Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesminister des Innern hat die Migration die Mutter aller Probleme genannt. Es gehört seit Monaten zum außenpolitischen Mantra der Bundesregierung – diese Mutter aller Probleme –, dass in Afrika und Asien Fluchtursachen bekämpft werden sollen. In diesem Zusammenhang ist es höchst verwunderlich, dass Unionspolitiker erklären, die Bundeswehr denke über einen Einsatz in Syrien nach. Das würde zweierlei bedeuten: Mit deutscher Beteiligung würden in Syrien neue Fluchtursachen geschaffen, und die Bundeswehr könnte in Kampfhandlungen mit russischen Streitkräften verwickelt werden.
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Krieg, Auseinandersetzung mit Russland? Frau Merkel, ich hoffe nicht, dass Sie das wirklich riskieren wollen.
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Aber welche Strategie verfolgt die Bundesregierung wirklich? In Afghanistan, wo die Bundeswehr ebenfalls angeblich die Sicherheit Deutschlands verteidigt, haben die Taliban weite Teile des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Seit 17 Jahren stehen deutsche Truppen dort, und je länger sie im Einsatz sind, desto mehr Afghanen kommen als Asylbewerber nach Deutschland. Bekämpfen wir damit tatsächlich Fluchtursachen? Ich fürchte, nein.
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Meine Damen und Herren – Zitat –:
Wir erteilen einer Ausweitung der Zuwanderung aus Drittstaaten eine klare Absage, denn sie würde die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft überfordern. Verstärkte Zuwanderung würde den inneren Frieden gefährden und radikalen Kräften Vorschub leisten.
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So steht es geschrieben im Wahlprogramm der CDU/CSU von 2002. Aber Sie haben nicht geklatscht.
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Das war eine korrekte Prognose. Die Frage ist nur, verehrte Kollegen der Union: Warum haben Sie das nicht beherzigt?
Der innere Friede in unserem Land ist in der Tat gefährdet. Ein Riss geht durch unsere Gesellschaft. Ich glaube, da gibt es keinen Dissens. Ich fürchte allerdings, dass es erheblichen Dissens in der Frage gibt, von wem diese Gefährdung ausgeht.
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Sehen wir näher hin! Sonntag in Köthen: Zwei Afghanen schlagen einen Deutschen zusammen. Der Mann stirbt. – Samstag in Dortmund: Drei Männer, der Täterbeschreibung zufolge vermutlich Nordafrikaner, stechen einen Deutschen nieder. – Samstag in Mainz: Zwei Araber greifen einen Somalier mit Messern an und rauben ihn aus. – Samstag in Wiesbaden: Mehrere männliche Personen, die als dunkelhäutig beschrieben werden, belästigen junge Frauen. – Samstag in Fulda: Drei Schläger, der Beschreibung zufolge Südländer, verfolgen einen 52-Jährigen nach einem Discobesuch und schlagen ihn bewusstlos. – Donnerstag in Friedberg: 16-jähriger Syrer sticht am Bahnhof auf einen 18-jährigen Landsmann ein. – Meine Damen und Herren, ich breche hier ab.
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Finden Sie nicht auch, liebe Kollegen von den Linken, dass es wieder Zeit wird für ein Konzert gegen rechts?
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Wie ideologisch verbohrt, wie verfangen im politischen Taktieren muss man sein, wenn die erste Reaktion auf die Ermordung eines Landsmanns die Sorge ist, der Tod könne dem politischen Gegner nutzen.
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Ich wiederhole meine Frage: Wer gefährdet den inneren Frieden in diesem Land?
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– Ja, das kann ich mir vorstellen.
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Auf der linksextremen Webseite Indymedia ist unter dem Titel „bewaffnet euch!“ zu lesen – Zitat –:
ein aufgesetzter schuss aus einer gaspistole auf einen nazi am kopf oder am herz ist sofort tödlich. da braucht es keine umstände um legal oder nicht an eine scharfe pistole ranzukommen.
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Wer gefährdet den öffentlichen Frieden? Wenn man unseren politischen Mitbewerbern und ihren Einwänden zuhört, dann droht allerdings Gefahr von rechts.
Schauen wir nach Chemnitz: Am Rande eines Volksfestes hatten sogenannte Flüchtlinge drei Chemnitzer mit Messern attackiert. Einer der drei verblutete an Ort und Stelle. Die beiden anderen mussten schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht werden. Das Volksfest wurde abgebrochen. Wie beim folgenden Totschlag in Köthen besaß einer der Täter keine Aufenthaltsberechtigung. Hunderte Chemnitzer machten spontan von ihrem demokratischen Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch, taten ihre Empörung über die Folgen der Einwanderungspolitik der Kanzlerin kund. – Frau Merkel, Sie nannten das „Zusammenrottung“.
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Das war übrigens ein Straftatbestand im Strafgesetzbuch der DDR. Die DDR-Presse bezeichnete die Proteste, die zum Zusammenbruch des SED-Regimes führten, als Zusammenrottung. Wenn Bürger von ihrem Grundrecht Gebrauch machen und die Regierungschefin dies im Duktus eines totalitären Staates brandmarkt, sollten bei uns allen in diesem Hause die Alarmglocken läuten.
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Die ehemalige grüne Bundestagsabgeordnete Antje Hermenau, eine Leipzigerin, beschreibt die Situation so – Zitat –:
Nach der Wende predigten sie uns strengsten Manchester-Kapitalismus: nur arbeiten und sparen. … Dann kam die Finanzkrise, und plötzlich hatte es haufenweise Geld für die Griechen, die sich in …
– den Euro –
hineinbetrogen hatten. Und heute die Flüchtlinge: Die bekommen Geld, ohne zu arbeiten.
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Das empfinden die Leute als ungerecht. Zu Recht!
So weit das Zitat von Frau Hermenau, Ihrer früheren sächsischen Vorsitzenden.
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Und, liebe Kollegen, wenn viele dieser Flüchtlinge dann auch noch Straftaten begehen, ist eben Schluss mit der Geduld.
Bei der spontanen Demonstration wurde das Motto der friedlichen Revolution von 1989 skandiert: „Wir sind das Volk!“ Unter den Demonstranten befanden sich auch ein paar aggressive Hohlköpfe,
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die „Ausländer raus“ riefen und den Hitlergruß zeigten.
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– Ja, das hat gar keiner bestritten. – Das ist unappetitlich und strafbar.
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Aber es handelte sich um eine Minderheit, die weder repräsentativ für die gesamte Demonstration war, noch das Anliegen der Mehrheit der Demonstranten delegitimieren kann.
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Die „Ausländer raus“-Schreier und Hitlergruß-Zeiger
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sind doch die größte Hoffnung für Sie, meine Damen und Herren vom politisch-medialen Establishment. Wenn es diese Idioten und Dumpfbacken nicht gäbe, wenn nur die normalen Bürger demonstrieren würden, wäre das doch eine Katastrophe für Sie.
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Immer tauchen solche Figuren auf und produzieren die gewünschten Bilder.
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Während Sie, meine Damen und Herren zur Linken, Ursache und Wirkung verdrehen, fühlen sich viele Bürger nicht mehr sicher. So widerlich Hitlergrüße sind – ich erlaube mir, ins Gedächtnis zu rufen: Das wirklich schlimme Ereignis in Chemnitz war die Bluttat zweier Asylbewerber.
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Doch statt die Bürger zu beruhigen und ihnen zuzuhören, goss ausgerechnet die Bundesregierung Öl ins Feuer. Sowohl die Kanzlerin als auch ihr Sprecher verbreiteten die Fake News, in Chemnitz sei es zu Hetzjagden auf Ausländer gekommen.
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Und die Medien zogen mit. Der Nachrichtenkanal n-tv – um nur ein Beispiel zu nennen – meldete, „bürgerkriegsgeile Neonazis“ hätten „ein Trümmerfeld“ aus Angst und Blut hinterlassen. „Unschuldige Menschen werden gehetzt und gejagt wie wilde Tiere.“ Das meldete n-tv ohne jeden Beleg. Hamburg ist ein gutes Argument.
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Herr Kollege Gauland, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schulz?
Nein. Ich will geschlossen vortragen.
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– Sie haben genügend Gelegenheit, zu sprechen.
Ich wiederhole meine Frage: Wer gefährdet den inneren Frieden? Die Wahrheit ist, es hat in Chemnitz keine Menschenjagden gegeben.
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Der sächsische Generalstaatsanwalt hat das bestätigt, der Ministerpräsident hat es bestätigt, die Polizeiberichte haben es bestätigt, die Lokalpresse, der Chefredakteur der „Freien Presse“ Chemnitz. Und am Ende hat ja selbst Herr Seibert im Namen seiner Chefin die Unterstellung halb zurückgenommen.
Tatsächlich war die Polizeibilanz in Chemnitz nicht anders als bei einem mittleren Bundesligaspiel. Die Angriffe von Linksextremisten auf Polizisten im Hambacher Forst mit Steinen und Molotowcocktails am gleichen Sonntag waren sehr viel härter. Ein Beamter musste ins Krankenhaus eingeliefert werden.
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Weder Frau Merkel noch Herr Seibert hielten das auch nur für erwähnenswert.
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Stattdessen werden demonstrierende Bürger unterschiedslos kriminalisiert. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet will „aufhören mit diesen verständnisvollen Reden, das seien alles besorgte Bürger“.
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Er hat gewissermaßen der bürgerlichen Mitte die Kündigung ausgesprochen.
({5})
Sogar der Verfassungsschutzpräsident wird angegriffen, weil er erklärt hat, es lägen keine belastbaren Informationen darüber vor, dass es in Chemnitz Hetzjagden gegeben habe. Was seither über Herrn Maaßen ausgekübelt wird, lässt sich nur so interpretieren: Die oberste Aufgabe des Verfassungsschutzes ist die Teilnahme am Kampf gegen rechts. – Das hätten Sie gerne.
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Es ist aus dieser Perspektive folgerichtig, dass unsere politischen Mitbewerber den Verfassungsschutz dazu nötigen wollen, die AfD zu überwachen.
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Wissen Sie was? Wir haben kein Problem damit. Wir haben nichts zu verbergen.
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Je mehr sich der Verfassungsschutz mit uns beschäftigt, desto klarer wird sein, dass nicht die AfD die Verfassung gefährdet.
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Liebe Kollegen, Sie versuchen, die Opposition zu kriminalisieren, indem Sie eine Art Volksfront gegen die AfD aufbauen.
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Darf ich Ihnen in Erinnerung rufen, dass noch nie in der Geschichte eine Volksfrontpolitik Erfolg gehabt hat.
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Sie tun so, als hätten wir nur die Wahl zwischen Multikulturalismus und Faschismus. Dass man auch leben kann wie die Schweizer oder die Dänen oder die Schweden, kommt Ihnen anscheinend nicht in den Sinn.
Frau Merkel, Sie haben, als Sie die Hetzjagdenunterstellung zurücknehmen mussten, gesagt, es habe Hass gegeben. Hass ist erstens keine Straftat und hat zweitens in der Regel Gründe. Warum hat es, um in Ihrer merkwürdigen Diktion zu bleiben, Hass gegeben? Weil die Chemnitzer schlechte Menschen sind oder weil sie sich als Opfer einer falschen Politik begreifen? Hassen diese Leute aus Bösartigkeit grundlos?
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Man wird auf irgendeine Form von Selbstkritik, liebe Frau Merkel, wohl vergeblich warten.
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Aber halten wir es mit Montesquieu: Nicht der Mensch ist zu klein, das Amt ist zu groß.
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Frau Bundeskanzlerin, Sie haben diesem Lande und seinen Bürgern nichts mehr anzubieten außer Sturheit, Rechthaberei und Beschimpfungen. Verbarrikadieren Sie sich im Bundeskanzleramt nur weiter vor der Wirklichkeit.
Ich wiederhole meine Frage: Wer gefährdet den inneren Frieden in diesem Land?
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Wir nicht!
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Ich bedanke mich.
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Zu einer Zwischenbemerkung erteile ich das Wort dem Abgeordneten Martin Schulz, SPD.
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Da Herr Gauland eine Zwischenfrage nicht zugelassen hat, erlaube ich mir, eine Zwischenbemerkung zu machen.
Die Reduzierung komplexer politischer Sachverhalte auf ein einziges Thema,
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in der Regel bezogen auf eine Minderheit im Land, ist ein tradiertes Mittel des Faschismus.
({1})
Das haben wir heute erneut vorgeführt bekommen: Die Migranten sind an allem schuld.
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Eine ähnliche Diktion hat es in diesem Hause schon einmal gegeben, und ich finde, es ist Zeit, dass die Demokraten in diesem Lande sich gegen diese Art der rhetorischen Aufrüstung, die am Ende zu einer Enthemmung führt,
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deren Resultat Gewalttaten auf den Straßen sind, wehren. Es ist Zeit, dass die Demokratie sich gegen diese Leute wehrt, Herr Präsident.
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Herr Präsident, die Zwischenfrage, die ich stellen wollte, bezog sich auf die Äußerung des Herrn Gauland, das Zeigen des Hitlergrußes sei unappetitlich. Das Zeigen des Hitlergrußes ist eine Straftat, die strafrechtlich verfolgt werden muss.
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Noch einmal zur Art der Rede, die wir hier gehört haben: Eindimensionalität, die Reduzierung komplexer Strukturen im 21. Jahrhundert, die Reduzierung auf ein einziges Thema, ist ein Stilmittel, das bekannt ist. Das wird kombiniert – Herr Präsident, ich bin sofort fertig – mit Aussagen wie der, das Tausendjährige Reich sei ein Vogelschiss. Herr Gauland, eine Menge von Vogelschiss ist ein Misthaufen, und auf den gehören Sie in der deutschen Geschichte.
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Herr Kollege Gauland, Sie können auf die Zwischenbemerkung antworten.
Herr Abgeordneter Schulz, das ist nicht mein Niveau, auf dem ich mich mit Ihnen auseinandersetze.
({0})
Dieses Niveau hat es schon einmal in diesem Hause gegeben. Da wollen wir bestimmt nicht hin. Das, was ich gesagt habe, hat mit Faschismus überhaupt nichts zu tun, und das wissen Sie auch.
({1})
Es handelt sich um den Versuch, uns sozusagen aus dem demokratischen Konsens auszugrenzen.
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Das machen Sie. Aber das wird Ihnen nicht gelingen, Herr Schulz!
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Um die Erregung wieder auf das erträgliche Maß zurückzuführen, muss ich die Bemerkung machen, Herr Kollege Schulz: Üblich ist bei uns, dass man, wenn auf eine Zwischenbemerkung geantwortet wird – es ist nicht in der Geschäftsordnung vorgeschrieben; deswegen habe ich nicht interveniert –, die Antwort stehend entgegennimmt.
({0})
Jetzt erteile ich das Wort der Frau Bundeskanzlerin.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Mehrheit der Menschen in Deutschland lebt und arbeitet für ein gutes und tolerantes Miteinander;
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davon bin ich zutiefst überzeugt. Ich sehe es als meine Aufgabe und die Aufgabe aller politisch Verantwortlichen an, all diejenigen zu unterstützen, die unser Land jeden Tag durch ihre Arbeit und durch ihr Leben voranbringen. Die Zahlen belegen es im Übrigen auch: Deutschland gehört zu den sichersten Ländern der Welt, und Deutschland gehört zu den wohlhabendsten Ländern der Welt.
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Und dennoch: Viele Menschen in unserem Land sorgen sich in diesen Tagen um den Zusammenhalt von uns allen. Ich bin auch ganz sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger sehr genau beobachten, in welcher Art und Weise wir den politischen Dialog führen – im Land wie auch hier im Deutschen Bundestag.
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Da haben wir alle eine große Verantwortung.
Besonders aufgewühlt haben uns in den letzten Wochen schwere Straftaten, bei denen die mutmaßlichen Täter Asylsuchende waren, die zu uns nach Deutschland gekommen sind. Solche Taten machen mich betroffen und machen uns alle betroffen.
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Wir trauern mit den Angehörigen, wir sind empört über die Straftaten. Solche Taten müssen aufgeklärt, die Täter vor Gericht gestellt und mit der Härte des Gesetzes bestraft werden.
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Genau so sieht es unser Rechtsstaat vor.
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Viele Bürgerinnen und Bürger, die durch Demonstrationen gezeigt haben, wie aufgewühlt sie sind, haben dabei ihr verfassungsrechtlich verbrieftes Recht genutzt,
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und wir als Politiker sind verpflichtet, ihre Anliegen ernst zu nehmen und Missstände zu beheben.
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Ich kann jeden verstehen, der darüber empört ist, wenn sich nach Tötungsdelikten einmal mehr herausstellt, dass die Straftäter sind, die schon mehrere Vorstrafen haben, oder Menschen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind. Hier haben wir eine Aufgabe zu lösen.
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An dieser Aufgabe arbeiten wir in aller Entschiedenheit gemeinsam mit den Bundesländern und der Bundesregierung. Der Bundesinnenminister hat dazu weitere Maßnahmen vorgelegt, und wir sind uns unserer Verantwortung dafür bewusst, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Sosehr ich die Empörung und das Unverständnis verstehe und teile, lasse ich nicht gelten, dass dies eine Entschuldigung für menschenverachtende Demonstrationen ist.
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Nein, es gibt keine Entschuldigung und Begründung für Hetze, zum Teil Anwendung von Gewalt, Naziparolen, Anfeindungen von Menschen, die anders aussehen, die ein jüdisches Restaurant besitzen, Angriffe auf Polizisten. Und begriffliche Auseinandersetzungen darüber, ob es nun Hetze oder Hetzjagd ist, helfen uns dabei wirklich nicht weiter, meine Damen und Herren.
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Das kann doch nur eines heißen: Dem stellen wir uns entschieden entgegen, und zwar ganz im Geiste von Artikel 1 unseres Grundgesetzes:
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
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Artikel 1 gilt für jeden Menschen, und wer dagegen verstößt, der legt die Axt an die Wurzel unseres Zusammenlebens.
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Wer dagegen verstößt, stellt sich gegen unsere Werte von Einigkeit und Recht und Freiheit. Die aber sind unseres Glückes Unterpfand.
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Deshalb darf es bei der Achtung der Menschenwürde auch keinen Rabatt geben – für niemanden –, und deshalb führen Relativierungen in die Irre.
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Deshalb ist der Rechtsstaat hier in seinem Kern gefordert – mit den Sicherheitskräften, mit unabhängigen Gerichten, mit allen Institutionen einer lebendigen Demokratie und einer wehrhaften Zivilgesellschaft.
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Ich danke allen, die dafür arbeiten: den Polizistinnen und Polizisten und allen Sicherheitskräften, den Richtern, den Staatsanwälten und auch den Beschäftigten an den Gerichten, genauso denen, die in unseren Haftanstalten ihren Dienst tun, was alles andere als einfach ist, meine Damen und Herren.
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Ich danke den Haupt- und Ehrenamtlichen in unseren demokratischen Institutionen und Verbänden. Überall gibt es glücklicherweise viele von ihnen, überall in unserem Land. Deshalb sind auch Pauschalurteile über ganze Gruppen oder Landstriche wie Sachsen oder die neuen Bundesländer falsch und völlig unangebracht.
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Das gilt genauso für die vielen Flüchtlinge, die hier friedlich mit uns leben. Ich danke an einem solchen Tag ganz besonders auch den vielen haupt- und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern in der Flüchtlingsarbeit, die es alles andere als leicht haben in diesen gesellschaftlichen Diskussionen.
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Wir werden nicht zulassen, dass klammheimlich ganze Gruppen in unserer Gesellschaft ausgegrenzt werden: Juden, Muslime gehören genauso wie Christen und Atheisten
({20})
zu unserer Gesellschaft, in unsere Schulen, in unsere Parteien, in unser gesellschaftliches Leben. Ich bin dankbar für jeden, der sich für unsere Demokratie engagiert, meine Damen und Herren.
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Die Frage, ob wir darüber Konsens haben, entscheidet über unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt.
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Dann, wenn wir da ein gemeinsames Fundament haben, können wir über all die anderen wichtigen Fragen sprechen, die die Menschen in unserem Land bewegen.
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Es gelten bei uns Regeln. Und diese Regeln können nicht durch Emotionen ersetzt werden. Das ist das Wesen des Rechtsstaates.
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Weil wir uns bewusst sind, dass dieser Rechtsstaat herausgefordert ist, haben wir in unserer Koalitionsvereinbarung einen Pakt für den Rechtsstaat vereinbart. Dieser Bundeshaushalt zeigt erste Maßnahmen. Noch einmal 3 000 neue Stellen für Sicherheitsbehörden, knapp 50 Millionen Euro mehr für die Ausstattung und Ausrüstung der Bundespolizei,
({25})
85 Millionen Euro für die Digitalisierung der Polizeiarbeit, Investitionen in die Cybersicherheit. Das sind wichtige, richtige Signale. Und wir werden mit den Bundesländern auch über die Ausstattung von Gerichten und anderen Justizbehörden weiter intensiv sprechen. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht auf einen funktionierenden Rechtsstaat, auch in der täglichen Praxis, meine Damen und Herren.
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Wir beraten heute über den Haushalt für das Jahr 2019. Dahinterliegende Aufgaben gehen natürlich weit über das nächste Jahr hinaus. Teil dieser Beratungen ist auch die mittelfristige Finanzplanung. Wir haben uns daran gewöhnt, aber ich will es trotzdem noch einmal sagen: Es ist der fünfte Haushalt in Folge ohne neue Schulden. Das ist ein Hinweis und eine gute Nachricht für die junge Generation.
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Wir haben ein steigendes Bruttoinlandsprodukt seit über 13 Quartalen. Die Unternehmensinsolvenzen sind auf dem niedrigsten Stand seit Einführung der neuen Insolvenzordnung. Im Herbst dieses Jahres werden voraussichtlich erstmals über 45 Millionen Menschen erwerbstätig sein. Wir können alle gemeinsam stolz auf diese Bilanz sein.
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Unsere grundsätzlichen Ziele bleiben. Seit Bestehen der Bundesrepublik arbeiten wir unverändert für Frieden, für Freiheit und für Wohlstand; und das jetzt schon im 70. Jahr der sozialen Marktwirtschaft. Heute wissen wir: Unser Wohlstand entscheidet sich nicht mehr alleine durch uns und unsere Arbeit in Deutschland, sondern wir sind verbunden im Rahmen des Binnenmarktes der Europäischen Union. Wir sind verbunden mit anderen Ländern. Das heißt, sich um andere zu kümmern, mit anderen zusammenzuarbeiten, auf ein multinationales funktionierendes System zu setzen, ist in unserem ureigenen Interesse. Wenn wir auf zehn Jahre Weltwirtschaftskrise und Finanzkrise zurückblicken, wie es der Bundesfinanzminister gestern gemacht hat, wird uns das noch einmal bewusst.
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Weil das so ist, stellt sich die Frage: Wie viel investieren wir im eigenen Land, und wie viel setzen wir für Entwicklungszusammenarbeit ein? Das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille, in der es um Wohlstand für unser Land geht.
Auch die Freiheit muss immer wieder erarbeitet werden, und durch die Digitalisierung ist sie herausgefordert. In einer digitalen Gesellschaft geht es um große Datenmengen, um Datensicherheit, um Datenschutz – völlig neue Anfragen an unsere Freiheit. Deshalb ist die Datenethikkommission, die wir eingerichtet haben, genau die richtige Antwort darauf.
Auch um Frieden zu sichern, brauchen wir völlig neue Instrumente. Wir selbst müssen uns dafür stärker einsetzen. Allein mit der Haltung, dass wir uns überall heraushalten, wird es nicht gehen. Unsere Maxime zur Friedenssicherung heißt immer: Vornean stehen die politischen Bemühungen.
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Deshalb setzen wir uns natürlich in Syrien dafür ein, und zwar in der Small Group zusammen mit der Astana-Group unter der Federführung der Vereinten Nationen. Aber einfach zu sagen, wir könnten wegsehen, wenn irgendwo Chemiewaffen eingesetzt werden und eine internationale Konvention nicht eingehalten wird, kann auch nicht die Antwort sein. Alle Antworten, die wir geben, werden immer auf der Ebene des Grundgesetzes und im Rahmen unserer parlamentarischen Verpflichtung sein. Das ist doch vollkommen klar. Aber von vornherein einfach Nein zu sagen, egal was auf der Welt passiert, kann nicht die deutsche Haltung sein, liebe Freundinnen und Freunde.
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Wohlstand, Freiheit, Frieden – das ist das, was die Menschen von uns erwarten, und sie haben alle einen ganz speziellen Blickwinkel. Deshalb hat dieser Haushalt auch so viele Facetten. Da ist zuerst einmal der Wunsch nach Stabilität, nach vergleichbaren Lebensbedingungen und nach Entlastungen, wo immer das möglich ist, damit die Menschen ihr Leben eigenständig gestalten können.
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Da haben wir gute Nachrichten in diesem Haushalt: Familien und Berufstätige werden entlastet. Wir erhöhen das Kindergeld, wir erhöhen die entsprechenden Steuerfreibeträge, wir bereinigen die Einkommensteuer um die kalte Progression. Das sind in 2019 und 2020 insgesamt Entlastungen von 10 Milliarden Euro. Für alle Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung wird die Parität wieder eingeführt. Das ist eine Entlastung von 8,3 Milliarden Euro für die Beitragszahler pro Jahr. Wir werden – so ist das in der mittelfristigen Finanzplanung dargelegt – den Solidaritätszuschlag ab 2021 für 90 Prozent der Zahler des Solidaritätszuschlages abschaffen. Das ist noch einmal eine Entlastung von 10 Milliarden Euro.
Natürlich sagen manche: Ihr schafft auch Mehrbelastungen, zum Beispiel in der Pflege. – Aber da haben wir eine gute Nachricht: Durch die sehr gute Beschäftigungssituation können wir den Arbeitslosenversicherungsbeitrag zum 1. Januar 2019 um 0,5 Prozentpunkte senken, was dann die Mehraufwendungen in der Pflege kompensiert. Diese Mehraufwendungen sind wichtige Aufwendungen für die Bürgerinnen und Bürger; denn die Fragen: „Wie geht es mir im Alter?“ und „Wie behandeln wir diejenigen, die pflegen?“ gehören zu den zentralen Fragen hinsichtlich Gerechtigkeit in unserem Land.
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In der nächsten Woche haben wir eine ganz wichtige Veranstaltung, bei der es um Lebensbedingungen geht: den Wohngipfel. Dort werden wir ein Paket für das Wohnen und rund um das Wohnen vorstellen, das seinesgleichen sucht. Wir wissen, dass das Thema Wohnen insbesondere in den Ballungsgebieten eine riesige Herausforderung für Millionen von Menschen ist. Bezahlbare Mieten – das ist die berechtigte Erwartung, weil das auch etwas mit Sicherheit im Leben zu tun hat.
Uns geht es auf der einen Seite darum, Mieterinnen und Mieter zu schützen und ihnen auch Rechte einzuräumen, auf der anderen Seite geht es aber vor allen Dingen darum, dass bezahlbarer Wohnraum geschaffen wird. Da haben wir gute Nachrichten: Zum Ersten wird der soziale Wohnungsbau verstärkt. Der Bund beteiligt sich mehr, als er sich das eigentlich vorgenommen hatte. Zum Zweiten wird eine Sonder-AfA eingeführt, die dafür sorgt, dass die, die investieren wollen, auch investieren können. Zum Dritten ist die Nachricht für die Familien, dass wir das Baukindergeld einführen, ein ganz wichtiges Mittel, um ihnen Wohneigentum zu ermöglichen. Das alles sind Beiträge dazu, dass wir sagen können: Wir werden in dieser Legislaturperiode die Voraussetzungen dafür schaffen, dass 1,5 Millionen neue Wohnungen gebaut werden können. Dazu gehören auch Verfahrenserleichterungen, schnellere Baulandbereitstellung und Ähnliches. Genau das werden wir am 21. September besprechen. Das ist eine gute Nachricht für viele, viele Menschen in unserem Land.
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Wir wissen, dass die Alterssicherung eine der großen Herausforderungen ist, und zwar sowohl angesichts der demografischen Veränderungen als auch angesichts der Erwartungen der Menschen, wie ihr Leben nach der Erwerbstätigkeit aussieht. Wir haben eine Kommission eingesetzt, die sich mit der Rente nach der Zeit von 2025 beschäftigen wird. Wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht, der in Kürze hier beraten werden wird, mit einem konstanten Rentenniveau bis 2025, mit einer verbesserten Erwerbsunfähigkeitsrente und mit einer verbesserten Mütterrente. Das sind drei Botschaften von großer Bedeutung für Millionen von Menschen. Hier haben wir Wort gehalten, und im Haushalt ist genau das abgebildet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema Pflege – das spüren wir alle – beschäftigt fast jede Familie im Land. Ich selber habe in den letzten Monaten Pflegeheime besucht, und ich weiß, welche herausragende Arbeit dort geleistet wird. Vieles liegt noch im Argen, und daran arbeiten wir. Aber eine Botschaft, die diejenigen, die in der Pflege arbeiten, mir gegenüber immer wieder geäußert haben, war: Bitte redet doch auch einmal darüber, dass unser Beruf ein schöner Beruf ist, ein anspruchsvoller Beruf ist, ein Beruf ist, in dem die älteren Menschen uns auch etwas geben! Ihr redet darüber immer nur, als sei das eine Arbeit, die man doch eigentlich fast gar nicht machen kann. Tut etwas für das Berufsbild derer, die pflegen! – Ich finde, dafür gibt es allen Grund, und genau das wollen wir auch tun.
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Frau Bundeskanzlerin, der Abgeordnete Brandner möchte eine Zwischenfrage stellen.
Nein, danke. Ich möchte geschlossen vortragen.
Gilt das generell?
Das gilt generell.
Jetzt kommt natürlich die Frage der Bezahlung; aber ich sage Ihnen: Meine Gespräche haben ergeben: Die Bezahlung ist ein wichtiger Punkt, die Arbeitszeit ist ein mindestens genauso wichtiger Punkt, die Frage, ob man eine Ausbildungsvergütung kriegt, ist ein solcher Punkt – das haben wir jetzt alles angepackt –, aber genauso wichtig ist die Achtung und Beachtung dieses Berufs. Das ist mir im Übrigen auch neulich im Gespräch mit Lehrerinnen und Lehrern so gegangen; das gilt für Pflegekräfte in den Krankenhäusern. Das sind Menschen, die eine tolle Arbeit machen, die aber auch einen tollen Beruf haben, und das sollten wir vielleicht stärker herausstellen, meine Damen und Herren.
({0})
Wir nehmen natürlich auch den Blickwinkel derer ein, die von Auswirkungen der Digitalisierung betroffen sind. Hier werden wir in Kürze eine Weiterbildungsstrategie verabschieden. Wir werden uns fragen: Was bedeutet dieser Umschwung für diejenigen, die heute Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind? Wir müssen uns um die Infrastruktur kümmern. Wir müssen uns mit den Gefahren und dem Thema der Cybersicherheit auseinandersetzen. Aber wir müssen vor allen Dingen ab und zu auch mal den Blick über unseren Tellerrand hinaus wagen. Heute gab es gerade eine Statistik zu lesen, nach der wir bei den digitalen Dienstleistungen in der öffentlichen Verwaltung in Europa laut Mitteilung der Kommission auf Platz 21 sind. Das kann uns nicht zufriedenstellen. Deshalb ist die Schaffung eines Bürgerportals von Bund, Ländern und Kommunen eine der zentralen Aufgaben dieser Legislaturperiode. Es reicht nicht, nur die Infrastruktur auszubauen – das werden wir tun –, sondern genau da muss auch weitergearbeitet werden.
({1})
Wenn man in China ist, dann sieht man, dass wir nicht das wollen, was dort stattfindet: eine totale Überwachung, eine soziale Beobachtung – das möchte ich auf gar keinen Fall. Auch Digitalisierung kennt Werte. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, in welcher Form dort Plattformen genutzt werden, in welcher Form dort Start-ups entstehen, in welcher Geschwindigkeit sie entstehen, das kann uns nicht kaltlassen, weil das über unsere Wettbewerbsfähigkeit der Zukunft entscheidet. Deshalb müssen wir bei der Digitalisierung auch Tempo machen, und genau das macht die Bundesregierung mit dem Digitalrat, mit den neuen Strukturen, bei der IT des Bundes. Und ja, wenn man sich die Dinge anguckt, dann erkennt man, dass es erst einmal komplizierter und die Aufgabe vielleicht größer wird; aber wir gehen diese Aufgabe an, damit wir in unserem Lande ein modernes Dienstleistungssystem haben, das dem digitalen Zeitalter auch wirklich entspricht, meine Damen und Herren.
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Hier werden wir im Übrigen nur erfolgreich sein können, wenn wir dies auch zusammen in Europa machen. Deshalb investieren wir gemeinsam in Forschung und Entwicklung. Deshalb haben Deutschland und Frankreich gesagt: Wir brauchen eine Agentur, die sich auch mit vollkommen ungewöhnlichen Erfindungen, disruptiven Innovationen, beschäftigt. – Das haben wir auch auf der Bundesebene gemacht. Da gibt es dann auch viele Diskussionen: Was soll denn das wieder? Wir müssen offen sein für alle Möglichkeiten, neue Wege zu gehen, weil das die Voraussetzung dafür ist, dass unsere heutige industrielle Stärke morgen noch unsere Stärke ist, die Arbeitsplätze für die Menschen in unserem Lande schafft.
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In diesem Zusammenhang werden wir auch weiter auf internationale Fachkräfte angewiesen sein.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist von zentraler Bedeutung, und deshalb freue ich mich, dass wir in Kürze die Eckpunkte für ein Fachkräftezuwanderungsgesetz beschließen werden und bis Jahresende ein solches Gesetz vorlegen; denn zum Teil sind die Diskussionen unserer Unternehmerinnen und Unternehmer im Lande stärker darauf ausgerichtet, ob wir Fachkräfte bekommen, als dass es um Steuererleichterungen geht. Es darf nicht sein, dass Unternehmen unser Land deshalb verlassen, weil sie keine Beschäftigten mehr finden. Hier müssen wir etwas tun, und die Koalition hat sich genau dazu entschlossen, meine Damen und Herren.
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Und dann haben wir eine Vielzahl von Problemen zu lösen. Wir haben es mit der Zukunft Deutschlands in der Europäischen Union zu tun. Zur Stunde hält Jean-Claude Juncker, der Präsident der Europäischen Kommission, im Europäischen Parlament seine Ansprache an die „Union“, wie es so schön heißt, also an die Europäische Union. Meine Damen und Herren, ich bin zutiefst überzeugt: Deutschlands Zukunft wird nur dann eine gute sein, wenn auch Europa einen guten Weg geht.
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Das hört sich so trivial an, das ist es aber nicht.
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Olaf Scholz hat gestern dargelegt, welchen Weg wir in der internationalen Finanzkrise und später in der Euro-Krise gegangen sind. Das war ein Weg, der durchaus umstritten war: Sollen wir Banken retten? Wir haben es getan, um für die Bürgerinnen und Bürger den Zahlungsverkehr und um für unsere Unternehmen die Finanzierung aufrechtzuerhalten. Sollen wir anderen Euro-Staaten helfen? Geht uns das etwas an? Wir haben uns nach harten Diskussionen immer wieder entschieden: Ja, wir tun es, weil der Euro-Raum für uns gemeinsam ein Mehrwert ist und weil die Zusammenarbeit in Europa uns stärker macht, auch im internationalen Gefüge.
Zu den Vorwürfen gegenüber Deutschland wegen unseres Außenhandelsüberschusses und vielem anderen mehr muss ich sagen: Ich bin dankbar, dass wir ein Teil Europas sind und dass Handelsgespräche durch die Europäische Kommission für alle europäischen Länder zusammen geführt werden, dass wir eine gemeinsame Währung haben und dass man im Euro-Raum nicht gegen eine einzelne Währung spekulieren kann. Das macht uns stärker, und das ist auch zum Nutzen Deutschlands. Zu der These, wir würden anderen dauernd etwas geben: Es ist in unserem Interesse, für ein starkes Europa zu sorgen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Bei der Frage des Euro geht es um Geld, um Prinzipien – wichtig! –, aber noch intensiver stellt sich die Frage: Wie wollen wir die Probleme der Migration, der illegalen Migration und der Flüchtlinge lösen? Für den Zusammenhalt der Europäischen Union scheint mir dies eine weitaus größere Herausforderung zu sein als das, was wir in der Euro-Krise erlebt haben.
Es ist im Grunde – Wolfgang Schäuble hat es gestern gesagt – wieder ein „Rendezvous mit der Globalisierung“. Schon die Euro-Krise war ein Rendezvous mit der Globalisierung. Jetzt sind die Herausforderungen noch größer, und die Frage ist: Wie reagieren wir darauf? Gelingt es, Europa in einer solchen Situation zu zerstören, zu fragmentieren, jeden wieder auf sich selbst zurückfallen zu lassen, oder gelingt das nicht?
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Im Mai 2019 steht die Europawahl an, bei der genau diese Frage zur Debatte stehen wird.
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Bei dieser Europawahl wird es um die Frage gehen: Wo und wie lösen wir die Probleme, und schaffen wir das zusammen? Dabei ist ganz klar: Wenn Europa einfach sagt: „Wir schotten uns ab, und wir kümmern uns nicht um das, was in unserer Nachbarschaft passiert“, dann wird das schiefgehen. Das ist schon im Zusammenhang mit Syrien und Irak und den vielen Flüchtlingen, die zu uns kamen, schiefgegangen. Denn es hat sich auch dort gezeigt: Wenn du dich vor Ort nicht darum kümmerst, dass es den Menschen gut geht, dann machen sie sich auf den Weg.
Das gilt ebenso mit Blick auf Afrika, unseren Nachbarkontinent. Es geht um ein dauerhaftes und langfristiges Vorgehen. Und da ist es eine gute Nachricht, dass wir mehr für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben. Ich möchte dem Entwicklungsminister ausdrücklich für die vielen Aktivitäten danken.
Ich war jüngst in Afrika und eines ist spürbar: Entwicklungszusammenarbeit ist Schritt Nummer eins, aber es ist nicht mit der Arbeit getan, wenn die jungen Menschen ein tolles Training bekommen, aber anschließend keinen Arbeitsplatz haben. Sie sind dann super in der Landwirtschaft ausgebildet, aber leider gibt es kein wirtschaftliches Rückgrat dieser Länder. Deshalb werden wir uns verstärkt – und die Bundesregierung tut das ja auch – damit auseinandersetzen müssen: Wie machen wir aus klassischer Entwicklungszusammenarbeit wirtschaftliche Entwicklung?
Da muss man leider sagen, dass andere einen sehr klaren Weg gehen. Auf dem letzten China-Afrika-Gipfel wurden 60 Milliarden Dollar in den nächsten drei Jahren für Investitionen in die afrikanische Infrastruktur vereinbart. Das ist eine Hausnummer. Jedes afrikanische Land sagt uns: Ihr braucht überhaupt nicht mehr mit einem interessierten Unternehmen zu kommen, wenn ihr uns nicht ein Finanzierungskonzept mitbringt. – Diese Finanzierungskonzepte müssen wir erarbeiten. Wir müssen uns überlegen: Wo können wir Zinszuschüsse geben, wo können wir vielleicht Krediterleichterungen geben, wie können wir das mit Entwicklungszusammenarbeit verbinden? Dazu haben wir die KfW, sie hat die entsprechende Entwicklungsbank. All das werden wir verstärken. Dazu arbeitet die Bundesregierung mit allen Ressorts zusammen. Das ist wirklich dringend notwendig, um Entwicklung in Afrika auf den Weg zu bringen.
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Ende Oktober – Wolfgang Schäuble hat es während unserer G-20-Präsidentschaft begonnen; das setzen wir fort, obwohl wir nicht mehr allein verantwortlich sind, sondern wir machen das mit Weltbank und Internationalem Währungsfonds – werden wir die Länder, die einen Compact with Africa, also eine Reformpartnerschaft, eingegangen sind – das sind etwa zehn afrikanische Länder –, zu uns zu einem großen Wirtschaftsforum einladen, um für Investitionen zu werben. Wir werden die deutsche Wirtschaft aufrufen, zu investieren; denn die Unternehmen haben zum Teil immer noch den Eindruck – das soll kein Pauschalurteil sein –: Das Afrika des heutigen Tages ist so wie das Afrika vor 30 Jahren. – Das ist es nicht mehr. Afrika ist ein toller Kontinent, ein junger Kontinent, ein Kontinent mit den zukünftigen Märkten. Ich kann die deutsche Wirtschaft nur einladen, sich mehr für Afrika zu interessieren. Wir werden versuchen, dem im Oktober einen Schub zu geben.
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Kampf gegen illegale Migration bedeutet natürlich auch, dass wir den Außengrenzenschutz stärken.
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Jean-Claude Juncker wird dazu Vorschläge machen. Er hat schon Vorschläge gemacht: Verstärkung von Frontex.
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Das bedeutet aber auch – dafür trete ich zumindest ein –, dass die Staaten, die an der Außengrenze liegen, nationale Kompetenzen abgeben, um Frontex wirklich mit umfassenden Kompetenzen auszustatten. Und das bedeutet eben auch ein Maß an Solidarität, wenn es darum geht, dass Menschen zu uns kommen, oder wenn wir Verpflichtungen haben, zum Beispiel legale Migration zu ermöglichen oder den Ländern zu helfen, die wirklich in Not sind. Das, meine Damen und Herren, bleibt der wunde Punkt der Europäischen Union. Dafür haben wir noch keine Lösung gefunden. Deutschland ist bereit, sich in diese Solidarität einzureihen. Auch das wird während der österreichischen Präsidentschaft ein weiteres Thema sein.
So kann man sagen, dass wir insgesamt vor riesigen Herausforderungen stehen, aber auch, dass wir mit diesem Bundeshaushalt diese Herausforderungen ganz bewusst angehen, was Rente, Pflege, Krankenversicherung anbelangt, was Entlastungen anbelangt, was Investitionen in Forschung anbelangt, was Investitionen in Infrastruktur anbelangt. Der Bundesverkehrsminister hat gestern mit Ihrer aller Hilfe die Infrastrukturgesellschaft für die deutschen Autobahnen gegründet. Meine Damen und Herren, das ist ein großes Projekt, das uns in die Lage versetzen wird, das Geld, das wir haben, schneller auszugeben. Das ist ein Schritt, der absolut gewürdigt werden muss.
Wir müssen – das glaube ich zutiefst – ab und zu auch über das sprechen, was uns gelingt.
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Wir können immer kritisch sein, wenn es um das geht, was uns alles nicht gelingt; aber wenn wir den Menschen nicht sagen, was gelingt, dann werden sie auch nicht verstehen, wo wir besser werden. Deshalb wird es eine gemeinsame Aufgabe sein – zumindest derjenigen, die gemeinsam für dieses Land kämpfen –, zu sagen: Ja, wir wissen, dass vieles noch nicht erreicht ist, wir wissen, dass es noch viele Mängel gibt; aber wir stellen uns den Herausforderungen, und wir kommen Schritt für Schritt voran. – Das ist unser Auftrag, unser Anspruch, und das werden wir auch einlösen.
Herzlichen Dank.
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Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Abgeordneten Brandner, AfD.
Meine Damen und Herren! Ich kann Sie zunächst beruhigen: Es wird keine Hass- und Hetzparolen von mir geben,
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und auch keine Antifa-Sprüche, so wie von Herrn Schulz vorhin. Ich wollte mich kurz sachlich mit der Rede von Frau Merkel auseinandersetzen. „Misthaufen“, Herr Schulz, kommt übrigens in meiner kurzen Ansprache auch nicht vor.
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Frau Merkel, ich habe Ihrer Rede zugehört. Ich muss gestehen: Das war die einzige und erste Rede von Ihnen, der ich bisher zugehört habe. Ich muss sagen: Ich hätte die Zeit besser verwenden können, als sie hier abzusitzen.
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Zu 80 Prozent Ihrer Rede sind Sie allgemein durch die deutsche, europäische und die Weltpolitik mäandert. Ganz am Anfang haben Sie versucht, sich zu den Verbrechen zu positionieren, die von den Migranten in Deutschland ausgehen. Das waren allgemeine Aussagen, die Sie da getroffen haben. Für mich war das eine Verhöhnung der Opfer, die täglich Ihrer Politik geschuldet sind, der Opfer von Messerattacken, der Opfer von Körperverletzungen und der Opfer von Vergewaltigungen.
Dass Sie sich hier nicht klar und eindeutig positioniert haben und gesagt haben, dass Sie gegen Migrantenkriminalität sind, dass Sie sich hier nicht klar und eindeutig positioniert haben und gesagt haben, Sie sind gegen die Kriminalität, die auf unseren Straßen tagtäglich von linken Spinnern ausgeht, die Menschen angreifen, die Menschen bespucken, die Menschen bewerfen, die Menschen beleidigen,
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das lässt tief blicken, Frau Bundeskanzlerin.
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Dass Sie sich nicht ganz klar positioniert haben gegen Herrn Steinmeier, der dazu aufgerufen hat, ein Konzert von sogenannten Musikgruppen zu besuchen, die primitivste Hass- und Gewaltpropaganda verbreiten, Frau Merkel, das lässt tief blicken.
Drei Fragen habe ich an Sie. Wer trägt Ihrer Auffassung nach dafür politisch Verantwortung, dass wir hunderttausendfach, millionenfach illegale Einwanderung in Deutschland haben?
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Wer trägt Ihrer Auffassung nach dafür Verantwortung, dass wir hunderttausendfach Aufenthalte in Deutschland haben, die beendet werden müssten, Frau Merkel? Wer trägt die Verantwortung für die Zustände, die bei uns auf den Straßen herrschen? Dazu haben Sie kein einziges Wort gesagt.
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Am Ende haben Sie gesagt, Sie gehen Schritt für Schritt weiter. Wer in diesem Lande die Verantwortung für die politischen Zustände und die Zustände auf den Straßen trägt, dazu kam von Ihnen nichts, Frau Merkel.
Herr Kollege.
Frau Merkel, zwei weitere Fragen.
Herr Kollege Brandner!
Sie sprachen noch von Ausgrenzung.
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Herr Kollege Brandner, Zwischenbemerkungen müssen kurz sein.
Drei Minuten.
Nein, nein. Entschuldigung, das entscheidet übrigens der Präsident. – Kommen Sie bitte zum Ende.
Ja. – Zwei Fragen habe ich noch.
Eine! Und kurz!
Sie sprachen sich gegen die Ausgrenzung von Gruppen aus. Wie halten Sie es mit der Ausgrenzung der AfD, die tagtäglich überall stattfindet?
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Und letztendlich, Frau Bundeskanzlerin: Wann erlösen Sie uns durch einen Rücktritt?
Vielen Dank.
({1})
Frau Bundeskanzler, wollen Sie antworten? – Dann erteile ich als nächstem Redner dem Abgeordneten Christian Lindner, FDP, das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Was für ein Bundeshaushalt! 356,8 Milliarden Euro, über die wir hier entscheiden. Was für eine wirtschaftliche Lage, in der wir sind! Rekordzahlen bei der Beschäftigung, prosperierende, dynamisch wachsende Staatseinnahmen, volle Sozialkassen, niedrige Zinsen. Was für eine außergewöhnliche ökonomische Situation, die sich mutmaßlich in dieser Form alleine aufgrund des demografischen Wandels kein zweites Mal wiederholen wird.
In dieser Situation rühmt sich die Koalition – der Bundesfinanzminister gestern, die Bundeskanzlerin heute –, dass keine neuen Schulden aufgenommen werden, dass eine schwarze – oder ich sage besser: eine rote – Null erreicht wird. Nachhaltige Haushaltspolitik haben Sie falsch verstanden und unsere Verfassung auch. Es gibt keine Pflicht, alles Geld auch wirklich auszugeben. Das ist nicht verantwortliche Finanzpolitik. Es muss auch eine gestaltende Finanzpolitik geben, die die Möglichkeiten für Investitionen und vor allen Dingen für Entlastungen nutzt, wenn sie gegeben sind.
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Die Weltlage ändert sich; das wissen wir alle. Die Frau Bundeskanzlerin hat hier ja eben über einige Impressionen gesprochen. Die Bundesregierung bereitet sich auf einen harten Brexit vor, entnehmen wir den Medien – leider nicht den Antworten auf Große Anfragen der FDP-Bundestagsfraktion. Wir haben immer noch einen schwelenden Handelskonflikt mit den Vereinigten Staaten. Nicht überall sind wir technologisch spitze. Ich könnte diese Liste weiter fortsetzen.
Die Weltlage ändert sich, und die Grundlagen für unseren zukünftigen Wohlstand werden heute gelegt. Erstens wäre das durch die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit möglich, zweitens durch Anstrengungen bei Bildung und Forschung. Drittens müsste man bei der Digitalisierung wirklich Tempo machen. Viertens brauchen wir eine flexible Form sozialer Absicherung, die auf Dauer finanzierbar ist, und fünftens einen gestaltenden Schritt in ein Jahrzehnt der Erneuerung Europas.
Niemals wäre es leichter, dass sich unser Land neu erfindet. Nichts aber passiert. Es wäre möglich, dass der Soli ab 2020 entfällt, wenn jetzt auf das Baukindergeld und andere Subventionen verzichtet würde. Es wäre möglich, alte Schulden zu tilgen und das Risiko steigender Zinsen zu minimieren, wenn jetzt nicht benötigte Rücklagen und Sondervermögen aufgelöst würden.
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Es wäre möglich, in Digitalisierung, Forschung und Bildung zu investieren, wenn unnötige Staatsbeteiligungen wie an der Telekom schrittweise aufgelöst würden. Wir haben das alles vorgerechnet. Das, was Sie vorgelegt haben, ist ein Haushalt der verpassten Chance. Eigentlich muss man es schärfer sagen: Es ist ein Haushalt der fahrlässig verweigerten Gestaltung, meine Damen und Herren.
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Im nächsten Jahr werden wir bei Steuern und Abgaben Vizeweltmeister sein. Beim Fußball sind wir in der Vorrunde ausgeschieden. Umgekehrt wäre besser gewesen. Mindestens für eines von beidem tragen Sie politische Verantwortung.
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Im Grunde könnte man jetzt über alles noch im Detail weitersprechen, die ganzen Punkte könnte man vertiefen. Aber es macht de facto keinen Sinn, weil wir hier schon wieder ausschließlich über Migration sprechen. Ich glaube, dass die Menschen im Land dafür auch kein Verständnis haben,
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wie hier argumentiert, wie hier debattiert wird. Ich glaube, dass wir eine Chance verspielen, auch für die politische Auseinandersetzung, wenn wir uns nur mit den ritualisierten Empörungen der AfD und auch der ritualisierten Antwort darauf beschäftigen. Dafür haben die Menschen im Land kein Verständnis.
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Wir reden wieder nur über Migration. Die letzte Haushaltsberatung, diese Haushaltsberatung: Es geht um Migration.
Herr Gauland, Sie fragen, was den inneren Frieden in unserem Land gefährdet. Diese Frage nehme ich gerne auf. Natürlich ist der innere Frieden in unserem Land bedroht. Ich bestreite nicht, dass es manche gibt, die auf dem linken Auge blind sind; ich denke an die G-20-Krawalle bei Olaf Scholz in Hamburg.
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Ich halte es im Übrigen auch nicht für klug, dass Bündnis 90/Die Grünen in Nordrhein-Westfalen ihren Parteitag auf dem Widerstandsacker auch der Autonomen beim Hambacher Forst abhalten. Das trägt nicht zur Deeskalation bei.
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Also, es gibt manche, die sind auf dem linken Auge blind. Aber Sie sind auf dem rechten Auge blind.
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Sie wollen Probleme nicht lösen, sondern Sie wollen aus Problemen politisches Kapital schlagen. Sie wollen nicht Politik verändern, sondern Sie stellen die Legitimation unseres demokratischen Systems infrage. Die Gewalttaten in Chemnitz und Köthen sind kein Anlass für einen Rechtsruck in unserem Land, sondern für die Stärkung des Rechtsstaats; das haben Sie nicht verstanden.
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Selbstverständlich haben wir ein Rumoren in der Gesellschaft; davor kann man doch überhaupt nicht die Augen verschließen. Wir kriegen doch alle mit – wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, bekommt es doch mit –, welches Rumoren es in der Gesellschaft gibt.
In den Parteien ja auch: Die Sammlungsbewegung von Frau Wagenknecht, warum gibt es die denn? Weil sie der internationalistisch aufgestellten Linken nicht mehr vertraut und jetzt eine Art linken Populismus will, wie wir ihn in Italien beispielsweise im Süden auch gesehen haben. Also, in den Parteien rumort es doch.
Es kann niemand leugnen, dass es ein Problem gibt. Nur, was trägt die Regierung dazu bei, dieses Problem auch tatsächlich zu lösen? Wir diskutieren hier über die Aussagen eines Behördenleiters. Ich frage mich: In einer solchen sensiblen Situation, wieso gestattet der Bundesinnenminister einem Behördenleiter überhaupt, Interviews zu geben, die er vorher nicht autorisiert?
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Dann lese ich heute Morgen – dpa –, dass Herr Seehofer sagt – Zitat –:
Ich spreche jedenfalls mit der Bundeskanzlerin weitaus häufiger als mit Herrn Maaßen.
Das beruhigt uns nicht. Es ist ein merkwürdiges Amtsverständnis, Herr Bundesinnenminister, dass Sie mit den Behördenleitern in Ihrem Zuständigkeitsbereich in dieser Situation nicht einen engen und intensiven Austausch pflegen.
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Nebenkriegsschauplätze beschäftigen uns. Die Regierung führt in dieser Zeit nicht, sie taumelt den Ereignissen hinterher und stolpert über die eigenen Füße.
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Das schafft kein Klima des Vertrauens.
Herr Seehofer, Sie haben davon gesprochen, Migration sei die Mutter aller Probleme.
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So sprach Saddam Hussein. Armin Laschet, stellvertretender Vorsitzender der CDU, sagt, das sei Saddam-Hussein-Sprache, die Sie verwenden. Wichtiger als die Stilkritik ist mir aber die Substanz dessen, was Sie gesagt haben. Ich halte es sachlich für verantwortungslos, wenn Sie pauschal Migration zu einem Problem erklären. Wie viele Beamtinnen und Beamte, Herr Seehofer, bei der bayerischen Polizei oder bei der Bundespolizei, bei der Bundeswehr, bei der Feuerwehr haben einen Migrationshintergrund! Wie viele Millionen Menschen in Deutschland mit deutschem Pass haben einen Migrationshintergrund!
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Herr Seehofer, was sagt es Ihnen, dass die Polizei in Niedersachsen gestern eine Resolution verabschiedet hat und Ihnen Zurückhaltung bei der Wortwahl empfiehlt?
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Viele der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten mit Migrationshintergrund fühlen sich durch Sie stigmatisiert und diskriminiert. So heißt es in der Resolution der niedersächsischen Polizei.
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Herr Seehofer, nicht Migration ist das Problem, das Problem ist das Management der Migration, für das Ihre Partei seit fünf Jahren Mitverantwortung trägt.
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Was ist von der von Ihnen vom Zaun gebrochenen Regierungskrise übrig geblieben? Rückführungsabkommen mit Italien und Spanien, die Sie selbst als wirkungslos erklärt haben!
Die Bundeskanzlerin hat hier vor der Sommerpause über den mutmaßlichen Bin-Laden-Leibwächter Sami A. gesprochen und dessen Abschiebung gefordert, wie Sie. Dann ist die schwarz-gelbe nordrhein-westfälische Landesregierung von der Bundesregierung im Stich gelassen worden, weil Sie in Tunis die notwendigen Zusicherungen nicht erwirkt haben, damit Gerichte diese Abschiebung auch rechtssicher bestätigen können.
({18})
Es gibt hier jetzt Vorschläge für ein Fachkräftezuwanderungsgesetz. Aber auch das ist doch nebulös und enthält eben nicht den notwendigen Paradigmenwechsel, den wir brauchen, beispielsweise durch ein Punktesystem.
Die Grünen blockieren im Bundesrat noch immer die Eingruppierung sicherer Herkunftsländer im Maghreb-Raum, obwohl Sie doch wissen, dass nach geltendem Recht bei individueller Verfolgung selbstverständlich der Asylschutz in Deutschland gewährt werden könnte, selbst wenn es um sichere Herkunftsländer geht. Wir dürfen uns doch nicht wundern, dass das Klima in unserem Land aufgeheizt ist, wenn die Politik parteiübergreifend nicht in der Lage ist, gemeinsam Probleme zu lösen.
({19})
Ich will das hier gerne erneuern, damit wir eben auch über die anderen Fragen sprechen. Warum verbinden sich die staatstragenden Parteien der Mitte nicht? Bund, Länder und Gemeinden?
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– Herr Hofreiter, ich will gerade einen Appell an alle Demokraten richten, und Sie haben wieder nichts Besseres zu tun, als spalterische parteitaktische Parolen in dieses Haus zu rufen. Das ist doch unglaublich.
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– Ich finde das empörend, Herr Hofreiter. Ich empfinde Ihre Parteitaktik als empörend. Ich will hier appellieren, dass wir uns gegen die wahren Gegner unserer freiheitlichen Ordnung zusammenschließen, und Sie kommen hier mit Ihrer Traumabearbeitung von Jamaika, weil Sie nicht Minister geworden sind. Was ist das für eine Rückgratlosigkeit, dieses Süppchen zu kochen, diese Kleinteiligkeit?
({22})
– Nein, Herr Hofreiter, ich lasse Sie jetzt gar nichts sagen. – Legen Sie doch mal öffentlich aus den Jamaika-Gesprächen dar, wenn Sie schon darauf zurückkommen: Wären Sie da bereit gewesen, die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu machen?
({23})
– „Nein“, rufen Sie. Das ist doch genau das Problem.
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Wir lösen die Probleme nicht, dazu fordere ich uns aber auf. Bundestag, Bundesrat, lasst uns einen Einwanderungs- und Integrationskonsens finden! Das wäre das Mittel, um die da kleinzumachen.
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So, wie Sie das versuchen, wird es jedenfalls nicht gelingen.
Herr Scholz fordert eine Rentengarantie bis 2040, die kein Mensch bezahlen kann,
({26})
und Sie sagen, Sie wollen diese Rentengarantie, damit es in Deutschland keinen Trump gibt. Das heißt, mit sozialer Absicherung und sozialen Leistungen soll Populismus bekämpft werden.
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Das Konzept wird nicht funktionieren. Das Beispiel Schweden vom Wochenende sollte Sie eines Besseren belehrt haben.
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Glauben Sie mal eines: So ehrenwert das Motiv ist, die Spaltung zwischen Arm und Reich zu bekämpfen, und so richtig es ist, zielgerichtet gegen Altersarmut vorzugehen, die Spaltung der Gesellschaft in diejenigen, die für Abschottung sind, und in diejenigen, die für Offenheit sind, und die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich bekämpft man nicht, indem man eine neue Spaltung einführt, nämlich die zwischen Jung und Alt.
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Das genau ist Gegenstand Ihrer Politik.
Bei dem, was Sie für die Mitte der Gesellschaft beschließen wollen, sprechen Sie, Frau Bundeskanzlerin, von „Entlastung“: Arbeitslosenversicherungsbeitrag runter, Pflegeversicherungsbeitrag rauf, Rentenversicherungsbeitrag kann nicht sinken, sondern muss steigen. Da sprechen Sie gegenüber den Menschen, übrigens auch gegenüber den Mindestlohnbeziehern, von Entlastung. Die Menschen haben doch das Gefühl, dass die Lebenswirklichkeit der arbeitenden Mitte, von Millionen Menschen im Deutschen Bundestag gar nicht ankommt, wenn wir in dieser Weise sprechen. Also, eine wirkliche Entlastung ist nötig und möglich.
({30})
Auch der Mietenstopp ist, finde ich, der untaugliche Versuch, mit Populismus gegen Populismus zu arbeiten. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium sagt: Mietpreisbremse funktioniert nicht. Wir brauchen marktwirtschaftliche Anreize, Investitionen, sinkende Baukosten, mehr Bauland. – Richtig so! Da sagt Frau Barley für die Politik, das sei alles Unsinn.
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Wo ist denn noch einmal das Sturmgeschütz der sozialen Marktwirtschaft, der Bundeswirtschaftsminister? Er ist nicht da. In der Debatte zu diesem Thema war er auch nicht da.
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– Wo ist er? – Da ist Herr Altmaier, Entschuldigung. Er ist normalerweise unübersehbar.
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Ich nehme das, was ich eben gesagt habe, zurück und beziehe mich nur darauf, dass er in der Debatte nicht sichtbar war.
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Verehrte Anwesende, meine Damen und Herren, warum gibt es überhaupt wissenschaftliche Beiräte, wenn man ihr Urteil nicht ernst nimmt und es die Regierung sowieso besser weiß? Erster Einsparbeitrag: Abschaffen!
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Es ist belegt: Die Mietpreisbremse funktioniert nicht. – Antwort: Wir brauchen sogar einen Mietenstopp.
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Dieselfahrverbote beschäftigen die Menschen nicht nur in Hessen, sondern auch darüber hinaus. Seit Monaten passiert nichts. Da sitzen sie einträchtig nebeneinander, Verkehrsminister und Umweltministerin. Frau Schulze, leisten Sie doch einmal einen Beitrag dazu, das Problem zu lösen. Ich lese immer von Ihnen, Sie wollen die Industrie zu Hardwarenachrüstungen verpflichten. Bei den Pflichtnachrüstungen für Autos, an denen manipuliert worden ist – ja. Aber bei den Euro-5-Fahrzeugen, die auch von SPD-Verkehrsministern legal in den Betrieb gebracht worden sind, geht das nicht so einfach.
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Also, bringen Sie bitte eine andere Lösung für dieses Problem; denn die Menschen fühlen sich sonst durch die Art von Politik, die Sie machen, enteignet.
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Durch die CDU – ich kann sie nicht ausnehmen – kam im Sommer eine Debatte über das Pflichtjahr für junge Menschen auf. Offensichtlich – das hängt mit der Arbeit an dem Grundsatzprogramm der Union zusammen – ist das ein untauglicher Versuch, auf das politische Klima Einfluss zu nehmen, als ob es so einfach möglich wäre, bei einer jüngeren Generation ein ganzes Lebensjahr zu verstaatlichen, als ob das überhaupt mit unserer Verfassung vereinbar wäre,
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als ob das überhaupt mit der Regierung abgestimmt gewesen wäre.
Dann haben wir in Bayern die Kreuze an Behördenwänden und die Idee von Jens Spahn, einen Renditestopp für mittelständische Pflegeunternehmen einzuführen. Ich habe gedacht – es ist bekannt, dass ich Jens Spahn schätze –, er wolle die Nachfolge von Friedrich Merz anstreben. Jetzt im Amt erfahren wir, er will sich in die Nachfolge von Norbert Blüm begeben.
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Das Schlimme ist, in der CDU wird ihm das noch nicht einmal schaden.
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Meine Damen und Herren, worauf ich hinauswill, ist Folgendes: Da ist die Herausforderung Populismus. Wir werden aber dieser Herausforderung nicht begegnen, wenn sich die Parteien jeweils in ihren politischen Positionen radikalisieren, so beim Mietenstopp, oder in die Vergangenheit zurückgehen wie beim Pflichtjahr. Die Menschen, Herr Scholz, lassen sich auch nicht mit Sozialleistungen kaufen. Die Menschen wollen von der Regierung kein Taschengeld. Die Menschen erwarten von der Regierung einen Plan, wie es in Deutschland weitergeht und wie die Probleme dieses Landes gelöst werden. Genau das bleiben Sie schuldig.
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Die Mitte der Gesellschaft will einen Staat, der die Probleme löst. Die Mitte der Gesellschaft will einen Staat, der sie im Alltag in Ruhe lässt und sie nicht bremst, wenn sie ihr Leben führen wollen, der sie aber eben bei den großen Lebensrisiken nicht im Stich lässt: in keiner Ecke, an keiner Stelle in unserem Land, zu keiner Zeit. Genau diesem Anspruch der Menschen wird diese Regierung nicht gerecht.
Ich komme zum Schluss. Frau Merkel, ich unterstreiche, was Sie zur Bedeutung Europas gesagt haben. Sie haben selbst in Ihrem Sommerinterview zum Ausdruck gebracht, dass Sie dereinst Ihre Kanzlerschaft insbesondere mit Ihrer Europapolitik verbunden sehen wollen. Da ist aber jetzt noch einiges zu tun, damit das eine gute Bilanz wird. Denn jetzt ist Europa gespalten: in Ost und West in der Migrationsfrage, in Nord und Süd in Wirtschafts- und Währungsfragen. Auf Deutschland wird es ankommen, diese Spaltung zu überwinden, aus der Mitte heraus zu führen, sich zu europäischen Werten zu bekennen, vielleicht auch eigene Positionen in der Migration zu räumen und an anderer Stelle auch Flexibilität zu zeigen, wenn es darum geht, unter Wahrung der finanzpolitischen Eigenverantwortung den wirtschaftlichen Entwicklungsprozess woanders anzuschieben.
Am heutigen Tag besteht die Gelegenheit dazu, den Worten Taten folgen zu lassen: in Brüssel und darüber hinaus bei der Aufstellung auch Ihrer Partei in Europa. Im April hat die CSU Viktor Orban noch zu seinem Wahlerfolg gratuliert – ein Wahlerfolg, der sich auch auf eine offen antisemitische Kampagne gründet. Heute sagt Herr Orban, der Italiener Salvini sei sein Held. Zeig mir deine Freunde; ich sag dir, wer du bist.
Macron hat recht: Man kann nicht gleichzeitig für Merkel und für Orban sein. Deshalb wäre der wichtigste Schritt, damit wir europäische Liberalität erhalten, dass endlich die CDU/CSU einen klaren Trennstrich gegenüber Viktor Orban und seiner antiliberalen Demokratie zieht.
Vielen Dank.
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Die nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Nahles von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen geht es in unserem Land sehr viel um Vertrauen. In Gesprächen oder Diskussionen, auf Demonstrationen oder in der Politik: Wir alle können mit unserem Handeln und unseren Worten das Vertrauen in den Zusammenhalt in unserem Land stärken oder dieses Vertrauen gezielt zerstören.
Stellen wir uns auf die Seite von Minderheiten, ja oder nein?
({0})
Nennen wir es Hetzjagden, wenn Menschen durch Städte in Deutschland gehetzt werden, oder stimmen wir in den Chor der Relativierer ein?
({1})
Ist es so, dass wir unsere Demokratie verteidigen, ja oder nein?
