Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Jahr 2017 wurden rund 290 000 Straftaten von Zuwanderern begangen – 290 000 Straftaten, die nie in unserem Land verübt worden wären, wenn diese Regierung unsere Grenzen effektiv schützen würde.
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Trotzdem erzählt die Bundesregierung der deutschen Bevölkerung ein Märchen. Sie behauptet, Deutschland sei so sicher wie seit 1992 nicht mehr, und verweist dabei auf die Polizeiliche Kriminalstatistik. Dabei wissen Sie doch ganz genau, Herr Minister, dass diese eben nicht die gesamte Sicherheitslage in Deutschland abbildet.
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Das Dunkelfeld, also die Straftaten, die bei der Polizei zwar nicht angezeigt, aber dennoch begangen werden, sind beträchtlich. Nach Schätzungen des Bundes Deutscher Kriminalbeamter liegt die Gesamtzahl der in Deutschland tatsächlich begangenen Straftaten nicht, wie in der PKS aufgeführt, bei 5,7 Millionen, sondern tatsächlich bei 25 Millionen.
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Außerdem ist die islamistische Terrorgefahr nicht in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasst – diese ist so hoch wie nie zuvor.
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Die Zahl der islamistischen Gefährder, der Salafisten und der islamistischen Terrorverfahren eilt von einem Rekordhoch zum nächsten. Der Verfassungsschutz warnt inzwischen sogar vor Anschlägen islamistischer Schläfer auf Kindergärten und Krankenhäuser. Dass Ihre Behauptung nicht stimmen kann, Herr Minister, ist für jeden Bürger offensichtlich. Vor 2015 brauchten wir nämlich keine Betonpoller, keine schwerbewaffneten Polizisten und keine Frauenschutzzonen, um bei öffentlichen Veranstaltungen friedlich und sicher zu feiern.
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Deshalb ist und bleibt es eine Tatsache, egal ob das Ihnen gefällt oder nicht: Die Weigerung der Bundeskanzlerin, die deutschen Grenzen für illegale Migranten zu schließen, hat Deutschland nachweislich unsicherer gemacht.
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Wenn man sich dieses unwürdige Schauspiel der letzten Tage anschaut,
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dann stellt man fest: Daran wird sich auch nichts ändern. Man muss sich das mal vorstellen: Der Bundesinnenminister und die deutsche Bundeskanzlerin streiten sich darüber, ob geltendes Recht an der Grenze wieder angewandt werden soll.
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Wie tief ist diese Regierung mittlerweile gesunken!
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Dann präsentiert uns diese Regierung eine Lösung, die im Ergebnis die Intelligenz der Bürger beleidigt. Ich muss dies so hart formulieren: Herr Minister, was Sie hier betreiben, grenzt an Volksverdummung.
Jeder Praktiker wird Ihnen sagen, dass diese Transitzentren nicht funktionieren. Die Gründe liegen klar auf der Hand: Diese Regelung betrifft zum einen nur einen kleinen, bereits registrierten Teil der illegalen Migranten, die überwiegende Mehrheit kann also weiter ungehindert nach Deutschland einreisen. Neuankömmlinge werden die Registrierung in der EU einfach vermeiden, um ungehindert nach Deutschland zu gelangen. Bereits Registrierte werden einfach die deutsch-österreichische Grenze meiden, sie werden über die Schweiz, Frankreich oder Tschechien nach Deutschland einreisen. Ihr angedachtes bilaterales Abkommen mit Österreich ist ja bereits vom Bundeskanzler, vom Vizekanzler und vom Innenminister Österreichs abgelehnt worden. Der wichtigste Grund aber ist: Die Rückführung ohne effektive Grenzkontrollen ist völlig sinnlos, weil sich diese Personen bereits wenige Tage später wieder in Deutschland befinden.
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Das wüssten Sie, Herr Minister, wenn Sie sich mal mit polizeilichen Sachbearbeitern unterhalten würden. Ihre Politik besteht mittlerweile im Wesentlichen aus zwei Elementen: totaler Realitätsverweigerung und reinem Wunschdenken. Diese Regierung muss endlich zur Kenntnis nehmen, dass Europa Ihre Willkommenspolitik nicht mehr will. Die europäischen Staaten haben erkannt, dass diese Politik den Starken statt den Schwachen hilft, dass sie sozialen Unfrieden schafft und die Sicherheitslage in den europäischen Ländern massiv verschlechtert.
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Bis Europa aber wirksame Maßnahmen trifft – wir wissen ja, das kann sehr, sehr lange dauern –, müssen wir selbst handeln. Deshalb brauchen wir einen effektiven nationalen Grenzschutz, bis die europäische Außengrenze effektiv geschützt wird.
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Alles andere – das sage ich mit größtmöglichem Nachdruck – ist sicherheitspolitischer Irrsinn.
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Wenn es um Ihre eigene Sicherheit geht, dann machen Sie den Bundestag zur Festung, dann werden richtigerweise Personenkontrollen durchgeführt und Unbefugte abgewiesen. Aber wenn es um die Sicherheit der Bevölkerung geht, dann heißt es: Grenzen auf und „Refugees Welcome“.
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Diese Politik ist verantwortungslos, schadet massiv den Bürgern unseres Landes, und deshalb muss damit endlich Schluss sein. Deutschland braucht endlich sichere Grenzen.
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Herr Seehofer, eine abschließende Bemerkung: Sie hatten die historische Chance, die Herrschaft des Unrechts zu beenden; aber dazu haben Ihnen offensichtlich Geradlinigkeit, Entschlusskraft und Durchsetzungsvermögen gefehlt.
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Sie haben damit die Sicherheit der deutschen Bevölkerung dem reinen Machterhalt geopfert.
Das werden Ihnen die Wähler in Bayern nicht vergessen. Sie werden – da bin ich mir ganz sicher – am 14. Oktober die Quittung hierfür erhalten.
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Nächster Redner ist der Kollege Klaus-Dieter Gröhler, CDU/CSU.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erleben gerade eine gute Woche für unsere deutsche Innenpolitik –
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auch wenn das am Wochenende noch gar nicht so aussah. Am Montag dann erfolgte die Festlegung der Union, wie wir die Binnenwanderung von Flüchtlingen nach Deutschland im Einklang mit unseren Freunden und Nachbarn ordnen, steuern und begrenzen wollen. Jetzt führen wir Gespräche mit unserem Koalitionspartner und hier die Debatte zum Einzelplan des Innenministeriums, den wir heute verabschieden werden.
Aber das Innenministerium ist ja jetzt auch für Bau und Heimat zuständig. Deshalb möchte ich einmal mit dem Thema „Bau“ beginnen. Mit dem neuen Baukindergeld und der Fortsetzung der Förderung des sozialen Wohnungsbaus in Höhe von über 1,5 Milliarden Euro zeigen wir, dass wir die Sorgen der Menschen beim Thema „Mieten“ und ihre Sorgen darüber, eine Wohnung zu finden, ganz ernst nehmen.
Es kann aber nicht sein, dass nur wir diese 1,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau geben. Vielmehr erwarten wir an dieser Stelle auch von den Bundesländern, dass sie ihr Geld dazu beifügen und diese Mittel dann insgesamt tatsächlich für den Wohnungsbau einsetzen. Wir werden auch noch darüber reden, wie wir steuerliche Anreize für zusätzlichen Wohnungsbau schaffen. Ich glaube, die Menschen sehen, dass wir ihre Sorgen an dieser Stelle wirklich ernst nehmen und Antworten darauf geben.
Wir wissen aber auch, meine Damen und Herren, dass sich die Menschen in diesem Land Sorgen zum Thema „innere Sicherheit“ machen. Auch dieses Thema nehmen wir auf. Ich bin nun wahrlich kein Verfechter von immer mehr Personal und von weiteren und immer größeren staatlichen Behörden; aber an dieser Stelle, glaube ich, ist die Personalverstärkung, mit der wir in der letzten Wahlperiode begonnen haben und die wir jetzt fortsetzen, richtig. Es gibt über 3 000 zusätzliche Stellen für die Bundespolizei und 525 zusätzliche Stellen für das Bundeskriminalamt. Das wird diese beiden Sicherheitsbehörden in die Lage versetzen, die Herausforderungen zu bestehen.
Wir stärken aber auch den Bereich des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, weil wir wissen, dass die Angriffe eben nicht nur in der realen, sondern auch in der virtuellen Welt stattfinden.
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Mir ist aber auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir uns als Union dafür eingesetzt haben, dass die Mittel für die Ausrüstung der Bereitschaftspolizeien der Bundesländer um 10 Millionen Euro, also um 50 Prozent, aufwachsen. Warum, meine Damen und Herren? Wir tun das, weil wir glauben, dass diejenigen, die draußen den Kopf für die innere Sicherheit und für den Rechtsstaat hinhalten, unsere Polizistinnen und Polizisten, die möglichst beste technische Ausstattung haben sollen, um auf Gefahrenlagen effektiv reagieren zu können.
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An dieser Stelle will ich einmal allen, die für unsere innere Sicherheit arbeiten, sei es in Uniform oder ohne Uniform, ganz, ganz herzlich danken. Sie machen draußen einen ganz wichtigen Job für unser Land und für dessen Sicherheit.
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Wir haben beim Technischen Hilfswerk aufgesattelt – wenn ich das mal so sagen darf –: fast 5 Millionen Euro mehr, um unter anderem die Entschädigung der Ehrenamtlichen für ihren Dienst erhöhen zu können. Den Kolleginnen und Kollegen beim Technischen Hilfswerk, aber auch bei den Feuerwehren und den Rettungsdiensten sage ich an dieser Stelle Danke schön. Ihr verbringt eure Freizeit für unsere Sicherheit; das ist gut und wichtig.
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Lassen Sie mich noch auf das neugeschaffene Amt des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung eingehen. Wir haben den Haushaltsansatz um 1 Million Euro erhöht. Warum? Lassen Sie mich das an zwei Beispielen aus meinem Wahlkreis deutlich machen. Ich war vor vier Wochen beim ersten Spatenstich für den Neubau einer jüdischen Schule und eines jüdischen Kulturzentrums in Wilmersdorf. Ich glaube, meine Damen und Herren, wenn Menschen in Deutschland eine jüdische Schule bauen wollen, wenn sie hier jüdisches Leben leben wollen, dann ist das gegenüber unserem Land ein großer Vertrauensbeweis.
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Dieses Vertrauen müssen wir stärken. Wir geben 2 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt dafür. Aber es ist auch wichtig, dass die Kinder, die in diese Schule gehen werden, ihre Kippa auf dem Kopf tragen können, wenn sie in der U-Bahn sind, und ihren Davidstern an der Kette tragen können, ohne Angst haben zu müssen oder beschimpft zu werden.
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Und ich sage: Wenn 80 Jahre, nachdem Synagogen in Deutschland gebrannt haben, wieder jüdische Schulen gebaut werden, dann sollten wir alles dafür tun, dass diese Menschen sich bei uns wohlfühlen und ihren Glauben leben können.
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Deshalb brauchen wir auch einen Antisemitismusbeauftragten, und deshalb muss der auch gut ausgestattet sein. Übrigens: 1 Kilometer vom Bauplatz dieser jüdischen Schule entfernt fand einen Tag zuvor auf dem Kurfürstendamm diese unsägliche Al-Quds-Demonstration statt, für die ich mich jedes Jahr erneut schäme. Ich will aber auch ganz deutlich sagen: Alle, die da zum Hass gegen Israel und gegen jüdisches Leben aufrufen, sollten sich überlegen, ob sie in diesem Land richtig sind.
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Wer unsere Werte nicht teilt und nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, unserer Verfassung steht, sollte überlegen, ob er seine Parolen lieber woanders äußert.
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Ich will auch ganz deutlich sagen: Organisationen, die aus dem Bundeshaushalt Geld bekommen, sei es für Integrationskurse oder für andere Maßnahmen, müssen auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen.
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Das haben wir als Haushaltsausschuss ausdrücklich noch einmal beschlossen. Aber ich sage auch, dass Organisationen, die Kinder in Uniformen stecken, um den Märtyrertod und Heldenverehrung nachzuspielen, sicherlich keine Organisationen sind, die von uns mit staatlichen Mitteln unterstützt werden können.
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Wir haben unsere Lehren aus Krieg und zwei Diktaturen in Deutschland gezogen, und ich finde, wir haben einen Anspruch darauf, dass Menschen, die hier leben, das auch mit uns teilen.
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Lassen Sie mich zuletzt noch auf das Thema Sport eingehen; auch das gehört ja zum Haushalt. 23 Millionen Euro zusätzlich für die Förderung des Spitzensports: Da ist es mir wichtig, zu betonen, dass wir nicht nur den olympischen Spitzensport, sondern auch den paralympischen Sport finanziell unterstützen; denn wir wollen, dass unsere Athleten in der Zukunft die Chance haben, jede Menge Edelmetall nach Hause zu bringen. Ich glaube, die Reform des deutschen Spitzensports wird an dieser Stelle richtig und gut unterstützt, und da erwarten wir, dass es in den nächsten Jahren weitergeht. Dann wird es, glaube ich, auch zusätzliche Unterstützung geben.
Ich darf mich herzlich bedanken.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Stefan Ruppert, FDP-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gerade nach den Wochen, die hinter uns liegen, ist es mir ein Bedürfnis, einmal zwei Sätze dazu zu sagen, was uns in diesem Land eint und wofür wir alle als repräsentative Demokraten eintreten wollen: für Grundrechte, für eine innere Sicherheit, die Freiheit und Sicherheit in Balance bringt. Ich glaube, wir müssen als repräsentative Demokraten besser werden, um den Menschen unsere Politik zu erklären. Aber wir haben viele Gemeinsamkeiten, zumindest im Kernbereich dieses Hauses, und das sollte man in solchen Debatten, nach solchen Verhärtungen wie in den letzten Wochen auch einmal sagen.
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Wir haben immerhin eine Faktenbasis, wenn es um den Einsatz für den Antisemitismusbeauftragten geht. Es ist wunderbar, dass es wieder normales jüdisches Leben in Deutschland gibt, so bedroht es auch ist. Wir haben Gemeinsamkeiten, wenn es um mehr Personal für die Durchsetzung geltenden Rechts geht. Wir haben Gemeinsamkeiten, wenn es um die rechtsstaatliche Ordnung in Deutschland geht. Ich glaube, auf diese Errungenschaften können alle Demokraten stolz sein.
Ich will vier Daten nennen: Seit 25 Jahren verhindert die Union ein Einwanderungsgesetz. Seit zwölf Jahren regiert sie, und die erfolgreiche Verhinderung dieses Einwanderungsgesetzes hält an.
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Wir haben keine gesteuerte Einwanderung in Deutschland. Das hat zu Unruhe, zu Unsicherheit geführt, und daran trägt eine Partei im Wesentlichen die Schuld: die Union. Sie haben diese Ordnung verhindert.
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Nachdem Sie 25 Jahre den Einwanderungsstatus negiert haben, haben Sie zwölf Jahre in der Regierung nichts gemacht. Seit drei Jahren haben Sie Ihre Haltung faktisch geändert und glauben, dass – das ist mein viertes Datum – in zwei oder drei Wochen Ordnung in etwas zu bringen ist, was Sie 25 Jahre nicht geordnet haben. Das, muss ich sagen, ist eine etwas naive Herangehensweise.
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Die Menschen, die wir hier brauchen, werden nicht ad hoc kommen. Die Pflegekräfte, die Ingenieure, die IT-Leute wollen natürlich eingeladen werden; sie wollen spüren, dass sie hier gebraucht werden. Wir müssen im Ausland um sie werben. Gleichzeitig müssen wir festlegen, dass Menschen, die auf Dauer nicht hier bleiben können, auch das Land verlassen. Eine solche Ordnung braucht Zeit – mehr als zwei Wochen. Das Chaos der letzten Tage war leider ein sehr betrübliches.
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Ich will sagen, dass eine Diskussion dabei überhaupt nicht geführt worden ist, nämlich: Wie leben wir mit den Menschen, die in den letzten vier Jahrzehnten hierher migriert sind, zusammen? Wie gelingen Migration und Ordnung der Zusammenarbeit? Die Diskussion einer asymmetrischen Demobilisierung – dass man wichtige Debatten im Land nicht mehr führt – hat zu einer Aufladung der Union in ihren eigenen Reihen geführt. Sie hat dazu geführt, dass Sie keine Einigkeit mehr über viele Fragen haben. Eine Gesellschaft, die die wichtigen Debatten unserer Zeit nicht führt, die nicht offensiv darüber diskutiert, wie wir zusammenleben wollen, stärkt am Ende die Ränder. Leider ist das in den letzten Jahren zunehmend passiert.
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Am Ende will ich mich mit einem Änderungsantrag der AfD befassen. Ich plädiere immer für sachliche Auseinandersetzung – es reicht nicht, wenn wir sie durch eine Ächtung im Verfahren zum Märtyrer machen. Sie plädieren dafür, das Bundesamt für Verfassungsschutz von jetzt auf gleich zu streichen. Das muss man sich mal überlegen: 390 Millionen Euro werden da sofort gestrichen. – Ich kann Ihnen das Deckblatt des Dokuments, mit dem Sie das beantragen, gerne zeigen. Sie sind dafür, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz sofort gestrichen wird. Abgesehen davon, dass eine Kürzung um 390 Millionen Euro beamtenrechtlich nicht von jetzt auf gleich möglich ist, ist es interessant, welche Begründung Sie liefern. Sie sagen: Weil wir dort in den Aufsichtsgremien nicht vertreten sind, wollen wir dieses Amt streichen.
Herr Kollege Ruppert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Boehringer?
Gerne.
Bitte sehr, Herr Boehringer.
Lieber Herr Kollege Ruppert, Sie haben ja wahrscheinlich die Zwischenfrage schon fast erwartet. Sie wussten, bevor Sie das gesagt haben, genauso wie Herr Kahrs, als er gestern die gleiche Mär erzählt hat, dass wir den Verfassungsschutz natürlich nicht streichen wollen. Das ist überhaupt keine Frage.
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Ich habe es gestern schon erklärt, ich wiederhole es für Sie gerne – Sie wussten es, Herr Kahrs wusste es, wir wussten es alle; es geht nicht um irgendwelche Geheimnisse –: Dieses Hohe Haus hat es geschafft, in vier Wahlgängen keinen einzigen AfD-Vertreter in die Kontrollgremien für die Haushalte der Geheimdienste zu wählen.
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Das ist nicht wirklich demokratisch. Wir haben uns erlaubt, im Rahmen des Haushaltsprozesses diese Dinge mit unseren Mitteln einmal anzuprangern.
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Man hätte natürlich auch beantragen können, die Mittel auf die Hälfte herunterzusetzen. Wir sind nicht in der Lage, diese Dinge zu kontrollieren. Das einzige Mittel, uns zu wehren, ist, diesen Haushalt nicht zu akzeptieren. Das ist das, was hier passiert. Es wird durch Wiederholung nicht wahrer, wenn man die Mär, wir wollten diese Instanzen abschaffen, permanent wiederholt.
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Ich erlaube mir an der Stelle doch noch eine Bemerkung.
Herr Kollege Boehringer, ich habe gestern schon darauf aufmerksam gemacht: Zwischenbemerkungen müssen kurz sein. Bitte kommen Sie zum Ende.
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Immerhin haben wir die gemeinsame Basis:
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Sie haben die 390 Millionen Euro für das Bundesamt für Verfassungsschutz gestrichen. – Jetzt habe ich eine hohe Wertschätzung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort. Aber meine Erwartung, dass sie ehrenamtlich tätig werden, dass die Kosten, die sie verursachen, nicht getragen werden müssen, ist doch relativ beschränkt. –
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Das ist die erste Aussage.
Die zweite Aussage, Herr Boehringer. Sie nehmen einer Behörde, die Sie angeblich erhalten wollen, alle Haushaltsmittel weg und sagen, Sie wollten sie damit nicht abschaffen. Das ist schon eine etwas krude Argumentation.
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Eine weitere Bemerkung. Wenn wir als Freie Demokraten jedes Gremium, in dem uns eigentlich anteilsmäßig, gemäß Verhältniswahlrecht, ein Sitz zugestanden hätte,
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hätten beseitigen wollen, dann wären Änderungsanträge etwa zur Streichung des Bundesverfassungsgerichts und weiterer oberster Bundesorgane fällig gewesen, weil wir auch als FDP über lange Jahre in diesen Gremien nicht vertreten waren.
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Es ist doch irrsinnig und kleinkariert, die eigene Präsenz in einer Institution sozusagen zur Voraussetzung dafür zu machen, dass es diese Institution in der Gewaltenteilung weiterhin gibt.
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Wir Liberale hätten ganze Landtage Ostdeutschlands, das Verfassungsgericht und diesen Bundestag abschaffen müssen, nur weil man uns nicht hineingewählt hat. Es ist absurd, was Sie da tun.
Vielen Dank.
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Jetzt hat das Wort der Kollege Martin Gerster, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die letzten Tage und Wochen waren geprägt von einem Machtkampf zwischen CDU und CSU zulasten Einzelner und zulasten der Demokratie, ausgetragen auf dem Rücken der Menschen. Ich fand es sehr spannend, dass der bayerische Ministerpräsident Markus Söder jetzt gesagt hat: „Wir müssen auf Form und Stil achten.“
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Ich muss sagen, da hat er recht. Die Frage ist nur, wen er eigentlich damit meint.
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Wir im Haushaltsausschuss jedenfalls diskutieren und debattieren sachlich, kollegial und auch fair. Wir sorgen dafür, dass Deutschland gut regiert wird, dass die Weichenstellung stimmt. Bei uns kommt jedenfalls am Ende auch ordentlich was raus:
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Viel Gutes, was den Menschen nutzt und den Menschen hilft.
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So will ich als Hauptberichterstatter meiner Fraktion für den Einzelplan 06 nicht versäumen, allen Mitberichterstattern für die gute Zusammenarbeit herzlich zu danken, insbesondere Klaus-Dieter Gröhler von der Union, weil wir mehr Zeit miteinander verbracht haben als alle anderen. Ich möchte aber auch Danke sagen dem Bundesinnenministerium und natürlich auch Olaf Scholz und seiner Mannschaft, stellvertretend hier Bettina Hagedorn.
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Ja, wir Haushälter helfen mit, einzulösen, was im Koalitionsvertrag vereinbart wurde. Für uns als SPD ist ein handlungsfähiger Staat durch nichts zu ersetzen.
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Deshalb gilt für uns gerade im personalintensiven Innenbereich der Dreiklang: Stellen schaffen, Stellen heben, Stellen entfristen.
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Im Rahmen unserer Haushaltsberatung bekommen die Sicherheitsbehörden im Geschäftsbereich Bundesinnenministerium zusätzlich 3 800 Stellen, davon haben wir allein in der Bereinigungssitzung über 1 800 Stellen zusätzlich auf den Weg gebracht. Das ist gut für die Bundespolizei, für das Bundeskriminalamt, für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und für viele andere. Das ist aber vor allem auch gut für die Sicherheit der Menschen in unserem Land. Und nicht zu vergessen: Wir helfen den Bereitschaftspolizeien der Länder bei notwendigen Anschaffungen für Fahrzeuge mit zusätzlichen 10 Millionen Euro, und wir stocken das KfW-Programm „Kriminalprävention durch Einbruchsicherung“ noch mal um 15 Millionen Euro auf, weil die Nachfrage so groß ist und wir möglichst niemanden enttäuschen wollen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schaffen wir 1 500 zusätzliche Stellen und entfristen 4 500 Stellen. Das ist gut für die Beschäftigten.
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Das ist aber auch gut für die Qualitätssicherung und ‑verbesserung bei den Entscheidungen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Ich meine, wir brauchen nicht nur schnelle Entscheidungen, sondern wir brauchen auch Entscheidungen, die gründlich erarbeitet worden sind.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stärken auch den Katastrophenschutz. Das THW erhält zusätzlich 120 Stellen, und auch hier entfristen wir deutlich, 74 Stellen ganz genau. Dasselbe – nicht ganz in diesem Ausmaß, aber eben auch – gilt für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, BBK. Für das THW gibt es weitere Gelder – der Kollege Gröhler hat darauf hingewiesen –, nahezu 5 Millionen Euro.
Unsere Beschlüsse drücken Dank und Wertschätzung für alle Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen aus, die für unsere Sicherheit sorgen und die helfen, wenn andere in Not geraten und auf Unterstützung angewiesen sind. Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle an alle, die sich hier engagieren.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, überhaupt stärken wir Demokratie und auch den Kampf gegen Antisemitismus. Die Bundeszentrale für politische Bildung stärken wir genauso wie die politischen Stiftungen und den Beauftragten für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus. Er profitiert ebenfalls. Er erhält 1 Million Euro mehr und zusätzliche 11 Stellen. Das ist gut und leider, leider notwendig.
Ich will auch hervorheben, dass die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit zusätzlich 50 Stellen erhält. Das ist ein wichtiges Signal an die Bürgerinnen und Bürger, dass wir den Datenschutz stärken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der Baubereich gehört zum Einzelplan 06. Ich will sagen, dass wir eine gute Entscheidung getroffen haben beim Thema Baukindergeld. Das ist jetzt konkretisiert und schafft Planungssicherheit.
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Wir finden es auch gut, dass die Förderung des Städtebaus auf hohem Niveau fortgeschrieben wird und der soziale Wohnungsbau, der der SPD besonders wichtig ist, für 2019 eine weitere halbe Milliarde Euro mehr bekommt.
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Das ist gut so; denn die Wohnungsfrage ist vielerorts zu einer ganz entscheidenden, wichtigen sozialen Frage geworden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir unterstützen auch die Reform des Spitzensports mit zusätzlichen 23 Millionen Euro, die wir in der Bereinigungssitzung auf den Weg gebracht haben. Da ist viel Gutes dabei. Ich denke, meine Kollegin Dagmar Freitag wird noch darauf eingehen. Aber ein kleiner Posten war uns ganz besonders wichtig, und das ist die Einrichtung einer unabhängigen Athletenvertretung in Deutschland.
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Das ist eine ganz wichtige Grundsatzentscheidung zugunsten mündiger und kritischer Sportlerinnen und Sportler. Ehrlich gesagt, ich kann gar nicht verstehen, warum die Sportpolitiker der Union da so lange auf der Bremse standen.
Der Etat stimmt, auch bei der NADA. Das ist ein wichtiges Zeichen gegen Betrug im Sport.
Jetzt kommt es auf Sie an, Herr Minister Seehofer. Man mag Ihnen zurufen: An die Arbeit! Wir brauchen die Umbaupläne für das BAMF. Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz, einen Masterplan für mehr sozialen Wohnraum und bezahlbare Mieten.
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Wir erwarten, dass nicht immer neue Ängste geschürt werden, sondern die Sicherheit und auch das Sicherheitsgefühl der Menschen im Land verbessert werden. Der Koalitionsvertrag muss abgearbeitet werden. Dafür haben wir ihn ausgehandelt. Also, packen Sie es an! Genügend Geld ist auf jeden Fall da.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Victor Perli, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Seehofer ist Minister des Innern, für Bau und Heimat. Die Bilanz nach etwas mehr als 100 Tagen und den Haushaltsberatungen sieht düster aus.
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Als Innenminister kümmert sich Herr Seehofer seit Wochen vor allem um die innere Gefühlslage der Unionsparteien und um den inneren Aufstand gegen die Kanzlerin. Das, was wir hier in den letzten Tagen erlebt haben, hat mit christlichen, hat mit sozialen Werten nichts, aber auch überhaupt gar nichts zu tun.
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Ansonsten ist innenpolitisch viel Ausfall; ja, sogar die Vorstellung des Verfassungsschutzberichts hat Herr Seehofer ausfallen lassen. Als Bauminister hat Herr Seehofer bislang null Komma null für bezahlbares Wohnen und den Schutz von Mietern getan. Dabei ist der Handlungsbedarf riesig. Millionen Menschen sind von explodierenden Mieten betroffen. Das gilt nicht nur in den Städten; auch in vielen ländlichen Gegenden steigt die Belastung durch hohe Mieten. Inzwischen muss jeder sechste Haushalt mehr als 40 Prozent des Einkommens dafür hinblättern. Mindestens 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen fehlen, Tendenz steigend. Aber anstatt dieses Problem anzugehen und gemeinsam mit den Ländern eine Offensive für den sozialen Wohnungsbau, für bezahlbaren Wohnraum zu starten,
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rührt die Große Koalition die Werbetrommel für eine neue Eigenheimzulage namens Baukindergeld. Familien, die bis Ende 2020 Wohneigentum kaufen, bekommen zehn Jahre lang 1 200 Euro pro Kind und Jahr.
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Dieses Programm hilft überhaupt nicht gegen die Wohnungsnot in den Städten. Die Familien, die sich die Mieten dort nicht leisten können, können die Kaufpreise erst recht nicht finanzieren. Das ist der völlig falsche Weg.
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Auch im ländlichen Raum nutzt dieses Programm vor allem der Bau- und Immobilienwirtschaft,
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weil die Nachfrage in den nächsten drei Jahren stark steigt und die staatliche Förderung eingepreist wird. Zugleich nimmt in den Dorfkernen der Leerstand zu, weil drumherum Neubaugebiete entstehen. Es ist wirklich unfassbar, dass die Steuerzahler für diese Scheinlösung, die das Wohnen in diesem Land nicht preiswerter macht, in den nächsten Jahren 10 Milliarden Euro hinblättern müssen. Das ist wirklich unfassbar.
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Wir sagen, dieses Geld muss in den öffentlichen und gemeinnützigen Wohnungsbau gesteckt werden. Davon haben alle etwas, in der Stadt und auf dem Land, und dafür steht Die Linke.
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Als Heimatminister sollten Sie, Herr Seehofer, eigentlich das friedliche Zusammenleben hier im Land im Blick haben. Stattdessen grenzen Sie mit Ihrer Politik Millionen Menschen aus. In den letzten Tagen haben wir die vorläufige Krönung erlebt: Sie erpressen nicht nur die SPD und die CDU, Sie treiben ganz Europa auseinander, indem Sie Menschen, die vor Krieg und Vertreibung flüchten, in geschlossenen Lagern unterbringen wollen,
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die Sie beschönigend auch noch als Transitzentren bezeichnen. So kommt unser Grundgesetz unter die Räder und auch die Demokratie.
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Meine Damen und Herren von der SPD, Willy Brandt wird sich im Grabe umdrehen,
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wenn Sie diesen menschenverachtenden Grenzanlagen zustimmen. Ich poste gleich nach meiner Rede einen Beitrag Ihres Landrats des Kreises Hameln-Pyrmont. Er hat ein Foto von so einer Transitzone in Griechenland veröffentlicht;
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er empört sich darüber, dass Sie darüber nachdenken, dem zuzustimmen, und er appelliert, das zu lassen.
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Solche Bilder dürfen in Deutschland im 21. Jahrhundert nicht entstehen.
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Fakt ist, dass nach wie vor Menschen vor Krieg und Vertreibung fliehen. Allein in den letzten 16 Tagen sind im Mittelmeer 483 Menschen ertrunken. Diese Menschen könnten noch am Leben sein, wenn die Rettungsschiffe in Malta nicht festgesetzt worden wären. Diese Blockade, die auch auf Ihren Druck erfolgt ist, Herr Seehofer, ist durch nichts, aber auch gar nichts zu rechtfertigen. Das ist eine Politik, die Menschen umbringt. Statt der humanitären Verpflichtung nachzukommen, behindern Sie die Rettung aus Seenot. Wie können Sie das mit Ihrem christlichen Gewissen vereinbaren?
Meine Damen und Herren, die Mehrheit in diesem Land will keinen Rechtsruck, und sie will auch keinen Innenminister, der schrittweise das Programm der Rechtsaußen übernimmt. So werden Sie die Wahlen in Bayern nicht retten, sondern genau die Falschen stark machen. Es ist doch kein Wunder, dass die Mehrheit der Menschen in Bayern sagt, dass ihr größtes Problem inzwischen die CSU ist. Wir, Die Linke, machen diese Politik von Herrn Seehofer nicht mit.
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Wir lehnen diesen Einzelplan der Großen Koalition ab.
Danke für die Aufmerksamkeit.
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Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Irene Mihalic, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Geschwisterstreit von CDU und CSU, der für Wochen die Regierungsarbeit lahmgelegt hat, ist nur notdürftig gekittet. Und das Ergebnis: ein ganz fauler Kompromiss zulasten Dritter und vermutlich – wir werden es noch herausfinden – sogar ein Verstoß gegen das Parteiengesetz, wenn Herr Seehofer seinen Masterplan im Innenministerium erarbeiten lässt, ihn aber als CSU-Vorsitzender vorlegt.
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Nun reklamieren Sie, Herr Seehofer, diesen zweifelhaften Sieg mit stolzgeschwellter Brust für sich, obwohl Sie nach mehr als 100 Tagen im Amt noch nicht wirklich einen Arbeitsnachweis erbracht haben. Das, was wir bisher hatten, waren viele Ankündigungen, es waren viele Medientermine, es war viel bayerischer Landtagswahlkampf. Aber von harter Arbeit an den innenpolitischen Sachfragen – Stichworte „Personalkonzept bei den Sicherheitsbehörden“, „Reform der Sicherheitsarchitektur“ – keine Spur. Da muss man sich ja fast schon die Frage stellen, von welchem Amt Sie eigentlich zurücktreten wollten. Da ist es ja fast schon konsequent, zu bleiben.
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Aber wo ist eigentlich die SPD? Das kann man sich ja auch einmal fragen. CDU und CSU sprengen mit ihrem Kompromiss gerade den Koalitionsvertrag in die Luft, und die Sozialdemokraten erfahren es wie der Rest der Republik aus dem Fernsehen, oder wie? Ja regt Sie denn eigentlich gar nichts mehr auf?
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Was muss eigentlich noch passieren, damit Sie klipp und klar sagen, dass Sie nicht bereit sind, das geeinte Europa zu opfern,
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nur damit die CDU und die CSU ihren Streit beilegen können? Nun, selbstverständlich haben Sie sich im Nachhinein geäußert. Herr Lischka sagt: Transitzentren ja, aber sie sollen offen sein. Ja, da frage ich Sie, nach welcher Seite denn offen? Nach Österreich oder nach Deutschland?
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Solche Vorschläge können Sie doch nicht ernst meinen.
Jetzt machen Sie Ihre Zustimmung von dem Namen dieser Lager abhängig.
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Nein, liebe Genossinnen und Genossen, in dieser Frage gibt es kein So-nicht, sondern nur ein ganz klares Gar-nicht.
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Denn der Kompromiss der CDU/CSU ist erstens ein Frontalangriff auf die europäische Idee, er ist zweitens völlig unpraktikabel und verschärft die personelle Situation bei der Polizei, die Sie ja schon heute nicht im Griff haben, und er ist drittens völlig humanitäts- und rechtsstaatsvergessen.
Was Europa angeht, war es schon bezeichnend, was Frau Kramp-Karrenbauer bei der Bewertung dieses Burgfriedens sagte. Der Kompromiss würde dazu beitragen – ich zitiere –, „die gute Nachbarschaft mit Europa“ zu wahren.
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„Nachbarschaft mit Europa“: Sehen Sie Deutschland jetzt schon außerhalb Europas, oder wie ist das zu verstehen?
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Anstatt Solidarität in der europäischen Familie zu üben, beschränken Sie sich also lieber auf gute Nachbarschaft, Hauptsache, jeder bleibt hinter seinem eigenen Gartenzaun. Und jetzt wollen Sie mit Österreich ein neues Grenzregime vereinbaren. Aber da verspreche ich Ihnen: Das wird der Renationalisierung in Europa Tür und Tor öffnen,
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mit all den negativen Auswirkungen, wie Beschränkung der Freizügigkeit, Schwächung der europäischen Wirtschaft und allem, was daran hängt – und wieder stirbt ein Stück der europäischen Idee.
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Zudem ist Ihr Konzept der Transitzentren – oder sagen wir besser: der geschlossenen Grenzlager –
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nicht nur zutiefst unmenschlich, sondern auch völlig unpraktikabel. – Ja, ich weiß, da gibt es jetzt Widerspruch, aber wir hören ja mehrere Versionen. Stephan Mayer sagt, die Lager sind geschlossen.
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Herr Kauder hat gestern gesagt, sie sollen offen bleiben. Frau Merkel sagt: geschlossen, aber maximal zwei Tage, weil was anderes das Grundgesetz nicht erlauben wird. – Wie stellen Sie sich das denn eigentlich vor? Was soll es denn jetzt sein?
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Auch die Gewerkschaft der Polizei sagt Ihnen, dass das alles überhaupt nicht geht.
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Mal abgesehen davon, dass sich das Flughafenverfahren nicht einfach auf die Landesgrenzen übertragen lässt, weil es zwischen Staaten eben keine Pufferzone gibt, stellt sich doch die Frage: Was ist denn mit dem insgesamt 3 714 Kilometer langen Grenzverlauf in Deutschland?
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Wollen Sie da jetzt überall Ihr neues Grenzregime aufziehen?
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– Die AfD sagt: „Ja, absolut“; da hören Sie schon die ersten Vorschläge.
Und wo soll das Personal dafür herkommen?
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Sie haben doch jetzt schon Probleme, den vereinbarten Aufwuchs von 7 500 Stellen bei den Sicherheitsbehörden konzeptionell umzusetzen. Und auf Nachfrage teilen Sie uns dann mit, es gebe dazu Vorstellungen im BMI, man wolle die regierungsinterne Abstimmung aber noch abwarten und bitte um Verständnis. Bei „regierungsinterne Abstimmung“ habe ich im Moment ein Störgefühl.
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Das hört sich für mich noch nicht nach einem Masterplan an, um es mal so auszudrücken.
Nein, meine Damen und Herren, wir haben kein Verständnis dafür, dass Sie immer noch nicht in der Lage sind, zu sagen, wie Sie den dringend benötigten Personalaufwuchs bei den Polizeibehörden des Bundes denn überhaupt praktisch umsetzen wollen. Ihre Grenzlager und die Folgewirkungen werden den Haushalt zusätzlich belasten, und wir haben ein Recht darauf, alle Details ganz genau zu erfahren.
({19})
Meine Damen und Herren, Ihr vermeintlicher Durchbruch im Asylstreit ist mit Blick auf die multidimensionale Problematik von Flucht und Migration in Wahrheit doch eine Bankrotterklärung. Sie agieren nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn. Sie ziehen die Brücken hoch und versuchen, Deutschland vor dem Leid der Welt, so gut es geht, abzuschotten. Wer es doch noch schafft, als Flüchtling nach Deutschland zu kommen, wird in Lager gesperrt.
({20})
Integration wird damit von vornherein ausgeschlossen, und gleichzeitig tun Sie nichts, aber rein gar nichts, um die Fluchtursachen wirklich grundsätzlich anzugehen.
Und warum das alles? Das alles geschieht getrieben von Angst vor dem parteipolitischen Rechtsextremismus. Aber den rechtsextremen Geist bekämpft man eben nicht, indem man ihn selbst atmet.
({21})
Man bekämpft ihn mit dem Geist der Demokratie, des Rechts und der Humanität.
Das, was Sie hier vorlegen, ist jedenfalls weder christlich noch sozial, und mit „Union“ hat es auch nichts zu tun – schon gar nichts mit der Europäischen Union.
({22})
Jetzt erteile ich das Wort dem Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, Horst Seehofer.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Mihalic, fünf Arbeitsnachweise:
Arbeitsnachweis Nummer eins: Wir verabschieden heute einen Einzelplan für mein Ministerium mit einem gewaltigen, noch nie dagewesenen Umfang: 14 Milliarden Euro, knapp 6 000 neue Stellen. Es ist ein Haushalt, der neue Maßstäbe setzt.
({0})
Etwa ein Drittel davon, 5,4 Milliarden Euro, steht für die innere Sicherheit. Damit machen wir den Weg frei für noch mehr Sicherheit und Ordnung für die Bürger in unserem Lande.
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Die Sicherheitsbehörden des Bundes erhalten fast 4 000 neue Stellen. Wir stärken damit das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei, und wir unterstützen auch die Bundesbehörden, ohne die ein klassischer Sicherheitsapparat nicht auskommt, etwa das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, das Bundesverwaltungsamt und die Hochschule des Bundes, die Ausbildung, Ausstattung und die administrative Betreuung des Personals der Sicherheitsbehörden erst ermöglichen.
Sicherheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist elementar für die Menschen in unserem Land. Sie zu gewährleisten, ist die vornehmste aller Aufgaben eines Staates. Das erwartet die Bevölkerung von uns ganz zu Recht, und dieser Haushalt erfüllt diese Erwartung der Bevölkerung.
({2})
Arbeitsnachweis Nummer zwei: 1 650 neue Stellen wird das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erhalten, und weitere 4 500 dort bereits vorhandene, aber befristete Stellen werden entfristet. Damit kann bereits geschultes Personal dauerhaft beschäftigt werden. Das war richtig, und das war wichtig; denn erst solide Ressourcen erlauben es dem BAMF, seine Aufgaben heute und in Zukunft gut, verlässlich und schnell zu erfüllen.
Ich möchte, dass dieses BAMF als die zentrale Behörde in Migrationsfragen wieder bestmöglich aufgestellt wird. Das BAMF hat gute, engagierte Mitarbeiter und jetzt auch eine neue Führung, mit der der Neustart gelingen wird und mit der es gelingen wird, wieder Vertrauen in der Bevölkerung herzustellen.
({3})
Ein Neustart geht nicht ohne Reformwillen und Reformpläne. Ich bin froh, dass sich das Personal des BAMF in einer Personalversammlung zu diesen Reformabsichten ausdrücklich positiv geäußert hat. Neben den neuen Stellen und mehr Mitarbeitern gehören dazu eine neue Amtsleitung, bessere Prozesse und eine intensivere Fachaufsicht. Ich glaube, wir haben alle Chancen, mit dieser Reform und Reorganisation des BAMF wieder Vertrauen in der Bevölkerung herzustellen.
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Arbeitsnachweis Nummer drei: Wir starten eine Offensive im Baubereich, wie es sie nach meinem Wissen – und ich gehöre dem politischen Bereich jetzt 40 Jahre an –
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in diesen 40 Jahren noch nie gegeben hat: mit dem Baukindergeld, das Hundertausenden Familien die eigenen vier Wände ermöglichen wird, meine Damen und Herren.
({6})
Das ist auch gesellschaftspolitisch ein großer Wurf; denn wir haben eine Eigentumsquote in Deutschland, die im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich ist. Dieses Baukindergeld wird dazu beitragen, diese ein Stück zu verbessern.
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Wir bekommen jetzt mit unserer mittelfristigen Finanzplanung Investitionen auf Rekordniveau im sozialen Wohnungsbau, obwohl eigentlich die Zuständigkeit des Bundes für den sozialen Wohnungsbau nach den Länderfinanzausgleichsverhandlungen auslaufen würde. Das zeigt das hohe Verantwortungsgefühl des Bundes, der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen für die kleinen Leute beim sozialen Wohnungsbau.
({8})
Herr Minister Seehofer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
Er möchte keine Zwischenfrage zulassen.
Auch eine milliardenschwere Städtebauförderung und ab dem 1. September die zusätzliche Möglichkeit einer Abschreibung für vier Jahre im freifinanzierten Wohnungsbau werden kommen. Das ist eine wichtige Weichenstellung,
({0})
und es ist eine Antwort auf die soziale Frage unserer Zeit, nämlich Schaffung von bezahlbarem Wohnraum.
({1})
Arbeitsnachweis Nummer vier: Mich freut sehr, dass sich der Ausschuss in der Bereinigungssitzung noch entschieden hat, die Mittel für den Sport für dieses Jahr zu erhöhen. Ich darf für die ganze Bundesregierung sagen: Wir unterstützen den Deutschen Olympischen Sportbund bei seinen Reformbestrebungen. Auch wir wollen eine unabhängige, eigenständige Athletenvertretung. Dafür schafft dieser Haushalt die Voraussetzungen.
({2})
Schließlich Arbeitsnachweis Nummer fünf – ich habe leider nicht mehr Zeit, sonst müsste ich noch weitere sieben Arbeitsnachweise vortragen –: Das ist die Migrationspolitik. Wir haben Anfang dieser Woche in der Union nach durchaus intensiver Debatte Verständigung erzielt. Ich bin guter Dinge, dass wir auch mit unserem Koalitionspartner SPD eine Verständigung, und zwar eine verlässliche Einigung, erzielen werden.
Die wichtigsten Schritte sind jetzt: ein neues Grenzregime
({3})
an der deutsch-österreichischen Grenze, direkte Zurückweisung von Menschen mit Einreisesperren – das habe ich letzte Woche angeordnet; es war ohnehin nicht verständlich,
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dass Menschen, die mit einer Einreisesperre belegt sind, wieder in die Bundesrepublik Deutschland einreisen konnten; dieser Spuk ist jetzt beendet –,
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Einrichtung von Transitzentren, aus denen Asylbewerber in kürzester Zeit direkt in die zuständigen Länder zurückgewiesen werden.
({6})
Lassen Sie mich aus Zeitgründen hierzu nur einen Satz sagen. Es sind keine geschlossenen Anstalten. Unser Grundgesetz sieht vor, dass die Zurückführung innerhalb von 48 Stunden erfolgen muss. Es sind deshalb keine geschlossenen Anstalten, weil man zwar nicht in die Bundesrepublik Deutschland einreisen darf, aber jederzeit zurückreisen darf in jedes andere Land, in das man zurückzureisen wünscht. Es sind keine geschlossenen Anstalten.
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Das alles erfolgt abgestimmt mit unseren europäischen Nachbarn. Das ist eine echte Asylwende, die hier eingeleitet wird.
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Ich werde unmittelbar nach dieser Debatte nach Wien fliegen, um mit dem Bundeskanzler Kurz und dem dortigen Innenminister zu reden.
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Ich hatte bereits gestern ein Gespräch mit dem ungarischen Ministerpräsidenten. Auch mit dem italienischen Innenminister habe ich hierzu Gespräche geführt. Weitere Gespräche werden folgen. Zu diesen Gesprächen möchte ich drei Anmerkungen machen, weil ich hierzu immer furchtbar vieles lese und höre, was nicht ganz den Realitäten entspricht:
Erstens. Es werden sehr schwierige Gespräche. Es haben bisher nur zwei Länder der Bundeskanzlerin zugesagt, dass sie bereit sind, darüber zu reden. Das sind Griechenland – wir werden wahrscheinlich morgen oder Anfang nächster Woche die Gespräche auf Arbeitsebene beginnen – und Spanien. Die Flüchtlinge aus Spanien sind an der deutsch-österreichischen Grenze nur von geringer Relevanz.
Zweitens. Die Gespräche dienen der Information unserer Partner und der Sondierung, wie wir vielleicht Überlegungen anstellen, da zu gemeinsamen Vereinbarungen zu kommen. Aber in der ersten Runde wird es keine Abschlüsse geben.
Drittens. Ich gehe davon aus, dass wegen der Komplexität und der europäischen Dimension – nach meiner Einschätzung – am Ende die wichtigsten Punkte dieser Vereinbarung von den Regierungschefs fixiert werden müssen.
({10})
Meine Damen und Herren, ich bin froh über diesen Haushalt der Superlative. Es sind hervorragende Ergebnisse, die ohne Mitstreiter, die für die Innenthemen brennen und streiten, nicht denkbar gewesen wären. Deshalb geht zum Schluss mein besonderer Dank an alle Mitglieder des Haushaltsausschusses – es waren für mich ausnahmslos schöne, fruchtbare Aufenthalte, wenn sie auch immer lang waren –, an die Berichterstatter aller Fraktionen für meinen Einzelplan und an den Hauptberichterstatter Herrn Gerster sowie an meinen Kollegen Herrn Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der erheblich mitgeholfen hat, dass dieser Haushalt der Superlative für den Bundesinnenminister möglich geworden ist.
Ich danke.
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Nächster Redner ist der Kollege Marcus Bühl, AfD.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste auf der Tribüne und an den Bildschirmen! Die Haushaltsberatungen sind vorüber. Nun heißt es, über das Ergebnis abzustimmen. Aus Sicht der Alternative für Deutschland ist das Ergebnis nicht zufriedenstellend. Die Koalition feiert sich selbst, die innere Sicherheit gestärkt zu haben. Die Bundespolizei erhält 3 075 und das Bundeskriminalamt 525 zusätzliche Stellen. Damit suggeriert die Koalition eine Verbesserung des objektiven Sicherheitsgefühls.
Aber schauen wir einmal hinter die Zahlen. Zuallererst müssen die neuen Bundespolizisten ausgewählt und drei Jahre ausgebildet werden. Fraglich ist, ob die Ausbildungskapazitäten an den Polizeischulen dafür ausreichen. Im Ergebnis heißt das, dass frühestens in drei Jahren die zusätzlichen Stellen die Personalsituation unserer Bundespolizei entspannen. Betrachtet man jedoch die Zahl der Angehörigen der Bundespolizei, die altersbedingt aus dem Dienst ausscheiden, sieht der Nettoaufwuchs auf einmal erheblich kleiner aus. Die derzeitige Personalsituation bleibt damit weiterhin angespannt und die Überstundenbelastung enorm hoch.
Schauen wir einmal auf die Kriminalstatistik. Ging die Kriminalstatistik noch 2017 von sinkenden Straftaten aus, zeichnet sich bereits heute für 2018 ein anderes Bild ab. Wenn ich zum Beispiel auf mein Heimatland Thüringen schaue: Die Zahl der erfassten Straftaten im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei, also an den Bahnhöfen in Thüringen, ist in den ersten vier Monaten dieses Jahres deutlich angestiegen. Waren es in den ersten vier Monaten 2017 insgesamt 1 500 Straftaten, so gab es 2018 bereits 1 862 Delikte. Zu den häufigsten Delikten gehören Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz, Sachbeschädigungen und Diebstahl. Es gibt daher keinen Grund für die Koalition, eine Stärkung der inneren Sicherheit zu feiern, solange diese noch gar nicht eingetreten ist.
