Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/13/2018

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

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Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt des Innenministeriums war schon im letzten Jahr ein Haushalt der Superlative. Er steigt jetzt noch einmal, um 1 Milliarde Euro auf über 15 Milliarden Euro. Wenn Sie das so verabschieden, dann sage ich schon im Vorhinein herzlichen Dank. In diesem gewaltigen Haushalt gibt es drei Bereiche, die ich heute in den Mittelpunkt stellen möchte, drei ausgesprochene Ausrufezeichen. Das Erste ist der Wohnungsbau. Meine Damen und Herren, bezahlbarer Wohnraum ist die soziale Frage unserer Zeit. ({0}) Deshalb bin ich froh, dass sich die Regierung auf ein umfassendes Paket für Mieter und Investoren verständigt hat. Da geht es nächste Woche Schlag auf Schlag. In der nächsten Woche ist der Start des Baukindergeldes: ({1}) 12 000 Euro pro Kind, auf zehn Jahre verteilt, rückwirkend ab 1. Januar dieses Jahres. ({2}) Es ist ein Programm, das den Familien die Tür zu ihren eigenen vier Wänden öffnet. ({3}) Das Baukindergeld beginnt also nächste Woche. Ende nächster Woche, am Freitag, ist der Wohnungsgipfel im Kanzleramt, mit der Kanzlerin und den beteiligten Ministerien. Wir wollen dort den Schulterschluss mit den Ländern, Kommunen und Verbänden pflegen und einen Grundstein für die größte Wohnraumoffensive, die es je von einer Bundesregierung gab, legen. Wir wollen damit den Startschuss für Initiativen geben, die zum Bau von 1,5 Millionen neuen Wohnungen in dieser Legislaturperiode führen sollen. Ich bin schon lange in der Politik tätig, kann mich aber nicht erinnern, dass zu irgendeiner Zeit eine so umfassende Offensive gestartet wurde. Es sind Milliarden Euro zusätzlich für den sozialen Wohnungsbau. Wir werden nächste Woche im Kabinett das Programm von Olaf Scholz beschließen, mit der Abschreibung für vier Jahre im freifinanzierten Wohnungsbau in Höhe von 5 Prozent zusätzlich. Das Baukindergeld habe ich gerade angesprochen. Wir werden die Städtebauförderung auf hohem Niveau fortführen. Und die Kollegin Barley hat ja schon im Kabinett eine Novelle zum Mieterschutz beschließen lassen, die hier noch zu beraten und zu verabschieden ist. Dies alles, meine Damen und Herren, ist die richtige Antwort auf die soziale Frage unserer Zeit: bezahlbarer Wohnraum. ({4}) Das zweite Thema, das zweite Ausrufezeichen, das große Rückwirkung auf den Bundeshaushalt hat, sind unsere Antworten auf die Migration, europapolitisch wie hier in der Bundesrepublik Deutschland. Ich darf Sie unterrichten, dass von dem Masterplan zur Migration, den ich vorgelegt habe, bereits zwei Drittel der Maßnahmen entweder schon in der Umsetzung sind oder sogar schon abgeschlossen sind. Ich bitte Sie, das Parlament, die wichtigen Dinge, die auch gesetzgeberisch zu erfolgen haben, wie zum Beispiel Regelungen zu sicheren Herkunftsstaaten, auch zu unterstützen. Ich darf Sie unterrichten, dass wir die von der Bundeskanzlerin vereinbarten Flüchtlingsabkommen abgeschlossen haben. Wir haben mit Spanien und mit Griechenland Flüchtlingsabkommen abgeschlossen. ({5}) Ich habe gerade erfahren: Das Abkommen mit Italien ist auch abgeschlossen. Es fehlen jetzt nur noch zwei Unterschriften: die von dem italienischen Kollegen und von mir. Um Reisekosten zu sparen, tauschen wir die Papiere aus – also wird es vielleicht noch ein paar Tage dauern –, damit wir nicht zur Unterschrift zusammenkommen müssen. Auch das ist ein Erfolg. ({6}) Wir haben die Zurückweisung an der deutsch-österreichischen Grenze für Menschen, die eine Einreisesperre haben, die Durchsetzung dieser Einreisesperre durch Zurückweisung an der Grenze. Auch das funktioniert. ({7}) Wir haben das BAMF personell und strukturell reformiert. Die Situation dort ist sehr geordnet, ist sehr motiviert. Da möchte ich mich beim ganzen Parlament bedanken, dass es über 1 600 zusätzliche Planstellen für das BAMF gab und über 4 000 befristete Arbeitsverträge in unbefristete umgewandelt wurden. Damit ist diese Behörde wieder richtig schlagkräftig. Ich darf euch auch noch davon unterrichten, dass wir gerade dabei sind, bei der Bremer Außenstelle Vorkehrungen oder Maßnahmen zu treffen, dass die Bremer Außenstelle auch wieder ihre Tätigkeit aufnehmen kann – die war ja unterbrochen durch diese Untersuchungen –; auch darüber bin ich froh. Also, ich darf dem Parlament sagen: Das BAMF ist auf dem besten Wege, eine ganz wichtige Aufgabe für unseren Staat zu erledigen. Ich danke auch den Mitarbeitern. ({8}) Wir werden jetzt, höchstwahrscheinlich noch im September, eine ganz wichtige Maßnahme treffen für legale Zuwanderung, nämlich das Fachkräftezuwanderungsgesetz. Wir sind da in den Endverhandlungen, auch in der Koalition. Ich denke, das wird uns im September gelingen. Dann werden wir, wie in der Koalition vereinbart, noch in diesem Jahr den Gesetzentwurf dafür vorlegen. Ich bin auch in Gesprächen mit der Wirtschaft; denn es ist ja im Interesse auch der Wirtschaft, Arbeitskräfte, die wir brauchen, auf einem legalen Weg in die Bundesrepublik Deutschland zu holen. Da kann uns die Wirtschaft durchaus unterstützen, wozu sie auch bereit ist.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Minister Seehofer, der Kollege Ehrhorn würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

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Das gilt für die verbleibenden 4 Minuten und 56 Sekunden auch, dass ich keine – –

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ich würde die Redezeit anhalten. Sie dürfen Ja oder Nein sagen.

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Nein.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nein.

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War das undeutlich? Nein. – Gut.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Sie sind frei.

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Also zur Fachkräftezuwanderung. Da möchte ich einen Vorschlag des Fraktionsvorsitzenden der FDP aufgreifen. Er hat gestern gesagt, es wäre ja erstrebenswert, in dieser ganzen Thematik der Zuwanderung den Versuch zu unternehmen, herauszufinden, ob es hier einen größeren gesellschaftlichen Konsens geben kann – auch zur Überwindung von Polarisierung. Wir werden uns also zuallererst eine Meinung in der Koalition bilden und einen Gesetzentwurf machen. Ich möchte Sie einladen, dass Sie sich daran beteiligen – ich hoffe, dass Sie das tun werden –, damit wir bei einer so wichtigen Frage vielleicht sogar Zustimmung über die Koalition hinaus erreichen. ({0}) Das dritte Thema mit Ausrufezeichen betrifft unsere Sicherheitsoffensive. Seit vielen Jahren wird – darauf lege ich Wert; wir beginnen nicht erst jetzt mit der Sicherheit – in der Bundesrepublik Deutschland eine Sicherheitsoffensive durch den Bund durchgeführt. Wir führen sie noch weiter. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass diese Offensive gewaltigen Erfolg zeitigt. Laut der Kriminalitätsstatistik des Jahres 2017 haben wir in der Bundesrepublik Deutschland die niedrigste Kriminalitätsrate und die höchste Aufklärungsquote seit 30 Jahren. ({1}) Das ist wichtig. Wir haben in diesen Tagen wieder erlebt, dass ein starker Rechtsstaat eine starke Polizei braucht. Ich bin auch dem Bundespräsidenten dankbar, dass er vor einigen Tagen erklärt hat: Wir brauchen eine starke Polizei. – Ich möchte diese Gelegenheit wahrnehmen, um der Polizei auf verschiedenen Ebenen, den betroffenen Länderpolizeien aus Sachsen und Sachsen-Anhalt, aber auch der Bundespolizei und den Landespolizeien anderer Bundesländer, zu danken; denn bei allen Diskussionen, die wir hier geführt haben und führen, dürfen wir nicht vergessen, dass die Polizei einen sehr guten Dienst geleistet hat. ({2}) Meine Damen und Herren, ich möchte, obwohl ich es wiederholt öffentlich gesagt habe, auch gestern im Innenausschuss, noch einmal ganz klar sagen, was meine persönliche Linie und die Linie in meinem Haus ist: Bei uns gibt es null Toleranz für Rechtsradikalismus, null Toleranz für Antisemitismus, null Toleranz für Ausländerhetze und Ausländerhass. Wo immer so etwas stattfindet, wird es von uns ohne jeden Kompromiss verfolgt. ({3}) Wir haben gestern im Innenausschuss und vorher in anderer Besetzung im Parlamentarischen Kontrollgremium den Bericht und die Ausführungen des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz gehört. Er hat umfassend und aus meiner Sicht überzeugend seine Handlungsweise dargelegt. ({4}) Er hat manche Verschwörungstheorien überzeugend entkräften können. ({5}) Ich möchte auch sagen: Er hat überzeugend Position bezogen gegen den Rechtsradikalismus, immer und immer wieder. ({6}) Ich kenne ihn schon länger und weiß dies auch schon länger. Es ist aber wichtig, dass er dies gestern so eindeutig und wiederholt gesagt hat. Meine Damen und Herren, es ist kein Mangel, wenn der Präsident einer Behörde die Kraft aufbringt, Bedauern über die Wirkung eines Interviews zum Ausdruck zu bringen. ({7}) Deshalb hat – das möchte ich Ihnen sagen – Präsident Maaßen weiterhin mein Vertrauen als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als neue Bundesregierung sind ziemlich genau auf den Tag sechs Monate im Amt. Wir hatten uns ja den Vorsatz gegeben: Wir haben verstanden, und wir wollen die Spaltung der Gesellschaft überwinden. Wenn ich mir jetzt erlauben darf, die wichtigsten Maßnahmen dieser sechs Monate in Erinnerung zu rufen: Das war nicht nur erstaunlich viel, was wir diskutiert und entschieden haben, sondern es dient auch sehr dem Ziel, vor dem Hintergrund der sozialen Fragen die Polarisierung in unserer Gesellschaft zu überwinden. Wir haben ein Rentenpaket mit einer Stabilisierung des Rentenniveaus auf viele Jahre, einer Verbesserung der Erwerbsunfähigkeitsrente und einer Verbesserung der Mütterrente verabschiedet. Wir haben ein Paket für die Arbeitslosenversicherung mit einer Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge um 0,5 Prozentpunkte und der Eröffnung von Fortbildungsmaßnahmen durch die Bundesagentur für Arbeit im Bereich der Digitalisierung verabschiedet. Die Kollegin Barley hat eine wirksame Mieterschutznovelle vorgelegt, die die galoppierenden Mieterhöhungen, vor allem in den Ballungsräumen, dämpfen soll. Wir werden jetzt unsere Überlegungen zum Thema Fachkräftezuwanderung finalisieren und in einen Gesetzentwurf gießen, und wir haben im Bereich der Migration ein ganzes Stück mehr Ordnung geschaffen. Wir sind kurz vor dem Ziel. Wenn noch eine europäische Lösung zustande kommt, dann können wir sagen: Das ist das Regelwerk für die Zukunft. Wenn ich das alles nach sechs Monaten im Zusammenhang betrachte, dann denke ich, dass diese Bundesregierung eine vorzügliche Arbeit geleistet hat. ({9}) Wir haben unseren Auftrag aus dem Koalitionsvertrag ernst genommen, nämlich auf die Menschen zu hören, in ihrem Sinne zu handeln und die sozialen Fragen unserer Gesellschaft zu beantworten, um dadurch – damit bin ich wieder bei meinem Aufgabenbereich – den Zusammenhalt in unserer Bevölkerung zu stärken. Ich danke. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Abgeordnete Dr. Gottfried Curio, AfD. ({0})

Dr. Gottfried Curio (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004698, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungspolitik im Innenressort ist grundsätzlich zu ändern. Die Milliardenkosten für die Migration spotten der eigentlichen Probleme: 700 000 Abgelehnte werden weiter alimentiert, trotz Defiziten bei Bildung, Renten, Wohnen, Sicherheit und Riesenschuldenlast. Kein Geld der Welt wird so schnell Lehrer, Polizisten und Wohnungen aus dem Boden stampfen, wie diese importierten Probleme wachsen. Die Gerichte kollabieren unter Asylklagen, 170 000 Haftbefehle werden nicht vollstreckt, die ordnende Kraft dieser Republik zerfällt. ({0}) Die Proteste entstanden eben nicht in einem friedlichen Chemnitz vor 2015. Seither nehmen dort Schlägereien, Diebstähle, Vergewaltigungen dramatisch zu – alles durch illegal eingedrungene Migranten, die von der arbeitenden Bevölkerung auch noch alimentiert werden müssen. Da reicht es nicht: Wir machen die Illegalität zur Legalität – das könnte auch ein Mafiaboss sagen. Da werden Schüler ausgeraubt. Mit gezogenem Messer wird ihnen Handy, Geld, Kleidung entwendet. Im Freibad werden Leute bespuckt, geschlagen, Mädchen sexuell belästigt. Auf der Straße herrscht das Recht des Stärkeren, das Recht der Messer. Duisburg, Berlin, Köln, Chemnitz: überall No-go-Areas. ({1}) Aber laut Regierung haben Bürger bloß Ängste, und wer protestiert, ist Nazi. Den Deutschen wird in Chemnitz, wie anderswo, ihr täglicher friedlicher Lebensraum genommen. Das ist das Problem. ({2}) Die Regierung predigt Zusammenhalt, sie selbst aber spaltet; ({3}) verurteilt lieber zu Recht empörte Demonstranten als die Gewalttaten, deretwegen demonstriert wird. Der Mord von Chemnitz war keineswegs der berühmte Einzelfall. Er steht in einer ganzen Serie von Messermorden, verübt von illegal zugewanderten, nicht abgeschobenen Asylbetrügern – ein todbringendes Versagen der deutschen Regierung und Behörden. Diffamiert aber werden Bürger, die dagegen aufstehen. Frau Merkel, blind und taub für Migrantengewalt, sieht nichts als rechte Gewalt. Den Bürgern langt’s: Das massenhafte Unrecht der Illegalität wird toleriert, Migrantenkriminalität aber bagatellisiert, und Proteste werden kriminalisiert. Der Kampf gegen rechts ist ein Kampf gegen Recht. Die Hass- und Hetzjagd gegen die größte Oppositionspartei wird eskaliert, je mehr Bürger in ihr ihren einzigen Anwalt erkennen. Selbst der Verfassungsschutz soll jetzt gleichgeschaltet werden. Wenn der Chef Frau Merkel nicht nach dem Munde redet und wie sie Fake-Interpretationen der Antifa verbreitet, soll er weg. Die Haltung der Regierung nach all den Morden, Messerattacken, Vergewaltigungen ist nun klar: Sie wird nichts tun, gar nichts. Es geht mit dieser Migrationspolitik immer munter weiter. Merkel und Co benutzen das Fehlverhalten einiger weniger, um Tausende friedliche Demonstranten zu verleumden und so von ihrer eigenen politischen Mitverantwortung an Migrantenverbrechen abzulenken. ({4}) Warum stellen Regierung und Medien die Fakten auf den Kopf, vertauschen die Opferrollen? Man beschuldigt den, an dem man selbst schuldig geworden ist: die einheimische deutsche Bevölkerung. Das Gewissen dieser Regierung ist schwarz und nichts so groß wie die Angst vorm eigenen Volk. ({5}) Wir erinnern an die Grenzöffnung 2015: eine Ausnahmesituation, wurde behauptet, ein Dauerzustand etabliert, ({6}) Recht gebrochen! Niemand, der Deutschland zu Lande erreicht, ist laut Gesetz Flüchtling. Zurückweisung an der Grenze ist rechtens. Merkels Mantra: „Nicht zulasten Dritter“, heißt: alles zulasten Deutschlands: ({7}) Wir nehmen alle, zahlen alles. ({8}) Meine Damen und Herren, nach der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, 1914, erleben wir etwa 100 Jahre später im Herbst 2015 einen beispiellosen Dammbruch: für Völkereinwanderung und Kulturkampf. ({9}) Dieses Ereignis wird die Urkatastrophe des 21. Jahrhunderts sein. Nur sofortiges Gegensteuern kann unser Land retten; ({10}) denn der Druck der vielhunderttausendfachen Zuwanderung hält an. Und es kommen keine Erwerbstätigen. Die Tür steht weiter offen. Jeder darf Asyl lügen, selbst nach Durchquerung sicherer Drittstaaten. Deutschland bietet lukrativste Aufnahmebedingungen weltweit. Die sogenannte Fluchtursachenbekämpfung scheitert an der sich gerade verdoppelnden afrikanischen Bevölkerungsmilliarde. Und auch sowieso: Stütze in Deutschland bringt mehr als Arbeiten in Afrika. Und die schon reingelassene Million bildet demografisch und kulturell den politischen Sprengsatz im Innern, das Ende jeder Integration. Meine Damen und Herren, wer vor all dem die Augen verschließt und immer nur Weiter-so macht, egal wie viele Bürger noch sterben müssen, der hat seinen Amtseid bereits gebrochen. Schluss damit! Wir brauchen eine alternative Politik für Deutschland. ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Eva Högl, SPD. ({0})

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Schönen guten Morgen! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen besonders, aber schon seit längerem machen wir uns alle Sorgen um unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat. Wenn der Hitlergruß gezeigt wird, wenn Hakenkreuze zu sehen sind und wenn Reden voller Hass und Hetze gehalten werden, ({0}) auch hier im Deutschen Bundestag, wie eben wieder zu hören war, dann wissen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir alles dafür tun müssen, unsere Demokratie zu stärken, ({1}) sie wehrhaft zu machen und unseren Rechtsstaat handlungsfähig zu halten. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe. ({2}) Ich möchte in dieser innenpolitischen Debatte aber auch noch einmal sagen: Wir leben in einem der sichersten Länder der Welt. Auch das ist eine Wahrheit. ({3}) Wir haben einen Rückgang an Straftaten, und wir haben einen Anstieg der Aufklärungsquote. Und trotzdem ist jede einzelne Straftat natürlich eine Straftat zu viel. ({4}) Wir wissen auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sicherheit nicht nur Fakten und Daten sind, nicht nur objektiv zu bestimmen ist, sondern auch ein Gefühl ist. Es besorgt uns natürlich, wenn Menschen sagen, sie fühlen sich unwohl im öffentlichen Personennahverkehr, auf Plätzen, in Parks oder sogar in ihrer Wohnung. ({5}) Diese Sorgen müssen wir sehr ernst nehmen. Sie sind für uns hier im Deutschen Bundestag ein Auftrag, tätig zu werden. ({6}) Der Haushalt 2019 schafft die Grundlage dafür, dass wir die richtigen Weichen stellen. Wir wollen diese Sorgen ernst nehmen und daraus die richtigen Konsequenzen ziehen. Wir haben einen Mix aus Maßnahmen: Wir brauchen gute Gesetze. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen auch nicht jeden Tag neue Gesetze, sondern diese Gesetze müssen vor allen Dingen von den Behörden in Bund und Ländern angewandt werden. ({7}) Wir brauchen viel Polizei vor Ort, damit die Polizei sichtbar ist. Auch das stärkt das subjektive Sicherheitsgefühl. Wir brauchen natürlich auch gesellschaftlichen Zusammenhalt und Prävention. Ich möchte hier heute auch sehr deutlich sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen, so wichtig das Thema „Migration, Asyl und Flucht“ ist: Aber Innenpolitik ist viel mehr. Innenpolitik ist gut funktionierende öffentliche Verwaltung, Digitalisierung, Cybersicherheit, ({8}) die Bekämpfung von Alltagskriminalität und organisierter Kriminalität und nicht zuletzt von Terror. ({9}) Dafür sorgen wir mit diesem Bundeshaushalt: dass wir da die Behörden gut ausstatten, dass wir sie mit ausreichend Personal versorgen – das ist ein wichtiger Baustein: Personal und Ausstattung – und dass wir auch effiziente Verfahren haben, damit der Rechtsstaat stark und handlungsfähig ist. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es braucht auch Vertrauen in die Sicherheitsbehörden – das ist ein ganz wichtiger Aspekt –, in Polizei, in Justiz und – ich sage das aus aktuellem Anlass – auch und insbesondere in den Verfassungsschutz. Wir alle wissen, wie wichtig Vertrauen ist. ({11}) Deswegen sage ich an dieser Stelle: Die SPD ist nicht überzeugt, dass Herr Maaßen das Vertrauen wiederherstellen konnte, ({12}) und sie ist nicht überzeugt, dass er das Vertrauen, das er selbst erschüttert hat, perspektivisch wiederherstellen kann. Deswegen halten wir ihn – das sage ich für die SPD-Fraktion – leider nicht mehr für den Richtigen an der Spitze des Verfassungsschutzes. ({13}) Herr Seehofer, deswegen bitte ich Sie, darüber noch einmal nachzudenken. Frau Bundeskanzlerin, auch Sie bitte ich, an dieser Stelle für Klarheit zu sorgen. Denn nirgendwo ist Vertrauen wichtiger als beim Verfassungsschutz, und wir wissen, dass kein Zweifel daran bestehen darf – weder beim Verfassungsschutz noch sonst wo –, dass Rechtsextremismus konsequent bekämpft werden muss. ({14}) Rechtsextremismus ist eine ernste und zurzeit die Bedrohung für unsere Gesellschaft: 24 000 Personen sind rechtsextrem. Die Hälfte davon ist gewaltbereit. 16 500 Personen sind Reichsbürger, und im Jahr 2017, im letzten Jahr, gab es 20 000 rechtsextreme Straftaten. Eine Lehre aus NSU und der fürchterlichen Mordserie ist, dass in unserem Land nie wieder Rechtsextremismus verharmlost werden darf. ({15}) Aus dieser Lehre aus NSU folgt die Konsequenz, dass wir die Sicherheitsbehörden gut aufstellen müssen und dass sie auch unser uneingeschränktes Vertrauen haben müssen. Wenn daran nur der kleinste Zweifel besteht, dann gibt es ein Problem. Deswegen sollten wir hier anders handeln. ({16}) Wir alle sind gefragt, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier im Parlament und in der Gesellschaft eine wehrhafte Demokratie und einen starken Rechtsstaat zu schaffen. Wir legen mit dem Haushalt die Grundlagen dafür, und die Koalition geht die richtigen Maßnahmen an. Vielen Dank. Ich freue mich auf die weitere Beratung. ({17})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Stefan Ruppert, FDP. ({0})

Dr. Stefan Ruppert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Seehofer, Sie sagen: Die Bundesregierung hat in einem halben Jahr hervorragende Arbeit geleistet. – Das sehen 31 Prozent der Menschen in diesem Land wie Sie. Ist es nicht erschütternd – und das sage ich jetzt ganz wertfrei –, wenn hinter einer Großen Koalition, die in den 70er-Jahren noch über 90 Prozent der Menschen hinter sich wusste, heute noch vielleicht 40, 42 oder 45 Prozent der Wahlberechtigten stehen? Muss eine solche Große Koalition sich nicht Gedanken machen, wenn nur noch ein Drittel der Menschen der Auffassung ist, CDU, CSU und SPD leisten gute Arbeit? Vertrauen sieht für mich anders aus. ({0}) Ich erlebe Sie oft als Menschen, der dieser Frage durchaus nachgeht, wie in Ihrem Artikel über Heimat. Wir hätten viel lieber über Digitalisierung gesprochen, aber Sie haben von Heimat, Zusammenhalt und Gemeinsinn gesprochen und gefragt: Wie entsteht so etwas? Diese Fragen werden zu Recht gestellt. Aber liegt es nicht im Kern daran, dass die Politik, die Sie seit vielen Jahren betreiben und die Frau Merkel „asymmetrische Demobilisierung“ nennt, eine Politik ist, die die realen, wichtigen Fragen der Mitte unserer Gesellschaft nicht mehr stellt, und eine Gesellschaft, die ihre Gegensätze nicht ausdiskutiert, streitbar und hart in der Sache, aber fair im Umgang und Stil, auf Dauer die Ränder stärker macht und die Mitte schwächt? Wir müssen wieder mehr politische Debatten für die Mitte in diesem Land führen. ({1}) Sie sagen, die Migrationsfrage sei die Mutter aller Probleme. Wir werden in den nächsten Jahren vor der Aufgabe stehen, nicht nur Einwanderung zu ordnen, sondern auch erfolgte Einwanderung sozusagen zum Erfolg zu machen. Das wird sehr schwierig, wie wir alle wissen. Wenn Sie dann den Menschen, die zu uns gekommen sind – den Deutschen aus Russland, den jüdischen Kontingentflüchtlingen, die in den 90er-Jahren gekommen sind, den Türken und den Moslems –, sagen: „Sie sind die Mutter aller Probleme“: Wie soll eine Integration in diesem Land gelingen, wenn Sie vielen Millionen quasi ein personifiziertes Misstrauensvotum aussprechen? Ich glaube, das ist fahrlässig und brandgefährlich. ({2}) Wir reden häufig über die Fragen, die viele an den Rändern betreffen. Ich habe kein Verständnis dafür, dass in meiner Heimatstadt jemand, der seit vielen Jahren einen Arbeitsplatz hat und gut integriert ist, abgeschoben werden soll. Ich habe auch kein Verständnis dafür, dass im Gegenzug ein Gefährder wie Sami A. – weil Sie es unterlassen haben, eine entsprechende Aktivität zu entfalten – in unser Land gegebenenfalls zurückgeholt werden muss. Das versteht niemand. Ein integrierter Arbeitnehmer muss gehen, während ein Gefährder für Leib und Leben vieler Menschen zurückgeholt werden muss. Das ist doch Irrsinn und kann keinem erklärt werden. ({3}) Leider tragen auch die Grünen nicht dazu bei, dieses Problem zu lösen. Ihre Wähler werden Ihnen vielleicht andere Fragen stellen. ({4}) – Ich habe den ersten Teil meiner Rede so gestaltet, dass ich auch von Ihnen Applaus bekommen habe. ({5}) Versteht irgendein Mensch, dass trotz der Prüfung, die im Einzelfall erfolgen kann, die Grünen sagen: „Tunesien ist kein sicheres Herkunftsland“? ({6}) Offen gesagt, untergräbt das das Vertrauen in unsere Gesellschaft, was die Grünen im Bundesrat an dieser Stelle tun. Ich habe null Verständnis dafür. ({7}) Ich habe Herrn Maaßen seit 2012 immer als jemanden erlebt, der gerne Parlamentarischer Staatssekretär der CDU/CSU gewesen wäre. So hat er sein Amt ausgeübt, mit einem politischen Überschuss. Man hat sich immer schlechter informiert gefühlt, wenn man nicht seiner Partei angehört hat. Insofern habe ich seit langem nicht das Vertrauen, dass er wie ein Behördenleiter sozusagen mit preußischem Amtsethos alle gleichermaßen informiert. Er hat ein politisches Programm und unterlässt es, Vertrauen in diese wichtige Behörde aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen. Das bedauere ich sehr. ({8}) Am Ende noch ein Wort zu Herrn Curio, obwohl ich es mir zum Vorsatz gemacht habe, zu so etwas nichts zu sagen. Aber wer sagt, 1914/15 sei die eigentliche Urkatastro­phe der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, lässt etwas aus und vermittelt für mich den falschen Eindruck. ({9}) Auch für mich ist zwar der Erste Weltkrieg eine Urkatas­trophe. Aber der Zweite Weltkrieg und der Holocaust sind die eigentliche Urkatastrophe der deutschen Geschichte. ({10}) Wenn Sie solche Sätze mit einer gewissen freudigen Erregung sagen, dann weiß ich, dass nach Ihrer stillen Revolution meine Werte in diesem Land nichts mehr bedeuten. Ich hoffe, dass es niemals dazu kommt, dass Sie Ihre Werte durchsetzen. Ihre Revolution stößt auf unseren Widerstand. Vielen Dank. ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Victor Perli, Fraktion Die Linke. ({0})

Victor Perli (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Warum wird eigentlich nur über die Entlassung des Geheimdienstchefs Maaßen gesprochen? In den letzten Wochen ging es eigentlich auch um den überfälligen Rücktritt des Innenministers. ({0}) Die Affäre Maaßen, die wir nun jeden Tag erleben, ist nur ein Teil der Affäre Seehofer. ({1}) Der Minister deckt einen Geheimdienstchef, der den rechten Mob in Chemnitz verharmlosen wollte. Der Minister beleidigt über 19 Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte in diesem Land als Ursache aller Probleme. ({2}) Der Minister, der für innere Sicherheit zuständig ist, freut sich über Straftaten, wenn sie von denen begangen werden, die er dann schneller abschieben kann. Das ist doch komplett irre. Nicht nur der Geheimdienstchef muss entlassen werden. Auch dieser Innenminister muss zurücktreten. Sonst muss er entlassen werden. ({3}) Das Innenministerium möchte im kommenden Jahr 1 Milliarde Euro mehr ausgeben. Aber was soll damit gemacht werden? Herr Seehofer ist mit dem großen Versprechen angetreten, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, und er hat als Bauminister versprochen, sich intensiv um bezahlbares Wohnen zu kümmern. Aber die Bevölkerung, wir alle erleben jeden Tag, dass er sich um diese Versprechen gerade nicht kümmert, auch nicht im Haushaltsplan 2019. Das zusätzliche Geld möchte er stattdessen in die innenpolitische Aufrüstung stecken, in die Überwachung, in eine neue Behörde für den Cyberkrieg und es Immobilienkäufern statt Mietern geben. Dabei fehlt das Geld für so wichtige Aufgaben. Ein zentraler Bereich der öffentlichen Sicherheit in diesem Land ist der Zivil- und Katastrophenschutz. Das Deutsche Rote Kreuz und weitere Hilfsorganisationen haben Alarm geschlagen. Deutschland ist nicht gut auf den Katastrophenfall vorbereitet, zum Beispiel bei Hochwasser oder Epidemien. Bislang wäre es im Ernstfall nicht mal möglich, 50 000 Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen, mit Zelten, Matratzen und anderem. Auch die Fuhrparke von Feuerwehren sind oft veraltet, weil Geld fehlt. Die Linke sagt: Hier muss dringend mehr investiert werden. ({4}) Ein anderes Beispiel. Es gibt 1,3 Millionen Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, die, nachdem sie die Miete gezahlt haben, weniger als Hartz IV zum Leben haben. Aber obwohl die Mieten steigen und steigen, haben immer weniger Menschen Anspruch auf Wohngeld. Die Mittel im Bauhaushalt sinken seit Jahren, weil sich Union und SPD weigern, die Wohngeldtabelle der Realität anzupassen und den Mietzuschuss aufzustocken. Die Linke sagt: Hier muss dringend mehr investiert werden. ({5}) Anstatt diese Probleme tatkräftig anzugehen, wird jede Menge Geld für unsinnige Projekte rausgeschmissen. Um ein Beispiel zu nennen: Es gibt bereits zwei Behörden, die sich um die Sicherheit in der Informationstechnik kümmern. Jetzt soll eine dritte Behörde dazukommen, eine Cyberagentur. 20 Millionen Euro stecken das Innenministerium und das Verteidigungsministerium hinein. Aber es geht nicht um den IT-Schutz; denn dann hätte man das Geld ja an das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik geben können. Es geht um eine neue Behörde, die Cyberangriffe durch staatliche Stellen ermöglichen soll, die Trojaner bauen soll, auch um Bürgerinnen und Bürger zu beschnüffeln. Der Wissenschaftliche Dienst dieses Hauses, des Bundestages, hat bereits gewarnt, dass dieses Vorgehen verfassungswidrig sein dürfte. Die Linke lehnt solche Projekte ab. Wir wollen keinen Cyberkrieg, und wir verteidigen die Bürger- und Freiheitsrechte. ({6}) Herr Minister Seehofer, mit Blick auf das, was in Chemnitz passiert ist, hätte ich mir einen Innenminister gewünscht – viele Menschen in diesem Land auch –, der die Stadt an Ort und Stelle besucht, um ein starkes Zeichen gegen Gewalt und Fremdenhass zu setzen. Als Integrationsminister ist es Ihr verdammter Job, rechter Hetze entgegenzutreten, ({7}) Ängste und Sorgen sachlich zu entkräften, anstatt den Ausländerhassern gemeinsam mit Ihrem Geheimdienstchef nach dem Munde zu reden. Deswegen fordern wir Sie auf: Erstens. Korrigieren Sie die Schieflage in diesem Haushalt! Zweitens. Entlassen Sie Geheimdienstchef Maaßen! Drittens. Treten Sie anschließend selbst zurück! Wenn Herr Seehofer das nicht macht, dann, liebe Große Koalition, entlassen Sie den Innenminister. Vielen Dank. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestern waren wir Zeugen eines bizarren Schauspiels hier im Haus. Der Behördenchef des Bundesamts für Verfassungsschutz verwandelte die eine krude Verschwörungstheorie, dass die rechtsextremen Ausschreitungen von Chemnitz nicht so schlimm gewesen seien, in eine andere Verschwörungstheorie, nämlich dass die Medien durch ihre falsche und verzerrende Berichterstattung schuld an der aufgeheizten Stimmung und der gesellschaftlichen Spaltung in diesem Land seien. ({0}) Das alleine, meine Damen und Herren, ist ein unfassbarer Vorgang. ({1}) Beide Theorien sind weitgehend faktenfrei vorgetragen worden, und beides sind – das konnten Sie an den Einlassungen von Herrn Curio eben und an dem Applaus sehen – nichts anderes als rechte, ja rechtsextreme Verschwörungstheorien. ({2}) Die Verbreitung solcher Theorien und Erzählungen verbietet sich für jeden in diesem Land, der Verantwortung trägt, erst recht für einen Chef der Bundesbehörde „Bundesamt für Verfassungsschutz“, meine Damen und Herren. ({3}) Die letzten Wochen und Monate haben einmal mehr deutlich gemacht: Unsere freiheitliche demokratische Grundordnung steht unter Druck. Sie ist massiv unter Beschuss, und diejenigen, die unsere Freiheit und unsere Toleranz hassen, den liberalen Rechtsstaat und unser demokratisches System offen infrage stellen, sitzen längst auch in diesem Parlament, nämlich dort.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege von Notz, der Kollege Braun würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, vielen Dank. – In diesen Zeiten kommt es darauf an, dass wir, die überwältigende Mehrheit in diesem Land und in diesem Parlament, unsere Verfassung als Demokraten gemeinsam entschlossen verteidigen, meine Damen und Herren, und das heißt selbstverständlich, dass wir die entsetzlichen Straftaten in Chemnitz und Köthen von der Justiz entschlossen und unnachgiebig verfolgen lassen und dass sie auch scharf bestraft werden. ({0}) Aber das heißt eben auch, dass man denjenigen, die solche Straftaten nutzen wollen, um verständliche und legitime Trauer für Volksverhetzung zu missbrauchen, ({1}) und denjenigen, die aus den Problemen und Herausforderungen der Migration eine neue Rassenideologie konstruieren wollen, ganz entschieden und entschlossen mit allen Mitteln des Rechtsstaats entgegentritt. ({2}) Neben den Äußerungen von Herrn Maaßen zu Chemnitz war frappierend, zu was er sich nicht geäußert hat: das offene Auftreten der Adolf-Hitler-Hooligans, das Skandieren „Für jeden toten Deutschen einen toten Ausländer“, die massiven antisemitischen Übergriffe, die Körperverletzungen, der Landfriedensbruch, Hitlergrüße, insgesamt bisher über 120 Ermittlungsverfahren – all das megaverfassungsschutzrelevant. All das war dem Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz nicht eine Silbe wert, nicht eine! Stattdessen gestern Wortklauberei, Relativierung und Semantikseminare! Sie wollten gerade nach dem NSU Vertrauen zurückholen für den Verfassungsschutz. Das ist nicht gelungen. Das Vertrauen ist massiv erschüttert, meine Damen und Herren. ({3}) Deswegen brauchen wir einen glaubwürdigen und konsequenten Neuanfang, personell und strukturell. Wir haben dazu ganz konkrete Vorschläge gemacht. Herr Seehofer, durch die Übernahme der vollen Rückendeckung für Herrn Maaßen haben Sie sich gestern einen Kronzeugen gegen Ihre eigene Politik geschaffen, gegen die Politik, die die CSU seit über zwölf Jahren bei jeder Entscheidung hier mitträgt, gegen die Sie aber mit maximaler Härte und Rhetorik weiterhin Stimmung machen. Dazu Ihr aufgeblähtes Ministerium, das entgegen Ihren Ausführungen eben weder im Bereich Heimat noch im Bereich Wohnen noch im Bereich Integration noch in anderen Bereichen Relevantes liefert, Ihr Stellungskrieg in der Bundesregierung gegen Frau Merkel, gegen weite Teile der CDU, ({4}) gegen die SPD, gegen die gesamte Opposition, Ihre anhaltenden Liebesbekundungen, Herr Seehofer, gegenüber Leuten wie Viktor Orban, gegen den das EP gestern ein Rechtsbruchverfahren eingeleitet hat – ({5}) all das, meine Damen und Herren, ist ein Prozess der Selbstzerrüttung. Sie schaden damit, mit dieser irrational abgründigen Dialektik, dem Ansehen der Politik insgesamt, aber eben auch diesem Hohen Haus, und das ist in diesen Zeiten einfach politisch verheerend. ({6}) Ich sage Ihnen voraus, Herr Seehofer, dass Sie der gestern verstrichenen Chance, einen glaubwürdigen Neuanfang zu machen und eine klare Linie zu ziehen, noch sehr hinterhertrauern werden. Ganz herzlichen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Zu einer Zwischenbemerkung erteile ich das Wort dem Kollegen Braun, AfD. ({0})

Jürgen Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004680, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke, Herr Präsident, für die Ermöglichung einer Kurzintervention. – Herr von Notz, Sie leben fernab der Realität. Es ist unglaublich: Hinter Ihrer linksgrünen Hypermoral, in der Sie sich sonnen als Edelster aus dem Norden, hinter dieser linksgrünen Hypermoral lauert ein totalitäres Denken. Andere Meinungen sind bei Ihnen nicht vorgesehen, Herr von Notz. ({0}) Wie können Sie allen Ernstes bestreiten, dass es Medienfälschung gröbster Art unmittelbar nach Chemnitz und in den Tagen danach gegeben hat? Die ARD-„Tagesthemen“ haben diese Fälschung selber zugegeben, sie aber verschwurbelt einen Fehler, ein Versehen genannt. ({1}) Es wurden gezielt grölende Horden mit friedlichen Demonstranten zusammengeschnitten, um übelste Propaganda gegen freiheitlich denkende Menschen zu machen, die sich über einen Mord beklagt haben. ({2}) Ja, und das ist noch nicht alles. ({3}) Wir haben glaubwürdige Hinweise von Zeugen aus dem Umfeld des Opfers. Freunde des Toten von Chemnitz sagen, dass es nach diesem ach so tollen Friedenskonzert dieser linksradikalen Schmuddelrocker, zu dem der Bundespräsident schändlicherweise aufgerufen hat, ({4}) den Versuch massiver Gewalttaten gegeben hat, unter anderem den Versuch, die Erinnerungsstätte für den Toten am Tatort nicht nur zu schänden, sondern zu zerstören. Wir wissen von Zeugen, dass über eine Stunde lang die Polizei beschäftigt war, bis sie die Lage im Griff hatte. ({5}) Über 1 000 Besucher dieses ach so tollen linksradikalen Konzerts haben versucht, die Gedenkstätte in Chemnitz zu zerstören. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Braun, ({0}) Kurzinterventionen müssen kurz sein. – Herr Kollege von Notz, Sie können antworten. – Herr Kollege Braun, wenn Sie stehen bleiben, ({1}) ersparen Sie sich, das zu fordern, wie Sie es kürzlich getan haben.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Erst mal, Herr Braun, mein herzliches Beileid dafür, dass Sie in dieser Debatte nicht reden durften, sodass Sie das erst mal hier loswerden mussten. Ich glaube, an Ihren Ausführungen wird sehr deutlich, wie bösartig Ihre Partei und Ihre Fraktion versuchen, schlimme Straftaten, bei denen Menschen mit guten Argumenten trauern, politisch zu missbrauchen, ({0}) um hier schändlich – wirklich schändlich – daraus Kapital schlagen zu wollen. Das ist unglaublich! Es ist nicht nur moralisch verwerflich, wie Sie das hier inszenieren und wie Sie es in Chemnitz inszeniert haben – die AfD Seit’ an Seit’ mit Rechtsradikalen –, es ist eben auch verfassungsrechtlich relevant. ({1}) Herr Braun, ich sage Ihnen: Das ist genau die Frage, die Sie hier versuchen zu überdecken, die Sie versuchen zu vertuschen hinter Ihrem Schwall an Anschuldigungen, hinter dem Schwall rechtsextremer Rhetorik, wie wir es vorhin vom Kollegen Curio gehört haben. Sie gehören vom Verfassungsschutz beobachtet; denn sie sind Feinde unserer Demokratie und unseres Rechtsstaats. ({2}) Ich sage Ihnen: Das wird auch noch amtlich festgestellt werden. Ganz herzlichen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Mathias ­Middelberg, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Mathias Middelberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr von Notz hat hier eben Herrn Minister Seehofer vorgeworfen, er habe im Hinblick auf die Vorgänge in Chemnitz irgendetwas relativiert oder offengelassen. ({0}) Wir können das in keiner Weise feststellen. Herr Seehofer hat sich die Zeit genommen, die Dinge sorgfältig zu analysieren. Es ist ihm vorgeworfen worden, er habe da einige Stunden oder einen Tag zugewartet. Das werfen wir ihm in keiner Weise vor. Vielmehr hat er sich die Zeit genommen, die Dinge wirklich sorgfältig zu analysieren, und er hat sie dann auch angemessen bewertet. Er hat die Krawalle eindeutig und klar verurteilt, die rechtsextremen Ausfälle scharf verurteilt, aber genauso auch an die ursprüngliche Tat, an den Toten erinnert und seiner gedacht. Ich glaube, dass das, was unser Minister dazu am Folgetag gesagt hat, absolut angemessen war. ({1}) Um das noch mal klarzustellen: Unsere Bewertung zu den Vorfällen in Chemnitz ist eindeutig. Mit Ausländerhass, mit Hitlergrüßen, mit Naziverehrung haben wir keinerlei Nachsicht. ({2}) Auch die Bundeskanzlerin hat gestern noch einmal deutlich gemacht: Jenseits jeder Semantik, ob Hetze oder Hetzjagden auf andere Menschen – beides hat in diesem Rechtsstaat keinen Platz. ({3}) Zu Recht hat der Bundestagspräsident, der hinter mir sitzt, schon am Dienstagmorgen in einem, wie ich finde, ausgesprochen bemerkenswerten und überzeugenden Beitrag gesagt: Das Gewaltmonopol des Staates ist nicht relativierbar. ({4}) Das gilt im Übrigen für Extremismus von beiden Seiten, völlig egal, ob er von rechts oder von links kommt. Herr Curio, Sie haben eben gesagt, die Regierung tue nichts, der Staat handle nicht. Der Erste, der in Chemnitz einen Hitlergruß gezeigt hat, steht dort heute in einem beschleunigten Verfahren vor Gericht. So muss es sein. Genau so muss dieser Rechtsstaat antworten. ({5}) Das hat im Übrigen auch der Bundestagspräsident gesagt. Er sagte: Wir müssen schneller, effizienter und sichtbarer sein, damit die Menschen in diesem Land merken: Dieser Rechtsstaat handelt, er greift ein, und er greift dann auch zu. Das schafft Vertrauen in diesen Rechtsstaat. Das muss in die eine wie in die andere Richtung gelten. Deswegen – das sage ich in diesem Haus ganz deutlich – haben wir nichts gegen die Öffentlichkeitsfahndung im Zusammenhang mit den Krawalltätern beim G‑20-Gipfel. ({6}) Ich sage ganz deutlich: Es macht überhaupt keinen Unterschied, ob ich eine Flasche oder einen Stein auf einen Flüchtling oder auf einen Polizeibeamten werfe. Sie glauben es nicht: Auch unter einem Polizeihelm steckt meistens ein Mensch. ({7}) Deswegen ist es richtig, dass wir den Pakt für den Rechtsstaat beschlossen haben und in diesem Bereich mit weiteren 2 000 Richterstellen und 15 000 Stellen bei der Polizei und den übrigen Sicherheitsbehörden aufrüsten. Das Notwendige dazu hat Frau Högl gesagt; das wird auch in der Rechtsdebatte noch einmal angesprochen. Dann wurde dem Minister vorgeworfen, er habe irgendwelche Leute durch eine Aussage beleidigt. Ich kann nur feststellen: Der Minister hat heute gerade bei dem Thema Migration zum Konsens aufgerufen. Wer heute sorgfältig zugehört hat, hat das mitbekommen. Er hat die Überlegungen Ihres Parteivorsitzenden und im Übrigen auch die Überlegungen, die der Herr Bundestagspräsident am Dienstag formuliert hat, aufgegriffen. Wir brauchen den Ausgleich in dieser Gesellschaft bei der Frage, wie wir mit Migration umgehen. Wir müssen diejenigen ernst nehmen, die Migration in diesem Lande quasi uneingeschränkt befürworten; wir müssen aber auch die Skepsis derer akzeptieren, die Bedenken äußern und die Sorge haben, dass zu viele Zuwanderer in zu kurzer Zeit zu uns kommen. Beide Standpunkte müssen gehört werden, beide sind weder links- noch rechtsextrem. Wir müssen sie zusammenführen. Es kommt auf den Konsens und den Ausgleich an, den wir in der Gesellschaft herstellen müssen. Ich glaube, das ist die Aufgabe aller Demokraten, die sich einigermaßen ernst nehmen und bei diesem Thema an einer Lösung interessiert sind. ({8}) Ich will Ihnen dazu zwei Beispiele nennen. Erstens. Wenn wir an unsere Asylpolitik denken, dann stellen wir fest, dass ein Thema in verschiedenen Bundesländern heiß diskutiert wird, nämlich die Frage: Machen wir diese AnKER-Zentren, oder machen wir sie nicht? Wie viel Symbolik steckt dahinter, wie viel Realismus? Wir haben eben gehört, dass die Verfahren beim BAMF jetzt wesentlich schneller laufen. Das BAMF ist sehr effektiv aufgestellt. Wir haben zusätzliche Stellen beim BAMF eingerichtet; es gibt 1 600 neue Stellen, 4 500 Stellen haben wir entfristet. Das BAMF erstellt die Bescheide jetzt innerhalb von 2,9 Monaten. Nach weniger als 3 Monaten weiß jemand, der jetzt in unser Land kommt, ob er eine Asylberechtigung hat oder nicht. Ich glaube, es spricht doch wohl alles dafür, zu sagen: Diese Menschen verteilen wir erst mal nicht in die Kommunen, sondern sie bleiben in einer Aufnahmeeinrichtung. ({9}) Ob ich diese Einrichtung AnKER-Zentrum oder anders nenne, ist diskutabel. Das Entscheidende aber ist doch das Prinzip, das hinter den AnKER-Zentren steht. Die Menschen, bei denen wir wissen, dass sie am Ende kein Bleiberecht in Deutschland haben, bleiben in diesen Aufnahmezentren; denn dann haben wir eine bessere Möglichkeit, die Rückführung dieser Leute zu organisieren. ({10}) Das drängt sich doch bei allen, die aus sicheren Herkunftsstaaten kommen und nach dem Dublin-Verfahren zurückzuschicken sind, auf. Wir sind jetzt so weit – das hat uns der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge mitgeteilt –, dass wir mittlerweile schon 28 Prozent der Dublin-Fälle zurückschicken. Das heißt, auch da ist das BAMF wesentlich effizienter geworden. In den Jahren zuvor waren es 12 bzw. 15 Prozent der Fälle; das sind lächerliche Zahlen. Jetzt sind wir bei 28 Prozent. Auf diesem Weg müssen wir weitergehen, und da werbe ich um Konsens. Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist das Thema Fachkräftezuwanderungsgesetz, die Frage: Wie organisieren wir die Zuwanderung überhaupt? Auch da, meine ich, kann man, wenn man guten Mutes und ehrlichen Willens ist, zusammenkommen. Ich glaube, wir müssen Asyl und Einwanderung weiterhin auseinanderhalten. Diese beiden Felder müssen getrennt bleiben. Natürlich kann es Ausnahmen geben; aber viele wissen gar nicht, dass wir schon vier Ausnahmen haben: Wir haben die Drei-plus-zwei-Regelung für die Leute, die hier eine Ausbildung machen und sich für unseren Arbeitsmarkt qualifizieren. Die haben nach der Ausbildung weitere zwei Jahre Aufenthaltsrecht, und wenn sie sich vernünftig betragen und hier weiter einen Job haben, können sie auch bleiben. Wir machen eine Ausnahme für Leute, die einen Hochschulabschluss haben oder eine qualifizierte Berufsausbildung. Wir machen drittens eine Ausnahme für die, die hier vier Jahre erfolgreich eine Schule besucht haben, für Minderjährige. Dann machen wir noch eine vierte Ausnahme für die, die gut integriert sind, die sechs oder acht Jahre hier sind – je nachdem, ob mit oder ohne Familie –, die unsere Sprache sprechen und die überwiegend ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten. – Es gibt also schon reichlich Ausnahmen, die viele gar nicht auf dem Schirm haben. Wir brauchen keinen generellen Spurwechsel. Das ist das Thema, das uns als CDU/CSU-Fraktion beschäftigt. Wenn wir generell die Zusage machen: „Jeder, der hierhinkommt und irgendwie im Asylverfahren ist, hat nachher praktisch immer die Möglichkeit, einen Spurwechsel vorzunehmen“, ({11}) dann, meine Damen und Herren, ist das das falsche Signal. Das wollen wir nicht; ({12}) denn das ist die Einladung an die ganze Welt, hierhinzukommen, ein Asylverfahren zu betreiben, in der Zeit eine Unterbringung und eine Alimentierung zu haben und sich dann hier auf Jobsuche zu begeben. Das ist das falsche Signal. ({13}) – Wenn wir da einig sind, ist das doch super. ({14}) Dann kommen wir zu hervorragenden Lösungen. Ich freue mich über die Zurufe der Kollegin Högl, bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche mir in Zukunft bei diesem Thema tatsächlich mehr Konsens und Konstruktivität. Herzlichen Dank. ({15})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Marcus Bühl, AfD. ({0})

Marcus Bühl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004687, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste auf der Tribüne und vor den Bildschirmen! Wir beraten in den nächsten Wochen über den Haushaltsplan des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat. Ich hoffe und wünsche mir, dass wir diesmal mit Wahrheit und Klarheit auch über Probleme und Herausforderungen sprechen werden. Ich möchte jedoch meine Ausführungen mit einem Lob beginnen: Die AfD-Fraktion begrüßt ausdrücklich die Fortsetzung der Informationskampagne „Stark für Dich. Stark für Deutschland“. Diese Kampagne hat das Ziel, zunehmenden Übergriffen auf uniformierte Polizei- und Rettungskräfte entgegenzuwirken. ({0}) Aus unserer Sicht muss Gewalt gegen Polizeibeamte und Rettungskräfte konsequent und mit allen Mitteln des Rechtsstaates begegnet werden. ({1}) Die Sicherheitskräfte stehen mit ihrer täglichen Arbeit dafür ein, dass Menschen in Not geholfen wird und die Sicherheit unserer Gesellschaft gewahrt wird. „Stark für Dich. Stark für Deutschland“ unterstützt das Ziel, Respektlosigkeit gegenüber Einsatzkräften entgegenzutreten. Wir befürworten diese Kampagne daher ausdrücklich. Herzlichen Dank allen Sicherheitskräften für ihre tägliche Arbeit! Vielen Dank! ({2}) In den vergangenen Tagen haben wir vom Ministerium eine Menge Papier und Berichte zum Haushaltsentwurf zur Verfügung gestellt bekommen. Jedoch befremdet mich zutiefst, dass Zeitungslektüre manchmal aufschlussreicher sein kann. In den vergangenen Tagen war in mehreren Zeitungen zu lesen, dass es einen 60-seitigen vertraulichen Prüfbericht des Bundesrechnungshofes zum BAMF gibt. Dieser Bericht kommt laut Medien zum Ergebnis, dass das Innenministerium bei der Fachaufsicht des BAMF versagt habe und eine ordnungsgemäße Rechtsanwendung in Asylverfahren über Jahre nicht gewährleistet war. Hauptursache sei Personalmangel in der zuständigen Fachabteilung des Ministeriums. Jedoch wurde für 2017, 2018 und 2019 kein personeller Mehrbedarf für die Fachaufsicht beim Finanzministerium angemeldet. Traurig daran ist vor allem, dass sich die Koalition in der letzten Haushaltsbereinigungssitzung fast 10 000 – ja, 10 000 – neue Personalstellen genehmigt hat. Beim BAMF wurden Tausende Stellen entfristet. Obwohl dies ein gesellschaftlich schwieriger Themenkomplex ist, war die Fachaufsicht durch das Ministerium zur Kontrolle des BAMF und zur Kontrolle einer ordnungsgemäßen Rechtsanwendung in Asylverfahren dieser Regierung über Jahre nicht wichtig. Laut Medienberichten wurde Betrugshinweisen außerdem zu spät nachgegangen. Herr Minister Seehofer – er sitzt hier –, Sie haben in den Haushaltsberatungen 2018 ein umfängliches Konzept zum Umbau und der Restrukturierung des BAMF versprochen, jedoch: Wo ist dieses Konzept? Wann erfahren wir es aus den Zeitungen? Wie soll wieder Vertrauen in die Arbeitsergebnisse des BAMF hergestellt werden? Sie halten es anscheinend nicht für notwendig, den Haushaltsausschuss über Prüfergebnisse des Bundesrechnungshofes zu informieren. Es bleibt daher nur zu wünschen, dass Sie in den kommenden Haushaltsberatungen endlich Wahrheit und Klarheit aussprechen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Detlef Müller, SPD. ({0})

Detlef Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Heimatstadt Chemnitz steht seit Ende August als bedrückendes Sinnbild für die Zerrissenheit dieses Landes. Sie, Herr Kollege Gauland, haben gestern gesagt, der innere Frieden in unserem Land sei gefährdet, ein Riss gehe durch unsere Gesellschaft. Aber Sie, die AfD, wollen gar keinen inneren Frieden in unserem Land. ({0}) Sie reißen diesen Riss und diesen Graben immer weiter auf. Das wird auch heute hier im Plenum wieder deutlich. ({1}) Der feige Mord in Chemnitz – an Daniel – kam Ihnen doch ganz recht und hat Ihnen wieder die ersehnte Gelegenheit gegeben, diese innere Zerrissenheit Deutschlands weiter zu verschärfen. ({2}) Herr Braun, das Einzige, was am 3. September am Rande des Konzerts „Wir sind mehr“ stattgefunden hat, wo die Polizei aus Niedersachsen übrigens eingreifen musste, war, als eine Gruppe aus Ihrem oder eher dem rechten Spektrum schnellen Schrittes auf Konzertbesucher zugelaufen ist, dass die Polizei dort lediglich deeskalierend eingegriffen und die beiden Lager getrennt hat. Es kam zu keiner Auseinandersetzung und keinen Ausschreitungen, auch nicht am Trauerort. Was Sie verbreiten, ist Lüge, Hetze, Fake News. ({3}) Herr Gauland hat sich gestern auch redlich Mühe gegeben, die Beteiligung von Hooligans und Neonazis an den Chemnitzer Demonstrationen kleinzureden. Ich zitiere: Nur „ein paar aggressive Hohlköpfe, die ‚Ausländer raus’ riefen und den Hitlergruß zeigten“, hätten sich unter den Demonstranten befunden. Wäre es nur so gewesen! ({4}) Am Sonntag nach der furchtbaren Tat gab es zunächst – ja – die Zusammenrottung des Mobs aus Neonazis und rechten Fußballhooligans aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen, Bayern und Tschechien, keine angemeldete Demonstration. Zuerst 800, dann 1 000 Menschen. Die Menge ruft Parolen wie „Kanaken klatschen“ und „Für jeden toten Deutschen einen toten Ausländer“. Die Polizei, die anfangs nur mit 50 Beamten vor Ort war, ist mit der Situation völlig überfordert. Ihre Versuche, den Demonstranten den Weg abzuschneiden, scheitern. Aus der Menge fliegen Bierflaschen. Es gab aus der Demonstration heraus Angriffe auf Polizisten, Migranten, Journalisten und Linke. Menschen wurde nachgestellt, sie wurden verfolgt. Ob man das nun „Jagdszenen“ oder „Hetzjagd“ nennt, ist für mich völlig nebensächlich; ({5}) den Menschen, die sich dort in Sicherheit bringen mussten, übrigens auch. Am Montag dann die Mobilisierung aller rechten Gruppierungen zur Demonstration vor dem Marx-Monument. 6 000 Teilnehmer, das komplette rechte Spektrum: Hooligans, Identitäre Bewegung, Junge Nationaldemokraten, Der dritte Weg, NPD und eben auch die AfD. Sie kamen aus Sachsen, Berlin, Brandenburg, Bayern, Thüringen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen. Ja, auch Chemnitzer Bürger mit Wut, Frust, Sorgen und Trauer waren vor Ort. Es hat die Gefolgsleute der AfD zu keinem Zeitpunkt gestört, dass in der Menge der Hitlergruß mehrfach gezeigt wurde. Bei dem Zusammenschluss ihres sogenannten Trauermarsches am 1. September mit Pro Chemnitz, mit Pegida und Co ist dann endgültig ihre bürgerliche Maske gefallen. ({6}) Herr Gauland, Sie haben gestern halbherzig versucht, sich von den Neonazis abzugrenzen. Aber schauen Sie sich doch bitte einmal an, wer in Chemnitz im Kreisvorstand der AfD sitzt, und denken Sie dabei im Hinterkopf an die beiden Stichworte „NSU“ und „Pro Chemnitz“. Es hilft nicht, dass man sich biedere Hündchenkrawatten umbindet und behauptet, der Neonazi neben mir geht mich nichts an. ({7}) In dieser innenpolitischen Debatte ein Wort zu Herrn Bundesinnenminister Seehofer. Meine Heimatstadt Chemnitz hätte in jenen unseligen Tagen die starke Hand des Staates gebraucht. Am Sonntag und Montag waren die Polizeikräfte, denen großer Dank und Anerkennung gebührt, unterbesetzt, deshalb überfordert, unterlegen und eigentlich nur zum Eigenschutz in der Lage. Am Montag waren 591 Polizeikräfte zwischen rund 7 000 Demonstranten. Danach aber, nach ein paar Tagen des sich Sammelns und der Bestandsaufnahme, hätte es eines Wortes, einer klaren Äußerung auch des Bundesinnenministers bedurft. ({8}) Die Bürger erwarten, dass der Rechtsstaat im Alltag funktioniert und notfalls auch mit Härte in Erscheinung tritt. Sie erwarten zu Recht, dass Gesetze und Regelungen von allen eingehalten und durchgesetzt und Straftaten konsequent verfolgt werden. Ich habe jahrzehntelang für ein modernes, attraktives, erfolgreiches Chemnitz gearbeitet. Ich, wir werden uns dabei auch nicht unterkriegen lassen. Wir werden dabei immer, wie auch in den letzten Jahren, das Gespräch suchen, zuhören, diskutieren – offen, ohne Verallgemeinerung, ohne das übliche Schwarz-Weiß. ({9}) Dazu muss man aber auch bereit sein. Das jedoch, sehr geehrte Damen und Herren von der AfD, ist man sicher nicht im Verein mit Neonazis und rechten Hooligans. Das hier ist das Grundgesetz, meine Damen und Herren. Lesen Sie es! Schauen Sie rein! Sie können dabei viel lernen: über Menschenwürde, Menschenrechte und demokratische Kultur. Vielen Dank. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Linda Teuteberg, FDP. ({0})