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Ich sage: Das ist eine Frage, die nicht an die in Berlin geht. Es ist auch keine Frage, die an den Staat geht. Es ist auch keine Frage, die an die anderen geht. Es geht vielmehr um die Frage, ob wir für unsere Demokratie eintreten, und zwar konkret, mit unserem Tun und unseren Worten. Es ist eine Frage an jeden Einzelnen von uns, an jede Bürgerin und jeden Bürger in diesem Land und jeden Abgeordneten in diesem Hohen Haus.
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Und Sie, meine Damen und Herren von der AfD, haben uns in den letzten Wochen gezeigt, wo Sie stehen. Sie haben Ihre Masken fallen gelassen.
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Sie marschieren Seite an Seite mit Neonazis und verhöhnen in unserem Land unsere gemeinsamen Werte. Ihre Kreistagsfraktionen rufen geradezu jubelnd die rechte Revolution aus. Funkhäuser sollen gestürmt und Mitarbeiter auf die Straße gezerrt werden. Ihre Maske ist gefallen.
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Ich kann nur allen sagen: Wer Sie unterstützt, der öffnet Nazis in unserem Land wieder Tür und Tor, und das kann niemand – keine Demokratin und kein Demokrat in unserem Land – wollen.
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Leider hat auch der Verfassungsschutz in unserem Land Vertrauen verspielt. Herr Maaßen ist eingesetzt worden – das muss man sich klarmachen –, um nach dem NSU-Skandal den Verfassungsschutz gegen rechte Verfassungsfeinde stärker aufzustellen. Ich sage mal vorsichtig: mit begrenztem Erfolg. Als es um die Frage ging, ob im Umfeld von Amri V-Leute platziert wurden, hat er das Vertrauen des Parlamentes beschädigt. Mit seinen Äußerungen zu Chemnitz hat er das Vertrauen in seine Person erschüttert.
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Genau das können wir uns in diesem Land nicht leisten: dass der Verfassungsschutz Zweifel an seiner Arbeit aufkommen lässt.
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Ich fordere deswegen den Bundesinnenminister ganz klar auf, dass er seine eigenen Maßstäbe ernst nimmt. Neulich hat er sie gegenüber anderen ins Feld geführt: Fakten sammeln, sorgfältig analysieren, beurteilen und dann handeln. Darum geht es heute Abend auch im Innenausschuss des Deutschen Bundestages, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Mit Blick auf die Lage in Syrien mag man von Vertrauen nun wirklich nicht mehr sprechen. Die Situation der Zivilbevölkerung in Idlib ist besorgniserregend. Die Perspektiven sind angesichts der im Raum stehenden Drohungen sehr schlecht. Klar ist jedoch: Alle Konfliktparteien haben sich uneingeschränkt an die Regeln des humanitären Völkerrechts zu halten. Hierauf müssen sich jetzt alle diplomatischen Initiativen konzentrieren. Außenminister Heiko Maas wird sich in dieser Woche in verschiedenen Formaten hierfür nachdrücklich einsetzen. Wir unterstützen in der aktuellen Situation ausdrücklich den UN-Sonderbeauftragten für Syrien de Mistura. Größtmöglicher Schutz der Zivilbevölkerung, humanitäre Flüchtlingskorridore und Zugang zu humanitärer Hilfe sind sehr wichtig.
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Niemand wird bezweifeln, dass der Einsatz von Chemiewaffen ein internationales Verbrechen ist. Wir alle tun unser Möglichstes, damit niemand erneut in Idlib oder anderswo diesen geächteten Waffen ausgesetzt wird. Sowohl die syrische Regierung als auch der IS haben das in der Vergangenheit nachweislich getan. Sie müssen dafür vor den internationalen Strafgerichten zur Verantwortung gezogen werden. Aber das Völkerrecht kennt aus gutem Grund kein Recht auf militärische Vergeltung, schon gar nicht durch einen Staat oder durch eine irgendwie zusammengestellte Koalition.
({11})
Das Gewaltverbot ist ein Grundpfeiler der internationalen Friedensordnung.
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Der Sicherheitsrat ist hier aber gelähmt; das muss man sehen. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen kann im Rahmen von Uniting for Peace die internationale Gemeinschaft ermächtigen, auch militärisch zu handeln.
Frau Kollegin Nahles, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, jetzt gerade nicht. – Solange dies nicht geschieht, können wir Sozialdemokraten keinem gewaltsamen Eingreifen in Syrien zustimmen, schon gar nicht angesichts ernstzunehmender Berichte, wonach ein Staatschef in einer vergleichbaren Situation vor einigen Monaten öffentlich die Liquidierung politischer Akteure gefordert hat. Wenn es uns nicht bald gelingt, dem Recht des Stärkeren das Recht der Völkergemeinschaft entgegenzusetzen, werden wir Jahrzehnte der Anarchie erleben. Das ist es, was vermieden werden muss mit allen Mitteln der Diplomatie und des Völkerrechts.
({0})
Im Übrigen möchte ich hier etwas Wichtiges klarstellen. Über Militäreinsätze entscheidet in Deutschland der Bundestag.
({1})
Souverän und verantwortungsbewusst haben wir das hier immer getan.
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Nun zum Bundeshaushalt. „Keine Entlastung!“, haben Sie eben gerufen, Herr Lindner. 10 Milliarden Euro Entlastung beim Soli ab 2019, 8 Milliarden Euro Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Rentnerinnen und Rentner durch die Wiederherstellung der Parität, Absenkung des Beitragssatzes in der Arbeitslosenversicherung um 0,5 Prozentpunkte, das ist ein großer Batzen Entlastung, den wir durch diesen Haushalt ermöglichen und den wir zum Teil bereits durch unsere Politik für die Menschen in unserem Land zur Verfügung gestellt haben.
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Dieser Haushalt setzt auch Schwerpunkte, nämlich bei der sozialen Sicherheit und den Zukunftschancen, und zwar ohne neue Schulden. Finanzminister Olaf Scholz hat hier einen waschechten Investitionshaushalt vorgelegt. 151 Milliarden Euro bis 2022, das ist eine Rekordsumme. Wir wollen Milliarden zur Verfügung stellen, weil es diese Investitionen in unserem Land braucht, zum Beispiel in den Breitbandausbau, auf den gerade die mittelständische Wirtschaft, aber auch viele private Haushalte und ländliche Regionen warten, oder in den Digitalpakt für die Schulen, den wir möglichst bald auf den Weg bringen müssen; denn schnelles Internet und auch das Erlernen digitaler Medien und Kompetenzen gehören in jeden Klassenraum in Deutschland; darum muss es jetzt gehen.
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Ich habe eben ein Lob an die Grünen und die FDP anfügen wollen, da sie sich gemeinsam an die Bundeskanzlerin gewandt haben, um die Grundgesetzänderung zu ermöglichen. Als ich das aber eben hier mitbekommen habe, habe ich gedacht, dass wir lieber noch einmal eine Friedensfachkraft vorbeischicken, damit es angesichts der Auseinandersetzungen auch in Zukunft zu Gemeinsamkeiten kommt. Ich bin trotzdem froh, dass wir hier – hoffentlich – eine gemeinsame Mehrheit für eine Grundgesetzänderung haben, die das Kooperationsverbot so öffnet, dass wir seitens des Bundes den Schulen in Deutschland Hilfe zugutekommen lassen können; das ist ein ganz wichtiger Punkt.
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Bis 2022 werden wir insgesamt 95 Milliarden Euro in Bildung und Forschung stecken. Das ist doch ein klares Signal dafür, dass das ein wesentlicher Schwerpunkt des Haushaltes ist. Frau Karliczek, zögern Sie bitte nicht, uns Ihre Gesetzentwürfe zuzuleiten.
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Wir haben jetzt sehr viele Mittel, um die Bildungschancen junger Menschen zu erhöhen. Wir warten sehnlichst zum Beispiel auf Ihren Gesetzentwurf zum BAföG. Dafür stehen nämlich deutlich mehr Gelder zur Verfügung als bisher. Trotzdem werden weniger junge Menschen gefördert, und diese erhalten im Durchschnitt weniger Geld. Hier brauchen wir dringend eine Trendwende. Also in die Hufe bitte! Das wäre sehr nett; denn das wäre etwas, was wirklich vielen in unserem Land helfen würde.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, Bildung fängt aber früher an. Deswegen bin ich froh, dass es das Gute-Kita-Gesetz von Franziska Giffey gibt. Investieren können wir 5,5 Milliarden Euro für mehr Personal, längere Öffnungszeiten, gutes Essen, Gesundheitsförderung, Sprachbildung, vernünftige Gruppengrößen, gut ausgestattete Räume, Fortbildung für die Fachkräfte. Das ist es nämlich, was hinter diesem Namen steckt. Es ist nötig, damit es jedes Kind in Deutschland packt. Das ist der eigentliche Kern dieses Gute-Kita-Gesetzes.
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Deswegen muss es schleunigst her. Mehr Förderung und weniger Gebühren gehören in dieses Gute-Kita-Gesetz hinein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, so zufrieden die SPD mit diesem Bundeshaushalt ist, so klar ist auch: Wir brauchen weitere Offensiven, vor allem eine sozialpolitische Offensive, wenn es um bezahlbares Wohnen geht.
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Ich sage Ihnen ganz ehrlich, Herr Lindner: Radikal ist die Situation für die Mieterinnen und Mieter, nicht unser Vorschlag des Mietenstopps.
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Denn ganz ehrlich gesagt: In deutschen Metropolen und Städten haben es auch Normal- und Gutverdiener sehr schwer; denn sie werden im Grunde dadurch ärmer, dass die Mieten schneller steigen als die Löhne, und das schon seit Jahren. Das ist ein unhaltbarer Zustand, den wir beenden müssen.
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Deswegen haben wir an dieser Stelle im Interesse der Mieterinnen und Mieter einiges vor. Wir haben auch bereits etwas gemacht, nämlich ein Mieterschutzgesetz. Das haben wir verabredet; denn diese Koalition hat schon vor Monaten erkannt, was die Probleme sind, und handelt deswegen gemeinsam, um die Probleme zu bekämpfen. Mit dem Mieterschutzgesetz verhindern wir beispielsweise ein „Rausmodernisieren“ ohne Folgen, und wir befristen eine Modernisierungsumlage, damit Spekulanten sich nicht einfach gegen die Mieterinnen und Mieter, denen ihre Wohnung doch Heimat – im besten Sinne des Wortes – ist, durchsetzen können, ohne dass diese sich dagegen wehren können.
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Wir haben an dieser Stelle meiner Meinung nach zum Beispiel durch die Pflicht zur vollständigen Auskunft über die Vormiete den Menschen erstmalig die Möglichkeit gegeben, zu vergleichen und ihre Rechte wahrzunehmen. Es ist also ein sehr gutes Mieterschutzpaket, das wir hier auf den Weg gebracht haben, ein wichtiger erster Erfolg, um hier Einhalt zu gebieten.
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Aber ich sage Ihnen: Dabei können wir nicht stehen bleiben. Wir müssen mehr bauen, wir müssen neu bauen, ob das nun über das Baukindergeld geht oder über die Sonderabschreibungen beim Mietwohnungsbau. Wir tun ja viel mehr. Und es ist richtig: Wir brauchen auch neue Grundstücke. Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass Bodenspekulanten nicht den Neubau von Wohnungen verhindern. Wenn Bauland brachliegt, müssen die Grundbesitzer zahlen. Außerdem brauchen die Kommunen eine Baupflicht. All das ist nötig, damit es vorangeht in diesem Land;
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denn nur Neubauten können am Ende den Druck aus dem Wohnungsmarkt herausnehmen.
Ich bin deswegen der Meinung, dass wir uns selbst mehr vornehmen müssen. Ich freue mich, dass wir einen Wohngipfel haben werden. Das ist eine erste gute Gelegenheit, die über den Koalitionsvertrag hinausgehenden Vorschläge miteinander zu beraten und vieles auf den Weg zu bringen. Der Wohngipfel wird am 21. September stattfinden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es wird ja sehr viel darüber geredet, was die Menschen dieser Tage bewegt. 90 Prozent der 30- bis 50-Jährigen in unserem Land haben sich dazu neulich sehr klar geäußert. Sie haben gesagt, dass sie große Sorge haben wegen ihrer Altersversorgung, dass sie nicht glauben, dass diese reicht, um ihren Lebensstandard abzusichern. Sie haben ganz klar gesagt: Ich traue dieser gesetzlichen Rentenversicherung nicht mehr zu, dass sie mich ausreichend versorgt. – Das ist ein Aufruf zum Handeln. Da können wir uns doch nicht hinstellen und sagen: Das ist nicht bezahlbar. – Doch!
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Wenn man will, kann man sehr wohl dafür sorgen, dass auch die Menschen aus der jungen Generation etwas von der gesetzlichen Rente haben, wenn sie zum Beispiel 2040 in Rente gehen; denn das ist eine politische Frage und eine politische Entscheidung.
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Wir haben bereits aufgezeigt, dass es geht. Wir geben eine Sicherungsgarantie bis 2025, die dazu führt, dass die Kaufkraft der Renten nicht weiter sinkt; denn wenn wir nichts tun würden, würde die Kaufkraft sinken; die Löhne steigen, die Renten nicht. Jetzt steigen die Löhne und die Renten, und das ist wichtig – das ist eine wesentliche Verbesserung –, und das muss über das Jahr 2025 hinaus verlängert werden.
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Das ist die feste Zielmarke für die Sozialdemokraten.
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Die Rentenkommission wird Vorschläge dazu erarbeiten. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass ich finde, dass man auch vorher sagen kann, was man da erwartet. Ich höre immer die Zweifler und Neinsager aus allen Ecken des Hauses hier. Ich habe da mal eine Frage an Sie. Vielleicht können die Kolleginnen und Kollegen der Grünen, der FDP und der CDU/CSU an dieser Stelle einfach mal sagen, wie sie denn in den nächsten Jahrzehnten den Menschen die Sicherheit geben wollen, dass ihre Rente am Ende auch reicht. Wissen Sie was, ich mache das mal kurz für Sie. Es gibt nämlich gar nicht so viele Möglichkeiten, wie man das machen kann. Man kann sich dann ganz klar entscheiden.
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Entweder Sie muten den Menschen Unsicherheit und Altersarmut zu, weil die Kaufkraft der Renten weiter sinkt – das passiert nämlich, wenn wir nichts machen; kann man machen, gerade dann, wenn die Babyboomer 2025 kommen;
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ist aus meiner Sicht fatal –, oder Sie plädieren für eine Anhebung des Renteneintrittsalters.
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Es ist gerade zwei Jahre her, da haben das viele gemacht, haben ganz klar sogar eine Mechanik entwickelt:
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steigende Lebenserwartung, steigendes Renteneintrittsalter; Automatismus.
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Das war eine ernsthaft diskutierte Option in einer Rentenkommission, die ich selbst als Ministerin geleitet habe. Ich sage Ihnen: Wie alt die Menschen auch immer werden – mit 70 Jahren können viele ihre jetzige Arbeit im Krankenhaus, in der Altenpflege oder auf dem Dach nicht mehr ausüben. – Das ist auch keine Antwort.
Dann gibt es natürlich die Möglichkeit, zu sagen: Na gut, die gesetzliche Rente reicht nicht mehr; dann machen wir halt mehr privat. – Ich bin sehr dafür, privat vorzusorgen. Das ist gut, aber kein Ersatz für eine vernünftige gesetzliche Rente.
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Nur 2 Prozent der Rentenleistungen sind zurzeit privat abgesichert. – Das kann es also auch nicht sein.
Ich fordere alle auf, sich an dieser Debatte zu beteiligen, Vorschläge zu machen, wie das in den nächsten Jahrzehnten weiterlaufen soll. Es ist schnell gesagt: Es geht nicht. – Die Menschen in unserem Land erwarten aber, dass es eine Lösung gibt. Wer massenhaft Steuererleichterungen, im Umfang von 30 Milliarden Euro, verspricht wie Herr Lindner,
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der hat damit eine klare Buchung abgegeben: Ihm ist das halt wichtiger als eine sichere Rente. Die SPD sieht das klipp und klar anders und wird dafür auch kämpfen; das will ich an dieser Stelle klar gesagt haben.
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Deswegen geht es in diesem Land auch um Vertrauen, und dabei geht es auch um Vertrauen in die Zukunft. Der Haushalt, den wir hier heute vorlegen, ist in Zahlen überführte Politik. Das ist letztendlich das, was wir ermöglichen können, um die Sorgen und die Anliegen der Menschen aufzunehmen. Wir investieren – ich habe es sehr deutlich gemacht – sehr stark in Bildung, in Soziales, in Zukunftschancen, und zwar massiv. Wir geben uns nicht den Sachzwängen hin; denn Politik ist genau die Kunst, das zu gestalten, was gelebt werden will. Das ist es ja, was die Menschen uns sagen. Sie wollen soziale Sicherheit, auch innere Sicherheit, und sie wollen mehr Bildungsinvestitionen. Dieser Haushalt ist also eine Einladung an uns alle, verantwortlich Politik zu machen und auch das Vertrauen in unsere Demokratie wieder zu stärken.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Dr. Dietmar Bartsch.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor der Sommerpause hatten wir das totale Regierungschaos. Viele Menschen glaubten, die Koalition zerbricht. Im Sommer hatten wir dauernd Streit, und im Kern machen Sie jetzt so weiter.
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Frau Merkel hat gesagt: Wir müssen diejenigen unterstützen, die unser Land voranbringen. – Herr Scholz hat gestern von Zuversicht gesprochen, Andrea Nahles eben von Vertrauen. Aber, meine Damen und Herren: Diese Bundesregierung verunsichert die Menschen in unserem Land. Die Lage, die wir im Land haben, ist Ihre Verantwortung.
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Der Haushalt, meine Damen und Herren, zeigt, dass es weder neue Ideen noch neue Impulse gibt. Dieser Haushalt ist der Beweis, dass es sich um die Notregierung der Wahlverlierer handelt – minus 15 Prozent bei der letzten Wahl. Sie setzen im Kern auf Weiter-so. Es ist ein Weiter-so, das das Land in den letzten Jahren auseinandergetrieben hat. Es ist ein Weiter-so, das die Gesellschaft spaltet, das Angst und Unsicherheit befördert und falsche Prioritäten setzt. Das Ergebnis ist eine handfeste Krise der bürgerlichen Demokratie.
Eines ist auch klar: Von dieser Regierung ist nicht mehr viel zu erwarten. Wir werden die Bayern-Wahlen haben; da werden die Union und die Sozialdemokraten verlieren. Wir werden die Hessen-Wahl haben; Union und Sozialdemokraten werden verlieren.
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Das alles wird die Krise dieser Regierung nur befördern.
Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag geschrieben: „Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land.“ Nicht einmal ein Jahr nach der Bundestagswahl sind diese Überschriften der Lächerlichkeit preisgegeben, meine Damen und Herren.
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Es gibt keinen Aufbruch, sondern ein mutloses Verwalten. Es gibt ein Drehen an Stellschrauben, aber die wahren Probleme in unserem Land werden ignoriert.
Besonders unverantwortlich, meine Damen und Herren, sind die Äußerungen von Herrn Seehofer über die „Mutter aller Probleme“. Nicht die Migrationspolitik, wie Sie in unverschämter Weise behauptet haben, ist das Problem. Mit Ihrer Aussage diskreditieren Sie auch 20 Millionen Deutsche, die eine Migrationsgeschichte haben.
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In fast allen Fraktionen gibt es Menschen mit Migrationsgeschichte. Ich darf Sie daran erinnern, Herr Seehofer: Sie sind der Verfassungsminister. Ich vermute, die Bundeskanzlerin hat für Sie noch mal Artikel 1 des Grundgesetzes zitiert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ – Des Menschen! Das sollte die Grundlage für Ihr Handeln sein.
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Ich will ergänzen, dass diese Äußerungen von Ihnen kein Einzelfall sind. Sie lassen zu, dass der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz die Menschen mit Falschaussagen verunsichert. Das ist indiskutabel. Diesen Skandal werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Ich will Herrn Maaßen noch mal zitieren:
Nach meiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken.
Herr Maaßen mischt sich damit politisch ein. Aber da, wo es seine Aufgabe ist, die verfassungsmäßige Ordnung durchzusetzen, hat er versagt. Der Mann hätte doch vor den Ereignissen in Chemnitz darauf aufmerksam machen müssen, dass es dort eine Zusammenrottung von Rechtsradikalen gibt.
({6})
Es ist doch ein Skandal, dass der Überfall auf das koschere Restaurant in Chemnitz eine Woche unter der Oberfläche geblieben ist. Warum äußert sich der Mann nicht zum Antisemitismus in Deutschland, sondern verunsichert die Menschen und diskreditiert und bagatellisiert? Das ist inakzeptabel! Das sind Beschwichtigungsversuche Ihrerseits, auch vom Ministerpräsidenten in Sachsen. Das ist so nicht zu akzeptieren!
({7})
Der Verfassungsschutz und alle Verfassungsorgane haben eine klare Aufgabe: Antisemitismus in jeder Form ist hier zu bekämpfen. Ich kann mich nur dem anschließen, was der Bundestagspräsident gestern dazu gesagt hat. Ja, das Maß ist voll, und es muss personelle Konsequenzen geben.
({8})
Herr Maaßen äußert sich nicht zum Antisemitismus, aber er bläst de facto zur Attacke auf die Bundeskanzlerin. Frau Merkel, das dürfen Sie sich nicht bieten lassen.
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Ich will das noch einmal klar sagen: Nicht die Migration ist das Problem und auch nicht das Management der Migration – da ist vieles falsch gelaufen –; das eigentliche Problem sind die schreienden Ungerechtigkeiten in dieser Welt, es sind die Kriege in dieser Welt. Die führen dazu, dass wir eine derartige Migration haben. Nicht die Migration an sich ist das Problem.
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Es ist doch ein Irrsinn, dass Sie das in diesem Haushalt so dokumentieren: dass Sie beim Verteidigungsetat Riesenaufwüchse haben und es beim Außenetat zurückgeht. Das heißt auf gut Deutsch: mehr schießen und weniger reden. Ich finde, das ist das völlig falsche Signal, meine Damen und Herren.
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Wir haben doch jetzt schon das Problem, dass wahnsinnige Mittel auf der Welt in Rüstung gesteckt werden und nicht in den Kampf gegen Hunger und gegen den Klimawandel. Das ist das Problem. Hier sollte Deutschland in Europa und auf der Welt Vorreiter sein und nicht wie jetzt wieder in der Debatte um das Thema Syrien. Ich meine, das ist doch alles unfassbar; da kann ich mich Andrea Nahles anschließen. Das, was da geredet wird, ist völkerrechtswidrig. Das ist ein Riesenproblem. Wir haben einen Parlamentsvorbehalt, aber Sie melden sich schon, obwohl es noch gar keinen Grund gibt. Ich finde das unverantwortlich. Wir müssen alle zivilen Möglichkeiten nutzen. Wir müssen Herrn Guterres unterstützen, die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates auffordern. Das ist der Weg und nicht, zuallererst über militärische Einsätze nachzudenken.
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Andrea Nahles hat eben von einem „waschechten Investitionshaushalt“ gesprochen; darüber bin ich einigermaßen erstaunt.
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Donnerwetter! Ich kann nur feststellen: Im europäischen Vergleich sind wir immer noch unterdurchschnittlich, meine Damen und Herren. Die öffentlichen Investitionen gehen anteilig sogar zurück. Der Investitionsbedarf wird auf 120 Milliarden Euro geschätzt. Allein für die Sanierung der Schulen würden 48 Milliarden Euro benötigt. Ich bin ja dafür, eine Grundgesetzänderung zu machen. Legen Sie zügig eine vor, damit der Bund in Schulen investieren kann. Bei Verteidigung sind Sie immer so schnell; aber wenn es um Schulen geht, dann dauert das, dann reden Sie und handeln nicht.
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Diese schwarze Null ist erkauft durch einen Investitionsstau und einen anhaltenden Handelsüberschuss. Eine schwarze oder – wegen meiner – rote Null gibt es aktuell nur zulasten zukünftiger Generationen.
Ich will an dieser Stelle ein paar Bemerkungen zu dem Thema Kinderarmut machen. Ich bin ja froh, dass Herr Scholz das gestern hier erwähnt hat; Andrea Nahles hat es angedeutet. Es ist eines der gravierendsten gesellschaftlichen Probleme, die wir haben. Aber alle Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinderarmut, die im Koalitionsvertrag stehen – es stehen ja überhaupt welche drin; das ist ein Vorzug –, kommen bei denen, die es am meisten brauchen, wirklich nicht an. Frau Bundeskanzlerin, es ist schon enttäuschend, dass Sie zu diesem Thema hier heute gar nichts gesagt haben.
Der Kinderschutzbund hat aktuell die Zahl der Kinder, die in Armut leben oder von Armut bedroht sind, mit 4,4 Millionen taxiert – 4,4 Millionen Kinder, die in Scham und in Existenzpanik aufwachsen. Wissen Sie, was es bedeutet, als junger Mensch in Armut aufzuwachsen? Wissen Sie, was es für Jugendliche bedeutet, wenn ihnen signalisiert wird, dass sie keine Chance in der Gesellschaft haben? Sie nehmen den Kindern damit die Chance auf ein gutes und ein selbstbestimmtes Leben.
Die Verantwortung liegt auch bei Ihnen, Frau Bundeskanzlerin. Seit dem Jahr 2005, als Sie das Amt übernommen haben, hat sich die Kinderarmut in Deutschland verdoppelt. Und wir müssen doch dann ganz grundsätzlich darüber nachdenken, wie wir in unserem reichen Land Kinderarmut bekämpfen können. Da geht es auf gar keinen Fall, dass etwa bei den Arbeitslosengeld-II-Empfängern die Kindergelderhöhung angerechnet wird.
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Da geht es auch nicht, dass sie zum Schulanfang – das ist seit zehn Jahren so – nur 70 Euro bekommen. Wie will man davon eine Schulmappe und andere Dinge kaufen? Über 1 Million Menschen werden inzwischen durch diese Maßnahme unterstützt. Das ist doch so nicht zu akzeptieren.
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Was Sie machen, ist nur das Drehen an Stellschrauben. Aber gerade in diesen Zeiten brauchen wir politischen Mut. Wir müssen das System endlich vom Kopf auf die Füße stellen. Deswegen fordern wir eine Kindergrundsicherung, meine Damen und Herren.
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Und ja, das ist finanzierbar. Denn es ist doch auch Fakt, dass sich in Ihrer Amtszeit nicht nur die Zahl der Kinder in Armut verdoppelt hat, auch die Zahl der Vermögensmillionäre hat sich in dieser Zeit verdoppelt. Selbst die Zahl der Milliardäre steigt. Deren Vermögen liegt inzwischen bei 5 200 Milliarden Euro. Der Bundeshaushalt umfasst rund 360 Milliarden Euro. Das heißt, sie haben ein Vermögen, das 14-mal so hoch ist wie der Bundeshaushalt. Da muss man doch vielleicht mal auf die Idee kommen, ein wenig umzuverteilen, um Probleme wie zum Beispiel die Kinderarmut zu lösen.
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Diese brutale Ungerechtigkeit macht die Menschen wütend. Die Gesellschaft droht zu kippen. Wir brauchen Mut, um für den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu kämpfen und um die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen und wirkliche Reformprojekte anzustoßen. Aber nichts davon findet sich in Ihrem Haushalt wieder.
Die Menschen verlieren immer mehr den Glauben daran, dass die Politik für sie wirkliche Verbesserungen ihrer Lebensumstände bringt. Ihre Beteuerungen, Frau Merkel, dass es dem Land so gut geht wie nie, wirken auf die Menschen, die drei Jobs haben, die eine schlechte Rente haben, die Angst haben, ihren Kindern keinen Wintermantel kaufen zu können, wie reiner Zynismus.
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Die reichsten 10 Prozent in unserem Land verfügen mittlerweile über 63 Prozent des Vermögens. Statt für eine Umverteilung von oben nach unten zu sorgen, spielen Sie seit 13 Jahren die Begleitmusik zur Umverteilung von unten nach oben. Die Einkommen der unteren Einkommensgruppen haben sich in den letzten 20 Jahren real verringert. Die Menschen haben weniger in der Tasche. Deutschland gehört zu den reichsten Ländern in der Euro-Zone; aber die Privathaushalte gehören zu den ärmsten in Europa.
Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes – nicht der Linken – sprechen für sich: 4,9 Millionen Menschen müssen beim Essen sparen, 12,8 Millionen Menschen können sich keinen Urlaub von einer Woche außerhalb der eigenen vier Wände leisten. Viele Menschen sind nur eine kaputte Waschmaschine oder eine Krankheit vom finanziellen Ruin entfernt. Dass Millionen Menschen unter Abstiegsängsten leiden, ist also kein Wunder. Es gibt eine Riesenverunsicherung.
Deswegen muss die Talfahrt gestoppt werden, und zwar nicht durch Reden, sondern durch sehr konkretes Handeln.
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Aber Sie sagen in Ihrem Koalitionsvertrag: keine Steuererhöhung – nicht mal für die Superreichen, nicht mal für die Konzerne. Wir müssen mit dem Steuersystem aus dem vergangenen Jahrhundert endlich Schluss machen. Wir brauchen eine konsequente Vereinfachung. Wir brauchen eine Entlastung bei den kleinen und mittleren Einkommen. Und wir brauchen eine stärkere Belastung der Superreichen und Konzerne. Beginnen Sie endlich damit, dann können wir die Probleme in unserem Land lösen!
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Ich habe hier heute von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, und von Andrea Nahles und gestern vom Vizekanzler und selbst von der Landwirtschaftsministerin viel zum Thema Digitalisierung gehört. Vor vier Jahren haben Sie hier auch über den Haushalt und die Digitalisierung gesprochen. Sie haben gesagt, dass die Digitalisierung über Deutschlands Zukunft entscheiden wird. Und Sie haben recht gehabt.
Aber was ist denn nun seitdem passiert? Vier Jahre später ist Deutschland immer noch ein Entwicklungsland bei der Digitalisierung. Im OECD-Vergleich liegen wir am unteren Ende. EU-weit sind wir auf Platz 28 von 32 beim Glasfaserausbau. Gerade einmal 6,6 Prozent der Haushalte hatten 2017 einen Glasfaseranschluss. Deutschland ist im internationalen Vergleich auf Platz 17 bei der digitalen Wettbewerbsfähigkeit. Wir spüren doch jeden Tag: Deutschland, einig Funkloch. Das ist die Realität in unserem Land.
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Sie haben die Digitalisierung nicht verschlafen; Sie haben sie einfach verweigert. Das Ergebnis: Knapp 24 Prozent der Bevölkerung – das sind 16 Millionen Menschen – können als offline bezeichnet werden. Das heißt auf gut Deutsch: abgehängt.
Nicht nur, dass Sie beim Thema Digitalisierung weiterhin versagen, nein, Sie trauen sich auch nicht, die Konzerne finanziell stärker zu belasten. Ausgerechnet ein Finanzminister der SPD will Google und Co vor höheren Steuern bewahren.
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Welch eine ironische Anekdote, wenn es nicht so fahrlässig wäre! Da kommt von der EU einmal ein guter Vorschlag für mehr soziale Gerechtigkeit. Und die deutsche Bundesregierung will das ablehnen? Ich will zumindest, dass Sie darüber noch einmal ernsthaft nachdenken.
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Die Mehrheit in unserem Land, meine Damen und Herren, ist weiterhin für Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Wenn Sie sich die Themen, die die Menschen am meisten bewegen, angucken, stellen Sie fest: Es sind Pflege, Rente, Wohnen, Bildung. Das ist die Realität; aber – das konnten wir in den letzten Tagen in brutaler Klarheit sehen – diese Zustimmung bröckelt.
Deswegen müssen wir den Menschen Sicherheit zurückgeben. Da ist die Bundesregierung natürlich in einer besonderen Verantwortung. Wir müssen das Signal senden, dass die Politik sich kümmert, und da gilt auch wieder: im Handeln und nicht mit Worten.
Ich habe jetzt so viel zum Thema „Wohnen und Mieten“ gehört. Das ist erst einmal richtig. Andrea Nahles hat die Aufforderung zum Handeln ausgesprochen. Ja, sehr gut! Ich frage mich aber: Warum ist die Situation so? Wer hat eigentlich in den letzten Jahren regiert und die Verantwortung dafür, dass wir in dieser Situation sind?
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Ich meine, es ist mir einigermaßen unklar, dass man das jetzt so aufruft. Da gibt es doch Verantwortliche.
Sie sind so stolz darauf, dass Sie so viel leisten. Wir brauchen aber mehr Investitionen in den sozialen Wohnungsbau, und zwar mindestens 5 Milliarden Euro, damit wir mindestens 250 000 neue Sozialwohnungen im Jahr haben. Dann können wir die Probleme angehen und vielleicht langsam abbauen. Das wäre notwendig.
Außerdem müssen wir endlich dafür sorgen, dass Mieter und Vermieter auf Augenhöhe miteinander verhandeln können. Auch der Mieter muss klagen können, und es muss strafbewehrt für den Vermieter sein, wenn er rechtswidrig handelt.
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Und wir brauchen natürlich ein Verbandsklagerecht. All diese Dinge sind notwendig, wie auch eine Mietpreisbremse ohne Ausnahme. Handeln Sie endlich, meine Damen und Herren! Wir brauchen eine soziale Offensive, damit der gesellschaftliche Zusammenhalt wiederhergestellt wird. Er droht zu verfallen. Wir sehen es alle, und wir müssen handeln, meine Damen und Herren.
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Ich will eines auch ganz klar sagen: Wir sollten diejenigen aus der Zivilgesellschaft, die sich in vielfältiger Weise engagieren, auch ausdrücklich loben für ihr umfangreiches Engagement, und dort, wo es Behinderungen beim zivilgesellschaftlichen Engagement gibt – leider ist das in Sachsen von der seit 1990 regierenden CDU immer wieder gemacht worden –, sollten wir auch deutlich Position beziehen. Es ist doch so, dass die Arbeit immer erst dann wertgeschätzt wird, wenn es häufig schon zu spät ist. Auch das ist etwas, was sich leider im Haushalt dieser Bundesregierung widerspiegelt. Die Ausgaben für die Programme unter dem Titel „Maßnahmen zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ werden gekürzt. Was für ein verheerendes Zeichen in dieser Zeit! Ich hoffe, dass das in den Haushaltsberatungen korrigiert wird und dass wir hier zu einem Aufwuchs der Mittel kommen.
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Ich will mich nichtsdestotrotz bei all denjenigen bedanken, die immer wieder Haltung zeigen, die Engagement zeigen – in Chemnitz, in Köthen und an vielen anderen Stellen auch –, bei denen, die als Zivilgesellschaft immer und immer wieder für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, letztlich für Anstand und Humanität stehen, meine Damen und Herren.
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Hier im Reichstag – Martin Schulz hat vorhin schon darauf hingewiesen – hat 1932 Kurt Schumacher gesagt: Die Nationalisten appellieren stets an den inneren Schweinehund. – Wir Demokraten müssen verhindern, dass diese Mobilisierung gelingt. Es muss endlich wieder mehr Miteinander bei aller Kontroverse in der Sache geben. Wir, meine Damen und Herren, haben es in der Hand. Ja, das stimmt: Jede Bürgerin und jeder Bürger ist gefordert. Aber natürlich trägt die Bundesregierung dort eine andere Verantwortung.
({30})
Nehmen Sie diese Verantwortung endlich wahr! Hängen Sie in jedem Ihrer Ministerzimmer die Überschriften Ihres Koalitionsvertrages aus: „Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“, „Eine neue Dynamik für Deutschland“ und „Ein neuer Aufbruch für Europa“. Das ist so dringend notwendig. Im ersten Jahr zumindest haben Sie vollständig versagt.
Herzlichen Dank.
({31})
Jetzt erteile ich das Wort der Vorsitzenden der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckhardt.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Merkel, Frau Nahles, ich habe Ihren Reden hier sehr genau zugehört. Wenn ich mir das Kabinett anschaue, wenn ich mir den Haushalt anschaue, wenn ich mir die Reden zum Haushalt von gestern anschaue, von Herrn Scholz, von anderen, dann muss ich sagen: In Deutschland regiert die Angst mit. Jeder Einzelne von Ihnen weiß, dass wir vor gewaltigen Herausforderungen stehen. Jeder Einzelne von Ihnen weiß, dass es jetzt klare Antworten braucht, dass es jetzt große Veränderungen braucht. Was wir nach dem Fast-K.-o. vor der Sommerpause erleben, ist, dass Sie weiter durch das Tagesgeschäft mäandern. Ich kann nur sagen: Es reicht nicht mehr, dass man hier alle paar Monate einen Rechenschaftsbericht ablegt. Wir brauchen endlich wieder echte Politik und Antworten auf echte Herausforderungen, meine Damen und Herren.
({0})
Man kommt sich ja fast so vor, als hätten Sie in 13 Jahren Regierung ein Land geschaffen, bei dem man sich in der geschlossenen Kabine wie im Autopilotenmodus befindet. Was sind die eigentlichen Probleme? Was treibt die Leute um? Dass Sie heute hier, nach diesem Sommer, kein Wort zur Klimakrise gesagt haben, lässt für mich tief blicken.
({1})
Schauen Sie zurück, von mir aus schauen Sie sich die Bilder von Alexander Gerst an, der aus dem Weltall heraus die Erde fotografiert hat: Braun und Gelb dort, wo eigentlich Grün sein müsste. Die Klimakrise selbst ist das größte Problem, die größte Zumutung, die wir überhaupt haben, für die Menschen auf diesem gesamten Planeten, und diese Bundesregierung ist ein Totalausfall in dieser Frage, meine Damen und Herren.
({2})
Wir steuern auf eine Heißzeit zu. 10 der 15 wärmsten Jahre in Deutschland waren in diesem Jahrhundert. Wir erinnern die Bilder der meterhohen Flammen, der verdorrten Pflanzen. Wenn wir das nicht mehr wollen, dann müssen wir jetzt, und zwar konsequent, gegensteuern. Das ist bei den Menschen in diesem Land längst angekommen. Sie allerdings fürchten sich vor allem immer noch vor einem: vor den mächtigsten Lobbys. Wie kann es denn sein, dass die Autokonzerne trotz Fahrverbotsurteilen für die Nachrüstung immer noch nicht zahlen müssen?
({3})
Wie kann es denn sein, dass Schweine und Kühe immer noch auf engstem Raum zusammengepfercht leben müssen und die industrielle Massentierhaltung weiterhin unser Trinkwasser zugüllt? Dafür sind Sie verantwortlich.
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Und: Wie kann es sein, dass im Hambacher Wald ein Energiekonzern, von Ihnen völlig ungehindert, die Bäume abholzen kann,
({5})
obwohl die Zukunft nicht in der Kohle liegt? Die Zukunft liegt in den Bäumen, meine Damen und Herren. Der Hambacher Wald muss bleiben, das ist doch das Mindeste.
({6})
Herr Lindner, Sie haben sich hier aufgeregt, dass Bündnis 90/Die Grünen da einen Parteitag abhalten. Ich will Ihnen nur zu Ihrer Information sagen: Das machen die Grünen Nordrhein-Westfalens auf dem Gelände des Bundes für Umwelt und Naturschutz. Ganz friedlich – ganz klar –, aber entschieden in der Sache, weil der Klimaschutz die Frage der Menschheit ist. Sie haben das noch nicht verstanden – ich weiß es –, aber trotzdem werden wir das machen.
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Wir müssen jetzt alle Register ziehen. Warum müssen wir das tun? Weil, je länger nichts getan wird, umso radikaler die Antworten sein müssen.
({8})
Jeder, der das verschweigt, verscherbelt die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder.
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Ich kann Sie nur davor warnen, so weiterzumachen. Die Zukunftswut der jungen Generation wird deutlicher werden. Es wird klar werden, dass es genau darum geht, das Klima zu schützen für die kommenden Generationen, und nicht darum, Politik zu simulieren.
({10})
Man muss Ihnen in der Tat vorwerfen, dass es hier immer mehr um Simulation von Politik geht, um viel zu kleine Schritte, um So-zu-tun-als-ob. Gerade kündigt sich eine furchtbare Katastrophe in Syrien an. Natürlich tut Herr de Mistura alles, was er kann. Was ich aber in den vergangenen Jahren nicht erlebt habe, ist, dass diese Bundesregierung wirklich alles tut, was sie kann. Was Sie im Zusammenhang mit Syrien tun, ist, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie wir mehr Abschottung hinbekommen, und nicht damit, wie der Friedensprozess dort unterstützt werden kann. Ich sage Ihnen klar – fangen Sie jetzt nicht an, darüber nachzudenken, was man vielleicht hinterher machen könnte, und darüber, wo Militär hin soll, usw. –: Kümmern Sie sich darum, dass dort ein Friedensprozess in Gang kommt! Kümmern Sie sich darum, dass das Schlimmste für die 3 Millionen Menschen, die dort leben, überhaupt nicht erst eintritt! Das ist doch die zentrale Aufgabe, die heute vor uns und einer Bundesregierung steht, meine Damen und Herren.
({11})
Sie haben hier wieder sehr lang und ausführlich über die Pflege geredet. Ich wundere mich schon, dass Sie jetzt merken, dass die Pflegekräfte in diesem Land mehr Wertschätzung brauchen – nach 13 Jahren Regierung. Aber vielleicht ist es ganz schön, wenn es irgendwann passiert. Aber die ganz realen Probleme zu lösen, das machen Sie nicht. Herr Spahn weiß ganz genau, dass bald mehr als 4 Millionen Pflegebedürftige da sein werden und es dann nicht reicht, darauf mit ein paar Tausend Pflegekräften mehr zu antworten. Das ist auch Simulieren von Politik. Dann machen Sie diesen Menschen wieder etwas vor: den Pflegenden und den Pflegebedürftigen. Fangen Sie doch endlich an, wirklich zu handeln, wirklich zu regieren, wirklich zu tun, was notwendig wäre, meine Damen und Herren!
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Nehmen wir die Miete. Frau Barley, was die Regierung jetzt liefert, ist so eine Mietpreisbremse: Sie schleift schon, bevor sie überhaupt in Betrieb genommen wird. Am Ende fahren die Mieterinnen und Mieter vor den Baum. Aber Sie wissen es ja selbst. Ich weiß nicht: Waren es 24 oder 48 Stunden später, als Sie einen Zwölf-Punkte-Plan vorgelegt haben? Sehr schön! Dort steht alles, was man machen müsste. Aber in der Regierung erst mal einknicken, um dann Wahlkampf gegen sich selber zu machen, das ist ein Verrat an den Mieterinnen und Mietern, und es schadet auch der Glaubwürdigkeit nicht nur der SPD – das ginge ja noch –, sondern der gesamten Politik in diesem Land. Hören Sie auf mit solchem Budenzauber, sondern machen Sie endlich echte Politik, meine Damen und Herren!
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Diese Woche hat uns ja auch ein anderer Geist umgetrieben. Sie können keinem Malermeister und keiner Kioskbesitzerin erklären, warum sie Steuern zahlen sollen, aber Google und Apple sich das Leben schönrechnen können. Was ist die Antwort von Vizekanzler Olaf Scholz, der sich im Wahlkampf noch mächtig gegen diese großen Konzerne, die doch endlich Steuern zahlen müssen, eingesetzt hat? Die Antwort ist, es sei kompliziert. Ich will Ihnen sagen, was „kompliziert“ ist: Das ist ein Beziehungsstatus auf Facebook. Aber das ist nicht das, was wir jetzt notwendigerweise brauchen. Das kann doch kein Hinderungsgrund für Politik sein. Es ist ganz einfach: Das Internet darf kein steuerrechtsfreier Raum sein – ganz klar, ganz eindeutig! Einfach Politik machen, meine Damen und Herren!
({14})
Zur Rente, Frau Nahles: Ich meine, man kann es so machen wie Sie. Man kann sagen: „Wir machen ein großes Theater“, und dann landen wir beim Jahr 2025, und dann belehren Sie uns hier darüber, was ginge. Nein! Es geht um die wirklich großen Schritte. Sie müssen wirklich etwas ändern wollen. Sie müssen wirklich Vertrauen schaffen wollen dahin gehend, dass die Rente irgendwann einmal sicher ist, sowohl für die kommenden Generationen als auch für die jetzige. Wir brauchen doch Gerechtigkeit innerhalb der Generation und zwischen den Generationen. Um beides muss es doch gehen. Ich höre von Ihnen kein Wort zum Thema Bürgerversicherung in der Rente. Das wäre die Antwort.
({15})
Das wäre die ehrliche Antwort, wenn Sie sie geben wollen.
({16})
Dietmar Bartsch hat auf die Kinderarmut hingewiesen. Was mich persönlich aufregt: Sie diskutieren die ganze Zeit über Rente, aber kein einziges Mal geht es um die Menschen, die im Rentenalter wirklich in Armut leben. Wenn Sie denen nicht wenigstens garantieren, dass sie mehr haben als Grundsicherung im Alter,
({17})
dann frage ich mich, was Sie mit „sozialer Politik“ meinen. Die Altersarmut in diesem Land ist ein echtes, ein ganz reales Problem. Lösen Sie es endlich, und schweigen Sie es nicht weiter tot, meine Damen und Herren!
({18})
Ich habe den Eindruck, dass Sie sich in der Koalition, nachdem alles so schwierig gewesen ist, verabredet haben, dass Sie lieber nur ganz kleines Karo machen.
({19})
Warum können Sie an keiner einzigen Stelle mal über Zumutungen reden? Warum ist das mit den Zumutungen eigentlich gut? In „Zumutung“ kommt das Wort „Mut“ vor, und Mut kann man nur haben, wenn man keine Angst hat, wenn man keine Angst hat vor den Konsequenzen, keine Angst hat vor Neuwahlen, vor der eigenen Partei, davor, dass vielleicht die Koalition krachen könnte oder vielleicht auch die Fraktionsgemeinschaft.
({20})
Manche haben sogar Angst vor rechten Hetzern. Aber Ihre Verzagtheit ist schon längst nicht mehr das, was unser Land ausmacht. Ich sehe Menschen, die hier diskutieren. Ich sehe Menschen, die anpacken und die sich einbringen – von den engagierten Öko-Start-ups bis zu Senioren, die Alleinerziehenden den Rücken freihalten. Ich sehe sogar Dörfer, die sich inzwischen die Gräben selber buddeln, um die Glasfasernetze dort hineinzubekommen. Ich sehe Menschen, die sich um Geflüchtete kümmern, die sich um Seenotrettung kümmern. Das sind Menschen, die können und wollen. Aber sie haben eine Regierung, die nichts anderes tut, als mit viel, viel zu kleinen Schritten zu simulieren.
Damit komme ich zur inneren Sicherheit. Es braucht Vertrauen in die Institutionen und in eine Regierung, die einhellig klare Kante zeigt. Es geht doch nicht um rechts gegen links. Wie verrückt ist das denn? Die überwältigende Mehrheit der Menschen in unserem Land will das nicht: keine Hetze, keine Hitlergrüße, keinen Hass, keine Spalterei, keine Nazigesänge, keine Angriffe auf jüdische Restaurants und keine Gewalt.
({21})
Deswegen müssen wir als Demokratinnen und Demokraten zusammenstehen:
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gegen die Antidemokraten, gegen die Antisemiten, gegen die Rechtsradikalen. Und ja, wir müssen auch zusammenstehen gegen den parlamentarischen Arm dieser ganzen Hetzer: gegen die AfD!
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Es ist gut, dass wir uns in diesem Land als Demokraten nicht in allem einig sind. Das ist gut für die Demokratie und für die Diskussion. Es müssen jetzt auch nicht alle Fans von Helene Fischer gleich Songs von Kraftklub hören, obwohl das eine ganz coole Sache wäre.
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Dass aber in diesem Land und in dieser Gesellschaft eine breite Allianz für Mitmenschlichkeit da ist, macht Mut. Das ist echte Versöhnung, und das ist echter Zusammenhalt.
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Es gibt verdammt viel zu verlieren und neu zu begründen und wiederzugewinnen: die Errungenschaften des friedlichen Meinungsaustauschs, die Demonstrationsfreiheit, die Gewaltenteilung. Was wir erleben, ist ein Innenminister, der genau das Gegenteil macht, der das gefährliche Spiel der sprachlichen Eskalation immer weiter treibt. Frau Merkel, ich frage mich nach Ihren klaren Worten heute, wie lange Sie das eigentlich in Ihrem Kabinett noch dulden wollen.
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Herr Seehofer, was Sie machen, ist, die Sündenböcke in einer Minderheit in diesem Land zu suchen, statt selbst Verantwortung zu übernehmen. Sie schüren Zerrissenheit, Sie schüren Unsicherheit – als ein Innenminister, der eigentlich schützen und befrieden sollte. Sie belassen heute immer noch Herrn Maaßen im Amt, von dem man nicht so genau weiß, ob er rechts außen beobachtet oder coacht – das ist doch vollkommen verrückt, meine Damen und Herren –,
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und der übrigens immer wieder lügt. Man muss sich doch heute die Frage stellen, ob Herr Maaßen mit dem, was er über dieses Video gesagt hat, vielleicht davon ablenken wollte, dass die rechten Hetzer in Chemnitz unterwegs gewesen sind, ob er vielleicht davon ablenken wollte, was die alles tun konnten, nämlich Hitlergrüße ganz offen zeigen, ohne daran gehindert zu werden. Herr Innenminister, ich kann Ihnen nur sagen: Fangen Sie entweder an, Ihr Amt auszuüben, oder verlassen Sie es! Das wäre die konsequente Antwort auf das, was Sie hier in den letzten Wochen geliefert haben.
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Nein, Migration ist nicht „die Mutter aller Probleme“, sie ist ein Fakt, genauso wie die Wiedervereinigung, die nicht einfach war, genauso wie die Globalisierung, wie die Digitalisierung. Seit wann gucken wir eigentlich in Deutschland wie das Kaninchen auf die Schlange, wenn es Lösungen braucht? Wir brauchen keinen Innenminister, der über den Zustand klagt, sondern wir brauchen endlich wieder echte Politik.
Lassen Sie mich ganz zum Schluss ein Wort über Ostdeutschland sagen, weil es mich als Thüringerin wirklich aufregt, dass jetzt alle anfangen, „der Osten“ zu sagen. Nein, in diesem Osten leben eine ganze Menge Demokratinnen und Demokraten, die unter nicht einfachen Bedingungen versuchen, die Demokratie in diesem Land zu gestalten, die unter nicht einfachen Bedingungen Unternehmen gründen – die erben nämlich nichts –, die unter nicht einfachen Bedingungen als Jugendarbeiter auf dem Land unterwegs sind und versuchen, Jugendliche vor dem Einfluss der Nazis in der Gegend zu bewahren. Das sind Leute, die die deutsche Einheit erkämpft haben, die für eine friedliche Revolution auf die Straße gegangen sind. Ich möchte nicht und ich lasse nicht zu, dass es immer mehr Leute gibt, die sagen: Das ist doch der Osten. – Nein, „der Osten“ ist ein Teil dieses Landes, das sind in ihrer Mehrheit Demokratinnen und Demokraten, und das ist nicht die AfD und das sind nicht die Arschlöcher, die auf die Straße gehen und hetzen und Hitlergrüße zeigen.
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Ich möchte gern, dass uns klar ist: Wir sind ein gemeinsames Land von Demokratinnen und Demokraten.
Frau Kollegin Göring-Eckardt!
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort der Kollege Volker Kauder.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Christian Lindner hat in seinem Beitrag zu Recht darauf hingewiesen, dass wir in unserem Land in einer Situation leben, die außergewöhnlich ist, und dass nirgendwo festgeschrieben steht, dass dies ohne Weiteres so bleiben wird. Deshalb ist es richtig, dass wir sagen: Jawohl, wir haben eine außergewöhnlich gute wirtschaftliche Situation. Es geht jetzt darum, alles dafür zu tun, dass dies auch so bleiben kann. – Dafür bietet dieser Bundeshaushalt eine ganze Menge; ich werde darauf noch eingehen. Aber wer dieses Land wirklich liebt und ein Patriot ist, der stellt sich in der Haushaltsdebatte nicht hierhin und sagt nichts zu der Frage, wie es in unserem Land weitergeht, der hat nicht nur ein einziges Thema, nämlich die Migration. Das sind nämlich keine Patrioten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wir sorgen uns darum, wie es weitergeht, damit es so bleiben kann.
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Und die Grundvoraussetzung dafür, dass es unserem Land gut geht, ist eine funktionierende Wirtschaft. Laut der Wirtschaft liegen einige Herausforderungen vor uns, zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung. Dabei geht es nicht nur darum, die technischen Entwicklungen voranzubringen, sondern auch darum, die Menschen mitzunehmen, damit sie die damit verbundenen Herausforderungen bewältigen können. Es geht vor allem darum, eine junge Generation heranzubilden, die mit den Herausforderungen auch umgehen kann. Deshalb ist es so wichtig, dass wir gemeinsam mit den Ländern die Schulen ans Netz bringen. Die jungen Menschen, die jetzt in der Schule sind, werden mit ganz anderen Herausforderungen konfrontiert werden, als das in der heutigen Zeit der Fall ist. Deswegen müssen sie entsprechend ausgebildet werden, und dafür stellt der Bund Geld zur Verfügung. Das ist eine Investition in die junge Generation und damit in die Zukunft unseres Landes.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich bietet dieser Bundeshaushalt eine wichtige Perspektive für die junge Generation. Es ist ja kein reiner Selbstzweck, dass wir einen Haushalt vorlegen, der ohne neue Schulden auskommt. Wir sagen: Ein Haushalt ohne neue Schulden bedeutet weniger Belastung für die künftige Generation und eröffnet Spielräume für die junge Generation.
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Es ist völlig richtig, dass ein Haushalt ohne neue Schulden nicht hinreichend ist. Deshalb haben wir einen Haushalt, der auch Investitionen ermöglicht.
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Olaf Scholz hat ein neues Instrument erfunden, eine globale Mehrausgabe für Investitionen.
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Das hat mich etwas überrascht. Okay, das kann man machen.
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Aber eines ist völlig klar, sehr geehrter Herr Finanzminister: Wir von der Unionsfraktion verlangen, dass wir daran beteiligt werden, was mit diesem Geld passiert.
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Es kann nicht sein, dass der Bundesfinanzminister alleine darüber entscheidet.
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Dasselbe erwarten wir natürlich auch bei den Mehreinnahmen, die beispielsweise durch Haushaltsüberschüsse oder durch Steuermehreinnahmen erzielt werden. Steuermehreinnahmen und mehr Geld im Haushalt – das ist nicht eine Spielwiese für den Bundesfinanzminister alleine, sondern für das gesamte Parlament, meine sehr verehrten Damen und Herren. Deswegen erwarten wir eine entsprechende Beteiligung.
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Wir haben über die gute Situation in unserem Land gesprochen, und trotzdem gibt es Irritationen. Das hängt natürlich damit zusammen, dass sich viele Menschen in unserem Land fragen, ob der Staat die Sicherheit noch ausreichend garantieren kann.
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Rechtsstaat und innere Sicherheit sind ein großes Thema. Im Koalitionsvertrag haben wir einen Pakt für den Rechtsstaat formuliert, und wir erwarten nun – und wir werden auch darauf drängen –, dass all die Punkte, die dort vereinbart worden sind, umgesetzt werden. Hier fehlt uns noch ein wichtiger Schritt. Wir haben beispielsweise im Verfahrensrecht eine ganze Reihe von Maßnahmen vereinbart, die noch nicht umgesetzt worden sind. Wir werden vom Bundesjustizministerium verlangen, dass Verfahrensbeschleunigungen jetzt endlich auf den Weg gebracht und Hemmnisse abgebaut werden. Wir erwarten hier schon noch mehr. Wir haben konkrete Vorschläge gemacht. Ich finde, wir können nicht immer nur nach dem Motto arbeiten: Wir brauchen noch mal ein paar Wochen. – Es muss schneller gehen bei der Umsetzung des Paktes für den Rechtsstaat, als das bisher der Fall war.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt eine Reihe von Bereichen, in denen es auf die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ankommt. Wir haben Anstrengungen unternommen, um gemeinsame Programme voranzubringen. Ich finde, wir müssen die Umsetzung des Paktes für den Rechtsstaat als eine nationale Herausforderung betrachten und deshalb auch mit den Ländern entsprechend zusammenarbeiten. Es reicht nicht aus, wenn wir nur bei der Bundespolizei neue Stellen schaffen. Wir müssen auch bei der Justiz – und da sind die Länder natürlich gefordert – neue Stellen schaffen. Es kann nicht sein, dass Straftäter nicht zur Rechenschaft gezogen werden können, weil die Fristen nicht eingehalten werden, weil an den Gerichten Überlastungen bestehen. Ich erwarte, dass wir so, wie wir bei Schule, Kita und anderen Bereichen zusammenarbeiten, auch im Bereich der inneren Sicherheit zusammenarbeiten. Das ist eine Aufgabe von nationaler Bedeutung, bei der wir alle gemeinsam handeln müssen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Vergleichbar gilt dies auch für eine der großen Herausforderungen, an der deutlich werden wird, ob die Menschen sagen: Jawohl, das gelingt auch. – Es ist – die Bundeskanzlerin hat zu Recht darauf hingewiesen –
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nicht akzeptabel, dass bei Tötungsdelikten und anderen Fällen schwerer Kriminalität immer wieder die Aussage kommt, einer der Täter hätte schon längst abgeschoben werden müssen. Deswegen sage ich: Die Abschiebung vor allem von Straftätern muss eine große Kraftanstrengung in unserem Land werden.
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Da müssen wir natürlich enger zusammenarbeiten. Da muss ich auch den Ländern sagen: Wir haben miteinander – es waren fast alle Ministerpräsidenten beteiligt – in den Koalitionsverhandlungen vereinbart, dass wir hier vorankommen wollen. Wir haben beschlossen, dass wir AnKER-Zentren einrichten wollen, aus denen wir besser und schneller abschieben können. Aber jedes Mal, wenn der Bundesinnenminister an die Sache rangeht, haben die Länder Vorbehalte. Das kann so nicht mehr sein. Wenn wir von einer nationalen Kraftanstrengung bei der Abschiebung sprechen, dann muss das, was wir miteinander vereinbart haben, auch umgesetzt werden, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Da werden wir an der Seite des Bundesinnenministers stehen.
Wenn es um den Rechtsstaat geht, geht es auch darum, dass wir uns an diese Grundsätze halten. Sehr geehrte Frau Kollegin Göring-Eckardt, wer den Rechtsstaat bejaht, kann nicht nur dann verlangen, dass Urteile akzeptiert werden, wenn sie gegen rechts und andere gehen. Der Rechtsstaat gilt für alle. Und wenn die Gerichte entschieden haben, dass im Hambacher Forst abgeholzt werden kann, dann muss dies gelten. Sie können nicht sagen: Es gibt berechtigten Widerstand gegen Urteile und unberechtigten Widerstand. – Das stärkt den Rechtsstaat auf keinen Fall. Auf keinen Fall!
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Wir haben heute auch darüber gesprochen, wie der Umgang untereinander im Parlament ist. Da gibt es nicht nur im Verhältnis zwischen uns oder im Verhältnis zur AfD – darauf komme ich gleich noch zu sprechen – einiges zu beklagen, sondern natürlich auch bei dem, was wir so machen. Wir haben alle die Aussage des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz gehört. Sofort waren wir uns alle einig, dass dies sowohl im Parlamentarischen Kontrollgremium als auch in einer öffentlichen Sitzung des Innenausschusses diskutiert, beraten werden muss und er befragt werden muss.
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Das haben auch wir sofort unterstützt. Aber ich muss sagen: Was ist denn das für ein Umgang? Man verlangt zunächst einmal eine öffentliche Sitzung des Innenausschusses, in der der Betreffende sich zu erklären hat.
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Bevor er sich aber erklären kann, kommt es schon zur Rücktrittsforderung. Das ist kein fairer Umgang, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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So kann man nicht arbeiten. Das ist auch ein Vertrauensverlust.
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Ich will Ihnen einmal etwas Vergleichbares sagen: Wir von der Bundesregierung haben eine Reihe von Kommissionen eingesetzt, die wir in unserer Fraktion mit Arbeitsgruppen begleiten. Wenn man eine Kommission einsetzt, hat man doch zunächst einmal die Erwartung, dass diese Kommission Vorschläge macht und man dann darüber redet.
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Wenn aber eine Regierung eine Regierungskommission einsetzt und dann Regierungsmitglieder kommen und schon vorher sagen, was diese Regierungskommission für Ergebnisse produzieren muss, dann muss ich sagen: Das ist kein anständiger Umgang mit Fachleuten und mit Wissenschaftlern.
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Deswegen erwarte ich, dass wir die Rentenkommission erst einmal arbeiten lassen und uns dann mit den Ergebnissen auseinandersetzen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, es ist richtig, dass wir den Zusammenhalt in unserem Land stärken müssen. Deshalb ist es völlig in Ordnung, dass Menschen sich betroffen äußern, wenn es Tötungsdelikte in unserem Land gibt. Ein jedes Tötungsdelikt ist ein schwerer Angriff auf unsere Rechtsordnung. Dass dies die Menschen bewegt, ist doch völlig klar. Das war nicht nur in Chemnitz so, sondern auch in Freiburg, in Kandel und überall, wo so etwas passiert ist. Da kann ich nur sagen: Das ist auch in Ordnung. Das zeigt doch eine Gesellschaft, die an dem, was passiert, Anteil nimmt. Aber wenn dann Demonstrationen wie die von der AfD stattfinden
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und man nicht bereit ist, sich von Rechtsextremisten zu trennen, sondern wie der Herr Gauland sagt: „Dann ist es halt so“,
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dann kann man das nicht machen. Das ist kein Beitrag zum Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, Herr Gauland.
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Es ist immer die gleiche Masche: Zunächst einmal wird aufgehetzt.
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Das Beispiel wurde schon gebracht: Eine AfD-Kreistagsfraktion erklärt, dass der Tag kommen kann, an dem Journalisten aus den Funkhäusern herausgezerrt und auf der Straße entsprechend fertiggemacht werden.
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Kaum wird dieser Tweet bekannt, tut man so, als habe man nichts damit zu tun, und dann wird er zurückgenommen. Man begeht eine ständige Grenzüberschreitung,
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und dann tut man heuchlerisch so, als habe man damit nichts zu tun. Das zeigt: Die Maske der Bürgerlichkeit ist bei Ihnen gefallen!
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Sie sind keine bürgerliche Partei, und Sie sind keine Patrioten!
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, wir leben in einer schwierigen Zeit. Aber ich glaube, dass wir aus dem, was wir in der Vergangenheit geschaffen haben, auch den Mut nehmen können, es für die Zukunft gut zu machen. Wir haben in unserem Land eine Situation, die gut ist. Trotzdem haben wir Herausforderungen zu bewältigen.
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Dazu leistet der Bundeshaushalt einen Beitrag und diese Regierungskoalition ebenfalls.
Herzlichen Dank.
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Für die AfD-Fraktion hat die Kollegin Dr. Alice Weidel das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kauder, ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen:
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Ich weiß gar nicht, ob Sie Oppositionspartei sind oder in der Bundesregierung sitzen. Das war mir bei Ihrer Rede nicht so ganz klar.
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Apropos Bürgerlichkeit: Es ist doch die CDU, die sich von der bürgerlichen Mitte so weit entfernt hat. Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen.
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Zur SPD. Man merkt bei Ihnen regelrecht: Sie bewegen sich auf die Fünfprozenthürde zu.
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Auch bei Herrn Schulz, der jetzt ja im Übrigen gar nicht mehr da ist – schon lange sitzt er nicht mehr da; er ist bestimmt schon wieder auf dem Weg nach Brüssel –,
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merkt man, dass er offensichtlich schon lange nicht mehr mit Macron telefonieren durfte. Der arme Kerl!
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Frau Nahles, Sie haben eine sehr interessante Rede abgeliefert, wo Sie auch die Demokratie beschwören. Wie kann es also sein, dass eine waschechte Demokratin, wie Sie vorgeben, es zu sein, eine Mitarbeiterin aus ihrem engeren Umfeld hat, Angela – da muss ich noch mal nachgucken –, Angela, nicht Merkel, sondern Marquardt, die in einer Postille der SPD doch tatsächlich anregt, dass die SPD im Kampf gegen die AfD und gegen rechts mit der Antifa zusammengehen soll? Das ist wirklich eine Schande für die Demokratie. Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen!
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Frau Merkel, ich gebe Ihnen recht: Mit aller Härte des Rechtsstaates müssen wir durchgreifen – gegen den Totschlag, gegen die Morde, die sich mittlerweile auf unseren Straßen abspielen. Wenn man in Deutschland zur falschen Zeit am falschen Ort ist, kann es einen ja erwischen. Zur Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit muss auch dazugehören, dass Yousif A., der mutmaßliche Iraker – nachträglich hat sich ja herausgestellt, dass alle seine Dokumente gefälscht waren; wir reden von dem Mörder, ich sage „Mörder“, nicht „Totschläger“
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von Chemnitz –, dass er unerlaubt eingereist ist, mehrfach straffällig geworden ist und sein Asylantrag abgelehnt wurde. Das ist bei Ihnen im Übrigen nicht ein Einzelfall, sondern es ist die Regel, die Sie als Regierung zu verantworten haben. Sie, Frau Merkel, sind zum größten Sicherheitsrisiko in diesem Land geworden.
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Aber es geht noch weiter: Die von der Regierung befeuerte Dieselhysterie und der unnötige Handelskonflikt mit den USA bedrohen unsere Automobilindustrie – eine gefährliche Entwicklung, wenn man bedenkt, welche Bedeutung dieser Industriezweig in unserem Land einnimmt. Arbeitsplätze sind bedroht, und Arbeitspendler, die sich ihren Diesel unter wirtschaftlich vernünftigen Aspekten zusammengespart haben, die sind nämlich letztlich die Dummen. Sie haben die Arbeitnehmer des Landes – an der Stelle auch an die SPD –, die unseren Wohlstand erwirtschaften und erarbeiten, längst aus den Augen verloren.
Das zeigt auch die ewige Euro-Retterei der Merkel-Regierung. Alle Parteien hier versuchen, uns weiterhin ernsthaft weiszumachen, Deutschland sei der größte Profiteur des Euro. Das ist nicht wahr, und das wissen Sie auch – wenn Sie etwas davon verstehen würden.