({0})
Es herrscht weiterhin Handlungsbedarf, die Personalsituation zu entspannen und die Überstundenwelle abzubauen. Dazu haben wir in den Haushaltsberatungen vorgeschlagen, circa 500 Verwaltungsbeamte aus anderen Geschäftsbereichen temporär zur Bundespolizei abzuordnen. Damit können wir Polizeivollzugsbeamte von rein administrativen Tätigkeiten entlasten, und diese können so wieder eigentliche polizeiliche Tätigkeiten wahrnehmen sowie die Präsenz auf der Straße stärken. Herr Minister, Sie sind an dieser Stelle aufgefordert, zu handeln und sich für unsere Polizisten einzusetzen. Keine Sorge, das Thema „Ausrüstung und Schutzwesten unserer Polizei“ werden wir in der Haushaltsberatung 2019 konsequent weiterverfolgen.
({1})
Es freut mich, dass die Koalition in der Haushaltsbereinigungssitzung zumindest in die gleiche Richtung wie unser Antrag gegangen ist, indem sie die Mittel für die Fahrzeugbeschaffung bei den Bereitschaftspolizeien der Länder um 50 Prozent aufgestockt hat. Das ist zwar nur die Hälfte der Forderung der AfD; aber wir erkennen Ihren guten Willen ausdrücklich an, Vorschläge und Alternativen der AfD aufzugreifen.
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Dann noch einmal ganz speziell zu den Herren Ruppert und Kahrs; offenbar muss man das ja hier gebetsmühlenartig wiederholen. Zum Vorwurf, wir wollten die Geheimdienste abschaffen, möchte ich an dieser Stelle nochmals klarstellen: Der dazugehörige Änderungsantrag war ein politischer Protest unserer Fraktion,
({3})
weil der größten Oppositionsfraktion eine Mitwirkung an den Haushaltsberatungen im Hinblick auf die Geheimdienste verwehrt wurde. So viel zu Ihrem Demokratie- und Parlamentsverständnis!
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Der AfD liegt die innere Sicherheit am Herzen.
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In diesem Zusammenhang wundert mich der Änderungsantrag der FDP, die Mittel für das Material bei den Bereitschaftspolizeien der Länder zu halbieren. Muss ich da jetzt auch schlussfolgern, dass Sie die Bereitschaftspolizeien schwächen wollen oder abschaffen wollen?
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Abschließend möchte ich mich an dieser Stelle bei allen Einsatzkräften unserer Polizeien, beim Zoll und bei den Sicherheitsorganen für ihre geleistete Arbeit bedanken. Es sind unsere Einsatzkräfte – und nicht die Politik –, die die innere Sicherheit in unserem Land stärken und aufrechterhalten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner ist der Kollege Sören Bartol, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Minister Seehofer, wenn ich Sie so reden höre – Ihre Rede der Superlative, die Erfolge, Ihre Arbeitsnachweise –, dann sage ich Ihnen: Sagen Sie einfach Danke an diejenigen, die diesen Koalitionsvertrag ausgehandelt haben!
({0})
Und ich sage Ihnen ganz klar: Gefährden Sie diesen Koalitionsvertrag nicht durch das, was Sie die ganze Zeit tun!
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Deswegen hoffe ich auch, dass wir uns nach dem Theater der letzten Woche nun endlich wieder auf das konzentrieren können, was zählt, nämlich gute Politik zu machen, um dieses Land voranzubringen. Ich finde, dieser Einzelplan erlaubt es uns auch. Sie können mit diesem Einzelplan auch die erfolgreiche Arbeit im Baubereich fortsetzen, die Barbara Hendricks in der letzten Legislaturperiode angefangen hat.
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An der Stelle ist es gut, dass wir den Koalitionsvertrag umsetzen.
Ich erwarte jetzt von Ihnen, Herr Seehofer, dass Sie anfangen, den auch von Ihnen verhandelten und von Ihnen unterschriebenen Koalitionsvertrag Punkt für Punkt umzusetzen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch den im Koalitionsvertrag vereinbarten Mix an Maßnahmen werden in dieser Legislaturperiode 1,5 Millionen neue Wohnungen entstehen. Wichtig war es deshalb auch, einen soliden Haushalt vorzulegen, der genügend finanzielle Mittel für alle diese Instrumente bereithält. Denn nur eine gesunde Mischung aus gefördertem und frei finanziertem Miet- und Eigentumswohnungsbau kann am Ende die Situation auf dem Wohnungsmarkt verbessern und gute Lebensverhältnisse für alle gewährleisten.
Vor diesem Hintergrund wünsche ich mir, Herr Seehofer, dass Sie am Ende genauso viel Leidenschaft für den Wohnungsbau zeigen wie für Ihre Transitzentren. Das wäre fantastisch.
({4})
Wir haben im Koalitionsausschuss letzte Woche auch einen guten Kompromiss beim Baukindergeld gefunden. Das Baukindergeld ist eine wichtige Maßnahme, da sie die Eigentumsbildung von Familien fördert, damit sie im Alter sicher und mietfrei leben können.
({5})
Durch die zeitliche Begrenzung bis Ende 2020 werden wir die Ausgaben auch klar begrenzen. Wir können Familien flächendeckend und unbürokratisch fördern, ohne Abstriche bei den anderen Programmen machen zu müssen.
Besonders erfreulich finde ich, dass wir im Koalitionsausschuss für den sozialen Wohnungsbau und auch die Städtebauförderung – zwei, wie ich zugebe, sozialdemokratische Kernanliegen – zusätzliche Mittel vereinbart haben.
({6})
So stellen wir für den sozialen Wohnungsbau – das hat der Kollege Gerster schon gesagt – 2019 500 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung.
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Viele sprechen davon, dass bezahlbares Wohnen in Ballungsgebieten längst die besserverdienende Mittelschicht beschäftigt. Wir sollten aber nicht vergessen, dass das viel härter die Menschen betrifft, die in schlechtbezahlten Dienstleistungsberufen hart arbeiten und dennoch immer weiter aus dem Zentrum – weg von ihrem Arbeitsplatz – in die Außenbezirke gedrängt werden.
Deshalb geht es nicht nur darum, einfach mehr zu bauen. Die Wohnungen müssen auch dort gebaut werden, wo die Menschen arbeiten und leben wollen.
({8})
Sie müssen vor allem bezahlbar sein, sowohl für den Krankenpfleger in München als auch für die Polizistin oder die Briefträgerin in Frankfurt. Dazu dienen auch die vereinbarten Verschärfungen bei der Mietpreisbremse und die Absenkung der Modernisierungsumlage, und die muss jetzt auch schnell beschlossen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union.
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Aber Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, wissen auch: Die ambitioniertesten Wohnungsbauprogramme haben nur eine begrenzte Wirkung, solange wir uns nicht einmal grundsätzlich mit der Bodenfrage beschäftigen. Bauland ist ein knappes Gut, und steigende Bodenpreise treiben die Baukosten und damit natürlich auch die Miet- und Eigentumspreise in die Höhe. Bezahlbare Wohnungen brauchen am Ende auch bezahlbares Bauland.
({10})
Das Bundesministerium des Innern bzw. Sie, Herr Seehofer, werden dafür die Expertenkommission „Nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik“ einrichten. Ich hoffe, dass wir da auch zeitnah mit Ergebnissen rechnen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Große Koalition hat die Bedeutung der Wohnungsfrage verstanden und eine ganze Reihe wirklich guter Maßnahmen vereinbart. Doch nur, wenn wir diese Programme zusammendenken, können wir nachhaltige Lösungen erzielen. Das heißt, wir sollten nicht Baukindergeld gegen sozialen Wohnungsbau ausspielen, sondern als Teil einer Wohnungspolitik verstehen. Hierauf werden wir ganz genau achten. Für das Theater drumherum – das kann ich, glaube ich, klar sagen – fehlt uns, aber auch den Bürgerinnen und Bürgern jegliches Verständnis.
Vielen Dank.
({11})
Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Linda Teuteberg, FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Dem Thema Migration konnte man in den letzten Tagen und Wochen nicht entkommen. Die Kanzlerin hat es zur Schicksalsfrage Europas erklärt. Andere sagen, dass sich der gesellschaftliche Zusammenhalt in Deutschland daran entscheide. Wenn das stimmt, dann waren die vergangenen Wochen keine guten Wochen für Europa und unser Land. Und die Koalition? Sie hat maßgeblichen Anteil daran, dass die Debatte immer schriller wird, dass wir aber in der Sache nicht vorankommen.
({0})
Die AfD wirft hin und wieder einen Brandbeschleuniger in die Debatte. Aber dass der Flächenbrand immer wieder neu entfacht wird, dafür ist diese Regierung selbst verantwortlich.
({1})
Seit Wochen erleben wir einen geradezu absurden Streit in der Koalition und in der Union. Aber der eigentlich schon für April angekündigte Masterplan „Migration“ liegt bis heute dem Innenausschuss nicht vor.
({2})
Was Sie nach dem Europäischen Rat und dem Koalitionsausschuss präsentiert und vorzuweisen haben, sind Gleichungen mit mehreren Unbekannten. Was wir aber brauchen, sind nachvollziehbare, tragfähige Lösungen, die befriedend wirken.
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Sie reden viel. Sie streiten noch mehr. Aber Sie handeln zu wenig, zu spät und zu zögerlich. Das zeigt sich leider auch im Haushaltsentwurf; denn vieles, was die Koalition hier vorlegt, ist richtig, kommt aber zu spät. Mehr Bundespolizisten und mehr Personal für mehr Qualität im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das hätten wir schon vor drei Jahren gebraucht.
Der Schaden ist angerichtet. Um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückzugewinnen, braucht es übrigens inzwischen viel mehr als endlich gutes Handwerk, wie Andrea Nahles gestern gefordert hat. Gutes Handwerk ist notwendig, aber nicht hinreichend. Es braucht auch eine Politik, die endlich – übrigens frei nach Ferdinand Lassalle – Probleme nicht kleingeistig bemäntelt, sondern die sagt, was ist und die danach auch handelt,
({4})
die den Anspruch hat, demokratisch zu gestalten. Das heißt übrigens, erst einmal zu debattieren, statt zu demobilisieren. Das ist das Gegenteil einer Politik, die versucht – wie es die Kanzlerin formuliert hat –, bei den Bürgern bloß den Eindruck zu erwecken, dass Recht und Ordnung durchgesetzt werden. Uns Freien Demokraten geht es um Ordnung durch die meisterhafte, die zuverlässige Durchsetzung geltenden Rechts. Der Eindruck muss auch begründet sein.
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Schließlich geht es um die Demut und das Verantwortungsbewusstsein, dass wir selbst mit unseren Handlungen dazu beitragen und das Bild prägen, das sich die Bürger von unserer Demokratie und ihren Repräsentanten machen. Eine solche Politik lässt sich für Geld nicht kaufen. Wo sie fehlt, werden alle Haushaltsmilliarden nicht genügen, sie zu ersetzen. Ob Sie mit der so wichtigen politischen Bildung – ein paar Millionen dort mehr – den Schaden wiedergutmachen können, den Sie mit dem Vorgehen bei der Parteienfinanzierung anrichten, bezweifle ich stark.
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Unser System, die freiheitlich-demokratische Grundordnung, zu stärken und für mehr Menschen zur Heimat zu machen, das wäre heimatbezogene Innenpolitik im besten Sinne.
Vielen Dank.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. André Hahn, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Aussprache zur Regierungserklärung im März habe ich die ersten Verlautbarungen des neuen Innenministers Horst Seehofer zum Islam, zu Geflüchteten und zum bayerischen Polizeiaufgabengesetz als angebliches Vorbild für ein Mustergesetz des Bundes wie folgt bewertet:
Wer so agiert wie Horst Seehofer, der will nicht zusammenführen, sondern spalten. ... dann drängt sich mir immer mehr die Frage auf, ob Herr Seehofer wirklich geeignet ist, die Heimat zu schützen, oder ob unser Land nicht vielmehr vor diesem Minister geschützt werden müsste.
({0})
Ich hatte für nicht möglich gehalten, dass diese Aussage schon nach weniger als 100 Tagen so nachdrücklich bestätigt wird. Herr Seehofer, Sie sind für das Amt des Innenministers, das Sie wohl nun doch noch ein paar Wochen bekleiden werden, denkbar ungeeignet, persönlich wie politisch.
({1})
Sie sind persönlich ungeeignet. Das haben Sie gerade in den letzten Wochen immer wieder unter Beweis gestellt. Wer aus rein wahltaktischen Gründen ohne jede Not eine Regierungskrise herbeiführt, die eigene Bundeskanzlerin erpresst und sogar bereit ist, überstürzte Neuwahlen zu provozieren, dem darf man die innere Sicherheit unseres Landes nicht länger anvertrauen.
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Dass Sie aus unserer Sicht auch politisch für das Innenressort ungeeignet sind, zeigt allein schon der Blick in den bis vor kurzem als topsecret gehandelten Masterplan zum Flüchtlingsthema. Sie, Herr Seehofer, aber inzwischen auch die Bundeskanzlerin stehen für Ausgrenzung, Abschottung und neue Mauern. Wir als Linke stehen für Weltoffenheit, Humanität und Solidarität.
({3})
Genau deshalb werden wir Ihren gegensätzliche Ziele verfolgenden Haushalt selbstverständlich ablehnen.
Schaut man sich die Zahlen im Einzelnen an, so sieht man: Es gibt viel Schatten und nur wenige lichte Momente. 100 zusätzliche Stellen für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik sind noch vernünftig und nachvollziehbar. Der deutliche Aufwuchs beim Technischen Hilfswerk findet unsere Unterstützung,
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und auch für einige neue Stellen bei der Bundespolizei und beim Bundeskriminalamt mag es vertretbare Gründe geben.
Mehrere Tausend neue Dienstposten im Sicherheitsbereich sind aber definitiv nicht erforderlich, zumal nicht nur beim BND und beim Verfassungsschutz Hunderte schon vorhandene Stellen nach wie vor unbesetzt sind. Hinzu kommt, dass für viele der zusätzlichen Stellen derzeit gar keine Ausbildungskapazitäten vorhanden sind. Hier wird mehr Sicherheit vorgegaukelt. In Wahrheit ist das eine Irreführung der Öffentlichkeit.
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Die Entfristung von Stellen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge war überfällig, und zu begrüßen ist auch, dass wenigstens einige Stellen für den Kampf gegen Antisemitismus vorgesehen sind: bei der Bundeszentrale für politische Bildung sowie beim neuen Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland.
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Zu den wenigen Lichtblicken gehören die Aufstockung der Sportförderung um 23 Millionen Euro. Eine bessere Entlohnung für Trainerinnen und Trainer, höhere Zuwendungen für den Behindertensport und die Nationale Anti-Doping-Agentur, das haben wir lange gefordert. Leider ist keine der jetzt im Haushaltsausschuss vorgenommenen Aufstockungen zuvor im Sportausschuss beschlossen worden. Aufgrund der Zerstrittenheit der Koalition kam es dort nicht mal zu einem klaren Votum für eine wirklich unabhängige Athletenvertretung. Das, meine Damen und Herren, war kein Ruhmesblatt, Frau Freitag, und das muss sich wirklich dringend ändern.
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Ich komme zum Schluss. Herr Minister Seehofer, ich hoffe, Sie nutzen die parlamentarische Sommerpause auch zum Nachdenken über Ihre Zukunft. Spätestens nach dem absehbaren Debakel der CSU bei der bayerischen Landtagswahl brauchen Söder und Dobrindt einen Sündenbock und werden Sie eiskalt fallen lassen. Vielleicht entscheiden Sie besser schon vorher selbstbestimmt über Ihren Abschied. Dann haben die genannten beiden Herren jedenfalls ein echtes Problem.
Herzlichen Dank.
({8})
Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Daniela Wagner, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Anstatt sich um die soziale Frage unserer Zeit, nämlich den Mangel an bezahlbarem Wohnraum zu kümmern, führt unser zuständiger Minister des Innern, für Bau und Heimat populistische Gefechte und ist bereit, eine ganze Bundesregierung platzen zu lassen für den Wahlkampf in Bayern – mit abenteuerlichen Masterplänen. Ich frage Sie, Herr Seehofer: Wo bleibt denn eigentlich der Masterplan für bezahlbares Wohnen?
({0})
Und ich frage Sie: Wann leisten Sie Ihrer Heimat, nämlich Deutschland, endlich einen echten Dienst und sorgen dafür, dass Bürgerinnen und Bürger mit dem Gehalt einer Erzieherin, einer Polizistin oder eines Krankenpflegers nicht mehr 40 Prozent ihres Einkommens für Miete ausgeben müssen?
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Ihr Baukindergeld ist ebenfalls ein Projekt für die Landtagswahl in Bayern und ist eine Reichenheimzulage ohne jegliches wohnungspolitisches Konzept.
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Sie ist eine üppige Subvention: 10 Milliarden Euro für diejenigen Haushalte, die sich im Zweifelsfall selber aus eigener Kraft ein Häuschen oder eine Wohnung finanzieren können. Und – genauso schlimm –: Es zieht Investitionen auf die grüne Wiese statt in die Ortskerne.
Diejenigen, die es tatsächlich bräuchten, haben ohnehin keinen ausreichenden Zugang zum Kapitalmarkt, wie wir inzwischen wissen, weil das notwendige Eigenkapital fehlt.
({3})
Das sind junge Familien mit Kindern, Alleinstehende, junge Berufstätige mit kleinen Gehältern. Sie sind diejenigen, die immer stärker unter Druck geraten wegen rasant steigender Mieten. Wo bleibt denn da Ihre Hilfe, Herr Seehofer? Sie blockieren zum Beispiel seit Wochen die dringend notwendige Reform des Mietrechts, die verhindert, dass Menschen aus ihrer Wohnung heraussaniert und mit immer dreisteren Mieterhöhungen konfrontiert werden.
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Wir Grüne, wir wollen dem etwas entgegensetzen: eine wirksame Mietpreisbremse, ein Investitionsprogramm „Neue Wohnungsgemeinnützigkeit“. Damit wollen wir 1 Million Wohnungen zu dauerhaft günstigen Mietpreisen schaffen und sicherstellen. Mit unserem 7‑Milliarden-Programm Faire Wärme wollen wir Energie und Nebenkosten sparen helfen.
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Das Bestellerprinzip wollen wir auf Immobilienkäufe ausdehnen und die Maklergebühren auf 2 Prozent begrenzen. Das senkt die hierzulande absurd hohen Transaktionskosten.
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Herr Minister, ich kann Sie nur bitten: Verlassen Sie endlich die bayerische Trutzburg, und werden Sie ein Bundesminister für Bau und Heimat, der seinen Namen verdient! Tun Sie etwas für die Menschen in Deutschland, für Mieterinnen und Mieter, anstatt pausenlos immer nur über Flüchtlinge zu schwadronieren! Diese Debatte führt ins Nichts – sie führt uns alle ins Nichts – und schafft nicht eine einzige Wohnung.
Danke schön.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Stephan Harbarth, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die innere Sicherheit war bereits in der vergangenen Legislaturperiode einer der ganz zentralen Investitionsschwerpunkte der Großen Koalition. Unser Handeln war dabei geleitet von einem Dreiklang: Wir haben erstens für mehr Polizistinnen und Polizisten gesorgt, denen ich für ihre Arbeit danken möchte, wir haben zum Zweiten ihre Ausstattung und ihre Ausrüstung verbessert, und wir haben zum Dritten Gesetze dort verschärft, wo dies geboten war.
Es gibt vor allem eine Zahl, die mehr als alle anderen Zahlen verdeutlicht, welche Anstrengungen die Große Koalition unternommen hat. Es ist die Zahl von knapp 10 000 zusätzlichen Stellen bei den Sicherheitsbehörden des Bundes, für die wir in der vergangenen Legislaturperiode die Weichen gestellt haben. Einen solchen Aufwuchs kann man ohne jede Übertreibung als historisch bezeichnen.
({0})
An diese Leistung knüpfen wir mit dem ersten Haushalt der neuen Legislaturperiode nahtlos an. Insbesondere erfolgt mit einem weiteren Plus von fast 2 000 Stellen der erste Schritt des im Koalitionsvertrag vereinbarten Aufwuchses um insgesamt weitere 7 500 Stellen für die Sicherheitsbehörden. Diese Stellen sind Teil eines Paktes für den Rechtsstaat, den wir gemeinsam zwischen Bund und Ländern schließen wollen, um den Rechtsstaat in Deutschland nachhaltig zu stärken.
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Dieser Pakt sieht insgesamt 15 000 neue Stellen für die Sicherheitsbehörden im Bund und in den Ländern vor und 2 000 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte.
Von der FDP ist heute in die Debatte der wohlmeinende Hinweis eingeführt worden, es wäre eigentlich besser gewesen, wenn man schon viel früher die Weichen für Personalaufwuchs gestellt hätte. Ja, das gilt auch in diesem Bereich. Es wäre gut gewesen, wenn Frau Leutheusser-Schnarrenberger die Defizite, die wir in diesem Bereich hatten und haben, nicht verschlafen hätte, sondern wenn sie rechtzeitig die Weichen gestellt hätte.
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Das machen wir nun in der Großen Koalition, und wir werden für den entsprechenden Aufwuchs sorgen.
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Meine Damen und Herren, dass es sich lohnt, anhand dieses Dreiklangs vorzugehen, das sieht man. Die Erfolge sind sichtbar. Bund und Länder haben gemeinsam, etwa im Bereich des Wohnungseinbruchdiebstahls, einen hohen Verfolgungsdruck aufgebaut. Wir haben beim Bund dafür gesorgt, dass es mehr Personal bei der Bundespolizei und beim BKA gibt, dass es härtere Strafen gibt, dass es neue Ermittlungsbefugnisse gibt. Wir sehen jetzt: Im Jahr 2017 ist die Zahl der Wohnungseinbrüche in Deutschland um rund 25 Prozent zurückgegangen. Das ist ein großer Erfolg. Aber er soll uns nicht dazu verleiten, die Hände in den Schoß zu legen. Deshalb sehen wir jetzt im Haushalt etwa vor, das KfW-Programm zur Förderung einbruchhemmender Maßnahmen nicht nur fortzuführen, sondern es gar auf 65 Millionen Euro aufzustocken.
Ein weiterer Investitionsschwerpunkt im Haushalt 2018 ist das BAMF. Der Stellenaufwuchs ist heute bereits benannt worden. Ich möchte mit Blick auf das BAMF sagen: Der Innenausschuss des Deutschen Bundestags hat sich in den vergangenen Wochen in vielen Sondersitzungen in ganz vorzüglicher Weise um die Aufklärung der Vorwürfe bei der Bremer Außenstelle des BAMF gekümmert. Seine Arbeit hat deutlich gemacht, dass die vorsätzlichen Rechtsbrüche, die sich in Bremen zugetragen haben, nach allem, was wir wissen, ein Einzelfall sind, der nicht die Arbeit einer ganzen Behörde und von Tausenden von Mitarbeitern diskreditieren darf.
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Das heißt aber nicht, dass beim BAMF alles in schönster Ordnung ist. Die Sitzungen des Innenausschusses haben noch einmal sehr genau nachgezeichnet, unter welch enormem Druck das Bundesamt geraten ist, als 2015 und 2016 binnen Jahresfrist nicht mehr 100 00 Fälle pro Jahr zu bearbeiten waren, sondern als 1,2 Millionen Anträge bearbeitet werden mussten.
({5})
Daraus den Vorwurf eines politisch verschuldeten Organisationsversagens abzuleiten, ist absurd.
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Die, die heute sagen, sie hätten den großen Zustrom schon immer kommen sehen, haben jedenfalls ihr Wissen jahrelang sorgfältig geheim gehalten, meine Damen und Herren.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Große Koalition hat hart dafür gearbeitet, die Auswirkungen der Migrationsbewegungen in den Griff zu bekommen. Unzählige Maßnahmen wurden dafür ergriffen: Asylpaket I, Asylpaket II, EU-Türkei-Abkommen, Integrationsgesetz, Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht und viele andere Maßnahmen mehr.
Die Migration ist eine unserer größten Herausforderungen. Wir werden sie nicht mit einer einzelnen Maßnahme bewältigen, sondern nur mit beharrlicher Arbeit.
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Wir sehen: Seit 2015 ist durch die beharrliche Arbeit, die wir hier gezeigt haben, vieles besser geworden. Es ist noch nicht alles gut. Das, was noch nicht gut ist, besser zu machen, ist unsere Aufgabe in der neuen Legislaturperiode. Dafür leistet der Haushalt 2018 einen wichtigen Beitrag.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Marc Bernhard, AfD.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Die Kanzlerin der Schmerzen verspricht 6 Milliarden Euro für 1,5 Millionen Wohnungen. Das heißt, die Bundesregierung finanziert gerade mal einen Quadratmeter pro Wohnung. Einen einzigen Quadratmeter! Und wo bitte soll der Rest herkommen?
Beim Blick in den Haushalt findet man dann erfreut 1,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau. Auf den ersten Blick lässt man sich von dieser Zahl blenden. Schaut man aber ins Kleingedruckte, wird klar: Für den sozialen Wohnungsbau stehen nur 500 Millionen Euro zur Verfügung. 1 Milliarde Euro sind für die Unterbringung von Asylbewerbern und Flüchtlingen vorgesehen.
({0})
Also für wen sollen diese 1,5 Millionen Wohnungen eigentlich gebaut werden?
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Allein 1 Million Wohnungen davon werden für die rund 2 Millionen illegal eingereisten Migranten benötigt, die die Regierung in den letzten drei Jahren ins Land gelassen hat.
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– Ja, regen Sie sich nur auf. – Die restlichen 500 000 Wohnungen reichen nicht einmal für den Familiennachzug, geschweige denn für die weitere illegale Zuwanderung, wenn diese nicht gestoppt wird.
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Die Bundesregierung spielt also die deutsche Bevölkerung und die Flüchtlinge auf dem Wohnungsmarkt gegeneinander aus.
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Der grüne Tübinger Oberbürgermeister Palmer stellte vor kurzem klar, wie absurd das Ganze eigentlich ist, indem er ausführte:
Rechtlich bin ich verpflichtet, für die Flüchtlinge ... zu bauen. Das ist eine kommunale Aufgabe. Ich muss denen eine Wohnung bereitstellen. Ich bin rechtlich nicht verpflichtet, es für Sie
– die schon länger hier wohnen –
zu tun. So ist die Rechtslage.
({5})
Städte und Kommunen nehmen die Rechtslage ernst und setzen ihre eigenen Bürger auf die Straße, um Flüchtlingen Wohnraum zu verschaffen, wie zum Beispiel in der nordrhein-westfälischen Stadt Nieheim, wo zwei Frauen von der Stadt die Wohnung gekündigt wurde, um dort Flüchtlinge einzuquartieren.
({6})
Beate C., eine alleinerziehende Mutter, und ihre beiden Töchter wurden nach 23 Jahren von der Stadt einfach vor die Tür gesetzt. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist kein Einzelfall.
({7})
Städte und Kommunen kündigen schon länger hier Wohnenden, um diese gegen Flüchtlinge auszutauschen. Rechtlich problematisch und politisch katastrophal – so lautet die Kritik des Mieterschutzbundes.
({8})
Unsere Antwort darauf lautet: Wer es in 13 Jahren nicht schafft, den eigenen Menschen bezahlbaren Wohnraum und ein Dach über dem Kopf zu garantieren, der hat seinen Amtseid nicht ernst genommen und sollte daher sofort zurücktreten.
Herzlichen Dank.
({9})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dagmar Freitag, SPD.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich räume ein: Nach solch einer Rede fällt es mir relativ schwer, zu einem ruhigen Ton für meine Rede zurückzufinden.
({0})
Das Parlament hat mit diesem Haushalt Zeichen gesetzt, und zwar auch im Bereich Sport. Wir sind mitten in einer großen Reform, und unsere Zeichen gehen weit darüber hinaus, nur Geld zur Verfügung zu stellen. Ich will mich auf einige wenige Stichpunkte beschränken.
Athleten Deutschland – das ist schon mehrfach erwähnt worden –: Was ist das eigentlich? Das ist ein unabhängiger Verein, den unsere Athletinnen und Athleten gegründet haben, um ihre Belange eigenständig und losgelöst vom Dachverband vertreten zu können. Ich frage mich wirklich: Warum hat es so viele auch konfrontative Diskussionen darum geben müssen? Was ist daran bemerkenswert, wenn junge Menschen im 21. Jahrhundert ihre Belange selbstständig vertreten wollen? Ich glaube, jeder Verband, egal ob auf nationaler oder internationaler Ebene, ist wirklich schlecht beraten, wenn er heute noch seine Athleten am Gängelband führen will. Denn – das sollten wir nicht vergessen – ohne Athletinnen und Athleten braucht es weder Verbände noch Funktionäre. Mit anderen Worten: Die angestrebte Unabhängigkeit dieses Athletenvereins hat auch die Unterstützung des Parlaments.
({1})
Sehr geehrter Herr Minister, ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass auch Sie die Unabhängigkeit von Athleten Deutschland unterstützen. Wir werden Sie da beim Wort nehmen.
({2})
Denn damit wären Sie in bester Tradition der Vorgängerregierung. Schließlich hat das Bundesinnenministerium diese Bestrebungen bereits zum Schluss der letzten Wahlperiode unterstützt.
Ich erlaube mir an dieser Stelle auch einen ausdrücklichen Dank an den früheren Leiter der Sportabteilung im BMI, Gerhard Böhm, für die jahrelange gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sport ist nicht gleich Sport. Ich habe eine ganz herzliche Bitte: Nehmen Sie nicht den Fußball als Maßstab für die Lebenswirklichkeit von Athletinnen und Athleten!
({4})
Je nach Sportart, je nach Disziplin haben oftmals selbst Weltmeister oder Olympiasieger erhebliche finanzielle Probleme während ihrer laufenden Karriere. Das sind junge Menschen, die Berufsausbildung mit Hochleistungssport in Verbindung bringen müssen oder vielleicht sinnvollerweise auch wollen. 12- bis 14‑Stunden-Tage sind keine Seltenheit. Ich kann Ihnen sagen: Mir nötigt das allerhöchsten Respekt ab.
({5})
Die Koalition wird diese jungen Menschen unterstützen, und zwar durch eine finanzielle Förderung über ein Modell der Stiftung Deutsche Sporthilfe. Ich muss ehrlich sagen: Wenn es die Deutsche Sporthilfe nicht schon lange gäbe, müsste sie erfunden werden.
({6})
Sie hat sich immer als verlässlicher Partner der Athletinnen und Athleten dargestellt, und ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.
Wenn ich über Sport spreche, dann eigentlich – vorzugsweise jedenfalls – über einen fairen, über einen sauberen Sport. Aber: Das Thema Doping ist untrennbar mit dem Begriff „Sport“ verbunden. Damit werfe ich noch einen Blick auf unsere Nationale Anti Doping Agentur. Der Kollege Martin Gerster hat es bereits erwähnt: Unsere Fraktion und diese Koalition stehen an der Seite der NADA, weil wir möchten, dass diese ihre exzellente Arbeit auf nationaler Ebene fortsetzen und – was ich wichtig finde – vielleicht sogar vorbildlich für die internationale Ebene sein kann.
({7})
Ich weiß jedenfalls aus vielen Gesprächen, dass die Vorstandsvorsitzende Dr. Andrea Gotzmann in anderen Ländern einen exzellenten Ruf als Expertin genießt.
Das Gleiche gilt natürlich für die Welt-Anti-Doping-Agentur. Auch dort wünsche ich mir Unabhängigkeit und professionelle Arbeit. Möglicherweise ergibt sich ja im nächsten Jahr die Chance, wenn die Norwegerin Linda Helleland als Nachfolgerin von Craig Reedie als Präsidentin kandidieren wird. Meine Unterstützung hat sie jedenfalls dafür.
Kurzum: Im Sport – so schön er ist – gibt es Probleme zu bewältigen. Wir sind mitten in einer großen Leistungssportreform. Daran werden wir gemeinsam arbeiten, und gemeinsam arbeiten heißt: nicht nur mehr Geld vom Bund, auch der Sport muss liefern. Auch darauf werden wir gemeinsam achten. In diesem Sinne: Weiterhin eine gute Zusammenarbeit.
Vielen Dank.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Daniel Föst, FDP.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Seehofer! Irgendwie hatte ich ja kurz die Hoffnung, dass nach der letzten Legislaturperiode mit wohnungs- und baupolitischer Tiefschlafphase das Problem der Wohnkosten endlich angegangen wird. Immerhin haben Sie ja im Koalitionsvertrag das Problem richtig benannt: Uns fehlt Wohnraum. Deswegen sollen ja nach Ihrer Hoffnung 1,5 Millionen Wohnungen entstehen. Bis jetzt sind es zwar nur knapp 110 000; aber was nicht ist, kann ja noch werden. Allerdings: Zweifel sind angebracht; denn leider fehlt es in Deutschland nicht nur an Wohnraum, sondern der Großen Koalition auch an Mut. Sie stehen mit Ihren bau- und wohnungspolitischen Vorschlägen sowohl auf dem Gas als auch auf der Bremse. Als Motorradfahrer kennt man das.
({0})
Das heißt Burnout – das passt ja irgendwie auch zu dem ganzen Konzept –: Gas, Bremse, Motorrad – der Reifen dreht durch. Außer viel Lärm und Rauch kommt nichts bei rum, und am Ende fliegt einem alles um die Ohren.
({1})
– Das stimmt allerdings. Wheelie und Burnout sind sehr nette Sachen; aber das machen wir in der Freizeit, nicht in der Politik.
Ein Beispiel für das, was Ihnen um die Ohren fliegt, ist Ihr Lieblingsprojekt: das schon jetzt gescheiterte Baukindergeld. Die Expertenmeinung zum Beispiel vom Bundesrechnungshof, IW Köln, Pestel Institut, Bund der Steuerzahler, Mieterschutzbund, von Eigenheimverbänden usw. ist – naja, sagen wir mal – vernichtend. Nach einem ewigen Hin und Her, weil das Baukindergeld zu teuer ist und nichts bringt, begrenzen Sie das Baukindergeld auf drei Jahrgänge.
({2})
Da muss ich allerdings sagen: Chapeau. Jetzt können Sie das Baukindergeld vor jeder Wahl wieder als Wohlfühl-Wahlkampfgeschenk versprechen. So abgezockt muss man erst mal sein.
({3})
Dabei gäbe es so viele Maßnahmen, um das Wohnen und das Eigenheim bezahlbar zu machen, viele Maßnahmen, die nichts oder wenig kosten, aber schnell Wirkung entfalten.
Entbürokratisierung: wenig Aufwand, viel Ertrag. Das hat schon die Baukostensenkungskommission gezeigt. Sie müssten die Vorschläge nach fast drei Jahren einfach mal umsetzen.
Bundesliegenschaften: Wir haben einen akuten Baulandmangel; aber der Bund sitzt auf seinen Grundstücken wie Dagobert Duck auf seinen Talern. Hier muss entwickelt oder verkauft werden.
({4})
Digitalisierung der Verwaltung und der Planung: „Time is Money“; das gilt auch im Wohnungsbau. Kein Planungsvorgang und kein Genehmigungsverfahren ist analoger und so langsam wie das Erteilen von Baugenehmigungen. Handeln Sie hier endlich.
({5})
Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer: Wir können viel mehr Menschen in die eigenen vier Wände bringen, wenn wir die Erwerbsnebenkosten senken.
({6})
Doch der Staat hält immer nur die Hand auf. Machen wir Schluss damit!
({7})
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der SPD: Fragen Sie mal Ihre Ministerpräsidenten in den von der FDP mitregierten Ländern, wie es mit der Grunderwerbsteuer aussieht.
({8})
Das scheitert nicht an uns.
({9})
Aber eins hat jetzt die GroKo in der ganzen parteipolitischen Ehekrise glatt vergessen; das sind die Menschen. Sie sind nämlich wieder die Dummen. Die Mieten nehmen den Menschen nach wie vor die Luft zum Atmen. Die Menschen finden weder bezahlbaren Wohnraum noch können Sie sich die eigenen vier Wände leisten.
Vielleicht wird es Zeit, dass sich die GroKo um die Menschen in diesem Land kümmert und nicht nur um sich selber. Dabei helfen wir Ihnen sehr gern.
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Nächster Redner ist der Kollege Kai Wegner, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt viel über innere Sicherheit gesprochen – zu Recht. Aber es gibt nicht nur die innere Sicherheit, es gibt auch die soziale Sicherheit. Hier sind wir sehr schnell bei den Themen „Lebensqualität“, „Heimat“, „Wohnumfeld“, aber selbstverständlich auch beim Thema „Wohnung“, dem Zuhause.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich sehr, dass diese Koalition im Bereich des Wohnungsbaus einen neuen Anlauf nimmt und neuen Schwung holt. Ich glaube, wir müssen deutlich machen, dass die Zeit des Redens vorbei ist und dass diese Legislaturperiode die Zeit des Handelns wird.
({0})
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, verdienen die Menschen in unserem Land.
Ja, der Koalitionsvertrag legt hierbei einen Schwerpunkt, und der ist auch nicht wegzudiskutieren. Ich verstehe manche Fragen, die Sie gestellt haben, gar nicht.
({1})
Sie müssen sich doch nur einmal angucken, welche Maßnahmen wir heute im Rahmen unserer Wohnungsbauoffensive beschließen. Dann sehen Sie doch, welche Antworten diese Koalition gibt. Wir werden die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass in dieser Legislaturperiode 1,5 Millionen neue Wohnungen gebaut werden – neue Wohnungen und Eigenheime.
Das ist ein anspruchsvolles Ziel; das wissen wir. Wir wissen auch: Wir werden das nicht alleine schaffen. Wir brauchen die Länder; wir brauchen die Kommunen. Wir brauchen im Übrigen auch die Wohnungsbaugesellschaften, die kommunalen wie die privaten Gesellschaften. Wir brauchen auch die Genossenschaften. Ich würde mich freuen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das alle Länder so sehen würden.
In Berlin höre ich immer von den privaten Gesellschaften und mittlerweile auch von den Genossenschaften, dass sie sich ausgegrenzt fühlen. Das ist der falsche Weg. Wir brauchen alle Beteiligten, um unsere großen Ziele im Wohnungsbereich umzusetzen.
({2})
Kollege Wegner, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Ach, Herr Kühn. – Gern.
Kollege Wegner, danke, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. – Sie haben ausgeführt, welche Maßnahmen diese Koalition mit diesem Haushalt auf den Weg bringt, um den Wohnungsbau voranzutreiben. Sie haben gerade ausgeführt, dass Sie Genossenschaften und kommunale Wohnungsbauunternehmen fördern wollen.
Welche Maßnahme in diesem Haushalt oder welche Maßnahme, die die Große Koalition im Augenblick plant, führt dazu, dass kommunale Unternehmen oder genossenschaftliche Unternehmen oder ehemals gemeinnützige Unternehmen nur 1 Cent mehr haben? Keine, meiner Einschätzung nach. Aber welche sehen Sie denn?
Ich glaube, die entscheidende Frage, lieber Herr Kühn – hier muss die Regierung gleich nach der Sommerpause ansetzen; ich weiß, dass das auch in Planung ist –, und ein ganz wichtiger Punkt, übrigens auch für den Wohnungsgipfel, ist: Wie können wir Bauland schneller mobilisieren? Wie können wir Bauland schneller verteilen?
({0})
Was eine mietpreisdämpfende Wirkung angeht, muss hierbei in der Tat auch ganz konkret an Genossenschaften gedacht werden. Lieber Herr Kühn, lassen Sie uns dafür gemeinsam streiten und kämpfen!
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir rammen mit diesem Haushalt in der Tat Pflöcke ein. Ja, wir setzen das Baukindergeld durch. Das eine oder andere Gespräch war doch nötig – das merken Sie vielleicht auch an meiner Stimme; sie ist immer noch leicht angeschlagen –, und ich bin froh und dankbar, dass wir Familien nicht einschränken, dass wir sie nicht hinsichtlich der Quadratmeterzahl begrenzen, um so mit dem Baukindergeld eine breitestmögliche Wirkung zu erzielen – für die Familien in unserem Land. Sie haben es verdient. Wir wollen nicht akzeptieren, dass Deutschland bei der Wohneigentumsquote in Europa ganz weit hinten steht. Wir wollen den Familien Mut zum Eigentum machen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das schaffen wir mit diesem Baukindergeld; davon bin ich überzeugt.
({2})
Wir setzen einen weiteren Schwerpunkt auf den sozialen Wohnungsbau. Wir nehmen viel Geld in die Hand. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Föst – es wurde ja schon angesprochen –, was machen die Länder? Ich erwarte, dass die Länder alle diese Mittel des Bundes endlich konsequent zweckgebunden für die soziale Wohnraumförderung einsetzen. Wir brauchen den sozialen Wohnungsbau. Der Bund, diese Koalition, hat das verstanden, ich hoffe, alle Länder auch, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Es wird endlich die Sonder-AfA für den Mietwohnungsbau kommen. Das hätten wir schon in der letzten Legislaturperiode haben können. Jetzt haben wir es endlich erreicht. Ich glaube, das ist ein weiterer ganz wichtiger Punkt.
({4})
Meine Damen und Herren, um hier auch einmal mit einer Legende aufzuräumen: Ja, wir nehmen viel Geld für das Baukindergeld in die Hand. Das ist gut; das ist richtig. Aber es ist alles andere als ein Reichenförderprogramm, Frau Wagner.
({5})
Wir setzen eine Einkommensobergrenze. Wir wollen, liebe Frau Wagner – das ist der Unterschied zu Ihnen –, nicht für eine bestimmte Klientel in Deutschland Politik machen, sondern wir wollen für jeden Geldbeutel, für alle, die es verdient haben, gefördert zu werden, Politik machen. Wir wollen auch die Normalverdiener in den Blick nehmen, die in den letzten Jahren vielleicht ein Stück weit zu kurz gekommen sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die sind uns nämlich auch wichtig.
({6})
Wenn Sie sagen, wir würden uns nur noch auf diese Menschen konzentrieren, dann sage ich: Das ist Quatsch. Wir geben fast doppelt so viel für die soziale Wohnraumförderung aus wie für das Baukindergeld – fast doppelt so viel. Deswegen bitte ich Sie einfach, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, auch von den Grünen: Hören Sie auf mit diesen Neiddebatten in unserem Land.
({7})
Hören Sie auf mit der Klassenkampfrhetorik beim Thema Wohnungsbau. Das verdienen die Menschen in unserem Land nicht.
({8})
Lassen Sie uns die fördern, die Förderung verdienen. Das sind die Menschen, die wenig bis gar nichts haben. Das sind aber auch die Familien, die dieses Land aufrechterhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen, und den Laden zum Laufen bringen. Das machen wir.
({9})
Wir wollen gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land. Deswegen sind wir ein verlässlicher Partner für die Städte und für die Kommunen im Bereich der Städtebauförderung. Wir wollen Steine aus dem Weg räumen, die oftmals noch in Form von Gesetzen vorhanden sind. Wir wollen die Steine lieber nutzen, um neue Wohnungen zu bauen, meine Damen und Herren. Dafür bietet dieser Haushalt eine ganz hervorragende Grundlage.
Herzlichen Dank.
({10})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Susanne Mittag, SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zahlen und Fakten, die Verbesserungen hat mein Kollege Martin Gerster ja schon aufgeführt. Ich will das nicht noch einmal wiederholen. Wir sind sehr zufrieden mit den Verbesserungen, besonders mit dem Stellenaufwuchs und der Stellenhebung. Nicht, dass es dann zum Flaschenhals kommt; das ist ganz wichtig. Ganz wichtig ist auch – das hat noch keiner erwähnt –: Auch im Angestelltenbereich gibt es Verbesserungen. Es geht nicht nur um Beamte, sondern es geht auch um Angestellte. Ganz besonders wichtig sind das Ausmaß der Entfristungen und die Vereinbarung, den Anteil der Befristungen unter 2,5 Prozent zu halten. Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Endlich werden wir der Vorbildfunktion des Bundes gerecht, auch im Hinblick auf Glaubwürdigkeit im Bereich des Arbeitsrechts.
Der Stellenaufwuchs bei der Bundespolizei ist aber kein Mehr. Vielmehr füllen wir langsam das auf, was jahrelang abgebaut worden ist. Wir kommen so langsam auf den Level, von dem wir damals gestartet sind. Jedoch kamen und kommen noch weitere Aufgaben hinzu. Deswegen wird logischerweise mehr Personal benötigt, besonders vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion und dem, was so alles im Raum schwirrt. Was noch dazukommt, sind zum Beispiel erheblich mehr Frontex-Beamte. Dafür müssen wir mehr Stellen für Polizeibeamte anmelden. Mehr Unterstützung bei der Schaffung der Rechtsstaatlichkeit im Ausland bedeutet mehr Polizeibeamte im Ausland – das ist eine sehr gute Sache; das wollen wir auch sehr gerne unterstützen –, das bedeutet aber logischerweise auch mehr Investitionen in die Auslandseinsätze der Polizeibeamten.
Gleichzeitig sind die Sicherheit und die Kriminalitätsbekämpfung auf Bahnhöfen, auf Flughäfen und – gleichberechtigt – in allen Grenzbereichen, nicht nur in Bayern, nicht nur aufrechtzuerhalten. Vielmehr müssen die Beamten aktiv agieren können, um, wie man bei der Polizei sagt, vor die Lage zu kommen. Dabei ist es mir völlig unverständlich, warum Sie als Innenminister, Herr Seehofer, bis heute die 2,2 Millionen Überstunden Ihrer Beamten ignorieren. Es ist mir völlig unverständlich, dass Sie verlangen, dass diese, wenn man nicht will, dass sie verfallen, binnen eines Jahres abgefeiert werden – die ersten sind schon verfallen –, und dass Sie es ablehnen, die Frist dafür auf drei Jahre zu verlängern. Trotzdem kündigen Sie diesen Beamten schon einmal viel Arbeit an. Dadurch werden offensichtlich noch jede Menge weitere Überstunden aufgebaut. Als Dienstherr haben Sie da eine Fürsorgepflicht.
({0})
Ich bitte Sie, der endlich mal nachzukommen. Das können Sie heute noch mit einem Erlass erledigen.
({1})
Abschließend möchte ich noch einen Punkt zur inneren Sicherheit erwähnen: der ergänzende Katastrophenschutz und Zivilschutz. Es ist ein positiver erster Schritt, dass das BBK mehr Stellen bekommen hat; das ist auch ganz wichtig. Aber in vielen Orten Deutschlands – das werden alle Kollegen mitgekriegt haben – herrscht bei den Feuerwehren seit Jahren ein Mangel bei den erforderlichen Fahrzeugen des Zivilschutzes. Da geht es um eine Verpflichtung des Bundes. Fünf bis sechs Jahre vergehen, bis die alten Fahrzeuge endgültig ausgesondert werden, die dann inzwischen über 30 Jahre alt sind. Die Landesinnenminister haben diesen Zustand bei ihrer letzten IMK Ihnen gegenüber ebenfalls beklagt. Es liegt auch in Ihrer Zuständigkeit, Herr Innenminister, diesen Zustand zu ändern.
({2})
Morgen starten ja schon die Haushaltsberatungen für 2019, und Sie können gleich mit Ihrer Arbeit anfangen, um mit einem Dreijahresprogramm die Wartezeit auf ein neues Fahrzeug auf ein Jahr zu verringern.
({3})
Das ist absolut möglich. Es liegt an Ihnen, am bisherigen Zustand endlich etwas zu verändern, und ich hoffe, dass das auch passiert.
Herzlichen Dank.
({4})
Letzter Redner in der Debatte zu diesem Einzelplan ist der Kollege Eberhard Gienger, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Anstieg des Sportetats um 23 Millionen Euro auf nunmehr 193 Millionen Euro ist ein wichtiges und richtiges Zeichen, insbesondere in Bezug auf die Spitzensportreform, die ja Ende 2016 vom Deutschen Olympischen Sportbund und seinen Mitgliedsverbänden beschlossen wurde. Der DOSB und seine Mitgliedsverbände sind in Vorleistung getreten, und hier folgt nun die stimmige Antwort vonseiten des Bundes.
An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal bei allen Beteiligten sehr herzlich bedanken, einmal beim DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann und seinen Mitarbeitern, aber auch bei unseren Haushältern Klaus-Dieter Gröhler, Eckhardt Rehberg und nicht zuletzt Johannes Kahrs, der vor zwei Tagen gesagt hat: Der Haushalt ist vernünftig. – Damit hat er vollkommen recht. Wir stellen nämlich die Athletinnen und Athleten und – nicht zu vergessen – ihre Trainer in den Mittelpunkt unserer Bemühungen.
({0})
Die aktuelle Anhebung der Fördermittel ist als kräftige Anschubfinanzierung zu sehen, auf der wir weiter aufbauen müssen, insbesondere dann, wenn wir unseren Blick in die Nachbarländer schweifen lassen: Russland gibt 1,24 Milliarden Euro für den Spitzensport aus, aber auch Großbritannien, Frankreich, Südkorea und Japan investieren kräftig in den Spitzensport. Dem müssen wir Rechnung tragen.
({1})
Nun wurde der Verein Athleten Deutschland hier erwähnt. Martin Gerster und Dagmar Freitag, was ihr gesagt habt, war richtig. Aber es ist doch vollkommen legitim, darüber intensiv zu diskutieren, ob wir nun einer Athletenvertretung innerhalb des DOSB die Gelder zukommen lassen oder einem Athletenverein außerhalb des DOSB. Wir haben uns nun für den Athletenverein außerhalb des DOSB entschieden. Ich denke mal, wir werden hier nach zwei Jahren eine Evaluierung durchführen und dann feststellen können, ob dies zum Erfolg geführt hat oder nicht. In jedem Fall kann seine international große Beachtung hier durchaus schon ein gutes Zeichen sein.
