. Wir brauchen, wenn wir Anreize für Investitionen setzen wollen, Freiräume für Investitionen. Für den Wohnungsbau und die Schaffung von Eigentum braucht man Eigenkapital, und da hilft eine niedrigere Steuerbelastung. So wird ein Schuh draus, meine Damen und Herren. ({8}) Wir stehen vor etlichen Herausforderungen. Wir brauchen wirtschaftliche Stabilität und Belebung der Konjunktur, auch für die Zukunft. Gleichzeitig droht Europa von den politischen Fliehkräften geradezu zerrissen zu werden. Deshalb müssen wir die Europäische Union an den richtigen Stellen stärken. Was allerdings nicht zielführend ist, ist die Vergemeinschaftung um der Vergemeinschaftung willen. Die richtigen Schlüsse können wir nur ziehen mit einem klaren Blick auf die Tatsachen. Die Risiken am Kapitalmarkt haben wieder zugenommen. Die lockere Geldpolitik und die zu hohe Verschuldung in der Europäischen Union gefährden wieder die Stabilität der Finanzmärkte. ({9}) Wir müssen deutlich machen: Grundlage für die Staatsschuldenkrise in Griechenland, Portugal, Irland oder Spanien waren Reformunwilligkeit, ({10}) überzogene konsumtive Ausgaben, massive Verstöße gegen die Maastricht-Kriterien und ein damit einhergehender Vertrauensverlust der Märkte in die Schuldenstaaten. Deshalb warne ich auch vor ideologisch getriebener Eile und falschen Weichenstellungen bei der Bankenunion. ({11}) Eine erfolgreiche Bankenunion kann nur auf sicheren Füßen stehen, wenn wir die notleitenden Kredite in den Bankbilanzen massiv abgebaut haben. ({12}) Es kann doch nicht sein, dass wir durch Einlagensicherung für alle Sparkonten die Risiken von Auslandsbanken übernehmen. ({13}) Die Bankenunion darf keine verdeckte Schuldenunion werden. Mit einer Schuldenunion hält man Europa nicht zusammen. Zusammenhalt bietet nur die Einhaltung der bestehenden Verträge. ({14}) Ein eigener Euro-Haushalt, eigene EU-Steuern, eine eigene EU-Arbeitslosenversicherung, eine Sozialunion auf europäischer Ebene, Einlagensicherung für alle Sparkonten – das ist letzten Endes nicht der Weg, den wir in Europa benötigen, weil damit auch ein Spaltpilz durch Europa gehen kann. Es muss der Weg der Vernunft gegangen werden. ({15}) Wir sind für Europa, aber nicht für ein Europa der Risiken und nichtkalkulierbaren Problemstellungen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege!

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deswegen ist es wichtig, dass wir, wie wir heute zufrieden feststellen können, die Maastricht-Kriterien mit diesem Haushalt einhalten und auch in Zukunft den Weg der Vernunft in der Finanzpolitik in Europa beschreiten. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Sonja Amalie Steffen das Wort. ({0})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Am Schluss der Haushaltswoche zum Etat 2019 kann man feststellen, dass wir in dieser Woche überwiegend sachliche Debatten geführt haben. Ich sage „überwiegend“, bis auf die Ausfälle von rechts außen. ({0}) Ich stelle fest, dass die AfD in dieser Woche keine konstruktiven Vorschläge gemacht hat, ({1}) egal ob es um Rente geht, um Pflege, Gesundheit, Arbeit, Familie oder was auch immer. Gerade in der letzten Debatte über den Etat des Gesundheitsministeriums haben wir einmal mehr festgestellt, dass es Ihnen nicht um das Thema geht, sondern nur darum, Angst und Hass zu schüren und die Gesellschaft zu spalten. Wie armselig! ({2}) Wir wissen, dass nicht nur wir die Debatten hören und sehen, sondern auch viele Menschen draußen, vor den Fernsehern oder im Internet. ({3}) Ich gehe davon aus, dass auch die Zuschauerinnen und Zuschauer haben verfolgen können, dass Sie in dieser Haushaltswoche wirklich nichts Konstruktives gesagt haben. Sie sind zwar in den Bundestag gewählt worden, ({4}) ja, aber gerade diese Woche hat