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Tatsache ist nämlich: Die privaten Haushalte in Deutschland gehören zu den ärmsten in der Euro-Zone; das legt eine Vermögensstudie der EZB dar. Die Nullzinspolitik der EZB macht sie dabei von Tag zu Tag ärmer. Das Vermögen auf den Sparbüchern, den Pensionsfonds und der Garantiezins der Lebensversicherungen schmelzen dahin, während die Immobilienpreise, also Kauf- und Mietpreise, durch die Decke gehen. So viel zum Stichwort „Mietpreisbremse“. Sie haben diese Politik zu verantworten.
Dazu kommt nämlich noch: Die von SPD und Union vielbejubelten Gewinne der deutschen Exportindustrie darf der deutsche Bürger am Ende selber bezahlen; das sagen Sie ja nie dazu. Über das TARGET2-System muss die Deutsche Bundesbank nämlich maroden Schuldenstaaten Kredite gewähren, ohne eine realistische Aussicht, etwas von dem Geld jemals zurückzubekommen.
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Europas Dispo bei Deutschland steht mittlerweile kurz vor der Billion-Euro-Marke. Sie werden jetzt sagen: Was stören mich TARGET2-Forderungen der Bundesbank? Was stören mich die Verluste der deutschen Sparer? Gestern sagen Sie noch, Herr Scholz, Sie wollen etwas für die Kinder tun. Was stört es Sie, dass Sie genau diese Kinder und die nachfolgenden Generationen um ihre Vermögensbildung bringen? – Was soll daran eigentlich noch soziale Politik sein?
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Die niedrigen Zinsen der EZB haben dem Staat jede Menge Geld erspart. Dazu sprudeln die Steuereinnahmen. Alles prima. Leider hat die Regierung nicht nur an den Zinsausgaben gespart. Sie hat auch mächtig an den Investitionen in die Infrastruktur gespart; es wird gnadenlos von der Substanz gelebt.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kindler?
Aber natürlich, sehr gerne.
Frau Weidel, Sie haben gerade einen Vorwurf gegenüber Angela Marquardt erhoben, den ich aufs Allerschärfste zurückweisen will.
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Sie haben sie hier im Plenum diffamiert.
Angela Marquardt hat in ihrem Artikel im „Vorwärts“ klargemacht, dass es natürlich notwendig ist, sich von jeder Gewalt zu distanzieren und gewaltfrei gegen Rassismus, Nazis und Antisemitismus auf die Straße zu gehen.
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– Ich muss keine Frage stellen. Eine Zwischenbemerkung ist in Ordnung.
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Liebe Kollegen, es wird jetzt eine Zwischenfrage gestellt. – Bitte, Herr Kindler.
Gleichzeitig ist es so, dass es natürlich wichtige antifaschistische Bündnis- und Bildungsarbeit gibt, gerade auch in Ostdeutschland.
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Sie ist sehr wichtig, weil viele Menschen vor Ort erfahren, dass sie von Nazis, von Rassisten, von gewaltbereiten Rechtsextremen angegriffen werden.
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Das sind übrigens Leute, mit denen Sie zusammen auf die Straße gehen, wie in Chemnitz.
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Deswegen bitte ich Sie hier, diese unglaubliche Relativierung und diesen Angriff auf Angela Marquardt zurückzunehmen. Es ist sehr wichtig, dass man geschlossen, gewaltfrei, gemeinsam gegen Nazis und Rassisten auf die Straße geht. Das hat Angela Marquardt sehr klar gemacht.
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Ich finde Ihre Frage sehr schön, weil Sie damit eigentlich den Bundesbürgern dargelegt haben, dass Sie die Antifa nicht als linksterroristische Organisation verstehen, und das ist in der Tat sehr interessant. Denn doch die gleiche Organisation hat auf Indymedia ganz groß geschrieben, mit denen Sie ja zusammenarbeiten.
Im Übrigen, was auch ganz interessant wäre: eine Untersuchung der Verstrickungen, die Sie alle mit der Antifa haben. Das müssen Sie sich gefallen lassen.
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– Das wissen Sie, und darum schreien Sie auch so. Sie – vor allen Dingen Sie von der Linken – können immer nur „Buh“ rufen, wenn es um sachliche Politik geht.
Indymedia, die Antifa schreibt dort: Gaspistolen an die Schläfen von Menschen zu setzen, um sie zu töten. Und mit diesen Leuten wollen Sie zusammenarbeiten? Schämen Sie sich! Da gibt es überhaupt nichts klarzustellen. Das müssen Sie sich gefallen lassen. Das ist furchtbar.
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Während Ihr Stegner dann noch trommelt, das „Personal“ der AfD zu „attackieren“. Was meint er denn damit? Uns niederzuschlagen, wie den Bundestagsabgeordneten Uwe Kamann jetzt gerade am Infostand? Wollen Sie uns verprügeln? Was wollen Sie denn machen? Sie haben schon lange den demokratischen Korridor verlassen, auch die SPD.
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Die Uhr wurde nicht angehalten, aber gut! – Ich war ja gerade bei der Infrastruktur; das möchte ich gerne zu Ende führen. Straßen, Verkehrswege sind ebenfalls in einem desolaten Zustand. Die Hälfte unserer Autobahnbrücken ist weit über 40 Jahre alt und gar nicht für den Schwerlastverkehr der heutigen Zeit ausgelegt.
Ausgeblutet ist im Übrigen auch die Bundeswehr: flügellahme Jets, fahruntaugliche Panzer, U-Boote im Trockendock. Vom NATO-Ziel „2 Prozent in den Wehretat“ sind wir weit entfernt.
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Dieses Land ist de facto nicht zu verteidigen mit der Bundeswehr, die wir gerade haben. Wir sind ein Land ohne Landesverteidigung, und das haben Sie auch zu verantworten.
Geradezu ein Entwicklungsland ist Deutschland in Sachen „digitale Infrastruktur“. Lächerliche – das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen – 2,3 Prozent der Anschlüsse in Deutschland sind Glasfaserleitungen. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 22,3 Prozent. Der Durchschnitt ist also zehnmal höher als hierzulande. Litauen ist mit 71 Prozent im Übrigen an Europas Spitze und uns meilenweit voraus. Beim Ausbau des Mobilfunknetzes sieht es im Übrigen auch nicht besser aus; wir reden ja hier über den Haushalt. Hier liegt Deutschland nämlich in Europa auf Platz 32, weit abgeschlagen hinter Albanien.
Besserungen, was die öffentlichen Investitionen angeht, sind nicht in Sicht. Der Bundesfinanzminister plant sie sogar, entgegen seiner gestrigen Aussagen, bis 2022 von 37,9 Milliarden Euro auf 33,5 Milliarden Euro zurückzufahren. Es wird also noch weniger investiert. Das ist ein schwerer Fehler, der unser Land noch teuer zu stehen kommen wird.
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Hier liegt auch das Hauptproblem Ihrer unsoliden Haushalts- und Finanzpolitik. Sie leben nur im Augenblick. Das mag Ihnen vielleicht Ihr Therapeut für ein fröhliches Dasein empfohlen haben.
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Diese Haltung taugt aber leider nicht dazu, ein Land in die Zukunft zu führen. Aus diesem Grund ist auch Ihre Erzählung von der schwarzen Null eben nur ein Märchen und keine tatsächliche Zustandsbeschreibung des Staatshaushaltes.
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Für die Forderungen künftiger Rentner und Pensionisten müssten Rückstellungen in der Bilanz wie in jedem Unternehmen ausgewiesen und eingestellt werden;
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denn sie sind letztlich nichts anderes als in der Zukunft liegende Zahlungsverpflichtungen.
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– Ja, Kameralistik eben. Darum wird das auch nicht eingestellt. – Das bittere Erwachen kommt schon bald, nämlich dann, wenn die geburtenstarken Jahrgänge ihre Ansprüche gegen die Rentenkasse geltend machen. In der Zwischenzeit wird in Ihrer Rentenkommission herumdiskutiert, wie das der Finanzminister gestern dargelegt hat. Gehandelt wird seit Jahrzehnten nicht, obwohl Ihnen die demografische Entwicklung lange bekannt ist und durch die ungeregelte Zuwanderung von Unqualifizierten auch noch verschärft wird.
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Eine Generationenbilanzierung nimmt die Bundesregierung ebenfalls nicht vor. Rechnet man die demografische Entwicklung unseres Landes mit ein, dann müssten bis zu 3,8 Prozent des BIP zusätzlich gespart werden, um für die künftig ansteigenden Belastungen vorgesorgt zu haben. Das besagt, wohlgemerkt, der Tragfähigkeitsbericht des Finanzministeriums.
Zusammenfassend kann man sagen: Die Merkel-Regierungen haben über Jahre haushaltspolitisch einen doppelten Fehler begangen. Zum einen wurde die tatsächliche Verschuldung immer wieder in die Höhe getrieben, und zum anderen wurde durch fehlende Investitionen in die Infrastruktur die Grundlage für zukünftige Einnahmen drastisch verschlechtert. Als wenn die marode Infrastruktur in unserem Land nicht schon schlimm genug wäre, hat Frau Merkel auch noch das Kunststück zustande gebracht, aus Deutschland das Land mit den höchsten Strompreisen in Europa zu machen. Sie sind nämlich fast doppelt so hoch wie in Frankreich – der völlig überstürzten und doppelten Energiewende sei Dank.
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Die CDU hat damit dem Mittelstand und dem Handwerk, die sie vorgibt zu vertreten, den Dolchstoß versetzt; das sollte Ihnen klar sein. Dabei ist es aber an der Zeit, dem Mittelstand und den Geringverdienern endlich den Rücken zu stärken. Doch von Ihnen kommt dazu nichts. Vorschläge? Warum nicht 2 000 Euro pro Monat als steuerfreies Einkommen? Wieso lässt man Altersrenten nicht grundsätzlich steuerfrei? Warum nicht runter mit der Mehrwertsteuer? Warum kein Familiensplitting? Warum nicht weg mit dem Soli und, und, und? Davon kommt überhaupt nichts.
Aber die wohl fatalste Fehlleistung eines Regierungschefs dieser Republik erfolgte vor drei Jahren. Um bei der finanzpolitischen Ebene zu bleiben: Den deutschen Steuerzahler wird allein das „Wir schaffen das“ des Herbstes 2015 900 bis 1 500 Milliarden Euro kosten. Das ergeben Berechnungen des renommierten Ökonomen Bernd Raffelhüschen.
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Obwohl deutsches Recht und europäische Regeln gebrochen wurden, obwohl das finanzielle und soziale Desaster immer stärker zutage tritt, gestehen Sie, liebe Frau Bundeskanzlerin, keinen Fehler ein. Ganz im Gegenteil: Unrecht soll zu Recht umgemünzt werden; Stichwort: globaler Migrationspakt. Unter dem Schlagwort „Spurwechsel“ will die Regierung auch noch ausreisepflichtigen Migranten ein Bleiberecht erteilen.
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Die Millionen, die in Afrika bereits auf ihren gepackten Koffern sitzen, werden das als zusätzliche Ermunterung und Einladung verstehen. Doch Sie wollen die Aktion auch noch allen Ernstes mit dem Fachkräftemangel verteidigen. Das ist wirklich nicht zu fassen.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Weidel.
Sie haben eben die Uhr nicht angehalten.
Ich habe selbstverständlich die Uhr angehalten.
Sie haben die Uhr weiterlaufen lassen, als ich noch in der Antwort war.
({0})
– So ist das, wenn man Zwischenfragen zulässt. Plötzlich läuft die Uhr weiter, und man kommt nicht mehr hin.
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Nehmen Sie also endlich das Zepter des Handelns in die Hand!
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Handeln Sie zum Wohle unseres Landes Deutschland!
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Für die Fraktion der SPD hat als Nächstes das Wort der Kollege Carsten Schneider.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Abgeordnete Weidel, ich habe den Medien entnommen, dass eine Besuchergruppe von Ihnen aus Ihrem Wahlkreis im Konzentrationslager Sachsenhausen war,
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dass sie dort antisemitische Äußerungen getätigt hat und dass sie die in der Vergangenheit stattgefundenen Ereignisse relativiert hat.
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Ich finde, hier im Deutschen Bundestag wäre heute der geeignete Ort gewesen, dass Sie sich davon distanzieren, Frau Weidel.
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Sie haben diese Chance verpasst, genauso wie Herr Gauland heute die Chance verpasst hat, sich von den Ereignissen in Chemnitz zu distanzieren,
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wo Menschen in Aufruhr waren und die Unsicherheit auf die Straße gebracht haben, die einer Demonstration folgten, die Ihr Landesvorsitzender aus Thüringen, Höcke, mit organisiert und angeführt hat, mit dem Pegida-Chef Bachmann und anderen stadtbekannten Hooligans, in deren Folge Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten aus Marburg durch die Stadt getrieben wurden, denen Fahnen abgenommen und die geschlagen wurden. Davon hätten Sie sich distanzieren können, Herr Gauland. Nichts in diese Richtung. Nichts!
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– Sie waren nicht dabei, richtig. Aber Sie scheinen ein klares Urteil zu haben.
Meine Damen und Herren, was in Chemnitz und in Köthen passiert ist: Jeder Tod eines Unschuldigen ist ein Tod, der uns schmerzt, ja.
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Aber was danach an Demonstrationen stattfindet, die das Demonstrationsrecht überschreiten, wo Neonazis aufrufen und Hooligans die Städte unsicher machen, wo zu Gewalt aufgerufen wird, wo wie in Chemnitz von Hooligans gerufen wird – ich zitiere –: Wir sind Krieger, wir sind Fans, Adolf Hitler, Hooligans.
Wo dies passiert und die normalen Menschen danebenstehen und applaudieren, da ist etwas ins Rutschen gekommen, meine Damen und Herren. Wir Demokraten sind dazu angehalten, das zu stoppen.
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Das erinnert mich sehr stark an die Zeit zwischen 1990 und 1992 und an Rostock-Lichtenhagen.
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– Ich lasse keine Zwischenfrage zu.
Ich kann nur dazu auffordern, dass wir an dieser Stelle exakt sind und denjenigen sagen, die Sorgen haben und sich nicht sicher fühlen, dass wir diese Sicherheit gewährleisten wollen. Dass wir diese Sorgen ernst nehmen, ist gar keine Frage. Aber wer mit Neonazis marschiert, kann danach nicht sagen, er hat mit denen nichts zu tun, sondern er macht sich mit ihrer Sache gemein. Das ist die wirkliche Gefahr.
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Bei der öffentlichen Sicherheit hätte ich mir gewünscht, dass es, bevor wir zu Urteilen kommen – Herr Kauder ist gerade nicht hier; er hat das eben selbst bezogen auf die Innenausschusssitzung und die Äußerungen von Herrn Maaßen gesagt –, eine Unvoreingenommenheit gibt. Diese Unvoreingenommenheit betrifft auch einen Kollegen Ihrer Fraktion, nämlich den Chef des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Herrn Schuster, der heute Morgen im Fernsehen gesagt hat: Wir können zur Tagesordnung übergehen.
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Meine Damen und Herren, ich sehe das nicht so, und die SPD-Fraktion auch nicht.
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Wir brauchen Vertrauen in den Rechtsstaat. Wir brauchen Vertrauen in die Sicherheitsbehörden. Ich war zehn Jahre lang Vorsitzender des Vertrauensgremiums zur Kontrolle der Geheimdienste und weiß, wovon ich spreche. Dieses Vertrauen ist nicht nur angekratzt. Denn was wir erleben mussten, war ja, dass eine Äußerung der Bundeskanzlerin persönlich von dem ihr eigentlich unterstehenden Geheimdienstchef des Inlandsgeheimdienstes nicht nur relativiert, sondern konträr dargestellt wurde.
Die Frage, die ich mir dabei wirklich stelle, ist: Reden die eigentlich miteinander? Es ist ja wohl entscheidend, dass der Bundesinnenminister, die Kanzlerin und der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz miteinander sprechen und über die Lage die gleiche Einschätzung haben;
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denn nur dann kann man handeln, und darum geht es.
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Darum geht es für uns Sozialdemokraten.
Hier geht es nicht um einen Kopf. Hier geht es um die Frage des Vertrauens in den Rechtsstaat und auch in die öffentliche Sicherheit in Deutschland.
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Das ist für uns zentral, genauso wie die soziale Sicherheit. Dazu sind wir hier auch anderer Auffassung als die Grünen und die FDP. Herr Lindner hat das heute bei der Rente und auch bei der Miete klargemacht. Ja, die SPD ist mit Sicherheit nicht die Partei der Interessen der Eigentümer, also von Haus & Grund, sondern die SPD ist eher Interessenvertreter derjenigen, die im Mieterbund organisiert sind. Völlig klar.
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Wenn ich in einer Großstadt mittlerweile 40 Prozent meines Einkommens und mehr nur noch für Miete ausgebe, dann ist das nicht mehr akzeptabel, weil das auch eine Umverteilung ist. Denn durch die Preissteigerungen der letzten Jahre ist bei denjenigen, die Eigentum haben und über Wohnungen und Häuser in Berlin, München und Hamburg verfügen, das Vermögen gestiegen. Dazu kommt noch das zusätzliche Einkommen aus der höheren Miete.
Wir sagen: Nein! Stopp! Wir Sozialdemokraten werden das stoppen. Diesen Abfluss und diese Umverteilung gibt es mit uns nicht. Wir greifen ein.
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Faire Mieten in unserem Land sind ein Grundrecht.
Von daher: Dieser Haushalt stellt in diesem Herbst insbesondere alles, was den sozialen Aufbruch bringt, in den Mittelpunkt. Wir werden um eine gesellschaftliche Mehrheit dafür kämpfen, dass wir die gesetzliche Rentenversicherung – Andrea Nahles hat das gesagt – dauerhaft stabilisieren und das Rentenniveau nicht absinken lassen. Mit dem ersten Gesetz, dessen Entwurf Hubertus Heil vorgelegt hat, ist es uns gelungen, hier Sicherheit bis 2025 zu geben. Ja, dafür brauchen wir Geld. Aber wir werden Geld in die Hand nehmen und die zur Verfügung stehenden Mittel nutzen und sie beispielsweise nicht hauptsächlich für Verteidigungsausgaben verwenden.
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– Sehr geehrte Damen und Herren von der AfD, Ihre Kollegin Weidel hat eben gesagt, dass sie das 2-Prozent-Ziel der NATO erreichen will. Das bedeutet 40 Milliarden Euro mehr für Aufrüstung. Sozialdemokraten wollen das nicht. Wir wollen das Geld für eine stabile Rente.
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Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Leif-Erik Holm.
Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Kurzintervention zulassen. – Herr Schneider, Sie haben hier reine Propaganda verbreitet. Herr Gauland hat heute noch einmal eindeutig festgestellt, dass wir uns gegen jeglichen Extremismus wenden und auch gegen Übergriffe, wie es sie auf Chemnitzer Demonstrationen gegeben hat.
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Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass es das, was Sie beschrieben haben, auf unseren Demonstrationen nicht gegeben hat.
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Sie haben gerade im Hohen Haus gesagt, bei uns seien irgendwelche Nazihools aufmarschiert, die gerufen hätten: Wir sind die Fans, Adolf Hitler, Hooligans. – Dies ist absolut unwahr.
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Das hat auf unseren Demonstrationen nicht stattgefunden. Sie wissen genauso gut wie ich, dass das eine Falschbehauptung der „Tagesthemen“ war, die korrigiert werden musste. Das hat auf anderen Demonstrationen stattgefunden und nicht auf den vernünftigen Demonstrationen der AfD in Chemnitz. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis!
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Ich möchte noch eines sagen: Wir wenden uns gegen jeden Extremismus, während Sie das offensichtlich nicht tun.
({4})
Herr Bundestagspräsident Schäuble hat gestern eine wirklich gute Rede gehalten. Er hat sich gegen jeglichen Extremismus von links und rechts gewandt. Diejenigen, die nicht geklatscht haben, waren Sie. Das waren die SPD, die Linke und die Grünen. Das ist entlarvend.
({5})
Kollege Schneider, wollen Sie antworten? – Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Kollege, ich weiß exakt, was ich gesagt habe. Am Sonntag, nach dem Totschlag an dem jungen Mann in Chemnitz,
({0})
fand die erste Demonstration mit 800 Hooligans statt; sie sind durch Chemnitz gezogen.
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– Hören Sie mir genau zu! – Am Montag fand die zweite Demonstration statt:
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1 000 bis 2 000 Demonstranten auf der Seite der eher politischen Mitte bzw. links und 5 000 bis 8 000 Leute eher auf der rechten politischen Seite.
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– Warten Sie es ab! – Dabei sind diese Sprüche gefallen.
Am Montag sind die Mitarbeiter aus meinem Büro in Erfurt nach Chemnitz gefahren. Sie haben sich nicht sicher gefühlt. Es waren 800 Polizisten da, viel zu wenige. Die Entscheidung, ob es dort brennt oder nicht, haben die Hooligans getroffen. Am Samstag darauf war ich in Chemnitz. Ich weiß nicht, ob Sie da waren. Es gab zwei Demonstrationen: eine Demonstration, an der ich teilgenommen habe, und eine andere, zu der die AfD aufgerufen hatte. Da waren auch 5 000 bis 6 000 Demonstranten da. Diese war gemeinsam mit Pegida und Pro Chemnitz. Sie sind gemeinsam marschiert; die Demonstrationen wurden vereinigt. Aus dieser Demonstration heraus sind unsere Sozialdemokraten angegriffen worden. Das sind die Fakten, und denen können auch Sie sich nicht entziehen.
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Der nächste Redner ist der Kollege Otto Fricke, FDP-Fraktion.
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Geschätzter Herr Vizepräsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es geht um die Zukunft unseres Landes. Das will ich zur Debatte gerade sagen: Ja, die gehört auch dazu. Aber was sollen denn diejenigen, die uns zuhören und zuschauen, sagen? Ist dies das einzige Thema, worüber ihr euch hier streiten könnt?
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Wir müssen über die Zukunft unseres Landes insgesamt reden.
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Vielleicht besinnen wir uns dabei auf eine unserer Grundlagen und erinnern uns an die Historie. Mir fällt zum Haushalt folgender lateinischer Spruch ein – den können dann manche übersetzen, um sich ein bisschen abzukühlen –: Timeo Danaos et dona ferentes. – Jeder kann überlegen, was das über den Haushalt aussagt. Ich löse es vielleicht gerne für diejenigen auf, die es wissen wollen.
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Wir haben wirklich wunderbare wirtschaftliche Zeiten. Die Sozialkassen weisen wunderbare Zahlen auf. Wir haben, insbesondere was unser Alterssystem, die Altersarmut und die Fragen der Pflege angeht, gute Zeiten.
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Das sollte man erst einmal festhalten. Das ist der Unterschied zur Linken: Halte erst einmal fest, auf welchem Niveau wir sind, und rede dann als Politiker darüber, es besser zu machen, und rede es nicht von Anfang an schlecht, um die Leute nicht zu verunsichern. – Das sollten gerade Sie von der Linken doch irgendwann einmal lernen.
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Meine Damen und Herren, es ist sogar so – das hat der Finanzminister in der Debatte bisher bewusst verschwiegen; aber man kann ja inzwischen alles abfragen –: Zur Hälfte des Jahres – Herr Finanzminister, Sie haben es ja selber herausgegeben – haben wir im Haushalt einen Überschuss von mehr als 3 Milliarden Euro. Das Interessante ist jetzt, was mit diesem Überschuss geschehen soll. Wenn man einen solchen Überschuss hat, wird der Minister immer sagen: Ja, den werden wir nachher noch für anderes verbrauchen; da wird der Großen Koalition schon genug einfallen. – Aber wenn man zukunftsgewandt ist, könnte man doch schauen: Was steht eigentlich im Haushaltsgesetz, was man mit Überschüssen macht? Wir würden sagen: Gebt den Bürgern das Geld zurück.
Jetzt folgen wir aber einmal der rot-grünen oder der rot-schwarzen oder der schwarz-grünen Idee, dass das Geld für etwas anderes ausgegeben wird. Im Haushaltsgesetz steht dazu: Wenn Sie Mehreinnahmen haben, dann gehen diese in die Asylrücklage. – Die ist zwar mit über 20 Milliarden Euro schon unheimlich voll. Und in der Finanzplanung steht, dass man in diesem Jahr angeblich 1 Milliarde Euro herausnimmt, was wir gar nicht brauchen, wie Sie ja auch wissen, Herr Minister. Sie könnten jetzt sagen: „Okay, war ein Fehler, ist uns vor einem Vierteljahr passiert; wir haben das Geld, wenn wir es ausgeben wollen, für die Zukunft übrig, für Digitalisierung, für Kinder, für Schule, für Bildung“; aber das machen Sie nicht. Stattdessen machen Sie einfach weiter mit dem, was Sie haben. Damit verschenken Sie unsere Zukunft. Damit denken Sie nicht an morgen und schon gar nicht an nachwachsende Generationen.
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Ich will das an zwei Bereichen festmachen. Die Bundeskanzlerin hat hier darüber geredet, dass in der Arbeitslosenversicherung der Beitrag sinkt. Stimmt. Nun streiten Sie sich innerhalb der Koalition darüber, wer der Bessere ist und wie viel der Beitrag sinkt. Was verschwiegen wird, ist, dass der Kollege Heil – der jetzt leider nicht da ist; das ist ja eigentlich der Schwerpunkt des Haushaltes – der Öffentlichkeit nicht sagt, dass er gleichzeitig mehr als 1 Milliarde Euro für neue Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung will. So handeln Sie. Sie versprechen auf der einen Seite eine Senkung und verstecken gleichzeitig ganz heimlich neue Leistungen. Und wenn die Wirtschaft das nächste Mal nicht mehr gut läuft, wundern wir uns über die Zahlen.
Zweiter Punkt: Rente. Herr Kauder, das war ja sehr schön, was Sie da erzählt haben, wie Sie hier Opposition zum Finanzminister gespielt haben. Wir fanden das sehr nett und haben gedacht: Mensch, guck mal, der hat von unseren Reden abgeschrieben. – Das finden wir nicht schlecht; ist ja in Ordnung, Kopieren ist die höchste Form der Anerkennung. Sie haben zu Recht gesagt: Die SPD macht, obwohl wir eine Kommission haben, neue Vorschläge. – Dass der Sozialminister das macht, kann ich übrigens verstehen. Dass der Finanzminister, der eigentlich Einhalt gebieten müsste, dem beispringt und beide nicht sagen, wie das zu finanzieren ist, ist allerdings schlecht. Da haben Sie vollkommen recht. Aber was macht die CDU/CSU? Sie sagt: Mit der Rente II haben wir jetzt eine Einigung; jetzt machen wir die Mütterrente III.
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Herr Kauder, jemand, der dem Koalitionspartner ein solches Verhalten vorwirft und sich selber so verhält, den kann man in so einem Punkt doch nicht ernst nehmen.
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Ich will noch eines hinzufügen: Sie, Herr Kauder, zielen darauf, dass Ihnen jede Rentnerin und jede Mutter sagt: Das ist toll. – Und Sie, Herr Scholz, zielen auf nichts anderes als auf meine Generation, die Babyboomer, wenn Sie sagen: Wenn die mit 67 Jahren in Rente gehen, dann müssen sie sicher wissen, dass alles in Ordnung ist. – Das ist nett, aber das ist nicht zukunftsgewandt;
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das ist im Endeffekt nur der Versuch, es allen recht zu machen und am Ende blank dazustehen.
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Meine Damen und Herren, zum Schluss: Die Bundeskanzlerin hat wortwörtlich gesagt: Die schwarze Null ist eine gute Nachricht für die junge Generation. – Da kann ich nur sagen: Wer solche Minister und einen solchen Fraktionsvorsitzenden hat, der sollte sich eher überlegen, ob dieser Haushalt nicht nur eine schöne Verpackung ist, aber eigentlich – so schließt sich der Kreis zum Beginn der Rede – ein Trojanisches Pferd.
Danke.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Alexander Dobrindt.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist ein starkes Land. Das zeigt sich nicht nur in den Haushaltszahlen, sondern es zeigt sich auch daran, dass die Wirtschaft boomt, die Wachstumsprognosen positiv sind, die Beschäftigung auf dem höchsten Stand seit 25 Jahren ist. Wir haben eines der besten Sozialsysteme weltweit,
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wir machen keine neuen Schulden und investieren gleichzeitig auf Rekordniveau.
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Das ist natürlich auch die Bilanz von 13 Jahren Unionsregierung, von 13 Jahren christlich-sozialer Politik in Deutschland.
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Diese Stärke verpflichtet. Sie verpflichtet in hohem Maße, und zwar dazu, dass dieser wirtschaftliche Erfolg allen Menschen in Deutschland zugutekommt. Alle müssen und sollen von dieser wirtschaftlichen Stärke profitieren. Sie verpflichtet uns dazu, dass wir Familien unterstützen, für gute Renten sorgen, ein Alter in Würde ermöglichen, Investitionen sichern. Sie verpflichtet uns natürlich auch zu humanitärer Verantwortung für diejenigen, die wirklich verfolgt sind und Hilfe benötigen. Sie verpflichtet uns dazu, dafür zu sorgen, dass alle am Wohlstand in unserem Land teilhaben können. Dieser Haushaltsentwurf wird dem in weiten Teilen auch gerecht.
Es ist ein Haushalt der Stärke, der unsere Erfolge in vielen Bereichen weiter fortschreibt. Aber ich sage auch hier klar: Ein Haushalt der Stärke, der verpflichtet auch dazu, dafür zu sorgen, dass man in diesem Land frei und sicher leben können muss. Das heißt: Der Rechtsstaat muss ohne Abstriche zur Geltung kommen. Der soziale Zusammenhalt muss gestärkt werden. Beides – das hat diese Debatte gerade gezeigt – ist gleichermaßen herausgefordert.
Deswegen darf ich schon einmal meine Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen: dass man manchmal das Gefühl hat, dass die Empörung über die Empörten stärker formuliert wird als die Empörung über eine schreckliche Bluttat, die stattgefunden hat, meine Damen und Herren.
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Es geht darum, dass diese Tat auch mit aller Härte des Rechts verfolgt und bestraft wird. Ich habe Verständnis dafür, dass solche Taten in unserem Land auch zu Empörung führen. Es ist selbstverständlich, dass Menschen dieser Empörung Ausdruck verleihen. Es ist aber genauso selbstverständlich, dass dieser Ausdruck der Empörung die Regeln unseres Rechtsstaats einzuhalten hat. Das, was an radikaler Hetze, Hitlergruß, Anschlag auf ein jüdisches Lokal zu sehen war, darf in unserem Land keinen Millimeter Platz haben. Dem stellen wir uns natürlich entgegen, und zwar politisch wie auch mit allen Mitteln des Rechtsstaats.
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Herr Bartsch, ich habe bei Ihnen sehr deutlich zugehört.
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In Ihrer Rede wollten Sie doch mehr als deutlich darstellen, dass die Migrations- und Flüchtlingsfragen in den vergangenen drei Jahren ganz offensichtlich nicht die Grundlage von einer Vielzahl von Problemen seien. Ich kann Ihnen nur sagen: Das, was wir seit drei Jahren, auch gerade politisch, an Beschäftigung mit dem Thema „Flucht, Fluchtursachenbekämpfung, Migration, Integration“ in diesem Land erleben, ist ein wesentlicher Teil der Problemaufarbeitung.
Sie können einfach mal in Ihre politische Landschaft hineinschauen. Keiner kann heute bestreiten, dass auch die politischen Parteien und das politische System in Deutschland maßgeblich ergriffen sind von der Frage „Migration, Flucht und Integration“. In Ihrer Partei direkt findet gerade das Entstehen einer sogenannten Sammelbewegung statt, mit Unterstützung von Teilen der SPD und der Grünen. Ich glaube nicht, dass das eine Sammelbewegung ist.
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Das ist gar keine Bewegung; das ist ein Sammelbecken für linke Sektierer. Aber es ist organisiert aus Ihrer Partei, von Sahra Wagenknecht, und zwar genau auf der Grundlage von Migration, Flucht und Vertreibung und der Debatte und der Probleme, die damit zu tun haben, meine Damen und Herren.
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Ja, man kann das auch, wie es Katrin Göring-Eckardt beschrieben hat, schlichtweg als Fakt bezeichnen, Migration als Fakt. Liebe Kollegin Göring-Eckardt, das in eine Linie zu stellen mit der Wiedervereinigung und der Digitalisierung, das halte ich für einen ausgesprochen gewagten Vergleich. Wir arbeiten dafür, Flucht und Vertreibung zu verhindern, Fluchtursachen zu bekämpfen, aber auch dafür zu sorgen, dass Recht und Ordnung bei der Zuwanderung herrschen. Ich habe das Gefühl, wenn ich Ihnen genau zuhöre: Es geht Ihnen weniger darum, Recht, Ordnung und Humanität durchzusetzen; Sie wollen mit Ihren Elementen wie zum Beispiel der Untergrenze für Zuwanderung vielmehr schlichtweg Fakten schaffen in diesem Land. Wir wollen aber Recht und Ordnung und keine falschen Fakten schaffen.
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Gerade angesichts dieser großen Herausforderungen, über die wir wichtige und notwendige Debatten führen, muss immer deutlich werden, dass wir Deutschland nicht nur als ein Land begreifen, das aus politischen Rändern besteht.
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Deutschland ist ein Land, das vor allem aus einer Mitte, aus einer politischen Mitte besteht: aus Millionen Menschen, die jeden Morgen aufstehen und zur Arbeit gehen, aus Millionen junger Menschen, die Familien gründen und Kinder großziehen, aus Unternehmern, die Arbeitsplätze schaffen. Diese Menschen dürfen in den politischen Debatten nicht zur vergessenen Mitte werden, sondern sie müssen im Zentrum unserer Politik stehen. Die Entlastung dieser Bürger und die Teilhabe am Wohlstand sind das Zentrum auch unserer Politik. Das findet sich auch in diesem Haushalt wieder.
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Dabei geht es um die Entlastung. Diese Entlastung ist dann möglich, wenn wir solide Finanzen haben, wenn wir Rekordsteuereinnahmen haben, wenn wir Möglichkeiten haben, denjenigen etwas zurückzugeben, die dies erwirtschaftet haben. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, „solide Finanzen“ bedeutet nicht, Rekordsteuereinnahmen zu horten,
({11})
„solide Finanzen“ bedeutet, Einnahmen und Ausgaben, Steuern und Entlastungen im Gleichgewicht zu halten. Dieses Gleichgewicht ist noch nicht hergestellt.
({12})
Ich will deutlich sagen: Wer bei den Überschüssen, die wir zu verzeichnen haben, meint, er könnte den Bürgerinnen und Bürgern Entlastungen verweigern, der handelt nicht solide, sondern der handelt leistungsfeindlich. Wir wollen aber Leistungsgerechtigkeit in diesem Land haben.
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Das muss auch bei den Steuern und den Entlastungen sichtbar werden.
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Wir setzen uns für Entlastungen ein. Bei den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung geht es um eine Absenkung um 0,5 Prozentpunkte, eine Entlastung von etwa 6 Milliarden Euro. Entlastungen ergeben sich zudem durch den Abbau der kalten Progression und der Herstellung der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung. Bei der geplanten Abschaffung des Solidaritätszuschlags entlasten wir die Bürger in einer ersten Stufe um 10 Milliarden Euro, der Hälfte des Gesamtvolumens.
Ich bin in der Tat etwas überrascht, wie mit Überschüssen politisch umgegangen und diskutiert wird. Bei Rekordsteuereinnahmen muss man doch darüber reden, an welcher Stelle man zusätzliche Entlastungen für Bürgerinnen und Bürger durchsetzen kann. Wenn wir darüber reden, dass es kein Tabu sein darf, über die komplette Abschaffung des Soli zu reden, dann sagen uns beispielsweise die Grünen in Gestalt Ihrer finanzpolitischen Sprecherin, es wäre ein Steuergeschenk für die Reichen und Besserverdienenden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich unterstelle mal, dass Sie nicht gemeint haben, dass all diejenigen, die von einer Entlastung durch die Abschaffung des Solis profitieren, grundsätzlich zu den Reichen und Besserverdienenden gehören. Möglicherweise war das missverständlich formuliert. Der erste Schritt bei der Abschaffung des Solis entspricht rund 10 Milliarden Euro Entlastung für die Bürger. Der zweite Schritt – die nächsten 10 Milliarden Euro – wäre eine Komplettentlastung der Bevölkerung beim Soli ab circa 60 000 Euro Einkommen. Gehen Sie den ersten Schritt mit uns, haben sie zumindest diejenigen, die unter der Grenze liegen, berücksichtigt. Beim besten Willen, jemand, der in diesem Land 60 000 Euro verdient, der gehört nicht zu den Reichen und Besserverdienenden. Das ist die politische Mitte der Gesellschaft, die wir entlasten wollen. Deswegen muss der Soli auf den Prüfstand.
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Der Soli gehört nicht in die Gehaltsabrechnung der Menschen, er gehört ins Geschichtsbuch dieses Landes.
Wir arbeiten weiterhin an dieser Entlastung und an der Unterstützung der Familien: Kindergelderhöhung wurde angesprochen, Baukindergeld wurde angesprochen. Es gibt übrigens auch Bundesländer, die weit über das hinausgehen, was der Bund leisten kann; Bayern gehört dazu. Beim Pflegegeld, das zusätzlich in Bayern bezahlt wird, hat der Bundesarbeitsminister inzwischen erkannt, dass dies allen zugutekommen soll – unabhängig vom Einkommen. Das ist eine richtige Einsicht; so ist das Pflegegeld konzipiert. Ich verstehe nur nicht ganz, warum er beim bayerischen Familiengeld – das sind 250 Euro im Monat für jedes Kind – zu der Einschätzung kommt, dass dies nicht allen zugutekommen und gerade denjenigen, die am wenigsten Geld im Monat zur Verfügung haben, vorenthalten werden soll. Sehr verehrter Bundesarbeitsminister, das ist nicht meine Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit. Überprüfen Sie mal, ob Sie mit Ihrer Politik nicht genau die Falschen treffen.
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Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben eine ganze Reihe von Vorkehrungen in diesem Haushalt getroffen, um dafür zu sorgen, dass unsere Bereitschaft, uns weltweit zu engagieren, zum Ausdruck kommt. Das 2-Prozent-Ziel der NATO wurde erwähnt, das nur durch einen erheblichen Aufwuchs unserer Verteidigungsausgaben zu erreichen ist. Ich bin überrascht, dass sich jetzt der eine oder andere von diesem 2-Prozent-Ziel entfernen will. Wir haben das gemeinsam in der NATO, in einer internationalen Allianz vereinbart. Wir erwarten, dass dieses 2-Prozent-Ziel auch eingehalten wird. Dazu gehört der feste Wille, den Aufwuchs im Verteidigungsetat zu leisten.
Im Haushalt ist eine Menge drin. Es muss aber deutlich nachgebessert werden, wenn wir unsere Bündnisverpflichtungen in der Welt einhalten wollen. Mein und unser Wille ist das. Die Haushaltsberatungen werden zeigen, was dieses erwähnte Finanzmittel, das Volker Kauder angesprochen hat, diese angebliche globale Mehrausgabe, die mir ehrlich gesagt in der Vergangenheit nie untergekommen ist, bedeuten soll. Es ist eine Mehrausgabe für Investitionen, über die der Deutsche Bundestag entscheiden wird und sonst niemand. Wir wollen, dass der Verteidigungshaushalt auch von diesen Investitionen profitiert, meine Damen und Herren.
({0})
Das in Kombination mit einer weiteren Stärkung der Investitionen bei der Entwicklungszusammenarbeit im Haushalt von Minister Gerd Müller sind die Aufgaben, die wir jetzt in den weiteren Beratungen des Bundeshaushalts im Parlament schultern wollen. Ich kann nur sagen: Bei einem Haushalt mit diesem Volumen und diesen Möglichkeiten, die uns die hohen Steuereinnahmen bieten, kann es nur eine Botschaft geben: Die Nettofrage muss wieder oben auf die Agenda – mehr Netto vom Brutto. Das muss die Losung für unsere Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sein.
Danke schön.
({1})
Der nächste Redner ist der Kollege Erhard Grundl für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich gewundert, wie lange zehn Minuten sein können. – Ich spreche jetzt zu Ihnen zum Kulturetat. Im Koalitionsvertrag dieser Bundesregierung nimmt die Erinnerungskultur einen wichtigen Platz ein. Das ist etwas, das wir als Fraktion natürlich unterstützen, aber auch einfordern. Deutschland braucht Konzepte für die Zeit, wenn keine Zeitzeugen für die Naziverbrechen zwischen 1933 und 1945 mehr da sind. Wir brauchen Erinnerungsstätten an authentischen Orten und mit entsprechendem Personal. Das Gedenkstättenkonzept von 2008 ist dringend zu überarbeiten, und auch vergessene Opfergruppen müssen endlich Gerechtigkeit erfahren.
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Geschichte legt man nicht zu den Akten, vor allem diese Geschichte nicht. Für all das muss deutlich mehr Geld in die Hand genommen werden. Und wenn jetzt von Ihnen noch jemand fragt: „Braucht’s das?“, dann sage ich Ihnen: Im Deutschland von 2018, wo Menschen gejagt werden, weil sie zu Minderheiten gehören, wo jüdische Restaurants überfallen werden, wo Gedenkstätten vor Pöblern geschützt werden müssen und wo die Paten der Geschichtsverdreher und Holocaustrelativierer, wo die Vogelschisstheoretiker und Hasspraktiker hier im Parlament höckern, braucht es diese Erinnerungskultur mehr als jemals zuvor.
({1})
Meine Damen und Herren, vor 100 Jahren, mit dem Ende des Ersten Weltkriegs, endete die deutsche Kolonialherrschaft. Bis heute ist die Auseinandersetzung mit diesem kolonialen Erbe eher eine Geschichte der Kunstsammlungen als der Verantwortung. Wir brauchen Dokumentationsstätten, Provenienzforschung und die Aufarbeitung des Kolonialismus.
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Für das Humboldt Forum fehlt immer noch ein klares Umsetzungskonzept. Hier geht es um deutlich mehr als um Hauptstadtprestige.
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Meine Damen und Herren, Integration ist eine unserer Herkulesaufgaben. Sie ist kein Ponyhof; aber sie gelingt durch die persönliche Begegnung, durch Arbeit und durch Teilhabe, durch kulturelle Teilhabe. Was aber tut unser Minister für Heimat dafür? Im BAMF geht es dank seiner Ränkespiele drunter und drüber. Integrationsmittel werden gekürzt, und Beratungsstellen sind überfordert. Zur Integration gehört es, an kulturellen Angeboten teilnehmen zu können.
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Die kulturelle Teilhabe unabhängig von der Herkunft und vom Geldbeutel ist entscheidend für eine vielfältige und solidarische Gemeinschaft.
Aber sowohl im Etat des Heimatministeriums als auch in dem von der Frau Staatsministerin vertretenen Etat werden die Mittel für kulturelle Integration gekürzt. Und das ist das völlig falsche Signal.
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Was wir brauchen, sind Investitionen in unsere Zukunft, gerade was die kulturelle Teilhabe von Menschen in Deutschland angeht.
Ein Wort noch zu den Ausführungen des Herrn Dobrindt: Die CSU und ihr Vorsitzender sind zurzeit auf der Suche nach Problemursachen. Ich erinnere mich noch deutlich daran, wie gerade dieser damalige Ministerpräsident und heutige Bundesinnenminister im April 2015 nach Riad geflogen ist, um Rüstungsexporte in die Krisengebiete zu unterstützen und vehement zu fordern. Das Problem, das wir in Deutschland haben, sind nicht Menschen, sondern das Problem ist eine solche Politik. Und dagegen verwahre ich mich.
Ich danke Ihnen.
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Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Achim Post.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir merken an dieser Debatte, dass es um einen wichtigen Haushalt geht, um einen Haushalt, in dem es um viel Geld geht. Und wir merken gleichzeitig, dass es dabei noch um viel mehr geht. Es geht um die Frage, in welchem Land, ja, in welchem Deutschland wir leben wollen.
Viele – ich würde sagen: die meisten hier im Saal und die meisten Menschen im Land – wollen wie ich ein demokratisches, soziales und liberales Deutschland, in dem auf der Grundlage unserer Verfassung alle 82 Millionen Bürgerinnen und Bürger die gleichen Rechte und Pflichten haben.
({0})
Alle, die unser Grundgesetz missachten und verachten, sollten eines wissen: Wir sind mehr. Wir werden mit Herz und Verstand für unser Land und für unsere Demokratie kämpfen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Eines sollten wir uns kurz vergegenwärtigen: Wir haben in Deutschland, im Bund und in den Ländern, 17 demokratische Innenminister. Wir haben 17 demokratische Justizministerinnen und Justizminister. Und wir haben 17 demokratische Regierungschefinnen und Regierungschefs. Wir Demokraten haben alle politischen Schalthebel in der Hand. Wir haben also auch alle Mittel, um zu verhindern, dass sich die rechte, braune Front in unserem Land weiter breitmacht.
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Spätestens seit Chemnitz ist doch endgültig klar geworden: Nazis, Hooligans, Pegida und AfD demonstrieren zusammen und agieren zusammen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deshalb sage ich an die Adresse der AfD: Sie gehören nicht in die erste, zweite und dritte Reihe des Bundestages. Sie gehören auf die erste, zweite und dritte Seite der Verfassungsschutzberichte in diesem Land.
({3})
All das unterstreicht eines: Wir brauchen einen starken, handlungsfähigen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Dafür sind wir bereit, zu investieren. Dafür sind wir auch bereit, mehr zu investieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich will Ihnen einmal anhand von drei Punkten deutlich machen, was in diesem Haushalt vorkommt.
Erstens. Wir brauchen einen wehrhaften Staat. Wir haben in der Koalition bereits einen ordentlichen Aufwuchs bei Polizei, Zoll und Justiz beschlossen. Da müssen und da werden wir weitermachen.
({4})
Grundlegend ist dabei eines: Das Gewaltmonopol des demokratischen Staates muss immer und überall gelten, und es muss unterschiedslos ausgeübt werden,
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gegen Nazis und Gewalttäter genauso wie gegen Islamisten und schwerkriminelle Familienclans, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Zum wehrhaften demokratischen Staat gehören genauso Investitionen in Prävention und in Initiativen gegen rechts. Das von Franziska Giffey vorgeschlagene Demokratiefördergesetz ist dafür ein guter und richtiger Schritt, liebe Frau Ministerin.
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Zweitens. Wir brauchen einen starken Sozialstaat. Was machen wir denn mit diesem Haushalt? Wir investieren in Bildung und Kitas, wir investieren in einen sozialen Arbeitsmarkt, wir investieren in ein umfassendes Rentenpaket, und wir investieren in eine Krankenversicherung, in die Arbeitgeber und Arbeitnehmer wieder gleich viel einzahlen. Das sind alles Punkte, die richtig sind, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Auch hier werden wir mehr tun müssen, und wir werden mehr tun. Meine Fraktion und ich werden weiter alles dafür tun, dass die Renten langfristig stabilisiert werden.
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Wir werden weiter alles dafür tun, dass der Mindestlohn deutlicher steigt als bisher, so schnell wie möglich auf 12 Euro in der Stunde, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Drittens. Wir brauchen ein starkes Europa. Europa ist unser bester Schutz gegen einen Rückfall in Nationalismus und Krieg. Dafür brauchen wir eine handlungsfähige Europäische Union.
({11})
Wir wissen doch eines: Bis Dezember – das ist nicht mehr lange hin – müssen in Kernfragen der Reform Europas Entscheidungen fallen, sonst könnte sich dieses Reformfenster schneller schließen, als uns lieb ist. Dabei muss gelten: So wichtig und wünschenswert gemeinsame Lösungen in der Flüchtlingspolitik sind: Die Flüchtlingsdebatte darf nicht notwendige Fortschritte in anderen Bereichen ausbremsen und verhindern. Wir brauchen jetzt dringend eine Reform der Wirtschafts- und Währungsunion. Wir brauchen jetzt dringend eine gerechte Besteuerung von Unternehmen, gerade der großen Internetkonzerne, mit einer europäischen Digitalsteuer.
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Wir brauchen außerdem faire Bedingungen für Arbeitnehmer im Binnenmarkt durch gemeinsame Standards für Mindestlöhne in Europa. Nicht zuletzt: Wir brauchen einen europäischen Zukunftshaushalt, in den wir mehr investieren als bisher. Lieber Kollege Dobrindt – im Moment sehe ich ihn nicht –, was wir nicht brauchen, ist eine Verdoppelung des Verteidigungshaushaltes. Dann haben wir für alle anderen Sachen nämlich kein Geld mehr.
({13})
Zusammengefasst: Ein wehrhafter Rechtsstaat, ein starker Sozialstaat und ein handlungsfähiges Europa sind die Garanten für eine gute Zukunft unseres Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger. Sie sind das Bollwerk gegen alle, die unsere Demokratie, die unser Deutschland, die unser Europa zerstören wollen. In diesem Sinne: Gute Beratung!
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Der nächste Redner ist der Kollege Johannes Kahrs, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich an dieser Stelle als Erstes ganz herzlich bei Martin Schulz dafür bedanken, dass er hier mal eine klare Ansage gemacht hat: Rechtsradikale in diesem Parlament sind nicht nur ein Problem, sondern Rechtsradikale in diesem Parlament sind auch unappetitlich.
({0})
Und wenn man sich das anguckt, dann stellt man fest, dass Sie außer dummen Sprüchen keine Inhalte, keine Lösung haben. Das ist peinlich.
({1})
Es ist auch nicht bürgerlich. Man muss sich diese Traurigen da nur angucken, und dann weiß man: Von denen sind keine Lösungen zu erwarten, sondern nur Spaltung, Hetze und alles das, was bei denen dazugehört. Hass macht hässlich. Schauen Sie doch in den Spiegel.
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Wenn Sie sich das angucken, dann werden Sie feststellen, dass es keine Inhalte gibt. Herr Gauland gibt ja manchmal Interviews. Ab und an sollte man sich die antun. Bei einem seiner Sommerinterviews hat er zum Klimaschutz gesagt: „Ich glaube nicht, dass es gegen den Klimawandel irgendetwas gibt, was wir Menschen machen können.“ Zur Digitalisierung hat er gesagt: „… von einer Strategie zur Digitalisierung kann nicht die Rede sein. Und ich wüsste im Moment auch keine.“
({3})
Während Herr Meuthen als Bundessprecher die Abkehr vom zwangsfinanzierten Umlagesystem fordert, stellt Herr Gauland fest, dass er nicht glaube, „dass wir vom Umlagesystem wegkommen“ usw.
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Herr Kollege, gestatten Sie eine Zusatzfrage?
Von wem? – Von Rechtsradikalen brauche ich keine. Danke.
({0})
So, das heißt also, wenn Sie sich das im Ergebnis anschauen – –
({1})
– Ja, wie ist das mit den Getroffenen? Das merkt man doch. Rechtsradikale können spalten. Sie können hassen, Sie können an den Hass appellieren, und wenn Sie dann selber einmal angesprochen werden, dann reagieren Sie genauso, weil Sie wissen, dass es stimmt. Schauen Sie in den Spiegel, dann sehen Sie, was diese Republik in den 20er- und 30er-Jahren ins Elend geführt hat.
({2})
Wenn man dann von der AfD ab und zu so etwas wie Inhalte mitkriegt, dann kämpfen Sie für die Reichen, dann kämpfen Sie gegen die Rente, dann kämpfen Sie gegen all das, was dieses Land zusammenhält. Gleichzeitig ist es so, dass die AfD in diesem Land die Partei ist, die sich hierhinstellt – das kann man ja beobachten – und 40 Milliarden Euro mehr für die Verteidigung ausgeben will, aber nichts für die Rentner.
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Man kennt das: Von Rechtsradikalen kann man keine Lösung erwarten.
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Wenn Sie dann jetzt auch noch gehen, kann man Ihnen nur einen Spruch zurufen: Wer rausgeht, wird irgendwann wieder reinkommen.
Liebe Kollegen, nehmen Sie bitte Platz.
({0})
Herr Kahrs, reden Sie weiter.
Man merkt doch, dass es im Bundestag auch wieder sachlich zugehen kann; immer dann, wenn die AfD weg ist.
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Kommen wir also nun zu diesem Haushalt. Dieser Haushalt ist ein guter Beweis dafür, dass in diesem Land anständig regiert werden kann, dass etwas Inhaltliches vorliegt, dass diese Koalition viel für den inneren Zusammenhalt in dieser Republik tut, im Gegensatz zur AfD, die, wie wir festgestellt haben, nur spalten und hassen kann, Parlamentsdebatten nicht beiwohnt, sondern hier entsprechend inhaltsfrei argumentiert.
Diese Koalition sieht in diesem Haushalt vor, dass wir mehr Geld – das ist für uns alle wichtig – für sozialen Wohnungsbau ausgeben wollen. Wir wollen mehr machen, um Mieter zu schützen. Auf der Grundlage des Gute-Kita-Gesetzes der guten Ministerin Franziska Giffey – sie sitzt hier – werden wir mit den Bundesländern einzeln verhandeln, wie wir mehr tun können für mehr Qualität vor Ort.
Es ist wichtig, dass die Beschäftigten in der Pflege und die Erzieher besser bezahlt werden, dass die Arbeitsbedingungen besser werden und dass der Ruf dieser Berufe besser wird.
({1})
Das ist eine Aufgabe, der wir uns stellen. Ich glaube, dass dies wichtig ist. Ich bin froh, dass die Ministerin das anpackt. Und wir Sozialdemokraten werden sie zusammen mit CDU und CSU unterstützen.
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Ein handlungsfähiger Staat gehört aber auch dazu. Neben Rente, Mieten, die jeder bezahlen kann, einem Gute-Kita-Gesetz und vielen anderen Dingen ist es aber auch wichtig, dass dieser Staat gegen Radikalismus von rechts außen, von links außen und anderen, die mit dem Hitlergruß auf AfD-Demonstrationen herumrennen, geschützt wird. Deswegen investieren wir in diesen Sozialstaat auf der einen Seite und auf der anderen Seite in mehr Polizisten und in mehr für das Bundeskriminalamt. Wir glauben, dass wir so den Staat für die Zukunft, für die Menschen in diesem Land, für uns alle stärken.
Das sind keine Patrioten, das sind Menschen, die diese Republik, so wie sie ist – sozial, stark, sicher –, in Zukunft spalten und nicht nach vorne bringen.
Vielen Dank.
({3})
Herr Kollege Kahrs, gestatten Sie mir die Anmerkung: Ich glaube nicht, dass es zielführend ist, wenn wir eine solche Aggressivität in dieses Hohe Haus bringen.
({0})
Das wird den Beratungen in der Zukunft nicht zuträglich sein. Ich möchte Sie wirklich bitten, sich zu mäßigen, auch in Zukunft. Das ist nicht in Ordnung.
({1})
– Eine Kurzintervention der Kollegin Hendricks. Bitte schön.
({2})
Herr Präsident! Ich möchte zum Ausdruck bringen, dass ich es für befremdlich halte, wenn Sie dem Kollegen Kahrs sagen, er bringe Aggressivität in dieses Haus,
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und ich von Ihnen eine solche Äußerung im Verhältnis zu Kolleginnen und Kollegen der AfD – nein, ich will lieber sagen: zu Abgeordneten der AfD – noch nie gehört habe.
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Liebe Frau Kollegin Hendricks, wer immer Aggressivität in dieses Hohe Haus bringt, wird von mir entsprechend darüber belehrt, dass ich das für falsch halte, und das habe ich in diesem Fall getan.
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Die nächste Rednerin ist die Staatsministerin Monika Grütters.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir kommen zur Kultur. Diese hat ja oft befriedende Qualitäten und spielt – zumindest glauben wir daran – auch auf der politischen Bühne eine Vermittlerrolle.
Wie viele von Ihnen habe ich in den vergangenen Wochen Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes über die Zukunft nicht nur dieses Landes, sondern auch Europas geführt. Wie viele – vielleicht auch viele von Ihnen – habe ich dabei lebhafte Diskussionen, aber auch leidenschaftliche Plädoyers für Europa erlebt und von visionären Ideen und beispielhaften Projekten erfahren, die mich echt berührt und begeistert haben.
Sehr bewegt hat mich eine Erzählung einer Gymnasiallehrerin aus Brandenburg, die im Rahmen eines Projekts zum Ersten Weltkrieg mit ihren Schülerinnen und Schülern an der traditionellen jährlichen Gedenkveranstaltung in einer französischen Kleinstadt teilgenommen hat. Dort sangen die deutschen Jugendlichen gemeinsam mit einer französischen Schulklasse ein französisches Lied. Sie hatten das vorher extra auch auf Französisch geübt. Im Anschluss daran haben sie die Namen der französischen Gefallenen vorgelesen. Für die Lehrkräfte, für die Schülerinnen und Schüler und für die anwesenden Nachfahren gefallener Soldaten aus den Weltkriegen war das sicher nicht nur ein bewegender, ein sehr emotionaler Moment. Er ist vor allen Dingen auch ein Beweis dafür, wie wertvoll nicht nur das Reden übereinander, sondern der Austausch sein kann, der eben auch das Bewusstsein für unsere gemeinsame europäische Kultur und Geschichte, für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und für die Zukunft Europas beschreibt.
Genau diesem Geist und dieser Überzeugung geschuldet haben wir das Kulturkapitel im Koalitionsvertrag dieser Legislaturperiode überschrieben mit „Kulturelle Vielfalt und gesellschaftlicher Zusammenhalt“. Dazu, meine Damen und Herren, gehört eben auch eine Erinnerungskultur, die verbindet und die uns allen vor Augen führt, dass wir, wenn wir uns unseren Nachbarn öffnen und wenn wir dem anderen nicht mit Abwehr, sondern mit Neugier und mit Offenheit begegnen, Grenzen überwinden können und zusammenwachsen zu dem, was Europa ausmacht: zu einer Einheit in Vielfalt.
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Es muss, glaube ich, unsere Aufgabe sein, eben genau eine solche Erinnerungskultur systematisch zu unterstützen. Wir alle – insbesondere natürlich die junge Generation; aber ich glaube, das richtet sich auch immer wieder und regelmäßig an uns selbst – können durch die Auseinandersetzungen mit dieser gemeinsamen Geschichte lernen. Deshalb sollen im Sinne einer Stärkung der Erinnerung an die Folgen von Diktatur und Gewaltherrschaft, so wie es im Koalitionsvertrag steht, Jugendliche mit einem neuen BKM-Programm „Jugend erinnert“ künftig noch besser und mit nachhaltigen Projekten an Gedenkeinrichtungen und unsere Geschichte herangeführt werden.
Gemeinsam mit den Leitern dieser Gedenkstätten entwickeln wir gerade ein Konzept für nachhaltige Verbindungen zwischen den Erinnerungsorten und Schülern, Studierenden, angehenden Lehrern, aber auch Institutionen in der Nachbarschaft. Dafür stehen in der Anlaufphase zunächst einmal 2 Millionen Euro zur Verfügung. Das Programm geht übrigens Hand in Hand mit einer Stärkung der pädagogischen Arbeit, die an den Gedenkstätten ohnehin schon geleistet wird. Dafür haben wir noch einmal 1,6 Millionen Euro vorgesehen und mehr als 20 neue Stellen geschaffen.
Auch über den Etat zur Erinnerungskultur hinaus freue ich mich über den Regierungsentwurf zum Kultur- und Medienhaushalt 2019, der noch eine Steigerung unseres Etats vorsieht. Lassen Sie mich kurz zwei, drei Veränderungen benennen:
Gerade die Bundeskulturfonds – lieber Herr Grundl, Sie haben das eben angesprochen – fördern ganz gezielt Projekte der kulturellen Verständigung, aber natürlich auch der Integration und kulturellen Bildung, außerdem viele großartige Vorhaben, Werke und Kreative aus den Bereichen bildende und darstellende Kunst, Literatur, Musik und Soziokultur. Dass die Bundeskulturfonds für ihre Arbeit zusätzliche 5 Millionen Euro bekommen – eine Fortschreibung der Initiative aus dem Parlament vom vergangenen Jahr –, ist ein wichtiges Signal für die Kulturszene – nicht nur für die Institutionen, sondern gerade auch für junge, aufstrebende, zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler und für das, was wir freie Szene nennen.
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Wie bereits in der Haushaltsdebatte im vergangenen Mai hier angekündigt, wird auch das Humboldt Forum weiter gestärkt. Es ist klar: Wenn wir über Verständigung, Weltoffenheit, Begegnung und Miteinander und nicht über Abschottung reden, geht es auch um das Humboldt Forum – ein Ort der Verständigung in Europa, über Europa und über die Welt, ein Ort der Begegnung und des interkulturellen Dialogs. Wir sind auf der Zielgeraden, wir können es im kommenden Jahr eröffnen – Sie sehen, dass die Gerüste gefallen sind und dass das mehr ist als nur ein Versprechen.
Ich glaube, dass wir dann endlich unsere Einladung an jeden, der dieses Haus besucht, wahrmachen können, Weltbürger zu sein. Das Humboldt Forum löst übrigens ein zweites Versprechen schon vor seiner Eröffnung ein: Es wirkt wie ein Katalysator öffentlicher Debatten, in diesem Fall – Sie alle wissen das – vor allen Dingen über die Aufarbeitung der Zeit des Kolonialismus und über den Umgang mit Beständen aus kolonialen Kontexten in Sammlungen und Museen. Ich finde es gut, dass die Zeit des Kolonialismus, die ja noch länger her ist als die Zeit der Weltkriege, so jetzt endlich ins breite öffentliche Bewusstsein gelangt ist. Ihre Aufarbeitung ist ein wichtiges Ziel der Regierung in dieser Legislaturperiode. Allein für die Provenienzforschung, also nur für den Bereich, der die Museen und Sammlungen betrifft, habe ich 3 Millionen Euro vorgesehen. Gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt – Frau Müntefering ist da – entwickeln wir Formen des Umgangs mit den Herkunftsgesellschaften. Sie haben gerade wichtige Human Remains nach Namibia zurückgegeben – in Anerkennung vielfachen Unrechts der Kolonialzeit und im Interesse einer guten gemeinsamen Zukunft.
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Auch das eröffnet uns einen weiten Blick auf die Welt.
Zum Schluss, meine Damen und Herren, ein Hinweis auf eine der größten einzelnen Veränderungen in meinem Haushalt, bei der Deutschen Welle, die in diesem Jahr ihr 65. Jubiläum feiert – manche erinnern sich noch an die Festveranstaltung im Paul-Löbe-Haus. Die Deutsche Welle soll gegenüber den bisherigen Planungen 33 Millionen Euro mehr bekommen. Dann wächst der Haushalt auf 350 Millionen Euro an, und wir nähern uns damit langsam vergleichbaren europäischen Auslandssendern. Die Deutsche Welle ist deshalb so wichtig, weil sie eine unverzichtbare weltweite Vermittlerin der Meinungs- und Pressefreiheit ist, eine wichtige Botschafterin universeller Werte, die auf dem Niveau vergleichbarer anderer Sender weltweit eine Rolle spielt.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gucke immer hier auf diese Uhr mit meiner Redezeit. – Ich freue mich, dass wir erneut meinen Kulturetat um ungefähr 6 Prozent steigern konnten. Warum? Weil es natürlich eine schöne Bestätigung und Ausdruck der Wertschätzung der auf Bundesebene verantworteten Kulturpolitik ist, und das im 20. Jahr des Bestehens des Amtes der BKM.
Kunst und Kultur sind frei. Sie sind Grundlage unserer offenen, demokratischen Gesellschaft und damit wichtiger Teil unseres Landes, das sich seit seiner Gründung im Herzen Europas nicht nur als Wirtschaftsmacht und Sozialstaat, sondern gerade auch als starker Kulturstaat versteht.
So heißt es im aktuellen Koalitionsvertrag. Noch in keinem vorherigen Koalitionsvertrag hat es ein so vehement und ausführlich formuliertes Bekenntnis zur elementaren Bedeutung der Kultur für unsere Demokratie und zu einer vielfältigen, in der Auseinandersetzung mit anderen gereiften, einzigartigen Kulturlandschaft Deutschlands gegeben wie in der zehnseitigen Passage zu Kunst, Kultur und Medien im aktuellen Koalitionsvertrag. In diesem Sinne bitte ich Sie um Unterstützung für den Haushaltsentwurf für Kultur und Medien.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Martin Renner, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Die beklagenswerte Spaltung unserer Gesellschaft
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wird von dieser Bundesregierung betrieben.
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Das wird vielleicht nirgends so sehr deutlich wie im Haushalt der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien; denn hier haben wir es mit dem Ideologiezentrum
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der scheinbar ansonsten so orientierungslos, so beliebig agierenden Regierung Angela Merkels zu tun.
Dieser Haushaltsplan atmet, zumindest zumeist, den linken Zeitgeist. Er huldigt dem kulturmarxistischen Zeitgeist der 68er und ihrer Apologeten. Er fördert nicht Kultur, wie er vorgibt, er fördert nicht die Medien, wie er vorgibt, nein, dieser Haushaltsplan fordert – fordert! – gewünschte Kultur, er fordert gewünschte Berichterstattung; und weil er so angelegt ist, spaltet er.
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Der freie, kritische Geist in Kultur und Medien und damit auch in der Gesellschaft wird mit allen Mitteln des Mainstreamings, also letztlich der Gleichschaltung, immer weiter eingeschränkt. Kultur und Medien müssen unabhängig sein, ja, sollten aus Gründen der Dialektik sogar die antithetische Seite zum Politikbetrieb darstellen. Keinesfalls aber sollten eine Vielzahl von Kulturorganisationen und Medien durch üppig gefüllte Futtertröge gefügig gemacht werden können. So erzeugt man ein willfähriges und abhängiges Hofstaatsschranzentum.
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Wir könnten jetzt etliche Einzeltitel, Programme oder Projekte herausgreifen. Überall schlägt es uns entgegen: Es geht so gut wie immer um den Umbau unserer Gesellschaft, um die Durchsetzung einer vermeintlich bunten Multikulti-, Diversitäts-, Integrationsphantasma- und Gendergaga-, gar Vielfaltsideologie. Dafür wird das Geld des Steuerzahlers mit vollen Händen ausgegeben. Knapp 1,6 Milliarden Euro sind es inzwischen. Mit diesem Geld verpflichtet man sich den Kultur- und Medienbetrieb zusehends. Man schafft sich den alimentierten Kulturbourgeois aus dem linken Justemilieu.
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Denn darum geht es in Wirklichkeit: Abhängigkeiten schaffen, Gefolgschaften aufbauen, erwünschte Ideologie transportieren, um dann Sprache, Begrifflichkeiten, Bedeutungen manipulativ zu verzerren und in das Gegenteil umkehren zu können.