Linda Teuteberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004913, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD ist überschrieben mit den Worten „Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“. Die Vorfälle in Chemnitz und die Debatten in den Tagen und Wochen danach zeigen allerdings, wie tief inzwischen der Riss ist, der durch unser Land geht. Der Präsident dieses Hauses hat vorgestern die richtigen Worte dazu gefunden. Gerade jetzt in dieser Situation sind Ernsthaftigkeit und Umsicht gefragt, und an beiden mangelt es zurzeit. Gerade jetzt, wo seit langem unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung infrage gestellt, ja bekämpft wird, verhalten sich manche Akteure so, als befände sich die Republik in einer Phase unerschütterlicher Stabilität – in alten Reflexen gefangen. Die Herausforderungen aber, vor denen wir stehen, sind keine, an denen ein jeder sein Mütchen kühlen darf. Wir brauchen weniger Superlative, weniger Ausrufezeichen und Rücktrittsforderungen, mehr sorgfältige Problembeschreibung und Suche nach Lösungen und auch übrigens den Mut, Dilemmata als solche zu bezeichnen, und das ohne Kultur des bewussten Missverstehens. ({0}) Für einen handlungsfähigen Rechtsstaat brauchen wir auch eine angemessene Ausstattung von Behörden und Justiz. Ob wir allerdings die Planstellen, die wir hier im Bundeshaushalt vorsehen, auch besetzen können, hängt auch vom gesellschaftlichen Zusammenhalt ab. Denn ob wir genügend Menschen finden, die willens und in der Lage sind, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung wirksam zu verteidigen, hängt auch davon ab, ob bürgerkriegsähnliche Szenen je nach politischer Opportunität unterschiedlich bewertet, ja geduldet und gebilligt werden. Wir brauchen weniger markige Worte und mehr rechtsstaatliche Konsequenz. Sehr geehrter Herr Minister, tun Sie endlich in dieser Bundesregierung Ihre Arbeit! Kümmern Sie sich zum Beispiel darum, dass wir im Dublin-Verfahren endlich 100 Prozent der rechtlich möglichen Rücküberstellungen auch vornehmen! Kümmern Sie sich darum, dass der Bund endlich, wie von Ihnen versprochen, die Beschaffung der Passersatzpapiere übernimmt! Laden Sie endlich als Bund Länder und Kommunen zu einem Gipfel ein, um die drängenden Probleme zu lösen, und legen Sie ein Integrationskonzept vor, das diesen Namen verdient! ({1}) Nur so schaffen wir Akzeptanz für Demokratie. Diesem Problem werden weder diejenigen gerecht, die Migration als Mutter aller Probleme bezeichnen – das fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht –, noch die, die lieber vom Wetter reden als von den Problemen, die damit zusammenhängen; auch das stärkt den Zusammenhalt nicht. Lassen Sie uns an den Lösungen arbeiten – hart in der Sache, aber verbindlich im Stil. Vielen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. André Hahn, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Solange Horst Seehofer noch Minister ist, gibt es offenbar keine halbwegs normale Haushaltsberatung über den Etat seines Hauses. Beim letzten Mal löste der Mann im Zusammenhang mit seinem sogenannten Masterplan zur Flüchtlingspolitik eine veritable Regierungskrise aus. Diesmal geht es um die Causa Maaßen, den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der sich zunehmend zu einem Sicherheitsrisiko für dieses Land entwickelt. Wahrscheinlich müssen erst beide Männer ihren Hut nehmen, ehe wieder etwas Normalität einziehen kann. ({0}) Ich würde gern mehr zum Haushaltsentwurf sagen, so zu den Hunderten unbesetzten Stellen bei den Geheimdiensten, die gleichwohl immer mehr Personal fordern, zu den unzureichenden Ausgaben für den Zivilschutz, insbesondere bei der Ausstattung für die Feuerwehren, oder auch zum Sportbereich, wo zahlreiche Versprechungen des Ministers einfach nicht umgesetzt werden. Wo ist denn die deutlich bessere Finanzausstattung im Zuge der Spitzensportreform? Wo sind die dringend benötigten Mittel für die Sportstättensanierung? Beim Behindertensport soll sogar noch gekürzt werden. Das ist absurd! ({1}) Nun zum Fall Maaßen/Seehofer. Dass Die Linke die Eignung von Herrn Maaßen für das Amt des Verfassungsschutzpräsidenten infrage stellt, ist spätestens seit seinem Agieren – oder besser: Nichtagieren – im Rahmen der NSU-Aufklärung bekannt. Gegenüber dem NSA-Untersuchungsausschuss machte Maaßen deutlich, dass er die Beweisanträge der Opposition und seine Vernehmung als Zeuge vor allem als lästig empfand, und er warf dem Ausschuss de facto sogar vor, dadurch die Arbeit des Verfassungsschutzes in Sachen Terrorabwehr zu behindern. Wer die parlamentarische Kontrolle derart verachtet wie Herr Maaßen, kann ein solches Amt nach unserer Überzeugung nicht mehr ausüben. ({2}) Zur langen Liste der Verfehlungen und Pannen des seit 2012 amtierenden Verfassungsschutzpräsidenten hier nur einige Stichworte zur Erinnerung: Da war der Fall des V‑Manns „Corelli“, da waren die völlig haltlosen und nie belegten Vorwürfe, der Whistleblower Edward Snowden sei ein Agent des russischen Geheimdienstes, da gab es das juristische Vorgehen gegen missliebige Journalisten und auch den ursprünglich verschwiegenen Einsatz von V‑Leuten im Umfeld von Anis Amri, dem Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz. Im aktuellen Fall im Zusammenhang mit den Ereignissen in Chemnitz sowie in den auch gestern nicht wirklich korrigierten Äußerungen gegenüber der „Bild“-Zeitung kommt aus unserer Sicht nicht nur ein fatales Amtsverständnis zum Ausdruck – das wäre schon schlimm genug –; der Präsident einer zentralen Sicherheitsbehörde versucht offenkundig, selbst Politik zu machen, indem er in der Auseinandersetzung um die Bewertung zu Chemnitz für den sächsischen Ministerpräsidenten und damit offen gegen die Bundeskanzlerin Position bezieht, was seinem Chef Horst Seehofer gefallen haben dürfte. Zudem hat Herr Maaßen nicht nur unbedachte, sondern schlichtweg unverantwortliche Äußerungen im Zusammenhang mit Chemnitz gemacht, die suggerierten, dass Videoaufnahmen von Angriffen auf Flüchtlinge nicht authentisch, also manipuliert oder gar gefälscht seien. Bis heute hat er dafür keinen einzigen Beweis geliefert; aber er hat ohne jede Not Öl in die sowieso aufgeheizte Debatte gegossen und das Klima im Land weiter vergiftet. Das war schlichtweg unverantwortlich. ({3}) Der niedersächsische Innenminister Pistorius, SPD, hat es auf den Punkt gebracht, als er sagte, die Äußerungen von Maaßen legten nahe, „dass er Einfluss auf die politische Stimmung im Land nehmen will“. Das sehen wir genauso. Aber das ist definitiv nicht die Aufgabe eines Verfassungsschutzpräsidenten. ({4}) Strafverschärfend kommt noch hinzu, dass Herr Maaßen die politische Stimmung offenbar in eine Richtung verändern will, wie sie vor allem von der AfD, die seine Äußerungen begierig aufgreift, aber auch von immer stärker werdenden Teilen der Union vertreten wird. Das ist glatter Amtsmissbrauch. Auch deshalb muss Herr Maaßen aus Sicht der Linken unverzüglich entlassen werden. ({5}) Wir haben einen entsprechenden Antrag zur Entlassung des Ministers heute in den Bundestag eingebracht. Sie werden also alle Gelegenheit haben, sich dazu zu positionieren. Ich hoffe, dass dann die Mehrheit in diesem Haus klar sagt: Mit diesem Verfassungsschutzpräsidenten geht es nicht weiter. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Irene Mihalic, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Irene Mihalic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer sich den Haushalt des Innenministeriums anschaut, ist wirklich gut beraten, auch einen Blick hinter die nackten Zahlen zu werfen; denn dann sieht man ziemlich schnell, wo die Defizite liegen. Das ideen- und konzeptlose Aufpumpen von Haushaltstiteln ist kein Politikersatz, Herr Seehofer. ({0}) Das können wir gleich an mehreren Punkten feststellen. So haben wir zum Beispiel harte Ausfälle bei der Gefahrenanalyse. Das hat Chemnitz leider sehr eindrücklich gezeigt: Hunderte, Tausende Rechtsextreme können binnen kürzester Zeit im gesamten Land mobilisiert werden, und es scheint auf Bundesebene keine Instanz zu geben, die das Agieren solcher Netzwerke treffend analysieren kann. Stattdessen erleben wir einen Verfassungsschutzpräsidenten, der völlig faktenfrei rechte Verschwörungstheorien zu den Videoaufnahmen aus Chemnitz bedient, aber valide Analysen schuldig bleibt. All das untergräbt das Vertrauen in die Arbeit des Verfassungsschutzes, und es beschädigt die Integrität der deutschen Innenpolitik. ({1}) Aber es liegt nicht nur an der Amtsführung. Auch die strukturellen Probleme springen einem schon bei oberflächlicher Betrachtung förmlich ins Gesicht, und trotzdem gibt es für den Verfassungsschutz gleich 10 Prozent mehr Geld. Ja wofür eigentlich? Wir wissen es nicht, weil dem Parlament die Details vorenthalten werden. Wir sehen nur das Ergebnis, und das Ergebnis ist schlecht. ({2}) Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen beim Verfassungsschutz einen kompletten Neustart und endlich eine solide wissenschaftliche Basis für die Innenpolitik. Und da frage ich Sie gleich mal: Ja wo bleibt denn die angekündigte Wiederauflage des Periodischen Sicherheitsberichts? Soweit ich erkennen kann, sind dafür keine Haushaltsmittel vorgesehen. ({3}) Auch haben Sie die Stellenpläne der Sicherheitsbehörden aufgepumpt, ohne einen erkennbaren Plan zu haben, wie Sie mit dem Personal eigentlich umgehen wollen. Durch Ihre überflüssigen AnKER-Zentren und den Dauereinsatz der Bundespolizei an den Grenzen forcieren Sie die Überlastung der Polizistinnen und Polizisten. Ist es Ihnen eigentlich völlig egal, wenn die Gewerkschaft der Polizei bemerkt, dass Ihnen die Bayerische Grenzpolizei offensichtlich mehr am Herzen zu liegen scheint als Ihre eigene Bundespolizei, die Sie praktisch nur aus dem Fernsehen kennt? ({4}) Eine solche Geringschätzung haben die Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei nicht verdient. ({5}) Insgesamt passiert in Ihrem Haus auch sonst wenig. Mit viel Brimborium haben Sie Ihre Heimatabteilung gegründet, nach dem Motto „Erst mal gründen, der Rest kommt dann schon von selber“. Nein, kommt er nicht. Wo sind denn Ihre Konzepte gegen Wohnungsnot oder für strukturschwache Regionen? Nach welcher Wahl wollen Sie anfangen, endlich für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen? ({6}) Seit Ihrem Amtsantritt haben Sie, Herr Seehofer, Ihr Amt nur als Bühne für populistische Botschaften ohne Substanz missbraucht, und damit sind Sie zum Vater aller Probleme in der deutschen Innenpolitik geworden. ({7}) Noch dazu agiert unter Ihrer Aufsicht ein freidrehender Verfassungsschutzpräsident, der die Verfassung nicht schützt, sondern mit seiner Behörde Politik macht. Und jetzt – hören Sie gut zu! –, fünf Wochen vor Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichts, wie wir bei der dpa nachlesen können, gibt Verfassungspräsident Maaßen vertrauliche Inhalte aus diesem Bericht an Herrn Brandner von der AfD weiter. ({8}) Er macht Politikberatung für Rechtsextreme. Das ist das Amtsverständnis von Herrn Maaßen. Herr Seehofer, es reicht! Wie viele Belege brauchen Sie eigentlich noch dafür, dass dieser Verfassungsschutzpräsident nicht unsere Verfassung schützt, sondern eine politische Agenda verfolgt? ({9}) Das und der Umstand, dass Sie, Herr Minister, diesem Treiben tatenlos – und ich unterstelle Ihnen: anscheinend billigend – zusehen, steht beispielhaft für die moralische Entkernung der aktuellen Innen- und Sicherheitspolitik. Herr Seehofer, entlassen Sie Herrn Maaßen, und treten Sie anschließend gleich selbst zurück! ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Michael Kießling, CDU/CSU. ({0})

Michael Kießling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Wir haben viel über die Bereiche Innen und Recht gesprochen, über Themen, die durchaus behandelt werden müssen und auch behandelt werden. Ich möchte auf ein Thema eingehen, das im Innenministerium, im entsprechenden Ausschuss und auch hier im Haushalt behandelt wird, nämlich das Thema Bauen. Auch hier geht es um den Zusammenhalt. Wir haben uns für die kommenden Jahre für den Bereich Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen viel vorgenommen. Das sollte man in diesem Haushalt schon erkennen, Frau Mihalic, und das tut man auch; denn mit den Kompensationszahlungen an die Länder fällt der Haushalt für die soziale Wohnraumförderung mit 1,5 Milliarden Euro eine halbe Milliarde Euro höher aus als ursprünglich geplant. Damit kann man viel erreichen. Natürlich müssen die Maßnahmen auch entsprechend umgesetzt werden. Wir wissen, dass wir noch nicht am Ende sind. Der neue zweitgrößte Posten sind die Ausgaben für das Baukindergeld in Höhe von 570 Millionen Euro. Auch wir wissen: Das ist eine Menge Geld. Dafür sind wir in den letzten Monaten sehr stark kritisiert worden, von der Opposition, aber auch in den Kommentarspalten einiger Zeitungen. Aber die Familien, mit denen ich rede und die mir schreiben, sind sehr glücklich über diese Hilfe. Und genau darum geht es: junge Familien zu fördern. ({0}) Ich bin mir sicher: Das wird ein wirksamer Impuls für die Bildung von Eigentum für junge Familien sein. In dieser Meinung bestärken mich das Berliner Immobilienforschungsinstitut empirica und die Bausparkasse der Sparkassen. Die haben ausgerechnet, dass sich das derzeit vorhandene Potenzial an jungen Mieterhaushalten mit Kindern, die für einen Wohneigentumserwerb infrage kommen, von 181 000 auf 239 000 Haushalte erhöht. Das ist fast ein Drittel mehr. Ich denke, das sind tolle Aussichten. Das ist jeden Euro wert, den wir hierfür in den Haushalt einstellen. ({1}) Das Gleiche gilt für das vor kurzem erhöhte Wohngeld für einkommensschwache Haushalte. Wir haben uns vorgenommen, in dieser Legislaturperiode noch weitere Anpassungen vorzunehmen. Das werden wir tun. An der einen oder anderen Schraube werden wir sicher noch nachjustieren müssen. Auch die Wohnungsbauprämie werden wir uns in dieser Legislaturperiode noch vornehmen. Wir geben hierfür im Moment halb so viel aus wie vor zehn Jahren. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Rahmenbedingungen zu verbessern, damit wieder mehr Menschen in den Genuss der Wohnungsbauprämie und damit zu Wohneigentum kommen. Auch das ist eine absolut wichtige Aufgabe, die wir noch erledigen müssen. Die erfolgreichen KfW-Programme wie „Altersgerecht Umbauen“ oder „Kriminalprävention durch Einbruchsicherung“ sind verstetigt, genauso wie die Städtebauförderung. Diese Programme sind ein wichtiges Werkzeug für unsere Kommunen. Ich fasse es zusammen: Um den Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt gerecht zu werden, wollen wir Investitionen ins Wohnen fördern. Das machen wir mit der Bundesförderung beim sozialen Wohnungsbau, mit der Verbesserung der Abschreibung beim Mietwohnungsbau und mit dem Baukindergeld bei der Eigentumsbildung für junge Familien. Ja, meine lieben Damen und Herren, auch und gerade von der Opposition, wir sind auf dem Weg, das Ziel, in dieser Legislaturperiode 1,5 Millionen neue Wohnungen zu schaffen, zu erreichen. Auch wir wissen, dass das noch ein weiter Weg ist. Wir wissen aber auch, dass ein Großteil der Veränderungen, die wir für mehr Wohnungsbau und bezahlbaren Wohnraum benötigen, außerhalb des Bundeshaushalts liegt. Und damit meine ich nicht unbedingt die neuen Vorschläge der SPD zur Mietpreisbremse. ({2}) Wer will, dass sich etwas bewegt, der muss Freiraum schaffen. Ich denke, viel wichtiger wird es sein, dass wir – erstens – Planungsgenehmigungsprozesse vereinfachen, Hindernisse abbauen und die Planungshoheit der Kommunen wahren. Zweitens müssen wir Bauland in Ballungszentren und deren Einzugsgebieten mobilisieren. Drittens brauchen wir kluge Ideen für eine nachhaltige und bewohnerfreundliche Innenentwicklung von Städten und Dörfern. Diese Dinge kann man sich nicht direkt kaufen. Aber man kann dafür arbeiten und nicht dagegen, wie es das Personal der Linken und der Grünen vor Ort oft macht. Sie schreien nach mehr Wohnungen und bezahlbaren Mieten, wollen aber Neubauprojekte in der Nachbarschaft blockieren. Das ist nicht zielführend. ({3}) Wir hingegen haben unsere Arbeit gemacht und vieles auf den Weg gebracht. Die Kommission für Baulandmobilisierung ist eingesetzt. Nächste Woche findet der Wohnungsbaugipfel statt. Es läuft an. Gestatten Sie mir noch einen Blick in die Zukunft. Die Digitalisierung wird auch vor dem Bauen nicht haltmachen, ob im Rahmen der Bauleitplanung, der Baugenehmigung, im Planungsprozess oder bei der Bauausführung. Deshalb haben wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, die Digitalisierung des Planens und Bauens voranzutreiben. Das muss sich auch im Haushalt widerspiegeln. Der Bau von 1,5 Millionen Wohnungen geht besser, wenn man die Vorteile der Digitalisierung und des Building Information Modeling nutzt, vor allem die Effizienzgewinne und die Risikominimierungen, die damit verbunden sind. Ja, meine Damen und Herren, Bauen kostet Geld; aber wenn man es ordentlich anstellt, etwas weniger. Ich hoffe auf eine gute Debatte und wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Jörn König, AfD. ({0})

Jörn König (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004788, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuseher auf den Tribünen und an den Fernsehbildschirmen! Kommen wir zum Sport. Der Anteil des Sporthaushalts am Gesamthaushalt ist von 1992 bis 2017 um 20 Prozent gesunken, auf unter 0,05 Prozent. Das sind jämmerliche 49 Cent, auf 1 000 Euro gerechnet. Die absolute Summe lag im Jahr 2017 bei 170 Millionen Euro. Zum Vergleich: Für Sprachkurse für kulturfremde Migranten ist 1 Milliarde Euro vorhanden. 1 Milliarde! ({0}) Das kleine Bundesland Hamburg hat 575 Millionen Euro für die Elbphilharmonie ausgegeben, nicht wahr, Herr Scholz? – Ach, er ist gar nicht da. – Für die eigenen Spitzensportler war aber nur ein Bruchteil dieser Summe übrig. Ein deutscher Spitzensportler, falls er nicht beim Bund, Zoll oder Polizei angestellt ist, hat ein Nettoeinkommen von unter 650 Euro, ohne jede soziale Absicherung. Das ist nicht einmal der Mindestlohn. Was haben Sie als Sportpolitiker eigentlich 25 Jahre lang im Sport­ausschuss getan? ({1}) Sie haben sich im besagten Zeitraum, von 1992 bis 2017, die Diäten um nominal sage und schreibe 133 Prozent erhöht, dem Sporthaushalt aber nur 50 Prozent Erhöhung zugestanden. Ähnlich dem kategorischen Imperativ von Immanuel Kant gibt es den Spruch: Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch niemand anderem zu. ({2}) Das heißt bei Ihnen: Zuerst komme ich, und wenn dann noch etwas übrig ist, geben wir es den Sportlern. ({3}) Wissen Sie was? Sie sollten sich was schämen! ({4}) Was sind die Folgen dieser Kürzung, in Kaufkraft gerechnet? 50 Prozent aller Kaderathleten erwägen das vorzeitige Karriereende. Die Kanuten sollen plötzlich ihre Dopingkontrollen selber bezahlen. Wir haben einen Investitionsstau in Milliardenhöhe bei Sportstätten. Wegen besserer Bezahlung und langfristigerer Verträge gehen Trainer ins Ausland. Wir sind ja so ein reiches Land! Wir als AfD-Fraktion haben viele Olympiastützpunkte besucht, als Beispiele Bad Kreuznach, Leipzig und Halle. Danach müssen wir leider feststellen: Es liegt langjähriges Politikversagen vor, welches dringend korrigiert werden muss. ({5}) Die AfD fordert daher die Verdopplung des Sportetats auf 340 Millionen Euro bis zum Jahr 2020. Die Verdopplung würde dem Sport entscheidend helfen, ohne dass irgendein fiskalpolitisches Ziel berührt ist. Jeder in den Sport investierte Euro spart das Mehrfache an anderen Ausgaben. ({6}) Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Frau Merkel wegen ihrer Messertoten zurücktreten muss. Vielen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Bernhard Daldrup, SPD. ({0})

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was kostet eigentlich die politische Kultur unseres Landes? Was ist sie uns wert? Was kosten eigentlich soziale Stabilität und innerer Frieden? Die Antwort auf gesellschaftliche Spaltung und auf Entfremdung besteht weder in Nationalismus noch in Fremdenfeindlichkeit noch in den Zerrbildern unserer Gesellschaft, wie sie von Herrn Curio und Herrn Braun hier heute dargestellt worden sind. Auf dieses Politikverständnis haben gestern die Kollegen Schulz und Kahrs hinreichend hingewiesen. ({0}) Nein, die Antwort muss sozialer und politischer Natur sein. „Versöhnen statt spalten“ hat Johannes Rau, unser Bundespräsident, diese Aufgabe einmal genannt. Städte und Gemeinden sind Orte von Identität, Heimat im besten Sinne und zentraler Bestandteil einer stabilen Gesellschaft. Wenn wir also unsere Städte und Gemeinden stark machen, dann machen wir unsere Gesellschaft stark; deshalb ist das wichtig. Statistische Hinweise auf bundesweite Überschüsse der Kommunen helfen da wenig weiter. Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse braucht unsere gemeinsamen Anstrengungen, braucht zusätzliche Investitionen, braucht Entlastung von Sozialkosten. Mit über 800 Millionen Euro für die Städtebauförderung im Haushalt stärken wir den Zusammenhalt in den Kommunen. Das sind Investitionen in Bürgerzentren, Schulen, Kindertagesstätten, Sportplätze. ({1}) Das ist ein Bund-Länder-Programm, mit dem bis zu siebenmal mehr Investitionen vor Ort – beim Handwerk, bei kleinen und mittleren Unternehmen – ausgelöst werden. Damit verbessern wir die Lebensqualität. Wir fördern die regionale Wirtschaft. Wir sichern Arbeitsplätze. ({2}) Wir stärken auf diese Art und Weise das demokratische Gemeinwesen. Die Notwendigkeit dazu zeigt sich nicht nur in Chemnitz, sondern auch in vielen anderen Städten unseres Landes. Städte und Gemeinden sollten Orte der Hoffnung sein, nicht der Hoffnungslosigkeit. Wenn aber das eigene Zuhause gefährdet zu sein scheint, weil die Miete kaum noch bezahlbar ist, wenn mancherorts Modernisierung zur Bedrohung werden kann und dieses Gefühl bis tief in die Mitte der Gesellschaft reicht, dann ist das eine zentrale soziale Frage. ({3}) Wem gehört die Stadt? Gewiss nicht denjenigen, die am lautesten grölen oder nur hetzen. Aber sie gehört auch nicht nur denjenigen, die am meisten bezahlen. Es darf nicht sein, dass steigende Mieten und explodierende Bodenpreise die Stadtmauern der Neuzeit werden. Das wissen wir alles nicht seit gestern. Deshalb ist es jetzt wichtig, zu handeln, Herr Minister. ({4}) Unsere Wohnraumoffensive hat 1,5 Millionen neue Wohnungen zum Ziel und umfasst allein in dieser Wahlperiode 5,5 Milliarden Euro, 1,5 Milliarden Euro in diesem Haushalt für den sozialen Wohnungsbau. Er hat für uns Priorität. Aber wir wissen auch: Wohnungsbau ist nicht nur eine Aufgabe prosperierender Zentren. Auch ländliche Regionen, auch manche Großstadt stehen vor großen Herausforderungen. Deswegen gibt es einen Mix aus ganz unterschiedlichen Maßnahmen: öffentlicher Wohnungsbau, Bau von selbstgenutztem Wohneigentum, privater Wohnungsbau. Wir werden Milliarden mobilisieren, um der Forderung „mehr bauen, bauen, bauen“ endlich Schub zu verleihen. Und wir wollen mit einem Mietenpaket den Mietpreisanstieg begrenzen. ({5}) Mietpreisbremse, Senkung der Modernisierungsumlage, Kappungsgrenze bei Mieterhöhungen, all das sind Punkte, mit denen wir zeigen: Wir stehen an der Seite der Mieterinnen und Mieter in Deutschland. ({6}) Neue Impulse sollen vom Wohnungsgipfel am 21. September ausgehen. Deswegen haben Andrea Nahles und Thorsten Schäfer-Gümbel mit ihrem Zwölf-Punkte-Plan deutlich gemacht, dass die SPD weitergehende Schritte für nötig hält. ({7}) Der Vorschlag eines fünfjährigen Mietenstopps in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten hat für Aufregung gesorgt. Aber die Gegenfrage muss doch lauten: Müssen Mieterinnen und Mieter nicht geschützt werden, wenn die Entlastungen auf dem Wohnungsmarkt noch nicht hinreichend greifen? ({8}) Es geht aber auch um die Verlängerung der Bindungsfristen im sozialen Wohnungsbau, um Stärkung der Genossenschaften, um Verbesserung der kommunalen Planungshoheit, um bessere Mietspiegel, ja auch um Wohngeld, kurzum: um einen Sozialpakt von öffentlicher Hand und Wohnungswirtschaft. Statt aber diesen Weg zu unterstützen, werden – das will ich ein paar Kolleginnen und Kollegen sagen – mancherorts die Bindungen unterlaufen. Nordrhein-Westfalen beispielsweise – Nordrhein-Westfalen war hier früher regelmäßig Thema in der CDU/CSU-Fraktion – vollzieht die Rolle rückwärts beim Mieterschutz, weil alle landesrechtlichen Vorschriften auslaufen sollen. Das, Kolleginnen und Kollegen, sollten Sie Herrn Laschet nicht durchgehen lassen, finde ich, und uns dabei unterstützen. ({9}) Zum Schluss ein Wort zur Bodenpolitik. Der Umgang mit dem Boden ist eine Schlüsselfrage unserer Zukunft, nicht nur aus wohnungspolitischen Gründen. Boden ist keine x-beliebige Ware, er ist weder vermehrbar, noch unbegrenzt vorhanden. Er darf kein Spekulationsobjekt bleiben, weder bei Share Deals, also der Steuergestaltung großer Unternehmen, noch beim Horten von Grundstücken. Städte und Gemeinden produzieren sozusagen aus Boden Bauland. Deswegen müssen sie beteiligt werden, deswegen ist hier der Ort, wo es angezeigt ist, die Sozialpflichtigkeit des Eigentums zu berücksichtigen. Wir erwarten hier gute Ergebnisse der Bodenkommission. Das ist eine zentrale Aufgabe, und die Antworten entscheiden über die soziale Gestaltung unserer Gesellschaft, über Zusammenhalt und über gute Zukunft. Wenn uns diese Aufgabe gelingt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es der beste Weg, um denjenigen den Boden zu entziehen, die anderes wollen, und das wäre ganz gut. Danke schön. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Daniel Föst, FDP. ({0})

Daniel Föst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004716, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Bauminister Seehofer! Ich habe mir echt überlegt, ob ich mich einfach hier vorne hinstelle und nur mal die Expertengremien, die Wissenschaftler, die Forschungsinstitute aufzähle, die die Wohnungsbaupolitik von CDU, CSU und SPD für nicht ausreichend oder nicht zielführend halten oder sie vielleicht sogar schon als gescheitert betrachten. Da wurde mir aber schnell klar, dass die zwei Minuten Redezeit, die ich habe, dafür gar nicht reichen. Konzentrieren wir uns also auf das Wesentliche. Sie beschreiben ja im Koalitionsvertrag die Problemstellung noch richtig: Wir brauchen mehr Wohnraum. Aber Sie machen dann eine Politik der Wohnungsbauverhinderung – und das nennen Sie auch noch „Mietpreisbremse“ – oder eine Politik der nutzlosen Wahlgeschenke wie das Baukindergeld oder eine Sonderabschreibung für die Bauindustrie, die nicht mal der berühmte Tropfen auf den heißen Stein ist. Wer die Diagnose „Uns fehlt Wohnraum, wir brauchen mehr Wohnraum, um die Mieter zu schützen“ richtig stellt, für den kann es in der Bau- und Wohnungspolitik doch nur heißen: Wir müssen mehr bauen, wir müssen schneller bauen, und wir müssen günstiger bauen. ({0}) Das heißt, wir müssen den Flaschenhals Bauland abschlagen. Da passiert aber nichts, meine sehr geehrten Damen und Herren. Sie reden immer von Ihrem Baugipfel. Aber trotz allem, was da kommt, trotz allem, was man da hört, passiert nichts. Sie machen zurzeit genau das Gegenteil. Wir brauchen eine steuerliche Unterstützung zur Aktivierung von Bauland. Wir müssen für die Baubranche den Flaschenhals abschlagen. Da hilft keine Sonderabschreibung, da hilft nur Planungssicherheit, indem wir die lineare AfA von 2 auf 3 Prozent erhöhen. Wir müssen entbürokratisieren. Wir brauchen einen Baukosten-TÜV. Wir müssen die 20 000 Regeln und Normen im Baurecht endlich in den Griff bekommen. ({1}) Für gute Ideen sind wir zu haben. Diese kommen von Ihrer Seite aber leider nur selten. Sehr geehrte Damen und Herren, die Mutter aller Probleme ist die Politik, die nicht hält, was sie verspricht, die auf Showeffekte setzt und auf Mangelverwaltung. Was ich selber aber viel schlimmer finde, das ist der Vater aller Probleme. Der Vater aller Probleme ist eine Politik, die halsstarrig auf gescheiterten Positionen beharrt, obwohl sie weiß, dass sie falsch ist. Vater aller Probleme ist eine Politik wider besseres Wissen. Deswegen lassen Sie uns gemeinsam bei der Bau- und Wohnungspolitik von vorne anfangen! Wir als Serviceopposition stehen da zur Verfügung. Vielen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Klaus-Dieter Gröhler, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Dieter Gröhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der n-tv-Kommentator Benjamin Konietzny schrieb am letzten Montag, also zu Beginn dieser Woche, dass die Haushaltsdebatten des Bundestages nicht unbedingt den Ruf hätten, die kurzweiligsten Veranstaltungen im Parlament zu sein. Wenn ich rückblickend auf gestern und auf den heutigen Morgen schaue, dann muss ich feststellen, dass er sich, glaube ich, geirrt hat. Die Frage ist aber auch: Haben wir immer Qualität abgeliefert? Gestern Abend haben mich einige Freunde und einige Bürgerinnen und Bürger angesprochen und gefragt: Was habt ihr da eigentlich am Dienstag gemacht? Warum pöbelt und beschimpft ihr euch eigentlich? Was ist eigentlich Sinn dieser Veranstaltung? Ich habe versucht, ihnen zu erklären, dass wir gerade eines der edelsten Rechte des Parlaments wahrnehmen, nämlich das Budgetrecht, das in Deutschland schwer erkämpft worden ist. Bei uns entscheiden eben nicht Abteilungsleiter oder Behördenchefs oder Staatssekretäre oder Minister, wie die Steuermittel ausgegeben werden, in welcher Höhe, wann und wofür, sondern wir, die gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertreter, entscheiden darüber. Dessen sollten wir uns bewusst sein. Bevor ich auf den einen oder anderen Haushaltstitel, der mir wichtig ist, zu sprechen komme, möchte ich auf einen Vorredner eingehen, weil ich finde, dass man Derartiges so nicht durchgehen lassen darf. Hier hat ein Mitglied des Parlaments vorhin im Zusammenhang mit der Arbeit der Bundesregierung von Gleichschaltung gesprochen. Ich finde es ungeheuerlich, dass ihr Handeln als Gleichschaltung bezeichnet wird, also ein Begriff benutzt wird, den wir bisher so verstanden haben, dass er die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Weimarer Republik durch die Nazis beschreibt. Dass mit diesem Begriff die Arbeit der Bundesregierung mit dem damaligen Handeln auf eine Ebene gestellt wird, das sollten wir, glaube ich, nicht unwidersprochen durchgehen lassen. ({0}) Ich will auch deutlich sagen: Wer die Flüchtlingskrise von 2015 mit all ihren Schwierigkeiten und Auswirkungen mit dem millionenfachen Sterben auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges auf eine Ebene stellt, der versucht, wider besseres Wissen die Geschichtsbücher umzuschreiben. Auch das sollten wir nicht durchgehen lassen. ({1}) Ich habe die ganz herzliche Bitte an die Bürgerinnen und Bürger, bei solchen Reden einmal genauer hinzuhören und zu überlegen, wem sie in Zukunft den Auftrag geben, sie hier zu vertreten. ({2}) Aber nun zu den Haushaltstiteln, die mir besonders am Herzen liegen und auf die ich in den nächsten Wochen bei den Beratungen bis zur endgültigen Befassung im Haushaltsausschuss ein besonderes Augenmerk legen werde. Im Etat des Bundesinnenministers ist auch das Geld für den Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus festgeschrieben. Wir haben bei den Haushaltsberatungen 2018 schon darauf geachtet, dass es eine zusätzliche Personalausstattung und zusätzliches Geld gibt. Ich glaube, wir werden prüfen müssen, ob das auch für 2019 Sinn macht, nicht nur in Anbetracht der jüngsten Ereignisse und der strafbaren Handlungen gegen ein koscheres Restaurant in Chemnitz, sondern auch wegen zahlreicher anderer Vorkommnisse in unserem Land. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich das schleichende Gift des Antisemitismus in unsere Köpfe und Herzen einprägt. ({3}) Ich will den Beauftragten so ausstatten – und ich glaube, das will die große Mehrheit dieses Hauses auch –, dass er in der Lage ist, dafür zu sorgen, dass antisemitischem Gedankengut entgegengetreten werden kann und dass wir hier antijüdische Stereotype beseitigen können. Das fängt bei der Diskussion über Schulbücher an und geht über Witze und Bemerkungen bis dahin, das jüdische Leben in Deutschland besser zu verstehen. Ich möchte, dass wir dafür sorgen, dass sich Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland wohl und sicher fühlen können. ({4}) Das neue Jahr 5779 hat ja gerade begonnen, und vom Pult des Deutschen Bundestages sage ich allen jüdischen Menschen in Deutschland: Shana Tova! Ein gutes und süßes neues Jahr! ({5}) Ich will aber auch noch auf Folgendes hinweisen: Ich war in der Sommerpause bei der Berliner Bereitschaftspolizei, die mit Fahrzeugen ausgestattet wird, die der Bund bezahlt. Ich habe dort Fahrzeuge gesehen, die in den nächsten Tagen beim Besuch des türkischen Staats­präsidenten und zum Schutz der Einheitsfeier am 3. Oktober zum Einsatz kommen. Sie sind schon 1988 he­rausgefahren, um gegen linke Chaoten in den Einsatz zu gehen, als damals die Weltbank noch in Westberlin tagte. Sie sind inzwischen über 35 Jahre alt. Die Ersatzteile werden von der Polizei inzwischen bei Oldtimerhändlern besorgt. Ich finde, das können wir auch nicht akzeptieren. Genau wie bei der Schutzausrüstung der Bereitschaftspolizei werden wir auch dort noch mal erheblich was drauflegen müssen. ({6}) – Ich sehe Zustimmung beim Koalitionspartner und glaube, das geht in die richtige Richtung. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Detlev Pilger, SPD. ({0})

Detlev Pilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004376, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste auf der Besuchertribüne! Herr Minister Seehofer, ich habe es als schade empfunden, dass Sie kein Wort über den Sport gesagt haben. Sport hat eine hohe integrative Kraft, Sport fördert Heimat und Gemeinschaft. Schade, dass er in Ihrer Rede nicht mit einem Wort vorkam. ({0}) Sport, so wird gesagt, ist die schönste Nebensache der Welt. Ich möchte Ihnen darlegen, dass er mehr als eine Nebensache ist. Sport hat eine große integrative Kraft – und dies nicht nur für Menschen mit ausländischen Wurzeln, sondern gleichermaßen für Menschen in allen Lebenslagen. Ich werde versuchen, Ihnen das kurz anhand meiner persönlichen Biografie darzustellen. Ich habe die Hauptschule vor vielen Jahren mit einem schlechten Hauptschulabschluss verlassen, hatte keine Lehrstelle gefunden, habe in verschiedenen Hiwi-Jobs gearbeitet und kam nicht richtig unter. Das Einzige, was mir in dieser Situation in meinem Leben Struktur gab, war der Sport. Ich lernte Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Ehrgeiz, Kameradschaft und den Umgang mit Sieg und Niederlage. Was mir damals geholfen hat, wird auch heute jungen Leuten helfen, die in einer vergleichbaren Lage sind. Sehr geehrter Herr Minister, es lohnt sich, in den Sport zu investieren. Nicht alle Vereine – das ist leider so – sind so investitionsstark wie der FC Bayern München, sie brauchen aber gleichermaßen eine große Unterstützung. ({1}) Wir haben das 2018 gemacht und wollen das im Haushalt 2019 fortführen. Wir wollen die 2018 für die Reform der Leistungssportförderung beschlossenen 188 Millionen Euro nochmals um 10 Millionen Euro erhöhen. Es bedarf mehr Mittel für Trainerinnen und Trainer, gerade im Bereich des Sports für Menschen mit Behinderungen. Lieber Kollege André Hahn, wir werden gemeinsam daran arbeiten, dass dort keine Kürzung vorgenommen wird. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen gleichermaßen um Mitarbeit; denn es kann in der Tat nicht sein, dass an dieser Stelle gekürzt wird. ({2}) Die Reform der Bundesstützpunkte muss vonseiten des Sports umgesetzt werden, und wir müssen unsere Hausaufgaben mit der Bereitstellung entsprechender Mittel ebenfalls machen. Wir setzen uns weiterhin für die Unterstützung der unabhängigen Vertretung „Athleten Deutschland“ ein, die Initiative der Sportlerinnen und Sportler, die sich eigenständig vertreten. ({3}) Hier muss es zu einer Verstetigung der entsprechenden Mittel kommen. ({4}) Die Deutsche Sporthilfe unterstützt die Spitzenathleten mit jeweils circa 630 Euro im Monat. Das ist deutlich zu wenig, nicht zuletzt im internationalen Vergleich. ({5}) Kollege König von der AfD, wahrscheinlich waren Sie nicht da oder haben nicht hingehört. Wir haben über alle Fraktionen hinweg vereinbart, dass wir diese an die Besoldung von Bundespolizei und Bundeswehr anpassen. Das, was Sie sagen, ist nicht wahr. Ich denke, Sie haben sich nicht verhört, sondern an dieser Stelle bewusst eine Falschmeldung gestreut. ({6}) Diese Regelung ist im Ausschuss für Sport tatsächlich so verabredet und vereinbart worden. Sie argumentieren hier wieder demagogisch; wieder eine bewusst gewählte Falschaussage an dieser Stelle. ({7}) Die Spitzenathleten stehen dem Sport bis zu zehn Stunden am Tag zur Verfügung. Das muss in gewisser Weise auch durch Mittel honoriert werden. Der Deutsche Olympische Sportbund, der Städte- und Gemeindebund und der Deutsche Städtetag haben vorgerechnet, dass der Sanierungsstau an deutschen Sportstätten, Herr Minister, 31 Milliarden Euro – 31 Milliarden Euro! – beträgt. Die Bundesregierung hat mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm den ersten Schritt gemacht, allerdings müssen weitere folgen. Vielleicht können die Programme zunächst zeitlich begrenzt werden. Die heutige Verteidigungsministerin von der Leyen hat es uns einmal mit dem Bildungs- und Teilhabepaket vorgemacht, das erst zeitlich begrenzt war. Aber ich sage: Wenn man entsprechende Haushaltsmittel einstellt, kann man in drei Jahren durch entsprechende Projekte viele Sportstätten sanieren.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Pilger, der Kollege König würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Detlev Pilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004376, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die AfD insgesamt hat viel zu viel Redezeit in diesem Haus. Die Zwischenfrage lehne ich ab. ({0}) Jetzt komme ich zurück zum Beginn meiner Rede – das ist mir ein besonders großes Anliegen –, nämlich zur integrativen Kraft des Sports. Ich habe über 20 Jahre als Lehrer in einem sozialen Brennpunkt gearbeitet. Nur ein Verein leistete in diesem Stadtteil Jugendarbeit: Das war der Sportverein. Ein solcher Verein braucht unbedingt eine Förderung für die Infrastruktur, wenn die Kommune aufgrund der finanziellen Situation der Überschuldung dazu nicht in der Lage ist. Vereine in solchen Stadtteilen können kaum eigene Mittel akquirieren, weder durch Eigenbeiträge noch durch einen Förderverein. Sie brauchen die Unterstützung der öffentlichen Hand. Ordentliche Sportanlagen sind gerade in Brennpunkten unerlässlich, geben die Vereine doch Kindern und Jugendlichen Halt und vermitteln wichtige Werte. Dies war mir persönlich vor 50 Jahren eine Stütze und hat mir geholfen und wird auch heute jungen Leuten gleichermaßen eine Stütze sein. Lassen Sie uns gemeinsam ein Sportstättenförderprogramm entwickeln, bei dem Brennpunkte eine wichtige Rolle spielen. Die dort lebenden Menschen, Herr Minister, werden es uns danken. Noch ein Wort zu den Schwimmbädern. Viele Kommunen können sich heute weder Hallen- noch Freibäder leisten. Gleichzeitig kann nur jeder zweite Grundschulschüler schwimmen. Der Schwimmunterricht fällt leider häufig aus.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Pilger, achten Sie bitte darauf, dass Ihre Redezeit überschritten ist.

Detlev Pilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004376, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Jawohl, ich höre sofort auf. – Das zeigt: Wir müssen deutlich in den Erhalt und Bau von Schwimmbädern investieren. Es trifft auch hier wieder insbesondere Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Wenn der Sport seine Zusagen zur Reform des Leistungssports einhält, müssen auch wir, sehr geehrter Herr Minister, unsere Zusagen einhalten und entsprechende Mittel bereitstellen, um im Spitzensport noch erfolgreicher zu sein und damit der Sport auch seine sozialen Aufgaben erfüllen kann. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort zu einer kurzen Zwischenbemerkung dem Kollegen König, AfD.

Jörn König (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004788, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Lieber Kollege Pilger, wenn Ihnen die Redezeit der AfD zu viel ist, nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Das Wahlergebnis ist, wie es ist. Wenn Sie der Meinung sind, dass wir zu viel Redezeit haben, bemühen Sie sich endlich um Ihre Wähler. Das ist das Erste. ({0}) Das Zweite. Ich möchte hier ganz eindeutig richtigstellen: Ich habe in meiner Rede den Istzustand beschrieben, und Sie haben ihn sogar bestätigt. Sie werfen mir aber trotzdem Fake News vor. Das ist einfach unredlich. Vielen Dank. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Pilger, wollen Sie antworten? ({0}) Dann liegen mir weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan nicht vor.

Dr. Katarina Barley (Minister:in)

Politiker ID: 11004247

Schönen guten Morgen, Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir beraten jetzt den Haushalt des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ein Moment, Frau Ministerin. Ich würde gerne den Kolleginnen und Kollegen empfehlen, den erforderlichen Platztausch schnell vorzunehmen.

Dr. Katarina Barley (Minister:in)

Politiker ID: 11004247

Das soll dann aber nicht von meiner Redezeit abgehen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Keine Sorge. – Ich bitte zunächst die Kolleginnen und Kollegen, den notwendigen Platztausch schnell vorzunehmen, damit wir dann anschließend mit ungeteilter Aufmerksamkeit den Ausführungen der Bundesministerin folgen können. Wenn Sie das bitte auch zügig machen. Frau Bundesministerin, dann erteile ich Ihnen jetzt das Wort, und die Uhr beginnt von neuem zu laufen. Im Übrigen haben die Mitglieder der Bundesregierung nach dem Grundgesetz jederzeit Rederecht.

Dr. Katarina Barley (Minister:in)

Politiker ID: 11004247

Das weiß ich, aber ich möchte nicht, dass Sie meine Redezeit nachher der Fraktion abziehen. Deswegen weise ich darauf hin.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Das würde ich doch niemals tun. ({0})

Dr. Katarina Barley (Minister:in)

Politiker ID: 11004247

Das ist schön. Es geht um den Haushalt des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, und wir können ganz klar für uns in Anspruch nehmen, dass wir das Effizienzministerium sind. Jeder Euro, der in dieses Ministerium investiert wird, refinanziert sich zu 65 Prozent; also 65 Cent fließen zurück. So effizient ist kein anderes Haus. Das hat vor allen Dingen mit der ausgezeichneten Arbeit des Deutschen Patent- und Markenamtes zu tun, das ganz wesentlich dafür verantwortlich ist, dass unser Forschungsstandort so stark ist, wie er ist. Wir schaffen in diesem Haushalt für dieses wichtige Amt 100 zusätzliche Stellen. Wenn Sie dem zustimmen – wofür ich sehr werbe; das ist wirklich wichtig; denn die Aufgaben werden komplizierter, und die Technik entwickelt sich weiter; das ist im Interesse aller –, danke ich Ihnen schon jetzt für die Einrichtung dieser Stellen. ({0}) Wir sind allerdings auch in einer anderen Hinsicht Effizienzministerium. Denn wir haben schon in diesen knapp sechs Monaten, die wir nun in der Regierung sind, drei große und wichtige Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht. Sie erinnern sich: Das erste Gesetz, das hier verabschiedet wurde, war die Eine-für-alle-Klage, die Musterfeststellungsklage. Das Gesetzgebungsverfahren ist bereits abgeschlossen. Gestern hat eine Pressekonferenz von Verbraucherzentrale Bundesverband und ADAC stattgefunden, die dafür werben, dass zum 1. November die Musterfeststellungsklage in Sachen Diesel-Gate gegen VW Fahrt aufnimmt. Dort wird sich zeigen, dass wir für die Geschädigten einen Rechtsweg eröffnet haben, den sie bisher nicht hatten – kostenfrei, risikofrei und hoffentlich auch schnell und effizient. ({1}) Der zweite große Bereich betrifft die Mieterinnen und Mieter. Das Kabinett hat das Vorhaben bereits gebilligt, wie Sie wissen. Sie kennen alle die aktuelle Situation auf den Wohnungsmärkten, vor allen Dingen in den Ballungsräumen und in den Universitätsstädten. Sie wissen so gut wie ich, dass man mittlerweile als Normalverdiener, als Krankenpfleger oder Polizistin, wirklich Probleme hat, eine bezahlbare Wohnung zu finden, vor allen Dingen dann, wenn man Familie hat. Wir haben im Koalitionsvertrag beschlossen, dass wir Mieterinnen und Mieter stärken werden, ({2}) und das tun wir. Es ist mir wichtig, zu sagen, dass dieses Gesetz nur ein Baustein in dem ganzen großen Komplex Wohnen, Bauen, Mieten ist. Denn natürlich – da muss man auch Erwartungsmanagement betreiben –: Dieses Mieterschutzgesetz dient dazu, die weitere Explosion von Mieten zu verhindern. Mieten zu senken und mehr Wohnraum zu schaffen: Das tun andere Maßnahmen. Der Kollege Seehofer hat einige davon heute Morgen bereits benannt. Ich will aber auch den Kollegen Finanzminister Olaf Scholz nennen, der seinen Teil dazu beiträgt, zum Beispiel, indem die Bundesliegenschaften, die Grundstücke in Bundeseigentum, zukünftig günstiger abgegeben werden können, wenn dort bezahlbarer Wohnraum entsteht. ({3}) Es ist also insgesamt ein Paket. Man kann zwar sagen, das ist noch nicht genug – da bin ich durchaus dabei –, aber es ist ein sehr, sehr wichtiger Schritt. Denn dieses Mieterschutzgesetz hat drei Komponenten. Die erste ist: Wir machen die Mietpreisbremse wirksamer, indem wir von den Mieterinnen und Mietern nur noch verlangen, dass sie eine überhöhte Miete rügen. Sie müssen nicht mehr genau darlegen, worauf sie sich beziehen. Auf der anderen Seite müssen die Vermieterinnen und Vermieter, wenn sie eine Miete verlangen wollen, die über der Mietpreisbremse liegt, begründen, warum. Bisher müssen sich immer nur die Mieterinnen und Mieter nackig machen, wie ich das nenne. Sie müssen ihre Verdienstbescheinigung, Bürgschaften usw. vorlegen. Jetzt erlegen wir den Vermietern eine Kleinigkeit auf, nämlich dass sie sagen, warum die Miete höher ist, als sie nach der Mietpreisbremse sein müsste. Es gibt sicherlich Ausnahmetatbestände. Übrigens, Herr Kießling, Neubauten gehören dazu. Die Mietpreisbremse hindert also niemanden daran, neuen Wohnraum zu schaffen; denn die Mietpreisbremse gilt dafür nicht. Sie ist kein Hemmnis für Investitionen. Aber die Mietpreisbremse zwingt die Vermieterinnen und Vermieter, sich bei Neuvermietungen an die Vorgaben zu halten, und schafft für Mieterinnen und Mieter ein wirksames Werkzeug, um sich gegen zu hohe Mieten zu wehren. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Dr. Katarina Barley (Minister:in)

Politiker ID: 11004247

Gerne.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Barley, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade Ausführungen zur Mietpreisbremse gemacht. Leider läuft die Mietpreisbremse in Städten wie München, Berlin, Hamburg, Stuttgart und Tübingen in den nächsten zwei Jahren aus. Die Mietpreisbremse wurde ja in der letzten Legislaturperiode auf fünf Jahre befristet. Was sagen Sie nun den Mieterinnen und Mietern, wenn in zwei Jahren die Mietpreisbremse ausläuft und sie damit bei Neuvertragsmieten wieder dem freien Spiel der Wohnungsmärkte in den betreffenden Städten ausgeliefert sind?

Dr. Katarina Barley (Minister:in)

Politiker ID: 11004247

Ich sage diesen Mieterinnen und Mietern, dass wir uns natürlich dafür einsetzen, dass die Mietpreisbremse weiterhin gilt; das ist auch meine Position. Dafür werden wir kämpfen und streiten. Das haben Sie der Position der SPD sicherlich auch entnommen. Aber es kommt vor allen Dingen auch sehr stark auf die Landesregierungen an. Da machen mir insbesondere die Landesregierungen in Schleswig-Holstein, wo die Grünen beteiligt sind, und Nordrhein-Westfalen große Sorgen, die gerade anfangen, die Zwischenschritte, die auf Landesebene nötig sind, zu torpedieren. Ich bitte Sie also sehr herzlich, auf Ihre Kolleginnen und Kollegen vor allen Dingen in Schleswig-Holstein so Einfluss zu nehmen, dass der Mieterschutz dort nicht zurückgefahren wird. ({0}) Ein weiterer Punkt beim Mieterschutzgesetz betrifft die Modernisierungsumlage. In Zukunft dürfen weniger Modernisierungskosten auf die Mieterinnen und Mieter umgelegt werden. Des Weiteren gehen wir gegen das geradezu gewaltsame bzw. schikanöse Herausmodernisieren von alteingesessenen Mieterinnen und Mietern aus ihren Wohnungen vor. Es ist also insgesamt ein sehr gutes Paket. Schließlich haben wir in dieser Woche den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs in die Verbände- und Länderanhörung eingebracht. Das war eine Priorisierung durch den Deutschen Bundestag. Das sage ich nur deswegen, weil ich später ganz bestimmt zu hören bekomme, was ich noch alles im letzten halben Jahr hätte machen müssen. Wie gesagt, es war eine Prioritätensetzung durch den Deutschen Bundestag. Ich habe diese natürlich akzeptiert, und wir sind ihr nachgekommen. Bei diesem Gesetz geht es vor allen Dingen um das Eindämmen von Abmahnungen, die aufgrund beispielsweise kleiner Verfehlungen im Impressum oder in irgendwelchen Erklärungen ausgesprochen werden. Das gilt übrigens für alle Bereiche, auch für Datenschutzverstöße. Das werden wir dem missbräuchlichen Handeln entziehen, indem wir die finanziellen Anreize deutlich senken, den fliegenden Gerichtsstand für diesen Bereich abschaffen – man kann sich also nicht mehr aussuchen, vor welchem Gericht man klagt – und den Kreis der Befugten beschränken. ({1}) Wir haben also schon richtig viel geschafft. Wir haben natürlich auch noch sehr viel vor; das ist ganz klar. Ich will nicht auf alles eingehen. Ich werde aber noch ein paar Worte zum Pakt für den Rechtsstaat sagen; denn die Stärkung unseres Rechtsstaates ist derzeit – das bekommen wir alle mit – so nötig wie selten zuvor. Beim Pakt für den Rechtsstaat handelt es sich nicht um ein Gesetz. Das ist keine Ansammlung von drei, vier oder fünf Maßnahmen. Der Pakt für den Rechtsstaat ist im Grunde genommen eine Daueraufgabe, die uns begleiten wird. Deswegen ist sie auch nicht auf mein Haus beschränkt, sondern ist zum Beispiel auch im Bundesinnenministerium verankert. Der Pakt wird letztendlich auf der Ebene der Regierungschefinnen und der Regierungschefs geschlossen. Für meinen Bereich ist entscheidend, noch einmal ganz klar zu machen: Behörden und Gerichte machen weit überwiegend einen exzellenten Job und kommen zu guten und richtigen Entscheidungen. ({2}) Unser Rechtsstaat funktioniert gut. Er funktioniert deshalb gut, weil Gerichte belastbare Fakten für ihre Entscheidungen nutzen, weil sie unabhängig sind und weil ihre Entscheidungen möglichst transparent und nachvollziehbar kommuniziert werden. Der Rechtsstaat muss immer an der Sache orientiert arbeiten und darf nicht auf einen schnellen Effekt abzielen. Er darf sich auch nicht von aufgeheizten Stimmungen in der Öffentlichkeit beeinflussen lassen. Nicht umsonst trägt Justizia eine Augenbinde. Jeder Mensch muss vor dem Gesetz gleich sein und gleich behandelt werden. Die Person – ob nun Täter oder Opfer, ob auf Klägerseite oder auf Beklagtenseite – darf keine Rolle spielen. Ich werde mich deshalb immer schützend vor die Justiz stellen, wenn von welcher Seite auch immer Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte für die hervorragende Arbeit, die sie machen, angegriffen werden. Das ist eine hochanspruchsvolle Tätigkeit, der wir jeden Respekt zollen sollten. ({3}) Dieser Respekt gilt dann auch den Urteilen, die diese Menschen treffen, ({4}) auch wenn sie einem im Einzelfall nicht gefallen mögen. Auch ich finde nicht jedes Urteil richtig, das ein deutsches Gericht spricht; aber es ist zu respektieren. Wer immer daran Zweifel sät, der sät auch Zweifel in das Vertrauen in den Rechtsstaat, und das ist fatal. Ein konkretes Projekt, mit dem wir den Rechtsstaat fassbar machen, das ist das Forum Recht, das in diesem Haus fraktionsübergreifend unterstützt wird. Darüber freue ich mich sehr; denn wir brauchen einen Ort – den gibt es in Deutschland tatsächlich noch nirgendwo, und es gibt ihn auch weltweit in dieser Form nur zweimal –, der gewährleistet, dass Rechtsstaat tatsächlich erfahrbar wird und dass der Dialog über Rechtsstaat ermöglicht wird. Ich stehe voll und ganz hinter diesem Projekt und sage Ihnen mein persönliches Engagement dort zu. ({5}) Schließlich: Natürlich brauchen wir gute Leute für den Rechtsstaat. Das ist grundsätzlich Ländersache; das wissen wir alle. Die Verfassung hindert uns daran, das Füllhorn zu öffnen und neue Stellen zu bezahlen. Das ist etwas, was wir in der Zusammenarbeit mit den Ländern machen wollen. Wir müssen die Justiz auch als Arbeitgeberin attraktiver machen. ({6}) Wir brauchen eine gute Qualifizierung. Wir brauchen attraktive Fortbildungen. Wir brauchen ein breites Paket, und wir brauchen auch eine Kampagne, mit der wir unter anderem die Nachwuchsgewinnung fördern wollen. Auch das wollen wir tun. Zum Abschluss. Sie kennen sicherlich das Zitat des ehemaligen Verfassungsrichters Böckenförde – die Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitiker unter Ihnen auf jeden Fall –, dass der Rechtsstaat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann. Was heißt das? Das heißt, dass der Pakt für den Rechtsstaat nicht etwas ist, was auf dieses Parlament beschränkt ist, sondern etwas, was die gesamte Gesellschaft fordert. Wir sind alle gefordert, wenn Angriffe gegen den Rechtsstaat gefahren werden, ihn aktiv zu verteidigen, sich aktiv davorzustellen. Wir wissen: Es ist sehr, sehr einfach, Vertrauen in den Rechtsstaat zu zerstören – das wollen auch einige –, und es ist unendlich schwer, solches verlorengegangene Vertrauen wiederaufzubauen. Deshalb lassen Sie uns jetzt – jetzt ist die Zeit dafür – gemeinsam für den Rechtsstaat einstehen. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion der AfD hat das Wort der Kollege Stephan Brandner. ({0})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Recht, Rechtsstaatlichkeit, Zuverlässigkeit und Ordnung, dafür war Deutschland einst in der Welt bekannt – verdammt lang her. Nach 13 Jahren Merkel steht unser Land inzwischen leider für peinliche Planungspannen wie Berliner Flughafen oder Stuttgart 21, für ideologische Unsinnsprojekte wie Energiewende, Genderwahn und Euro-Rettung sowie für Grenz- und Einwanderungschaos. ({0}) Unser Land leidet unter der Herrschaft krimineller Clans, islamischer Paralleljustiz, linken und rechten Straßenterroristen und massiver Zuwandererkriminalität. Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit, aber auch die Versammlungsfreiheit sind massiv eingeschränkt und gefährdet. Medienvielfalt und Medienfreiheit gibt es nahezu nur noch aus Sicht der Altparteien. Abweichende Meinungen sind verpönt und werden unterdrückt. ({1}) – Sie fangen hier schon wieder an. Merken Sie das? ({2}) Menschen, die nicht an die vom sächsischen Ministerpräsidenten sogenannten Wahrheitssysteme des betreuten Denkens im Staatsfunk und in den Einheitsmedien glauben, werden stigmatisiert, sozial geächtet und, wenn es besonders schlimm läuft, körperlich attackiert und verletzt. Für die letztgenannte Drecksarbeit, meine Damen und Herren, sind die von den Altparteien finanziell gemästete Antifa und ihre Helfershelfer zuständig, und die übernehmen das verdammt gerne. ({3}) Kurz und gut, vom einstmals zuverlässigen freiheitlichen Rechtsstaat Deutschland, um den uns die Welt einst beneidete, ist nicht mehr allzu viel übrig, und daran ist nicht nur Frau Merkel alleine schuld. Sie von den Altparteien tragen die Schuld dafür. Sie sind verantwortlich. Sie stehen für Ignoranz. Sie verschließen sich den drängendsten Problemen unseres Landes, die Sie übrigens selber verursacht haben. ({4}) Meine Damen und Herren, daran ändert auch der Pakt für den Rechtsstaat nichts, den Frau Barley angekündigt hat; denn bisher ist gar nichts passiert. Dabei ist aber nichts so wichtig, wie die Stärkung der Justiz und der Vollzug bestehender Gesetze. Dazu wird der Kollege Jens Maier von der AfD gleich noch ausführen. Ein Beispiel. Seit dem Jahr 2014 hat sich die Zahl der Asylverfahren vor deutschen Gerichten verzehnfacht. Während aber Abermilliarden für Migranten rausgeschmissen werden, scheitert die Einstellung neuer Richter am Geld. Diese Regierung hat also nicht nur die Innenstädte den meist illegalen Migranten überlassen, meine Damen und Herren, sondern gleich auch noch die Gerichte mit – die Gerichte, die einst Aushängeschilder unseres Rechtsstaats waren. ({5}) An anderer Stelle finden wir den Opferbeauftragten, der leider notwendig ist. Er bekommt Geld. Allerdings finden wir es sehr zynisch, einen Opferbeauftragten zu benennen und gleichzeitig Terrorkrieger ins Land zu holen. Unsere Lösung wäre im Pakt für den Rechtsstaat, Frau Barley: Wir kontrollieren an den Grenzen, wir weisen Illegale ab, und Gefährder sperren wir ein oder weisen sie aus. Dann brauchen wir auch keinen Opferbeauftragten mehr. ({6}) Das wäre ein Pakt für den Rechtsstaat. ({7}) Was finden wir noch im Haushalt von Frau Barley? Unsinnige Ideologieprojekte wie Geld für die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die sich mit irgendwelchem Sexgebaren beschäftigt und dritten und weiteren Geschlechtern Vorschub leisten will. Wir finden Geld für Schnüffelei und Zensur: 3 Millionen Maas – – 3 Millionen Euro – 3 Millionen Maß, wäre auch nicht schlecht – für die Evaluierung des Maas’schen Zensurgesetzes. Das brauchen wir nicht. Wir brauchen gar kein NetzDG. Weg damit, meine Damen und Herren! ({8}) Schließlich, weil meine Redezeit gleich um ist: Die SPD befindet sich – Sie wissen es – im freien Fall. Den Misthaufen der Geschichte, den der gestern sehr kurz und peinlich aus dem politischen Dämmerschlaf erwachte Martin Schulz – wo ist er eigentlich heute? – offenbar sehr gut kennt –

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– vielleicht riecht der den Misthaufen der Geschichte auch schon, meine Damen und Herren – –

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Nein. – Die SPD möchte schnell noch irgendetwas liefern. Eine verschärfte Form der Mietpreisbremse, eine Art Mietpreisvollbremsung, hat sie sich ausgedacht. Dabei versucht die SPD aber, zu verschleiern, dass sie allein für diese Misere auf dem Mietmarkt zuständig ist. Seit Jahren ist die Wohnungsbauförderung rückläufig. Seit Jahren werden Wohnungsbauer auch durch schikanöse Energiesparmaßnahmen eingeschränkt. ({0}) Seit Jahren wurde auch in den Ländern der ländliche Raum sträflich vernachlässigt. Schließlich, meine Damen und Herren: Seit Jahren erfolgt eine millionenfache illegale Einwanderung, was zu einer weiteren Verknappung des Wohnraums auf dem freien Markt führt. So einfach ist das. ({1}) – Schreien Sie nicht so rum! Meine Damen und Herren, das war, der kurzen Redezeit geschuldet, ein kurzer, ein sehr kurzer Anriss unserer Kritik. Sie haben gehört: Es gibt viel zu tun. Wir werden das in den Ausschüssen machen. Die AfD steht dafür bereit. Meine Damen und Herren, nutzen Sie unser Angebot! Vielen Dank. ({2}) Wenn jetzt noch eine Zwischenfrage gestellt werden soll!

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Bitte?