gezeigt, dass Sie in diesem Haus nichts verloren haben. ({5}) Dies ist der zweite Etat, der unter dem guten SPD-Finanzminister Olaf Scholz geplant wurde. Wir können mit Fug und Recht feststellen, meine Damen und Herren, dass seine Planung sich durchaus sehen lassen kann. Eine nie dagewesene Summe von Steuergeldern – das haben wir heute schon gehört; ich will die Summe einmal nennen: 356,8 Milliarden Euro – steht für den Bundeshaushalt 2019 zur Verfügung. Und ja, das stimmt, in dem Haushalt steckt eine Menge sozialdemokratisches Herzblut. Der Kollege Berghegger hat vorhin ein bisschen bedauernd gesagt, ihm seien das zu viele Sozialausgaben. Ich kann das nicht feststellen, und da rede ich für die gesamte SPD-Fraktion. Wir sind froh, dass der Haushalt so viele Sozialausgaben enthält. Wir denken, dass wir damit viel zum Zusammenhalt in der Gesellschaft beitragen können. ({6}) Ich möchte einige Punkte noch einmal kurz herausstellen. Da wäre das Familienentlastungspaket. Wir entlasten Familien und Berufstätige 2019 und 2020 um circa 10 Milliarden Euro, indem wir das Kindergeld und die Steuerfreibeträge erhöhen und die Einkommensteuer um die kalte Progression bereinigen. Wir schaffen das Gute-Kita-Gesetz. Ich denke, das freut viele Bundesländer sehr, auch meins, Mecklenburg-Vorpommern. Wir geben 5,5 Milliarden Euro bis 2022 für die Kitas und werden dafür sorgen, dass gebührenfreie Kitas kommen, dass bessere Betreuungsschlüssel kommen und Erzieherinnen und Erzieher noch besser qualifiziert werden. Wir sorgen wieder für Parität in der gesetzlichen Krankenversicherung. Das betrifft 72 Millionen Versicherte. Wir entlasten diese Personen um insgesamt 8 Milliarden Euro jährlich. Den Mindestbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung für Solo-Selbstständige verringern wir um die Hälfte. Er wird von 350 Euro auf 170 Euro im Monat gesenkt; darüber haben wir vorhin in der Gesundheitsdebatte schon geredet. Ich denke, das hilft den vielen Solo-Selbstständigen bundesweit sehr, um monatlich über die Runden zu kommen. Auch für die Langzeitarbeitslosen tun wir eine Menge. Hier haben wir für 2019 knapp 1 Milliarde Euro in den Haushalt eingestellt. Ich weiß, gerade in Bundesländern bzw. Wahlkreisen, in denen die Arbeitslosigkeit immer noch sehr hoch ist, warten die Menschen darauf. Die Menschen wollen arbeiten, weil Arbeit ein Teil der Menschenwürde ist. Da rechnet man mit uns. Wir investieren aber auch in die Zukunft. Es geht nicht nur darum, die sozialen Ausgaben zu erhöhen, sondern auch darum, Investitionen zu tätigen. Wir investieren in die Bildung; das haben wir schon gehört. Der Bildungs­etat ist in diesem Jahr ein Rekordetat; er hat ein Volumen von 23,7 Milliarden Euro. Wir investieren viel in bezahlbaren Wohnraum; das ist sehr gut und wichtig. Wir investieren viel in das Internet, in diesem Jahr 2,4 Milliarden Euro über den Digitalfonds in den Breitbandausbau und die digitalen Schulen. Wir sorgen durch viele Stellen bei der Bundespolizei, beim Zoll und beim Bundeskriminalamt dafür, dass es mehr Sicherheit in unserem Land gibt. An dieser Stelle möchte ich den Kollegen Eckhardt Rehberg zitieren, der in der Generaldebatte gesagt hat: „… unter dem Strich ist der Bundeshaushalt 2019 solide und seriös.“ Das ist heute wiederholt worden, und das stimmt auch. Aber man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Vor uns liegt noch jede Menge Arbeit. Wir werden uns den Etat in den nächsten Wochen noch einmal genau anschauen. Wir haben schon gehört: Der Kollege Brinkhaus will mehr Geld für die Verteidigung haben. Wir von der SPD-Fraktion denken auch an die ODA-Quote, ({7}) und zwar vor allem an die humanitäre Hilfe.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Steffen, bitte kommen Sie zum Schluss.