Meine Damen und Herren, der künstliche Umbau unserer bisher weitgehend homogenen, leistungsstarken deutschen Gesellschaft, quasi feudalistisch von oben herab, hat weder mit Kunst noch mit Kultur noch mit freien, unabhängigen Medien zu tun.
Dieser Haushaltsplan instrumentalisiert Kultur. Dieser Haushaltsplan instrumentalisiert Medien. Er macht Kultur und Medien zur Propagandawaffe, zur Agitpropplattform gesellschaftspolitischer Umformierung.
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Damit verkennt er die Demokratie und verkehrt sie in ihr Gegenteil.
Mir fällt bei diesem ganzen Ansatz nur ein Zitat von Gottfried Benn ein, der sagt – das wird ihm zugeschrieben –:
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Das Abendland geht nicht zugrunde an den totalitären Systemen, auch nicht an seiner geistigen Armut, sondern an dem hündischen Kriechen seiner Intelligenz vor den politischen Zweckmäßigkeiten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Martin Rabanus.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einen kleinen Moment hatte man ja die vage Hoffnung, dass diese Debatte in Sachlichkeit und getragen von Fakten ihren Abschluss findet. Dann kam die AfD wieder in den Plenarsaal zurück.
Herr Renner, ich weiß gar nicht, ob Sie das ernst meinen, was Sie da sagen.
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Wenn man sich das anschaut, dieses Feiste, Selbstzufriedene in Ihrem Gesicht, wenn Sie diese Absurditäten und diesen Unfug hier verbreiten, dann habe ich tatsächlich den Eindruck bzw. den letzten Funken Hoffnung, dass es Realsatire ist, was Sie hier abziehen, und nicht wirklich parlamentarisch ernst gemeint sein kann.
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Für den Fall, dass das ernst gemeint ist, kann man wirklich nur sagen: Das ist vollkommen jenseits der wirklichen Welt. Denn es geht hier überhaupt nicht darum, Künstlerinnen und Künstler, Journalisten, Kreative, Filmschaffende und wen auch immer gefügig zu machen. Was ist das eigentlich für ein Bild, das Sie von denjenigen transportieren, über die Sie hier reden?
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Glauben Sie ernsthaft, die Kunst- und Kulturprotagonisten, all diejenigen in den unterschiedlichen Einrichtungen, Verbänden und kreativen Sparten, würden sich so mir nichts dir nichts einkaufen lassen? Also, ich finde es ja stark, dass Sie einer Bundesregierung, auch einer von SPD, CDU und CSU getragenen, so viel Durchgriffsmacht zutrauen; aber das ist wirklich jenseits dessen, worum es hier tatsächlich geht.
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Worum geht es? Es geht darum – das ist das, was dieser Teil des Einzelplans 04, BKM, leisten kann –, im Bereich der Bundeskulturpolitik das zu tun, was zu tun ist, nämlich, sich Werten zu vergewissern, Werte zu stärken, Werte zu vermitteln, Räume zu schaffen, in denen wir die Kultur sich tatsächlich entwickeln lassen können. Das passiert in unterschiedlichsten Dimensionen. Eine Dimension ist, dass man sich der Geschichte bewusst wird und ihrer bewusst bleibt. Wir finanzieren Museen, beispielsweise die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit all ihren Einrichtungen und unser Haus der Geschichte. Wir arbeiten im Bereich Erinnern und Gedenken. Frau Staatsministerin Grütters hat das Programm „Jugend erinnert“ genannt, das sozusagen einen korrespondierenden Programmteil im Auswärtigen Amt hat, um den sich Frau Staatsministerin Müntefering kümmert. Es wird also eine Verknüpfung zwischen Innen und Außen hergestellt. Im Humboldt Forum wird das deutlich sichtbar werden. Herrn Dorgerloh, dem Generalintendanten, wünsche ich eine glückliche Hand und das notwendige Quäntchen Glück, das selbst der Tüchtige braucht.
Es gibt noch andere Dimensionen. Wir sichern mit diesem Bundeshaushalt unser historisches Erbe, auch das in verschiedensten Einrichtungen, in den Bundesarchiven, bei der Stasiunterlagenbehörde, der Deutschen Nationalbibliothek, aber auch der Deutschen Digitalen Bibliothek, im Bereich der Denkmalpflege, aber auch im Bereich des Filmerbes, was in besonderer Weise wichtig ist. Was mir persönlich sehr am Herzen liegt, ist die Deutsche Welle; auch sie ist genannt worden. Ich bin sehr froh, dass man dort auf dem Aufbaupfad vorangehen kann, und zwar mit jetzt, wie ich glaube, 356 Millionen Euro insgesamt. Frau Staatsministerin Grütters und Frau Bundeskanzlerin – in Abwesenheit –, ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Absichtserklärung, die Sie im Rahmen der 65-Jahr-Feier in diesem Haus abgegeben haben. Da haben wir noch ein Stück des Weges vor uns; aber auch da sind wir dran.
Abschließend will ich unter der Überschrift „Kulturorte in der Bundesrepublik Deutschland erhalten“ noch zwei Aspekte ansprechen:
Der erste Aspekt. Wir wollen – das ist im Koalitionsvertrag angelegt – uns als Bund in den Regionen stärker für den Erhalt von Kulturorten engagieren. Wir wollen das Programm „Invest Ost“ bundesweit ausweiten. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das eine ganz große Herausforderung ist, die finanziell zu bewältigen ist. Bisher ist der Bundestag immer wieder in der Lage, über die Bereinigungssitzungen an der einen oder anderen Stelle Kulturorte mit großen Summen zu unterstützen. Das wird zu systematisieren sein, damit wir das vernünftig hinkriegen.
Der zweite Aspekt ist der Kulturort Kino, den wir in besonderer Weise im Koalitionsvertrag adressiert haben. Das haben wir im vorliegenden Entwurf des Bundeshaushalts angelegt. Allerdings ist da eine Leerstelle – eine mit Doppel-e –, und die muss gefüllt werden. Dafür ist es notwendig, dass wir eine konzeptionelle Klarheit schaffen, was wir brauchen. Ich bin sehr dankbar für die Vorarbeiten der HDF KINO. Dabei ist deutlich geworden – letzter Satz, Herr Präsident –, was wir zu bewerkstelligen haben. Lassen Sie uns das gemeinsam in den Haushaltsberatungen voranbringen.
Herzlichen Dank.
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Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin Simone Barrientos.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Alles, einfach alles ist eine Frage von Kultur. Was wir in den letzten Wochen und Monaten erlebt haben, zeigt einen Niedergang von Kultur, den selbst ich – und ich bin wirklich nicht naiv – so nicht für möglich gehalten hätte.
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Der Kulturhaushalt hätte darauf eine Antwort geben müssen. Er hätte es tun können, und er hätte es tun müssen. Aber solange Kultur nicht als Staatsziel manifestiert ist, solange Kultur also nicht als Gemeinschaftsaufgabe zwischen Bund und Ländern begriffen wird, kann sie den Anforderungen, denen wir uns gerade jetzt stellen müssen, nicht gerecht werden. Das ist schade. Daran müssen wir arbeiten.
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Die Koalition versprach eine Orientierungsdebatte im Bundestag zur Lage von Kunst und Kultur im Land. Die Bereiche Kultur in den Regionen, kulturelle Bildung und Erinnerungskultur müssten gestärkt werden. Da ist die Rede von einer „Agenda für Kultur und Zukunft“. Nichts davon wird im Haushalt wirklich finanziell untersetzt. Konzepte: Fehlanzeige. An anderer Stelle im Koalitionsvertrag heißt es zum Programm „Kultur in den Regionen“ unter anderem, die Bundes- und Landesprogramme sollten besser verzahnt werden, und Länder und Kommunen müssten ausreichend Mittel erhalten, damit sie ihren Aufgaben bei Kulturpflege und -förderung besser nachkommen können. Gute Idee! Ausführung: mangelhaft.
Weiter heißt es: Soziokulturelle Zentren sollen gestärkt werden. Dazu hatte die Große Koalition in den letzten vier Jahren wirklich viel Gelegenheit. Die Linke stellt seit vielen Jahren Haushaltsanträge, um die Arbeit gerade der soziokulturellen Zentren finanziell adäquat auszustatten – bisher leider vergeblich. Ein klares Bekenntnis zu einer substanziellen finanziellen Aufstockung wäre an dieser Stelle wirklich notwendig gewesen.
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Unsere Änderungsanträge werden Ihnen die Chance geben, das nachzuholen.
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Immerhin las ich dann die Presseerklärung von Monika Grütters und Horst Seehofer zur Stärkung der Soziokultur im Quartier. „UTOPOLIS“ heißt das Programm. Modellprojekte sollen bis 2022 mit jährlich 10 Millionen Euro gefördert werden. Der Schwerpunkt liegt auf benachteiligten Stadt- und Ortsteilen. Ich wünschte ja, es gäbe gar keine benachteiligten Stadt- und Ortsteile, aber gut.
({4})
Wenn allerdings der derzeitige Innenminister dort mitmischt, bin ich, vorsichtig gesagt, skeptisch, weil eben alles eine Frage von Kultur ist. Ein Innenminister, der in Bierzelten den brandstiftenden Biedermann gibt, tut das Gegenteil von dem, was soziokulturelle Zentren leisten.
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Dieser Innenminister verschiebt die Grenzen des Sagbaren, und das gerade jetzt, in einer Zeit, in der Neonazis Menschen jagen und Rechtsradikale im Parlament sitzen. Das kann doch nicht wahr sein!
({6}) – Frank Pasemann [AfD]: Doch, das ist wahr!)
Dieser Innenminister ist untragbar. Dieser Innenminister ist, mit Verlaub
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– da fällt Ihnen ja viel ein –, ein Rechtspopulist und ein Brandstifter.
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Er zerstört den Zusammenhalt. Er gefährdet damit die innere Sicherheit. Frau Merkel ist nicht da, aber ich möchte sie wirklich bitten, diesen Mann nach Hause zu schicken. Für den Fall, dass er sich dann mit seiner Modelleisenbahn langweilt, habe ich ihm etwas zum Lesen mitgebracht: „LTI“ von Victor Klemperer. Lesen bildet.
Vielen Dank.
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Für Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Margit Stumpp das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Grütters, Sie sprachen heute nur vom Kulturetat. Dabei gibt es in diesen aufgeheizten Zeiten viele gute Gründe – das haben wir ja heute wieder live erlebt –, sich einer strukturierten Medienpolitik zu widmen. Was die Staatsministerin im Haushalt für dieses Jahr plant, ist schlicht ernüchternd. Wie wichtig vielfältige und unabhängige Medien für eine Demokratie sind, betonen ja auch die Koalitionäre gern. Aber warme Worte allein richten wenig aus gegen Diffamierung und Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten, gegen Fake News und Desinformation, gegen zunehmende Medienkonzentration. Der Mann mit Hut aus Dresden hat uns vor kurzem schlagend vor Augen geführt, in welch absurde Situationen Journalistinnen und Journalisten auch in Deutschland geraten können. Wir Grüne fordern: Gerade jetzt, gerade hier darf sich der Staat nicht zurückziehen, sondern muss die vierte Gewalt gezielt stärken. Im Haushalt 2019 der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien fehlen dafür jegliche Impulse.
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Die Lage von Journalistinnen und Journalisten verschlechtert sich zusehends. Besonders die Gewalt von rechts nimmt zu. Deshalb unterstützen wir den Auftrag der Linken, einen Beauftragten der Bundesregierung für den Schutz von Journalisten und Journalistinnen zu benennen.
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Dies flankiert die Bemühungen um einen entsprechenden Sonderbeauftragten der UN.
Außerdem fordern wir, dass Visa an verfolgte Journalistinnen und Journalisten aus dem Ausland im erleichterten Verfahren gewährt werden.
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Anderes Thema. Ein Zitat aus dem Koalitionsvertrag 2013:
Medienkompetenz ist eine elementare Schlüsselkompetenz in unserer digitalen Gesellschaft und grundlegende Voraussetzung für einen selbstbestimmten Umgang mit den Medien und dem Netz für alle Generationen.
Wohl wahr! Mangelhafte Medienkompetenz macht nicht nur einen obersten Verfassungsschützer anfällig für Populismus und damit zu einer Gefahr für die Demokratie, sondern jede und jeden.
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Deshalb ist es umso bitterer, dass die Regierung hier keinerlei Strategie erkennen lässt. Schlimmer noch, die Regierung kürzt die Mittel zur Stärkung der Medienkompetenz um 3 Millionen Euro – das sind drei Viertel des Ansatzes – auf magere 1 Million Euro. Das führt den eigenen Anspruch ad absurdum. Wo bleibt der Wille zur Stärkung der Demokratie?
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Dieser Wille ist auch gefragt bei der Unterstützung des Studios der Deutschen Welle in der Türkei. Im Haushalt 2018 sind die Investitionen verankert gewesen. Es fehlt aber jetzt der Aufwand für den Betrieb – gerade da, wo das Engagement als wichtig und dringlich gefeiert wurde. Solche Projekte brauchen Verlässlichkeit. Ein banges Hoffen auf Bereinigungssitzungen ist in Sachen Demokratieförderung fehl am Platz. Das betrifft übrigens auch die Grundforderung für die DW Akademie.
Letzter Punkt. Die Geringschätzung der Kultur- und Kreativwirtschaft durch die Beauftragte für Kultur und Medien manifestiert sich in der Kürzung der Mittel um 80 Prozent auf gerade noch 300 000 Euro. Eine vollständige Streichung wäre konsequent gewesen und würde den Stellenwert, den die Kreativen bei Schwarz-Rot haben, ehrlicher beschreiben.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir Grüne wissen um die Bedeutung von Kultur und Medien für eine lebendige demokratische Gesellschaft. Der vorgelegte Haushalt würdigt diese Rolle nicht.
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Das Wort hat die Kollegin Patricia Lips für die CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! „Entdecken, was uns verbindet“, das war das Motto des diesjährigen Tages des offenen Denkmals am vergangenen Sonntag in unserem Land. Viele Menschen waren unterwegs, um Burgen, Schlösser, Kirchen, Hofreiten und vieles andere mehr zu besuchen – ein dichtes, ein wunderbares Netz in unserem Land. Diese Einrichtungen werden gepflegt und mit Initiativen erfüllt von unzähligen Menschen, viele davon im Ehrenamt. Und, Kollege Renner – gestatten Sie mir diesen Ausflug –, sie sind weit entfernt, einem kulturmarxistischen Zeitgeist zu folgen, oder gar von einem Hofstaatsschranzentum.
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Kunst und Kultur umspannen ein weites Feld, viele Teile gehören dazu. Es sind aber vor allem die Ideen und die Kreativität von Menschen in Initiativen, in Vereinen und Verbänden, die der Gesamtheit der Kultur eines Landes oder einer Region zu ihrer Bedeutung verhelfen.
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Gleichzeitig ist Kultur nie starr, sondern sie entwickelt sich, bringt immer wieder neue Formen hervor, sei es in der Architektur, der Musik, der Malerei, der Literatur. Grundlage hierfür ist die Freiheit der Schaffenden, die sich untrennbar damit verbindet.
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Aber es braucht natürlich eine finanzielle Grundlage. Umso mehr freut es mich auch, dass der nun vorgelegte Einzelplan im Bereich Kultur und Medien mit rund 1,8 Milliarden Euro erneut eine stabile Grundlage seitens des Bundes bietet und das Engagement dieser vielen Menschen unterstützt.
Man kann es auch anders ausdrücken: 20 Jahre im Bund mit der Kultur! 20 Jahre Bundesbeauftrage für Kultur und Medien sind ein kleines Jubiläum. Ja, die Kulturhoheit liegt in erster Linie bei den Ländern, und doch ist der Anteil des Bundes kaum mehr wegzudenken. Er schafft heute in Kooperation mit den Ländern einen echten Mehrwert für unser Land.
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Staatsministerin Monika Grütters und auch der Kollege Rabanus haben bereits viele Einzelprojekte genannt, und ich möchte sie an dieser Stelle nicht wiederholen.
Wenn man vom Bundeshaushalt spricht, dann gehört die Förderung der Hauptstadtkultur dazu, und was für Berlin gilt, gilt auch für andere Städte in unserem Land. Sie alle haben Magnete, die weit in das Umland ausstrahlen. Wahre kulturelle Schätze liegen jedoch nicht selten weitab der Metropolen und tragen zumeist einen ganz besonderen Charakter, der eben nur dort, im ganz bestimmten Gebiet, von Bedeutung ist, aber genau dort eine hohe Aufmerksamkeit erfährt, und wenn wir von notwendiger Infrastruktur im ländlichen Raum sprechen, dann gehört die kulturelle Infrastruktur dringend dazu.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss zusammenfassend sagen: Was Kunst und Kultur sind, was schön und nur deshalb vermeintlich gut und richtig ist, was schon per se nicht so zwingend ist, definieren nicht nur einige wenige in diesem Land, und dafür bin ich dankbar – schon gar nicht jene, die damit eigentlich nichts am Hut haben, sondern sich dieses einzig um der Deutungshoheit willen allzumal anmaßen. Deshalb ist es gut, dass auch der Erinnerungskultur ein breiter Raum im Haushalt eingeräumt wird. Vielleicht war diese in der Nachkriegsgeschichte selten so wertvoll wie heute.
Freie Kunst und freie Kultur, wie wir sie heute in unserem Land kennen und wertschätzen, sind auch geprägt und nur möglich durch die Grundfeste einer stabilen Demokratie,
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und ich würde mir wünschen, dass wir auf diesem Pfad weitergehen.
Vielen Dank.
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Die letzte Rednerin zu diesem Geschäftsbereich ist die Kollegin Saskia Esken, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden in diesen Tagen viel über Verunsicherung, und auch der digitale Wandel hat seinen Anteil daran, dass Menschen Zukunftsängste haben, die wir ernst nehmen sollten. Was wird aus meiner Arbeit? Wie verändert sich mein Leben? Wer bestimmt über meine digitale Identität? Was machen diese datengetriebenen Unternehmen? Was macht der Staat mit meinen Daten?
Für die Politik stellt sich deshalb die Frage, was die Menschen brauchen, damit sie sich souverän und mit Zuversicht auf den digitalen Wandel einlassen können. Da geht es um Investitionen in Teilhabe und Souveränität, aber auch um Sicherheit und Vertrauen.
Der Zugang zu einem schnellen und sicheren Netz entscheidet über Teilhabe. Um diesen Zugang überall gleichermaßen zu ermöglichen – egal ob in der Stadt oder auf dem Land –, investieren wir mit den bereitgestellten Haushaltsmitteln und dem eingerichteten Digitalfonds Milliarden in den Ausbau von flächendeckenden und sicheren Gigabitnetzen. Ohne Breitband ist alles nichts, aber Breitband alleine ist eben nicht alles; denn zur Souveränität braucht man Kompetenzen, um in der digitalen Welt bestehen zu können.
Mit der digitalen Anbindung und Ausstattung der Schulen schaffen wir im Rahmen des Digitalpakts die Basis für eine zeitgemäße Bildung, die vom digitalen Wandel der Bildungspläne und von der Lehrerbildung durch die Länder begleitet werden muss. Mit der Qualifizierungsoffensive des Arbeitsministeriums legen wir wiederum den Grundstein für eine nationale Weiterbildungsstrategie, die es den Menschen ermöglicht, sich fit zu machen, fit zu halten und eben zuversichtlich in diese digitale Welt zu gehen.
Aber nicht nur die Wirtschaft, sondern auch der Staat soll seine Dienstleistungen digital anbieten – einfach, sicher, mobil –, und er soll seine Arbeit digital organisieren – transparent und effizient. Deshalb ermöglichen wir mit diesem Haushalt ganz erhebliche Investitionen und Anstrengungen des Bundes und der Länder für eine moderne und effiziente Verwaltung.
Tatsächlich werden die Integrität und die Sicherheit digitaler Strukturen, Technologien und Produkte zunehmend zur Grundlage allen öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens. Wir von der SPD-Fraktion sehen die IT-Sicherheit deshalb als staatliche Aufgabe und Verantwortung an.
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Dazu kommen starke Bürger- und Verbraucherrechte auch in der digitalen Welt; denn ohne starke Schutzrechte und ohne soziale Sicherheit dürfen wir kein Vertrauen der Menschen in die Digitalisierung erwarten. Ohne Vertrauen wird der digitale Wandel tatsächlich scheitern; das ist meine Grundüberzeugung. Je weiter die Technologie sich entwickelt, je mächtiger sie wird, in je mehr Bereiche unseres Lebens sie vordringt, desto wahrer wird das.
Ich habe in Paris mit Cédric Villani sprechen können, dem Architekten der KI-Strategie der Macron-Regierung. Der Mann ist Mathematiker und Fields-Medaillen-Preisträger, also ein waschechter Nerd, und natürlich ein bekennender Fan der künstlichen Intelligenz. Aber auch er sagt: Wenn wir das Vertrauen der Menschen nicht gewinnen, wenn wir sie nicht mit Souveränität und starken Rechten ausstatten, dann werden sie uns von der Fahne gehen, dann werden wir die Chancen der künstlichen Intelligenz nicht nutzen können.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gelingen des digitalen Wandels ist entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes und damit für die Beschäftigung, aber auch für die gesellschaftliche Entwicklung. Technologischer Fortschritt muss immer auch sozialer Fortschritt sein.
Wir investieren mit diesem Haushalt ganz erheblich in dieses Gelingen, und wir schaffen mit der politischen Gestaltung von Souveränität und Sicherheit die Grundlage für das Vertrauen der Menschen in diese Entwicklung.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute auf den Tag genau vor 28 Jahren wurde in Moskau der Zwei-plus-Vier-Vertrag unterzeichnet. Er war die Voraussetzung für die Wiedervereinigung Deutschlands. Er war von vielen als das „Ende der Nachkriegszeit“ bezeichnet worden. Er hat dazu geführt, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Welt sich im Aufbruch befand. Nicht wenige träumten von den wahrhaft vereinten Nationen. Der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama sprach sogar vom „Ende der Geschichte“. Er meinte dies im besten Sinne positiv.
Leider ist es anders gekommen; das wissen wir heute. Die außenpolitischen Baustellen kennen wir alle: die Unsicherheit im transatlantischen Verhältnis, die interessensgeleitete Expansion Chinas, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, der Krisenbogen rund um Europa, Syrien, Jemen, der Iran, Gaza und auch die Risse – sie sind nicht zu unterschätzen – innerhalb der Europäischen Union.
Dazu ist heute kein unwichtiger Tag. Heute wird im Europäischen Parlament darüber diskutiert und entschieden, ob ein Artikel‑7-Verfahren gegen Ungarn wegen der Verletzung der Grundwerte der Europäischen Union eingeleitet wird. Vielleicht ist das nicht nur in Brüssel ein ganz guter Tag, um zu zeigen, dass die Europäische Union mehr ist als eine Mischung aus Binnenmarkt und Kohäsionsfonds. Vielmehr sind die Europäische Union und die Existenzgrundlage der Europäischen Union die Grundwerte, die uns zusammenhalten, vor allen Dingen Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
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Vielleicht ist es sinnvoll, ein Zeichen zu setzen, dass es auf diese Grundwerte keine Rabatte innerhalb der Europäischen Union gibt.
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Meine Damen und Herren, für uns kann das eigentlich nach all dem, was um uns herum geschieht, nur eines bedeuten: Wir müssen uns und die internationale Ordnung an die globalen Machtverschiebungen anpassen. Dabei geht es gar nicht so sehr darum, der Vergangenheit nachzutrauern oder über Veränderungen zu lamentieren, sondern es geht ganz einfach darum, jetzt, heute und in der kommenden Zeit daraus die richtigen politischen Konsequenzen zu ziehen.
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Ich glaube, es gibt dafür einige Hebel. Ein Hebel ist, dass wir den Bau eines souveränen und starken Europas als eine oberste Priorität nicht nur in der Außenpolitik, sondern auch in der Europapolitik verfolgen. Die Antwort auf „America first“, „Russia first“ oder „China first“
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ist nicht „Europe first“, sondern sie ist „Europe united“. Dazu können wir einen großen Beitrag leisten, auch wenn wir 2020 die Ratspräsidentschaft innehaben.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Paul-Henri Spaak, der ehemalige belgische Premierminister – ein großer Europäer –, hat einmal gesagt: Es gibt in Europa nur zwei Arten von Ländern: kleine Länder und Länder, die noch nicht erkannt haben, dass sie klein sind. – Er hat das vor vielen Jahren gesagt, aber es ist auch heute von ungeahnter Aktualität.
Für alle Herausforderungen, denen wir uns gegenübersehen – wirtschaftliche, soziale, die umwelt- und klimapolitischen Herausforderungen und die Migrationsfrage –, gilt: Niemand in Europa wird in der Lage sein, diese Fragen noch national zu beantworten, sondern wir brauchen dafür eine europäische Lösung. In den Diskussionen darüber, was das deutsche Interesse ist, muss man in einer solchen Situation zu dem Ergebnis kommen, dass das deutsche Interesse einen Namen hat, und der lautet „Europa“, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Es ist für uns in der politischen Verantwortung ganz wichtig, dass wir dafür ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Zustimmung erhalten. Davon wird abhängen, ob die Lösungen, die wir verfolgen, auch wirklich durchsetzbar sind oder ob sie umgekehrt werden, wie wir das ja in der letzten Zeit bei Wahlergebnissen in Europa mitverfolgen durften.
Deshalb: Wenn es um Europa und um die Bedeutung von Europa geht, dann dürfen wir nicht zulassen, dass Europa von Populisten und Nationalisten in Deutschland und in Europa zu einem Bedrohungsrisiko erklärt wird, sondern wir müssen – und vielleicht müssen wir das noch mehr, als wir das in der Vergangenheit getan haben – die Menschen wissen lassen, dass Europa die Voraussetzung für die Lösung unserer Probleme ist.
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Das ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, die europäische Idee fortzuführen. Dafür, meine Damen und Herren, gibt es ganz viele Möglichkeiten in der Außenpolitik der Europäischen Union.
Wir müssen die Europäische Union erst einmal außenpolitikfähig machen. Wenn es in Zukunft weiterhin so sein wird, dass aufgrund des Einstimmigkeitserfordernisses in den Gremien der Europäischen Union bei der Außenpolitik einzelne Länder je nach Interessen immer wieder von anderen herausgekauft werden können, die nur bilaterale oder sogar unilaterale Interessen verfolgen, dann wird es nichts mit einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik. Wir brauchen auf Sicht auch einen europäischen Sicherheitsrat, meine Damen und Herren, in dem wir uns nicht nur hinsichtlich von Entscheidungen in Europa, sondern auch in den Vereinten Nationen abstimmen.
Wir brauchen eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion. Es ist in den letzten Jahren viel geschehen. Die Zusammenarbeit in dem Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist Stück für Stück vorangebracht worden. Auch PESCO und die französische Interventionsinitiative können dazu einen Beitrag leisten. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch in diesem Jahr da noch Stück für Stück vorankommen. Aber im Moment geht es darum, all das durch das zivile Krisenmanagement zu ergänzen,
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über das Europa auch in einer Kompetenz verfügt wie keine andere internationale Organisation. Ein erster Beitrag kann die Gründung eines europäischen Kompetenzzentrums für ziviles Krisenmanagement in Deutschland sein. Das wollen wir tun und damit deutlich machen, dass wir in Europa, wenn es um Krisenbewältigung und Konfliktlösung geht, unserer Verantwortung gerecht werden wollen.
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Ich weiß, über Verantwortung bzw. mehr Verantwortung zu diskutieren ist nicht immer einfach, weil das auch schwierige Fragen mit sich bringt. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir diese Diskussion führen müssen. Millionen Menschen in den afrikanischen Krisengebieten, im Nahen und Mittleren Osten erwarten unsere Beiträge dazu. Dem sollten wir auch gerecht werden und deutlich machen, dass wir in Europa die Zeichen der Zeit erkannt haben.
Meine Damen und Herren, in der europäischen Außenpolitik geht es aber auch um ganz aktuelle Fragen. Eine Frage, die uns in den letzten Wochen und Monaten auch hier beschäftigt hat, ist: Wie geht es auf dem westlichen Balkan weiter? Ich finde bei allen Diskussionen und auch bei allen Anforderungen an die Westbalkanstaaten: Voraussetzungen für die europäische Perspektive und für Beitrittsverhandlungen zu schaffen, ist richtig. Aber genauso wichtig ist auch, dass wir diesen Ländern eine europäische Perspektive bieten, und zwar eine verlässliche, weil sie sich ansonsten anderen Ländern wie etwa China zuwenden, die schon bereitstehen und die die Werte, die wir haben, auch in der Europäischen Union, nicht teilen. Deshalb ist es wichtig, dass wir dort konsequent und verlässlich bleiben, auch gegenüber den Ländern des westlichen Balkans.
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Meine Damen und Herren, ja, auch in Syrien wird von uns erwartet, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden.
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Frau Göring-Eckardt hat heute Morgen gesagt, dass wir dort nichts tun würden, um den Friedensprozess, die Suche nach einer politischen Lösung zu unterstützen. Sie können uns vielleicht irgendwann vorwerfen, dass wir es nicht verhindern konnten, dass der Krieg in Syrien weiterging. Aber Sie werden uns nicht unterstellen können, dass wir nicht alles dafür getan haben, dass es eine politische Lösung gibt.
Wir sind seit einigen Monaten zusammen mit den Amerikanern, den Franzosen, den Briten, den Saudis und auch den Jordaniern Mitglied der Gruppe, die sich um eine politische Lösung bemüht. Ich war in der letzten Woche in der Türkei und habe mit denen gesprochen, die auf der anderen Seite im sogenannten Astana-Format stehen, und habe die türkischen Verantwortlichen ermuntert, in der letzten Woche in Teheran gegenüber Russland und dem Iran dafür einzutreten, dass es keine Großoffensive in Idlib gibt.
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Am Freitag wird der russische Außenminister hier sein. Ihm werde ich genau das Gleiche sagen,
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nämlich dass wir auch von Russland erwarten, dass es seiner Verantwortung gerecht wird und ein humanitäres Desaster in Idlib und anderswo in Syrien verhindert.
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Deshalb: Deutschland hat bereits Verantwortung übernommen. Wir sind mittlerweile der zweitgrößte humanitäre Geber im Rahmen des UNHCR. Wir wissen, dass sich andere zurückziehen aus internationalen Organisationen, die Flüchtlinge unterstützen, auch bei den Vereinten Nationen. Wir sind zurzeit dabei, zu überprüfen, wie wir die Ausfälle anderer kompensieren können. Ich bin dankbar, dass uns der Deutsche Bundestag dabei unterstützt. Wir werden auch in Syrien unserer humanitären Verantwortung gerecht. Aber ich sage auch: Am Wiederaufbau werden wir uns erst beteiligen, wenn es einen politischen Prozess gibt. Wir werden uns nicht an einem syrischen Wiederaufbau beteiligen, bei dem es nur darum geht, Assad und sein Regime in der Verantwortung zu halten. Das ist die Voraussetzung, die wir dafür klar und deutlich formuliert haben.
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Meine Damen und Herren, wir werden auch auf die Veränderungen im transatlantischen Verhältnis reagieren müssen. Wir tun das. Dabei geht es nicht darum, sich von den Vereinigten Staaten zu entfernen. Wir brauchen die Vereinigten Staaten auch als Wertepartner in der Zukunft. Aber wir werden dort, wo wir uns Fragen gegenübersehen, wie beim Thema Handel oder beim Thema Strafzölle, nicht alleine, wohl aber in der europäischen Einheit unsere Antwort geben. Auch da ist es wichtig, dass wir die neuen Herausforderungen nicht national, sondern vor allen Dingen europäisch beantworten.
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Letztlich tun wir das auch mit Blick auf unsere Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ab dem nächsten Jahr. Wir erleben zurzeit in der internationalen Politik immer mehr, dass Vertrauen und Verlässlichkeit zurückgehen. Deutschland will auch als nicht permanentes Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dem etwas entgegensetzen. Wir führen mit anderen Staaten Gespräche darüber, die genauso wie wir daran interessiert sind, dass der Multilateralismus eine Chance hat, dass es auch in Zukunft eine Rules-based Order gibt, dass man sich auch in der internationalen Politik aufeinander verlassen kann. Dass unsere Freunde aus Kanada, Japan und Australien genauso denken, das unterstützen und mit dabei sein wollen, ist ein gutes Zeichen. Vor allen Dingen steht es uns als Deutschland gut zu Gesicht, bei einer Allianz der Multilateralisten gerade jetzt an vorderster Stelle mit dabei zu sein. Dabei bitte ich Sie auch um Ihre Unterstützung. Das wird durch den Haushalt zum Ausdruck gebracht.
Herzlichen Dank.
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Herr Minister, gestatten Sie noch eine End- oder Zwischenfrage aus der Linksfraktion?
Ja, natürlich.
Das würde Ihre Redezeit deutlich verlängern.
Das kommt auf die Frage an.
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Danke schön, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben gerade von der anstehenden Mitgliedschaft Deutschlands im Sicherheitsrat und unserer Verantwortung gesprochen sowie davon, dass wir ein regelbasiertes Werk weltweit brauchen, auf das man sich international verlassen kann. Von daher meine Frage: Die Kanzlerin hat ja heute Morgen offengelassen, ob sich die Bundesrepublik möglicherweise an Vergeltungsschlägen in Syrien beteiligen würde. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat eine solche mögliche Militärintervention eindeutig als völkerrechtswidrig und damit auch als grundgesetzwidrig eingestuft.
({0})
Meine Frage lautet – weil Sie dazu konkret nichts gesagt haben –: Wie stehen Sie zu der ins Spiel gebrachten möglichen Beteiligung Deutschlands an einem Vergeltungsschlag in Syrien?
Erst einmal liegt mein Hauptinteresse im Moment darin, zu verhindern, dass wir diese Frage irgendwann entscheiden müssen.
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Wir tun im Moment alles, um dafür zu sorgen, dass in Syrien keine Chemiewaffen eingesetzt werden. Das wäre ein eindeutiger Bruch aller Bereiche des humanitären Völkerrechts.
Zum Zweiten. Natürlich beraten wir auch in der Bundesregierung, wie wir damit umgehen. Aber diese Frage werden wir dann beantworten, wenn sie gestellt wird. Ich hoffe, dass sie uns nicht gestellt wird – weil es nämlich keinen Einsatz von Chemiewaffen in Syrien gibt. Dass diese Frage völkerrechtlich und auch verfassungsrechtlich außerordentlich schwierig zu beantworten ist, ist doch vollkommen klar.
Im Übrigen bräuchten wir, wenn es eine solche Beteiligung geben sollte, dafür ein Mandat des Deutschen Bundestages. Insofern wird diese Entscheidung gar nicht alleine von der Regierung getroffen werden können, sondern sie wird, wenn, vom Deutschen Bundestag getroffen werden, und da ist sie auch an der richtigen Stelle.
Schönen Dank.
({1})
Herr Minister, auch der Kollege Trittin möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. – Sie möchten nicht. – Herr Trittin, es tut mir leid, der Herr Minister war nicht bereit.
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– Genau.
Als Nächstes hat für die AfD-Fraktion der Kollege Armin-Paulus Hampel das Wort.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Besucher im Deutschen Bundestag! Verehrte Medienkollegen – auch wenn es ein bisschen schlaff auf der Bank da oben aussieht! Da war ich heute Morgen, ehrlich gesagt, doch vom Donner gerührt. Es ist schön, Herr Maas, dass Sie als deutscher Außenminister wenigstens hier im Parlament auf Nachfrage zu Syrien Stellung beziehen. Mir sind die Äußerungen Ihrer Kollegin Frau von der Leyen viel früher in den Ohren geklungen. Und dass Sie, Frau Bundeskanzler, heute hier im Parlament verkündet haben: „Wir wollen in Syrien vorne mit dabei sein“, hat mir allerdings fast den Atem verschlagen.
Meine Damen und Herren, ich habe 25 Jahre meines Lebens Außen- und Sicherheitspolitik als Journalist verfolgt. Wenn jemand mit solchen Vokabeln so leichtfertig umgeht – bei einem möglichen Einsatz in Syrien vorne mit dabei sein zu wollen –, habe ich dafür kein Verständnis; denn wir wissen nicht, worüber wir da überhaupt reden. Es ist ein Verfassungsbruch – das weiß jeder in diesem Hause –, wenn sich die Bundesrepublik Deutschland an einem militärischen Einsatz in Syrien beteiligt, ohne dass es ein UN-Mandat dafür gibt, und davon habe ich bis dato noch nichts gehört. Sie brechen die Verfassung, bevor ein UN-Mandat überhaupt in Augenschein genommen wurde.
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Was bedeutet das? Wir haben schon am Hindukusch knapp 60 Soldaten der deutschen Bundeswehr verloren, meine Damen und Herren! Für eine Mission, die nach 17 Jahren jedem in diesem Lande als gescheitert erscheinen muss. Ich kann Ihnen ans Herz legen – Frau Bundeskanzler ist gerade abwesend –:
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Halten Sie sich an den so oft gescholtenen Soldatenkönig, den Vater vom Alten Fritz, der seinem Sohn mit auf den Weg gegeben hat: Denke daran, dass du für jede Seele eines preußischen Grenadiers verantwortlich bist, die du auf dem Schlachtfeld opferst.
Angesichts der Leichtfertigkeit, mit der in Sachen Syrien argumentiert wird, rieche ich schon wieder die sogenannte Smoking Gun. Es wird schon von Chemiewaffeneinsatz gesprochen. Dafür gibt es doch überhaupt keine Belege.
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Es gibt aber den Herrn Ritter von der OPCW – der ja unverdächtig ist –, der nachgewiesen hat,
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dass beim letzten Einsatz die USA den Duma-Vorfall erfunden haben.
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Und da ahne ich, dass es jetzt wieder einmal zwingend notwendig sein muss, einen Giftgasangriff herbeizureden. Wir alle wissen: Herr Assad braucht keinen Giftgasangriff mehr.
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Die Terroristen der Al-Nusra-Front sind in der Enge; sie sind in ihrem letzten Stronghold. Darum wäre es aus seiner Perspektive sogar kontraproduktiv, irgendwelche Mittel einzusetzen.
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Sie müssten ja auch gelesen haben, dass die syrischen Streitkräfte drei Korridore aufgemacht haben in Idlib. Die Al-Nusra-Front, die übrigens zu den Terroristen gehört, hat mit dem IS zusammengearbeitet, den die westlichen Nationen über Jahre bekämpft haben. Jetzt plötzlich entwickeln wir für sie Verständnis. Ich glaube – – Ich verschlucke lieber, was ich sagen wollte. Das kann doch wohl nicht wahr sein, dass wir für sie Verständnis entwickeln. Damit kommt dann das Ende eines militärischen Konflikts, den natürlich keiner in diesem Hause so haben wollte. Wir hätten uns gewünscht, dass es einen friedlichen Ausgleich zwischen den politischen Kräften in Syrien gibt. Aber Sie müssen nun einmal anerkennen, dass Herr Assad, und zwar aufgrund einer fehlgeleiteten westlichen Politik, gemeinsam mit Russland – in der Tat – das Heft des Handelns fest in der Hand hat. Da lohnt es nicht, Herr Maas, in die Türkei zu reisen und mit den Türken zu verhandeln.
Übrigens: Ich habe in Ihren Pressestatements nichts dazu gehört, dass alle Parteien des Deutschen Bundestages den Angriff auf Afrin als völkerrechtswidrig bezeichnet haben. Das kommt bei Ihnen, in Ihren Statements überhaupt nicht vor. Das hätten Sie Herrn Erdogan als Allererstes sagen müssen.
Vor allen Dingen: Nach der möglichen Entlassung von wenigen deutschen Staatsbürgern oder Deutsche-Pass-Staatsbürgern haben Sie gleich mit weiteren Milliarden gewunken, die Deutschland der Türkei eventuell als Hilfe zukommen lassen kann. Ja wo sind wir denn in diesem Land? Da hätten Sie Herrn Erdogan klare Kante geben und sagen müssen: Wir, und zwar nicht nur wir Deutsche, sondern auch die europäischen NATO-Nationen – die Amerikaner wahrscheinlich auch –, wollen keine Einmischung der Türkei in den syrischen Konflikt, weil damit der Konflikt eskaliert. – Das hätten Sie Herrn Erdogan ins Stammbuch schreiben müssen.
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Ich bin in der Tat überzeugt davon, dass es jetzt an der Zeit ist, mit Herrn Assad zu reden, ja, auch über einen Wiederaufbau – er hat nun mal die Macht des Faktischen in Syrien –, allerdings, wie ich das unlängst im Deutschlandfunk betont habe, gebunden an die Garantieerklärung des syrischen Präsidenten, dass er denen, die in sein Land zurückkehren, Straffreiheit und Verfolgungsfreiheit garantiert. Nur dann können wir finanzielle Mittel für den Aufbau in Syrien zur Verfügung stellen. Ich glaube, wenn Sie mit dem Scheckbuch in dieser Hinsicht positiv winken, dann werden Sie sogar einen Erfolg bei Herrn Assad erzielen.
Dann lerne ich von Ihnen immer wieder dasselbe, Herr Maas: In der europäischen Politik, im Europadenken findet die deutsche Außenpolitik ihren Sinn und ihre Zukunft. – Sie merken doch, dass dieses Europa gerade aufgrund Ihrer Politik auseinanderfällt. Die Briten sind schon draußen. Die Visegradstaaten stimmen Ihnen nicht zu. Sie haben, nachdem Sie die rote Linie für Herrn Trump aufgezeigt haben – das ist ja schon eindrucksvoll: der amerikanische Präsident bekommt vom deutschen Außenminister die rote Linie gezeigt; mit welchen Mächten wollen Sie das denn machen? –,
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die Amerikaner vergrault. Die Russen sanktionieren Sie; die fallen ebenfalls weg. Die Chinesen üben gerade im größten Manöver aller Zeiten mit den Russen gemeinsam. In Europa bricht die Front auseinander. Und Sie sind noch an der Seite von Herrn Macron, der nichts anderes will als deutsches Geld zur Sanierung seines maroden Staates und der in Amerika inzwischen übrigens auch nicht mehr den Status genießt, den er da einst genossen hat.
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Das definieren Sie als erfolgreiche deutsche Außenpolitik.
Zum Schluss bringe ich noch die Erkenntnis zum Ausdruck, wovon wir in der AfD-Fraktion fest überzeugt sind, nämlich dass es nach wie vor – ich komme zum Schluss, Herr Präsident – Ihre Devise, Ihre Maxime sein muss, dass grundsätzlich erst mal eine Außenpolitik im deutschen Interesse gemacht wird. Und wenn sich die mit den Zielen der europäischen Nachbarn deckt, ist es gut so, und das wollen wir anstreben.
Herr Kollege, Sie sollten Ihren Worten Taten folgen lassen.
Aber wir wollen nicht Deutschland für ein Europa opfern, das wir als AfD in der Form nicht wollen und in dem Europa und vor allen Dingen Deutschland keine Zukunft haben.
Danke schön.
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Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Johann Wadephul.
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Herr Präsident, vielen herzlichen Dank. – Herr Kollege Hampel, meinen Sie eigentlich, dass es im deutschen Interesse ist, im Interesse deutscher Außenpolitik, dass sich Kollegen Ihrer Fraktion mit dem Massenmörder Assad treffen? Meinen Sie eigentlich, dass Ihre Fraktion sich da in eine Position begibt – –
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– Herr Kollege Gauland, die Treffen haben ja stattgefunden. Dabei geht es da um Fragen des internationalen Rechts. Weder dann, wenn es um die Krim geht, noch dann, wenn es um den Syrien-Krieg und den Umgang mit Herrn Assad geht, interessieren Sie sich jedoch für Rechtsfragen,
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während Sie uns hier immer vorhalten, es würden Rechtsverletzungen in Europa und in Deutschland stattfinden.
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Sie sind da in keiner guten Position, Herr Kollege Hampel. Sie sollten in Ihrer eigenen Fraktion mal für Ordnung sorgen
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und dafür, dass nicht mit diesen Massenmördern verkehrt wird, bevor Sie uns hier im Deutschen Bundestag moralische Vorhaltungen machen. Ich glaube, das wäre angebracht.
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Ich möchte dem Außenminister sehr herzlich danken, der sich in diesem Sommer mehrfach auch zu internationalen Fragen schriftlich und mündlich geäußert hat,
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ihn im Übrigen ermutigen, das des Öfteren im Plenum des Deutschen Bundestages zu machen. Ein großer Erfolg, Herr Minister, für uns alle zusammen ist in der Tat die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Das wird von Deutschland zwar turnusgemäß beantragt; dass das aber gelungen ist und dazu noch mit einem so guten Stimmergebnis, ist ein Erfolg unserer Außenpolitik. Ich möchte allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen Amts und Ihnen, Herr Minister, dafür herzlich danken und Ihnen gratulieren und zu den Auftaktworten sagen: Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt Sie bei der Arbeit im UN-Sicherheitsrat und ist sich gewiss, dass auf uns große Aufgaben international zukommen. Die haben Sie richtig beschrieben. Also, herzlichen Glückwunsch zu diesem Auftakterfolg!
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Sie haben zu Recht gesagt, dass wir – ich will das in der Beschreibung nicht wiederholen – Antworten finden müssen auf ein Verhalten der Vereinigten Staaten, was wir in der Vergangenheit – jedenfalls in der Person des Herrn Präsidenten – so nicht kannten. Sie haben zu Recht gesagt: Darauf muss Europa reagieren, darauf müssen wir multilateral reagieren und etwas dafür tun, den Multilateralismus aufrechtzuerhalten. – Abstrakt betrachtet ist das alles in Ordnung, aber es wird natürlich alles konkret, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. Vor diesem Hintergrund müssen wir darüber sprechen, ob wir uns da noch einig sind und ob auch wir bereit sind, das, was konsensfähig ist, mitzutragen.
Wenn man für Multilateralismus ist, dann ist man ja unter anderem dafür, dass die NATO erhalten bleibt; dann muss man die NATO unterstützen. Ich rufe in Erinnerung, was Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende der Münchener Sicherheitskonferenz,
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im letzten „Spiegel“, wie ich finde, ganz treffend gesagt hat, und zitiere – mit Genehmigung des Herrn Präsidenten –:
Und wenn wir die NATO erhalten wollen, dann ist es falsch, wenn wir mit gentlemanartiger Nonchalance so tun, als wäre das 2‑Prozent-Ziel von uns nie mitbeschlossen worden.
Wir sind aufgefordert, dieses 2‑Prozent-Ziel für 2024 zu erreichen. Ich muss feststellen – auch die Regierungsfraktionen kontrollieren die Regierung, die sie selber gewählt haben und unterstützen –, dass die mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung – über die wird heute ja auch diskutiert – dem 2‑Prozent-Ziel in keiner Weise entspricht. Dazu sage ich: Wir als CDU/CSU-Fraktion erwarten, dass hier nachgebessert wird. Wir fühlen uns diesem Ziel ernsthaft verpflichtet, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Ein weiterer Punkt. Wenn wir von Europe united sprechen, dürfen wir nicht voraussetzen, dass das nur nach unseren Maßstäben geschieht, sondern dann müssen wir auch akzeptieren, dass andere andere Maßstäbe anlegen, zum Beispiel bei der empfindlichen Frage von Rüstungsexporten; ich könnte auch andere Fragen ansprechen, die meine Fraktion betreffen. Man muss sich schon fragen, ob es einem Europe united entspricht, dass wir eine restriktive Rüstungsexportpolitik vorgeben, die andere befreundete Staaten, wie beispielsweise Frankreich und England, in dieser Form nicht mitmachen wollen. Können wir uns so Europe united vorstellen? Nein, auch wir müssen bereit sein, an dieser Stelle eigene Positionen aufzugeben und sie infrage zu stellen.
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Das gilt in der Tat auch für die schwierige Frage – das will ich zur Sache sagen – eines möglichen Giftgaseinsatzes in Syrien. Giftgas ist eine der schrecklichsten Waffen, die die Menschheit kennt. Wir müssen jede politische Regung unterlassen, die Herrn Assad ermutigen könnte, dieses Giftgas noch einmal zum Einsatz zu bringen. Deswegen müssen die Entschlossenheit und das Zusammenstehen des westlichen Bündnisses hierbei außer Frage stehen.
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Die Vereinigten Staaten und unsere engsten Verbündeten in Europa, England und Frankreich, haben erklärt, dass sie Reaktionen folgen lassen würden. Deutschland darf dann nicht von vornherein sagen: Wir machen da mal wieder nicht mit.
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Das, Herr Minister Maas, wäre nicht Europe united. Wir müssen da dann auch zusammenstehen.
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Herr Kollege Dr. Wadephul, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Linksfraktion?
Ja.
Vielen Dank, Herr Wadephul, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. – Sie haben hier bezüglich der Rüstungsexportpolitik einen Widerspruch zwischen Ihrer Fraktion und der SPD-Fraktion und dem Außenminister aufgemacht. Ich verstehe Koalitionsverträge so, dass sie definieren, was man gemeinsam in einer Koalition erreichen will. In ihrem Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und SPD verabredet, dass keine Waffen mehr an die Länder exportiert werden sollen, die am Jemen-Krieg beteiligt sind, und dass diese restriktive Rüstungspolitik künftig auch auf europäischer Ebene gemacht werden soll. Hier haben Sie jetzt das Gegenteil beschrieben. Ist das ein Abschied vom Koalitionsvertrag – wir müssen Sie dann nicht löchern, warum Sie Ihren Koalitionsvertrag nicht einhalten, wenn Sie ihn aufgekündigt haben –, oder wie ist das zu verstehen?
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Sie wissen, dass ich weder die Kompetenz noch die Absicht habe, den Koalitionsvertrag infrage zu stellen. Ich weise nur darauf hin, dass man nicht das Ziel vorgeben kann, auf europäischer Ebene enger und geschlossener zusammenarbeiten zu wollen, und gleichzeitig den europäischen Partnern unter anderem auf dem Umweg über den Koalitionsvertrag das vorgeben zu können meint, was sie mitmachen oder nicht mitmachen sollten.
Wenn Deutschlands Zukunft – da gebe ich dem Außenminister recht; das ist, glaube ich, Konsens über viele Fraktionen hinweg – entscheidend von einem geeinten Europa abhängt, dann müssen die Koalition und alle anderen politischen Kräfte in Deutschland wissen, dass man dem zum Teil auch deutsche Meinungsbildung unterordnen und sich an anderen Maßstäben orientieren muss.
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Dann darf man nicht sagen: „Wir machen Europe united, aber nur das, was wir politisch für richtig halten“, sondern wir müssen uns immer vor Augen halten, dass es auch in anderen Politikfeldern in Europa – da könnte ich die Flüchtlingspolitik oder die Fiskalpolitik nennen; das betrifft unterschiedliche politische Kräfte hier im Haus – andere Meinungen gibt. Ich weise nur darauf hin: Wer Europe united will, muss auch bereit sein, deutsche Interessen dem dann unterzuordnen, sonst ist er kein echter Europäer. Das ist meine Meinung dazu.
({1})
Deswegen bringt es uns relativ wenig weiter, wenn wir sagen: Wir sind für ein geeintes Europa und stellen SWIFT infrage. – Das ist auch kurzfristig, glaube ich, überhaupt nicht ersetzbar. Vielmehr müssen wir uns an die schwierigen politischen Fragen heranmachen und versuchen, dort Einigkeit herzustellen.
Ich komme zu meinem letzten Punkt. Natürlich sind wir alle für ein stärkeres Europa und werden dafür alles tun. Sich gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika abzugrenzen und zu zeigen, wo wir einen anderen Standpunkt einnehmen, ist auch richtig. Aber den Vereinigten Staaten von Amerika ernsthaft rote Linien aufzeigen zu wollen und zu sagen, wir würden sie ausbalancieren – das hieße ja, dass wir das, was die Vereinigten Staaten von Amerika an Sicherheit für Europa schaffen, in irgendeiner Form auch gewährleisten könnten –, halte ich offen gestanden für vermessen.
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Die Vereinigten Staaten von Amerika haben uns mit anderen vom Nationalsozialismus befreit. Sie waren es, die entscheidend zur deutschen Wiedervereinigung beigetragen haben. Sie sind nach wie vor unser größter und wichtigster Wirtschaftspartner in der Welt – bei allem, was wir an der Handelspolitik zu kritisieren haben. Die Vereinigten Staaten gewährleisten – im Ernst – noch heute, dass Europa frei ist. Herr Minister, zu den Sorgen und Nöten, die Sie angesprochen haben, sage ich: Russische Rechtsverletzungen und chinesischen Machtanspruch ausbalancieren, das können am Ende nur die Vereinigten Staaten von Amerika. Deswegen sollten unsere Freundschaft und unsere enge Partnerschaft zu Amerika trotz alledem nie infrage gestellt werden.
Herzlichen Dank.
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Wadepfuhl. – Als Nächstes spricht für die Freien Demokraten der Kollege Michael Link.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade hören wir aus dem Europäischen Parlament, dass vor wenigen Minuten das EP für die Einleitung des Rechtsstaatsverfahrens gestimmt hat.
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Ich finde, das ist eine sehr gute Nachricht, dass die Kolleginnen und Kollegen im EP das gemacht haben. Das ist ein wichtiger, klarer Schritt. Wir haben auch gegenüber dem ungarischen Volk gerade aus Dankbarkeit für das, was sie im Kampf um den Fall des Eisernen Vorhangs getan haben, eine Verantwortung, jetzt genau hinzuschauen, was in ihrem Land geschieht. Deshalb ist das eine sehr gute Entscheidung. Wir als Freie Demokraten wie viele andere Kolleginnen und Kollegen im Hause begrüßen das.
Viele weitere politische Dinge wären zu erwähnen. Die Versuchung ist groß, jetzt, wo wir über den Etat des Auswärtigen Amtes reden, auf die EU oder auf Syrien einzugehen, Herr Minister. Aber einmal im Jahr reden wir über den Haushalt. Deshalb werde ich der Versuchung jetzt nicht nachgeben, über Syrien oder andere Dinge zu sprechen; denn wir müssen über den Haushalt reden. Sie haben es nicht getan.
Wir müssen dringend darüber reden, dass das, was Sie einfordern und anmahnen, nämlich Multilateralismus zu verteidigen, einen personell, finanziell, technisch bestens ausgestatteten diplomatischen Dienst erfordert.
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Es braucht einen Dienst, der in seinen Kernkompetenzen gestärkt wird und nicht immer nur neue Aufgaben dazubekommt, so wichtig und richtig sie sind. Wir brauchen einen Auswärtigen Dienst, der sich mit den anderen Akteuren im deutschen Außenhandel engstmöglich vernetzt. Da ist in vielen Bereichen Fehlanzeige, Herr Minister, wenn ich mir diesen Haushaltsentwurf des Ministeriums anschaue. Er bleibt hinter den Bedürfnissen der deutschen Diplomatie eindeutig zurück. Das Auswärtige Amt ist haushälterisch nicht gut aufgestellt.
Ich frage mich, wie Sie es als Minister akzeptieren können, dass nach kosmetischen Aufwüchsen in diesem Jahr, die jedoch durch die deutschen Pflichtbeiträge für die UN mehr als weggefressen werden, der Haushalt für Ihr Haus ab 2020 sinken soll. 2020, war da was? Deutschland hat dann einen Sitz im UN-Sicherheitsrat und übernimmt die EU-Präsidentschaft. Herr Minister, das passt hinten und vorne nicht zusammen.
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Stichwort: Abstimmung in der Bundesregierung. Die interne Ausgabenkontrolle der Bundesregierung – sehr spannend, sehr lesenswert –, die sogenannte Spending-Review, hat gezeigt, dass gewaltiger Verbesserungsbedarf bei der Abstimmung zwischen den Häusern besteht – besonders beim Entwicklungsministerium. Sie sollen sich nicht gegenseitig Konkurrenz machen; sie sollen zusammenarbeiten.
Stichwort: Personal. Dabei geht es nicht einfach um den bequemen Ruf nach mehr Mitteln. Nein, es geht darum, die vorhandenen freien Stellen endlich zu besetzen, das Personal und die Mittel auch an der richtigen Stelle einzusetzen und die gesetzlich vorgesehene Personalreserve für den Auswärtigen Dienst zu schaffen. Es ist höchste Zeit, in die Substanz der deutschen Diplomatie zu investieren; sonst bricht der Boden weg.
Stichwort: humanitäre Hilfe und Krisenbekämpfung. Die Mittel sind gewaltig gestiegen – zu Recht. Aber sind gleichzeitig auch die Strukturen des Auswärtigen Amtes gestärkt worden? Nein. Die Folgen sind Personalmangel, Überlastung und vom Rechnungshof zu Recht gerügte erhebliche Mängel bei der Mittelbewirtschaftung. Während die Mittel für die Krisenbekämpfung steigen, kommt das AA mit der Bewirtschaftung teilweise nicht hinterher – nicht, weil es nicht will oder nicht könnte, sondern weil ihm die Mittel fehlen und weil der Bereich der Personal- und Sachkosten dramatisch unterfinanziert ist.
All das müssen wir in der Haushaltsdebatte ansprechen. Wir haben es, Herr Minister, mit einer veritablen Ausstattungskrise des AA zu tun. Die kann man übrigens nicht immer nur auf das angeblich knauserige BMF schieben; man muss auch die eigenen Hausaufgaben machen.
Die Besetzung von Auslandsposten wird zunehmend schwerer. Was tun Sie für die Rahmenbedingungen für die Angehörigen des Auswärtigen Dienstes? Ich nenne das Stichwort „mitausreisende Partner“. Wie stoppen Sie den Trend, dass im AA Stück für Stück mehr Leute im Inland arbeiten als im Ausland? Wie schließen Sie die ab spätestens 2020 bestehenden Lücken bei der Sicherheitsausstattung der Botschaften? Wie steht es um die IT-Ausstattung und die Digitalisierung des AA? Wenn die Modernisierung in dem Tempo weitergeht, dann bleibt die Renovierung des hauseigenen Paternosters für lange Zeit die größte Innovation.
Ganz im Ernst: Ein besonders trauriges Beispiel für suboptimale Bewirtschaftung ist die Visabearbeitung.
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Hier kommt es in einigen Botschaften zu Wartezeiten von bis zu einem Jahr. Diese beziehen sich nicht auf die Bearbeitung, sondern auf den Zeitraum bis zur Terminvergabe.
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Und dann klagen wir – zu Recht – über die fehlenden Kräfte auf unserem Arbeitsmarkt. Das kann doch so nicht zusammenpassen.
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Wir brauchen ein smartes Ressourcenmanagement in diesen Fällen. Und deshalb wird es eben ohne eine Aufstockung und Steigerung der personellen, finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten des Amtes nicht gehen.
Ein besserer Haushalt für das AA ist das eine. Ich habe schon etwas dazu gesagt, was für eine bessere Abstimmung in der Bundesregierung getan werden müsste. Wir – der Kollege Lambsdorff wird dazu noch mehr sagen – treten ganz bestimmt für diesen vernetzten Ansatz ein, den ich zwar in Ihrem Koalitionsvertrag finde, aber nicht in der Realität. Wir buchstabieren ihn aus und sagen: Die drei berühmten „D“ – Diplomacy, Defense, Development, also Diplomatie, Verteidigung und Entwicklung – müssen zusammengedacht werden. Sie müssen enger zusammenarbeiten. Wir streben dafür einen schrittweisen Aufwuchs für diesen Bereich unseres Etats auf 3 Prozent des BIP an.
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Parallel dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir auch die Strukturen für die Abstimmung mit der EU verbessern; das muss Hand in Hand gehen, sonst hat es keinen Sinn. Dort stehen parallel zu unseren Haushaltsberatungen die Verhandlungen über neue Haushaltsverfahren an. Auch dort geht es um die Abstimmung zwischen dem Bereich Entwicklung und den militärischen Möglichkeiten – Stichwort EAD und Frontex. Auch da müssen wir mehr investieren.
Das ist viel Kritik, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Herr Kollege!
Wir werden diese Kritik mit eigenen Vorschlägen in den Haushaltsberatungen unterlegen. Wir wollen das Auswärtige Amt und überhaupt den deutschen Außenauftritt gemeinsam stärken. Aber lassen Sie uns bei aller Kritik nicht vergessen, zu danken. Wir wollen den Angehörigen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes für ihren Dienst an Deutschland und für Deutschland ganz herzlich danken.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Als Nächstes erhält das Wort für die Fraktion Die Linke der Kollege Dr. Gregor Gysi.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung strebt mit aller Macht nach einer größeren außenpolitischen Rolle Deutschlands. Sie freut sich über den Sitz im UN-Sicherheitsrat ab 2019 für zwei Jahre. Sie möchte gerne den nächsten Präsidenten der EU-Kommission stellen. Deutschland soll der Stationierungsort für ein neues NATO-Kommando werden, mit dem eine Truppenpräsenz bis zur russischen Grenze organisiert wird. Es gibt eine massive Aufrüstung der Bundeswehr, um künftig direkt und voll international mitmischen zu können. Und es gibt steigende Rüstungsexporte.
Auf die entscheidende Frage allerdings, wie die außenpolitische Rolle Deutschlands eigentlich aussehen soll, bekommt man nur als Antwort, dass Deutschland seine Zurückhaltung auch militärisch aufgeben und überall mitmischen solle, um ernster genommen zu werden. Man hört nichts von Diplomatie, Völkerrecht, Entspannung. Damit aber machen Sie Deutschland zum Teil des Problems und nicht der Lösung.
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Nach dem Ende des Kalten Krieges haben die früheren neutralen Staaten wie Finnland und Schweden ihre Vermittlerrolle aufgegeben. Wer übernimmt jetzt eigentlich die Vermittlung? Wäre das nicht eine Rolle für Deutschland?
Es geht nicht darum, Russlands zum Teil imperiale Absichten gutzuheißen oder die Menschenrechtsentwicklung nicht zu kritisieren. Aber nach Jahren mit Sanktionen und Truppenaufmärschen sollte doch klar werden, dass man damit nur das Gegenteil erreicht.
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Wie wollen Sie zwischen Russland und der Ukraine vermitteln, wenn Sie ein Verfechter der Sanktionen sind? Was wir brauchen, ist Wandel durch Annäherung, wie es einmal genannt wurde. Übrigens fällt natürlich auch auf, dass Sie niemals Sanktionen gegen völkerrechtsverletzende, kriegführende Staaten wie die USA und die Türkei beschließen. Sehr einseitig!
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Ich hoffe sehr, dass es gelingt, eine humanitäre Katastrophe in Syrien zu verhindern. Aber der Wunsch von Frau von der Leyen, die Bundeswehr nun auch noch in Syrien einmarschieren zu lassen, ist so abenteuerlich, dass ich hoffe, dass die SPD ausnahmsweise einmal bei ihrem Nein in der Koalition bleibt. Aber sie schwankt ja schon. Ich sage, Herr Schulz: Sie schwankt ja schon.
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Wir waren im Bundestag die einzige Fraktion, die gegen die Beteiligung der Bundeswehr am Afghanistan-Krieg war. Heute wissen alle Abgeordneten im Bundestag, dass wir recht hatten.
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Übrigens: Ist Ihnen mal aufgefallen, dass es im Nahen Osten nur drei säkulare Staaten mit einer Trennung von Politik und Kirche gab, während die anderen islamisch oder sogar islamistisch sind? Diese drei Staaten sind der Irak, Libyen und Syrien. Alle drei sind kaputt. Es lohnt sich, einmal darüber nachzudenken.
Es scheint, als ob die Tradition einer solchen Außenpolitik, die von den Ostverträgen bis zur deutschen Einheit führte, vollkommen überwunden worden ist. Das Duckmäusertum gegenüber der US-Administration und die Unlogik im Umgang mit verschiedenen Konflikten machen die Regierung immer unglaubwürdiger.
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Den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien haben Sie mit der Verletzung von Menschenrechten im Kosovo begründet. Heute liefern Sie immer mehr Waffen an das menschenrechtsverletzende Land Saudi-Arabien, das damit auch noch einen Krieg im Jemen führt. Sie benutzen die Argumente immer, wie Sie meinen, sie gerade zu benötigen.
Die USA führen gegen China, die EU und andere einen Handelskrieg. China traf dann allerdings Trump, weil es Zölle auf die genmanipulierten Sojabohnen erhob. Das hätte die amerikanische Landwirtschaft schwer getroffen und ihn, Trump, Stimmen gekostet. Sofort reiste Juncker, auch im Auftrag der Bundesregierung, in die USA und erklärte, dass Europa die genmanipulierten Sojabohnen abnehmen wird. Statt gemeinsam den Handelskrieg abzuwehren, lassen Sie sich teilen und beherrschen.
({6})
Übrigens reichen mir die Sojabohnen in meinem Supermarkt, und genmanipulierte sind bei uns ohnehin verboten. Wir brauchen sie zusätzlich auf gar keinen Fall.
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Unglaubwürdig ist auch, dass Sie das Kosovo von Serbien ohne Genehmigung des Zentralstaates trennten und eine Trennung in anderen Fällen scharf kritisieren. Ja was denn nun? Merken Sie das denn gar nicht?
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Im Nordirak besuchte ich in der letzten Legislaturperiode zusammen mit dem deutschen Generalkonsul ein Flüchtlingslager. Die Mädchen weinten, und zwar deshalb, weil der einzige Lehrer, den sie hatten, ging, weil die UN keine 50 Dollar mehr pro Woche hatten, um ihn zu bezahlen. Ich habe das der Bundesregierung geschrieben. Es hat sie nicht beeindruckt.
Herr Kollege Dr. Gysi, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Ja.
Verehrter Kollege Gysi, Sie haben an zwei Stellen zum Kosovo ausgeführt. Sie haben zunächst gesagt, dass der Hintergrund für die Luftschläge Menschenrechtsverletzungen gewesen seien. Stimmen Sie mir in der Auffassung zu, dass im Kosovo ein Genozid im Gange war, der gestoppt werden musste, und nicht nur irgendwelche Menschenrechtsverletzungen, wie sie jeden Tag auch in einem russischen oder weißrussischen Gefängnis vorkommen?
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Sie haben dann gesagt, die Abtrennung wäre von uns, von der Regierung betrieben worden und an anderen Stellen würden wir nicht so handeln. Ich würde Sie gerne fragen: Was meinten Sie damit? Welche Abtrennung wird denn von Deutschland aus Ihrer Sicht zu Unrecht kritisiert? Welche Abtrennung eines Teils von einem Land wird aus Ihrer Sicht zu Unrecht von Deutschland hart kritisiert? Ich habe die Position der Linksfraktion immer so wahrgenommen, dass sie die Abtrennung der Krim, die Annexion der Krim für völkerrechtswidrig hält. Ich würde Sie bitten, das hier ausdrücklich klarzustellen.