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich würde die Zwischenfrage jetzt zulassen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Jetzt gibt es keine Zwischenfrage mehr. Der nächste Redner kommt nämlich jetzt, und das ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Stephan Harbarth. ({0})

Dr. Stephan Harbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004049, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt auf unserem Globus nur wenige Länder, in denen der Rechtsstaat so gut funktioniert wie in der Bundesrepublik Deutschland: die Bindung des Staates an Recht und Gesetz, die Gewaltenteilung, ({0}) die Achtung der Menschenrechte, eine unabhängige, eine unbestechliche Justiz, ({1}) eine leistungsfähige Justiz mit hervorragend ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und weitgehende gesellschaftliche Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen. Und doch spüren wir alle, dass der Rechtsstaat im Augenblick besonderen Herausforderungen gegenübersteht und mit besonderen Gefahren zu kämpfen hat. Nicht zuletzt die Ereignisse in Chemnitz haben all dies noch einmal verdeutlicht: ein schlimmes Tötungsdelikt, Verlangen nach Selbstjustiz, Zeigen des Hitlergrußes, Gewaltverherrlichung in einem Konzert, Angriff auf ein jüdisches Restaurant, Angriffe auf andere Menschen und viele andere schlimme Vorgänge. Wir leben in Deutschland nicht in einem Land von Faustrecht und Fehde, sondern in einem Staat des Rechts. Dieses Recht gibt den Ordnungsrahmen vor, innerhalb dessen Konflikte auszutragen sind. Vielleicht ist ein wenig in Vergessenheit geraten, wie jung diese Errungenschaft eigentlich ist und in wie vielen Staaten der Erde wir um sie beneidet werden. ({2}) Der Staat erwartet vom Bürger zu Recht, dass er sich der Selbstjustiz und auch der Vorverurteilung enthält, auch dort, wo brutale Verbrechen geschehen und vielleicht gar ein Täter auf frischer Tat ertappt wird. Ebenso wie wir aushalten müssen, dass in gewissen Grenzen auch Menschen demonstrieren, deren politische Auffassung wir nicht teilen, muss jeder das Strafen unabhängigen Gerichten überlassen, und zwar nicht nach dem Rechtsgefühl, sondern nach der Rechtslage. Aber so wenig wie das Rechtsgefühl bei Urteilen eine Rolle spielt: Wir müssen wachsam sein, wenn dauerhaft die Akzeptanz in der Bevölkerung zu schwinden droht. Und damit meine ich keine schreienden Rechtsradikalen, die verfassungsfeindliche Symbole zeigen und ausländerfeindlich oder antisemitisch auftreten, sondern ich meine die Menschen in unseren Wahlkreisen, die mit ihren Sorgen und Nöten auf Sie wie auf mich zukommen. Wir müssen uns einerseits gegen jede Verächtlichmachung des Rechtsstaats wehren, und wir müssen andererseits genau hinsehen, woran es liegt, wenn in Teilen der Bevölkerung seine Akzeptanz schwindet, und wir müssen zuhören, wenn sachliche Kritik geäußert wird. Der Verzicht auf Selbstjustiz korrespondiert mit einem Sicherheitsversprechen unseres Staates. Der Staat muss die ihm übertragenen Befugnisse effektiv ausüben, die Polizei uns alle bestmöglich vor Straftaten schützen. Wo Straftaten nicht verhindert werden können, müssen die Täter ergriffen und durch den Staat einer angemessenen Strafe zugeführt werden. Für uns als Rechtspolitiker ist klar: Es ist unverzichtbar, dass ein starker Rechtsstaat den Bürgern genau diese Sicherheit gewährt.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Stephan Harbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004049, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde gerne im Zusammenhang ausführen, Herr Präsident. – Wir haben deshalb, weil wir wissen, dass der Staat den Bürgern dieses Sicherheitsversprechen gewährt, in der neuen Legislaturperiode mit dem Pakt für den Rechtsstaat einen ganz zentralen Schwerpunkt gesetzt. Der Pakt für den Rechtsstaat besteht aus mehreren Säulen. Erstens. Ein starker, wehrhafter Rechtsstaat braucht zunächst einmal genügend Personal, um seine Bürger schützen zu können, um sicherzustellen, dass keine rechtsfreien Räume entstehen, um in vertretbarer Zeit seine Urteile zu sprechen. Er braucht genug Personal bei der Polizei und den Sicherheitsbehörden, bei den Gerichten und bei den Staatsanwaltschaften. Deshalb haben wir in dieser Legislaturperiode nochmals – genauso wie in der vorangegangenen – einen massiven Stellenaufwuchs bei der Polizei vorgesehen: Wir haben im Haushalt 2018  2 000 und im Haushalt 2019 weitere 2 000 neue Stellen bei der Polizei geschaffen. Auch bei der Justiz, wo es sich in erster Linie um eine Länderkompetenz handelt, sind viele Länder schon tätig geworden und haben in den letzten Jahren Richter und Staatsanwälte eingestellt. Insgesamt müssen 2 000 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte in Deutschland geschaffen und entsprechendes Folgepersonal eingestellt werden. Zweitens. Ein starker Rechtsstaat braucht eine gut ausgestattete Justiz und Polizei, die in Zeiten der Digitalisierung gegenüber Kriminellen und Terroristen nicht ins Hintertreffen gerät. Sie muss auch im digitalen Bereich ermitteln können. Polizei und Justiz müssen ihre so gewonnenen Erkenntnisse über eine gemeinsame Datenschnittstelle austauschen können. Hierfür brauchen wir auch die elektronische Akte im Strafprozess. ({0}) Drittens. Ein zentraler Punkt ist, dass wir die Gerichtsverfahren noch effizienter machen. Ja, es ist das gute Recht eines Verteidigers, jedes Recht auszuüben. Aber wenn wir sehen, dass Rechte missbraucht werden, wenn wir sehen, dass beispielsweise im NSU-Prozess Dutzende von Befangenheitsanträgen gestellt werden, um einen solchen Prozess in Mitleidenschaft zu ziehen, dann sind wir als Gesetzgeber gefordert. Deshalb haben wir die klare Erwartung, dass missbräuchlichen Befangenheitsanträgen, missbräuchlichen Beweisanträgen und Ähnlichem ein Riegel vorgeschoben wird. Da haben wir auch die Bitte, dass das, was wir bei diesen Dingen vereinbart haben, Frau Bundesministerin, durch das Bundesjustizministerium nun beschleunigt erarbeitet wird. ({1}) Für uns ist ein wichtiger Punkt, dass wir den Ermittlern wichtige Erkenntnisquellen nicht vorenthalten. Deshalb sind wir der Auffassung, dass die DNA-Analyse ausgeweitet werden muss, um beispielsweise besser nach den Tätern fahnden zu können, etwa auch anhand ihrer Haar- oder Augenfarbe. Der vierte Punkt lautet: mehr Opferschutz und mehr Prävention. Für uns bedeutet Opferschutz nicht nur, dass Menschen, die Opfer einer Straftat wurden, geholfen wird, sondern es bedeutet für uns auch, dass man Menschen hilft, gar nicht erst Opfer einer Straftat zu werden. Wir haben beispielsweise in den vergangenen Jahren bei der Bekämpfung des Wohnungseinbruchsdiebstahls viel auf den Weg gebracht. Die Zahl der Wohnungseinbrüche ist im Jahr 2017 um über 20 Prozent gesunken; dennoch sind wir noch nicht am Ende der Wegstrecke angekommen. Wir sind der festen Überzeugung, dass die Überwachung der Telekommunikation bei Einbruchsdiebstählen ausgeweitet werden muss, da sich oft erst in einem späten Stadium der Ermittlungen nachweisen lässt, dass hier Banden am Werk sind. Wir brauchen intelligente Videoüberwachung: nicht an allen Stellen, aber an Stellen mit besonderer Gefahrenlage, damit es auch möglich ist, die Gesichter von Straftätern zu erkennen. Bei all diesen großen Herausforderungen im Rahmen des Pakts für den Rechtsstaat sollten wir die in Relation dazu etwas kleineren, aber dennoch wichtigen Fragen der Rechtspolitik nicht vergessen. Ich denke da an manches Projekt auf europäischer Ebene. Wir sollten in Zeiten, in denen Europa starken Anfeindungen ausgesetzt ist, anhand konkreter Projekte belegen, dass die Integration, die Rechtsvereinheitlichung, in Europa den Menschen nützt. Ich denke hierbei etwa an das Thema der Europäischen Privatgesellschaft, ein Institut, für das wir seit vielen Jahren arbeiten und das wir in Europa endlich auf den Weg bringen sollten. Wir sollten meines Erachtens in der Rechtspolitik dort, wo wir in Europa im Augenblick manches nicht durchsetzen können, versuchen, die deutsch-französische Integration zu vertiefen. Wenn wir manches im Augenblick auf europäischer Ebene nicht durchsetzen können, aber Rechtsvereinheitlichung in wichtigen Feldern etwa mit Frankreich hinbekommen – das mag im Bereich des Insolvenzrechts, auf vielen anderen wirtschaftsrechtlichen Feldern oder im Bereich des Gesellschaftsrechts der Fall sein –, dann wäre auch das ein Fortschritt, der die Menschen erkennen lässt, wie sinnhaft eine weitere Rechtsharmonisierung und eine weitere Integration in Europa ist. ({2}) Zu den Punkten, die uns in besonderer Weise am Herzen liegen, gehört, dass wir uns in der laufenden Legislaturperiode auch ausführlicher mit dem Fragenkreis zu Zwangsadoptionen in der ehemaligen DDR befassen werden. Wir sind hierbei nicht am Ende der Erkenntnisse, wir sind eher am Anfang eines langen Prozesses. Aber angesichts des Verdachts, der im Raume steht, dass nämlich Menschen aus völlig sachfremden Gründen, aus politischer Motivation heraus Kinder entzogen wurden und sie diese Kinder in der Folge vielleicht nie mehr wiedergesehen haben, ist es, glaube ich, dringend erforderlich, dass der Deutsche Bundestag diesen Fragenkreis in der laufenden Legislaturperiode aufklärt. ({3}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, vielleicht haben wir alle in den vergangenen Jahren etwas zu wenig für die großen rechtsstaatlichen Errungenschaften geworben. Vielleicht haben wir auch manchen Missstand in der Justiz, vielleicht manchen personellen Engpass in der Justiz zu spät bekämpft. Vielleicht haben wir damit denen, die Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat in ihrem Innersten verachten und den Rechtsstaat deshalb verächtlich zu machen suchen, zu viel Angriffsfläche geboten. Sollte dem so sein, müssen wir umgehend umschalten. Kaum ein Projekt verdient es so in das Zentrum der laufenden Legislaturperiode gestellt zu werden wie die Stärkung, die Ertüchtigung unseres Rechtsstaats. Lassen Sie uns dies jedenfalls im Kreis derjenigen Fraktionen, die sich zu diesem Staat, zu seinen zentralen Pfeilern bekennen, gemeinsam in Angriff nehmen. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner: Dr. Stefan Ruppert für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Stefan Ruppert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen: Es ist wohltuend, einer Rede von Frau Barley oder eben auch von Herrn Harbarth zuzuhören. Zeigen sie doch, dass wir Demokraten Gemeinsamkeiten haben. Das ist beinahe ungewohnt; denn mit ihrer Nüchternheit und Sachbezogenheit fallen solche Reden in diesem Haus im Vergleich zu anderen in den Debatten fast schon auf. Man ist vielleicht geneigt, eine Rede wie die von Stefan Harbarth eben als eher nüchtern und trocken zu betrachten, aber nein, sie ist entlang des uns aufgegebenen Gegenstandes und damit zutiefst sachlich. Das sollten wir viel öfter praktizieren als manche Aufgeregtheit, die in der Regel auch von den Bürgern außerhalb dieses Hauses wenig goutiert wird. ({0}) Ich möchte ein Lob aussprechen: Ich finde es gut, dass wir eine Justizministerin haben, die zuhört, die unaufgeregt arbeitet und Dinge aufnimmt und klug analysiert. ({1}) Ich finde, sie hebt sich damit wohltuend ab vom zweiten Verfassungsressort, das in Aufregungswellen über die „Mutter aller Probleme“ sinniert und damit leider Vertrauen zerstört, das wir dringend bräuchten und durch den Pakt für Rechtsstaatlichkeit, der auch intendiert und unterstützt wird, erst wieder mühsam aufbauen müssen. ({2}) Ich vermisse aber – ich bin ja ein Redner der Opposition – eine klare bürgerrechtliche Orientierung. Leider ist es immer noch so, dass es zur Vorratsdatenspeicherung, die quasi gerichtlich außer Kraft gesetzt und mit einer Art Moratorium versehen worden ist, keinerlei Regelungen gibt. Es wäre an der Zeit, dieses Gesetz außer Kraft zu setzen, und ich würde mir diesbezüglich eine Initiative einer Rechtsstaatspartei wünschen und auch dieser Ministerin. Darauf warten wir leider vergeblich. ({3}) Genauso vergeblich warten wir auf eine Klärung bei § 219a StGB. ({4}) Wir haben gehofft, dass nach den Debatten, die wir am Anfang des Jahres geführt haben und die viele Menschen bewegt haben, jetzt auch eine Klärung herbeigeführt wird. Aber leider auch da: zu wenig Initiative. Besonders frustrierend ist natürlich das Vorgehen bei der Mietpreisbremse. Da haben wir ein Instrument, das nach Aussagen sowohl des Mieterbundes als auch von Haus & Grund als auch von allen Wissenschaftlern nicht funktioniert hat. ({5}) Alle Seiten sagen: Dieses Instrument funktioniert nicht. ({6}) Was machen Sie? Sie geben von einem Medikament, das schädliche Wirkung hat, einfach eine höhere Dosis. ({7}) Dieses Vorgehen, eine Regulierung in dieser Art und Weise, ist weder rechtsstaatlich sinnvoll noch entspricht das unserer Eigentumssystematik. Wir können überall auf der Welt sehen: Wo Preise festgesetzt werden – das ist ja der zweite Schritt, den Thorsten Schäfer-Gümbel in Hessen gefordert hat –, wo es einen Mietpreisstopp gibt, wo also einer Preisregulierung durch den Staat das Wort geredet wird, dort wird es weniger Wohnungen und steigende Mietpreise geben. Das ist am Ende eine fahrlässige Wohnungsbaupolitik, die zutiefst unsozial ist. ({8}) Dann haben Sie im Bundeswirtschaftsministerium, das ja einmal den Anspruch hatte, wieder ein Hort ­Erhard’scher Marktwirtschaft zu werden, einen Beirat eingerichtet. Der sagt Ihnen von wissenschaftlicher Seite unisono: Was Sie dort machen, ist schlicht unwirksam. Es ist nicht der richtige Weg. Es ist falsch. – Die wissenschaftliche Expertise widerspricht Ihrem politischen Vorhaben. Was machen Sie? Sie verunglimpfen die Menschen, die in diesem Beirat für Sie tätig sind, die Sie beraten sollen, als neoliberale Spinner und werfen deren Rat schlicht in die Tonne. Man braucht keinen Beirat, wenn man das, was einem wissenschaftlich empfohlen wird, null beachtet. Ich weiß, dass Sie es mit der sozialen Marktwirtschaft im Wohnungsbaumarkt nicht so sehr haben. Wir könnten Ihnen empfehlen, was zu tun ist: weniger Bürokratie, einen Freibetrag auf die Grunderwerbsteuer, Senkung der Standards, Ausweisung von mehr Wohnraum. Denn aus den letzten Jahren wissen wir: Es fehlen 1 Million Wohnungen, insbesondere in den großen Ballungsräumen, und Ihre Politik wird dieses Problem weiter verschärfen. ({9}) Am Ende will ich auch etwas zum Forum Recht sagen. Wir hatten jetzt mehrere Tagungen in Karlsruhe – hochinteressant –, wo Menschen sich mit der Frage befasst haben, wie man auf dem Gelände des Bundesgerichtshofs den Gegenstand Recht, der für viele trocken ist, greifbarer machen kann. Es geht dabei nicht um eine Musealisierung des Rechtsstaats, sondern es geht um seine Gegenwartsrelevanz und um seine Stärkung. Führende Rechtshistoriker, Zeithistoriker haben darum geworben, wie wir das Recht in seiner Relevanz für die Gewaltenteilung, auch für die Demokratie, sichtbarer machen. Ich finde es ein zutiefst sinnvolles Projekt. Es hat unsere Unterstützung, auch aus der Opposition. Ich wünsche mir eine allgemeine Beteiligung am Nachdenken darüber. Der Rechtsstaat ist eine der größten Errungenschaften, die wir in Deutschland haben. Er funktioniert – das hat Stephan Harbarth zu Recht gesagt – im internationalen Vergleich sehr gut. Er muss weiter verbessert werden, und wir müssen für ihn werben, sonst überlassen wir Menschen, die wir nicht haben wollen, das Terrain, und das wäre wirklich nicht schön. In einem solchen nicht rechtsstaatlichen Land möchte ich nicht leben. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Victor Perli für die Linksfraktion. ({0})

Victor Perli (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke setzt sich für einen starken Verbraucherschutz und für einen handlungsfähigen demokratischen und sozialen Rechtsstaat ein. ({0}) Demokratisch und sozial heißt: Recht haben und Recht bekommen darf niemals davon abhängen, wie dick der Geldbeutel ist. ({1}) Die Gerichte müssen so gut ausgestattet sein, dass sie sorgfältig und zügig urteilen können. Es ist eine aktuelle Herausforderung, den Rechtsstaat auch gegen Angriffe auf seine Existenz vom rechten Rand zu verteidigen. Eine interessante Idee ist das Projekt „Forum Recht“ in Karlsruhe – es ist bereits hier angesprochen worden –, das im kommenden Jahr starten soll. Mit einer Ausstellung und bundesweiten Angeboten und Projekten soll es dazu beitragen, die Bildungs- und Dialogangebote zum Rechtsstaat zu stärken. Hierzu haben wir in den vergangenen Wochen fraktionsübergreifend gute Gespräche geführt: von der FDP bis zur Linken. Meine Fraktion unterstützt dieses Projekt grundsätzlich. Ich möchte Ihnen dazu den Vorschlag unterbreiten, dass wir dieses „Forum Recht“ griffiger als „Bundeszentrale für rechtsstaatliche Bildung“ bezeichnen und es damit zur Schwester der Bundeszentrale für politische Bildung machen. ({2}) Meine Damen und Herren, zu einem guten Verbraucherschutz gehört auch ein guter Schutz vor steigenden Mieten. Die bisherige Mietpreisbremse war eine wirkungslose Vollkatastrophe. Der Mieterbund befand – ich zitiere –: Die Mietpreisbremse ist unbrauchbar. – Das sagt der Mieterbund. Warum? Weil die Große Koalition dafür gesorgt hatte, dass die Vermieter am Ende doch am längeren Hebel sitzen. Freunde von mir berichten von absurden Situationen bei Wohnungsbesichtigungen in Hamburg und in Berlin. Es bewerben sich 50 Menschen um eine Wohnung, und natürlich traut sich niemand, die provokante Frage nach der Vormiete zu stellen, weil dann die Person sofort heraus wäre aus dem Verfahren. Aus Sicht vieler Mieterinnen und Mieter gibt es zwei zentrale Kritikpunkte. Zum einen die vielen Ausnahmen. Die Mietpreise gelten nicht, wenn zum Beispiel Renovierungen stattgefunden haben. Zum anderen fehlen Strafen für Vermieter, die sich nicht ans Gesetz halten. Wenn Vermieter die Mieter trotz der Mietpreisbremse betrügen, ({3}) dann ist das laut CDU/CSU und SPD ein Bagatelldelikt, genauso wie falsch parken. Ja, wo leben wir denn? Wenn man Mieter betrügt! ({4}) Es gibt jetzt einen neuen Gesetzentwurf. Er ist ein Eingeständnis, dass die bisherige Mietpreisbremse wirkungslos gewesen ist und jetzt nachgeschärft werden muss. Das klingt erst einmal gut. Schaut man in den Gesetzentwurf hinein, so stellt man fest, dass es wieder Ausnahmen gibt, wenn die Wohnung modernisiert worden ist. Es gibt wieder keine Strafen für betrügende Vermieter. Das ist eine tolle Verbesserung. Die beiden entscheidenden Kritikpunkte sind Sie überhaupt nicht angegangen. Frau Ministerin Barley, es ist schon jetzt absehbar, im nächsten Jahr werden wir wieder hier stehen und darüber sprechen, dass die Mietpreisbremse irgendwie wirkungslos geblieben ist. Die SPD wird dann ganz überrascht sein und ein paar Nachbesserungen ankündigen, ein Zwölf-Punkte-Papier verabschieden, wenn es zu spät ist. Es kann doch nicht wahr sein, dass Sie wieder und wieder der Vermieterlobby auf den Leim gehen und dabei scheitern, Mieterrechte zu stärken. Die Linke will eine Mietpreisbremse, die bundesweit unbefristet und ohne Ausnahme gilt. ({5}) Um das durchzusetzen, braucht es zwei zentrale Dinge. Erstens: Strafen für Vermieter, die sich nicht an das Gesetz halten und gegen die Mietpreisbremse verstoßen. ({6}) Zweitens: Für große Städte muss es einen Mietpreisspiegel geben, in dem alle Mieten enthalten sind. ({7}) Nichts davon steht in Ihrem Gesetzentwurf. Er bleibt sogar hinter den dürftigen Formulierungen im Koalitionsvertrag zurück. Deshalb laden wir, laden viele Mieterinitiativen, Gewerkschaften, Sozialverbände, der Mieterverband gemeinsam ein, in der kommenden Woche gegen die Wohnungspolitik der Großen Koalition zu protestieren. Wir laden ein zum alternativen Wohnungsgipfel am 21. September hier in Berlin. Und wir werden den Protest vor das Kanzleramt tragen. Das ist dringend notwendig. ({8}) Der Druck muss hier erhöht werden. Die Linke wird die Themen bezahlbare Mieten, starke Mieterrechte und eine Mietpreisbremse, die ihren Namen verdient, weiter zu einem zentralen Thema auch hier im Deutschen Bundestag machen. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die Kollegin Dr. Manuela Rottmann hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Manuela Rottmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004866, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Man könnte meinen, es ist ein gutes Zeichen, wenn hier so viel über den Rechtsstaat geredet wird. Aber ich habe langsam das Gefühl: Je mehr die Koalition über den Rechtsstaat redet, desto weniger weiß sie damit anzufangen. Ich nehme den Pakt für den Rechtsstaat. Er ist im Koalitionsvertrag noch das zentrale Projekt dieser Koalition. Und dieses zentrale Projekt kann nur mit den Ländern umgesetzt werden. Herr Fechner hat im Mai hier im Plenum gesagt, bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz am 14. Juni 2018 werde die Kanzlerin eine Vereinbarung über den Pakt für den Rechtsstaat abschließen. ({0}) – Das haben Sie gesagt. Gucken Sie ins Protokoll! – Jetzt ist dieses zentrale Projekt, wie ich gerade in Ihrer Rede, Frau Ministerin, gehört habe, zur Daueraufgabe herabgesunken. Ich habe neulich auch noch einmal beim Bundesministerium für Justiz nachgefragt, wann denn dieser Pakt für den Rechtsstaat vorgestellt wird. Die Antworten sind immer sehr länglich, aber es steht gleichwohl wenig drin. Ich kürze ab: Es gibt kein Datum, es gibt keine Legislaturperiode, es gibt keinen Zeitplan. Es gibt noch nicht einmal einen Zeitplan für einen Zeitplan, wie der Pakt für den Rechtsstaat eigentlich vorankommen soll. ({1}) Der Pakt für den Rechtsstaat ist ein Luftballon. So ist es auch mit dem Schutz von Mieterinnen und Mietern vor unbezahlbaren Mieten, und so ist es mit der Digitalisierung und Entlastung der Justiz. Das sind alles Luftballons. Das liegt nicht daran, dass die Ministerin ihr Amt nicht versteht. Es liegt auch nicht daran, dass wir schlechte Kollegen im Rechtsausschuss hätten. Nein, ich schätze die Kolleginnen und Kollegen im Rechtsausschuss. Es liegt daran, dass in dieser Großen Koalition die Rechtspolitik zur Verhandlungsmasse herabgesunken ist für die Lösung ganz anderer Probleme. ({2}) Alexander Dobrindt hat gestern hier auf etwas Wichtiges und Richtiges hingewiesen, nämlich dass die CSU seit 13 Jahren in Deutschland regiert. ({3}) Auch er hat den Rechtsstaat beschworen. Rechtstreue beweist man aber nicht, indem man Regeln befolgt, die einem sowieso passen, sondern Rechtstreue zeigt sich dann, wenn man sich auch dann an Recht hält, wenn man es für grundfalsch hält, aber weil es Recht ist, sich trotzdem daran hält. Das ist Rechtstreue. ({4}) Da wir Grüne seit 13 Jahren bekanntermaßen nicht mehr auf Bundesebene regieren, wissen wir sehr gut, wie sich das anfühlt. Jede unserer Landesministerinnen und jeder unserer Landräte muss Bundesrecht umsetzen, das er für grundfalsch hält, für himmelschreiend ungerecht, und er tut es. ({5}) Wie viel leichter müsste das eigentlich einer Partei fallen, Herr Hoffmann, die seit 13 Jahren die Regeln in Europa und in Deutschland selber bestimmt? Das müsste doch eine einfache Sache sein. ({6}) Sie selbst von der CSU haben zuletzt 2008 für die Luftschadstoffgrenzwerte in Brüssel die Hand gehoben, und nun sieht sich die bayerische Justiz dazu gezwungen, dem Kabinett Söder sogar eine Zwangshaft anzudrohen, weil Sie sich an die von ihnen selbst gesetzten Regeln nicht halten wollen. Das ist ein einmaliger Vorgang in der Bundesrepublik. ({7}) Sie von der CSU haben sich hier immer dafür starkgemacht, dass Familien im ALG-II-Bezug und den Beziehern von Grundsicherung im Alter jeder Pfennig angerechnet wird. Sie haben keinen unserer Vorschläge aufgegriffen, Kinder aus der Armut zu befreien oder die Situation pflegender Angehöriger zu verbessern. Und 2018 versprechen Sie diesen Menschen vor der Bayernwahl Geld. Sie sind in der Bundesregierung, kümmern sich aber einen feuchten Kehricht darum, wie das mit dem von Ihnen beschlossenen Bundesrecht vereinbar ist? ({8}) Wie wollen Sie denn eigentlich nach der Wahl den Leuten noch unter die Augen treten, wenn gerade die Bedürftigsten dieses Geld wieder zurückzahlen sollen? Wie wollen Sie das machen? Ein Herr Seehofer hat sich nach Berlin aufgemacht, um eine angebliche Herrschaft des Unrechts zu beenden. Ausgerechnet dem muss diese Woche das Oberverwaltungsgericht Bremen erklären, dass er seine leitenden Beamten nicht im Vorfeld verurteilen kann für angeblich bewusste Rechtsverletzungen, die er bis heute nicht belegen kann. ({9}) Sie wollen das Unrecht bekämpfen? Sie, die Spitze der CSU, die Dobrindts, die Scheuers, die Söders, die Seehofers, Sie müssten schamrot werden, wenn Sie das Wort „Rechtsstaat“ aussprechen. Ihr Markenkern war einmal, dass man Ihnen eines immer zugetraut hat: zu regieren. Sie suchen überall nach Schuldigen dafür, warum man Ihnen das nicht mehr zutraut: die Merkel-CDU, die Migration. Ich sage es Ihnen: Sie ganz allein haben es selber verbockt! ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort die Kollegin Esther Dilcher. ({0})

Esther Dilcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin Barley! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Grundsätzlich wurde es beim Einzelplan 07 bereits thematisiert, und ich will es gerne an dieser Stelle noch mal bestätigen: Wir werden die Handlungsfähigkeit unseres Rechtsstaats weiter sichern und vor allem sichtbar machen. Dazu hat die Ministerin schon ausführlich gesprochen. Die Bundesrepublik ist ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat. Das heißt, alles, was staatliche Behörden in Deutschland tun, ist an Recht und Gesetz gebunden. Mit dem Rechtsstaat korrespondiert auch die Rechtssicherheit. Jeder oder jede Einzelne muss sich auf die bestehenden Gesetze verlassen können, muss darauf vertrauen können. Und die Freiheit jeder oder jedes Einzelnen muss gesichert werden. Das Grundgesetz gewährt diese Rechte allen Menschen, die sich in unserem Land aufhalten, nicht nur Deutschen. Ich möchte mein Hauptaugenmerk heute Morgen einmal auf den Opferbeauftragten der Bundesregierung richten. ({0}) Das Bundeskabinett hat am 11. April 2018 Herrn Professor Dr. Edgar Franke zum Beauftragten der Bundesregierung für die Anliegen von Opfern und Hinterbliebenen von terroristischen Straftaten im Inland ernannt. Im letzten Haushalt wurden erstmalig die Mittel für die Stelle des Opferbeauftragten und auch für seine Geschäftsstelle bewilligt. Dr. Franke ist der zentrale Ansprechpartner für alle Anliegen der Betroffenen von terroristischen Straftaten im Inland. Man findet für Terrorismus unter anderem folgende Definition: … kriminelle Gewaltaktionen gegen Menschen oder Sachen … zur Erreichung eines politischen, religiösen oder ideologischen Ziels. Diese Definition ist jedoch im Einzelnen umstritten. Da steht aber keineswegs drin, Herr Brandner, dass Terrorismus nur von Menschen mit Migrationshintergrund begangen wird, sondern sie können sogar selbst auch davon betroffen und Opfer sein. ({1}) Im Falle eines hoffentlich nicht eintretenden Terroranschlags ist es – neben den Ländern – eben die Aufgabe des Opferbeauftragten, sich um alle Opfer und um deren Hinterbliebenen zu kümmern. Er vermittelt Kontakte zu den mit einem Terroranschlag befassten Behörden des Bundes und der Länder und vermittelt Unterstützung. So was gab es eben bis 2018 bei uns, in diesem Land, noch nicht. ({2}) Er wird auch die Betreuung der Opfer des Breitscheidplatzes und die Betreuung der NSU-Opfer fortführen. Mit dem ständigen Opferbeauftragten haben Betroffene zukünftig immer einen zentralen Ansprechpartner, der sich um alle ihre Fragen und Anliegen kümmert. Terroranschläge sind immer gezielte Angriffe gegen den Staat, gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und unsere offene Gesellschaft. Und damit kommt dem Staat eine besondere Verantwortung gegenüber den Opfern und Hinterbliebenen zu. ({3}) Im Haushalt werden 2,8 Millionen Euro für Opfer extremistischer Übergriffe und weitere 6,2 Millionen Euro für Opfer terroristischer Gewalt bereitgestellt.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Straetmanns?

Esther Dilcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Friedrich Straetmanns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004907, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank, Frau Kollegin. Sie haben am Anfang Ihrer Rede dankenswerterweise, wie viele Vorredner auch schon, auf den Pakt für den Rechtsstaat Bezug genommen. Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang gerne mit drei Fragen, die ich habe, konfrontieren: Die erste Frage: Die Aufgabe des Paktes für den Rechtsstaat ist doch sicherlich auch von allen Sicherheitsbehörden dieses Landes mit zu erfüllen? Die zweite Frage: Verletzt ein Verfassungsschutzpräsident, der Informationen, die noch nicht veröffentlicht sind, an die AfD weitergibt, aus Ihrer Sicht seine Amtspflichten? Die dritte Frage bezieht sich auf Herrn Brandner, an den diese Informationen weitergegeben worden sind: Meinen Sie wie ich, dass den Vorsitzenden des Rechtsausschusses eine Informationsverpflichtung gegenüber dem Rechtsausschuss trifft, wenn er mit dem Verfassungsschutzpräsidenten Informationen austauscht? ({0})

Esther Dilcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir sind beide Juristen. Weil mir selbst diese Tatsachen aus eigener Erkenntnis nicht bekannt sind und da sicherlich noch ermittelt wird, werde ich zu den laufenden Ermittlungen hier keine Stellung nehmen. Die erste Frage war, ob die Sicherheitsbehörden den Pakt für den Rechtsstaat unterstützen müssen. Der Pakt für den Rechtsstaat ist allumfassend; Frau Ministerin hat schon dargelegt, dass es eine Daueraufgabe sein wird. Insofern werden wir uns da in alle Richtungen orientieren. ({0}) – Wenn das so ist: Das stimmt. Aber ich habe es selber nicht gehört. Wie wichtig aber die Stärkung und Hilfeleistung für Opfer ist, hat unsere Bundesfamilienministerin Franziska Giffey gezeigt, als sie vor jeder anderen Äußerung ihrerseits zu den Vorfällen in Chemnitz zunächst einmal ihre Trauer und ihre Anteilnahme vor Ort bekundet hat. Vielen Dank dafür! Ich denke, so muss es auch zukünftig laufen: dass wir die Opfer solcher Anschläge nicht vergessen. ({1}) Außerdem wird der Opferbeauftragte auch erst einmal Informationsmaterial zur Verfügung stellen; denn diese Stelle ist neu eingerichtet und noch nicht bekannt. Er wird natürlich selber auch, falls es bedauerlicherweise zu weiteren Terroranschlägen kommt – die wir nicht verhindern werden können, und die es auch schon immer gegeben hat, die also kein neues Phänomen darstellen –, auf die Opfer zugehen. Wichtig sind in diesem Fall auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die auf Abruf zur Verfügung stehen, die fachlich und psychologisch geschult sind, um die Opferbetreuung zu übernehmen. Ich freue mich, dass der Opferschutz sowie Entschädigung und Hilfen für die Opfer sich im Einzelplan deutlich widerspiegeln und dass es mit dem Opferbeauftragten einen zentralen Ansprechpartner für Opfer und Hinterbliebene gibt. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Martin Hohmann ist der nächste Redner für die AfD-Fraktion. ({0})

Martin Hohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003152, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Frau Ministerin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die 876 Millionen Euro Gesamtetat dienen zu mehr als 70 Prozent der Deckung von Personal- und Verwaltungskosten. Insgesamt wirkt diese knappe Milliarde im Vergleich zu anderen Etats eher unbedeutend. Der Haushalt des Justizministeriums ist jedoch ein Haushalt sui generis. Die Größe des Haushaltes und die Einflussmöglichkeiten des Ministeriums stehen in einem umgekehrten Verhältnis. Mit anderen Worten: Die Einflussmöglichkeiten des Justizministeriums sind weit größer, als es die nackten Zahlen des Etats vermuten lassen. Kein Gesetz der anderen Ressorts kommt ins Bundesgesetzblatt ohne Prüfung durch das Bundesjustizministerium, gesetzliche Endkontrolle sozusagen. Zusammen mit dem Initiativrecht zeigt sich daran die außergewöhnlich starke Stellung dieses klassischen Ressorts Justizministerium. Das legt der Behördenleitung, der Justizministerin, eine besonders hohe Verantwortung auf. Ob Sie, Frau Ministerin, dieser Verantwortung in Ihrem Interview mit dem Südwestrundfunk vom 31. August 2018 gerecht geworden sind, darf bezweifelt werden. Sie haben die Teilnehmer einer rechtsgerichteten Demonstration in Chemnitz scharf kritisiert. ({0}) Wörtlich: Wer auf solchen Demos unterwegs ist, der muss sich das – gemeint sind Straftaten aus der Demonstration heraus – zurechnen lassen. ({1}) Gestern schon hat unser Vorsitzender, Dr. Alexander Gauland, das Zeigen des Hitlergrußes und andere Straftaten klar verurteilt; ich schließe mich dem an. ({2}) – Hat er klar verurteilt. – Dumpfbacken, ewig Gestrige oder auch Provokateure sind – leider – mit zugange. ({3}) Wenn hier in Berlin Jusos, DGB-Jugend und Antifa gemeinsam marschieren, wollen Sie, Frau Ministerin, dann wirklich jedem Juso brennende Autos, verletzte Polizisten, geworfene Molotowcocktails „zurechnen“ wegen Zusammenrottung zu einem Mob? ({4}) Wie soll man bei Straftaten aus einer Demo also Ihrem Verdammnisurteil entgehen, das da lautet: „Dann ist man Teil des rechtsradikalen Mobs“? ({5}) 95 Prozent oder mehr rechtstreue Teilnehmer werden von Ihnen zum „Mob“ umetikettiert. Glauben Sie damit dem hohen Rang des Grundrechts auf Demonstrationsfreiheit gerecht zu werden? Glauben Sie, den Tausenden Bürgern gerecht zu werden? – Die nackte Angst treibt sie auf die Straße, eine Angst, die Sie als chauffierte Dienstwagennutzerin nicht nachvollziehen können. ({6}) Und Wut treibt sie auf die Straße, die Wut über eine verfehlte Zuwanderungspolitik der Bundeskanzlerin Angela Merkel. ({7}) Sie sind Teil ihrer Regierung. Sie tragen Mitverantwortung. ({8}) Wer auch nur ein wenig Welt- und Menschenkenntnis hat, ({9}) sagte schon vor drei Jahren Morde, Totschlag und Vergewaltigungen voraus. Wer damals warnte, wurde als Fremdenfeind, als islamophob, als Rechtsradikaler oder gleich als Nazi etikettiert. Frau Ministerin, setzen Sie bitte nicht diese Diffamierungskampagne fort. Nehmen Sie die berechtigten Sorgen der Bürger ernst, auch der Bürger von Chemnitz. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Mechthild Heil, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einzelplan 07, Justiz und Verbraucherschutz. Sprechen wir mal über den Verbraucherschutz. Unser Verbraucherbild ist geprägt vom eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Verbraucher als aktivem Teilnehmer am Markt. Ja, wir alle sind Teilnehmer und Konsumenten im Markt und in der Gesellschaft. Und ob wir uns im Markt und auch in der Gesellschaft wohlfühlen, ob wir Wahlmöglichkeiten haben, ob wir dieses oder jenes Produkt als geeignet ansehen, all das hat Auswirkungen darauf, ob wir uns als Menschen ernst genommen fühlen oder ob wir uns vielleicht sogar ausgeschlossen fühlen. Verbrauchern und damit auch dem Verbraucherschutz kommt daher eine zentrale Rolle in unserer Gesellschaft zu. Wir als CDU/CSU haben im Blick, dass kein Verbraucher auf jedem Markt zu 100 Prozent informiert sein kann oder das gar will. Eines muss aber gelten: Der Verbraucher muss wissen, dass er sich sicher in jedem Markt bewegen kann. Er muss wissen, dass der Gesetzgeber, die Justiz und auch die Verbraucherorganisationen die schwarzen Schafe im Markt finden und dann auch effektiv ausschließen. Es gibt Märkte, wo das schon heute gut funktioniert. Lange Erfahrung haben wir zum Beispiel im Markt rund um die Ernährung. Auch im Finanzmarkt wurde nach der Finanzkrise wirklich viel reguliert; manchmal denke ich sogar, wir haben zu viel reguliert. In anderen Märkten hinkt die Verbraucherfreundlichkeit noch etwas hinterher, zum Beispiel im digitalen Bereich. Bei Apps zum Beispiel sind wichtige Informationen zum Zugriff auf Mikrofon oder Smartphoneprofil­erstellungen nicht immer sofort ersichtlich. Verbraucher, die im Nachgang dann herausfinden, dass ihr Mobiltelefon vielleicht ein Bewegungsprofil erstellt hat, fühlen sich hintergangen, verunsichert, und das mit Recht. Wir Verbraucherpolitiker legen dann den Finger in die Wunde, oft mit Erfolg. Einige Unternehmen reagieren dann. Aber das reicht uns noch nicht. Das ist noch lange nicht genug. Deswegen ein Blick in die Zukunft: Was haben wir uns vorgenommen? Was wollen wir in der Zukunft noch erreichen? Was sind unsere Ziele? Die Instrumente, die wir in der Hand haben, die uns zur Verfügung stehen, sind klar: Das ist die Verbraucherforschung, das ist die Verbraucherkompetenz bzw. ‑bildung, das sind klare, eindeutige, transparente Informationen, das ist ein guter Rechtsrahmen, und das ist auch eine funktionierende Rechtsdurchsetzung. Mit dem vorliegenden Haushaltsplan, unserem Einzelplan 07, stärken wir jedes dieser Instrumente. ({0}) Der Verbraucherzentrale Bundesverband bekommt rund 12,5 Millionen Euro. Das ist eine ganze Million Euro mehr als noch im Jahr 2017. Mit diesem Geld werden unter anderem Initiativen wie die aufsuchende Verbraucherberatung unterstützt, „aufsuchend“ im Bereich von Quartieren, wie man sie etwa hier in Berlin findet, oder auch bei mir im ländlichen Bereich „aufsuchend“ für die Leute, die keinen langen Weg auf sich nehmen können oder wollen, um in die nächste Verbraucherzentrale zu fahren. So kann vor Ort schnell Hilfe angeboten werden – schnell, niedrigschwellig und auch wirklich unkompliziert. Gute Information ist das eine, das andere ist: Wie werden diese Informationen richtig verarbeitet? Das muss gelernt werden. Dabei geht es um Bildung. Es ist sinnvoll, die Finanz- und die Wirtschaftskompetenz, die Ernährungsberatung und einen gesunden Lebensstil bei den Bürgerinnen und Bürgern zu stärken, und zwar bereits im Schulalter. Hier müssen sich die Bundesländer viel stärker engagieren; denn sie sind für die Lehrpläne zuständig. Finanzkompetenz, gesunde Ernährung und Bewegung kommen weiterhin viel zu kurz – trotz unseres Engagements auf Bundesebene. Ich bin deswegen sehr gespannt, wie die Länder darauf reagieren und ob sie die Kraft haben, sich zu einigen, auf der Plattform, die wir eingeführt haben, auf dieser Bildungscloud ihre Inhalte und auch die Inhalte der Wirtschaftskompetenz zu platzieren. Ein Weiteres. Ich finde es immer wieder ärgerlich, wenn der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen uns Parlamentarier in seine Verfahren nicht einbezieht, ({1}) aber mit Geldforderungen jedes Jahr neu auf uns zukommt. Auch da gibt es sicherlich Verbesserungsbedarf. Ich freue mich, dass wir die Datenethikkommission eingerichtet haben. Dort werden Zukunftsfragen besprochen: Welche Rolle kommt den neuen Technologien zu? Wie entwickeln sich die Algorithmen, und inwiefern muss man selbstlernende Computerprozesse vielleicht kontrollieren, damit sie niemanden bevormunden oder sogar entmündigen? Wir haben unter den Parlamentariern sehr viel über den Algorithmen-TÜV diskutiert. Die Ethikkommission ist sicherlich die viel bessere Variante. Ich bin sehr, sehr froh, dass wir sie konstituiert haben, und wünsche ihr wirklich viel Erfolg. Wir warten auf die Ergebnisse. Bei einigen der politischen Initiativen haben wir aber noch nicht die richtigen Instrumente gefunden. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen: die Produktinformationsblätter. Wir sehen, dass der erhoffte Effekt, also die Übersichtlichkeit, die Vergleichbarkeit, bislang leider nicht so eingetreten ist, wie wir es erhofft haben. Warum ist das so? Was ist da falsch gelaufen? Jeder von uns wird seine eigene Antwort darauf haben – das ist auch okay –, aber so kommen wir nicht weiter. Die Lösung, damit wir besser werden, damit wir zielgenauer werden, damit wir effektiver werden, kann doch nur heißen: Wir brauchen mehr Forschung, auch in diesem Bereich. Die Fachleute können uns sagen, wie wir es besser machen können. In den letzten Jahren ist es uns auch gelungen, eine genauere Übersicht über die Verwerfungen in bestimmten Märkten zu bekommen, dies auch dank der Marktwächter. Wir sind überzeugt: Sie leisten in diesem Bereich sehr gute Arbeit. Deswegen fördern wir sie auch sehr stark. ({2}) All das – von den Marktwächtern bis zur Forschung, von besserer Information und Bildung, vom Rechtsrahmen zur Rechtsdurchsetzung jetzt aktuell mit der Musterfeststellungsklage – sind geeignete Mittel, um das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in den Markt, in unsere Gesellschaft zu stärken. Vertrauen zu schaffen zwischen Käufern und Verkäufern, zwischen Kunden und den Anbietern, der Wirtschaft, zwischen Bürger und Staat, das ist unsere Aufgabe. Dafür arbeiten wir. Ich in der Verbraucherpolitik und natürlich auch als Christdemokratin mit Ihnen zusammen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist für die FDP-Fraktion der Kollege Dr. Jürgen Martens. ({0})

Dr. Jürgen Martens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004816, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, diese Debatte ist insofern interessant, als sie zeigt, dass der Rechtsstaat, dessen Definition und Zuschreibung bis vor einiger Zeit noch unstreitig war, auf einmal sehr streitig diskutiert wird, und jeder definiert ihn nach seinen Wünschen, selbst innerhalb der Großen Koalition. Dabei ist der Rechtsstaat mehr als nur die Durchsetzung von Recht oder gar die Reduktion auf Recht und Ordnung. Das verkennt seine Bedeutung für die Garantien einer Demokratie, für die Gesellschaft und die Bürger. So lässt es aufhorchen, wenn hier angekündigt wird, man wolle Verfahren beschleunigen, indem man die Zahl missbräuchlicher Beweisanträge und Befangenheitsanträge reduzieren oder sie abschaffen möchte. Die Frage ist nämlich: Was ist dann „missbräuchlich“? Wer entscheidet das? Am Ende die für befangen erklärten Richter? Natürlich ist kein Richter befangen – wenn man ihn selbst fragt. ({0}) Genauso kann man die Justiz – neben der Reduktion – auch überfordern, etwa mit einer Mietpreisbremse. Wer glaubt, Rechtspolitik sei ein geeignetes Mittel, um gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme zu lösen, der irrt. Sie werden auch mit den Verbesserungen der Mietpreisbremse nicht das erreichen, was Sie versprechen, Sie werden auch hier scheitern. ({1}) Die Bundesregierung will den Rechtsstaat stärken mit einem Pakt für den Rechtsstaat. Das klingt hervorragend: 2 000 neue Stellen bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften in Bund und Ländern. Im Haushalt 2018 hat sich dafür nichts gefunden. Ich dachte, nun gut, das wird noch nachgebessert im Haushalt 2019. Aber außer 13 Stellen für die Generalbundesanwaltschaft und Stellen für das Patent- und Markenamt findet sich dort nichts, keine Zuschreibung, keine Mittel. Es passiert nichts, Frau Ministerin; das müssen Sie sich vorwerfen lassen. Aber es kommt noch schlimmer: Das Land Nordrhein-Westfalen hat im Bundesrat mit Drucksache 322/18 einen Antrag gestellt, mit dem die Länder die Bundesregierung auffordern – ich zitiere –, „zeitnah die erforderlichen Schritte … einzuleiten, um die Umsetzung des Pakts zu ermöglichen“. Das sollte am 5. September beraten werden – sollte, wurde aber nicht, weil im Rechtsausschuss des Bundesrates das Bundesland Bayern um Absetzung gebeten hatte; ({2}) andernfalls könne es dem Antrag wohl nicht zustimmen, meine Damen und Herren. ({3}) Das müssen Sie uns mal erklären, warum Sie hier in der Haushaltsdebatte verkünden, wie energisch Sie diesen Pakt angehen und ausstatten wollen, aber tatsächlich dann nicht einmal innerhalb der eigenen Koalition im Bundesrat es fertigbringen, dass auch nur der Antrag beraten wird, dass die Bundesregierung endlich in die Puschen kommen möge. ({4}) Meine Damen und Herren, all dieses ist nicht unbedingt geeignet, um das Vertrauen in den Rechtsstaat zu stärken. Aber das sollte uns eigentlich ein Anliegen sein. Es gibt genügend, die haben überhaupt kein Interesse an einem Rechtsstaat bzw. daran, ihn zu stärken. Das sind diejenigen, die diesen Rechtsstaat delegitimieren wollen, die durch ständige verbale Grenzüberschreitung ein Klima schaffen, das politische Diskussionen und Lösungen schlicht unmöglich macht und letztlich auch den Rechtsstaat beschädigt. Dieser zynisch kalkulierten Verrohungsspirale, die auch hier manchmal betrieben wird, der sollten wir uns geschlossen entgegenstellen, und zwar im Interesse des Rechtsstaates insgesamt, meine Damen und Herren. ({5}) Um diesen Haushalt, um den es hier geht, werden wir uns im nächsten Jahr sicherlich noch des Öfteren streiten, insbesondere um die Frage der Durchsetzung und der Durchsetzungsfähigkeit der Bundesregierung bezüglich dessen, was Sie hier angekündigt haben. Wir werden genau schauen, ob und was dort geschieht. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist die Kollegin Amira Mohamed Ali. ({0})

Amira Mohamed Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004823, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Es geht um den Haushaltsentwurf 2019 für das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Ich werde über den Verbraucherschutz sprechen, der den Alltag der Menschen betrifft. Für Die Linke ist klar: Wir brauchen einen starken Verbraucherschutz. ({0}) Wir wollen, dass die Menschen darauf vertrauen können, dass es Institutionen gibt, die gegen unfaire und illegale Geschäftspraktiken ankämpfen und an die die Menschen sich wenden können, wenn zum Beispiel die Bank überhöhte Gebühren und Zinsen im Kleingedruckten versteckt, wenn der Schlüsseldienst für eine nach Feierabend geöffnete Tür mehrere Hundert Euro in Rechnung stellt, wenn man durch einen falschen Klick im Internet in eine Abofalle geraten ist oder wenn Hacker sich Zugang zu allen privaten Daten und Passwörtern verschafft haben, weil die handygesteuerte Glühbirne im Smart­home zu große Sicherheitslücken hat. Die Linke sagt: Wir müssen endlich sicherstellen, dass die Menschen nicht von Unternehmen abgezockt und betrogen werden. ({1}) Im Verbraucherschutz geht es um Alltägliches, aber auch um Grundsätzliches. Es geht um Vertrauen. Vertrauen darauf, dass es Regeln gibt, die die Menschen schützen, und darauf, dass dafür gesorgt wird, dass diese Regeln auch eingehalten werden. Es geht ganz grundsätzlich um Vertrauen in die Politik. Und wir müssen feststellen, dass viele Menschen dieses Vertrauen nicht mehr haben. Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss dringend gehandelt werden. ({2}) Die Menschen fühlen sich oft – zu Recht – alleingelassen, wenn Unternehmen sie betrogen haben. Der Dieselskandal ist nur das prominenteste Beispiel. Es steht nicht gut um den Verbraucherschutz in unserem Land, und dieser Haushaltsentwurf spiegelt das leider wider: Gerade einmal 4 Prozent des Budgets sind für den Verbraucherschutz vorgesehen. Das ist viel zu wenig. ({3}) Das wird der Wichtigkeit des Themas nicht gerecht. Die Linke fordert eine eigenständige Verbraucherschutzbehörde. Das wäre ein wichtiger Schritt. Andere EU-Länder haben das längst. Statten Sie außerdem die Verbraucherzentralen endlich mit ausreichenden Mitteln aus. Frau Barley, der Haushalt für Ihr Ministerium ist ja gewachsen, im Vergleich zum Vorjahr um 80 Millionen Euro. Nur 0,3 Prozent davon sind für die Verbraucherzentralen vorgesehen. Das ist zu wenig. ({4}) Dazu kommt, dass wichtige Bereiche der Verbraucherzentralen nur mit sogenannten Projektmitteln, also befristet, finanziert werden sollen, zum Beispiel die Marktwächter, die zentrale Beratungs- und Bewachungsaufgaben übernehmen. Sie prüfen zum Beispiel, ob Heizkosten richtig abgerechnet werden. Wissen Sie, Frau Barley, wie viele Heizkostenabrechnungen, die die Marktwächter vorgelegt bekommen, falsch sind? Zwei Drittel, also zwei von drei! Bei solchen Zahlen wird doch deutlich, wie dringend der Markt besser kontrolliert werden muss. ({5}) Und dieser Bedarf reißt doch nicht plötzlich ab. Stellen Sie den Verbraucherzentralen die Mittel zur Verfügung, und zwar dauerhaft und in ausreichender Höhe. Das ist auch wichtig, damit sie unabhängig arbeiten können. Stichwort „Unabhängigkeit“. Vielen Menschen fehlt sie, weil sie von einem Berg aus Schulden erdrückt werden. Wenn ich mit Schuldnerberaterinnen und -beratern spreche, dann sagen sie mir einhellig, dass die meisten Menschen durch unerwartete Ereignisse, durch Schicksalsschläge in die Schuldenfalle geraten: ein Todesfall in der Familie, eine schwere Krankheit, der plötzliche Verlust des Arbeitsplatzes. Es ist unsere Aufgabe, diesen Menschen zu helfen und zu verhindern, dass sie immer tiefer in die Schuldenspirale geraten. ({6}) Daher fordert Die Linke ein Recht auf kostenlose Schuldnerberatung für alle. Dieses Recht haben aktuell nur Menschen, die Sozialleistungen beziehen. Dabei sind es oft gerade diejenigen, die noch Einkommen haben, die von Inkassounternehmen bedrängt und abgezockt werden oder die von Banken in überteuerte Umschuldungskredite gedrängt werden. Diese Menschen brauchen dringend Beratung. Wir müssen dafür sorgen, dass sie sie bekommen. ({7}) Frau Barley, prüfen Sie diese Einwände! Gehen Sie offen in die Beratungen hinein, zum Wohle der Verbraucherinnen und Verbraucher! Danke. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen ist die Kollegin Tabea Rößner. ({0})

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Man könnte meinen, die Bundesregierung täte endlich etwas in Sachen Digitalisierung. ({0}) Sie benennt eine Digitalstaatsministerin, die ich begrüße, und setzt gefühlt im Wochentakt neue Gremien ein, die sich mit den digitalen Herausforderungen und Verbraucherrechten auseinandersetzen sollen. Aber leider wirkt das alles sehr aktionistisch. Die Staatsministerin hat kaum Budget und keine Kompetenzen. Digitalrat und Datenethikkommission klingen gut, kommen aber reichlich spät. Die Vorratsdatenspeicherung landet auch nicht dort, wo sie hingehört, nämlich auf die Müllkippe der Geschichte. Die Bürgerinnen und Bürger jedenfalls durchschauen kaum, wer wofür zuständig ist, welche Abteilung mit wie viel Geld ausgestattet ist und welche konkreten Ergebnisse von welchen Akteuren eigentlich zu erwarten sind. Ein Wirrwarr ohnegleichen! ({1}) Die Gremien müssten die Gesellschaft stärker mit einbinden. In der Datenethikkommission ist immerhin der vzbv vertreten, aber hier wie beim Digitalrat ist die Zivilgesellschaft kaum vertreten. So stehen Bürgerinnen und Bürger draußen vor einem Elfenbeinturm und müssen sich mit mageren Verlautbarungen zufriedengeben. Die bisherigen Erfahrungen lassen mich jedenfalls daran zweifeln, dass die Bundesregierung die neuen Impulse auch in handfeste Gesetze umsetzt. Dabei ist die Hausaufgabenliste der Datenethikkommission ziemlich lang. Algorithmen etwa bieten große Potenziale für Forschung, Innovation und Effizienz. Gleichzeitig gibt es aber sehr unschöne Nebeneffekte. Denn wollen Sie, dass Ihre berufliche Zukunft auf dem Spiel steht, weil zum Beispiel die Schufa falsche Informationen über Sie abgespeichert hat, eine Jobvermittlungsplattform aufgrund Ihres Alters Ihr Profil nicht mehr anzeigt, oder wollen Sie einen höheren Preis als Ihr Nachbar für den Flug in die USA zahlen, nur weil Sie von einem anderen Gerät aus danach gesucht haben? Von Big Data im Gesundheitsbereich über Sprachassistenten bis zu Kinderspielzeug, das eifrig Daten sammelt: Verbraucherrechte brauchen starke Fürsprecher mehr als je zuvor. ({2}) Menschen brauchen wieder Souveränität über ihre eigenen Daten. ({3}) Plattformen sind mittlerweile Kommunikations- und Handelsplatz. Daher müssen wir dafür sorgen, dass unsere Ansprüche an Produktsicherheit, Transparenz und Vielfalt auch dort umgesetzt werden. Das ist unsere Aufgabe. ({4}) Aber auch in der realen alltäglichen Welt gibt es einiges zu tun. Nehmen wir das Beispiel unerlaubte Telefonwerbung. Die Zahl der Beschwerden steigt jedes Jahr. Rund 5 000 zählt die Beschwerdestelle der Bundesnetzagentur jeden Monat, und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Denn wer weiß denn schon, dass es diese Beschwerdestelle überhaupt gibt? Telefonwerbung nervt nicht nur, sie kann auch teuer werden, wenn nämlich Verträge untergejubelt werden. Die Frage ist auch hier: Warum stellen Sie das nicht einfach ab und führen eine Regelung ein, wonach Verträge schriftlich bestätigt werden müssen? ({5}) Das will im Übrigen auch der Bundesrat, und die von Ihrem Ministerium in Auftrag gegebene Evaluation hat schon vor einiger Zeit gezeigt, dass es hier Handlungsbedarf gibt. Wir haben dazu noch weitere gute Vorschläge. Schauen Sie sich einfach unseren Antrag an, und setzen Sie ihn um! Ein weiteres Ärgerthema sind unseriöse Inkassofirmen, die zum Teil mit erfundenen Forderungen, zum Teil mit Wucherforderungen verunsichern. Das Gesetz gegen unseriöse Geschäftsbedingungen hat keine Wirkungskraft. Auch das bestätigt längst ein Gutachten Ihres Ministeriums. Passiert ist aber nichts. Stattdessen sind die Summen, die Inkassofirmen schon für Kleinstbeträge fordern, immer weiter gestiegen. Wir brauchen endlich gesetzliche Regelungen, um Inkassokosten zu begrenzen, eine bessere und durchsetzungsfähige Aufsicht und höhere Bußgelder. Nur so legen wir unseriösen Firmen das Handwerk. ({6}) Es gäbe noch viele weitere Beispiele. Dafür bräuchte ich aber viel mehr Zeit. Daher ein letzter Appell: Liebe Ministerin Barley, nehmen Sie die Sorgen der Menschen ernst, und stärken Sie die Verbraucherrechte für das tägliche digitale wie analoge Leben! Vielen Dank. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Alexander Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat vor zwei Tagen in diesem Haus eine, wie ich meine, bemerkenswerte Rede gehalten. Die Rede endete mit dem Satz: Wir brauchen keine Revolution, sondern einen starken und toleranten Rechtsstaat. Der erste Teil des Satzes galt Ihnen von der rechten Seite. Nach Ihren beiden Reden heute zu diesem Einzelplan muss ich aber ehrlich sagen: Ich habe nicht das Gefühl, dass Sie das wirklich verstanden haben. ({0}) Der zweite Teil des Satzes betrifft uns als Rechtspolitiker, weil es tatsächlich Aufgabe des Rechtsstaates ist, einen starken und wehrhaften Rechtsstaat zu gewährleisten, und diese Aufgabe drängt; denn wir alle nehmen draußen wahr, dass es Bürgerinnen und Bürger gibt, die tatsächlich am Funktionieren des Rechtsstaates zweifeln. Das sehen wir am Diskussionsverhalten, am Demonstrationsverhalten und, ja, auch am Wahlverhalten. Deshalb haben wir richtigerweise und nicht ohne Grund den Pakt für den Rechtsstaat im rechtspolitischen Bereich des Koalitionsvertrages in den Mittelpunkt gestellt. Frau Ministerin, ich finde es gut, dass Sie heute mal skizziert haben, wie wir diesen Pakt für den Rechtsstaat mit Leben füllen wollen. Gleichzeitig finde ich es schade – lassen Sie mich das auch sagen –, dass ausgerechnet Ihre Partei ein weiteres Papier zum Thema Mieten mit dem Inhalt „Mietenstopp“ und einer Verschärfung der Voraussetzungen für die Eigenbedarfskündigung vorlegt, statt bei der Thematik „Pakt für den Rechtsstaat“ mit uns an einem Strang zu ziehen und zu versuchen, das in den Mittelpunkt zu stellen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, damit erzielen Sie zwei Ergebnisse: Zum einen verunsichern Sie Investoren in unserem Land. Ob Sie es glauben oder nicht: Wir brauchen ermutigte Investoren, um bezahlbares Wohnen in Deutschland sicherzustellen. ({1}) Im Übrigen möchte ich noch darauf hinweisen, dass zwei Drittel aller Wohnungseigentümer Privatleute sind und eben nicht Konzerne oder Investorenketten. Zum anderen beschäftigt mich – lassen Sie mich das in einer Art koalitionärer Verbundenheit sagen –: ({2}) Sie verspielen mit einem solchen Taktieren Ihre Glaubwürdigkeit. ({3}) Gehen wir einige Monate zurück. Da haben wir das Mietenpaket aus dem Koalitionsvertrag gemeinsam präsentiert. Wir haben gesagt: Es ist ein gutes Paket. Es ist ein wirksames Paket mit vielen Bausteinen. – Einige Monate später kommen Sie mit einem neuen Papier und dokumentieren damit, dass Sie das, was Sie der Bevölkerung vor einigen Monaten verkauft haben, selbst als wirkungslos erachten. ({4}) Wenn wir aber über einen wehrhaften, über einer starken Rechtsstaat reden, dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist natürlich auch die Opposition in der Pflicht. ({5}) Wenn wir dann über bestimmte Vorfälle reden, seien es die auf der Kölner Domplatte, sei es die Causa Amri, seien es jetzt die Vorfälle in Chemnitz, ({6}) dann klingt das tatsächlich alles sehr einmütig: Wo war denn die Polizei? Solche Fehler dürfen nicht passieren. Da muss der Rechtsstaat agieren. ({7}) Wenn dann aber zum Beispiel der Freistaat Bayern sein Polizeiaufgabengesetz novelliert, um die Polizei fit zu machen für die Herausforderungen der Zukunft, für die Verbrechensbekämpfung in der digitalen Welt und für die Terrorismusbekämpfung, dann kommen Sie als Allererstes, heben die Hand und sagen: Ihr macht einen Polizeistaat. ({8}) Herr Präsident, ich glaube, da will jemand eine Frage stellen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Wenn Sie die gestatten?

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, mit großem Vergnügen. ({0}) – Wir sind Nachbarn.

Dr. Manuela Rottmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004866, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Hoffmann, wir ringen um unser gemeinsames Verständnis zum Rechtsstaat. Halten Sie die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts und des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs nicht für einen rechtsstaatlichen Umgang mit diesem zweifelhaften Gesetz? ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, genau dazu will ich gleich etwas sagen. Wir ringen aber auch um unser gemeinsames Verständnis zur Rechtspolitik. Sie sagten vorhin noch, wie wichtig es sei, dass Rechtspolitik vor allem Sacharbeit ist. Dann liefern Sie hier aber eine Rede ab, die vor allem eines war, ({0}) nämlich Wahlkampf für die Landtagswahl in Bayern. ({1}) Aber jetzt zu Ihrer Frage. Genau das ist doch der Punkt – da komme ich zu den nächsten Punkten, die ich ansprechen wollte –: Dieses Bündnis, das sich gebildet hat, besteht aus den Bundestagsfraktionen der FDP, der Grünen und der Linken. Das amüsiert mich zunächst einmal. Ich will Ihnen auch sagen, warum. ({2}) Es amüsiert mich deswegen, weil Sie von der FDP sich natürlich fragen lassen müssen, ob Sie tatsächlich glauben, als starke Stimme in der Sicherheits- und in der Rechtspolitik wahrgenommen zu werden, wenn Sie mit den Linken – ich bin noch bei der Beantwortung der Frage, Herr Kollege – gemeinsame Sache machen. Der zweite Punkt, der mich amüsiert – ich bin noch nicht fertig –, ist, dass man schon die Frage stellen muss: Was ist denn eigentlich mit Ihren Landesverbänden? Sind diese so schwach, dass sie jetzt die Bundestagsfraktion ihrer jeweiligen Partei brauchen, um in Bayern Wahlkampf zu machen? ({3}) Das, was mich außerdem nachdenklich stimmt – ich bin immer noch bei der Beantwortung der Frage –, ({4}) ist, Frau Kollegin Rottmann, der Punkt, zu dem ich jetzt komme: Die Verfassungsbeschwerde ist das eine. Aber haben Sie sich tatsächlich einmal damit beschäftigt, was auf Veranstaltungen, was auf Demonstrationen, zu denen auch Sie einladen, an denen Sie als Vertreter der drei Fraktionen teilnehmen, an Inhalten transportiert wird? ({5}) Das sind Unwahrheiten. Da wird behauptet, mit dem neuen Polizeiaufgabengesetz könnten jetzt über Tage hinweg Leute anlasslos in Gewahrsam genommen werden. Das ist nicht richtig. Es wird behauptet, der Begriff der drohenden Gefahr sei eine Erfindung der Bayerischen Staatsregierung. ({6}) Dabei wird unterschlagen, dass dieser Begriff vom Bundesverfassungsgericht im BKAG-Urteil vom 20. April 2016 dekliniert und definiert worden ist. ({7}) Das meine ich, Frau Kollegin. Das ist ein Unterschied. Selbstverständlich ist es legitim, eine Verfassungsbeschwerde einzureichen. Aber mit solchen Unwahrheiten und mit solchen Unseriositäten zu arbeiten und sie nicht richtigzustellen – ich unterstelle Ihnen, dass Sie genau wissen, dass dies nicht im PAG steht –, erachte ich als problematisch. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Zwischenfrage bitte kurz und mit einer kurzen Antwort. ({0})

Friedrich Straetmanns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004907, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich stelle nur eine Frage: Finden Sie es nicht bemerkenswert, dass bei allen politischen Unterschiedlichkeiten drei Fraktionen dieses Hohen Hauses sich einig sind, dass das bayerische Polizeiaufgabengesetz in wesentlichen Teilen verfassungswidrig ist? ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, danke für die Frage. Bei allen unterschiedlichen politischen Ausrichtungen der drei Fraktionen haben aber auch alle drei Fraktionen und alle drei Parteien, die dahinterstehen, eines gemeinsam: Sie führen Landtagswahlkampf in Bayern. ({0}) Danke.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, der Kollege Martens hätte noch eine Frage.

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, mit ganz großem Vergnügen.

Dr. Jürgen Martens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004816, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, die erste Frage zu Ihren Ausführungen: Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie gleichwohl die bestehenden Möglichkeiten, Normenkontrollanträge zu stellen, nicht einschränken wollen? Die zweite Frage ist: Gehen Sie davon aus, dass der Freistaat Bayern das Polizeiaufgabengesetz, sollte es vom Verfassungsgericht beanstandet werden, entsprechend nachbessert? ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, selbstverständlich. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, wenn Sie antworten wollen.

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich bin etwas ratlos; denn ich wundere mich, wie Sie auf diese Fragen kommen, weil ich an keiner Stelle zum Beispiel das Recht, Normenkontroll­klagen zu erheben, angetastet habe und weil es eine Selbstverständlichkeit ist, dass man Vorgaben von Verfassungsgerichten umsetzt. Aber Sie tun so, als gäbe es die schon. Warten wir es doch einfach mal ab. Ich bezweifle das nämlich massiv. – Danke. Das Hauptproblem auch bei dieser Allianz und dieser Diskussion, wie sie in Bayern geführt wird – ich bitte Sie, sich die Bilder von diesen Veranstaltungen und Demonstrationen noch einmal vor Augen zu führen –, ist ein anderes, und das beklage ich eigentlich am meisten. Es wird in vielen Veranstaltungen tatsächlich der Eindruck erweckt, dass Polizisten heute schon willkürlich handeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wahlkampf ist das eine; Sacharbeit und sachliche Auseinandersetzung sind das andere. Aber man muss eben auch einmal sagen, dass wir viele Tausend Polizisten im Land haben, die einen großartigen Job machen, und die haben es einfach nicht verdient, derart in eine solche Debatte hineingezogen zu werden. ({0}) Ich habe Sorge, was diese Allianz angeht; denn es ist dieselbe Allianz, die auch gegen die Vorratsdatenspeicherung arbeitet. Der Kollege Ruppert hat vorhin sogar ein Moratorium zum Thema Vorratsdatenspeicherung gefordert. Wir reden über eine Allianz, die von wenigen Argumenten und viel Ideologie gesteuert ist. Ich spreche tatsächlich von Ideologie. Das haben wir heute wieder gemerkt. Denn egal, was passiert und welche Zahlen auf den Tisch kommen: Sie verändern Ihre Position um keinen Millimeter. Anders kann ich die Forderung nach dem Moratorium heute und auch die Äußerung von den Grünen nicht verstehen. Ich will Ihnen ein konkretes Beispiel nennen. Vor der Sommerpause ist im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die Kinderpornografieplattform „Elysium“ durch das BKA bekannt geworden, dass im Jahr 2017 sage und schreibe, liebe Kolleginnen und Kollegen, 8 400 Fälle von Kinderpornografie – ich wiederhole: 8 400 Fälle von Kinderpornografie im Jahr 2017 – nicht weiter verfolgt werden konnten, weil keine gespeicherten Daten mehr vorhanden waren. ({1}) Dazu habe ich von Ihnen nichts gehört. Stattdessen wird das einfach ausgeblendet und heute wieder über Moratorien geredet. Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn wir den Rechtsstaat stärken wollen, dann müssen wir das auch in der digitalen Welt tun, und dazu gehören solche Instrumente. ({2}) Dazu, liebe Frau Ministerin – darüber haben wir schon geredet –, gehört eben auch die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs beim Cybergrooming. Ermittler haben uns in der letzten Legislaturperiode aufgezeigt, dass das erforderlich ist. Die Realität zeigt uns das auch auf. Deswegen hoffe ich, dass wir das als eines der nächsten Projekte gemeinsam angehen können. Die Zeit ist reif – im wahrsten Sinne des Wortes. Ich bin fast am Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wolfgang Schäuble hat tatsächlich recht: Wir brauchen keine Revolution, sondern wir brauchen einen toleranten, einen starken Staat. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das Wort hat als Nächstes die Kollegin Dr. Eva Högl, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Einen schönen guten Tag! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann direkt dort weitermachen, Herr Hoffmann, wo Sie aufgehört haben, nämlich beim Thema handlungsfähiger und starker Rechtsstaat. Das ist heute unser Thema. Ich finde es sehr gut, dass sich seit heute Morgen um 9 Uhr unsere gemeinsame Auffassung wie ein roter Faden durch die Debatten zieht, dass wir einen starken und handlungsfähigen Rechtsstaat brauchen, dass wir alles dafür tun, dass das so ist, und dass wir dafür die Grundlagen legen, und zwar nicht nur im Haushalt, sondern auch durch sonstiges Tun, nicht nur hier im Bundestag. ({0}) Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass es darum geht, die Grund- und Menschenrechte durchzusetzen sowie die Gewaltenteilung hochzuhalten. Das alles sind keine Selbstverständlichkeiten, sondern in diesen Tagen durchaus Dinge, die man noch einmal erwähnen muss. Es geht auch darum, Respekt vor dem Handeln und den Entscheidungen von Justiz und Behörden zu haben. Es geht um Vertrauen in den Rechtsstaat. Sie haben zu Recht Herrn Schäuble, unseren Bundestagspräsidenten, zitiert. Auch die Ministerin hat das noch einmal hervorgehoben: Das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Wir dulden in Deutschland an keiner Stelle und zu keinem Zeitpunkt Selbstjustiz. ({1}) Auch das hat Ministerin Barley schon gesagt – ich möchte das wiederholen und verstärken –: Nicht jedes Urteil, das gesprochen wird, gefällt uns; das gehört zu einem Rechtsstaat dazu. Trotzdem ist es unerlässlich, dass sich alle – ich betone ausdrücklich: alle – in Gesellschaft, Politik und Verwaltung an die entsprechenden Urteile halten. Wer die Justiz austrickst, schadet dem Rechtsstaat und legt die Axt an den Rechtsstaat sowie an Respekt und Vertrauen in den Rechtsstaat. Das darf nicht passieren. Das ist nicht akzeptabel. ({2}) Deswegen ist unser zentrales Vorhaben der Pakt für den Rechtsstaat. Das ist – ich darf sagen, Herr Martens, dass das sehr konkret ist – eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern. Sie haben gefragt, wann das komme. Seien Sie sich sicher: Das kommt. ({3}) Wir haben hier gemeinsam Verantwortung im Bundestag und in den Bundesländern. Wir werden auf der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz und weiteren Sitzungen mit den Ländern intensiv erörtern, wo die gemeinsame Verantwortung liegt und was die jeweilige Ebene dazu beitragen kann. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, gestatten Sie dazu eine Zwischenfrage?

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr gerne. Ich habe sie ja provoziert.

Dr. Jürgen Martens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004816, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Kollegin Högl, Sie haben eben gesagt, der Pakt für den Rechtsstaat komme, und er sei konkret. Könnten Sie ungefähr sagen, wann er denn kommt?