Auch die Verbandsförderung erfährt einen Aufwuchs. Nicht zuletzt kommt es zu einer Angleichung der Förderung des olympischen Spitzensports und des paralympischen Sports. Zwei Dinge sind mir da sehr wichtig:
Erstens – Dagmar Freitag hat es auch erwähnt –: die Initiative der Deutschen Sporthilfe zur unmittelbaren Athletenförderung. Es geht darum, dass die Athleten nicht nur während ihrer sportlichen Laufbahn eine Unterstützung erfahren. Diejenigen, die sich nicht dafür entschieden haben, zur Bundespolizei, zum Zoll oder zur Bundeswehr zu gehen, sondern einen anderen Lebensentwurf gewählt haben, sollen im Anschluss an ihre sportliche Laufbahn nicht nur einen warmen Händedruck bekommen, sondern tatsächlich eine materielle Unterstützung.
({2})
Schließlich ist es für mich auch wichtig, dass wir das IAT, das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft, und das FES, das Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten, unterstützen. Wir haben in den letzten Jahren festgestellt, dass es im Spitzensport nur noch um zehntel oder hundertstel Sekunden oder Punkte geht, die zwischen Sieg bzw. Medaille oder Blech entscheiden. Daher sind die wissenschaftliche Unterstützung in diesem Bereich und die Bereitstellung entsprechender Ressourcen wichtig. Deswegen finde ich es richtig und wichtig, dass wir den Organisationen 3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt haben.
({3})
Übergeordnet gilt jedoch: Wir wollen sportliche Erfolge nicht um jeden Preis. Deswegen haben wir auch die NADA, die Nationale Anti Doping Agentur, mit 883 000 Euro unterstützt.
Für uns stehen – neben Leistungen und Medaillen – ganz klar Fairness, gegenseitiger Respekt, Anerkennung und vor allem der saubere Sport im Vordergrund. In diesem Sinne freue ich mich über den deutlichen Anstieg im Sporthaushalt und das damit verbundene Zeichen an unsere Athletinnen und Athleten und ihre Trainer.
Ich bedanke mich.
({4})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 06 – Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat – in der Ausschussfassung. Es liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Zunächst zum Änderungsantrag der AfD auf der Drucksache 19/3190. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Antrag bei Gegenstimmen der AfD mit den Stimmen der übrigen Fraktionen abgelehnt.
Wir stimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf der Drucksache 19/3177 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Antrag mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und SPD und der Linksfraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen der FDP und der Grünen bei Enthaltung der AfD abgelehnt.
Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 06 – Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat – in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Einzelplan mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 21 – Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit – in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Einzelplan 21 einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.15 auf:
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, der Etat Ihres Ministeriums zeichnet sich durch einige Besonderheiten aus: Er gehört zu den kleinen Etats. Er besteht zu rund 70 Prozent aus Personal- und Verwaltungsausgaben. Auffällig ist die hohe Deckungsquote, die vor allem das Deutsche Patent- und Markenamt generiert. Die herausragende Besonderheit und Aufgabe des Justizministeriums, bei dem auch der Verbraucherschutz ressortiert, ist aber die Tatsache, dass die meisten Gesetzesinitiativen der Bundesregierung vom Bundesjustizministerium auf den Weg gebracht werden.
Als gut gemeinten Ratschlag möchte ich Ihnen eine Bitte mit auf den Weg geben: Bitte nicht die Arbeitsweise Ihres Vorgängers Heiko Maas kopieren. – Zwei Negativelemente zeichneten seine Tätigkeit aus: Hyperaktivität und bemerkenswerte ideologisch geprägte Einseitigkeit.
({0})
Trauriger Kulminationspunkt seiner fehlgeleiteten Bemühungen war das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und das Gesetz zur gleichgeschlechtlichen Ehe,
({1})
beide am 30. Juni 2017 verabschiedet, beraten von einer denkbar schwachen Besetzung des Hohen Hauses,
({2})
beide auf rot-grünem ideologischem Boden gewachsen, beide gezielt auf die Koalitionsmöglichkeiten nach der Wahl am 24. September 2017.
({3})
Man kann auch sagen: Für ihren Machterhalt war der Kanzlerin kein Preis zu hoch.
({4})
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz machte die Zensur im Internet salonfähig. Das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts stellte ein für die abendländische Kultur konstitutionelles Institut, nämlich die verschiedengeschlechtliche Ehe, in die juristische Rumpelkammer.
({5})
Trotz des legalistischen Versuchs einer Umdefinition, die herkömmliche Ehe wird es auch noch geben, wenn die Welt von ihren damaligen Feinden nichts mehr weiß.
({6})
Bei allen Gesetz- und Verordnungsentwürfen anderer Ministerien wirkt das Bundesjustizministerium mit. Ihm obliegt sozusagen eine präventive nichtgerichtliche Rechtskontrolle auf Bundesebene. In dieser Funktion hätte man sich Aktivitäten des Ministeriums während der sogenannten Flüchtlingskrise gewünscht. So blieb es einem bayerischen Ministerpräsidenten überlassen, das Handeln bzw. Nichthandeln der Kanzlerin korrekt zu bezeichnen, nämlich als „Herrschaft des Unrechts“.
({7})
Hochrangige juristische Fachleute stimmten dem zu. Udo Di Fabio führte aus:
Auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland kann der Schutz der Würde des Menschen nur dann wirksam gewährleistet sein, wenn die Kontrolle über die Einreise in das Staatsgebiet nicht verloren geht.
So weit Di Fabio. Solch einen klaren Satz hätte man sich aus dem Bundesjustizministerium gewünscht. Heiko Maas jedoch fand dazu keine Worte.
({8})
Er stellte sich bedingungslos hinter die rechtsbrechende Kanzlerin.
({9})
Sehr geehrte Frau Ministerin, mit meinen folgenden Anregungen möchte ich die Aufmerksamkeit Ihres Hauses auf ein viel beschwiegenes Thema lenken. Dazu eine kleine selbst erlebte Episode: Vor einigen Wochen hatte ich ein atmosphärisch angenehmes Gespräch mit einem höheren Vertreter der christlichen Geistlichkeit unseres Landes. Das Thema „Islamische Zuwanderung“ brachte mich auf die Frage, ob er denn wisse, dass der Koran dem Ehemann das Recht gebe, seine Frau zu schlagen.
({10})
Die Antwort war eine Nichtantwort. Meine Frage wurde glatt negiert. Nun möchte ich auch hier, im Plenarsaal des Deutschen Bundestages an Sie die Frage richten: Kennen Sie die Vorschrift des Koran aus Sure 4, Vers 32? Sie lautet:
Und wenn ihr fürchtet, dass Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie!
({11})
Oder folgende Vorschrift
({12})
– bleiben Sie doch ruhig, bleiben Sie doch ganz ruhig;
({13})
ich zitiere doch nur –:
Eure Frauen sind euch ein Acker. Geht zu eurem Acker, wie ihr wollt.
({14})
Sure 2, Vers 223. Das heißt also, die Frau soll als Sexobjekt zur freien Verfügung des Mannes sein.
({15})
Auch die Vorschriften des Islam über Polygamie und das Sorgerecht für Kinder bei einer gescheiterten Ehe
({16})
stehen im starken Widerspruch zur Rechtsordnung unseres Staates. Stellen wir uns einen Augenblick vor, Vorschriften dieser Art würden im Programm einer links-, Entschuldigung: rechtspopulistischen Partei stehen.
({17})
Frau Ministerin, bitte nehmen Sie sich dieses Themas an.
Danke.
({18})
Jetzt erteile ich das Wort der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, Frau Dr. Katarina Barley.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! In den letzten Wochen ist ja sehr viel über das geltende Recht und darüber, dass es durchgesetzt werden muss, gesprochen worden. Alles richtig. Dabei ist nur zum Teil bewusst ein falscher Eindruck erzeugt worden. Und dagegen wehre ich mich ganz entschieden. Wir haben unzählige Richterinnen, Staatsanwälte, Polizisten, Rechtsanwältinnen, Rechtspflegerinnen, Gerichtsvollzieher, Beschäftigte im Strafvollzug, die sich jeden Tag sehr engagiert für unseren Rechtsstaat einsetzen. Ich bin wirklich erschüttert darüber, wie in diesem Hause, aber auch außerhalb dieses Hauses teilweise dieses Engagement, diese Arbeit schlechtgeredet wird. Dagegen wehre ich mich ganz entschieden.
({0})
Unser Rechtsstaat funktioniert ausgesprochen gut. Ich bin dankbar für den Einsatz unzähliger Beschäftigter bei Polizei und Justiz.
Ich bin auch dankbar für unsere rechtsstaatlichen Verfahren; denn, meine Damen und Herren, mein Engagement gilt dem Schutz unseres Rechtsstaates. In diesem Zusammenhang wurde in öffentlichen Debatten immer wieder unterstellt, dass für die Probleme in unserem Land vor allen Dingen folgende Personen verantwortlich sind: Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die Rechte ihrer Mandanten wahrnehmen, Richterinnen und Richter, die sich die Zeit nehmen, die sie brauchen, um ein Urteil zu fällen. Natürlich bin auch ich dafür, dass Gerichtsverfahren so schnell wie möglich abgeschlossen werden.
Was aber nicht geht, ist, rechtsstaatliche Verfahren einfach entfallen zu lassen. Diesen Vorschlag hört man ja auch. Wenn Sie genau hinschauen, dann stellen Sie fest, dass es oft genug so ist, dass Gerichte Entscheidungen aufheben müssen, weil sie rechtswidrig sind. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie die Qualität von Verwaltungsakten aussieht, wenn nicht zu befürchten ist, dass diese Verwaltungsakte gerichtlich überprüft werden. Das täte ihnen mit Sicherheit kein Gutes.
({1})
Wir müssen hier wirklich aufpassen. Etwas Grundlegendes für unseren Rechtsstaat, etwas Positives wie der Rechtsschutz soll plötzlich einen negativen Beigeschmack bekommen, etwas sein, was lästig fällt. „Vorsicht an der Bahnsteigkante!“, kann ich da nur sagen. Man gewöhnt sich leicht an solche unerhörten Forderungen, sodass man plötzlich das Gefühl bekommt, sie wären normal. Das haben wir in den letzten Jahren schon an einigen Stellen erlebt. Es soll ja sogar zum Schimpfwort geworden sein, ein guter Mensch zu sein.
({2})
– Ja, dass Sie sich jetzt aufregen, das habe ich mir gedacht. Es ist der rhetorische Versuch, das Gute im Menschen negativ zu konnotieren. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was ich dabei empfinde. Wie arm muss man innerlich sein, um das hinzukriegen. Ganz ehrlich: Sie tun mir aufrichtig leid.
({3})
Meine Damen und Herren, ich werbe für eine Rückkehr zur Sachpolitik. Deshalb müssen wir die vielen richtigen und guten Projekte umsetzen, auf die wir uns im Koalitionsvertrag geeinigt haben. Das ist jedenfalls mein Ansatz, und der spiegelt sich zum Glück auch im vorliegenden Haushaltsentwurf wider, für den ich mich beim Parlament und bei allen Abgeordneten, die daran mitgewirkt haben, ausdrücklich bedanke.
Zuallererst haben wir vor, den Rechtsstaat ganz praktisch zu stärken. Auf der Ebene der Regierungschefinnen und ‑chefs werden wir mit dem Pakt für den Rechtsstaat eine umfassende Qualitätsoffensive starten.
({4})
– Ja, es gibt Chefinnen, es gibt Regierungschefinnen, zum Beispiel in meinem Bundesland die ganz wundervolle Malu Dreyer, die eine wirklich ausgezeichnete Ministerpräsidentin ist.
({5})
Es ist auch richtig, dass das auf der Ebene der Chefinnen und Chefs passiert;
({6})
denn – Sie wissen es – mein Etat ist der kleinste dieser Regierung, und das ist auch in den Bundesländern so. Die Justizressorts verfügen in der Regel nicht über die Mittel, um zum Beispiel 2 000 zusätzliche Stellen für Richterinnen und Richter einfach so zu schaffen. Deswegen ist es richtig, dass diese Verantwortung am Ende auf der obersten Ebene ressortiert.
({7})
Es geht dabei um vieles: um Qualifizierung, um Fortbildung, um Digitalisierung der Justiz und eben um diese besagten 2 000 zusätzlichen Stellen für Richterinnen und Richter und Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie natürlich um weitere Stellen im nichtrichterlichen Bereich.
Im Rahmen des Sofortprogramms Personal schaffen wir auf der Bundesebene jetzt 34 neue Stellen beim Generalbundesanwalt. Auch das ist eine kleine, aber eine sehr wichtige Behörde. Auch in anderen Bereichen verbessern wir die Arbeitsbedingungen; das hat auch mein Kollege aus dem Innenministerium schon gesagt. Mein großer Dank gilt dem Finanzministerium dafür, dass wir die Befristungen endlich aufheben können. Im Bundesamt für Justiz können wir beispielsweise 87 Stellen entfristen. Das ist wirklich sehr wichtig, um mehr Personal zu bekommen und am Ende bessere Arbeitsergebnisse zu erhalten.
({8})
Wir werden auch den Rechtsstaat begreifbarer machen und zeigen, wie kostbar er ist. Wir wissen aus unserer Vergangenheit – das sehen wir auch gerade wieder in anderen Ländern –, wie verletzbar der Rechtsstaat ist. Um die Bedeutung des Rechtsstaats anschaulich zu vermitteln, wollen wir unter anderem das Forum Recht in Karlsruhe schaffen, in der „Residenz des Rechts“, wie die Stadt selbst von sich sagt. Auch dafür stehen jetzt Mittel im Haushalt zur Verfügung.
({9})
Wir haben mit unserem sparsamen Etat noch mehr vor. Sie wissen, dass wir die Eine-für-alle-Klage bereits umgesetzt haben. Das ist das erste Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag, das umgesetzt wurde.
({10})
Jetzt werden die Mittel für den Verbraucherzentrale Bundesverband erhöht. Das ist eine sehr gute Entwicklung. Auch dafür ein herzlicher Dank!
Die soziale Frage unserer Zeit, wie es Herr Seehofer genannt hat, ressortiert zum Teil auch bei mir, nämlich im Hinblick auf die Mieterschutzgesetze. Wir wollen verhindern, dass Mieterinnen und Mieter durch Luxussanierungen aus ihren Wohnungen verdrängt werden, und wir geben den Mieterinnen und Mietern einen Auskunftsanspruch an die Hand, um ungerechtfertigte Mieterhöhungen zu stoppen.
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Im Koalitionsvertrag gibt es dazu klare Verabredungen, an die ich mich halte, auch wenn ich in den letzten Wochen gelernt habe, dass man das mit dem Koalitionsvertrag als federführende Ministerin nicht so eng sehen muss. Vielleicht lege ich ja noch einen Masterplan Miete vor; mal schauen.
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Noch eine Sache: Hoffentlich ist es nie nötig, aber mit dem neuen Opferbeauftragten, Professor Edgar Franke – er sitzt hier –, haben wir einen zentralen Ansprechpartner für den Fall von Terroranschlägen, der sich um alle Fragen und Anliegen kümmert. In diesem Zusammenhang stellen wir im Bundeshaushalt 2018 zusätzliche Mittel in Höhe von 6,6 Millionen Euro für den Entschädigungsfonds für Opfer terroristischer Gewalt sowie die Härteleistungen für Opfer extremistischer Übergriffe zur Verfügung,
({13})
und die Leistungen für Angehörige verdreifachen wir rückwirkend. Auch das ist ein wichtiger Schritt.
Das alles ist Realpolitik, die ich gerne umsetzen will und die wir hoffentlich gemeinsam umsetzen können.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen Berichterstatterinnen und Berichterstattern – vor allen Dingen natürlich bei Esther Dilcher als Hauptberichterstatterin – für die konstruktive Arbeit. Es war ein sehr angenehmes Arbeiten.
Ich bitte um Unterstützung für den Einzelplan 07 und hoffe auf eine sachorientierte Umsetzung politischer Ideen für die Menschen in unserem Land,
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gerade im Bereich Justiz und Verbraucherschutz.
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Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die FDP Dr. Stefan Ruppert.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch von meiner Seite ein Dank an die Hauptberichterstatterin und an alle Berichterstatter für die konstruktive Debatte im Haushaltsausschuss. Ich glaube, es ist wert, einmal zu sagen, welche hervorragenden Verfahren, welche Ernsthaftigkeit in der Debatte und welche Sachlichkeit zwischen dem Parlament und der Regierung in diesem Ausschuss zu erleben sind. Das ist etwas, worauf wir ausgesprochen stolz sein können.
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In diesen Tagen erschien ein Buch über die großen rechtswissenschaftlichen Debatten der Berliner Republik, das ich mit herausgegeben habe. Ein Befund dieses Buches – nicht von mir, sondern von einem anderen Autor – war
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– man muss das Buch nicht kaufen –,
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dass die Bedeutung des Justizministeriums als Verfassungsministerium bezüglich des Anstoßens rechtswissenschaftlicher Debatten und der Balance zwischen Sicherheit und Freiheit in den letzten Jahren zurückgegangen ist, insbesondere seit 2013.
Ein Stichwort ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Da sind aber auch Fragen wie die nach der Privatautonomie, die in den Vorstellungen der Menschen an Bedeutung verloren hat. Viele richten an das Haus den Vorwurf, es sei unter Heiko Maas zu einem Verbraucherschutzministerium mit angeschlossenem Justiziariat verkommen. Ich glaube, Teile dieser Kritik sollten wir sehr ernst nehmen, weil es in der Geschichte der Bundesrepublik gute Tradition war, gerade die Bürgerrechte, die Grundrechte und das, was Einzelne und auch Minderheiten schützt, in diesem Hause als Anwalt auch gegenüber dem Innenministerium zu vertreten. Da hat das Bundesjustizministerium in den letzten Jahren zu wenig geleistet.
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Die Aufgaben sind vielfältig. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist vielleicht das am schlechtesten gemachte Gesetz der letzten Jahre. Es muss handwerklich dringend überarbeitet werden.
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Auch für § 219a StGB haben wir noch keine Lösung, obwohl wir einen Streit darüber hatten. Bisher liegt kein Vorschlag vor. Wir haben eine Vorratsdatenspeicherungsgesetzgebung, die durch ein Obergericht quasi außer Kraft gesetzt worden ist. Es ist der Koalition bisher nicht gelungen, eine rechtsstaatliche Lösung zu finden. Damit ist dieses Gesetz nicht in der Anwendung, also insgesamt ein Sicherheitsrisiko für dieses Land. Ich glaube, da müssten Sie, bevor Ihnen Karlsruhe dazu Entsprechendes sagt, dringend nachbessern.
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Ein Wort zum Mieterschutz. Bei der Mietpreisbremse wollen Sie weiterhin das, was nicht gewirkt hat und was kontraproduktiv war, wo man sogar von fachlicher Seite festgestellt hat, dass es zu punktuellen Erhöhungen von Mieten geführt hat. Vom Schlechten etwas mehr bringt keine guten Lösungen. Ich glaube, auch in diesem Bereich müssten Sie zu der Erkenntnis kommen, dass Wohnraum nur dadurch geschaffen wird und niedrige Mieten nur dadurch erreicht werden, dass man neuen Wohnraum schafft, etwa durch einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer.
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Wir verbinden mit Blick auf Bundesministerin Barley die Hoffnung, dass sie für Bürgerrechte, für Minderheitenrechte, für Meinungsfreiheit und eine offene Gesellschaft mehr Herz als ihr Amtsvorgänger hat.
Wir sehen in diesem Haushalt eine hohe Deckungsquote. Ich habe das einmal ausgerechnet: Der Rechtsstaat in Form des Bundesjustizministeriums kostet uns weniger als 3 Euro pro Bürger; das kann man auch mal sagen. Das ist ein Haushalt mit einer hohen Deckungsquote durch die Einnahmen aus dem Patent- und Markenamt; insgesamt also eine wertvolle und wichtige Einrichtung. Wir hoffen, dass das Ministerium bürgerrechtlich aktiver wird. Wir stimmen deshalb heute – auch da sind wir konstruktive Opposition – diesem Haushalt sogar zu.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist Markus Uhl für die Fraktion der CDU/CSU.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch für 2018 und die Folgejahre ist die schwarze Null gesetzt. Das heißt, der Bund macht keine neuen Schulden. Die Nettokreditaufnahme beträgt null.
Bei einem Gesamtvolumen von 343,6 Milliarden Euro investieren wir 37,4 Milliarden Euro. Das entspricht 11 Prozent und stellt erneut einen Spitzenwert dar. Das ist im besten Sinne eine generationengerechte Politik, weil wir heute einerseits in die Zukunft investieren und andererseits die Zukunftschancen, die Spielräume für kommende Generationen erhalten.
Meine Damen und Herren, der Einzelplan 07 ist mit einem Volumen von 792 Millionen Euro der kleinste Einzelplan; das wurde ja schon angesprochen. Diese vergleichsweise geringe Summe sollte man jedoch nicht unterschätzen, werden doch in diesem Einzelplan die Ausgaben des Verfassungsressorts Justiz- und Verbraucherschutzministerium sowie der grundlegenden Institutionen unseres Rechtsstaates und des Verbraucherschutzes finanziert.
Besonders betonen möchte ich – auch das ist schon angesprochen worden – die Einnahmeseite von 577 Millionen Euro. Das ist ein Deckungsgrad von 73 Prozent. Das ist der Spitzenplatz im Bundeshaushalt.
Der Regierungsentwurf des Einzelplans 07 war schon gut, und wir haben ihn in den zurückliegenden Beratungen im Haushaltsausschuss, wie ich finde, noch besser gemacht. Im parlamentarischen Verfahren haben wir es geschafft, mehr als 10 Millionen Euro an Ausgaben zusätzlich einzuplanen und über 300 Stellen in Schwerpunkten zu schaffen.
Wo haben wir diese Schwerpunkte gesetzt? Wir stärken den Verbraucherschutz, indem wir den Verbraucherzentrale Bundesverband stärken, um Musterfeststellungsklagen durchführen zu können und Materialkompasse weiterführen zu können. Wir stärken die Justiz durch die Einstellung neuer Staatsanwälte und neuer Richter. Wir verbessern die IT-Infrastruktur in den Justizbehörden und erhöhen die Anstrengungen zur Digitalisierung. Wir stärken den gewerblichen Rechtsschutz durch einen großen Stellenaufwuchs beim Deutschen Patent- und Markenamt.
Lassen Sie mich kurz auf drei Punkte eingehen:
Erstens: Deutsches Patent- und Markenamt. Meine Damen und Herren, Rechtssicherheit ist Standortfaktor. Dazu gehören Innovationsschutz und der Schutz geistigen Eigentums. Dies stellen wir in Deutschland durch das Deutsche Patent- und Markenamt in München sicher. Es ist unsere Zentralbehörde für den gewerblichen Rechtsschutz. Wir befinden uns heute in einem internationalen Innovationswettbewerb mit China, mit Asien überhaupt. Deshalb müssen wir dahin einen besonderen Blick richten.
2013 hatte ein Patentprüfer bei uns noch etwa 200 Prüfverfahren zu bewältigen, im Jahr 2018 sind es schon über 240. Die Patent-, Marken- und Designschutzverfahren werden immer komplexer, weil der technische Fortschritt immer weitergeht, die Anzahl der Verfahren, der Prüfungen und der Recherchen steigt seit Jahren an. Daher kommt es aktuell zu einer wachsenden Zahl offener Verfahren und einer Zunahme der Dauer der Verfahren im Patent- und Markenamt in München.
Daher freue ich mich, dass wir als Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD es geschafft haben, zusätzlich weitere 60 Stellen beim Patent- und Markenamt in München durchzusetzen. Als Haushälter sage ich: Das fällt mir leicht; denn das Patent- und Markenamt trägt mit seinen Gebühreneinnahmen entscheidend zur Finanzierung des Bundeshaushaltes bei. 410 Millionen Euro werden dort quasi erwirtschaftet. Das ist ein Überschuss, wenn man es so formulieren will, von fast 200 Millionen Euro, die in den Bundeshaushalt fließen. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Weg des Stellenaufwuchses beim Patent- und Markenamt, um die Patentprüfverfahren zügig abzuarbeiten, weitergehen, und zwar auch im Bundeshaushalt 2019, zur Stärkung der Innovationskraft und der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.
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Zweitens: Forum Recht. Meine Damen und Herren, ein funktionierendes Rechtssystem ist für viele heute selbstverständlich geworden. Die historische Entwicklung ist dabei vielen von uns kaum noch bewusst. Auch ein Blick in die deutsche Geschichte zeigt, dass ein funktionierendes Rechtssystem mit freiheitlich-demokratischer Gesetzgebung und unabhängiger Justiz eben keine Selbstverständlichkeit ist. Die Mehrheit der Staaten weltweit hat eben nicht ähnliche Standards, wie wir sie heute in Deutschland gewohnt sind. Diese Standards sind also keineswegs für immer stabil und für immer garantiert, sondern ihre Sicherung und Verteidigung ist unsere dauernde Herausforderung.
Daher ist es richtig, dass wir in unseren Beratungen auch die Unterstützung – das wurde eben schon angesprochen – für das Forum Recht in Karlsruhe als dauerhafte Einrichtung des Bundes – ich sage ausdrücklich an dieser Stelle – regierungsfraktionsübergreifend vereinbart haben.
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Das ist ein Projekt des Deutschen Bundestages, auch über die Regierung hinaus, und das soll es auch weiterhin bleiben. Recht und Rechtsstaatlichkeit sollen in diesem Forum Recht in einem öffentlichen Raum erlebbar werden, es soll zur Partizipation einladen. Rechtsstaat wird nicht durch Gesetzestexte erlebbar, sondern im Diskurs und in der Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern. Es ist an der Zeit, unsere demokratische Gesellschaft, die Rechtssicherheit, die Gerechtigkeit stärker zu thematisieren und auf diese Weise die freiheitssichernde Wirkung des Rechtsstaates zu unterstreichen.
An dieser Stelle ausdrücklich herzlichen Dank an diejenigen, die fraktionsübergreifend das Forum Recht mitgetragen haben und es ermöglicht haben, dass wir im Bundeshaushalt für dieses Jahr 150 000 Euro bereitstellen können und so die Möglichkeit schaffen, die bisherige Machbarkeitsstudie zu vertiefen. Aber es gilt, auch in den künftigen Bundeshaushalten weitere Weichenstellungen dafür zu vorzunehmen.
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Drittens: Amtsgericht 4.0. Meine Damen und Herren, die Digitalisierung, auch die Digitalisierung in der Justiz ist mir ein besonderes Anliegen; da komme ich, was mein berufliches Vorleben betrifft, auch her. Die Digitalisierung insbesondere im Justizbereich führt natürlich zu zahlreichen Herausforderungen für unsere Gerichte und Staatsanwaltschaften. Diese Herausforderungen sind nicht nur technischer Natur, sondern es gibt auch eine Vielzahl von rechtlichen Fragestellungen, von Fragestellungen der Organisation und der Notwendigkeit der Modernisierung der Ausbildungsinhalte.
Trotz der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Gerichtsakte basieren unsere Verfahrensordnungen und unsere gerichtsverfassungsrechtlichen Bestimmungen heute auf einer Papierwelt, auf einer papiergebundenen Korrespondenz und auf einer papiergebundenen Aktenführung. Hieraus ergeben sich für die gerichtliche Praxis ganz konkrete Rechtsanwendungsfragen, beispielsweise bei der Gewährung der elektronischen Akteneinsicht, der Aufbewahrung von Akten, der Behandlung von Beiakten, der rechtlichen Behandlung von Signaturen oder ganz einfach bei der Gewährung des Datenschutzes.
Meine Damen und Herren, hier bietet sich ein Pilotprojekt an, das die Möglichkeit schafft, an einem geeigneten Mustergericht entsprechende Erkenntnisse zu sammeln, die wir später als wichtige Impulse verallgemeinernd für die deutsche Gerichtsbarkeit verwenden können. Daher begrüße ich ausdrücklich das Projekt „Amtsgericht 4.0“, das einen praxisorientierten, ganzheitlichen Ansatz bietet, und zwar an einem Musteramtsgericht, das repräsentativ für die deutschen Gerichte ist und hier als Pilotgericht fungiert. Die rechtswissenschaftliche Begleitung und der technische Sachverstand sind ebenfalls gewährleistet, um praxisnah die Herausforderungen anzugehen, konkrete Fragestellungen zu erörtern und mit entsprechender wissenschaftlicher Begleitung den Wissenstransfer voranzubringen. Das ist das Projekt „Amtsgericht 4.0“, das ich ausdrücklich begrüße.
Meine Damen und Herren, trotz der enorm kurzen Beratungszeit im Rahmen dieser Haushaltsberatungen und der teilweise doch herausfordernden und weitreichenden Projekte und Vorhaben, die wir uns vorgenommen haben, sowohl im Bereich der Justiz als auch im Bereich des Verbraucherschutzes, haben wir wichtige Projekte und Maßnahmen angestoßen. Deutschland ist bei der Rechtsstaatlichkeit und beim Verbraucherschutz Weltspitze und wird es auch zukünftig bleiben. Hierfür ist der Bundeshaushalt 2018 die Basis.
Mein Dank gilt den Kollegen Berichterstattern, dem Bundesministerium – stellvertretend für die Behörden in diesem Geschäftsbereich – und natürlich unseren Fachpolitikern in der Arbeitsgruppe für die guten und konstruktiven Beratungen. Ich freue mich schon auf die Beratungen des Bundeshaushalts 2019, die wir direkt nach der sitzungsfreien Zeit durchführen werden. Lassen Sie uns den beschrittenen Weg weitergehen: kritisch, konstruktiv, im Sinne und zum Wohle unseres Rechtsstaates und des Verbraucherschutzes.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der Abgeordnete Victor Perli.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden es nicht glauben: Zunächst lobe ich Sie, weil unsere Kritik gewirkt hat. Die Linke hat Druck gemacht,
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und jetzt hat die Große Koalition reagiert und die Mittel für den Verbraucherschutz und die Schuldnerberatung deutlich erhöht. Richtig so!
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Der Dieselbetrug in der Autoindustrie ist ein aktuelles Beispiel, das zeigt, dass betroffene Kundinnen und Kunden eine starke Interessenvertretung brauchen, um eigene Rechte durchsetzen zu können. Die Verbraucherzentralen sind eine wichtige Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger. Sie helfen bei Fragen, beim Widerspruch gegen Abzocke und bei Klagen gegen Unternehmen, die Kundenrechte nicht ernst nehmen. Wo sollen Menschen mit wenig Geld sonst hingehen, wenn es Ärger mit dem Telefonanbieter oder der Versicherung gibt? Für uns gehört das Recht auf kostenlose Beratung zu einer demokratischen Bürgergesellschaft.
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Allerdings muss der Bundestag in den nächsten Jahren noch nachlegen. Die Linke setzt sich dafür ein, dass die Verbraucherzentralen so stark werden, dass sie sich auch mit Konzernen wirksam anlegen können.
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Wir unterstützen, dass die Stiftung Warentest und das Forum Recht in Karlsruhe mehr Mittel bekommen. Beim Forum Recht geht es darum, den Rechtsstaat für die Bürgerinnen und Bürger erlebbar zu machen.
Unser Grundgesetz definiert die Bundesrepublik als demokratischen und sozialen Rechtsstaat.
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Im Justizbereich ist noch einiges zu verbessern; er muss noch besser werden. Zum Beispiel dauert es oft zu lange, bis Gerichtsverfahren beginnen. Recht haben und Recht bekommen dürfen nicht, wie so oft, eine Frage des dicken Geldbeutels sein.
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Die Prozesskostenhilfe muss ausgebaut werden, damit alle Menschen vor Gericht gleiche Chancen haben.
Meine Damen und Herren, die Mietpreisexplosion treibt viele Menschen seit Jahren um. Bezahlbares Wohnen für alle zu schaffen, ist eine zentrale Frage in dieser Zeit.
Die Koalition diskutiert jetzt über die Verschärfung der Mietpreisbremse. Das ist ein spätes Eingeständnis, dass das aktuelle Gesetz völlig wirkungslos geblieben ist.
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Die Mieten steigen ungebremst weiter, und die Linke hat Ihnen das schon damals bei der Einführung prophezeit.
Ministerin Barley will jetzt in bestimmten Fällen die Vermieter zwingen, die Vormieten offenzulegen. Außerdem will sie die Modernisierungsumlage von 11 auf 8 Prozent senken. Das ist wohl ein Anfang. Es wird die katastrophale Situation auf dem Wohnungsmarkt aber nicht ändern.
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Nun stellen sich Teile der Union selbst gegen dieses halbherzige Vorhaben. Sie wollen weiter zusehen, wie börsennotierte Bundeskonzerne, zum Beispiel Vonovia, die Mieterinnen und Mieter weiter abzocken.
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Sie wollen hinnehmen, dass Familien in Städten wie Köln, München, Hamburg und Berlin keine bezahlbaren Wohnungen mehr finden. Mit zwei oder drei Kindern ist es kaum möglich, in den Innenstädten ausreichenden Wohnraum zu finden.
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Das ist eine Auswirkung des Versagens Ihrer Politik.
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Die Linke macht da nicht mit. Wohnen ist ein Grundrecht.
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Eigentum verpflichtet. Der Gebrauch des Eigentums soll zugleich dem Allgemeinwohl dienen. So heißt es in Artikel 14 Grundgesetz. Deshalb ist es nicht hinnehmbar, dass mit Wohnraum spekuliert wird, um immer höhere Gewinne zu machen.
Die Linke fordert einen Mietendeckel, einen wirksamen Kündigungsschutz und die Abschaffung der Modernisierungsumlage.
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Die bisherige Umlage muss auch deshalb weg, weil sie ein Anreiz für Luxussanierungen ist, um damit langjährige Mieterinnen und Mieter zu vertreiben. Das ist für uns nicht hinnehmbar.
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Die Linke wird bei diesem Thema nicht lockerlassen. Es gibt inzwischen Tausende Mieterinitiativen in diesem Land, mit denen wir den Protest gegen Ihre Politik auf die Straße bringen. Wohnen ist ein Menschenrecht, und gute Wohnungen müssen für alle in diesem Land bezahlbar sein.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist für Bündnis 90/Die Grünen Dr. Danyal Bayaz.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Haushalt reden wir viel über Geld. Aber ich glaube, die wichtigste Währung in der Demokratie ist Vertrauen, vor allem das Vertrauen in den Rechtsstaat. Deswegen haben Sie auch zu Recht den „Pakt für den Rechtsstaat“ angekündigt. Da ist die Rede von 2 000 neuen Stellen in der Justiz. Das klingt gut. Aber besser wäre es natürlich, wenn Sie das auch zügig umsetzten. Sie haben gerade einmal einen Bruchteil davon realisiert.
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Die Zeit drängt angesichts der Überlastung unserer Gerichte.
Meine Sorge ist, dass Sie zwar eine nette Zahl in den Koalitionsvertrag geschrieben haben, aber jetzt die Länder damit alleine lassen. Wir müssen sie unterstützen, wenn wir diesen Pakt für den Rechtsstaat wirklich mit Leben füllen wollen.
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Deswegen gilt das Motto „Nach dem Haushalt ist vor dem Haushalt“. Machen Sie sich bitte schnell an die Umsetzung, meine Damen und Herren!
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Es gibt aber noch einen Grund, warum die Zeit drängt: Die Justiz hat ein Nachwuchsproblem. Das hat auch etwas mit den Arbeitsbedingungen zu tun. Da könnten wir, glaube ich, mit dem Einsatz von Digitalisierung ein Stück weiter sein. Ich glaube, das wollen Sie auch. Sie machen ja auch verschiedene gute Pilotprojekte. Aber die Digitalisierung ist eben mehr, als E‑Mails mit PDF-Anhang zu versenden oder die E‑Akte einzuführen. Das sind doch die Basics.
Gerade gute Absolventen – und die braucht ein Rechtsstaat – gehen lieber in eine moderne Kanzlei mit flexiblen Arbeitszeiten und einer top IT-Ausstattung.
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Ich finde, da müssen wir schon aufpassen, dass wir nicht zu einem Zweiklassenjustizsystem kommen: auf der einen Seite hochmoderne und hochproduktive Legal-Tech-Kanzleien, auf der anderen Seite überforderte Richter und Staatsanwälte mit veralteter Technik und von Aktenbergen umgeben. Deswegen ist ein starker Rechtsstaat auch immer ein moderner Rechtsstaat, und dafür braucht es auch moderne Arbeitsbedingungen, meine Damen und Herren.
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Mit diesem Haushalt wird auch Wertvolles vorangebracht. Dazu gehört das Forum Recht. Ich möchte mich bei den Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen und der FDP für die gute Zusammenarbeit bedanken. Wir werden uns sicherlich noch viele Gedanken machen müssen, wie wir dieses Konzept mit Leben erfüllen. Es soll nicht nur darum gehen, dem Rechtsstaat einfach ein steinernes Denkmal zu setzen. Es geht um einen lebendigen Ort, wo Demokratie, wo Rechtsstaat vermittelt werden, einen Ort, wo auch die Widersprüche des Rechtsstaats zutage treten. Erinnern wir uns beispielsweise an den Satz aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung: „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat.“ Ich wünsche mir aber auch, dass das Forum Recht ein pädagogisches Projekt wird gerade vor dem Hintergrund, dass die Integration in unsere demokratische Grundordnung ein Megathema unserer vielfältigen Gesellschaft ist. Da geht es um Wertevermittlung. Das haben wir auch bei der Eröffnungsrede in der heutigen Debatte gehört: Das geht uns alle etwas an, und zwar egal, ob man Ahmet, Alexander oder Alice heißt.
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Wenn wir es schaffen, das zum Leuchtturm einer zivilgesellschaftlichen Demokratie zu machen, dann haben wir wirklich viel erreicht.
Lassen Sie mich ein paar Sätze zum Verbraucherschutz sagen. Die Digitalisierung verändert nicht nur die Justiz. Sie verändert auch das Leben von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Das kann man auch bei Ihnen im Haushalt ansatzweise erkennen, Frau Barley: Hier gibt es eine Aufstockung, da eine Verstetigung. Hier gibt es mal eine Studie, da werden auch ein paar Stellen im Haus bereitgestellt. Viel Klein-Klein! Aber was mir fehlt, ist eine grundsätzliche Strategie, aus der hervorgeht, wie wir Verbraucherschutz im digitalen Zeitalter verstehen und auch organisieren möchten. Ich gehöre übrigens zu denen, die durchaus viele Chancen für Verbraucherinnen und Verbraucher sehen: transparente Preise, neue Produkte, intelligente Kaufempfehlungen, die sich wirklich am Nutzen und am Wohl von Bürgerinnen und Bürgern orientieren. Aber es stellen sich natürlich ebenso viele Fragen – diese müssen wir beantworten –: Wie verhindern wir zum Beispiel, dass Algorithmen Menschen ausschließen? Wenn eine Kundin keinen Hypothekenkredit für einen Wohnungskauf bekommt, weil sie den falschen Namen oder die falsche Postleitzahl hat, sorry, dann ist das keine künstliche Intelligenz, dann ist das menschliche Diskriminierung.
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Oder: Wie verhindern wir eigentlich, dass Algorithmen Preisabsprachen treffen? Wenn sie Daten nutzen, um die maximale Zahlungsbereitschaft von Kunden abzuschöpfen, dann ist das auch nicht künstliche Intelligenz, dann ist das Abzocke. Diese Fragen müssen wir beantworten.
Wir haben zu Recht für mehr Mittel für die Verbraucherschutzverbände gestritten. Sie sind uns da zum Teil gefolgt. Aber die Monopolkommission hat Ihnen gerade etwas in das Stammbuch geschrieben und unterstrichen, wie wichtig die Rolle der Verbände bei dieser Aufgabe ist. Sie hat angeregt, den Verbänden das Recht zu geben, Kartellbehörden damit zu beauftragen, Untersuchungen durchzuführen, wenn es um den Verdacht auf Preisabsprachen durch Algorithmen geht. Ich hoffe, dass Sie den Empfehlungen der Monopolkommission – das sind Ihre Berater, die Berater der Bundesregierung – folgen und im nächsten Haushalt ein umfassendes Konzept für Verbraucherschutz in der digitalen Welt vorlegen. 82 Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher werden es Ihnen danken.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Nächste Rednerin für die Fraktion der SPD ist die Abgeordnete Esther Dilcher.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin Barley! Sehr geehrte Damen und Herren! Als eine der neuen Abgeordneten in diesem Parlament und Mitglied des Haushaltsausschusses freue ich mich, heute bereits zum fünften Mal hier reden zu dürfen. Dabei möchte ich einmal anmerken, dass die hier teilweise sehr emotional aufgeladenen Debatten im Ausschuss so nicht geführt werden. Dort haben wir überwiegend eine sehr sachliche und auf fachliche Aspekte konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Das hat mich als Neuling doch schon etwas verwundert. Aber man kennt das vielleicht auch aus Kommunalparlamenten. Im Ausschuss ist keine Öffentlichkeit, und dort kann man ganz anders arbeiten als hier im Plenum, wo die Kameras auf uns gerichtet sind und wir uns etwas produzieren müssen. Im Haushaltsausschuss haben wir auch ein überwiegend sehr persönliches, kollegiales und freundschaftliches Miteinander. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle einmal bei allen Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich bedanken.
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Die Vorwürfe, die zum Beispiel am Dienstag zu den Einzelplänen betreffend Bundesrechnungshof und Finanzen aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken erhoben wurden, die Koalition verabschiede einen Haushalt ohne Zukunft und der Haushalt trage die Handschrift einer handlungsunfähigen Regierung, möchte ich hier auf das Allerallerallerschärfste zurückweisen.
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Ich möchte das auch begründen. Was ist es anderes, als zu handeln, wenn wir, wie von allen hier bereits gelobt – selbst aus den Reihen der Kritiker –, zum Beispiel in Karlsruhe das Forum Recht errichten?
Hier noch mal der Dank auch an FDP und Bündnis 90/Die Grünen, die uns im Ausschuss ganz eindeutig signalisiert haben, sie werden dieses Projekt unterstützen.
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Ich werde mich auch dafür einsetzen, dass wir im Zuge der nächsten Haushaltsberatungen einen gemeinsamen Antrag einbringen.
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Das Forum Recht soll ein Besucherzentrum werden, auch ein Museum – aber auf keinen Fall nur das. Es ist vor allem Informations-, Dokumentations- und Kommunikationszentrum. Deswegen, denke ich, Herr Kollege, wird es sicherlich auch pädagogische Arbeit leisten. Also: Wir handeln.
Es ist erschreckend, zu sehen, wenn der Rechtsstaat in Nachbarstaaten erodiert. Es muss uns zu denken geben, wenn junge Menschen heute sehr wenig über den Rechtsstaat und seine Errungenschaften wissen. Hier gilt es, Kenntnisse zu vermitteln und rechtsstaatliches Bewusstsein zu stärken. Wir müssen mehr Aufmerksamkeit schaffen und die Sinne der Bürgerinnen und Bürger schärfen, um Angriffe auf Recht und Rechtsstaat schneller zu entlarven. Dafür steht das Forum Recht; dafür handeln wir.
Ein Weiteres bringen wir auf den Weg: die Digitalisierung. In den Köpfen der Menschen wird dies oft nur verbunden mit Breitbandausbau und schnellem Datentransport. Die Herausforderungen sind jedoch weitaus größer – es wurde auch schon erwähnt –: Was nützt es nämlich, gut verkabelt zu sein, wenn vor Ort die Hardware nicht vorhanden ist oder veraltet ist und die Software möglicherweise gar nicht sicher ist? Das zu bewältigen, ist auch eine Aufgabe in der Justiz, die wir angehen wollen. Unsere Bundesministerin hat dies aus eigener Erfahrung als Richterin auch schon erlebt, hat den damit verbundenen Bedarf längst schon erkannt. Da brauchen wir auch keinen Druck von links, sondern wir können selber handeln. Das wird unsere Ministerin sicherlich sehr schnell in die Wege leiten.
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Was ist das anderes, als zu handeln, wenn wir den Opferschutz stärken, wie von Frau Dr. Barley schon vorhin erwähnt? Wir stärken die Sicherheit. Der Generalbundesanwalt erhält vor dem Hintergrund der Syrien- und Irak-Krise sowie des anhaltenden islamistischen Terrors ebenfalls neue Planstellen aus dem Sofortprogramm, unter anderem auch für Dolmetscher. Wir wissen auch für den Bereich der Integration, wie wichtig Sprache ist. Da ist es auch wichtig, dass wir mit den Menschen, die kommen, kommunizieren können, um die Verfahren zu beschleunigen; deswegen auch die Dolmetscher.
Und: Wir stärken sogar nachhaltig die Wirtschaft. Ja, auch Investitionen im Bereich Justiz haben Auswirkungen wirtschaftlicher Art. Auch das wurde schon erwähnt. Wir werden beim Deutschen Patent- und Markenamt knapp 100 neue Stellen schaffen, um die Patentprüfungsverfahren zu beschleunigen und den Stau bei den Patentverfahren abzubauen.
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Derzeit müssen Antragsteller bis zu fünf Jahre auf eine Entscheidung warten. Das liegt daran, dass die Prüfverfahren für die Patente immer umfangreicher werden, weil die Patente immer komplizierter werden. Das kann nicht hingenommen werden in einem Land, das Spitzenreiter bei Forschung und Innovation bleiben will.
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Wir sorgen mit den neuen Stellen für beschleunigte Prüfverfahren und sichern damit der Wirtschaft wertvolle neue Technologien und Innovationen.
Ja, meine Damen und Herren, mit uns und diesem Haushalt wird Deutschland sicherer, gerechter und stärker, ja, zukunftsfähig, weil wir handeln, auch wenn momentan in der Öffentlichkeit andere Themen der Koalition im Vordergrund stehen. Das hat uns keineswegs lahmgelegt. Das sieht man an diesem Haushalt. Den würde es so nicht geben, wenn wir nicht gearbeitet hätten und wenn wir nicht gehandelt hätten. Die SPD steht zu den Schwerpunkten in diesem Haushalt, und wir sind gespannt auf den nächsten Haushalt, der ja morgen schon auf uns zukommt.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist Stephan Brandner für die AfD.
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Herr Präsident! Liebe Zuschauer auf der Tribüne! Meine sehr geehrten Damen und Herren, vor allem die aus dem so harmonisch arbeitenden Rechtsausschuss!
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Vielen Dank für Ihre realitätsnahe Wiedergabe der Atmosphäre dort, Frau Dilcher; das kann ich nur bestätigen.
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Es ist im Rahmen dieser Debatte viel gesagt worden, aber noch nicht alles.
Meine Damen und Herren, die Merkel’schen Fehlentscheidungen und die seit Jahren andauernden Rechtsbrüche dieser Frau, die Sie alle von den Altparteien ja hofieren, haben eine Einwanderungslawine ausgelöst, unter deren gesellschaftlichen und finanziellen, aber auch rechtlichen Folgen unser Land und auch die Justiz noch Jahrzehnte, vielleicht auch noch länger leiden werden. Die Willkommenskultur einiger weniger lauter Bunt- und Gutmenschen hat unser gesamtes Land und auch die Justiz in die Mithaftung genommen
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und zu vielfachen Angriffen auf unseren ehemals gut funktionierenden Rechtsstaat geführt.
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Deshalb beklagen wir nun eine dauerhafte Belastung und Überlastung des Gerichtswesens, das unter der schieren Masse der Asylanträge ächzt.
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Bereits im Jahr 2017 hatte sich die Zahl der Asylverfahren an den Verwaltungsgerichten in Deutschland gegenüber 2014 auf etwa 400 000 verzehnfacht, meine Damen und Herren. Knapp die Hälfte aller Verfahren vor den Verwaltungsgerichten überhaupt sind Asylsachen – 2017; über 2018 will ich gar nicht reden. Jedenfalls führt das jetzt schon zu einer faktischen Blockade der Verwaltungsgerichte und erheblichen Verfahrensverzögerungen in anderen Bereichen; ich nenne nur zum Beispiel das Fahrerlaubnisrecht oder das Baurecht.
Mit einer gewissen Verzögerung kommt diese Lawine natürlich auch beim Bundesverwaltungsgericht an. Um seine Funktionsfähigkeit zu stärken und aufrechtzuerhalten, müssen dort mehr Mitarbeiter eingestellt werden. Dafür werden wir kämpfen.
Bei den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit, vor allem bei den Gerichten des Strafrechts, sieht es freilich aufgrund der Politik der offenen Grenzen und der dadurch verursachten Einwanderung von Zehntausenden von Straftätern, meine Damen und Herren – Stichworte „Goldstücke“,
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„Einzelfälle“, „Messermorde“, „Messerstechereien“, „Sexualdelikte“ –, nicht besser aus. Auch im Bereich des Strafrechts sind die Gerichte an der Grenze ihrer Belastbarkeit, und der Bundesgerichtshof wird auch das in Kürze zu spüren bekommen.
Herr Brandner, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung eines Kollegen aus der FDP?
Ja. Solange es nicht Herr Kahrs ist!
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Mit angenehmen Menschen rede ich gern. Mit sozialistischen Dampfplauderern hätte ich das nicht gemacht. Aber Herr Martens ist so ein netter Mensch. Bitte.
Herr Brandner, Sie haben gesagt, dass jetzt die Lawine von Asylverfahren auf das Bundesverwaltungsgericht zukommen würde. Dazu meine Frage: Sie wissen schon, dass gerade Rechtsmittel in Asylsachen so weit begrenzt sind, dass beim Oberverwaltungsgericht Schluss ist und es somit in Asylsachen keine Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gibt, was hier in diesem Hause übrigens ausdrücklich bedauert wird?
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Nein, Herr Martens, das weiß ich nicht. Aber offenbar sind Sie da auch falsch informiert. Also gut.
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Also ist zu überlegen, meine Damen und Herren, wie dieser Überlastung der Gerichte entgegengetreten werden muss.