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Also, zur ersten Frage. Es gab im Kosovo schlimme Menschenrechtsverletzungen, auch Tötungen. Ab wann man von einem Genozid spricht, ist zwischen den Wissenschaftlern sehr umstritten. Aber das ist auch gar nicht wichtig.
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Ich habe ja gesagt, dass Sie das darauf gestützt haben. Aber jetzt liefern Sie Waffen, und zwar immer mehr Waffen an Saudi-Arabien, das die Menschenrechte täglich verletzt und Krieg im Jemen führt. Das ist Ihre Unlogik, die Sie nicht erklären können.
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Das Zweite. Die Trennung ohne Genehmigung des Zentralstaates ist immer völkerrechtswidrig.
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Sie war bei Serbien völkerrechtswidrig, sie ist durch Russland bei der Krim völkerrechtswidrig. Ich habe das auch den Kurdinnen und Kurden im Nordirak erklärt. Ich habe es auch den Katalanen erklärt. Wissen Sie, worauf sich alle stützen? Auf das Kosovo. Die sagen immer: Da ging es doch auch. Warum soll es nicht bei uns gehen? – Das war Ihr Fehler.
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Ich habe Ihnen damals hier im Bundestag gesagt, dass Sie ein schwerwiegendes völkerrechtswidriges Beispiel schaffen, auf das sich andere berufen werden. Genauso ist es auch gekommen.
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Jetzt aber zurück. In der Regierungserklärung hat Frau Bundeskanzlerin Merkel gesagt: Ja, wir haben zu wenig Geld an die UN-Hilfsorganisationen gegeben. – Und sie hat jetzt Afrika und den Libanon besucht. Übrigens: Im Libanon gibt es pro 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner 164 Flüchtlinge, in Deutschland 12. Wir haben pro Einwohnerinnen und Einwohner das vierfache Bruttoinlandsprodukt.
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Noch nie haben Sie sich um den Libanon gekümmert. Dafür sollten Sie sich einmal schämen.
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Abgesehen davon – ich bin gleich fertig –: Jetzt fährt die Bundeskanzlerin dorthin. Warum werden Sie nie vorbeugend tätig, sondern erst dann, wenn so viele Flüchtlinge kommen?
Zum Schluss sage ich Ihnen noch etwas: Fällt Ihnen nicht auf, dass ein Freihandelsabkommen, wonach ein afrikanisches Land alles zollfrei nach Deutschland und Deutschland alles zollfrei in das afrikanische Land liefern darf, mehr als unfair ist? Müssen wir nicht hier die Politik wirklich ändern?
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Herr Kollege, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.
Ein letzter Satz. – Zur Türkei wird die Abgeordnete Dağdelen sprechen. Letztlich noch ein Hinweis zu Europa.
Nein, Herr Kollege, Ihre Redezeit ist wirklich deutlich überschritten.
Wie bitte?
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Also einen Satz.
Ich will nur, dass wir für die Jugend die europäische Integration retten, aber die EU deutlich und scharf reformieren, sonst geht das Ganze kaputt.
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Als Nächstes spricht zu uns die Kollegin Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Jetzt stehe ich hier an diesem Pult leider als Haushälterin und nicht als Außenpolitikerin. Ich habe aber schon zwei Erkenntnisse gewonnen. In jeder Rede wurde einmal die Situation auf dem Globus umrissen mit einer differenzierten Analyse. Die zweite Erkenntnis ist: Wir brauchen mehr Diplomatie denn je, wenn die deutsche Außenpolitik im Ausland erfolgreich sein soll.
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Dann komme ich ganz schnell wieder zum Etat. Dort finden Sie die Antworten auf die zu klärenden Fragen. Ich muss hier die Beobachtung meines Kollegen Link, der auch Haushälter ist, bestätigen und will mit einem Beispiel anfangen, das noch nicht einmal den kommenden Etat betrifft, sondern den Etat 2018, also den für dieses Jahr. Wir haben ihn erst vor kurzem verabschiedet, wohl wissend, in welcher Komplexität die Weltlage steckt und wo die Konflikte sind.
Die erste Feststellung kurz nach der Sommerpause ist also, dass dieser Etat ausgerechnet dort, wo das Auswärtige Amt eine der wichtigsten Aufgaben überhaupt hat, kürzt, nämlich bei der humanitären Hilfe des UNHCR. Für die humanitäre Hilfe des UNHCR werden im jetzigen Etat 2018 circa 150 Millionen Dollar weniger zur Verfügung stehen als im Vergleich zum Vorjahr, und damit auch weniger für seine humanitäre Syrien-Hilfe. Angesichts der Tatsache – das ist in allen Reden vorgekommen –, wie brenzlig die Situation vor Ort ist, wie dieser Konflikt zunimmt und sich zuspitzt und dass davon 3 Millionen Zivilisten betroffen sind, ist es beschämend, dass aus Deutschland die Nachricht und das Signal ausgehen, dass wir ausgerechnet hier bei der humanitären Hilfe trotz des großen Bedarfs weniger als im Vorjahr zur Verfügung stellen.
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Das darf nicht sein. Hier brauchen wir eine Korrektur. Nehmen Sie etwas von dieser Debatte mit, Herr Minister.
Herr Wadephul, Sie haben in Ihrer Rede die Finanzplanung angesprochen. Ja, auch wir haben es in den letzten Reden mehrfach angesprochen. Es hat sich nur nichts geändert. Diese Finanzplanung ist ja nicht irgendwie eine Blumenwiese, wo man mal ein bisschen mehr oder weniger einstellt, sondern das ist die Grundlage der Planbarkeit der zukünftigen Aufstellung der politischen Arbeit.
Der Etat nimmt um 530 Millionen Euro im Jahr 2020 ab, 720 Millionen Euro im Jahr darauf, und so geht das weiter. Das ist vollkommen utopisch. Wo soll denn das Amt dieses Geld einsparen? Am Ende können Sie es doch nur dort kürzen, wo es wirklich wehtut. Wollen wir das? Können wir das? Dürfen wir das? Ich sage: Nein, genau das dürfen wir nicht.
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Die Aufgaben, die auf uns zukommen, werden uns etwas kosten. Ich nenne Ihnen da den nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat oder die EU-Ratspräsidentschaft; diese sind benannt. Aber ich sage auch: Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist doch das, was das Bild Deutschlands nach außen prägt. Das sind doch unsere Visitenkarten im Ausland. Das gilt auch für die Klimadiplomatie. Das gilt auch für die IT-Sicherheit. Da geht es nicht nur um neue Computer, da geht es auch um vieles mehr, das daran hängt. Hier sind wir geradezu in der Pflicht, mehr zu investieren.
Es geht auch um den Mittelbedarf für die Sicherheit von Diplomatinnen und Diplomaten im Ausland.
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Wir können es doch nicht darauf ankommen lassen, dass wieder ein Anschlag passiert, bevor wir in die Puschen kommen und diesen Auftrag ernst nehmen. Hier sind wir in der Verantwortung.
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Sie sagen im Koalitionsvertrag, die Ausgaben für Verteidigung und Außen- und Entwicklungspolitik sollen in den nächsten Jahren eins zu eins gesteigert werden. Sie haben Ihr Versprechen gebrochen; denn wir reden schon längst nicht mehr über diese Wahlperiode, sondern wir reden über die kommende Zeit. Unsere Anfragen an die betroffenen Ministerien haben eines gezeigt: Sie biegen die Zahlen bis zum Brechen, damit die Zahlen am Ende irgendwie passen. Ob am Ende ein Eins-zu-Eins herauskommt, ist ungewiss. Das Einzige, was gewiss ist, ist, dass das Ministerium von Frau von der Leyen mehr Geld kriegen wird. Was mit den anderen zwei Ministerien – dem Auswärtigen Amt und dem Entwicklungsministerium – passiert, ist noch unsicher. Ich finde, es täte Ihnen gut, wenn Sie sich mal an Ihre Versprechen hielten, die Sie geben. An dieser Stelle ist es mehr als notwendig, dass Sie das tun.
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Es gibt aber auch erfreuliche Sachen. Sie erhöhen zum Beispiel die Flexibilität im Bereich des Internationalen Roten Kreuz. Hier haben Sie unsere Unterstützung. Das Auswärtige Amt hat definitiv auch unsere Unterstützung, wenn es um Personal geht. In manchen Ländern warten die Leute nicht ein Jahr, sondern zweieinhalb Jahre, um überhaupt einen Termin für die Beantragung eines Visums zu erhalten. Da reden wir noch nicht einmal über die Erteilung eines Visums. Viele Institutionen, die vom Auswärtigen Amt unterstützt werden, bangen um ihre Existenz und sind sich nicht sicher, ob sie die Qualität ihrer Arbeit gewährleisten können, wenn sie nicht mehr Personal bekommen.
Frau Kollegin.
Das ist mein letzter Satz. – Ich nenne Ihnen da ein paar: das Deutsche Archäologische Institut, das Zentrum für Osteuropa- und Internationale Studien und das Institut für Auslandsbeziehungen. Es reicht nicht, nur danach zu rufen, sondern wir müssen diese Mittel auch einstellen.
Herr Minister, Sie haben ein SPD-Parteibuch, der Finanzminister auch. Ich finde, an dieser Stelle sollten Sie auch die SPD-Politik ernst nehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Herausforderungen sind da, aber es hilft nicht, sie nur zu analysieren, sondern wir müssen auch handeln.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes hat für die SPD-Fraktion der Kollege Dr. Nils Schmid das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich, festzustellen, dass in diesem Hohen Hause ein großer Konsens darüber besteht, dass Europa sein Schicksal selber und verstärkt in die Hand nehmen muss. Es ist ein Verdienst von Bundesaußenminister Heiko Maas, dies konzeptionell und auch praktisch voranzutreiben und anzupacken.
Diese Realität ist nicht eine, die allein auf eine personelle Veränderung im Weißen Haus zurückzuführen ist. Vielmehr hat der Rückzug der Vereinigten Staaten aus der multilateralen Ordnung schon früher begonnen. Ich erinnere daran, dass der Senat eine Reihe von internationalen Abkommen, angefangen beim Kyoto-Protokoll bis zum Statut über die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs, nicht ratifiziert hat,
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lange bevor Herr Trump das Weiße Haus erobert hat.
Deshalb ist es auch kein Zeichen dafür, dass wir uns von Amerika abwenden oder gar einen Graben zwischen Europa und Amerika errichten wollen, wenn wir als Europäer eigene Institutionen und Verfahrensweisen schaffen. Denn das eine ist das breite Wertefundament, das andere ist aber, dass wir schon seit Jahrzehnten immer wieder feststellen durften, dass es beispielsweise in Handels- oder Wirtschaftsfragen unterschiedliche Interessen gibt und es selbstverständlich notwendig ist, dass Europa dann gemeinsam seine Interessen auch gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika kraftvoll vertritt. Deshalb ist die Antwort, eine Allianz der Multilateralisten zu bilden, richtig, und deshalb ist es richtig, dass wir im Gegensatz zu „America first“ oder auch „Russia first“ hier als Leitlinie deutscher Außenpolitik „Europe united“ ausgeben.
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Wenn wir jetzt über die aktuelle Lage in Syrien reden, will ich, gerade auch an die Kollegen in der Unionsfraktion gerichtet, sagen: Die Frage von Militärschlägen in Syrien ist jetzt nicht gerade der Testfall für „Europe united“,
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sondern ganz im Gegenteil, meine sehr verehrten Damen und Herren. Der amerikanische Botschafter lässt über die „Bild“-Zeitung verkünden, die USA würden Militärschläge vorbereiten und es würde geprüft, ob Deutschland sich beteiligen solle. Ich frage Sie, liebe Kollegen von der CDU/CSU: Was hat das mit „Europe united“ zu tun? Was hat es mit „Europe united“ zu tun, wenn in der amerikanischen Regierung darüber geredet wird, das Gleiche zu veranstalten, was man im Frühjahr schon mal veranstaltet hat, nämlich dass man zusammen mit ausgewählten Partnern, darunter auch europäische Partner, einen Militärschlag durchführt, der übrigens an der Situation in Syrien danach gar nichts geändert hat, der völlig folgenlos für die geschundene Zivilbevölkerung geblieben ist?
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Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren gerade von der Union – ich habe auch Stimmen aus der FDP in diese Richtung gehört –: Bitte erheben Sie die Frage einer möglichen militärischen Beteiligung an einem möglichen Militärschlag der Amerikaner in Syrien nicht zum Testfall für „Europe united“. Es ist genau das Gegenteil.
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Und dann will ich noch mal darauf hinweisen: Gerade wer den Multilateralismus stärken will, wer die regelbasierte Weltordnung stärken will, der muss natürlich auf die Einhaltung des Völkerrechts pochen,
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und zwar in allen Fällen. Wir haben das ja gemeinsam bei der Frage des türkischen Militäreinsatzes in Afrin getan. Für die SPD-Fraktion ist klar – das wiederhole ich auch gerne an dieser Stelle –: Einen völkerrechts- und damit auch verfassungswidrigen Einsatz deutscher Streitkräfte bei einem solchen Militärschlag wird es nicht geben, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Stattdessen wollen wir die politische und diplomatische Vermittlung, die auch Heiko Maas in den letzten Wochen betrieben hat, unterstützen. Wir werden alles dafür tun, dass wir über solche Gespräche eine humanitäre Katastrophe in Idlib verhindern. Das sollte die Priorität deutscher Außenpolitik in dieser Frage sein.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Schmid. – Als Nächstes spricht für die AfD-Fraktion die Kollegin Dr. Birgit Malsack-Winkemann.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Wir, die AfD, sind auch beim Einzelplan Auswärtiges Amt 2019 wieder einmal der ungehörte Prophet: Von 5,7 Milliarden Euro, die als Gesamtausgaben geplant sind, sind mehr als die Hälfte dieser Ausgaben, nämlich 2,9 Milliarden Euro, über sogenannte Deckungsvermerke untereinander austausch- und vermischungsfähig. Das bedeutet, dass das für einen Titel geplante Geld genauso gut für einen anderen im Deckungsvermerk benannten Titel verwendet werden kann. Oder anders ausgedrückt: Offiziell plant und diskutiert man eine Küche, gekauft wird dann aber ein Auto. Eine Farce!
Die tatsächlich beabsichtigte Verwendung der Steuergelder wird durch die Existenz der vielen Deckungsvermerke im Unklaren gelassen – und nachdem wir, die AfD, das wiederholt angemahnt und deren Abschaffung gefordert haben, wurden die Deckungsvermerke seitens der Regierung sogar noch ausgeweitet.
Und nicht nur das! Seit 2010 hält diese Regierung – auch 2019 – an den Ausgaben für Afghanistan fest. 180 Millionen Euro Steuergelder fließen jährlich aus dem Auswärtigen Amt in den Stabilitätspakt Afghanistan, dazu 250 Millionen aus dem Ressort des BMZ, also seit 2010 insgesamt 430 Millionen Euro jährlich, und das bis 2024, ohne Kosten für die Bundeswehr. Ziel des Stabilitätspaktes ist, die politischen und staatlichen Institutionen Afghanistans einschließlich der Sicherheit und Zivilgesellschaft aufzubauen und zu stärken.
Meine Damen und Herren, was hat dieses Projekt bewirkt? Wie sieht es dort heute aus, nachdem mittlerweile über 3 Milliarden Steuergelder ausgegeben wurden? Nach dem Büro der UN für Drogen- und Verbrechensbekämpfung in Kabul hat Afghanistan 2017 mit geschätzten 9 000 Tonnen Opium die größte Schlafmohnernte seiner Geschichte erzielt, und zwar 87 Prozent mehr als 2016. Die Anbaufläche wuchs auf rund 328 000 Hektar in 2017. Das entspricht 459 000 Fußballfeldern, gleichfalls ein neuer Rekord.
In der nordafghanischen Provinz Balch, in der die Bundeswehr stationiert ist, fanden UN-Beobachter fast fünfmal so viel Schlafmohn wie 2016. Schlafmohn wird nun in 24 der 34 Provinzen Afghanistans angebaut, und 70 bis 90 Prozent des weltweiten Opiums kamen in den vergangenen Jahren von dort.
Eng verbunden mit den Drogen ist die Korruption. Afghanistan befindet sich 2017 nach dem anerkannten Korruptionsindex von Transparency International auf Platz 177 von 180 Plätzen. Die Drogengelder fließen direkt in die Korruptionsbudgets, also in die höheren Ränge von Polizei und Regierung, die gezielt wegschauen. Eine derartige Explosion des Opiumanbaus wäre sonst nicht möglich. Was haben die seit 2010 betriebenen milliardenschweren Investitionen in Afghanistan also bislang gebracht außer Rekorde in der Opiumproduktion und Rekorde bei der Korruption?
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Afghanistan ist ein schwarzes Loch für das hart erarbeitete Steuergeld unserer Bevölkerung.
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Jedenfalls aber fordern wir, die AfD, dieses schwarze Loch zu stopfen und weiteren Zahlungen, die das Gegenteil dessen bewirken, was sie bewirken sollen, einzustellen.
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Wir fordern den Ausstieg aus Afghanistan, und zwar jetzt! Wir, die AfD, fordern, dass das vom Steuerzahler hart erarbeitete Geld diesem an erster Stelle auch zugutekommt.
Wir alle wissen, dass die Pflegeversicherung mit circa 3 Milliarden Euro unterfinanziert und durch keine staatliche Säule gestützt ist und unsere Bauern für über 1 Milliarde Euro angemeldete Schäden nur rund 170 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt erhalten. Ein weiteres Höfesterben droht, ebenso eine Preisexplosion bei Grundnahrungsmitteln im Herbst und Winter dieses Jahres. Unsere Infrastruktur verkommt, unsere Schulen und Kitas sind unterfinanziert. An diesen Stellen fordert die AfD das Geld ein, das diese Regierung international hinauswirft.
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Und was für die internationalen Zahlungen gilt, gilt erst recht für die parteinahen Stiftungen Ihrer Parteien. Gleich drei verschiedene Ressorts haben die sechs politischen Stiftungen Ihrer Parteien mit insgesamt 581 Millionen Euro in 2017 gefördert.
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2018 sind es wieder einige Millionen mehr, und 2019 natürlich auch.
Und zur Verwendung dieser Hunderte Millionen Euro behauptet diese Regierung laut dem Bund der Steuerzahler, dass sie nicht wisse, welche internen Kontrollmechanismen die Stiftungen bei der Überprüfung der Mittelverwendung haben? Wissen denn die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Peter Tauber, die allesamt im Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung sitzen, hierzu nichts?
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Wenn es schon eine derartige personelle Verquickung aktiver hochrangiger CDU-Parteimitglieder mit ihrer eigenen parteinahen Stiftung gibt, die ja eigentlich von Gesetzes wegen von der Partei unabhängig sein sollte, stünde es einer Kanzlerin, einem Fraktionsvorsitzenden und einem Staatssekretär gut zu Gesicht, wenn sie wüssten, was in den von ihnen besuchten Vorstandssitzungen der Konrad-Adenauer-Stiftung zur Kontrolle der Mittelverwendung besprochen wird – was sie angeblich als Regierung nicht tun.
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Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Gleich. – Und genau deshalb sind wir, die AfD, hier im Deutschen Bundestag; denn wer so handelt, braucht sich nicht zu wundern, dass der Frust über diese Regierung ins Unermessliche steigt. Und mit Ihrer Unterstützung, verehrte Wählerinnen und Wähler, werden wir diese Missstände beseitigen.
Frau Kollegin!
Danke schön.
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Angesichts der Tatsache, dass Ihre Redezeit ohnehin zu Ende war, habe ich darauf verzichtet, Sie zu bitten, zur Sache zu sprechen.
Als Nächstes hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Gunther Krichbaum das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Malsack-Winkemann, ich glaube, Sie wären gut beraten, hinsichtlich der AfD-Finanzen mal für die erforderliche Transparenz zu sorgen, bevor Sie hier das große Wort schwingen. Ich glaube, da gibt es erheblichen Redebedarf, was Ihre Partei angeht.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat heute Morgen zu Recht darauf hingewiesen: Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Mitunter ist aber mein persönlicher Eindruck, dass nicht überall angekommen ist, dass wir diese Herausforderungen nur gemeinsam bewältigen können. Dieses „gemeinsam“ bezieht sich insbesondere auf die Europäische Union; denn wir können nur in Stabilität in der Europäischen Union leben, wenn es auch an den Außengrenzen der Europäischen Union Stabilität gibt.
Das gilt zunächst einmal für die Ukraine; denn der Ukraine-Konflikt ist in Wahrheit nicht nur ein Bürgerkrieg, sondern ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Solange Vereinbarungen, die Russland selbst eingegangen ist, gebrochen werden, so lange müssen auch die Sanktionen aufrechterhalten werden. Ich bin Außenminister Maas sehr dankbar, dass er diese Sichtweise teilt und jüngst in die Ukraine, vor allem auch in die Ostgebiete der Ukraine, gereist ist.
Wir haben die Herausforderung mit der Türkei. Wir haben eine massive Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation. Jeder hat von der Lira-Krise Notiz genommen, die letztlich auf einer Verschuldung der privaten Haushalte basiert, die zu einer Blase geführt haben.
Wir haben Syrien. Im Laufe der heutigen Debatte wurde schon einiges dazu gesagt. Herr Kollege Schmid, es geht natürlich überhaupt nicht darum, dass hier ein militärischer Erstschlag vorbereitet werden soll.
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Vielmehr geht es darum, dass wir einem womöglich stattfindenden Einsatz von C-Waffen Einhalt gebieten müssen, der völlig völkerrechtswidrig ist; darüber besteht ja Einigkeit. Ein solcher Einsatz kann letztlich natürlich nur auf Basis eines UN-Mandats erfolgen. Das Prinzip „Responsibility to Protect“, das die Briten ins Feld führen, würde nicht greifen, weil die dafür notwendigen Voraussetzungen fehlen. Es geht letztlich darum, Druck auf Russland auszuüben, damit Russland an den Verhandlungstisch zurückkehrt.
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Wir haben den Fall der USA. Wir haben einen völlig unberechenbaren amerikanischen Präsidenten. Wir haben hier vor allem ein mangelndes Bekenntnis zu multilateralen Vereinbarungen; siehe jüngst das Thema Strafzölle und den Ausstieg aus dem Klimaabkommen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke?
Im Augenblick nicht. Danke.
Dennoch müssen wir aufpassen, dass wir aufgrund all dieser Umstände die Beziehungen zu den USA nicht so verschlechtern, dass sich eine Äquidistanz herausbildet, dass es gewissermaßen gleichgültig erscheint, ob sich die Beziehungen zu Russland und den USA auf einem Niveau befinden. Das wäre ein riesengroßer Fehler. Die USA sind und bleiben unser wichtigster Bündnispartner; Kollege Wadephul hat richtigerweise darauf hingewiesen.
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Wahr ist aber auch, dass sich Europa außenpolitisch stärker emanzipieren muss, indem es gerade auf dem Feld der Außenpolitik Handlungsfähigkeit beweist. Ich will hier nicht nur PESCO nennen, sondern auch die Rede von Jean-Claude Juncker, dem Kommissionspräsidenten, aufgreifen. Er hat in seiner State-of-the-Union-Rede heute Morgen darauf hingewiesen, dass wir in der Außenpolitik neue Abstimmungsregeln brauchen, dass wir weg müssen vom Prinzip der Einstimmigkeit, hin zu einer qualifizierten Mehrheit. Wenn 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, einer Meinung sind, dann muss es möglich sein, in der Europäischen Union zu entsprechenden Entscheidungen zu kommen. Andernfalls treten wir nur auf der Stelle.
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Bei all dem gibt es natürlich auch innereuropäische Herausforderungen. Die prominenteste unter allen ist zurzeit der Brexit. Wie ist hier der Stand der Dinge? Wir verhandeln unter der sehr guten Leitung von Michel Barnier gegenwärtig das Austrittsabkommen; denn am 29. März 2019 wird Großbritannien definitiv die Europäische Union verlassen. Uns bleiben für dieses Austrittsabkommen aber lediglich noch vier bis sechs Wochen. Denn es muss anschließend noch in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ratifiziert werden, auch hier bei uns im Deutschen Bundestag. Die Zeit, Herr Kollege Graf Lambsdorff, ist dafür denkbar knapp. Das wissen wir alle.
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Nachher haben wir, was die weiteren, die ferneren Beziehungen angeht, die Entscheidung des Europäischen Parlaments. Das ist jetzt genau mein Punkt: Wir müssen aufpassen, dass es – nicht nur bei der Frage Nordirland/Irland, sondern auch bei den zukünftigen Handelsbeziehungen – keine wachsweichen Formelkompromisse gibt, weil wir dann als Deutscher Bundestag nicht mehr im Spiel wären. Denn das ist dann – in Anführungszeichen – „lediglich“ eine Entscheidung des Europäischen Parlaments. Mit 80 Prozent aller Punkte sind wir durch. Aber, wie gesagt, wir müssen aufpassen, dass es hier keine falschen Kompromisse gibt.
Was ich damit meine, ist: Gerade im Hinblick auf den Handelsbereich gelten die vier Grundfreiheiten der Europäischen Union einschließlich der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofes. Diese dürfen nicht aufgeweicht werden. Würden wir eine Aufweichung zulassen, käme es zu einer Rosinenpickerei, die uns am Ende des Tages einholen würde, genauso wie wir es analog schon einmal mit den Opt-outs erlebten, die gemacht wurden, um Einigkeit mit Großbritannien hinzubekommen, die uns aber am Ende alle eingeholt haben. Diesen Fehler dürfen wir kein zweites Mal machen.
Wir reden heute über den Bundeshaushalt 2019. Dass es durch den Austritt Großbritanniens zu finanziellen Deckungslücken kommen wird, ist jedem klar, auch bei allen Einsparungen auf der Ebene der Europäischen Union. Gleichwohl gilt natürlich, auch wenn in einer Übergangsphase von zwei Jahren bis auf Weiteres alles erst einmal so weitergehen kann, dass auch im Bundeshaushalt Vorsorge getroffen werden muss. Das jedenfalls vermisse ich beim Bundeshaushalt 2019.
Volker Kauder, unser Fraktionsvorsitzender, hat völlig recht: Nicht nur das, was wir in Deutschland geschaffen haben, kann uns mutig und zuversichtlich für die Zukunft stimmen, sondern auch das, was wir in Europa geschaffen haben, sollte uns allen Anlass sein, mit Mut und Zuversicht die vor uns liegenden Herausforderungen zu meistern.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Krichbaum. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Vogler von den Linken.
Ich möchte geschäftsleitend darauf hinweisen, dass es nicht zur Übung werden sollte, dass, wenn Zwischenfragen vom Redner nicht zugelassen werden, anschließend Kurzinterventionen folgen.
Frau Kollegin Vogler, Sie haben das Wort.
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Herr Präsident, ich danke Ihnen, dass Sie die Kurzintervention zulassen, und möchte darauf hinweisen, dass es in den letzten Jahren, in denen ich hier im Parlament war, durchaus zur Übung gehörte, so auf eine nicht zugelassene Zwischenfrage zu reagieren.
Ich möchte den Kollegen Gunther Krichbaum auf das Büchlein, das wir alle in unseren Konsolen hier liegen haben, hinweisen. Es ist das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Das sollte das sein, was uns Abgeordnete bei unserer Tätigkeit leitet. Ich möchte aus gegebenem Anlass mit Erlaubnis des Präsidenten aus dem Grundgesetz den Artikel 87a Absatz 1 und 2 zitieren. Dort heißt es:
(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.
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Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.
(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.
Herr Kollege Krichbaum, nachdem die Verteidigungsministerin Frau von der Leyen, die ja Ihrer Fraktion und Ihrer Partei angehört, geäußert hat, dass die Bundeswehr sich an einem möglichen Vergeltungsschlag für einen potenziellen Giftgasanschlag in Syrien beteiligen würde,
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ist in der Bevölkerung erhebliche Verunsicherung aufgekommen, ob und inwieweit diese Bundesregierung in der Lage und willens ist, sich an das Grundgesetz zu halten.
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Ich bin dafür, dass Sie noch einmal klar und deutlich sagen, dass ein verfassungswidriger Einsatz der deutschen Bundeswehr bei einem sogenannten Vergeltungsschlag weder die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion in diesem Hause noch die Unterstützung der von Ihnen getragenen Bundesregierung bekommen würde.
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Ich sehe, Sie wollen antworten, Herr Kollege Krichbaum.
Frau Kollegin, Sie haben ganz offensichtlich der Bundeskanzlerin nicht zugehört heute Morgen; erster Punkt.
Zweiter Punkt. Natürlich gilt es, militärische Optionen zu prüfen, und anschließend entscheidet darüber die Politik.
Dritter Punkt. Ich finde es klasse, dass Sie sich jetzt hier zur neuen Gralshüterin der Bundeswehr erklären, wo Sie doch die Bundeswehr selbst abschaffen möchten.
Herzlichen Dank.
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Als Nächster hat das Wort der Kollege Alexander Graf Lambsdorff, FDP.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Jahre nach der Wahl Donald Trumps, zwei Jahre nach dem Brexit-Referendum, kurz vor dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, drei Jahre nach dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, vier Jahre nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und im achten Jahr des syrischen Bürgerkriegs steht die Analyse fest: Wir stehen vor den größten außenpolitischen Herausforderungen seit mehr als 25 Jahren.
Gleichzeitig können wir die traditionellen Partnerschaften nicht mehr als selbstverständlich ansehen. Die multilaterale Weltordnung um uns herum ist in ihren Grundfesten erschüttert. Die OSZE steckt in einer tiefen Krise. Die Europäische Union ist im Jahr vor der Parlamentswahl in einer schwierigen Situation. Die Fonds und Programme der Vereinten Nationen sehen sich Haushaltskürzungen der Amerikaner gegenüber.
Die Amerikaner waren bisher der Garant und Vorkämpfer des Multilateralismus. Sie haben sich aus dem Pariser Klimaabkommen zurückgezogen. Sie erheben Willkürzölle, zweifeln die Legitimität der Welthandelsorganisation an, haben sich aus dem Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen, aus dem Hilfswerk für die Palästinenser, aus dem Iran-Abkommen, aus dem Menschenrechtsrat und sogar aus der UNESCO zurückgezogen.
Meine Damen und Herren, Heinrich August Winkler hat kürzlich geschrieben, dass er fürchte, mit der Krim-Krise breche das Ende des liberalen Zyklus an – liberal jetzt nicht im parteipolitischen Sinne, so sympathisch mir das wäre, sondern im Sinne der liberalen internationalen Ordnung, die regelbasiert ist und auf Multilateralismus aufbaut.
Deutschland, ein Land mit unserer Geschichte, Exportweltmeister, in der Mitte Europas, muss darauf neue Antworten finden und darf nicht im Klein-Klein der Tagespolitik stecken bleiben. Wenige Länder sind so auf regelbasierte Zusammenarbeit in multilateralen Organisationen angewiesen wie Deutschland.
Herr Maas, Sie haben das genau richtig gesagt. Sie haben hier gesagt, dass Deutschland den Multilateralismus stärken will, Sie haben gesagt, was Deutschland tun will – aber wie Sie das machen wollen, dazu haben Sie in dieser Haushaltsdebatte kein einziges Wort gesagt. Sie haben Tausende Mitarbeiter, Herr Maas, Beamte in allen Laufbahnen, Angestellte, Ortskräfte auf der ganzen Welt. Die zählen auf Sie, die zählen darauf, dass Sie für sie kämpfen. Man möchte Sie förmlich schütteln, dass Sie Ihrer Führungsverantwortung im Haushaltsverfahren mal nachkommen. Aber, meine Damen und Herren, wer sich auf Sie verlässt, lieber Herr Maas, der ist wahrlich verlassen.
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Das zeigt der Blick auf die Haushaltsplanung. Wir sehen beim Bundesverteidigungsministerium einen deutlichen Zuwachs in der Planung. Meine Fraktion unterstützt den, wir wollen die bestmögliche Ausrüstung, Ausbildung und Betreuung für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr.
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Wir sehen einen sparsameren Ansatz für die Zukunft des Entwicklungsministeriums. Beim BMZ ist schon relativ viel Geld. Wir sind der Meinung, da sind noch große Effizienzreserven, die man nutzen kann. Aber während wir Zuwächse beim Verteidigungsministerium und einen verantwortungsvollen Ansatz beim Entwicklungsministerium haben, müssen wir feststellen, dass es beim Auswärtigen Amt richtig schlecht aussieht: Mit einem Volumen von ungefähr 5,5 Milliarden Euro steht dem Auswärtigen Amt erheblich weniger Geld zur Verfügung als beiden anderen Ministerien, und der Ansatz soll sogar noch weiter sinken. Machen Sie sich bitte mal eines klar: Allein die Steigerung des Verteidigungshaushaltes von 2017 bis 2019 ist höher als der gesamte Haushalt des Auswärtigen Amtes. Meine Damen und Herren, dabei kann es nicht bleiben; denn die Diplomatie ist unsere erste Verteidigungslinie.
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Wenn Diplomaten erfolgreich sind, brauchen Sie weniger Soldaten im Einsatz. Deswegen steht die Fraktion der Freien Demokraten für Aufwüchse im Einzelplan 05, beim Auswärtigen Amt. In Diplomatie zu investieren, heißt, in Frieden zu investieren.
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Es ist mir völlig unverständlich, warum das Auswärtige Amt in dieser Bundesregierung wie ein Stiefkind betrachtet wird. Im BMF steigen die Personalkosten erneut um 10 Prozent, gegenüber 2016 sogar um über 20 Prozent. Das Budget für die Personal- und Sachkosten im Auswärtigen Amt steigt nicht nur nicht an, es sinkt sogar weiter. Herr Maas, Sie sind der erste Außenminister, bei dem mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Inland arbeiten als im Ausland; Sie sind sozusagen der inwärtige Minister anstatt der Minister für Außenpolitik.
Hinzu kommt, dass die Struktur im Haus selber inzwischen einen völlig hypertrophen Leitungsbereich kennt. Im Büro Staatssekretäre haben wir inzwischen 18 Stellen – das waren mal 4 –, während gleichzeitig Baumaßnahmen für Diplomatinnen und Diplomaten, die an gefährlichen Orten im Einsatz sind, nicht finanziert werden können. Da läuft alles schief. Ich glaube, die Sicherheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ausland sollte eine höhere Priorität haben als die üppige Ausstattung des Leitungsbereichs.
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Es gibt Möglichkeiten, die Politik effizienter zu gestalten. Ich würde mir beispielsweise wünschen, dass in Europa der Europäische Auswärtige Dienst durch die Bundesrepublik Deutschland weiter gestärkt wird und wir mit unseren Partnern in der Europäischen Union zu einer gemeinsamen Vergabe von Schengen-Visa kommen. Warum muss das jede nationale Botschaft alleine machen?
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Alle hängen am selben Schengen-Informationssystem. Das können wir gemeinsam effizienter machen als bisher.
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Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Und das ist mir wichtig.
Mit mehr Geld allein ist noch nichts gewonnen. Der richtige und effiziente Einsatz, wie Michael Link ihn hier präsentierte, ist der Grundpfeiler. Wichtig ist uns, dass die Ministerien für die 3 D – Defense, Development und Diplomacy: Verteidigung, Entwicklung und Diplomatie – endlich anfangen, eine gemeinsame Strategie zu verfolgen, ihre Zuständigkeiten klar zu regeln und ihre Gelder effizient zu nutzen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Kollege Graf Lambsdorff. – Als Nächstes für die Fraktion Die Linke die Kollegin Sevim Dağdelen.
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Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist wirklich erschreckend, wie sehr sich die Bundesregierung der Aufrüstung statt der Diplomatie verschrieben hat. Statt die Mittel für Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit massiv aufzustocken, wird der Militärhaushalt 2019 von 38 Milliarden Euro auf fast 43 Milliarden Euro erhöht. Das ist eine Steigerung von über 11 Prozent.
Dazu kommt, dass die Bundesregierung auch auf die Verdoppelung des Rüstungshaushalts auf 85 Milliarden Euro pro Jahr zielgerichtet hinarbeitet.
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Da wünschte ich mir von einem sozialdemokratischen Außenminister, dass er sich nicht nur zu Wahlkampfzeiten, sondern auch in der Regierung gegen diesen Irrsinn aufstellt.
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Man fragt sich auch, warum so viel Steuergeld in Rüstung und Militär gesteckt werden soll. Ist es denn wirklich so erstrebenswert, Deutschland zur stärksten Militärmacht in Europa zu machen? Herr Maas, ich frage Sie: Ist das etwa unsere Lehre aus den zwei Weltkriegen?
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Oder geht es gar darum, weltweit völkerrechtswidrige Kriege führen zu können? Wer sich die aktuelle Diskussion zur Beteiligung Deutschlands an einem Angriffskrieg Trumps gegen Syrien anschaut, dem muss sich dieser Gedanke geradezu aufdrängen. Wer zu einem völkerrechtswidrigen, grundgesetzgesetzwidrigen Angriff mit der Bundeswehr bläst, der muss sich den Vorwurf der Kriegstreiberei gefallen lassen.
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Ich hätte mir gewünscht, Herr Maas, dass Sie in der Tradition des sozialdemokratischen Außenministers und Bundeskanzlers sowie Friedensnobelpreisträgers Willy Brandt Krieg als „Ultima Irratio“ eine klare Absage erteilen.
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Ich hätte mir auch gewünscht, dass Sie als Mitglied dieser Regierung hier im Bundestag nicht ihre eigene Parteivorsitzende Andrea Nahles, die sich ganz klar entschieden gegen einen Einsatz am Krieg in Syrien entschieden hat, brüskieren, und ich hoffe, dass die SPD hier standhaft bei ihrem Nein zum Krieg in Syrien bleibt.
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Ich hoffe auch, dass Sie, Herr Maas, Ihre Kabinettskollegin Frau von der Leyen mit ihrer Kriegstreiberei hier stoppen können, die nichts anderes macht, als Säbelrasseln und Kriegsgeheul zu veranstalten.
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Ich finde es erschreckend, dass es in den Reihen der FDP und auch in den Reihen der Grünen tatsächlich Politiker gibt, die dieser Kriegshetze auch noch beispringen.
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Statt immer neuer Kriegsdrohungen in Syrien brauchen wir endlich eine Initiative für einen Waffenstillstand und einen Wiederaufbau Syriens. Hier ist Diplomatie gefragt. Wer aber bei seiner Audienz in Erdogans Präsidentenpalast zur völkerrechtswidrigen Besetzung von Afrin und der wirklich hunderttausendfachen Vertreibung von Menschen durch die türkische Armee an der Seite von islamistischen Mörderbanden schweigt, der kann eben auch kein ehrlicher Makler im Falle Idlib sein.
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Sie geben vor, in Syrien aus humanitären Gründen intervenieren zu wollen.
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Aber ich frage Sie: Wo bleibt denn Ihre Humanität in Sachen Jemen? Ihre Fürsten der Finsternis, Ihre Partner in Saudi-Arabien, bombardieren seit Jahren den Jemen. Und Sie? Was machen Sie? Sie rühren nicht einen Finger. Ganz im Gegenteil: Sie liefern dieser Mörderbande in Riad noch die Kriegsschiffe, wodurch die Seeblockade gegen die hungernde Bevölkerung im Jemen aufrechterhalten wird, und Sie liefern Bauteile für saudische Kampfjets zur Bombardierung von Schulbussen im Jemen.
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Ihre Verlogenheit in Sachen Humanität stinkt einfach zum Himmel. Hören Sie mit dieser Verlogenheit auf!
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Wir brauchen eine Wende in der Außenpolitik. Wir brauchen eine friedliche Außenpolitik und kein Kriegsgeschrei, Kriegsgeheul und Säbelrasseln.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes für Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Omid Nouripour.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während wir hier heute den Haushalt diskutieren, braut sich in Idlib die Hölle zusammen. Es fehlt mittlerweile an allem: Es gibt kaum mehr Krankenhäuser, kaum mehr Pharmazie, kaum mehr Lebensmittel. Eltern können nicht mehr in die Gesichter ihrer Kinder gucken und ihnen versprechen, dass sie in einem Monat noch am Leben sind. Ich wünsche mir, dass wir mehr über diese Lage reden und dieser Situation mehr Aufmerksamkeit schenken, statt uns in dieser gesamten Debatte mit hypothetischen Diskussionen aufzuhalten.
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Wenn es ein Mandat der Bundesregierung für eine militärische Beteiligung gibt, dann werden wir das natürlich überprüfen, egal welche Optionen es enthält. Wir werden entscheiden, wenn ein Mandat vorliegt. Selbstverständlich werden wir es dann ablehnen, wenn es keine völkerrechtliche Grundlage hat. Selbstverständlich ist „Vergeltung“ keine Kategorie des Völkerrechts; das wissen wir alle.
Aber es geht nicht, dass die Frau Bundeskanzlerin – es ist nicht mein Job, die SPD zu verteidigen – heute in ihrer Rede so tut, als wäre es der SPD egal, ob Chemiewaffen in Syrien eingesetzt werden oder nicht. Das geht einfach gar nicht. Ich glaube, dass dieser Konsens zwischen uns nicht aufgebrochen werden sollte. Es geht auch nicht, dass sie sich hierhinstellt und jetzt nach 500 000 Toten in Syrien – die allermeisten von ihnen sind Opfer von Artillerie und Fassbomben – erklärt, ein Einsatz von Chemiewaffen könne uns nicht egal sein.
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Ich glaube, dass wir uns die gesamte Katastrophe und die humanitäre Notlage dort in Gänze anschauen müssen und nicht immer nur punktuell schauen, wenn es um Chemiewaffen geht.
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Die jetzige Debatte führt an den Kernfragen vorbei. Eine Frage ist: Wo war Europa die letzten Jahre? Andere Fragen sind: Soll Vergeltung jetzt so etwas wie die Wiedergutmachung für das Fehlen einer Politik in den letzten Jahren sein? Wie kommt jetzt Hilfe dahin? Was passiert eigentlich, wenn die Türkei und Russland, deren militärische Aktionen nicht besonders gut abgestimmt werden, so gegeneinanderlaufen, dass die Türkei in den NATO-Rat kommt und sich beschwert? Ich wünschte mir, die Bundesregierung würde dafür Szenarien erarbeiten und nicht dafür, wie sie den Parlamentsvorbehalt umgehen kann.
Meine Damen und Herren, wir haben es in der Außenpolitik zurzeit mit ganz viel politischer Schizophrenie zu tun. Heiko Maas hält ziemlich gute Reden. Er schreibt auch ziemlich spannende Dinge, die ich schätze: Die US-Administration sei eine Herausforderung von bisher ungeahnter Art – diese Ansicht teile ich. Unsere gemeinsamen Werte seien bedroht – das stimmt. Europa müsse endlich auf eigenen Füßen stehen. Wir brauchen eine Allianz der Multilateralisten – das alles stimmt.
Das Problem ist: Wenn es konkret wird, schlägt sich die Bundesregierung in die Büsche. Da kommt die kanadische Außenministerin extra in Ihr Haus, Herr Maas, und fordert im Namen unseres Wertepartners Kanada Unterstützung in der Auseinandersetzung mit Saudi-Arabien. Sie reden direkt danach hier im Bundestag und sagen kein einziges Wort zu diesem Konflikt. Wo ist denn der deutsche Beistand für Kanada? Sie schlagen sich in die Büsche.
Die Menschen im Iran gehen auf die Straße. Es ist zwar dringend notwendig, dass wir alles daransetzen, das Atomabkommen zu retten. Aber kein einziges Wort der Bundesregierung zur Situation im Iran, zu den Protesten im Land und zu Menschenrechtsverletzungen. Sie schlagen sich in die Büsche.
Kein Wort zu den Kriegsverbrechen Saudi-Arabiens. Immer wenn ein Schulbus bombardiert wird – es gibt sehr viele ähnliche und vergleichbare Geschehnisse im Jemen –, heißt es: Es ist wichtig, das zu prüfen. – Sie schlagen sich in die Büsche.
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Wenn dann der Innenminister statt des Europaministers zum Thema Brexit einen Brief schreibt, der die gesamte Politik der Bundesregierung in Brüssel komplett desavouiert, gibt es kein einziges Widerwort des Europaministers. Sie schlagen sich auch da in die Büsche.
Wenn Sie eine Allianz der Multilateralisten wollen – noch einmal: wir teilen diese Einschätzung –, dann brauchen Sie dafür einen Unterbau. An ihren Zahlen sollst du sie messen, heißt es in Haushaltsdebatten. Ein Blick in den Haushalt zeigt: Es gibt ganz wenig Zuwachs in den Auslandsvertretungen und null bei der Personalreserve.
Wir haben hier schon vor wenigen Monaten einen Haushalt beraten und waren uns alle einig, dass im Koalitionsvertrag zu Recht steht: Das Gesetz für den Auswärtigen Dienst muss erfüllt werden. Das heißt, wir brauchen Personalreserve, und das sind nicht etwa Leute, die zu Hause herumhängen und warten, dass sie eingesetzt werden. Das sind vielmehr Leute, die andere zum Beispiel dafür entlasten, dass sie ihre Sprachkurse machen können. Diese Personalreserve existiert nicht, und nach dem vorliegenden Haushalt wird sie auch weiterhin nicht existieren.
Noch einmal: An Ihren Zahlen werden wir Sie messen, nicht an Ihren schönen Floskeln.
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Herzlichen Dank. – Als Nächstes für die SPD-Fraktion der Kollege Christian Petry mit einem Dreiminutenbeitrag.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Nouripour, ich habe eine andere Auffassung über das, was Heiko Maas als Bundesminister macht und wozu er sich äußert, und zwar sehr deutlich äußert. Sie haben gesagt, Sie lesen das und lesen es auch gerne. Ich würde Ihnen empfehlen, alles zu lesen.
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Dann haben Sie einen Gesamtüberblick. Das tut auch etwas zur Sache.
Ich möchte Heiko Maas ausdrücklich danken, dass er bzw. insbesondere seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den deutschen Auslandsvertretungen in unermüdlichem Einsatz – auch im diplomatischen Einsatz – die Interessen der Bundesrepublik Deutschland und deren Bevölkerung so hervorragend vertreten. Ich glaube, das ist ganz wichtig, und die Stimme von Heiko Maas wird auch gehört. Es ist, glaube ich, nicht angebracht, Herr Nouripour, in der Art und Weise, wie Sie es gemacht haben, die Dinge nur sehr selektiv wiederzugeben.
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5,6 Milliarden Euro für das Auswärtige Amt und 1,5 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe: Das ist okay. Herr Link und Herr Lambsdorff, es gibt immer Unterstützung, wenn es um mehr Geld geht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das jemand ablehnt. Aber ich bin gespannt, wie die Außenpolitik bzw. die Europapolitik in Ihrer Fraktion am Ende aussieht und ob Sie sich im Block Link/Lambsdorff gegen Herrn Vizepräsident Kubicki und Herrn Lindner durchsetzen. Das wird eine spannende Geschichte.
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Sie können versichert sein: Ich bin auf Ihrer Seite.
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– Ja, das merkt man.
Interessant ist auch, was heute im Europäischen Parlament passiert ist. Nicht nur das „Stop-Soros“-Gesetzespaket hat dazu geführt, dass man dort überzeugt ist, dass die Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Ungarn gefährdet sind. Das ist natürlich ein Problem für die EVP-Fraktion. Der Spitzenkandidat Weber hat einiges zu erklären, beispielsweise wieso er so lange Herrn Orban quasi gestützt hat. Jetzt ist es offensichtlich, dass diese Unterstützung schon lange in die falsche Richtung ging.
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Das ist klar, Herr Kollege Hahn. Denn Herr Orban war ja auch auf Ihren Parteitagen. Jetzt sehen wir, wie das Ganze zu würdigen ist. Wir sind gespannt, wie das Verfahren ausgeht.
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Vor diesem Hintergrund ist auch die Rede von Jean-Claude Juncker zu sehen. Auch 10 000 zusätzliche Grenzschützer werden wahrscheinlich nicht ausreichen; das wissen wir. 45 000 Kilometer Wassergrenze, 9 000 Kilometer Landgrenze und 480 Flughäfen hat die Europäische Union. Es ist mit Sicherheit auch mit 10 000 Personen ambitioniert, das zu erfüllen, was hier im politischen Raum erwartet und diskutiert wird.
Das wird Geld kosten. Das soll mein letzter Punkt in den drei Minuten Redezeit sein. Herr Oettinger wirbt ja dafür, dass die Europäische Union stärker ausfinanziert wird. Herr Oettinger wirbt für Eigenmittel. Das ist eine spannende Diskussion. Er wirbt für Steuern: Plastik-, Digital- und Transaktionsteuer. Das ist absolut zu unterschreiben.
Die 1-Prozent-Grenze für Eigenmittel, die am Ende den Haushalt auffüllen, sollte keine fixe Grenze sein; der Haushalt soll ausfinanziert sein. Denn wir wollen die zusätzlichen Ausgaben finanzieren. Von daher muss es möglich sein, der Europäischen Union verstärkt Eigenmittel zu verschaffen. So können wir das Ziel, das wir hier im Bundestag vereinbart haben, erreichen.
Es sind also spannende Zeiten. Danke schön, Herr Maas. Wir wünschen, dass dies in den kommenden Jahren auch gut umgesetzt wird.
In diesem Sinne: Glück auf!
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Vielen Dank, Herr Kollege Petry. – Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Roderich Kiesewetter.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte hat in der Mitte des Hauses gezeigt, wie angenehm nüchtern die Herausforderungen, vor denen unser Land steht, beraten werden. Weder hilft es uns, nationale Abschottung zu betreiben, noch helfen uns romantische Vorstellungen auf der anderen Seite des Hauses, uns gänzlich von der internationalen Globalisierung heraushalten zu können. Weder romantische Vorstellungen noch nationaler Rückzug sind die Lösung. Ich halte es für ganz entscheidend, dass wir den Blick auch einmal auf das Machbare richten.
Hier sage ich als Vertreter der CDU/CSU, dass es uns ganz entscheidend darauf ankommt, die Strahlkraft Europas wiederherzustellen. Europa ist mit seiner Regeltreue, mit seiner Unterstützung einer regelbasierten internationalen Ordnung erheblich unter Druck geraten durch Interessenpolitik, die aus verschiedenen Richtungen, um Europa herum, betrieben wird. Deshalb ist es so entscheidend – der Außenminister hat das angesprochen genauso wie der Kollege Wadepfuhl, Herr Nouripour, Graf Lambsdorff und Herr Link –, dass wir, wie Gunther Krichbaum betonte, alles daransetzen, dass wir uns in Europa abstimmen und eine klare europäische Strategie entwickeln. In der Praxis heißt das aber, dass wir uns mit Frankreich viel stärker ins Benehmen setzen müssen. Nur mit Frankreich werden wir auch die Strahlkraft entwickeln, dass sich andere europäische Länder dem deutsch-französischen Motor anschließen. Das bedeutet, dass wir uns viel stärker darum kümmern müssen, wie wir Krisenprävention, Krisenvorsorge leisten und wie wir Krisennachsorge leisten. Deswegen unterstützen wir als Union den Ansatz des Auswärtigen Amtes, mehr in zivile Krisenprävention und auch in ein entsprechendes Kompetenzzentrum zu investieren. Wir betonen aber auch, dass es, wenn wir den vernetzten Ansatz wollen, entscheidend darauf ankommt, militärisches Können, diplomatisches Verständnis und Entwicklungszusammenarbeit viel besser miteinander zu vernetzen. Das eine tun, ohne das andere zu lassen!
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Wir haben im Bundestag nie über das Weißbuch 2016 gesprochen. Hier haben wir einen ganz entscheidenden Fortschritt erzielt: Unser Land hat erstmals sieben nationale Interessen formuliert und auch deutlich gemacht, dass wir diese nationalen Interessen nie im Alleingang umsetzen können, sondern dafür Partner brauchen. Ich werbe intensiv dafür, dass wir die nächsten drei Jahre in dieser Legislaturperiode nutzen, um die Partnerschaften von Gleichgesinnten in der Europäischen Union zu stärken. Das Signal, das heute vom Europaparlament ausging, ist ermutigend. Wenn wir uns tatsächlich europäisch enger abstimmen wollen, dann bedeutet das auch, darauf zu lauschen – Herr Wadepfuhl hat das angesprochen –, was die Franzosen bewegt. Wenn wir uns in der Krisennachsorge in Afrika engagieren wollen, bedeutet das, dass wir bereit sein müssen, Truppen für die Nachsorge bereitzustellen. Es bedeutet aber auch, dass wir auch bei Rüstungsexporten eine Harmonisierung in Europa anstreben müssen. Es kann nicht sein, dass wir bestimmte Exporte verweigern, die dann von Frankreich oder Großbritannien geleistet werden, oder umgekehrt. Hier haben wir einiges zu tun. Ein weiterer wesentlicher Punkt ist, dass wir selber glaubhaft machen, das 2-Prozent-Ziel erreichen zu wollen, indem wir 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis zum Ende dieser Legislaturperiode durchsetzen. Das ist die eine Seite der Medaille.
Die andere ist die Frage: Was passiert denn gerade zwischen den USA und Russland? Das, was wir bei der Rüstungskontrolle erreicht haben, ist erheblich unter Druck. Wir Deutsche haben profitiert vom Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen und vom New-START-Vertrag. Wir haben zudem profitiert von den Verhandlungen über die konventionelle Rüstung in Europa. Aber dieses Abkommen wurde zunächst einseitig von Russland suspendiert. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir das Personal bzw. die Fachexpertise, die inzwischen aus den Bereichen der Rüstungskontrolle, Verifikation und Abrüstung abzuwandern drohen, Herr Außenminister, halten können, wie wir junge Diplomatinnen und Diplomaten überzeugen können, die Themen „Rüstungskontrolle“ und „Rüstungsverifikation“ auf der Tagesordnung zu behalten. Auf der einen Seite steht unsere Rückversicherung bzw. unser glasklares Bekenntnis zu einer besseren Ausrüstung der Bundeswehr. Auf der anderen Seite müssen wir alles tun, dass wir die 80er-Jahre in unserem Land nicht wieder aufleben lassen und nicht eine Debatte über Mittelstreckenraketen bekommen, die mit Kaliningrad und der Stationierung der NATO-Raketenabwehr in Rumänien zu tun hat. Hier müssen wir gerade als Bundesrepublik Deutschland für Transparenz sorgen. Verifikation und Rüstungskontrolle müssen auf der Tagesordnung bleiben. Sonst haben wir einen Wettbewerb, der Ressourcen bindet. Einen solchen können wir nicht gebrauchen.
Abschließend: Heute auf den Tag genau vor 28 Jahren, am 12. September 1990, wurde der Zwei-plus-Vier-Vertrag unterzeichnet. Der heutige Bundestagspräsident war damals wesentlich federführend aufseiten der alten Bundesrepublik. Über den Zwei-plus-Vier-Vertrag ist unser Land in die internationale Gemeinschaft als souveränes, geeintes Deutschland zurückgekehrt. Gerade der Zwei-plus-Vier-Vertrag sollte uns vor Augen führen, wie wichtig es ist, regelbasiertes internationales Verhalten zu fördern, uns an Regeln und Abmachungen zu halten und sie dort zu verteidigen, wo sie unter Druck geraten.
Ich glaube, es ist die ganz hohe Aufgabe dieses Hauses, die Bundesregierung zu ermutigen, einen strategischen Dialog über eine bessere Zusammenarbeit mit Frankreich zu erreichen und auf eine Stärkung der europäischen Strahlkraft hinzuwirken, und auf der anderen Seite alles zu tun, dass wir in Europa der Leuchtturm von internationalen Vereinbarungen sind, die die Zustimmung der Vereinten Nationen, der OSZE, der NATO und der Europäischen Union erhalten haben. In diesem Sinne, glaube ich, macht der 12. September einen ganz besonderen Sinn.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Kiesewetter. – Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Alexander Graf Lambsdorff.
Ich verspreche auch, dass es wirklich eine Kurzintervention ist. – Ich wollte mich hier nur als Liberaler und als Historiker kurz melden. Die Verdienste des heutigen Bundestagspräsidenten um den Einigungsvertrag sind völlig unbestritten. Aber beim Zwei-plus-Vier-Vertrag war federführend Hans-Dietrich Genscher zuständig. Ich glaube, das sollte hier richtiggestellt werden.
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Sie wollen darauf nicht reagieren, sondern das bestätigen.
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– Ich stimme Ihnen ausnahmsweise zu. – Als Nächstes hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Andreas Nick das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutsche Außenpolitik orientiert sich an den strategischen Interessen unseres Landes in der Mitte Europas, und sie ist fundamentalen Werten verpflichtet. Sie vollzieht sich daher auch vorrangig in der engen multilateralen Zusammenarbeit mit Freunden und Partnern: in der EU und in der NATO, der OSZE und den Vereinten Nationen, wo wir 2019/2020 als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat Verantwortung übernehmen.
Die älteste paneuropäische Institution – auch die erste übrigens, die Deutschland nach 1945 überhaupt als Mitglied aufgenommen hat – ist aber der Europarat, der 2019 sein 70-jähriges Bestehen begehen wird. Kernaufgabe des Europarats ist der Schutz der Menschen- und Bürgerrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der pluralistischen Demokratie, und zwar in 47 Mitgliedstaaten mit mehr als 800 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Das geht weit über die EU hinaus und umfasst nicht nur Regionen wie den westlichen Balkan und den Kaukasus, sondern auch große Nachbarn wie Russland, die Ukraine und die Türkei.
Und es ist wahr: In einer wachsenden Zahl von Mitgliedstaaten sehen wir negative Entwicklungen. Dies betrifft nicht nur Aserbaidschan, die Türkei oder Russland, sondern leider auch Mitgliedstaaten der EU wie Polen und Ungarn. Die Entscheidung des Europaparlaments heute ist ja schon angesprochen worden.
Gerade der Europarat verfügt über besonders geeignete Instrumente zum Schutz der Menschen- und Bürgerrechte: die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das Monitoringverfahren der Parlamentarischen Versammlung, dem gegenwärtig zehn Staaten unterworfen sind, die Venedig-Kommission mit ihrer herausragenden, weltweit anerkannten Expertise in Verfassungs- und Gesetzgebungsfragen und die Wahlbeobachtungsmissionen, die wir in enger Abstimmung mit OSZE und ODIHR unternehmen.
Es ist leider wahr, dass wir in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats einen Korruptionsskandal erheblichen Ausmaßes erlebt haben. Mit dem Bericht einer unabhängigen Untersuchungskommission und den Entscheidungen des Geschäftsordnungsausschusses hat die PVER jedenfalls ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Schwerwiegende Vorwürfe wurden weitgehend aufgeklärt und in bisher 19 Fällen klar sanktioniert, Verhaltens- und Offenlegungsregeln für die Zukunft verschärft und präzisiert.
Die nationalen Parlamente, auch der Deutsche Bundestag, sind aufgefordert, bis Ende des Jahres über ihre Entscheidungen und Maßnahmen in den sie betreffenden Fällen nach Straßburg zu berichten.
Wir sind ja in der Haushaltsdebatte. Deshalb ist der Hinweis auch wichtig: Für die Bewältigung seiner wichtigen Aufgaben benötigt auch der Europarat eine ausreichende finanzielle Grundlage. Durch das Verhalten zweier großer Mitgliedstaaten ist der Europarat in finanzielle Bedrängnis geraten: zum einen die einseitige Reduzierung der türkischen Beiträge, zum anderen die Verweigerung der Beitragszahlung durch die Russische Föderation als Reaktion auf den Entzug des Stimmrechts.
Im Bundeshaushalt 2018 haben wir daher – neben dem regulären deutschen Mitgliedsbeitrag von 34 Millionen Euro – unsere freiwilligen Beiträge von 1,2 auf 2 Millionen Euro angehoben. Im Haushaltsentwurf für das kommende Jahr liegt der Ansatz zunächst wieder bei 1,2 Millionen Euro. Ich sage aber auch: Sollte es nicht zu einer grundlegenden Änderung der Situation in Straßburg kommen, werden wir uns mit der Frage der finanziellen Ausstattung des Europarates noch einmal sehr grundsätzlich beschäftigen müssen.
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Lassen Sie mich in aller Klarheit feststellen: Bei der fortgesetzten Verweigerung der russischen Beitragszahlung handelt es sich um einen klaren Regelverstoß. Wenn dieser auch in 2019 andauert, wird nach dem Statut ein Automatismus wirksam, der zum Ausscheiden Russlands aus dem Europarat führen könnte.
Selbstverständlich gilt: Der Europarat ist nicht erpressbar. Und was die Annexion der Krim, den Konflikt in der Ostukraine und die Menschenrechtslage in Russland betrifft, gibt es leider wenig Anlass zu einer Veränderung der kritischen Einschätzung, die wir abgegeben haben.
Es besteht aber auch unverändert ein großes Interesse, den Europarat als Forum des Austauschs zwischen allen beteiligten Staaten zu erhalten. Vor allem wollen wir auch künftig den uneingeschränkten Zugang zum Menschenrechtsgerichtshof auch für die Bürger Russlands sicherstellen. Dazu fordern uns auch in Russland tätige Menschenrechtsorganisationen wie Memorial und andere eindringlich auf. In der Oktober-Sitzung wird die PV daher über mögliche Lösungsansätze beraten.
Meine Damen und Herren, der 70. Jahrestag der Gründung des Europarats wäre eine gute Gelegenheit, das Bekenntnis zu seinen Grundwerten in angemessenem Rahmen zu bekräftigen – etwa mit einem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs im kommenden Jahr. Wir in Deutschland sollten uns weiterhin engagiert in die Arbeit des Europarats einbringen – und ihn auch verstärkt als Instrument unserer operativen Außenpolitik nutzen. Denn der Einsatz für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und pluralistische Demokratie in unserer Nachbarschaft entspricht unseren Werten, und er dient den strategischen Interessen unseres Landes.
Vielen Dank.
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Herzlichen Dank. – Als letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich erhält der Kollege Alois Karl das Wort.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich schließe die Debatte heute damit, dass ich sage: Wir haben in den letzten eineinhalb Stunden etliche gute Reden von der Opposition gehört – und etliche sehr gute von der Koalition,
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die alle darin gegipfelt haben, dass sie Schwerpunkte der Außenpolitik aufgezählt haben, Wünsche, Notwendigkeiten usw. Von den guten Reden nehme ich die von Frau Deligöz jetzt mal aus; auf Sie komme ich noch zu sprechen, Frau Deligöz.
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Aber die Reden haben doch eines gemeinsam: Alles muss finanziert werden. Wenn zuerst die Fachpolitiker, in dem Fall die Außenpolitiker, reden, muss man doch sagen: Die Haushaltspolitiker haben das letzte Wort.
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So wird das auch in diesen Haushaltsberatungen sein. Ende November, wenn die zweite Lesung stattfindet, werden wir viel gesprochen haben, viel diskutiert haben, viel abgewogen haben und nicht alle Wünsche erfüllt haben in diesem doch sehr ungewöhnlichen Jahr 2018, wo wir vor ungefähr vier Monaten das erste Mal in diesem Jahr eine letzte Lesung gehabt haben. Ich glaube, es ist kein Parlamentarier hier im Saal, der sich erinnern könnte, dass es eine so kurze Taktung von Haushaltsberatungen gegeben hätte; wenn der Saal noch voller wäre, wäre, glaube ich, auch keiner da, der sich daran erinnern könnte.
Also, wir haben viel Arbeit und werden das machen – ich danke jetzt schon den Kollegen, die sich mit uns befassen müssen, auch den Mitarbeitern –; denn es geht doch um große Summen: 356 Milliarden Euro, fast 357 Milliarden Euro für den Gesamthaushalt, 5,6 Milliarden Euro für unseren Haushalt, den des Bundesaußenministers. Da verbietet es sich natürlich, kurzen Prozess zu machen; alles muss akribisch, detailgerecht, sorgfältig abgehandelt werden, und wir sind ja schon mittendrin.
Vorderhand, meine Damen und Herren, könnte man sich freuen: Unser Haushalt steigt um 123 Millionen Euro. Aber 233 Millionen Euro müssen wir schon zusätzlich für die Beiträge zu den Vereinten Nationen ausgeben. Durch einfache Subtraktion, Frau Deligöz, kann man ermitteln, dass wir somit 110 Millionen Euro weniger für unser operatives Geschäft zur Verfügung haben. Wir finden: Das ist keine gute Entwicklung. Die Aufgaben steigen und die Ausgaben, meine Damen und Herren, dürfen nicht sinken.
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Mit Magerkost können wir uns da nicht zufriedengeben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade im wichtigsten Kapitel, das wir im Haushalt des Auswärtigen Amtes haben – Sicherung von Frieden und Stabilität; dafür stehen 3 Milliarden Euro zur Verfügung, mehr als 50 Prozent unseres Haushalts –, haben wir uns auf hohem Niveau eingependelt. Was innerhalb dieses Kapitels den Hauptschwerpunkt ausmacht, ist die humanitäre Hilfe. Dafür geben wir wahrscheinlich 1,5 Milliarden Euro aus. So sind die Haushaltsansätze. Das ist in den letzten Jahren ganz gewaltig gestiegen.
Liebe Frau Deligöz, Sie haben vorhin die Zahl 150 Millionen Euro genannt, um die die Mittel für humanitäre Hilfe sinken würden. Sie bringen da dummerweise Ist und Soll durcheinander. Wir haben im Jahr 2017 für die humanitäre Hilfe 1,2 Milliarden Euro im Haushalt gehabt; wir haben 1,7 Milliarden Euro ausgegeben. Im letzten Jahr haben wir 1,5 Milliarden Euro im Haushalt gehabt, ebenso in diesem Jahr. Soll und Haben, Ist und Soll dürfen Sie nicht durcheinanderbringen. Gut, dass es keine Aufnahmeprüfung gibt, wenn man in den Haushaltsausschuss muss.
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Sie müssten in den wenigen Wochen eigentlich schon mitgekriegt haben, dass das, was wir ansetzen, nicht mit dem übereinstimmt, was während des Jahres zusätzlich an Notwendigkeiten hinzukommt. Wir sind flexibel, das zu reparieren und die Haushaltsansätze anzupassen.
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Humanitäre Hilfe hat die finanzielle Ausstattung erfahren, die notwendig war. Darauf sind wir sehr stolz.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Deligöz?