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es gibt ein Datum, nämlich die Ministerpräsidentenkonferenz am 6. Dezember. Ich kenne die Tagesordnung zwar noch nicht. Aber ich gehe davon aus, dass der Pakt für den Rechtsstaat dort auch Gegenstand der Besprechungen von Bund und Ländern sein wird. Ein sehr konkretes Datum! ({0}) Es geht bei dem Pakt für den Rechtsstaat um Personal und Ausstattung der Justiz und der Behörden sowie um effiziente Verfahren. Mit dem Haushalt 2019 stellen wir mehr Mittel für die gute Ausstattung des Generalbundesanwalts und seiner Behörde, des BGH, des Bundesverwaltungsgerichts und der anderen Obergerichte zur Verfügung. Das ist die Seite der personellen Ausstattung. Ich möchte hervorheben – das wurde schon angesprochen –, wie unsere Gerichte und Justizbehörden arbeiten. Die Situation – Räume und Ausstattung – ist sicherlich nicht optimal. Auf Bundesseite können wir hier nur sehr begrenzt Einfluss nehmen. Aber wir ermuntern und ermutigen die Bundesländer, die Justiz gut auszustatten. Auch bei der Digitalisierung haben wir eine Menge vor uns. Nun zu den Verfahren. Nicht zuletzt der NSU-Prozess mit seiner fünfjährigen Dauer hat gezeigt – Herr Martens, Sie und andere Kollegen haben das bereits erwähnt; es ist wichtig, auch ein solches Mammutverfahren gründlich zu führen –, dass wir auch Reformbedarf bei den Verfahren haben, insbesondere bei der Strafprozessordnung. Wir haben uns eine entsprechende Reform im Koalitionsvertrag vorgenommen und werden zu Vorschlägen kommen. ({1}) Ich möchte das Thema Mieten kurz aufgreifen, ein Thema, das uns allen am Herzen liegt, auch Ihnen, Herr Hoffmann; davon gehe ich jedenfalls aus. Der SPD sei erlaubt, mit Forderungen über den Koalitionsvertrag hinauszugehen; das ist unser gutes Recht. ({2}) Das gibt oft den Schubs in die richtige Richtung. Die Frage, ob jemand eine Wohnung hat, ist ganz entscheidend für viele weitere Fragen: Wie sicher fühlen sich die Menschen? Kommt es zu einer Verunsicherung, weil man Sorge hat, die Wohnung nicht behalten zu können? Deshalb ist es nicht übertrieben, sondern nur angemessen, wenn wir sagen: Miete und Wohnen sind die neue soziale Frage. ({3}) Für die SPD sage ich an dieser Stelle noch mal ganz deutlich: Die SPD steht an der Seite der Mieterinnen und Mieter; ({4}) denn sie brauchen unsere Unterstützung. Wir wollen Investoren natürlich ermutigen, zu investieren; aber wir brauchen ein starkes soziales Mietrecht mit einer klaren Begrenzung von Mietsteigerungen und von Herausmodernisierungen. Da ist der Vorschlag, der uns jetzt zur Beratung vorliegt und der das Mietrecht im Interesse der Mieterinnen und Mieter verschärft, ein ganz hervorragender. Deswegen freue ich mich auf die weiteren Beratungen im Sinne eines starken Rechtsstaats, zu dem auf jeden Fall auch ein soziales Mietrecht gehört. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Jens Maier, AfD-Fraktion. ({0})

Jens Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004811, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier soll ja eigentlich über den Haushalt gesprochen werden. Ich habe eigentlich den Eindruck gehabt: Hier wird über alles Mögliche gesprochen, nur nicht über den Haushalt. ({0}) Was fällt auf beim Einzelplan 07 für das Ressort Justiz und Verbraucherschutz? Ich will es Ihnen sagen: die geradezu auffällige Unauffälligkeit. Herr Dr. Martens hat es vorhin schon angesprochen – er hat es auch ganz zutreffend gesagt –: Von dem, was man so vorhat, ist da nichts zu sehen. Auch Frau Dr. Rottmann hat es vorhin gesagt; sie hat von Luftballons gesprochen. Dies hier ist ein Plan ohne jede Visionen. ({1}) Das ist etwas, was eigentlich sehr erstaunt. In einer Zeit der Messermigration ({2}) und des Umstandes, dass etwa 700 000 Ausreisepflichtige in diesem Land herumkreiseln, würde man doch eigentlich erwarten, dass sich dies im Haushaltsplan für die Justiz niederschlägt. Aber was ist? Wir sehen: Alles bewegt sich in der üblichen Schwankungsbreite. Das betrifft namentlich auch die Planstellen für Richter und Beamte am Bundesverwaltungsgericht. Hier müsste doch eine deutliche Aufstockung erfolgen – wie überhaupt an allen Gerichten. Es müsste hier deutlich mehr Geld für Planstellen vorgesehen werden. Im Kapitel 0715 wird von einem Ansatz von etwa 9,5 Millionen Euro ausgegangen. Es müssten hier deutlich über 10 Millionen Euro eingesetzt werden; doch das sehe ich nicht. Verwaltungsgerichte sind wegen der Zunahme der Asylverfahren völlig überlastet. In ihrer Folge ist natürlich auch das Bundesverwaltungsgericht erheblich unter Druck. Nur über eine deutliche personelle Aufstockung können sowohl die Bearbeitungszeiten als auch die Erledigungszahlen in der Rechtsmittelinstanz gesteigert werden. Über diesen Weg ist es dann möglich, effektiv das zu tun, was zum Schutz unserer Bevölkerung dringend erforderlich ist, nämlich die Gäste von Frau Merkel, die nicht hierhergehören, endlich wieder nach Hause zu schicken. ({3}) Ich habe leider nicht viel Zeit. ({4}) Ich möchte hier nur eine Sache herausgreifen: die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, BMH genannt. ({5}) Ich greife sie als Paradebeispiel heraus, um zu zeigen, wo man meint, Prioritäten zu setzen, bzw. wofür man überhaupt Geld ausgibt. Diese 2011 errichtete Stiftung hat zum Ziel, an Magnus Hirschfeld zu erinnern – kennt den jeder? –, ({6}) Bildungs- und Forschungsprojekte zu fördern und einer gesellschaftlichen Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, trans- und intergeschlechtlichen sowie queeren Personen in Deutschland entgegenzuwirken. ({7}) Also, ich muss ehrlich sagen: Ich habe erst mal nachlesen müssen, was das alles ist. ({8}) Auf der Besuchertribüne sitzt eine Schulklasse: Ich weiß jetzt nicht, ob diese Schüler das wissen. ({9}) Wenn man in den Haushaltsplan guckt, sieht man: Das wurde von 324 000 Euro in 2017 auf 500 000 Euro in 2018 erhöht. Für 2019 ist eine Erhöhung im Soll auf 547 000 Euro vorgesehen. Das ist über den Daumen gepeilt eine Erhöhung im Soll um fast 10 Prozent. Für diese Bundesstiftung wird doppelt so viel Geld eingeplant wie für das Servicebüro der Deutschen Bewährungshilfe in Köln für Täter-Opfer-Ausgleich ({10}) und die Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention zusammen. ({11}) Da fragt man sich doch: Werden hier die Prioritäten richtig gesetzt? ({12}) Was quält die Menschen denn heute? Was ist da vorrangig? Der Schutz von sexuellen Präferenzen vor Diskriminierung oder der Schutz der Bürger vor real existierender Kriminalität, was steht denn hier an erster Stelle? ({13}) An diesem kleinen Beispiel sieht man wieder, wie man von Regierungsseite die realen Probleme ignoriert und stattdessen Geld in eine ideologisch motivierte Umerziehung investiert. ({14}) Das lehnen wir ab. Vielen Dank. ({15})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Bevor ich den letzten Redner zu diesem Geschäftsbereich aufrufe, ein Hinweis: Wir haben anschließend Abstimmungen. Ich darf Sie bitten, an diesen Abstimmungen teilzunehmen. Nächster und letzter Redner in dieser Debatte: Markus Uhl, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Markus Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004645, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz ist ein Verwaltungshaushalt. Er ist geprägt durch einen sehr hohen Anteil an Verwaltungsausgaben und Personalausgaben. Er ist der kleinste Einzelplan mit 877 Millionen Euro. Das ist im Vergleich zu diesem Jahr, zu 2018, eine Steigerung um 84 Millionen Euro bei den Ausgaben. Dieses vergleichsweise geringe Volumen des Einzelplans sollte man allerdings nicht unterschätzen, legen wir doch hier die grundsätzlichen Basics für das Verfassungsressort Justizministerium sowie die grundlegenden Institutionen unseres Rechtsstaats und natürlich auch des Verbraucherschutzes. Die Ministerin hat es eben schon gesagt: Auf der Einnahmeseite stehen 571 Millionen Euro. Das ergibt die beste Deckungsquote eines Ressorts, nämlich eine Quote in Höhe von 65 Prozent. Diese haben wir zuallererst dem Deutschen Patent- und Markenamt in München zu verdanken, das 410 Millionen Euro quasi erwirtschaftet, wovon ein Überschuss sozusagen von 200 Millionen Euro in den Bundeshaushalt fließt. Man kann es gar nicht hoch genug einschätzen, dass Innovationsschutz Standortfaktor ist. Der Schutz des geistigen Eigentums ist für eine innovative Wirtschaft essenziell. Deshalb war es richtig, dass wir in der Bereinigungssitzung für den Haushalt 2018 zusätzlich zum ohnehin geplanten Aufwuchs 60 Stellen für das Patent- und Markenamt beschlossen haben. Diesmal stehen 100 zusätzliche Stellen schon im Haushaltsentwurf. Ich glaube, auch da sollten wir das eine oder andere zusätzlich drauflegen; denn nur so können wir den Verfahrensstau dort nachhaltig abbauen. Gerade vor dem Hintergrund eines globalisierten Innovationswettbewerbs, meine Damen und Herren, ist es unabdingbar, dass Patentanmeldungen und Rechercheaufträge in vertretbarer Zeit bearbeitet werden können. Es ist schon häufig angesprochen worden: Der größte Bereich in diesem Einzelplan ist der Bereich der Rechtspflege. Dazu gehört das Bundesamt für Justiz; dazu gehören die obersten Bundesgerichte, das Bundesverwaltungsgericht, der Bundesfinanzhof, der Bundesgerichtshof, und der Generalbundesanwalt, also wesentliche Institutionen des Bundes für unseren Rechtsstaat. Ich war vor Ort. Ich habe mich persönlich davon überzeugt, dass alle Bundesrichter, Staatsanwälte, Beamte und Beschäftigte in unseren Gerichten und Behörden ihr Bestes geben, sich engagiert für unseren Rechtsstaat einsetzen und ihre Amtsausübung neutral gestalten. Unser Rechtsstaat funktioniert, und ich habe den Eindruck gewonnen, dass wir, was die Bundesgerichte angeht, auch personell auskömmlich ausgestattet sind. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist in dieser Debatte schon mehrfach zitiert worden. Er hat am Dienstag einen eindringlichen Appell an alle gerichtet, die für den Rechtsstaat, für die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit, für das Funktionieren von Polizei und Justiz Verantwortung tragen. Wir müssen bei der Durchsetzung des Rechts und des Rechtsstaats besser werden, noch besser werden, schneller, konsequent und sichtbar. Deshalb hat die Bundesregierung den Pakt für den Rechtsstaat ausgerufen. Dazu gehören natürlich auch Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung, zur Verfahrensvereinfachung und -vereinheitlichung. Diese Maßnahmen gibt es – das freut mich als Haushälter natürlich – quasi haushaltsneutral. Man muss die Hausaufgaben machen und jetzt engagiert angehen; das muss das Ministerium leisten. Dazu gehören auch Maßnahmen zur Verhinderung von Rechtsmissbrauch, wie zum Beispiel beim Abmahnrecht, zu dem ich auch ausdrücklich Abmahnungen bei vermeintlichen Verstößen gegen die EU-Datenschutz-Grundverordnung zähle. Auch hier bin ich froh, dass das Ministerium demnächst einen Vorschlag dazu machen wird. Dazu gehört natürlich auch – ich habe es eben schon angesprochen – die angemessene Personalausstattung der Gerichte und der Bundesanwaltschaft. Gerade weil wir weiterhin vor Herausforderungen und Bedrohungen durch Terrorismus, aber auch durch Extremismus, egal von welcher Seite er kommt, stehen, ist es wichtig, hier wachsam zu bleiben und die Gerichte und die Bundesanwaltschaft bedarfsgerecht auszustatten. Das haben wir in der Vergangenheit, gerade auch in den letzten Haushaltsberatungen, getan. Das tun wir auch wieder in diesen Haushaltsberatungen, indem wir den Generalbundesanwalt mit zusätzlichen Stellen verstärken. Ich sehe weiterhin große Herausforderungen bei der Justiz, sie betreffen die Digitalisierung: im Bereich der elektronischen Gerichtsakte, die eingeführt wird, im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs, aber auch im Datenaustausch zwischen Polizei und Justiz. Mit dem Projekt „Amtsgericht 4.0“ haben wir bereits in den letzten Haushaltsberatungen vor vier Monaten den Grundstein für ein Projekt gelegt, mit dem wir die Erfahrungen mit der Digitalisierung im Bereich der Justiz erweitern und verbessern wollen. Es geht allerdings weiter, und es muss auch weitergehen. Es geht um das Setzen von Standards und um die Vereinheitlichung und die Verknüpfung von Systemen. Wir müssen einen föderalen Flickenteppich vermeiden und die ambitionierten Ziele auch wirklich einhalten. Ziel ist eine moderne und sichere IT-Infrastruktur. Ich glaube, dass der Bund gemeinsam mit den Ländern hier insgesamt mehr Verantwortung übernehmen kann. Meine Damen und Herren, einzelne Vorredner haben es schon angesprochen: Ich freue mich, dass es uns seit den letzten Haushaltsberatungen gelungen ist, koalitionsfraktionsübergreifend die Basis für das Forum Recht in Karlsruhe zu schaffen. Das Forum Recht soll Informations-, Dokumentations-, aber vor allen Dingen Kommunikationszentrum für Recht, Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit sein. Kollege Perli, Sie waren vor Ort in Karlsruhe auch dabei: Ich glaube nicht, dass wir eine Bundeszentrale für rechtsstaatliche Bildung brauchen. Ich glaube, wir sollten beim vorgelegten Konzept bleiben und einen Ausstellungs-, einen Diskussionsraum konkret vor Ort in Karlsruhe, aber auch im virtuellen Raum, über portable Formate an vielen Orten in Deutschland, schaffen. ({0}) Es geht vor allen Dingen darum, das Bewusstsein zu stärken für Recht, Rechtsstaat, Gerechtigkeit und letztlich auch für unsere Demokratie. Lassen Sie uns gemeinsam in diesem Hause in den anstehenden Beratungen für den Haushalt 2019 die weiteren Grundsteine legen, dieses Projekt voranzutreiben, die Stiftung Forum Recht möglichst schnell zu gründen, die vorbereiteten Maßnahmen für den Bau zu treffen und die entsprechenden Mittel bereitzustellen. ({1}) Meine Damen und Herren, der vorliegende Regierungsentwurf knüpft, wie ich finde, an die gute Entwicklung der Justiz und des Verbraucherschutzes in den letzten Jahren an, und er setzt, wie ich finde, die richtigen Schwerpunkte. An einzelnen Stellschrauben zur Stärkung eines toleranten und eines starken Rechtsstaats können wir noch drehen; das werden wir im Zuge der Beratungen auch sicherlich noch tun. Herzlichen Dank an die Mitarbeiter des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, des Bundesfinanzministeriums, des Haushaltsausschusses insgesamt. Packen wir’s an. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Uhl, und danke an alle Redner. – Ich habe keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Einzelplan vorliegen.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! – Können wir die Uhr vielleicht noch einmal anhalten, Herr Präsident?

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Wir halten die Uhr noch einmal an und geben den Kolleginnen und Kollegen Gelegenheit, dorthin zu gehen, wo sie glauben, hinzumüssen, und den anderen, die noch teilnehmen wollen, den Saal zu betreten. Tun Sie das bitte in zügiger Geschwindigkeit.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist ungefähr so wie das Wetter der letzten Monate. Wir sind im neunten Jahr eines kräftigen Wirtschaftsaufschwungs. Die Auftragsbücher sind voll. In den Unternehmen werden Überstunden und Überschichten gemacht. Die Lieferfristen verlängern sich mancherorts, weil die Aufträge schneller erteilt werden, als sie ausgeführt werden können. Das ist ein großes Kompliment an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. Es macht deutlich, dass die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig ist und diese Wettbewerbsfähigkeit auch in den letzten Monaten international verteidigt hat. Und was noch wichtiger ist: Nach der Herbstprognose der führenden Forschungsinstitute wird sich der Aufschwung auch im nächsten Jahr fortsetzen. Wir werden dann einen Aufschwung haben, der der längste seit 1966 ist, seit über einem halben Jahrhundert. Es liegt an uns, ob wir jetzt die Voraussetzungen dafür schaffen, dass dieser Aufschwung auch in den nächsten Jahren weitergeht; denn er kommt bei den Menschen zunehmend an. Löhne und Renten steigen kräftig, die Beschäftigung steigt in einem Ausmaß, das niemand für möglich gehalten hätte. Wir werden alleine in diesem Jahr rund 600 000 neue Erwerbstätige haben, und im nächsten Jahr werden wir die Schallmauer von 45 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland durchbrechen. Das ist die höchste Zahl von Erwerbstätigen, die es jemals in unserem Land gegeben hat. ({0}) Wir leisten einen Beitrag, dass sich diese Erfolgsgeschichte fortsetzt, indem wir die Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag umsetzen, indem wir die Ausgaben für Investitionen und Innovationen erhöhen, aber auch, indem wir Familien entlasten, indem wir beispielsweise den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 0,5 Prozentpunkte senken. Meine Damen und Herren, wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir die Sozialversicherungsabgaben unter 40 Prozent halten wollen. Unternehmen, gerade mittelständische Unternehmen, brauchen Investitionssicherheit. Sie müssen wissen, womit sie rechnen können, nicht nur heute, sondern auch in zwei, drei, fünf oder zehn Jahren. Ich glaube, die Erfahrungen der letzten Jahre geben uns die Kraft, zu sagen: Ja, wir wollen und wir werden diese Sozialversicherungsabgaben nicht nur für diese Wahlperiode, sondern auch generell und für alle Zukunft unter 40 Prozent halten, damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeber in diesem Bereich nicht über Gebühr belastet werden. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen die Weichen dafür stellen, dass die vielen Unternehmen, die händeringend nach Fachkräften suchen, diese Fachkräfte auch finden können. Das ist zuallererst und zunächst einmal eine Frage der Qualifizierung der inländischen Fachkräfte. Wenn wir einen Aufschwung haben, wenn wir Fachkräftemangel an vielen Orten haben, dann muss es doch möglich sein, die Arbeitslosenzahl von derzeit noch rund 2,3 Millionen Arbeitslosen in den nächsten Jahren so zu reduzieren, dass wir Vollbeschäftigung in Deutschland erreichen, das heißt eine Arbeitslosenquote von weniger als 3 Prozent. Ich war gestern Abend in Südthüringen bei der Industrie- und Handelskammer. In Thüringen hat man inzwischen – in einem neuen Bundesland – eine Arbeitslosenquote von rund 4 Prozent. ({2}) Das ist ein großartiges Beispiel dafür, was beim Aufbau Ost gelungen ist, und wir müssen diesen Aufschwung in alle Regionen in Deutschland gleichermaßen hineintragen. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, das zweite große Thema für die Zukunft ist die Innovation. Hier erwarten Mittelständler, Handwerker und Unternehmen, dass der Staat ihnen dabei hilft, die rasend schnellen Veränderungen, die es auf internationaler Ebene gibt, nachzuvollziehen, umzusetzen und dafür zu sorgen, dass „made in Germany“ auch in Zukunft nicht nur populär ist, sondern auch ein Garant für höchste Innovationen, für höchste Qualität, für höchsten technischen Fortschritt darstellt. Wir haben dies in vielen Bereichen gleichzeitig zu thematisieren, weil wir erleben, dass durch die Entwicklung der künstlichen Intelligenz, dass durch die Entwicklung der Batteriezellproduktion weltweit, dass durch 3-D-Druck und viele andere Innovationen, die innerhalb von wenigen Jahren dazu führen, dass die Claims weltweit neu abgesteckt werden, auch die Frage, wo die künftigen Arbeitsplätze entstehen, eine ganz neue Dynamik gewonnen hat. Deshalb werde ich als Bundeswirtschaftsminister gemeinsam mit der Wirtschaft, gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretungen den Entwurf einer Industriestrategie vorlegen, die sicherstellt, dass Deutschland auch in Zukunft einen hohen Anteil an Industriearbeitsplätzen hat und dass wir unsere traditionellen industriellen Kapazitäten mit den neuen Innovationen im Bereich der Digitalisierung so verbinden, dass wir auch dort vorne sind. ({4}) Wir haben die ersten Maßnahmen bereits umgesetzt. Wir – meine Kollegin Anja Karliczek und ich als Wirtschaftsminister – haben im zivilen Bereich gemeinsam eine Agentur für Sprunginnovationen auf den Weg gebracht und eine weitere für den Bereich Cybersecurity, von innerer und äußerer Sicherheit, weil wir wollen, dass diese neuen Innovationen eben auch in Deutschland umgesetzt werden. Denn es kann nicht sein, dass wir in Deutschland die Dinge nur erforschen und fördern und andere Länder sie dann praktisch umsetzen. ({5}) Wir werden der Luft- und Raumfahrt in Zukunft ein wesentlich größeres Gewicht geben müssen, weil es ein internationaler Wachstumsmarkt ist. Wir haben mittelständische Unternehmen, die großartige Technologie liefern können. Ich will an dieser Stelle sagen: Seit einigen Wochen verrichtet ein deutscher Astronaut, Alexander Gerst, seine Arbeit in der ISS. Alexander Gerst hat mehr Menschen für Technologie, für Raumfahrt, aber auch für Umwelt und Nachhaltigkeit begeistert als viele andere gemeinsam. Deshalb schicke ich aus dem Plenum des Deutschen Bundestages einen herzlichen Gruß an Alexander Gerst: Wir sind stolz auf Sie und Ihre Leistungen! Wir wünschen uns, dass viele junge Menschen Ihrem Beispiel folgen werden. ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden die wirtschaftlichen Herausforderungen nur bewältigen, wenn wir auch im Bereich von Klima- und Umweltschutz auf nachhaltige Lösungen setzen. Weil das in den früheren Debatten ein Thema war, haben wir die Sommerferien genutzt und uns Gedanken gemacht, wie wir die zwischen den Fraktionen des Deutschen Bundestages durchaus strittigen Fragen im Bereich der Sonderausschreibung für erneuerbare Energien, im Bereich des Weitergangs der Energiewende gemeinsam lösen können. Wir werden noch einige wichtige und nicht ganz einfache Gespräche zu führen haben. Aber ich werde mich dafür einsetzen, dass wir noch in diesem Monat einen Gesetzentwurf der Bundesregierung in den Deutschen Bundestag einbringen, damit dieses Gesetz, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, Ende des Jahres in Kraft treten kann. ({7}) Dann, meine Damen und Herren, müssen wir dafür sorgen, dass Nachhaltigkeit und ökologische Verträglichkeit sowie wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit nicht zwei Gegensätze, sondern zwei Seiten ein und derselben Medaille sind. Deshalb haben wir eine Strukturwandelkommission eingesetzt, die sich mit den Fragen des Strukturwandels beschäftigt, den Deutschland in den nächsten Jahren zu bewältigen hat. In dieser Kommission arbeiten hervorragende Vertreter aus Wirtschaft, von Umweltverbänden, von Arbeitergebern und Arbeitnehmern mit, um ein zukunftsfähiges Konzept auch für diejenigen Regionen, die heute noch sehr stark durch Kohleverstromung – Steinkohle wie Braunkohle gleichermaßen – geprägt sind, zu entwickeln. Was wir tun werden, um den Strukturwandel sozialverträglich zu ermöglichen, ist das eine; auch die Sorgen der Menschen während des gesamten Prozesses wahrnehmen und ernst nehmen, ist das andere. Ohne den Ergebnissen dieser Kommission vorzugreifen: Ich bin überzeugt, dass wir diesen Strukturwandel nur dann sozialverträglich hinbekommen werden, wenn wir den Beschäftigten die Gewissheit geben, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird; denn sie verlieren ihren Arbeitsplatz nicht, weil ihr Unternehmen schlechte Arbeit leistet oder sie selbst schlechte Arbeit leisten. Der Strukturwandel ist notwendig, weil wir uns in Deutschland hin zu weniger CO 2 , hin zu mehr Klimaschutz committed, verpflichtet haben. Deshalb müssen wir diesen Menschen eine Perspektive geben. Wir müssen auch dafür sorgen, dass mindestens so viele neue Stellen geschaffen werden – der Großteil von der privaten Wirtschaft selbstverständlich – wie wegfallen, damit die Menschen in den Regionen die Gewinner und nicht die Verlierer dieses Prozesses sind.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sabine Leidig gestatten?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Ja, gerne.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Bitte schön.

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Minister Altmaier. – Ich möchte Sie dazu befragen, wie Sie den Ausgleich zwischen wirtschaftlichen Interessen und Nachhaltigkeit bewerten vor dem Hintergrund, dass heute Morgen in aller Frühe der Hambacher Forst geräumt wurde, ({0}) obwohl sich dort seit Jahren Menschen engagieren, um diesen Wald, der 12 000 Jahre alt ist, ({1}) zu schützen und das Fortschreiten der Verbrennung von Kohle zu stoppen, weil es aus Klimagerechtigkeitsgründen dringend notwendig ist. Wir sind solidarisch mit denen, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzen. Ich finde, es ist wirklich zynisch, wenn mit den Argumenten „Brandschutz ist nicht gewährleistet“ und „Es besteht Gefahr für Leib und Leben“ Leute verjagt werden, ({2}) die sich für etwas einsetzen, was wirklich gegen den Weltbrand gerichtet ist. Diese Menschen sind dagegen, dass wir die Welt verbrennen, und wollen den Klimaschutz vorantreiben. Ich finde, das können Sie nicht unkommentiert lassen. Die Kohlekommission ist dazu da, Kompromisse zu finden. Ihre Parteikollegin macht jetzt gerade das Gegenteil, und RWE setzt sich mit aller Gewalt durch. Das kann ein demokratisches Parlament nicht zulassen. ({3})

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Sehr geehrte Frau Kollegin, nachdem Sie Ihre Frage genutzt haben, um eine umfangreiche Rede zu halten, ({0}) bleiben die Fakten doch so, wie sie sind: Es hat zum Thema „Hambacher Forst“ seit vielen Jahren Debatten und Diskussionen gegeben, und es hat eine Regierung in Nordrhein-Westfalen gegeben, der meine Partei nicht angehört hat, nämlich eine Regierung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die sich auf ein Gesamtpaket geeinigt hat. Dieses Paket ist vor Gericht angegriffen worden. Die gerichtlichen Urteile sind so, wie sie sind. Es hat in den vergangenen Tagen und Wochen Gespräche gegeben, und diese Gespräche sind unter der Führung der örtlich Verantwortlichen geführt worden. Der Bundeswirtschaftsminister hat diese Gespräche interessiert verfolgt. Er hat sich auch mit seinem Rat und mit seinen Auffassungen dabei zur Verfügung gestellt. Aber: Ich finde, es ist nicht in Ordnung, wenn Sie eine unternehmerische Entscheidung, die durch Gerichte bestätigt ist, die durch Parlamente bestätigt ist, die durch demokratische Mehrheiten bestätigt ist, in dieser Art und Weise hier denunzieren. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen erreichen, dass die Energiewende auch dadurch zum Erfolg wird, dass wir die Netze so ausbauen, dass der Strom von Nord nach Süd und von Ost nach West transportiert werden kann. Wir haben bei der Energiewende große Fortschritte gemacht. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist heute zu weitaus geringeren Kosten möglich als in früheren Jahren, weil wir ihn marktwirtschaftlicher gemacht haben. Beim Ausbau der Stromnetze sind wir nicht vergleichbar vorangekommen. Ich habe Ihnen in der letzten Haushaltsdebatte versprochen, mich selbst bis zum Ende dieses Jahres an allen wesentlichen Schwerpunkten der Netzausbauproblematik schlau und kundig zu machen und mit allen Beteiligten zu reden. Genau das habe ich getan. Ich habe eine Netzausbau-Reise unternommen. Was mich am meisten erschüttert hat, war, dass in vielen Fällen die Betroffenen seit Jahren nicht miteinander geredet haben. Das haben wir beendet, und wir werden alles tun, damit wir bis zur Konferenz der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten erkennbare Fortschritte haben. Auch das trägt dazu bei, dass die Energiewende vorangeht und dass sie am Ende bezahlbar bleibt und gelingt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, viele reden über Finanzüberschüsse, viele reden darüber, wie sie die Mehreinnahmen, die sie erwarten, vernünftig ausgeben können. Der Bundeswirtschaftsminister ist ein Bundesgenosse des Bundesfinanzministers, wenn es darum geht, eine nachhaltige, solide Finanzpolitik zu jedem Zeitpunkt sicherzustellen. Wenn sich aber Finanzierungsspielräume ergeben, dann sollten wir darauf achten, dass sie so genutzt werden, dass sie das wirtschaftliche Wachstum verstetigen, und dann sollten wir dafür sorgen, dass sie so genutzt werden, dass sie neue Investitionen und neue Unternehmensgründungen ermöglichen. Deshalb ist es wichtig, dass wir die finanzielle Forschungsförderung regeln. Deshalb ist es wichtig, dass wir in den nächsten Monaten die energetische Gebäudesanierung vereinbaren, und deshalb ist es wichtig, dass wir auch über Entlastungen der Wirtschaft dort reden, wo es nötig ist, damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit auch in Zukunft gewährleistet ist. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutschland ist ein offenes Land. Wir werden uns nicht abschotten. Wir werden uns weiterhin über jede Investition, die nach Deutschland kommt, freuen. Aber ich füge hinzu: Wir sind auch ein Land, dass seine nationalen Interessen verteidigt. Wenn es um kritische Infrastrukturen geht, wenn es darum geht, dass die Sicherheit der Versorgung der Bevölkerung gewährleistet ist, dann wollen wir auch hinschauen können, und dann wollen wir notfalls auch handeln können, weil es in diesem Bereich keine Kompromisse gibt. Das haben wir unter Beweis gestellt, und da habe ich eine große Ermutigung und Zustimmung von ganz vielen erfahren. Wenn wir uns gemeinsam darum bemühen, die tatsächlich vorhandenen Probleme zu lösen, dann wird dieser Aufschwung nicht nur ein oder zwei Jahre anhalten, sondern wir können ihn während der gesamten Wahlperiode dazu verwenden, die Möglichkeiten zu generieren, die wir brauchen, um die Digitalisierung zu bestehen, um unser Bildungssystem zu verbessern und um den Wohnungsbau voranzutreiben. Das ist das Ergebnis, wenn man eine kluge und umsichtige Wirtschaftspolitik macht, und ich appelliere an alle, dass wir weiterhin auf diesem Kurs vorangehen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist für die AfD-Fraktion der Kollege Volker Münz. ({0})

Volker Münz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004835, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister Altmaier! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die wirtschaftliche Lage stellt sich keineswegs so rosig dar, wie es von der Bundesregierung gerne behauptet wird. Denn das Wirtschaftswachstum in Deutschland ist zu einem nicht unerheblichen Teil durch die Negativzinspolitik der EZB induziert. Das Wachstum wird durch die Notenpresse finanziert. Dies ist keine nachhaltige Wirtschaftspolitik. Das ist unverantwortlich, meine Damen und Herren. ({0}) Die Politik des billigen Geldes, die die EZB sicher nicht ohne Billigung der Bundesregierung betreibt, ({1}) enteignet dabei die Sparer und greift die private Altersvorsorge an. Der deutsche Sparer hat seit 2010 bereits rund 500 Milliarden Euro verloren; aktuell erleidet er einen Kaufkraftverlust von rund 70 Milliarden Euro pro Jahr. Dieser Enteignung der Sparer steht die Schuldenpolitik europäischer Krisenländer gegenüber. Dies wollen wir ändern, meine Damen und Herren. ({2}) Das Budget des Ressorts für Wirtschaft und Energie beläuft sich für das Haushaltsjahr 2019 nahezu unverändert auf gut 8 Milliarden Euro. Die größten Ausgabepositionen aus dem Bereich Wirtschaft und Energie spielen sich jedoch beim Energie- und Klimafonds ab, der beim Bundesfinanzministerium angesiedelt ist und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mitbewirtschaftet wird. Er umfasst ein Gesamtausgabenvolumen von fast 6 Milliarden Euro. Mit der Einführung des Energie- und Klimafonds im Jahr 2010 wurde ein Sondervermögen geschaffen, um mit den Erlösen aus dem Handel mit CO2-Zertifikaten Projekte zur CO2 -Einsparung zu finanzieren. Der Bundeszuschuss an den Energie- und Klimafonds war ursprünglich nur zum Wirtschaftsausgleich bei zurückgehenden Erlösen aus dem Zertifikatehandel vorgesehen. Mittlerweile macht er jedoch mit 3 Milliarden Euro mehr als die Hälfte des EKF-Budgets aus. Der Energie- und Klimafonds wird somit vom CO2-Emissionshandel entkoppelt, um fragwürdige Klimaprojekte massiv aufzustocken. Das war so nicht vorgesehen. Darunter ist das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, das allein für das Jahr 2019 ein Gesamtvolumen von sage und schreibe 2 Milliarden Euro umfasst. Außerdem finanziert der EKF Maßnahmen zur Förderung der Elektromobilität. Während die Autobatterien noch nicht ausgereift sind, ist ein hinreichender bundesweiter Ausbau der Ladeinfrastruktur noch nicht erkennbar. Und die Energieversorgung für einen vollständig elektrischen Autoverkehr ist im Rahmen der Energiewende illusorisch, meine Damen und Herren. ({3}) Und dennoch werden weiter Zuschüsse zum Kauf von elektrisch betriebenen Fahrzeugen gewährt. Wir wollen die vollständige Streichung solcher Kaufprämien. Wir wollen Marktwirtschaft, meine Damen und Herren. ({4}) Der Diesel- und der Verbrennungsmotor insgesamt werden durch Fahrverbote der Länder und Kommunen, willkürliche Grenzwerte und neuerdings sogar eine Elektroquote in ihrer Existenz bedroht. Damit wird auf unverantwortliche Weise die Axt an unsere Automobilbranche gelegt und ein wesentlicher Teil unserer Volkswirtschaft beeinträchtigt. Das ist unverantwortlich, meine Damen und Herren. ({5}) Wir stellen uns einer planwirtschaftlichen Energiepolitik entgegen. Ich freue mich auf die Beratungen in den Ausschüssen und bei den Berichterstattergesprächen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der Abgeordnete Sören Bartol für die Fraktion der SPD. ({0})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der deutschen Wirtschaft geht es gut. Die Unternehmen verdienen gutes Geld. ({0}) Die Beschäftigten profitieren von steigenden Löhnen. Mit dem hart verdienten Geld wird kräftig eingekauft. Das stärkt die Binnennachfrage, das freut den Handel, die Erwerbstätigkeit nimmt zu. Die Nachfrage nach gut qualifizierten Fachkräften ist weiterhin hoch. Das ist vor allem auch der Erfolg von vielen Unternehmerinnen und Unternehmern in unseren kleinen und mittelständischen Unternehmen. Das ist der Erfolg der vielen Handwerkerinnen und Handwerker. Das ist aber auch der Erfolg der vielen Tausend Beschäftigten, die jeden Morgen aufstehen, ihrer Arbeit nachgehen, Überstunden fahren und ehrlich ihre Steuern zahlen. ({1}) Und es ist der Erfolg einer sozialen Marktwirtschaft, die wir mit langjähriger sozialdemokratischer Regierungspolitik mitgestaltet haben, in der Mitbestimmung, Tarifbindung und klare Regeln für Markt und Wettbewerb dafür sorgen, dass der soziale Frieden in unserem Land gesichert wird. Genau denjenigen, die mit ihrer Arbeit in unserem Land für Wachstum und Wohlstand sorgen, wollen wir mit unserer Wirtschaftspolitik den Rücken stärken. Dafür erhöhen wir die öffentlichen Investitionen. Unternehmen können nur dann erfolgreich sein, wenn sie gut ausgebildete Beschäftigte, eine gute Verkehrsinfrastruktur und einen schnellen Breitbandanschluss haben. Daher investieren wir auf Rekordniveau in Bildung, von der Kita bis zur Hochschule, genauso wie in Schiene, Straße und Wasserstraße sowie in berufliche Bildung. Mit einem digitalen Investitionsfonds fördern wir den Ausbau der Glasfaserinfrastruktur. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stärken die privaten Investitionen. Ohne private Investitionen in Forschung und Entwicklung gibt es keine neuen Produkte. Ohne private Investitionen in Innovation werden unsere Unternehmen ihren Vorsprung auf dem Weltmarkt verlieren. Die rasanten Entwicklungen in China können uns da nicht kaltlassen. Besonders mittelständische Unternehmen, die keine großen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen haben, brauchen Unterstützung. Deshalb sieht der Entwurf des Bundeshaushaltes eine Erhöhung der Mittel für das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand auf knapp 560 Millionen Euro vor. Gleichzeitig ist es gut, dass wir in der Koalition für forschende kleine und mittelgroße Unternehmen eine steuerliche Förderung vereinbart haben, die bei den Personal- und Auftragskosten für Forschung und Entwicklung ansetzt. Wichtig ist, dass wir hier keine Mitnahmeeffekte produzieren, sondern echte Impulse setzen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, jede Unternehmerin und jeder Unternehmer, der in dritter oder vierter Generation sein Unternehmen führt, weiß, dass er sich auf dem aktuellen Erfolg nicht ausruhen darf. Jede Facharbeiterin oder jeder Facharbeiter weiß aus Erfahrung, dass ein Arbeitgeber trotz guter Auftragslage schnell unter Druck geraten kann. Die Entwicklungen unserer Gesellschaft gehen an den Unternehmen und ihren Beschäftigten nicht spurlos vorbei. Die älter werdende Gesellschaft bereitet vielen Personalabteilungen auf der Suche nach jungen Fachkräften Kopfzerbrechen. Wenn die digitale Vernetzung voranschreitet und Wohnen in größeren Städten und Ballungszentren immer teurer wird, hat das Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes. Wenn wir den Klimawandel aufhalten wollen und dafür Veränderungen bei der Energie, der Mobilität, dem Wohnen brauchen, hat auch das Folgen für unseren Wirtschaftsstandort. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland befindet sich in wichtigen Bereichen unserer Wirtschaft bereits in einem Strukturwandel, der an den Unternehmen, an den Beschäftigten und dem Zusammenleben in den Städten und Gemeinden nicht spurlos vorübergeht. Die Energiewende und der damit verbundene Ausstieg aus der Kohle werden in den Revieren in Brandenburg, Sachsen und Nordrhein-Westfalen Veränderungen nach sich ziehen. Die Antriebs- und Mobilitätswende wird an den deutschen Automobilherstellern und ihren Zulieferern nicht spurlos vorbeigehen. ({3}) Mir ist wichtig: Jede und jeder in unserem Land soll wissen, dass wir fest an der Seite der Regionen, der Unternehmen und Beschäftigten sind, die vor strukturellen Veränderungen stehen. ({4}) Wir werden nicht zulassen, dass es hierbei zu unkon­trollierten Entwicklungen kommt. Daher wird es mit uns auch keinen Ausstieg aus der Kohle oder aus dem Verbrennungsmotor von heute auf morgen geben. Sicher ist aber, dass der schrittweise Ausstieg und Umstieg in Zukunftstechnologien beginnen muss. Über das Wie reden wir genau jetzt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz guter wirtschaftlicher Entwicklung steigen derzeit die außenwirtschaftlichen Risiken. Die Verunsicherung der Wirtschaft an dieser Stelle ist groß. Für eine Exportnation wie Deutschland ist das fatal. Wir sehen bei den USA, wie ein traditioneller Partner in rücksichtsloser Form eigene nationale Interessen durchsetzt und mit Strafzöllen droht. Wir erleben, dass der Zusammenhalt in der Europäischen Union mit dem Brexit auf eine harte Bewährungsprobe gestellt wird. Gerade deshalb dürfen wir uns in der EU nicht weiter auseinandertreiben lassen. Die gemeinsame Handelspolitik ist nicht umsonst eine Kernaufgabe der Europäischen Union. Deswegen ist es auch richtig, dass der Abschluss von neuen Handelsabkommen Sache der Europäischen Union ist. In Zeiten, in denen Tweets von Präsidenten erschreckenderweise mehr Relevanz für den Welthandel haben als die klaren Regeln der Welthandelsorganisation WTO, bekennen wir uns klar zum Abschluss neuer Handelsabkommen wie mit Japan, Australien oder Neuseeland. ({5}) Wenn feste Spielregeln den Handel zwischen Partnern klar regeln, profitieren davon auch Beschäftigte und Unternehmen in Deutschland. Die Debatten über CETA und TTIP zeigen aber auch: Es darf dabei nicht zu einem Absenken von Umwelt- oder Verbraucherstandards kommen. Die Privatisierung von öffentlicher Daseinsvorsorge werden wir eben nicht zulassen. ({6}) Die Einhaltung von Arbeitnehmerrechten, wie die ILO-Kernarbeitsnormen, muss fester Bestandteil des Handels sein, und bei Verstößen muss es harte Sanktionen geben. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eingangs schon darauf hingewiesen: Der deutschen Wirtschaft geht es gut. ({8}) Das ist kein Automatismus. ({9}) Wir müssen handeln, damit das in den kommenden Jahrzehnten auch so bleibt, gerade vor dem Hintergrund des schnellen technologischen Wandels und der großen internationalen Konkurrenz. Die Beratungen des Haushalts sind ein guter Zeitpunkt, dass der Bundeswirtschaftsminister uns Abgeordneten und der interessierten Öffentlichkeit erläutert – das hat er gerade in Ansätzen getan –, was er auf der internationalen Bühne konkret vorhat, damit Deutschland auch in Zukunft wirtschaftlich so stark bleibt, wie es heute ist. Vielen Dank. ({10})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Als Nächster spricht der Kollege Karsten Klein für die FDP-Fraktion. ({0})

Karsten Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004780, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine Frage: Die Lage in Deutschland ist gut. Umso mehr muss es uns umtreiben, wie schlecht die Stimmung in der Gesellschaft ist. Die Stimmung in der Gesellschaft ist nicht nur schlecht wegen verpasster Lösungen im Bereich der Migrations-, Flüchtlings- und Asylpolitik, sondern sie ist auch schlecht, weil die Bevölkerung den Eindruck hat, dass die Handlungsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit dieser Bundesregierung nicht gegeben sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das kann man sehr gut nachvollziehen, wenn man sich wichtige Indikatoren und Zahlen einmal anschaut, zum Beispiel zur Wettbewerbsfähigkeit der Arbeitsplätze. Status: Wir sind Vizeweltmeister, wenn es darum geht, die Bürgerinnen und Bürger zu belasten, und bei den Lohnstückkosten sind wir unter den Top Ten. Aussichten bei dieser Bundesregierung: steigende Belastungen über Rentenpakete, wie vor kurzem beschlossen, und die Wiedereinführung der Parität, die allein die Unternehmen mit 5 Milliarden Euro belasten wird. Auf der anderen Seite keine nennenswerten Steuerentlastungen oder Entlastungen im Bereich des Sozialversicherungssystems für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Unternehmen. Im Bereich des Strompreises – ein wichtiger Kostenfaktor für die Unternehmen hier in Deutschland –: Status: höchstes Preisniveau in Europa und international. Aussichten bei dieser Bundesregierung: aktuell dramatisch ansteigende Preise für die Unternehmen, vor allem im deutschen Mittelstand. Beim Kohleausstieg drohen die gleichen Fehler gemacht zu werden wie beim Atomausstieg. Das Ganze wird verbunden – Herr Minister Altmaier, Sie haben das heute noch einmal wiederholt – mit der Ankündigung einer großen Industriepolitik, die von der SPD auch noch mitgetragen wird, ({0}) obwohl wir alle wissen, dass diese Industriepolitik in der Vergangenheit dazu geführt hat, dass viel Steuergeld verschwendet worden ist. ({1}) Im Bereich der Digitalisierung: Status: Wir drohen beim Breitbandausbau und beim Mobilfunk international abgehängt zu werden. ({2}) Aussichten bei dieser Bundesregierung: Im Koalitionsvertrag steht keine einzige eigene Anstrengung, um den Ausbau im Bereich Internet voranzubringen, ({3}) keine Anstrengung, damit wir aus der Sackgasse im Bereich der Förderinstrumente beim Ausbau ausbrechen können. ({4}) Im Bereich der Investitionen: Status: Schon in den letzten Jahren war die Investitionsquote viel zu niedrig; aber der aktuelle Plan – das sind die Aussichten dieser Koalition – sieht vor, dass die Investitionsquote bis 2022 sogar noch weiter zurückgehen soll. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer anhand der Zahlen die Menschen verstehen kann, wie wir es tun, der ist auf dem richtigen Weg. Die Menschen haben kein Vertrauen in die Handlungsfähigkeit und die Zukunftsfähigkeit dieser Regierung. Aber, Herr Minister, diese Regierung hat ja nicht einmal selbst dieses Vertrauen. Egal ob wir uns den Bundeshaushalt anschauen oder die Sozialversicherungssysteme: Überall saugen Sie sich mit Geld voll und bilden Rücklagen; aber Sie haben kein Potenzial und keine Mittel, um es an die Bürgerinnen und Bürger oder an die Beitragszahler auszuschütten. ({6}) Zu alledem kein einziges Wort des Bundeswirtschaftsministers. Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Wir erwarten von Ihnen ein aktives Streiten für die soziale Marktwirtschaft. ({7}) Wir erwarten von Ihnen eine Agenda für die soziale Marktwirtschaft. Diese Agenda muss enthalten: die Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger, die Komplettabschaffung des Solidaritätszuschlags. Weil ich weiß, dass der Kollege Dr. Linnemann nachher spricht – Herr Dobrindt hat das gestern auch gesagt –, sage ich: Wichtiger, als in Sonntagsreden darüber zu sprechen, wäre es, zu handeln. Handeln Sie doch endlich mal, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union! ({8}) Wir wollen auch keine weiteren Belastungen auf Kosten zukünftiger Generationen. Wir wollen, dass Sie die Strompreisbremse in Ihre Agenda aufnehmen. Streichen Sie planwirtschaftliche Instrumente bei der Energiewende endlich raus! Lassen Sie den Markt entscheiden, welche Technologie in Zukunft bei Antrieben das Sagen hat, und nicht die Planer im Umweltministerium. ({9}) Sorgen Sie mit einer Initiative in Brüssel dafür, dass wir aus der Fördersackgasse herauskommen und wieder schnelles Internet fördern können. ({10}) Und fordern Sie bei Ihren Kolleginnen und Kollegen im Kabinett ein, dass wir investieren, statt Wahlgeschenke auszuteilen auf Kosten zukünftiger Generationen und den Sozialstaat aufzublähen. ({11}) Nicht zuletzt, weil es heute wieder angekündigt worden ist: Machen Sie endlich ein Einwanderungsgesetz, das diesem Namen gerecht wird, mit einem Punktesystem, und nicht nur, wie es im Koalitionsvertrag steht, eine Zusammenfassung bestehender Regeln, die schon bisher unzulänglich waren. ({12}) Sehr geehrter Herr Minister, was nicht zu einer Agendapolitik gehört, möchte ich an dieser Stelle auch einmal klar sagen – das haben Sie uns schon bei den letzten Haushaltsberatungen gezeigt, als es um das Thema Innovationen ging –: Ein großer Batzen Geld wird in Ihrem Haushalt platziert, wie es jetzt bei der Außenwirtschaft der Fall ist. Aber keiner weiß so richtig, was damit passiert. Das findet jetzt, wie gesagt, bei der Außenwirtschaft statt: 30 Millionen Euro werden ohne Konzept einfach in den Haushalt eingestellt. Wir erwarten, dass ein Konzept da ist und dann die Steuermittel der Bürgerinnen und Bürger ausgegeben werden. ({13}) Sehr geehrter Herr Altmaier, reden Sie nicht über Ludwig Erhard. Handeln Sie wie er, und setzen Sie unsere Agenda­punkte um. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({14})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Heidrun Bluhm für die Fraktion Die Linke. ({0})

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Herr Minister, der aktuelle Etatentwurf steht unter dem Motto – ich zitiere – „Wirtschafts-, energie- und forschungspolitische Schwerpunktaufgaben stärken, zusätzliche Innovationsanreize schaffen und neue Außenwirtschaftliche Schwerpunkte setzen“. Schön! Das finden wir auch. Wo finden wir die aber? Helfen Sie uns, Herr Minister! Die Linke findet hier nicht viel Neues oder Innovatives. Auch Ihre Rede eben hat im Vergleich zu den letzten Jahren nicht viel Neues verlauten lassen. ({0}) Wirtschaft ist für uns – für meine Fraktion, für mich und vor allem auch für viele Bürgerinnen und Bürger – die Voraussetzung für Soziales, für Kultur und für vieles mehr im Leben. Wir arbeiten, um zu leben, und nicht, um einige wenige reich zu machen. Oder gar: Wir leben, um zu arbeiten, um die Reichen noch reicher zu machen? Sie haben eben gesagt, Herr Minister: Löhne und Renten steigen kräftig. – Ja, richtig – aber im Durchschnitt, nicht bei den prekär Beschäftigten und auch nicht bei den Minijobbern. Für die diesbezügliche soziale Schieflage im Land ist der Wirtschaftsetat daher auch wesentlich verantwortlich, zum Beispiel mit einer massiven Stärkung der KMU in den strukturschwachen Regionen oder mit dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, dessen Etatgröße in diesem Jahr wieder nicht steigt. ({1}) Wenigstens haben Sie diesmal nicht den Rotstift angesetzt; das gibt einem ja schon mal ein bisschen Hoffnung. Dabei ist der Osten im Vergleich zu ganz Deutschland in seiner Entwicklung immer noch weit zurück; wir alle wissen das, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ähnlich ist es beim Thema „ländliche Räume“. Hier gibt es trotz aller Strukturprobleme Chancen für Innovationen, wenn die positiven Effekte der Digitalisierung endlich auch vor Ort zu wirtschaftlich neuer Wertschöpfung führen würden. Statt dies auf den Weg zu bringen, streitet man sich aber mit der Landwirtschaftsministerin über die Zugriffsrechte im Hinblick auf die Förderung von Start-ups im ländlichen Raum. Sie macht nämlich parallel dazu jetzt auch etwas. Ich bin gespannt, wie hier die Abstimmung verläuft. Ehrlich gesagt, das kann man den Menschen kaum noch erklären. Ich finde auch, dass man das den Menschen nicht mehr zumuten kann. ({2}) Gerade im ländlichen Raum fühlen sich die Menschen seit Jahren abgehängt, und sie fühlen sich vernachlässigt. So ist auch der Rechtsruck im Land zu erklären. ({3}) Meine Damen und Herren, sind die Anzeichen nicht bereits weithin wahrnehmbar, dass in Ostdeutschland große Bevölkerungsgruppen von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben faktisch abgekoppelt sind? Obwohl die Ausstattung des Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer im Einzelplan diesmal nicht stagniert, sondern von 2,7 auf gut 4,5 Millionen Euro angehoben wurde, ist von einer aktiven Regionalpolitik bisher wenig zu spüren. Herr Kollege Hirte – jetzt ist er gerade weg; wir haben gestern Abend darüber gesprochen – weiß noch gar nicht, dass tatsächlich mehr Geld in seinem Etat ankommen wird. Hier wie überall im ländlichen Raum muss die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse endlich tatsächlich hergestellt werden, so wie Die Linke es seit Jahrzehnten fordert. ({4}) Da müssen die 4,5 Millionen Euro wirklich ankommen. Das ist ein wichtiger Beitrag, vor allem zur Stärkung der Demokratie, und gleichzeitig ein Ansatz, um autoritären Verführungen zu widerstehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch energiepolitisch bringt der Haushalt des Ministeriums wenig Neues. Er bleibt eigentlich im Fahrwasser des Altbekannten, zum Beispiel bezüglich der selbstgesteckten Klimaziele. Im Monitoring-Bericht „Energie der Zukunft“ gehen die Experten von Folgendem aus – ich zitiere –: Um das Klimaziel für 2030 noch zu erreichen, muss Deutschland seine CO 2 -Emissionen dreimal stärker senken als in den letzten 18 Jahren. Das ist vergleichbar mit der Treibhausgasreduktion, die mit der Deindustrialisierung der DDR erfolgt ist. Daran können Sie erkennen, welche Anforderungen an uns gestellt werden und wie wenig Sie bereit sind, diesen Anforderungen ins Auge zu sehen. Schließlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte das Wirtschaftsministerium auch wirtschaftliche Schwerpunkte im Außenhandel setzen. Wie das mit den geplanten Mitteln erreicht werden soll, erschließt sich mir nicht. Wie schon im Umweltetat werden die Mittel für die internationale Zusammenarbeit auch in diesem Haushalt zusammengekürzt. ({5}) So kann man Fluchtursachen aus unserer Sicht nicht bekämpfen. Stattdessen gibt es einen Posten mit dem nebulösen Titel „Erschließung von Auslandsmärkten“, der sich bei genauem Hinsehen als Begleitprogramm für Messeteilnahmen darstellt. Dafür gibt es sogar mehr Geld. Hier könnte man ganz anders handeln, zum Beispiel über ein finanzkräftiges Fairtrade-Programm, ({6}) das gleichzeitig die landwirtschaftlichen Strukturen in den Herkunftsländern erhält oder auch wiederherstellt, dort Arbeit schafft und einen Beitrag zur Verbesserung der Handelsbeziehungen leistet. ({7}) Nichts davon steckt in Ihrem Haushaltsplan. Aus meiner Sicht muss die Koalition da deutlich nachjustieren. Dieser Etat muss mehr sein als eine versteckte Förderung von staatsnahen Monopolisten, zum Beispiel in der Luft- und Raumfahrt, die Herr Minister heute wieder angekündigt hat. Auch deshalb solidarisiert sich die Linke mit den Aktivistinnen und Aktivisten im Hambacher Forst. ({8}) Das Vorgehen dort ist ein weiteres Beispiel für eine rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik, eine Wirtschaftspolitik des 19. Jahrhunderts. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner ist Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Altmaier, Sie haben völlig zu Recht über Arbeitsplätze in der Braunkohle gesprochen. Nur, ich würde mir wünschen, dass ein Wirtschaftsminister des Energiewendelandes Deutschland – das waren wir zumindest einmal; aber Sie glauben ja, dass wir es immer noch sind – auch mal über die 350 000 Arbeitsplätze in der Branche der erneuerbaren Energien redet, ({0}) dass das, was dort seit Jahren geleistet wird, Ihnen hier wenigstens mal eine Erwähnung wert ist. ({1}) Ich glaube, das ist auch deshalb notwendig, weil Sie es nicht mal schaffen, das umzusetzen, was Sie in Ihrem eigenen großkoalitionären Koalitionsvertrag vereinbart haben. ({2}) Das führt dazu – ich gehe mal davon aus, Johann Saathoff wird gleich etwas dazu sagen –, dass, seit Minister Altmaier im Amt ist, in Deutschland in der Windindustrie mehr Arbeitsplätze verloren gegangen sind, als es in der Braunkohle insgesamt gibt. Ich sage: Das ist Deindustrialisierung Deutschlands, was Sie da betreiben, das ist Ihre Politik, meine Damen und Herren. ({3}) Das Verrückte ist: Sie können in Deutschland hingehen, wo Sie wollen – gehen Sie zu einem Unternehmen, das mit Energiepolitik, mit Energieerzeugung, -verteilung und -verkauf zu tun hat! –, überall kriegen Sie eines zu hören: das Beklagen über den Stillstand. Vom kleinen Handwerksbetrieb bis zum Großkonzern, vom Start-up bis zum mittelständischen Betrieb, alle sagen: Es passiert nichts. Wir haben einen Minister, der ist Dampfplauderer, der reist durchs Land, macht nette Pressetermine zum Netzausbau, aber der liefert keine Gesetze, der liefert keine Verordnungen. – So türmt sich der Reformbedarf in der Energiepolitik immer stärker auf. Das, meine Damen und Herren, muss sich ändern. ({4}) Ich könnte Ihnen jetzt hier eine Stunde lang aufzählen, was alles getan werden muss – Netzentgeltreform, Sektorkopplung, Speicher, Flexibilisierung in Erzeugung und Verbrauch –, ({5}) aber ich will es nur auf einen einzigen Punkt konzentrieren: Selbst große Teile der Wirtschaft – und dabei sind Unternehmen, von denen man es eigentlich nicht erwarten würde – fordern einen CO 2 -Preis. ({6}) Und was ist vom Wirtschaftsminister zu diesem Thema zu hören? Eine Totalblockade. Ich sage Ihnen: Hören Sie damit auf! Geben Sie CO 2 endlich einen marktwirtschaftlichen Preis, ({7}) damit das, was unsere Erdatmosphäre zerstört, etwas kostet und wir damit Anreize zur Vermeidung setzen können. ({8}) Damit, meine Damen und Herren, bin ich bei der Kohlekommission; das ist ja etwa so – ich könnte mir das leicht machen – wie durch gesellschaftliche Gruppen betreute Koalitionsverhandlungen, die da stattfinden, weil Sie in der Großen Koalition zwischen Union und SPD nicht den Mut hatten, eine Entscheidung über die Zukunft der Kohle zu treffen. ({9}) Ich finde es, ehrlich gesagt, schon ein bisschen mit Chuzpe, Herr Altmaier, dass Sie sich hierhinstellen und die Einsetzung der Kommission an sich als Erfolg verkaufen. Früher war es einer Regierung peinlich, einen Arbeitskreis zu gründen; wir alle kennen den Spruch: Wenn du nicht weiterweißt, gründe einen Arbeitskreis. Diese Koalition ist so tief gesunken, dass für sie die Einsetzung einer Kommission schon ein politischer Erfolg ist, bevor diese überhaupt irgendetwas bewegt hat. Meine Damen und Herren, das ist ein Armutszeugnis für jede Regierung! ({10}) Was mich dann aber auf die Palme bringt, ist die Tatsache, dass man das nicht gelöste Problem des Kohleausstiegs gesellschaftlichen Gruppen aufs Auge drückt und ihnen sagt: „Wir sperren euch in einen Raum, seht zu, dass ihr klarkommt“, ({11}) dann aber nicht für ein Klima sorgt, dass in Ruhe verhandelt werden kann. Es ist doch völlig irre, dass in Berlin eine Kommission über den Kohleausstieg tagt und gleichzeitig im Rheinland durch die Rodung im Hambacher Wald Fakten geschaffen werden sollen. ({12}) Ich erwarte von Ihnen, dass Sie Ihrem Parteifreund Armin Laschet sagen, dass das so nicht geht, und dass Sie dafür sorgen, dass ein Klima entsteht, in dem in Ruhe geredet werden kann. Ich war froh, dass die Umweltministerin gesagt hat: Reden statt roden. ({13}) Übrigens sagt auch die Gewerkschaft der Polizei – um das an dieser Stelle einmal zu erwähnen –, dass das ein richtiger Schritt ist. Was mich aber, ehrlich gesagt, empört hat, ist, dass nachher die Sozialdemokratie in Gestalt ihrer Parteivorsitzenden aufgetreten ist und in einer Art und Weise mit einem Vokabular reingegrätscht ist, das ich eher auf der rechten Seite dieses Hauses vermuten würde. ({14}) Sie sollten endlich begreifen, dass die Zeit der Kohle vorbei ist, dass die Zukunft im Klimaschutz, in der Nachhaltigkeit liegt. Es kann nicht sein, dass bei Ihnen immer dann der Verstand ausklinkt, wenn es um die Kohle geht.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Sie müssen zum Schluss kommen, Herr Kollege.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Deshalb erwarte ich von Ihnen, dass Sie klar sind und mit dafür sorgen – wie Ihre Umweltministerin sagt –, dass diese Rodungen endlich gestoppt werden und dass keine weiteren Fakten geschaffen werden, solange in der Kohlekommission verhandelt wird.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Reden statt räumen und roden – um das klar zu sagen! ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Der Abgeordnete Hilse erhält die Gelegenheit für eine Zwischenbemerkung.

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Herr Krischer, Sie haben gerade geäußert, dass das CO 2 die Atmosphäre zerstört. Das würde ich gerne ein bisschen näher erklärt haben. Es wäre nämlich eine neue wissenschaftliche Erkenntnis, dass das CO 2 die Atmosphäre zerstört. Es wäre schön, wenn Sie mich da aufklären könnten. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Krischer, wollen Sie antworten?

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Hilse, ich habe den Eindruck, Sie stellen diese Frage hier ein Mal wöchentlich. Ich staune, dass Ihr Erkenntnisstand nicht zunimmt. Die gesamte ernstzunehmende Wissenschaft sagt völlig klar und deutlich: Es gibt eine menschenverursachte Klimakrise. ({0}) Ich würde Ihnen empfehlen: Kaufen Sie sich ein Schulbuch! Bilden Sie sich an dieser Stelle fort! ({1}) Ich nehme mit Erstaunen zur Kenntnis, dass ausgerechnet die Partei, die ja an anderen Stellen vorgibt, für kleine Leute zu sprechen, die Kohleindustrie, die Autoindustrie, also diejenigen, die das Klima kaputtmachen und unsere Lebensgrundlage zerstören, schützen will. Das, Herr Hilse, sollten Sie an dieser Stelle auch zur Kenntnis nehmen. ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Hilse, wenn Sie eine Zwischenbemerkung machen, bei der die Kollegen Ihnen zuhören, dann erwarten wir von Ihnen auch, dass Sie zuhören, wenn der Kollege die Antwort auf Ihre Zwischenbemerkung gibt. – Das für die Zukunft. ({0}) Als Nächstes spricht Dr. Carsten Linnemann für die Fraktion der CDU/CSU. ({1})

Dr. Carsten Linnemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben jetzt das Jahr 2018. Ich habe mir mal die Mühe gemacht und einfach zehn Jahre zurückgeblickt. Vor zehn Jahren hatten wir auch diese Haushaltsdebatte; damals war es der 19. September, also fast exakt zehn Jahre zurück. Damals hieß der Wirtschaftsminister Michael Glos, und er hat Folgendes gesagt: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuerst die gute Nachricht: Die deutschen Sparer müssen nicht um ihr Geld bangen; die Sicherungseinrichtungen der deutschen Banken sind nach wie vor intakt. Wir sind derzeit in einer Banken- und Finanzmarktkrise ..., mit denen unsere Generation noch nie konfrontiert war. Wenn man den Bundestagsabgeordneten damals gesagt hätte, wie heute die Kapazitätsauslastung in der Industrie, der Auftragseingang, der ifo-Geschäftsklimaindex, die Arbeitslosigkeit und das Potenzialwachstum sind, und wenn man ihnen gesagt hätte, was eben der Kollege Bartol, finde ich, eindrucksvoll auf den Punkt gebracht hat, nämlich wie es unserer Wirtschaft im Moment geht, dann hätten die gesagt: Ihr habt den Schuss nicht gehört. Lieber Kollege Münz von der AfD – ganz sachliche Intervention –, Sie sagen zu Recht: Die Niedrigzinspolitik ist nicht gut, und sie gibt natürlich auch dem Bundeshaushalt Rückenwind. – Das stimmt. Gleichzeitig stimmt es aber nicht, wenn Sie sagen, dass diese Nullzinspolitik Ursache für das jetzige Wachstum ist. Das wäre ja ein Schlag ins Gesicht der arbeitenden Menschen in Deutschland, des Mittelstandes, des dualen Ausbildungssystems, des Industriestandortes Deutschland und der Tarifautonomie. Der Grund, warum es uns gut geht, ist, dass dieses Land in den letzten Jahrzehnten so „gefahren“ ist, wie wir es erlebt haben. Auch durch die arbeitenden Menschen in Deutschland haben wir heute eine Wirtschaftsstruktur, die so gut ist wie seit 10, 20, 30 Jahren nicht mehr. Ja, liebe FDP, Herr Klein, wir müssen uns heute Gedanken machen, was wir tun müssen, damit es uns in 10, 15 Jahren immer noch gut geht. Aber diese Zusammenhänge zu ignorieren, hat nichts mit sachlicher, volkswirtschaftlicher Verantwortung zu tun. Deswegen: Das ist unsere Leistung, und darauf können wir auch ein bisschen stolz sein. Im Jahre 2008 hätte niemand mit der heutigen Situation gerechnet. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Linnemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Münz?

Dr. Carsten Linnemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, aber fassen Sie sich kurz, Kollege Münz. Dann fasse ich mich auch kurz. Und stellen Sie eine Frage!