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– Beruhigen Sie sich doch wieder! – An erster Stelle stehen selbstverständlich effektive Grenzkontrollen, die dazu führen müssen, dass jeder, der in Deutschland nichts verloren hat, auch nicht einreisen darf, oder jeder, der da ist, zumindest schnell wieder geht.
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Damit meine ich, meine Damen und Herren, eine wirklich effektive und umfassende Grenzkontrolle und nicht so ein Placebo, wie es uns hier von Herrn Seehofer, Frau Merkel und Ihnen von den Altparteien, vor allem von den ehemals Konservativen,
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im letztwöchigen Schmierentheater angeboten wurde. Heilsbringend war das bestimmt nicht. Das bringt gar nichts. Ursachenbekämpfung geht nur durch konsequente Grenzsicherung und Abschiebung in den entsprechenden Fällen.
Eine weitere Maßnahme, meine Damen und Herren, wäre eine Änderung des § 29 Satz 1 Richtergesetz. Herr Martens, ich hoffe, Sie kennen den.
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Einen Gesetzentwurf dazu werden wir demnächst vorlegen. Wir wollen damit die Möglichkeit schaffen, dass verstärkt Richter auf Probe oder abgeordnete Richter im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit eingesetzt werden können, um der Klageflut vor den Verwaltungsgerichten Herr zu werden.
Meine Damen und Herren, wegen der Destabilisierung des Staates und der Aushöhlung des Rechtsstaates durch Frau Merkel bei Unterstützung durch Sie von den Altparteien hat sich die Bedrohungs- und Sicherheitslage in Deutschland dramatisch verschärft. Die Zahl allein der islamischen Gefährder in Deutschland liegt bei etwa 800; so genau weiß das keiner. Wenn man jetzt weiß, dass für die Rund-um-die-Uhr-Überwachung eines einzigen islamischen Gefährders, eines solchen Einzelfallgoldstücks, etwa 30 qualifizierte Beamte eingesetzt werden müssen,
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weiß man: Es betrifft allein der Einsatz hier 24 000 Beamte. Das gilt am Ende auch, wenn der Gefährder dann gehandelt hat, so wie er nicht handeln sollte, aber es getan hat.
Das betrifft auch die Generalbundesanwaltschaft, die zwischenzeitlich im Akkord – da meldet sich eine Dame –
Möchten Sie die Zwischenfrage gestatten?
– gegen islamische Straf- und Attentäter ermitteln muss.
Also nicht.
Nein. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich hatte bei Herrn Martens schon eine Ausnahme gemacht.
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Aber mit grünen Politikversagern will ich von hier aus keinen Dialog führen.
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Meine Damen und Herren, wir fordern daher, auch die Generalbundesanwaltschaft stärker auszurüsten. Oder, Frau Keul, wollen Sie bestreiten, dass die Generalbundesanwaltschaft auch zuständig ist für islamistische Attentäter?
Meine Damen und Herren, die gewandelte Bedrohungslage in Deutschland muss sich in diesem Einzelplan wiederfinden. Wir müssen dafür sorgen, dass dieser Einzelplan gestärkt wird. Wir sind natürlich auch dafür, dass damit Einsparungen an anderer Stelle einhergehen. Ich denke in erster Linie an die politischen Stiftungen. Die lassen Sie sich jährlich mit 580 Millionen Euro – mit fast einer halben Milliarde Euro! – vergüten.
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Etwa ein Viertel dessen wird für alle Obergerichte in Deutschland ausgegeben. Für die geben Sie gerade mal knapp 150 Millionen Euro aus.
({3})
– Wissen Sie, auf den Einwurf habe ich doch gewartet. Natürlich: Die AfD hat beschlossen, eine politische Stiftung zu gründen. Aber: Wenn Sie es verhindern wollen, schaffen Sie die politischen Stiftungen doch einfach ab. Da sind wir die Allerersten, die dabei ganz vorne stehen.
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Wenn Sie keine politische Stiftung der AfD wollen, gehen Sie mit uns diesen Weg – der Gesetzentwurf liegt vor –, und schaffen Sie einfach alle politischen Stiftungen ab. Einfacher geht’s doch gar nicht.
({5})
Meine Damen und Herren, Kürzungspotenzial haben wir auch noch im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums, deren Mittel sich seit 2016 verdoppelt haben. Das Bundesamt für Justiz ist überausgestattet im Bereich der Überwachung der Zensurmaßnahmen des NetzDG, das wir ja abschaffen wollen.
({6})
Es erschließt sich auch nicht, warum Stiftung Warentest, obwohl sie schon in dreistelliger Höhe Millionen Euro an Zuwendungen erhalten hat, weiterhin so gemästet wird.
({7})
Ein Haushalt, meine Damen und Herren, ist ein komprimiertes Abbild des Staatswesens. In diesem Haushalt und in diesem Justizetat zeigt sich deutlich, dass Sie von den Altparteien zu wenig für Recht, Rechtsstaat und Ordnung, aber zu viel für Ihre Altparteiengesinnungs- und ‑klientelpolitik ausgeben wollen. Daher lehnen wir von der AfD diesen Einzelplan 07 ab. – Danke für den Applaus.
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Es kommt noch ein Nachsatz.
({9})
Sie müssen jetzt den letzten Satz sagen. Ihre Redezeit ist überzogen.
Ich komme noch zum Einzelplan 19; das ist der Einzelplan des Bundesverfassungsgerichtes. Diesem Einzelplan werden wir von der AfD zustimmen.
Vielen Dank.
({0})
Die Abgeordnete Katja Keul erhält Gelegenheit für eine Kurzintervention.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ihre Antwort, Herr Brandner, auf die Zwischenfrage des Kollegen Martens, hat mich doch etwas irritiert. Zur Frage der Berufungszulassung in Asylgerichtsverfahren
({0})
haben wir hier im Bundestag einen Gesetzentwurf im Verfahren.
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Wir hatten hierzu auch eine erste Lesung, die von äußerster Sachlichkeit geprägt war. Es gibt auch einen Gesetzentwurf zum gleichen Thema im Bundesrat, über den morgen dort verhandelt wird.
Der Gesetzentwurf, den wir hier im Bundestag zu diesem Thema im Verfahren haben, ist an den Rechtsausschuss überwiesen, dessen Vorsitzender Sie sind. Deswegen erstaunt es mich doch sehr, dass Sie davon keine Kenntnis haben.
({2})
Wie kann ich mir das erklären?
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Sie von den Altparteien in der Opposition müssen Ihre Zwischenfragen besser abstimmen. Der Herr Martens hat nicht danach gefragt,
({0})
sondern er hat gefragt, ob ich über die Zuständigkeiten des Bundesverwaltungsgerichtes in Asylsachen informiert bin.
({1})
Das war seine Frage. Es ging nicht um irgendwelche Gesetzentwürfe, die morgen im Bundesrat – ohne Beteiligung der AfD noch – verhandelt werden.
Frau Keul, das hat gar nichts miteinander zu tun.
({2})
Sie versuchen jetzt aus der grünen Gutmenschenecke, meine Rede zu torpedieren. Das ist kläglich gescheitert, Frau Keul.
({3})
Dennoch soll es natürlich unserer weiterhin guten Zusammenarbeit im Rechtsausschuss keinen Abbruch tun.
Vielen Dank.
({4})
Dann fahren wir jetzt fort in der Debatte. Das Wort erhält die Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker für die CDU/CSU.
({0})
Wieder zurück zur Sache und zum Haushalt. – Wenn wir über den Haushalt des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz reden, reden wir über den kleinsten Haushalt. Aber: Wir machen gute Politik durch gute Regeln und Gesetze und weniger dadurch, dass wir Geld ausgeben.
Wenn man in den Haushalt schaut, dann schaut man natürlich immer auf die Bereiche, in denen sich im Vergleich zum Vorjahr etwas verändert hat. Zwei Bereiche fallen hier in den Blick:
Der erste Bereich ist der schon angesprochene Pakt für den Rechtsstaat. Wir haben uns in der Koalition vorgenommen, durch Personal, Ausstattung und effiziente Verfahren daran zu arbeiten, dass der Staat eben noch handlungsfähiger und noch durchsetzungsstärker wird. Ich möchte noch einmal betonen: Wir reden hier von einem aktuell sehr hohen Niveau. Aber es gibt eben immer wieder Fälle, die uns schon Anlass geben, zu schauen: Wie können wir es noch besser machen? Aber wir wehren uns entschieden dagegen, hier den Rechtsstaat runterzureden. Er funktioniert, und er ist eine Basis unserer Demokratie und unserer Gesellschaft.
({0})
Der Haushalt zeigt auch schon erste konkrete Ansätze. Die 34 neuen Stellen beim Generalbundesanwalt befähigen diesen besonders gut, in seiner Zuständigkeit zu arbeiten. Gleichzeitig nimmt das auch Belastungen von den Ländern. Wir hatten in der Vergangenheit immer mehr Fälle, die an die Länder abgegeben worden sind. Da sind dementsprechend auch Kosten entstanden. Das wird wieder korrigiert, indem wir beim Generalbundesanwalt Personal aufwachsen lassen.
Wir sollten uns in der Tat auch den Punkt für den nächsten Haushalt, der gerade angesprochen worden ist, anschauen. Es wird ja schon an dem nächsten Haushalt gearbeitet; in der nächsten Sitzungswoche wird er schon eingebracht. Ich denke, wir sollten uns vornehmen, auch für das Bundesverwaltungsgericht neue Ressourcen zu schaffen, und zwar aus zwei Gründen.
Der erste Grund. Wir wollen das angesprochene Vorhaben, eine höchstrichterliche vereinheitlichende Rechtsprechung in Bezug auf die Zustände in den Heimatländern von Antragstellern in Asylverfahren zu schaffen, umsetzen. Das ist ein wichtiger Punkt. Es gibt dazu Vorschläge, die wir uns anschauen werden. Wenn es im Asylverfahrensgesetz geregelt wird, werden es letztendlich die Innenpolitiker federführend machen. Aber in unserem Haushalt müssten Stellen dafür geschaffen werden. Denn das Ganze macht keinen Sinn, wenn wir diese zusätzliche Arbeit den vorhandenen Senaten auf den Stapel obendrauf legen. Dafür müssten vielmehr frische Ressourcen bereitgestellt werden.
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Der zweite Grund, warum das Bundesverwaltungsgericht zusätzliche Ressourcen braucht. Wir haben dort allein vier Planungssenate. Die dortigen Verfahren, die sich mit der Planung von Großprojekten beschäftigen, sind mitentscheidend dafür, wann ein Großprojekt realisiert werden kann. Da dürfen Verfahren nicht deshalb in die Verlängerung gehen, weil ein Richter ausfällt, krank wird oder Unvorhergesehenes geschieht. Wir können an der Beschleunigung von Großprojekten mitwirken, indem wir beim Bundesverwaltungsgericht die entsprechenden Ressourcen schaffen.
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Der Pakt für den Rechtsstaat zeigt sich im Haushalt ganz konkret an den 19,5 neuen Stellen im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Das sind die personellen Ressourcen, die wir brauchen, um den Pakt mit den Ländern zu vereinbaren. Denn es ist auch klar, dass dort die Hauptlast der Umsetzung liegen wird. Das wird nicht ganz einfach sein – das ist schon klar –, zumal in den Ländern die Voraussetzungen natürlich auch sehr unterschiedlich sind. In meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen hat man gerade im letzten Jahr, nach dem Regierungswechsel, vieles getan, um die Voraussetzungen zu verbessern.
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– Das ist einen Applaus wert; das finde ich auch. – In anderen Ländern ist das nicht der Fall. Da ist es nicht ganz einfach, die richtigen Maßstäbe zu finden, aber gut. An den fehlenden Personalressourcen im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird es jedenfalls nicht liegen. Wir erwarten, dass wir zur nächsten Justizministerkonferenz ein Konzept vorliegen haben, auf dem der Pakt dann aufbauen kann.
Wir haben die Erwartung an Sie, Frau Ministerin, dass wir den dritten Aspekt des Paktes für den Rechtsstaat schnell angehen; denn der liegt allein in unserer Zuständigkeit. Wir müssen die Verfahren effektiver gestalten. Da geht es vor allem um die vereinbarten Punkte in der Strafprozessordnung. Die Vorschläge des Strafkammertages wollen wir aufgreifen. Wir wollen die Rechtsgrundlage für die DNA-Analyse schaffen. Das sind wichtige Punkte, um an der Stelle die Durchsetzungsstärke des Rechtsstaates zu unterstreichen. Dazu brauchen wir einen Gesetzentwurf aus Ihrem Hause.
Der zweite wichtige Bereich im Haushalt ist der Verbraucherschutz, wo es auch einen Zuwachs gab. Ich möchte eines grundsätzlich sagen: Verbraucherschutz zielt darauf ab, die Bürger in ihrem Alltag oder dann zu stärken, wenn sie alltäglichen Ärger haben. Wir wissen, dass die meisten Menschen mit dem auskommen müssen, was sie selber verdienen, dass sie davon ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen: Konsum, Wohnen, Altersvorsorge, all das. Deshalb ist es unsere Pflicht, für faire Vertragsbedingungen zu sorgen und dafür, dass Verbraucherrechte auch durchgesetzt werden können. Dazu braucht es nicht immer die großen Posten im Haushalt. Entscheidend ist vielmehr, dass es sich in den Privatbudgets der Menschen auswirkt und da vielleicht den entscheidenden Unterschied macht, ob man sich einen Urlaub leisten kann, ob eine wichtige Anschaffung möglich ist oder vielleicht auch nur, dass man keine Schulden machen muss. Deshalb ist es für uns ein wichtiges Anliegen, da die Menschen zu unterstützen.
Wir haben uns im Koalitionsvertrag dazu eine ganze Palette von Maßnahmen vorgenommen; auch die Verbraucherschutzministerkonferenz der Länder hat dazu eine lange Tagesordnung abgearbeitet. Wenn man sich die Punkte anschaut – von Inkasso über Schlüsselnotdienste bis zu untergeschobenen Gas- und Energielieferverträgen –, dann sieht man auch, dass es sich mittlerweile überwiegend um rechtlichen Verbraucherschutz handelt. Es geht darum, faire Vertragsbedingungen zu haben, sich aus Verträgen, die nicht fair sind, wieder lösen zu können. Ich glaube, dieser Befund bestätigt auch, dass der Verbraucherschutz im Justizministerium gut angesiedelt ist. Ich frage mich nur manchmal, ob er mit dem „J“ – jetzt ist es ja das BMJV – nicht schon hinreichend abgebildet gewesen wäre, gerade weil es um juristischen und rechtlichen Verbraucherschutz geht. Das wäre eigentlich von dem Namen „Bundesministerium der Justiz“ schon erfasst gewesen.
Der erste Punkt in diesem Bereich, der auch im Haushalt relevant ist, sind die 400 000 Euro, mit denen wir die guten Regelungen zur Musterfeststellungsklage ergänzen. Hier befähigen wir den Verbraucherzentrale Bundesverband, vzbv, dass er auch in Fällen, in denen das Risiko nicht ganz abschätzbar ist, in der Lage ist, eine Musterfeststellungsklage für die Verbraucher in Gang zu setzen. Das ist ganz, ganz wichtig. Auf diese Ergänzung haben wir uns sehr schnell geeinigt.
Ein zweites wichtiges Vorhaben ist die Verstetigung der Marktwächter, die seit 2015 in den Bereichen Digitales und Finanzen arbeiten. Jetzt haben wir die Anschubfinanzierung für den Bereich Energie. Nach dieser Testphase wird es langsam Zeit, dazu zu kommen, dass wir das Ganze auch auf eine saubere rechtliche Grundlage stellen. Wir erinnern uns: Das Stichwort war: schnüffeln, bellen, beißen. In der Praxis sieht es schon so aus, dass die Marktwächter sehr robust an die Unternehmen herantreten, Auskünfte verlangen, Fristen setzen – das Ganze zu 100 Prozent steuerfinanziert. Das ist dann schon sehr nah an hoheitlichem Handeln. Das braucht eine gesetzliche Grundlage. Es reicht nicht, dass wir nur einen reinen Haushaltsposten dafür haben.
Auf europäischer Ebene reden wir über den New Deal for Consumers. Wenn man sich anschaut, um was es da geht, sieht man, dass es eher Kleinigkeiten sind: Regeln für die Rücksendung im Versandhandel, Produkte sollen die gleiche Qualität überall in Europa haben – das ist sicherlich für die anderen europäischen Länder ein wichtiger Punkt –, einige Veränderungen, die bei uns in der Musterfeststellungsklage vielleicht relevant werden. Ich muss sagen: Die Kommissarin Jourova hat sich die Latte selber sehr, sehr hoch gelegt, indem sie den Begriff „New Deal“ für so etwas verwendet – New Deal, das war der Pakt von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der Wirtschaftskrise in den USA. Ich finde, den Vergleich damit kann dieses Paket definitiv nicht aufnehmen.
Ich möchte noch kurz ein übergreifendes Thema ansprechen.
Sie müssen zum Schluss kommen.
Das sind die Fragen der Digitalisierung. Hierzu haben wir auch viele Ansatzpunkte in unserem Paket im Koalitionsvertrag. Wir müssen mit Blick auf das Urheberrecht auf den Plattformen, die Dinge verkaufen, wie auch auf den Plattformen der sozialen Netzwerke dafür sorgen, dass auch da das Recht für Urheber, Nutzer und Bürger durchgesetzt wird. Das ist eine Daueraufgabe, der wir uns stellen, nicht nur mit Geld, sondern auch mit guten Ideen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Nächste Rednerin ist Katharina Willkomm für die FDP.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP fragt nicht, wo jemand herkommt. Wir fragen, wo jemand hin will. Also, Frau Bundesjustizministerin, wo wollen Sie mit diesem Haushalt hin?
Kernanliegen Ihrer Verbraucherpolitik sei der Schutz wirtschaftlicher Interessen der Verbraucher und die Gewährleistung einer angemessenen Interessenvertretung – wie? – durch Verbraucherinformation und ‑bildung. Ich teile Ihr Ziel, den Verbraucher stark und kompetent im Markt zu machen. Auch deshalb fordert die FDP seit langem Wirtschaft als Schulfach; denn die Wirtschaft ist nichts ohne den Verbraucher, und die Verbraucher sind nichts ohne Wirtschaft.
Sie sagen, Verbraucherschutzpolitik wird durch Gesetzgebung verfolgt. Sehr gut, solange Sie damit nicht die Musterfeststellungsklage meinen! Denn bei allem Verbraucherschutzlametta: In erster Linie handelt es sich doch um ein Fördergesetz für den vzbv. Der Verbraucherzentrale Bundesverband hat wie niemand sonst für die Musterfeststellungsklage getrommelt, und jetzt bezahlen Sie ihm sogar die Vermögenshaftpflichtversicherung, um sein „rationales Desinteresse“ auszugleichen.
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Zeitgleich sitzen im Bundesamt für Justiz die Beamten und spitzen die Bleistifte, damit sie einlaufende Anträge für die ersten Musterfeststellungsklagen händisch in das Klageregister eintragen können, weil die Onlineversion nicht rechtzeitig fertig wird. So viel zur Digitalisierung der Justiz!
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Sie werben für einen Pakt für den Rechtsstaat, für Personalaufbau und für eine Kampagne für den Rechtsstaat. Mehr Personal auf Richterstühlen, in Geschäftsstellen und bei Staatsanwaltschaften, ja, unbedingt! Ich hoffe, Ihre Gespräche mit den Ländern verlaufen erfolgreicher als voraussichtlich die Gespräche des Vielleicht-vielleicht-auch-nicht-Ministers Seehofer mit seinem österreichischen Amtskollegen. Ohne die Länder wird das jedenfalls nichts Halbes und nichts Ganzes. Andererseits scheint das ein Leitprinzip dieser Regierung zu sein und passt insofern ins Gesamtbild.
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Ihr Ministerium hat die ehrenvolle und wichtige Aufgabe, den Rechtsstaat zu schützen. Bei der ersten Lesung haben Sie gesagt:
Jeder muss verstehen, dass dieser Rechtsstaat nur funktionieren kann, wenn seine Regeln eingehalten werden können.
Das kann, ja, muss jeder Demokrat unterstützen, jedenfalls als Zielbeschreibung. Ja, der Rechtsstaat kann nur funktionieren, wenn seine Regeln eingehalten werden. Mit Blick auf den sogenannten Kompromiss zur Migration sage ich: Auch diese Regeln selbst müssen vor der Grundrechtecharta und der Verfassung bestehen. Wir Freie Demokraten werden Sie als Rechtsstaatsministerin daran messen, Frau Dr. Barley.
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Der Etat Ihres Hauses wird im Vergleich zu 2017 um mehr als 50 Millionen Euro sinken. Es wäre erstaunlich, würde die FDP plötzlich kritisieren, dass der Staat einmal weniger Geld der Bürger ausgibt. Lange waren der gesellschaftliche Zusammenhalt und der Rechtsstaat in Deutschland und Europa nicht so herausgefordert wie heute. Dass die Bundesregierung in diesen Zeiten ausgerechnet beim Haushalt des BMJV spart, ist bedrückend.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist von der Fraktion Die Linke Gökay Akbulut.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesjustizministerin Barley hatte zuletzt im Mai, als der Haushaltsentwurf hier debattiert wurde, mit den Worten: „Die Demokratie, der Rechtsschutz der Bürger und der Verbraucherschutz sollten gestärkt werden“, für ihren Pakt für den Rechtsstaat geworben. Es stellt sich nun die Frage: Was bleibt von dem Pakt für den Rechtsstaat übrig? Nicht viel. Das zeigt sich unter anderem am praktischen Beispiel der Musterfeststellungsklage, die die Regierungsparteien im Eilverfahren durch das Parlament peitschten, die aber wie vieles andere auch viel zu kurz greift, darüber hinaus auch noch verbraucherunfreundlich ist und hauptsächlich den Konzernen bei betrügerischen Geschäftspraktiken hilft.
({0})
Außerdem geht es um die Stärkung der Demokratie. Die Demokratie zu stärken, heißt auch, die Menschen zu unterstützen, die Opfer von Demokratiefeinden geworden sind. Dazu gehören die sogenannten Härteleistungen, die aus dem Haushalt des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz an die Opfer von extremistischen Übergriffen gezahlt werden können. Der Fonds diente bis vor ein paar Jahren ausschließlich Opfern von rechter Gewalt. Meine Damen und Herren, allein bis Mitte Mai 2018 wurden schon über 450 000 Euro an Opfer rechtsextremistischer Taten gezahlt, bei sogenannten linksextremistischen Fällen kein einziger Cent. 93 Prozent der Entschädigungen gingen an Opfer rechter Gewalt. Ähnliches spiegelt sich in der Auswertung der politisch motivierten Taten wider. Das zeigt insbesondere eines: Angriffe auf unsere Demokratie und auf den Rechtsstaat kommen von rechts.
({1})
Die von der Bundesregierung internalisierte und gepushte Extremismusdoktrin ist nicht mehr als eine eindimensionale Konstruktion, eine Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus und hilft hier einfach nicht. Die Bundesregierung muss sich entschiedener gegen die Angreifer auf die Demokratie einsetzen. Ein Fonds für Härteleistungen allein reicht da nicht aus.
Meine Damen und Herren, wir hatten diese Woche ein Fachgespräch zum Thema „Angriffe auf Demokratie und Menschenwürde“ hier im Bundestag. Die Referentinnen von anerkannten Stiftungen, die mit öffentlichen Mitteln finanziert werden und sich vehement für die demokratischen Ziele einsetzen, haben uns berichtet, dass sie regelmäßig Morddrohungen erhalten. Genau das zeigt: Für den Erhalt der Demokratie muss man mehr tun, als nur einen Pakt für den Rechtsstaat zu beschließen, der das ganze Problem nicht angeht. Vielmehr muss man sich entschieden gegen Rassisten, Faschisten und Antisemiten einsetzen, und das auch hier im Parlament.
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Der Haushaltsentwurf sieht ja auch eine Aufstockung der Mittel des Generalbundesanwalts vor. Das begrüßen wir natürlich, weil die Kosten von Großverfahren wie denen des NSU-Verfahrens für die Länder kompensiert werden sollen. Dort wird nächste Woche, voraussichtlich am 11. Juli, das Urteil fallen. Zwar werden vom Gericht einige wenige Täterinnen verurteilt werden; aber das komplette Netzwerk des NSU mit seinen nationalen und internationalen Verknüpfungen besteht weiterhin. Anders als von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei Bekanntwerden der Taten des NSU versprochen, wurde hier nicht schonungslos und lückenlos aufgeklärt. Komplexe Nazinetzwerke müssen gesamtgesellschaftlich und auch politisch angegriffen werden.
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Ein weiterer Aspekt des Justizetats ist der Stellenausbau auf Bundesebene, den wir als Linke begrüßen, weil er mehr Entlastung bringt. Ein Stellenausbau allein reicht aber nicht. Die Gleichstellungsstatistik des Bundesverwaltungsgerichtes zeigt, dass von insgesamt 44 Richterinnenstellen nur 13 mit Frauen besetzt sind. Das entspricht gerade einmal 29 Prozent. Beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe und Leipzig sieht es ähnlich aus. Personen, die einen divers-kulturellen Hintergrund haben, lassen sich schon gar nicht in solchen Ämtern finden. Dabei sollte die Bundesjustiz mit gutem Beispiel vorangehen und verbindliche Gleichstellungsmaßnahmen sowie eine interkulturelle Öffnung auf Bundesebene vorantreiben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Canan Bayram für Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin, es war heute das erste Mal, dass Sie sich in Ihrer Rede einleitend einmal kritisch zu dem Thema Rechtsruck und dem Zusammenhang mit den Angriffen auf die Anwaltschaft geäußert haben. Dafür erst einmal herzlichen Dank!
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Aber ich würde mir eine Ministerin der Justiz wünschen, die lauter ist, die ihre Stimme erhebt angesichts des Rechtsrucks, den das Land gerade erfährt.
Ich habe Hoffnung, dass wir mit dem Forum Recht tatsächlich eine Einrichtung bekommen, in der die Menschen darüber informiert werden, was wir unter Rechtsstaat verstehen. Denn es ist ja ein Missverständnis: Wenn Sie vom Pakt für den Rechtsstaat reden, wird darunter immer alles Mögliche subsumiert, was an Verschärfungen in der Innenpolitik und sonst wo auf den Weg gebracht wird. Aber Rechtsstaat ist doch genau das Gegenteil. Beim Rechtsstaat geht doch darum, dass wir uns immer wieder die Frage stellen müssen: Müssen wir das Zusammenleben der Menschen regeln, und müssen wir gar etwas verbieten? Die Tendenz dieser Regierung ist, alles Mögliche zu verbieten, ohne die dafür zuständigen Stellen – Polizei, Gerichte – anständig auszustatten. Und, meine Damen und Herren, das ist das Gegenteil von Rechtsstaat.
({1})
Schauen wir uns doch mal die Mittel an, die in den Justizhaushalt eingestellt wurden. Bei grober Draufsicht erkennt man schon: Sie senken die Mittel in vielen Bereichen gegenüber dem letzten Jahr ab. Und selbst die Mittel, die Sie für Personal bekommen haben, haben Sie überhaupt nicht eingestellt. Das Gegenteil müssen Sie tun. Wenn Sie einen Pakt wollen, dann müssen Sie auch handeln und können doch nicht die Mittel absenken, meine Damen und Herren.
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Wir Grüne haben Ihnen mehrere Vorschläge gemacht. Wir sagen auch: Wir haben mehr Personal im Bereich der Gerichte und bei der Polizei zur Verfügung, wenn wir anfangen, auszumisten, wenn wir entkriminalisieren, wo es überhaupt keinen Sinn macht, dass wir Menschen bestrafen.
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Das gilt fürs Fahren ohne Fahrschein, und das gilt auch fürs Kiffen. Cannabis muss legalisiert werden,
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weil es nicht okay ist, dass die Union weiter ihrem Alkohol frönen darf und alle anderen, die ihren Rausch anders erleben wollen, bestraft werden, meine Damen und Herren.
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Ich komme zu einem anderen Aspekt, der hier kurz angesprochen wurde. Da habe ich mich wirklich gewundert, Frau Ministerin. Wir alle haben die Berichte gelesen, wonach die Opfer des Anschlags am Breitscheidplatz sich darüber beschweren, wie schlecht sie ausgestattet werden. Und dann stellen Sie sich hier hin und loben Ihren Opferschutzbeauftragten. Bei dem Schrecklichen, was diese Menschen erleben mussten, würde ich wirklich erwarten, dass die Bundesebene Verantwortung übernimmt und sich mit den Opfern, die sich ja organisiert haben und eine Sprecherin haben, ins Benehmen setzt und nachfragt: Was fehlt euch eigentlich, und was können wir tun? Denn wir alle sind für diese Menschen und das Schicksal, das sie erlebt haben, verantwortlich.
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Abschließend will ich etwas zum Mietrecht sagen. Wir warten immer noch, und dabei hatten Sie groß angekündigt, dass die Verbesserungen im Mietrecht vor der Sommerpause kommen sollen. Ja, wo hängt’s denn? Man liest Berichte, wonach es in irgendeiner Ressortabstimmung bei der Union hängt. Da frage ich mich: Warum halten Sie sich eigentlich zurück? Herr Seehofer hat doch vorgemacht, wie man agieren muss, um in dieser Regierung zu seinem Recht zu kommen.
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Da würde ich mir von der SPD ein bisschen mehr Aufstand wünschen, statt jetzt Seehofer mit zu unterstützen.
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Ja, fürs Mietrecht müssten Sie so kämpfen. Ich will die Ministerin kämpfen sehen. Das schuldet sie den Mieterinnen und Mietern in Deutschland und vor allem in Berlin.
Danke schön.
({9})
Nächste Rednerin ist für die SPD die Abgeordnete Sarah Ryglewski.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bayram, ich fand, Ihre Rede war aufgrund des Populismus eigentlich kaum zu ertragen. Ich verstehe dann auch, warum Sie das klare Bekenntnis unserer Ministerin der Justiz und für Verbraucherschutz nicht verstanden haben, die sich ganz klar gegen rechts gestellt hat und sich ganz klar vor unsere Justizangestellten, unsere Richterinnen und Richter, unsere Staatsanwälte gestellt hat. Wer so redet, wie Sie es gerade getan haben, der hört die leiseren Töne eben nicht, auch wenn sie ein klares Bekenntnis beinhalten.
({0})
– Wir werden sicherlich noch viel Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren. Ich glaube, Frau Barley wird das, was Sie heute gesagt haben, ansprechen.
Zum Thema Verbraucherschutz. Ich finde es gut, dass wir als eines der ersten Vorhaben in dieser Legislaturperiode als Koalition die Musterfeststellungsklage beschlossen haben. Und ich sage jetzt an die Adresse der Linken: Wir lassen uns dieses Instrument von Ihnen nicht kaputtreden, und wir lassen es auch nicht zu, dass das Vertrauen in unseren Rechtsstaat dadurch untergraben wird, dass man sich hierhinstellt und Verschwörungstheorien verbreitet, wir hätten ein Gesetz geschaffen, das eigentlich nur der Industrie nütze. Das ist – tut mir leid – hanebüchen. Wer dem das Wort redet, der untergräbt in der Tat das Vertrauen in unseren Rechtsstaat.
({1})
Verbraucherinnen und Verbraucher haben jetzt im Schadensfall die Möglichkeit, ihre Rechte gegenüber großen Konzernen kollektiv und ohne Kostenrisiko geltend zu machen. Wer recht hat, der wird recht bekommen. Das gilt ab dem 1. November.
({2})
– Ja, genau, wir werden das sehen. – Um das sicherzustellen, haben wir die Mittel für den vzbv, der einer der klageberechtigten Verbände ist, erhöht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier wird ja gerne viel über Zahlen geredet; das ist klar in einer Haushaltsdebatte. Gemessen am Etat mag das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ein kleines Ressort sein, aber gemessen an seiner Wirkung für die Menschen in unserem Land ist es eines der wichtigsten. Dabei, Herr Dr. Ruppert, stehen die Bereiche Justiz und Verbraucherschutz nicht in Konkurrenz. Ich bin der Meinung, Sie ergänzen sich; denn natürlich sind Verbraucherrechte in erster Linie Bürgerrechte, und die stärken wir.
Das Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ist ein klares Querschnittsressort, es wirkt in alle Bereiche. Nehmen wir nur das Thema Wohnen. Mit Neubau alleine werden wir die Herausforderungen in unseren Städten nicht bewältigen. Es gibt eben Menschen in den Städten, die gerne in ihrem Quartier wohnen bleiben wollen und sich durch Luxusmodernisierung – ich nenne sie auch gerne Räumungsmodernisierung – bedroht fühlen. Dem werden wir einen Riegel vorschieben, indem wir die Kappungsgrenze senken und indem wir die Mietpreisbremse – das sage ich Ihnen zu – nachschärfen.
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Sie müssen sich schon entscheiden. Sie stellen sich hierhin und beklagen, dass die Einführung der Musterfeststellungsklage auf Kosten der Sorgfalt in einem Affenzahn durch dieses Parlament getrieben wurde. Aber beim Thema Mietrecht, bei dem es um sehr existenzielle Sachen geht, sagen Sie, wir lassen uns zu viel Zeit. Irgendwie müssen Sie sich entscheiden. Meiner Meinung nach geht hier Gründlichkeit vor Schnelligkeit; anders als beim Thema Diesel gibt es auch keinen Zeitdruck. Wir werden das anständig machen; aber – das sage ich in Richtung von CDU/CSU – wir werden Sie auch nicht aus der Pflicht lassen. Wir werden hier nachschärfen und etwas für die Mieterinnen und Mieter erreichen.
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Frau Kollegin, ich unterbreche Sie kurz. – Herr Brandner, würden Sie die Zeitung vielleicht ein bisschen runternehmen? Ich kann Ihnen nicht verbieten, während der Debatte Zeitung zu lesen, aber wenn Sie die Zeitung so hoch halten, könnte der falsche Eindruck entstehen, dies sei ein Kaffeehaus. Es ist aber ein Arbeitsparlament.
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– Wir wollen auch nicht mitlesen, was Sie da lesen.
Wir fahren fort in der Debatte.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ein weiterer Bereich, der für die Verbraucherinnen und Verbraucher sehr sensibel ist, ist der Bereich Finanzen. Auch hier sehen wir Handlungsbedarf. Wir haben uns in diesem Parlament vor zwei Jahren gemeinsam darüber gefreut, dass das „Girokonto für alle“ endlich Wirklichkeit geworden ist und jeder einen Rechtsanspruch auf ein Girokonto hat. Wir sehen aber: In der Praxis funktioniert das leider nicht so, wie wir es gerne hätten. Viele Banken und Sparkassen erheben völlig überzogene Gebühren, laut Stiftung Warentest teilweise bis zu 328 Euro im Jahr. Ich sage ganz deutlich: Dieser Praxis werden wir einen Riegel vorschieben. Wir haben beschlossen, dass das Basiskonto nicht mehr kosten darf als ein normales Konto mit vergleichbarem Leistungsspektrum. Ich weiß nicht, was Ihr Konto kostet, aber ich weiß, was meines kostet, und 328 Euro sind es definitiv nicht. Zur Erinnerung: Es geht hier um ein Konto, das vorrangig für Menschen mit wenig Geld gedacht ist. Hier müssen wir einen Deckel draufsetzen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, gute Verbraucherpolitik zeichnet sich dadurch aus, dass sie Entwicklungen nicht nur nachträglich reguliert, sondern diese vorhersieht und im besten Fall aktiv gestaltet. Deshalb wird die Digitalisierung selbstverständlich auch in der Verbraucherpolitik in dieser Legislaturperiode eine große Rolle spielen. Dabei geht es nicht nur um die Vermittlung digitaler Kompetenzen oder darum, bestehende Standards in die digitale Welt zu übertragen. Es geht auch darum, diese weiterzuentwickeln und Lösungen für Probleme zu entwickeln, die im Zeitalter von Plattformen, Algorithmen und künstlicher Intelligenz aktiv und nicht reaktiv angegangen werden müssen. Wir wissen alle, dass diese Mechanismen immer stärker in unser Leben eingreifen. Scoring gibt es nicht mehr nur im Bereich des Kreditwesens. Ein Blick nach China zeigt, was uns da drohen kann. Ich glaube, wir müssen sehr genau darauf achten, dass sich das bei uns nicht Bahn bricht.
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Eines muss uns aber auch klar sein: Guter gesetzlicher Verbraucherschutz und gute Gesetze im Bereich des Verbraucherschutzes allein nützen uns nichts. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen ihre Rechte auch kennen, damit sie sie durchsetzen können. Dafür braucht es Transparenz und gute Informationen, und deswegen ist der Bereich Verbraucherinformation in diesem Haushalt ein großer Posten. Aber wir brauchen auch eine funktionierende Beratungsstruktur und Institutionen, die den Verbraucherinnen und Verbrauchern zur Seite stehen und im besten Sinne Lobbyismus für die Verbraucherinnen und Verbraucher betreiben.
An die Adresse der Damen und Herren von der AfD: Wir stehen dazu, dass wir den vzbv weiter finanziell fördern. Wir stehen auch weiterhin zur Förderung der Deutschen Stiftung Verbraucherschutz und zu unseren Zuschüssen für die Stiftung Warentest. Sie stellen den Verbraucherinnen und Verbrauchern gute Informationen zur Verfügung. Das sind positive Lobbyisten.
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Auch die Marktwächter Digitales und Finanzen haben sich bewährt. Ich freue mich sehr, dass auch die CDU/CSU mittlerweile Fan geworden ist. Sie waren ja zu Beginn, als wir das initiiert haben, ein wenig skeptisch. Aber es zeichnet uns in diesem Parlament ja auch aus, dass wir uns durchaus weiterentwickeln können, dass wir lernen können.
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Wenn Sie sagen: „Wir wollen das auf eine bessere und breitere Grundlage stellen“, dann haben Sie uns an Ihrer Seite. Wir freuen uns auf die Debatten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Etat des BMJV bietet viele Gestaltungsmöglichkeiten für aktive Verbraucherpolitik. Ich sage Ihnen zu: Wir werden sie nutzen.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist Ingo Wellenreuther für die Fraktion der CDU/CSU.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Innerhalb des Einzelplans 07 möchte ich mich einem speziellen Projekt widmen, das heute schon mehrfach angesprochen worden ist. Es ist mit einem relativ kleinen Betrag ausgestattet, bedeutet aber einen weiteren wichtigen Schritt für die Realisierung eines großen Projektes. Das ist nämlich der Bau eines Forums Recht in Karlsruhe, ähnlich dem des Hauses der Geschichte in Bonn.
In der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses in der letzten Woche wurde beschlossen, weitere 150 000 Euro für das Forum Recht einzusetzen. Dies baut auf dem letztjährigen Haushalt auf, in dem bereits für die Erarbeitung einer Machbarkeitsstudie 200 000 Euro für das Forum Recht bereitgestellt worden sind. Das ist gut angelegtes Geld; denn diese Studie, die im September 2017 vorgestellt wurde, belegt eindrucksvoll, warum wir für Deutschland ein Forum Recht in Karlsruhe brauchen.
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Dieser Schwung soll jetzt mitgenommen werden. Weitere Schritte zur Realisierung des Projekts sollen unternommen werden. Es bedarf einer Geschäftsstelle in Karlsruhe und verschiedener Veranstaltungen, um die Machbarkeitsstudie mit einem breiteren Publikum zu diskutieren und fortzuentwickeln.
Die Frage ist aber: Was ist genau das Forum Recht? Zunächst einmal ist zu sagen, dass es sich dabei um ein Projekt des Parlaments handelt, verankert im Koalitionsvertrag und unterstützt durch alle Parteien, die im Haushaltsausschuss zugestimmt haben – mit Ausnahme der AfD. Es wird außerdem getragen von der Zivilgesellschaft und einem in Karlsruhe bereits seit Jahren bestehenden Initiativkreis. Es freut mich besonders, dass auch Sie, liebe Frau Barley, als Bundesministerin der Justiz für das Forum Recht in Karlsruhe inzwischen Feuer gefangen haben.
Worum geht es? Für die meisten Menschen in Deutschland dürfte der Alltag in einem funktionierenden Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit sein. Dabei zeigt aber schon der alltägliche Blick in die Zeitungen und die anderen Medien, dass ein funktionierendes Rechtssystem mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und einer unabhängigen Justiz selbst in Europa keineswegs die Regel ist. Die historische Dimension von Recht und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland, ihre gegenwärtige Bedeutung und ihre zukünftigen Potenziale begreifbar und erlebbar zu machen, das ist das Ziel des Forums Recht – praktisch ein Rechtsstaat zum Anfassen als Beitrag zur Demokratiebildung. Dabei stellt gerade in Deutschland die Erinnerung an den Rechtsstaat eine besondere Herausforderung dar; denn sie umfasst natürlich auch die Herrschaft von Diktatur, Unrecht und Gewalt im Nationalsozialismus und das Unrechtsregime der DDR.
Ein Forum Recht als nationale Institution wird das Recht als politische, gesellschaftliche und kulturelle Kraft in Deutschland und Europa stärken. Es eröffnet die Möglichkeit zu aktuellen Debatten und lädt Menschen ein, am Diskurs über unsere Zukunft teilzunehmen. Dazu bedarf es aber auch eines Ortes, um den Rechtsstaat zu verstehen, um Recht und Rechtsstaatlichkeit als Faktoren der demokratischen Gesellschaft zu erleben und aktiv mitzugestalten. Das Forum Recht soll ein solcher Ort sein, ein Informations-, Dokumentations- und Kommunikationszentrum für Rechtsthemen mit Ausstellungen, Diskussionen und simulierten Gerichtsverhandlungen sowie einem breiten Angebot an visuellen Darstellungsformen.
Es soll auf dem Gelände des Bundesgerichtshofs und damit an einem zentralen Ort in Karlsruhe als 5 000 Quadratmeter großer Neubau errichtet werden. Möglichst viele Menschen jedweden Alters aus jedweden sozialen Verhältnissen und mit jedwedem Bildungsgrad sollen sich dort mit Fragen des Rechts und der Rechtsstaatlichkeit auseinandersetzen. Im Idealfall ermöglicht dies sogar eine emotionale Verbundenheit mit unserem Rechts- und Verfassungsstaat. Das ist heute, glaube ich, aktueller denn je; denn die Entwicklungen in Ungarn, Polen, aber auch in der Türkei zeigen ebenso wie Populismus und Gewalt, dass wir das Wissen über den Rechts- und Verfassungsstaat dringend stärken und seine Bedeutung für ein Leben in Freiheit und Sicherheit verdeutlichen müssen.
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Warum ist Karlsruhe der ideale Standort für das Forum Recht? Heinrich von Kleist schrieb in einem Brief an seine Schwester Ulrike im Jahre 1801:
Karlsruhe … ist klar und lichtvoll wie eine Regel, und wenn man hineintritt, so ist es, als ob ein geordneter Verstand uns anspräche.
Aber nicht nur deshalb ist Karlsruhe als Residenz des Rechts der geeignete Standort für das Forum Recht. Es gibt viele weitere Gründe:
Erstens. Seit mehr als 65 Jahren steht Karlsruhe als Symbol für den modernen und demokratischen Rechtsstaat. Neben dem Bundesgerichtshof, der Bundesanwaltschaft und dem Bundesverfassungsgericht wird sich das Forum Recht in optimaler Weise in die Stadt des Rechts einfügen. Der Gang nach Karlsruhe ist zum geflügelten Wort geworden. Die Deutschen sagen heute „Karlsruhe“ und meinen den Rechtsstaat. Ein Sprichwort sagt bei uns:
Karlsruhe hat viele Gesichter, jedes dritte gehört einem Richter.
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Zweitens. Durch die Einbeziehung des alten Sitzungssaalgebäudes des Bundesgerichtshofs würde ein authentischer Ort, in dem viele bedeutende Revisionsprozesse der Nachkriegszeit stattgefunden haben, räumlich in das Konzept eingebunden werden können.
Drittens. Außerdem liegt Karlsruhe in Baden – das ist auch gut so –,
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und in Baden wurde 1818 die erste eigene und zugleich freiheitlichste Verfassung auf deutschem Boden verabschiedet. Sie bildete die Grundlage für den Aufbau der Demokratie in Deutschland. Und die darin vorgesehene Ständeversammlung tagte ab 1822 im Ständehaus in Karlsruhe, welches das älteste eigenständige Parlamentsgebäude auf deutschem Boden ist. Es gilt als Vorbild für das erste gesamtdeutsche Parlament, die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, und damit als Wiege der deutschen Demokratie.
Viertens. In Karlsruhe ist 1863 das erste deutsche Verwaltungsgericht eingerichtet worden.
Fünftens. Eines ist aber auch klar: Karlsruhe hat auch Schattenseiten der jüngeren deutschen Rechtsgeschichte erlebt. Die Stadt war nämlich Schauplatz terroristischer Anschläge auf Personen und Institutionen des deutschen Rechtsstaats. Terroristen der RAF ermordeten 1977 in Karlsruhe den Generalbundesanwalt Siegfried Buback. Auch dieses Spannungsverhältnis zu thematisieren, verleiht Karlsruhe eine besondere Authentizität.
Sechstens. Seit 1985 ist zudem das Rechtshistorische Museum in Karlsruhe eingerichtet, und die Justizpressekonferenz hat seit 1975 ebenfalls ihren Sitz in Karlsruhe.
Siebtens, Last, but not least: Seit 2001 finden die Karlsruher Verfassungsgespräche unter Schirmherrschaft des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts jeweils am Vorabend des Verfassungstages, des 23. Mai, statt.
All diese Gründe haben die Regierungskoalition zu Recht überzeugt, Karlsruhe als Standort für das Forum Recht im Koalitionsvertrag festzulegen. Sie können sich vorstellen, dass mich persönlich das als ehemaliger Richter und direkt gewählter Abgeordneter meiner Heimatstadt Karlsruhe mit besonderer Freude erfüllt.
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– Hat man gemerkt? Ich hoffe es. – Deshalb bin ich auch sehr zuversichtlich, dass wir gemeinsam hier im Deutschen Bundestag bald dieses Gesamtprojekt mit einem Gesamtvolumen von circa 75 Millionen Euro Baukosten beschließen werden. Viele Vorarbeiten sind getan.
Unter anderem deshalb werden wir als Union mit Freude dem vorliegenden Justizhaushalt zustimmen.
Danke schön.
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Nächster Redner ist Dr. Jürgen Martens für die FDP.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Haushalt des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz hat positive Seiten, kann aber an einigen Stellen auch als Haushalt verpasster Chancen begriffen werden, etwa wenn es darum geht, den Rechtsstaat als solchen sichtbar zu machen und zu verteidigen. Unser Recht ist nicht einfach, und es wird, so jedenfalls die öffentliche Meinung, immer komplizierter und schwerfälliger – mit der Folge eines fehlenden Verständnisses für Entscheidungen, einer geringeren Akzeptanz und einer geringeren Durchsetzungsfähigkeit von Entscheidungen. Das ist aber keine völlig neue Entwicklung.
Neu ist eine politische Diskussion, in der die Justiz und ihre Einrichtungen als fehlgeleitet, handlungsschwach und in einer Art und Weise diffamiert werden, bei der es darum geht, Rechtsnormen zu diskreditieren etwa als nicht kulturkonform oder als Ausdruck einer Herrschaft des Unrechts. Das Ziel ist offensichtlich die Delegitimierung des Rechtsstaates insgesamt, und das dürfen wir uns nicht gefallen lassen.
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Es gibt in der aktuellen Diskussion durchaus Versuche, einen demokratischen und liberalen Rechtsstaat in einen autoritären Obrigkeitsstaat, der homophob und islamophob ist, umzuformen. Die Bundesregierung muss sich an dieser Stelle die Frage gefallen lassen: Ist das, was sie tut, ausreichend?
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Ich glaube, nicht.
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In diesem Haushalt spiegelt sich diese Aufgabe nicht ausreichend wider. Ich sage: Wir unterstützen das Forum Recht ausdrücklich, aber das ist für die eben genannte Aufgabe sicherlich nicht ausreichend.
Diese Regierung verfolgt rechtspolitisch an vielen Stellen ein schlichtes Weiter-so und verheddert sich dann in Nachbesserungen von Normen, deren Untauglichkeit längst offenkundig ist, nach dem Grundsatz: „Wenn Unfug schon nicht wirkt, dann probieren wir es mit ganz viel Unfug“,
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etwa bei der Mietpreisbremse. Damit schützen Sie keine Mieter, und durch die Verschärfungen schaffen Sie auch keinen Wohnraum, sondern verursachen höchstens allgemein einen gewaltigen Vollzugsaufwand bei Neuberechnungen von Wohnflächen. Liebe Frau Ministerin, bitte, bitte machen Sie keinen Masterplan!
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Meine Damen und Herren, wenn Sie von der Beschleunigung von Strafverfahren sprechen, dann dürfte sich dahinter jedenfalls nicht der Schutz von Rechten der Bürger verbergen, sondern eher der Wunsch nach Beschleunigung. An die notwendigen Reformen des materiellen Rechts, zu überprüfen, wo wir Normen haben, die uns einen riesigen Aufwand verursachen, bei denen es aber nur um Bagatelltaten geht, trauen Sie sich aber nicht heran. Ich finde das ausdrücklich schade.
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Sie haben jede Menge Chancen und hätten unsere Unterstützung bei der Verteidigung des Rechtsstaates. Dazu gehört aber auch die Verteidigung von Rechten der Bürger. Nehmen Sie das ernst, dann haben Sie unsere Unterstützung.
Vielen Dank.
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Letzter Redner in der Debatte ist Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan des BMJV weist beachtliche Festlegungen auf. Zu nennen ist der nochmalige Stellenaufwuchs beim Deutschen Patent- und Markenamt. Mit über 60 zusätzlichen Stellen wird sichergestellt, dass Patente schneller erteilt werden und der Schutz gegen Missbrauch des geistigen Eigentums – elementar in einer Wissensgesellschaft – verstärkt wird. Ich glaube, das ist eine gute Nachricht für den Wirtschafts- und Innovationsstandort Deutschland.