Ja, ich habe es geahnt.
Geschätzter Kollege Karl, wir sitzen gemeinsam im Ausschuss. Umso mehr wundert mich, dass Sie jetzt eine Rechnung aufmachen, die vorne und hinten nicht stimmt. Sie wissen doch, dass Sie die Ansätze für die humanitäre Hilfe, entgegen der Warnung der Grünen, zu niedrig angesetzt haben, was zur Folge hatte, dass wir im letzten Jahr über die „üpl.“, also überplanmäßige Ausgaben, noch mal nachschießen mussten. In diesem Jahr haben Sie sie wieder zu niedrig angesetzt. Jetzt sind wir aber schon so weit fortgeschritten, dass Sie nicht wirklich rechtfertigen können, mit „üpl.“ zu hantieren.
Was ich vorher als Warnung ausgesprochen habe, tritt jetzt ein. Was zu niedrig ist, ist zu niedrig. Dem UNHCR fehlen dieses Jahr circa 150 Millionen Dollar. Davon ist auch sein Syrien-Programm betroffen. Sie können es hin- und herrechnen – mit dem Rechnen und Wiegen ist es immer so eine Sache –, wie Sie wollen, aber von Haushälterin zu Haushälter kann ich Ihnen sagen: Denken Sie an die „üpl.“, die haben Sie nämlich vergessen.
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Man kann über alles debattieren, bloß nicht über Adam Riese. Wir haben im letzten Jahr ebenso wie in diesem Jahr 1,5 Milliarden Euro im Haushalt dafür gehabt. Was ausgegeben wird, wissen wir beide nicht.
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Wenn wir Hellseher wären, wüssten wir, was wir 2018 ausgeben.
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Ich sage Ihnen nur, dass wir in jedem Jahr mehr eingesetzt und mehr für humanitäre Hilfe ausgegeben haben als im Jahr zuvor.
Ich nenne Ihnen die Zahlen. Noch vor wenigen Jahren – 2012, vor sechs Jahren – hatten wir für diesen Posten 105 Millionen Euro im Haushalt. Vor zwölf Jahren, im Jahr 2006, hatten wir noch 70 Millionen. Jetzt haben wir das 25-Fache von dieser Zahl. Was die Zahl für 2012 angeht: Wir geben das 15-Fache von dem aus, was wir noch vor sechs Jahren im Haushalt für humanitäre Hilfe hatten.
Meine Damen und Herren, ich führe das etwas dichter aus, weil ich mir von niemandem vorhalten lassen möchte, wir würden auf dem Gebiet der humanitären Hilfe uns nicht außerordentlich anstrengen, sondern wir würden hintenanstehen. Richtig ist vielmehr: Wir machen unsere Aufgaben, und wir sehen die Not in der ganzen Welt. Wir sind mit unseren hohen, außerordentlich hohen Beiträgen bei der Hand und helfen, die Not abzufedern und unsere Aufgabe zu erfüllen. Die humanitäre Hilfe ist ein großartiges Kapitel der deutschen Außenpolitik, liebe Frau Deligöz. Wir lassen uns da von niemandem übertreffen.
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Wir wissen natürlich, dass wir aufgrund dieser hohen Ausgaben in der humanitären Hilfe keine Freudensprünge machen können. Wir wissen, dass diese Hilfe notwendig ist, weil es schlimmste menschliche Katastrophen auf der Welt gibt: Hungersnöte, Bürgerkriege, Naturkatastrophen, Flucht usw. Aber wir – Ihr Vorgänger, Herr Bundesaußenminister, und Sie auch – reagieren darauf mit ganz großer Sympathie und mit großem Nachdruck. So werden wir das auch in der Zukunft machen.
Meine Damen und Herren, wir sind auch parat, wenn es darum geht, andere Organisationen, die im humanitären Bereich tätig sind, zu unterstützen. Wir verdoppeln die ungebundenen Mittel für das Rote Kreuz in diesem Jahr. Wir verdoppeln die ungebundenen Mittel für den UNHCR, also das Hilfswerk der Vereinten Nationen. Und wir verdoppeln auch die ungebundenen Mittel für die UNRWA, die Hilfsorganisation der Vereinten Nationen in den besetzten palästinensischen Gebieten.
Wir sehen, lieber Herr Bundesaußenminister, eine schlimme Entwicklung, weil der amerikanische Präsident Trump am 25. August dieses Jahres verfügt hat, dass die Unterstützungsmittel für die UNRWA gestrichen werden sollen.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir sehen eine große Not auf die Menschen in den besetzten palästinensischen Gebieten zukommen.
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Im Verbund mit unseren Partnern werden wir versuchen, das möglichst auszugleichen.
Wir wünschen uns gute Beratungen, einen guten Haushalt und gute Erfolge in unserer Außenpolitik, auch in den nächsten Monaten.
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Karl. – Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren in diesen Tagen zu Recht intensiv über Idlib. Ich möchte, da es hier um Grundsätzliches geht, wenn Sie gestatten, einige Worte vorweg, vor den Details des Haushaltes, dazu sagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so bitter dieser mit aller Brutalität geführte Bürgerkrieg in Syrien ist, ein Bürgerkrieg mit Hunderttausenden Toten und Millionen von Vertriebenen: Wir haben eine klare Entscheidung gemeinsam getroffen, wie fast alle Europäer diese auch getroffen haben, nämlich die Koalition gegen den IS-Terror zu unterstützen, zum Beispiel beim Luftkampf mit Aufklärung. Klar ist aber auch: An diesem syrischen Bürgerkrieg, der sich zurzeit in Idlib zuspitzt, bei dem mittlerweile auf der einen Seite Assad und seine Verbündeten, Iran und Russland, und auf der anderen Seite eine Vielzahl von höchst unterschiedlichen oppositionellen Gruppen stehen, nehmen wir nicht teil.
Aber um ein Thema können wir uns nicht herumwinden, nämlich um die Frage, ob und welche Möglichkeiten es gibt, einen Einsatz der weltweit geächteten Chemiewaffen zu verhindern. Darum geht es bei dieser Diskussion. Es geht um den Bestand einer Ächtung, die die Weltgemeinschaft als Lehre aus dem unvorstellbaren Grauen des Ersten Weltkriegs gezogen hat. Es geht um ein weltweites Tabu, das im Großen und Ganzen in den vergangenen Jahrzehnten auch auf den Schlachtfeldern härtester Kriege eingehalten worden ist. Assad hat in den vergangenen Jahren und Monaten geächtete Chemiewaffen eingesetzt. Er hat Chemiewaffen bewusst eingesetzt. Er hat sie wiederholt eingesetzt
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als Terrorinstrument gegen die eigene Bevölkerung, gegen Männer, gegen Frauen, gegen Kinder, voller zynischem Kalkül. Das, meine Damen und Herren, kann und darf die Weltgemeinschaft nicht mit einem Achselzucken quittieren.
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Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke?
Ich möchte den Gedanken zu Ende führen, und dann können wir das gerne machen.
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Die Weltgemeinschaft, das sind nicht nur die anderen; die Weltgemeinschaft, das ist nicht irgendjemand da draußen; die Weltgemeinschaft sind auch nicht die Amerikaner. Die Weltgemeinschaft sind wir alle, auch wir Deutsche. Deshalb müssen wir als internationale Gemeinschaft alles tun, damit Chemiewaffen nicht eingesetzt werden. Ich bin mir dabei völlig bewusst, dass es dazu in allererster Linie der Diplomatie bedarf; aber es braucht auch glaubwürdige Abschreckung. Und wir, Deutschland, können bei diesem spezifischen Thema nicht bereits heute schon so tun, als ginge uns das nichts an.
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Deshalb begrüße ich auch hier diese Debatte. Ich danke für jeden Beitrag aus diesem Hohen Haus. Ich habe hohen Respekt und Achtung vor all jenen, die sich eine rechtliche Bewertung nicht einfach machen. Aber wir müssen auch vorbereitet sein; denn wir wissen ja nicht, welche konkrete Situation auf uns zukommt. Deshalb sollte unsere Linie sein, dass wir uns dem Ziel verpflichten, die jeweilige Lage – welche auch immer das sein mag –, die wir heute nicht kennen, die sich ergeben kann, sorgfältig, mit Bedacht und verantwortlich zu prüfen, auch mit unseren Partnern. Und dann – ich sage ausdrücklich: erst dann – entscheiden wir, was wir als Bundesregierung gemeinsam mit dem Parlament tun können – selbstverständlich immer auf der Basis des Völkerrechts, des Grundgesetzes und des Parlamentsbeteiligungsgesetzes. So, liebe Kolleginnen und Kollegen, stelle ich mir die viel zitierte Bereitschaft Deutschlands vor, Verantwortung tatsächlich zu übernehmen.
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Vor dieser Folie blicken wir heute auf den Einzelplan 14, den Haushalt der Bundeswehr, den wir heute hier diskutieren. Wir haben für das Jahr 2019 einen Aufwuchs von 4,4 Milliarden Euro auf 42,9 Milliarden Euro.
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Es ist der fünfte Aufwuchs in Folge. Ich danke dafür auch im Namen der Truppe; denn das verstetigt die Trendwende Finanzen. Wir brauchen sie; wir wissen das alle. Wir haben das oft gemeinsam diskutiert. Wir brauchen das Geld, um zu modernisieren. Wir brauchen das Geld, um hohle Strukturen aus Jahrzehnten des Abbaus zu füllen und um neue Fähigkeiten aufzubauen, zum Beispiel im Cyberraum.
Die konzeptionellen Grundlagen dafür haben wir jetzt gelegt. Wir haben zwei Jahre lang intensiv an einem Modernisierungsplan gearbeitet. Dieser steht jetzt: Das Weißbuch der Bundesregierung, die Konzeption der Bundeswehr und das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr zeigen sehr detailliert, wie der Bedarf der Truppe ist. Mehr Vorausschau, mehr Transparenz war nie.
Deshalb wird jetzt auch klar: Der Aufwuchs der vergangenen Jahre hat sehr dabei geholfen, dass wir die Talsohle durchschreiten konnten; aber wir sind uns, wenn wir auf das vorausblicken, was die Bundeswehr an Ausstattung braucht, um die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen, auch darüber im Klaren, dass noch ein langer und sehr steiler Aufstieg vor uns liegt. Wir wollen und müssen diesen Weg gehen, gerade weil er in unserem eigenen Interesse liegt.
Wir wollen diese Verpflichtungen erfüllen, zum Beispiel in der Europäischen Verteidigungsunion, die wir vor zehn Monaten aus der Taufe gehoben haben. Das braucht Investitionen, sonst wird die Europäische Verteidigungsunion nicht wirksam handeln können.
Es gibt Erwartungen, die die Vereinten Nationen an Deutschland haben. Wir sind ab 2019 für die nächsten zwei Jahre als nichtständiges Mitglied in den Sicherheitsrat gewählt worden. Auch dort wird erwartet, dass wir uns in besonderer Weise für die internationale Friedensordnung engagieren – sowohl mit Taten als auch mit Worten.
Es gibt Erfordernisse, die die NATO an uns richtet. Wir stellen die VJTF 2019. Das ist anstrengend und schwierig; denn wir müssen für die Brigade, die wir stellen, aus verschiedenen Einheiten und Verbänden Personal leihen, weil sie das aus eigener Kraft nicht hat.
Wir werden aber auch 2023 eine VJTF-Brigade stellen. Wir haben gemeinsam das Ziel ausgegeben, dass es uns bis dahin gelingen muss, eine solche Brigade so vollständig auszurüsten und auszustatten, dass sie diese Aufgabe aus der eigenen Grundaufstellung heraus bewältigen kann. Wir wollen in den nächsten Jahren acht vollständige Brigaden so ausstatten, dass die Bundeswehr den Auftrag, den sie durch das Parlament erhält, tatsächlich übernehmen kann.
Der vorliegende Haushalt für 2019 erlaubt uns, diesen Kurs weiterzufahren. Wir haben zwei Bereiche als Priorität ausgewiesen. Das ist – erstens – die persönliche Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten; da darf nicht gestrichen werden. Die zweite Priorität ist die Digitalisierung – die Megaaufgabe für die nächste Dekade. Wir haben deshalb einen Aufwuchs um 30 Prozent bei der Digitalisierung im Haushalt stehen.
Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Materialbereich steigen. Das brauchen wir zum Beispiel für die Forschung für das Kampfflugzeug der nächsten Generation, das wir gemeinsam mit Frankreich entwickeln werden. Die Ausgaben für die wehrtechnische Entwicklung steigen um 245 Millionen Euro, zum Beispiel für die wehrtechnische Entwicklung der Eurodrohne, damit wir Zukunftstechnologien auch hier in Europa haben und unabhängiger von anderen werden.
Der Titel für militärische Beschaffung steigt um 1,7 Milliarden Euro auf rund 6,7 Milliarden Euro. Sie kennen die Projekte, die wir fortsetzen: das zweite Los Korvette K130, den Marinebordhubschrauber, das Transportflugzeug, das wir mit Frankreich für die kleine Fläche entwickeln.
Sie kennen aber auch die Projekte, die wir neu aufsetzen wollen: den Schützenpanzer Puma für die VJTF 2023, den AESA-Radar für den Eurofighter oder zum Beispiel den Fähigkeitserhalt SEAD für den Tornado.
Meine Damen und Herren, der Haushalt 2019 ist für all das eine wichtige Etappe. Aber er ist ganz sicher kein Schlusspunkt; denn der Berg liegt, wie ich sagte, eigentlich erst noch richtig vor uns. Nur wenn wir den Verteidigungshaushalt weiterhin stabil, verlässlich, substanziell aufwachsen lassen, können wir die Verträge überhaupt schließen, damit diese Investitionen für die Ausrüstung, die ich eben beispielhaft genannt habe, auf den Weg gebracht werden können. Deshalb, meine Damen und Herren, liegen noch gewaltige Hausaufgaben in der mittelfristigen Finanzplanung vor uns.
Ich weiß, dass es nicht nur um eine verlässliche Finanzierung geht, sondern auch um eine schnelle und präzise Umsetzung. Das ist die Aufgabe, die wir vor allem im Beschaffungsamt haben. Dort haben wir jetzt einen Expertenrat eingesetzt, der den Modernisierungsprozess begleitet. Ich danke all jenen hier im Hohen Haus, die bereit sind, an diesem Modernisierungsprozess mitzuarbeiten, und will noch einmal daran erinnern: Damit wir das alles schaffen, brauchen wir einen steigenden, verlässlich substanziell weiter aufwachsenden Etat. Die Truppe hat es verdient.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Rüdiger Lucassen für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Es ist erst 120 Tage her, dass wir über den Verteidigungshaushalt 2018 debattiert haben. Damals sagte die Verteidigungsministerin: „Die Bundeswehr wächst wieder“. Was hat sich in diesen 120 Tagen nun verändert, was ist neu?
Nicht neu ist die Lage unserer Streitkräfte. Die Bundeswehr befindet sich nach wie vor in einem kritischen Zustand: technische Klarstände unterdurchschnittlich, Ersatzteillager ausgeplündert, Infrastruktur marode. Nicht neu ist auch die gewaltige Lücke beim Personal. Es fehlen 18 000 Soldaten. Das ist eine ganze Division. Nicht neu ist auch die sicherheitspolitische Großwetterlage um uns herum, und nicht neu ist daher auch die Notwendigkeit, eine personell und materiell voll aufgerüstete und einsatzbereite Bundeswehr zu haben.
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Neu jedoch ist ein Papier, das das Verteidigungsministerium herausgegeben hat. „Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“ heißt es. Mit diesem Papier möchte das Verteidigungsministerium aufzeigen, wie die Bundeswehr wieder „durchsetzungsfähig, einsatzbereit und bündnisfähig“ werden soll. Gut so, Frau Ministerin! Nach fast fünf Jahren im Amt sind Sie in die Phase einer ehrlichen Bestandsaufnahme eingetreten und bescheinigen schwarz auf weiß: Deutschlands Armee ist eben nicht durchsetzungsfähig, nicht einsatzbereit und nicht bündnisfähig.
({1})
Wer das neue Papier liest, erkennt militärischen Sachverstand. Es gibt eine sehr lange Liste mit Beschaffungsvorhaben, und es gibt eine Finanzlinie, um diese lange Liste bezahlen zu können. Das ist also das eine, die Vorschläge der militärischen Planer, wie die Bundeswehr wieder aufgerichtet werden kann.
Das andere ist die tatsächliche Politik dieser Regierung, und die macht das neue Papier wieder zum alten Muster der Verteidigungsministerin: Es ist nur eine Ankündigung. Denn die Investitionspläne sind Luftschlösser, die nichts mit der finanzpolitischen Realität zu tun haben. Vom 2-Prozent-Ziel der NATO sind selbst die Planzahlen weit entfernt. Deshalb hat Ursula von der Leyen ja bereits vor Monaten 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zur neuen Zielmarke erhoben. Aber auch diese 1,5 Prozent werden bei weitem nicht erreicht; denn Ihr eigener Eckwertebeschluss für die Jahre bis 2022 kalkuliert nur mit minimalen Steigerungsraten für den Verteidigungshaushalt. Nächstes Jahr, 2019, erreichen Sie 1,31 Prozent, und schon 2020 sacken Sie dann wieder auf 1,28 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ab. Die Verteidigungsministerin bricht erst die Zusage von Wales, setzt einfach ein niedrigeres Ziel und erreicht dieses dann auch nicht; denn die Minimalsteigerungen werden allein durch Tariferhöhungen beim Personal und durch die Inflation aufgefressen. Und die 18 000 unbesetzten Stellen sind in den kommenden Verteidigungshaushalten noch nicht einmal berücksichtigt. 18 000 Stellen kosten überschlägig 2,5 Milliarden Euro. Für Investitionen in neue Ausrüstung bleibt da nichts übrig. Ich fasse zusammen: Das „Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“ ist ein ungedeckter Scheck.
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Diese Regierung behauptet nur, die Bundeswehr stabilisieren zu wollen. Sie tut es aber nicht. Dass die Bundeswehr wieder wächst, ist eine glatte Lüge. Ein Beispiel: Die Streitkräfte sind zwingend auf schwere Transporthubschrauber angewiesen. Auslandseinsätze, die Rettung von Verwundeten, Waldbrandbekämpfung in Brandenburg und auch die Landes- und Bündnisverteidigung sind ohne einen schweren Transporthubschrauber nicht möglich. Der CH-53 stammt aus den späten 60er-Jahren. Selbst Laien können wissen, dass man für so altes Fluggerät einen Nachfolger braucht. Im Haushalt 2018 ff. waren dafür noch 5,6 Milliarden Euro eingestellt. Im Haushalt 2019 sucht man danach vergebens. Sie sind weg, komplett herausgestrichen.
Der schwere Transporthubschrauber ist nur ein Beispiel von vielen. Der Tornado, den Sie für – ich zitiere – „Vergeltungsschläge“ nach Syrien schicken wollen, braucht auch einen Nachfolger. Wir brauchen Fähigkeiten zur Luftverteidigung, Fähigkeiten, Minen zu verlegen und zu räumen. Auch der Leopard 2 braucht mittelfristig einen Nachfolger. Alle diese Investitionsvorhaben brauchen einen Finanzplan, der weit über das hinausgeht, was Sie uns hier vorgelegt haben.
Das Übertünchen der katastrophalen Lage unserer Streitkräfte mit immer neuen Papieren muss aufhören. Am Ende geht es nämlich weder um irgendwelche Quoten noch um Ihre alberne Semantik, ob es nun Aufrüstung oder Ausrüstung sei. Ja, meine Damen und Herren von der Union, es ist Aufrüstung, und die brauchen wir.
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Richtig ist, dass Sie vor einem gewaltigen Berg stehen; denn es geht um Deutschlands äußere Sicherheit und die Verlässlichkeit im Bündnis.
Vielen Dank.
({4})
Für die SPD-Fraktion hat nun Dr. Fritz Felgentreu das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Haushalt 2019 ist ein großer Schritt nach vorn für die Bundeswehr. Was wir in dem Resthaushalt für 2018 aus Zeitgründen noch nicht umsetzen konnten, holen wir jetzt nach. Der Verteidigungsetat wächst um über 10 Prozent auf 43 Milliarden Euro.
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Für Investitionen in die Einsatzbereitschaft und die Modernisierung der Bundeswehr stehen 2 Milliarden Euro, für die Pflege und Instandsetzung von Waffen und Gerät 700 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung.
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Die Koalition setzt konsequent ihren Weg fort, eine durch jahrzehntelanges Sparen ausgehöhlte Bundeswehr wieder aufzubauen.
Der große Schritt im vorliegenden Haushalt ist eingeordnet in das Ziel der Koalition, bis 2024 1,5 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung jährlich in die Verteidigung zu investieren: in Personal, in Waffen, in Gerät, in Munition, in alles, was diese Armee braucht. Das ist keine Eintagsfliege, sondern eine dauerhafte Erhöhung der Ausgaben, die von Jahr zu Jahr fortgeschrieben wird. Das Ziel ist eine vollausgestattete Bundeswehr, die ihre Aufgaben wieder erfüllen kann.
Es war wieder einmal ein geschicktes Timing des Verteidigungsministeriums, gerade jetzt das neue Fähigkeitsprofil der Bundeswehr vorzulegen; denn dort wird konkret, was es für die Bundeswehr bedeutet, wenn die Bündnis- und die Landesverteidigung wieder die gleiche Bedeutung haben soll wie bisher die Auslandseinsätze.
Das Fähigkeitsprofil beschreibt eine für beide Aufgaben einsatzfähige Bundeswehr im Jahr 2031, eine Bundeswehr, die dann auch auf neue Herausforderungen wie zum Beispiel die Verteidigung gegen Hackerangriffe aus dem Cyberraum vorbereitet ist. Diese Bundeswehr wird allem Alarmismus zum Trotz, Herr Kollege Lucassen, immer noch eine kleine, schlanke Armee sein. Wir sollten nie vergessen, in welcher glücklichen Ausnahmelage sich unser Land befindet. Dass wir als 80-Millionen-Menschen-Volk in der Mitte Europas ohne natürliche Grenzen unsere Sicherheit mit einer Armee von nicht einmal 200 000 Mann verteidigen können, ist ein historisch einmaliger Glücksfall, den wir der Westbindung an NATO und Europäische Union zu verdanken haben. Gerade den Fraktionen ganz links und ganz rechts im Saal sei das immer wieder ins Stammbuch geschrieben.
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So weit das Fähigkeitsprofil. Leider steht es vorerst nur auf dem Wunschzettel. Immerhin finden wir dort ein realistisches Nahziel: Bis 2023 soll es eine vollausgestattete verstärkte Heeresbrigade geben. Das ist das Jahr, in dem die Bundeswehr wieder den wesentlichen Teil der NATO-Speerspitze stellen wird. Wie notwendig das ist, erleben wir gerade in diesen Tagen. Denn zur Vorbereitung auf die Speerspitze 2019 muss die dafür vorgesehene Panzerlehrbrigade 9 gerade alles, was sie braucht, aus den anderen Teilen des Heeres zusammenleihen – mit entsprechenden Folgen für die Ausbildung und den Alltagsbetrieb dort. Der schwarz angestrichene Besenstiel als MG-Attrappe in der Hand eines Soldaten, der „Peng“ ruft, wenn er den Einsatz übt, dieses Stück Realsatire kann sich leider immer noch wiederholen.
2019 wird deshalb für die Bundeswehr ein spannendes Jahr. Es gibt deutlich mehr Geld und den Plan für die Brigade 23. Beides lässt das kommende Jahr zur Nagelprobe werden, ob das Bundesverteidigungsministerium und die Bundeswehrverwaltung effektiv aufgestellt und zur Umsetzung der Vorhaben auch in der Lage sind. Der Beweis dafür ist bisher nicht erbracht. In der vergangenen Legislaturperiode ist es nie gelungen, die für Beschaffungen vorgesehenen Mittel auch wirklich in jedem Jahr dafür auszugeben.
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Politische Rahmenbedingungen, die immer wieder als Hindernisse für eine Verbesserung der Einsatzbereitschaft kritisiert worden sind, hat die Koalition jetzt aus dem Weg geräumt. Erstens gibt es mehr Geld. Zweitens: Was davon im Dezember übrig bleibt, darf neuerdings ins Folgejahr mitgenommen werden.
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Drittens gilt das Wort unserer Haushälter: Sinnvolle und entscheidungsreife Projekte werden am Geld nicht scheitern. – Jetzt, Frau Ministerin, wollen wir natürlich auch Fortschritte und Ergebnisse sehen. Jetzt müssen Sie liefern.
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In dem Sinne ist das Jahr 2019 auch für Sie und Ihr Haus die Nagelprobe.
Zweifel an der Fähigkeit zur Umsetzung sind leider immer noch nicht ausgeräumt. Meine Sommerreise an diverse Standorte hat mir noch einmal drastisch vor Augen geführt, wie dramatisch es oft an Material und an Ausrüstung mangelt. Der im zweiten Halbjahr zu erwartende Bericht über den Klarstand der wichtigsten Waffensysteme wird zeigen, ob die Talsohle wirklich schon durchschritten ist. Die Verwaltung jedenfalls schwächelt nach wie vor weiter. Beim Beschaffungsamt sind 1 600 Stellen nicht besetzt. Das wird sich nicht zugunsten von mehr Ausrüstung auswirken. Fehlendes Know-how muss teuer eingekauft werden.
Beim Amt für Infrastruktur begegnen wir ähnlichen Problemen. Fehlende oder zu langsame Investitionen haben auch hier negative Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft. Zum Beispiel haben die Kampfschwimmer der Marine seit sieben Jahren kein Schwimmbad. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Kampfschwimmer – kein Schwimmbad.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, über die Attraktivität der Bundeswehr gerade für junge Leute brauchen wir nicht zu reden, solange es kein Material und keine geeigneten Einrichtungen für die Ausbildung und übrigens auch solange es in den Kasernen kein WLAN gibt.
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Unter diesen Bedingungen ist der geplante Personalaufwuchs schon ein sehr sportliches Ziel.
Die SPD fordert für eine schlanke, moderne Bundeswehr nicht 2 Prozent, sondern 100 Prozent. Wir wollen die Vollausstattung mit Personal, Waffen, Gerät und Munition. Jetzt ist das Verteidigungsministerium in der Pflicht. Ausführung ist die Devise. Die Priorität auf die persönliche Ausstattung der Truppe und auf die NATO-Speerspitze ist richtig gewählt, aber zugleich ist diese Priorität eben doch auch ein Stresstest für die Handlungsfähigkeit des Ministeriums und der Zivilverwaltung. Frau Ministerin, die SPD-Fraktion wird Sie bei dieser wichtigen Arbeit nach Kräften unterstützen. Aber wir gucken auch ganz genau hin.
Danke schön.
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Das Wort hat der Kollege Karsten Klein für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 28. Juni 2018 hat die Bundeskanzlerin von dieser Stelle aus das klare Ziel vorgegeben, die Verteidigungsausgaben der Bundesrepublik Deutschland gemessen an der Wirtschaftsleistung auf 1,5 Prozent anzuheben. Am 6. Juli 2018, also eine gute Woche später, hat das Bundeskabinett unter Führung von Angela Merkel einen Haushaltsplan 2019 mit einem Finanzplan bis 2022 beschlossen, in dem von diesem Ziel nichts zu sehen ist. Ganz im Gegenteil: Am Ende der Planungsphase sinkt die Quote sogar unter den Wert von 2018. Noch mal eine Woche später, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Frau Bundeskanzlerin mit Frau Bundesverteidigungsministerin, die gerade wichtige Gespräche zu führen hat, auf den NATO-Gipfel gefahren, um dort den NATO-Partnern 1,5 Prozent zu versprechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwischen dem Reden und dem Handeln der Bundeskanzlerin und der Bundesverteidigungsministerin liegen sagenumwobene 10 Milliarden Euro.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, an dieser Stelle muss man Sie schon mal fragen: Wie ernst nehmen Sie eigentlich Ihr eigenes Regierungshandeln? Wie ernst nehmen Sie dieses Parlament, den Deutschen Bundestag, die deutsche Öffentlichkeit, die Soldatinnen und Soldaten und die NATO-Partner?
({0})
Denn wenn man sich das mal genau anschaut, erkennt man: Sie treffen eine Regierungsentscheidung, und nicht mal eine Woche später stellt die eigene Regierungschefin den Finanzplan fundamental infrage. Wir haben einen Deutschen Bundestag, der die Budgethoheit hat, und mit den Zusagen der Bundeskanzlerin – mit einem klaren Zeitplan in kürzester Frist – nehmen Sie hier die Entscheidungen vorweg. Oder nehmen Sie vielleicht die NATO-Partner nicht so ernst und wollen die Zusagen gar nicht einhalten?
Das eigentlich Traurige an der Sache ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass dieses Handeln in Ihrer Koalition System hat. Das Dramatische ist, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist. Die Diskussion über die Zukunft und die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr hat in diesem Hause stattzufinden.
({1})
Es ist keine Regierungsarmee, es ist eine Parlamentsarmee, über die wir hier sprechen. Sie stellen hier das Budgetrecht des Deutschen Bundestages infrage.
Für die Bundeswehr und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland spielt die 1,5-Prozent-Diskussion aber nicht die entscheidende Rolle, sie ist eher nicht zielführend. Sie, Frau Ministerin, legen mit der Prozentdebatte einen Nebel über die Frage, wie die Bundeswehr in Zukunft mit Material und Ausstattung versehen werden muss: Was brauchen wir für Bündnis- und Landesverteidigung und dafür, den Auslandseinsätzen gerecht zu werden? Welche Mittel sind für die Digitalisierung nötig?
Ich möchte an dieser Stelle noch mal ausdrücklich unser Angebot, das Angebot der Freien Demokraten, wiederholen: Wir sind bereit, Aufwüchse auch im Verteidigungshaushalt mitzutragen, wenn Sie zwei Bedingungen erfüllen. Die erste Bedingung ist, dass Sie das Beschaffungswesen so organisieren, dass aus dem vielgenannten Soll auch ein Ist werden kann. Da haben Sie erheblichen Nachholbedarf, Frau Ministerin.
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Zudem müssen die Beschaffungen mit den europäischen Partnern besser synchronisiert werden. Zweitens müssen Sie endlich einen Finanzplan auf den Weg bringen, in dem klar zu erkennen ist, was die Bundeswehr wann und wofür benötigt. Ich möchte an dieser Stelle schon darauf hinweisen: Das Fähigkeitsprofil, das Sie vorgelegt haben, wird diesem Ansinnen, dieser Bedingung von uns, in keinster Weise gerecht. Das, was Sie zusammengestellt haben, ist eine Wunschliste, die mit der finanziellen Realität überhaupt nichts zu tun hat.
Herr Dr. Felgentreu, ich bin begeistert über Ihre Begeisterung. Ich habe aber heute Morgen vernommen – deshalb habe ich mein Angebot ganz bewusst wiederholt, Frau Ministerin –, dass Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer, Herr Schneider, hier klar gesagt hat, dass die SPD das 2-Prozent-Ziel nicht mitträgt. Das steht klipp und klar in seiner Rede. Deshalb finde ich schon: Sie sollten in der Koalition endlich mal Entscheidungen treffen, wie wir die Bundeswehr ausstatten,
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anstatt hier einen Nebel über diese Diskussion zu legen.
Frau Ministerin, wir erwarten von Ihnen Klarheit in dieser Diskussion und keine Vernebelungsstrategie, wie sie in den letzten Wochen und Monaten verfolgt worden ist. In diesen Nebel hat jetzt in der Sommerpause Ihre Generalsekretärin auch noch eine Nebelkerze geworfen. Niemand braucht die Wehrpflicht, vor allem nicht die Bundeswehr.
({4})
Die Bundeswehr hat weder die Strukturen für die Wehrpflicht noch einen Bedarf an der Wehrpflicht. Bei keiner der Herausforderungen der Landes- und Bündnisverteidigung oder der Auslandseinsätze kann die Wehrpflicht einen essenziellen Beitrag leisten. Viel schlimmer: Durch sie werden neue Probleme in der Bundeswehr geschaffen und wichtige Ressourcen von der Bundeswehr weggenommen, Ressourcen, die dringend gebraucht werden, um den Aufbau der Kräfte wiederherzustellen. Diese würden Sie mit dem Aufbau einer Wehrpflichtigenarmee vergeuden.
Frau Ministerin, wir hätten von Ihnen heute eine klare Aussage zum Thema Wehrpflicht erwartet, aber Sie lassen die Diskussion einfach weiterwabern. Die Soldatinnen und Soldaten hätten gerne eine Aussage gehört, wie Sie zu diesem Thema stehen. Aber vor allem wäre es wichtig, dass Sie diese Debatte innerhalb Ihrer Partei endlich beenden; denn sie stört den Prozess, den wir begleiten wollen, nämlich den kraftvollen Wiederaufwuchs der Bundeswehr.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eingangs möchte ich uns alle an den viel zu früh verstorbenen Guido Westerwelle erinnern. Er hat sich als Außenminister für den Abzug der amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland ausgesprochen. Das war eine sinnvolle Forderung, die ich heute nur noch von der Linken höre, meine Damen und Herren.
({0})
Guido Westerwelle hat sich auch im UN-Sicherheitsrat enthalten, als es um den Krieg gegen Libyen ging. Das war vor sieben Jahren eine kluge und mutige Entscheidung.
({1})
19 877 Lufteinsätze wurden in Libyen geflogen, und seitdem herrscht dort Chaos. Ich will damit sagen, dass es um ein Vielfaches mutiger ist, sich für den Frieden als für den Krieg einzusetzen. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich für Frieden einsetzt und nicht in weitere Kriege ziehen will.
({2})
Frau von der Leyen möchte immer auf der vermeintlich sicheren Seite stehen. Wenn Trump einen völkerrechtswidrigen Krieg in Syrien führen will, bietet sie sich gleich als willfährige Partnerin an. Das können wir nicht hinnehmen.
({3})
Wenn Präsident Trump mehr Geld für Rüstung fordert, dann nimmt sie diese Forderung eilfertig auf. Sie möchte – und dabei wird sie von der SPD bzw. vor allen Dingen vom Finanzminister unterstützt – die Ausgaben für die Beschaffung von Waffen und Ausrüstung in nur einem Jahr um fast 25 Prozent steigern. Was für eine absurde Politik, meine Damen und Herren!
({4})
Die circa 15 Milliarden Euro, die jährlich für militärische Beschaffungen, Materialerhalt, Wehrforschung, wehrtechnische und sonstige militärische Entwicklung und Erprobung ausgegeben werden, übersteigen die zivilen Sachinvestitionen des Bundes; die liegen nämlich bei 11 Milliarden Euro. Das ist doch eine verkehrte Welt. Das müssen wir unbedingt ändern.
({5})
Man kann es auch so formulieren: Es kann doch nicht wahr sein, dass die Bundesregierung mehr in Kriegsvorbereitung als in den Frieden investieren will.
Wenn nun der Kollege Röttgen von der CDU erklärt, dass sich Deutschland, um einen schrecklichen Giftgasangriff mit massenhafter Wirkung auf die Zivilbevölkerung zu verhindern, einem Angriff auf Syrien nicht verschließen soll, dann heißt das doch, dass, in der CDU zumindest, die Lust am Präventivschlag begonnen hat, und das dürfen wir nicht hinnehmen.
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Gerade die CDU will ich daran erinnern, dass es eine derartige Militarisierung der Politik unter Helmut Kohl nicht gegeben hat. Vielleicht können Sie sich daran erinnern.
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Die „Erst schießen und dann denken“-Politik führt dazu, dass die Welt und auch unser Land nicht sicherer, sondern unsicherer werden.
({8})
Vor 17 Jahren hatte die rot-grüne Bundesregierung den Bundeswehreinsatz in Afghanistan beschlossen. Milliarden Euro wurden in diesem Land versenkt. Das Land ist destabilisiert und geschunden. Nun werden dorthin auch noch Menschen abgeschoben. Wann, frage ich Sie, meine Damen und Herren, begreifen Sie endlich, dass Ihre militärischen Konzepte keine Probleme lösen, sondern immer nur neue schaffen? Wir brauchen einen anderen Weg.
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Mehr Ausrüstung und Aufrüstung bringen nicht mehr Sicherheit. Nichtsdestotrotz will die Bundeswehr bis 2023 den Etat auf 60 Milliarden Euro erhöhen, und Finanzminister Scholz von der SPD hat überhaupt nichts dagegen einzuwenden. Ich habe mir erlaubt, im Wahlprogramm der SPD von 2017 – das ist also gerade einmal ein Jahr her – zu lesen, und zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin:
Eine … Festlegung auf einen Anteil der jährlichen Ausgaben für die Bundeswehr auf 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts käme einer Verdopplung unserer derzeitigen Ausgaben gleich und würde mehr als 70 Milliarden Euro pro Jahr für die deutsche Rüstungs- und Verteidigungspolitik bedeuten. Das wird es mit der SPD nicht geben.
Ich darf hinzufügen: Das ist kein Satz aus dem Gothaer Programm der SPD von 1875, sondern eine Selbstverpflichtung der SPD aus dem vergangenen Jahr, und daran möchte ich Sie hier öffentlich erinnern, meine Damen und Herren.
({10})
Häufig wird uns bei unserer Kritik entgegengehalten, es gebe Verträge, die könne man einfach nicht kündigen, daran sei man gebunden. Ich sage Ihnen: Wenn die Bundesregierung Verträge geschlossen hat – und das hat sie –, die zu Aufrüstung und zu Kriegseinsätzen zwingen, dann wird damit die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes aufs Spiel gesetzt, und darum müssen diese Verträge gekündigt werden. Auch dafür werden wir in den Haushaltsberatungen werben.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat Dr. Tobias Lindner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben, wie ich finde, zu Recht, Ihre Ausführungen mit der schrecklichen Lage in Syrien begonnen. Deshalb lassen Sie mich hierzu im Namen meiner Fraktion ein paar Punkte anmerken.
Ja, es gibt kaum ein abscheulicheres Verbrechen als den Einsatz chemischer Waffen. Aber gerade deshalb ist die Diskussion der vergangenen Tage doch ziemlich schräg, wie ich finde. Statt drei Tage lang eine Diskussion darüber wabern zu lassen, wie man Vergeltung übt, nachdem chemische Waffen wiederholt eingesetzt worden sein könnten, sollten wir doch alles daransetzen, dass es nicht zu diesem erneuten Einsatz kommt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Da muss sich die Bundesregierung fragen lassen, ob sie international gemeinsam mit ihren Partnern auf ziviler Ebene alles dafür tut, dass es nicht dazu kommt. Wir Grüne fragen uns: Warum berufen Sie nicht eine Sondersitzung des Europäischen Rates ein? Warum üben Sie nicht mehr Druck auf die Verbündeten von Herrn Assad aus, auf Russland und den Irak, gerade wo doch der russische Außenminister jetzt nach Berlin kommt? Es darf doch keinen Freifahrtschein für diese Länder geben, wenn sie Herrn Assad nicht Einhalt gebieten.
Hinzu kommt, dass wir hier über eine Parlamentsarmee reden. Frau von der Leyen, Sie gebärden sich ja immer als Meisterin der Transparenz. Sonntagabend, 22 Uhr, poppten die ersten Meldungen auf. Ich habe am Montagmorgen um 9 Uhr darum gebeten, dass die Obleute des Verteidigungsausschusses informiert werden. Es ist schon schräg, dass Sie uns bis zur Sitzung des Verteidigungsausschusses heute Morgen im Unklaren darüber gelassen haben, ob es eine Anfrage gibt, ob Optionen geprüft werden und was geprüft wird. Das ist aus meiner Sicht nicht mit einer Parlamentsarmee vereinbar.
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Heute Morgen hat Ihr Staatssekretär im Verteidigungsausschuss juristische Pirouetten gedreht. Warum stellen Sie sich nicht an dieses Pult und sagen heute in aller Deutlichkeit, gerade weil in der Presse spekuliert wurde, man wolle den Bundestag erst im Nachhinein um Zustimmung bitten: „Wenn wir an diesen Punkt kommen, dann werden wir in diesem Parlament – das garantiere ich Ihnen – vorab darüber diskutieren und die Frage stellen, ob es in diesem Hohen Haus eine Mehrheit für einen solchen Einsatz gibt oder nicht“? – Das hätte ich mir gewünscht. Ich sage Ihnen als Grüner eines ganz deutlich: Wir werden, wenn Sie uns etwas vorlegen, uns das ganz genau angucken und es prüfen. Aber mit uns ist eines nicht zu machen: ein Einsatz der Bundeswehr, der gegen Völkerrecht oder gegen unsere Verfassung verstößt.
({2})
Wir entlassen Sie nicht aus der Pflicht, hier im Vorhinein zu begründen, inwiefern ein solcher Einsatz völkerrechts- und verfassungskonform sein soll. Mir persönlich fehlt dafür die Fantasie, um das in aller Deutlichkeit zu sagen.
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Ein letzter Punkt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie kennen mich, und Sie wissen, dass ich zu denen gehöre, die in regelmäßigen Abständen sinnvollen Einsätzen der Bundeswehr hier in diesem Haus nicht ihre Zustimmung verweigern.
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Das ist so. Aber an dieser Stelle kann ich nicht erkennen, wie man mit militärischen Optionen
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tatsächlich Einhalt gebieten will, vor allem, da die letzten Vergeltungsschläge zu nichts geführt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Jetzt noch zwei Bemerkungen zum Haushalt. Ja, Frau von der Leyen, Ihr Etat wächst gewaltig an. Es gibt Stimmen aus der Union, die fordern, er müsse noch weiter wachsen, obwohl der Bundesrechnungshof beispielsweise schreibt, dass er es angesichts der fortbestehenden Probleme im Beschaffungsverfahren und des stockenden Mittelabflusses der letzten Jahre für sehr optimistisch hält, dass es dem BMVg überhaupt möglich sein wird, die deutlich erhöhten Ansätze auszuschöpfen.
Ich habe Ihnen etwas mitgebracht; ich weiß, das ist jetzt ein bisschen wie beim Augenarzt.
({7})
Die roten Linien, die Sie hier sehen, sind all die Gelder, die Sie im Jahr 2017 im Haushaltsvollzug umgeschichtet haben. Es ist mehr als 1 Milliarde Euro. Sie haben 900 Millionen Euro allein im Beschaffungswesen überhaupt nicht ausgeben können und verschoben. Kollege Felgentreu ist darauf eingegangen: Fast ein Viertel der Stellen beim Beschaffungsamt ist gar nicht besetzt. In dieser Situation, meine Damen und Herren, muss doch die erste Aufgabe sein, mit Geld vernünftiger umzugehen, statt noch neues Geld auf den Verteidigungsetat draufzuwerfen.
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Wir werden Sie in den anstehenden Haushaltsberatungen daran messen, dass Geld inhaltlich sinnvoll ausgegeben wird und die richtigen Prioritäten gesetzt werden.
Kollege Lindner, es gibt die Frage nach einer Frage durch den Kollegen Dehm.
Das werde ich dem Kollegen Dehm nicht verweigern. Herzlich gerne.
Ich ahnte es.
Kollege Lindner, Sie haben Ihre Fantasie angesprochen und gesagt, was diese Fantasie sich vorzustellen in der Lage ist und was nicht. Ungeachtet der Tatsache, dass ich auch gegen Vergeltungsschläge war, selbst wenn sie sich als effizient im militärischen Sinne erwiesen haben: Könnten Sie sich vorstellen, dass es auf der Matrix der internationalen Vorverurteilung von Assad bei Giftgas auch ein taktisches und desinformationsgestütztes Mittel sein könnte, al-Nusra oder Ähnlichen Giftgas so zuzuspielen – es gibt ja auch das Gerücht, dass es einige Giftgasanschläge, die Assad in die Schuhe geschoben wurden, gab, die von al-Nusra stammten –, dass die westliche Koalition der Luftwaffen dann zum Einsatz kommt und einen entsprechenden Anlass geliefert bekommt?
({0})
Reicht Ihre Fantasie – wie meine – dafür aus, oder wäre das eine Verschwörungstheorie, und man wäre von vornherein vorverurteilt, wenn man eine solche schmutzige Fantasie überhaupt hat?
Herr Kollege Dehm, es gibt Dinge, die hypothetisch sind, und da kann man Fantasie walten lassen, und es gibt Dinge, die sich leider ereignet haben, und da gibt es Fakten.
({0})
Das Letzte ist der Teil, bei dem es um den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien geht. Wir wissen aus internationalen Fact Finding Missions, dass Assad mindestens viermal Giftgas eingesetzt hat und der sogenannte „Islamische Staat“ mindestens zweimal.
({1})
Es ist bedauerlich – das sage ich hier in aller Deutlichkeit –, dass Russland diese Fact Finding Missions im Rahmen der Vereinten Nationen durch sein Veto darauf reduziert hat, nur noch den Einsatz von Giftgas, aber nicht mehr die Urheberschaft festzustellen.
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Ich habe damit begonnen, die Bundesregierung aufzufordern, Druck auf Russland auszuüben. Ich glaube, das wäre ein wichtiger Punkt, an dem man mit diesem Druck nicht nachlassen darf. Damit, Frau Präsidentin – weil ich schon fünf Sekunden über meiner Redezeit bin –, beende ich meine Ausführungen.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Henning Otte für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen vor sicherheitspolitischen Herausforderungen. Deswegen investieren wir in die Sicherheit unseres Landes. Zur aktuellen Situation. Dass in Syrien ein Bürgerkrieg tobt, dass dort Millionen Menschen auf der Flucht sind, dass Millionen Menschen in Flüchtlingslagern leben, dass Millionen Menschen inmitten der Zerstörung leben, dass aktuell Syrien und Russland eine Provinz mit 2,5 Millionen Menschen bombardieren, ist die Realität. Es bringt nichts, hier Verschwörungstheorien zu konstruieren und hypothetische Verläufe darzustellen. Wir müssen der Realität ins Auge sehen, und wir sorgen uns um diese Menschen in Syrien, meine Damen und Herren.
Wir sagen auch ganz deutlich: Ein Europäischer Rat würde deswegen nichts bringen, weil Russland dort nicht beteiligt ist, und Russland ist ein Aktivposten. Die Lage ist sehr ernst. Es droht eine humanitäre Katastrophe. Es droht ein Blutbad. Es droht Giftgas eingesetzt zu werden. Dies darf nicht passieren. Hier muss Deutschland eine ganz klare Haltung haben. Der Einsatz von Massenvernichtungswaffen, mithin von Chemiewaffen, ist verächtlich. Das ist eine klare Haltung, die wir in der Koalition und auch in der Union haben, meine Damen und Herren. Wir müssen alle diplomatischen Wege nutzen, um einen solchen Giftgaseinsatz zu verhindern. Präsident Assad muss wissen, dass wir einen Giftgaseinsatz nicht akzeptieren können. Deswegen ist es richtig, Frau Bundesverteidigungsministerin, dass alle Optionen geprüft werden, Szenarien abgebildet werden.
Es ist wichtig, dass wir dies mit Besonnenheit tun. Was nicht hilft, Frau Kollegin Dr. Lötzsch, ist, hier einen verbalen Präventivschlag aufzuführen, in hypothetische Panik zu verfallen, mit Polemik den Tod von Menschen hinzunehmen und – das sage ich auch ganz deutlich, zur anderen Seite – es mit Propaganda so darzustellen, als könne man die Hände in den Schoß legen. Wir sorgen uns um die Menschen. Wir brauchen eine kluge Außen- und Verteidigungspolitik mit einem klaren Wertekompass. Dafür steht die CDU/CSU, meine Damen und Herren.
({0})
Herr Kollege Otte, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Alexander Neu?
Nein. Wir haben uns im Verteidigungsausschuss schon ausgetauscht; von daher sind die Antworten gegeben.
Ich möchte zweitens darauf hinweisen, dass die russische Regierung sich klar positioniert, nicht im Dialog, sondern mit militärischer Gewalt: Die Krim wurde völkerrechtswidrig besetzt. Assad wurde mit der Hilfe Russlands an der Macht gehalten. Russland hat dafür als Belohnung zwei Standorte, in Latakia und Tartus, bekommen. Zurzeit führt Russland mit chinesischer Beteiligung ein Großmanöver durch, an dem 300 000 Soldaten teilnehmen. Das alles macht deutlich, dass wir in die Bündnisverteidigung investieren müssen.
Wir haben eine weitere große Herausforderung auf dem Kontinent Afrika, weil es dort auch instabile Länder gibt, in Nordafrika, in der Sahelzone. Hunger, Not, Willkür, Gewalt: Dies lässt uns auch nicht unbekümmert; denn wenn wir die Probleme in Afrika nicht mit lösen, dann kommen die Probleme zu uns.
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Ich weise darauf hin, dass wir zukünftig noch vor großen Herausforderungen stehen werden. Deswegen ist es wichtig, dass wir mit militärischer Ausbildung und auch mit militärischer Hilfe Länder stabilisieren, dass wir mit Entwicklungspolitik Länder wirtschaftlich und bildungspolitisch stärken und dass wir auch die Grenzen Europas sicherstellen. Dies müssen wir bewusst machen in Deutschland und in Europa. Wir müssen uns auf das Unvorhergesehene und auf das Unvorhersehbare ausrichten und darauf vorbereitet sein.
Deswegen ist es wichtig, in Sicherheit und Stabilität zu investieren. Wir müssen in der Lage sein, unser Land vor Angriffen – militärischen Angriffen, Propagandaangriffen oder Cyberangriffen – zu schützen und zu verteidigen. Das gilt für die äußere Sicherheit, und das gilt auch für die innere Sicherheit. Und wir müssen auch bestimmen können, wer in unser Land kommt und wer nicht, meine Damen und Herren. Es gibt eine klare Notwendigkeit der Bündnisverteidigung. Es gibt einen instabilen Nahen Osten, es gibt einen katastrophalen Zustand in Ländern Afrikas, es gibt eine handfeste Bedrohung durch Russland, und es gibt Herausforderungen im Transatlantischen Bündnis.
Deswegen ist es richtig, dass die europäische Säule im NATO-Bündnis gestärkt wird, dass wir unseren Staat, unser Land auch stark machen, dass wir in die Sicherheit investieren und unsere Streitkräfte ausrüsten. Meine Damen und Herren, mit dem Weißbuch haben wir gesagt, wohin wir gehen müssen. Mit der Konzeption der Bundeswehr haben wir gesagt, wie wir dies lösen wollen. Mit dem Fähigkeitsprofil stellen wir dar, womit wir dies gewährleisten wollen. Wir brauchen eine starke Verteidigung, wir brauchen auch eine solide Rüstungsindustrie, und wir brauchen eine gut ausgebildete und ausgerüstete Bundeswehr. Deswegen wollen wir zusammen mit unseren europäischen Partnern europäischer werden, aber transatlantisch bleiben. Deswegen setzen wir auf das Bündnis. Deswegen sagen wir: Verlässlichkeit im Bündnis ist für uns unverzichtbar. Deswegen halten wir unsere Zusagen auch ein.
Meine Damen und Herren, der Verteidigungshaushalt für 2019 mit fast 43 Milliarden Euro bildet ab: Betriebsausgaben inklusive Personalausgaben von 24 Milliarden Euro, Investitionen von 9,5 Milliarden Euro, Versorgungsleistungen von 6 Milliarden Euro. Für uns ist dies ein richtiger und notwendiger Schritt, er ist erforderlich, und wir sehen noch Nachholbedarf: 42,9 Milliarden Euro in 2019 und 60 Milliarden Euro in 2023. Hier fordern wir vom Finanzminister, Verantwortungsbewusstsein zu zeigen.
Sicherheit ist vielleicht nicht alles, aber ohne Sicherheit ist alles nichts. Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif. Wir müssen bereit sein, für Frieden und Freiheit zu investieren, und unseren Soldatinnen und Soldaten Dank zollen – wir denken auch an die Familienangehörigen –, die im Einsatz und im Heimatbetrieb diese Sicherheit für unser Land gewährleisten.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Martin Hohmann für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Verteidigungshaushalt ist von den im 51. Finanzplan vorgesehenen 39,9 Milliarden Euro auf nunmehr 42,9 Milliarden Euro erhöht werden. Von den 3 Milliarden Euro mehr für die Verteidigung sind allein 638,8 Millionen Euro im Wesentlichen den Tarifabschlüssen des Bundes geschuldet, und wegen der Inflation kommt bei den Soldaten von der Erhöhung leider nur relativ wenig an.
Nach dem chinesischen Philosophen und Strategen Wu Sunzi ist der größte Sieg der Sieg, der errungen wird, ohne einen Schuss abzufeuern.
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Frieden durch Abschreckung war das Erfolgsmodell des Westens. Für den Frieden in Freiheit und Demokratie kämpfen wir auch heute noch. Das wollen wir.
Teil jeder Abschreckung ist die Glaubwürdigkeit. Dazu gilt es, festzuhalten:
Erstens. Glaubwürdigkeit ist zuerst die Glaubwürdigkeit vor sich selbst – und dann vor anderen.
Zweitens. Voraussetzung auf militärischem Gebiet sind gutes Training und gute Ausrüstung in allen Bereichen. Unsere Ausrüstungs- und Ersatzteilproblematik ist bekannt.
Drittens. Es bedarf wieder einer Kultur der Einsatzbereitschaft. Die Einheiten brauchen fitte, motivierte Soldaten. Sie brauchen modernes Gerät und Munition – auch für das ständige In-Übung-Halten.
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Nur so haben wir eine wirkliche Kampftruppe.
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Selbstverständlich ist der militärische Selbstbehauptungswille. Wenn Streitkräfte unseres Landes allein oder im Verbund im Auftrag ihrer Regierung nach außen treten, müssen sie den Anspruch erheben, aus einer Auseinandersetzung – auch mit einem schweren Gegner – siegreich hervorgehen zu können. Das ist nichts anderes als der Selbstbehauptungswille und ein Selbstbehauptungsanspruch. Den muss jede Armee und jedes Volk haben.
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Vor 335 Jahren haben unsere Vorfahren
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die Selbstbehauptung in die Tat umgesetzt. Sie haben damit die geschichtliche Voraussetzung für den „starken und toleranten Rechtsstaat“ geschaffen. Von dem hat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble gestern gesprochen.
Am 12. September 1683 wurde die Schlacht am Kahlenberg vor Wien geschlagen. Ein türkisches Belagerungsheer hatte die Stadt Wien eingeschlossen. Die Vorräte gingen zur Neige, die Lage war verzweifelt. Einer europäischen Streitmacht – auch vor 300 Jahren gab es Gott sei Dank funktionierende europäische Zusammenarbeit – unter der Führung des polnischen Königs Johann Sobieski gelang es, den Belagerungsring zu sprengen und die türkische Armee in die Flucht zu schlagen. Dem siegreichen Heer wurde das Banner mit der Schutzmantelmadonna vorangetragen. Nach Auffassung der damaligen Zeitgenossen war der Sieg nur durch göttlichen Beistand zu erklären.
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– Ja, das ist nie schlecht. – Die katholische Kirche nahm ihn zum Anlass, am 12. September das Fest Mariä Namen zu feiern.
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Die Bedeutung dieses militärischen Sieges kann überhaupt nicht überschätzt werden. Ohne diesen Sieg, auf den Tag genau vor 335 Jahren,
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hätten wir in Deutschland keinen liberalen und demokratischen Rechtsstaat.
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Es gäbe kein Grundgesetz,
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und es gäbe nicht den unüberbietbaren Satz: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
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Dieser Sieg stellt den Wendepunkt des damaligen Ausgreifens des Islam nach Europa dar. Die Schlacht von Tours und Poitiers im Oktober 732, die erste Schlacht vor Wien 1529 und die Seeschlacht von Lepanto 1571 sind vergleichbare Wegmarken.
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– Darüber sprechen wir ein anderes Mal.
Aber kommen wir aus der glorreichen Vergangenheit in die weniger glorreiche Gegenwart zurück.
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Eines der Hauptmerkmale ist die Realitätsverweigerung der politisch Verantwortlichen. Damit sind wir wieder bei dem Hauptproblem der Bundeswehr: das fehlende Material und die fehlende Munition. Man könnte sarkastisch sagen: Die Bundeswehr steht gut da – wenn sie steht. Nur wenn sie sich bewegen soll, dann wird es schwierig.
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Passt die Umsetzung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie in die Streitkräfte? Was soll das Verbot für die Schiffsbesatzungen, an Bord ihrer Schiffe zu übernachten? Was bringt der Verzicht auf Stammbesatzungen für die Schiffseinheiten?
Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, hat unlängst den Eindruck formuliert:
Die Deutschen sind die weltbesten
– Pause –
Trittbrettfahrer.
Frau Ministerin, nehmen Sie all Ihre Kraft und Ihren Einfluss zusammen, diesem Eindruck seine Berechtigung zu nehmen.
Danke.
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Für die SPD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Dennis Rohde das Wort.
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Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf die Haushaltsdebatte 2019 und die Bundeswehr zurückkommen.
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Ich habe in Vorbereitung hierauf – es ist ja die dritte Debatte innerhalb kürzester Zeit zu diesem Einzelplan und zum Haushalt an sich – die Menschen in den sozialen Netzwerken, mit denen ich verbunden bin, gefragt, was sie so interessiert und worüber sie sich Gedanken machen, wenn sie an die Bundeswehr denken. Dabei sind einige ganz spannende Dinge herausgekommen. Ich möchte das eine oder andere aufgreifen.
Mir hat ein User geschrieben, er finde, dass die Bundeswehr kein Geld-, sondern ein Effizienzproblem habe. Das stimmt wohl.
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Wir haben es erlebt: Mehr Geld alleine löst die Probleme bei der Bundeswehr nicht. In der letzten Legislaturperiode wurden kumuliert 2,6 Milliarden Euro, die für die militärische Beschaffung vorgesehen waren, nicht ausgegeben; das hat der Bundesrechnungshof kritisiert. Ich möchte aber sagen: Wir haben, Frau Ministerin, gemeinsam mit Ihnen ein Interesse daran, dass wir, wenn wir diesen Haushalt irgendwann in den Vollzug bringen, am Ende feststellen können: Das Geld, das für Beschaffung vorgesehen war, kann auch für Beschaffung ausgegeben werden; denn nur dann kommt es bei den Soldatinnen und Soldaten an. Dafür wollen wir diesen Haushalt nutzen. Wir wollen, dass dieser Haushalt eine Blaupause für künftige Haushalte ist, was den Vollzug angeht.
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Damit das gelingen kann, müssen wir das Beschaffungswesen konsequent überarbeiten. Dafür werden Arbeitsgruppen eingesetzt. Daran werden auch Parlamentarier beteiligt; das sieht der Koalitionsvertrag so vor. Wir brauchen eine Organisationsstruktur, die schnell und effizient ist und wirtschaftlich arbeitet. Man könnte im BAAINBw Prozesse und Entscheidungswege verschlanken. Man könnte den Personalkörper stärken. Es gibt viele Vorschläge.
Ich finde es aber besonders interessant, sich die Vorschläge der letzten Monate anzusehen, die in den Medien diskutiert werden, insbesondere dann, wenn Medien über Papiere berichten, die am Ende keiner geschrieben haben will. Ein Vorschlag ist die Privatisierung der Behörde oder auch die Teilprivatisierung der Behörde, am besten noch die Teilprivatisierung unter einem Geschäftsführer, der aus der Industrie kommt. Ich möchte für uns Sozialdemokraten sagen: Die Beschaffung im Rüstungsbereich ist für uns einzig und allein eine hoheitliche, eine staatliche Aufgabe, keine Aufgabe der Privatwirtschaft. Deshalb wollen wir das Beschaffungsamt stärken. Wir wollen und werden es aber nicht privatisieren.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns in einer Zeit immensen technischen Fortschritts, und dieser technische Fortschritt macht auch vor der Bundeswehr nicht halt. Das bringt für uns die Herausforderung mit, dass wir, wenn wir in diesem Haus über Auslandseinsätze entscheiden, uns natürlich auch immer die Frage stellen müssen: Ist die Bundeswehr für die Einsätze, in die wir sie schicken, auch bestmöglich ausgestattet? Ist sie auf dem technischen Stand der Dinge? Wir wissen: Da liegen Aufgaben und Herausforderungen vor uns. Wir haben neue Herausforderungen dazubekommen; die Ministerin hat von den Cyberangriffen gesprochen. Wir wissen auch als Sozialdemokraten, dass das Geld kosten wird. Deshalb sind die Haushaltsansätze, die Olaf Scholz vorgesehen hat, höher als die, die der damalige Bundesminister Schäuble vorgesehen hat.
Und doch gilt – das sage ich als Haushälter –: Wir wissen nicht, wie sich die Haushaltslage des Bundes in den nächsten Jahren entwickeln wird. Wir wissen nicht, wie sich die wirtschaftliche Lage in unserem Land entwickeln wird. Solange es geht, müssen wir daher Haushalte auf Sicht planen; denn nur das ist seriös und verantwortbar.
Das ist die Aufgabe, vor der wir auch mit Blick auf den Einzelplan 14 stehen. Wir müssen auf der einen Seite die Aufgabe einer vorausschauenden Haushaltspolitik mit den auf der anderen Seite notwendigen zukunftsgerichteten Investitionen in Einklang bringen. Dieser Herausforderung werden wir uns in nächster Zeit stellen.
Ich hatte eingangs gesagt, dass ich in den sozialen Medien nachgefragt habe. Eine Nachricht war: Wir brauchen keine Wehrpflicht. Ich muss ehrlich sagen – man kann ja diese kontroverse Debatte führen –: Ich weiß, dass es auch in meiner Fraktion unterschiedlichste Positionen dazu gab. Ich gehörte zu denen, die immer für die Abschaffung der Wehrpflicht waren. Ich weiß, dass andere Kolleginnen und Kollegen eine andere Auffassung vertreten haben und lieber bei der Wehrpflicht geblieben wären.
Aber, liebe Kollegen, diese Entscheidung ist 2011 gefallen, und ich verstehe nicht, wie man jetzt, nachdem wir Milliarden investiert haben, die Bundeswehr umstrukturiert und Strukturen geschaffen haben, die mit einer Wehrpflicht gar nicht mehr in Einklang zu bringen sind, in diesem Sommer mit der Forderung herauskommen kann, die Wehrpflicht wieder einzuführen. Ich finde, das ist eine Debatte von gestern. Diese Debatte sollten wir hier nicht führen. Die Sozialdemokraten werden die Wehrpflicht auf jeden Fall nicht wieder einführen.
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Dass die Idee nicht besonders hell und klug ist, haben auch andere gemerkt. Denn schnell ging die Debatte einen anderen Weg. Dann war es nicht mehr die Wehrpflicht; es sollte auf einmal über ein verpflichtendes Jahr für alle jungen Menschen nachgedacht werden. Auch wenn es nicht zum Einzelplan passt, eine Bemerkung dazu: Diese Debatte ist Ausdruck des permanenten Gefühls einer Generation, dass die nachfolgende Generation nicht sozial genug sei und dringend Nachhilfe benötigt. Das Gegenteil ist der Fall: Zigtausende junge Menschen engagieren sich in Vereinen, leisten Freiwilligendienste ab und sind auch in der Integrationsarbeit in den letzten Jahren eine wichtige Stütze gewesen. Die junge Generation braucht keine Pflichtnachhilfe in Gemeinwesen. Was sie wirklich benötigt, ist mehr Wertschätzung und Anerkennung für die Freiwilligendienste.
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Eine weitere Nachricht, die ich bekommen habe – anscheinend von einem Soldaten –, ist, dass man bessere Möglichkeiten für Soldatinnen und Soldaten auf Zeit nach ihrer Dienstzeit braucht und dass das Auswahlverfahren der Berufssoldaten nicht mehr zeitgemäß sei. Ich finde, das zeigt, dass wir weiterhin vor der Herausforderung stehen, die Bundeswehr auch als Arbeitgeber attraktiv zu machen und attraktiv zu halten. Das gilt nicht nur für den soldatischen Bereich, sondern auch für die Verwaltung und alles was da mit dranhängt.
Wir müssen über das Dienstrecht sprechen. Wir müssen über die persönliche Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten sprechen. Denn das ist das, was direkt bei ihnen ankommt und die Bundeswehr als Arbeitgeber auch wieder attraktiver macht. Da haben wir mit dem letzten Haushalt schon Akzente gesetzt, und das wird auch Thema in diesen Haushaltsverhandlungen sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Zum Abschluss habe ich noch eine Nachricht unter dem Pseudonym „tlindner1982“ bekommen. Der Kollege Tobias Lindner bat, ich könnte ihn ja einmal loben. Ich finde, es gibt etwas, das lobenswert ist, nämlich dass die Zusammenarbeit der demokratischen Fraktionen über Koalitions- und Oppositionsgrenzen hinweg funktioniert und gut und fair ist. Ich hoffe, dass das auch in diesen Haushaltsverhandlungen so ist.
Vielen Dank.
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Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann das Wort.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was sich in Sachen Bundesregierung in den letzten Monaten abgespielt hat, ist schon bitter genug. Was sich SPD und Union jedoch gegenüber der Bundeswehr erlauben, ist ziemlich schräg. Als ich Ihnen heute zugehört habe, habe ich mich manchmal gefragt, ob Sie eigentlich noch zusammenarbeiten. – Aber das nur am Rande.
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Liebe Kollegin Lötzsch, lassen Sie Guido Westerwelle in Frieden ruhen – so viel Empathie bei den Linken erwarten wir schon –, und nennen Sie ihn nicht als Beispiel. Das ist wirklich gruselig.
Anstatt das Ziel der Koalition gemeinsam anzugehen, in den nächsten Jahren die Bundeswehr vollumfänglich funktionsfähig zu machen, ergeht sich die Große Koalition in internen Streitereien, wie dies konkret bewerkstelligt werden soll. Ja, das ist ein Kraftakt, ein Kraftakt, bei dem die Höhe der Investitionen, aber auch die Effizienz der Ausgaben eine Rolle spielen. Wenn wir jetzt endlich in den Verteidigungshaushalt kräftig investieren, muss das Geld natürlich so präzise wie möglich bei der Truppe ankommen. Daher ist es einfach nur gruselig, wie Hunderte Millionen Euro aufgrund koalitionsinterner Querelen verbrannt wurden. Die Beschaffung einer bewaffneten Drohne wäre – um nur ein Beispiel zu nennen – um einiges günstiger, würden Sie beide sich nicht seit Jahren vor der Diskussion über die Bewaffnung der Drohne drücken.