Volker Münz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004835, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich möchte nur eine ganz kurze Anmerkung machen. – Ich habe nicht gesagt, dass das die Ursache ist, sondern ich habe gesagt: Das ist zu einem großen Teil durch die Negativzinspolitik induziert. Natürlich gibt es viele Komponenten; das ist alles sehr komplex. Im Gegensatz zu Ihnen haben wir nie behauptet, dass das einfach ist. ({0}) Politik hat verschiedene Komponenten. Sie werden aber doch nicht leugnen, dass die Negativzinspolitik, die Politik des billigen Geldes auch maßgeblich dazu beigetragen hat. Das werden Sie ja wohl nicht leugnen. Ich habe nicht gesagt, dass das die alleinige Ursache ist. ({1})

Dr. Carsten Linnemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erstens. Herr Münz, die Nullzinspolitik der EZB gefällt mir auch nicht. Ich möchte gerne Marktzinsen haben. Wir müssen mit den Zinsen so schnell wie möglich nach oben. ({0}) Die EZB ist unabhängig; trotzdem habe ich diese Aussage getätigt. Zweitens. Sie haben eben nicht „zu einem großen Teil“ gesagt. ({1}) Wir haben hier ja Protokollanten; wir werden uns das später im Protokoll ansehen. Was auch zur Ehrlichkeit gehört: Wenn man auf das Jahr 2008 zurückblickt, dann sieht man, dass es damals eine Debatte fast ausschließlich um die Bankenkrise gab. Heute reden wir über die Konjunktur, klar, aber in den letzten Tagen auch über ein Phänomen. Es ist eigentlich kein Phänomen, sondern offensichtlich, nämlich das Thema „Spaltung der Gesellschaft“, auch im Lichte von Chemnitz. Einige stellen sich jetzt vielleicht die Frage, warum ich das in einer Wirtschaftsdebatte anspreche. Aber die ersten Manager äußern sich zu diesem Thema in einem großen Nachrichtenmagazin. Wenn ich bei Mittelständlern bin, sprechen mich die Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf dieses Thema an. Deswegen ist das auch ein wirtschaftliches Thema. Sicherheit ist auch ein Standortfaktor. Deswegen müssen wir ein Interesse daran haben, dass wir die Probleme klar beim Namen nennen und lösen, damit dieses Problem nicht zu einem Investitionshemmnis wird. ({2}) Wir müssen dies gleichermaßen angehen wie die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Auch hier noch einmal abschließend zurückschauend in dieses Protokoll von 2008: Interessant ist, dass wir die Herausforderungen, die damals beschrieben wurden, teilweise noch heute haben. Manche wurden 2008 unterschätzt, zum Beispiel das Thema Digitalisierung; das ist ganz interessant. Ansonsten aber sind die Herausforderungen – Energiepreise, Bürokratie, Fachkräfte – gleich. Herr Klein, Sie haben nicht nur mit Ihrer Bemerkung zum Soli, sondern auch mit vielen anderen Bemerkungen recht. In einem Punkt aber haben Sie nicht recht, und das möchte ich in dieser Debatte – wir verstehen uns ja gut – einmal klarstellen. Die FDP sagt ja immer: Wir brauchen das Punktesystem von Kanada. – Ja, dieses System hat Transparenz, und diese Transparenz brauchen wir, obwohl ich glaube, dass die Verfahren in Deutschland zu lange dauern. Es kann nicht sein, dass es acht bis neun Monate dauert, bis jemand ein Visum bekommt. Aber die Kanadier sind jetzt auf unser System umgeschwenkt. Seit einigen Monaten muss man dort nämlich nachweisen, dass man wirklich einen Arbeitsplatz hat. Genau das wollen wir auch. Deswegen unterstützen wir den Bundesinnenminister dabei, dieses System einzuführen. Ja, wir brauchen ein Fachkräftesystem. Ja, wir brauchen es, abgegrenzt vom Asylsystem, damit die Menschen auf diesem Globus wissen, unter welchen Bedingungen sie legal nach Deutschland kommen können und unter welchen nicht. Genau das gehen wir jetzt an. ({3}) Wir haben auch das Thema Energie; darüber wurde eben ausgiebig gesprochen. Beim Thema Energie wollen wir vorankommen. ({4}) – Ich kann Ihnen sagen, wo wir konkret vorankommen wollen. – Aber wir wollen dafür die Akzeptanz in der Bevölkerung. Wir möchten eine glasklare Synchronisierung des Ausbaus der erneuerbaren Energien mit dem Netz. ({5}) 1,6 bis 1,7 Milliarden Euro für Redispatch-Netzeinspeisemanagement usw. sind zu viel. ({6}) Natürlich gibt es Systemkosten. Aber diesen Schritt gehen wir. Da unterstütze ich ausdrücklich Joachim Pfeiffer. Ansonsten denken wir europäisch. Es glaubt doch keiner, dass wir das Thema CO 2 national in den Griff bekommen. Deswegen wollen wir an dem Zertifikatehandel festhalten, der besser und besser läuft. Wir haben eine Erhöhung der Preise. Diesen Weg gehen wir. Die Antwort auf die Energieprobleme weltweit, auch im Zusammenhang mit CO 2 , liegen nicht in Deutschland. Sie sind europäisch zu lösen, eher weltweit. ({7}) In diesem Sinne, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten wir jetzt die Probleme angehen, vielleicht auch einen Zahn zulegen, damit wir PS auf die Straße bekommen. Herzlichen Dank. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Okay. – Dann fahren wir fort mit Enrico Komning für die AfD. ({0})

Enrico Komning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004787, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Als Unternehmer weiß ich, dass Stillstand Rückschritt bedeutet. Ihr Etatentwurf, Herr Minister, ist weniger als Stillstand. Das von Ihnen andauernd beschworene gleißende Sonnenlicht der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage verblendet Ihnen die Sicht auf die Zukunft. Der Wirtschaftshaushalt ist der einzige Fachhaushalt, der zurückgefahren wird, strukturell kaum verändert. ({0}) – Schauen Sie rein, natürlich. – Es wird nur an kleinen Schräubchen gedreht. Sie, Herr Minister, erkennen offenbar nicht, dass es bei unserem Wirtschaftsmotor der Einführung eines neuen Modells bedarf und nicht eines Spar-Faceliftings. Mit einer solchen altmuffigen, trägen Wirtschaftspolitik drohen wir die Zukunft zu verschlafen, meine Damen und Herren. ({1}) Der Wirtschaftsetat offenbart – auch das muss ich Ihnen als Unternehmer sagen – ein fehlendes Verständnis für Entwicklungsnotwendigkeiten und Marktanpassungen. Wir brauchen endlich eine eindeutige Schwerpunktsetzung zugunsten unseres noch weltweit führenden Mittelstandes, eines Mittelstandes, der gerade dafür prädestiniert ist, die Herausforderungen und die Chancen dieser neuen Zeit flexibel zu nutzen, eines Mittelstandes, der fähig ist, durch die Anwendung neuer, arbeitsplatz­unabhängiger Technologien die ländlichen Räume in Deutschland wieder zu beleben, eines Mittelstandes, der sich künstliche Intelligenz und Digitalisierung zunutze macht und neue Berufsbilder erfindet, die die weggefallenen ausgleichen, und eines Mittelstandes, der sich seiner sozialen Verantwortung gegenüber den Schwachen unserer Gesellschaft bewusst ist. Mittelstandspolitik, meine Damen und Herren, ist richtig verstandene soziale Marktwirtschaft. ({2}) Nur 2 Milliarden Euro Investitionen – das sind gerade einmal 0,5 Prozent des Bundeshaushaltes – genehmigen Sie dem Wirtschaftsetat. Die Mittel für die Industrielle Gemeinschaftsforschung für mehr als 50 000 mittelständische Unternehmen werden um mehr als 20 Prozent zurückgefahren. ({3}) Bei 48 Milliarden Euro Haushaltsüberschüssen in Deutschland haben Sie ganze 560 Millionen Euro für das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand übrig. Das, Herr Minister, ist keine Mittelstandsoffensive. Sie ersticken den Mittelstand mit Kosten: hohe Steuern, absurd hohe Arbeitgeberbeiträge und dann noch die politisch gewollten Mondpreise bei der Energie durch Ihr hoffnungslos wirkungsloses EEG-Gesetz. Made in Germany muss wieder Qualitätsmerkmal für Innovation, Beweglichkeit und Präzision sein – und nicht für Bürokratie und Zukunftsangst. ({4}) Dafür brauchen wir deutlich mehr öffentliche Investitionen und einfachere, flexible, auf den Mittelstand und die ländlichen Räume konzentrierte Förderprogramme ohne Bürokratiedschungel. Wir wollen die Menschen fördern, denen was einfällt. Keinesfalls wollen wir ihnen sagen, was ihnen einfallen soll. Dafür in der heutigen Zeit den Rahmen zu setzen, das ist Aufgabe des Staates, das ist unsere Aufgabe. Sie verweigern sich dieser Gestaltungspflicht, und nicht nur fahrlässig, wie Christian Lindner gestern sagte, sondern mindestens schon mit Eventualvorsatz. Nur die freie Entfaltung der Ideen und Talente macht unser Land zukunftsfähig. Das wollen wir von der AfD. ({5}) Herr Minister, Ihr Haushaltsentwurf taugt nichts. Ich würde sagen, Sie fangen noch mal von vorne an. Ein bisschen Zeit haben Sie ja noch. Vielen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Als Nächster spricht der Kollege Johann Saathoff für die Fraktion der SPD. ({0})

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn es in einer Beziehung eng wird, dann sagt man in Ostfriesland: „’t regent neet alltied Botter un Bree“. Das gilt auch in der Großen Koalition. Diese Koalition hatte, keine Frage, einen schweren Start in der Energiepolitik. Die wirtschaftlichen Rahmendaten sind gut, aber der Start war schwierig. Das 100-Tage-Gesetz verzögert sich. ({0}) Dabei haben wir ehrgeizige Ziele, Herr Minister, auch im Sinne von Alexander Gerst, wenn er aus dem Weltraum über die Klimasituation berichtet. Ich glaube, Sie haben darauf hingewiesen. Wir wollen den Anteil der Erneuerbaren bis 2030 auf 65 Prozent erhöhen. Aber was bedeutet das? Das bedeutet – je nachdem, wer rechnet – einen Ausbau von 4 bis 5 Gigawatt netto pro Jahr, und zwar für die Photovoltaik und für Onshorewindenergie, und in Ostfriesland würde man sagen: „Noch’n Sluck schüdde bi“ für Offshorewindenergie. Die SPD – das kann ich an dieser Stelle sagen – hält an diesem Koalitionsvertrag fest. ({1}) Wir halten an den vereinbarten Sonderabschreibungen fest. Wir wollen aber auch der Industrie Planungssicherheit bei der KWK-Eigenversorgung geben; das wird dringend Zeit. Nun wird es Zeit, dass wir die vereinbarten Entscheidungen für die Erneuerbaren treffen, die eine ganze Dekade überdauern sollen. Herr Minister, in Ihrer Antrittsrede vor der Sommerpause haben Sie gesagt, dass Sie die Hotspots des Netzausbaus besichtigen wollen. Ich kann das bestätigen. Sie haben Glück gehabt; denn zu den Hotspots gehört auch Ostfriesland. Sie haben das schöne Ostfriesland genießen können und sich über den Netzausbau informiert. Im August haben Sie einen „Aktionsplan Stromnetz“ vorgestellt. Im September soll dieser mit den Ländern beraten werden. ({2}) Endlich – das kann man dieser Stelle sagen – werden wir wieder Gesetze machen. Darauf hat die SPD schon lange hingearbeitet. Wir wollen nämlich dafür sorgen, dass unsere Stromnetze viel effizienter betrieben werden als heute. Ich habe das schon an vielen Stellen gesagt. Ich nenne nur noch eine Zahl dazu: Die durchschnittliche Auslastung des Übertragungsnetzes in Deutschland beträgt 27 Prozent. Ich kann das Mantra einiger Kollegen einfach nicht mehr hören, dass die Erneuerbaren das Netz verstopfen und wir deshalb den Ausbau der Erneuerbaren begrenzen müssen. Da gibt es einen ziemlichen Spannungsbogen zwischen Minister Altmaier und Herrn Linnemann, den Sie vielleicht intern miteinander aufklären mögen. ({3}) Wir wollen auch größere Akzeptanz bei den Erneuerbaren erreichen, aber nicht durch Verhinderung derselben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, sondern durch sinnvolle Regelungen zum Beispiel bei der Flugbefeuerung. Wir wollen auch regeln, dass Standortkommunen bei den Erneuerbaren finanziell entschädigt werden bzw. dass ihnen finanziell geholfen wird. Denn die beste Form der Bürgerbeteiligung – davon sind wir überzeugt – ist immer noch, wenn alle Bürgerinnen und Bürger einer Gemeinde tatsächlich daran partizipieren. ({4}) Die Energiewende hat in Deutschland viele Arbeitsplätze geschaffen. Herr Krischer hat von 350 000 gesprochen. Ich habe nachgezählt und komme auf fast 400 000 Stellen bei den Erneuerbaren. In vielen Regionen haben sie für einen deutlichen Aufschwung gesorgt, auch in der Region, aus der ich komme. Wie jede andere Branche brauchen die Erneuerbaren stabile Rahmenbedingungen. Die SPD kümmert sich – das kann ich an dieser Stelle sagen – um die Erneuerbaren. Das gilt vor allem auch in Zeiten, in denen der Motor einmal ins Stocken gerät, wenn es eng wird, wie wir es gerade erleben. Dann ist es nämlich von unschätzbarem Wert, wenn es eine funktionierende betriebliche Mitbestimmung und eine aktiv gelebte Sozialpartnerschaft gibt. Wer mit uns gemeinsam für die Energiewende kämpfen will, muss sich auch um seine Beschäftigten und die Sozialpartnerschaft in sogenannten Tochterunternehmen kümmern. ({5}) Für die SPD ist klar, sich für Solidarität einzusetzen. Ich persönlich werde nicht nachlassen, an der Seite der Beschäftigten für betriebliche Mitbestimmung in der EEG-Branche zu kämpfen, in Ostfriesland und in ganz Deutschland. Darauf können Sie sich verlassen. Herzlichen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächster spricht der Kollege Michael Theurer für die Fraktion der FDP. ({0})

Michael Theurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004914, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die friesische Gelassenheit des Kollegen Saathoff scheint Andrea Nahles abzugehen angesichts des Ultimatums der SPD zur Entlassung von Verfassungsschutzpräsident Maaßen. Das Ende der Großen Koalition hängt wie ein Damoklesschwert über dem Haushalt. Wir wissen gar nicht, ob er überhaupt noch verabschiedet wird. Ich glaube, dass wir jetzt den Anfang des Endes der Großen Koalition erleben, und das schon nach noch nicht einmal 200 Tagen. ({0}) Der Haushalt des Wirtschaftsressorts ist stabil. Die Mittel gehen aus technischen Gründen sogar leicht zurück, und zwar von 8,1 Milliarden auf 8,05 Milliarden Euro. Herr Minister Altmaier, wenn alle Ressorts so solide und stabil wären wie Ihres, hätten wir den finanziellen Spielraum für eine deutliche Entlastung der Bürgerinnen und Bürger. Eine Entlastung ist notwendig bei der kalten Progression – diese wollen wir als FDP abschaffen – und vor allen Dingen bei den Personengesellschaften in Deutschland. 3 Millionen mittelständische Unternehmen zahlen Einkommensteuer als Unternehmensteuer. Diese hoffen darauf, entlastet zu werden, damit endlich Wettbewerbsgerechtigkeit im Vergleich zu internationalen Großkonzernen hergestellt wird. Deshalb plädieren wir für die vollständige Abschaffung des Soli, und zwar jetzt. ({1}) Sie, Herr Minister Altmaier, haben als Handelsminister gehandelt. Sie sind in die USA geflogen und haben dort mit der US-Regierung gesprochen, um den Zollkrieg zu entschärfen. Kompliment! Wir wünschen uns das, was Sie als Handelsminister gemacht haben, auch in anderen Bereichen. Sie haben bei Ihrer Vereidigung angekündigt, das Erbe Ludwig Erhards – auch der Kollege Carsten Linnemann hat Sie darauf angesprochen – anzutreten. Dieses Erbe sollte nicht nur im Museum gelobt oder dadurch, dass Sie einen Raum im Ministerium nach Ludwig Erhard benennen, geehrt werden. Vielmehr sollte es auch am Kabinettstisch, in der Öffentlichkeit und hier im Deutschen Bundestag zur Sprache kommen. ({2}) Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich aus dem Buch „Was würde Ludwig Erhard heute sagen?“: Für Erhard galt: Der geordnete und gehütete Markt ist selbst sozial. Weiter heißt es: Soziale Gerechtigkeit ist nicht Umverteilung. Vielmehr geht es um eine Ordnungspolitik, die jedem Einzelnen in der modernen Wirtschaftsgesellschaft die Möglichkeit zur Entfaltung seiner Person gibt. Geschrieben hat dies Frau Dr. Angela Merkel im Jahr 2007. Wenn ich aber diese Aussage der Bundeskanzlerin vergleiche mit dem Handeln der Bundesregierung, dann muss ich sagen: Dieser Bundesregierung ist der ordnungspolitische Kompass verloren gegangen. ({3}) Die doppelte Haltelinie in der Rente führt dazu, dass massive Haushaltsrisiken auf künftige Generationen zukommen und dass der Steuerzahler belastet wird. Erhard hätte dagegen gesagt – darin bin ich mir sicher –: Die Menschen brauchen Freiräume, um selber und eigenverantwortlich vorsorgen zu können. – Von Ihnen, Herr Minister Altmaier, hört man in dieser Debatte allerdings nichts. Oder das Thema Diesel. Millionen Autofahrer haben sich darauf verlassen, dass sie das Auto, das sie gekauft haben, auch tatsächlich fahren können. Schließlich heißt es „Fahrzeug“ und nicht „Stehzeug“. Jetzt werden sie durch Fahrverbote kalt enteignet. In dieser Debatte, sehr geehrter Herr Minister Altmaier, hört man von Ihnen leider nichts. ({4}) Erhards größte Errungenschaft freilich, seine historische Leistung war ja, dass er entgegen der Empfehlung der Besatzungsmächte bei der Einführung der D-Mark über Nacht die Preisfestsetzung im Bereich der Lebensmittel bei allen Waren aufgehoben hat, und, oh Wunder, plötzlich waren die Regale wieder voll. Meine Eltern zum Beispiel berichten, wie es damals war: dass gehortete Waren, die vorher trotz drakonischer Strafen, trotz Rationierungen, trotz staatlicher Kommandowirtschaft nicht zur Verfügung gestellt worden waren, durch die Freigabe von Preisen plötzlich wieder in den Regalen waren. Denn Rationierung löst keine Mangelprobleme; Marktwirtschaft löst Mangelprobleme. Aber was macht die Große Koalition? Sie führt eine Mietpreisbremse ein. ({5}) Jetzt vereinbart sie eine Verschärfung der Mietpreisbremse. Das ist Rationierung, das ist Preisfestsetzung. Die SPD fordert sogar einen Mietenstopp. Meine Damen und Herren, was würde Ludwig Erhard sagen? Er würde sich in diese Debatte einmischen. Aber was hören wir von Ihnen, Herr Minister Altmaier? Nichts! ({6}) Carsten Linnemann hat die Einwanderung angesprochen. Kanada hat zwei Säulen für die Einwanderung: das Punktesystem – das ist immer noch die wichtigere Säule – und jetzt auch noch den Nachweis eines Arbeitsplatzes. Wir wollen beides. Die Union hat das bisher verhindert. Was hören wir von Minister Altmaier in der Debatte? Wir hören: Das Einwanderungsgesetz ist zu wenig. – Klare Forderung: Die Wirtschaft braucht Fachkräfte. ({7}) Der Mangel an Fachkräften hemmt unseren Wohlstand. Deshalb plädieren wir hier klar für die soziale Marktwirtschaft. Das wünschen wir uns von Ihnen, Herr Altmaier. Wir werden Sie in dieser Frage, wenn Sie entsprechend handeln, unterstützen. Aber bisher sind Sie uns hier eindeutig zu leise. Die Marktwirtschaft braucht wieder ein Sprachrohr im Deutschen Bundestag. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Als Nächster spricht für die Fraktion Die Linke der Kollege Klaus Ernst. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur ein Wort zur Marktgläubigkeit der FDP: Wenn der Markt so wäre, wie Sie ihn beschreiben, hätten wir keine Finanzkrise gehabt. Sie war ja nicht staatlich verursacht, sondern durch die Marktkräfte, die nicht funktioniert haben. Vielleicht sollten Sie sich das mal überlegen. ({0}) Was macht denn eigentlich eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik aus? Wann ist sie erfolgreich, Herr Altmaier? Sie sagen: Erfolgreich ist sie, wenn die Beschäftigungszahlen positiv sind. – Na klar, das sind sie. Darüber freuen wir uns auch. Aber gleichzeitig haben wir trotz dieser erfolgreichen Politik, was die Beschäftigungszahlen angeht, einen vollkommen wirren Arbeitsmarkt – das wissen Sie auch –: Die Zahl der Leiharbeiter ist angestiegen, in den letzten 10 Jahren um 43 Prozent. Die Bruttostundenlöhne bei den 40 Prozent der Beschäftigten mit den geringsten Löhnen in Deutschland sind in den letzten 15 Jahren auf demselben Niveau geblieben oder gesunken. Wir haben es zum Beispiel mit der Situation zu tun, dass es am Arbeitsmarkt ohne sachlichen Grund befristet Beschäftigte gibt. – Herr Altmaier, wenn man Wirtschaftspolitik nicht so definiert, dass man sich die Zahlen der einzelnen Unternehmen anschaut, sondern das Gesamtwohl als Maßstab einer vernünftigen Wirtschaftspolitik anlegt, dann erkennt man, dass diese Wirtschaftspolitik in diesen Fragen überhaupt nicht erfolgreich war. ({1}) Meine Damen und Herren, ein weiteres Kriterium für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik wären ausgeglichene Handelsbilanzen, was bei uns sogar ein gesetzlich verankertes Ziel der Wirtschaftspolitik ist. Davon sind wir meilenweit entfernt. Wir erzielen seit 2012 konstant einen Außenhandelsüberschuss von über 6 Prozent. Besonders Schlaue unter Ihnen finden das auch noch gut. Das wundert mich allerdings schon. ({2}) Man muss sich doch nur ein bisschen mit Volkswirtschaft beschäftigen. Erfolgreich in dieser Hinsicht ist das überhaupt nicht. Erfolgreich wären ausgeglichene Handelsbilanzen. Wie kämen wir dahin? Zum Beispiel durch höhere Investitionen und durch höhere Löhne. Das wäre übrigens auch sinnvoll, weil wir damit Trump ein Argument für seine Strafzölle nehmen könnten, die er momentan gegenüber Europa durchzusetzen versucht. Dadurch, dass Sie in diesen Fragen nichts oder viel zu wenig tun, provozieren Sie geradezu, dass wir mit unseren Exporten Probleme kriegen, statt durch höhere Investitionen die Importe anzuregen. Selbst die Europäische Kommission, die ja nun nicht der Linkslastigkeit verdächtig ist, bemängelt das niedrige Investitionsniveau in Deutschland, genauso übrigens wie die zu niedrigen Löhne. Deutschland müsse die Voraussetzungen schaffen, heißt es, „um unter Achtung der Rolle der Sozialpartner ein höheres Reallohnwachstum zu fördern“. Ja, wir haben steigende Löhne, aber offensichtlich viel zu geringe, um in ein vernünftiges Fahrwasser zu kommen. Meine Damen und Herren, wir haben einen Investitionsrückstand bei Schulen und Kitas: 55 Milliarden Euro. Jede achte Brücke ist in einem nicht ausreichenden bzw. ungenügenden Bauwerkszustand, sagt das Bundesverkehrsministerium. Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik wäre, wenn Sie beherzt darangehen und nicht so tun würden, als wäre alles bestens, weil wir steigende Beschäftigungszahlen haben. Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik ist mehr. ({3}) Im Übrigen: Bei einer Zugfahrt von Hamburg nach Berlin kann man eher per Telepathie erfolgreich kommunizieren als mit dem Handy. Hier ist ein Ausbau – Sie wissen das, weil Sie auch schon die Strecke gefahren sind – dringend notwendig. Wir sehen in diesem Bereich keine wesentlichen Fortschritte. Ein letzter Punkt, den ich noch ansprechen möchte: Wann ist eine Wirtschaftspolitik erfolgreich? Wenn sie auch nationale Interessen berücksichtigt. Ich sage Ihnen: Was wir in der Frage „Sanktionen gegen Russland“ machen, entspricht in keiner Weise nationalen oder auch europäischen Interessen. Das wissen Sie. Der frühere Vorsitzende des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Cordes – auch kein Linker –, hat mal gesagt: Ein starkes Europa ist ohne Einbeziehung Russlands nicht möglich. – Nicht möglich! Wenn man aber eine Politik betreibt, die eigentlich permanent dafür sorgt, dass dieses Zusammenkommen nicht einmal in wirtschaftlichen Fragen funktioniert, weil man mit Sanktionen und Ähnlichem arbeitet, dann entspricht das nicht den deutschen Interessen. Erfolgreich ist Ihre Wirtschaftspolitik nicht. Im Übrigen: Ich habe den Eindruck, der Wirtschaftsminister hat in diesen Fragen eher die Agilität einer Wanderschnecke als die, die man erwarten müsste. Ich danke Ihnen fürs Zuhören. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächstes spricht Anja Hajduk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte zum Wirtschaftsetat erinnert mich ein bisschen an die Debatte, die wir vor zwei Tagen mit dem Finanzminister hatten, und ich meine das in kritischer Weise, um das gleich klarzustellen. Es ist so, dass ich wahrnehme, dass die Große Koalition sich sehr daran gewöhnt, dass die Lage so gut ist. Im öffentlichen Haushalt ist die Lage ganz gut, und auch die wirtschaftlichen Daten, was Beschäftigung, Wachstum und die Stärke der deutschen Wirtschaft angeht, sind aktuell nicht zu beklagen. Aber – das fehlt mir hier in der Debatte – man kann doch nicht übersehen, dass die Herausforderungen, die ganz nah anstehen, im nächsten Jahrzehnt, und die Veränderungen, die sich durch Digitalisierung, Globalisierung und die Notwendigkeit der ökologischen Transformation ergeben, große Herausforderungen sind und die Voraussetzungen dafür darstellen, dass wir zukünftig im Weltmarkt erfolgreich sein können. ({0}) Das ist die Aufgabe der Politik. Ich habe eben nicht gehört, dass Sie diese Herausforderungen adressieren, sondern Sie benutzen die gegenwärtigen Daten dazu, sich zurückzulehnen, Herr Mattfeldt. Das ist das, was uns umtreibt, ({1}) und das kann man ganz konkret beschreiben, Herr Minister. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft muss sich zukünftig durch Innovation und, ich würde sagen, die zwingende Verschränkung der digitalen Revolution mit einer Ressourceneffizienzrevolution ergeben, und das wird kein Selbstgänger sein. Wir haben kreative Menschen in unserer Gesellschaft und in der Wirtschaft, aber die verdienen auch gute politische Leitplanken, damit das gelingt. ({2}) Zu den politischen Rahmenbedingungen gehört natürlich, diese günstige Konjunkturlage zu nutzen und die Überschüsse, die wir haben, für strukturelle Reformen einzusetzen. Hier wurde von Herrn Linnemann von positiven Standortfaktoren gesprochen. Ich sage: Ja, Sicherheit ist ein positiver Standortfaktor. Aber positive Standortfaktoren sind auch eine offene Gesellschaft und das Bekenntnis zur Zuwanderung von Fachkräften. ({3}) In dieser Frage fehlt mir die Einmischung des Wirtschaftsministers ({4}) in die völlig erratische Debatte, die in der Union geführt wird. Es ist doch kein Zufall, dass Kanzlerin Merkel gestern in ihrer Rede fast ein bisschen nachdenklich gesagt hat: Die Rückmeldung aus der Wirtschaft ist, dass man sich im Moment gar nicht so viele Sorgen um die steuerpolitischen Rahmenbedingungen der Unternehmen macht, sondern mehr Sorgen um andere Rahmenbedingungen: Es geht darum, überhaupt Fachkräfte zu finden, und es geht um den Standortfaktor „Wie entwickelt sich Deutschland im internationalen Image?“. Da geht es leider nach unten, und da hat auch der Wirtschaftsminister eine Aufgabe. ({5}) Ich komme noch zu einem weiteren Faktor: Ein wichtiger Standortfaktor ist zweifelsohne auch das Innovationsklima. Ich finde es nach wie vor unverständlich – wir haben das schon häufiger angeprangert –: Ausgerechnet die Mittel für die industrielle Gemeinschaftsforschung, die sehr wirksam ist für kleine und mittlere Unternehmen, Herr Minister, werden im Vergleich zum Vorjahr gekürzt. Gerade kleine und mittlere Unternehmen haben keine eigenen großen Forschungsabteilungen, sie müssen sich zusammenschließen, sie brauchen diese Programme. Sie wissen auch, dass es mehr gute Anträge gibt und deswegen die Ablehnungsquote hoch ist. Deswegen gibt es überhaupt keinen Grund, dass diese Programme in Ihrem Haus gekürzt werden. Da erwarten wir von den Haushaltsberatungen Nachbesserungen. ({6}) Letzter Punkt zum Abschluss. Insgesamt, Herr Minister, erwarte ich von Ihnen einen ganz anderen Impuls und auch eine ganz andere Managementqualität, endlich dafür zu sorgen, dass die ökologische Transformation der Wirtschaft sich auch in der Arbeit Ihres Hauses niederschlägt. Es gibt bislang kein einziges Programm, das sich mit dieser Transformation gezielt beschäftigt. Sie können das doch nicht ernsthaft der Umweltministerin alleine überlassen. G 7 in Elmau hat damals als großes Ziel die Dekarbonisierung der Industrie in diesem Jahrhundert ausgegeben. Da hat der Wirtschaftsminister eine originäre Aufgabe. Dafür müssen Sie Gesetze vorlegen und Programme gestalten; das ist leider alles Fehlanzeige. Reden und reisen reicht nicht – sondern machen. Schönen Dank. ({7})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächster redet Karl Holmeier für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Karl Holmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004059, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die deutsche Wirtschaft schreibt auch 2018 ihre Erfolgsgeschichte fort. Neun Jahre in Folge wirtschaftlicher Aufschwung: Das ist eine Meisterleistung, meine Damen und Herren. Für das laufende Jahr ist wieder eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts um 2,3 Prozent vorausgesagt. Das Wirtschaftswachstum wird sich auch im nächsten Jahr fortsetzen. Meine Damen und Herren, Deutschland bleibt damit die schwarze Lokomotive in Europa. Der Haushalt steht wieder für eine schwarze Null. Dies zeigt: Die unionsgeführte Bundesregierung steht auch in Zukunft für solide Staatsfinanzen und für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Steuergeldern. Das ist eine gute und eine erfreuliche Perspektive für die Zukunft. Es ist jetzt aber auch an der Zeit, die vorhandenen Spielräume zu nutzen und unsere Bürgerinnen und Bürger sowie unsere Unternehmen über Entlastungen am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben zu lassen. Wir haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass wir den Soli schrittweise abschaffen und ab 2021 mit einem deutlichen ersten Schritt beginnen. Das Gesetz, mit dem der erste Schritt umgesetzt wird, muss dabei auch ein verbindliches Enddatum und einen klaren Fahrplan für die endgültige Abschaffung des Solis enthalten. ({0}) Zudem wollen wir, dass unsere Wirtschaft auch in Zukunft steuerlich wettbewerbsfähig bleibt. Es gilt jetzt, die gute wirtschaftliche Entwicklung zu festigen. Mit dem vorliegenden Haushalt für 2019 insgesamt und speziell für den Bereich Wirtschaft werden wir dazu beitragen. Wir fördern Innovationen. Die Innovationsförderung ist ein Schwerpunkt im Haushaltsansatz des Bundeswirtschaftsministeriums. Für Forschung und Entwicklung werden zusätzlich etwa 130 Millionen Euro bereitgestellt. Das überaus erfolgreiche Zentrale Investitionsprogramm Mittelstand, ZIM, wird weiter auf hohem Niveau fortgeführt. Das Programmvolumen steigt sogar um 10 Millionen auf etwa 559 Millionen Euro in diesem Jahr. Das sind richtige und wichtige Signale für den innovativen Mittelstand, von dem entscheidende Impulse für das Wirtschaftswachstum ausgehen. Wir drücken bei der Digitalisierung aufs Tempo. Die Digitalisierung unserer Wirtschaft ist ein Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg. Wir arbeiten in allen Bereichen mit Hochdruck daran, auf dem Weg ins digitale Zeitalter Fortschritte zu machen und fit für die Zukunft zu werden. Deshalb ist es erfreulich, dass erhebliche Mittel in Maßnahmen hierfür fließen. Im Bereich der Digitalen Agenda belaufen sich die Mittel auf mehr als 430 Millionen Euro. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Entwicklung digitaler Technologien, für die mehr als 64 Millionen Euro veranschlagt werden. Wir fördern, meine Damen und Herren, die regionale Wirtschaft; die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ werden auf dem bisherigen Niveau fortgeführt. Das ist wichtig und sehr zu begrüßen. Für 2019 sind wieder insgesamt 600 Millionen Euro vorgesehen. Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Regionen Deutschlands liegt gerade der CSU seit jeher am Herzen. Die GRW hat sich als wichtiges und zentrales Instrument hierfür bewährt. ({1}) Darüber hinaus fördern wir den Mittelstand als Rückgrat unserer Wirtschaft in erheblichem Maße. So werden innovative Unternehmensgründungen 2019 mit insgesamt 129 Millionen Euro unterstützt. Das unternehmerische Know-how des Mittelstands wird 2019 mit rund 39 Millionen Euro gefördert. Das Thema „erneuerbare Energien“ wurde bereits angesprochen. Wir schaffen verlässliche Rahmenbedingungen für den Energiebereich. Energie muss sicher und bezahlbar bleiben. Das gilt sowohl für die Bürgerinnen und Bürger als auch für unsere Wirtschaft. Mit den Reformen des EEG und der Umstellung von der Festvergütung auf Ausschreibung in der vergangenen Legislaturperiode haben wir einen Paradigmenwechsel vollzogen. Im Koalitionsvertrag, meine Damen und Herren, haben wir uns weitere wichtige Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren gesetzt. Für uns ist klar, dass wir diesen Ausbau in der nächsten Zeit engagiert fortführen werden. In meinem Landkreis zum Beispiel hatten die erneuerbaren Energien Ende letzten Jahres beim Stromverbrauch einen Anteil von 62 Prozent. Wir wollen in Deutschland insgesamt natürlich weiter vorankommen. Genauso klar ist aber, dass nicht nur das Thema Sonderausschreibungen vorangebracht werden muss. Vielmehr müssen wir den aus erneuerbaren Energien gewonnenen Strom auch in den Netzen aufnehmen und zu den Verbrauchszentren transportieren können. Deshalb müssen wir das Thema Sonderausschreibungen eng mit der Frage der Netzverträglichkeit koppeln. So sieht es auch der Koalitionsvertrag vor, und dazu werden wir stehen. Wir brauchen sorgfältig erarbeitete und vernünftige Lösungen. Wir werden uns auch dem Thema „Rechtsklarheit und Rechtssicherheit beim EEG und KWK“ in der nächsten Zeit widmen. Die Energiewende hängt nicht allein vom EEG und den erneuerbaren Energien ab, meine Damen und Herren. Es geht vielmehr auch darum, dass wir zum Beispiel mehr Energieeffizienz erreichen. Deshalb sollten wir die im Koalitionsvertrag vereinbarte steuerliche Förderung der Gebäudesanierung zügig auf den Weg bringen und umsetzen. Damit können wir eine Menge Potenziale im Bereich der Energieeffizienz heben. Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Haushalt gehen wir nicht nur entschlossen unseren Weg weiter ins Zeitalter der erneuerbaren Energien, sondern auch weiter im Zeitalter der konsolidierten Staatsfinanzen. Darauf können wir stolz sein – genauso wie auf die Wirtschaft in unserem Land, die es weiterhin zu stärken gilt. Vielen Dank. ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner ist der Abgeordnete Leif-Erik Holm für die AfD. ({0})

Leif Erik Holm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004761, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Liebe Bürger! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat läuft die Wirtschaft im Moment sehr ordentlich. Darüber freuen wir uns alle; ({0}) aber wir alle wissen auch, dass das nicht wegen Ihrer Politik so ist, sondern trotz Ihrer Politik. ({1}) Herr Linnemann, natürlich profitieren wir im Moment von einer überbordenden Konjunktur, einer Sonderkonjunktur, verursacht durch die Negativzinsen ({2}) und von der für Deutschland aktuell viel zu schwachen Währung. Das sind die Hauptursachen. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Wir müssen jetzt dafür sorgen – das ist unsere Aufgabe –, die Politik so auszurichten, dass wir im nächsten Abschwung, möglicherweise auch nach einem Crash, vernünftig aufgestellt sind, und das sind wir leider nicht. ({3}) – Hören Sie bitte zu! – Wir haben nach wie vor mit die höchsten Steuern und Abgaben weltweit, wir zahlen die höchsten Strompreise, und wir investieren viel zu wenig in die Zukunft. Das wird uns auf die Füße fallen. Bildung, Forschung, Infrastruktur – das sind die Dinge, die wir voranbringen müssen, damit unsere Wirtschaft florieren kann, und da hapert es bei allen dreien. Herr Minister, Sie haben davon gesprochen, die Fachkräfte zu qualifizieren. Das ist natürlich unbestritten richtig. Aber auch da geht es schon schief, in den Schulen beispielsweise. Bei mir im Land klagen die Unternehmer, dass sie kaum noch ausbildungsfähige Lehrlinge bekommen. Das heißt, die Hausaufgaben in den Schulen werden nicht gemacht. Wo kommen sie denn her, die Fachkräfte? Die Betriebe können das nicht erledigen. Das muss vorher in den Schulen passieren, passiert aber nicht. ({4}) Thema Innovationen. Auch in der Forschung investieren wir durchaus. Aber wir haben insgesamt nur wenige große Leuchttürme wie Wendelstein in Greifswald. Wir forschen gerade bei der Energieerzeugung einseitig statt technologieoffen, und durch den ganzen EEG-Murks wandert unser Wissen zur herkömmlichen Energieerzeugung Richtung Ausland ab. Stattdessen wissen wir jetzt natürlich viel über Windräder und ihren Zappelstrom. Wir wissen, dass die Energie aus Wind und Sonne zu 1 Prozent grundlastfähig ist – zu 1 Prozent! Das heißt, für die restlichen 99 Prozent müssen wir weiterhin konventionelle Kraftwerke vorhalten. ({5}) Die sogenannte Energiewende bringt uns nichts außer immer höheren Kosten für die Stromverbraucher und zunehmender Unsicherheit in der Energieerzeugung. ({6}) Auch bei der Infrastruktur sieht es schlecht aus. Der Investitionsstau bleibt. Wir kommen nicht voran bei der Sanierung unserer ermüdeten Verkehrswege und auch nicht beim Ausbau. Was ist mit dem schnellen Internet? Dieses Thema haben Sie nur ganz kurz geschnitten. 2018 wurde das Ziel meilenweit gerissen. ({7}) Wir beten jetzt alle gemeinsam für 2025. Wir schleppen uns dahin, während andere Länder deutlich aufholen und uns überholen. Ich habe jüngst einen Artikel im „Spiegel“ gesehen mit der Überschrift „Wie Deutschland beim Mobilfunk zu Lesotho aufschließen will“. Das sagt doch alles, meine Damen und Herren. ({8}) 500 Masten wollen wir für das neue 5G-Netz aufbauen. Das machen die Chinesen auch: 500 Masten – täglich. Genau das macht den entscheidenden Unterschied. ({9}) Wir setzen falsche Prioritäten in diesem Land. Ich habe nicht den Eindruck, dass diese Regierung die Zukunft gestaltet. Sie verwaltet dieses Land mit offensichtlicher Lustlosigkeit. Herr Altmaier, Sie haben gesagt – ich zitiere wörtlich –: Wir wollen ein Serviceministerium für all die vielen Unternehmerinnen und Unternehmer sein … Aber schauen wir uns diesen sogenannten Service doch einmal an, zum Beispiel die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Herr Holmeier hat gesagt, das hat sich bewährt. Das sehe ich nicht so. Von den 600 Millionen Euro, die Ihr Ministerium im Etat veranschlagt hat, wurden im Jahr 2017 sage und schreibe 257 Millionen Euro nicht abgerufen. Das ist fast die Hälfte des Programms für unseren regionalen Mittelstand. Da läuft etwas nicht, meine Damen und Herren. ({10}) Ich muss meine Rede jetzt etwas kürzen. ({11}) Man kann das Ganze im Wesentlichen so zusammenfassen: Es liegt daran, dass wir viel zu hohe bürokratische Hürden haben, dass wir auf Landesebene auch noch Richtlinien haben, die umgesetzt werden müssen, darunter noch einmal regional spezifiziert. Da kann natürlich kein normaler Unternehmer, der keine Zeit für diese Dinge hat, hinterherkommen. Von daher ist es klar, dass diese Mittel nicht so abfließen, wie wir es gerne hätten. Da muss deutlich nachgearbeitet werden. Das ist alles deutlich zu bürokratisch. Das ist kein Einzelfall in Ihrem Ministerium. Es gibt weitere bürokratische Ungetüme. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit der Realität der Betriebe in diesem Land zu tun. Service gibt es in Ihrem Haus höchstens für Großkonzerne, aber nicht für den Mittelstand, das Rückgrat unserer Wirtschaft. Da liegen die Probleme im wirtschaftlichen Bereich. Da müssen wir heran. Wir müssen Prioritäten setzen, und wir müssen klarmachen, dass es Fördermittel braucht, aber zielgerichtet, und vor allem, dass es eine Hauptaufgabe guter Wirtschaftspolitik gibt: Wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich Eigeninitiative in diesem Land wieder lohnt. Danke schön. ({12})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Als Nächstes spricht die Abgeordnete Sabine Poschmann für die Fraktion der SPD. ({0})

Sabine Poschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004377, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frage, die wir uns beim Thema „Wirtschaft und Haushalt“ stellen müssen, ist doch: Was braucht dieses Land, um weiter wettbewerbsfähig zu sein? Innovation lautet da das Schlüsselwort. Das ist nicht nur meine Antwort, sondern auch die führender Wirtschaftsinstitute. Insbesondere der Mittelstand hat hier Nachholbedarf. Deshalb ist die Einführung einer steuerlichen Forschungsförderung wichtig, aber ebenso die Verstetigung und Erhöhung der Projektfördermittel wie ZIM und IGF. Allerdings sieht das BMWi für Letzteres erneut eine Absenkung vor, und das, obwohl das Wirtschaftsministerium bestätigt, dass dieses Instrument den Mittelstand stärkt. Herr Minister – er ist nicht da –, hier besteht Klärungsbedarf. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Der Minister wird gleich wieder da sein. Er hat sich kurz entschuldigt.

Sabine Poschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004377, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Unabhängig davon ist es wichtig, weiter über den Tellerrand hinauszublicken, von den technischen Innovationen hin zu den sozialen Innovationen, um die Menschen sowie Lösungen für gesellschaftliche Problem wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat die Notwendigkeit, aber auch das Potenzial erkannt und das Thema nach vorne gebracht. Wir haben hart mit den Unionskollegen gekämpft, ({0}) dass dieses Thema Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat. Es hat sich gelohnt. Das Modellprojekt „Nichttechnische Innovationen“, das wir im Haushalt finden, ist ein Anfang. Aber hier müssen wir natürlich noch nachsteuern, hier muss viel mehr passieren. Es braucht weitere Maßnahmen und mehr Mittel; denn unsere Message muss bei der Wirtschaft ankommen. Wir unterstützen auch Unternehmer, die ihren Fokus nicht nur auf Gewinnmaximierung legen, sondern bei denen der Mensch im Mittelpunkt steht. ({1}) Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Fachkräftesicherung und Integration. Ich finde es gut, dass der DIHK-Chef gestern vor Demokratiefeinden warnt. Bei rechtsradikalen Tendenzen kommt nämlich keine ausländische Fachkraft mehr nach Deutschland. Das kann nicht im Sinne der Wirtschaft sein. ({2}) „Alle Potenziale nutzen“ lautet mein Aufruf. Hierbei denke ich zum Beispiel an die Frauenerwerbstätigkeit, Teilzeitbeschäftigte, Menschen mit Behinderung, aber eben auch an Menschen, die aus dem Ausland zu uns kommen. Unternehmen und gerade das Handwerk nutzen diese Chance immer mehr. Unsere Aufgabe ist es dabei, Hilfe zu leisten und bürokratische Hürden zu überwinden. Deshalb freut es mich, dass das Programm “Willkommenslotsen“ für ein Jahr verlängert werden soll. Eine richtige Entscheidung; denn das Wissen und das Netzwerk der Lotsen sollte angesichts der aktuellen Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht verloren gehen. Wir sollten aus diesem Grund dem Programm und damit den Betrieben und den Lotsen eine Perspektive über 2019 hinaus bieten. Ich würde mich freuen, wenn der Herr Minister – vielleicht berichten Sie es ihm – ({3}) diesen Punkt mitnimmt und zeitnah angehen wird. – Ach, da ist er ja wieder, wie schön. Da wir schon bei dem Punkt Bürokratie sind, möchte ich Sie, Herr Minister, noch einmal herausfordern, und zwar beim Bürokratieentlastungsgesetz III. Es muss ein richtiger Kracher werden und tatsächliche Entlastungen für die Unternehmen bringen. Auch hier ist gerade der Mittelstand sehr geplagt. Ich habe das Gefühl, dass nach zwei guten Bürokratieentlastungsgesetzen die Luft etwas rausgeht. Hier müssen wir wirklich nachsteuern und mit voller Power hineingehen. ({4}) Viele Vorschläge liegen auf dem Tisch, von der Vereinfachung von Förderverfahren bis zur zeitnahen Betriebsprüfung, um Rechtssicherheit zu erhöhen und Aufbewahrung zu vermindern. Zeigen Sie uns und Ihrem Ministerium, dass Sie auch auf diesem Feld ein innovativer Minister sein können. Herzlichen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Mark Hauptmann für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Mark Hauptmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine geschätzten Kollegen! ({0}) Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat es in seiner Eröffnungsrede hier gesagt: neun Jahre wirtschaftliches Wachstum in Deutschland, die Konjunktur brummt, sie läuft. In diesem Land bewegt sich etwas sowohl für die Arbeitnehmer als auch für die Arbeitgeber. Doch wer dieser Debatte lauscht, kann den Eindruck gewinnen, es wird bewusst schlechtgeredet. Bei der Linken wird der Jammerton zum Kammerton. Der Kollege Holm von der AfD redet schon über den nächsten wirtschaftlichen Crash und philosophiert darüber hinaus, was man machen könnte, um sich darauf vorzubereiten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, nichts, was uns die politischen Ränder in diesem Hause zur wirtschaftlichen Lage erklären wollen, entspricht der Realität unserer Wirtschaft. Fest steht: Wir laufen in das zehnte Jahr der wirtschaftlichen Wachstumsphase. Fest steht auch, dass wir nicht den Stillstand verwalten wollen, liebe FDP oder geschätzte Kollegen der Grünen, sondern dass wir schauen wollen, wie wir in den nächsten 10, 15 Jahren konjunkturell wirtschaftlich erfolgreich bleiben. Da lohnt ein Blick auf den Status quo im Jahre 2018. Erstens. Berlin ist mittlerweile nach London Start-up-Standort Nummer zwei in Europa. Ich prophezeie Ihnen: Sollte der Brexit kommen, wird sich das für Berlin und den Standort Deutschland, was junge Gründer angeht, eher besser entwickeln als schlechter, und wir werden die Start-up-Nation in Europa werden. Zweitens. Wir haben mit der Industrie 4.0 eine Industriepolitik, bei der wir heute schon von der klassischen Industrie über die Anbindung an die Plattformen eine neue Dimension der Wirtschaftspolitik erreichen wollen. Wir wollen – anders als bei den großen Plattformen des Handels, wie sie aktuell im Silicon Valley zu finden sind, die amerikanisch geprägt sind – die deutsche Industrie, die Robotik, den Maschinenbau an die digitale Ökonomie des 21. Jahrhunderts anbinden und dafür die Grundlagen im Hier und Jetzt schaffen. Drittens: künstliche Intelligenz. Ich frage Sie, geschätzte Kollegen: Wer von Ihnen hätte gedacht, dass die Google-Sprachsteuerung und der Algorithmus dahinter oder etwa die Facebook-Sprachübersetzung Erfindungen aus dem alpenländischen Raum Süddeutschlands sind und nicht etwa im Silicon Valley entwickelt wurden? Das zeigt, dass wir heute schon bei den Themen künstlicher Intelligenz weltweit in einem globalen Wettbewerb mitspielen, und zwar auf Augenhöhe. Jetzt muss es darum gehen, was Peter Altmaier als Wirtschaftsminister bereits angesprochen hat: über eine Fokussierung auf diese Schlüsseltechnologie, auf Innovationstechnologie der Zukunft der künstlichen Intelligenz hier auch weiterhin starker Motor im 21. Jahrhundert zu sein. Das Bundeswirtschaftsministerium unter der Federführung des Ministers hat einen Haushaltsentwurf vorgelegt, der alle Bereiche der Wirtschaftspolitik in der gesamten Wertschöpfung, vom Gründer über den Mittelständler bis zur Industrie im globalen Wettbewerb, fördert und hierbei auch unterstützt. Deswegen ist es ein richtiger Ansatz, innovative Unternehmensgründungen in diesem Haushalt stärker zu unterstützen, und zwar mit einem Plus von 38 Millionen Euro. Die Erfolgsgeschichte des EXIST-Programms wird fortgeschrieben. Wir wollen mehr Selbstständigkeiten aus den Hochschulen heraus generieren. Wir wollen junge Gründer ermutigen, nicht nur das wärmende Mäntelchen des öffentlichen Dienstes anzuziehen, sondern Risiko in die Hand zu nehmen und ihre innovativen Ideen zum Wohlstand unseres Landes weiterzuentwickeln. Dafür gibt dieser Haushalt Unterstützungsleistungen. Wir fördern auch im Bereich der Venture-Debt-Fonds mehr Wagniskapital. Wir wollen außerdem das Ökosystem für junge Gründer verbessern, zum Beispiel über German Accelerator in den USA und in Asien. Wir wollen als Nächstes nicht nur die Gründerlandschaft unterstützen, sondern auch Mittelständler dazu befähigen, sich in diesem künftigen Feld des internationalen Wettbewerbs richtig aufzustellen. Dafür ist beispielsweise das schon genannte Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand der richtige Ansatz. Frau Kollegin Bluhm, ich weiß nicht, wie Sie den Haushalt gelesen haben, aber es handelt sich keinesfalls um eine Kürzung. Der Entwurf des Ministers sieht eine Erhöhung der ZIM-Mittel vor, nämlich um 10 Millionen auf 559 Millionen Euro. ({1}) Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier war gestern bei mir im Wahlkreis in Südthüringen und konnte sich das ökonomische Powerhaus der ostdeutschen Wirtschaft vor Ort anschauen. Wir laufen auf eine Arbeitslosenquote von 3 Prozent zu in einer Region, in der heute schon die ersten Landkreise Ostdeutschlands mehr Einpendler aus Bayern als thüringische Pendler nach Bayern haben. Wir haben eine wirtschaftliche Entwicklung, die nicht von ökonomischen großen Supertankern der DAX‑30-Konzerne geprägt, ist, sondern die durch mittelständische Betriebe geprägt ist, die sich innovativ eine Nische, eine Branche gesucht haben, wo sie selber investieren und mit staatlicher Förderung des Ministeriums Forschungs- und Entwicklungsleistungen erbringen, um hier Weltmarktführer zu werden und hier auch groß zu wachsen. Der letzte Bereich, den ich kurz ansprechen möchte, ist natürlich der Bereich der Internationalisierung. Da werden wir in diesem Haushalt weitere Förderungen vornehmen, um Außenwirtschaftsförderung zu betreiben, um das Standortmarketing zu betreiben, um Germany Trade and Invest zu unterstützen und um das Netzwerk der Außenhandelskammern zu unterstützen. Dieser Titel, Frau Kollegin, erfährt einen Aufwuchs von 30 Millionen Euro. Das heißt, wir machen unsere deutsche Wirtschaft fit für die Zukunft in einem globalen Wettbewerb. Ich komme zum allerletzten Punkt.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nein, Sie müssen zum Schluss kommen, Herr Kollege. Sie müssen Ihren allerletzten Satz sagen.

Mark Hauptmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte Ihnen, sehr geehrter Herr Präsident, für Ihre Aufmerksamkeit danken. – Ich fordere Sie auf: Unterstützen Sie diesen Haushalt, den Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier vorgelegt hat! Denn er verdient diese Unterstützung, weil er maßgeblich dazu beiträgt, dass wir nicht nur hier und jetzt erfolgreich sind, sondern auch in Zukunft bleiben werden. Herzlichen Dank. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner ist der Kollege Falko Mohrs für die SPD-Fraktion. ({0})

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Satz, den wir heute sehr oft gehört haben, ist: Die Wirtschaft läuft gut, und zwar trotz – Herr Holm, hören Sie genau zu; denn das ist mein „trotz“ in dem Satz – der Hetze und dem damit verbundenen Schaden, den Sie mit zu verantworten haben, für den deutschen Wirtschaftsstandort. ({0}) Meine Damen und Herren, die Fortentwicklung der Digitalisierung ist eine der zentralen Zukunftsaufgaben unseres Landes. Die Digitalisierung ist dabei kein Selbstzweck, sie muss immer zu gesellschaftlichem Fortschritt führen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen also bei der Frage „Ist unsere Wirtschaft fit für die Zukunft?“ im Mittelpunkt stehen. Wichtige Vorhaben im Digitalbereich zielen deswegen auf die Bildung, die digitale Verwaltung, die Schaffung von Infrastruktur und eine gut vorbereitete Wirtschaft. Die Verwaltung muss im Bereich der Bürgerdienste effiziente Strukturen schaffen und dafür sorgen, damit auch der Mittelstand von schnellen Genehmigungsverfahren profitiert. Dafür brauchen die Kommunen schnell Klarheit und Standards, um den Flickenteppich nicht zu zementieren. Im Bereich der digitalen Bildung brauchen wir dringend eine entsprechende Infrastruktur an Schulen, eine entsprechende Ausbildung für Lehrer, entsprechende Unterrichtspläne sowie Lehrpersonal, damit wir die Fachkräfte ausbilden können, die unsere Wirtschaft in Zukunft braucht. Um sicherzustellen, dass unsere Wirtschaft fit für die Zukunft ist, müssen wir also in die Digitale Agenda investieren. Herr Klein von der FDP, wir investieren in diesem Bereich. Ich würde mir wünschen, dass Sie den Standard von Ludwig Erhard, den Herr Theurer eben immer angelegt hat, vielleicht mal an Ihre eigene Mövenpick-Steuer anlegen und dann überlegen, ob das, was Sie da 2009 gemacht haben, eigentlich zukunftsgerichtete Wirtschaftspolitik ist. ({1}) Wir haben in diesem Haushalt 432 Millionen Euro für den Bereich Digitale Agenda vorgesehen. 2017, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, waren es noch 173 Millionen Euro. Das heißt, wir sehen eine deutliche Steigerung, eine deutliche Aufwertung, wenn es darum geht, in die digitale Wirtschaft in unserem Land zu investieren.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Mohrs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Theurer von der FDP?

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich nehme an, dass er erklären möchte, wie das bei ihm mit dem Standard von Erhard funktioniert. Insofern gerne.

Michael Theurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004914, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, meine Frage an Sie ist: Stimmen Sie mir zu, dass die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze tatsächlich zu Wettbewerbsverzerrungen führen, etwa auch heute noch in der Gastronomie, indem der Bäcker, der Sitzplätze anbietet, Mehrwertsteuer in voller Höhe erheben muss und die Fast-Food-Restaurantkette, die ihr Essen über die Straße verkauft, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz erhebt? Und haben Sie vergessen, dass sich auch die SPD, zum Beispiel in Bayern, dafür ausgesprochen hat, wegen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unserer Hotellerie und Gastronomie hier zu einer Reform der Mehrwertsteuer im Sinne einer Absenkung der Mehrwertsteuersätze zu kommen? ({0})

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Theurer, ich würde zuerst zwei Gegenfragen stellen. Die erste ist: Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass es aktuell Klagen auf europäischer Ebene gibt, bei denen es um die Frage geht, ob das, was Sie als Mövenpick-Steuer durchgesetzt haben, angesichts der unterschiedlichen Bewertung im Hinblick auf die Mehrwertsteuersätze in diesem Bereich am Ende überhaupt rechtskonform ist? ({0}) Die zweite Frage: Sind Sie der Meinung, dass Klientelpolitik am Ende dazu führt, dass wir mehr Gerechtigkeit bei der deutschen Mehrwertsteuer bekommen? ({1}) Die Frage können wir gerne nachher noch klären. Fakt ist: Im letzten Haushalt hatten wir über 300 Millionen Euro für den Bereich der Mikroelektronik vorgesehen. – Herr Theurer, ich glaube, Ihre Frage war beantwortet; aber Sie dürfen gerne stehen bleiben. – ({2}) Fakt ist auch, dass wir in diesem Haushalt 275 Millionen Euro für die Mikroelektronik vorsehen. Das ist eine echte Ansage im Bereich der technologischen Digitalisierung, im Bereich der Halbleiterindustrie. Es bildet die Grundlage für die Weiterentwicklung des Herzstücks der Industrie in Deutschland. Bei all dem muss man betonen, dass wir mit der Mikroelektronik nicht in erster Linie die Großen unterstützen, sondern den Mittelstand und die Start-up-Szene; denn genau die stehen hinter den Innovationen. Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass wir deutliche Umschichtungen zugunsten des EXIST-Programms, also der Gründung von Unternehmen aus der Wissenschaft heraus, realisieren konnten. Wir sehen: Es ist gut investiertes Geld, es ist nachhaltig investiertes Geld. 75 Prozent der Unternehmen, die durch EXIST gefördert wurden, existieren auch noch Jahre danach am deutschen Markt. Das ist wirklich zukunftsgerichtete Investitionspolitik im Bereich der Digitalisierung. ({3}) – Vielen Dank. Der große Treiber der Digitalisierung ist ohne Frage der Bereich der künstlichen Intelligenz. Als Mitglied der Enquete-Kommission kann ich Ihnen versprechen: Wir werden in den nächsten Jahren sehr stark darauf achten, dass wir in diesem Bereich die richtigen Investitionen vornehmen und die entsprechenden Weichen stellen. Wir haben also ambitionierte Ziele. Herr Wirtschaftsminister, wir freuen uns, nicht nur diese mit Ihnen zu teilen, sondern auch in der Umsetzung zusammenzuarbeiten. Herzlichen Dank. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Andreas Mattfeldt für die CDU/CSU. ({0})

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die gut 8 Milliarden Euro des Etats des Wirtschaftsministeriums, den wir heute beraten, entsprechen gerade einmal 2,25 Prozent des Gesamthaushaltes von 357 Milliarden Euro. ({0}) Zum Vergleich: Der Haushalt für Arbeit und Soziales beträgt in diesem Jahr nach Vorschlag der Regierung 144 Milliarden Euro, das sind mithin 40 Prozent des Haushaltes. ({1}) Gar keine Frage, soziale Themen sind wichtig, und wir müssen über sie diskutieren. Aber, ich glaube, es ist genauso klug – gerade mit Blick auf die Zukunft kommender Generationen –, dass wir auch Wirtschaftsthemen haushaltspolitisch mehr in den Blickpunkt der Debatte rücken. ({2}) Es ist nun einmal so – der Satz ist alt, aber nach wie vor aktuell –: Was wir verteilen wollen, muss vorher erst einmal verdient werden, ({3}) und verdient wird das Geld für die Sozial- und Umwelt­ausgaben durch eine boomende, in den letzten Jahren schon mehr als boomende Wirtschaft. Frau Hajduk, Herr Ernst, seit neun Jahren bin ich jetzt in diesem Haus. Seit neun Jahren höre ich, dass wir als CDU/CSU alles nur falsch machen und dass demnächst eine Rezession kommen wird. Nein, genau das Gegenteil ist eingetreten. Es geht der Wirtschaft von Jahr zu Jahr besser. Das heißt doch, dass diese Koalition nicht alles falsch gemacht haben kann, meine Damen und Herren. ({4}) Damit wir weiterhin spitze bleiben, werden wir uns auch für die Zukunft zielgerichtet ausrichten, auch weil wir es uns heute finanziell leisten können. Wir werden ausreichend in Zukunftstechnologien investieren. Ein Zukunftsthema ist genannt worden: das Thema künstliche Intelligenz. Ich würde mich freuen, wenn wir in Deutschland zuerst einmal über die Chancen dieser Technologie sprechen würden. Stattdessen hören wir von einigen politischen Stellen nur Angstparolen, die in den Blickpunkt gestellt werden. Ich glaube, Angst ist hier ein ganz schlechter Ratgeber. ({5}) Angst trägt nur dazu bei, dass wir den Anschluss verlieren, und das darf nicht passieren, meine Damen und Herren. ({6}) Andere Staaten in Ost und West machen es uns vor: Sie setzen auf künstliche Intelligenz. Wenn wir an dieser Entwicklung beteiligt sein wollen und wenn wir unsere Standards, vielleicht auch von Ethik, umsetzen wollen, dann müssen wir hier ein positives Klima entwickeln, und wir müssen investieren. Wir sind hier erst am Anfang. Wir haben noch Hausaufgaben zu machen, übrigens gemeinsam mit unseren europäischen Freunden. Ich bin sicher, dass mit den derzeit 35 Millionen Euro für das DFKI noch Luft nach oben ist. Meine Damen und Herren, bitte erlauben Sie mir – auch wenn ich Mitglied der Regierungskoalition bin – eine kritische Anmerkung. Große Sorge bereitet mir nunmehr seit mehreren Jahren der Stellenaufwuchs in unseren Ministerien. Damit meine ich ausdrücklich nicht die neuen Stellen im Bereich der Sicherheit, sondern den massiven Stellenaufwuchs in unseren verwaltenden Ministerien. So hat zum Beispiel das Familienministerium seit 2013 seine Stellen um 40 Prozent aufgestockt, das Umweltministerium sogar um 52 Prozent, und – Herr Minister, ich muss auch Sie ansprechen – das Wirtschaftsministerium hat seit 2013  23 Prozent mehr Stellen bekommen; man muss sagen, das war im Vergleich noch bescheiden. Für den Stellenaufwuchs gab es anfänglich, 2013, 2014 und 2015, sicherlich gute Gründe. Aber wir müssen uns jetzt ernsthaft die Frage stellen: Wo wollen wir enden? Soll das jetzt jedes Jahr so weitergehen? Steckt hinter diesem Stellenaufwuchs jedes Jahr ein Automatismus? Und: Wir wissen doch alle, dass nicht immer alle Personalanmeldungen mit zusätzlichen Aufgaben verknüpft sind. Übrigens – das darf ich auch mal sagen – fallen in den Ministerien auch mal Aufgaben weg. Man kann auch umverteilen oder neu strukturieren. Insofern möchte ich das gesamte Kabinett bitten – Herr Minister Altmaier, bitte nehmen Sie das mit ins Kabinett –, sich bei den zukünftigen Personalanmeldungen ein wenig zu mäßigen. ({7}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz etwas zum Energie- und Klimafonds sagen, der zu über 80 Prozent im Wirtschaftsministerium bearbeitet wird. Im letzten Berichterstattergespräch kam von allen Fraktionen die Anregung, hier eine gewisse Neuausrichtung, eine gewisse Umstrukturierung vorzunehmen. Unserer Ansicht nach ist es wichtig, dass wir mit den im EKF eingestellten Maßnahmen in Zukunft auch tatsächlich, real eine nachweisbare Menge an CO 2 einsparen. Wir haben in den letzten Jahren sehr, sehr viel Geld für Forschung ausgegeben. Die einzelnen Forschungsinstitute haben fast schon inflationär viel Geld erhalten. Ich glaube, wir sind jetzt gut beraten, diese Forschungsergebnisse auch umzusetzen; aber wir brauchen sinnvolle, praktische Programme, die vor allen Dingen zu messbaren Ergebnissen führen, zum Beispiel zur Förderung von Landstrom an Häfen oder zur Förderung der Produktion von Batteriespeichern. Das mögen sehr sinnvolle Angelegenheiten sein. Meine Damen und Herren, ich würde jetzt gerne noch über den Tourismus reden, ich würde gerne noch über Luft- und Raumfahrt reden, ich würde gerne noch über Digitalisierung, Mikroelektronik oder Energiewirtschaft reden. All das sind Themen, die uns im Ministerium intensiv beschäftigen. Leider ist die Zeit dafür zu knapp. Abschließend darf ich noch einen Gruß bestellen, und zwar von meinem Mitberichterstatter von der SPD, der heute nicht sprechen durfte, von Thomas Jurk. Ich darf die allerherzlichsten Grüße an das Haus ausrichten. Ich persönlich freue mich auf die bevorstehenden Haushaltsberatungen mit Ihnen, mit meinen Mitberichterstattern, aber auch mit Ihnen, Herr Minister Altmaier, und Ihrem Hause. Herzlichen Dank. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Meine Damen und Herren, damit kommen wir zum Ende der Debatte über diesen Einzelplan. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Not found (Minister:in)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Heute vor einem halben Jahr habe ich mich von meinen 2 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rathaus Neukölln verabschiedet und auch von den Bürgerinnen und Bürgern dort. Ich habe versprochen, die Erfahrungen vor Ort nicht zu vergessen und das, was gerade die Menschen in den sozial schwierigen Gebieten in unserem Land erleben und brauchen, nicht aus dem Blick zu verlieren. Gute Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. ({0}) Ich hatte mir vorgenommen, in den ersten Monaten alle 16 Bundesländer zu besuchen. Das habe ich gemacht, in über 200 Vor-Ort-Terminen. Ich bin an Orten gewesen, wo wir als Bund fördern und unterstützen, in Pflegeeinrichtungen, in Kitas, in Mehrgenerationenhäusern, bei unseren Demokratieförderprojekten, bei den Bündnissen für Familie, in den Frauenhäusern. In den Begegnungen ist mir immer wieder bewusst geworden, wie wichtig es ist, dass wir ganz früh anfangen, bei den Kindern, bei den Jugendlichen, die Unterstützung brauchen, um dafür zu sorgen, dass wirklich jedes Kind, egal ob in einem armen oder reichen Elternhaus geboren, seinen Weg machen kann. Deshalb ist auch das erste Gesetzesvorhaben, das wir in meiner Verantwortung voranbringen, nämlich das Gute-Kita-Gesetz, so ein wichtiger Schritt. ({1}) Wir werden dabei nicht die eine Lösung für alle voranbringen, sondern es muss danach gehen, wie die Bedarfe vor Ort sind. Einheitliche Standards überall sind dabei nicht das Ziel, sondern es geht darum, die Verbindlichkeit in der Zielsetzung und die Freiheit in der Umsetzung zu garantieren. Wir wollen – das sage ich denen, die das sicher gleich ansprechen werden – noch im September dieses Jahres das Gute-Kita-Gesetz ins Kabinett einbringen. Wir hatten einen langen Dialogprozess und eine lange Vorbereitung mit den Ländern – umfassend und so, dass die Bedarfe, die in Deutschland sehr unterschiedlich sind, auch wirklich erfüllt werden können. Wir haben 5,5 Milliarden Euro in der Planung, um tatsächlich überall in Deutschland für mehr Qualität und geringere Gebühren zu sorgen. Wir werden außerdem – das war beim letzten Mal ja eine Frage Ihrerseits – den Kitaplatzausbau parallel dazu weiter vorantreiben. ({2}) Unser Investitionsprogramm „Kinderbetreuungsfinanzierung“ geht weiter. Wir werden im nächsten Jahr 300 Millionen Euro in das Sondervermögen dafür einzahlen. So finanzieren wir vonseiten des Bundes bis 2020  100 000 zusätzliche Kitaplätze, parallel zum Gute-Kita-Gesetz. ({3}) Wenn Sie mit Praktikern vor Ort sprechen, dann wird aber eines klar: Geld betreut keine Kinder. Es braucht immer noch Menschen, die das machen. Daher müssen wir mehr Menschen für den Erzieherberuf gewinnen und die Ausbildungsbedingungen verbessern. Ich bin sehr froh, dass wir in den Haushalt 2019 schon 30 Millionen Euro für eine Fachkräfteoffensive des Bundes eingestellt haben, mit der wir die Länder zusätzlich unterstützen wollen. Wir werden auch darüber hinaus etwas machen: Im nächsten Jahr, 2020, sind seitens des Bundes weitere 60 Millionen Euro für eine Fachkräfteoffensive im Hinblick auf Erzieherinnen und Erzieher vorgesehen. Ich glaube, das ist das richtige Signal. ({4}) Wir wollen, dass es jedes Kind in Deutschland packt. Deshalb ist frühkindliche Bildung eine langfristig wichtige und auch nötige Investition. Aber genauso wichtig ist es, dass wir gezielt gegen Kinderarmut vorgehen. Es gibt Eltern, die sich sagen: Ich gehe jeden Tag arbeiten, und am Ende reicht es trotzdem nicht. – Eine Antwort auf die Frage, was wir verändern müssen, ist, dass es Leistungen gibt, um gerade diejenigen, die geringe Einkommen haben, zu unterstützen. Deshalb wollen wir den Kinderzuschlag im nächsten Jahr nicht nur erhöhen, sondern ihn auch einfacher und attraktiver machen. Wir wollen die Leistungen im Bereich von Bildung und Teilhabe verbessern. Es geht darum, dass die Kinder, die in den schwächsten Familien leben und die größten sozialen Schwierigkeiten haben, zusätzliche Unterstützung bekommen. Dabei ist nicht nur das Kindergeld ein Thema, sondern es geht auch um den Kinderzuschlag und die Verbesserung des Bildungs- und Teilhabepaketes. Wir müssen uns gemeinsam mit den Institutionen wie Kita und Grundschule konzentriert auf den Weg machen. ({5}) Ich war in diesem Jahr das erste Mal als Ministerin auf Sommerreise, und ich bin auch in Chemnitz gewesen. In Chemnitz habe ich mit Menschen gesprochen, die sich seit vielen, vielen Jahren für Demokratie engagieren und die mir gesagt haben: Chemnitz ist mehr als Gewalt und Ausschreitungen. Es ist mehr als die Bilder, die wir in den letzten Tagen gesehen haben. Es ist die Stadt der Wirtschaft, der Wissenschaft, der internationalen Studenten an der Universität, der Fachkräfte, die zu uns kommen, der Entwicklung und der starken Zivilgesellschaft. Wir wollen das auch zeigen. Wir wollen zeigen, dass die Stadt mehr ist. – Dafür braucht Chemnitz in allererster Linie unsere Solidarität. ({6}) Das bedeutet, dass wir denen den Rücken stärken müssen, die sich vor Ort engagieren, die seit Jahren für Demokratie und Toleranz eintreten: in Schulen, auf den Straßen, im Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern – überall. Natürlich geht es auch um konsequente Strafverfolgung; das ist doch gar keine Frage. Aber Sicherheit heißt eben nicht nur gute Polizeiarbeit. Sicherheit heißt auch Prävention und Demokratieförderung an allen Stellen, an denen es uns möglich ist. ({7}) Deshalb unterstützen wir ja auch seit vielen Jahren mit unserem Programm „Demokratie leben!“ die lokale „Partnerschaft für Demokratie“ in Chemnitz und ähnliche Initiativen überall in Deutschland. Denn das, was wir jetzt dort gesehen haben, ist kein sächsisches oder allein Chemnitzer Problem, es ist ein deutschlandweites Problem. Deshalb ist es richtig, dass wir das Programm „Demokratie leben!“ entfristet und damit auf Dauer angelegt haben, und dass wir es mit mehr Geld ausgestattet haben. ({8}) Weil Demokratie leben und auch Demokratie lernen eine Daueraufgabe ist, braucht es auch dauerhaftes Engagement und einen stabilen Rahmen. Wir haben im Einzelplan 17 für das nächste Jahr 32,5 Millionen Euro für die Gründung einer Engagementstiftung in Deutschland vorgesehen. Diese Stiftung soll all diejenigen ganz praktisch unterstützen, die sich ehrenamtlich engagieren, Hilfestellung für gute Entwicklungen, für Vereine, für Verbände und Stiftungen leisten. Wir haben noch ein Thema; das ist das Thema Gewalt. Es geht um Gewalt in verschiedenster Form. Das fängt in der Schule an. Deshalb haben wir gesagt, wir starten mit einem Programm „Anti-Mobbing-Profis/Respekt Coaches“ in allen Bundesländern, als Modell. Wir haben damit in diesem Schuljahr begonnen. Denn in der Schule fangen die Auseinandersetzungen an. Das muss zusammen mit den Ländern gehen, gemeinsam, zusätzlich. Es geht darum, Beschimpfungen, Diskriminierungen und Radikalisierungen früh aufzuarbeiten, nicht wegzusehen, vorzugreifen, bevor etwas eskaliert und es wirklich zu Gewalt kommt. Und es geht auch darum, Gewalt gegen Frauen einzudämmen und dagegen vorzugehen, nach wie vor. ({9}) Im Jahr 2016 sind in Deutschland 109 000 Frauen Opfer von versuchten oder tatsächlichen Gewaltdelikten durch ihre Partner geworden. Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet. Das sind schockierende Zahlen und Gewalt geht durch alle gesellschaftlichen Schichten und alle ethnischen Hintergründe. Viele Frauen, die Gewalt erleben, finden Schutz in Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen. Aber es gibt Lücken im System. Deshalb ist es gut, wenn der Bund sich engagiert. In der nächsten Woche, über vierzig Jahre nach der Gründung des ersten Frauenhauses in Deutschland, kommen Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände zum ersten Mal zu einem runden Tisch im Bundesfamilienministerium zusammen, um eine gemeinsame Initiative gegen Gewalt an Frauen zu starten und ein Aktionsprogramm ins Leben zu rufen, mit Bundesunterstützung. Wir haben im nächsten Haushalt die ersten 5 Millionen Euro dafür vorgesehen. Wir wollen auch da den Startpunkt im nächsten Jahr setzen, 2020 weitermachen mit dem Aktionsprogramm gegen Gewalt an Frauen und deutlich mehr Geld in diesen Bereich hineingeben. ({10}) Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, Chemnitz hat uns noch einmal gezeigt, wie nötig es ist, hinzugehen, zuzuhören und dann zu handeln. Das wollen wir tun, auch mit dem Familienetat im Haushalt 2019. Mein Ziel ist, dass jedes Kind es packt, dass jedes Kind seinen Weg machen kann, dass die Frauenrechte gestärkt werden, dass Familien unterstützt werden, gute Unterstützung bekommen, dass wir uns kümmern um die, die sich um andere kümmern, dass ältere Menschen gut gepflegt werden. Begonnen haben wir mit der Konzertierten Aktion Pflege. Wir wollen im Bereich der Pflege eine Ausbildungsoffensive starten; auch das wird das nächste Jahr prägen. Alle, die sich für Demokratie einsetzen, brauchen den Staat. Sie brauchen die ganze Rückendeckung von allen, die politische Verantwortung in unserem Land tragen. Wir wollen ein starkes und demokratisches Land. Wir wollen, dass Familien in Deutschland spürbar stärker werden und damit Deutschland spürbar stärker wird. Vielen Dank. ({11})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Volker Münz für die AfD. ({0})