Ebenso gut ist, dass im Rahmen des Paktes für den Rechtsstaat Stellenzuwächse beim Generalbundesanwalt zu verzeichnen sind, zum einen, um den Herausforderungen von wichtigen Verfahren besser begegnen zu können, zum anderen, um Strukturverfahren – gerade auch wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Bürgerkrieg in Syrien und im Irak – vorzubereiten, weil auch klar sein muss, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt und abgeurteilt werden müssen.
Ähnlich wichtig ist auch, dass wir den Stellenaufwuchs im Rahmen des Paktes für den Rechtsstaat beim Bund durch einen entsprechenden Aufwuchs der Stellen an den Gerichten und Staatsanwaltschaften der Länder flankieren lassen. Der Pakt für den Rechtsstaat setzt eben voraus, dass Bund und Länder diese Aufgabe gemeinsam angehen, und ich bin optimistisch, dass es uns gelingt, eine gemeinsame Haltung für unseren Rechtsstaat zu entwickeln.
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In dieser Zeit ist das Thema „Wohnen und Miete“ zu einem drängenden Thema geworden. Ja, die Menschen – gerade in den großen Städten – fragen sich, ob sie Wohnraum finden, aber auch, ob der Wohnraum, den sie haben, bezahlbar bleibt. Beide Punkte haben wir im Blick. Wir teilen die Sorge der Menschen in Bezug auf steigende Mieten und knappen Wohnraum. Deswegen brauchen wir hier kluge Lösungen. Es ist richtig, dass wir die Mieter bei Modernisierungen schützen, indem wir die Modernisierungsumlage von 11 auf 8 Prozent herabsetzen. Das bedeutet, dass dadurch Mieter vor einer zu starken Mieterhöhung im Rahmen von Modernisierungen geschützt werden; denn oftmals ist es der Fall, dass man nach Auszug aus seiner Wohnung gerade nicht mehr in seinem angestammten Kiez oder in seiner Umgebung eine neue Wohnung findet.
Wir wollen im Rahmen der Mietpreisbremse ein wirklich drängendes Problem angehen, nämlich die Frage: Wie valide sind denn die Mietpreisspiegel? Das ist doch das entscheidende Problem. Es gab bereits viele Entscheidungen von Amtsgerichten, die Klagen gegen die Mietpreisbremse deswegen verworfen haben, weil der Mietspiegel eben nicht valide genug war. Deswegen wollen wir im Bereich der Mietspiegel nachbessern.
Meine Damen und Herren, wir brauchen aber auch einen deutlichen Fahrplan und eine Prioritätensetzung für die rechtspolitische Agenda der nächsten Wochen und Monate.
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Im Vordergrund steht die Frage, wie wir das Recht der Abmahnungen neu regeln können. Wir haben nicht vergessen, dass wir vor vier oder sechs Wochen wegen Abmahnungen im Rahmen der Datenschutz-Grundverordnung besorgt waren. Diese Sorge ist uns nach wie vor geblieben.
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Wir wollen, dass hier schnell gehandelt wird.
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Wir wollen auch über mehr Verbraucherschutz sprechen und darüber, wie wir Streuschäden für Verbraucher besser geltend machen können. Wir müssen darüber sprechen, wie wir das Wohneigentumsrecht deutlicher und stärker regeln.
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Wir brauchen auf alle Fälle keine Agenda, Frau Kollegin Bayram, die grundsätzliche Haltungen unseres Rechtsstaats infrage stellt, nämlich Legalisierung von Cannabis oder Legalisierung von Schwarzfahren. Wir sagen ganz klar: Was strafbar ist, muss auch strafbar bleiben.
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Sie haben im Übrigen auch unrecht in Bezug auf das Opferentschädigungsgesetz. Ja, der Anschlag auf dem Breitscheidplatz hat uns erschüttert. Aber bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir im Augenblick dabei sind, das Opferentschädigungsgesetz zu novellieren, weil wir aus den Umständen des Anschlags gelernt haben und wir zukünftig Opfer besser betreuen wollen und werden.
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Meine Damen und Herren, abschließend ist es mir wichtig, zu sagen, dass ich allen Kollegen dankbar bin – darüber bin ich auch froh –, die heute darauf hingewiesen haben, dass der Rechtsstaat auch durch diejenigen gefährdet ist, die ihn schlechtreden, die für populistische Propaganda und aus taktischen Gründen die Geltung des Rechts in Deutschland in Abrede stellen und damit Misstrauen säen. Klar ist: Wer Misstrauen gegen den Rechtsstaat sät, der meint am Ende ein Misstrauen gegen ein freiheitlich-demokratisches Gemeinwesen. Das können und werden wir nicht zulassen.
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Es ist auch nicht richtig, dass es hier Rechtsbrüche gab. Der EuGH hat beispielsweise im Fall Jafari deutlich zum Ausdruck gebracht, dass das Selbsteintrittsrecht Deutschlands im Rahmen der Dublin-Verordnung gültig und damit rechtssicher war.
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Wenn wir über Europa reden, meine Damen und Herren, dann muss uns auch die Sorge umtreiben, was in Europa passiert. Dann muss uns die Sorge umtreiben, dass beispielsweise in Polen das Verfassungsgericht und der Oberste Gerichtshof entmachtet werden,
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dass in Rumänien eine Strafrechtsreform verabschiedet worden ist,
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die darauf abzielt, elementare Grundsätze des Strafverfahrens zu missachten.
Nein, meine Damen und Herren, es geht bei dieser Debatte um eine ganz wichtige Haltung, nämlich dass der Rechtsstaat zu einer funktionierenden Demokratie dazugehört und dass wir für einen wehrhaften und aktiven Rechtsstaat stehen.
Vielen Dank.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Deshalb schließe ich jetzt die Aussprache.
Wir haben jetzt zahlreiche Entscheidungen zu treffen und Abstimmungen durchzuführen. Dafür erbitte ich Ihre Aufmerksamkeit.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Einzelplan 07 – Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz – in der Ausschussfassung. Wer stimmt für diesen Einzelplan? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP gegen die übrigen Fraktionen ist damit der Einzelplan 07 angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 19 – Bundesverfassungsgericht – in der Ausschussfassung. Wer stimmt für diesen Einzelplan? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Da freut sich das Bundesverfassungsgericht.
Werter Herr Präsident! Werte Kollegen! Werte Besucher des Bundestages und Zuschauer am TV! Sie können das größte Schauspiel für die Bürger unseres Landes aufführen, das man sich vorstellen kann.
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Sie können dafür die besten Dramaturgen buchen, die Sie für Geld bekommen können, und Sie können das Ganze von Werbestrategen, die sich die besten Werbekampagnen ausdenken, auf allen Kanälen und in allen Medien verbreiten lassen. Damit können Sie dann den Bürgern weismachen, Sie würden alles tun, um die Flüchtlingsströme in unserem Land in den Griff zu bekommen.
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Sie können so tun, als würde daran Ihre Regierungskoalition fast zerbrechen, und uns alle zu Statisten dieser dramaturgischen Posse machen, die bis zum Äußersten gesteigert wird. Aber eines können Sie nicht: Sie können den Bürgern nicht Reichtümer in die Geldbörse lügen, die diese offensichtlich nicht finden, wenn sie diese aufmachen; denn da herrscht gähnende Leere.
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Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU, CSU und SPD, die Sie der aktuellen Regierungskoalition angehören, und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP und den Grünen, die Sie den vergangenen Regierungskoalitionen seit Einführung von Hartz IV angehörten, Sie alle haben zu verantworten, dass Millionen Bürger unseres Landes durch das Hartz-IV-System zu arbeitenden Armen gemacht wurden.
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Mit denen können Sie sich einmal über das Nichts in ihrer Geldbörse unterhalten. Da können Sie noch so oft verbreiten lassen, dass es unserem Land wirtschaftlich so gut geht und Sie zum wiederholten Mal einen Haushalt mit einer schwarzen Null vorlegen. Aber wir haben ja natürlich nahezu Vollbeschäftigung. Millionen Einkommensschwache, ob Arbeitslose, Niedriglohnempfänger, Langzeitarbeitslose, machen ihre Geldbörse auf, und dann ist da nicht nur nichts drin, sondern sie haben auch keine Perspektive mehr in diesem Land. Um die müssen wir uns kümmern, und zwar bevor wir Bedürftige aus aller Welt zu uns einladen und ihnen die Steuermittel zuteilwerden lassen, mit denen wir alles Mögliche tun könnten, um die Situation unserer eigenen einkommensschwachen Bürger zu verbessern.
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Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren den Regelsatz für Hartz-IV-Empfänger auch noch systematisch nach unten gerechnet. Die Grundlage für die Hartz-IV-Sätze stimmt nicht mehr. Man hat sie 2011 zum Nachteil der Leistungsbezieher geändert. Der Hartz-IV-Regelsatz liegt heute bei 416 Euro, müsste aber bei 571 Euro liegen, wenn er genauso berechnet würde, wie es eigentlich schon 2011 angedacht war. So spart man 25 Milliarden Euro pro Jahr auf den Schultern der Einkommensschwächsten. Die, die sowieso schon nichts haben, helfen auch noch unfreiwillig mit, dass sich die Regierung mit einer schwarzen Null im Haushalt brüsten kann.
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Die Regierung weiß natürlich, warum sie die Hartz-IV-Sätze nicht anhebt. Das hat etwas mit der Einkommensteuer zu tun, weil sich deren Grundfreibetrag am Hartz-IV-Satz orientiert. Überhöht man den Hartz-IV-Satz, steigt der Einkommensteuerfreibetrag für niedrige Einkommen. Das kann es doch nicht sein. Da sitzen zwei Parteien, die beide das Wort „sozial“ in ihrem Namen tragen, seit einer gefühlten Ewigkeit in der Regierung, und der Lebensstandard derjenigen, die am wenigsten haben, hat in dieser Zeit eine Entwicklung nach unten gemacht, die in der Nachkriegsgeschichte einmalig ist. Das, was Sie aus einem einst blühenden Wirtschaftswunderland gemacht haben, ist hinsichtlich der sozialen Verantwortung und der Solidarität mit Einkommensschwachen eine reine Mogelpackung.
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Wie das Statistische Bundesamt im November 2017 mitteilte, waren in Deutschland im Jahr 2016 20 Millionen Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. Das ist ein Viertel der Bevölkerung.
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– Nein, ich lasse Zwischenfragen nicht zu. – Die Regierungsparteien der letzten Jahre, allen voran die SPD, haben aber nicht nur die soziale Verantwortung gegenüber den Bürgern ihres eigenen Landes aus den Augen verloren und sie beispielsweise bei den Hartz-IV-Leistungen über den Tisch gezogen, sondern sie haben auch dafür gesorgt, dass die Kluft zwischen Reich und Arm in Deutschland heute wieder so groß ist wie vor hundert Jahren.
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Neben dem wachsenden Niedriglohnsektor und der verfehlten Steuerpolitik ist die Privatisierung von Staatsvermögen eine der Ursachen. Wir alle erinnern uns an die Privatisierung der netzgebundenen Infrastruktur: Energieversorgung, Telekom, Post und Bahn. Dann kam die Privatisierung der lokalen sozialen Infrastruktur: Immobilien, Wohnungsbau, Gesundheit, Bildung usw. Das alles ging einher mit massivem Beschäftigungsabbau und Lohndumping bei den verbliebenen Arbeitnehmern. Darum müssen wir etwas ändern. Es genügt nicht, Mittel hin- und herzuschieben und die Sozialausgaben jedes Jahr zu erhöhen.
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Der Etat für Arbeit und Soziales ist mit 140 Milliarden Euro der mit Abstand größte Einzeletat im Bundeshaushalt. Wir brauchen kein Weiter-so. Wir brauchen grundlegende Reformen, die unser Land zukunftsfähig machen,
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und die erkenne ich in dem vorgelegten Sozialhaushalt nicht.
Wir brauchen eine Arbeits- und Sozialpolitik, die sich zuerst um unsere eigenen Bürger kümmert, den Niedriglohnsektor herunterfährt und den Leuten wieder ein auskömmliches Leben ermöglicht.
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Dass diese notwendigen Veränderungen ausgerechnet von denen kommen, die dieses Land in die heutige prekäre Lage gebracht haben, kann man nicht erwarten.
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Und es ist ja auch alles gut, nicht wahr? Der „Dieselmotorhaushalt“ hat das auf dem Papier präsentierte Gesamtergebnis nur dank einer ausgefeilten Täuschungstechnik erreicht, und an dieser Vorgehensweise wollen Sie weiterhin festhalten. Wir nicht! Daher lehnen wir den Einzelplan 11 ab.
Vielen Dank.
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Der Abgeordnete Sven Lehmann von Bündnis 90/Die Grünen erhält die Gelegenheit zu einer Kurzintervention.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Das Plenum hat sich ja mittlerweile daran gewöhnt, dass von der AfD meistens keine eigenen Vorschläge kommen. Das ist auch in dieser Debatte wieder sehr deutlich geworden.
Trotzdem würde ich Sie gerne auf einen kleinen Widerspruch hinweisen. Sie haben jetzt einen Sound angeschlagen, dass im Hartz-IV-System Probleme vorhanden sind. Vielleicht nicht Sie, aber zumindest ein Mitglied Ihrer Fraktion hat in einer anderen Debatte sinngemäß gesagt, das Problem von Kindern, die in Hartz IV lebten, sei nicht das System, sondern seien die Eltern. – Erster Punkt.
Zweiter Punkt. Sie haben letzte Woche im Plenum einen Antrag unter anderem der Grünen und der Linken abgelehnt, die Hinzuverdienstmöglichkeiten bei Hartz IV zu verbessern, die Sanktionen zu überwinden und die Jobcenter mit besserer Qualität und besseren Finanzmitteln auszustatten. Dass Sie sich heute hierhinstellen und sagen: „Das Hartz-IV-System ist gescheitert und produziert Armut“, zeigt eigentlich nur, wie widersinnig, widersprüchlich und wie irrsinnig Ihre gesamte Sozialpolitik ist.
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Herr Witt zur Erwiderung.
Mein Mikro geht nicht.
Jetzt geht es. – Sie dürfen es nicht immer wieder ausmachen. Sie machen es immer wieder aus. Jetzt ist es an.
Okay. Ich bin ja noch lernfähig – im Gegensatz zu anderen Kollegen.
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Schauen Sie doch einfach mal in unser Bundesparteiprogramm. Da haben wir die Option, dass man zusätzlich zu Hartz IV erwerbstätig sein kann, ohne dass die Sozialleistungen komplett aufgezehrt werden. Dementsprechend wird einer unserer Anträge nach der Sommerpause sein. Das heißt aber nicht, dass wir unzulängliche Anträge wie den Ihrigen annehmen.
Vielen Dank.
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Als Nächstes rufe ich den Bundesminister Hubertus Heil auf.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viele Menschen sind zu Recht stolz auf unser Land. Wir leben seit 70 Jahren in einer geglückten Demokratie und seit 70 Jahren auch in einer sozialen Marktwirtschaft, seit fast 30 Jahren im vereinten Deutschland.
Wir haben viel erreicht. Die Menschen haben das hart erarbeitet, was heute die Lage in diesem Land ist – die tatsächliche Lage. Ich meine zum Beispiel die Lage am Arbeitsmarkt mit über 32 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland. Das ist die zweitniedrigste Erwerbslosenquote in der Europäischen Union. Deshalb angesichts des Zerrbildes von dieser Gesellschaft, das mein Vorredner gezeichnet hat, ein deutlicher Satz: Ja, es gibt viele Menschen in diesem Land, denen es nicht gut geht. Aber dem Land geht es insgesamt gut, und darauf kann Deutschland zu Recht stolz sein.
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Ich will Ihnen angesichts der Art, wie Sie auf der rechten Seite sich hier im Plenum manchmal benehmen, noch etwas sagen. Wissen Sie, was der Unterschied zwischen Ihnen und dem Rest dieses Hauses hier ist – neben vielem? Sie sind Nationalisten – wir sind Patrioten.
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Nationalismus ist der Hass auf die anderen, und Patriotismus ist die Liebe zu den Seinen. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns, so wie Johannes Rau es beschrieben hat.
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So unflätig, wie Sie sich hier benehmen, kann ich nur sagen: Bei Ihnen bekommt der Begriff „Primat der Politik“ manchmal eine ganz neue Bedeutung.
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Aber zurück zur Sache, meine sehr geehrten Damen und Herren. So gut die Lage heute ist, Tatsache ist auch, dass viele Menschen sich fragen, wie es weitergeht, durchaus auch mit Sorge, zum Beispiel in der Frage: „Wie geht es weiter mit der Arbeit in Deutschland, wenn die künstliche Intelligenz und die Roboter in die Fabriken und Büros einziehen?“ oder der Frage: „Werde auch ich zukünftig eine sichere Rente haben nach einem Leben voller Arbeit?“ und vor allen Dingen der Frage, wie wir in Zeiten rasanter Veränderung diese Gesellschaft zusammenhalten. Die Antworten, die wir geben müssen – das ist unsere Verantwortung als Demokraten in diesem Haus, in diesem Land –, müssen konkret sein. Deshalb will ich konkret sagen, was diese Bundesregierung im Bereich der Zukunft der Arbeit vor sich hat.
Erstens. Wir wollen und wir werden dafür sorgen, dass in diesem Land in dieser schwierigen Zeit, bei der guten Lage, in der wir wirtschaftlich bei uns sind, auch die Menschen, die lange keine Chance mehr auf sozialversicherungspflichtige Arbeit hatten, weil sie in Langzeitarbeitslosigkeit stecken, jetzt mit dem sozialen Arbeitsmarkt eine Chance auf sozialversicherungspflichtige Arbeit bekommen. Denn Arbeit ist mehr als Broterwerb; es ist Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, und darum kümmert sich diese Bundesregierung.
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Wir werden aber auch die Weichen dafür stellen, gemeinsam mit den Sozialpartnern, dass wir jetzt in Qualifizierung investieren, um in Zeiten des digitalen und technischen Wandels dafür zu sorgen, dass Menschen beschäftigungsfähig bleiben, dass sie den Anschluss nicht verlieren. Ja, es ist so: Dieser Gesellschaft wird in den nächsten zehn Jahren die Arbeit nicht ausgehen. Aber die anstrengende Nachricht ist: Es wird in vielerlei Hinsicht andere Arbeit sein. Es ist dafür zu sorgen, dass Menschen und Arbeit zusammenpassen, dass jetzt in Qualifizierung, in Weiterbildung investiert wird. Genau das habe ich mit der Qualifizierungsinitiative vorgestellt. Es ist nötig, dafür zu sorgen, dass beispielsweise auch aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit Beschäftigungsfähigkeit und Qualifizierung in den Betrieben unterstützt werden, und das ist der richtige Weg, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Es geht bei der Zukunft der Arbeit auch um die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben. Wir wollen, dass die Arbeit zum Leben passt, und das ist ein Grund dafür, ein wesentlicher Grund, dass wir die Brückenteilzeit eingeführt haben, die zum 1. Januar in Kraft treten wird.
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Es geht aber, wenn es um Arbeit geht, auch um die Frage, ob sich Arbeit lohnt, ob man genug in der Tasche hat. Deshalb war es nicht nur richtig, den Mindestlohn einzuführen und dafür zu sorgen, dass er jetzt wieder steigen kann, weil die gute wirtschaftliche Entwicklung da ist; vielmehr müssen wir gerade mit Blick auf Geringverdiener auch dafür sorgen, dass Menschen am Ende des Tages nicht nur den Mindestlohn haben, sondern auch, wo immer es geht, entlastet werden, beispielsweise bei den Sozialversicherungsbeiträgen, ohne dass sie ihren sozialen Schutz verlieren. Deshalb werde ich dafür sorgen, dass die Grenze, bei der die Sozialversicherungsbeiträge voll wirksam werden, die im Moment bei 850 Euro liegt, erhöht wird, wie es im Koalitionsvertrag vereinbart ist, auf 1 300 Euro, ohne dass die Menschen schlechtere Anwartschaften in der Rente haben. Das ist konkrete Politik zur Entlastung unterer Einkommen.
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Zweitens. Zum Thema Rente, meine sehr geehrten Damen und Herren, werden wir in diesem Sommer Vorschläge für einen Rentenpakt für Deutschland machen. Worum geht es? Es geht in Zeiten der älter werdenden Gesellschaft darum, ein Kernversprechen unseres Sozialstaats zu erneuern, nämlich dafür zu sorgen, dass Menschen nach einem Leben voller Arbeit sich darauf verlassen können, dass sie eine ordentliche Altersversorgung haben. Das heißt konkret, dass wir jetzt die Weichen stellen werden für eine Sicherung des Rentenniveaus in Deutschland und für stabile Beiträge, für Leistungsverbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente, damit diejenigen, die nicht mehr arbeiten können, nicht die Gekniffenen sind. Mit Blick auf die Lebensleistung von erziehenden Müttern und Vätern werden wir Verbesserungen beim Thema Mütterrente erreichen. Das wird Teil dieses Rentenpakts sein, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Wir müssen aber auch die dritte Frage beantworten, neben der nach der Zukunft der Arbeit und der Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, nämlich die Frage, wie wir unser Land, unsere Gesellschaft insgesamt zusammenhalten in Zeiten rasanten Wandels. Darauf will ich eingehen, weil in diesem Haus über die Frage des Zusammenhalts heftiger diskutiert wird. Es ist nur eine Überschrift, die man füllen muss. Wie macht man das eigentlich mit dem Zusammenhalt einer Gesellschaft in Zeiten von Veränderung? Ich glaube, dass drei Dinge notwendig sind, die wir konkret liefern müssen:
Das Erste ist, dafür zu sorgen, dass es eine gerechtere Teilhabe an den Möglichkeiten, den Chancen und dem Wohlstand in dieser Gesellschaft gibt. Und wie macht man das? Natürlich als Gesetzgeber. Aber ganz konkret, wenn es um die Löhne in Deutschland geht, müssen wir doch eines festhalten: Der Mindestlohn, den wir eingeführt haben, der richtig ist, kann immer nur eine absolute Lohnuntergrenze sein.
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Was wir brauchen, ist darüber hinaus eine stärkere Tarifbindung in diesem Land. Die meisten Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern stehen nicht in Gesetzbüchern, sondern sind in der sozialen Marktwirtschaft auf Augenhöhe ausgehandelt zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften.
Wenn in Zeiten wie diesen weniger als 50 Prozent der Unternehmen in Deutschland tarifgebunden sind, dann kann es nicht zu auskömmlichen Löhnen kommen. Deshalb ist meine Aufgabe, gemeinsam mit Ihnen dafür zu sorgen, dass wir die Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften in diesem Land stärken.
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Es ist übrigens nicht nur eine Frage von fairen Löhnen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie wir die Zukunft unserer Arbeitsgesellschaft bei immer stärker sinkender Tarifbindung wirklich gestalten wollen.
Auch beim Thema Weiterbildung ist es da, wo es Tarifverträge gibt – zum Beispiel im Bereich der Metallindustrie, aber auch der chemischen Industrie oder der Eisenbahn mit einer hohen Tarifbindung –, möglich, Tarifverträge zu machen, die die Themen Qualifizierung und Weiterbildung angehen. Aber da, wo es keine Tarifverträge gibt, gibt es niedrige Löhne und diese Möglichkeiten des Interessenausgleichs zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften nicht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen weiterdenken, um dafür zu sorgen, dass nach 70 Jahren sozialer Marktwirtschaft ein zentraler Pfeiler der sozialen Marktwirtschaft, nämlich die Sozialpartnerschaft und damit auch die Tarifbindung, in dieser Gesellschaft wieder stärker wird.
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Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Von wem denn?
Von den Grünen.
Gerne. Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich kann Sie voll und ganz in Ihrer Aussage unterstützen, dass der Mindestlohn bei uns eine Untergrenze ist und dass es enorm wichtig ist, dass die Tarifbindung gestärkt wird.
Als der Koalitionsvertrag vorgelegen hat, habe ich damals genau reingeguckt und geschaut, was diese Bundesregierung machen wird, um die Tarifbindung konkret zu stärken. Ich habe dazu leider nichts gefunden und frage ganz konkret, warum Sie sich beispielsweise nicht vornehmen, die Allgemeinverbindlichkeitserklärung zu erleichtern.
Wir merken heute, dass das damalige Tarifautonomiestärkungsgesetz in diesem Bereich nichts gebracht hat. Das heißt, wir brauchen hier Erleichterungen. Es geht beispielsweise darum, dass es immer noch ein Veto im Tarifausschuss geben kann. Durch das Erleichtern der Allgemeinverbindlichkeitserklärung könnte die Politik tatsächlich etwas bewegen und damit das Tarifsystem konkret und ganz praktisch von unten stützen. Warum werden Sie da nicht tätig?
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Frau Kollegin, ich möchte Ihnen an einem ganz konkreten Beispiel zeigen, wie ich in diesem Bereich gedenke voranzukommen, nämlich am Beispiel der Altenpflege. Ich habe in dieser Woche gemeinsam mit meinen Kollegen Jens Spahn und Franziska Giffey die Konzertierte Aktion Pflege vorgestellt – nicht um zu beweisen, dass diese Koalition handlungsfähig ist, sondern weil wir schon länger vorhatten, die Situation in der Pflege zu verbessern.
Wir alle wissen: Wir haben mittlerweile auch deshalb einen Fachkräftemangel in der Altenpflege, weil die Bezahlung zu schlecht ist. Rund 80 Prozent der Beschäftigten in der Altenpflege – es sind vor allem Frauen – sind nicht tarifgebunden; das ist der Grund für die schlechte Bezahlung in der Altenpflege.
Was machen jetzt wir in der Konzertierten Aktion Pflege? Artikel 9 Grundgesetz ermöglicht die Koalitionsfreiheit in diesem Land zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Daneben gibt es auch eine negative Koalitionsfreiheit.
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– Doch, das ist die Antwort. – Ich werde versuchen, mit dem Kollegen Spahn und der Kollegin Giffey zusammen dafür zu sorgen – wir haben in diesem Bereich kaum Arbeitgeberverbandstrukturen und zu niedrige gewerkschaftliche Organisationsgrade –, dass es im Bereich der Altenpflege zumindest mal einen Tarifvertrag gibt, der so repräsentativ ist, dass wir ihn mit geltendem Recht für allgemeinverbindlich erklären können. Erst wenn das nicht gelungen ist, bin ich bereit, darüber nachzudenken, was wir gesetzgeberisch machen müssen.
Diese Aussage, zu der Sie mich jetzt provoziert haben, gibt mir übrigens die Chance, denjenigen, die sich auf der Arbeitgeberseite immer noch weigern, diesen Weg mitzugehen,
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zu signalisieren: Macht euch selbst auf den Weg, sonst kommt der Gesetzgeber. Das ist der richtige Weg, den wir in der Koalition miteinander besprochen haben.
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Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, ich war dabei, über das Thema „Zusammenhalt der Gesellschaft“ zu sprechen. Das Thema Tarifbindung – die Fragen gerechter Löhne und gerechter Teilhabe am Haben und Sagen dieser Gesellschaft – ist ein Teil des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Der zweite Teil ist, dass man sich auf den Staat verlassen kann, wenn es darauf ankommt. Das gilt auch für den sozialen Rechtsstaat in diesem Land.
Zum Thema Rente will ich noch einen Satz sagen, der mir wichtig ist angesichts der öffentlichen Berichterstattung im Vorfeld der Vorstellung unseres Rentenpakts der Koalition. Ich lese da von Geschenken an Rentnerinnen und Rentner. Erstens ist das, was wir vorschlagen, nicht in erster Linie auf die Rentnerinnen und Rentner von heute gemünzt, sondern es gibt Sicherheit für die Beschäftigten von heute, die die Rentnerinnen und Rentner von morgen sind.
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Zweitens ist die Rente kein Geschenk, sondern ein Recht nach einem Leben harter Arbeit.
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Es ist Arroganz, wenn Leute meinen, über Geschenke reden zu müssen. Diese haben zum Lebensalltag eines größeren Teils der Menschen in diesem Land offenbar keinen richtigen Bezug mehr, die sich zu Recht mit der Frage beschäftigen: Wie ist das in der älter werdenden Gesellschaft? Kriege ich auch mal eine ordentliche Rente und meine Kinder auch? Deshalb kann ich nur an die Berichterstatterinnen und Berichterstatter der Öffentlichkeit appellieren, sich ein bisschen sensibler mit der Frage zu beschäftigen, wie das bei den Menschen ankommt.
Ich sage Ihnen: Das Kernversprechen des Sozialstaates, die Rente, ist nicht einfach mit dem Satz von Norbert Blüm – „Die Rente ist sicher“ – zu machen. Aber unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dieses Sicherheitsversprechen in dieser Zeit langfristig zu erneuern, und genau dafür ist die Koalition eingetreten.
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Zum gesellschaftlichen Zusammenhalt – das bringt mich zum Ausgang meiner Rede – gehört nicht nur die Frage eines handlungsfähigen Sozialstaats und der gerechten Teilhabe am Haben und am Sagen in diesem Land. Es geht auch um die Frage, ob wir in einer älter werdenden und bunteren Gesellschaft und in Zeiten des Wandels am Ende des Tages immer noch das Gefühl haben, Teil einer Gesellschaft und nicht einer Ansammlung von Parallelgesellschaften zu sein. Das, meine Damen und Herren, heißt Respekt vor unterschiedlichen Meinungen. Das heißt Respekt auch vor Andersartigkeit in diesem Land. Das heißt Inklusion auch von Menschen mit Behinderung. Das heißt aber vor allen Dingen auch, dass wir bei aller Größe der Herausforderungen und Aufgaben dem Kulturpessimismus der organisierten Rechtsradikalen Europas eines entgegensetzen müssen: Wir haben die realistische Zuversicht, die Aufgaben, die vor uns liegen, gut zu bewältigen. Deutschlands Zukunft liegt vor uns. Deutschlands Zukunft zu sichern, ist unsere Aufgabe. Das gelingt nur mit vereinten Kräften und nicht mit kleinkariertem parteipolitischen Gezänk.
Herzlichen Dank.
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Für die Fraktion der FDP hat als Nächstes das Wort der Kollege Michael Theurer.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! In einem Punkt, sehr geehrter Herr Minister Heil, haben Sie völlig recht: Die Lage in Deutschland ist gut. Wir stehen, wenn wir Europa mit der Welt vergleichen, für nur 7 Prozent der Weltbevölkerung, aber für 25 Prozent der Wirtschaftsleistung und weltweit für 50 Prozent der Sozialausgaben. Das heißt also: Es gibt viel zu verteidigen.
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Wir haben allerdings den Eindruck, wenn wir uns die Politik der GroKo in der letzten Legislaturperiode anschauen, dass beim Rentenpaket Entscheidungen getroffen worden sind, die zulasten künftiger Generationen gehen. Nach Berechnungen des Professors Dr. Bernd Raffelhüschen aus Freiburg
({1})
beläuft sich die Belastung der Mütterrente, der Erwerbsminderungsrente und der Rente mit 63 auf 160 Milliarden Euro, die auf künftige Generationen verlagert werden.
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Diese Politik ist nicht enkelfit, sie ist nicht generationengerecht, und deshalb warnen wir davor, dass Sie diese falsche Politik jetzt fortsetzen.
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Der Chefökonom des Bundesfinanzministeriums, Ludger Schuknecht, hat Anfang des Jahres auf die Gefahren einer solchen Politik hingewiesen. Er sagt, das Erwirtschaften muss vor dem Verteilen kommen.
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Und jetzt warnt auch die Präsidentin der Rentenversicherung, Frau Roßbach, davor, dass die Pläne der Großen Koalition eben nicht aus den Beiträgen zur Rentenversicherung bezahlt werden dürfen, sondern, weil es versicherungsfremde Leistungen sind, aus dem Haushalt.
Schon heute macht der Haushalt Ihres Ministeriums 40 Prozent des Gesamthaushaltes aus. Deshalb ist es auch falsch, wenn Sie immer behaupten, der Schwerpunkt in Deutschland würde nicht auf Sozialpolitik gesetzt werden. Im Gegenteil! Und genau hierin liegen die Risiken. Die 100-Milliarden-Grenze beim Zuschuss zur Rentenversicherung wird voraussichtlich bereits im Jahr 2020 gerissen werden. Hier liegt das größte Risiko dieses Haushaltes und aller künftigen Haushalte, und dieses Risiko muss unbedingt vermieden werden.
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Ich habe den Eindruck, dass viele hier in diesem Haus nicht wissen, wovon die Renten der Zukunft eigentlich abhängig sind. Sie sind von der Beschäftigungsquote abhängig. Von der Zahl der Arbeitsplätze sind sie abhängig. Auch von den Einkommen, die hier erzielt werden können, sind sie abhängig. Diese Einkommen werden in Zukunft nur erzielt werden können, wenn wir endlich den Schwerpunkt auf eine Digitalisierungsoffensive, auf eine Bildungsoffensive, auf Investitionen in die Zukunft und nicht auf Ausgaben legen, die konsumieren. Wir müssen mehr investieren und weniger konsumieren. Das ist der Unterschied zu Ihrer Politik.
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Im Übrigen brauchen wir – so hat es Christian Lindner hier gestern gefordert – einen gesamtgesellschaftlichen Konsens, einen Grundkonsens in der Flüchtlings- und Migrationspolitik. Ich war bei den Wirtschaftsjunioren in Heidenheim. Drei Unternehmerinnen und Unternehmer sind aufgestanden und haben davon berichtet, dass Arbeitskräfte zurückgeschickt worden sind, Migranten, die sich hier integrieren wollen, die arbeiten wollen, die dringend gebraucht werden, zum Beispiel in der Gießerei. Ich sage: Es kann nicht sein, dass wir diejenigen, die hier einen Arbeitsplatz haben, die die Sprache lernen, die sich integrieren wollen, die dringend gebraucht werden, zurückschicken, aber jene nicht zur Ausreise bringen, die bei uns auf Bahnhofsvorplätzen straffällig geworden sind.
({7})
Wir brauchen ein Zuwanderungsgesetz, meine Damen und Herren.
In Zeiten, in denen die Steuereinnahmen kräftig sprudeln, ist es auch an der Zeit, die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten. Wir wollen den Soli abschaffen. Wir wollen die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung absenken.
({8})
Und nein: Diese Regierung entlastet die Bürgerinnen und Bürger nicht; denn das bisschen Entlastung bei den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung wird durch steigende Beiträge bei der Pflege wieder aufgefressen.
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Kommen Sie mir jetzt auch nicht mit der Senkung der Beiträge zur Rentenversicherung um 0,1 Prozentpunkte. Das ist ein trojanisches Pferd. Da wollen Sie durch Nebelkerzen Zustimmung erreichen zu einer Politik, die weitere Ausgaben in Milliardenhöhe erfordert.
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Herr Minister Heil, Sie haben angekündigt, einen Gesetzentwurf vor der Sommerpause vorzulegen, der weitere milliardenschwere Belastungen zulasten künftiger Generationen beinhaltet. Sie haben ihn nicht vorgelegt. Sie legen ihn vor der Sommerpause offensichtlich auch nicht mehr vor; das ist das Beste an dieser Nachricht. Vielleicht haben Sie bewusst kein Jahr genannt, wann Sie diesen Gesetzentwurf vorlegen wollen. Wir sagen: Jedes Jahr, in dem Sie diese Mehrbelastungen nicht vorlegen, jedes Jahr, wo dieser Gesetzentwurf weiter verschoben wird, ist ein gewonnenes Jahr für die zukünftigen Generationen. Wir fordern, dass die Rentenpolitik, die Sozialpolitik in diesem Land endlich wieder enkelfit, also generationengerecht, wird.
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Der nächste Redner ist der Kollege Axel Fischer, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In einem Punkt haben Sie, Herr Theurer, recht: Der vorliegende Haushaltsentwurf für den Einzelplan 11 spiegelt in der Tat die derzeit gute wirtschaftliche Lage wider.
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Er ist ein zukunftsorientiertes, ein gelungenes Werk geworden. Die ohnehin bereits ausgewogene Vorlage der Bundesregierung vom vergangenen Jahr und diesem Frühjahr konnten wir in den vergangenen Wochen weiter an die sich positiv veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Aufgrund der weiterhin brummenden Wirtschaft – das wurde schon mehrfach von Vorrednern bestätigt – konnten wir die im ersten Regierungsentwurf geplanten Ausgaben von knapp 141 Milliarden Euro auf nur noch rund 139 Milliarden Euro erheblich reduzieren. Unsere Wirtschaft wächst weiter. Dies geht auch auf die gelungene Wirtschaftspolitik der CDU-geführten Bundesregierung der letzten 13 Jahre zurück. Seit acht Jahren haben wir einen durchgehenden Aufschwung. Da haben wir doch einiges geleistet; das muss man hier auch ansprechen können, meine Damen und Herren.
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So haben wir derzeit – die Zahlen sprechen für sich – die geringste Arbeitslosigkeit und den höchsten Beschäftigungsgrad seit der Wiedervereinigung. Im Juni dieses Jahres waren mit knapp 33 Millionen Menschen sage und schreibe 770 000 Personen mehr sozialversicherungspflichtig beschäftigt als noch im Vorjahr.
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Die Zahl der Erwerbstätigen ist auf knapp 44,7 Millionen gestiegen. Gleichzeitig ist die Zahl der Hartz-IV-Bezieher um mehr als 200 000 gesunken. Unser wirtschaftlicher Fortschritt kommt also insbesondere auch bei den sozial Schwächeren an. Daher konnten wir den ohnehin bereits reduzierten Ausgabenansatz für das Arbeitslosengeld II, Hartz IV, um weitere 500 Millionen Euro absenken. Die Leistungen für Unterkunft und Heizung konnten ebenfalls um 100 Millionen Euro abgesenkt werden.
Die Einführung des Mindestlohns, der auf Vorschlag der Mindestlohnkommission weiter erhöht werden soll, hat darüber hinaus dazu geführt, dass sich die Verdienste der unteren Einkommensgruppen spürbar erhöht haben und sich gemäß den aktuellen Empfehlungen der Kommission wohl weiter erhöhen werden.
Meine Damen und Herren, so positiv die derzeitige Entwicklung auch ist, wir verschließen die Augen vor den zukünftigen Herausforderungen nicht. Zum Erhalt unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist angesichts der Entwicklung der Altersstruktur unserer Bevölkerung eine verbesserte Ausschöpfung des Arbeitspotenzials der in Deutschland lebenden Menschen sinnvoll. Deshalb haben wir damit begonnen, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, die Leistungen für die Eingliederung in Arbeit zu erhöhen. In diesem Jahr – die Hälfte des Jahres ist schon vorbei – steigen sie um 300 Millionen Euro.
Unser Ziel ist und bleibt es, auf diese Weise möglichst vielen Menschen den Weg in den ersten Arbeitsmarkt freizumachen. Ein selbstbestimmtes Leben ohne Abhängigkeit vom Amt ist unser Ziel, meine Damen und Herren.
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Dafür gehen wir jetzt neue Wege, insbesondere für den Kern von rund 150 000 schwerstvermittelbaren Langzeitarbeitslosen. Es ist klar, dass wir dabei alle an einem Strang ziehen müssen: Bund, Länder, Kommunen sowie Unternehmen und auch die Bundesagentur für Arbeit.
Wichtig ist mir, in dem Zusammenhang festzuhalten: Die Mitarbeiter bei der BA und in den Jobcentern tragen die Verantwortung für die Vergabe der Mittel. Sie haben vor Ort nämlich den Überblick über lokale wirtschaftliche Strukturen und die Fähigkeit ihrer Kunden, sodass sie Personen und Maßnahmen so am besten zusammenbringen und die vorhandenen Mittel gut angelegt sind.
Denn 150 000 Menschen zeitlich begrenzt in einem staatlich bezuschussten Arbeitsmarkt durchzufüttern und irgendwie zu beschäftigen, mag zwar die Statistik verschönern, hilft aber letztendlich niemandem. Es verhilft weder den Betroffenen zu mehr Selbstwertgefühl noch dem Steuerzahler zu mehr Netto vom Brutto. Es hilft definitiv auch denjenigen nicht, die mit einer Maßnahme hätten erfolgreich integriert werden können, für die dann aber kein Platz oder kein Geld mehr da war und die deshalb ihr Dasein unnötig lange als SGB-II-Empfänger fristen müssen.
Meine Damen und Herren, das heute vorhandene Arbeitskräftepotenzial in Deutschland wird mittel- bis langfristig aber nicht ausreichen, um die Wirtschaftskraft zu erhalten, der wir unseren Wohlstand heute verdanken. Wir brauchen schon heute Zuwanderung, weil wir in vielen Bereichen, insbesondere im Dienstleistungsbereich, nicht genügend Arbeitskräfte haben.
Ich gebe Ihnen ein aktuelles Beispiel: Bundesgesundheitsminister Spahn möchte Pflegekräfte aus Südeuropa anwerben. Deshalb ist es wichtig, die heute schon hier lebenden Zugewanderten möglichst gut und zügig in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
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– Herr Theurer hat Ähnliches ja auch schon angesprochen. – Ich begrüße daher ausdrücklich, dass wir im Bundeshaushalt für Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen und für die berufsbezogene Deutschsprachförderung nach SGB II und SGB III mehr als 530 Millionen Euro zur Verfügung stellen können. Damit ermöglichen wir mehr gesellschaftliche Teilhabe, die Heranführung an den Arbeitsmarkt sowie den Spracherwerb derer, die sich integrieren wollen. Die Integration der Menschen, die bei uns bleiben dürfen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die weiterhin nicht zulasten der Arbeitslosen und der Schwächsten in unserer Gesellschaft finanziert werden darf.
Wenn wir ein bisschen weiter in die Zukunft schauen, dann sehen wir, dass erhebliche Herausforderungen im Bereich der Ausbildung der Migrantenkinder liegen. Ein, wenn nicht sogar das wesentliche Element zur Integration, ist auch für sie das Erlernen der deutschen Sprache und die Vermittlung unserer nicht gesetzlich normierten Werte.
Ich begrüße von daher das Ziel des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, dass nur diejenigen Schüler in den Regelklassen unterrichtet werden, die unsere Sprache sprechen und unsere Werte verstehen. Die anderen werden in getrennten Klassen Sprache und Werte vermittelt bekommen. Damit werden nicht nur Chancen von Zugewanderten gefördert, sondern insgesamt auch Lehrer entlastet und das Lernen für Schüler in Regelklassen erleichtert. Das ist der richtige Ansatz, meine Damen und Herren.
Die Zuschüsse zur Rentenversicherung sowie die Mittel für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung stellen mit 100 Milliarden Euro den größten Block im Bundeshaushalt. Sie machen knapp ein Drittel der Ausgaben des Bundes aus. Mütterrente und Rente mit 63 erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit und haben in den vergangenen Jahren für milliardenschwere Mehrausgaben der beitragsfinanzierten Rentenversicherung gesorgt. Die gute wirtschaftliche Entwicklung hat dazu beigetragen, dass die Renten aktuell um über 3 Prozent steigen konnten.
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Die auch zukünftig absehbar ansteigenden Bundeszuschüsse sind derzeit solide finanziert und erscheinen aus heutiger Sicht auch in den kommenden Jahren finanzierbar. Meine Damen und Herren, das Wohl unserer Senioren liegt uns am Herzen.
Ich möchte abschließend sehr herzlich allen Kolleginnen und Kollegen, insbesondere den Mitberichterstattern, namentlich unserer Hauptberichterstatterin Ekin Deligöz, für die hervorragende Zusammenarbeit danken. Mein Dank gilt auch der Bundesregierung und dem ganzen Team im Bundesministerium für Arbeit und Soziales und in den nachgeordneten Behörden für eine ausgezeichnete Zusammenarbeit. Vielen Dank an die Mitberichterstatter und die Hauptberichterstatterin, dass wir bei der Besprechung im Arbeits- und Sozialministerium viele Dinge einstimmig beschließen konnten und deshalb bei der Bereinigungssitzung mit relativ wenigen Anträgen auskamen.
Herzlichen Dank.
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Die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch hat das Wort für die Fraktion Die Linke.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind alle im Digitalisierungsfieber, auch die Bundesregierung. Im Internet findet man in Bruchteilen von Sekunden über 13 Millionen Verweise zu „Digitalisierung“. Sucht man allerdings nach „Humanisierung der Arbeit“, findet man nur einen Bruchteil dieser Verweise. Dabei ist das Thema „Humanisierung der Arbeit“ wichtiger als je zuvor.
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Wer mit offenen Augen durch Berlin geht, begegnet immer wieder Mitarbeitern von DHL, die im Laufschritt von Hauseingang zu Hauseingang eilen, um ihre Postsendungen an Mann und Frau zu bringen. Sie stehen unter einem enormen Zeitdruck. Ihr Arbeitspensum ist so hoch, dass sie ihre Arbeit gar nicht schaffen können. Das ist frustrierend und macht krank, und das darf nicht sein, meine Damen und Herren.
({1})
„In einigen Regionen Deutschlands kam es teilweise zu wochenlangen Zustellausfällen“, heißt es im Jahresbericht 2017 der Bundesnetzagentur. Früher gehörten Postboten fast zur Familie. Sie brachten Telegramme und am Ersten des Monats die Rente bis an die Wohnungstür.
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Zu Weihnachten bekamen sie dafür kleine Geschenke. 1995 wurde die Deutsche Bundespost privatisiert. Das ist schlecht für die Postboten, schlecht für die Kunden, aber gut für die Aktionäre wie zum Beispiel den Großaktionär BlackRock, eine Superheuschrecke. Deren Aufsichtsratsvorsitzender in Deutschland ist Friedrich Merz, ehemals Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag. Manche vermissen Friedrich Merz ja im Bundestag.
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Auch ich stelle mir die Frage, ob er hier nicht weniger Unheil anrichten könnte, als im Auftrag einer Heuschrecke Gewinne zu sichern, meine Damen und Herren.
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Wer eine Festanstellung bei der Deutschen Post bekommen will, darf nicht länger als zehn Tage im Jahr krank sein. Ungesetzlich sei das nicht, was das Unternehmen macht, aber moralisch höchst verwerflich, so DGB-Chef Reiner Hoffmann. Recht hat der Mann!
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Hier, finde ich, muss die Bundesregierung eingreifen. Sie ist über die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die KfW, mit über 20 Prozent der größte Aktionär der Deutschen Post. Und was tun Sie, Herr Minister Heil, um das moralisch verwerfliche Verhalten der Deutschen Post zu ändern? Was tun Sie, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Zeiten der Digitalisierung nicht unter die Räder kommen zu lassen? Das müssen Sie doch aktiv bekämpfen, Herr Heil.
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Die SPD fordert uns häufig auf, wir sollten ihr nicht weiter die Hartz-Gesetze vorwerfen, sie hätte doch schon fast alles bereut.
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Nur, das Problem ist, meine Damen und Herren: Diese Reue kommt bei den Betroffenen nicht an; denn die Gesetze wirken weiter. Im vergangenen Jahr ist 34 000 Hartz-IV-Empfängern die Leistung vollständig gestrichen worden.
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Das heißt also: Kein Geld für Lebensmittel und kein Geld für das Dach über dem Kopf. Das ist unmenschlich, meine Damen und Herren,
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und widerspricht aus meiner Sicht dem Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
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Ein Sprecher der SPD hat nun gesagt, dass niemand aufgrund einer Sanktion wohnungslos werden dürfe; aber die Union lehne die Änderungen ab, und man könne sich da leider nicht durchsetzen. Ich frage Sie: Was wollen Sie sich eigentlich noch alles bieten lassen von der Union?
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Ich weiß, dass es hier vielen auf die Nerven geht, wenn wir als Linke immer wieder die Sanktionen anprangern. Aber ich verspreche Ihnen im Namen meiner Fraktion: Wir bleiben so lange an dem Thema dran, bis die Sanktionen endgültig abgeschafft sind.
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Wir werden auch so lange gleichen Lohn für gleiche Arbeit fordern – der ja von der ehemaligen Arbeitsministerin und jetzigen Fraktionsvorsitzenden der SPD, Andrea Nahles, versprochen wurde –, bis kein einziger Leiharbeiter schlechter bezahlt wird als seine Kollegen.
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Und wir werden auch so lange eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes fordern, bis der Mindestlohn so hoch ist, dass die Menschen davon anständig leben können und auch im Alter eine ausreichende Rente haben und nicht in Papierkörben nach Flaschen suchen müssen.
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Meine Damen und Herren, wir als Linke sagen, wir wollen in einem sozialen Land leben. Was wir im Augenblick erleben, ist eine tiefe Spaltung der Gesellschaft. Das können wir nicht länger hinnehmen. Wir werden das immer bekämpfen. Darauf können Sie sich verlassen.
Vielen Dank.
({15})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin Ekin Deligöz.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, wir hatten tatsächlich eine lange, intensive Beratung zu diesem Einzelplan. Es ist nicht umsonst der größte Einzelplan. Ich danke an dieser Stelle allen Mitberichterstattern und Mitberichterstatterinnen für den sehr kollegialen, fundierten Austausch. An der Debatte sehen Sie ja schon: An vielen Punkten waren wir uns zwar einig, aber es gibt natürlich auch wesentliche Meinungsunterschiede, und das ist auch gut so im politischen Wettbewerb. Ein paar davon will ich hier mal beleuchten.
Das Erste, worüber wir geredet haben, ist die Finanzierung der Jobcenter. Da haben wir tatsächlich ein strukturelles Problem. Die Jobcenter sind unterfinanziert. Seit Jahren gibt es immer wieder eine Umschichtung vom Eingliederungstitel in den Verwaltungstitel.