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Auch die horrenden Beraterhonorare in Höhe von über 40 Millionen Euro – das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen – für den Verkauf der HIL-Werke hätten wir uns sparen können, wenn Union und SPD wüssten, was sie wollen. Gibt es eigentlich irgendetwas, wo Sie einer Meinung sind und sich nicht reflexhaft an den Hals gehen?
Wir als Freie Demokraten werden genau hinschauen, ob die deutlich gewachsenen Ausgaben für persönliche Ausstattung und Gerät tatsächlich ankommen, ohne in der bürokratischen Beschaffungsmaschinerie geschreddert zu werden. Eine Fußnote am Rande – aber sie ist symptomatisch –: Die Misere bei der Beschaffung hat mich sogar in den Ferien eingeholt, als ich in der „Griechenland Zeitung“ lesen durfte, dass die Vergabe eines Auftrags über 40 000 Schreibtische für die Bundeswehr an ein griechisches Unternehmen rückgängig gemacht werden musste. Der Grund: Ein Konkurrenzunternehmen hatte erfolgreich gegen die Vergabe geklagt. Offensichtlich ist selbst die Beschaffung von Büromöbeln für das Ministerium eine Herkulesaufgabe.
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Wir haben uns gegenüber den Partnern verpflichtet, konkrete Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen. Wie die Bundeswehr diese Fähigkeiten aufbauen konnte, hat das Verteidigungsministerium inzwischen dargelegt. Das wurde auch Zeit. Es ist spannend, dass man das inzwischen nicht nur in der Geheimschutzstelle nachlesen kann, sondern auch in jeder beliebigen Tageszeitung. So viel dazu. Nach vier Jahren Lyrik über die zukünftige Aufstellung der Bundeswehr liegt jetzt etwas Handfestes vor; das ist gut. Schlecht ist, dass der Bundesfinanzminister – das ist verlässlich bei der Regierung, wenigstens etwas – diesen Bedarf für die Zukunft ignoriert und erneut einen Plan vorlegt, wo diese Investitionen schlichtweg nicht berücksichtigt werden. Also, Kollege Felgentreu, nix Schwimmbad für Kampfschwimmer, sondern weiterhin sozialdemokratische Trockenübungen! Das ist nicht nur grob fahrlässig. Das ist ignorant und befeuert natürlich erneut die Diskussion zwischen Union und SPD über die Umsetzung der Modernisierung der Bundeswehr.
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Kolleginnen und Kollegen, Sie mögen das Profilierung nennen. Für die Soldatinnen und Soldaten ist dieses Gezerre unerträglich.
Ich wende mich jetzt an die Frau Bundeskanzlerin, allerdings nur virtuell, weil sie bei dieser wichtigen Debatte nicht dabei ist. Diese Debatte ist wichtig für Deutschland und Europa. Es ist Zeit, dass die Bundeskanzlerin Stellung bezieht. Wir brauchen die Diplomatie. Gerade beim Thema Syrien ist Diplomatie ein hohes Gut. Wir brauchen mehr Entwicklungshilfe, um vor Ort bei den Menschen zu wirken. Wir brauchen eine gut ausgestattete Armee.
Meine Damen und Herren, die Soldatinnen und Soldaten, die Garant unserer Freiheit in Frieden sind – manche haben das offensichtlich vergessen –, brauchen ein klares Signal von diesem Haus und ganz besonders von der Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland.
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Dr. Alexander S. Neu hat nun für die Fraktion Die Linke das Wort.
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Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger dort oben! Reichskanzler Bismarck sagte einst:
Es wird niemals so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd.
Ich bin geneigt, zu ergänzen: und bei Haushaltsdebatten im Deutschen Bundestag.
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Denn, sehr geehrte Damen und Herren, Ihre Steuergelder, die Sie zahlen, werden nicht in Ihrem Interesse verwaltet und verteilt. Sie werden mit Unwahrheiten konfrontiert. Die erste Unwahrheit ist: Es gibt nicht ausreichend Geld für die Menschen in diesem Land, in Deutschland. Es gibt nicht ausreichend Geld für die Gesundheit, weshalb Krankenhäuser oder einzelne Abteilungen geschlossen werden müssen. Es gibt nicht ausreichend Geld für Seniorenheime, weswegen Pflegerinnen und Pfleger überlastet sind. Es gibt kein Geld für eine ordentliche Betreuung für missbrauchte Kinder. Zum Beispiel in Berlin fehlt das Personal, um missbrauchten und gequälten Kindern zu helfen. Es gibt nicht ausreichend Geld gegen Kinderarmut. Es gibt auch nicht ausreichend Geld für Schulen. In der Schule in meiner Nachbarschaft sind die Schüler gebeten worden, ihre Hände doch an den Hosen abzutrocknen, weil es ab mittags keine Papierhandtücher mehr gibt, weil eine zweite Säuberungswelle pro Tag nicht finanzierbar sei.
Sehr geehrte Damen und Herren, das ist die Wirklichkeit in Deutschland im Jahre 2018. Die Frage ist aber doch: Ist tatsächlich nicht ausreichend Geld da? Doch! Geld ist vorhanden. Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger dort oben, hören Sie genau hin: Wenn alle Parteien von dort bis dort, einschließlich der Grünen, wenn alle Parteien außer der Linken mehr Geld für die Bundeswehr fordern, ist plötzlich genug Geld da – für Soldatinnen und Soldaten und für Waffensysteme.
Der Verteidigungshaushalt ist der zweitgrößte Ressorthaushalt mit 42,9 Milliarden Euro plus 3,4 Milliarden Euro in anderen Einzelplänen versteckte Ausgaben.
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Das sind umgerechnet 570 Euro pro Person in diesem Land, die jeder in Deutschland 2019 für die Bundeswehr zahlt.
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Der Rhein-Sieg-Kreis, mein Landkreis, mit 600 000 Einwohnern zahlt damit 342 Millionen Euro nur für die Bundeswehr. Wir könnten das Geld im Rhein-Sieg-Kreis auch anders verwenden.
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Damit aber nicht genug. Frau Ministerin, hören Sie mir zu; Sie wollen ja die Bundeswehr noch weiter finanziell ausrüsten, 60 Milliarden Euro bis 2024. Das heißt, jeder von Ihnen wird künftig 750 Euro pro Jahr zahlen.
Zweite Unwahrheit: Die Bundeswehr müsse für Landes- und Bündnisverteidigung gewappnet sein. Landes- und Bündnisverteidigung – gegen welche Bedrohung eigentlich, Herr Otte? Sie haben es ja gerade angesprochen.
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Gegen welche konkrete Bedrohung? Russland verfügt weder über die militärischen Fähigkeiten noch über die wirtschaftlichen und finanziellen Ressourcen, die NATO zu bedrohen. Das ist eine klare Lüge, und diese Lüge ist durch Fakten widerlegt.
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Die Linke fordert stattdessen: Beenden Sie die NATO-Osterweiterung und die NATO-Manöver im Osten; dann enden auch die Spannungen mit Russland.
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Dritte Lüge: Ausrüstung statt Aufrüstung der Bundeswehr. „Ausrüsten“ oder „personelle, materielle und finanzielle Trendwende“ hört sich einfach besser an als „aufrüsten“. Aber darum geht es: Es geht um Aufrüstung und nicht um Ausrüstung.
Sehr geehrte Damen und Herren, Die Linke fordert einen Stopp der Aufrüstung und der Verschwendung von Steuergeldern – Ihrer Gelder – für die Bundeswehr. Aus Sicht der Linken wäre es ausreichend, wenn maximal 1 Prozent des BIP für die Landesverteidigung ausgegeben würde. Das wäre genug. Es wären immer noch rund 30 Milliarden Euro. Die 16 Milliarden Euro, die frei würden, könnten wir in Gesundheit, Bildung, Schule usw. usf. stecken.
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Das wäre in der Tat eine Umverteilung im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung. Aber der Haushaltsentwurf, den Sie hier vorgelegt haben, spaltet diese Gesellschaft weiter und ist ein Förderprogramm für diese Partei dort, für die AfD.
Frau Ministerin, ich hatte gerade nicht die Möglichkeit, Ihnen eine Frage zu stellen. Ich nutze dafür die letzten Sekunden, aber vielleicht können Sie trotzdem darauf antworten. Was ist eigentlich, wenn es einen Chemiewaffenangriff seitens der aufständischen Terroristen in Idlib gibt?
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Würden Sie die auch bombardieren, oder geht das nur, wenn das bei der Regierung von Assad der Fall ist?
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Können Sie das erklären? Es gab ja vier angeblich nachgewiesene Fälle, die man der syrischen Regierung anlasten kann, zwei des „Islamischen Staates“, sieben sind unaufgeklärt.
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Was ist, wenn ein Chemiewaffenangriff durch die Rebellen inszeniert wird?
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Würden Sie dann auch bombardieren, oder gilt das nur für die syrische Regierung? – Das ist eine Frage. Ich bitte um Ihre Antwort.
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Jeder entscheidet hier, wie er agiert, und Ihre Zeit ist beendet, Herr Kollege Neu.
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Das Wort hat die Kollegin Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Haushalt 2019 soll der Verteidigungshaushalt erstmals seit Ende des Kalten Krieges auf über 40 Milliarden Euro steigen. Und bevor diese historische Erhöhung überhaupt beschlossen ist, streiten Sie in der Koalition schon darüber, ob er in den folgenden vier Jahren womöglich auf 60 Milliarden Euro steigen soll.
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Grund dafür ist angeblich die Wiederentdeckung der Landes- und Bündnisverteidigung. Die ist aber nicht neu und war schon immer Aufgabe der Bundeswehr.
Neu ist tatsächlich, dass seit dem Amtsantritt von Frau von der Leyen Auslandseinsätze ohne UN-Mandat außerhalb eines Systems kollektiver Sicherheit im Rahmen von Koalitionen der Willigen zum Aufgabenbereich der Bundeswehr gehören sollen.
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Es war schon sehr interessant, Frau Ministerin, heute Ihren Staatssekretär Hoofe im Verteidigungsausschuss zu hören, der uns noch mal erklärt hat, dass man sich in der Bundesregierung – hört, hört, SPD: in der Bundesregierung! – doch schon beim letzten Mandat geeinigt habe, dass man ein System kollektiver Sicherheit nach Artikel 24 Grundgesetz gar nicht mehr brauche; das sei doch schon obsolet. Ich erinnere nur an den Streit beim letzten Syrien-Mandat. Da war die SPD zumindest noch so weit, dass sie das System kollektiver Sicherheit nach Artikel 24 nicht zur Disposition gestellt hat, auch wenn ich sagen muss, dass die Voraussetzungen leider schon beim letzten Mandat nicht vorlagen. Aber ich hoffe doch sehr darauf, dass die SPD diesmal standhaft bleibt und sich von dieser Abkehr vom Völkerrecht nicht in den Abgrund ziehen lässt.
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Für diese grundgesetzwidrige Aufgabenerweiterung können wir als Parlamentarier natürlich keine Ressourcen zur Verfügung stellen. Was die Bundeswehr hingegen zur Erfüllung ihrer legitimen Aufgaben braucht, das wollen auch wir Grüne ihr nicht verwehren. Leider müssen wir seit Jahren feststellen, dass alle Neuanschaffungen, besonders die Neuentwicklungen, nicht das leisten, was die Industrie jeweils versprochen hat, und die Bundeswehr deswegen auf wesentliche Fähigkeiten verzichten muss.
Um die Forderung nach mehr Geld zu untermauern, hat die Ministerin jetzt ein neues Fähigkeitsprofil vorgelegt. Aber vielleicht wäre es ja sinnvoll, zunächst einmal dafür zu sorgen, dass die Fähigkeiten, für die man bereits viel Geld gezahlt hat, auch wirklich zur Verfügung stehen. Mehr Schiffe, die nicht schwimmen, mehr Transportflugzeuge, die nicht fliegen, machen die Welt garantiert nicht sicherer.
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Solange die strukturellen Defizite bei Beschaffung und Entwicklung nicht beseitigt sind, brauchen wir auch keine weiteren Steuermittel zu verbrennen.
Besonders das Vertragsmanagement scheint mir mehr als katastrophal organisiert zu sein.
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Da will man beispielsweise die Panzerwerkstätten an die Industrie verkaufen und stellt plötzlich fest, dass niemand mehr weiß, welche Reparaturrechte der Staat eigentlich an diesen Panzern hat, und niemand kann die Dokumentation zu diesen Verträgen noch finden. Angeblich hat ein Hochwasser in Koblenz die Dokumente im Keller vernichtet – aber genau weiß es keiner –, und die Industrie hat merkwürdigerweise auch keine Unterlagen mehr. Jeder Bürger, der sich einen Gebrauchtwagen kauft, würde sorgfältiger mit seinen Vertragsunterlagen umgehen.
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Wenn die Beschaffung für die Bundeswehr tatsächlich funktionieren würde und wenn wir dann auch noch europäisch besser zusammenarbeiten würden, was wir ja alle wollen, dann könnten wir mit den finanziellen Mitteln, wie wir sie bislang ausgegeben haben, schon sehr viel tun, um das Fähigkeitsprofil zu verbessern. Warum wir aber gerade jetzt, wo wir europäischer werden wollen, nationale Beschaffungen noch mal kräftig vorantreiben sollen, erschließt sich mir nicht.
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Oder hat die Industrie etwa Angst, es könnte tatsächlich mal klappen mit der Konsolidierung des europäischen Rüstungsmarkts? In Anbetracht der aktuellen Rhetorik braucht sich die Rüstungsindustrie nun wirklich keine Sorgen zu machen. Einige hören sich an, als stünde der Angriff Russlands auf die NATO im Baltikum unmittelbar bevor. Dabei geben allein die europäischen NATO-Staaten heute schon dreimal so viel für Rüstung aus wie Russland – und die USA allein zehnmal so viel. Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass wir die sicherheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit dadurch lösen, dass wir aus einer 13-fachen Übermacht eine 20-fache Übermacht machen? Wohl kaum!
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Frieden ist mehr als Sicherheit, und Sicherheit ist mehr als hohe Rüstungsausgaben. Was wir brauchen, ist eine politische Strategie und die Rückkehr zur kollektiven Sicherheit.
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Ohne eine solche Strategie führen höhere Ausgaben nur zu einer Rüstungsspirale und damit zu weniger Sicherheit für alle.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Johann Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren hier den Verteidigungshaushalt, und deswegen möchte ich vorausschicken, dass die Unionsfraktion natürlich der Auffassung ist, dass wir die Herausforderungen, die wir international sicherheitspolitisch haben, niemals allein militärisch lösen können, sondern dass unsere diplomatischen Anstrengungen, unsere entwicklungspolitischen Anstrengungen, unsere humanitären Anstrengungen immer im Vordergrund stehen, im Übrigen auch in der vergangenen Legislaturperiode im Vordergrund der Politik dieser Koalition gestanden haben.
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Es hätte mit Sicherheit oder mit großer Wahrscheinlichkeit das Abkommen mit dem Iran über die Nuklearwaffen und das Klimaabkommen, um nur mal zwei große wirklich erfolgreiche Abkommen zu nennen, nicht gegeben, wenn die deutsche Diplomatie, die deutschen Außenminister und die deutsche Bundeskanzlerin sich nicht dafür eingesetzt hätten.
Wir haben uns in diesem Koalitionsvertrag, der unserer Arbeit zugrunde liegt, deshalb verpflichtet – da wir jetzt über Geld reden, will ich zu diesem Punkt kommen –: Wenn wir die finanziellen Mittel im Verteidigungsetat aufstocken, was nach unserer Auffassung dringend notwendig ist – dazu werde ich gleich etwas sagen –, dann werden wir auch die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit, die sogenannten ODA-Mittel, im Entwicklungshilfeetat ebenso wie die humanitären Mittel im Etat des Auswärtigen Amtes entsprechend eins zu eins erhöhen.
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Für diese Koalition – für CDU, CSU und SPD – besteht eine nachhaltige Außen- und Sicherheitspolitik immer auch darin, humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe zu leisten und die Staaten, die verunsichert sind, die labil sind, die sich einer inneren und äußeren Bedrohung ausgesetzt sehen, innerlich zu erstarken und ihnen die Möglichkeit zu geben, Stabilität selber herbeizuführen. Das ist Grundlage unserer Arbeit.
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Aber es lässt sich überhaupt nicht leugnen, dass wir in den letzten Jahren – das ist auch unter Verantwortung von Ministern meiner Partei und unserer Schwesterpartei und ebenso in Koalitionen mit Freien Demokraten geschehen – den Verteidigungsetat zu stark haben abschmelzen lassen.
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Dabei haben wir uns der Illusion hingegeben – das betrifft uns ebenso wie viele andere in diesem Hause und auch in vergangenen Legislaturperioden –, es würde keine dringende Notwendigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung mehr geben. Dem hat das Weißbuch Rechnung getragen, aus dem letzten Endes das Fähigkeitsprofil entwickelt und jetzt vorgelegt worden ist – übrigens in einem organischen Prozess, nicht überraschend oder in taktischen Manövern; sondern das ist schlicht und ergreifend eine organische Entwicklung.
Nun ist natürlich vollkommen klar, dass wir uns innerhalb Europas wünschen, dass sich das Verhältnis zu Russland positiver gestaltet. Nur, Herr Kollege Neu, sich hierhinzustellen und zu sagen, dass es überhaupt keine Bedrohung aus russischer Sicht gibt, leugnet das, was kriegerisch noch immer jeden Tag in der Ostukraine geschieht, und leugnet, dass die NATO jeden Tag, zum Beispiel im Luftverkehr mit Rotten, an denen sich auch die deutsche Luftwaffe beteiligt, darauf reagieren muss, dass unser NATO-Gebiet und baltische Staaten verletzt werden.
Vor dem Hintergrund dessen, was in der Ukraine geschehen ist, gibt es eine neue Notwendigkeit, Landes- und Bündnisverteidigung ernst zu nehmen und die Bundeswehr entsprechend auszustatten. Das ist einfach ein Zeichen der Zeit, das wir erkennen. Darauf müssen wir reagieren.
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Kollege Wadephul, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich würde gerne fortfahren.
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Zum Thema „Ausstattungssituation in der Bundeswehr“. Einige der Transporthubschrauber – das ist von Herrn Lucassen hier vollkommen zu Recht angesprochen worden – müssen modernisiert werden. Es gibt andere Notwendigkeiten, die unstrittig sind. Wir müssen die Digitalisierung, auch im Bereich der Kommunikation, fortschreiben und dort etwas tun.
Zwar ermöglicht der Ausrüstungsstand der Bundeswehr die Erfüllung ihres Auftrages, aber wir sind an mancher Stelle wirklich an der Grenze. Man muss ehrlicherweise sagen – das müssen wir auch als Abgeordnete, die die Soldatinnen und Soldaten in Einsätze schicken –: Wir bewegen uns an der Grenze, und wir muten Soldatinnen und Soldaten an einigen Stellen vieles zu. Vieles wird mit Kreativität und Einsatzbereitschaft ausgeglichen; das dürfen wir nicht übertreiben. Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten. Sie haben eine bessere Ausstattung, eine modernere Ausstattung, eine sichere Ausstattung verdient. Und sie haben es auch verdient, dass wir neueste Ausrüstungsgegenstände beschaffen. Dafür brauchen wir die hinreichenden finanziellen Mittel, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dazu bekennen wir uns.
Es geht dabei um zwei Aspekte – ich finde, hier sollten wir uns die Schuld nicht gegenseitig zuschieben –: einerseits die finanziellen Mittel und andererseits die Umsetzung.
Zum ersten Aspekt, den finanziellen Mitteln, liebe Kolleginnen und Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion, gehört, dass wir uns unter Außenminister Steinmeier in der NATO verpflichtet haben, bis 2024 das 2-Prozent-Ziel zu erreichen. Ich bin zwar Jurist und kein besonders guter Rechner, aber 1,5 Prozent bis 2024 sind eben nicht 2 Prozent. Wir müssen unsere Bündnisverpflichtungen an dieser Stelle einhalten. Die Unionsfraktion steht dazu. Wir wollen 1,5 Prozent am Ende dieser Legislaturperiode erreichen, und da müssen wir noch Geld draufpacken, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das schulden wir unseren Bündnispartnern, das schulden wir unseren Soldatinnen und Soldaten.
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Und das Zweite – und da will sich niemand wegdrücken – ist das Thema der Umsetzung; das ist vollkommen klar. Das hat die Ministerin auch erkannt. Wir müssen etwas machen. Niemand will übrigens eine Privatisierung. Malen Sie nichts an die Wand. Aber wir müssen natürlich auch das eine oder andere mit Privaten machen. Dann wird gesagt: Da gibt es riesige Beraterhonorare. – Das ist an der einen oder anderen Stelle für die Professionalität auch notwendig, weil Ausschreibungen – das haben Sie selber berichtet – von Top-Kanzleien angefochten werden. Darauf müssen wir eingestellt sein.
Wir müssen auch mal darüber nachdenken – das sage ich dem Haushaltausschuss –, ob die 25-Millionen-Euro-Grenze für Beschaffungsvorhaben immer noch notwendig ist. Die 25-Millionen-Euro-Grenze trägt der Inflationsrate nicht Rechnung. Das bürdet dem Ministerium und allen Behörden sehr viel Arbeit auf und verzögert schlicht und ergreifend auch Beschaffungsvorhaben. Das heißt, das Parlament ist für eine gewisse Trägheit in diesen Prozessen mitverantwortlich.
({2})
Auch dem müssen wir uns stellen.
({3})
– Nein, nein, nein, Intransparenz will niemand.
({4})
Es wird alles auf den Tisch gepackt. Es gibt keine Armee, die transparenter ist als die Bundeswehr. Dazu stehen wir. Malen Sie nichts an die Wand. Das ist eine Parlamentsarmee. Da kommt alles auf den Tisch.
({5})
Deswegen gilt insgesamt: Wir sind gemeinsam dafür verantwortlich, dass wir das notwendige Geld im Haushalt zur Verfügung stellen und dass es dann auch sinnvoll verwendet wird, um unsere Soldatinnen und Soldaten vernünftig auszustatten, und dafür zu sorgen, dass Deutschland ein verlässlicher Bündnispartner ist.
Herzlichen Dank.
({6})
Der Kollege Wolfgang Hellmich hat für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte verleitet mich zu drei Vorbemerkungen. Frau Strack-Zimmermann,
({0})
wenn Sie über die Schreibtische philosophieren, dann vergessen Sie, dass dieses Vergaberecht, mit dem wir gerade zu kämpfen haben, eine schwarz-gelbe Bundesregierung geschaffen hat.
({1})
Deshalb warte ich auf Ihre Vorschläge, wie man das Vergaberecht verändern kann, damit wir aus solchen Situationen herauskommen.
({2})
– Das ist falsch, was Sie da gerade sagen. Das ist schlichtweg falsch.
({3})
Herr Hohmann, Sie haben noch eines vergessen in Ihrer Geschichtsbetrachtung – die Geschichte ist nun mal mehr als 50 Jahre alt –: Wenn es die Befreiung vom deutschen Nationalsozialismus und europäischen Faschismus nicht gegeben hätte, könnten Sie hier nicht stehen, um eine solche Rede zu halten.
({4})
Wenn ich schon mal dabei bin: Herr Dr. Neu
({5})
– ja –, wenn Sie mal in die Verteidigungsdoktrin, die im Dezember 2014 von der russischen Regierung verabschiedet worden ist, hineinschauen und dort lesen, dass Kapazitäten der atomaren Art aufgebaut werden sollen, um eine mögliche gegnerische Überlegenheit sehr schnell, und zwar präventiv, mit atomaren Schlägen zu beseitigen, dann werden Sie sehen, dass man dieses durchaus nicht als freundliche Ankündigung ansehen kann. Und wenn ich gleichzeitig auf einer Demonstration die Darstellung von Hyperschalltechnologie und Raketen, die mit atomaren Sprengköpfen besetzt sind und die Pole überschreiten können, sehe, dann sage ich: Das ist eine technologische Entwicklung, die für uns auf die Tagesordnung von Abrüstung und Rüstungskontrolle gehört, aber nicht auf die Tagesordnung von gegenseitigen Bedrohungen. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen, damit Sie auch wissen, um welche Diskussionen – auch bezüglich technologischer Entwicklungen – es tatsächlich geht.
({6})
Unsere Bündnispartner nehmen die Debatte hier sehr deutlich wahr. Wir waren am vergangenen Wochenende in Frankreich bei einer Sommeruniversität. Die dortigen Delegierten und Vertreterinnen und Vertreter fast aller europäischen Ausschüsse, nicht nur der französischen Ausschüsse, verfolgen sehr genau die Debatte, die wir hier im Bundestag über den Haushalt führen, unter der Fragestellung, ob wir ihnen gegenüber demonstrieren können, dass wir erstens bündnisfähig und zweitens bündniswillig sind und dies auch entsprechend finanziell hinterlegen. Da hat niemand mir gegenüber von 2 Prozent gesprochen. Die Esten schon; das ist mir aber nicht neu. Aber es haben alle die Frage gestellt: Wozu ist eigentlich die Bundesrepublik Deutschland bereit? Ist sie bereit, im Bereich der technologischen Entwicklungen der Bundeswehr und im Bereich der Prävention und der Früherkennung von Krisen Mittel zur Verfügung zu stellen, um in den internationalen Bündnissen, in der NATO, UN und EU wirksame Beiträge zu leisten, die über das hinausgehen, was wir gerade demonstrieren leisten zu können?
Den Hinweis darauf, was wir im technologischen Bereich, sogar bei Satelliten und im Weltraum, bei der mobilen taktischen Kommunikation, den Fähigkeiten bei der deutsch-französischen Brigade, technologisch interoperabel zu werden, leisten, hatten viele der dortigen Delegierten bzw. Vertreterinnen und Vertreter gar nicht erst zur Kenntnis genommen. Man musste ihnen lange erklären, dass Deutschland auf dem Weg ist, die Bündnisfähigkeit zu stärken.
Das wollen wir auch mit diesem Haushalt leisten. Das Logistikzentrum oder das Logistikkommando in Ulm, das europäische Sanitätskommando bzw. die Vorbereitung dafür, die aufwachsenden finanziellen Mittel für Wissenschaft und Technologie, mit denen wir auch die europäischen Fähigkeiten stärken wollen – all dies gehört in den Kurs einer Stärkung der Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit Europas, der NATO und auch der UN und zeigt das deutsche Bemühen darum.
Das Delta ist da; das ist mir klar. Das wissen wir alle. Das ist in den letzten drei Jahren und heute wohl zum 295 000. Mal beschrieben worden – ungefähr so oft habe ich es gehört –; aber bei der Beschreibung fehlen oft die konkreten Vorschläge für die Roadmap, die den Weg weist, wie man dieses Delta schließen soll, das tatsächlich da ist.
Ich sehe mir diesen Haushalt an und stelle fest: Es gibt zumindest finanzielle Möglichkeiten und Mittel, die Lücken, die tatsächlich da sind, an den zentralen Stellen, an denen es notwendig ist, gerade im Interesse der Soldatinnen und Soldaten zu schließen.
Deshalb finde ich es richtig, mit den Investitionen für die Digitalisierung zu beginnen. Beim Thema MoTaKo oder bei der Fähigkeit einer deutsch-französischen Brigade, technologisch zusammenwirkend zusammenzuarbeiten, geht es um eine Schlüsselfähigkeit, die europäische Kräfte erst in Zukunft in die Lage versetzt, zusammenzuwirken, zusammenzuarbeiten und am Ende auch eine gemeinsame Führungsphilosophie zu entwickeln.
Die Ansätze in diesem Haushalt spiegeln genau diese Linie wider, die sich auch darin niederschlägt, die persönliche Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten zu verbessern. Bei allen Besuchen in Fritzlar, in Pfullendorf und an vielen anderen Standorten – der Kollege Felgentreu war ja auch viel unterwegs – kam immer eines zum Ausdruck: Die Frage der persönliche Ausstattung bzw. des Kümmerns darum ist zusammen mit der Frage des Materials und des Zustandes des Materials für die Soldatinnen und Soldaten Indikator, ob wir sie und ihren Beruf entsprechend wertschätzen oder nicht.
Deshalb senden wir, wenn wir für unsere Soldatinnen und Soldaten dort einen Schwerpunkt setzen, genau das Signal, das zeigt, dass wir sie nicht nur ernst nehmen, sondern wertschätzen, dass wir ihren Einsatz für unser Land wertschätzen und uns auch entsprechend um sie kümmern.
Deshalb ist dieser Haushalt ein Signal des Weiter-so, ein Signal, das zeigt, dass wir in die richtige Richtung gehen. Ich bin sehr dafür, dies zu verstetigen. Wir werden dieses Signal auch in den nächsten Jahren gemeinsam weiter verstärken.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Der Kollege Dr. Reinhard Brandl hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn heutzutage über den Zustand der Bundeswehr gesprochen wird, dann wird oft gesagt: Schuld ist der Sparkurs der letzten 25 Jahre. Das stimmt.
Das Problem ist nur: Wir lernen nicht in allen Bereichen daraus. Ich mache mir keine Sorgen um die Bundeswehr im Jahr 2019. Ich mache mir auch keine Sorgen um die Bundeswehr im Jahr 2020 oder 2021. Der Haushalt, der heute hier vorgelegt wird, stimmt. Die Trendwenden, die Ministerin von der Leyen auf den Weg gebracht hat, wirken. Die Bundeswehr wird von Tag zu Tag attraktiver, und die Materiallage wird besser.
Wenn ich zum Beispiel das Kapitel Materialerhaltung im Haushalt betrachte, stelle ich fest, dass wir dafür im nächsten Jahr über 4 Milliarden Euro vorsehen. Bis 2015 – Henning Otte und ich haben das oft bemängelt – waren wir noch bei einem Niveau von etwa 2 Milliarden Euro. Wir stellen fest: Es funktioniert; es läuft.
Meine Damen und Herren, Sorgen mache ich mir um die Bundeswehr im Jahr 2025 und in den darauffolgenden Jahren; denn wenn wir dann noch eine Truppe haben wollen, die unser Land verteidigen kann, dann müssten wir jetzt zu einem echten technologischen Sprung ansetzen, wie wir ihn zum letzten Mal in den 1970er- und 1980er-Jahren gemacht haben und von dem wir heute noch zehren.
Heute ist schon der Transporthubschrauber CH-53 angesprochen worden. Er fliegt in Afghanistan jeden Tag. Der Hubschrauber wurde 1972 in die Bundeswehr eingeführt, vor 46 Jahren. Heute ist auch der Tornado angesprochen worden. Der Tornado kam 1981 zur Bundeswehr, vor 37 Jahren. Das Patriot-Raketenabwehrsystem ist heute noch nicht angesprochen worden, ist aber auch wichtig. Es wurde 1989 in die Bundeswehr eingeführt, vor 29 Jahren. Es schützt uns gegen Raketen der 1990er- und 2000er-Jahre, aber in der Zwischenzeit nicht mehr vor modernen Langstreckenraketen, die ja genau dafür entwickelt worden sind, diese Systeme zu überwinden.
Wissen Sie, was all diese Projekte gemeinsam haben, auch mit dem Thema Mehrzweckkampfschiff? Ich könnte das weiterführen. Alle diese Projekte haben gemeinsam, dass sie im Haushalt zwar vorhanden sind, aber nicht finanziert sind. Das heißt: Das Ministerium kann alle diese Projekte nicht starten. Das heißt jetzt nicht, dass keines der Projekte jemals kommen wird. Wahrscheinlich werden wir das eine oder andere auch auf den Weg bringen können. Aber wenn sich die Bundeswehr heute entscheidet, die neuen Mehrzweckkampfschiffe, die sie für die Marine dringend braucht, zu beschaffen, bedeutet das automatisch, dass viele andere Systeme hinten runterfallen. Das ist kein Problem für das Jahr 2019. Das wird aber ein großes Problem in 10 oder 20 Jahren werden.
Meine Damen und Herren, um das zu ändern, müssen wir, muss die Bundesregierung endlich den Widerspruch auflösen, in dem wir seit Jahren und auch in diesem Jahr leben. Der Widerspruch besteht darin, dass im Juli auf einen NATO-Gipfel die Bundeskanzlerin im Namen der Bundesregierung, abgestimmt mit allen Bundesministern, erklärt hat, dass im Jahr 2024 von Deutschland 1,5 Prozent des BIP für Verteidigungsausgaben erbracht werden, und im gleichen Monat der Bundesfinanzminister, auch Teil der Bundesregierung, einen Haushalt vorgelegt hat, der vorsieht, dass im Jahr 2022 die Ausgaben für Verteidigung auf 1,23 Prozent des BIP absinken, also genau die andere Richtung.
Meine Damen und Herren, dass die Mittel im Verteidigungshaushalt dann absinken werden, glaube ich noch nicht einmal. Das ist unrealistisch. Aber wissen Sie, was passieren wird? Es wird Folgendes passieren, wenn jetzt nichts geändert wird und wenn wir so weitermachen wie bisher: Im Jahr 2021 wird der Titel für 2022 erhöht. Dann hat die Bundeswehr 2022 genügend Geld zur Verfügung. Das Problem ist: Sie kann im Jahr 2019 keine neuen Projekte starten. Das heißt, die Bundeswehr braucht jetzt die Planungssicherheit über die nächsten Jahre hinweg. Wir haben gestern den Bundesfinanzminister gehört. Da war ich ganz positiv überrascht, weil er nämlich gesagt hat, er sieht die Notwendigkeit, dass wir für die Bundeswehr auch in Zukunft mehr Geld zur Verfügung stellen. Ich bitte, ihm auszurichten – seine Staatssekretärin sitzt heute hier –: Wir nehmen ihn beim Wort.
Wir glauben jetzt einmal nicht Carsten Schneider, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion, der heute wieder genau in die andere Richtung gerudert ist, sondern wir glauben der Bundesregierung, dass wir wenigstens die 1,5 Prozent – die nicht 2 Prozent sind; das ist ja noch einmal eine andere Debatte –, die Sie im Juli zugesagt haben, in den nächsten Jahren planbar auf die Spur bringen. Denn die Bundeswehr braucht eine langfristige Planungssicherheit, und eine genauso langfristige Planungssicherheit braucht die wehrtechnische Industrie in Deutschland. Heute, habe ich gesehen, sind auch einige Arbeitnehmer der wehrtechnischen Industrie mit in diesem Raum und verfolgen die Debatte. Meine Damen und Herren, wenn wir heute den Menschen keine Sicherheit geben, wenn wir ihnen nicht sagen, dass es weitergeht, wenn uns dann in fünf Jahren einfällt, dass wir plötzlich Material brauchen, aber dann keinen mehr haben, der es produziert, und wir es im Ausland kaufen müssen, dann ist unserer Souveränität auch nicht gedient.
In diesem Sinne, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Lassen Sie uns daran arbeiten. Ich will im Jahr 2025 hier keine Debatte hören, wo der Zustand der Bundeswehr beklagt wird und wo die Schuld dann auf die Politiker im Jahr 2018 geschoben wird. Um das zu ändern, haben wir nicht mehr viel Zeit, aber wir sollten sie nutzen. Es werden entscheidende Wochen für die Bundeswehr werden.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und freue mich auf die Zusammenarbeit.
Herzlichen Dank.
({0})
Weitere Wortmeldungen zum Einzelplan des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums der Verteidigung liegen mir nicht vor.
Vielen Dank. – Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Die Rede wäre auch für Verteidigungspolitiker interessant, aber Sie werden die Fakten dann bekommen.
Manchmal fragt man sich, ob man angesichts der Katastrophen um uns herum nicht verzweifeln könnte. Ich denke – die Regierungsbank schaut auf – an Idlib, an die Menschen unter dem Bombenhagel. Man fragt sich in einer Haushaltsdebatte angesichts dessen, was wir an Wohlstand verteilen – jeder Einzelne sollte sich das einmal fragen –: Darf es uns so gut gehen, wenn es anderen in der Welt so schlecht geht? Ich möchte Ihnen kein schlechtes Gewissen einreden, sondern ich sage Ihnen natürlich die Antwort: Uns darf es so gut gehen. Aber der, dem es gut geht, der Starke, muss Verantwortung für den Schwachen übernehmen. Das ist unsere Message.
({0})
Wie können wir Krisen, Armut und Kriege verhindern? Diese Frage muss sich in der Haushaltsberatung vor allem der Finanzminister stellen, aber auch wir, wenn wir auf den EZ-Haushalt des reichsten europäischen Landes blicken. Mit dem Haushaltsansatz 2019 wird die ODA-Quote sinken. Ich kann viel tun mit meinem Haushalt der letzten Jahre, der aufgewachsen ist, aber ich kann dringend notwendige Programme nicht finanzieren. Ich sage allen, die in ihrer Rede Fluchtursachenbekämpfung fordern: Ich kann dringende Programme nicht finanzieren. Wir haben in Deutschland einen Rücklagefonds für Flüchtlingsausgaben beim Finanzminister in Höhe von 25 Milliarden Euro gebildet. Unser Haushalt steigt um 285 Millionen Euro.
Ich baue, meine Damen und Herren, und vertraue auf das Parlament, zumindest auf der Basis des Koalitionsvertrages, den Haushaltsansatz in den Haushaltsberatungen aufzustocken. Die Bedarfe sind enorm. Vielleicht haben Sie es in der letzten Woche gelesen: UNICEF schließt bereits wieder Schulen. Wir konnten noch einmal Mittel zusammenkratzen – so sage ich es einmal; wir mussten Mittel aus Langfristprojekten abziehen – und konnten UNICEF als Hauptunterstützer noch einmal mit 10 Millionen Euro unterstützen. Es werden in und um Syrien bereits wieder Schulen geschlossen. In Idlib – wir diskutieren über einen möglichen Militäreinsatz – sterben die Menschen aber heute. Es bedürfte heute eines Konzeptes, um humanitäre Hilfe zu leisten, um Sterben zu verhindern. Wir müssen jetzt dort handeln.
({1})
Meine Damen und Herren, wir könnten Hunger und Armut stoppen, das Flüchtlingselend wirksam bekämpfen: mit einem höheren weltweiten Stellenwert der EZ. Jetzt wird es für die Militär- und Verteidigungspolitiker interessant: Die jährlichen Rüstungsausgaben weltweit steigen in diesem Jahr auf circa 1 700 Milliarden Dollar. Das sind fast 5 Milliarden Euro jeden Tag – 5 Milliarden Euro jeden Tag! Die weltweiten Ansätze für Entwicklungszusammenarbeit stagnieren bei weniger als 10 Prozent – bei 160 Milliarden Euro –, und die USA reduzieren ihren Anteil. Wir könnten 50 000 Dorfapotheken in Afrika für den Preis eines einzigen Militärjets finanzieren – 50 000 Dorfapotheken! Mit 1 Prozent der Rüstungsausgaben weltweit könnten wir alle humanitären Bedarfe – alle! –,
({2})
Krisen und Katastrophen, Hunger und andere Nöte vom Jemen, über Bangladesch – ich erinnere auch an das Schicksal der Rohingya –, den Tschad bis Venezuela, decken – mit 1 Prozent! Guterres hat diesen Wert für die Deckung des Bedarfs weltweiter humanitärer Einsätzen berechnet. Insofern ist es eine Frage des Wollens und des Handelns, und das müssen wir einfordern.
({3})
Ich fordere das weltweit, europäisch und national ein. Jeder, der anders handelt, muss sich dieser Frage stellen.
Gegen die Globalisierung von Gleichgültigkeit und des Wegschauens hat Papst Franziskus aufgerufen. Willy Brandt war es, der am 9. Dezember 1977 – ich bin in der damaligen Zeit politisch aktiv geworden – bei der konstituierenden Sitzung der Nord-Süd-Kommission dazu aufrief – ich zitiere ihn –:
Die Aufgabe besteht darin, die Menschheit von Abhängigkeit und Unterdrückung sowie von Hunger und Not zu befreien. Neue Bande müssen geknüpft werden, welche die Aussichten auf Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität für alle verbessern.
Das ist der Spirit, den wir heute, 2018, wieder aufnehmen müssen.
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Meine Damen und Herren, dabei geht es nicht alleine um Geld; damit Sie mich nicht falsch verstehen. Zurück aus Afrika weiß ich, dass wir den Planeten übernutzen und dass wir, die Industrieländer, über unsere Verhältnisse und auf Kosten der anderen leben. Ich war auf der weltgrößten Müllhalde in Accra, wo unser Müll, unser Schrott, ankommt. Zehntausend Kinder versuchen, in dieser Schrotthalde zu überleben.
Ja, wollten alle so leben, konsumieren und wirtschaften wie wir, bräuchten wir zwei bis drei Erden. 20 Prozent der Weltbevölkerung, wir, die Industrieländer, verbrauchen 80 Prozent der Ressourcen und hinterlassen zwei Drittel der Umweltbelastungen. Diesen Trend müssen wir stoppen. Ich habe in Mosambik gesehen, dass sich China, Indien, Japan im Kampf um Öl, um Gas, um Ressourcen die Hand geben, dass aber das Land und die Menschen arm bleiben und hoch verschuldet sind. Daher muss es der Weltstaatengemeinschaft gelingen, dieser Form des Neokolonialismus Grenzen zu setzen. Wir brauchen Regeln und Standards für die multinationalen Konzerne und Staaten.
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Der Ressourcenreichtum Afrikas muss bei den Menschen ankommen.
Wenn Sie nachher über Geld diskutieren: Das ist der entscheidende Punkt – der Ressourcenreichtum. Afrika, aber auch Indien sind reich. Ihr Reichtum muss bei den Menschen vor Ort ankommen – durch Wertschöpfung, Steuern, Löhne usw. Wir können dafür heute in der Digitalgesellschaft durch Transparenzstandards sorgen.
Meine Damen und Herren, wir haben viel bewegt. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen hier in der Koalition, aber auch außerhalb und in der Zivilgesellschaft für die großartige Unterstützung. Wir haben viel bewegt. Wir fangen ja nicht bei null an. Wir haben in den letzten fünf Jahren die Säulen der EZ erheblich ausgebaut.
Was meinen beiden Parlamentarischen Staatssekretären, Frau Dr. Flachsbarth und Herrn Barthle, und mir wirklich wichtig ist, das ist, wirksamer zu gestalten. Wir verbessern die Rahmenbedingungen für Privatinvestitionen, liebe Kollegen aus der FDP. Das ist ein ganz entscheidender Hebel. Ich werde am 30. Oktober 2018 Grundzüge eines Wirtschaftsförderungspaketes vorstellen. Aber auch da brauche ich wiederum den Wirtschaftsminister und den Finanzminister, der endlich auch grünes Licht für bessere Rahmenbedingungen für deutsche Investitionen in unseren Entwicklungsländern geben muss.
Wir machen Eigenleistung zur Voraussetzung für Fortschritt: Bekämpfung der Korruption, Einhaltung der Menschenrechte, Wahrung der Rechte der Frauen. Wir haben bisher drei Reformländer ausgemacht. Wir konzentrieren unsere Zusammenarbeit – ausgenommen LDC, Hungerbekämpfung, selbstverständlich – und können nicht mehr überall fördern. Ich werde in einer der nächsten Haushaltsberatungen auch die Länderliste kritisch hinterfragen. Wir können nicht das Geld nach dem Gießkannensystem in 85 Ländern der Welt ausgeben.
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Mit dem Marshallplan mit Afrika setzen wir deshalb ein Gesamtkonzept um. Ein Staatssekretärsausschuss – das ist mir ganz wichtig; herzlichen Dank an alle Ressorts – koordiniert unter Leitung von BMZ und Auswärtigem Amt einen einheitlichen Ansatz aller Ressorts, und alle sind eingeladen, ihren Beitrag einzubringen. Eine ständige Arbeitskommission habe ich vor 14 Tagen mit der Afrikanischen Union vereinbart, um das Afrika-Europa-Abkommen 2020, das wir unter deutscher Ratspräsidentschaft unterzeichnen wollen, vorzubereiten. Eine BMZ-Kommission unter Leitung von Staatssekretärin Dr. Flachsbarth wird den SDG-Prozess umsetzen und stärken. Eine zweite Staatssekretärskommission unter Leitung von Staatssekretär Barthle wird das Thema „Wachstum, Handels- und Finanzfragen in einer nachhaltigen EZ“ mit Partnern und Experten der Zivilgesellschaft bearbeiten. Meine Damen und Herren, ich selbst werde Ihnen demnächst ein neues Konzept „Entwicklung und Klima“ vorstellen. Klima muss wieder Priorität auf der Tagesordnung haben.
({7})
Wir gehen voran und erhöhen die Schlagzahl. Ich freue mich und bedanke mich sehr für die gute Zusammenarbeit und Unterstützung.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Volker Münz für die AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Entwicklungszusammenarbeit ist ein wichtiger Politikbereich; denn die Entwicklungshilfe und die wirtschaftliche Zusammenarbeit sind, verantwortungsethisch betrachtet, die wichtigste Antwort auf den anwachsenden Wanderungsdruck der Menschen aus den Krisenländern – damit die Menschen sich eben nicht auf den Weg nach Europa machen. Aber es kommt darauf an, wie die Entwicklungszusammenarbeit qualitativ und quantitativ ausgestaltet wird, und hier sehen wir von der AfD-Fraktion erheblichen Änderungsbedarf. Mit einzelnen Änderungen ist es nicht getan. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Entwicklungszusammenarbeit, meine Damen und Herren.
({0})
Zwar hat Minister Müller einen Paradigmenwechsel bereits vor einiger Zeit verkündet, aber er ist noch nicht erkennbar. Nach wie vor werden die Mittel mit der Gießkanne an Hunderte von Trägern für Tausende von Projekten in rund 100 Ländern ausgeschüttet. Und, Herr Minister Müller, Sie haben es ja gerade auch gesagt: Es wird immer noch mit der Gießkanne ausgeschüttet. Sie sind seit 2013 Minister. Sie hätten doch hier schon was ändern können.
({1})
Rupert Neudeck, der verstorbene Gründer der Hilfsorganisation Cap Anamur, hat bereits vor zehn Jahren gefordert, die Entwicklungshilfe auf größere Projekte und einzelne Staaten zu konzentrieren. Und außerdem müssten klare Bedingungen vereinbart und Kontrollen durchgeführt werden, damit die Mittel nicht durch Korruption in den Taschen von Potentaten versickern. Und dies geschieht leider immer noch, meine Damen und Herren.
({2})
Es geht darum, nicht Almosen, sondern konkrete Hilfe zur Selbsthilfe zu gewähren. Die Entwicklungszusammenarbeit setzt Vertrauen, Kooperationsbereitschaft – auch bei der Rücknahme nicht als Flüchtlinge anerkannter Landsleute – und Vertragstreue voraus. Wenn diese elementaren Bedingungen nicht eingehalten werden, müssen wir konsequent sein und unsere Mittel kürzen. Wohlgemerkt gilt dies nicht für Nothilfemaßnahmen – das ist ein anderes Thema. Bei der Entwicklungszusammenarbeit sind selbstverständlich die Interessen unseres Landes in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, meine Damen und Herren.
({3})
Das Ministerium sollte seinem Namen gerecht werden und verstärkt wirtschaftliche Zusammenarbeit fördern. Diese kommt nach wie vor zu kurz. Die Entwicklungszusammenarbeit sollte auch Außenwirtschaftsförderung sein. Deutsche Unternehmen sollten verstärkt gefördert werden bei Investitionen in Entwicklungsländern. Sie haben gerade angekündigt, Herr Minister, in Kürze ein entsprechendes Programm vorzulegen. Ich bin gespannt.
Wir brauchen Maßnahmen, die den Menschen in den wenig entwickelten Ländern wirklich helfen. Aufstrebende Schwellenländer wie Brasilien sollten keine Entwicklungshilfe mehr bekommen. China erhält immer noch deutsche Entwicklungshilfe aus früheren Bewilligungen, auch wenn es jetzt angabegemäß keine Neuzusagen mehr gibt. Aber noch 2016 wurden allein an kirchliche Träger für soziale Projekte in China für die Jahre 2017 bis 2021 5,6 Millionen Euro bewilligt, zum Beispiel für die Bewusstseinsbildung zu Arbeitnehmerrechten und Umweltschutz. Das ist doch absurd. Außerdem gibt es so interessante Projekte wie die gendersensible Männerarbeit in Nicaragua. Vor kurzem wurde bekannt, dass Ruanda, das immerhin 100 Millionen Euro aus deutschen Steuermitteln bekommt, einen englischen Fußballclub mit 38 Millionen Euro sponsert. Da kann man sich nur an den Kopf fassen.
Wir sehen dringenden Nachbesserungsbedarf bei der Evaluierung der Maßnahmen, bei der Kontrolle der Mittelverwendung, um eine Verschwendung von Haushaltsmitteln zu verhindern.
Ich freue mich auf konstruktive Berichterstattergespräche und Beratungen im Ausschuss.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Sonja Amalie Steffen für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Müller! Liebe Gäste! Zunächst die guten Nachrichten: Mit Gesamtausgaben in Höhe von insgesamt 9,72 Milliarden Euro sieht der Entwurf des Einzelplanes 23 zum vierten Mal in Folge den höchsten Etat in der Geschichte des Bundesministeriums vor. Es sind knapp 284 Millionen Euro mehr in diesem Haushalt als im letzten Haushalt vorgesehen. Wenn wir das alles insgesamt betrachten und den Finanzplan von Juni 2017 einbeziehen, dann können wir feststellen, dass der Entwurf insgesamt über 1 Milliarde Euro mehr vorsieht. Das ist doch ein gutes Signal.
({0})
Aber es wäre keine ehrliche Haushaltsrede, wenn sie nicht auch an den Koalitionsvertrag erinnern würde. Dort haben wir nämlich festgelegt, dass zusätzlich entstehende Haushaltsspielräume prioritär dazu genutzt werden, Verteidigungshaushalt und ODA-Quote im gleichen Verhältnis zu erhöhen.
({1})
Wir werden uns wahrscheinlich in den nächsten Wochen noch viel mit dieser Vereinbarung beschäftigen, zum Beispiel mit der Frage, welche Mittel wo anzurechnen und wo nicht anzurechnen sind.
Wir reden in dieser Debatte nicht über Sinn und Unsinn der Erhöhung der Verteidigungsausgaben, sondern über die Entwicklungszusammenarbeit.
({2})
Deshalb erscheint mir eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag noch viel wichtiger. Wir haben uns nämlich neben der Kopplung der ODA-Quote an den Verteidigungshaushalt auch dazu verpflichtet, dass ein Absinken der ODA-Quote verhindert werden muss.
({3})
Diese Debatte, ob die eingestellten Mittel im Haushaltsplan ausreichen werden, um die ODA-Quote in dieser Legislaturperiode letztendlich zu erreichen, müssen wir führen.
({4})
Allerdings, Herr Minister, muss ich ein bisschen Wasser in den Wein gießen. Es heißt ja nicht, dass ODA-Mittel und BMZ eine alleinige, ausschließliche Einheit bilden. Die ODA-Mittel umfassen doch einiges mehr als den Einzelplan 23. Das wird manchmal vergessen. Sie umfassen auch wichtige Mittel des Umweltministeriums – Sie haben den Klimaschutz erwähnt –, sie umfassen Mittel des Gesundheitsministeriums – Global Health, darüber werden wir wahrscheinlich übermorgen reden –, und sie umfassen vor allem – und das ist besonders wichtig – auch Mittel des Auswärtigen Amtes. Gerade in Zeiten wie diesen müssen wir unseren Beitrag zur humanitären Hilfe leisten, umso mehr, da der amerikanische Präsident – darauf hat der Minister schon hingewiesen – umfangreiche Streichungen nicht nur angekündigt, sondern bereits hat durchführen lassen.
Für 2019 bin ich zuversichtlich, dass wir die bisher erreichte ODA-Quote zumindest halten können. Wir müssen uns allerdings darüber hinaus die Zahlen im Laufe der Haushaltsberatung noch einmal genau anschauen. Insbesondere die Zahlen, die für die Jahre nach 2019 im Finanzplan der Bundesregierung abgebildet sind, sehen im Hinblick auf die ODA-Quote nicht so erfreulich aus. Ich wage zu bezweifeln, dass wir auf Basis dieses Finanzplans die ODA-Quote einhalten können.
Ich will an dieser Stelle einmal auf Folgendes hinweisen: Der fünfjährige Finanzplan wird vom Bundesministerium für Finanzen jedes Jahr neu aufgestellt und dann von der Bundesregierung erlassen. Er wird jährlich an die Entwicklung angepasst und fortgeführt. Es handelt sich hierbei also um ein internes Planungsinstrument der Bundesregierung. Wir, die MdBs, und auch der Bundesrat erhalten den Finanzplan nur zur Information. Der jährliche Haushaltsplan hingegen, den wir heute beraten, ist ein Gesetz, über das wir alle hier im Parlament zu entscheiden haben. Damit möchte ich sagen: Es ist noch nicht aller Tage Abend.
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Herr Minister, Sie bauen und vertrauen auf das Parlament, und das ist auch gut so. Ich will Sie allerdings motivieren. Die Fachpolitiker der SPD müssen Sie an dieser Stelle nicht überzeugen;
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aber vielleicht müssen Sie noch ein wenig Überzeugungsarbeit in den eigenen Reihen leisten.
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Ich möchte noch auf eine weitere Besonderheit im Entwurf 2019 hinweisen, und zwar auf die Höhe der Verpflichtungsermächtigungen: Wir haben laut Entwurf bereits eine Steigerung der Verpflichtungsermächtigungen um 7,7 Milliarden Euro auf knapp 10,3 Milliarden Euro erreicht. Das ist eine mehr als 33-prozentige Steigerung. Das ist ein gutes Zeichen; denn die Verpflichtungsermächtigungen zielen auf Aufgaben in den kommenden Jahren ab. Sie sind für die Organisationen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, für die GIZ, für die Kirchen, für die Stiftungen, für die vielen NGOs, die mitwirken, extrem wichtig für die langfristige Projektplanung. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die Verpflichtungen auch in künftigen Haushaltsjahren ausfinanziert sind. Das ist seriöse Entwicklungszusammenarbeit, und die sind wir nicht nur den Organisationen schuldig, sondern auch den vielen Menschen, die wir weltweit unterstützen.
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Es geht aber nicht nur darum, Quoten zu erreichen, und es geht natürlich auch nicht darum, Haushaltsrekorde zu erzielen. Was ist unser eigentliches Ziel? Für die Sozialdemokraten kann ich das relativ einfach zusammenfassen: Ziel ist das Erreichen der SDGs, die Umsetzung der Agenda 2030.
({9})
Ich empfehle Ihnen allen in diesem Saal und auch auf der Tribüne, sich diese SDGs, Sustainable Development Goals, einmal genauer anzuschauen. In diesen SDGs ist festgelegt – übrigens hat das Willy Brandt mit dem, was Sie vorhin zitiert haben, im Grunde schon formuliert –, was wir weltweit erreichen wollen: Wir wollen keine Armut, wir wollen keinen Hunger, wir wollen gute Gesundheit, wir wollen gute Bildung, wir wollen Gleichberechtigung von Männern und Frauen, saubere Energien, sauberes Wasser, würdige Arbeit, wirtschaftliche Entwicklung – um hier nur einige Ziele zu nennen. Diese Ziele sollten wir uns auf die Fahne schreiben.
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Die entscheidende Frage ist natürlich: Wie erreichen wir diese Ziele? Das sind natürlich sehr hochrangige Ziele. Wir brauchen das Engagement der zivilgesellschaftlichen Organisationen, und das muss ausreichend finanziert werden. Und wir müssen multilaterale Initiativen weiter stärken und mit unseren guten bilateralen Entwicklungszusammenarbeitsinstrumenten verzahnen.
({11})
Ebenso müssen auf nationaler Ebene die unterschiedlichen Fachressorts, die ich vorhin schon genannt habe, an einem Strang ziehen.
Jetzt bleibt mir kaum noch Redezeit. Ich will nur noch Folgendes sagen: An diesem Entwurf gibt es noch einiges zu tun. Ich erinnere an den GFATM; da steht die Wiederauffüllungskonferenz an. Ich erinnere an die Ziele zur entwicklungspolitischen Bildung bei uns in Deutschland. Ich erinnere an den Zivilen Friedensdienst und die anderen Dinge, die im Koalitionsvertrag festgelegt sind. Da wollen wir auf jeden Fall noch eine Schippe drauflegen.
Ich freue mich auf die anstehenden Verhandlungen und wünsche mir gute Ergebnisse. Ich denke, an dem Entwurf wird sich bis zur zweiten und dritten Lesung, bis wir hier über den Etat entscheiden werden, noch einiges ändern.
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Das Wort hat der Kollege Michael Link für die FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die deutsche Entwicklungspolitik gilt seit einiger Zeit, so kann man es fast sagen, ein neues Mantra: die Fluchtursachenbekämpfung. Sie, Herr Minister, werden zu Recht nicht müde, immer wieder zu betonen, dass die Aktivitäten auch an diesem Ziel gemessen werden müssen. Wir Freie Demokraten befürchten aber, dass dieses Mantra im Zusammenhang mit der Aufstellung des Haushalts manchmal zu einer Art Freibrief mutiert, nach dem Motto: Hauptsache mehr Geld.
Denn der Etat des BMZ soll auch 2019 wieder wachsen, was wir auch für richtig halten. Aber ein verstärkter Mitteleinsatz – das ist der Punkt, an dem wir schon etwas Wasser in den Wein schütten wollen und müssen – bedeutet eben nicht automatisch, dass man mehr bewirkt. Es geht um die Wirkungsorientierung unseres Handelns. Quoten alleine – Kollegin Steffen hat davon gesprochen – sind kein Selbstzweck. Richtig ist, es muss auf jeden Fall auch an der Effizienz gearbeitet werden. Deshalb müssen wir das Haushaltsverfahren nutzen, um unsere Verfahren und Prozesse immer wieder auf den Prüfstand zu stellen. Auch in diesem Jahr gibt es deshalb aus Sicht der Freien Demokraten, Herr Minister, drei klare Aufträge an Sie:
Erstens. Ihr Ministerium muss sich mit den anderen Akteuren, die Deutschland international vertreten, also vor allem mit dem Auswärtigen Amt, wesentlich besser abstimmen.
({0})
Zweitens. Wir brauchen eine wirksame und auch schonungslose Evaluierung entwicklungspolitischer Maßnahmen – Stichwort „Wirkungsorientierung“ –, nicht nur beim BMZ, sondern auch beim AA; ich habe das heute Morgen an anderer Stelle schon gesagt.
Drittens brauchen wir vor allem ein deutlich stärkeres multilaterales Engagement.
({1})
Einige Worte zur besseren Abstimmung, also zum vernetzten Ansatz. Entwicklungspolitik, Diplomatie und Bundeswehreinsätze wollen wir nahtlos ineinandergreifen lassen. Statt die Etats isoliert zu betrachten, wollen wir Freie Demokraten langfristig 3 Prozent unseres BIP in die sogenannten drei Ds investieren: in Development, Diplomacy und Defense. Wir wollen also Entwicklung, Diplomatie und Verteidigung gemeinsam denken.
Im Koalitionsvertrag bekennt sich die Große Koalition blumig zum vernetzten Ansatz. Doch wie sieht die Realität aus? Im deutschen Außenauftritt gilt viel zu oft das Motto: Die rechte Hand weiß nicht, was die linke tut. Es gab ja Hoffnung, dass sich daran etwas ändert. Viele Monate lief zwischen dem BMZ und dem Auswärtigen Amt eine Analyse zu diesem Thema. Das Ergebnis: dünn bis durchsichtig. An die Kernfrage dieser sogenannten Spending Review – die Lektüre lohnt sich – haben Sie sich nicht herangetraut, nämlich klar zu definieren, wer im Konzert des deutschen internationalen Handelns welches Instrument spielt. Oder einfacher gesagt: Wer macht was? Die Tatsache, dass man manche Sachen an manchen Stellen nicht 100-prozentig scharf trennen kann – wie Syrien –, darf nicht bedeuten, dass man bei 99 Prozent zulässt, dass sie sich weiter überschneiden. Da liegt extrem viel im Argen.
({2})
Im Sinne einer effizienten und nachhaltigen Hilfe vor Ort hätten Sie die verschachtelten Zuständigkeiten entwirren müssen. Stattdessen – zahlreiche Häuser der Bundesregierung sind daran beteiligt – stehen sich hauptsächlich das Entwicklungsministerium und das Auswärtige Amt bei vielen Projekten oft weiter gegenseitig auf den Füßen.
Zweites Thema: die Evaluierung. Das Mantra der Fluchtursachenbekämpfung, so richtig dieses Thema ist, darf nicht zum Blankoscheck werden, um sich jeder konstruktiven Kritik zu entziehen. Das wäre auch unwürdig angesichts der vielen Menschen, die sich dienstlich, beruflich und ehrenamtlich in der Entwicklungszusammenarbeit engagieren: im BMZ, in der GIZ, in der KfW und vielen anderen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen, denen ich im Namen meiner Fraktion ganz ausdrücklich danke.
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In der deutschen Entwicklungspolitik muss gelten: Qualität vor Menge. Deshalb wollen wir stets besser werden, um zielgenauer unterstützen zu können. Dafür muss man sich aber möglichst von unabhängigen Experten bewerten lassen. Eine solche externe Evaluierung, meine Damen und Herren, findet in der deutschen Entwicklungsarbeit bei weitem nicht ausreichend statt. Denn wie wir durch den letzten Bericht des Rechnungshofes wissen, hat das BMZ-nahe Evaluierungsinstitut DEval nicht einmal ausreichend Zugang zu den Unterlagen ebendieses Ministeriums.
Im Grunde müsste man die Maßnahmen des BMZ und des AA auf die gleiche Weise evaluieren. Warum zum Beispiel nicht das DEval aus dem BMZ herauslösen und als unabhängiges Institut mit der Evaluierung der Wirkungsorientierung deutschen internationalen Handelns beauftragen? Durch ungenügende Evaluierung wird viel Geld weiter in zweifelhafte Projekte gesteckt. Doch wenn wir mit mehr Mitteln auch mehr bewirken wollen, dann ist es unglaublich wichtig, dass wir an der Evaluierung arbeiten.
Der letzte Punkt. Herr Minister, die Fluchtursachenbekämpfung nutzen Sie sehr oft, um Ihr Lieblingsthema, die Sonderhaushalte bzw. die sogenannten Sonderinitiativen, zu fahren. Darin tummeln sich eine Reihe von Maßnahmen, die das BMZ auch an anderer Stelle bearbeitet. Um es klar zu sagen: Wir haben nichts gegen die inhaltlichen Schwerpunkte dieser Initiativen. Wogegen wir etwas haben, ist ein riesiger Sonderhaushalt, eine Art persönlicher Einzelplan des Ministers, aus dem Sie bei Ihren Reisen nach Gutdünken Mittel verteilen – an der eigentlichen Systematik des Haushaltes vorbei.
Deshalb kann es nicht sein, dass wir hier an dieser Stelle einfach so weitermachen wie bisher. Das entspricht auch nicht den Grundsätzen guter Haushaltsführung. Jetzt legen Sie sogar noch eine vierte Sonderinitiative auf. Dabei ist doch offensichtlich: In der EZ müssten wir vor allem global und mehr multilateral handeln – genau das werden wir auch einfordern –, statt immer mehr Schaufensterinitiativen aufzuplustern.
Wir werden konkrete Vorschläge vorlegen für den Bereich Familienplanung, im Bereich Bildung, im Bereich Schutz der Wälder, im Bereich der Multilateralität. Wir stehen gerne bereit, mit den Kolleginnen und Kollegen aus Opposition und Koalition im Ausschuss daran zu arbeiten. Aber eines ist klar: So, wie dieser Haushalt jetzt ist, können wir nicht zufrieden sein. Dieser Haushalt muss besser werden. Menge allein genügt nicht, wir müssen an der Qualität noch sehr viel arbeiten.
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Michael Link. – Einen schönen Nachmittag oder Restnachmittag, liebe Kolleginnen und Kollegen! – Nächste Rednerin in der Debatte: Helin Evrim Sommer für die Fraktion Die Linke.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Entwicklungsminister Müller! Liebe Gäste! Die Vereinten Nationen sagen, die reichen Länder sollen 0,7 Prozent ihres Einkommens für Entwicklungshilfe ausgeben. 0,7 Prozent – diese Vorgabe gibt es seit 1972. Deutschland hat diese Quote nie erfüllt. Was machen wir jetzt? Aktuell setzen wir ein 15 : 1 dagegen. Das heißt, unsere Rüstungsausgaben steigen 15-mal so stark wie die Entwicklungsgelder.
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15 : 1 ist vielleicht ein tolles Ergebnis bei einem Länderspiel, aber in diesem Fall moralisch falsch und wirtschaftlich unvernünftig, meine Damen und Herren.
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Ich glaube – nein, ich bin fest davon überzeugt, dass es besser geht, liebe Bundesregierung, lieber Entwicklungsminister Müller.
In den letzten Jahren hat die Bundesregierung sich die Zahlen schöngerechnet, und zwar mit einem Trick: Sie hat die Kosten der Flüchtlingshilfe hier in Deutschland einfach mit in die Entwicklungshilfe eingerechnet. Das ist ja so, als würden wir uns hier selber Entwicklungshilfe zahlen, meine Damen und Herren. Meinen Sie das wirklich ernst? Würde man ehrlich rechnen, würde sofort klar: Wieder und wieder bleiben wir hinter den 0,7 Prozent zurück.
Mit einem Budget von 0,7 Prozent, das tatsächlich in die Entwicklungszusammenarbeit fließt, kann Deutschland Schulen und Krankenhäuser in Afghanistan bauen, Mikrokredite in Marokko vergeben und die Landwirtschaft in Kolumbien mit Know-how unterstützen. Denn das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist wirklich der beste Weg, um Fluchtursachen zu bekämpfen
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Doch in der Entwicklungszusammenarbeit geht es nicht nur um unsere Interessen in Sachen Migration. Es geht darum, in anderen Ländern nachhaltige Lebensbedingungen zu schaffen: Milch und Obst, Straßen und Häuser, Handel und Investitionen, medizinische Versorgung und Bildung, Bildung, Bildung – das müssen die Eckpunkte unserer Entwicklungspolitik sein, meine Damen und Herren.
Ja, Herr Müller hat viele ausgezeichnete Ideen;
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sie hat er hier auch noch mal vorgetragen. Ich weiß das auch aus persönlichen Gesprächen. Ich denke, wir sollten ihm mit einem soliden Budget den Rücken stärken; das meine ich auch ernst.
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Das bedeutet, meine Damen und Herren: 0,7 Prozent, ohne Schönrechnerei. Und auch genau daran werden wir Sie messen, lieber Herr Müller.