Volker Münz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004835, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin Giffey! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Haushaltsentwurf des hier zu debattierenden Einzelplans umfasst ein Gesamtvolumen von 10,3 Milliarden Euro. Davon entfallen rund 80 Prozent auf gesetzliche Leistungen für Familien. Das hört sich zunächst gut an; denn auch meiner Fraktion liegt die Familienförderung sehr am Herzen. Wenn man sich aber die Mittelverwendung genauer anschaut – nicht nur bei den Leistungen für Familien, sondern insbesondere auch bei nicht familienbezogenen Leistungen –, dann erkennt man, dass hier vieles im Argen liegt. Hier wird mit dem Geld der Steuerzahler leichtfertig umgegangen, meine Damen und Herren. ({0}) – Ja, das hat auch der Bundesrechnungshof in der Vergangenheit bereits mehrfach gerügt. Was die familienbezogenen Leistungen angeht, so haben wir einerseits einen gigantischen Verwaltungsapparat. Kollege Mattfeldt hat das vorhin schon gesagt: Im Familienministerium gab es seit 2013 einen Stellenaufwuchs von 40 Prozent. Wir haben einen bürokratischen Dschungel, in dem sich die Bürger und insbesondere die Familien bei der Beantragung der ihnen zustehenden Leistungen kaum noch zurechtfinden. Auf der anderen Seite sind vielfach unzureichende Kontrollen und fehlende Konsequenzen bei zu Unrecht gezahlten Leistungen festzustellen. Das betrifft viele Leistungen, so zum Beispiel die Rückforderungen bei zu viel gezahltem Elterngeld und die Rückholung beim Unterhaltsvorschuss. Ein eklatantes Beispiel sind die Missstände bei der Zahlung von Kindergeld für im EU-Ausland lebende Kinder. ({1}) Die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Kombination mit dem Kindergeldbezug hat einen Anreiz zur Einwanderung in unser Sozialsystem geschaffen, ({2}) weil deutsche Kindergeldleistungen in Mitgliedstaaten mit niedrigem Lohnniveau eine signifikante Einkommensquelle darstellen können. So erhalten Eltern für drei Kinder rund 600 Euro Kindergeld pro Monat. Das entspricht dem doppelten Durchschnittseinkommen in Bulgarien. Mehrere Oberbürgermeister, gerade auch sozialdemokratische, haben vor kurzem angesichts unhaltbarer Zustände in einigen Städten Alarm geschlagen. Der Missbrauch der Arbeitnehmerfreizügigkeit zum Zwecke des Kindergeldbezuges muss verhindert werden, meine Damen und Herren! ({3}) Meine Fraktion hat dazu noch vor der Sommerpause einen Antrag zur Indexierung – – ({4}) – Hören Sie doch mal auf, hier ständig dazwischenzuquatschen! Sie können eine Zwischenfrage stellen oder eine Intervention machen. Ich bitte darum, Herr Präsident, dass Sie da einschreiten. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Fahren Sie fort. ({0})

Volker Münz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004835, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Meine Fraktion hat dazu noch vor der Sommerpause einen Antrag zur Indexierung der Kindergeldzahlung am Lohnniveau des Heimatlandes vorgelegt. ({0}) Wir sollten uns dem österreichischen Vorgehen anschließen, meine Damen und Herren. ({1}) Bei den nicht familienbezogenen Leistungen sticht besonders der Haushaltstitel „Maßnahmen zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ mit 115 Millionen Euro hervor. Ja, die Demokratie muss gestärkt werden. Dem können wir von der AfD mit vollem Herzen zustimmen. ({2}) Deswegen ist meine Fraktion im Deutschen Bundestag. ({3}) Denn zur Demokratie gehört, dass es eine Alternative gibt zur Einheitspolitik der Altparteien, meine Damen und Herren. ({4}) Die größte Beschädigung unserer Demokratie, unseres Rechts- und Sozialstaats ({5}) sowie der inneren Sicherheit hat die Bundesregierung zu verantworten, indem sie 2015 die Grenze nicht geschlossen hat und entgegen Recht und Gesetz eine Massenzuwanderung zugelassen hat. ({6}) Auch mehrere namhafte Verfassungsrechtler stufen dies als Rechtsbruch ein, meine Damen und Herren. ({7}) Ja, die Demokratie muss geschützt werden, gegen alle Versuche, sie zu zerstören. Der Kampf muss gegen alle Extremisten geführt werden, dazu gehören Rechtsextremisten, Linksextremisten und islamische Fundamentalisten. Aber was hier mit Steuermitteln in erster Linie gefördert wird, ist der Kampf gegen alles, was nicht links ist; denn die politische Linke hat zusammen mit CDU/CSU und FDP den Kampf gegen Rechtsextremismus in einen Kampf gegen rechts umgedeutet. ({8}) Der Kampf gegen rechts gilt der bürgerlichen Mitte, wie auch Kristina Schröder, eine der Vorgängerinnen von Ministerin Giffey, vor kurzem öffentlich zu Recht gesagt hat. ({9}) Im Kampf gegen rechts haben Vertreter der Altparteien und hohe Repräsentanten unseres Staates keine Skrupel, mit Linksextremen zusammen zu marschieren, aufzutreten oder für diese zu werben. Das ist ein Skandal, meine Damen und Herren! ({10}) Dass in Chemnitz – am Ort, an dem ein Mensch gestorben ist, ermordet worden ist! – ein Konzert mit linksextremen Bands stattfinden durfte, auf dem gewaltverherrlichende Lieder und Texte ({11}) – hören Sie doch mal zu; das war doch Ihre Klientel, die da war –, die Verachtung von staatlichen Institutionen zum Ausdruck bringen, vorgetragen wurden, ist eine Schande. ({12}) Dazu passt, dass die Demokratieklausel, die Kristina Schröder eingeführt hatte, ({13}) nach ihr wieder abgeschafft wurde. ({14}) Seitdem werden mit Mitteln aus dem Familienministerium auch Organisationen gefördert, die mit Demokratie nicht viel am Hut haben, nämlich linke und islamische Extremisten. ({15}) Wir wollen, dass das Bekenntnis zur Demokratie wieder Voraussetzung für die Beantragung von Mitteln aus dem Programm „Demokratie leben!“ wird. ({16}) Außerdem werden wir eine Kürzung dieser unverhältnismäßig hohen Mittelansätze beantragen. Ich bin auf die Berichterstattergespräche gespannt. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({17})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächste Rednerin ist Nadine Schön für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Zeiten großer Verunsicherung in der Bevölkerung hat man zwei Möglichkeiten: Entweder kann man die Gesellschaft zusammenführen und die Probleme, die es gibt, gemeinsam lösen, oder man kann spalten, und spalten tun Sie von der rechten Seite des Hauses. ({0}) Die Kollegen der AfD geben sich gerne bürgerlich und reden von Anstand und Demokratie, doch in den letzten Tagen haben Sie die Maske fallen lassen. ({1}) Immer offener und immer offensiver reden Sie von „Widerstand“, von einem „anderen Deutschland“. Es ist von einem System die Rede, das beseitigt werden muss. Immer öfter wird Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz zitiert, der Widerstandsartikel, der hier zum Einsatz kommen müsste. Sie erzählen von einem Unrechtsregime, gegen das man Widerstand leisten müsste. Das ist längst kein Hirngespinst von einigen Verrückten mehr; das ist etwas, was Bundestagsabgeordnete von Ihnen offen proklamieren. Sie sind eben nicht Verteidiger der Demokratie, wie Sie eben wieder versucht haben darzustellen, sondern Feinde unseres demokratischen, freiheitlichen Regimes. ({2}) Sie sind auch nicht die Retter des Rechtsstaats; denn wer Selbstjustiz gutheißt, der konterkariert den Rechtsstaat und ist damit keinen Deut besser als viele Chaoten aus dem linksextremen Bereich, die genau das Gleiche wollen. ({3}) Sie sind keine Bürgerlichen; denn Bürgerliche haben immer das Ziel, die Gesellschaft zusammenzuführen und nicht zu spalten. ({4}) Ja, wir haben Probleme in unserem Land, Probleme, die auch Sie von der AfD ansprechen und benennen. Man muss die Probleme aber auch lösen. ({5}) In einer komplexen Welt gibt es ganz selten einfache Antworten auf komplexe Probleme. Auch wir sehen, dass es einen religiös begründeten Fundamentalismus gibt, dass es Jugendliche gibt – oftmals mit muslimischem Hintergrund –, die sich mit jüdischen Jugendlichen anlegen. Die Schulen vor Ort sind von diesen Situationen überfordert. ({6}) Deshalb begrüße ich es sehr, dass die Ministerin mit den neuen Anti-Mobbing-Profis dagegen vorgeht. ({7}) Das ist vielleicht ein sperriger Begriff, aber ein guter Ansatz, weil sich diese Fachkräfte genau an diese Klientel wenden. Sie sollen gerade im Bereich des religiös motivierten Fundamentalismus und im Bereich der kulturellen Probleme Streit schlichten, ({8}) Probleme lösen und eben dafür sorgen, dass die Schulen mit diesen Problemen nicht alleine gelassen werden. ({9}) Wir haben eine Menge Projekte und Initiativen, und gerade wir als Union legen immer besonderen Wert darauf, dass mit dem Programm „Demokratie leben!“ auch gegen Rechtsextremismus, aber eben auch gegen Linksextremismus, Islamismus und Salafismus gekämpft wird. Deshalb ist Ihre Kritik hier völlig fehl am Platze. ({10}) Auch wir sehen, dass es Probleme bei der Integration gibt. Glauben Sie aber, dass Sie auch nur einen Beitrag zur Integration leisten, indem Sie ständig nur mit dem Finger auf andere zeigen und indem über „Kopftuchmädchen“ gelästert wird? Wir müssen von denjenigen, die zu uns kommen, Integration erwarten. Das ist unser Recht, und wir wollen, dass die, die zu uns kommen, sich auch an unsere Regeln halten. Wenn sie das nicht tun, dann müssen sie sich überlegen, ob sie nicht im falschen Land sind. ({11}) Wir erwarten Integration. Aber die größte Integrationsleistung und die größte Hilfe bei der Integration leisten doch die vielen Haupt- und Ehrenamtlichen in unserem Land, die vor Ort in den Konflikt gehen, die die Diskussion suchen, die die Integrationsarbeit leisten; denn Integration ist Arbeit. Das, was Sie machen, ist Spalten und Diffamieren. Kein Einziger von Ihnen hat sich wahrscheinlich jemals um das Thema Integration bemüht, so wie die vielen, die das tagtäglich in unserem Land tun. ({12}) Einige Dinge ärgern mich ganz besonders, ja, sie empören mich: Es gibt viel zu viele Themen, die bei den vielen Diskussionen der letzten Tage komplett unter den Tisch gefallen sind. Eben, als die Ministerin gesagt hat, dass jeden dritten Tag eine Frau durch häusliche Gewalt stirbt, habe ich die ungläubigen Blicke in den Reihen der AfD gesehen. Ist Ihnen das neu? ({13}) Es sind pro Woche drei Kinder, die Opfer von Gewalt werden und daran sterben. ({14}) Da sehe ich keine Trauermärsche. Da sehe in keine Empörung. Ich finde, das ist ein richtiger Skandal in unserem Land: pro Woche drei Kinder, die Opfer von Gewalt werden. ({15}) Deshalb haben wir als Union gesagt, dass wir uns diesem Thema besonders widmen wollen. Deshalb werden wir das SGB VIII reformieren und den Kinderschutz verstärken. Deshalb haben wir gerade bei den letzten Haushaltsberatungen vor wenigen Wochen die Einführung eines Modellprojekts beschlossen, das mobile Fachberatungsstellen zu sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend fördert. ({16}) Deshalb sind auch im Haushalt über 5 Millionen Euro eingestellt; der Bund engagiert sich erstmals im Bereich der Frauenhäuser; eine Sache, die eigentlich Ländern und Kommunen vorbehalten ist. Aber wir wollen hier mithelfen, dass das Thema Gewalt gegen Kinder, gegen Jugendliche, gegen Männer und besonders Frauen angegangen wird. ({17}) Mich ärgert, dass bei der ganzen Berichterstattung der letzten Tage diejenigen überhaupt nicht mehr vorkommen, die die Gesellschaft zusammenhalten. Das ist mir besonders am Wochenende aufgefallen: Ich war unterwegs, erst beim THW, dann beim Roten Kreuz und anschließend auf der Kirmes, die von den Ehrenamtlichen in den Vereinen bei uns im Dorf getragen wird. Wo kommen denn diese Menschen, die tagtäglich einen Beitrag dazu leisten, dass unsere Gesellschaft zusammengehalten wird, in der öffentlichen Debatte und in den politischen Diskussionen überhaupt noch vor? Wir reden über viele, viele Themen, aber wir unterstützen nicht mehr die, die den Kern unseres Gemeinwesens bilden, die sich in ihrer Freizeit tagtäglich mit viel Engagement dafür einsetzen, dass unsere Gesellschaft zusammenbleibt und dass man sich gegenseitig hilft. Deshalb wollen wir gerade diese Menschen unterstützen. Wir als Fraktion haben gerade am vergangenen Freitag ein Papier zum Thema Ehrenamt verabschiedet. Wir wollen eine Ehrenamtsstiftung oder eine Serviceagentur, die Ehrenamtliche unterstützt. Die Ministerin hat eben in ihrer Rede auf die Engagementstiftung hingewiesen. Wir werden sehr genau darauf achten, dass das, was in dieser Stiftung geplant wird, wirklich den Ehrenamtlichen zugutekommt, den vielen, die in Vereinen, Verbänden, in kirchlichen Organisationen, in Hilfsorganisationen tätig sind. Das sind diejenigen, die sich permanent für das Gemeinwesen einbringen, nicht nur in einzelnen Projekten, nicht nur in einzelnen Initiativen, sondern dauerhaft. Diese müssen wir besser unterstützen: mit Entbürokratisierung, mit einer Servicehotline für die vielen Fragen im regulatorischen Bereich. Diese müssen wir entlassen, und die müssen wir auch besser vor Gewalt und Angriffen schützen, denen sie sich leider viel zu oft gegenübersehen. ({18}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, was unsere Gesellschaft auch zusammenhält, sind die Familien. Deshalb haben wir als Koalition die Familien in den Mittelpunkt dieser Legislaturperiode gestellt. So viel wie wahrscheinlich noch nie zuvor investieren wir in dieser Legislaturperiode in Familien. Wir haben das Kindergeld erhöht und werden es in einer zweiten Stufe weiter erhöhen, ebenso den Kinderfreibetrag. Wir werden den Kinderzuschlag erhöhen. Wir werden das Bildungs- und Teilhabepaket verbessern. Wir werden die Mittel für die Schulstarterhilfe anheben. Als Union fordern wir, dass wir die Mittel für das Schulstarterpaket auf 120 Euro anheben. Wir haben gerade jetzt die Einführung des Baukindergeldes beschlossen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ab kommender Woche können Familien Anträge stellen und sich den Traum vom eigenen Heim erfüllen. Wir machen auch etwas beim Thema Qualitätsverbesserung in den Kitas sowie beim Thema Nachmittagsbetreuung. Das alles kommt den Familien als Keimzelle unseres demokratischen und freiheitlichen Rechtsstaats zugute, und es wäre schön, wenn sich alle Seiten dieses Hauses dafür einsetzen würden, statt die Gesellschaft zu spalten. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Schön. – Als Nächstes für die FDP-Fraktion der Kollege Christoph Meyer. ({0})

Christoph Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004820, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin Giffey, Sie haben eben eine schöne Rede gehalten. Vielleicht wissen Sie es noch: Sie standen im Juli hier und haben sich darüber gefreut, dass Ihr Etat jetzt über 10 Milliarden Euro schwer ist. Aber Sie haben weder damals noch heute über den effizienten Mitteleinsatz gesprochen. Nicht nur gut gemeint, sondern auch gut gemacht muss der Ansatz sein, den Sie gerade in diesem Ministerium, gerade in diesem Haus einpflegen, und da haben wir leider bisher von Ihnen nichts gehört. Fehlanzeige! Mag das beim Etat 2018 noch begründbar gewesen sein, sehen wir leider auch für das Jahr 2019 keine Fortschritte. ({0}) Offen gestanden bin ich von Ihnen enttäuscht. Bei den Ausschussberatungen 2018 haben Sie mir noch zugesagt, dass Sie sich zum Beispiel in der Frage Darlehen nach Familienpflegezeitgesetz des Themas annehmen werden und das prüfen werden, da der Mittelabfluss hier entsprechend gering ist. Was ist passiert? Offenbar nichts. Bis Mitte August sind von den 2,5 Millionen Euro, die eingeplant wurden, gerade einmal 420 000 Euro abgeflossen. Dennoch planen Sie einen Aufwuchs auf 3 Millionen Euro im Jahr 2019. Das ist exemplarisch für die Herangehensweise in Ihrem Haus. Viel hilft nicht immer viel. Die Grundsätze der Haushaltswahrheit und -klarheit gelten auch für Sie und Ihr Haus. ({1}) Man gewinnt den Eindruck, dass Sie keine ergebnisoffene Evaluierung wollen. Das zieht sich leider wie ein Leitfaden durch den gesamten Etat. Die Maßnahmen für die Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie werden auf 116 Millionen Euro erhöht. Das ist sinnvoll. Wir alle sehen, was in dieser Gesellschaft passiert. Aber wenn man sich die einzelnen Förderprojekte und den Lebenszyklus eines Förderprojekts von der Idee bis zur Evaluierung ansieht – ich habe auch da Ihr Haus gebeten, das einmal aufzuschreiben –, dann bleibt man, offen gestanden, fassungslos zurück, weil Gelder offenbar wahllos an jeden vergeben werden, der vielleicht sogar eine Idee gut gemeint hat. Aber eine Erfolgskontrolle – gerade Chemnitz zeigt doch, dass es umso wichtiger ist, dass wir mit einer Erfolgskontrolle ein Gefühl dafür bekommen, welche Maßnahmen, welche Projekte sinnvoll sind, welche helfen – gibt es nach wie vor bei Ihnen nicht. Deswegen habe ich kein Vertrauen, dass es in den nächsten Jahren unter Ihrer Leitung besser wird. ({2}) Das wäre genau der Ansatz. Sie haben eben mit dem Satz „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit“ noch einmal Kurt Schumacher zitiert, wie auch schon im Rahmen Ihrer Rundreise, auf die Sie ebenfalls eingegangen sind. Ich würde vorschlagen, dass Sie Ihr Haus und Ihren Politikansatz mal aus dem Paralleluniversum holen und zu einer geordneten Mittelvergabe kommen. ({3}) Wir haben keine Fortschritte beim Unterhaltsvorschuss. Die Lücke zwischen Einnahmen und Rückforderungen bleibt weiter gigantisch mit einem Delta von über einer halben Milliarde Euro. In der Sommerpause kamen Sie mit dem Vorschlag: „Wer nicht zahlt, läuft“. Das ist ein interessantes Modell bzw. ein interessanter Ansatz. Wenn man nachfragt, was anschließend tatsächlich von Ihnen in politisches Handeln umgesetzt wird, muss Ihr Haus zugeben, dass es offensichtlich keine abgestimmte Position dafür gibt. Es war gut für eine Schlagzeile. Mehr ist offenbar bisher nicht geschehen. Stichwort „Gute-Kita-Gesetz“: Auch da hinken Sie schon Ihrem eigenen Zeitplan hinterher. Ursprünglich sollte das Ganze doch Anfang August im Kabinett besprochen werden. Wenn wir jetzt die Debatte verfolgen, dann gilt auch da genau derselbe Grundsatz: Viel hilft nicht unbedingt viel. Experten aus renommierten Wochenzeitungen sagen, dass der Geldabfluss offensichtlich intransparent ist und dass offensichtlich, wenn nicht nachgebessert wird, das Ziel, das wir alle teilen, nämlich die Verbesserung der Situation in den Kitas für die Kleinsten, nicht erreicht wird. Eine klare Linie, strukturierte Konzepte und das Nachdenken darüber, was man vielleicht nicht macht, wären für Ihr Haus sinnvoller. Wir werden versuchen, in den Etatberatungen mit Ihnen darüber zu diskutieren. Das wäre jedenfalls eine gute Familienpolitik, auch für unser Land. Ich danke Ihnen. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Als Nächstes für die Fraktion Die Linke: die Kollegin Doris Achelwilm. ({0})

Doris Achelwilm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004651, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Wir haben es in diesen Tagen oft gehört: Zu den guten Nachrichten dieses Haushalts gehört das Gute-Kita-Gesetz. Doch ein Titel allein schafft keine Qualität, wenn die Finanzierung nicht umfassender und längerfristig erfolgt, mit den Ländern eng koordiniert wird und schnell gegen den Fachkräftemangel wirkt. ({0}) Überhaupt spielen Familien, Frauen, Kinder, Jugendliche und Ältere im Haushalt 2019 keine herausgehobene Rolle, und das ist alles andere als gut. Das Familienministerium erhält gerade einmal 0,8 Prozent mehr, eine Steigerung noch unterhalb der Inflationsrate. Wie sollen der Kinderarmut und der sozialen Spaltung so entgegengewirkt werden? Als Linke setzen wir uns sehr dafür ein, die Lage von Alleinerziehenden zu verbessern. Es ist im Ansatz richtig, dass der Unterhaltsvorschuss für 300 000 Kinder und Jugendliche mehr geöffnet wurde. Als völlige Fehlkonstruktion – das muss man leider sagen – bemängeln wir, dass 120 000 Kinder und Jugendliche deshalb leer ausgehen, weil ihre alleinerziehenden Elternteile ein Einkommen unterhalb von 600 Euro erzielen. Die absurde Bedarfsprüfung, die ausgerechnet Geringverdienende trifft, muss dringend vom Tisch. ({1}) Auch das Hilfesystem zur Unterstützung gewaltbetroffener Frauen und ihrer Kinder schauen wir uns genauer an. Nach Zusagen im Koalitionsvertrag und der Ratifizierung der Istanbul-Konvention sollte selbstverständlich sein, dass Frauenhäuser und Beratungsstellen vorhanden sind. Das dafür neu aufgelegte Bundesprogramm ist ein Anfang. Es wäre ein wichtiges Zeichen, dass auch geflüchtete Frauen in Not, die in den sogenannten AnKER-Zentren festsitzen, Schutz in einem Frauenhaus suchen dürfen. ({2}) Für die Antidiskriminierungsstelle fordern wir mehr Power. Mit ein paar Hunderttausend Euro für Öffentlichkeitsarbeit und Forschung sind keine großen Sprünge machbar. Zum Vergleich: Die Bundeswehr hat 5 Millionen Euro für Öffentlichkeitsarbeit und ein Vielfaches für die Nachwuchswerbung. Dieser Maßstab ist aus unserer Sicht nicht angemessen. Ich möchte mich dafür aussprechen, Queerpolitik stärker zu berücksichtigen. In der Familienberatung muss Raum für die Belange von Regenbogenfamilien und für Eltern intergeschlechtlicher Kinder sein. ({3}) Die bundesweite telefonische Antigewaltberatung für Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transpersonen stützt sich bislang auf Ehrenamt, Spenden oder lokale Projektförderungen. Wir brauchen ein Bundesprogramm, das belastbare Zahlen zu trans- und homophober Gewalt erhebt. ({4}) Dieser Haushaltsentwurf tut insgesamt zu wenig gegen die Armut von Kindern und Alleinerziehenden. Er tut zu wenig für die Gleichstellung und den Schutz aller Lebensentwürfe. Wir bleiben dran, das zu ändern. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Katja Dörner. ({0})

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte mit einem Dank an Frau Ministerin Giffey beginnen. ({0}) Frau Ministerin, Sie haben mit Ihrem Besuch in Chemnitz nach dem schrecklichen Tötungsdelikt und nach den ekelhaften Aufmärschen rechtsextremer Gruppen eine klare Haltung gezeigt. ({1}) Sie haben damit den Menschen Mut gemacht, sich für ein demokratisches Land einzusetzen, in dem niemand aufgrund seiner Herkunft verfolgt wird; das finde ich gut. Dafür möchte ich Ihnen unseren Dank aussprechen. ({2}) Die Grundlagen unsere Demokratie werden zunehmend bedroht, und zwar nicht durch „Feine Sahne“, sondern durch die AfD und ihre Spießgesellen. Ganz klar: Wir als Demokratinnen und Demokraten werden und dürfen das nicht zulassen. Deshalb Danke für das Signal, das Sie aus Chemnitz gesendet haben, Frau Ministerin, aber auch für die klaren Worte an die Kollegin Schön, die eben gesprochen hat. ({3}) Jeder und jedem in diesem Land muss klar sein, dass der Wesenskern unserer Demokratie nicht verhandelbar ist. Diese Demokratie und dieser Rechtsstaat sind eben keine Naturgesetze, sie fallen nicht vom Himmel, sondern sie müssen verteidigt werden. Chemnitz und auch Köthen zeigen: Sie zu verteidigen, ist heute so wichtig wie schon lange nicht mehr. ({4}) Wenn Frau Ministerin Giffey jetzt wieder ein Demokratiefördergesetz ins Gespräch bringt, dann kann ich nur sagen: Endlich! – Ich appelliere ganz dringend an die Union: Geben Sie Ihre Blockadehaltung an dieser Stelle auf! Geben Sie den vielen engagierten und mutigen Menschen da draußen, die sich für die Demokratie einsetzen, endlich Strukturen, die sie brauchen, damit unsere Gesellschaft lebenswert und vielfältig bleibt. Wir brauchen ein solches Demokratiefördergesetz, und wir brauchen es schnell. ({5}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, was wir auch brauchen, und das schon lange, ist ein entschlossenes Vorgehen gegen Kinderarmut. Da bin ich leider sehr weit weg davon, die Ministerin und die Bundesregierung zu loben. Sie setzen weiterhin vor allem auf die Erhöhung des Kindergeldes und der Kinderfreibeträge. Natürlich freuen wir uns für jede Familie, die mehr Kindergeld bekommt. Aber armen Familien, Familien im ALG-II-Bezug, nützt diese Kindergelderhöhung gar nichts, weil jeder zusätzliche Cent angerechnet wird. Wir sind ganz klar der Auffassung: Wir müssen weg von diesem Anrechnungswirrwarr, der sogar dazu führt, dass ein Teil der Alleinerziehenden durch die Ausweitung des Unterhaltsvorschusses, den wir alle richtig fanden, am Ende des Monats auch noch weniger Geld in der Tasche hat. Das ist doch total absurd. ({6}) Wir sind der Meinung: Es bringt nichts, bei diesem Thema an kleinen Stellschrauben zu drehen. Wir brauchen endlich eine Kindergrundsicherung, die Kindern und Jugendlichen ein Aufwachsen jenseits der Armut garantiert. ({7}) Was wir auch brauchen, ist ein Gute-Kita-Gesetz, das diesen Namen auch verdient, und das ist nun wirklich nicht in Sicht. Wir sollten uns laut Ministerin schon vor der Sommerpause damit beschäftigen. Jetzt ist es Herbst. Von klaren Qualitätsstandards im Rahmen dieses Gesetzes ist nicht mehr die Rede. Die Finanzierung bleibt unklar. Das erste wirklich große Gesetzesvorhaben der Ministerin droht zum Rohrkrepierer zu werden, und das sind schlechte Nachrichten für die Kinder, für die Eltern, aber auch für die Erzieherinnen und Erzieher in unserem Land. ({8}) Familien haben es verdient, endlich mehr Zeit füreinander zu haben. Gehetzt zu sein, das ist ja mittlerweile das Lebensgefühl einer ganzen Generation junger Eltern; aber das darf nicht so bleiben. Das Projekt Familienarbeitszeit, über das wir hier im Plenum oft gesprochen haben – das Lieblingsprojekt der ehemaligen Ministerin Schwesig –, wurde einfach gnadenlos versenkt; aber das ist die falsche Entscheidung. Familien brauchen mehr Zeit, und sie brauchen Unterstützung darin, so leben zu können, wie sie es sich selber wünschen: im Sinne einer partnerschaftlichen Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeitszeit. Das ist es, was die meisten Menschen von einer modernen Familienpolitik erwarten, und das sehen wir aufseiten der Bundesregierung leider überhaupt nicht verwirklicht. ({9}) Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen: Mir liegt besonders der Kinderschutz am Herzen. Im Sommer wurden die Peiniger des Jungen aus Staufen verurteilt. Jetzt ist es an uns, unsere Hausaufgaben zu machen. Der Schutz der Kinder, die Wahrung ihrer Rechte – auch in den familiengerichtlichen Verfahren –, das muss dringend ganz oben auf die politische Agenda. Eine bessere Ausstattung der Jugendämter, die Fortbildungsverpflichtung der Familienrichterinnen und Familienrichter und auch die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz, da sind wir alle gefragt. ({10}) Das muss schnell angegangen werden. Ich will auch sagen: Für uns gehören dazu auch die Finanzierung und die gesetzliche Absicherung des Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Diesen Weg sollten wir gemeinsam gehen. Insbesondere beim letzten Punkt vertraue ich ganz auf die Weisheit der Haushälterinnen und Haushälter fast aller Fraktionen, das auch in diesem Haushaltsverfahren noch zum Tragen zu bringen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Dörner. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Svenja Stadler, SPD-Fraktion. ({0})

Svenja Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004412, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Heute ist ein guter Tag für die Frauen. Das Digitale Deutsche Frauenarchiv ist online gegangen, und wer mehr wissen will über Frauen, die in der Geschichte viel erreicht haben, der sollte mal vorbeisurfen; es lohnt sich. Die wesentlichen Schwerpunkte des Haushalts hat unsere Ministerin bereits vorgestellt. Ich möchte mich auf den Bereich „Frauen- und Gleichstellungspolitik“ konzentrieren. ({0}) – Genau. Er ist wichtig. – Kennen Sie Marie Juchacz, Clara Zetkin und Luise Zietz? Es waren mutige Sozialdemokratinnen, ({1}) die das aktive und passive Wahlrecht erkämpft haben, und weil es sie gab, dürfen wir in diesem Jahr „100 Jahre Frauenwahlrecht“ feiern. ({2}) Was ein Erfolg in der damaligen Zeit war, ist für uns heute selbstverständlich, und doch gibt es noch eine Menge für Frauen zu tun. ({3}) Das BMFSFJ stellt an vielen Stellen Gelder für Programme, Projekte und Initiativen bereit, die sich um die Gleichstellung und die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen kümmern. „Frauen können alles.“ ({4}) Dieser Leitsatz gilt. Frauen können zum Beispiel eine Bohrmaschine betätigen. Frauen können besser Auto fahren als Männer. Frauen können Olympiasiegerinnen, Welt- und Europameisterinnen im Fußball werden. ({5}) Sie können Unternehmen erfolgreich führen und sich aus Gewaltsituationen befreien. Doch manchmal brauchen Frauen, die Gewalt erfahren, auch Hilfe. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir im kommenden Jahr Bundesmittel in die Hand nehmen und ein Aktionsprogramm gegen Gewalt an Frauen auflegen. 5,1 Millionen Euro werden dafür veranschlagt, und dieses Geld steht, wie schon ausgeführt, für den Ausbau und die finanzielle Absicherung der Arbeit von Frauenhäusern und ambulanten Hilfs- und Betreuungseinrichtungen zur Verfügung. Bund, Länder und auch die Kommunen beraten an einem runden Tisch mit Praktikerinnen, welche Maßnahmen sinnvoll und notwendig sind. Wir als Bund wollen mithelfen, Lücken im Versorgungssystem für von Gewalt betroffene Frauen zu schließen. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben ja alle sicherlich den Koalitionsvertrag gelesen – ich habe es getan –, und da steht drin: Wir wollen eine Bundesstiftung für die Gleichstellung. ({7}) Und jetzt wird es Zeit, dass wir das in die Tat umsetzen; ({8}) denn Simone de Beauvoir sagte einmal – ich zitiere; Frauen müssen jetzt zuhören –: Frauen, die nichts fordern, werden beim Wort genommen – sie bekommen nichts. Also, liebe Kolleginnen: Packen wir es doch endlich an; ({9}) denn solange wir in unserer Gesellschaft keine echte Gleichstellung haben, Frauen immer noch bei der Besetzung von Stellen, bei der Bezahlung oder in der Öffentlichkeit diskriminiert werden, so lange müssen wir auch Geld in die Hand nehmen, um für Gleichstellung zu sorgen. ({10}) Ja, ich gebe zu: In besonderen Lebenslagen brauchen Frauen entsprechende Hilfen. Darauf zielen zum Beispiel die Hilfen bei ungewollter Kinderlosigkeit oder für die vertrauliche Geburt. Nach der Erhöhung in diesem Jahr werden wir bei den Beratungen über den Haushalt 2019 darüber sicherlich noch mal sprechen. Hilfen für schwangere Frauen in Notlagen gibt es zudem bei der Bundesstiftung Mutter und Kind. Auf unbürokratischem Weg gibt es ergänzende finanzielle Mittel, die den betroffenen Frauen und ihren Familien die Entscheidung für das Leben des Kindes und die Fortsetzung der Schwangerschaft erleichtern sollen. Die Ausgaben im Etat – das wissen wir alle – sind aufgrund der gesetzlichen und vertraglichen Leistungen im Großen und Ganzen festgeschrieben. Mit dem Elterngeld, dem Kindergeld, dem Kinderzuschlag, der Neuregelung des Unterhaltsvorschusses, dem Ausbau der Kinderbetreuung und nicht zuletzt mit der Frauenquote, dem Entgelttransparenzgesetz und dem neuen Sexualstrafrecht – ich sage nur das Stichwort „Nein heißt Nein“ – haben wir Sozialdemokraten in den letzten Jahren viel für Frauen erreicht, und das ist gut so. ({11}) Bei der Gleichberechtigung sind wir damit tatsächlich einen kleinen Schritt weiter. Es gibt aber noch eine Menge zu tun; denn wir sind noch nicht am Ende. ({12}) – Das erzähle ich dir gleich, bilateral. Die deutsche Frauenrechtlerin Hedwig Dohm sagte einmal: Die stärkste Waffe der Frauen, den Männern gegenüber, ist die Zunge. Selbst Schönheit steht in zweiter Linie. Also, liebe Frauen, liebe Kolleginnen: Nutzen wir sie doch, unsere Zunge! Der § 219a gehört abgeschafft. Vielen Dank. ({13})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Stadler. – Als Nächstes für die Fraktion der AfD die Kollegin Mariana Harder-Kühnel. ({0})

Mariana Iris Harder-Kühnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004736, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn man den Haushaltsentwurf 2019 unbefangen liest, dann muss man den Eindruck gewinnen, dass es den Familien, Frauen und Kindern in Deutschland künftig blendend gehen wird. Es sollen über 10 Milliarden Euro investiert werden: mehr Elterngeld, mehr Geld für Kinderbetreuung, mehr Geld für Gleichstellung und mehr Geld für scheinbar mehr Demokratie. Aber es ist das Geld der Steuerzahler, und es ist unsere verdammte Pflicht, darauf zu achten, dass es wirksam eingesetzt wird. ({0}) Wir müssen also hinterfragen, ob durch diese immensen Ausgaben für Familien, Frauen, Kinder und für unsere Demokratie tatsächlich ein Mehrwert entsteht. Schauen wir uns einmal die Lebenswirklichkeit in Deutschland anhand von Fakten an. Fakt ist, dass die Belastungen durch Steuern und Abgaben in den letzten Jahrzehnten explodiert sind: Sozialabgaben, Mehrwertsteuer, Mineralölsteuer wurden fast verdoppelt, neue staatliche Belastungen zum Beispiel durch den Soli, das EEG und die GEZ-Gebühr sind zusätzlich entstanden. Die Reallöhne stagnieren. Der Staat finanziert sich mittlerweile fast zur Hälfte aus Verbrauchsteuern, die insbesondere Familien mit mehreren Kindern und Alleinerziehende belasten. Fakt ist, dass die Familien- und Kinderarmut trotz guter Konjunktur immer mehr um sich greift, obwohl Eltern und Gesellschaft immer weniger Kinder zu versorgen haben, obwohl immer mehr Mütter erwerbstätig sind und obwohl die Zahl der Arbeitslosen in den vergangenen Jahren gesunken ist. ({1}) Fakt ist, dass Förderungen wie die Kindergelderhöhung um 10 Euro die immer größer werdende Abgabenlast nicht ansatzweise kompensieren können. ({2}) Fakt ist, dass die Abgabenlast für Familien mittlerweile so erdrückend ist, dass Mütter und Väter in die doppelte Berufstätigkeit gezwungen werden, um sich ihre Kinder überhaupt noch leisten zu können. ({3}) Fakt ist, dass der Staat den immensen Bedarf an staatlicher Fremdbetreuung durch die hohe Abgabenlast selbst verursacht hat. Und Fakt ist auch, dass er damit die Lufthoheit über den Kinderbetten ausbaut und mehr und mehr in das Erziehungsrecht der Eltern eingreift. ({4}) Fakt ist, dass Eltern, die zugunsten ihrer Kinder nicht oder nur eingeschränkt berufstätig waren, durch unser Rentensystem noch immer stark benachteiligt sind. Und Fakt ist, dass trotz ständig erhöhter Ausgaben in den vergangenen Haushalten für Programme wie „Demokratie leben!“ die Zahl der politisch motivierten Gewalttaten in den letzten fünf Jahren kontinuierlich angestiegen ist, vor allem im Bereich des Linksextremismus. ({5}) Meine Damen und Herren, jedes Unternehmen mit dieser Erfolgsbilanz könnte einpacken. Das wirklich Gutgemachte an diesen und vorangegangenen Haushaltsausgaben ist das Marketing: Der Staat nimmt den Familien erst mal viel Geld weg, gibt ihnen dann einen kleinen Teil zurück und verkauft dies als großzügige Familienförderung. Bravo! ({6}) Aber keine der vorgesehenen Ausgaben wird an den oben genannten Fakten und der Lebenswirklichkeit in Deutschland etwas ändern ({7}) und wesentlich dazu beitragen, die demografische Katastrophe, auf die wir zusteuern, zu verhindern, ({8}) die wachsende Armut von Kindern und älteren Menschen zu stoppen und Gleichberechtigung und Demokratie tatsächlich zu fördern. ({9}) Wenn Sie wirklich etwas für unsere Familien, Frauen, Kinder und Männer in Deutschland tun wollen, dann entlasten Sie die Familien. ({10}) Weniger statt mehr ist die Devise: weniger Abgaben, weniger Steuern. Schaffen Sie den Soli, das EEG und den Rundfunkbeitrag ab. Passen Sie die Kindergeldzahlungen für Kinder, die im Ausland leben, endlich an die dortigen Lebenshaltungskosten an. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Mariana Iris Harder-Kühnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004736, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Nein. – Führen Sie das in Frankreich erfolgreiche Familiensplitting endlich auch in Deutschland ein. Nehmen Sie den Eltern damit den Druck zur doppelten Berufstätigkeit. Finanzieren Sie nicht einseitig die Fremdbetreuung, sondern stellen Sie tatsächliche Wahlfreiheit der Eltern her. ({0}) Versetzen Sie Mütter und Väter finanziell in die Lage, ihre Kinder selbst betreuen zu können, wenn sie das möchten; denn Eltern tun ihren Kindern gut. ({1}) Schaffen Sie eine Willkommenskultur für Kinder, und sorgen Sie dafür, dass Frauen aus finanziellen Gründen nicht länger zur Abtreibung gezwungen sind, sondern ihre Kinder in Geborgenheit großziehen können. ({2}) Etablieren Sie endlich ein Sozialversicherungs- und Rentenrecht, das die Anerkennung von Erziehungsleistung angemessen berücksichtigt. ({3}) Sorgen Sie für echte Chancengleichheit im Sinne von Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen statt für bloße Gleichstellung; denn keine Frau möchte als bloße Quotenfrau abqualifiziert werden. ({4}) Stoppen Sie die unkontrollierte Zuwanderung aus Gebieten, in denen die Gleichberechtigung der Frau ein Fremdwort ist! Sorgen Sie für mehr echte Demokratie! Da wären wir angesichts der unzähligen Übergriffe auf unsere Mitglieder ganz bei Ihnen; denn wir wollen keinen Extremismus – egal ob er links, rechts oder religiös motiviert ist. ({5}) Führen Sie die Demokratieklausel wieder ein, und orientieren Sie die Höhe der Auszahlungen für Projekte gegen Extremismus am Verfassungsschutzbericht! Leugnen Sie nicht die Realität, und bewilligen Sie endlich größere Summen auch für den Kampf gegen links und nicht für den Kampf gegen alles, was nicht ausdrücklich links ist! ({6}) Stecken Sie Gelder in Imagekampagnen für Familien! Sorgen Sie dafür, dass Kinder nicht länger als karrierehemmender Ballast dargestellt werden, sondern als die wunderbare Bereicherung, die sie wirklich sind! Denn Ihre primäre Aufgabe ist es, Politik für das eigene Volk zu machen. ({7}) Wenn Sie der AfD folgen und all diese Maßnahmen durchführen, dann müssen wir in Haushaltsdebatten künftig nicht mehr über die Bekämpfung von Familien-, Kinder- und Altersarmut debattieren; vielmehr werden wir von allem ein Mehr haben: ein Mehr an Gleichberechtigung, ein Mehr an Freiheit und Demokratie, ein Mehr an Kindern, ein Mehr an Zukunft für unsere Familien, Frauen, Kinder und auch Männer in Deutschland. Vielen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Weinberg, einen kleinen Moment. Ich rufe Sie auf, wenn es so weit ist. Angesichts des dringenden Wunsches und der Bedeutung der Sache erteile ich der Kollegin Dörner für eine Kurzintervention das Wort.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Schade, dass Frau ­Harder-Kühnel meine Zwischenfrage nicht zugelassen hat, um dann unmittelbar zu antworten. Das ist jetzt der zweite Durchlauf an Haushaltsberatungen, die wir in diesem Parlament unter Beteiligung der AfD erleben. Sie haben hier einen langen Sermon abgelassen, was alles zu tun ist. Ich möchte Sie ganz konkret fragen, auch angesichts der letzten Haushaltsberatungen: Welche konkrete Initiative hat es im Haushaltsausschuss oder in diesem Parlament bis dato seitens der AfD gegeben, um etwas gegen Kinderarmut oder Familienarmut zu tun? ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin Harder-Kühnel, Sie dürfen antworten, wenn Sie möchten. ({0}) Es gibt keine Pflicht, zu antworten.

Mariana Iris Harder-Kühnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004736, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Wir haben in den letzten Haushaltsberatungen diverse Anträge eingebracht. Diese wurden in der Ausschusssitzung komplett vom Tisch gewischt. ({0}) Sie wurden im Block abgestimmt, ohne dass man darüber überhaupt debattiert hat. Wir haben diverse Anträge in der Pipeline bzw. in Vorbereitung. Lassen Sie sich überraschen! Wir starten durch. Danke. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als Nächstes hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Marcus Weinberg das Wort. ({0})

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dann kommen wir mal zu den Maßnahmen, die man in der Familienpolitik anzustreben hat. Was Familien jedenfalls nicht wollen, ist genau das, was Sie gerade getan haben. Sie erklären eine Ideologie für ein Familienbild. Dieses Familienbild machen Sie sozusagen zur Voraussetzung für Familienpolitik. Familien wollen aber frei sein in ihrer Entscheidung. ({0}) Sie wollen nicht ideologiegeleitet diktiert bekommen, was sie zu tun oder nicht zu tun haben. ({1}) Wir haben mit unserem Ansatz in den letzten Jahren gerade das Thema Freiheit für Familien gestärkt und ihnen die Möglichkeit eröffnet, frei zu entscheiden. Frau Kollegin, Sie sollten sich einmal die Umfragen dazu, was Eltern eigentlich wollen, anschauen. Die Mütter wollen früher wieder in den Beruf zurück; die Väter wollen etwas weniger arbeiten, um sich um die Kinder kümmern zu können. Die meisten Eltern sind mit den Rahmenbedingungen auch hinsichtlich der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zufrieden. Wenn Eltern sich das wünschen, dann müssen wir als Staat die Rahmenbedingungen dafür setzen. Ich nenne die Stichworte „Ausbau der Kindertagesbetreuung“ bzw. „Angebote der Ganztagsbetreuung für Kinder“. ({2}) 82 Prozent der Familien sagen übrigens, dass der Zusammenhalt in Familien stark ist. Das heißt, Kernfundament für die Familie ist der Zusammenhalt in der Familie. Ich glaube, es ist gesellschaftspolitisch gerade in diesen Tagen, in denen wir viel über den gesellschaftlichen Zusammenhalt reden, wichtig, dass wir zunächst schauen, die Rahmenbedingungen für Familien so zu setzen, dass der Zusammenhalt in der Familie gestärkt wird. Deswegen haben wir auch in diesem Haushalt wieder die richtigen Linien gezogen. Wir haben uns immer an dem Dreieck orientiert: Was können wir im Bereich der Infrastruktur tun? Was können wir im Bereich der finanziellen Sicherheit von Familien tun? Und was können wir tun, damit Familien mehr Zeit für sich, für die Kinder, aber auch für die Pflegebedürftigen haben? Die Ergebnisse der letzten Jahre können sich ja durchaus sehen lassen. Ich will nur daran erinnern: Ausbau der Kindertagesbetreuung von 2006 bis 2013 bei den unter Dreijährigen von ehemals 13,6 Prozent Betreuungsquote auf mittlerweile 33,1 Prozent Betreuungsquote, Rechtsanspruch – auch das hat die Koalition ja im Koalitionsvertrag niedergeschrieben – auf eine Ganztagsbetreuung, Kitaausbau, Baukindergeld und Erhöhung des Kindergelds um am Ende 25 Euro. Das sind dann, wenn Sie zwei Kinder haben, 300 Euro pro Kind im Jahr, das heißt 600 Euro für die Familie. Der Etat liegt mittlerweile bei 10,3 Milliarden Euro – gegenüber ehemals 4,5 Milliarden Euro im Jahr 2005. Nun ist Geld nicht alles, sondern es geht auch um Qualität. Damit komme ich zum ersten Punkt, zum sogenannten Gute-Kita-Gesetz. Ein Gute-Kita-Gesetz ist Ziel der Koalition. Wir sind jetzt endlich nach dem Ausbau, nachdem wir 10 Milliarden Euro in den Ausbau der Kindertagesbetreuung investiert haben, in der Epoche, in der wir dazu kommen, die Qualität zu steigern. Ich kann für uns von der Union sagen: Für uns sind zwei Dinge wichtig. Wir haben in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben, dass auch die Beitragsfreiheit bzw. die Staffelung der Beiträge ein Ziel ist. Aber für uns ist ganz klar: Uns geht es in erster Linie um den Qualitätsausbau. Das bestätigen uns übrigens alle, die sich mit dem Thema beschäftigen. Von der Bertelsmann-Stiftung, namentlich Herr Dräger, über den Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband bis zum Deutschen Städte- und Gemeindebund sagen alle: Achtet in erster Linie auf die Qualitätssteigerung. Satt und sauber reicht nicht. Vielmehr muss es eine gute Qualität der Betreuung geben. – Deshalb werden wir sehr darauf achten, auch in der parlamentarischen Beratung des Entwurfes, der ja möglicherweise bald schon im Kabinett ist, dass hier Beitragsfreiheit, Beitragssenkung und Qualität im Ausgleich sind. Der zweite Punkt: Es ist natürlich auch eine Frage der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Wir sind gerne bereit, weil es eine nationale Aufgabe ist, viel für den Qualitätsausbau im Bereich der Kindertagesbetreuung zu investieren. Aber wir haben auch die Erwartungshaltung, dass es verbindliche Zusagen und Verträge mit den Ländern gibt; denn auch die Länder haben sich an dieser großen Aufgabe zu beteiligen. Das darf nicht zulasten der Kommunen gehen. Es kann am Ende nicht sein, dass wir als Bund viel Geld bereitstellen – 5,5 Milliarden Euro bis 2021 – und in der Abfolge die Kommunen das dann abarbeiten müssen, die Länder das aber in ihren Haushalten möglicherweise ausgleichen. Wir werden als Union sehr darauf achten, dass die Finanzbeziehungen in dieser Frage gesichert werden. In diesem Zusammenhang werden wir auch vor der Herausforderung der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern stehen. Sie wissen alle, dass es da viele Berechnungsgrößen gibt. Wir werden bis 2025 einen Mehrbedarf von möglicherweise 300 000 Erzieherinnen und Erziehern haben. Zum einen ist da die Gruppe derer, die in Pension bzw. Rente gehen, zum anderen die Gruppe derer, die wir brauchen, weil ja seit einigen Jahren die Geburtenrate endlich wieder nach oben gegangen ist. Schließlich sind da diejenigen, die aufgrund von Qualitätsstandards, also bezüglich der Gruppengröße, jetzt zusätzlich gebraucht werden. Ich stimme Ihnen zu: Es wird tatsächlich eine neue nationale Aufgabe werden, auch diese Zahl an Erzieherinnen als Fachkräfte zu bekommen. Da wird der Bund sicherlich auch unterstützen. Sie haben es formuliert, Frau Ministerin: Unterstützen heißt nicht, dass wir es finanzieren. Vielmehr werden wir mit den Ländern und mit den Kommunen gemeinsam eine konzertierte Aktion starten müssen, um diese große Aufgabe bis 2025 hinzubekommen. Ich glaube, auch da muss man an die Aufgabenstruktur der Länder appellieren. Frau Dörner hat bereits vieles aus unserer Koalitionsvereinbarung zum Thema Kinderschutz zitiert. Ich will es auch noch einmal deutlich machen: In jeder Klasse gibt es ein bis zwei Kinder, die Missbrauch oder sexualisierte Gewalt erlebt haben. Das ist der eigentliche Skandal in diesem Land. ({3}) Ich sage ganz deutlich für uns: Wir werden in dieser Frage nicht ruhen. ({4}) Wir werden genau überlegen. Wir haben in der Koalitionsvereinbarung ja beschrieben, was wir zu tun haben: Qualifizierung der Richter, Gutachten im Sachverständigenwesen, die Frage der Verfahrensbeistände. Alle Personen, die mit Kindern arbeiten, müssen den höchsten Standard erfüllen. Der Themenbereich „sexualisierte Gewalt und Kindesmissbrauch“ ist einer der dramatischsten in dieser Gesellschaft. Da muss ich sagen: Auch da geht wieder der Appell an die Länder. Wir haben für uns gesagt: Wir wollen eine klare Qualifizierungsoffensive der Richterinnen und Richter haben. Es kann nicht sein, dass die Länder sich in dieser Frage sperren. Wenn es eine gemeinsame Aufgabe ist, dann sind wir gerne dabei, zu unterstützen, aber wir sagen auch ganz deutlich: Das müssen wir gemeinsam hinbekommen. Deswegen auch an dieser Stelle der Appell an die Länder: Bitte die Qualität in der Richterausbildung und die Qualifizierung der Richter voranbringen! ({5}) Wir werden dann natürlich alle Akteure beteiligen. Die berühmte erste Reform des SGB VIII war ja nicht ganz so erfolgreich. Ich bin aber guter Dinge, dass wir es jetzt hinbekommen, dass wir gemeinsam mit allen beteiligten Akteuren, wenn wir uns ein bisschen mehr Zeit nehmen, ein gutes Konstrukt hinbekommen, um in den nächsten 12 bis 18 Monaten eine SGB-VIII-Reform auf den Weg zu bringen, die dann auch für die nächsten Jahre wirken wird. Ein weiterer Punkt: Thema Zusammenhalt. Da wurde schon von der Kollegin Nadine Schön die Frage der Programme und die Erwartungshaltung, die wir als Union haben, angesprochen. Es ist gut, dass es die 115 Millionen Euro gibt. Ich sage aber auch ganz deutlich: Wir werden in Zukunft stärker darauf achten, dass die Mittel auch bei denen ankommen, die diese dann ganz gezielt einsetzen, um die Demokratie zu stärken. Eine deutliche Kontrollfunktion des Staates – das hat der Kollege von der FDP ja auch angesprochen – müssen wir in diesem Bereich leisten. Letzter Punkt – das möchte ich auch noch einmal unterstreichen –: Es gibt 30 Millionen Menschen in diesem Land, die sich engagieren, zum Beispiel bei der Freiwilligen Feuerwehr, beim Fußballverein. Das sind die Träger der Zivilgesellschaft. Das sind übrigens diejenigen, die den Zusammenhalt stärken. Natürlich gibt es viele staatlich geförderte Gruppen, die auch Demokratieprogramme umsetzen. Das finde ich auch wichtig. Aber noch einmal: Die eigentliche Stärke der Gesellschaft ist das Engagement von Ehrenamtlichen in vielen kleinen Vereinen, in dörflichen Gemeinschaften, aber auch in Großstädten. Ich komme aus Hamburg. Auch bei uns gibt es Jugendfeuerwehren. Das kennen Sie alles. Ich sage hier ganz deutlich: Wenn wir das Ehrenamt stärken wollen, dann müssen wir – Stichwort „Stiftung“ – sehr stark darauf achten, dass wir nicht die nächste staatliche Organisation schaffen. Wir müssen vielmehr denjenigen Antworten geben, die uns fragen: Wie verhält es sich aktuell mit der Steuergeschichte? Wie verhält es sich mit der Erleichterung, wenn ich ehrenamtlich zwei Tage mit der Gruppe wegfahre? – Unser Kerngeschäft, das wir zu leisten haben, ist, die Rahmenbedingungen zu setzen. Deswegen werden wir bei der Frage nach der Ehrenamtsstiftung bzw. Freiwilligenstiftung sehr darauf achten, dass wir die jetzigen Strukturen stärken. Wir wollen im Ergebnis dazu kommen, dass der Zusammenhalt der Gesellschaft von diesen Gruppen wieder mitgetragen wird; denn in diesen Zeiten brauchen wir alle Gruppen der Gesellschaft, bei denen das Thema Zusammenhalt eine Rolle spielt. Noch einmal – damit komme ich zum Anfang zurück –: Es ist die Familie, die als Allererstes diesen Zusammenhalt lebt und stärkt. Deswegen ist Familienpolitik ein wichtiges Politikfeld; denn damit stärken wir auch den Zusammenhalt der Gesellschaft. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als Nächstes für die FDP-Fraktion die Kollegin Nicole Bauer. ({0})

Nicole Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte sprechen wir über weit mehr als Familie, Frauen, Senioren und Jugend. Wir sprechen darüber, wie wir Verantwortung füreinander übernehmen, und über das Miteinander in unserer Gesellschaft. Wir sprechen darüber, welche Voraussetzungen wir für starke Familien schaffen müssen. Und wir sprechen darüber, wie wir den älteren Menschen das Gefühl geben, keine unzumutbare Belastung für ihre Angehörigen zu sein. Um all das zu fördern, haben wir circa 10 Milliarden Euro in diesem Einzelplan 17. Gemessen an dem Gesamthaushalt ist das nicht viel. Trotzdem und gerade deshalb ist es so notwendig, dass die Gelder wirksam eingesetzt werden – ({0}) im Sinne der Familien, aber auch im Sinne aller Steuerzahler. Gut gemeint heißt nämlich noch lange nicht gut gemacht – so wie Ihr Gute-Kita-Gesetz. Ursprünglich hatten Sie eine halbe Milliarde Euro schon in diesem Haushalt angekündigt. Wo ist denn das Geld, Frau Giffey? Davon einmal abgesehen: Was ist eigentlich eine gute Kita? Kinder wollen nicht nur beaufsichtigt werden. Sie wollen bestmöglich gefördert werden, ({1}) und zwar unabhängig davon, wo sie in Deutschland wohnen. Vor Beitragsfreiheit auf Kosten der Qualität warnt uns auch die Bertelsmann-Stiftung. Laut einer Studie würden allein jedes Jahr 15 Milliarden Euro benötigt werden, um Beitragsfreiheit bundesweit zu finanzieren. Zur Erinnerung: Sie wollten das schaffen, haben aber für die nächsten vier Jahre nur 5,5 Milliarden Euro. Das passt nicht zusammen. Sie als Familienministerin, Frau Giffey, wissen doch, wie wichtig eine gute Kita für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist. Sie als Sozialdemokratin wissen doch, wie wichtig Chancengerechtigkeit von Anfang an ist. Sie als Frau von der Basis wissen auch, wie die Realität aussieht. Zeigen Sie uns das! Versprechen Sie nichts, was Sie dann nicht finanzieren können! ({2}) Nächste Baustelle: das Familienpflegezeitgesetz. Im Kern ist es eine gute Idee, Angehörige bei der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu unterstützen. Aber das Geld kommt nicht dort an, wo es gebraucht wird. Das sehen wir auch bei anderen Maßnahmen: Wie mit einer Gießkanne werden familienpolitische Leistungen – über 150 Stück – verteilt. Das ist teuer, aber eben nicht wirksam und auch nicht passgenau, meine Damen und Herren. ({3}) Wirksam wäre ein Kindergeld 2.0, mit dem wir Freie Demokraten diese vielen verschiedenen Gelder bündeln wollen. Passgenau wäre, Kinderwünsche unabhängig vom Wohnort zu fördern. Deshalb wird meine Fraktion auch ihren Antrag erneut einbringen. Bringen Sie bitte endlich Licht ins Leistungsdickicht, Frau Giffey! Evaluieren Sie zügig und ziehen Sie die notwendigen Konsequenzen! Das erwarten wir von Ihnen. ({4}) Schließlich möchte ich auch noch auf die Ereignisse in Chemnitz eingehen; das wurde ja in vielfacher Weise heute schon angesprochen. In Ihrer Hand, Frau Giffey, liegt es auch, die Maßnahmen zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie in unserem Land zu fördern. Die Gedenkstätte Hohenschönhausen hat gerade zusätzliche 5 Millionen Euro für Projekte gegen Linksextremismus erhalten. Mir persönlich ist es egal, ob der Stein von links oder von rechts geschmissen wird. Ich wie auch meine gesamte Fraktion verabscheuen jegliche Art von Gewalt. ({5}) Genau deshalb wäre es momentan genauso wichtig, explizit die Arbeit gegen den Rechtsextremismus in unserem Land stärker zu fördern. Wir haben Sie, Frau Giffey, als jemanden kennengelernt, die anpacken und aufräumen möchte. Die Schonfrist ist nun vorbei. Packen Sie an! Räumen Sie auf! Zeigen Sie, dass es Ihnen wirklich am Herzen liegt, dass das Geld dort ankommt, wo es gebraucht wird: bei den Familien, die damit selbst entscheiden können, wie sie ihr Leben, Verantwortung füreinander gestalten wollen. Dafür danke ich Ihnen recht herzlich. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Bauer. – Als Nächstes für die Fraktion Die Linke der Kollege Norbert Müller. ({0})

Norbert Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004613, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Schön, Sie zu sehen. Meine Damen und Herren! ({0}) – Es war eigentlich ganz ernst gemeint.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Das gibt keinen Sonderzuschlag.