({0})
Das geht auch zulasten der Menschen, die eigentlich am stärksten Unterstützung brauchen. Gerade weil das so ist, haben wir hierzu einen Antrag eingebracht; denn wir können diese strukturellen Defizite nicht mehr gutheißen. Die hilflose Schutzbehauptung, das sei ja alles irgendwie ein globales Eingliederungsbudget – sorry, Herr Minister –, reicht nicht mehr; das funktioniert nicht mehr.
({1})
Deshalb ist es ja ein Strukturproblem.
An dieser Stelle will ich sagen, dass es hier zwei Änderungsanträge gab: von der FDP und dann – hinterher nachgeschoben – von der AfD. Das ist deshalb bemerkenswert, weil wir sehr intensiv über die Unterfinanzierung geredet haben, aber beide Fraktionen beantragt haben, die Mittel nochmals zu kürzen, um bis zu eine halbe Milliarde Euro. Wenn Sie – in Ihrem Sprech – so nah bei den kleinen Leuten sind, muss ich Ihnen sagen: Jobcenter unterstützen genau diese Menschen, die zwölf Monate und länger arbeitslos sind. Für sie ist es eine Chance auf Teilhabe und Integration in den Arbeitsmarkt. Und genau da wollen Sie kürzen? Merken Sie denn eigentlich, was Sie da fordern und zu wessen Lasten das Ganze geht?
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Wie stellen Sie sich da eine Sozialgesellschaft vor?
Sie haben zur Vorbereitung des sozialen Arbeitsmarkts 300 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt. Das finde ich gut; das finden wir gut. Wir werden sehen, was am Ende dabei rauskommt; wir gucken Ihnen da sehr genau auf die Finger. Aber an einer Stelle, Herr Minister, muss ich Sie korrigieren. Sie sprechen wiederholt davon, 4 Milliarden Euro in den sozialen Arbeitsmarkt zu investieren. Jetzt habe ich gerechnet und gerechnet. Sie sprechen von 4 Milliarden Euro in dieser Wahlperiode, und ich stelle fest: Das ist schlichtweg falsch; das stimmt so nicht. Bis einschließlich 2021 – und wir gehen jetzt mal davon aus, dass die Wahlperiode so lange dauert – sind es 3,2 Milliarden Euro. Dann fehlen 800 Millionen Euro. Mein Vorschlag: Wir nehmen das Geld und investieren es in den Verwaltungsetat, investieren damit in die Teilhabestrukturen und schaffen so in Deutschland mehr Gerechtigkeit. Warum machen Sie das nicht? Das wäre doch mal eine gute Idee; das geht auch.
({3})
Und nicht zu vergessen: Sie sind auch das Ministerium der materiellen Versorgung. Da ist es richtig und wichtig, dass wir uns auch bei der Beratung dieses Haushalts über das Bildungs- und Teilhabepaket unterhalten. Wir Grünen haben eine sehr gute Vorlage dazu gemacht. Sie sind noch auf der Suche, wir haben die Lösung schon gefunden. Schreiben Sie es ab! Wir haben als Grüne überhaupt nichts dagegen, wenn Sie gute Ideen übernehmen. Wir sind sehr gern dazu bereit, Sie dazu zu beraten.
({4})
Zum Thema Regelsatz. Die Debatte über den Regelsatz findet ja überhaupt nicht mehr statt. Wir können ihn nicht schönrechnen oder irgendwie passendrechnen. Hier geht es darum, ob Menschen in dieser Gesellschaft tatsächlich dazugehören, ob sie sich ein Mindestmaß auch an kultureller Teilhabe leisten können, ob ein Kind ins Schwimmbad gehen kann, ob es überhaupt noch so etwas wie soziale Teilhabe geben kann. Deshalb: Reden Sie es nicht schön, rechnen Sie es auch nicht schön, sondern tun Sie was! Wir haben übrigens einen Antrag dazu eingereicht, und siehe da: Die AfD hat dagegengestimmt. Heute redet sie anders. Auch da! Das passt überhaupt nicht zusammen.
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Sie können nicht etwas fordern und an anderer Stelle einfach dagegenstimmen. Sie denken ja noch nicht mal darüber nach, wie man das ändern könnte.
Letzter Punkt: Rente. Es soll eine Rentenkommission eingesetzt werden. Am Anfang dachte ich, das geht nach dem Prinzip: Wenn du nicht mehr weiterweißt, gründe einen Arbeitskreis. Ich muss gestehen: Inzwischen bin ich froh über die Kommission; denn von der Kommission erwarte ich Ergebnisse, von der Koalition, ehrlich gesagt, nicht mehr.
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Da wird noch was kommen.
Warum erwarte ich von Ihnen keine Ergebnisse? Ich habe immer noch den Begriff „solidarische Lebensleistungsrente“ im Hinterkopf. Was ist eigentlich daraus geworden? Sie wollen ja irgendwann mal irgendwas entwickeln. Ich kann nur sagen: Wir haben schon entwickelt. Markus Kurth ist da der Experte bei uns. Er hat sehr gute Ideen. Schreiben Sie es ab. Wir haben nichts dagegen, wunderbar.
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Zur Mütterrente II. Auch da habe ich immer noch unser Gespräch im Kopf. Die Rentenversicherungsanstalt sagt: Was Sie da vorhaben, ist ein bürokratisches Monster. Das wird uns alle lahmlegen in der Verwaltung. – Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Nur eins: 11 Milliarden Euro soll das Ganze zusammen mit der Mütterrente kosten, und Sie haben keine Ahnung, wie Sie das finanzieren sollen, außer dass womöglich die Rentenkasse wieder dafür aufkommen muss. Gerecht und solidarisch mit den Erziehenden ist das definitiv nicht.
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Jetzt an morgen denken, das ist der Auftrag dieses Hauses. Denken Sie an morgen, und denken Sie daran, dass wir Spielräume brauchen, auch dann, wenn Sie über eine moderate Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags nachdenken. Grundsätzlich kann man darüber reden, aber wir brauchen auch Spielräume. In diesem Sinne: Jetzt an morgen denken. Das ist die Hausaufgabe, Herr Minister.
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Vielen Dank. – Nächste Rednerin: die Kollegin Kerstin Tack, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gute und sichere Arbeitsplätze, soziale Teilhabe am Arbeitsleben, eine gute Ausgestaltung der digitalisierten Arbeitswelt und allen voran soziale Sicherheit, das sind die Kernthemen und das Motto der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Koalition. Deshalb haben wir einige sehr zentrale Vorhaben, die wir in diesem und im nächsten Jahr erst einmal in die Pipeline bringen. Ein paar davon will ich vorstellen.
Planbarkeit im Leben ist gerade für die junge Generation zentral und relevant. Deshalb ist für uns die Befristung der Arbeitsverträge endlich deutlich zu reduzieren, und auch die sachgrundlose Befristung ist zu reduzieren.
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Gepaart mit der Mindestausbildungsvergütung für die junge Generation ist das zentral, wichtig und relevant. Deshalb freuen wir uns, dass wir mit dieser Maßnahme Planbarkeit in eine interessante Lebenssituation bringen.
Wir werden mit dem sozialen Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose eine echte Perspektive hin zum allgemeinen Arbeitsmarkt organisieren.
Und wir befassen uns mit der Erwerbsbeteiligung von Frauen. 1,8 Millionen Frauen, die heute in Teilzeit arbeiten und kaum Chancen haben, ihre Arbeitszeit wieder zu erhöhen, werden mit unserem Gesetz zur Brückenteilzeit in die Lage versetzt werden, endlich die Arbeitszeit anstreben zu können, die sie selber haben möchten.
({1})
Es ist richtig, Frauen endlich aus der Teilzeitfalle herauszuholen und ihnen Möglichkeiten zu bieten, für einen befristeten Zeitraum in Teilzeit und dann wieder hoch in Vollzeit zu gehen. Die Arbeitszeit muss der Lebenssituation entsprechen. Das ist für uns Auftrag genug, die entsprechenden Maßnahmen gesetzlich zu normieren. Wir freuen uns, dass wir das endlich in die Wege leiten können.
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– Auch für Männer, natürlich.
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Aber wir wissen: Die Hauptzielgruppe sind die Frauen; denn die sind diejenigen, die in der Teilzeitfalle sitzen.
Zum Rentenpaket. Frau Kollegin Deligöz, da brauchen wir nicht auf Markus Kurth – den geschätzten Kollegen Markus Kurth – zuzukommen.
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Wir haben Ralf Kapschack, der kann das genauso gut.
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Deshalb können wir Ihre gutgemeinten Ratschläge gerne zur Kenntnis nehmen, haben aber eine eigene Kompetenz in der Sache, mit der wir gut arbeiten können.
Uns geht es beim Rentenpaket auch um Generationengerechtigkeit. Es geht nicht um Geschenke für Rentnerinnen und Rentner. Ich halte das für einen absoluten Irrglauben und für eine absolute Geringschätzung derjenigen, die viele, viele Jahre hier gearbeitet und eingezahlt haben. In diesem Zusammenhang von „Geschenken“ zu reden, finde ich eine Unverschämtheit.
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Für uns ist die Inaugenscheinnahme aller Zielgruppen – ein paar Maßnahmen habe ich gerade erwähnt – eine ganz zentrale Aufgabe. Es geht zum Beispiel um junge Menschen, um die Benachteiligung von Frauen im Arbeitsmarkt und um die ältere Generation. Maßnahmen für alle in die Koalitionsarbeit einzubringen und umzusetzen, das ist unser Auftrag.
Wenn wir von Sozialpolitik reden, dann reden wir von Zusammenhalt und einem solidarischen, gemeinschaftlichen Sozialstaat, und dann reden wir nicht von Spaltung der Gesellschaft. Dann reden wir nicht davon, dass wir die Menschen gegeneinanderstellen, dass wir sie unterscheiden nach Herkunft, unterscheiden nach Alter, unterscheiden nach Geschlecht, unterscheiden danach, ob sie eine Beeinträchtigung haben oder nicht. Ich finde das peinlich, was wir hier heute zum Sozialstaatsverständnis einer Partei dieses Hauses gehört haben. Das ist nicht nur peinlich für unser Land, das ist auch peinlich für all diejenigen, die darauf angewiesen sind, dass wir für eine Gesellschaft in solidarischer Gemeinschaft streiten. Unsere Position ist deutlich – und die allergrößte Mehrheit dieses Hauses sieht das genauso –: Wir wollen miteinander eine solidarische Gesellschaft und keine Gesellschaft der Spaltung und Ausgrenzung.
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In diesem Sinne ist sich mindestens die Mehrheit einig, und das ist auch gut so.
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Für die Fraktion der AfD hat nun das Wort die Kollegin Ulrike Schielke-Ziesing.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Bürger! Heute behandeln wir den Entwurf des Einzelplanes für Arbeit und Soziales. Im Vorfeld haben wir im Haushaltsausschuss diverse Änderungsanträge besprochen. Das machte eins deutlich: Als stärkste Opposition haben wir als AfD gute und sinnvolle Änderungen vorgeschlagen.
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Die Kosten der unnötigen Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen steigen mit zunehmenden Flüchtlingszahlen.
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– Ja, muss sein. – Wie wir Frau Merkel kennengelernt haben, wird es mit ihr auch keine vernünftige, sondern weiterhin eine ideologische Flüchtlingspolitik geben.
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Geld wird hier mit vollen Händen ausgegeben, egal ob sinnvoll oder nicht.
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Da wären zum Beispiel die Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen mit rund 60 Millionen Euro und die berufsbezogene Deutschsprachförderung mit rund 470 Millionen Euro. Beide Maßnahmen wurden von den Migranten nur sehr schwach besucht, und die geringe Mittelabschöpfung der letzten Jahre verdeutlicht, dass das Interesse an der Integration zu wünschen übrig lässt.
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Hier besteht laut dem Bundesrechnungshof ein sehr hohes Einsparpotenzial. Auch hierzu wurden unsere sinnvollen Änderungsvorschläge abgelehnt.
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In den Gesamtausgaben des Einzelplanes 11 sind auch Mittel zur Arbeitsmarktintegration von Migranten enthalten –
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quasi ein Teil der Strategie der Bundesregierung im Kampf gegen den Fachkräftemangel. Meine Damen und Herren von der Regierung, mit Ihren Arbeitsintegrationsmaßnahmen schaffen Sie genau das, wovor wir als AfD warnen: Sie produzieren damit einen Konkurrenzkampf zwischen Einheimischen und Flüchtlingen im Niedriglohnsektor.
({7})
Wie diversen Berichten zu entnehmen ist, werden die geringqualifizierten Geflüchteten in der Regel nur als Hilfsarbeiter eingestellt; denn es handelt sich bei den Migranten eben nicht um hochqualifizierte Fachkräfte.
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Das muss Ihnen doch bewusst sein. Mit diesen Maßnahmen sichern Sie mittel- bis langfristig keine Fachkräfte in den nötigen Wirtschaftssektoren und produzieren noch zusätzlich Spannungen auf dem Arbeitsmarkt. Wenn der Bundesregierung wirklich etwas daran liegen würde, Fluchtursachen zu bekämpfen und damit auch die illegale Einwanderung in unsere sozialen Systeme zu unterbinden, dann würden Sie verstärkt den Menschen in heimat- und kulturnahen Regionen Ihre Hilfe zukommen lassen.
({9})
Der umfangreichste Teil des Einzelplanes 11 umfasst mit insgesamt 94 Milliarden Euro die gesetzliche Rentenversicherung. Hier haben sich die Regierungsparteien von CDU, CSU und SPD nur wenig bis gar nicht bewegt. Die im Koalitionsvertrag beim Thema Rente geplanten Maßnahmen werden in diesem Jahr noch nicht umgesetzt: die Erhöhung der Grundsicherung im Alter, der Härtefallfonds für Ostrentner, die Mütterrente II.
({10})
Auch die Ost-West-Angleichung ist immer noch so starr wie in der letzten Legislaturperiode. Die Ostrentner können weiterhin die Daumen drücken, dass sie die Angleichung irgendwann erleben dürfen.
({11})
Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Er kann nachher gerne eine Kurzintervention machen.
Das entscheide ich allerdings.
({0})
Ja. – Also, ich lasse sie jetzt nicht zu.
Das Thema „Versicherungsfremde Leistungen“ habe ich ja schon öfter angesprochen. Die Bundesregierung weiß nicht, in welcher Höhe versicherungsfremde Leistungen gezahlt werden. Das ist schade und sollte schnellstmöglich bereinigt werden; denn nur wenn wir die tatsächliche Höhe der Zahlungen für die versicherungsfremden Leistungen kennen, können wir auch feststellen, ob der zusätzliche Zuschuss an die gesetzliche Rentenversicherung ausreichend ist oder nicht.
Im Gutachten des Sozialbeirates zum Rentenversicherungsbericht 2017 drängt der Sozialbeirat darauf, dass Leistungen, für die keine Beiträge gezahlt wurden, in vollem Umfang aus Steuermitteln aufzubringen sind. Das gelte für neue Leistungen genauso wie für bereits laufende Leistungen.
Als dieser Rentenversicherungsbericht in der letzten Woche im Ausschuss für Arbeit und Soziales behandelt wurde, fragte ich die Staatssekretärin Kramme nach ihrer Meinung dazu. Sie war der Auffassung, dass die Rentenversicherung ja schon fast 100 Milliarden Euro an Zuschüssen bekäme, und nun wäre das dann auch mal gut; sinngemäß zitiert.
({0})
Diese Antwort hat mich doch ziemlich fassungslos gemacht. Das hieße ja, die Regierung könne weiterhin Wahlgeschenke in die Rentenversicherung einspielen, und bei Beschwerden würde dann gesagt: Hört auf zu meckern, ihr bekommt doch schon genug Geld. – Das kann es nun wirklich nicht sein.
({1})
Laut dem Koalitionsvertrag möchte die Bundesregierung am Drei-Säulen-Modell der Altersvorsorge festhalten und einen Dialog mit der Versicherungswirtschaft anstoßen. Das Ziel dieses Dialogs ist ein attraktives und standardisiertes Riester-Produkt. Ist das Ihr Ernst, meine Kollegen von der Regierung? Sie wollen tatsächlich weiter auf das Produkt, das nach rund 17 Jahren zum Rohrkrepierer verkommen ist, setzen? Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass in der Periode von 2016 zu 2017 gerade einmal 23 Verträge abgeschlossen wurden?
({2})
Hinzu kommt, dass nun auch Negativzinsen auf Riester-Kunden abgewälzt werden dürfen, wie ein Fall aus Tübingen gezeigt hat. Erklären Sie dies mal den Menschen, die jahrelang in Riester investiert haben und jetzt zusehen können, wie ihr Vermögen durch Negativzinsen stagniert oder abschmilzt.
({3})
Damit ist auch das Drei-Säulen-Modell an sich kritisch zu hinterfragen. In heutiger Zeit rentieren sich die private und die betriebliche Altersvorsorge kaum, und diejenigen, die auf eine betriebliche Altersvorsorge setzen, werden bei Auszahlung dieser gleich doppelt verbeitragt.
({4})
Anstatt sich an gescheiterten Projekten abzuarbeiten, sollte die Bundesregierung das Drei-Säulen-Modell reformieren oder sogar ersetzen. Die Menschen brauchen eine Garantie fürs Alter und können sich nicht auf Kursschwankungen der privaten Altersvorsorge verlassen.
Herr Heil, nutzen Sie die Sommerpause, und legen Sie mithilfe Ihrer Rentenkommission ein Konzept zur Debatte vor,
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damit wir hier weiterdiskutieren können.
Vielen Dank.
({6})
Ich erteile zu einer Kurzintervention das Wort dem Kollegen Markus Kurth, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Kurzintervention zulassen, und danke auch für den vielfachen Zuspruch, den ich im Laufe dieser Debatte erfahren habe.
({0})
Aber jetzt, Frau Schielke-Ziesing, muss ich mich doch dem zweiten Teil Ihrer Rede zuwenden, in dem Sie ja einiges zur Rentenversicherung ausgeführt haben und unter anderem – sachlich durchaus zutreffend – die Riester-Rente und damit die private Altersvorsorge kritisiert haben.
Was sagen Sie denn dazu, dass Ihr Vorsitzender Jörg Meuthen auf dem Parteitag am vergangenen Wochenende die Rentenversicherung als „fette und verfettete Sozialindustrie“ diffamiert hat
({1})
„mit einer“ – ich zitiere Herrn Meuthen weiterhin – „geradezu krakenhaften Verwaltung, die gerade im Bereich der Rentenversicherung möglichst viele in das System hineinzwingen will“? Herr Meuthen sagt dann auch noch, es sei „nicht klug“ – ich zitiere –, „ein krankes System immer weiter mästen zu wollen“.
Was sagen Sie denn dazu, dass damit im Endeffekt und faktisch Ihr Parteivorsitzender die umlagefinanzierte gesetzliche Rente, die über 125 Jahre Stabilität im wichtigsten Zweig der Sozialversicherung garantiert hat, zerschlagen will?
({2})
Auf der anderen Seite haben Sie ein Mitglied in Ihrer Fraktion, Markus Frohnmaier, ein Kollege aus Baden-Württemberg, der in einem Konzeptpapier geschrieben hat:
Die Ungleichbehandlung von Deutschen und Ausländern ist geboten, weil das deutsche Rentensystem primär vom deutschen Staat für die eigenen Staatsbürger bereitgestellt wird.
({3})
Das heißt, er stellt das Versicherungssystem der Sozialversicherung infrage.
Sie haben für die Deutsche Rentenversicherung gearbeitet, wie ich dem Handbuch des Bundestages entnehme. Was sagen Sie eigentlich dazu, dass Ihre Kollegen die Grundlage des Systems, das für Sicherheit und Stabilität – gerade auch für deutsche und auch ausländische Beitragszahler – gesorgt hat, dermaßen unterhöhlen?
Das geht sogar so weit, dass der Herr Frohnmaier weiterhin in seiner Schrift ausführt,
({4})
dass der Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes eine „linksideologische Agenda“ des Bundesverfassungsgerichtes sei. Das muss man sich wirklich einmal vorstellen. Sie demontieren das Sozialstaatsprinzip.
({5})
Herr Kollege.
Letzten Endes stellen Sie Ihre Verfassungsfeindlichkeit aus meiner Sicht damit sogar noch zusätzlich unter Beweis.
({0})
Frau Kollegin Schielke-Ziesing, Sie haben das Wort.
Also, ich war bis jetzt der Meinung, Kurzinterventionen wären kurz, aber okay.
({0})!
– Drei Minuten, alles klar. – Wie Sie richtig ausgeführt haben, arbeite ich seit mehr als 25 Jahren für die Deutsche Rentenversicherung. Ich bin der Deutschen Rentenversicherung sehr verbunden. Das merkt man wahrscheinlich auch ein bisschen an meinen Ausführungen.
({1})
– An meinen Ausführungen durchaus. – Die beiden Konzepte, die Sie vorgestellt haben, sind nicht alle Konzepte. Wir haben noch mehr Konzepte.
({2})
Wir werden sicherlich noch mehr Konzepte bekommen, weil unsere Mitglieder inhaltlich diskutieren wollen und sich inhaltlich einbringen wollen, weil sie genau dieses Thema als sehr wichtig erachten. Wir werden in der Partei weiter breit aufgestellt diskutieren und dann nachher abstimmen, damit wir ein ausgewogenes Rentenkonzept haben.
({3})
Dass das Konzept von Herrn Meuthen wahrscheinlich anders sein wird als das Konzept der AVA von Herrn Witt, ist ganz klar. Aber wir werden letztendlich dann über ein Konzept entscheiden, und wir werden das dann ab 2021 umsetzen.
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Der nächste Redner ist der Kollege Peter Weiß von der CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich finde, wenn ein Land erfolgreich ist, dann darf man sich auch in einer Bundestagsdebatte darüber freuen.
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Der größte Erfolg unseres Landes in den letzten Jahren ist, dass wir nach Phasen hoher Arbeitslosigkeit die Arbeitslosigkeit mittlerweile auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung senken konnten. Und was noch wichtiger ist: dass wir die Beschäftigung in Deutschland, also die Zahl der Menschen, die in Arbeit und Lohn sind, auf den höchsten Stand, den es je gegeben hat, nämlich 44,8 Millionen Menschen, haben steigern können. Ich finde, das ist ein großartiger Erfolg unseres Landes. Das ist vor allem ein Erfolg unserer Unternehmen und der fleißig arbeitenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die wir als Politiker auch dankbar sein können.
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Übrigens, was die Steigerung der Beschäftigung anbelangt: knapp 600 000 Beschäftigte mehr als im vergangenen Jahr. Die Bundesagentur für Arbeit teilt uns mit: Dieser Anstieg beruht alleine auf dem Zuwachs bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, also bei denen, die in unsere Sozialkassen mit einzahlen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade deshalb ist es nicht das Ziel unserer Koalition, denen, die immer noch keine Arbeit gefunden haben, zu sagen: „Wir diskutieren jetzt darüber, wie wir euch lebenslang alimentieren“, sondern es ist unser Ziel, auch diesen Menschen den Zugang zu Teilhabe und Arbeit in den kommenden Jahren zu ermöglichen. Deshalb gibt es das Projekt „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“, in das wir Geld hineingeben und für das wir in diesem Jahr noch die richtigen Instrumente beschließen werden. Teilhabe – das ist die Perspektive für die, die noch draußen sind.
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Wir haben mittlerweile eine deutlich veränderte Situation. In früheren Bundestagsdebatten haben wir uns darüber beklagt, wie viele Arbeitsplätze, vor allen Dingen aus dem Produktionssektor, ins Ausland abwandern. Mittlerweile haben wir zunehmend eine umgekehrte Entwicklung, dass nämlich Produktionen nach Deutschland wieder zurückverlagert werden. Wenn man die Unternehmen dazu befragt, warum sie diesen richtigen Schritt machen, der für Arbeit in Deutschland sorgt, dann sagen sie: Im internationalen Vergleich gutes Know-how, intakte Infrastruktur, tragfähige Sozialsysteme, stabile politische Rahmenbedingungen, das finden wir hier in Deutschland. – Dass Arbeitsplätze wieder nach Deutschland zurückkommen, ich finde, auch das ist eine Erfolgsgeschichte für unser Land.
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Mit dem Bundeshaushalt 2018, den wir heute verabschieden werden, machen wir genau das, was diesen Trend weiter befördern wird: Wir investieren mehr denn je in Bildung und Forschung. Wir investieren mehr denn je in unsere Infrastruktur. Wir investieren mehr denn je in die Digitalisierung.
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Deshalb ist dieser Bundeshaushalt 2018 das beste Arbeitsbeschaffungsprogramm, das wir in Deutschland und in Europa haben. Er ist ein zusätzlicher Jobmotor, der Perspektiven für die Zukunft für unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bieten wird.
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So wird es auch keinen Konkurrenzkampf geben. In meinem Wahlkreis sagen Handwerker, Vertreter von Industriebetrieben und Mittelständler überall, wohin ich komme: Herr Weiß, wir brauchen Leute.
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Wir suchen dringend Fachkräfte, wie übrigens auch Hilfskräfte, Auszubildende.
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Deshalb besteht nicht nur für die deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger eine gute Perspektive auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch für diejenigen, die neu hierhergekommen sind. So steigt ja auch die Zahl der Flüchtlinge, die in Ausbildung und Beschäftigung kommen. Genau das wollen wir weiter befördern. Wir brauchen dringend zusätzliche Arbeitskräfte in Deutschland.
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Zu den stabilen politischen Rahmenbedingungen unseres Landes gehört in der Tat auch eine verlässliche Alterssicherung. Es ist nun einmal so: Die geltende Gesetzgebung schreibt bei der Rentenversicherung die Ziele bis zum Jahr 2030 fest. Wir wollen den Bürgerinnen und Bürgern aber sagen, wie es nach 2030 aussieht. Deswegen haben wir gemeinsam – das war richtig – die Rentenkommission eingesetzt. Diese Kommission berät – Gott sei Dank – nicht nur im stillen Kämmerlein, sondern gerade heute, während wir debattieren, hat sie eine riesengroße Zahl von Verbänden und Fachleuten eingeladen, die ihre Vorstellungen zur Rente der Zukunft vorstellen werden.
Das Interessanteste, finde ich, ist übrigens – das hat es so noch nie gegeben –: Anfang September wird es einen Generationendialog geben. Herr Kollege Theurer, es ist nun einmal so: Die Rente muss nicht nur enkelsicher sein, sie muss sozusagen auch großelternsicher sein. Deswegen bin ich sehr gespannt, zu welchen neuen Erkenntnissen dieser Generationendialog führen wird. Ich finde, dass unsere ehemaligen Bundestagskollegen Gabriele Lösekrug-Möller und Karl Schiewerling bei dieser Rentenkommission einen tollen Job machen, weil sie sich breit aufstellen, um für die Zukunft ein gutes Konzept zu entwickeln.
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Es ist natürlich richtig, dass man, wenn es um die künftige Entwicklung der Finanzen bei der Rente geht, vorsichtig schätzt und auch kritische Nachfragen stellt.
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Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn jetzt zitiert wird, dass sich aufgrund des neuen Rentenpaketes, das wir als Große Koalition planen, angeblich Löcher in Milliardenhöhe in der Zukunft auftun,
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dann möchte ich Sie einfach daran erinnern: Vor vier Jahren haben wir die gleiche Debatte geführt. Damals hat die Große Koalition das damalige Rentenpaket beschlossen. Die Vertreter der Rentenversicherung haben damals gesagt, um Gottes willen, binnen weniger Monate würde die Rücklage in der Rentenversicherung aufgefressen sein und es drohten deutliche Beitragserhöhungen.
({12})
Was ist in den vergangenen vier Jahren passiert? Die Rücklagen der Rentenversicherung sind nicht gesunken, sie sind nach oben gegangen. Der Beitragssatz musste nicht erhöht werden, sondern zum Anfang 2017 haben wir den Beitragssatz senken können, wie wir es auch zum Anfang 2018 getan haben.
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Ich finde, das sollte einen ein bisschen davor bewahren, großartig in Kassandrarufe einzustimmen.
Der entscheidende Punkt ist doch: Wenn es uns gelingt, dafür zu sorgen, dass sich die gute wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes auch in den kommenden Jahren fortsetzt, wozu wir mit dem Bundeshaushalt 2018 eine gute, eine hervorragende Grundlage schaffen, dann werden wir es auch in Zukunft schaffen, dass die Rücklagen der Rentenversicherung nicht sinken, sondern weiter steigen.
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So wichtig es ist, die umlagefinanzierte Rente als erste und stabilste Säule unserer Alterssicherung fortzuentwickeln, so richtig ist, dass wir auch die zusätzliche Altersversorgung dringend benötigen. Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode ein Betriebsrentenstärkungsgesetz beschlossen, das am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist und mit dem wir all die Punkte, die viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bislang kritisch oder vorsichtig gestimmt haben, wenn es darum ging, eine Betriebsrente anzusparen, abgeräumt haben. Die Betriebsrente lohnt sich jetzt für alle wirklich richtig.
Wir haben etwas Zusätzliches gemacht: Wir haben den Tarifpartnern die neue Möglichkeit eigener Tarifverträge zur Betriebsrente an die Hand gegeben. Nachdem das Gesetz bereits über ein halbes Jahr in Kraft ist, wäre es schön, wenn Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften dieses neue Instrument nun auch endlich in Gang setzen würden. Nicht nur die Politik ist gefragt, sondern auch die Tarifpartner, Arbeitgeber und Gewerkschaften, sind gefragt, mehr für die Betriebsrente zu tun, als es bislang der Fall war. Dazu haben wir ihnen dieses Instrument gegeben. Ich fordere sie hiermit ausdrücklich auf, dieses Instrument nun endlich zu nutzen.
({15})
Dass übrigens die Tarifpartner vieles gut und manches auch besser hinbekommen, zeigt die Geschichte des Mindestlohns. Ich bin froh, dass wir uns dazu entschlossen haben, eine Mindestlohnregelung zu schaffen, bei der die Politik die Finger nicht im Spiel hat.
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Ich finde, gerade der zweite Beschluss, den die Mindestlohnkommission – paritätisch besetzt aus Arbeitgebervertretern und Gewerkschaften – seit ihrer Einsetzung gefasst hat, zeigt: Arbeitgeber und Gewerkschaften finden ohne Einfluss der Politik besser zu vernünftigen Löhnen. Deswegen mein Glückwunsch an die Mindestlohnkommission, die diese Aufgabe bravourös löst,
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ohne dass sich die Politik einmischen muss! Arbeitgeber und Gewerkschaften bekommen die Lohnfindung besser hin als andere.
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Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Herr Präsident, das habe ich mir leider schon gedacht. Deswegen mein letztes Wort in dieser Rede: Gute Politik und gute Tarifpolitik mit guten Regelungen im Hinblick auf Löhne und Arbeitsbedingungen machen unser Land stark. Diese Stärke wollen wir miteinander weiter ausbauen.
Vielen Dank.
({0})
Der nächste Redner: für die FDP-Fraktion der Kollege Otto Fricke.
({0})
Geschätzter Herr Vizepräsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede etwas zu der Frage des Zusammenhalts unserer Gesellschaft gesagt. Da waren viele wahre Worte dabei. Die essenziellste Säule des Zusammenhalts ist Vertrauen. Vertrauen ist aber ein sehr kostbares Gut. Nicht umsonst gibt es ein niederländisches Sprichwort, das sagt: Vertrauen verschwindet auf dem Rücken eines Pferdes und kommt zu Fuß zurück.
({0})
– Sehr schön! Ja, wir kommen immer wieder zurück, weil wir gut sind – danke.
({1})
Was Sie versuchen, ist – jetzt will ich einmal einige grundlegende Fragen ansprechen –, durch immer mehr staatliche bzw. sozialstaatliche Leistungen Vertrauen beim Bürger zu erzeugen. Nur – das ist das Komische; ich finde, das sollten wir alle auch bemerken –: Wir sind zwar beliebt, wenn wir mehr geben. Wir sind zwar beliebt, wenn wir jeder Forderung nach weiteren staatlichen Leistungen nachgeben. Aber Vertrauen schafft das nicht. Denn obwohl die Staatsausgaben seit Jahren stärker steigen als das nominelle Wachstum, obwohl die Sozialausgaben exponentiell steigen und obwohl die Sozialquote einen Höchststand erreicht hat, steigt das Vertrauen in den Sozialstaat komischerweise nicht.
({2})
Das sollte uns zu denken geben.
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ja, gerne.
({0})
Herr Kollege Fricke, herzlichen Dank, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade behauptet, die Sozialausgaben seien eklatant gestiegen. Ich habe eine schriftliche Frage an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und an das Finanzministerium gerichtet und mir in der Antwort aufzeigen lassen, wie sich denn die Sozialausgaben entwickelt haben, und zwar in Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Man kann feststellen, dass es vor 21 Jahren, 1997, 28,3 Prozent des BIP waren, im Jahr 2012 28,7 Prozent und 2017 29,8 Prozent.
Ja, stimmt.
Von einer Explosion, Herr Kollege, kann ich da nichts erkennen.
Nur nebenbei bemerkt, weil auch Herr Theurer wieder eine Märchenstunde gemacht hat,
({0})
will ich Ihnen sagen, dass die Ausgaben für Alters- und Hinterbliebenenrenten in Prozent des Bruttoinlandsproduktes von 11,3 Prozent 1997 auf 11,0 Prozent 2017 gesunken sind. Es ist also erstens ein Märchen, zu behaupten, wir hätten explodierende Sozialausgaben, und zweitens ist es ein Märchen, zu behaupten, wir könnten uns die gesetzliche Rente nicht leisten.
Deswegen frage ich Sie: Ziehen Sie Ihre Aussage, die Sozialausgaben seien explodiert, zurück?
Herzlichen Dank.
({1})
Geschätzter Herr Kollege, das ist interessant: Ich sage, dass die Sozialausgaben im Haushalt exponentiell gestiegen sind, und Sie nehmen die Sozialausgaben gemessen am BIP. Wir verhandeln doch heute hier über den Bundeshaushalt. Ich glaube, wir sind uns beide einig, dass das der Fall ist. Dann würde ich doch die Bundesregierung nach den Dingen fragen, die diesen Bundeshaushalt betreffen. Ich habe nicht von den Kommunen und den Ländern gesprochen.
Mir geht es um diesen Haushalt, den wir nachher beschließen. Der Minister lässt sich wahrscheinlich gerade noch einmal die Zahlen geben. Ich nenne Ihnen einfach einmal die Zahlen, die diesen Bundeshaushalt betreffen. Wir hatten im Jahr 2000 eine Sozialquote von 41,2 Prozent im Haushalt – unter Rot-Grün. Wir hatten im Jahr 2010, um den höchsten Stand zu nehmen, den wir hatten – unter Schwarz-Gelb – 53,8 Prozent, weil wir da in einer Krise waren
({0})
und eine schwarz-gelbe Koalition in der Lage war, die Quote hochzufahren. Dies ist immer dann notwendig, wenn die Bedrohung für die Bürger, was Gefühl und Vertrauen angeht, am höchsten ist.
Dann ist die Quote 2013 auf 47 Prozent heruntergegangen. Seitdem steigt die Quote und wird jetzt – der Kollege Rehberg hat es in der Einführungsdebatte schon gesagt – auf 52 Prozent steigen.
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Herr Kollege, das ist eine exponentielle Steigerung. Ich werde Ihnen das gerne, weil ich jetzt nicht überziehen will, an einer anderen Stelle noch einmal darstellen. Ich danke Ihnen aber sehr für die Frage, die zur Verdeutlichung beiträgt.
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Meine Damen und Herren, wir merken also: Mit immer mehr Ausgaben schafft man nicht mehr Vertrauen. Dennoch sagt die Bundesregierung: Wir machen das. – Bei der Rente lag der Zuschuss aus Steuermitteln im Jahr 2014 bei 82 Milliarden Euro. Er ist jetzt bei 94 Milliarden Euro.
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– Ich beziehe mich auf den Bundeshaushalt, Herr Kollege. Sie müssen sich daran gewöhnen. Sie sitzen hier im Bundestag, im Parlament eines föderalen Staates. Das ist die Aufgabe, an der wir uns hier zu orientieren haben. Den Rest können Sie sehr gerne auf den Marktplätzen machen.
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Der Kollege Peter Weiß würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Sehr gerne.
Herr Kollege Fricke, Haushälter müssen Zahlen vortragen. Das ist ja okay.
Rentenpolitiker auch.
Ja, das ist vollkommen richtig. – Weil Sie gerade den föderalen Staat erwähnt haben: Würden Sie mir wenigstens zustimmen, dass natürlich die Sozialausgaben im Bundeshaushalt auch deswegen steigen, weil wir eine ganze Reihe von Sozialleistungen, die früher nicht in Bundeszuständigkeit waren, übernommen haben, um damit Länder und Kommunen zu entlasten?
Ich erinnere an die Grundsicherung im Alter: mittlerweile zu 100 Prozent bundesfinanziert. Ich erinnere an den steigenden Prozentsatz bei Kosten der Unterkunft für Arbeitslosengeld-II-Bezieher: früher wesentlich weniger. Ich erinnere an die Reform der Eingliederungshilfe, also der Hilfe für Menschen mit Behinderungen, in deren Zusammenhang wir noch einmal eine deutliche finanzielle Entlastung für die Bundesländer vorgenommen haben.
({0})
Daraus ergeben sich natürlich zusätzliche Sozialausgaben beim Bund, die bei den Ländern und Kommunen entfallen.
Wir hätten es auch umgekehrt machen können. Wir hätten zum Beispiel den ganzen kommunalen Wegebau oder den Landesstraßenbau in Bundeszuständigkeit übernehmen und die Soziallasten bei den Ländern erhalten können. Dann würden Sie jetzt eine andere Rede halten.
Deswegen meine Frage, ob wir uns nicht auf Folgendes einigen können: Wir haben die Bundesländer und die Kommunen bei den Sozialleistungen massiv entlastet, und deswegen schlägt sich das im Bundeshaushalt so nieder.
({1})
Herr Kollege Weiß, ich könnte eine Kurzantwort geben: Ja.
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– Reicht Ihnen das?
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– Das Ja reicht. Gut. – Leider haben Sie mir nicht zugehört: Es geht nämlich auch um den Rentenzuschuss, und an der Stelle haben wir nicht geholfen.
Jetzt will ich Ihnen einfach mathematisch klarmachen, was das für den Bundeshaushalt bedeutet. Gerade Sie als Sozialpolitiker, Herr Weiß, reden immer über diesen einen Haushalt. Wenn Sie aber den anderen Debatten einmal folgen würden, wo es stets um Mangel und darum geht, was fehlt, dann wüssten Sie, dass das daran liegt, dass wir in diesem Haushalt inzwischen stetig so viel Geld ausgeben. Also führen wir uns die Zahlen noch einmal kurz vor Augen, damit es für diejenigen, die uns draußen zuhören oder auf der Tribüne sitzen, ins Verhältnis gesetzt wird. Dann kann jeder entscheiden, was politisch richtig ist.
Das Volumen des gesamten Einzelplans 11 – Arbeit und Soziales – im Jahr 2018 beträgt 139 Milliarden Euro. Das ist sicherlich für einen Sozialstaat wichtiges und gutes Geld. Im Jahre 2022 – das wird der Finanzminister noch vortragen – beläuft sich die Summe auf 161,5 Milliarden Euro. Um es ins Verhältnis zu setzen: Der Gesamtanstieg des Bundeshaushalts bis 2022 beträgt insgesamt 30 Milliarden Euro.
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Zwei Drittel des Haushaltsaufwuchses, Herr Weiß, gehen allein auf das Konto des Bundesministers für Arbeit und Soziales.
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Um Ihnen das einmal bildlich darzulegen: Sie müssten sich nur vorstellen, dass die ersten zwei Reihen des Bundeskabinetts leer wären, während sich der Rest des Kabinetts quasi hinten auf der letzten Sprosse um ein Drittel der Mehreinnahmen kümmern kann.
({4})
Das ist genau der Punkt, auf den ich hinweise. Denn: Was fehlt? Es fehlt Geld für Investitionen. Es fehlt Geld für Bildung. Es fehlt Geld für den Rechtsstaat. Überlegen Sie einmal, was Sie mit 1 Milliarde Euro mehr tun könnten im Bereich von Forschung und Bildung! Stattdessen fahren Sie die Sozialausgaben hoch und glauben, dass Sie damit Vertrauen in den Rechtsstaat und den Sozialstaat schaffen.
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Ich merke an Ihrem Unverständnis, dass Sie glauben, dass Sie diesen Staat nach vorne bringen, indem Sie den Bereich Soziales stetig ausweiten. Wenn dann auch nur die kleinste Wirtschaftskrise kommt und wenn es dann auch nur einmal beim Wachstum nicht so gut läuft, dann passiert das, was Gerhard Schröder von dieser Stelle aus vertreten hat. Das gilt insbesondere für die Rente. Herr Weiß, Sie wissen das ganz genau. Ich erinnere an den Nachhaltigkeitsfaktor in der Rente. Man hatte damals eine Wahl gewonnen, indem man gesagt hat: Es gibt mehr. – Dann hat man mehr ausgegeben, um ein paar Jahre später festzustellen: Es geht nicht. – Was war dann die Lösung? Man macht eine Agenda 2010 mit der Folge, dass die SPD gerade noch drei Plätze in der ersten Reihe des Plenums hat. Liebe Union, nicht denselben Fehler machen! Denn beim nächsten Mal, wenn das Geld nicht mehr reicht, werden Sie diejenigen sein, die das Opfer einer solchen Reform sind. Das ist unverantwortlich für die Zukunft unseres Landes.
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Ich empfehle als Sommerlektüre eine sehr gute Studie, die das ifo-Institut erarbeitet hat. Wie Sie reagieren, zeigt mir: Sie glauben, dass Sie durch das, was Sie tun, das Land voranbringen. Sie meinen das sicherlich gut; das will ich fast niemandem absprechen. Wir wollen dafür sorgen, dass sich die Bürger in unserem Staat sicher, gut und wohl fühlen und ihm vertrauen. Aber Sie müssen irgendwann einmal anerkennen, dass Sie durch ständige Ausweitung der Leistungen nicht das erreichen, was Sie wollen, im Gegenteil.
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Zum Schluss. Die ifo-Studie besagt ganz genau: Vertrauen in unseren Staat, liebe sozialdemokratischen Umverteiler, schaffen Sie nicht dadurch, dass Sie den Sozialstaat immer mehr ausbauen, sondern dadurch, dass Sie den Rechtsstaat, Forschung, Bildung und Ausbildung sichern. Sie dürfen sich nicht nur auf diesen Haushalt fokussieren, sondern müssen sich auf das konzentrieren, was den gesamten Staat ausmacht. Nur das ist ein zukünftiger Haushalt und kein Haushalt der Vergangenheit.
Danke.
({8})
Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die Kollegin Susanne Ferschl.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, „Gute Arbeit und ein handlungsfähiger Sozialstaat“, so lautete Ihr Motto, Herr Heil, bei Ihrem Amtsantritt. Bis jetzt ist bei den Menschen davon nichts angekommen.
({0})
Der Haushalt 2018 zeigt deutlich: Die Bundesregierung zementiert strukturelle Ungerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt, produziert weiter Kinder- und Altersarmut und treibt die soziale Spaltung voran. Ich greife drei Beispiele heraus.
Erstens. Beim Thema Rentenniveau und Rentenfinanzierung kommt in den nächsten Jahren so einiges auf uns zu. Deshalb ist es ein Unding, die sogenannte Mütterrente II auch noch aus dem Topf der Rentenversicherung finanzieren zu wollen.
({1})
Das würde pro Jahr 10 Milliarden Euro weniger für wichtige Projekte bedeuten, wie zum Beispiel die Angleichung der Ostrenten an das Westniveau oder die Anhebung der Erwerbsminderungsrenten.
({2})
Diese Rentenpolitik ist falsch. Ich bin gespannt, ob unsere konstruktiven Verbesserungsvorschläge bei der geplanten Rentenkommission auch ankommen. Versprochen hatten Sie es. Ich lege Ihnen ausdrücklich den besten aller Experten, Matthias W. Birkwald, ans Herz.
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Zweitens. Die geplanten Lohnzuschüsse für Langzeiterwerbslose reichen nicht einmal für 6 Prozent aller 850 000 Betroffenen. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Ebenso die öffentlich geförderten Beschäftigungsverhältnisse: Nötig sind 300 000 Stellen, sozialversicherungspflichtig und existenzsichernd.
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Aktive Arbeitsmarktpolitik muss Ihnen mehr wert sein.
Im Haushalt ist außer der regulären Anpassung an Preis- und Lohnentwicklung keine Erhöhung der Hartz‑IV-Regelsätze vorgesehen, obwohl diese Regelsätze künstlich kleingerechnet werden und damit Millionen Menschen betrogen werden und von Armut betroffen sind. Wir brauchen einen handlungsfähigen und zukunftsfähigen Sozialstaat, der Armut verhindert, statt sie zu produzieren.
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Und was ist mit guter Arbeit? Noch nie gab es so viele befristet Beschäftigte wie heute. Die Entfristung von sachgrundlos befristeten Stellen der BAMF-Beschäftigten haben Sie ja jetzt hinbekommen. Aber was ist mit den staatlichen Behörden und deren hohen Befristungsquoten oder den Beschäftigten auf dem freien Arbeitsmarkt, die sich von einer Befristung zur nächsten hangeln? Für die ist keine Verbesserung in Sicht – ein Armutszeugnis für die Bundesregierung.
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Frau Kollegin, der Kollege Michael Theurer würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Nein, ich möchte gern zu Ende reden.
Und: Gute Vorschläge verpuffen. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der bei profitablen Unternehmen ein Verbot von Massenentlassungen und eine Stärkung der Mitbestimmung bei Unternehmensentscheidungen vorsieht. Das würde aktuell Hunderten Beschäftigten von Nestlé helfen, die jetzt ihren Arbeitsplatz verlieren, weil der Konzern den Hals nicht vollbekommt.
({0})
Herr Heil, der von Ihnen vorhin erläuterte Plan zur Erhöhung der Tarifbindung scheint nicht wirklich gut zu funktionieren, wie man gerade bei der Tarifflucht von Real sieht.
({1})
Apropos Tarifbindung: Bayern ist absolutes Schlusslicht im Vergleich aller westdeutschen Bundesländer. Liebe CSU, das wäre doch mal ein schönes Thema für den Landtagswahlkampf, mit dem Sie sich profilieren könnten, statt dieses Theaters, das Sie hier schon seit Wochen aufführen.
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Wir fordern seit Jahren eine Erhöhung des Mindestlohns. Jetzt klopfen sich alle, auch Sie, Herr Heil, auf die Schulter mit der zweistufigen Erhöhung, die die Mindestlohnkommission beschlossen hat: auf 9,19 Euro und 9,35 Euro. Aber eine Anfrage an Ihr eigenes Ministerium, Herr Heil, an Ihr eigenes Haus, hat ergeben, dass ein Mindestlohn von 12,63 Euro nötig wäre, um eine Rente oberhalb der Grundsicherung zu beziehen. Das heißt, der Mindestlohn reicht nach wie vor nicht zum Leben und er führt in Altersarmut.
({3})
Das alles zeigt: Herr Heil, bei Ihrem Plan für gute Arbeit ist noch viel Luft nach oben. Die Linke würde es sehr begrüßen, wenn Ihre Ankündigungen sich auch im nächsten Haushaltsentwurf wiederfinden würden.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Die nächste Rednerin ist die Kollegin Corinna Rüffer, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herzlichen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Demokratinnen und Demokraten hier im Haus! Wir brauchen eine Politik, die Menschen nicht gegeneinander ausspielt. Wir brauchen eine Politik, die dafür sorgt, dass jeder Mensch in diesem Land in Würde leben kann. – Das sind im Grunde so banale Sätze, dass man sich die Frage stellt, warum man sie artikulieren muss. Aber ich habe den Eindruck, dass es nach den Erfahrungen der letzten Wochen einfach nötig ist, das hier noch mal zum Ausdruck zu bringen.
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Da haben sich Mitglieder dieser Bundesregierung in völlig verantwortungsloser Weise über Menschen auf der Flucht geäußert. Es ist mittlerweile so, dass sich sogar diejenigen rechtfertigen müssen, die beklagen, dass diejenigen kriminalisiert werden, die versuchen, auf dem Mittelmeer Menschenleben zu retten. Das ist völlig grotesk.
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– Halten Sie am besten den Mund; sonst flippe ich gleich aus.
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Das ist nicht nur grotesk, sondern das ist auch bedrohlich, und zwar nicht nur für diejenigen Menschen, die in Gefahr sind, im Mittelmeer zu ertrinken – tagtäglich und auch in diesem Moment, in dem wir hier miteinander reden –, sondern auch für die gesamte Gesellschaft und für alle Menschen, die in diesem Land und in unserem Europa leben, und wir müssen dem endlich etwas entgegensetzen.
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Hannah Arendt, die große politische Philosophin, Lebensretterin, Exilantin, Geflüchtete, hat das, worum es aus meiner Sicht geht, in etwa so formuliert: Die Missachtung der Grundrechte betrifft in einer ersten Phase stets nur Flüchtlinge und andere Minderheiten, bevor sie sich in einer zweiten Phase generalisieren kann. – Das sollte uns zu denken geben.
Liebe Bundesregierung, die Leidenschaft, die Sie in den letzten Wochen dafür aufgebracht haben, sich gegenseitig fertigzumachen – Sie von der SPD haben dazu nichts gesagt; deswegen sind Sie nicht angesprochen; aber es ist auch traurig –, die Art und Weise, wie Sie einander angegangen sind, das ist nicht vorbildlich für diese Republik, und das ist nicht gut für die Demokratie in diesem Land. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn Sie die Leidenschaft, die Sie in diesen Streit hineingelegt haben, darauf verwendet hätten – das können Sie immer noch tun –, die wichtige Frage zu stellen, die wir seit Monaten, seit Jahren eigentlich zu diskutieren haben,
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wie wir diese gespaltene Gesellschaft wieder versöhnen können,
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wie wir dazu kommen können, dass jeder Mensch in dieser Gesellschaft seinen Platz findet, wie wir eine inklusive Gesellschaft hinbekommen.