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Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition steht, dass die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit in derselben Höhe steigen sollen wie die Ausgaben für Verteidigung.
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– Ja, das weiß ich.
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Soll ich also als überzeugte Linke einem höheren Verteidigungsetat freudestrahlend zustimmen, damit mehr Geld in die Entwicklungshilfe fließt?
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Ein perfider Gedanke, meine lieben Damen und Herren!
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Aber ganz unabhängig von Ihren politischen Vorlieben appelliere ich trotzdem an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Mit 0,7 Prozent des Bruttoinlandseinkommens wird Deutschland zunächst mal seinen internationalen Verpflichtungen gerecht und zum Vorbild anderer Geberländer. Konkret bedeutet das: Im Einzelplan 23 müssen für 2019 11,9 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Das ist gerade einmal ein Dreißigstel des Gesamthaushalts. Das müsste doch zu machen sein, lieber Herr Müller, oder?
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Fordern wir den Entwicklungsminister, Herrn Müller, heraus! Lassen Sie uns die Kosten, die wir in Deutschland haben, nicht mit unserer Entwicklungshilfe verrechnen! Die Wählerinnen und Wähler erwarten von uns transparente Entscheidungen und kein Schönrechnen hintenherum. Es ist der Umgang mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger. Wir sollten etwas Gutes daraus machen. Fangen wir mit echten 0,7 Prozent an!
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Kollegin Sommer. – Nächster Redner: Ottmar von Holtz für Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Minister Dr. Müller, damals bei der Einbringung der Regierungserklärung, nachdem der Koalitionsvertrag unterschrieben war, hatte ich mich ja schon gewundert. Heute habe ich mich erst recht gewundert. Ich habe mich allerdings weniger über Sie gewundert; denn ich weiß ja, wie Sie zur Entwicklungspolitik stehen und was Sie hier vortragen. Ich teile das alles – vielleicht mit Ausnahme des sogenannten Marshallplans; da würde ich Abstriche machen. Was mich allerdings gewundert hat, ist, dass Ihre Fraktion hier sitzt und Beifall klatscht, den Haushalt am Ende aber nicht so gestaltet, wie Sie es hier einfordern. Das ist das, was mich heute hier am allermeisten gewundert hat.
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Sie haben es sehr anschaulich dargestellt: Mit 1 Prozent der weltweiten Militärausgaben würden wir sämtliche humanitäre Hilfe finanzieren können. Ich würde mir in diesem Zusammenhang – wir haben ja gerade über den Verteidigungshaushalt gesprochen – von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wünschen, dass Sie sich hierhinstellen und mit der gleichen nachdrücklichen Vehemenz das Einhalten des 0,7-Prozent-Ziels einfordern, wie Sie die 2 Prozent für den Wehretat hier auch einfordern. Wenn wir uns auf diesen Weg machen würden, würden wir uns Ihrem eigenen Minister annähern.
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Herr Müller, Sie haben in den vergangenen Reden Antworten gefordert und gesagt, dass wir eine neue Wirtschafts- und Handelspolitik brauchen. Aber wo sind denn diese Antworten? Sie könnten diese Antworten gemeinsam mit Ihrer Fraktion hier eigentlich geben. Wo sind die Antworten für die neue Sozial- und Agrarpolitik, die Sie einfordern? Wo sind die Antworten für die Umwelt- und Klimapolitik?
Erneut müssen wir anmahnen, dass Sie mehr für globale Bildung tun. Ja, Sie richten eine Sonderinitiative „Ausbildung und Beschäftigung“ ein. Mit Ihren Sonderinitiativen ist das aber so eine Sache. Ich weiß, dass wir in Deutschland sehr stolz auf das duale Bildungssystem in der Ausbildung sind – auch zu Recht. Aber ist das deshalb auch gleich ein Exportschlager? Fragen wir in den Ländern, in die wir das exportieren wollen, überhaupt nach, ob sie es in dieser Form auch haben wollen und ob das System dort auch so funktioniert?
Ich war letztens im Senegal und habe mir dort das Bildungssystem angeschaut. Der Bildungsminister hat mir die Pläne der Regierung, das Schulsystem dort umzubauen, vorgestellt. Vor allem sollen die Koranschulen wieder an das staatliche Schulsystem herangeführt werden. Mit Modellschulen wird das Ganze erprobt. Das alles kostet Geld. Also habe ich nach der Finanzierung gefragt, und der Minister hat mir gesagt, dass ein Großteil davon aus dem GPE-Fonds finanziert wird, also aus der Globalen Bildungspartnerschaft.
An diesem Beispiel sehen wir, wie wichtig und wie hilfreich multilaterale EZ-Finanzierung ist, und ich finde, dass Sie dafür zu wenig tun, Herr Dr. Müller.
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In dem Regierungsentwurf haben Sie zwar den Beitrag zur Globalen Bildungspartnerschaft mit 18 Millionen Euro festgehalten, aber wir sind der Meinung, das ist immer noch viel zu wenig.
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Meine Damen und Herren, als Sprecher für zivile Krisenprävention ist es mir ein Anliegen, ein paar Worte zu einem sehr wichtigen Thema loszuwerden: Deutschlands Rolle als Friedensmacht. Die Prävention von Konflikten und die Förderung von Frieden sind auch eine internationale Verpflichtung Deutschlands aus der Agenda 2030. Im Sommer 2017 hat die Bundesregierung die Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ verabschiedet. Hierin bekennt sie sich zu einem ressortgemeinsamen Ansatz, um schneller, strategischer und koordinierter im Sinne der Krisenprävention tätig zu werden. Das muss nun endlich in eine institutionelle Form gegossen werden, in der die Selbstverpflichtungen und Vorhaben auch wirklich umgesetzt und koordiniert werden.
Wir möchten eine solche verbesserte Koordination zwischen den Ministerien dadurch fördern, dass die koordinierenden Stellen mit gemeinsam bewirtschafteten Mitteln ausgestattet werden. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass das nicht einfach ist. Ich war selbst lange Jahre in einem Landesministerium tätig. Doch es wird Zeit, dass die Entwicklungspolitik, die Innen- und Außenpolitik und die Verteidigungspolitik miteinander arbeiten statt nebeneinander oder gar gegeneinander. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben es schon angedeutet: Der Haushalt wird am Ende nicht so verabschiedet, wie er eingebracht wird. – Lassen Sie uns also darüber sprechen, wie wir das gemeinsam hinbekommen.
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Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat sich in internationalen Abkommen zum Kampf gegen Armut, Ungleichheit und den Klimawandel verpflichtet. Deutschland muss auch die Agenda 2030 umsetzen. Nur gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft ist diese Aufgabe zu bewältigen. Deshalb sage ich nochmal in Ihre Richtung, Herr Dr. Müller: Hören Sie auf, Ihr eigenes Süppchen zu kochen, stattdessen sollten Sie sich absprechen und eine koordinierte Vorgehensweise mit anderen Geberländern hinbekommen. Deutschland sollte Vorreiter der multilateralen Zusammenarbeit sein.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Ottmar von Holtz. – Nächster Redner: Volkmar Klein für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor genau vier Wochen bin ich im Tschad gewesen, vier Tage gemeinsam mit dem Chef des World Food Programmes, David Beasley. Es waren vier sehr eindrucksvolle Tage; es gab drastische Eindrücke, Eindrücke von Armut, von Angst, auch ganz viele Eindrücke von Scheitern vor Ort. Es waren aber auch Tage, die motiviert haben – falls das bei mir oder anderen noch nötig sein sollte –, nicht zu akzeptieren, dass die Situation dort und anderswo in Afrika so bleibt.
Es geht darum, einerseits Perspektiven für Menschen zu haben; das ist schon ein wichtiges ethisches Anliegen. Es geht aber auch darum, Stabilität zu erreichen und nicht zuzulassen, dass dieser Teil des nördlichen Afrikas, also die G 5 Sahel, die Länder zwischen Tschad und Mauretanien, am Ende zu einem neuen Ort des Terrors wird. Deswegen gilt es, einzugreifen und etwas zu tun.
Andere greifen massiv ein. Fast alle Staatschefs aus Afrika waren gemeinsam in China. Die Chinesen haben Zusagen in Höhe von 60 Milliarden Dollar für Afrika gemacht. Ich halte es für fraglich, ob das am Ende wirklich der Entwicklung und der Stabilität dient. Auch jetzt schon sind einige afrikanische Länder an der Grenze der Überschuldung, aber gegenüber Peking. Ich befürchte, diese Überschuldung jenseits des Pariser Clubs wird uns in Zukunft noch große Probleme bereiten. Wir müssen dem etwas entgegensetzen. Wir müssen nicht China etwas entgegensetzen, sondern wir müssen den Problemen etwas entgegensetzen. Wir müssen aus unserem eigenen Interesse – Stichwort „Sicherheit“ –, aber auch aus Gründen der Ethik heraus etwas tun.
Deswegen ist es richtig, dass wir im Budget des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erneut, wie eben schon geschildert, einen erheblichen Aufwuchs um 284 Millionen Euro auf 9,7 Milliarden Euro haben.
Deswegen ist es auch richtig, dass wir im Koalitionsvertrag diese Problematik und unsere Verpflichtung, dort etwas zu tun, sehr prominent abgebildet haben, weil wir um unsere Verantwortung wissen, weil wir wissen, dass diese Menschen, wenn sie keine Chancen in ihrer Heimat finden, diese Chancen woanders suchen, und weil wir wissen, dass es am Ende auch für uns sehr viel preiswerter ist, zu helfen, dass die Chancen dort, wo die Menschen leben, entwickelt werden, sodass sie dann eben nicht bei uns diese Chancen vergeblich suchen.
Vor diesem Hintergrund ist der eben geschilderte Aufwuchs nicht mehr ganz so groß.
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Und vor diesem Hintergrund ist der Hinweis von Volker Kauder heute Morgen an Bundesfinanzminister Scholz, den Koalitionsvertrag doch noch einmal genau durchzulesen, durchaus berechtigt. Ich freue mich auch sehr, dass die Kollegin Sonja Steffen aus dem Haushaltsausschuss eben noch einmal darauf hingewiesen hat. Liebe Sonja, ich würde dich bitten, deinen norddeutschen Parteifreund vielleicht noch einmal ganz persönlich ins Gebet zu nehmen, damit er aus unserem Kreis, hier aus dem Plenum heraus, noch einmal deutlich gesagt bekommt: Das liegen wirklich Prioritäten für eine vernünftige deutsche Politik.
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Natürlich ist auch richtig, dass es nicht nur um Geld geht, sondern dass letztlich Wirksamkeit entscheidet. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wird in vielen Ländern und von vielen Ländern, die beispielsweise wie Australien die GIZ von sich aus engagieren, sehr gelobt, weil sie sich – Stichwort „Value for Money“ – an Projekte unserer GIZ anhängen. Deswegen will ich mich an dieser Stelle erst einmal ganz herzlich bei den vielen NGOs, bei unseren Implementierungsorganisationen, aber auch bei den multilateralen Institutionen, die wir maßgeblich mitfinanzieren – beim World Food Programme und bei der Weltbank –, dafür bedanken, dass sie an vielen Stellen wirksam helfen. Zufrieden können wir damit aber noch nicht sein, weil es in Zukunft noch mehr Erfolge braucht. Ich finde, dass die neue Sonderinitiative „Ausbildung und Beschäftigung“ eine gute Antwort ist.
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Der eine oder andere hat vielleicht in dem Interview des UNDP-Chefs Achim Steiner in der „Zeit“ vom 6. September gelesen, dass auch er darauf drängt, dass wir mehr private inländische Investitionen, aber auch andere brauchen, um Jobs und Chancen für die Menschen zu schaffen. Darauf müssen wir uns sehr viel stärker ausrichten, als wir es in der Vergangenheit getan haben. Deswegen ist es auch wichtig, dass Minister Müller demnächst den Entwurf eines Investitionsfördergesetzes – oder welchen Namen auch immer es tragen wird – vorlegt. Deswegen ist es auch wichtig, dass wir sehr viel mehr Druck in dem einen oder anderen Land ausüben. Denn wenn zum Beispiel im Tschad – ich komme abschließend noch einmal darauf zurück – ein bisschen bessere Regierungsführung praktiziert würde, dann könnte in diesem potenziell sehr reichen Land auch ein sehr viel besseres Leben gelebt werden. Das muss unser Anliegen in der Zukunft sein.
Ich würde mich freuen, wenn wir einen noch verbesserten Budgetentwurf abschließend beschließen und damit unserem guten und engagierten Minister Gerd Müller für die Zukunft gute Arbeitsmöglichkeiten geben.
Herzlichen Dank für euer Zuhören.
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Vielen Dank, Volkmar Klein. – Nächster Redner für die AfD-Fraktion: Ulrich Oehme.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister Müller! Meine Damen und Herren! Wir als Abgeordnete entscheiden in der Haushaltsdebatte über Mittel, die viele Menschen in diesem Land schwer erwirtschaftet haben. Daher sind wir ihnen auch Rechenschaft und Anstand schuldig und sollten tunlichst auf eine sparsame Verwendung dieser Gelder achten.
Wenn wir nun auf den Einzelplan des Ressorts Entwicklungszusammenarbeit schauen, stellt sich mir folgende Frage: Welche Eigenschaften teilen Ihr Bundesministerium, Dr. Müller, und viele der von Ihnen geförderten Staaten, Organisationen und Projekte? Sie sind bürokratisch aufgebläht, träumerisch verklärt und ineffektiv.
Seit den letzten drei Haushalten hat sich die Zahl der hochbezahlten Arbeitsstellen Ihres Bundesministeriums, der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und des Deutschen Evaluierungsinstituts, DEval, stetig erhöht, das jedoch, ohne dass sich deren Arbeit verbessert hat.
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Im Fall DEval zeigte sich in einer Anhörung während einer Ausschusssitzung, dass trotz nunmehr Investitionen von fast 20 Millionen Euro in den letzten drei Jahren diese Institution hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt war.
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Der Hauptgrund für die bisher kaum erfolgte Auswertung der Effektivität unserer Entwicklungszusammenarbeit sind fehlende Daten aus anderen Ministerien, unter anderem aus dem Außenministerium. Ist das Ihr so oft beschworener vernetzter Ansatz, Dr. Müller?
Vergleichen wir diese Mittelverwendung im Bundesministerium und in den Tochterunternehmen mit der Vielzahl der Staaten, die wir derzeit mit unserer Entwicklungspolitik fördern, zeichnen sich erschreckende Parallelen ab. Selten haben die Nehmerländer den Reformwillen, die erhaltene Unterstützung zum Wohle der Gesamtbevölkerung einzusetzen. Es werden die Staatsapparate künstlich aufgebläht, Gelder abgezweigt. Korruption und Bürokratie blühen und gedeihen. Nutzen für den deutschen Steuerzahler: Null!
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Durchsetzung deutscher Interessen durch die Bundesregierung: Null! Dass es anders geht, zeigt das Beispiel China. Dort versucht man nicht, utopische Ziele durchzusetzen, sondern arbeitet mit knallharten Forderungen.
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– Ja.
Die Entwicklung Afrikas mittels eines Marshallplans zu revolutionieren, ist ein Traum. Nicht wir müssen Afrika retten, sondern die Regierungen in Afrika müssen endlich ihrer Verantwortung für ihre Bevölkerung gerecht werden.
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Um dies zu erreichen, muss Entwicklungszusammenarbeit an Bedingungen geknüpft sein. Kredite müssen dinglich abgesichert werden
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und Zuwendungen an einen messbaren Zuwachs, beispielsweise den HDI-Index, geknüpft sein.
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Bei Nichterfüllung der Kennzahlen muss die Entwicklungszusammenarbeit drastisch reduziert oder ganz gestrichen werden.
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Um wirklich einen Mehrwert für die Menschen in unserem Land und für die Menschen in den zu entwickelnden Regionen zu erhalten, fordern wir folgende Schritte: erstens eine Verschlankung und Reduzierung des Bundesministeriums und seiner Töchter, zweitens eine Vergabe von Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit nach überprüfbaren und messbaren Faktoren und drittens die Konzentration auf wenige Großprojekte mit dem Ziel des Schutzes der Außengrenzen vor ungeregelter Massenmigration,
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Sicherung der Handelswege und langfristiger Wirtschaftsinteressen Deutschlands.
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Damit schaffen wir ein System, das effizient, realistisch und ökonomisch-wirtschaftlich ist.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Kollege Oehme. – Nächste Rednerin: Gabi Weber für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Müller, seit 2015 konzentriert sich die deutsche Entwicklungspolitik unter Ihrer Leitung massiv auf den afrikanischen Nachbarkontinent. Das ist gut. Aber wer investiert denn am stärksten dort? China. Frau Merkel reiste vor zwei Wochen nach Ghana, Senegal und Nigeria, vornehmlich mit dem Ziel, Menschenschleusungen nach Europa und Fluchtursachen zu minimieren. Drei Tage später lud der chinesische Präsident alle Staatsoberhäupter des afrikanischen Kontinents ein. Von 55 Staatsoberhäuptern kamen 53. Er sagte ihnen Investitionen Chinas in den kommenden drei Jahren in Höhe von 60 Milliarden US-Dollar zu; das sind 52 Milliarden Euro.
Chinas Investitionen dienen einzig der Rohstoffgewinnung und der Schaffung eines riesigen Absatzmarktes für chinesische Produkte. Lassen Sie mich dabei folgende Frage stellen: Wo bleibt die notwendige eigene Entwicklung der afrikanischen Länder und ihrer Wirtschaft? Ich kann es Ihnen sagen: Sie bleibt auf der Strecke.
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Bisher hatte die afrikanische Wirtschaft – und da irren Sie fatal – überhaupt nichts oder nur wenig von der Errichtung vieler Infrastrukturprojekte. Deshalb muss bei staatlich geförderten deutschen Investitionen in Afrika hauptsächlich die Hebung der vorhandenen Potenziale afrikanischer Länder im Fokus stehen.
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Dabei ist ein wesentliches Mittel für die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas der Aufbau eines innerafrikanischen Marktes. Afrikas Staaten wollen es, wir wollen es; also lassen Sie es uns gemeinsam anpacken. Die Agenda 2063 der Afrikanischen Union muss dabei als Richtschnur dienen, und die von den Staaten Afrikas formulierten Vorstellungen sind gemeinsam mit den Menschen in Afrika umzusetzen. Herr Minister Müller, dafür ist ein echter Dialog Vorbedingung und die Abkehr von der Fixierung auf die Interessen Europas unbedingt notwendig. Wir müssen mit den Augen der Afrikaner darauf schauen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, staatliche Förderung von Investitionen wird ja immer stärker diskutiert. Sie ist notwendig – das haben wir im Koalitionsvertrag festgehalten –, aber unbedingt zu knüpfen an international anerkannte Arbeitsnormen, Umweltschutz, soziale Absicherung und vor allem an Ausbildung.
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Zwei wesentliche Grundlagen aller Investitionen in Afrika sind darüber hinaus Sicherheit und gut ausgebildete Arbeitskräfte. Das bedeutet wiederum für unsere Entwicklungspolitik: Rechtsstaatlichkeit ist zu fördern, und vor allem ist Bildung entlang der gesamten Bildungskette gleichberechtigt herzustellen. Darüber hinaus müssen wir einen Weg finden, Kleptokratie und Willkürherrschaft ein Ende zu setzen. Wir müssen deshalb zielgerichteten Druck auf die entsprechenden Eliten ausüben und unsere Bemühungen um Good Governance erheblich verstärken.
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Eine zentrale Aufgabe ist immer wieder Bildung. Bildung ist eine der klassischen Aufgaben der Entwicklungspolitik. Ich bin daher froh, dass wir im Haushalt 2018 die Mittel für die Globale Partnerschaft für Bildung auf 18 Millionen Euro verdoppeln konnten. Aber das reicht nicht. Wir müssen unsere Anstrengungen im Bereich Bildung intensivieren, und das nicht mit einer neuen Sonderinitiative.
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Vielmehr brauchen wir ein ausreichendes Maß an Grundbildung. Denn nur dann können Menschen weitergeschult werden und auch zu Facharbeiterinnen und Facharbeitern ausgebildet werden.
Apropos Facharbeiter, Herr Minister: Machen Sie auf Ihrer Seite des Kabinettstisches doch bitte Werbung für den Spurwechsel hier in Deutschland. Egal in welchen Betrieben ich unterwegs bin, alle befürworten es.
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Hören Sie doch auf die Stimmen der Wirtschaft! Das können Sie doch sonst auch so gut.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, wichtig ist auch eine staatliche Absicherung deutscher Investitionen. Natürlich können wir über Hermesbürgschaften absichern; dafür bräuchten wir auch keine neuen Instrumente. Ich bin aber noch nicht davon überzeugt, wie ein sogenanntes Entwicklungsinvestitionsgesetz hier funktionieren soll. Herr Minister, Sie gehen damit schon lange hausieren und haben es auch eben angesprochen. Das Einzige aber, was wir bisher darüber wissen, ist, dass ein solches Gesetz in den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts schon einmal existiert hat, aber schnell eingestampft wurde, weil es nichts gebracht hat.
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Es müsste diesmal also intelligenter laufen als damals.
Anstatt Steuergelder Firmen hinterherzuwerfen und Mitnahmeeffekte zu erzeugen, bin ich eher dafür, mit den Mitteln der Entwicklungspolitik tatsächlich die notwendigen Rahmenbedingungen für Investitionen in den Staaten Afrikas zu schaffen. Deutsche Unternehmen, vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen, sollen sich trauen können, auf diesem wirtschaftlich interessanten und wachsenden Kontinent zu investieren, und dies vor allen Dingen auch nachhaltig.
Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, Afrika gehört in den Fokus. Trotzdem sollten wir die dringend benötigte Unterstützung in den Partnerländern anderer Kontinente nicht herunterfahren. Eine ganz neue Herausforderung ist zum Beispiel die Fluchtsituation in Südamerika. Die Nachbarländer Venezuelas sind zurzeit massiv überfordert mit Hunderttausenden von Flüchtlingen. Wir sollten auch die Situation dort im Auge behalten und die Flüchtlinge unterstützen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mit China begonnen, um unseren menschenrechtsbasierten Ansatz in der Entwicklungspolitik nochmals zu verdeutlichen. Heute Morgen hat die Kanzlerin die Entwicklungszusammenarbeit ganz besonders hervorgehoben. Ich gehe davon aus, dass die nachhaltige Entwicklungspolitik als Querschnittsaufgabe in der gesamten Regierung angekommen ist. Dies muss dann auch in der mittelfristigen Finanzplanung finanziell zu Buche schlagen, damit die ODA-Quote endlich auf die richtige Höhe kommt.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Gabi Weber. – Nächster Redner für die FDP-Fraktion: Olaf in der Beek.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hinter uns liegt schon eine beeindruckende Woche: Kaum sind die Kanzlerin und der Entwicklungsminister von ihren Afrikareisen zurück, erklärt der Bundesinnenminister die Migrationsthematik zur alles bestimmenden Menschheitsfrage. Dass die Union ihre Streitigkeiten auf dem Rücken der fast 20 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland austrägt, finde ich unerträglich. Lassen Sie mich das mal ganz deutlich sagen: Wer behauptet, dass Migration die Mutter aller Probleme sei, der macht sich wahrlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Horst.
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Die Mutter aller Probleme sind nicht Migranten, sondern Politiker, die sich seit Jahrzehnten der Realität verweigern und keine Visionen für die Zukunft entwickeln.
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Genau diese Visionen fehlen auch in der Entwicklungszusammenarbeit. Die ist der entscheidende Hebel, wenn es um die globalen Migrationsströme geht. Nur wenn wir den Menschen in ihrer Heimat Perspektive geben, werden sie nicht zu Flüchtlingen, und genau das, lieber Herr Minister Müller, machen Sie zurzeit nicht. Seien es Ihr Marshallplan mit Afrika, ein EU-Afrika-Kommissar oder die Plastiksteuer – im Ankündigen und Fordern sind Sie groß. Wenn man dann jedoch genauer nachfragt, wird es dünn: Erstens. Den Marshallplan mit Afrika gibt es zurzeit eigentlich eher nur auf dem Papier. Zweitens. Der EU-Afrika-Kommissar ist nach der Antwort Ihres Ministeriums auf meine schriftliche Frage – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin hieraus – dann doch nur im Sinne eines Beauftragten zu verstehen.
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Wenn es drittens um die Bedeutung von sauberen Weltmeeren für unseren Planeten geht, zeigt Ihnen gerade ein 24-jähriger Niederländer mit seinem Projekt „The Ocean Cleanup“, wo der Hammer hängt.
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Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist leider noch reine Ankündigungspolitik, und das setzt sich leider auch im Haushalt fort. Sie fordern mehr gemeinsame europäische und internationale Entwicklungspolitik, aber Sie erhöhen zurzeit nur die Mittel für Ihre kleinteilige bilaterale Entwicklungszusammenarbeit. Mittlerweile sind das schöngerechnet 70 Prozent des Gesamthaushalts. Das sind Maßnahmen, deren Wirkungen Sie nicht einmal alle benennen können. Bildung und Gesundheitsversorgung für die Ärmsten der Armen, aber auch den weltweiten Klimaschutz werden wir nicht mit dem Klein-Klein der deutschen Entwicklungszusammenarbeit angehen können. Das wissen Sie. Das sagen Sie. Aber warum tun Sie es dann immer noch?
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Fangen wir mit der Grundbildung an! Hier tun wir zu wenig. Gerade einmal 18 Millionen Euro sind für die Globale Bildungskampagne vorgesehen. Das ist eines der weltweit besten Projekte in diesem Bereich, das Sie mit einem Kleckerbetrag abspeisen. Uns reicht das nicht. Wir wollen dafür nach wie vor mindestens 50 Millionen Euro jährlich, und da geben wir auch so lange nicht Ruhe, bis wir das haben.
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Genauso sieht es bei der Gesundheitsversorgung aus. Wenn wir dem Bevölkerungsboom in Afrika entgegenwirken wollen, dann geht das nur über Aufklärung und Beratung. Gerade jetzt, wo sich die USA massiv aus diesem Programm zurückziehen, brauchen wir eine starke gemeinsame europäische Gegeninitiative. Und was kommt aus Ihrem Haus? Stille!
Den dritten Baustein, liebe Kolleginnen und Kollegen, die wirtschaftliche Entwicklung, hat die Bundesregierung aus den Augen verloren. China wird in den nächsten drei Jahren 52 Milliarden Euro allein in Afrika in Infrastrukturprojekte investieren – mit wenig Nutzen für die Menschen vor Ort. Und wir? Wir schauen vom Spielfeldrand zu.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir tatsächlich dafür sorgen wollen, dass die Menschen in Entwicklungsländern in ihrer Heimat eine Perspektive bekommen, dann braucht es vor allem eins: Jobs, Jobs, Jobs und Jobs. Allein um den Investitionsstau bei der Infrastruktur in Afrika abzubauen, braucht es jährlich 160 Milliarden Euro. Um das zu bewerkstelligen, müsste also jedes Jahr die komplette weltweite Entwicklungshilfe in diesen Bereich fließen. Das ist nicht leistbar. Das wissen wir auch. Dafür brauchen wir eine engere Kooperation mit der Wirtschaft. Ihre Signale, Herr Minister Müller, haben wir gerade in der FDP vernommen.
Wir brauchen endlich eine sinnvolle Koordinierung der Entwicklungszusammenarbeit. Laut dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik sind 14 Ministerien mit Maßnahmen in diesen Bereichen aktiv. Dieser Flickenteppich ist nicht akzeptabel. Selbst der Afrika-Beauftragte der Kanzlerin sagt mittlerweile öffentlich, dass unsere Entwicklungszusammenarbeit europäisch werden muss und dass sie sich vor allem an den Interessen Afrikas und nicht an denen der Ministerien ausrichten muss. Richtig so!
Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. Liebe Kolleginnen und Kollegen, für erfolgreiche Entwicklungsarbeit brauchen wir mehr als warme Worte. Wir brauchen die Wirtschaft, wir brauchen Europa, und wir brauchen internationale Partner.
Herzlichen Dank.
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Vielen herzlichen Dank, Olaf in der Beek. – Nächste Rednerin: Eva-Maria Schreiber für die Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Minister Müller! Liebe Gäste! Die UN haben gestern bekannt gegeben, dass die Zahl der Hungernden weltweit auf 821 Millionen gestiegen ist. Gleichzeitig sinkt der Entwicklungsetat von knapp 10 Milliarden Euro im nächsten Jahr auf 8,5 Milliarden Euro im Jahr 2020 – und das, obwohl sich der Gesamthaushalt um knapp 20 Milliarden Euro erhöht. Auch der Verteidigungsetat wächst deutlich. Damit beweist die Bundesregierung einmal mehr, welche Priorität sie Gesundheit, Bildung und der Bekämpfung von Hunger – also tatsächlicher Fluchtursachenbekämpfung – in Wirklichkeit einräumt. Mehr Geld fürs Militär, weniger für globale Entwicklung. Sie sind auf dem Holzweg. Die globalen Herausforderungen der Zukunft werden sich nicht mit noch mehr Militär lösen lassen.
Doch natürlich ist nicht nur die Höhe des Entwicklungsetats wichtig, sondern auch, wie man das Geld einsetzt. Dazu drei Beispiele, wo in meinen Augen Änderungsbedarf besteht.
Erstens. Herr Müller, Sie betrachten die Rückführung von Flüchtlingen in ihre Herkunftsländer als eine der zentralen Aufgaben Ihrer zweiten Amtszeit. Ein Großteil der zusätzlichen Budgetmittel fließt in das Programm „Perspektive Heimat“. Hauptaufgabe des Programms soll sein, Arbeitsperspektiven für Flüchtlinge in Ländern wie Afghanistan oder dem Irak zu finden, die es dort einfach nicht gibt. Dass dieses Programm auch in den AnKER-Zentren angesiedelt werden soll, zeigt, wie weit die Verseehoferung der deutschen Entwicklungspolitik schon vorangeschritten ist.
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Zweitens. Lieber Minister Müller, ganz zu Recht haben Sie in letzter Zeit immer wieder den Neokolonialismus angeprangert und die Steuerflucht internationaler Konzerne verurteilt. Gleichzeitig sorgen Sie dafür, dass das Kerninstrument der internationalen Steuerflucht weiter salonfähig bleibt: die Steuerparadiese. Die staatseigene Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, DEG, parkt dort 60 Prozent all ihrer Beteiligungen in Unternehmen und Fonds. Ihr Haus unterstützt die Crème de la Crème der weltweiten Schattenfinanzplätze: auf den Kaimaninseln, Mauritius, Bermuda, in Panama, in Luxemburg. Insgesamt ist Ende 2017 nahezu 1 Milliarde Euro der DEG in diese Finanzzentren geflossen – achtmal mehr als noch 2008. Die DEG arbeitet mit einem Geschäftsmodell, dem Sie als Minister den Kampf angesagt haben. Also entweder läuft da was ganz gewaltig aus dem Ruder, oder der Kampf ist nicht ernst gemeint.
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Drittens. Gute Entwicklungspolitik trägt zum Aufbau nachhaltiger Strukturen in Entwicklungsländern bei. Genau diese Aufgabe erfüllen Budgethilfen. Die Linke fordert seit Jahren, dieses Instrument auszubauen. Eine aktuelle Studie ihres hauseigenen Evaluierungsinstituts DEval bestätigt diese Forderung. Damit können Sie den Aufbau staatlicher Gesundheits- oder Bildungssysteme nachhaltig unterstützen, statt sich in Tausenden kleinen, unkoordinierten Projekten zu verlieren. Doch das Instrument der Budgethilfe hat an Bedeutung verloren. DEval hat in der aktuellen Studie die negativen Auswirkungen der Einstellung der Budgethilfe für Malawi, Ruanda, Uganda oder Sambia beschrieben.
Hören Sie auf Ihre eigenen Experten: Machen Sie Budgethilfe zu einem zentralen Pfeiler Ihrer Politik! Dort ist das Geld viel besser aufgehoben als bei den Maßnahmen, die Sie zurzeit im Bereich der Migrationsabwehr finanzieren.
Danke schön.
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Vielen Dank, Eva-Maria Schreiber. – Nächste Rednerin: Anja Hajduk für Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in dieser Debatte schon mehrfach gesagt worden: China hat große Aktivitäten unternommen, seine Handelspartnerschaft mit Afrika zu stärken. Auf dem chinesisch-afrikanischen Gipfel ist jetzt in der Tat verkündet worden, dass es in den nächsten Jahren Investitionen in Höhe von 60 Milliarden Dollar umzusetzen gilt.
Wir sollten uns ruhig einmal veranschaulichen, wie das für Deutschland aussieht. Deutschland rangiert mit voraussichtlich 1 Milliarde Euro im Jahr 2018 auf den hinteren Rängen in Bezug auf Direktinvestitionen in Afrika. Deutschland investiert in Ungarn, wenn man das mal vergleicht, mehr als in allen 55 afrikanischen Staaten zusammen. Das ist sicherlich keine kluge Strategie. Insofern ist es auch ein Weckruf für die EU und auch für Deutschland, das strategisch noch mal klug zu durchdenken.
Andere Kollegen haben hier durchaus auch kritisch angemerkt: Es ist nicht unbedingt ein Selbstgänger, dass die Aktivitäten, die China dort im Bereich Investment tätigt, nachhaltig sind und genügend Wertschöpfung in Afrika selbst belassen. Insofern, Herr Müller, haben Sie auch unsere Unterstützung, wenn Sie die deutsche Wirtschaft auffordern und animieren wollen, in Afrika mehr zu investieren; denn mit sozialen, ökologischen Standards und auch mit der bisherigen Überzeugung, dort Arbeitsplätze zu schaffen und für Ausbildung zu sorgen, können wir sehr sinnvolle Maßnahmen betreiben.
Ich möchte diese Debatte auch nutzen, um über Augenhöhe mit Afrika und über die sehr positive Reaktion der afrikanischen Regierungen auf die chinesische Initiative zu sprechen; die müssen wir ja ernst nehmen. Das bedeutet für uns, dass wir auch eigene Interessen in Afrika suchen und sie dann partnerschaftlich umsetzen sollten. Es dürfen eigene Interessen sein, wenn sie ehrlich artikuliert werden. Augenhöhe ist nicht gegeben, wenn man nur Hilfe gewährt, sondern Augenhöhe ist ein ehrlicher Interessenausgleich.
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Ich glaube, dass wir in Deutschland und in Europa an dieser Stelle noch transparenter und ehrlicher mit unseren strategischen Zielen umgehen sollten.
Herr Müller, ich möchte Ihnen aber auch mit auf den Weg geben: Längst nicht jedes Instrument ist sinnvoll. In der Tat hat zum Beispiel das DEval, Ihr Evaluierungsinstitut, bei der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in diesem Jahr hervorgebracht, dass zu viele Programme in der derzeitigen Ausgestaltung die eigenen Erwartungen nicht erfüllen können. Ich zitiere:
Ansprüche bezüglich größerer Einkommens- und Beschäftigungseffekte oder gar der Stärkung privatwirtschaftlicher Strukturen … werden nicht erfüllt.
Es muss uns auch nachdenklich machen, dass es ein wirklich unkoordiniertes Nebeneinander von sogenannten Entwicklungsscouts, Infodesks in Außenhandelskammern und Beratungen über Agenturen für Wirtschaft gibt. Die Tätigkeit von dort beratenden Institutionen ist nicht genügend abgestimmt zwischen BMZ und zum Beispiel dem Wirtschaftsministerium.
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Wir erwarten, dass Sie auch da eine positive Entwicklung in Gang setzen.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Sie, Herr Müller, haben hier deutlich gemacht – damit wir Ihre Worte ernst nehmen, müssen Sie sich korrigieren –, dass es doch eigentlich widersprüchlich und widersinnig ist, dass wir es nicht schaffen, mit der internationalen Gemeinschaft genügend Geld für Entwicklung global zu generieren. Dann müssen wir Ihnen mit auf den Weg geben: Steuern Sie auch im eigenen Haus um. Fördern Sie bitte mehr multilaterale Programme, und stecken Sie nicht zu viel und zu einseitig in Ihre hauseigenen Sonderinitiativen.
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Ihre eigene Schwerpunktsetzung sollten Sie korrigieren.
Last, but not least. Sie haben gesagt: Klima und Entwicklung müssen wieder wichtiger werden. – Das unterstreichen wir. Und dann nehmen wir Sie und die Koalitionsfraktionen beim Wort. Sie regieren. Sie haben hier heute eine Menge Krokodilstränen vergossen. Wir wollen von den 25 Milliarden Euro Rücklagen, die in diesem Haushalts- und Finanzplan verbraten werden, nicht nur 1 Prozent mehr für Entwicklung, sondern 5 Prozent. Das entscheiden wir Ende November mit Ihnen zusammen. Hier einfach nur Krokodilstränen zu vergießen, reicht wirklich nicht.
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Vielen Dank, Anja Hajduk. – Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion: Dr. Wolfgang Stefinger.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zum ersten Mal angehören. Ich habe in dieser Zeit, in dem knappen Jahr, die vielseitigen und großen Aufgaben des Ausschusses zu den zahlreichen Fragen der Zukunft kennengelernt. Ich möchte an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön sagen. Es geht an unseren Minister Müller – für seinen Einsatz, für seine Initiativen, für seine Visionen und dafür, dass die Entwicklungspolitik, seitdem er Minister ist, immer stärker in den Fokus gerückt ist. Ein großes Dankeschön an den Minister und sein Team.
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Wir haben große Aufgaben vor uns. Wir haben vor allem auch langfristige Aufgaben vor uns. Ich habe im Ausschuss bisher eines gelernt: Es kommt in der Entwicklungszusammenarbeit vor allen Dingen auf Verlässlichkeit und Planungssicherheit an. Man braucht bei vielen Themen in der Entwicklungszusammenarbeit Geduld und einen langen Atem.
Ich darf beim Stichwort „Ankündigungspolitik“ schon einmal daran erinnern, dass in der Vergangenheit sehr, sehr viel erreicht wurde, zum Beispiel beim Kampf gegen den Hunger. Die Zahlen steigen zwar gerade wieder; das liegt aber auch daran, dass die Weltbevölkerung wächst. Wir konnten bei den Krankheiten viel erreichen. Die Pocken konnten besiegt werden. Die Flussblindheit konnte besiegt werden. Auch die Kindersterblichkeitsrate wurde reduziert. Das sind doch alles Erfolge, auf denen man aufbauen kann und die sich vor allem auch sehen lassen können.
Wir sehen aber auch, dass die Aufgaben gerade angesichts der wachsenden Zahl an Krisenherden nicht weniger werden. In diesem Zusammenhang habe ich noch etwas gelernt: Entwicklung braucht Sicherheit. Sie braucht ein stabiles Umfeld. Gerade deswegen ist es wichtig, dass wir Verteidigung und Entwicklungszusammenarbeit zusammen betrachten.
Vor kurzem durfte ich den Minister nach Mossul begleiten. Den Kampf gegen den IS, liebe Kolleginnen von den Linken, kann man nicht im Stuhlkreis gewinnen. Vielmehr musste man mit militärischen Mitteln eingreifen und die Menschen dort von dieser Terrorherrschaft befreien. Heute ist wieder Entwicklungszusammenarbeit möglich. Vielleicht haben Sie selber die Gelegenheit, mal dort hinzureisen. Wenn Sie in die Augen der Kinder schauen, die dort wieder in die Schule gehen dürfen
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und wenigstens für ein paar Stunden am Tag ein sicheres Umfeld, eine geordnete Struktur erleben, dann werden Sie das höchstwahrscheinlich auch etwas anders sehen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Herausforderungen werden nicht kleiner. Der Minister hat das angesprochen. Deswegen muss der Etat für Entwicklungshilfe weiter ansteigen. Jeder Euro, den wir vor Ort investieren, spart 20 Euro an Folgekosten für Integration bei uns im Land. Wir haben eine klare Vereinbarung im Koalitionsvertrag, und Verträge sind einzuhalten. Deshalb bitte ich das Finanzministerium – auf Bayerisch tat i sag’n –: Schaut’s no mal nach im Geldbeit’l, ob ned no a bissl a Geld do is‘.
Können Sie das bitte übersetzen?
Bitte?
Können Sie das bitte übersetzen?
Ich übersetze das gerne: Schauen Sie bitte noch mal nach in der Geldbörse, ob nicht noch etwas Geld da ist. – Sie also sehen: Die Bayern können auch Hochdeutsch. Ich bitte also darum, dass wir noch einmal nachsehen und die Vereinbarung im Koalitionsvertrag auch einhalten;
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denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht am Ende nicht nur um Zahlen und Euros, sondern es geht um die Menschen vor Ort, es geht um die Menschen in den Krisenregionen und in den Entwicklungsländern.
Ich möchte auch eine Lanze für die bilaterale Zusammenarbeit brechen. Die GIZ und unser Engagement vor Ort genießen einen hervorragenden Ruf. Ich möchte mich an dieser Stelle auch einmal ganz herzlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort in den Ländern hierfür bedanken.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die wichtigste Währung im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit – ich habe das vorhin schon angesprochen – ist Vertrauen und Verlässlichkeit. Das geht nur mit einer langfristigen Planung der Haushaltsmittel. Deswegen freue ich mich auf die weiteren Beratungen. 300 Millionen Euro Aufwuchs sind ein Anfang, sind ein erster Schritt. Da muss aber noch ganz klar mehr gehen. Es gibt hervorragende Initiativen und Projekte, die unsere Unterstützung brauchen. Dafür, lieber Gerd Müller, hast du mich als Kämpfer an deiner Seite.
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Vielen Dank, Dr. Stefinger. – Nächster Redner für die AfD-Fraktion: Dietmar Friedhoff.
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Frau Präsidentin! Werter Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne meine Rede mit einem Zitat aus einem Buch, aus dem Buch „Unfair!“ von Ihnen, Herr Minister Müller. Dort wird im Vorwort über Sie berichtet:
Mit einem unvoreingenommenen jugendlichen Blick, vielleicht dem Blick eines katholischen Pfadfinders, … schaut er auf die Welt.
Das erklärt manches, aber nicht alles. Das erklärt aber zumindest den Anfang Ihrer letzten Rede hier im Bundestag – Zitat –:
Liebe Jugend auf den Tribünen! … Entwicklungspolitik ist Zukunftspolitik, … für die Erhaltung der Schöpfung und des Planeten
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für euch, für das Jahr 2050.
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Es geht darum, den Planeten als Ganzes … zu erhalten. … Es geht um eure Zukunft.
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Das Ganze war dann gefolgt von dem Rezitieren immer gleicher Mantras wie den Klangkörpern Marshallplan, den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung und dem Satz: Ein „Weiter so“ darf es nicht geben.
Bei all dem, Herr Minister, unterstelle ich Ihnen sogar, dass Sie das wirklich wollen und ernst meinen. Aber Wollen bedeutet nicht automatisch Können. Sie wollen effizienter, schneller und nachhaltiger sein. Aber sind Sie das, oder blähen Sie diesen ganzen Entwicklungsapparat nicht einfach nur weiter auf? Denn wer effizienter sein möchte, muss Entwicklungsgelder auch nutzen, um Druck auszuüben. Ist es richtig, dass Länder, die klar gegen die Menschenrechte verstoßen, weiter Gelder bekommen, wie zum Beispiel Myanmar und Südafrika? Wer effizienter sein möchte, gibt das Geld dorthin, wo es definitiv gebraucht wird und man auch Veränderungen bewirken kann. Deswegen: Schluss mit Entwicklungsgeldern in Ländern, die selber Entwicklungspolitik betreiben, wie China, Indien und die Türkei.
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Deswegen erstens: weniger Wasserköpfe, weniger Institute, weniger Bürokratie, die Unsummen von Geldern verschlingen.
Zweitens: Man kann Visionär sein, man kann Macher sein und auch Pfadfinder. Eine Unternehmung, ein Unternehmen führt man jedoch besser wie ein Unternehmer. Das vermissen wir hier gänzlich.
Drittens: strengeres und transparenteres Controlling. So finden wir immer wieder Defizite in der Kosten- und Leistungstransparenz der GIZ und der Projekttransparenz der Kirchen. Dazu nur 2 von 100 Aktionsnebelgranaten der Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen – Flüchtlinge reintegrieren“. Da wird zum Beispiel erstens ein Projekt zur Stärkung der Resilienz von Hirtennomaden und Halbsesshaften in Somalia mit 2 Millionen Euro gefördert oder zweitens – speziell für Frau Weber, weil es ja irgendwie immer um Fußball geht – eine Fußballschule für den Frieden in der Zentralafrikanischen Republik mit 1,5 Millionen Euro.
Herr Minister Müller, die von Ihnen im Haushalt geforderte Summe von rund 9,7 Milliarden Euro können wir mittragen, die Mittelverwendung und den Einsatz aber eben größtenteils nicht. Wir können nur dann Entwicklungszusammenarbeit verändern und zum Erfolg führen, wenn wir unseren Denkansatz verändern. Dann bekommt man neue, andere Perspektiven – unserer Meinung nach bessere. Schluss mit einer Entwicklungspolitik, die aus einer ewigen Schuld und einem karitativen Ansatz herrührt.
Herr Müller, es gibt im Pfadfindergesetz einen Grundsatz: die Pflicht gegenüber sich selbst. Das bedeutet, dass ein Afrika sich erst dann aus sich heraus befreien kann, wenn es die Verantwortung für sein Selbst selbst übernimmt. Wir können, müssen und sollten nur die sein, die den Vorgang begleiten, aber eben nicht leiten. Die Menschen müssen Eigenverantwortung übernehmen; denn ohne die eigene Übernahme der Verantwortung Afrikas für Afrika werden wir sonst einen Kampf gegen Windmühlen führen. Deswegen wollen wir zukünftig von Selbstentwicklungspolitik reden. Das Selbst muss im Zentrum stehen, das Selbstmanagement, die Selbstentwicklung, aber vor allen Dingen die Selbstverantwortung. Und die müssen die Länder für sich übernehmen, so auch wir für uns; denn auch Deutschland ist und bleibt in vielen Bereichen ein Entwicklungsland. Dazu sind wir, die AfD, bereit. Herr Müller: Pfadfinderehrenwort.
Danke schön.
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Danke schön, Kollege Friedhoff. – Nächster Redner: Dr. Sascha Raabe für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Friedhoff, was Sie zum Schluss bezüglich der Selbstentwicklung und des neuen Programms, das Sie von der AfD vorschlagen, gesagt haben, erinnert mich ein bisschen an eine andere Partei, die immer das Motto hatte: Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht. – Das ist in der Entwicklungspolitik aber das falsche Motto; denn hier gibt es Menschen, die leben in Hunger und Armut und denen müssen wir helfen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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– Da brauchen Sie gar nicht so zynisch und höhnisch zu lachen.
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Wir haben vorhin gehört: 821 Millionen Menschen hungern. Das ist der höchste Stand seit zehn Jahren. Das hat gestern, passend zu dieser Debatte, die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen dargelegt. Das ist ein ganz schlimmer Wert. Deswegen reden wir auch im Haushalt nicht nur über Zahlen, sondern konkret über Menschenleben. Lassen Sie uns daher endlich genug Geld zur Verfügung stellen, damit Menschen nicht mehr hungern müssen und Fluchtursachen bekämpft werden können. Darum bitte ich Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
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In diesem Sinne muss man den Haushalt natürlich auch mit Blick auf das bewerten, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Der Koalitionsvertrag, Herr Minister, hat einen Vorlauf. Wir haben in den Sondierungsgesprächen zwischen CDU, CSU und SPD erneut – dass man so vorgeht, habe ich in meiner langen parlamentarischen Zeit nie verstanden; ich finde dies auch absurd – eine mittelfristige Finanzplanung aus einer vergangenen Legislaturperiode, die noch nicht einmal parlamentarisch beschlossen wurde, sondern hier nur von der Regierung 2017 erstellt wurde, als Grundlage genommen.
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Wir als SPD haben damals unsere Zustimmung daran geknüpft – und das ist mit einer Protokollnotiz belegt –, dass in den Haushaltsberatungen der neuen Legislatur die Mittel im Verhältnis 1 : 1,5 hätten steigen müssen, also ein Anteil von 1 für die Verteidigung muss dann einem Anteil von 1,5 für die Entwicklungszusammenarbeit entsprechen. Dieser Grundsatz ist in den Sondierungen aufgegeben worden. Daraus ergab sich das Grundproblem, dass wir im Prinzip eine Finanzplanung hatten, in der bereits der Verteidigungshaushalt stark steigt und unser Haushalt auf dem gleichen Niveau bleibt, also bis 2021 immer bei 8,7 Milliarden Euro.
Dann haben wir alle zusammen im Koalitionsvertrag – wir Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitiker, der Minister, bei uns auch Sigmar Gabriel als Verhandlungsführer – eine dreifache Sicherung für den Fall eingebaut, dass wir zusätzliche Haushaltsspielräume bekommen, also Steuermehreinnahmen nach Abschluss des Finanztableaus in den Koalitionsverhandlungen. Schon in der vergangenen Legislatur gab es Steuermehreinnahmen. Deshalb war ich verhalten optimistisch, dass wir nachträglich noch mehr Mittel bekommen.
Was bedeutet die dreifache Sicherung? Sie steht im Koalitionsvertrag. Da brauche ich gar nicht nachzusehen, ich kenne sie auswendig. Die erste Sicherung besagt: Wenn zusätzliche finanzielle Spielräume da sind, sollen sie prioritär, also vorrangig, für Verteidigung und Entwicklung genutzt werden. Die zweite Sicherung sagt, dass die ODA-Quote nicht absinken darf. Sie soll steigen. Die dritte Sicherung ist: Wenn es Steigerungen im Verteidigungshaushalt gibt, müssen sie eins zu eins mit den Mitteln für Entwicklung und für die Erfüllung der ODA-Quote gekoppelt werden.
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– Da kann man ruhig einmal klatschen.
Damals haben uns einige NGOs gesagt: Oijoijoi! Warum koppelt ihr das daran? – Ich als Entwicklungspolitiker sage, dass ich das nicht gebraucht hätte. Ich hätte es lieber gehabt, dass das Geld auch so bereitgestellt wird. Aber ich habe dieses Vorgehen immer verteidigt, weil ich hier in fast 20 Jahren gemerkt habe: Am Ende ist für Verteidigung immer Geld da. Deswegen habe ich auch dieser Eins-zu-eins-Kopplung zugestimmt. Die Entwicklung jetzt gibt mir recht. Auf einmal werden die Mittel für den Verteidigungshaushalt über das hinaus, was im Koalitionsvertrag ursprünglich vereinbart war, noch einmal kräftig erhöht. Ich sage aber auch: Dann werde ich nicht um mehr Mittel bitten und betteln – liebe Christine, sage das auch deinem Finanzminister –
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und nicht wieder anfangen, noch einmal einzufordern, dass keine Kürzungen vorgenommen werden, sondern Steigerungen. Denn: Eins zu eins heißt auch eins zu eins.
Der jetzige Haushaltsentwurf für 2019 mit der Finanzplanung bis 2020 und 2021 ist ein dreifacher Bruch des Koalitionsvertrages, weil wir die finanziellen Spielräume nicht prioritär für Entwicklung nutzen; denn wir bekämen demnach äußerst wenig. Da wird sogar von 2019 auf 2021 gekürzt, während der Verteidigungsetat auf 44 Milliarden Euro steigt.
In Zahlen hieße es, wenn man es fair auf der 51. Finanzplanung aufbaute, dass es 6,2 Milliarden Euro mehr für Verteidigung und nur 1,8 Milliarden Euro mehr für Entwicklung gibt. Wenn ich die Mittel vom Auswärtigen Amt dazurechne, komme ich auf maximal 2,9 Milliarden Euro für Entwicklung. Mit anderen Worten: 6,2 Milliarden Euro mehr für Verteidigung, 2,9 Milliarden Euro mehr für Entwicklung. Das ist ein Verhältnis von mehr als 2 : 1 und nicht von 1 : 1. Deswegen sage ich: Es wäre ein dreifacher Bruch. Erstens. Es ist nicht prioritär. Zweitens. Die ODA-Quote wird im Haushalt 2019 absinken; der Minister hat es geschildert. Danach wird sie noch drastischer absinken. Drittens. Das Ganze erfolgt nicht 1 : 1.
Insofern bin ich kampfbereit bis zum Gehtnichtmehr. Ich sage hier: Ich erwarte von der SPD-Fraktion – ich glaube das auch –, dass wir das verändern werden. Wir sind das übrigens auch unseren Parteimitgliedern schuldig; denn wir haben ein Mitgliedervotum über diesen Koalitionsvertrag durchgeführt. Das war anders als bei der Union. Sie muss sich vielleicht nur mit der Kanzlerin oder dem Minister streiten. Unsere 463 000 Mitglieder haben über den Koalitionsvertrag abgestimmt, in dem auch diese dreifache Sicherung beschrieben wird.
Herr Dr. Raabe, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Christoph Hoffmann?
Ja, gern.
Gut. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Raabe, ich habe eine ganz kurze Frage: Fühlen Sie sich von der Regierungsspitze hinters Licht geführt, nachdem alles, was Sie hier aufgezählt haben, darauf hindeutet?
Lieber Herr Kollege, ich sehe mich als Parlamentarier. Die Regierung bringt einen Gesetzentwurf ein, und wir sind nicht in der zweiten Beratung, sondern in der ersten. Ich mache deutlich, dass ich diesen Entwurf in der Tat für unzureichend halte, dass ich ihn auch nicht für mit dem Koalitionsvertrag vereinbar halte. Aber es geht ja nicht um die Verabschiedung des Haushalts, Herr Kollege. Deswegen – das ist der ganze Sinn der sechs Minuten Redezeit, die ich hier habe; ich freue mich, wenn Sie von der Opposition das mit unterstützen – sollten wir alle gemeinsam hier parteiübergreifend dafür sorgen, dass der Koalitionsvertrag an dieser Stelle eingehalten wird. So können Hunger und Armut endlich beseitigt werden. Das sind wir den Menschen in Afrika und auf der ganzen Welt schuldig.
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Ich möchte meinen Gedanken zu unserem Mitgliedervotum noch zu Ende führen; ich bin an dieser Stelle nämlich unterbrochen worden.
Ja, aber kurz.
Ja, kurz. – Ich bin der Auffassung, dass wir es den 463 000 SPD-Mitgliedern, die über diesen Koalitionsvertrag abgestimmt haben, schuldig sind, ihn einzuhalten. Das Wichtigste aber ist, dass wir unsere Verpflichtungen den ärmsten Menschen gegenüber einhalten. Seit 1970 gibt es das Versprechen, dass die reichen Länder 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe bereitstellen. Jetzt, wo wir Steuermehreinnahmen haben, ist die Zeit dafür, das Versprechen endlich einzulösen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Dann muss es endlich auch passieren. Deswegen lassen Sie uns bis Ende November dieses Ding hier erkämpfen und rocken, damit wir das auch hinbekommen.
Danke.
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Vielen Dank, Dr. Sascha Raabe. – Nächster Redner: Dr. Georg Kippels für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir zurzeit über Entwicklungspolitik diskutieren, fällt eigentlich schon im ersten Atemzug das Wort „Fluchtursachenbekämpfung“. Das haben wir heute ja mehrfach erlebt, und das ist von der Priorisierung her auch richtig und wichtig. Aber es birgt in der Debatte ein bisschen die Gefahr, dass weitere Positionen der Entwicklungspolitik, mit denen wir uns schon seit langen Jahren erfolgreich und mit herausragender Bedeutung beschäftigen, etwas aus dem Fokus verschwinden.
Ich möchte deshalb heute bei der Bewertung des Einzelplans 23 nachdrücklich auf die Themen „Gesundheit“, „Systemstärkung“ und vor allen Dingen „Krankheitsbekämpfung“ aufmerksam machen. Dass diese Themen von Bedeutung sind, wissen wir nicht erst seit der Aufnahme in die Millennium Development Goals im Jahre 2000 und an prominenter Stelle in die Nachhaltigkeitsziele im Jahre 2015 mit dem SDG 3, „Gesundheit und Wohlergehen“.
Krieg und Vertreibung, Gewalt und Verfolgung, Hunger und Armut sind sicher alles dramatische Gründe für Flucht und deshalb auch ein wichtiger Inhalt unserer Arbeit, die mit größtmöglicher Aufmerksamkeit, allerdings auch mit Effizienz betrieben werden muss. Daneben gibt es aber die lautlosen Extremisten und Terroristen, wie ich sie nennen möchte, die heimtückischen Krankheiten, die überall lauern und die durch Wasser, Insekten oder durch den menschlichen Kontakt übertragen werden können: HIV/Aids, Malaria, Tuberkulose, Hepatitis C, aber auch die vernachlässigten Tropenkrankheiten, Resistenzen, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diese Krankheiten belasten Millionen von Menschen in den Entwicklungsländern und hindern sie daran, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten. Tod und Siechtum, dauerhafte Behinderungen und Belastungen der Familien verhindern eine wirtschaftliche Entwicklung und vor allem auch den Erfolg der weiteren Initiativen des BMZ. Bildung und Ernährung, Berufsausbildung und die Schaffung von Wirtschaftsstrukturen sind nur möglich, wenn die Menschen auch körperlich und geistig ausreichend leistungsfähig sind, um sich diesen Aufgaben zu stellen.
Im Kapitel 2303 des Einzelplans 23 finden sich daher die notwendigen Mittel für die Mitwirkung innerhalb der Vereinten Nationen, zum Beispiel bei UNICEF, bei der Gesundheitsorganisation GAVI, der Impfallianz, und dem GFATM, dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria. Dass unser Beitrag in diesen multilateralen Organisationen von Wichtigkeit ist, zeigt sich spätestens seit dem vollkommen unverständlichen Rückzug der USA aus diesen Organisationen. Diese Lücke muss dringend geschlossen werden.
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Und dass die Arbeit auch von Erfolg gekrönt sein kann, zeigt der Kampf gegen Polio: Im Jahre 2017 gab es weltweit nur noch 22 Fälle in zwei Ländern, nämlich in Pakistan und in Afghanistan. Das Ziel ist in Sicht, aber die Anstrengungen dürfen nicht zu früh eingestellt werden.
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Dies zeigt aber auch, dass der Kampf systematisch und unter Einbindung der Länder geführt werden muss. Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik müssen Allianzen bilden – zum Nutzen aller.
Deutschland ist nicht erst seit der prominenten Aufnahme dieser Bereiche in die G‑7- und G‑20-Gipfel der letzten Legislaturperiode ein relevanter und angesehener Partner in diesen Organisationen. Das Thema der globalen Gesundheit ist in Deutschland auf der Agenda. Ich freue mich deshalb sehr auf den 10. World Health Summit, der im Oktober dieses Jahres wieder hier in Berlin stattfinden wird, und auf das anschließende Grand Challenges Annual Meeting der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung mit zahlreichen Fachleuten, die sich diesem Thema intensiv widmen werden. Die Veranstaltungen zeigen deutlich, dass die Arbeit des BMZ auf diesem Sektor Früchte trägt.
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Zum Schluss aber noch eine Bemerkung zu den ja auch heute mehrfach angesprochenen ODA-Mitteln bzw. dem 0,7‑Prozent-Ziel. Ja, das Ziel ist vereinbart worden, und leider haben wir es in diesem Jahr erneut gerissen. Und ja, das kann nicht zufriedenstellend sein, und wir müssen alle an einer Verbesserung arbeiten. Aber ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe die Zuversicht, dass wir angesichts der Erkenntnis, dass zwischen Entwicklung und Sicherheit ein untrennbarer Zusammenhang besteht, noch mit einer Verbesserung des Haushalts rechnen können. Aber nein, meine Damen und Herren, ich bin nicht der Meinung, dass der Erfolg von Entwicklungsarbeit mit einer mathematischen Formel an der ODA-Quote bemessen werden kann. Sie ist sicherlich ein Hilfsmittel, aber Geld ist auch kein Ausdruck von Effizienz.
Ich nutze deshalb ausdrücklich hier die Gelegenheit, dem BMZ und Minister Gerd Müller für den unermüdlichen Einsatz in der Entwicklungspolitik und in der Fluchtursachenbekämpfung zu danken, vor allen Dingen auch dafür, dass er bereit ist, konzeptionell innovative Arbeit zu leisten und den ständig wiederum neu hinzutretenden Anforderungen gerecht zu werden. Aber an dieser Stelle werden Sie aus meinem Mund auch nicht die Feststellung hören, dass alles getan wurde, was nötig ist. Das ist allerdings aus meiner Sicht bei diesem Thema kurzfristig auch kaum möglich. Ich werde jedoch sehr wohl feststellen, dass das getan wurde, was derzeit möglich ist. An einer Verbesserung bis zur Verabschiedung des Haushaltes sollten wir meiner Meinung nach alle gemeinsam entschlossen arbeiten.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Dr. Kippels. – Der letzte Redner am heutigen Tag in dieser Debatte: Carsten Körber für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Müller! Erst vor wenigen Wochen haben wir hier an dieser Stelle den Haushalt 2018 beraten und verabschiedet, und nun direkt nach dem Ende der sitzungsfreien Zeit beraten wir den Etat 2019 oder besser gesagt: Wir sind schon mittendrin.
Auch der neue Haushalt des BMZ verzeichnet, wie die Haushalte der vergangenen Jahre, ein Plus: insgesamt knapp 300 Millionen Euro. Das ist einerseits erneut ein kräftiger Aufwuchs, andererseits aber wäre angesichts der großen und in dieser Debatte auch schon mehrfach genannten gewachsenen internationalen Herausforderungen ein deutliches Mehr im Regierungsentwurf sehr wünschenswert gewesen. Doch darüber werden wir in den nächsten Wochen im parlamentarischen Verfahren beraten.
Aktuell beläuft sich der Etat 2019 auf 9,7 Milliarden Euro. Das ist eine Rekordmarke. Daran sieht man, dass die Entwicklungszusammenarbeit eine der wichtigsten Säulen der deutschen Außenpolitik ist. Es geht darum – das zeigt der Aufwuchs –, mit den Entwicklungs- und Schwellenländern insbesondere in Afrika eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zu entwickeln. Mit der Entwicklungszusammenarbeit wollen wir nicht nur als Krisenfeuerwehr die schlimmsten Nöte lindern und die schlimmsten Übel beseitigen. Nein, wir wollen Partner der Staaten Afrikas sein und auf Augenhöhe kommunizieren.
Es geht immer mehr darum, dass unsere Projekte mit unseren Partnern vor Ort – seien es staatliche Akteure, NGOs, Stiftungen oder Kirchen – nachhaltig sind; denn fehlende Nachhaltigkeit war in der Vergangenheit einer der entscheidenden Fehler, die in der Entwicklungszusammenarbeit gemacht wurden. Es ist viel zu häufig der Fall gewesen, dass, sobald keine Entwicklungshelfer mehr vor Ort waren, zahlreiche Projekte zusammenbrachen, dass Schulen und Krankenhäuser verwahrlosten, Brunnen versandeten und Wasserpumpen kaputt gingen. Nachhaltigkeit ist also auch in diesem Sinne nicht nur eine Kategorie des Umweltschutzes. Die Nachhaltigkeit, die ich hier meine, ist die Hilfe zur Selbsthilfe, und diese entsteht nur durch Bildung.
Bildung befähigt die Menschen, ihre politische, soziale, kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation zu verbessern. Menschen den Zugang zu Bildung verwehren, heißt, ihnen ein elementares Menschenrecht und damit wichtige Entwicklungschancen für den Einzelnen und für ganze Gesellschaften vorzuenthalten. Bildung zu fördern, ist deshalb eine wichtige Aufgabe der internationalen und der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.
Ich begrüße es sehr, dass Minister Müller die Sonderinitiative „Ausbildung und Beschäftigung“ ins Leben gerufen hat. Hierfür stehen für 2019 ff. in einem ersten Schritt 200 Millionen Euro bereit. Diese neue Sonderinitiative ist deshalb richtig, weil Bildung und Ausbildung das zwingende Fundament einer sich entwickelnden Gesellschaft sind.
Haben Sie sich eigentlich schon mal die Frage gestellt, was die deutsche und die europäische Entwicklungszusammenarbeit ausmacht? Wir machen in der EZ nicht nur finanzielle Angebote, sondern wir fördern auch Menschenrechte und Demokratie. Andere, aktuell zum Beispiel China, machen das in dieser Form nicht. Beim China-Afrika-Gipfel vor wenigen Tagen hat China Afrika für die nächsten drei Jahre 60 Milliarden US-Dollar an Krediten und Investitionen zugesagt. Dabei kümmert sich China nicht in der Form, wie wir es tun, um die Themen Korruption, Menschenrechte und Flüchtlinge. Mittlerweile ist China noch vor den USA und der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich der größte Handelspartner der afrikanischen Staaten. Unser Anspruch gleichberechtigter Partnerschaften ist da ein anderer, und ich halte das nach wie vor für richtig.
Wir müssen aber auch anerkennen, dass unsere Angebote der Entwicklungszusammenarbeit vor diesem Hintergrund an Attraktivität verlieren, dass dieser neue – ich nenne ihn mal: chinesische – Stil von Entwicklungszusammenarbeit – Geld gegen Geschäfte, Rohstoffe und Einfluss – unmittelbare Auswirkungen auf unsere Entwicklungszusammenarbeit haben wird. Wollen wir mit unseren Angeboten dauerhaft Erfolg haben, dann müssen wir unsere Hilfe zielgenauer einsetzen, unsere Angebote verstetigen und uns in dem einen oder anderen Punkt auch ein Stück weit ehrlich machen.
Das bringt mich zu meinem letzten Punkt. Es kann nicht sein, dass wir Europäer uns wegen unserer Entwicklungszusammenarbeit gegenseitig auf die Schulter klopfen, wir durch unsere Zollschranken aber beispielsweise afrikanischen Bauern zugleich verwehren, ihre Produkte bei uns in Europa im Supermarkt zu verkaufen.
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Nein, es ist sogar noch schlimmer: Wir überschwemmen die Märkte in Afrika mit Schlachtabfällen aus unserer Geflügelindustrie und sorgen mit Agrarsubventionen dafür, dass Treibhaustomaten und Zwiebeln aus Europa auf dem Markt in Gambia billiger sind als Gemüse von lokalen Kleinbauern.
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Hier müssen wir endlich umdenken, wenn wir dauerhaft erfolgreich sein wollen.
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Wir haben viel zu tun. In diesem Sinne freue ich mich auf konstruktive Beratungen in den nächsten Wochen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Carsten Körber.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Restabend mit guten Tomaten.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 13. September 2018, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist damit geschlossen.
(Schluss: 18.16 Uhr)