Norbert Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004613, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Schade. Nicht einmal fünf Sekunden? – Ich habe in den sozialen Medien gestern verschiedentlich gelesen, der Kollege Johannes Kahrs hätte mit einer knackigen Rede – ich zitiere – den Bundestag entnazifiziert. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD: Da Johannes Kahrs jetzt gerade nicht da ist, übermitteln Sie doch bitte meinen Dank. ({0}) Denn unser Ziel muss es doch sein, die Präsenz von Rechtsextremismus auf ein Minimum zu beschränken. Das gilt hier im Haus wie auch auf den Straßen dieser Republik. Möglicherweise ist es ja auch bereits ein bisschen gelungen. Wenn ich das so sehe, ist von den fünf Mitgliedern der AfD-Fraktion im Familienausschuss ({1}) noch einer hier. Das heißt, zumindest da hat sie Ihre Präsenz schon erheblich reduziert. Einen wichtigen Beitrag leistet dazu das Bundesprogramm „Demokratie leben!“. Deswegen freut es mich außerordentlich, dass dieses Programm im vorliegenden Haushaltsplan erneut gut finanziell ausgestattet wird. Ich finde, dafür muss man auch einmal die Bundesregierung loben. ({2}) Warum ist „Demokratie leben!“ so wichtig? Es richtet sich gegen so ziemlich alle menschenverachtenden Einstellungen, denen hier tagtäglich Tür und Tor geöffnet wird: Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus, Homophobie, Sexismus, inzwischen sogar Behindertenfeindlichkeit. Ja, diese verschiedenen Spielarten von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind die ideologische Klammer der Rechtspopulisten. Sie reden ja so gerne über Chemnitz. Im gesamten Jahr 2017 gab es in Chemnitz 20 rechtsextreme Gewalttaten. Das ist fürchterlich genug. Doch allein in der Woche nach dem 26. August 2018 – in einer Woche, genau genommen in sechs Tagen – zählte die Opferberatungsstelle des RAA Sachsen allein in Chemnitz 30 rechte Gewalttaten. Wegen der massiven rassistischen Mobilisierung gab es also innerhalb von sieben Tagen mehr rechte Gewalttaten in Chemnitz als im gesamten Jahr 2017. Und dafür tragen Sie eine Mitverantwortung! ({3}) Und oft genug sind es die „Demokratie leben!“-Projekte, die erfolgreich junge Menschen gegen das Gift der AfD immunisieren. Ebenjene zivilgesellschaftlichen Akteure sind es, die sich mittlerweile jeden Tag in Köthen, in Chemnitz und an ganz vielen anderen Orten der Republik engagieren und Gesicht zeigen. Frau Giffey, ich fand es wirklich klasse – Katja Dörner hat es bereits gesagt –, wie Sie gleich nach den rassistischen Ausschreitungen und Hetzjagden nach Chemnitz gefahren sind und dort deutlich Haltung gezeigt haben. ({4}) Das hätte ich mir im Übrigen auch von anderen Mitgliedern der Bundesregierung gewünscht. ({5}) Ich habe aber durchaus Zweifel, was ein Demokratiegesetz konkret bringen soll; denn ich finde, wir haben mit „Demokratie leben!“ bereits ein sehr erfolgreiches Programm, welches die Demokratie fördert. Und darüber hinaus haben wir sehr, sehr viele tolle zivilgesellschaftliche Initiativen und Projekte – auch schon sehr alte – wie zum Beispiel den Verein Miteinander e. V. aus Sachsen-Anhalt, der gerade von Poggenburg und Co von der AfD massiv angegriffen wird. Mit ihnen sollten wir uns ausdrücklich solidarisieren, und das möchte ich an dieser Stelle auch tun. ({6}) Was wir dringend brauchen, ist endlich eine Entbürokratisierung von „Demokratie leben!“ – das haben wir mehrmals angemahnt – und eine langfristige Absicherung der Projekte. Denn wenn man sich einmal bei den zahlreichen Vereinen und Verbänden umhört, dann sagen viele, dass sich eine Antragstellung kaum lohnt. Sie ist zu aufwendig, sie ist zu bürokratisch. Wir brauchen Projekte, die überjährig und dauerhaft finanziert werden, und deutlich weniger Bürokratie. Letzter Satz, Herr Präsident: Ich finde im Übrigen, hier wäre das Geld wesentlich besser angelegt als bei einem maßlos aufgeblasenen Verfassungsschutz, der Politikberatung für den rechten Rand dieses Hauses leistet. Herzlichen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Als Nächstes für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Ekin Deligöz. ({0})

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin Giffey, auch ich fange – etwas ungewöhnlich – mit einem Lob an: Vielen Dank dafür, dass Sie in Chemnitz waren; denn mit Ihrem Besuch haben Sie auch die Grundwerte unserer Verfassung dort verteidigt. Es war gut so, dass Sie das gemacht haben. ({0}) Allerdings muss ich Ihnen gestehen: Ich hätte mir das auch vom Verfassungsminister gewünscht, nämlich von Innenminister Seehofer. Er hat stattdessen Öl ins Feuer gegossen. ({1}) Mit seinem Satz, dass Migration die Mutter aller Probleme sei, hat er ein Signal gesetzt. Mir ist noch völlig unklar, was er damit erreichen wollte. Was wollte er uns damit eigentlich nahelegen? Will er uns damit sagen, dass die Reinheit der Nation die Lösung aller Probleme ist? Will er damit sagen, dass Menschen wie ich in diesem Land nicht dazugehören, dass unsere Leistung nichts zählt? Was auch immer es ist, was er damit sagen will: Dieser Satz ist falsch, ({2}) dieser Satz ist irreführend, dieser Satz ist beleidigend, und dieser Satz grenzt Menschen in diesem Land pauschal aus; und das dürfen wir nicht zulassen. ({3}) Gerade weil das so ist, brauchen wir die Verstetigung der Mittel im Bereich der Demokratieförderung. Ich hoffe, dass die Union, die dann und wann den entsprechenden Programmen sehr kritisch gegenüberstand, das jetzt überwindet, sich mit einreiht und sagt: Wir brauchen diese Mittel verstetigt und zuverlässig, und wir brauchen womöglich sogar mehr davon, um die entsprechenden Signale zu setzen. An dieser Stelle übrigens vielen Dank an alle jungen Menschen und Schülerinnen und Schüler, die sich in solchen Programmen mutig und aktiv engagiert zeigen, wie zum Beispiel bei „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Es kostet sie viel Kraft, und es ist gut so, dass sie das machen. Danke für den Mut, den sie hier aufbringen! ({4}) Jetzt komme ich noch kurz zu Ihrem Etat, Frau Ministerin. Erstens freut es mich, dass Sie jetzt den Vorschlag zu den Freiwilligendiensten aufnehmen. Auch da geht es um die Jugendlichen. Als ich im letzten Haushaltsverfahren gesagt habe: „Machen Sie doch bitte mal eine Bedarfsermittlung, damit wir sehen, wie hoch der Bedarf tatsächlich ist“, sind Sie gar nicht darauf eingegangen; Sie haben das ignoriert; Sie haben unsere Anträge ignoriert. Jetzt plötzlich reden Sie davon, dass es ausgebaut werden muss. Gut, dass Sie unsere Ideen übernehmen! Wir haben noch viel mehr, was wir Ihnen geben können. Sie können sich daran bedienen. Noch besser wäre es allerdings, wenn Sie die Anträge dann ernst nähmen, wenn wir sie stellen, anstatt darüber hinwegzugehen und sie für nichtig zu erklären. Ein Zweites. Sie sind ja engagiert, und das ist gut. Sie klappern, und das gehört auch zum Geschäft. Aber, ehrlich gesagt, an manchen Stellen klappern Sie leider zu viel. Ich gebe Ihnen mal ein paar Beispiele: Sie sagen, Erzieherinnen sollen höhere Gehälter kriegen. Super, finde ich gut – liegt nur nicht in Ihrem Kompetenzbereich, ({5}) und Geld haben Sie dafür auch nicht zur Verfügung. Sie sprechen von Führerscheinentzügen bei nicht gezahltem Unterhaltsvorschuss. Sie haben das angekündigt, nur bedauerlicherweise haben Sie keine Kompetenz dafür. ({6}) Sie sagen, jeder Lehrer sollte mindestens einmal in einer Brennpunktschule arbeiten; aber Sie haben keine Kompetenz und keine Finanzmittel dafür. Sie machen hier Ankündigungen, die Sie gar nicht halten können, und werden damit bedauerlicherweise zu einer Ankündigungsministerin. Und das Ganze setzt sich auch noch fort. Ihre Rede bestand aus Überschriften. Sie kündigen an, den Kinderzuschlag zu erweitern, um mehr Kinder zu erreichen; aber die Mittel, die Sie dafür eingestellt haben, reichen nicht aus, um diese Anforderungen zu erfüllen. ({7}) Sie sagen, es solle eine Vertragslösung mit den Ländern im Zuge des Gute-Kita-Gesetzes geben. Nur ist mir völlig schleierhaft, wann und wo und wer diese Verträge verhandelt, wann sie endlich mal diesem Haus vorgelegt werden, wann die Haushälter mal einen Blick darauf werfen können. Und ein Letztes: Sie sagen, Frauenhausfinanzierung sei wichtig. Es bleibt vorerst aber völlig kryptisch, was Sie darunter verstehen. Frau Ministerin, Ihre Bewährungsprobe steht Ihnen noch bevor. Mir allein fehlt im Moment der Glaube, dass mehr dabei herauskommt als Überschriften. Ich hoffe es aber für dieses Land; denn das sind wir den Menschen hier schuldig. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes für die SPD-Fraktion die Kollegin Susann Rüthrich. ({0})

Susann Rüthrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004391, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer wahrhaft turbulenten Woche beraten wir jetzt den Haushalt des Familienministeriums, des „Gesellschaftsministeriums“. Ich könnte erwähnen, wie gut ich viele Punkte darin finde. Doch lassen Sie mich den Bogen grundsätzlicher spannen. Die Zeit, die ich persönlich bewusst überblicken kann, erstreckt sich ungefähr über die letzten 30 Jahre. Mit der friedlichen Revolution stand mir unerwartet die Welt offen. Ich durfte erleben, wie aus einem autoritären Land ein demokratisches wurde. Und ich wusste: Dieses Geschenk möchte ich mir nie, nie wieder nehmen lassen. Viel wurde investiert: in Straßen, in Schienen, in Städte, sozusagen in die Hardware. Wie sah es aber mit der Software aus? War uns die soziale Infrastruktur ebenso viel wert, dass die Menschen auch ankommen, mitkommen? Denn Demokratie braucht ja genau das: dass Menschen sie wollen. Schon 1991/92 zeigten sich Risse: Hoyerswerda, Rostock. Ich spürte eine existenzielle Verunsicherung bei allen um mich herum, ein Klima, in dem Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt groß wurden. Solche Beates, solche Uwes gab es viele. Eine mordende Terrorzelle bildeten nur die drei. Dann der Sommer im Jahr 2000, der „Sommer der Anständigen“, ausgerufen nach einem antisemitischen Übergriff – in Düsseldorf wohlgemerkt. Die ersten Förderprogramme entstanden. Das Engagement von vielen Aktiven wurde anerkannt. Das ist jetzt 18 Jahre her. An was ich mich nicht erinnern kann, ist, dass die Aktiven auch nur einmal gesagt hätten, dass sie einfach ihrer Arbeit nachgehen können, ohne die Frage im Hinterkopf, wie es weitergeht. ({0}) Im Frühjahr dieses Jahres habe ich einen erleichterten Seufzer gespürt: Franziska Giffey entfristet das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ – sehr, sehr gut. ({1}) Und dann stehe ich, nachdem ich bereits seit drei Jahren montags in Dresden die Innenstadt meide, weil ich Spruchgesänge wie „Absaufen! Absaufen!“ nicht ertragen könnte, nachdem ich bei den Einheitsfeierlichkeiten oder bei der Brauhausrede in Dresden vor Scham im Boden versinken wollte, dieser Tage in Chemnitz, und ich höre: Wir standen vor 30 Jahren hier, wir haben ein System gestürzt, und wir werden es wieder tun. – Ich sehe Nazis, Unterstützerumfeld des NSU, Hooligans, das Kind auf den Schultern des Papas, Menschen, die aussehen wie du und ich. Mir stehen da Menschen gegenüber, die haben nicht einfach Kritik, die haben auch keine Angst und schon gar nicht trauern sie. Sie wollen unsere Demokratie abschaffen. ({2}) Vielen geht es genau darum, und AfD-Mitglieder mitten unter ihnen. Und ich sage Ihnen: Sie werden damit keinen Erfolg haben. ({3}) Sie wollen ein anderes, ein furchtbares Land. Sie werden es nicht bekommen! Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, denen unser freiheitliches Land am Herzen liegt: Tun wir genug? Reicht es, ein Programm „Demokratie leben!“ zu haben? Reicht es, den Zusammenhalt durch die Bundesfreiwilligendienste, die Mehrgenerationenhäuser, die Jugendverbandsarbeit usw. zu stärken? Meine Antwort ist: Nein, wir müssen mehr tun. Wir müssen es deutlicher tun. Wir alle! Wir brauchen das deutliche Signal: Unsere Demokratie ist unsere Herzensangelegenheit. Wir brauchen ein Demokratiegesetz. Überall in Deutschland sollten alle Demokratinnen und Demokraten wissen: Ihr könnt euch auf uns verlassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es bei den Angriffen auf unsere Demokratie weder mit einem regionalen noch mit einem Problem einer bestimmten Altersgruppe zu tun. Deswegen sind wir auch alle verantwortlich, auch der Staat. Dass ich das eigens erwähnen muss, macht mich nach dem NSU fassungslos. Aber wenn in Chemnitz bei einem Angriff auf ein jüdisches Restaurant in zeitlichem Zusammenhang mit den größten rechtsextremen Demos der letzten Jahre nicht unmittelbar ein rechter Hintergrund erwogen wird und gleichzeitig von unseren Sicherheitsbehörden semantisch darum gerungen wird, ab wann sich Menschen ausreichend bedroht fühlen dürfen, damit von Hetzjagden gesprochen wird, ja, dann müssen wir wohl auch staatliche Stellen noch deutlicher dazu verpflichten, sich des Problems menschenverachtender Einstellungen anzunehmen. ({4}) Behörden wie auch allen anderen empfehle ich, die Seite https://demokratie-scan.netzwerk-courage.de im Internet aufzurufen und den Fragebogen auszufüllen. Wenn Sie dann zu dem Schluss kommen, dass bei Ihnen alles in Ordnung ist: Glückwunsch. Wenn Sie aber bemerken: „Ups, an der Stelle könnte ich nicht freien Herzens sagen, dass bei uns alles in Butter ist“, dann tun Sie was. Empfehlungen, was man tun kann, finden Sie im Übrigen auch auf dieser Seite. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe wie alle meine ostdeutschen Landsleute erlebt: Nichts ist selbstverständlich, unsere Demokratie schon gar nicht. – Wir lassen sie uns von keinem nehmen. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Rüthrich. – Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Sylvia Pantel. ({0})

Sylvia Pantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004370, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle können uns seit einigen Jahren über eine höhere Zahl an Geburten freuen. Das ist nicht nur eine gute Entwicklung, sondern auch ein Indiz dafür, dass wir eine gute, ausgewogene Familienpolitik betreiben. Wir investieren das Steuergeld unserer Bürger verantwortungsvoll und werden im fünften Jahr in Folge einen ausgeglichenen Haushalt beschließen, damit wir unseren Kindern und Enkelkindern eben keine neuen Schulden hinterlassen. Neben den Leistungen aus unserem Familienhaushalt gibt es natürlich noch zusätzliche Leistungen für Familien in anderen Etats – das wird häufig übersehen –, zum Beispiel das Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz mit 41,7 Milliarden Euro. Die Keimzelle der Gesellschaft sind Familien. Hier werden Kinder geboren und großgezogen, hier lernen sie an erster Stelle in Gemeinschaft und Verantwortung zu leben. Die spätere Pflege der Eltern findet meist in der Familie statt. Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft fängt in der Familie an und wird dort eingeübt. Ohne starke Familien gibt es keine Erfüllung des Generationenvertrages. Was wir mit unserer Familienpolitik heute für unsere Familien tun, sind keine Almosen, sondern Investitionen in unsere Zukunft. Dabei schreiben wir Paaren und Eltern nicht vor, wie sie ihr Familienleben gestalten oder wie sie sich Kindererziehung und Berufstätigkeit aufteilen. Wir wollen nicht durch staatliche Maßnahmen bevormunden, sondern wir wollen ermutigen, entlasten und fördern. ({0}) Die Eltern entscheiden selbst am besten für sich und ihre Familien, was gut ist. Wir wollen das Selbstbestimmungsrecht von Eltern stärken, ihre Wahlmöglichkeiten erweitern und finanziell absichern. Für unsere Familienpolitik nehmen wir viel Geld in die Hand. Im Etat des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stehen 10,3 Milliarden Euro zur Verfügung. Der größte Posten mit rund 6,86 Milliarden Euro sind Elterngeld, Elterngeld Plus und der Partnerschaftsbonus. Das sind 190 Millionen Euro mehr im Etat für 2019 als 2018. Das Elterngeld ist seit seiner Einführung 2007 neben dem Kindergeld zum Erfolgsmodell unserer Familienleistungen geworden. Wir ersetzen mit dem Elterngeld wegfallendes Einkommen, wenn Eltern ihr neugeborenes Kind betreuen und dafür ihre Berufstätigkeit unterbrechen oder einschränken. Auch wenn es bei der Auszahlung des Elterngeldes noch Verbesserungsbedarf gibt, bedeutet das Elterngeld mit der Flexibilisierung für junge Eltern mehr Wahlmöglichkeiten, und es ist eine nachhaltige Stärkung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Um die Existenzängste der Alleinerziehenden abzumildern, wurde der Unterhaltsvorschuss erweitert. Er ist eine wichtige Absicherung von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren und eine Unterstützung von Alleinerziehenden – in der Regel der Mutter –, wenn der andere Elternteil gar keinen oder eben unregelmäßig Unterhalt leistet. Hier springt der Staat vorübergehend für den säumigen Elternteil ein. Ich hoffe aber, dass die Instrumente des Staates verbessert werden, um sich das Geld beim säumigen Unterhaltszahler zurückzuholen. ({1}) Wir alle kennen die angespannte Wohnsituation, gerade für Familien mit Kindern. Viele junge Familien wünschen sich Wohneigentum, und wir werden bei der Erfüllung ihres Wunsches helfen. Wir haben im Wahlkampf versprochen, jungen Familien beim Erwerb einer selbstgenutzten Wohnung oder eines Hauses zu helfen. Wir haben Wort gehalten: Mit 120 Euro pro Monat und Kind über zehn Jahre, rückwirkend ab dem 1. Januar 2018, unterstützt der Staat nun junge Familien bei der Schaffung ihres Wohneigentums. Wir wissen, wie wichtig gute Wohnsituationen sind, gerade für Familien. Daher werden wir auf Bundesebene nächste Woche im Zusammenhang mit der Wohnraumoffensive weitere Maßnahmen wie den sozialen Wohnungsbau, die Städtebauförderung und den Mieterschutz beraten und prüfen, welche Instrumente zu einer Entspannung der Wohnsituation führen. Ein trauriges Kapitel ist Gewalt in Beziehungen. Dazu zählen körperliche, sexualisierte und physische Gewalt. Meistens sind Frauen und Kinder Opfer. Mit dem Hilfetelefon bei Gewalt haben wir ein niederschwelliges Angebot initiiert, das wirkt. In 17 Sprachen, über 24 Stunden sind die Beraterinnen erreichbar. Die Befürchtungen, eine Konkurrenz zu den bestehenden Angeboten darzustellen, wurden zerstreut. Die Mitarbeiter der 750 Fachberatungsstellen und der 350 Frauenhäuser arbeiten selbstverständlich gut zusammen. Nun benötigen wir eine weitere Optimierung unseres Hilfsangebotes. Ich weiß, dass der Bund für Frauenhäuser nicht zuständig ist. Aber wenn Frauen aufgrund von Gewalterfahrung einen Platz im Frauenhaus benötigen, ist das ein akuter Notfall. Wir müssen im digitalen Zeitalter zeigen, wie mit wenig finanziellem Aufwand intelligente Lösungen und Vernetzungen der Hilfsangebote Entlastungen bringen können. Allein die Platzsuche verbraucht viele Ressourcen. Falls vor Ort kein Platz frei ist, muss kurzfristig einer gefunden werden. Eine bundesweite Vernetzung der Frauenhäuser und die Pflege der Daten wären eine große Erleichterung. Hier gibt es in einigen Bundesländern bereits gute Beispiele. ({2}) Die Frauenhäuser in NRW sind, wie ich von der Frauenberatungsstelle in Düsseldorf weiß, sehr gut vernetzt. Man hat mir die gute Arbeit und auch die Akzeptanz des Bundeshilfetelefons gegen Gewalt bestätigt. Wenn nun eine neue Informationsplattform auf Bundesebene an das bewährte Hilfetelefon angedockt würde, könnten hohe Synergieeffekte erzielt werden. Die vorhandene Kompetenz – in 17 Sprachen, 24 Stunden täglich – könnte so für eine lückenlose Informationsplattform genutzt werden. Bei hohem Nutzen für die Betroffenen und überschaubaren Kosten kann der Bund Einrichtung, Mitarbeiterschulung und Betrieb einer digitalen Plattform unterstützen. Die Nutzung dieser Plattform sollte in jedem Fall freiwillig sein, damit dies nicht als Einmischung betrachtet wird. ({3}) Mir ist es ein persönliches Anliegen, dass wir mit der Einrichtung dieser Plattform noch im Rahmen dieses Haushalts beginnen und das Geld dafür bereitstellen, dass wir also aufhören, zu reden, und jetzt endlich handeln; denn wir kennen die Probleme. Wir haben mit den Frauenhäusern gesprochen, wir haben mit den Fachleuten gesprochen, und jetzt ist es an der Zeit, dass wir handeln. ({4}) Lassen Sie mich abschließend eine Maßnahme ansprechen, die uns die Richtigkeit des damaligen Beschlusses aufzeigt, die Frauen und Kindern in einer als ausweglos empfundenen Situation hilft und die sicher in etlichen Fällen Prävention gegen Kurzschlussreaktionen leistet: die vertrauliche Geburt. Die Kollegin hat es eben kurz angesprochen. Seit 2014 konnten 486 Kinder medizinisch sicher in einer sauberen Klinik unter guter Betreuung durch vertrauliche Geburt zur Welt kommen. Das ist eine humane Regelung für Ausnahmefälle, die viel Gutes bewirkt. Das zeigt mir, dass wir auch mit wenig Geld sehr viel erreichen und Gutes vollbringen können. Insofern hoffe ich, dass wir gerade für unsere Familien weiter konstruktiv zusammenarbeiten und gute Beschlüsse fassen. Danke. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Pantel. – Als Nächste für die Fraktion Die Linke die Kollegin Sabine Zimmermann. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Meine Damen und Herren! Fast jedes dritte Kind in diesem Land ist im Laufe seiner Kindheit arm – das besagt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung –, und jedes fünfte Kind ist sogar dauerhaft von wiederkehrenden Armutslagen betroffen. Ein dauerhaftes, sicheres, stabiles Einkommen, eine sorgenfreie Kindheit, das haben Millionen Kinder und Eltern in diesem Land nie erlebt. Meine Damen und Herren, das ist eine Schande! ({0}) Armut ist für diese Menschen nicht nur Statistik, sondern bittere Realität. Da helfen keine Rechentricks und keine Beschönigungen, mit denen Sie immer wieder versuchen, Armut in Deutschland kleinzureden. Wer bereit ist, hinzuschauen, sieht, was in diesem Land passiert: Eltern, die zu Hause nicht heizen können, Kinder, die nicht zu Kindergeburtstagen gehen können, nicht ins Kino oder in den Sportverein, weil dafür das Geld fehlt. Das geht an den Kindern nicht spurlos vorbei. Wer schon als Kind soziale Ausgrenzung erlebt, ist geprägt fürs ganze Leben. Die Linke wird deshalb niemals zulassen, dass Sie die Armut in diesem Land wegdiskutieren. ({1}) Und dann wundern Sie sich, dass die Bürgerinnen und Bürger die Nase voll haben von Ihrer Politik. Die Menschen merken doch, dass für sie nichts getan wird, dass sich ihre Situation nicht verändert. Viele schuften rund um die Uhr, haben zwei oder drei Jobs und kommen trotzdem nicht über die Runden. Wann, denken Sie, können sich diese Eltern um ihre Kinder kümmern? Die Politikverdrossenheit und die Stärke dieser Fraktion rechts außen sind die Ergebnisse Ihrer Politik für die Reichen, für die Wirtschaft, aber nicht für die Menschen in diesem Land; darüber sollten Sie mal nachdenken, meine Damen und Herren! ({2}) Kinderarmut kann man nur durch einen grundlegenden Politikwechsel bekämpfen. Wenn 96 Prozent der Kinder arbeitsloser alleinerziehender Mütter in Armut leben, dann ist das ein Totalversagen der Sozial- und Familienpolitik dieser Bundesregierung. Wo sind Ihre Konzepte, um etwas zu ändern? An einem Schräubchen hier drehen, an einem Schräubchen da drehen – so werden Sie nichts ändern. Die Vorschläge der Linken liegen auf dem Tisch: Wir brauchen einen höheren Mindestlohn, einen regulierten Arbeitsmarkt, einen starken Sozialstaat und eine Familienpolitik, die ihren Namen verdient; das wären die Lösungen, meine Damen und Herren. ({3}) Statt Familienleistungen mit der Gießkanne, von denen einkommensstärkere Familien am meisten profitieren, fordern wir eine armutsfeste Kindergrundsicherung, die jedem Kind in diesem Land gleiche Chancen sichert. ({4}) Ja, das erfordert eine andere Haushaltspolitik. Ihre Politik der schwarzen oder jetzt roten Null – ich komme zum Schluss, Herr Präsident –, Ihre Steuerpolitik, die Wohlhabende und Großunternehmen schont, Ihre Aufstockung des Kriegsetats, das ist der Grund, dass Kinder in Armut leben müssen, und das werden wir nicht hinnehmen. Ich muss Ihnen zum Schluss auch noch sagen: Wenn Sie so weitermachen wie bisher, werden die Menschen in diesem Land gegen Ihre Politik aufstehen. Danke. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Zimmermann. – Als letzter Redner zu diesem Einzelplan der Kollege Alois Rainer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alois Rainer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004384, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Etat des Bundesfamilienministeriums ist erneut wieder angestiegen, auf nunmehr circa 10,3 Milliarden Euro. Das ist ein gutes und wichtiges Zeichen für die Familien in unserem Land. Weiterhin bildet das Elterngeld bei den gesetzlichen Leistungen, die circa 80 Prozent dieses Etats betragen, einen Schwerpunkt mit knapp 7 Milliarden Euro. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist heute viel über das Programm „Demokratie leben!“ gesprochen worden. Wir haben in dieser Woche auch viel über das Thema Chemnitz gesprochen. Es wurde an den Menschen gedacht, der leider Gottes sein Leben verloren hat. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren: Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir hier über den G-20-Gipfel in Hamburg, lieber Marcus Weinberg, so viel gesprochen haben. ({0}) Was da passiert ist, war meines Erachtens unerträglich. Dass man mit Steinen, mit Betonbrocken auf Menschen, auf Polizisten schmeißt, ist genauso verwerflich wie die Demonstrationen, die wir in Chemnitz erleben mussten. Was jetzt im Hambacher Forst passiert, auch das kann ich in keinster Weise verstehen. ({1}) Gerade deshalb ist ein Programm wie das Programm „Demokratie leben!“ in meinen Augen unglaublich wichtig. Wir müssen aber aufpassen, wo und wie wir das Geld einsetzen. Es wird in diesem Haus – so hoffe ich es doch – niemanden geben, der Extremismus auf der rechten, auf der linken Seite oder religiösen Extremismus will. Deshalb müssen wir miteinander gegen den Extremismus in unserem Land arbeiten, statt ihn ständig weiter zu schüren, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({2}) Aber jetzt zurück zum Etat. Sehr verehrte Frau Ministerin, auch für den Kitaausbau werden wir weiterhin Geld zur Verfügung stellen. Sie kennen meine Einstellung: Grundsätzlich ist das keine Bundesaufgabe, es ist aber schön, wenn wir die Kommunen und die Länder bei dieser Aufgabe unterstützen. Ich würde mich aber noch mehr freuen, wenn das eine oder andere Bundesland in dieser Hinsicht seine Hausaufgaben machen würde. Ich bitte Sie darum: Schauen Sie darauf! Haben Sie ein wachsames Auge darauf, dass die Drittellösung so wie vereinbart ausgeführt wird. ({3}) Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum Bundesfreiwilligendienst sagen. Mit dem Wegfall der Wehrpflicht 2011 kam dem Bundesfreiwilligendienst in Deutschland eine wichtige und sehr bedeutende Aufgabe zu. Wir haben schon oft über die Leistungen des Bundesfreiwilligendienstes gesprochen. Uneingeschränkt kann ich die Arbeit der vielen Freiwilligen unterstützen und ihnen herzlich danken. Es ist ein Dienst an und für die Gesellschaft – ehrenwert und großartig. Vielen herzlichen Dank! ({4}) Für das Sonderprogramm „Bundesfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug“ haben wir insgesamt eine Summe von 205 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Im kommenden Haushaltsjahr 2019 soll dieser Ansatz gesenkt werden. Hierüber müssen wir noch mal sprechen; nicht nur über den Ansatz mit Flüchtlingsbezug – den finde ich so in der Gänze nicht richtig –, sondern generell über den Ansatz des Bundesfreiwilligendienstes. Wir müssen mehr Menschen die Möglichkeit geben können, beim Bundesfreiwilligendienst mitzumachen. ({5}) Gleichzeitig sollte man sich hausintern über die Vergabe der Einsatzstellen Gedanken machen. Es kann, sehr geehrte Frau Ministerin, meines Erachtens nicht sein, dass Kontingente ans BAFzA zurückgegeben werden, nur weil diese nicht besetzt werden können, während andere Organisationen diese Kontingente brauchen könnten, sie aber nicht mehr bekommen. Wir werden uns über diese Sache noch unterhalten. Kurz noch einige Aspekte zum Gute-Kita-Gesetz. Grundsätzlich kann das Gesetz etwas Gutes werden. Wir mischen uns hier in Aufgaben der Länder ein. Ich werde nicht ins Detail gehen – im Einzelplan 60 sind 5,5 Milliarden Euro dafür berücksichtigt –; ich habe aber die eine oder andere Sorge. Wir geben die Mittel über die Umsatzsteuerpunkte an die Länder. Daraus ergeben sich Fragen: Wie können wir mit unserer Budgethoheit kontrollieren, was am Ende der Tage bei den Kommunen ankommt? Wie können wir die Qualität dessen, was mit dem Geld erreicht wird, kontrollieren? ({6}) Ich hoffe, wir finden eine gemeinsame Lösung. Lassen Sie mich heute aber auch allen Ehrenamtlichen ein herzliches Dankeschön aussprechen. Wir sprechen bei diesem Etat unter anderem über die Jugendverbandsarbeit, über all diejenigen, die sich in der Jugendverbandsarbeit engagieren, über alle Mitarbeiter in unseren Vereinen, Verbänden, in den Sportvereinen oder in jedem anderen Verein, die sich ehrenamtlich für das Zusammenleben in unserem wunderbaren Land engagieren. Dies ist alles, nur nicht selbstverständlich. – Vielen herzlichen Dank. ({7}) Ebenfalls bedanke ich mich bei den vielen Haupt- und auch Ehrenamtlichen, die sich in der Senioren- und Behindertenarbeit engagieren. Ich denke, auch das gehört in einer Haushaltsdebatte einmal angesprochen. Es gibt noch einiges zu tun. Wir werden versuchen – das ist das Selbstverständnis der Haushälter –, diesen guten Entwurf noch ein Stück weit besser zu machen. Lieber Herr Kollege Volker Münz, zu Ihrer Aussage, der Stellenaufwuchs in den letzten Jahren betrage 40 Prozent: Ich habe das Glück, dass ich diesen Etat jetzt schon das fünfte Jahr betreuen darf. Der Großteil dieser 40 Prozent sind Entfristungen, und zwar im BAFzA. Es ist notwendig, diese Entfristungen vorzunehmen. Das BAFzA hat unglaublich wichtige Aufgaben. Diese Stellen waren einmal befristet, ja, aber der Großteil davon ist jetzt nicht mehr befristet. Ich schaue schon selbst darauf, dass es nicht zu viele Stellen werden, und ich bitte, dass wir bei diesen Dingen auch die Entfristungen mit im Auge behalten. Abschließend darf ich noch ganz kurz sagen: Gewalt gegen Frauen und Gewalt gegen Kinder gehen gar nicht! Wenn mich eines richtig ärgert, dann ist es Gewalt gegen die Schwächsten unserer Gesellschaft, und das sind nun mal die Kinder. Ich erinnere an ein Zitat von Gerhard Schröder, das vielleicht nicht vielen gefallen hat, aber mir hat es damals gefallen: „Kinderschänder gehören weggesperrt – für immer!“. Das war damals umstritten; ich weiß es.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Alois Rainer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004384, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Man sollte sich aber wieder Gedanken darüber machen. In diesem Sinne freue ich mich auf die Haushaltsberatungen. Vielen herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Rainer. – Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor.

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor zwei Wochen war ich auf einem spannenden Termin im ­Hasso-Plattner-Institut, und ich hatte da eine wunderbare Gelegenheit, etwas auszuprobieren, worüber wir viel reden, was wir aber noch nicht in die Fläche „ausrollen“ können, nämlich die Schul-Cloud. Es war wirklich sehr faszinierend, zu sehen, wie man auf einfache Lernprogramme für alle Fächer zugreifen kann, wie man sich über die Cloud austauschen kann – auch nach dem Unterricht – und dass die Daten geschützt sind. Ich glaube, das ist ein gutes Beispiel dafür – das hat mich wirklich begeistert –, wie Schule in ein paar Jahren aussehen und digitale Bildung in die Schulen hineingebracht werden kann. Ich sagte das gerade schon: Bisher funktioniert das leider nur an einigen Pilotschulen. In Zukunft kann das aber an allen Schulen in Deutschland möglich sein, und dafür arbeiten wir, Bund und Länder, gemeinsam, dafür schließen wir den DigitalPakt. Der Bund zahlt dann für moderne Infrastruktur, und die Länder garantieren, dass sie modernen, guten Unterricht organisieren werden. Lange haben wir jetzt darüber diskutiert. Meine Vorgängerin hat den Anfang gemacht, wir machen jetzt Nägel mit Köpfen. Wir machen die Schulen damit fit für das digitale Zeitalter; denn was im Kinderzimmer Standard ist, muss es im Klassenzimmer doch erst recht sein. Das kostet viel Geld. Ja, wir wissen, dass das die Länder nicht alleine in der Geschwindigkeit stemmen können, und deswegen ist es unser Ansinnen, sie zu unterstützen. Weil einige gelegentlich anderes behaupten, will ich hier heute deutlich sagen: Wir im Bund haben Wort gehalten. Wir haben schon im Mai die Grundgesetzänderung auf den Weg gebracht, so wie es im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Jetzt haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, es in der Hand, zuzustimmen und damit gemeinsam dafür zu sorgen, dass es weitergehen kann – zum Wohle unserer Kinder. ({0}) Unser Vorschlag für die Bund-Länder-Vereinbarung zum DigitalPakt liegt bei den Ländern: vollständig, präzise ausformuliert. In diesen Tagen erwarten wir die Antwort der Länder. Ich bin sehr zuversichtlich, dass das gelingt und dass wir zügig zum Abschluss kommen. Genau das erwarte ich jetzt von allen Beteiligten; denn das erwarten die Menschen in Deutschland von uns allen gemeinsam. Sie interessieren sich weniger für einzelne Zuständigkeiten oder für unser föderales Hickhack. Sie interessieren sich einfach nur für das Ergebnis. Die Eltern erwarten, dass wir ordentlich zusammenarbeiten, damit die Kinder guten Unterricht bekommen, mit Mitteln, die auf der Höhe der Zeit sind, damit unsere Kinder, für die Zukunft gut gerüstet, in eine digitale Welt starten können. Anfang des nächsten Jahres, so alles planmäßig verläuft, kann das Geld an die Schulen fließen. Die erste Tranche der insgesamt geplanten 5 Milliarden Euro steht schon bereit, wenn alle zügig mitarbeiten. Bitte sagen Sie Frau Nahles – sie hat es ja nun extra angesprochen –: Wir haben die Ärmel hochgekrempelt. Wir haben in den letzten Wochen vieles auf den Weg gebracht. Der DigitalPakt ist nur eine dieser Initiativen. Eine zweite Initiative sind die Sprunginnovationen. ({1}) Das Tempo der Innovationen ist atemberaubend. Ich kann mich noch gut an mein erstes Handy erinnern, da war ich längst Mutter von drei Kindern. Aber heute sind Smartphones Alltagsgeräte mit vielerlei Nutzen: als Hosentaschenbibliothek, als Ticket für die Bahnfahrt, als Wegweiser für den schnellsten Weg zum Bahnhof und natürlich – ich glaube, das ist für die Kinder ganz wesentlich – als kurzer Draht zu Freunden. Das ist ein gigantischer Sprung. Wir wollen, dass solche Sprunginnovationen weiterhin in unserem Land entwickelt werden. Deswegen gründen wir die Agentur für Sprunginnovationen. Vor zwei Wochen haben wir sie im Kabinett verabschiedet. Es wird eine Agentur für Denker und Macher. ({2}) Dafür werden wir in den nächsten zehn Jahren viel Geld in die Hand nehmen, um neue Produkte und neue Geschäftsmodelle, vor allem aber auch neue hochwertige Arbeitsplätze in Deutschland möglich zu machen. Wir zeigen der Welt: Zukunft wird in Deutschland gemacht. Deutschland bleibt nur dann lebenswert und selbstbestimmt, wenn wir auch wirtschaftlich stark sind. Nur dann haben wir die Mittel, auch den Schwächeren in unserer Gesellschaft zu helfen. Nur dann können wir weiterhin in Bildung und Forschung investieren – für eine gemeinsame lebenswerte Zukunft. Wir sind ein rohstoffarmes Land. Aber wir haben kluge und qualifizierte Köpfe. Ich habe gerade vor einer Woche dem Batterieforscher Martin Winter das Bundesverdienstkreuz aushändigen dürfen. Er ist einer der führenden Köpfe auf diesem Gebiet. Auch ihm haben wir es zu verdanken, dass Deutschland bei der Batterieforschung wieder ganz vorne mitspielt. Das sind Menschen, die uns helfen, selbstbestimmt und innovativ zu bleiben. ({3}) Wir müssen uns mit unseren Ideen immer wieder neu positionieren. Darum geht es in der neuen Hightech-Strategie, der dritten großen Initiative, die ich heute ansprechen will. Vor einer Woche haben wir sie im Kabinett verabschiedet. Wir wollen damit Orientierung geben, neue Perspektiven aufzeigen, Mut und Lust auf Zukunft machen. Die Hightech-Strategie konzentriert sich auf zwölf herausragende Probleme und wirkt dabei wie ein Magnet. Alle, die mit diesen Themen befasst sind, Forschung, Wirtschaft, Verbände, Organisationen und natürlich die Ministerien, arbeiten zusammen. Hightech klingt nach reiner Technik – in Wirklichkeit geht es um die Menschen. Wir haben die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, identifiziert und nutzen Hochtechnologie, um sie zu lösen. Es gibt Probleme, die den einzelnen Menschen betreffen, wie Krankheiten. Gerade den Krebs werden wir noch intensiver bekämpfen; denn er belastet das Leben ganzer Familien über Jahre. Es gibt gesellschaftliche Themen, die wir mit der Hightech-Strategie angehen. Wir packen zum Beispiel den Strukturwandel an, weil wir gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Regionen Deutschlands verwirklichen wollen. Ich war gerade in einem Innovationslabor in Dortmund. Dort waren 30 autonom fliegende Drohnen in einer Halle, und man konnte sehr schön sehen: Wenn ein Mensch durch deren Flugbahnen ging, wichen die Drohnen selbstständig aus. Völlig faszinierend, was heute in der Logistik schon möglich ist. Früher stand das Ruhrgebiet für Kohle und Stahl. Heute ist es ein Geburtsort für Hochtechnologie. Gut leben und arbeiten im ganzen Land: Darum geht es, in der Stadt genauso wie im Dorf, im Osten wie im Westen und natürlich – auch das ist ein großer Punkt – in jedem Alter. Wir sehen alle: Es gibt Risse in unserer Gesellschaft, die immer weiter aufbrechen. Einerseits wächst die Welt enger zusammen; wir können fast jedes Land der Welt erreichen. Andererseits schauen viele Menschen mit Unbehagen in die Zukunft. Sie suchen einen sicheren Platz in einer globalisierten Welt, die natürlich auch unsere Heimat und unser Zuhause verändert. Der Nachbar hat plötzlich andere Gewohnheiten, manchmal auch eine andere Muttersprache. Am Arbeitsplatz gibt es plötzlich neue Aufgaben, und ein neues Computerprogramm muss erlernt werden. Die zehn Jahre jüngere Kollegin kennt das schon längst. Natürlich machen sich da einige Sorgen und überlegen, wo bei all dem ihr Platz ist. Dass jeder seinen Platz in unserer Gesellschaft finden kann, darum geht es gerade auch in der Bildungspolitik. Und mir ganz persönlich geht es auch darum, dass wir die Anstrengungen eines jeden Menschen anerkennen, dass jeder seine ganz unterschiedlichen Talente ans Licht bringen kann, dass wir alle Talente wertschätzen, dass wir die Leistung eines Arztes genauso anerkennen wie die des Pflegers, die Leistung des Handwerksmeisters genauso wie die des Rechtsanwaltes. Darum geht es – um nicht mehr, aber auch nicht weniger. ({4}) Bildung und Forschung sind der Schlüssel zur Zukunft jedes Einzelnen und damit der ganzen Gesellschaft. Deswegen haben sie für die Bundesregierung Priorität. Unser Etat steigt mit dem neuen Entwurf auf 18,1 Milliarden Euro. Ich denke, das spricht eine deutliche Sprache. ({5}) Ein starkes Bildungssystem befähigt Menschen jeden Alters, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. Ein starkes Forschungssystem befähigt unsere Gesellschaft, im innovativen Wettbewerb mithalten zu können. Bildung und Forschung zusammen sind die Grundlage für eine starke Gesellschaft, die selbstbestimmt leben will und die zusammenhält. Herzlichen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Nicole Höchst, AfD-Fraktion, das Wort. ({0})

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Frau Ministerin! Werte Kollegen! Liebe Bürger! Die Haushaltsdebatte zeigt es ganz deutlich: Die abgehalfterte GroKo verliert sich im Klein-Klein, in vollmundigen Willenserklärungen, verbringt Lebens-, Regierungs- und Redezeit mit dem Besingen sinnloser Abkommen ({0}) und vollbringt wahre Kapriolen in Selbstlobhudelei, im Verkünden von Maßnahmen, die es braucht, um die Probleme zu lösen, die sie selbst verursacht hat. Sie scheuen sich, eine Zukunft Deutschlands jenseits des Zahlmeisters und angeblichen Hauptprofiteurs der EU zu skizzieren. Sie verwehren sich wichtigen Entwicklungen jeder Art und agieren rein reaktiv auf selbstverursachte Umstände ohne Ziel und ohne Plan, und das nicht erst seit gestern. ({1}) Diese Haushaltsdebatte grenzt schon an das Groteske. Ich möchte es in einem Bild ausdrücken. Während das über die Regierungsjahre Merkel an vielen Stellen leckgeschlagene Schiff mit Volldampf auf Betreiben der Kapitänin und ihrer Mann- und Frauschaft auf Kollisionskurs mit dem für alle sichtbaren Eisberg ist, streitet die komplette Besatzung des Schiffes, ob der Flötist, der Geiger, der Trompeter Männlein oder Weiblein oder gar etwas Sonstiges ist und wie die Gagen auf die einzelnen Instrumente der Schiffskapelle gerecht und diskriminierungsfrei verteilt werden müssen, damit sie auch morgen noch kakophonisch aufspielen kann. Mahner, die Besatzung und Gäste vor dem drohenden Unglück und den Konsequenzen warnen und immer dringlicher zu Kurskorrekturen und Reparaturarbeiten am Schiffsrumpf aufrufen, werden als hässliche Hetzer und Nazis verunglimpft, und der Rest der Schiffsabwracker sucht nun Wege, diese unliebsamen Stimmen im Motorraum einzusperren. ({2}) Liebe Bürger, diese Regierung hat keine Vorstellung von Zukunft über die Regierungszeit hinaus. Weil sie auch keine Vorstellung mehr hat, für wen sie eigentlich Politik macht, setzt sie die völlig falschen Prioritäten. ({3}) Immer mehr Bürger verstehen vor allem eines: Mit dieser Regierung hat Deutschland fertig, und zwar restlos, und das nicht in einer fernen Zukunft, sondern sehr bald. Werte Kollegen, Sie haben wie keine andere Regierung, wie kein anderer Bundestag mit Ihrer permanenten Spaltungsrhetorik den gesellschaftlichen Zusammenhalt auf dem Gewissen. ({4}) Sie verunglimpfen Regierungskritiker und sonstige klar denkende Menschen ({5}) pauschal als Pack, Abgehängte, Fremdenfeinde, Populisten, Rechtsradikale und Nazis. Der Riss läuft nicht nur durch die Politik. Nein, Sie haben es geschafft, Familien und Freundeskreise, Kollegien, Vereine und damit die Gesellschaft zutiefst zu spalten. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, darf ich Sie ganz kurz unterbrechen? – Ich habe mich bemüht, über die letzten drei Minuten hinwegzusehen, obwohl ich mich gefragt habe, was das, was Sie gesagt haben, mit dem Etat für Bildung und Forschung zu tun hat. Ich möchte Sie nun bitten, zur Sache zu sprechen. ({0})

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich denke, dass das auf über zwei Drittel der Personen hier zutrifft. Ich möchte gerne in der Rede fortfahren. Vielen herzlichen Dank. ({0}) Wenn auf dem untergehenden Bildungsnarrenschiff Ihnen Ihre Kinder traurig in die Augen schauen und fragen: „Mami und Papi, warum habt ihr den Kurs nicht geändert? Warum habt ihr das Schiff nicht repariert?“, dann werden Sie antworten müssen: Weil Sie es so wollten. – Sie müssen in diese Kinderaugen schauen und Ihren Kindern erklären, warum Ihnen der Kampf gegen rechts mehr wert war, als künftigen Generationen eine selbstbestimmte Zukunft in Frieden, in Freiheit, in Sicherheit und in selbst erarbeitetem Wohlstand zu ermöglichen. Weil Ihnen Ihre sozialistische Utopie eines ewig bunten und grenzenlosen Ponyhofs ({1}) ungleich viel wichtiger ist, als dieses Schiff zu erneuern, zu modernisieren und auf Kurs zu bringen. Das Strauß’sche Narrenschiff kommt mir da in den Sinn. Ich hätte damals für nicht möglich gehalten, dass Herr Strauß mit all seinen Ecken und Kanten in dieser Hinsicht ein Visionär war. Der beschriebene Richtungswandel wurde von den Merkel-Regierungen stetig vorangetrieben und darf auch im Bildungsressort als vollzogen angesehen werden. Der Einzelhaushaltsplan Bildung ist in erster Linie ein Weiter-so des Narrenschiffs „Utopia“. Sie nehmen generell viel zu wenig Steuerzahlergeld in die Hand für Bildung. Das verlogene Diktat der angeblichen schwarzen Null bedeutet für die Bildung ein weiteres Jahr des bereits verlorenen Kampfes um den Erhalt des Status quo, ({2}) ein weiteres Jahr, in dem Deutschland sichtlich und spürbar den Anschluss an führende Industrienationen verliert. ({3}): Aufhören!) Wir vermissen auch in diesem Haushalt wieder das monetäre Bekenntnis in Bezug auf einen Paradigmenwechsel, in Bezug auf „Meister statt Master“. Zum Beispiel ist es hier geradezu verbrecherisch naiv, beim verschärften Pflegenotstand rein auf Zuzug bzw. Pflegerobotik zu setzen. Wir wollen im Zuge der Digitalisierung unserer Lebenswirklichkeit Veränderungen auch in der Bildung zukunftsfähig gestalten. Wir wollen Wichtiges von Unwichtigem oder gar Schädlichem trennen. Wir haben eine klare Vision von zukunftsgerichteter Bildung, für den Erhalt und die Fortentwicklung unserer Bildungsnation. Vor allem haben wir im Gegensatz zu Ihnen den unbändigen Willen und auch die notwendige Expertise, dies planvoll zu gestalten. ({4}) Es gilt, jenseits des Hype ({5}) des unsäglichen Digitalisierungspopulismus kluge Weichenstellungen vorzunehmen. Liebe Regierung, wenden Sie sich endlich Ihrem Kerngeschäft zu und machen Sie endlich Politik für Deutschland, für die Zukunft Deutschlands! Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Höchst. – Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich auf Folgendes hinweisen: Die Geschäftsordnung legt dem Präsidium nah, immer dann, wenn nicht zur Geschäftsordnung gesprochen wird, darauf hinzuweisen, dass man zur Sache sprechen soll. Es ist keine Benachteiligung von irgendjemandem. ({0}) – Herr Kollege, ich habe nicht die Absicht, mit Ihnen darüber zu diskutieren. Ich weise nur auf die Geschäftsordnung hin. – Das wird das Präsidium auch künftig in allen Fällen beachten. Ich sage es nur deshalb, weil Sie – Sie hatten sechs Minuten Redezeit – die ersten vier Minuten nicht zur Sache gesprochen haben. Ich habe das nicht gerügt. ({1}) – Ja. Deshalb sage ich ja: Die ersten vier Minuten haben Sie nicht zur Sache gesprochen, sondern eine bemerkenswerte Rede gehalten. Ansonsten bitte ich darum, dass wir miteinander wirklich so umgehen, dass wir uns tatsächlich um die Themenbereiche kümmern, die aktuell anstehen. Dafür dient ja die Tagesordnung. ({2}) Das ist nur ein netter Hinweis, gar nicht böse gemeint. Das gilt aber für alle in diesem Saal. ({3}) Als Nächstes spricht zu uns der Kollege Dr. Karl Lauterbach für SPD-Fraktion. ({4})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So ungerne, wie ich das tue, möchte ich dem Präsidenten hier widersprechen. Ich glaube schon, dass die Kollegin Höchst zum Thema Bildung gesprochen hat, aber auf eine Art und Weise, die uns zu denken geben sollte; denn es ist ja genau die Spaltung, die die AfD in der Bevölkerung hervorbringt – die Spaltung Ausländer und Migranten gegen den Rest der Welt –, die dafür sorgt, dass unsere Bemühungen der Integration in das Bildungssystem, aber auch das Anwerben hochqualifizierter ausländischer Fachkräfte, die wir unbedingt benötigen, nicht gelingen können. Es ist genau diese Hetze, die die Bildungspolitik, die wir zu betreiben versuchen, kaputtmacht. Das ist der Zusammenhang zwischen dem, was sie vorgetragen hat, und dem Thema heute. ({0}) Zum Zweiten. Man kann es auch an Zahlen ausführen. Nur 7 Prozent der Menschen in der Altersgruppe 25 bis 64 in unserer Bevölkerung, die weder in Beschäftigung noch in Ausbildung noch im Studium sind, sind ohne Migrationshintergrund. Bei Menschen mit einem Migrationshintergrund liegt die Quote bei 24 Prozent. Das heißt, wir müssen viel mehr tun, um Menschen mit Migrationshintergrund in unsere Gesellschaft zu integrieren. Gelungene Integrationspolitik ist Bildungspolitik, und dazu ist von der AfD bisher kein einziger Vorschlag jemals hier im Plenum vorgetragen worden. Das ist die Wahrheit. ({1}) Wir haben auch in anderer Hinsicht eine Spaltung in der Bevölkerung. Laut dem neuen OECD-Bericht – er setzt im Prinzip Befunde fort, die wir schon hatten – ist es nach wie vor so, dass unser Bildungssystem ungerecht ist: Wenn mindestens ein Elternteil Akademiker ist, werden die Kinder zu fast 60 Prozent, genau: zu 59 Prozent, später ebenfalls Akademiker sein, wenn kein Elternteil Akademiker ist, ist die Quote der Kinder, die später ebenfalls Akademiker werden, nur halb so hoch. Ich bin nicht derjenige, der sagt: Der Wert eines Menschen bemisst sich daran, ob er Akademiker ist oder nicht. Wir brauchen Akademiker und Nichtakademiker. Das darf man nicht gegeneinander ausspielen. ({2}) Gleichzeitig ist es aber so: Es darf nicht durch die Geburt entschieden werden, wer Akademiker wird und wer nicht. ({3}) Dass das immer noch so ist, das ist das Unrecht, das wir bekämpfen wollen; denn wir verlieren sonst hochbegabte Menschen, die von Geburt an so benachteiligt sind, dass sie das nicht mehr aufholen können. Die frühkindliche Bildung ist der Königsweg, dieses Unrecht zu beseitigen. Alle Studien zeigen: Die frühe Einstellung zum Lernen macht den Unterschied, ob man die Schule später erfolgreich abschließt und studiert; es ist die sehr frühe Einstellung zum Lernen. Die frühkindliche Bildung kann Benachteiligungen entgegenwirken. Das tut sie aber in Deutschland nicht ausreichend, und zwar deshalb, weil die Kinder von Eltern aus bildungsnahen Bevölkerungsgruppen mehr Gebrauch von frühkindlicher Bildung machen als die Kinder von Eltern aus bildungsfernen Bevölkerungsgruppen. Das heißt, die frühkindliche Bildung, so wie wir sie aufgebaut haben, vergrößert die Unterschiede; sie macht sie nicht kleiner. Das bedeutet nicht, dass wir die frühkindliche Bildung aufgeben sollten – ganz im Gegenteil. Aber wir müssen sie komplett kostenfrei stellen. Dass das bisher nicht so ist, ist nämlich der Haupthinderungsgrund dafür, dass die Kinder von Eltern aus einkommensschwächeren und bildungsschwächeren Gruppen ihr Talent in dieser frühen Lebensphase nicht entwickeln können. Dazu werden wir heute ganz konkrete Vorschläge hören. Diese werden meine Kolleginnen und Kollegen vortragen. Ich wollte die Problemlage skizzieren, vor der wir stehen. Auf ihrer Grundlage müssen wir diesen Haushalt diskutieren. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lauterbach. – Als Nächstes für die FDP-Fraktion der Kollege Christoph Meyer. ({0})

Christoph Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004820, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Karliczek, würde sich Donald Trump mit den Leistungen Ihres Forschungsministeriums beschäftigen, seine Tweets würden mit „SAD“ enden: SAD – dass die Bundesregierung beim Thema „Deutsch-französische KI-Initiative“ weiterhin nur hinterherstolpert. Netzwerk oder eigenes Institut? Diese Frage ist heute noch genauso offen wie ein konkreter Zeitplan. SAD – bei der neuen Agentur für Sprunginnovationen. Sie haben eben zwar darauf hingewiesen, dass es einen Kabinettsbeschluss in der letzten Woche gab, aber wenn Sie mit derselben Geschwindigkeit weitermachen wie bisher, wird diese Agentur erst im Jahr 2021 wirklich arbeitsfähig sein. SAD – dass den markigen Worten zur Stärkung der beruflichen Bildung wieder nichts folgt. Das Auslagern eines Titels in eine eigene Titelgruppe ist noch keine Aufwertung. ({0}) Internationale Spitzenforschung, Entwicklungen deutscher Hochschulen – alles traurig. Frau Ministerin Karliczek, für 2018 haben Sie noch nichts geliefert. Das war auch schwierig. Für 2019 machen Sie allerdings genauso weiter. Im Bummelzug kommt man nicht zur Weltspitze. Das müsste eine Bildungsministerin eigentlich wissen. ({1}) Sie und Ihr Haus verheddern sich im Zuständigkeitendickicht des Grundgesetzes. Der Rechnungshof klagt das zu Recht an. Mehr als die Hälfte der Ausgaben des Einzelplans sind mittlerweile durch Bund-Länder-Vereinbarungen gebunden, und Sie wollen mit der noch anstehenden Vereinbarung zum DigitalPakt offensichtlich noch eine weitere drauflegen. Die Länder hängen mehr und mehr am süßen Gift des Bundesgeldes. Der heute Morgen übersandte Monitoringbericht belegt das deutlich. Effektive Kontrollen, was mit diesem Geld, vor allem auf der Seite der Länder, gemacht wird, passieren nicht. Bestes Beispiel: BAföG. Was haben sich die Kultusminister in den letzten 24 Monaten gegenseitig versprochen? Der Bund übernimmt die BAföG-Finanzierung; dafür schieben die Länder die freiwerdenden Mittel in die Hochschulfinanzierung. Erfolgskontrolle steht aus. Sanktionen? Fehlanzeige! Frau Ministerin Karliczek, es ist so, dass Sie sich offensichtlich – Sie haben eben wieder einige Beispiele genannt – eher mit schöneren Terminen beschäftigen, der Gründung von neuen Instituten zum Beispiel. Schwammgewächsgleich schossen sie in den letzten Jahren aus dem Boden – schwammgewächsgleich auch deshalb, weil sie freie Mittel aus dem Einzelplan aufsaugen. Damit werden die Spielräume für echte Schwerpunktsetzungen immer enger. Bei einigen Instituten entsteht der Eindruck, man richte sich doch ganz gemächlich bei Vater Staat ein. Schnittstellenverbesserung zur wirtschaftlichen Nutzung ist nicht erkennbar. Bei den großen Forschungseinrichtungen ist die Portokasse gut gefüllt. Bei den Selbstbewirtschaftungsmitteln scheint zumindest der Aufwuchs gestoppt. Aber eine echte Strategie, wie es zu einem Abschmelzen kommt, ist nicht ersichtlich. Beim Thema Kosten sind wir dann sehr schnell beim FAIR-Projekt. Es wird sich erst noch zeigen, ob das Aufteilen des Projekts in einzelne Realisierungsphasen zum Erfolg führt. Wir werden beim 2020er-Haushalt wahrscheinlich darüber sprechen müssen, ob wir den großen Geldbeutel aufmachen müssen, wenn die Kostenschätzung im April nächsten Jahres vorliegt. Genauso stiefmütterlich geht es beim Thema „Behälterlager in Jülich“ weiter. Es ist sicherlich so, dass offensichtlich kein anderes Ministerium sich um die Räumung kümmern wollte – das SPD-geführte Umweltministerium schon gar nicht. Sie sind auf dem Lager sitzen geblieben. Aber was jetzt hier passiert, grenzt schon an Missachtung von Parlamentsbeschlüssen. Jahr für Jahr wird mehr Geld zur Verfügung gestellt, und es wird nicht genutzt – außer zur Erbringung der globalen Minderausgabe in Ihrem Einzelplan. Ich glaube, das zeigt doch sehr gut, dass auch hier deutlich mehr Geschwindigkeit aufgenommen werden muss. ({2}) Sie sehen: Wir haben viele Themen, über die wir in den Haushaltsberatungen reden müssen – leider reden müssen. Ich freue mich dennoch darauf und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Meyer. Das war ja just in time. – Als Nächstes für die Fraktion Die Linke die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aktuell sind 10 000 Lehrerstellen in unserem Land unbesetzt und weitere 30 000 nur notdürftig; so warnt der Deutsche Lehrerverband. Besonders kritisch ist die Situation an den Grundschulen, also dort, wo die Grundlagen für die Zukunft gelegt werden. Ich finde, das können wir uns nicht leisten. ({0}) Selbst Herr Kauder macht sich Sorgen über die Qualität des Unterrichts. Wegen des Lehrermangels befürchtet er einen Bildungsnotstand. Und die Schuldfrage ist dann schnell geklärt: Die Länder haben die Entwicklung verschlafen. ({1}) Das ist sicherlich nicht ganz falsch; denn Bildung ist Ländersache. ({2}) Lassen Sie uns auf die Ursachen der Misere schauen: schwarze Null als Fetisch und Schuldenbremse als Damoklesschwert über den Ländern. In den Ländern wurde Personal abgebaut und nur befristet eingestellt. Selbst im reichen Baden-Württemberg wurden von Ministerpräsident Winfried Kretschmann von 2012 bis 2014  1 763 Lehrerstellen gestrichen. Die Begründung: Beitrag zur Sanierung des Haushalts. Welch kurzsichtige Politik! ({3}) Die schwarze Null ist immer noch ein Fetisch und führt dazu, dass die Bundesregierung weiter auf die Investitionsbremse tritt. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung schiebt gerne anderen die Verantwortung zu: Mal sind es die Länder, mal ist es Europa, und dann ist es wieder Trump; aber sie selbst ist nie verantwortlich. Beispiel Hochschulpolitik: Ja, die Länder sind für die Hochschulen zuständig. Inzwischen haben aber fast alle – die Ministerin hat es ja auch angesprochen – erkannt, dass das Kooperationsverbot zwischen dem Bund und den Ländern völlig absurd ist. Wir müssen es endlich entschlossen beseitigen und nicht weiter auf die lange Bank schieben. ({4}) Wie ist jetzt die Situation? Die Hochschulen werden mit unendlich vielen Programmen überzogen. Das frisst Ressourcen und Energie auf, die dringend für Lehre und Forschung gebraucht werden. Unsere Forderung als Linke ist ganz einfach: Die Hochschulen brauchen eine solide Grundfinanzierung. ({5}) Es muss endlich Schluss sein mit Flickschusterei und Programmwirrwarr. Der Bildungsforscher Wilfried Bos stellt fest – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: Das deutsche Schulsystem ist derzeit nicht in der Lage, die beiden wichtigsten Ziele der Bildung zu erfüllen: Exzellenz und gleiche Chancen auf Teilhabe. Diese Einschätzung kann man eins zu eins auf das Hochschulwesen übertragen. Übrigens: Die Erhöhung der BAföG-Sätze 2016 ist wirkungslos verpufft. Rund 100 000 junge Menschen sollten ins BAföG zurückgeholt werden. Allerdings sinkt die Zahl der Geförderten seit 2013 kontinuierlich und ist aktuell auf dem niedrigsten Wert überhaupt seit Bestehen des BAföGs. Wir als Linke sagen: Die beste Lösung wäre, endlich ein elternunabhängiges BAföG einzuführen. Das würde die Chancen für viele junge Menschen erhöhen. ({6}) Auch Kollege Lauterbach ist auf die ungleichen Chancen eingegangen. Lediglich 12 Prozent der Kinder, deren Eltern keinen beruflichen Abschluss vorweisen können, beginnen ein Studium. Bei Akademikerkindern studieren dagegen 79 Prozent. Ich finde, das ist eine große Ungerechtigkeit und auch eine große Verschwendung von Potenzial. Das können wir uns nicht länger leisten. Das müssen wir ändern, meine Damen und Herren. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Lötzsch. – Als Nächstes für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Kai Gehring. ({0})

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2008 hat Bundeskanzlerin Merkel die Bildungsrepublik Deutschland ausgerufen. Zehn Jahre später warnt CDU/CSU-Fraktionschef Kauder vor einem Bildungsnotstand: eine ehrliche Selbstkritik und erschütternde Bilanz nach 13 Jahren unionsgeführter Bildungspolitik im Bund. ({0}) Herr Kauder, wir nehmen Sie gern beim Wort: Lassen Sie uns mehr für beste Bildung und beste Forschung bewegen. Der Haushalt 2019 wäre dafür die erstbeste Gelegenheit. ({1}) Schauen wir auf die nackten Zahlen: Rund 18 Milliarden Euro umfasst der Etat für Bildung und Forschung für das Jahr 2019. Das ist wahrlich kein Kleckerbetrag; er ist stetig gestiegen seit 1998. Aber im internationalen Vergleich spielen wir damit nicht in der Champions ­League, sondern um den Abstieg. Aus Verantwortung für die Menschen in Deutschland müssen wir mehr in den Aufstieg durch Bildung investieren: 7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Bildung und 3,5 Prozent in Forschung, da wollen wir hin. Dafür braucht es den Willen zur Veränderung und Lust auf Innovation. ({2}) Ob bei der Internationalisierung, der Digitalisierung oder der Bildungsgerechtigkeit – nur gemeinsam kommen Bund, Länder und Kommunen weiter. Es ist allerhöchste Zeit, das Kooperationsverbot in der Bildung restlos abzuschaffen. Dann könnten wir endlich gemeinschaftlich anpacken. ({3}) Unser Land braucht eine Ermöglichungsverfassung für bessere Bildung, und es braucht eine Bundesbildungsministerin, die für Bildung brennt und streitet. Wo müssten Sie denn endlich ran, Frau Karliczek? Baustelle digitales Lernen. Das findet viel zu selten statt, auch weil der Bund seit drei Jahren den DigitalPakt Schule nicht auf die Reihe kriegt. Schlechtes Management im BMBF darf nicht dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler weiter im Kreidezeitalter aufwachsen. ({4}) Baustelle Bildungsgerechtigkeit. Es mangelt im Land an gleichen Chancen; das ist unser Hauptproblem. Kinderarmut, Benachteiligung von Arbeiterkindern, marode Schulen und Lehrermangel – da muss sich dringend etwas ändern. Gerade Schulen in sozialen Brennpunkten brauchen schnelle Hilfe; die Kommunen müssen verlässlich bei der Integration durch Bildung unterstützt werden. ({5}) Egal wo jemand wohnt, ob die Eltern reich, arm oder frisch zugezogen sind – jedes Kind in unserem Land hat Anspruch auf beste Bildung und Betreuung. Wir müssen endlich für gleiche Chancen für alle sorgen. ({6}) Baustelle Fachkräftemangel in immer mehr Branchen und Regionen. Gemessen an den vielen Worten, die Ministerin Karliczek zur Bedeutung beruflicher Bildung sonst verliert, liefert sie im Haushalt allenfalls Simulationen. Warteschleifen, zu hohe Abbruchquoten, zu viele Ungelernte, Lücken im lebenslangen Lernen – das ist nach 13 Jahren ein mieses Zeugnis für eine unionsgeführte Bildungspolitik. ({7}) Es ist allerhöchste Zeit für eine Ausbildungsgarantie, für eine Modernisierungsoffensive für Berufsschulen und für ein Recht auf Weiterbildung. Das wollen wir. ({8}) Zum Nichtstun in der beruflichen Bildung kommt ein Stillstand in der Hochschul- und Wissenschaftspolitik. Lange überfällig ist eine echte BAföG-Reform. Kein junger Mensch soll aus finanziellen Gründen auf ein Studium verzichten müssen. Um es mit Frau Nahles’ Worten zu sagen: Kommen Sie endlich in die Hufe, Frau Ministerin! ({9}) Zukunftsvergessen ist, dass die Bundesregierung für die Universitäten und Fachhochschulen keine regelmäßigen Aufwüchse vorsieht. Die Hochschulen sind die Herzkammern des deutschen Wissenschaftssystems. Darum ist es so wichtig, die Grundfinanzierung verlässlich zu steigern. Deshalb wollen wir Grünen einen verlässlichen Hochschulpakt. ({10}) Meine Damen und Herren, Deutschland hat eine differenzierte Forschungslandschaft und vielzählige Forschungsförderprogramme. Von Ministerin Karliczek erwarte ich keine Berichte von ihren ersten Terminen, die sie wahrgenommen hat, sondern ich erwarte ein starkes Plädoyer und eine klare Schwerpunktsetzung für neugiergetriebene Grundlagenforschung. Es braucht mehr Forschung zur Lösung der großen gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen. ({11}) Wir haben eine weltweite, existenzbedrohende Klimakrise. Daher wollen wir Grünen im Bundestag einen ganz klaren Schwerpunkt für Klimaforschung und Nachhaltigkeitsforschung setzen. ({12}) Umsteuern müssen wir auch mit Blick auf die vielen Kriege und Krisen auf der Welt. Daher wollen wir mehr in Friedens- und Konfliktforschung, in Diplomatie statt in einen immer stärker aufgeblähten Rüstungsetat investieren. Das geht nämlich in die falsche Richtung. ({13}) Deutschland muss Wissenschaftsnation, Klimaschutzweltmeister und Friedensmacht sein. Wenn man unser Land sozial, ökologisch und digital modernisieren will, dann muss man nicht nur anders wirtschaften, sondern man muss auch endlich anders forschen. Unser Wohlstand beruht auf klugen Ideen, auf Erfindungsreichtum und Kreativität der Jungen und Alten in unserem Land. Das beste Rezept gegen Bildungsnotstand ist, alle Talente in unserem Land zu fördern und niemanden zurückzulassen. Dazu passt Ihr Haushalt leider noch nicht. ({14})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Gehring. – Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Tankred Schipanski. ({0})