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. – Mein letzter Satz: Ich freue mich auf die anstehenden Haushaltsverhandlungen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach vier intensiven Plenartagen darf ich als Digitalpolitikerin die Debatte für die Union abbinden. Wieso spricht eine Digitalpolitikerin als Letzte? ({0}) Vielleicht weil bisher noch niemand etwas zur Digitalisierung gesagt hat? Na ja, das glaube ich nicht. Denn in jedem Haushalt, in jedem Fachbereich spielt Digitalisierung eine zunehmend wichtige Rolle. Vielleicht weil Digitalisierung das Wichtigste ist und deshalb zum Schluss kommen sollte? ({1}) Das glaube ich schon eher. Ich bin der Meinung, das Digitale sollte künftig immer das letzte Wort haben. Unser Gesellschafts- und unser Wirtschaftsleben ändern sich so schnell. Wir müssen aufpassen, dass wir bei allen Gesetzgebungsverfahren, die wir durchführen, das Digitale immer mitdenken, dass wir uns von Anfang an fragen: Sind denn unsere Gesetze so gestrickt, dass sie den Herausforderungen und dem schnellen Wandel, in dem wir uns befinden, überhaupt noch gerecht werden? Haben wir die Entwicklungen, die sich etwa bei den Themen der künstlichen Intelligenz, von Big Data und der Plattformökonomie vollziehen, in unsere Gesetzgebung einbezogen? Das stellt auch uns Politiker vor völlig neue Herausforderungen. Deshalb freue ich mich auf die nächsten Jahre, in denen wir das Digitale immer mehr in unsere Gesetzgebung infiltrieren werden. Deshalb finde ich es auch gut, dass ich als Digitalpolitikerin heute das letzte Wort in dieser Debatte habe. Eric Hoffer, ein amerikanischer Philosoph, der in dem Jahr gestorben ist, in dem ich geboren wurde, ({2}) hat einmal gesagt: Wenn wir erst die technischen Möglichkeiten haben, Berge zu verschieben, wird es den Glauben nicht mehr brauchen, der Berge versetzen kann. Ich glaube, wir haben heute zwar nicht die technischen Möglichkeiten, um Berge zu verschieben, aber der Glaube allein wird eben auch nicht reichen. Wir brauchen auch eine gute Politik. In dem Haushalt, den wir für das kommende Jahr vorlegen, setzen wir die richtigen Schwerpunkte, um in einer sich immer mehr digitalisierenden Welt die Weichen richtig zu stellen. Ich kann sagen, dass jedes Ministerium mindestens einen digitalen Schwerpunkt gesetzt hat. Das ist sehr zu begrüßen, aber völlig klar ist: Wir müssen noch besser werden, vor allem müssen wir noch schneller werden, und wir müssen alles europäisch denken. Denn was ist Deutschland allein in einer Welt, die sich gerade aufgrund der Digitalisierung wahnsinnig schnell ändert, in der Kräfte wie China mit hohen Investitionen und einem ganz anderen Mindset massiv in digitale Lösungen investieren und in der auch von großen IT-Giganten aus den USA massiv in diesen Bereich investiert wird? Wir wissen, dass unser Wohlstand von diesem Thema abhängt. Wenn wir auch in den nächsten Jahren noch so gut in unserem Land leben wollen, dann müssen wir auch schauen, dass die Arbeitsplätze der Zukunft in unserem Land sind. Wenn wir mitreden wollen bei der Frage „Wie wird sich die Gesellschaft entwickeln?“, gerade in Zeiten künstlicher Intelligenz, dann müssen wir dafür sorgen, dass in dieser Entwicklung auch deutsche und europä­ische digitale Lösungen eine Rolle spielen. Da setzt unser Haushalt die richtigen Schwerpunkte. Ich nenne nur einige Stichworte, zum einen das Thema DigitalPakt. Zum ersten Mal investieren wir als Bund in die digitale Ausstattung der Schulen, mit 3,5 Milliarden Euro. Aber ich sage auch ganz klar: Das allein reicht nicht. Es reicht nicht, dass wir in die Infrastruktur investieren – was wir als Bund zum ersten Mal machen und weshalb wir auch extra das Grundgesetz ändern –, auch die Kommunen und vor allem die Länder müssen ihrer Verantwortung gerecht werden. Hier müssen die pädagogischen Konzepte entwickelt werden, hier müssen auch die strategischen Entscheidungen getroffen werden, wie sich Bildung im 21. Jahrhundert verändern muss, damit wir den Herausforderungen der Digitalisierung gerecht werden. Das ist Aufgabe der Länder und Kommunen. Wir erwarten, dass diese das auch tun, damit, wenn das Geld vom Bund kommt, es auch sinnvoll eingesetzt wird. ({3}) Ich nenne das Stichwort Wagniskapital. Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode mit dem Coparion Fonds, mit der Änderung beim Thema Verlustvorträge und mit den Änderungen bei „INVEST – Zuschuss Wagniskapital“ viele wichtige Maßnahmen gemacht, damit junge Unternehmen, die hier in unserem Land gegründet werden, auch wachsen können, groß werden. Aber wir sehen, dass, wenn es in die größeren Finanzierungsrunden geht, es immer noch schwierig ist, in Deutschland und in Europa zu wachsen. Deshalb ist das eine Aufgabe, die wir als Land uns stellen müssen für diese Wahlperiode. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, einen nationalen Digitalfonds zu gründen, wo auch institutionelle Investoren oder auch die großen deutschen Industrieunternehmen dazu beitragen können, dass kleine Unternehmen groß werden, dass Start-ups mit innovativen Ideen wachsen können. Wir brauchen das Gleiche auf europäischer Ebene. Ich nenne das Stichwort Breitband- und Mobilfunkausbau. Der Bundesverkehrsminister hat schon in diesem Jahr die Förderrichtlinie geändert, um dafür zu sorgen, dass der Breitbandausbau weitergehen kann. Unser Ziel muss sein, dass im nächsten Jahr die Schulen ans Netz gehen. Ich bin der Meinung, wir brauchen einen Sonderaufruf Schulen. Im nächsten Schritt müssen wir zusammen mit der Europäischen Kommission dafür sorgen, dass die Aufgreifschwelle gesenkt wird, damit wir endlich auch Gigabitnetze der Zukunft bauen können, in einem guten Miteinander zwischen Wettbewerb, privatwirtschaftlichem Ausbau und, dort, wo es eben sein muss, auch einer staatlichen Förderung. Das Gleiche gilt auch für den 5G-Ausbau. Gerade beraten wir bei der Bundesnetzagentur, welche Voraussetzungen für die Versteigerung der Frequenzen gegeben sein müssen. Ich kann sagen, dass das, was die Bundesnetzagentur uns bisher vorgelegt hat, noch nicht dem entspricht, was wir als Politik von dieser Ausschreibung verlangen. Wir wollen damit nicht groß Kasse machen, wir wollen, dass durch die 5G-Frequenzen-Auktion der Ausbau besser wird, das heißt, die weißen Flecken müssen geschlossen werden. Wir wollen das Ganze so gestalten, dass von dieser nächsten Mobilfunktechnologie 5G auch möglichst alle profitieren, in erster Linie natürlich die Flächen, wo 5G direkt zur Anwendung kommt, aber mittel- und langfristig eben auch das ganze Land. Das sind wichtige Initiativen, die wir gerade mit diesem Haushalt als Politik anstoßen. Alle Bundesministerien haben sich dem Thema Digitalisierung verpflichtet. Ich denke gerade an das Gesundheitsministerium, das mit seiner neuen Abteilung einen besonderen Schwerpunkt darauf legt, durch Digitalisierung im Gesundheitswesen eine bessere Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Mit dieser positiven Herangehensweise sollten wir auch die nächsten Jahre gestalten. Wir starten gerade mit der Enquete-Kommission KI. Ich hoffe, dass auch hier eine positive Weise gefunden wird, an dieses Thema heranzugehen. Denn wir können die Digitalisierung nicht aufhalten; aber wir können sie gestalten, und zwar so, dass wir alle davon profitieren. ({4}) Deshalb freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit allen Fachministerien und mit allen Fachausschüssen im Deutschen Bundestag. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/3400 und 19/3401 an den Haushaltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 26. September 2018, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 14.10 Uhr)