Ich meine, dass die Antwort darauf nicht so wahnsinnig kompliziert ist. Es geht darum, diejenigen zu stärken, die am Rande stehen. Es geht darum, denjenigen eine Stimme zu geben, die normalerweise nicht gehört werden. Es geht um Empathie statt Angst. Ich finde, die sollten wir doch aufbringen in diesem Hohen Haus, gerade die Leute, die im Ausschuss für Arbeit und Soziales sind.
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Wir drängen die Spaltung zurück, indem wir den Leuten das Gefühl geben, dass dieser Staat für sie da ist, wenn sie ihn brauchen, dass dieser Staat sie in dieser Situation nicht gängelt. Das Gegenteil passiert aber viel zu häufig.
Ich bin gebeten worden, diese Rede zu halten. Ich sage mal: Das ist gar nicht so einfach. Man hält lieber fröhliche Reden und redet irgendwie nach vorn. Aber es geht hier wirklich darum, Leerstellen zu benennen, zu sagen, dass wir die großen Aufgaben nicht im Blick haben, dass wir uns im Kleinen verfangen, anstatt sozusagen an den wesentlichen Fragen zu arbeiten.
Man kann sich bemühen, in diesem Haushalt irgendwie Stellen zu finden, an denen man sehen kann, dass diese Regierung an der inklusiven Gesellschaft arbeitet. Ich muss Ihnen sagen: Ich sehe diese Stellen nicht. Ich sehe die strukturellen Veränderungen nicht, die es bräuchte.
Bestimmte Personengruppen geraten völlig aus dem Fokus. Eine Personengruppe, die mir besonders am Herzen liegt, das sind Menschen mit Behinderungen. Diese Personengruppe ist dem Minister ein Wort wert. Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede ein Mal den Begriff „Behinderung“ verwendet, und das ist schlicht und ergreifend schockierend,
({7})
weil so viel zu tun wäre. Sie haben beim Bundesteilhabegesetz mal gesagt: Nach dem Gesetz ist vor dem Gesetz. – Sie wissen, was im Bereich der Barrierefreiheit, im Bereich der Arbeit los ist. Menschen mit Behinderungen sind überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen, und Sie tun schlicht und ergreifend nichts.
({8})
Die Würde aller Menschen in diesem Land ist unantastbar.
({9})
Das sollten Sie sich mal hinter die Ohren schreiben. Wir haben viel zu tun.
Vielen Dank.
({10})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Michael Groß.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Rüffer, Sie haben das zum Schluss korrigiert. Sie haben uns vorgeworfen, dass wir uns abwertend über Flüchtlinge, über Zuwanderer geäußert haben.
({0})
Ich kann das nur vehement bestreiten. Das haben wir als SPD nicht getan. Wir stehen auf dem Boden der Genfer Flüchtlingskonvention und des Asylrechts.
({1})
Wir sind dafür, dass wir hier eine europäische Lösung finden, um die Zuwanderung in der Art und Weise zu regeln, wie wir es sozialdemokratisch für richtig halten.
Der zweite Punkt, auf den ich gern eingehen würde, ist, dass Sie dem Minister vorwerfen, er sei nicht auf das Thema Inklusion eingegangen. Sie wissen selbst, dass wir in diesem Haushalt 300 Millionen Euro für die Inklusion ausgeben. Darunter sind nach meiner Erinnerung ungefähr 60 Millionen Euro für die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung.
({2})
Den Ansatz von 8 Millionen Euro verdoppeln wir, um im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes die Forschung nach vorn zu bringen. Sie können uns wirklich nicht vorwerfen, dass wir nicht genügend oder gar nichts tun. Sie haben gesagt: Sie tun gar nichts. – Das wird auch dem Minister nicht gerecht und auch nicht dem Ministerium.
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Dann möchte ich gern eingehen auf die Frage der Sozialversicherung, insbesondere der Rentenversicherung. Die FDP versuchte hier ständig, die Versorgung durch den Staat – ja, wie soll man das sagen? –
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ruinenreif zu reden.
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– Ja, sicher.
({6})
Sie stellen ständig infrage, dass wir durch den Generationenvertrag und durch eine umlagefinanzierte Rente Vertrauen schaffen und insbesondere ein Fundament für die Menschen, sodass sie sich darauf verlassen können, dass sie nach getaner Arbeit auch eine Rente haben, von der sie leben können. Ich kann Ihnen nur sagen: Gestern im Parlament hat Andrea Nahles – wenn Sie da waren, konnten Sie das hören – in Ihrer Rede genau das gesagt. Sie hat gesagt: Wir werden dafür sorgen, dass die Rente zukunftsfest ist. Wir werden dafür sorgen, dass die Rente ein Niveau auch hinsichtlich der Kaufkraft hat, von dem die Menschen wissen, dass sie auch in zehn Jahren noch davon leben können.
({7})
Das hat Andrea Nahles gestern gesagt und heute auch noch mal der Minister.
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Von daher können Sie sich darauf verlassen, dass wir als SPD dafür sorgen werden, dass die umlagefinanzierte Rente ein Grundstock für die Zukunft der Rentnerinnen und Rentner sein wird.
Ich möchte feststellen: Die 94 Milliarden Euro Bundeszuschuss sind geradezu ein Zeichen dafür, dass wir die gesetzliche Rentenversicherung stärken. Der Aufwuchs bis 2022 auf 109 Milliarden Euro ist auch ein Zeichen an die Menschen, an die Rentnerinnen und Rentner. Die wissen so, dass der Bundeszuschuss dafür sorgen wird, dass sie letztendlich eine Rente bekommen werden, mit der dafür gesorgt wird, dass sie davon leben werden können.
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Herr Kollege Groß, lassen Sie eine Zwischenfrage vom Kollegen Michael Theurer zu?
Ja, gerne.
({0})
Vielen Dank für die Möglichkeit zur Zwischenfrage. – Sehr geehrter Kollege, Sie haben gerade argumentiert, dass es maßgeblich vom Rentenzuschuss aus dem Bundeshaushalt abhängig ist, dass die staatliche Rente zur Versorgung der Rentner, die wir alle wollen, reicht. Vorher hat ein Kollege mit der Sozialquote zum Bruttoinlandsprodukt argumentiert. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Investitionsquote am Bruttoinlandsprodukt seit Jahren stagniert, sogar zurückgeht und unter der der Nachbarländer liegt?
Sind Sie mit mir nicht auch der Meinung, dass gute Arbeit und gute Verdienstmöglichkeiten – und damit eben auch eine gute Rente – ganz maßgeblich davon abhängen, dass in Deutschland investiert wird und zukunftsträchtige Arbeitsplätze geschaffen werden, und dass es deshalb wichtiger ist, statt staatliche Zuschüsse zu geben, dafür zu sorgen, dass am Markt Arbeitsplätze entstehen und auch in Zukunft erhalten werden können, sodass die Menschen Einkünfte erzielen und Rentenversicherungsbeiträge erwirtschaftet werden können?
({0})
Wissen Sie, der Vorteil dieser Koalition gegenüber Schwarz-Gelb ist, dass wir beides tun.
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Wir investieren, der Investitionszuschuss nimmt zu. Wir investieren in Schulen, in Bildung, in digitalen Ausbau. Und wir investieren in Rente, in Sozialversicherungssysteme, in Arbeitslosenversicherungen und in Arbeitslose. Wir investieren in Menschen und in Steine – das ist unser Vorteil gegenüber Ihrer Ägide.
({1})
Ich möchte noch darauf eingehen, was wir in diesem Haushalt noch tun. Ich bin schon auf die Frage der Inklusion eingegangen, ich möchte aber noch mal auf die Jobcenter zu sprechen kommen. Wir wissen natürlich, dass die Tariferhöhung im öffentlichen Dienst, – das begrüßen wir sehr – dazu führt, dass die finanzielle Situation der Jobcenter noch mal verschlechtert wird. Andererseits muss man sagen: Die Deckungsfähigkeit zwischen Eingliederungstitel und Verwaltungstitel führt dazu, dass lokale Lösungen gefunden werden können. Aber uns ist klar, dass wir zumindest diese Tarifsteigerung auffangen werden müssen. Ich habe es so verstanden, dass diesbezüglich für den Haushalt 2019 zwischen dem Ministerium für Arbeit und Soziales und dem Finanzministerium gute Gespräche laufen. Wir als Haushälter werden sicherlich – ich gucke meinen Kollegen Fischer an – für das nächste Jahr eine Lösung finden. Also, wir arbeiten daran.
({2})
– Ja, wir werden eine Lösung finden, und wir werden dafür sorgen, dass die Jobcenter gut arbeiten können.
({3})
Damit komme ich zum sozialen Arbeitsmarkt. Ich kann Ihnen sagen, dass das natürlich für mich als Abgeordneten aus dem Ruhrgebiet ein ganz wichtiges Thema ist. Der soziale Arbeitsmarkt ist ein Regelinstrument und wird die Programme der vergangenen Jahre ablösen. Der soziale Arbeitsmarkt ist deswegen wichtig, weil er den Menschen eine Perspektive bietet, die jahrelang nicht an der gesellschaftlichen Entwicklung teilhaben konnten, die in den Quartieren zu den Verlierern gehörten. Und er ist umso wichtiger, weil es auch um die nächsten Generationen geht. Es geht eben nicht nur um die Eltern, es geht auch um die Kinder. Die Kinder müssen sehen, dass man selbstbestimmt durchs Leben kommt, wenn man Arbeit hat und durch Arbeit ein eigenes Einkommen erzielt.
Wir müssen aber zusammen mit dem Koalitionspartner dafür sorgen – das ist, glaube ich, in der Diskussion noch einmal wichtig –, dass dort Tariflohn gezahlt wird und nicht der Mindestlohn. Das ist unsere Forderung für das nächste Jahr.
({4})
Ich halte fest, dass dieser Haushalt, der Einzelplan 11 mit 139 Milliarden Euro, dafür sorgt, dass Wege aufgezeigt werden, insbesondere was das Thema Qualifizierung angeht – darauf bin ich jetzt nicht eingegangen –, und er wichtig für die Sicherung sozialstaatlichen Handelns ist.
Herzlichen Dank.
({5})
Der nächste Redner ist der Kollege Stephan Stracke, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesarbeitsministeriums steht für den sozialen Zusammenhalt in unserem Land. Das Fundament für diesen Sozialhaushalt legt die hervorragende Arbeitsmarktlage in Deutschland. Wir sind wirtschaftlich erfolgreich, wir sind stark, und der Internationale Währungsfonds hat uns dies auch druckfrisch bestätigt. Eindrucksvoll beschreibt er die Lage. Recht hat er, und deswegen werden wir darauf entsprechend aufbauen.
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Mit unter 2,3 Millionen Menschen liegt die Arbeitslosenzahl auf einem Rekordtief – so niedrig wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Gegenüber 2005 hat sich die Zahl der Arbeitslosen mehr als halbiert. An diese Erfolgszahlen wollen wir natürlich anknüpfen. Wir haben uns in dieser Koalition ein ambitioniertes Ziel in der Arbeitsmarktpolitik gesetzt. Wir haben uns auf das Ziel Vollbeschäftigung verständigt; denn Arbeit ist für den Menschen zentral. Ja, es geht um Broterwerb, aber es geht auch noch um mehr: Es geht um Würde, es geht um Ansehen, und es geht um ein erfülltes Leben. Arbeit ist aber auch für die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft zentral. Beides gehört zusammen, wenn wir von einem starken Sozialstaat reden.
Wir bekennen uns als Union nicht nur zur Tradition von Ludwig Erhard, sondern wir leben sie auch. Deswegen nehmen wir dieses Ziel der Vollbeschäftigung auch so ernst, und deswegen geht es uns darum, Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen sowie familiengerechte Arbeit und auch die betriebliche und überbetriebliche Weiterbildung entsprechend voranzubringen. Unser Anspruch ist: Kein Mensch darf auf dem Weg verloren gehen. Jeder muss mitgenommen werden. Deswegen und auch vor dem Hintergrund, dass wir eine erfolgreiche Arbeitsmarktsituation haben, wollen wir weitere Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt eröffnen. So haben wir in der Koalition auch verabredet, insgesamt 4 Milliarden Euro als prioritäre finanzwirksame Maßnahme für langzeitarbeitslose Menschen auf den Weg zu bringen, um sie wieder in Lohn und Brot zu bringen. Ich glaube, das kann sich sehen lassen.
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Als weiteren Baustein, um Vollbeschäftigung zu erreichen, wollen wir den Arbeitsmarkt noch familienfreundlicher gestalten. Wir wollen eine Arbeitswelt, die Eltern Flexibilität sowie Aufstiegs- und Qualifizierungschancen eröffnet. Dazu zählt, dass der Wechsel von Teilzeit zu Vollzeit und umgekehrt für Frauen und Männer einfacher möglich sein muss. Das war eine zentrale Forderung auch von uns, und wir haben jetzt geliefert. Vor drei Wochen haben wir uns auf einen Gesetzentwurf zur Fortentwicklung des Teilzeitrechts verständigt. Nach mehreren erfolglosen Anläufen des Bundesarbeitsministeriums haben wir nun endlich eine tragfähige Diskussionsgrundlage für die parlamentarischen Beratungen. Das ist gut.
Wir als CSU stehen dazu, gemeinsam mit der Wirtschaft für familienfreundliche Arbeitsbedingungen zu sorgen. Denn wir können nur zusammen mit der Wirtschaft Arbeitsplätze schaffen, nicht gegen sie. Deswegen ist es gut, dass auf den letzten Metern hier die berechtigten Einwände der Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Beweislastumkehr aufgegriffen wurden. Man sieht: Die arbeitsmarktpolitische Vernunft hat sich dann doch durchgesetzt.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir setzen auf mehr Weiterbildung. Das ist auch ein zentraler Baustein auf dem Weg hin zu unserem Ziel Vollbeschäftigung. Gute Bildung, gute Ausbildung und eine konsequente betriebliche und überbetriebliche Weiterbildung sind der Schlüssel für die Zukunft. Eine gute Weiterbildung sichert Arbeitsplätze und sorgt dafür, dass die Arbeitnehmer beschäftigungsfähig bleiben. Dafür sorgen die Sozialpartner und die Betriebe bereits mit großen Anstrengungen. Dabei wollen wir mithilfe eines ganzen Bündels von Maßnahmen noch besser werden. Wir brauchen hier aber eine Gesamtkonzeption, auch vor dem Hintergrund des Megathemas der Digitalisierung. Wir brauchen regierungsseitig eine ressortübergreifende, abgestimmte Gesamtoffensive. Jeder andere Ansatz führt ins kurze Gras.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir machen Sozialpolitik für die gesamte Bevölkerung. Alle sollen vom Wirtschaftsboom in unserem Land profitieren. Wir nutzen die Spielräume, um die Bürger zu entlasten. Dafür bietet der Haushalt eine gute Grundlage. Wir haben ein starkes Entlastungspaket für Familien und Arbeitnehmer auf den Weg gebracht: mit der Erhöhung des Kindergeldes, mit der Erhöhung des Kinderfreibetrags, mit dem Baukindergeld, das wir als wichtige familienpolitische Leistung durchgesetzt haben, mit dem Abbau der kalten Progression und jetzt auch mit einer wuchtigen Senkung der Sozialversicherungsbeiträge. Der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ist es, der die Parität in der gesetzlichen Krankenversicherung wiederherstellt.
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Das entlastet die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um 8 Milliarden Euro. Das ist wuchtig, und das ist gut so.
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Und diese Koalition bringt es auf den Weg.
Außerdem werden wir den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung um 0,3 Prozent senken; so haben wir es im Koalitionsvertrag vereinbart. Wenn man sich anschaut, wie die Rücklagen von Monat zu Monat beständig aufwachsen – sie werden 2018 bei über 22 Milliarden Euro liegen und laut Prognose, wenn das so weitergeht, 2022 bei über 50 Milliarden Euro –, dann ist es tatsächlich an der Zeit, darüber zu reden, dieses Geld doch auch an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zurückzugeben. Die Arbeitslosenversicherung ist weiß Gott keine Sparkasse; deswegen müssen wir darüber reden, wie wir die Spielräume so nutzen können, dass die Gelder auch tatsächlich bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommen. Das ist unser Ansatz in diesem Bereich.
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Die gute wirtschaftliche Lage eröffnet Spielräume. Wir sorgen für breite Entlastungen, und wir sorgen auch für Leistungsausweitungen in der Rente. Das tut gut, das ist richtig, und das zeigt: Der Ansatz, den die Christlich-Soziale Union, den die CDU in dieser Koalition verfolgen, ist auf die Menschen gerichtet. Er tut diesen Menschen gut. Er tut diesem Land gut.
Herzliches Dankeschön.
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Bevor wir zur Abstimmung kommen, ist der letzte Redner zu diesem Einzelplan Professor Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kommt mir beinahe unwirklich vor, nach den Wochen des Missvergnügens nun wieder zu Themen zu kommen, deren Behandlung die Menschen von uns eher erwarten
({0})
als die bühnengerechte Darbietung eines Stücks, über dessen Verortung als Drama, Tragödie oder Komödie ich mir noch nicht so ganz sicher bin.
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Deswegen bin ich in Dankbarkeit wieder bei den Themen, die für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft zentral sind. Und da bietet der Haushalt im Bereich des Ministers für Arbeit und Soziales einiges, was sich hervorzuheben lohnt.
Erstens. Die Sozialausgaben sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Der Sozialausgabenanteil an den Primärausgaben hat 2018 eine Rekordhöhe erreicht. Ich erwähne das deshalb, weil manche glauben, Deutschland sei auf dem Weg in eine Abstiegsgesellschaft der sozialen Kälte. Das Gegenteil ist der Fall: Wir geben für Arbeit und soziale Sicherung mehr denn je aus, auch mit Blick auf den Anteil des Gesamthaushalts.
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Nun argumentieren einige: Ja, genau das ist das Problem – nicht wahr, Herr Fricke? –, wir geben viel zu viel aus für unsere Sozialsysteme. – Ich glaube das nicht.
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Ich bin davon überzeugt: Eine reife Demokratie ist nur diejenige, die den Menschen auch Teilhabechancen in der Demokratie eröffnet. Freiheit ist mehr als die gleiche Freiheit des Millionärs und des Bettlers, unter einer Brücke schlafen zu dürfen. Freiheit bedarf der sozialen Voraussetzungen. Diese müssen wir schaffen, damit die Menschen sich als Menschen gleicher Rechte und Pflichten erleben können und vor allen Dingen auch gleicher und gerechter Chancen.
Zweitens. Das wirtschaftliche Umfeld ist hervorragend. Hinsichtlich der Arbeitslosenquoten kommen wir von einem historischen Tiefststand zum nächsten. Die Anzahl der Jobs nimmt zu. Der Kollege Peter Weiß hat darauf hingewiesen. Wir wissen: Eine gute Wirtschaftspolitik ist Voraussetzung für gute soziale Leistungen, und deswegen müssen sich gute soziale Leistungen nicht nur daran messen lassen, dass sie Teilhabechancen eröffnen, sondern auch daran, was sie für unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit tun. Teilhabe ist auch Teilhabe an Arbeit und wirtschaftlicher Tätigkeit und insofern, Kollege Theurer, auch eine Investition. Richtig ist es deshalb, zu sagen: Wir geben noch mal etwas mehr Geld aus für Langzeitarbeitslose, um sie wieder in den Arbeitsprozess zu bringen oder um zu verhindern, dass ihre ganze Familie in den dauerhaften Bezug von Leistungen abrutscht, weil es kein Vorbild für einen strukturierten, am Erwerbsleben und der Selbstständigkeit orientierten Lebensentwurf in der Familie gibt.
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Das können und dürfen wir nicht zulassen. Deswegen wird eines der wichtigsten Projekte dieser Legislaturperiode die Schaffung einer vernünftigen Perspektive für die Langzeitarbeitslosen sein.
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Drittens. Unsere Sozial- und Arbeitsmarktpolitik vermeidet Extreme von links und rechts. Von den Kolleginnen und Kollegen der Linken sind wir ja bereits eine Politik gewohnt, die ich in Anlehnung an die Figur des Jago aus Shakespeares „Othello“ nur als politischen Jagoismus bezeichnen kann.
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Öffne deinen Geldbeutel – dieser Ratschlag des Jago zeigt den puren Materialismus, mit dem er alle Probleme lösen will. Ist es bei Ihnen anders? Nein. Sozialpolitik ist bei Ihnen ein reiner Überbietungswettbewerb,
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und alle Probleme, die der Kapitalismus hervorgebracht hat, können auch mit Geld gelöst werden. Der Beitrag der Kollegin Lötzsch hat das gezeigt.
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Mehr Mindestlohn, mehr Rente, mehr von allem – auf diese einfache Formel lässt sich der Materialismus bringen,
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der Ihre Politik kennzeichnet. Auch das ist im Übrigen eine Entwicklung: vom dialektischen und historischen Materialismus hin zum rein pekuniären Materialismus. Das ist die Essenz des Sozialismus heute.
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Bei den populistischen Rechten ist die Richtung indes noch nicht so ganz klar. Der Strasser-Flügel der AfD kopiert munter die Anträge der Linken, während sich die Sozialdarwinisten bei der AfD mit Überlegungen hervortun, ob man die gesetzliche Rente nicht lieber gleich abschafft oder an einen Staatsbürgernachweis knüpft. Dazu passt, dass Sie uns – wie Frau Weidel mitgeteilt hat – „jagen wollen“. Meine Damen und Herren, vor meinem inneren Auge entfaltet sich da ein Bild: Da reitet die Freifrau von Weidel Seit’ an Seit’ mit dem Deichgrafen Gauland durch den Tiergarten, um verängstigte Christ- und Sozialdemokraten wieder ins Unterholz zu jagen,
({11})
um dann weiter- und weiter- und weiterzureiten, um an den neuen Grenzen der Festung Europa mit gestrecktem Galopp wie die Reiter der Apokalypse Flüchtlinge wieder ins Meer zurückzutreiben. – Genug! Wir lassen uns von Ihnen nicht jagen.
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Wir werden standhalten und Ihren Zumutungen trotzen. Wir werden uns nicht anstecken lassen von Ihrem Hass und von Ihrem Nationalismus,
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und wir werden dafür sorgen, dass Sie aus den deutschen Parlamenten verschwinden und von Ihnen nichts bleibt als eine Fußnote im Kapitel über den hässlichen Deutschen.
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Viertens. Meine Damen und Herren, der Haushalt ist ein gemeinsamer Haushalt von Union und SPD. Unsere Haushälter von Union und SPD haben hervorragend zusammengearbeitet. Dafür sage ich herzlichen Dank.
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Wir beklagen nicht nur gesellschaftliche Probleme, sondern wir gehen mit dem Haushalt sie auch an. Einige davon hat der Kollege Axel Fischer genannt. Und wir sind überzeugt: Wir werden die Probleme lösen, das schafft Vertrauen, und wir schaffen das.
({16})
Nicht, meine Damen und Herren, weil Optimismus Pflicht ist, sondern weil wir den Menschen etwas zutrauen, weil wir uns als selbstbewusste christliche und soziale Demokraten nicht jagen lassen, sondern dem Gift des Populismus trotzen,
({17})
weil wir nicht zuletzt Parteien sind, die durch Verfolgung geprägt und aus ihr hervorgegangen sind,
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weil wir durch die Gegenwehr im Totalitarismus wissen, was die Würde des Menschen bedeutet – auch die des Arbeitslosen, auch die des Flüchtlings. Herr Witt und Frau Schielke-Ziesing, wir werden Sie Flüchtlinge und Arbeitslose nicht gegeneinander ausspielen lassen. Dieses Spiel machen wir nicht mit!
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Das, meine Damen und Herren, ist der Stolz, mit dem wir als Christdemokraten gemeinsam mit den sozialdemokratischen Kolleginnen und Kollegen unsere Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik betreiben und uns abgrenzen gegenüber denjenigen, die Menschen nur nach ihrer Nützlichkeit und nach ihrer Herkunft beurteilen. Das hatten wir schon einmal. Zu diesen sagen wir: Nie wieder!
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 11 – Bundesministerium für Arbeit und Soziales – in der Ausschussfassung. Wer stimmt für diesen Einzelplan? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Einzelplan 11 angenommen mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition.
Ich rufe Tagesordnungspunkt I.17 auf:
hier: Einzelplan 10 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
Drucksachen 19/2410, 19/2424
Die Berichterstattung haben die Abgeordneten Christian Haase, Ulrich Freese, Dr. Birgit Malsack-Winkemann, Ulla Ihnen, Heidrun Bluhm und Dr. Tobias Lindner.
Vereinbart ist interfraktionell eine Aussprache von 90 Minuten. – Es gibt dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Nehmen Sie bitte Platz.
Dann eröffne ich die Aussprache. Der erste Redner ist der Kollege Wilhelm von Gottberg, AfD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Frau Ministerin Klöckner! Meine Damen und Herren! Ein Willkommensgruß geht auch an die Zuhörer auf der Tribüne. Der Haushalt des Landwirtschafts- und Ernährungsministeriums weist gegenüber dem Vorjahr einen Aufwuchs von 5,6 Prozent auf. Innerhalb dieses Haushaltsplanes finden sich mindestens zwei Dutzend Haushaltsstellen – wahrscheinlich mehr –, die zweistellige Zuwachsraten aufweisen. Das muss nicht sein. Es ist beabsichtigt, ein Tierwohllabel öffentlichkeitswirksam mit 7 Millionen Euro zu fördern. In den kommenden beiden Jahren sollen dafür weitere 44 Millionen Euro aufgewendet werden. Wir lehnen die staatliche Förderung einer solchen Tierwohl-Kennzeichnung ab.
({0})
Der Deutsche Bauernverband warnt vor Neueinführungen staatlicher Programme mit erheblichen Folgekosten. Inzwischen haben sich private Marktakteure auf ein eigenes Modell zum Tierwohllabel geeinigt. Der Staat muss nicht überall mitmischen. Meine Damen und Herren, wir beklagen oft die staatliche Überbürokratisierung und Überregulierung. Stoppen wir diesen Prozess!
({1})
Ich will in Erinnerung rufen: Der gesamte Haushalt hat die verfassungsmäßigen Vorgaben strikt zu beachten: erstens Klarheit und Wahrheit bei allen Angaben, zweitens die haushaltswirtschaftlichen Grundsätze der Sparsamkeit und der Wirtschaftlichkeit. Beiden Vorgaben wird in diesem Haushaltsplan nicht Rechnung getragen. Man muss sich als Neuling im Bundestag wundern, dass bei den bisherigen Beratungen kaum Zahlen genannt wurden.
({2})
Das ist auf der kommunalen Ebene ganz anders. Da werden die Zahlen der einzelnen Haushaltsstellen intensiv diskutiert und hinterfragt.
({3})
Diese wünschenswerte Diskussion findet so im Bundestag nicht statt.
({4})
Die Koalitionäre begründen die Haushaltsansätze in der Regel mit Vorhaben, die den Menschen mehr Lebensqualität bringen sollen. Das wollen wir alle, wenn es denn bezahlbar ist. Frau Ministerin Klöckner hat sich zur Stärkung und Weiterentwicklung der ländlichen Räume eindeutig positioniert.
({5}): Gut so!)
Ihr sind die gleichwertigen Lebensverhältnisse im ländlichen Raum besonders wichtig.
({6})
Dazu gehören schnelles Internet, gute Verkehrsanbindungen, Kinderbetreuung, Pflegeangebote, flächendeckende medizinische Betreuung und Schulstandorte in Wohnortnähe. Wer könnte das nicht unterschreiben? Es ist ja fraktionsübergreifend Konsens, dass die ländlichen Räume gestärkt werden müssen. Die Realisierung dieser ehrgeizigen Zielsetzung gibt die finanzielle Ausstattung des Haushalts jedoch nicht her.
({7})
Betrachten wir den Landwirtschaftshaushalt insgesamt: Er hat ein Gesamtvolumen von gut 6 Milliarden Euro . Zwei Drittel des Haushalts werden für die agrarsoziale Sicherung benötigt. Das will und kann niemand ändern. Es verbleiben 2 Milliarden Euro.
Ein weiterer Schwerpunkt im Haushalt ist die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Hier gibt es einen Ansatz von 765 Millionen Euro. Aber die vom Bund bereitgestellten Mittel müssen von den Ländern kofinanziert werden.
({8})
Deshalb sind hier häufig Ausgabenreste im zweistelligen Millionenbereich zu verzeichnen. Gleichwohl: Jede Kürzung in diesem Bereich verbietet sich. Es ist zu hoffen, dass die Länder den zur Verfügung stehenden Finanzrahmen künftig ausschöpfen.
Von den nun noch verbleibenden Mitteln in Höhe von 1,25 Milliarden Euro benötigt das Ministerium 100 Millionen Euro für den Eigenverbrauch. Aber, Frau Ministerin, es wird Zeit, dass die heute noch in Bonn befindlichen Teile Ihres Ministeriums bald nach Berlin kommen. Dadurch könnten Sie Einsparungen erzielen. Zum Beispiel betrugen die Flugkosten Ihres Hauses für die Unterhaltung der Stelle in Bonn im Haushaltsjahr 2017 – Berlin–Bonn und retour – rund 300 000 Euro.
Es verbleiben etwas mehr als 1 Milliarde Euro für die eigentlichen Aufgaben des Ministeriums. Hier finden wir Ausgaben für die Daseinsvorsorge, die Unterhaltung von Forschungsinstituten, die Digitalisierung, die Öffentlichkeitsarbeit, das Programm „Ländliche Entwicklung“ und vieles andere mehr. Es gehen auch Unterstützungszahlungen in das Ausland.
Die zahlreichen zukünftigen Verpflichtungsermächtigungen geben Anlass zur Sorge. Jedenfalls erschweren sie zukünftig ausgeglichene Haushalte. Die nächste Verpflichtung ist schon im Geschäftsgang: Für eine Außenstelle des Europäischen Forstinstituts in Deutschland hat die Bundesregierung für zehn Jahre jährlich 450 000 Euro zugesagt.
({9})
Wir brauchen keine forstwirtschaftlichen Belehrungen durch Europa.
({10})
Die forstwirtschaftlichen Fakultäten unserer Universitäten leisten hervorragende Arbeit.
Meine Damen und Herren, in den Regierungsparteien wird sich häufig zufrieden über die schwarze Null geäußert. Die schwarze Null ist jedoch kein Wert an sich, sondern eine pure Selbstverständlichkeit.
({11})
Wenn aber trotz starker jährlicher Steuerzuwächse
({12})
– hören Sie erst mal zu! –
({13})
nichts für die Rücklagen, ja nichts für die Schuldentilgung getan wird, dann ist das eine Versündigung an den nachwachsenden Generationen.
({14})
Überhaupt haben wir in der ganzen Diskussion wenig oder nichts über den Schuldenabbau gehört. Wann, wenn nicht jetzt, werden die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien den Schuldenabbau in Angriff nehmen? Lassen Sie mich etwas polemisch fragen: Was kommt da auf unsere Kinder und Enkel zu?
Ein Beispiel aus Niedersachsen.
Herr Kollege, die Zeit ist abgelaufen.
({0})
Niedersachsen wird in diesem Jahr erstmalig 100 Millionen Euro Schulden tilgen. Wenn das so weitergeht, dauert es 615 Jahre, bis die Schulden getilgt sind. Und wenn wir das hier und heute thematisieren, dann kommt gleich der Vorwurf, die AfD erzeuge Angst. Aber wir bleiben an dem Thema dran. Die nächsten Haushaltsberatungen sind ja schon in Sichtweite. Wir bleiben am Thema.
Herzlichen Dank.
({0})
Der nächste Redner ist der Kollege Christian Haase, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Ministerin Klöckner! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für die ländlichen Räume, ein guter Tag für die Bäuerinnen und Bauern und ein guter Tag für die Ehrenamtlichen in unserem Land.
({0})
Nach intensiven Beratungen der Einzelpläne im Ausschuss beenden wir endlich die Zeit der vorläufigen Haushaltsführung. Endlich können die Abteilungen, Referate und Institute anfangen, zu gestalten.
({1})
Mit dem vorliegenden Haushalt demonstrieren wir, dass wir keine Zeit verlieren wollen. Die großen Vorhaben des Koalitionsvertrages packen wir nun an.
({2})
Der Haushalt des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ist ein besonderer; denn er beschäftigt sich mit Themen und Fragen, die ganz nah am Menschen sind. Hochwertige Lebensmittel, gesunde Ernährung, lebendige Wälder, glückliche Tiere, Gestaltung ländlicher Räume und gute Rahmenbedingungen für unsere Bauern – das sind unsere zentralen Themen.
({3})
Ich freue mich sehr, dass ich diese Debatte eröffnen darf und möchte einige Schwerpunkte nennen, die mir besonders am Herzen liegen.
In Deutschland leben rund 60 Prozent der Bevölkerung in ländlichen Räumen, 91 Prozent der Fläche Deutschlands ist ländlicher Raum, und mehr als die Hälfte der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten arbeiten im ländlichen Raum.
Ländliche Räume sind mehr als ein Anhängsel der großen Städte. Sie sind für viele Menschen Lebens-, Wirtschafts- und Erholungsraum.
({4})
Aber leider gibt es dort immer häufiger das Gefühl, abgehängt zu sein: von der wirtschaftlichen Entwicklung, von Zukunftstechnologien und von der öffentlichen Wahrnehmung. Mit diesem Haushalt unterstreichen wir, dass wir diese Menschen nicht alleine lassen.
({5})
Als Beispiel nenne ich das Bundesprogramm für ländliche Entwicklung. Mit „Land.Digital“ nutzen wir die Chancen der Digitalisierung. Wir aktivieren Mitmacher zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements. Wir sorgen mit dem Wettbewerb „Kerniges Dorf“ für eine strategische Dorfentwicklung. Das sind nur drei Themen, bei denen das Bundesprogramm konkrete Förderung bietet. Daher freut es mich, dass wir das Programm auf bisherigem Niveau fortsetzen und auch die Stellen für ländliche Räume deutlich aufstocken. Ländliche Räume sind ein strategischer Kernpunkt unseres Hauses.
Darüber hinaus hat der Bund 2016 begonnen, über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ auch die Bundesländer mit 40 Millionen Euro bei der Förderung der ländlichen Entwicklung zu unterstützen. In diesem Jahr stellen wir zusätzlich einen Sonderrahmenplan mit 10 Millionen Euro zur Verfügung, der in den nächsten Jahren weiter ausgebaut wird.
Wie bei den anderen Maßnahmen der Gemeinschaftsaufgabe funktioniert die Bundesförderung in manchen Ländern besser, in anderen schlechter. Hier erwarte ich mehr Anstrengung und Koordinierung. Die Ursachen dafür scheinen vielfältig zu sein, aber die Verantwortung immer nur dem Bund zuzuschieben, das kann ich nicht akzeptieren.
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Wenn der Bund Mittel bereitstellt, sollen sie auch ausgeschöpft werden.
Nun soll ein Bericht des Planungsausschusses Vorschläge zur flexibleren Inanspruchnahme der Bundesmittel liefern. Ich bin gespannt! Mit einem Maßgabebeschluss haben wir dafür gesorgt, dass dieser Bericht dem Haushaltsausschuss nach der Sommerpause vorliegt. Denn eines ist klar: Wir als Bundesgesetzgeber sind bereit, die Rahmenbedingungen der Gemeinschaftsaufgabe zu ändern, wenn dies dem besseren Mittelabfluss dient.
Dabei sollten wir auch eine Grundgesetzänderung erwägen. Die geplante Änderung des Grundgesetzes, unter anderem in den Bereichen sozialer Wohnungsbau – das ist ja mehr für den städtischen Bereich – und Bildung, ist eine gute Gelegenheit, auch die Förderung des ländlichen Raumes verfassungsfest zu machen.
({7})
Ich unterstütze den Sachverständigenrat beim BMEL, der die Begriffe „Agrar“ und „Küste“ durch „ländliche Entwicklung“ ergänzen will. Eine Erweiterung der GAK muss aber mit einem Mittelaufwuchs einhergehen; denn eine Umverteilung zulasten unserer Landwirte darf es nicht geben.
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Wir sollten auf die Fachleute um den Vorsitzenden Professor Henneke hören. Mit der Grundgesetzänderung können wir dort aktiv werden, wo Handlungsbedarf besteht: bei der Grundversorgung und beim ehrenamtlichen Engagement. Auch die Wirtschaft im ländlichen Raum braucht passgenaue Förderung. Dies könnte eine erweiterte GAK im Zusammenspiel mit der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ leisten.
Wie man die Sache richtig angeht, macht die Ministerin mit dem neuen Aktionsbündnis „Leben auf dem Land“ vor. Sie holt sich die Expertise der kommunalen Spitzenverbände, der IHKs und des Handwerks ein. Sie wissen, was vor Ort gebraucht wird. Ich freue mich, dass das Ministerium diese geballte Erfahrung bündelt und nutzt. Ich erhoffe mir von dem Aktionsbündnis viele gute Impulse, um die Wirtschaft und die Lebensqualität im ländlichen Raum nachhaltig zu stärken.
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Meine Damen und Herren, ländliche Räume sind natürlich auch eng mit der Landwirtschaft verknüpft. Nur wenn es den Landwirten gut geht, geht es auch den ländlichen Räumen gut. Deshalb ist es genau die richtige Entscheidung, dass wir die Bundeszuschüsse zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung bei 178 Millionen Euro verstetigen.
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„Bauern fürchten Dürreschäden“ titelte zuletzt meine heimische Zeitung. Und weiter: „Deutsche Bauern bangen angesichts von Wetterkapriolen und ungewisser Preise für wichtige Produkte um ihre wirtschaftliche Basis“. Im Norden ist durch Trockenheit von Ernteausfällen bis zu 50 Prozent die Rede, zum Beispiel bei Gerste und Weizen. Der Süden leidet unter der Nässe. Diese verheerenden Nachrichten geben uns recht: Die landwirtschaftliche Unfallversicherung stärkt und stabilisiert die Einkommensbasis unserer Landwirte. Sie ist genauso wichtig wie die Direktzahlungen aus der EU in der ersten Säule. – Wir, die CDU/CSU, stärken in schwierigen Zeiten unsere Bäuerinnen und Bauern, und das wird auch in Zukunft so bleiben.
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Als letzten Punkt möchte ich noch den Klimaschutz ansprechen. Die Steigerung der Energieeffizienz ist ein wichtiger Baustein zur Erreichung unserer Klimaziele; aber es reicht nicht aus, hierbei nur auf Haushaltsgeräte und Wohnhäuser zu achten. Auch die Landwirtschaft und der Gartenbau leisten hier ihren Beitrag. Ich wollte, als zuletzt im Umweltausschuss Tätiger, genau wissen, wie das Bundesprogramm zur Energieeffizienz läuft. Wie werden die Mittel abgerufen? Wie ist die Nachfrage? – Es ist zwar schleppend angelaufen, aber mittlerweile können wir feststellen, dass sich das komplett gedreht hat. Die Nachfrage ist so groß, dass wir ihr gar nicht mehr entsprechen können. Deshalb war es gut, dass ich mich mit meinen Kollegen darauf verständigt habe, diesen Titel noch einmal um 8 Millionen Euro zu erhöhen und die Verpflichtungsermächtigungen um weitere 13 Millionen Euro. Damit stellen wir sicher, dass das Programm auch nach 2018 weitergeführt werden kann.
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Meine Damen und Herren, auch der Wald leistet seinen Beitrag zum Klima. Ein bewirtschafteter Wald kann im Vergleich zu einem stillgelegten deutlich mehr CO 2 speichern. Dabei geht es schon mal um mehrere Tausend Tonnen CO 2 . Nachhaltige und aktive Waldbewirtschaftung sind eine deutsche Kompetenz, die weltweit nachgefragt wird.
({13})
Daher stellen wir für die internationale nachhaltige Waldbewirtschaftung zusätzlich 1 Million Euro zur Verfügung. Darüber hinaus schaffen wir ein Kompetenzzentrum Wald und Holz bei der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe. Ein eigenständiges Referat für den Holzmarkt im Ministerium ist ein Schritt, über den wir demnächst nachdenken sollten.
Insgesamt sind wir mit diesem Haushalt auf einem guten Weg. So wollen wir auch nach der Sommerpause mit dem Haushalt 2019 weitermachen. Ich bedanke mich bei Julia Klöckner und dem Haus für die gute Zusammenarbeit genauso wie bei meinen Berichterstattern. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen.
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Herr Kollege Haase, herzlichen Dank. – Als Nächstes lauschen wir den Worten der Kollegin Ulla Ihnen von der FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Land- und Forstwirtschaft werden allgemein als Herz und Rückgrat der ländlichen Räume in Deutschland bezeichnet. Diese Regierung hat es sich ja auch zum Ziel gesetzt, die ländlichen Räume in Deutschland besonders zu stärken. Das finden wir Freien Demokraten begrüßenswert, und wir würden das auch unterstützen;
({0})
doch statt den Land- und Forstwirten mehr beruflichen Freiraum zu geben, wird die Landwirtschaft in ein Bürokratiekorsett gezwängt, und zwar in eins nach dem anderen. Erheblicher Aufwand am Schreibtisch kommt immer wieder neu hinzu. Die Düngemittelverordnung ist ein gutes Beispiel dafür. Bilanzieren, dokumentieren, berechnen – 32 Stunden im Monat verbringt ein Tierhalter mittlerweile am Schreibtisch statt bei seinen Tieren. Das finden wir nicht mehr so ganz normal.
({1})
So ist es schwierig, Land- und Forstwirtschaft auch in der Zukunft zu einer attraktiven Branche für junge Leute zu machen. Der ländliche Raum und seine Landwirtschaft dürfen nicht abgehängt werden. Ich glaube, da sind wir uns parteiübergreifend einig. Aber dafür stehen Sie, Frau Ministerin, mit in der Hauptverantwortung.
Wie erhalten wir denn nun die Arbeit in der Land- und Forstwirtschaft und in unseren Gartenbaubetrieben attraktiv? Wir Freien Demokraten haben uns nachdrücklich für die Einführung einer Risikoausgleichsrücklage eingesetzt. Das wäre für Landwirte eine wichtige Möglichkeit, für schlechte Zeiten vorzubeugen, zum Beispiel mit Blick auf Ernteausfälle. Das wäre ein mutiger und richtiger Schritt gewesen. Wir wären ihn gerne mit Ihnen zusammen gegangen, Frau Ministerin. Leider hat die Große Koalition das nicht gewollt.
({2})
An den über 120 neu geschaffenen Planstellen in Ihrem Geschäftsbereich sehen wir, wohin die Reise gehen soll: mehr Staat und damit mehr Bürokratie. Wir sehen das sehr kritisch, auch wenn ich fairerweise dazusagen möchte, dass wir die neuen Personalressourcen für die schnellere Zulassung neuer Pflanzenschutzmittel begrüßen.
({3})
Diese Stellen haben einen konkreten Nutzen für die Landwirte. Doch warum blähen Sie den Verwaltungsapparat weiter so auf? Das Ergebnis kann doch wieder nur mehr Bürokratie für die Landwirtschaft sein.
Mit unseren Änderungsanträgen zum Haushalt haben wir Freie Demokraten moderate Einsparungen vorgeschlagen, zum Beispiel bei den mit anderen Ressorts nur unzureichend koordinierten Auslandsaktivitäten des Hauses, aber auch bei bislang wirkungslos gebliebenen Öffentlichkeitskampagnen. Auch das von Ihnen favorisierte neue staatliche Tierwohllabel lehnen wir ab. Es gibt schon einige solcher Label. Warum wollen Sie ein weiteres, offensichtlich freiwilliges, Label dann noch hinzufügen? Ein neues Label heißt doch vor allem eines: mehr und neue Bürokratie für die Landwirte, die an diesem Label teilnehmen und an den dahinterstehenden Fördermitteln teilhaben wollen.
Ich möchte auch noch zum Thema Digitalisierung kommen, meinem Lieblingsthema. Die Bundeskanzlerin hat gestern gesagt:
Die Landwirtschaftspolitik und die gesamte Landwirtschaft werden sich in der digitalen Welt völlig anders aufstellen.
Das ist völlig richtig. Aber wieso haben die Regierung und die Große Koalition unserem sogar gegenfinanzierten Antrag zur Erhöhung des Haushaltstitels „Digitalisierung in der Landwirtschaft“ dann nicht zugestimmt? Das wäre doch gut angelegtes Geld gewesen.
({4})
Wenn Deutschland auch in Zukunft einen leistungsfähigen Agrarsektor haben will, dann muss jetzt gehandelt werden: vom Breitbandausbau in ländlichen Gebieten bis hin zur konsequenten Anwendung von Big Data in der Landwirtschaft.
Wir glauben, in Ihrem Haus gibt es noch keine wirksamen Ideen und Konzepte dafür. Wir Freien Demokraten bringen unsere Vorstellungen aber gerne ein.
Frau Ministerin, ich möchte mich an dieser Stelle für die gute Unterstützung durch Ihr Haus während der Beratungen bedanken. Wir Freien Demokraten können diesem Haushaltsentwurf aber nicht zustimmen; denn er setzt aus unserer Sicht die falschen Prioritäten.
({5})
Wir Freien Demokraten fordern Sie auf: Konzentrieren Sie sich auf die Kernaufgaben des Ressorts, bauen Sie mutig Bürokratie ab und nicht Hochglanzkampagnen auf! Nur dann werden unsere Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft sowie die Fischerei leistungs- und wettbewerbsfähig bleiben.
Wir Freien Demokraten wollen, dass die Landwirtschaft mit Optimismus in die Zukunft schauen kann, und dafür bieten wir Ihnen gerne unsere Unterstützung an.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Frau Kollegin Ihnen. – Nun spricht für die SPD-Fraktion der Kollege Ulrich Freese.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn, Herr Gottberg: 200 Seiten Zahlen, Daten und Fakten, 200 Seiten Antworten aus dem Ministerium auf unsere Fragen; Zahlen, Daten, Fakten. Ich empfehle, Rechnen und Lesen zu lernen und hier nicht nur demagogische Ideologie zu verbreiten.
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Wenn ich diesem Haushalt eine Storyline verpassen sollte, dann würde sie wahrscheinlich so lauten: „Gute, gesunde Ernährung als ein Stück Lebensqualität für jede und jeden in Deutschland – Eine Landwirtschaft, die wirtschaftlich gut aufgestellt ist und der Umwelt, den Menschen und den Tieren gerecht wird“.
({1})
Worum geht es? Es geht darum, dass 82 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, gleich welchen Geschlechtes, gleich welchen Glaubens – ob evangelisch, katholisch, Atheist, Buddhist, Muslim –, gleich welcher Ernährungsart – ob Veganer oder Nichtveganer, ob hammelfleisch-, schweinefleisch- oder rindfleischessend –, gut leben und essen wollen. Das wollen sie ökologisch vernünftig und nachhaltig.
Sie wollen saubere Seen, gesunde Wälder, grüne Wiesen, eine Kulturlandschaft und ertragreiche Äcker. Sie wollen, dass Tiere in freier Wildbahn, aber auch in Weide- und Stallhaltung artgerecht gehalten werden.
({2})
Meine Damen und Herren, dafür brauchen wir eine ökologisch-nachhaltige Landwirtschaft und Forstwirtschaft. Aber wir brauchen vor allem Menschen, die in den rund 270 000 landwirtschaftlichen Betrieben arbeiten wollen und auch davon leben können.
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Das sind kleine und mittlere Betriebe, die familiengeführt sind. Ich sage als ostdeutscher Bundestagsabgeordneter: Das sind aber auch Genossenschaften, GmbHs oder AGs als Nachfolge von LPGs, die von Familien geführt werden und in denen Familien arbeiten. Deshalb haben wir – das hat mein Kollege Haase klar und deutlich gesagt – auch mit diesem Haushalt unsere Verantwortung übernommen, und wir sichern das soziale Sicherungssystem mit etwa 4 Milliarden Euro aus diesem Bundeshaushalt.
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Ich will an dieser Stelle aber auch sagen, dass wir den Bericht des Bundesrechnungshofes, der in den nächsten Tagen bezüglich der Zielgenauigkeit der zusätzlichen Mittel im Bereich der landwirtschaftlichen Unfallversicherung zu erwarten ist, sehr ernst nehmen und gucken werden, ob das, was wir damals vor zwei Jahren wollten, letztendlich auch erreicht worden ist. Das ist der eine Teil der Förderung der Landwirtschaft.
Der andere Teil der Förderung der Landwirtschaft – darauf zielte meine Bemerkung zu den Nachfolgeorganisationen der LPGs in Ostdeutschland – sind die Mittel der EU, also die europäische Säule, in Höhe von 5 Milliarden Euro. Zu der Diskussion darüber, wie wir zukünftig die Europäische Gemeinsame Agrarpolitik finanziell ausgestalten und die Mittel verteilen wollen, kann ich nur sagen: Hektar ist gleich Hektar. Ansonsten wird das in Ostdeutschland den Familien und ihren Angehörigen, die in der Landwirtschaft unternehmerisch tätig sind, nicht gerecht.
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Ein weiterer Punkt, meine Damen und Herren. Im Haushalt sind die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ angesiedelt. Da will ich das unterstreichen, was Christian Haase gesagt hat: Der Mittelabfluss ist nicht ausreichend. Der Mittelabfluss muss besser werden. Von daher erwarten wir den Bericht der Bundesregierung bis zum 3. September dieses Jahres, um bei der Haushaltsberatung 2019 Wege zu finden, wie wir hier einen zielgenaueren und beschleunigten Mittelabfluss organisieren können.
Zuletzt will ich noch eine Bemerkung machen. Christian Haase, du hast sehr viele Punkte vorgetragen, die Ergebnis gemeinsamer Arbeit sind. Aber ich will als Sozialdemokrat sehr klar und deutlich sagen, dass vieles in diesem Haushalt steht, was wir in der letzten Wahlperiode als Sozialdemokraten mit euch gemeinschaftlich diskutiert haben. Das Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“ ist ein Programm, das euch durch sozialdemokratische, sehr penetrierende Diskussionen abgerungen worden ist.