Tankred Schipanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Anfangsrunde dieser Haushaltsberatungen am Dienstag hat der Kollege Fricke von der FDP gesagt: Es ist ja furchtbar, dass es beim Weiter-so bleibt. ({0}) Ich kann Ihnen nur sagen, liebe Kollegen von der FDP: Ich finde es gut, dass wir mit der schwarzen Null zum vierten Mal in Folge weitermachen. Das ist kein Fetisch, sondern es ist solide Politik, Frau Lötzsch. ({1}) Ich finde es gut, dass wir wieder einen Aufwuchs beim Etat des BMBF haben und dass für diesen jetzt 18 Milliarden Euro vorgesehen sind. ({2}) Und ich finde es gut – auch da sage ich: weiter so zum kooperativen Föderalismus –, dass wir auch mit diesem Haushalt wieder unsere Pakte und Verantwortungsbereiche, derer wir uns annehmen wollen, weiter ausfinanzieren. ({3}) Der Hochschulpakt wurde angesprochen, aber auch der Pakt für Forschung und Innovation, wo wir als Bund den Aufwuchs von 3 Prozent wieder alleine finanzieren. Das ist ein gutes Weiter-so, das wir da sehen. Danke an die guten außeruniversitären Forschungseinrichtungen! ({4}) Lieber Kai Gehring, der Hochschulpakt ist nicht für die Grundfinanzierung der Hochschulen da; das haben wir in der letzten Debatte schon gesagt. ({5}) Das ist Aufgabe der Bundesländer. Das hat heute sogar Die Linke betont. Da war ich ganz angenehm überrascht, dass das begriffen wurde. ({6}) Meine Damen und Herren, der Haushalt ist aber auch ein klares Bekenntnis zur Wissenschaftsfreiheit. Ich erinnere an die Wissenschaftsfreiheitsinitiative. Zu der stehen wir als Union, und wir werden auch mit dem Bundesrechnungshof die Kontroverse um seine diesbezüglichen Anmerkungen ausfechten. Die Opposition erzählt weiterhin, wir würden den ­DigitalPakt verschleppen. ({7}) Ich glaube, die Ministerin hat sehr deutlich dargestellt, wie die Verhandlungen laufen, auf welchem Stand wir sind, dass wir einen klaren Fahrplan haben. Ich darf von unserer Vorstandsklausur berichten und noch mal die drei Schritte wiederholen, um die es geht. Erstens geht es hier um die Änderung von Artikel 104c Grundgesetz. Die Ministerin hat Sie eingeladen; sie hat das noch mal betont. Ich entnehme der Presse, dass FDP und Grüne da sehr uneins sind. ({8}) Wir stehen zu diesem Vorschlag und laden Sie ein, das Grundgesetz mit uns zu ändern. ({9}) Der zweite große Schritt, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist das Sondervermögen „Digitale Infrastruktur“, das wir durch ein Gesetz schaffen, um das Ganze auszufinanzieren. In der Sommerpause wurde es vorgelegt. Jetzt im Herbst müssen wir das hier gemeinsam debattieren und verabschieden. Dann kommt als dritter Schritt für diesen DigitalPakt die Bund-Länder-Vereinbarung, die Verwaltungsvereinbarung. Da haben wir auf unserer Vorstandsklausur deutlich gemacht, um was es geht, was wir da erreichen wollen: WLAN-Ausleuchtung in den Klassenzimmern, Lernplattformen, Schul-Clouds. Das wurde, glaube ich, ganz deutlich gemacht. Ich möchte eine Sache ganz deutlich betonen: Bei diesem DigitalPakt geht es uns nicht um Insellösungen, sondern um gemeinsame Standards, die wir als Bund durchsetzen wollen, um kompatible Systeme in dieser Bundesrepublik zu haben. Ich darf bei diesem Punkt ergänzen: Es ist uns auch wichtig, dass die Länder ein Budget für digitale Lernmittel schaffen. Da möchte ich an dieser Stelle ganz klar an die Länder appellieren, ihren Zulassungsprozess für Lernmittel frühzeitig anzupassen, damit auch digitale Lernmittel angeschafft werden können. Das hat bisher noch nicht ein einziges Bundesland gemacht. Ich denke, die Bundesländer haben da genug Hausaufgaben, die sie zu erledigen haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Agentur für Sprunginnovationen wurde angesprochen. Es wurde erzählt: Da gibt es nur ein Eckpunktepapier. – Ja, natürlich, es gibt jetzt ein Eckpunktepapier; daher können wir das auch noch nicht im Haushalt haben, weil die ganze Sache noch gar nicht etatreif war, als der Haushaltsentwurf verabschiedet wurde. Jetzt diskutieren das die Koalitionspartner selbstverständlich miteinander, und dann werden wir schauen, wie wir das im Haushalt abbilden. Aber es ist ein ganz normaler Vorgang. Ich weiß gar nicht, warum aufseiten der FDP da eine solche Erregung herrscht. Das ist eine prioritäre Maßnahme des Koalitionsvertrages, und selbstverständlich setzen wir das um. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung ist natürlich auch ein Digitalisierungsministerium. Es wurde KI angesprochen, künstliche Intelligenz. In der nächsten Sitzungswoche konstituiert sich die Enquete-­Kommission dazu. Wir haben über die Sommerpause die Eckpunkte der federführenden Ministerien für eine Strategie erhalten. Wir haben jetzt Fachforen beim Bundeswirtschaftsministerium und beim BMBF, die in eine KI-Strategie münden. Der Haushalt ist ganz eindeutig auf Digitales ausgerichtet. Schauen wir uns die Förderung bei Mikroelektronik, bei Robotik, bei Materialwissenschaften, bei Cybersicherheit an: Ich denke, das ist genau die richtige digitale Schwerpunktsetzung, die wir hier im BMBF-Haushalt vornehmen. Weiterhin ist berufliche Bildung ein wichtiger Schwerpunkt, insbesondere für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Wenn wir uns die Maßnahmen ansehen – insgesamt allein in diesem Haushalt 549 Millionen Euro –, dann lässt sich sagen: Das ist ein gutes Signal für die Stärkung und Modernisierung der beruflichen Bildung. ({10}) Allein das deutliche Plus bei der Begabtenförderung in der beruflichen Bildung – wir haben hierfür jetzt insgesamt 56 Millionen Euro – oder auch beim internationalen Austausch und der Zusammenarbeit bei der beruflichen Bildung – jetzt mit 15 Millionen Euro – zeigt: Das sind richtige und gute Zahlen. Ich finde das Ausspielen, das immer auf SPD-Seite gemacht wird, nicht richtig. ({11}) Akademische und berufliche Bildung sind gleichwertig. Es muss nicht jeder studieren. Es wird bei Ihnen immer suggeriert: Wenn jemand eine Ausbildung ergreift, ist das ein Bildungsabstieg. Das ist nicht so. ({12}) Das ist auch Bildungsaufstieg. ({13}) – Lesen Sie es in der Rede von Herrn Lauterbach nach. Finanzen der Länder – mein letzter Punkt –: Ecki Rehberg hat als unser haushaltspolitischer Sprecher in der Startrunde in seiner Rede sehr richtig darauf hingewiesen, dass wir einmal in das Grundgesetz schauen müssen, dass sich die Länder ihren Verantwortungsbereich bewusst machen müssen. Und in den Bereichen, in denen wir den Ländern außerhalb unseres Verantwortungsbereiches zusätzlich Geld geben, müssen sie dieses Geld auch an die Kommunen weiterreichen. An dieser Stelle appelliere ich noch einmal an die Länder, das endlich zu tun. Ich denke hier an das Schulsanierungsprogramm, das absolut stockend läuft. Es wurden auch die Lehrer angesprochen, bei denen es ähnlich ist. Das sind typische Bereiche für die Zuständigkeit der Länder, die massive Mehreinnahmen haben und das ganz normal finanzieren können, ohne die Hilfe des Bundes. Ich darf an dieser Stelle erinnern: Wir haben in diesem Hohen Hause in der letzten Legislatur eine Grundgesetzänderung verabschiedet, mit der wir einen neuen Bund-Länder-Finanzausgleich eingeführt haben. Ab 2020 erhalten die Länder vom Bund pro Jahr 9,8 Milliarden Euro zusätzlich. Ich kann es nicht hören, dass die Länder mit dem Geld, das sie haben, ihre Aufgaben nicht wahrnehmen können. Das ist eine Falschinformation. ({14}) Ab 2020 geht es ihnen noch besser. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss und freue mich über diesen guten Haushaltsentwurf. Vielen Dank. ({15})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Tankred Schipanski. – Guten Nachmittag von mir an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen! – Dann kommen wir zu Dr. Marc Jongen, der die nächste Rede für die AfD-Fraktion hält. ({0})

Dr. Marc Jongen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004768, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Meine Damen und Herren! Liebe Besucher! Vor zehn Jahren rief Bundeskanzlerin Angela Merkel die „Bildungsrepublik Deutschland“ aus. Wo stehen wir nach zehn Jahren Merkel-Regierung? Statt vor blühenden Bildungslandschaften stehen wir vor einem bildungspolitischen Trümmerfeld, an etlichen Stellen durchzogen von ideologischen Sümpfen. Das ist die traurige Wahrheit. ({0}) Man kann den Bildungsnotstand in Deutschland nicht zuletzt an seinen Auswirkungen erkennen, wie wir sie etwa anhand der Debatte in diesem Hohen Haus und auch in der medialen Öffentlichkeit in den letzten Tagen erleben mussten – Sie erlauben, Frau Präsidentin, dass ich eine Minute aushole, aber Sie werden sehen: das hat sehr viel mit Bildung zu tun –, wie da nämlich über die Ereignisse von Chemnitz geurteilt wurde, wie sie zurechtgebogen und zurechtgelogen wurden, wie man von höchster Stelle über die völlig zu Recht protestierenden Bürger diffamierend hergezogen ist, Ursache und Wirkung vertauscht wurden ({1}) und wie man dann denjenigen, der die Verhältnisse völlig vernünftig zurechtgerückt hat, nämlich Herrn Maaßen, mit heuchlerischer Empörung noch vor den Kadi zerrt und ihn jetzt zur Stunde aus dem Amt zu drängen versucht. Das alles ist nicht nur politisch perfide, es ist auch eine Beleidigung für jeden nur halbwegs intakten Verstand. ({2}) Es ist einer Kultur- und Bildungsnation völlig unwürdig, meine Damen und Herren. ({3}) Daher ist es auch eine schizophrene Situation, dass wir hier über den hohen Stellenwert von Bildung, über Exzellenzstrategie, Spitzenforschung usw. sprechen, während die Regierungsverlautbarungen, die Staatsmedien und auch die linke Pseudoopposition die elementarsten Eigenschaften von Bildung vermissen lassen, ({4}) nämlich eine funktionierende Urteilskraft, Wahrhaftigkeit, intellektuellen Anstand, auch ein gesundes Selbstbewusstsein als Nation. Ja, wenn nach dem 13. Messermord an Deutschen durch Schutzsuchende die Menschen auf die Straße gehen, dann ist das kein Anlass zum Kampf gegen rechts, liebe Kollegen, ({5}) sondern ein Anlass, den eigenen Willkommenswahn gegenüber allen, inklusive der Verbrecher dieser Welt, zu überdenken. ({6}) Das wäre eine angemessene Beurteilung der Fakten. Wer dazu nicht imstande ist, dem werden auch alle Sprunginnovationen, seien sie noch so toll, nicht weiterhelfen. Dass es so weit kommen konnte in Deutschland, dass derartig die Maßstäbe verloren gegangen sind, das hat nicht nur, aber auch mit dem Niedergang unseres Bildungssystems zu tun. Humboldt-Universität, Humboldt Forum, bald auch Humboldt-Jubiläum – in einem Land mit solchen Institutionen muss doch das Humboldt’sche Bildungsideal hochgehalten werden, möchte man meinen. ({7}) Aber weit gefehlt! Wie zum Hohn auf die Allgegenwärtigkeit des Namens Humboldt haben diese Bundesregierung und die Vorgängerregierungen die Humboldt’sche Bildungsidee konsequent zerstört, und zwar durch den sogenannten Bologna-Prozess. ({8}) In einem Akt der kulturellen Unterwerfung unter ein globalisiertes Studiensystem haben Sie sich – und damit meine ich alle Altparteien – völlig ohne Not von den bewährten deutschen Bildungstraditionen verabschiedet. Sie haben das Studium verschult und modularisiert, die Diplom- und Magisterstudiengänge für einen dreijährigen Schmalspurbachelor geopfert, eine Art zertifizierten Studienabbruch, ({9}) nicht zu reden vom international hochangesehenen Diplom-Ingenieur, den Sie irrerweise abgeschafft haben. ({10}) Die Universitäten wurden politisch und wissenschaftlich nur schwach legitimierten Akkreditierungsagenturen ausgeliefert, denen sie auch noch finanziell tributpflichtig sind. Die Professuren wurden mit wissenschaftsfremden bürokratischen Aufgaben überlastet, und die Studenten wurden zu outputorientierten ECTS-Punktejägern degradiert, die die berühmte akademische Freiheit nur noch vom Hörensagen kennen. ({11}) Von der Humboldt’schen Bildungsidee einer Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden, die sich in Freiheit der Erforschung der Wirklichkeit widmen, wo auch die Charakterbildung, die Erziehung zum aufgeklärten, freien Denken eine wesentliche Rolle spielt, von dieser Idee sind nur noch kümmerliche Reste übrig. ({12}) Und wenn es sie noch gibt, dann nicht wegen der Politik dieser Regierung, sondern im intellektuellen Widerstand dazu, verehrte Kollegen. ({13}) Man hat ja nicht einmal die selbstgesteckten Ziele erreicht. Die bessere Vergleichbarkeit mit ausländischen Studienleistungen ist nicht eingetreten. Die internationale Mobilität der Studenten hat sich gegenüber früher nicht erhöht. Die Wirtschaft kommt nicht schneller zu ihren Uniabsolventen und auch nicht zu besser qualifizierten; im Gegenteil, sie klagt über massiven Niveauverlust.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Marc Jongen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004768, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Nein, ich möchte meinen Vortrag zu Ende führen. – Die über 100 Millionen Euro zur Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses in diesem Bildungshaushalt sollten besser in die geregelte Abwicklung von Bologna fließen. Wir sollten zu Humboldt zurückkehren, meine Damen und Herren. ({0}) Der zweite Angriff auf die Hochschulbildung erfolgte durch die zunehmende Einschleusung von Ideologie in die Wissenschaft. Wir haben in Deutschland mittlerweile 185 Genderprofessuren, davon 36 allein in Berlin. ({1}) Diese Gender Studies betreiben ja nicht einfach Geschlechterforschung, wogegen nichts einzuwenden wäre, sondern sie basieren auf einem Dogma, nämlich auf dem Dogma, dass das soziale Geschlecht mit dem natürlichen Geschlecht nichts zu tun habe. ({2}) Und daher sind sie ein Instrument in der Hand von Lobbygruppen, die mit Ingrimm alles zu zerstören versuchen, was mit der Akzeptanz und Kultivierung natürlicher Geschlechtlichkeit zu tun hat. ({3}) Zuletzt gab es eine solche Pseudowissenschaft, die auf Dogmatik und Denkverboten beruhte, in der DDR in Gestalt des sogenannten Marxismus-Leninismus. Wir sind wieder auf dem besten Weg dahin. Deswegen sollte die Förderung von Gender und ähnlich ideologisierten Studies auslaufen. Sie haben schon genug Schaden angerichtet, meine Damen und Herren. ({4}) Ich komme zum Schluss. Der Bildungshaushalt 2019 enthält auch Zuwendungen an Institute, vor allem naturwissenschaftlicher Art, die sehr gute Arbeit leisten. Frau Ministerin Karliczek hat auf einige hingewiesen. Aber insgesamt atmet dieser Plan doch zu viel von dem erwähnten Ungeist, sodass die AfD-Fraktion ihre Zustimmung nicht geben kann. Vielen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nächster Redner: Swen Schulz für die SPD-Fraktion. ({0})

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Jongen, dass Sie sich auf Humboldt berufen – er würde sich im Grabe umdrehen, wenn er das hörte. ({0}) – Ja, das weiß ich sehr wohl. Aber zum Thema. Die Bundesregierung hat einen guten Haushaltsentwurf vorgelegt. Erneut haben wir einen Rekordhaushalt für Bildung und Forschung zu beraten. Nun sind es über 18 Milliarden Euro Investitionen in die Zukunft. Über 18 Milliarden Euro – das hätte sich vor 20 Jahren, als Rot-Grün diese Trendwende eingeleitet hat, wohl kaum einer vorstellen können. Hochschulpakt und Pakt für gute Lehre, Exzellenzinitiative, Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs, Pakt für Forschung und Innovation und anderes mehr – das sind keine Neuigkeiten und darum vielleicht politisch und medial auch keine Aufreger. Doch genau diese Verlässlichkeit der Förderung über die Wahlperioden und Koalitionen hinweg ist ein Qualitätsmerkmal, das auch international geschätzt wird, Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Aber natürlich dreht sich die Welt weiter, und wir müssen immer neue Antworten auf aktuelle Fragen finden. Da ist es natürlich gut, dass wir mit Olaf Scholz einen Bundesfinanzminister haben, der zusätzliche Mittel für die digitale Bildung an Schulen zur Verfügung stellt: 5 Milliarden Euro werden es sein. ({2}) Und auch die Förderung der Ganztagsbetreuung und der Horte an den Schulen mit 2 Milliarden Euro in dieser Wahlperiode ist ein Meilenstein in der Bildungspolitik des Bundes, für den die SPD gestritten hat – mit Erfolg, Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Dieser Haushaltsplan des Bundesministeriums für Bildung und Forschung enthält so viel, dass es schwerfällt, in einer solchen Debatte bei begrenzter Zeit die Themenauswahl zu treffen. Wir haben uns die Internationalisierung auf die Fahnen geschrieben. Mit dem Haushalt 2018 haben wir sie parlamentarisch gestärkt. Gerade in diesen Zeiten, in denen Nationalismus um sich greift, betonen wir die Bedeutung der Internationalität von Bildung und Forschung, und zwar mit Idealismus, aber auch im wohlverstandenen Eigeninteresse. Wenn andere die Mauern hochziehen, sagen wir: Jetzt erst recht! – Wir wollen die Mauern überwinden, Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Und ich finde es toll, wie das Bundesministerium diesen Aspekt stärkt und an verschiedenen Stellen – etwa bei Fachhochschülern, bei beruflich Gebildeten, in der Wissenschaft – den internationalen Austausch fördert, Frau Ministerin. Unterstützenswert ist auch die Initiative zur Nationalen Forschungsdateninfrastruktur, über die mit den Ländern verhandelt wird. Hier sind im Haushaltsplan 2019 Mittel vorgesehen; das wird dann noch anwachsen. Die nationale Roadmap für Forschungsinfrastrukturen – das ist ein lohnender Prozess. Die Investitionen dafür steigen stark, auf über 300 Millionen Euro im nächsten Jahr – eine großartige Maßnahme. Bei all dem Lob gibt es auch Bereiche, die wir uns parlamentarisch noch genauer ansehen werden. Wir wollen gucken, ob die berufliche Bildung noch mehr gestärkt werden kann. ({5}) Da geht es etwa um die Ausstattung der Berufsschulen. Sie sollten im DigitalPakt angemessen berücksichtigt werden. Dann das Meister-BAföG. In der Koalition haben wir eine Verbesserung ab 2020 vereinbart. Das ist jetzt vielleicht gerade für einen Haushälter wie mich ein ungewöhnlicher Vorschlag: Aber ich finde, wir sollten darüber sprechen, ob wir diese Verbesserung nicht schon auf das Jahr 2019 vorziehen können. ({6}) Für uns Sozialdemokraten ist klar, Herr Schipanski: Berufliche Bildung ist genauso wichtig wie akademische Bildung. Deswegen wollen wir auch für die Berufsbildung mehr tun. ({7}) Ein weiteres Herzensanliegen der SPD ist das BAföG für Schüler und für Studierende. Das BAföG wurde ja von der SPD und der FDP unter Willy Brandt eingeführt, damit sich diejenigen, die von Haus aus nicht so viel Geld haben, Bildung leisten können. Nun haben wir die Situation, dass immer weniger Menschen BAföG beziehen. ({8}) Man könnte positiv sagen: weil die wirtschaftliche Entwicklung so gut ist und die Leute dann weniger Unterstützung benötigen. Aber, Kolleginnen und Kollegen, das wäre ein Trugschluss. Vielmehr haben wir es mit einem Sinkflug, mit einem Trend zur Erosion des BAföG zu tun, und dem müssen wir begegnen. Das BAföG muss gestärkt werden, es muss höhere Leistungen bieten, und es muss wieder in der Mitte der Gesellschaft ankommen, Kolleginnen und Kollegen. ({9}) Denn viele, die über den geltenden Einkommensgrenzen liegen, haben trotzdem Unterstützungsbedarf. Es gibt Kostensteigerungen – ich sage nur: Wohnen und Mieten. Darum fordern wir Sie auf, Frau Ministerin, ({10}) schnell einen kraftvollen Vorschlag zur Stärkung des BAföG – von mir aus auch schon ab Sommersemester 2019 – vorzulegen. ({11}) Meine Redezeit reicht nicht annähernd für alle Themen, die wichtig sind. ({12}) Da sind die Fachhochschulen zu nennen. Im letzten Jahr haben wir parlamentarisch 1 Million Euro plus für die Forschung an Fachhochschulen beschlossen. Jetzt sieht das Ministerium für 2019 null vor, 2020 soll es immerhin ein Stück raufgehen, 2021 wieder null. Muss es so zäh sein? Wir wollen schauen, ob da mehr geht. ({13}) Ein anderer Punkt. Bei der Verteilung der zusätzlichen Forschungsmittel in dieser Wahlperiode erhalten die Geistes- und Sozialwissenschaften gerade mal 550 000 Euro mehr – 550 000 Euro von weit über 1 Milliarde, die zusätzlich in den vier Jahren zur Verfügung steht, und das bei all den Themen, die wir gesellschaftlich zu diskutieren haben. Da verschlägt es mir fast die Sprache. Wir müssen darüber noch mal reden. ({14}) Die Forschung für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen soll in diesen vier Jahren 5 Millionen Euro mehr erhalten; das ist bereits im Haushalt 2018 drin. Für die nächsten Jahre sind vom Ministerium Nullrunden vorgesehen. Ob das reicht in Zeiten der Digitalisierung, der Arbeit 4.0 und der künstlichen Intelligenz? Ich wage das zu bezweifeln. Wir werden dem näher auf den Grund gehen. ({15}) Ich weiß, dass ich auf die Stichworte „Digitalisierung“, „künstliche Intelligenz“ oder auch „Sprunginnovationen“ und „Hightech-Strategie“ noch näher eingehen sollte. Ich will aber mit einem ganz anderen Thema schließen, nämlich Alphabetisierung und Grundbildung. Wir haben in den letzten Jahren schon einiges auf diesem Feld getan, doch meines Erachtens sind die Möglichkeiten nicht ausgeschöpft – bei weitem nicht ausgeschöpft. Die Aufgabe des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ist eben nicht nur die Förderung zum Nobelpreis, sondern eben auch die Stärkung von Erwachsenen, damit sie ohne Hilfe einkaufen und zum Arzt gehen können. Wir müssen ganz besonders diese Leute fördern, die den Mut haben, sich Hilfe zu holen und ihre Bildung anzupacken. ({16}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Sinne: Die Haushaltsberatungen werden sicher intensiv und spannend. Ich freue mich darauf. Herzlichen Dank. ({17})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Swen Schulz. – Nächste Rednerin für die FDP-Fraktion: Nicola Beer. ({0})

Nicola Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004668, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dürre ist das Thema dieses Sommers – abgesehen von der Regierungstragödie, die wir beobachten konnten –: massive Ernteausfälle, Notschlachtungen, weil für Tiere nicht genug Futter vorhanden war, monatelang extreme Waldbrandgefahr. ({0}) – Herr Kollege, die Wissenschaft warnt seit Jahren davor, dass unsere Sommer heißer und trockener werden, und auch vor den Konsequenzen, die das für die Landwirtschaft hat. Eine Strategie, wie sich die Landwirtschaft an diesen Klimawandel anpassen kann, eine entsprechende Forschung bei Ihnen, Frau Karliczek, oder bei der Kollegin Klöckner? Fehlanzeige! Es gibt punktuelle Förderung ohne System, das war’s – ressortübergreifende Dürre. Diese strategische Dürre ist das Markenzeichen der Großen Koalition. ({1}) Die Auswirkungen des Versagens der Bundesregierung bei dem Wettlauf um Zukunftstechnologien werden wir erst in der Zukunft zu spüren bekommen, ja, aber die Folgen werden gravierend sein, weil wir genau so den Anschluss an den technologischen Fortschritt verpassen und damit die Basis für künftigen Wohlstand verspielen. Beispiel Digitalisierung. Die Bundesregierung will die Chancen der Digitalisierung in Bildung und Forschung stärken – sagt sie, heute auch wieder. Eine entsprechende Strategie sucht man im Haushalt vergeblich. Im Einzelplan für Bildung und Forschung ist nicht einmal ein eigenes Kapitel dazu vorgesehen, im gesamten Haushalt 2019 nur der Sonderfonds, den wir schon aus dem letzten Jahr kennen. Von daher: Hier ist weiter nichts vorangegangen. Sehr geehrte Frau Karliczek, das reicht hinten und vorne nicht, nicht einmal für die Ausstattung der Schulen mit Breitband und Tablets. Dabei wäre so viel mehr notwendig als nur Ausstattung. Sie sprechen hier von Schul-Clouds, das ist woanders längst Standard. Andere Staaten haben auch digitale Lernmethoden zur individuellen Förderung schon als Standard. Wir hinken hinterher, und Sie haben es noch nicht einmal für nötig befunden, mit uns über eine Grundgesetzänderung zu sprechen, die auf Qualität setzt und nicht nur auf Beton. ({2}) Ich kann Ihnen nur sagen: Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Wir hätten kurzfristig Zeit. Kommen Sie auf uns zu. Ihnen fehlen in diesem Haus noch ein paar Stimmen. ({3}) Ein Beispiel, Herr Schipanski. Künstliche Intelligenz ist eine der Schlüsseltechnologien für die Zukunft. Auch hier sind wir in Deutschland längst abgehängt, wenn man auf USA, China oder andere guckt. ({4}) Und wie sieht die Strategie der Bundesregierung aus? Künstliche Intelligenz hat endlich einen eigenen Mittelansatz bekommen: 1 Million Euro. – Wow! ({5}) Die GroKo hat genau 1 Million Euro für die Aufholjagd zur Verfügung gestellt. ({6}) Die Wettbewerber, Frau Karliczek, zittern schon vor dem Wettbewerb aus Deutschland. Was für eine Investition! ({7}) Ansonsten wieder nur das Übliche: ein bisschen punktuell hier und da, kein Gesamtkonzept. Kurz: erneut Dürre, das Markenzeichen der Großen Koalition. Kommen wir zum Thema Sprunginnovationen. Viele Kollegen haben es angesprochen. Andere Staaten haben schon lange erkannt, dass es für bahnbrechende Erfindungen bei Schlüsseltechnologien Experimentierwerkstätten ohne Denkverbote, ohne Vorgaben braucht. Immerhin: Die Bundesregierung hat, nachdem wir als Freie Demokraten uns den Mund fusselig geredet haben, nun endlich als notwendig erkannt: Wir brauchen eine Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen. Tja, leider gibt es wieder kein fertiges gemeinsames Konzept. Dann wird es im Haushalt 2019 halt eben nichts mit der Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen. ({8}) – Man will mit einem Netzwerk Zeit gewinnen, Herr Kollege Schipanski, aber die Zeit ist uns längst davongelaufen. Es ist die Zeit, die wir nicht mehr haben. ({9}) Bildung und Forschung sind die Grundpfeiler unseres künftigen Wohlstands. Es geht darum, den Menschen das Leben zu erleichtern, die Lebensqualität zu verbessern, Chancen für wirklich jeden in unserem Land zu eröffnen, Lösungen für heutige und auch für zukünftige, für absehbare Probleme zu finden. Aber wir? Wir hecheln bei vielem wieder nur hinterher. Warum lernen Sie nicht daraus und installieren ein Frühwarnradar, das auf künftige Trends hinweist? Dann aber, Frau Karliczek, bräuchte man auch freie Gelder im Haushalt für Neues. Doch bei Ihnen? Dürre! Sie verschlafen die Zukunft unseres Landes schlicht durch Nichtstun. ({10}) Der Fachkräftemangel ist angesprochen worden. Er ist schon spürbar: 10 000 unbesetzte Lehrstellen, Dürre in der Bewerberlandschaft, Dürre bei der Mitarbeitersuche, weil es immer weniger Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt gibt. Aber, Herr Schipanski, wenn ich dann in den Haushalt schaue, stelle ich fest – mit Verlaub –, ({11}) wie wenig ambitioniert Sie agieren. 1,7 Milliarden Euro investieren Sie in die berufliche Bildung. Das sind noch nicht einmal 10 Prozent des Bildungsetats und weniger als 0,5 Prozent des Bundeshaushalts. ({12}) Mit Verlaub, Sie versündigen sich an dieser Stelle an der Zukunft der jungen Menschen im Land. ({13}) Wie gerne hätte ich mit Ihnen über neue Ideen und Konzepte diskutiert. Aber Sie sind offensichtlich zu müde, Sie sind zu erschöpft, ({14}) um genau dieses Zukunftsfeld in Deutschland mit Investitionen zu bedienen. Ich kann das ja verstehen; denn statt über die besten neuen Ideen zu streiten, sehen wir wieder eine Krise der Großen Koalition: Ausgang ungewiss. Die Parteivorsitzenden tagen gerade parallel zum Plenum. Hören Sie doch endlich auf, sich mit sich selbst zu beschäftigen! Fangen Sie an zu regieren, ({15}) fangen Sie endlich an, zu handeln und etwas umzusetzen! ({16})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Nicola Beer. – Nächste Rednerin: Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als wir hier über den Haushalt 2018 diskutiert haben, wurde uns angekündigt, dass wir über den Entwurf für 2019 überrascht sein würden, dass das ein richtiges politisches Programm werden würde. Wir waren also gewaltig neugierig, insbesondere auch deshalb, weil wir im Ressort Bildung und Wissenschaft eine neue Ministerin haben. Man denkt natürlich: So eine Ministerin hat mit Sicherheit eine Botschaft, ein Programm, ein eigenes Projekt; ({0}) sie wird kritisch reflektieren, was in den letzten zehn Jahren passiert ist. Das musste man auch erwarten, nicht allein deshalb, weil Sie neu sind, Frau Karliczek, sondern weil in den letzten zehn Jahren in diesem Land Dinge passiert sind, die das Land grundlegend verändert haben, die die gesellschaftliche Tektonik verschoben haben, die die demokratischen Grundlagen dieses Landes im Ansatz haben brüchig werden lassen. Das hat mit den Entscheidungen, auch den politischen Fehlentscheidungen im Bildungs- und im Forschungsbereich zu tun. Deshalb musste etwas Neues her. ({1}) Nun fragt man sich angesichts dieses Umstandes natürlich, ob die Ministerin in diesem Haushalt das Alltagswissen und vor allem eben auch die Erwartungen der Menschen an Bildungs- und Wissenschaftspolitik aufnehmen konnte. Es ist vorhin schon gesagt worden: Nicht erst seit dem letzten Jahr, nicht erst seit der letzten Legislaturperiode, sondern seit Jahrzehnten hängt der Bildungserfolg in Deutschland von der sozialen Herkunft ab. Schön, Herr Lauterbach, dass Sie darauf hinweisen; aber Sie sind auch nicht erst seit gestern an der Regierung. ({2}) – Ja, Sie arbeiten daran. Na, das ist ja beruhigend. Im akademischen Aufstieg setzt sich das fort. Wenn man mit Nachwuchswissenschaftlern spricht, hört man, dass sie Vollzeitverträge haben, aber nur für eine halbe Stelle bezahlt werden. Das heißt, es ist ihnen unmöglich, eine vernünftige Lebensplanung vorzunehmen, und das trotz Qualifikation, trotz Leistung, trotzdem die Leute hochmotiviert sind und für ihre Universitäten unverzichtbar sind. Dass die Ministerin nun, wie sie gesagt hat, die berufliche Bildung besonders fördern will, trifft bei uns natürlich auf Zustimmung. Aber wenn man in den Haushaltsentwurf reinguckt, findet man dafür magere 10 Millionen Euro, und das sind dann eben 10 Millionen Euro für Leuchtturmprojekte. Das wird das Problem nicht grundlegend ändern. Darüber hinaus wissen wir, dass wir über die gesamte Bildungskette – angefangen von der Kita, über die Schule, die Hochschulen und die Wissenschaftsorganisationen bis hin zum lebensbegleitenden Lernen – unsere Fachkräfte ausbilden müssen, weil sie uns massenhaft fehlen. Auch dort muss angesetzt werden. Und bei der Grundgesetzänderung, die Sie jetzt mit Blick auf die Abschaffung des Kooperationsverbots vorhaben, geht es eben nicht nur um fiskalische Entscheidungen, Herr Schipanski, sondern dabei geht es auch darum, dass man sich über inhaltliche Standards verständigt, ({3}) zum Beispiel bei der Frage, wann welche Fächer einsetzen, und Ähnlichem. Das heißt, wir brauchen dort nicht nur Quantitäten, sondern auch Qualitäten. ({4}) – Jetzt seien Sie mal ganz ruhig, Herr Schipanski! Sie haben in den letzten fünf Jahren, in denen Sie regiert haben, 1 500 Lehrer eingestellt. Thüringen hat, seitdem wir zusammen mit der SPD und den Grünen regieren, 3 500 Lehrer eingestellt. ({5}) Seien Sie also mal ganz ruhig in der ersten Reihe! Mithin will ich auch sagen, wie die zweite große Frage, der Sie sich stellen müssen, lautet: Kann die Bundesregierung über diese Legislaturperiode hinausschauen? Vorhin ist von den Grünen schon angedeutet worden: Die Außenpolitik muss befriedet werden. Fluchtursachen müssen bekämpft werden. Der Rückfall Europas in Nationalstaaten ist zu verhindern. Der Klimawandel und die Umweltzerstörung sind aufzuhalten. Finanzkrisen, technologischer Wandel, soziale Verwerfungen, Demografie, Migration, Inklusion – all das wird ohne Forschung und ohne wissenschaftliche Erkenntnisse, die auch in die Gesellschaft übertragen werden, nicht zu meistern sein. Das heißt, die Wissenschaft kann gesellschaftsverändernde Konzepte liefern, und sie ist Teil dieser Gesellschaftsveränderung. Das schlägt sich auch in den Forschungsthemen und in den Lehrinhalten nieder. Sie können darüber philosophieren, wie wir die Universitäten gestalten wollen. Themen wie Diplom, Gentrifizierung oder Gender Studies, das alles ist das gesamte Leben. Es geht nicht nur um ein paar Frauen mehr in der Wissenschaft, sondern auch um Perspektiven, um Inhalte und um die Öffnung des Systems für die Probleme dieser Welt und dieses Landes. ({6}) Natürlich heißt das darüber hinaus, dass Wissenschaft, Bildung und Kultur solidarische Leistungen einer Gesellschaft bzw. einer Gemeinschaft sind. Was diese Gemeinschaft mit ihren Steuergeldern leistet, muss dieser Gemeinschaft auch ungebrochen wieder zugutekommen. Das ist das Merkmal von freiheitlich-demokratischen Gesellschaften. ({7}) Letztlich will ich sagen, dass wir darüber zu diskutieren haben, ob das Gesamtsystem weiterhin so wettbewerblich, also quasi marktgesteuert, aufgestellt bleiben soll und ob diese Unterfinanzierung nicht endlich systematisch angegangen werden muss. Das wäre nun wieder ein Projekt für Ihre Legislatur. Fazit: Eine Gesellschaft, die mit ihren Steuern Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen finanziert, kann einen Anspruch darauf erheben, dass alle in dieser Gesellschaft einen Nutzen haben. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Das ist die Aufgabe der Bundesregierung. Danke. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Petra Sitte. – Nächste Rednerin: Dr. Anna Christmann für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Anna Christmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004694, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wer von Ihnen das Computerspiel „Civilization“ kennt. Wer in den 90er-Jahren groß geworden ist – ich sehe, es gibt einige –, hat es vielleicht ab und zu gespielt – ich glaube, es gibt dieses Spiel immer noch –; bei mir ist das aber schon ein bisschen länger her. Das Interessante an diesem Spiel war, dass man nicht nur dann gewinnen konnte, wenn man die anderen Zivilisationen einnahm, wie es bei Computerspielen ja oft der Fall ist, sondern auch, indem man die Weltwunder baute und die größte Wissensnation wurde. Das Spiel war also in diesem Fall ein ziemlich realistisches Spiel. Denn nur wer konsequent die Orte fördert, an denen kluge Ideen entstehen, der ist für die Zukunft gut gerüstet, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wenn die Bundesregierung heute „Civilization“ spielen würde, wäre sie am Ende leider nicht der Gewinner. ({0}) Im Forschungsbereich stellen Sie Minibeträge zur Verfügung, während andere Staaten Milliarden investieren. Sie sagen ja selbst, Frau Karliczek, Aufwüchse im Forschungsbudget seien nicht selbstverständlich, wie wir in der „FAZ“ nachlesen konnten. Offensichtlich haben Sie dieses Motto auch gleich in diesem Haushalt umgesetzt; denn von Aufwüchsen ist jenseits der üblichen und lange vereinbarten Pakte in der Tat nicht viel zu sehen. ({1}) Dabei müssten Sie als Forschungsministerin doch wissen: Nur mit guter Forschung können wir die Herausforderungen, vor denen wir stehen, meistern, sei es bei der Bekämpfung der Klimakrise, sei es beim Umstieg auf saubere Energien, sei es bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz auf der Grundlage europäischer Werte. All das hat bei dieser Bundesregierung keine Priorität. Sie denken zu klein, finanziell und geografisch. ({2}) Das Stichwort „künstliche Intelligenz“ ist heute schon ein paar Mal gefallen. Es wurde gesagt, 1 Million Euro sei ja nicht besonders viel. Es ist leider ein bisschen schlimmer; denn für das gemeinsame Zentrum mit Frankreich sind sage und schreibe 500 000 Euro eingestellt. Wenn ich mir die Gehälter in der KI-Branche angucke, wird das, glaube ich, ein ziemlich kleines Zentrum werden oder vielleicht auch ein sehr kleines Netzwerk; Sie sind ja noch nicht so entschieden, wo es wirklich hingehen soll. Eines muss man Ihnen lassen: Letztes Mal war dieser Haushaltstitel noch leer, jetzt sind 500 000 Euro drin. Aber wenn das die Aufholjagd bei KI sein soll, dann bin ich doch ein bisschen skeptisch. ({3}) Man sieht am Beispiel der Forschungsförderung im Bereich KI aber noch etwas anderes: Die Bundesregierung verharrt auch hier im nationalstaatlichen Klein-Klein. Das ist ein Fehler; denn wenn wir wollen, dass die Innovationen der Zukunft in Europa entstehen, dann müssen wir auch europäisch denken und mutig europäisch investieren. ({4}) Das gilt nicht nur im Bereich KI. Auch für die Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen, die heute schon einige Male genannt wurde, gibt es noch nicht wirklich ein Konzept, außer – das ist mir aufgefallen – dass in den Eckpunkten relativ oft aufs Ressortprinzip verwiesen wird, wo doch diese Agentur so frei arbeiten sollte. Also, ich bin sehr gespannt, wie das umgesetzt wird. Ein zweiter Punkt ist, dass es hier eine nationale Agentur geben wird, während die EU gleichzeitig eine europäische Innovationsagentur aufbauen möchte. Ich halte es für völlig falsch, das zu entkoppeln; denn was wir brauchen, ist doch eine europäische Innovationsmarke. Die Menschen entscheiden nicht, ob sie nach Paris oder Berlin gehen. Sie unterscheiden nicht zwischen den Städten; die können sie zum Teil nicht gut auseinanderhalten. Sie entscheiden zwischen Amerika und China und uns als Europa. ({5}) Deswegen brauchen wir hier einen europäischen Weg. Die Europäische Kommission hat gerade einen erheblichen Aufwuchs vorgeschlagen. Ich hoffe sehr, dass Sie diesen Vorschlag für eine gute Ausstattung der europäischen Innovationsagentur mit unterstützen. ({6}) Insgesamt kann ich leider nicht sehr große Anstrengungen in diesem Bereich erkennen. Vielleicht, Frau Karliczek, könnten wir es doch mal mit dem Computerspiel versuchen. Wenn Sie dann selber die Weltwunder und die Forschungsnation virtuell aufbauen, weckt das vielleicht Ihren Ehrgeiz, noch ein paar neue, größere Projekte zu entwickeln. Darauf würde ich mich freuen. Im Moment ist mir das noch ein bisschen zu wenig Ehrgeiz. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Anna Christmann. – Nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion: Katrin Staffler. ({0})

Katrin Staffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004901, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir einen politisch durchschnittlich interessierten Bürger oder eine politisch durchschnittlich interessierte Bürgerin hier fragen – Sie auf den Besuchertribünen können das vielleicht in Gedanken mitspielen –: „Woran denken Sie, wenn Sie den Begriff Bundeshaushalt hören?“ – der eine oder andere gähnt schon da oben –, ({0}) käme vermutlich heraus, dass Sie an unglaublich viele Zahlenreihen denken, an bürokratische Begriffsmonster und daran: Oh mein Gott, wie langweilig! Ich möchte Ihnen sagen: So ein Haushalt ist nicht langweilig, ganz im Gegenteil. Das, was am Ende dieser Beratungen, die wir hier in dieser Woche führen, herauskommt, ist kein langes und trockenes Zahlenwerk, sondern der Fahrplan für die Zukunft unseres Landes. Das lässt sich an einem ganz einfachen Beispiel, wie ich finde, sehr plastisch zeigen. Wenn ich daheim in meinem Wahlkreis mit einem Unternehmer spreche und ihn frage, was die Herausforderungen, was die großen Probleme in seinem Unternehmen sind, dann höre ich immer und immer wieder das gleiche Thema, und zwar, dass es immer schwieriger wird, qualifizierte, motivierte, gut ausgebildete Fachkräfte zu finden. Wir müssen uns vor Augen halten, dass die fehlenden Fachkräfte dazu führen, dass Unternehmen vorhandene Aufträge ablehnen müssen. Die fehlenden Azubis von heute führen dazu, dass Unternehmen auch morgen und über einen langen Zeitraum hinweg wegen Personalmangel keine Aufträge mehr annehmen können oder nicht mehr so viele, wie sie gerne möchten, mit all den negativen Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung und damit auch für die Zukunft unseres Landes. Wir müssen also mit dem vorliegenden Haushalt die Frage beantworten, wie wir es schaffen, dass unsere Investitionen in Bildung dazu führen, dass wir mehr kluge Köpfe haben, damit Deutschland auch dauerhaft international wettbewerbsfähig bleibt. ({1}) Die Antwort auf diese Frage liefert uns der Haushalt. Wir erreichen dieses Ziel, indem wir erstens unsere Fachkräfte so gut wie möglich ausbilden, damit sie konkurrenzfähig sind, und zweitens den Wissenschaftsstandort Deutschland so attraktiv gestalten, dass die klügsten Köpfe aus aller Welt zu uns kommen und auch dauerhaft dableiben. ({2}) Ich möchte ein paar konkrete Beispiele nennen, wie wir dieses Ziel mit dem Haushalt erreichen wollen. 2019 wollen wir achtmal so viel Geld für die Modernisierung der Ausbildung ausgeben, zum Beispiel für Projekte in der Berufsbildung 4.0. Ich glaube, wir stimmen fast alle darin überein, dass digitale Kompetenzen heute neben Lesen, Schreiben und Rechnen zu den Schlüsselkompetenzen in der Berufsausbildung zählen. Indem wir frühzeitig die Berufsausbildung auf diese veränderten Grundlagen und Anforderungen anpassen, machen wir die berufliche Ausbildung fit für die Zukunft. Da ich gerade beim Thema Digitales bin, möchte ich an dieser Stelle einen kurzen Exkurs zum Thema „künstliche Intelligenz“ einschieben. Wir haben in zwei Reden schon sehr viel über das Thema „künstliche Intelligenz“ gehört und darüber, wie schrecklich das doch alles sei. Von der FDP, von Frau Beer, steht die Behauptung im Raum, wir hätten in unserem Haushalt nur eine halbe Million Euro ({3}) – Entschuldigung –, 1 Million Euro für das Thema „künstliche Intelligenz“ vorgesehen. Liebe Frau Beer, Sie müssen sich den Haushalt schon genau anschauen: ({4}) Zählt man die verschiedenen Bereiche im Einzelplan zusammen, in denen das Thema „künstliche Intelligenz“ eine Rolle spielt, stellen wir insgesamt 70 Millionen Euro – 70 Millionen Euro, nicht 1 Million Euro! – für die künstliche Intelligenz bereit. ({5}) Aber nun zurück; ich war beim Thema „berufliche Ausbildung“. Durch Aufenthalte in ausländischen Betrieben können sich unsere deutschen Azubis mit Azubis im Ausland austauschen. Sie erfahren dabei sehr viel über die Arbeitsweisen in anderen Ländern. Der Austausch intensiviert das gegenseitige Lernen, und der Dialog zwischen Fachleuten ist etwas, was sich positiv auf die Entwicklung unserer Azubis auswirkt. Vor diesem Hintergrund sind im Haushalt 5,3 Millionen Euro für internationale Austauschprogramme in der beruflichen Bildung vorgesehen. Das sind 3 Millionen Euro mehr, als wir in diesem Jahr dafür ausgeben. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Staffler, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Frau Christmann?

Katrin Staffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004901, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde gerne fortfahren, danke. ({0}) Natürlich ist es uns auch wichtig, dass die Wissenschaft von mehr Austausch und Mobilität profitiert, weil das die Voraussetzung dafür ist, dass wir wettbewerbsfähige Fachkräfte und wettbewerbsfähige Spitzenforschung und Innovationen haben. Deswegen erhöhen wir 2019 die Zuwendungen an den DAAD und an die ­Alexander-von-Humboldt-Stiftung sehr deutlich; der DAAD bekommt 74 Millionen Euro, die Alexander-­von-Humboldt-Stiftung 66 Millionen Euro. Auch das ist aus meiner Sicht ein gutes und wichtiges Zeichen. ({1}) Ich komme damit zum zweiten Punkt, nämlich zu der Frage, wie wir den Wissenschaftsstandort Deutschland attraktiver gestalten können. Wir wollen über 24 Millionen Euro mehr für das Bund-Länder-Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ausgeben. Indem wir transparente, planbare Karrierewege in der akademischen Welt schaffen, wollen wir Wissenschaftler dauerhaft – das ist wichtig – für Deutschland gewinnen. Wir wollen außerdem noch mehr erfolgreiche ausländische Hochschulabsolventen nach Deutschland holen. Ich habe vorhin von dem Unternehmer in meinem Wahlkreis gesprochen. Davon, dass wir es schaffen, ausländische Hochschulabsolventen nach Deutschland zu holen, profitieren gerade diese Unternehmer. Dafür haben wir im Haushalt 3 Millionen Euro vorgesehen. ({2}) Nicht zuletzt investieren wir mehr Geld in die Internationalisierung der Hochschulen: 5,1 Millionen Euro für die Internationalisierungsstrategie Hochschulen – das sind 2 Millionen Euro mehr als in diesem Jahr – und zusätzlich 10 Millionen Euro für die Internationalisierung der Fachhochschulen. Ich begrüße ausdrücklich, dass wir die Fachhochschulen dabei berücksichtigen – sie sind unser Alleinstellungsmerkmal im deutschen Wissenschafts- und Bildungssystem – und dass wir als Bund hier mehr Unterstützung leisten, weil ich glaube, dass es wichtig ist, dass auch die Fachhochschulen für ausländische Studenten, Lehrer und Wissenschaftler attraktiver werden. ({3}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, der internationale Wettbewerb um Wissen und Talente wird immer härter. Ich glaube, das können wir alle nachvollziehen, wenn wir mit den Unternehmern in unseren Wahlkreisen sprechen. Daher ist es richtig – ich halte es auch für wichtig –, dass wir mehr in die Ausbildung unseres Nachwuchses investieren und dass wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Deutschland für die klügsten Köpfe der Welt attraktiver wird. Der Etat für das BMBF für 2019 macht einen wichtigen Schritt in diese Richtung, und ich glaube, für die Zukunft muss gelten, dass wir dranbleiben und diesen Weg auch konsequent weitergehen. Darauf freue ich mich. Vielen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Katrin Staffler. – Nächste Rednerin: Marja-Liisa Völlers für die SPD-Fraktion. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte etwas zum Einzelplan 60 sagen. Keine Sorge, mir ist völlig klar, dass es sich hier um den Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, den Einzelplan 30, handelt. Aber im Einzelplan 60 stehen die Mittel für eines der wichtigsten bildungspolitischen Vorhaben, das wir uns miteinander gegeben haben, nämlich den DigitalPakt Schule. Dank unseres sozialdemokratischen Finanzministers Olaf Scholz steht die Anschubfinanzierung von 2,4 Milliarden Euro für das Sondervermögen „Digitale Infrastruktur“ früher als gedacht bereit. ({0}) „Anschieben“ ist ein gutes Stichwort, wenn es um den DigitalPakt geht. ({1}) Wir wollen etwas ganz Wichtiges anschieben: Wir wollen die Schülerinnen und Schüler in unserem Land besser auf das Leben und Arbeiten in der digitalen Welt vorbereiten. ({2}) Wir wollen das Lernen in der Schule leichter und moderner machen, und wir wollen gemeinsam – im Schulterschluss von Bund, Ländern und Schulträgern – die Stärkung der digitalen Infrastruktur voranbringen. ({3}) Herr Kollege Schipanski, bei aller koalitionären Zuneigung: Das ewige Ausspielen, Bund gegen Länder, ist bildungspolitisch ebenso wenig sinnvoll wie die unwahre Behauptung, die SPD würde die akademische Bildung über die berufliche stellen. ({4}) Anschieben müssen wir auch das Bildungsministerium des Bundes – leider. Seit zwei Jahren geht das schon so. Die Erwartungshaltung bei den betroffenen Akteuren im Bildungsbereich ist hoch. Sie darf nicht noch einmal enttäuscht werden. Wir von der SPD-Bundestagsfraktion wollen den DigitalPakt endlich umsetzen. Er muss am 1. Januar 2019 starten. ({5}) Sehr geehrte Damen und Herren, wir, die SPD, haben unseren Teil der Arbeit erledigt und die Verabredung eingehalten. Das Geld ist da. Jetzt sind Sie am Zug, Frau Ministerin. ({6}) Die Verhandlungen zur Verwaltungsvereinbarung mit den Ländern sind gestartet. Schließen Sie diese zeitnah ab, und gestalten Sie die Antragsvoraussetzungen und Verfahren nicht zu kompliziert, sondern attraktiv! ({7}) Der 1. Januar ist nicht mehr fern. Zum jetzigen Zeitpunkt – es ist Mitte September – weiß kein potenzieller Antragsteller, was ihn eigentlich erwartet und auf was genau er sich vorbereiten soll. ({8}) Lehrkräfte, Schulleitungen und Schulträger fragen ständig nach den Details, nicht nur mich. Jeder von uns Abgeordneten hat in seinem Wahlkreis Interessierte, denen wir keine befriedigende Antwort geben können, ({9}) weder zum Antragsverfahren noch zum Zeitpunkt der Mittelvergabe oder zu sonst irgendetwas. ({10}) Frau Ministerin, ich finde, dass Sie all denen, um die es hier geht, eine zielführende Kommunikation und Unterstützung schuldig sind, und zwar umgehend und nicht irgendwann Ende des Jahres, kurz vor dem Start. Sehr geehrte Damen und Herren, eine Sache ist mir noch ganz wichtig, nämlich dass alle Kinder und Jugendlichen, deren Eltern es sich nicht leisten können, die für den Unterricht nötigen Geräte, wie zum Beispiel Tablets, zu kaufen, über den DigitalPakt Unterstützung bekommen. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist das eine Frage der Gerechtigkeit. Hierfür brauchen wir eine gute Lösung. ({11}) Zum Abschluss meiner Rede will ich für die SPD eines ganz deutlich sagen, und zwar noch mal: Die Änderung des Grundgesetzes ist für uns Voraussetzung für den DigitalPakt. Daran gibt es nichts zu deuteln, egal was in dieser Angelegenheit gerade als Störfeuer aus dem grün-schwarz regierten Baden-Württemberg kommt. ({12}) Damit, dass Ministerpräsident Kretschmanns Ansinnen das komplette Gegenteil von dem ist, was die Bundestagsfraktion der Grünen zusammen mit der FDP fordert, brauche ich hier jetzt gar nicht groß anzufangen. ({13}) Sehr geehrte Damen und Herren, wir sehen in der Abschaffung des Kooperationsverbots eine große Chance. Diese gilt es zu nutzen. Der DigitalPakt Schule kann und muss der Anfang der Erfolgsgeschichte eines neuen kooperativen Bildungsföderalismus werden. Einen herzlichen Dank. ({14})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin Völlers. – Nächste Rednerin: Kerstin Radomski für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Kerstin Radomski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004382, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir heute über den Einzelplan 30 debattieren, dann sprechen wir über einen Rekordhaushalt für Bildung und Forschung. Wir geben 18,1 Milliarden Euro für die Zukunft unseres Landes aus. Dies bedeutet ein Plus von 3 Prozent; das heißt ganz konkret eine halbe Milliarde Euro mehr als noch im letzten Haushalt. Das ist ein Aufwuchs auf ein nie dagewesenes Niveau, und dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, weiterhin ohne Neuverschuldung. Vor allem ist das aber ein wichtiges Signal, dass wir in die Zukunft unseres Landes investieren wollen und dass wir gute Rahmenbedingungen ermöglichen, damit Deutschland weiterhin erfolgreich bleibt. Wir sind mit diesem Haushalt auf dem richtigen Weg. Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner werden wir als Unionsfraktion im Rahmen der Haushaltsberatungen sicherlich noch das eine oder andere einbringen. ({0}) Auch wenn wir in diesen Tagen über viele wichtige Politikfelder sprechen, so gibt es keine bessere Investition als in die Bildung von Kindern, in die Ausbildung von Jugendlichen und in die Stärkung des Forschungsstandortes Deutschland. ({1}) In Zeiten großen Wandels sind die Ausbildungs- und Berufschancen der jungen Generation die Entwicklungschance unserer Gesellschaft schlechthin. Es geht darum, dass unser Land im Hinblick auf hochtechnologische Entwicklungen noch besser wird; denn es sind entscheidende Jahre. Deshalb möchte ich unsere heutige Diskussion für einen Moment aus der tagespolitischen Debatte und auch aus der Parteipolitik herausziehen. Wir befinden uns derzeit in der digitalen Revolution, in der zweiten entscheidenden verändernden Phase, die nur mit der industriellen Revolution zu vergleichen ist. Wir sprechen in der Forschungspolitik über die Anwendung von künstlicher Intelligenz, neue Formen der Mobilität oder medizinische Durchbrüche. In der Bildungspolitik sprechen wir darüber, wie wir unsere Kinder auf all diese Herausforderungen vorbereiten. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bin ich froh, dass dieser Haushaltsentwurf die richtigen Weichenstellungen vornimmt. Für Forschung und Entwicklung werden zusätzliche Mittel eingesetzt, um das 3,5-Prozent-Ziel des Koalitionsvertrages zu erreichen. Gegenüber der bisherigen Finanzplanung werden zusätzlich rund 166 Millionen Euro für Maßnahmen im Bereich „Forschung und Entwicklung“ zur Verfügung gestellt. ({2}) Ich möchte Ihnen kurz vier Projekte vorstellen, deren Finanzierung dieser Haushalt beinhaltet und die mich ganz persönlich begeistern. In diesem Sommer habe ich das CISPA in Saarbrücken besucht. Das ist seit zwei Tagen das Helmholtz-Zentrum für IT-Sicherheit. Dieses Helmholtz-Zentrum wird der Bund natürlich fördern. Damit man sich ein bisschen vorstellen kann, was da passiert, muss man erklären, dass mithilfe künstlicher Intelligenz zum Beispiel Datenschutzassistenten in einer App entwickelt werden, die es dem Nutzer ermöglichen, zu sehen, ob er zu viele Daten von sich im Netz preisgibt. Ich glaube, das ist für uns alle wichtig, vor allen Dingen für die, die manchmal unbedarft in Netzwerken unterwegs sind und an dieser Stelle wirklich zu viel preisgeben. Zudem, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es das Fußgänger-Assistenzsystem. Jetzt könnte der eine oder andere sagen: Ich benötige niemanden, um eine Straße zu überqueren. – Doch, dieses System ist wichtig, weil gerade im Alter, ab 65 Jahren – es gibt immer mehr ältere Menschen –, Menschen, die mit Gehhilfen unterwegs sind, im Straßenverkehr gefährdet sind. Dieses System der Technischen Universität Berlin hilft, diese Gefahr zu bannen. Vielversprechend ist auch die MeMoApp, eine App zur Medienkompetenzförderung von Berufskraftfahrern, die immer viel unterwegs sind. Ihnen ermöglicht es eine App, bestimmte Fahrassistenz-Systeme zu erlernen und diese dann in ihrem Berufsalltag anzuwenden. Das kommt vom Institut für Informationsmanagement Bremen. Zudem möchte ich erwähnen, dass in Europa jährlich rund 25 000 Menschen durch resistente Keime sterben. Da gibt es jetzt den Hub zur internationalen Koordinierung im Bereich Antibiotikaresistenzen in Berlin. Dort geht es um die Bündelung von Forschung, um unnötige Parallelforschung zu verhindern. Die 6 Millionen Euro Ansatzerhöhung für die Nationale Wirkstoffinitiative aus dem parlamentarischen Verfahren der vergangenen Wahlperiode sind natürlich auch im Haushalt 2019 enthalten. Vor einigen Wochen konnte ich mich bei einem Besuch des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung selbst von dessen hervorragender Arbeit überzeugen. Es gibt viele weitere Projekte, bei denen ich meine, dass wir in der Zukunft guten Gewissens auf das Jahr 2018 zurückblicken können; denn der Bund investiert und fördert an vielen Stellen. Meine Damen und Herren, neben diesen innovativen Beispielen gibt es natürlich ebenso vieles in diesem Entwurf, mit dem wir seit Jahren gut fahren. Mein Dank gilt der Bildungsministerin Anja Karliczek, die im zurückliegenden halben Jahr einen wirklich guten Job gemacht hat. ({3}) Ihr gelingt es, wichtige Zukunftsthemen und die Debatte über die Bildungsrepublik Deutschland auf den Punkt zu bringen und nicht im Elfenbeinturm zu belassen. Dadurch werden die Bereiche Bildung und Wissenschaft in unserem Land der Dichter und Denker noch konkreter und auch praxisnäher diskutiert. Zum Ende meiner Rede möchte ich festhalten: Ich freue mich auf die Haushaltsberatungen in den nächsten Wochen und hoffe, dass sie wie immer kollegial verlaufen. Ich wünsche uns allen eine gute Beratung. Vielen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kerstin Radomski. – Die letzte Rednerin in dieser Debatte: Dr. Manja Schüle für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Manja Schüle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004885, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Jetzt am Ende der Debatte kann man schon sagen: Wir haben überwiegend tolle Reden von ausgewiesenen Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern gehört, die leidenschaftlich für ihre Themen streiten. ({0}) – Okay, ich sprach ja auch von „überwiegend“ tollen Reden. Bei Frau Höchst würde mir jetzt vielleicht nicht die leidenschaftliche Rede einfallen, sondern eher der Ausspruch „Leidenschaft ist manchmal das, was Leiden schafft“. Ich möchte die nächsten vier Minuten dafür nutzen, um für meine Themen zu werben. Aber vorab auch ein herzliches Dankeschön an Frau Karliczek. 530 Millionen Euro mehr im Bundeshaushalt, das ist nicht gerade von Pappe; das ist gut. Aber wir müssen diese Mittel jetzt auch sinnvoll einsetzen. Der Etat unseres Ressorts bildet das finanzielle Fundament für unser Bildungsland Deutschland. ({1}) Gute Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung befähigen uns, komplexe Fragestellungen nicht nur zu durchdringen, sondern auch seriös und umfassend zu beantworten und uns nicht nur von der Emotio leiten zu lassen, sondern auch die Ratio zu Wort kommen zu lassen. Das ist, finde ich, angesichts der Vorkommnisse in Chemnitz und Köthen eine wichtige Eigenschaft, wenn der Öffentlichkeit vielfach einfache und unterkomplexe Erklärungen per „Bild“-Zeitungsinterview präsentiert werden. ({2}) Gute Bildung ermöglicht es uns, präventiv zu reagieren, vor allen Dingen bei gesellschaftlichen Spannungen. Genau deshalb verstehe ich nicht, dass die Mittel für die sozial- und geisteswissenschaftliche Forschung in diesem Haushaltsentwurf eine Nullrunde einlegen müssen. Genau aus diesem Grund, liebe Frau Karliczek, verstehe ich auch nicht, warum im Förderprogramm „Forschung für die zivile Sicherheit“ der komplette Bereich Rechtsextremismus einfach gestrichen worden ist, statt ihn zu stärken. Da müssen wir dringend nacharbeiten. ({3}) Richtig, liebe Kollegin Staffler: Haushaltspolitik ist mehr als Zahlenwerk. Sie ist mehr als Titelgruppen oder Ansätze im Ist und Soll. Haushaltspolitik ist immer auch zahlengewordene Gesellschaftspolitik. Wer das Fundament nicht ordentlich ausstattet, der muss dann irgendwann in Kauf nehmen, dass das Haus ein bisschen wackelt. Das gilt für mich im Übrigen auch mit Blick auf den Titel „Innovationsförderung in den neuen Ländern“, in diesem Haushalt erstmals durch den Passus „und regionaler Strukturwandel“ ergänzt. Richtig so. Wir müssen strukturschwache Regionen in ganz Deutschland fördern. Allerdings ist im Haushalt die Verbreiterung des geografischen Raums nicht mit einem Mittelaufwuchs einhergegangen. Man muss kein Mathematiker sein, um zu wissen, dass am Ende des Tages weniger in Ostdeutschland ankommt. Das finde ich nicht in Ordnung. Dazu ein kleiner Literaturhinweis: Das haben wir im Koalitionsvertrag ein bisschen anders miteinander verabredet. ({4}) Bitter stößt mir in der Debatte einzig und allein noch auf, dass manche Redebeiträge sich ausschließlich auf Verwertung, Anwendung, Wettbewerbsfähigkeit und Markt konzentrieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind doch nicht nur das Land der Produzenten, Konsumenten und Verwerter. Wir sind doch hoffentlich immer noch das Land der Talente, der Toleranz und der Technologie, ganz im Sinne von Richard Florida. ({5}) Nein, ich finde nicht, dass wir einen Kulturwandel hin zu mehr Anwendungsorientierung brauchen. Wir brauchen ein gut austariertes System aus Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung. Das ist nicht zu trennen, und das werden wir auch nicht gegeneinander ausspielen. Vor zwei Wochen hat das Kabinett die Eckpunkte zur Gründung der Agentur für Sprunginnovationen beschlossen; das wurde hier schon mehrfach angesprochen. Die Agentur soll nun Beinfreiheit bekommen. Einverstanden, Beinfreiheit können wir machen. Wenn aber perspektivisch 1 Milliarde Euro öffentliche Gelder investiert wird, dann sage ich: Beinfreiheit ist in Ordnung, aber bei Sitzabstand und Sitzbreite wollen wir als Parlamentarier bitte schön noch ein Wörtchen mitreden. ({6}) Die erste Bewährungsprobe für die Agentur werden Forschungsprojekte im Bereich der künstlichen Intelligenz sein. Was uns nicht weiterbringt, ist die fortschreitende Trivialisierung des Begriffs. KI ist weder hip noch Allheilmittel, weder Spielerei noch Verheißung. Künstliche Intelligenz beeinflusst schon heute unser Leben und wird dies in Zukunft noch stärker tun. Deshalb darf künstliche Intelligenz nicht nur Wettbewerb und Markt bedeuten und nicht nur den Unternehmen zugutekommen, liebe Frau Bär. Nein, künstliche Intelligenz soll auch die Arbeit und die Weiterbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spürbar verbessern. Sie darf nicht nur den Chefetagen vorbehalten sein. ({7}) In diesem Zusammenhang muss ich kritisieren, dass das Bundesbildungsministerium ein bisschen zögerlich ist; denn die Maßnahmen aus dem Eckpunkteprogramm für KI sind haushälterisch nicht ganz untersetzt. Unter dem Strich: Es ist ein guter, solider Entwurf, dem ein bisschen Reifegrad fehlt. Aber das werden wir Parlamentarier zusammen hinbekommen. In diesem Sinne: Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin Schüle. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Restdonnerstag. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 14. September 2018, um 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 18.02 Uhr)