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Ich bin froh, dass wir dafür nach wie vor 55 Millionen Euro im Haushalt stehen haben und dass wir weitere 10 Millionen Euro für ein Sonderprogramm aufgenommen haben.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich bin froh, dass wir gemeinschaftlich im Haushaltsausschuss dem Ministerium zusätzliche Stellen zugestehen konnten, –
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
– um eine strategische Abteilung „Entwicklung Ländlicher Räume“ auf den Weg zu bringen. Alle anderen Fragen, die hier auf meinem langen Stichwortzettel stehen, werden mit Sicherheit meine Kollegen Matthias Miersch und Rainer Spiering abarbeiten.
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Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Heidrun Bluhm das Wort für die Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über einen Haushaltsplan, der eine große Bedeutung hat für unsere Agrarbetriebe und für die Landwirte, die ihre ganze Energie und Lebenskraft in die Produkte stecken, die wir zum Leben brauchen. Wir beraten hier über einen Haushaltsplan, der das Leben in den ländlichen Räumen gestaltet. Und wir beraten hier über einen Haushaltsplan, der darüber bestimmt, ob unsere Nahrungsmittel ausreichend kontrolliert werden und ob das, was wir essen, auch gesund ist.
Doch während sich auf der einen Seite Spekulanten, Konzerne und Kartelle immer mehr Einfluss und Gewinne sichern, leiden viele Bauern unter miserablen Marktbedingungen und in diesem Jahr besonders unter den natürlichen Bedingungen. Also, ökologisch und sozial nachhaltige Agrarpolitik? Noch Fehlanzeige.
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Oder eine solide Politik für den ländlichen Raum, die den Menschen Chancen eröffnet und Teilhabe und Zukunftsperspektiven in allen Teilen des Landes sichert, und das eben nicht nur in Speckgürteln um die Metropolen herum? Bisher auch noch Fehlanzeige. Oder eine Verbraucherpolitik, die die Verantwortung nicht auf die Konsumenten abwälzt, sondern die Verbraucherinnen und Verbraucher schützt, Transparenz schafft und die unsere Bürgerinnen und Bürger überhaupt erst in die Lage versetzt, sich über Inhaltsstoffe, Herkunft der Produkte sowie faire und tiergerechte Produktionsbedingungen zu informieren? Auch noch Fehlanzeige.
Genau diese Ansprüche haben die Menschen aber zu Recht an uns. Diese müssen sich auch in dem Haushaltsplan widerspiegeln. Tun sie aber nicht.
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Wir geben 6 Milliarden Euro für Agrar- und Ernährungspolitik und den ländlichen Raum aus. Herr Fuchtel hat in der letzten Debatte von 1,5 Milliarden Euro mehr gesprochen, die die Koalition für diesen Bereich in dieser Legislaturperiode zur Verfügung stellen will. Das begrüßen wir. Doch diese 1,5 Milliarden Euro müssen sich im Haushalt auch tatsächlich abbilden, bisher findet diese aber keiner.
Das sage ich besonders vor dem Hintergrund der anstehenden Reform der EU-Agrarpolitik. Wie die ersten Entwürfe zeigen, werden sich die Kürzungen, die zu erwarten sind, vor allem in der zweiten Säule der europäischen Förderung, bei der GAP, niederschlagen. Hier müssen wir rechtzeitig gegensteuern – und rechtzeitig ist jetzt.
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Ein Weiter-so bei den Direktzahlungen, ohne damit eine ökologisch wie sozial nachhaltige Landwirtschaftspolitik zu verwirklichen, führt in die Sackgasse. Das wird auch dazu führen, dass unsere Agrarpolitik in Zukunft noch weniger Rückhalt in der Gesellschaft haben wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit Jahren reden wir an dieser Stelle darüber, dass wir auch durch unsere landwirtschaftliche Exportorientierung andere Kontinente wirtschaftlich zerstören. Wenn man sich die Entwicklung der Fleischexporte nach Afrika ansieht, die in den letzten zehn Jahren um 1 000 Prozent gesteigert wurden, dann ist doch klar, warum wir so viele Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer sehen.
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Handeln Sie, Frau Klöckner! Das zu verändern, könnte Ihr Beitrag zur Überwindung der aktuellen Regierungskrise mit der CSU sein. Der CSU-Minister Müller übrigens hat das schon lange begriffen und versucht, mit seinem Masterplan für Afrika das zu verändern. Aber leider ist er in der Regierung noch ein einsamer Rufer auf weiter Flur.
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Frau Ministerin, sorgen Sie dafür, dass unsere Agrar- und Ernährungspolitik nicht weiter unsere Entwicklungspolitik konterkariert und die Märkte des globalen Südens weiter kaputtmacht.
Diese Exportorientierung schadet übrigens auch uns hier zu Hause, weil durch Massenproduktion Böden und Grundwasser verseucht werden. Nehmen Sie die ausgestreckte Hand der Umweltministerin Schulze, die sie Ihnen mit der neuen Ackerbaustrategie reicht, frei nach dem Motto: Hand in Hand für unser Land!
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Unsere Exportstrategie schadet natürlich auch den Beschäftigen im Agrarsektor, weil sie einem ständigen Preisdruck unterliegen. Dieser Fakt wird in der politischen Debatte aber oft völlig unterbelichtet, und wir werden diesem Anspruch mit unserer Politik auch nicht gerecht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Ende meiner Rede möchte ich noch einmal zum Ausdruck bringen, dass es Zeit ist für eine sozial und ökologisch nachhaltige Landwirtschaftspolitik, eine Politik, die den Bienen nutzt. Frau Klöckner, Sie haben zu Beginn Ihrer Amtsübernahme gesagt – ich zitiere –: Was den Bienen schadet, muss vom Markt! – Erlauben Sie mir, dieses Zitat zu komplettieren: Wer den Bienen schadet, auch!
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Bluhm. – Als Nächstes für Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Dr. Tobias Lindner.
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Vielen Dank. – Geschätzter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Haase, Sie haben zu Recht die Wetterkapriolen erwähnt – mögliche Dürre, Ernteausfälle –, unter denen die Landwirte in Deutschland zu leiden haben. Aber wenn man über den Tellerrand hinausblickt und eine solche Haushaltswoche nutzt, um nicht nur über das eigene Fachgebiet zu reden, dann wird eines natürlich ganz deutlich: Klimaschutz, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist kein Luxusthema; er geht uns alle an.
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Wenn eine Bundesregierung wie diese viel zu wenig tut beim Thema Klimaschutz, dann merkt man ganz konkrete Auswirkungen auf die Menschen hier in Deutschland und erst recht auf die Landwirtschaft.
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Gerade deshalb muss man beim Thema Landwirtschaft sagen – ich unterstreiche das vollkommen –, dass der ländliche Raum mehr ist als der Ort zur Erzeugung von Lebensmitteln. Ländlicher Raum ist Lebensqualität. Ländlicher Raum ist Struktur. Ländlicher Raum ist für viele Menschen Heimat. Aber gerade wenn man ihn erhalten will, dann muss man natürlich die Art und Weise, wie man Landwirtschaft betreibt, ändern. Da tut diese Bundesregierung viel zu wenig, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Man hätte ja noch hoffnungsvoll sein können, als man in den Koalitionsvertrag geschaut hat. Denn da finden sich durchaus Stichworte, für die auch wir Grünen uns erwärmen können, zum Beispiel die bäuerliche und ökologische Landwirtschaft und das Tierwohllabel. Dazu möchte ich Ihnen ganz deutlich sagen: Das muss man staatlich machen. Wenn wir der Agrarindustrie selbst überlassen, die Standards zu setzen, dann werden das keine Standards sein, die Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich bewusst entscheiden wollen, irgendwie nützen werden.
Es findet sich im Koalitionsvertrag auch die ominöse Zahl von 1,5 Milliarden Euro für die Entwicklung der ländlichen Räume. Aber schaut man sich die Umsetzung im Haushalt 2018 an – ich verrate kein Geheimnis – und schaut man in das, was morgen im Entwurf des Haushalts 2019 stehen soll, dann muss man feststellen: So weit, so wenig. Denn die Umsetzung im Haushalt lässt diese wohlklingenden Begriffe doch leider eher zu Überschriften verkommen.
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Das Stichwort „Bienen“ ist schon gefallen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Manche erinnern sich vielleicht noch an die erste Elefantenrunde am 16. Mai dieses Jahres, als die Bundeskanzlerin hier von diesem Pult in der Generalaussprache über das Thema Bienensterben sprach und sagte – ich zitiere –:
Die Bienen stehen inzwischen pars pro toto für das, was wir unter Artenvielfalt, unter Natur ... verstehen.
Aber wenn dem so ist, wenn das sogar die Bundeskanzlerin erkannt hat, wenn klar ist, dass es um Bienen, aber auch um viel mehr, nämlich um unsere Biodiversität geht, dass es darum geht, dass das ökologische Gleichgewicht im Gleichgewicht bleibt, dann muss ich Sie fragen, Frau Klöckner: Warum hat man vom Ihrem Reduktionsplan im Hinblick auf Neonikotinoide – eine Sache, die so unaussprechlich ist, dass man sie allein deswegen verbieten sollte –
({3})
bisher nichts gehört, nichts gelesen und nichts gesehen?
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Sie haben ja angekündigt, Geld für dieses Thema zur Verfügung zu stellen. In Ihrem Haushalt finden sich exakt drei neue Stellen und, ich glaube, drei Bienenvölker auf dem Dach Ihres Hauses. Ganz im Ernst: Ich weiß nicht, wie sich drei neue Stellen allein, wenn man sonst nichts beim Thema Neoniks macht, um 877 000 Bienenvölker in Deutschland kümmern sollen.
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Zum Thema „Tierwohl und ökologische Landwirtschaft“ will ich Ihnen ein weiteres Beispiel nennen. Ja, wir müssen zu besseren Haltungsbedingungen für Tiere kommen. 88 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher sind bereit, für Fleisch, das aus ordentlicher Haltung kommt, mehr zu zahlen.
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Wenn man Tierställe artgerecht umbauen und die Landwirte mitnehmen will, kostet das aber nach Schätzungen zwischen 3 und 4 Milliarden Euro. Bei Ihnen im Haushalt finden sich gerade einmal 15 Millionen Euro für ein Stallumbauprogramm. Wenn Sie in diesem Tempo weitermachen, dann wird sich bei diesem Thema in den nächsten Jahrzehnten nichts ändern. Das können wir nicht zulassen, nicht im Interesse der Verbraucher und erst recht nicht im Interesse der Tiere.
({7})
Wir Grüne haben in den Haushaltsberatungen Vorschläge gemacht, was wir anders machen würden, wo wir Ihr Haus stärken würden und wie wir diese Themen finanziell unterfüttern würden. Wir können Sie nur aufrufen, beim Haushalt für 2019 an diesen Stellen auf jeden Fall mehr Geld vorzusehen. Im Haushalt für 2018 werden hierfür so geringe Mittel zur Verfügung gestellt, dass wir ihm nicht zustimmen können.
Der letzte Punkt in meinen letzten 20 Sekunden: Bemühen Sie sich um die 1,5 Milliarden Euro für die Entwicklung der ländlichen Räume! Bisher ist in Ihrem Haushalt nichts davon zu sehen. Dieses Geld wäre viel zu schade, um es Heimat-Horst zu geben.
Herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lindner. – Als nächste Rednerin hat die Bundesministerin Julia Klöckner das Wort.
({0})
Danke schön. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Haushaltsdebatte soll ja Wissen mehren. Deshalb möchte ich Ihnen, sehr geehrter Kollege Lindner, ganz kurz etwas verdeutlichen. Ich glaube, Sie haben eben Glyphosat und Neonikotinoide verwechselt.
Es gibt eine Reduktionsstrategie für Glyphosat, und es gibt ein Verbot für Neonikotinoide.
({0})
– Sehen Sie, das ist genau wieder der Punkt bei Ihnen. Wir haben ein Verbot umgesetzt, das – –
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– Doch, doch. – Und das ist das Problem.
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Da sind Sie manchmal nicht anders als die AfD. Sie nehmen einen Oberbegriff, nur um die Menschen zu verunsichern.
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Sie wissen, dass wir dem EU-Kommissionsvorschlag zugestimmt haben, dass Neonikotinoide nicht mehr im Freiland eingesetzt werden. Insofern war dies eine Verwechslung; das kann passieren. Aber ich wollte es einfach noch einmal klarstellen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Landwirtschaft verbindet Tradition und Aufbruch, Hightech und Nachhaltigkeit. Ich war in der vergangenen Woche beim Deutschen Bauerntag in Wiesbaden. Da konnte man diesen Aufbruch förmlich mit Händen greifen.
Die Landwirtschaft ist eine Branche, die wachsenden Erwartungen gegenübersteht. Das haben wir bei den unterschiedlichen Beiträgen der Fraktionen gesehen. Jede Fraktion drückt ja auch einen Teil der Gesellschaft aus.
Schauen wir es uns an: China investiert enorm in eine moderne Landwirtschaft und strebt bis 2025 weltweit eine Schlüsselrolle in der Landtechnik und der Digitalisierung an. Das hat dann natürlich Auswirkungen auf das Wirtschaften und auf die Nutzung von Landtechnik und der Digitalisierung hier bei uns in Deutschland. Und Europa? Ordnet sich neu und plant weniger Geld für die Landwirtschaft ein. Ich will sagen: Hier haben wir noch erheblich Diskussionsbedarf.
Gleichzeitig werden vonseiten der Verbraucher die Fragen an die Landwirtschaft immer mehr: die Fragen nach dem Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln, nach mehr Tierwohl, nach mehr Nachhaltigkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Landwirtschaft kann sich diesen Anforderungen sehr selbstbewusst stellen;
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ich sage ganz klar: nicht defensiv verteidigend, sondern proaktiv gestaltend. Auch die Landwirtschaft muss sich weiterentwickeln, anpassen, aber – das ist der Unterschied zu dem, was auch Vorredner gesagt haben – ich meine, die Landwirtschaft braucht keine abrupte Agrarwende, so wie es die Grünen fordern, und auch nicht nationale Abschottung, wie es die AfD fordert, sondern kann mit einer ambitionierten Agrarentwicklung in die Zukunft gehen, aufbauend auf dem Erreichten.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer eine abrupte Revolution im Agrarsektor will, der baut Fronten auf, und der verliert die, die er eigentlich mitnehmen will.
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Ich plane und unterstütze eine zielgerichtete Weiterentwicklung unserer heimischen Landwirtschaft, damit sie wettbewerbsfähig, damit sie auch anerkannt bleibt. Für diese Agrarentwicklung bietet dieser Haushalt die Grundlagen. Der Einzelplan 10 ist ein in Zahlen gegossener Auftrag für unsere Politik mit den Schwerpunkten Nachhaltigkeit, Modernität und auch Wettbewerbsfähigkeit.
Liebe Kollegen, für den Zusammenhalt in unserem Land brauchen wir gleichwertige Lebensverhältnisse, einen ländlichen Raum, der sich gut entwickeln kann, der genauso wie die Land- und Ernährungswirtschaft Tradition und Moderne in einem ist. Diese Balance wollen unsere Bürgerinnen und Bürger. Und das gehen wir an, strukturell, mit dem Ziel, den Spielraum für die GAK zu erweitern.
Ich würde mich freuen, wenn die Kollegen der SPD helfen würden, ihre Finanzpolitiker zu überzeugen, dies durch eine Grundgesetzänderung zu ermöglichen. Denn wer es mit der Entwicklung der ländlichen Räume ernst meint, liebe Kolleginnen und Kollegen, der muss die Förderkulissen an die heutigen Bedürfnisse anpassen.
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Zwischenzeitlich gehen wir es im Rahmen unserer gesetzlichen Möglichkeiten finanziell an mit 765 Millionen Euro für die GAK. Unter anderem mit einem Sonderrahmenplan für die ländliche Entwicklung. Und mit 55 Millionen Euro für das Bundesprogramm Ländliche Entwicklung sorgen wir dafür, dass die Ideen engagierter Bürger Realität werden und so zum Vorbild für andere ländliche Regionen werden können: vom Lupinenkaffee, der in Nisdorf in Mecklenburg-Vorpommern neue Wertschöpfung schafft, bis zur digitalen Patientenakte, mit der wir die Versorgung von Patienten im Hochsauerlandkreis, also im ländlichen Raum, verbessern. Wir setzen neue Impulse in der Digitalisierung, in der Kultur, aber auch im Ehrenamt.
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Eines ist klar, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das Ehrenamt ist die Seele des Dorfes.
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Damit das auch so bleiben kann, braucht Ehrenamt Unterstützung durch das Hauptamt. Deshalb werde ich in meinem Ministerium ein Referat auch für Ehrenamt einrichten.
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Gestern war ich beim Deutschen Landfrauentag in Ludwigshafen. 70 Jahre deutsche Landfrauen: Das bedeutet 70 Jahre Engagement für ein besseres Leben für alle auf dem Land. Das ist eine stolze Leistung. Herzlichen Glückwunsch allen Landfrauen und auch den Männern, die sie dabei unterstützt haben!
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Wenn Landmaschinen über GPS und Sensoren gesteuert und Daten abgeglichen werden, dann wird präziser gearbeitet. Dann brauchen wir weniger Pflanzenschutzmittel und Dünger. Wenn Stallroboter eingesetzt werden, bleibt dem Landwirt mehr Zeit für das Tier. Und wenn Tiere digital beobachtet werden und ihr Zustand analysiert wird, ist der Landwirt sofort informiert, wenn es dem Tier nicht gut geht. Deshalb ist es wichtig, dass wir im Kapitel „Nachhaltigkeit, Forschung und Innovation“ 68 Millionen Euro mehr zur Verfügung haben.
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Darunter ist natürlich auch das Thema Digitalisierung gefasst. Ich werde digitale Test- und Experimentierfelder einrichten in Zusammenarbeit mit den Bundesländern. Wir werden exemplarisch ausprobieren und zeigen, wie das Leben im Dorf und die Arbeit auf dem Feld und im Stall durch digitale Unterstützung und Vernetzung in ein neues Zeitalter gehen können. Wir werden zum Beispiel mit Thomas Schmidt, dem Agrarminister in Sachsen, und vielen anderen diese Wege gemeinsam gehen. Ich glaube, so wird aus Theorie auch praktische Politik in der Umsetzung.
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Forschungsmittel und Innovationsförderung, all das gehört dazu. Das bildet sich auch im Aufbau des Ministeriums ab. Ich habe vor, für die Abteilungen jeweils einen Digitalisierungsreferenten einzuführen und einen Steuerungskreis „Digitalisierung“, damit wir vom Stall und von der Ackerfurche über die verarbeitende Industrie und den Handel bis zum Teller im Blick haben, wo der Staat digitale Entwicklungen unterstützen und koordinieren kann, dort, wo es notwendig ist und wo es Private so noch nicht können.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Sehr gern.
Danke, Frau Ministerin, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben sehr viel von Innovation gesprochen. Lassen Sie mich dazu später eine Frage stellen. Zuvor möchte ich noch etwas zu den Neonikotinoiden sagen. Sie haben gesagt: Die werden doch jetzt verboten und im Freiland nicht mehr zugelassen. – Da reden Sie aber nur von drei –
Drei Wirkstoffen.
– der zugelassenen Neonikotinoide. Thiacloprid und Acetamiprid sind nach wie vor auf dem Markt. Wir streiten über Cyantraniliprol, insbesondere über mit Cyantraniliprol gebeiztes Rapssaatgut, das nach Deutschland illegal importiert wird. Es wäre schön, etwas von Ihnen dazu zu hören.
Sie haben viel von Innovation gesprochen und haben sich auf die Digitalisierung konzentriert. Im Koalitionsvertrag stehen ein paar interessante Sätze zur neuen Gentechnik. Sie wollen dort Regelungen vornehmen, die das Vorsorgeprinzip und die Wahlfreiheit gewährleisten, also Risikoprüfung und Kennzeichnungspflicht; so interpretiere ich das. Heute ist der 5. Juli. In 20 Tagen wird der Europäische Gerichtshof ein Urteil – möglicherweise ein salomonisches – zur Einordnung der neuen gentechnischen Methoden in das Gentechnikrecht und zu deren Regulierung sprechen. Wir hören, dass über 60 Anträge – möglicherweise sind es 63; vielleicht ist das eine zufällige Zahl – auf Zulassung neuer gentechnischer Konstrukte über das Sortenrecht beim BVL liegen. Wir haben Hinweise darauf, dass das BVL, sollte das Urteil in seinem Sinne ausfallen, die entsprechenden Zulassungen sofort vornehmen möchte. Deshalb möchte ich Sie fragen: Würden Sie ein solches Vorgehen als konform mit dem Koalitionsvertrag bezeichnen, oder würden Sie sagen, dass hier vielleicht sogar ein Koalitionsbruch vorbereitet wird?
({0})
Können Sie garantieren, dass an dieser Stelle der Koalitionsvertrag eingehalten wird?
Sehr geehrter Herr Kollege, als Mitglied der Bundesregierung habe ich Respekt vor der Gewaltenteilung und werde einem Urteil, das noch nicht gefällt ist, nicht vorgreifen und mich auch nicht an Spekulationen beteiligen.
({0})
Eine Antwort bin ich Ihnen noch schuldig: Das ist das Thema Neonikotinoide. Ihr Kollege, den ich sehr schätze, hat von der Reduktionsstrategie für die Neonikotinoide gesprochen. Es gibt eine Reduktionsstrategie für Glyphosat. Wir haben auf europäischer Ebene dem Vorschlag der Kommission zugestimmt, die sich auf die Wissenschaft beruft, die EFSA. Die EFSA hat die drei Stoffe der Neonikotinoide in den Blick genommen, die bienenschädlich sind. Deshalb sind wir natürlich selbstverständlich gefolgt. Ich bin der Meinung: Bienen sind systemrelevant – auch wenn es hart ist für Zuckerrübenbauern und andere.
Das ist das, was eben auch Entwicklung der Landwirtschaft ausmacht. Daher werden wir der wissenschaftlichen Grundlage auch folgen. Insofern darf man sich Wissenschaft nicht nur dann aussuchen, wenn einem das Ergebnis passt, sondern man muss es zur Kenntnis nehmen, wenn es da ist, und das gilt dann für alle Ergebnisse.
({1})
Frau Ministerin, erlauben Sie mir eine kurze Zwischenbemerkung für die Mitglieder des Hauses. Zwischenfragen und Zwischenbemerkungen sollen kurz und präzise sein.
({0})
– Die Zwischenfrage gerade war nicht kurz, präzise möglicherweise; aber kurz war sie jedenfalls nicht. Ich bitte darum, das künftig zu beachten.
Frau Ministerin, Sie haben das Wort.
Danke schön. – Ich möchte weitergehen. Wir haben heute wirklich viel Gutes zu verkünden; denn die Koalition hat sehr gut gearbeitet. 15 Millionen Euro stehen im Haushalt für das Bundesprogramm Nachhaltige Nutztierhaltung zur Verfügung. Damit setzen wir einen klaren Schwerpunkt für mehr Tierwohl.
Frau Ihnen, ich möchte ganz kurz auf das eingehen, was Sie sagten. Sie sind der Meinung: Es bedarf keines Tierwohlkennzeichens, das Ordnung reinbringt. – Ich kann Ihnen nur sagen: Der Landesregierung in Rheinland-Pfalz, an der die FDP beteiligt ist,
({0})
reicht das, was wir gerade an Regulierung vorlegen, noch nicht. Deshalb, glaube ich, ist es wichtig, dass man als FDP eine Haltung dazu hat. Dann wissen wir auch, wie wir damit umzugehen haben.
({1})
Gleichzeitig, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir mehr Geld für bereits laufende Programme; das ist erwähnt worden, auch vom Kollegen Haase. Ich will noch mal sagen: Das Thema Energieeffizienz in der Landwirtschaft und im Gartenbau ist wichtig. Ganz herzlichen Dank an dieser Stelle unseren Berichterstattern für ihre Arbeit, aber vor allen Dingen auch für ihren Nachdruck.
Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Hoffmann, FDP-Fraktion?
({0})
Ja, gerne.
Frau Ministerin, Sie haben die Digitalisierung als Zukunftschance erwähnt. Ich frage mich bzw. frage Sie: Kennen Sie die Wirklichkeit heute? Die Bauern werden gequält, gegängelt mit 80- bis 90-seitigen Anträgen, die sie nur digital versenden dürfen; sie haben aber überhaupt keine Möglichkeit dazu, weil die technischen Voraussetzungen auf ihrem Hof nicht so sind; denn sie haben eben keine Breitbandanschlüsse und Qualitäten in dem nötigen Umfang – was die GroKo ja in den letzten Jahren komplett verschlafen hat. Wie soll der Bauer seinen Antrag elektronisch versenden, wenn er keine Möglichkeit dazu hat?
({0})
Danke, Herr Kollege, für Ihre Frage. – Ich möchte eines sagen: Es gibt nicht die Bauern, und es gibt auch nicht die Regionen. Deutschland ist sehr, sehr unterschiedlich.
Ich kann Ihnen sagen: Das, was mir junge Landwirte sagen, ist, dass es einige Landkreise gibt, in denen sie ihre Anträge nicht digital verschicken können, sondern dort wird verlangt, dass sie mit mehrfachen Kopien zum Landratsamt gehen und sie dort abgeben. Insofern sage ich: Differenziertes Hinschauen ist wichtig. Das mache ich dann auch für ganz Deutschland.
In Rheinland-Pfalz, wo Ihre Partei mit in der Regierung ist, sind wir nahezu Schlusslicht beim Ausbau des schnellen Internets. Ich bin froh, wenn Sie mithelfen, dass wir da vorankommen; denn auch in den Ländern beginnt man damit, das Ganze umzusetzen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, gleichzeitig müssen wir uns immer wieder vor Augen führen, dass die Land- und die Forstwirtschaft nicht irgendeine x-beliebige Branche ist. Gerade wer wie Sie, wie wir alle viel im Land unterwegs ist, der merkt, dass Trockenheit oder übermäßige Nässe, Unwetter einzelnen Regionen in Deutschland zu schaffen machen. Die Folgen sind Ernteverluste, vielerorts auch Waldbrände oder Überschwemmungen. Das Wetter ist und bleibt der Produktionsfaktor mit dem höchsten Risiko. Auch das müssen wir immer wieder in den Blick nehmen, wenn wir über die Branche reden und wenn wir glauben, der Branche von heute auf morgen alles aufoktroyieren zu müssen. Deshalb bin ich der Meinung: In der Landwirtschaftspolitik müssen wir immer mit gesundem Menschenverstand, mit Maß und Mitte vorgehen.
({1})
Unsere Bauern und die verarbeitenden Unternehmen liefern uns Mittel zum Leben. Wir müssen das Thema Nahrungsmittel natürlich auch lebensphasenorientiert in den Blick nehmen. Unser Max-Rubner-Institut bekommt mehr Geld. Das ist unser Forschungsinstitut, das sich mit gesunder Ernährung beschäftigt. Dort ist auch das Forschungsinstitut für Kinderernährung angesiedelt. Es gibt diese Einrichtungen, damit wir das Wissen auch weitergeben in die Gemeinschaftsverpflegungseinrichtungen, damit wir auch im Blick haben, wie es in der Kita oder in der Schule aussieht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen aber auch die Generation 60 plus in den Blick nehmen. 2050 wird jeder Dritte älter als 60 Jahre sein. Deshalb werde ich das Thema der Altersernährung viel stärker in den Blick nehmen; das Thema „Ernährung und Demenzerkrankung“ ist nämlich viel zu wenig erforscht.
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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, auch der gesundheitliche Verbraucherschutz, Onlinehandel, all das, was mit dem Alltag der Bürgerinnen und Bürger zu tun hat, das ist Aufgabe meines Ministeriums. Wir werden uns dem widmen.
Ich möchte mich bedanken. Wirklich auch Lob und Dank den Haushältern, Ihnen allen, wirklich fraktionsübergreifend, für das kollegiale Miteinander, auch wenn wir inhaltlich oft anderer Meinung sind, aber das ist Demokratie. Herzlichen Dank! Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen für die Nachhaltigkeit und für die Landwirte.
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Herzlichen Dank, Frau Ministerin Klöckner. – Als nächste Rednerin für die AfD-Fraktion rufe ich Frau Dr. Birgit Malsack-Winkemann auf.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Auch nach den Haushaltsberatungen hat sich beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft nichts geändert: massive, explosionsartige Ausgabensteigerungen, vor allem in der Öffentlichkeitsarbeit, und Forschung und Projekte, deren Sinn kaum nachvollziehbar ist.
({0})
Die Regierung ist unbeeindruckt von den Anträgen der AfD, die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit zu vermindern.
({1})
Sie bleibt dabei, dass sie mehr als 50 Millionen Euro für werbewirksame Maßnahmen, Messen und Ausstellungen ausgeben will. Das BMEL hat damit weiter eine der Spitzenstellungen im Vergleich zu anderen Ministerien.
Die Regierung scheut noch nicht einmal davor zurück, unseren Bauern und Agrarunternehmern Geld zukommen lassen zu wollen, das diese in dieser Form gar nicht wollen. Sie finanziert unter anderem Geschäftsreisen ins Ausland. Die Agrarwirtschaft soll Kontakte zu regionalen Unternehmen in anderen Ländern knüpfen.
({2})
Diese Kontaktreisen kosten laut dem Bund der Steuerzahler bis zu 9 000 Euro pro Teilnehmer. Dennoch ist die Nachfrage seit neun Jahren gering. Und das ist kein Wunder; denn nach dem Bund der Steuerzahler hat eine Ministeriumsumfrage ergeben, dass die Agrarunternehmen die staatlich aufgenötigten Subventionen mehrheitlich als schlecht bewerten.
Zudem ist laut dem Bund der Steuerzahler bis heute ungeprüft,
({3})
ob das Förderprogramm den Export tatsächlich angekurbelt hat. Und das ist ebenfalls kein Wunder; denn das Programm hat keine mess- und überprüfbaren Ziele definiert, die kontrolliert werden könnten.
Es wird also geworben, es werden teure Reisen finanziert, und man weiß noch nicht einmal, was das Ziel sein soll, das mit all diesen Maßnahmen überprüft werden könnte. Geht es noch schlimmer, meine Damen und Herren?
({4})
Wir dagegen, die AfD, unterstützen alle Programme, die unseren Bauern und Agrarunternehmern tatsächlich helfen, und fordern diese auch.
({5})
Solche Programme müssen jedoch ein konkretes Ziel haben, mit sinnvollen Maßnahmen unterlegt sein und auch regelmäßig auf ihre Effizienz überprüft werden.
({6})
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein. – Und wenn ein Programm wie hier nach wenigen Jahren erfolglos ist und sogar von den Geförderten selbst als schlecht bewertet wird, gehört es schlicht und einfach abgeschafft.
({0})
Alles andere belastet den Steuerzahler unerträglich und erweckt darüber hinaus den Eindruck, als wüsste das BMEL nicht, wohin mit seinem vielen Geld.
Und dabei gibt es durchaus einiges, was vom BMEL wirklich sinnvoll gefördert werden könnte. Ein Beispiel ist die Förderung von Beihilfen für Milch, Obst und Gemüse an Schulen und Kitas. Beide Positionen sind im Haushaltsplan mit sogenannten Leerstellen versehen. Das heißt, es ist kein Betrag angegeben, mit dem dieses gefördert werden soll.
({1})
Das ist deshalb so, weil es sich insoweit um Positionen handelt, die von der EU mit EU-Geldern gefördert werden können, aber nicht müssen. Es gibt hier keinen Rechtsanspruch Deutschlands gegen die EU. Die EU entscheidet, wie immer, nach eigenem Gutdünken.
({2})
Planbar ist hier für den deutschen Haushalt gar nichts.
Tatsächlich war es bei den letzten Ausgaben für Schulmilch sogar so, dass der Bundesrechnungshof die Bundesregierung dafür kritisiert hat, dass diese die EU-Gelder entgegen der EU-Richtlinie für Schulmilch in Nordrhein-Westfalen verwendet hat, anstatt mit diesen Geldern deutsche Bauern zur Aufgabe ihrer Milchproduktion zu bewegen, wie von der EU gewollt. Ja, Sie haben richtig gehört! Und formal hat der Bundesrechnungshof sogar recht. Wenn es eine Richtlinie der EU für hingegebene Gelder gibt, muss diese auch befolgt werden. Aber, meine Damen und Herren, wir als AfD halten das Ergebnis für untragbar;
({3})
denn für uns steht die Gesundheit unserer Kinder an oberster Stelle.
({4})
Viele Familien können es sich nicht leisten, ihre Kinder in Schulen und Kitas täglich mit frischer Milch, Obst und Gemüse zu versorgen. Für die AfD ist es eine der wichtigsten Verpflichtungen unseres Staates, dafür zu sorgen, dass es dort für unsere Kinder täglich frische Milch, Obst und Gemüse gibt.
({5})
Denn unsere Kinder benötigen eine gesunde Ernährung, um zu gesunden Erwachsenen aufzuwachsen.
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Ohne eine gesunde Ernährung fehlt unseren Kindern schlicht und ergreifend die Grundlage, den umfangreichen Stoff, den sie in der Schule lernen müssen, aufzunehmen.
Und selbst wenn es die EU daher für wichtiger hält, unsere Bauern zur Aufgabe ihrer Milchproduktion zu bewegen, als unsere Kinder gesund zu ernähren, sollte wenigstens unser Staat, und zwar unabhängig von entgegenstehenden Vorgaben der EU, seine Verantwortung für die Gesundheit unserer Kinder übernehmen.
Und was macht diese Regierung? Was machen die CDU/CSU und die SPD? Sie warten einfach ab, ob sich die EU nach Gutsherrenart irgendwann dazu herablässt, eine Mitverantwortung für die gesunde Entwicklung unserer Kinder zu übernehmen, anstatt selbst dafür zu sorgen. Und das BMEL gibt sein Geld lieber weiter für Öffentlichkeitsarbeit und unsinnige Projekte aus, anstatt seine ureigenste Aufgabe, die gesunde Ernährung unserer Bevölkerung, zu übernehmen.
({7})
Was sind wir für eine Gesellschaft geworden, in der die eigene Regierung ihre wahren Aufgaben noch nicht einmal erkennt, geschweige denn sie erfüllt! Es war höchste Zeit, dass wir, die AfD, ins Parlament gekommen sind, um diese Missstände aufzudecken.
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Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss.
Und die Zeit wird kommen, dass wir, die AfD, die Regierung übernehmen, um diese Missstände zu beseitigen.
({0})
Danke schön.
({1})
Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Dr. Matthias Miersch, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Regierung ist jetzt etwas mehr als 100 Tage im Amt. Insofern, glaube ich, sind die Anforderungen an diesen Haushalt nicht zu hoch zu stellen. Aber ich möchte mich an dieser Stelle ganz besonders bei unseren Haushältern bedanken, an vorderster Front bei Uli Freese.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es eben schon gehört: Es wird sehr schnell um den Haushalt 2019 gehen. Dann will ich schon sagen, dass das Bild, Frau Bundesministerin, das hier gezeichnet wird, aus meiner Sicht unvollständig ist. Denn aktuell sehen wir, dass immer mehr landwirtschaftliche Betriebe aufgeben, dass wir eine Entwicklung bekommen, wo Mensch, Tier, Natur und Boden dermaßen unter Druck kommen, dass wir die planetaren Grenzen nicht nur erreichen, sondern an vielen Stellen tatsächlich überschreiten. Deswegen geht es hier um politische Rahmensetzung, um die wir ringen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Wenn der Europäische Gerichtshof die Bundesrepublik Deutschland verurteilen muss, weil wir die EU-Wasserrahmenrichtlinie aufgrund des hohen Nitrateintrags verletzen, dann sehen wir doch, dass wir einen dringenden Handlungsbedarf haben, gerade wenn es um die Frage unserer Landwirtschaft, unseres Wirtschaften geht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Ich will Ihnen sagen, dass wir als SPD-Bundestagsfraktion die Erwartung haben, dass vor allen Dingen in vier Bereichen in den nächsten Monaten Bewegung entsteht und auch entsprechende Rahmenbedingungen gestaltet werden.
Der erste zentrale Punkt ist ein einheitliches Vorgehen dieser Bundesregierung im Rahmen der europäischen Agrarpolitik. Es kann nicht sein, dass wir öffentliche Gelder nach dem Gießkannenprinzip einfach so vergeben, ohne dass öffentliche Güter mit diesen Geldern geschützt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Der Kollege Freese hat ja recht: Die landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland sind sehr unterschiedlich. Deswegen wird man gucken müssen, wie zielgenau es geht. Aber: Ich glaube, es geht nicht, dass einfach die Größe entscheidet und dementsprechend die Gießkanne angesetzt wird. Das müssen wir beenden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich wünsche mir, dass Umwelt- und Landwirtschaftsressort hier mit einer Stimme sprechen.
({5})
Der zweite Punkt. Man sieht, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Bürgerinnen und Bürger merken: Hier geht was schief. Ich meine das Thema Tierwohl. In der Tat ist es so, dass sich einige Private auf den Weg gemacht haben. Aber wir sehen: Es ist ein Wirrwarr, und eigentlich kann kein Verbraucher augenblicklich einschätzen, was das jeweilige Siegel wert ist. Deswegen brauchen wir ein Tierlabel. Ich sage allerdings auch: Wir sollten alles versuchen, dass es eine Marktdurchdringung gibt, und deswegen sollten wir auch alles versuchen, dieses Label verbindlich umzusetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Aber das kann keine Einbahnstraße sein. Wir sehen an dieser Debatte wieder, dass wir jetzt zwar nur den Haushalt eines Ressorts diskutieren, dass es aber natürlich auch viel mit Bewusstsein zu tun hat. Deswegen sage ich hier auch: Es können nicht alleine die Landwirte sein, die es dort leisten müssen, sondern das geht auch die Verbraucherinnen und Verbraucher und natürlich auch den Lebensmitteleinzelhandel etwas an.
Aber an dieser Stelle zeigt sich, glaube ich, was Gerechtigkeit bedeutet. Denn wenn es nur wenigen in Deutschland möglich ist, qualitativ hochwertige Lebensmittel zu kaufen, dann ist das eben eine elementare Frage. Insofern, Frau Ministerin Klöckner: Sie haben hier eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und deswegen werden wir Sie unterstützen, wenn es hier um Zielgenauigkeit von Förderung geht. Manchmal habe ich den Eindruck, dieses Bewusstsein ist in Ihrem Haus noch nicht ganz ausgeprägt.
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Der dritte Punkt. Da will ich vielleicht eine Vermittlung zwischen Grünen und der Ministerin versuchen. Natürlich ist das Thema Neoniks nur ein kleiner Bestandteil des gesamten Problems. Wir haben im Koalitionsvertrag – da müssen Sie noch liefern – ja nicht nur eine Reduktionsstrategie in Sachen Glyphosat vereinbart, sondern den Ausstieg; daran will ich nur mal am Rand erinnern.
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Aber das Thema ist natürlich ein viel weiteres, weil wir doch wissen: Wird Glyphosat verboten, kommen sofort die nächsten Patentanträge und Zulassungsverfahren. Es geht auch um die Systemfrage: Warum brauchen wir diesen Mitteleinsatz denn? Weil wir eben alles rauspressen, weil wir Fruchtfolgen nicht mehr einhalten. Insofern brauchen wir in diesem Land wieder eine Besinnung auf nachhaltige Landwirtschaft.
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Das „Immer höher, immer weiter“ wird auch dadurch geprägt, dass Produktionsmethoden angewendet werden, die die Marktmacht von wenigen stärkt. Insofern sage ich Ihnen auch: Für uns Sozialdemokraten ist es unerlässlich, dass wir noch in diesem Jahr das Gentechnikrecht verabschieden.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir wollen, dass die Ängste der Verbraucherinnen und Verbraucher ernst genommen werden und wir die Gentechnik flächendeckend in Deutschland verbieten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Miersch. – Als Nächstes für die FDP-Fraktion der Kollege Dr. Gero Hocker.
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Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Verehrte Frau Ministerin, nachdem Sie mittlerweile ja seit fast vier Monaten im Amt sind, ist jetzt die Karenzzeit von 100 Tagen, die man jedem Regierungsmitglied und jeder neuen Regierung zugesteht, vorbei. Der Welpenschutz – sozusagen – ist vorüber. Deswegen will ich Ihnen ganz offen sagen, welchen Eindruck wir von den ersten Monaten gewonnen haben.
Unser Eindruck ist, dass Sie in den ersten Monaten auf der Suche nach einem Thema gewesen sind, das für Sie und Ihre Amtszeit identitätsstiftend sein kann, und bis das gefunden ist, lautet Ihre Strategie, möglichst wenig anzuecken und sich möglichst wenig den eher unangenehmen Themen zu widmen.
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Verehrte Frau Kollegin, das mag für eine Landespolitikerin funktionieren, für eine Bundesministerin grenzt diese Tatenlosigkeit allerdings an unterlassene Hilfeleistung angesichts der prekären Situation von Tausenden Höfen, die wir in Deutschland haben.
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Frau Ministerin, Sie sollten die entschlossenste Fürsprecherin unserer landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland sein und nicht darauf warten, dass das Thema, das Ihnen vielleicht in den Kram passt, quasi vom Himmel fällt. Sie sollten täglich eine Lanze brechen für die Hunderttausende Betriebe in Deutschland, die im Spannungsverhältnis zwischen gesellschaftlicher Ächtung, zwischen immer höheren Auflagen und immer niedrigeren Verbraucherpreisen tagtäglich irgendwie ihre Existenz sichern müssen. Sie sollten, sehr verehrte Damen und Herren, Frau Ministerin, es nicht einfach achselzuckend hinnehmen, dass in einigen Regionen Kinder aus landwirtschaftlichen Familien weinend aus der Schule oder Kita nach Hause kommen, weil sie in der Schule gehänselt worden sind und ihre Eltern als Tierquäler oder Brunnenvergifter bezeichnet werden. Das ist tatsächlich Ausdruck des gesellschaftlichen Klimas unserer Landwirtschaft gegenüber im Jahr 2018, und das dürfen Sie nicht einfach akzeptieren.
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Ich gebe Ihnen drei Beispiele, wo Sie jetzt handeln müssen.
Erstens. In Deutschland dauert es im Schnitt 700 Tage, fast zwei Jahre, bis innovative Pflanzenschutzmittel endgültig eine Zulassung erhalten. Während dieser langen Frist haben wir die Situation, dass für die Ökologie kein Fortschritt erreicht werden kann, gleichzeitig die Landwirtschaft von relevanten, vielleicht sogar existenziellen technologischen Innovationen abgeschnitten ist. Statten Sie die Genehmigungsbehörden bitte so mit Finanzen und Personal, Human Resources, aus, dass sie in der Lage sind, solche Verfahren schneller abzuschließen!
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Zweitens. Sie wollen den sogenannten Ökolandbau mit 50 Prozent mehr Mitteln ausstatten im Vergleich zum Vorjahr, weil Sie glauben, dass es einen gesellschaftlichen Wunsch nach mehr Öko gibt. Der Wunsch, den Sie zu erkennen glauben, ist überhaupt nicht gedeckt durch das tatsächliche Konsumverhalten, das die Menschen an den Tag legen. Einer von zehn Konsumenten greift wirklich zum Biolabel, während neun von zehn zu konventionell erzeugten Lebensmitteln greifen. Sie sind nicht die Nanny der 80 Millionen Menschen da draußen, die Sie zu einem besseren oder anderen Ernährungsportfolio erziehen müssen. Die Menschen wissen sehr wohl selber, zu welchem Produkt sie greifen und wie sie sich ernähren möchten.
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Drittens: staatliches Tierwohllabel. Sehr geehrte Frau Ministerin, wenn Sie wirklich in der Breite ein Mehr an Tierwohl erreichen möchten, wobei wir Sie gern konstruktiv begleiten, dann tun Sie nicht gut daran, wenn Sie sozusagen die Daumenschrauben für Nutztierhalter in Deutschland zusätzlich anziehen und noch höhere Standards bei der Nutztierhaltung definieren. Die Standards sind in Deutschland so hoch wie wahrscheinlich in keinem anderen Land dieser Welt. Gleichzeitig sind auch die Kontrollinstanzen – auch wenn es immer noch etwas zu verbessern gibt – bei uns gut aufgestellt. Wenn Sie die Daumenschrauben weiter anziehen, führt das zu nichts anderem, als dass die Produktion ins Ausland geht, nach Osteuropa, vielleicht nach Polen, Tschechien, Ungarn oder noch weiter nach Osten, wo deutlich niedrigere Standards gelten, die auch weitaus laxer kontrolliert werden, als das bei uns der Fall ist. Deswegen sollte das Prinzip „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ nicht Maxime Ihrer Politik sein.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrte Frau Ministerin, es reicht unserer Meinung nach für eine Bundeslandwirtschaftsministerin nicht aus – das meine ich voller Wertschätzung –, charmant aufzutreten, ohne Frage,
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bei Bauerntagen die Sprechzettel vorzulesen, die von Mitarbeitern Ihres Hauses verfasst werden, und dabei immer eine gute Figur zu machen,
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aber eben immer auch zu wissen, wo die Kamera steht und wie man die Inhalte, von denen Sie glauben, dass sie öffentlichkeitswirksam sind, vermarkten kann. Frau Ministerin, es ist Ihre Aufgabe, sich auch für die unangenehmen Themen der Landwirtschaft zu verwenden, auch wenn die auf den ersten Blick vielleicht nicht so leicht zu vermarkten sind. Sie sind Bundesministerin und nicht mehr Weinkönigin in Rheinland-Pfalz.
Vielen Dank.
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Herr Kollege Hocker, ich danke Ihnen für den Beitrag. Ich erspare mir jede Bemerkung zu einer Ausführung.
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– Also, die Tatsache, dass man sagt: „Die Ministerin tritt charmant auf“, empfinde ich momentan nicht als Angriff auf ihre Persönlichkeit.
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– Das ist unglaublich? Stellen Sie sich mal vor, er hätte gesagt: „Sie tritt uncharmant auf“, das wäre noch viel unglaublicher.
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Jetzt hat als Nächstes das Wort Frau Kollegin Amira Mohamed Ali, Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Es geht um den Haushaltsplan der Bundesregierung für den Bereich „Ernährung und Landwirtschaft“. Wenn wir Ihren Haushaltsentwurf lesen, dann fragen wir Linken uns: Haben Sie die Bedeutung dieses Ministeriums für die Gesundheit und die Lebensqualität der Menschen eigentlich wirklich schon erfasst?
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Wir haben den Eindruck: Das ist ein Haushaltsentwurf, der vor allem die großen Lebensmittelkonzerne bedient. Das darf nicht sein.
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Ich werde heute auf zwei Punkte eingehen, die uns wichtig sind: Das Erste ist die Nährwertkennzeichnung, das Zweite ist das staatliche Tierwohllabel. In beiden Punkten fahren Sie einen Schlingerkurs, der die wirklichen Probleme nicht anpackt, und das akzeptieren wir nicht.
Zur Nährwertkennzeichnung. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, die Deutsche Diabetes Gesellschaft und Foodwatch haben vor kurzem einen offenen Brief an die Bundesregierung geschrieben. Der Brief wurde unterstützt von mehreren Krankenkassen, der Bundeszahnärztekammer, der Deutschen Adipositas-Gesellschaft und weiteren medizinischen Verbänden, von insgesamt mehr als 2 000 Ärzten, 1 300 Kinderärzten, rund 220 Diabetologen und 58 Medizinprofessoren. In diesem Brief schlagen diese Experten vollkommen zu Recht Alarm und beschreiben, dass inzwischen 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig und circa 23 Prozent der Erwachsenen adipös, also krankhaft übergewichtig, sind. Ich betone: 23 Prozent. Viele dieser Menschen leiden unter ernsthaften gesundheitlichen Problemen wie Diabetes Typ 2; das sind ernährungsbedingte Leiden.
In dem Brief fordern die Experten die Regierung auf, dringend Gegenmaßnahmen zu ergreifen, darunter auch die von uns schon seit Jahren geforderte Lebensmittelkennzeichnung in Form einer Nährwertampel.
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Die Ampelfarben kennzeichnen den Gehalt von Fett, Zucker und Salz. Dafür hat Die Linke im Haushalt Mittel für ein Modellprojekt beantragt. Diese Mittel haben Sie abgelehnt. Stattdessen widersprechen Sie, Frau Ministerin Klöckner, den Experten und behaupten, das Ampelsystem würde die Verbraucher verwirren.
So argumentiert auch – wen wundert’s? – die Lebensmittelindustrie. Sie sagt, dass ja nach der Ampelkennzeichnung Olivenöl rot gekennzeichnet wäre, weil es viel Fett enthält. Das ist das blamable Niveau, auf dem die Argumente hier ausgetauscht werden. Es geht natürlich um verarbeitete Lebensmittel, die aus mehr als einem Grundprodukt bestehen. Man muss bei Öl nicht draufschreiben, dass es Fett enthält; genauso wenig wie man auf ein Pfund Zucker draufschreiben muss, dass es aus Zucker besteht. Das wissen die Menschen.
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Aber weiß man auch, dass ein 250-Gramm-Becher Fruchtjoghurt unter Umständen so viel Zucker enthält, wie ein Kind an einem ganzen Tag zu sich nehmen sollte? Hierfür brauchen wir die Kennzeichnung.
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Die Lebensmittelindustrie hat ein Interesse daran, möglichst viel Zucker zu verarbeiten, weil er den Geschmack von qualitativ minderwertigen Inhaltsstoffen übertüncht und weil er billig ist. Zucker erhöht unmittelbar die Gewinnspanne. Das ist die Wahrheit.
Ich kann mir eigentlich nur einen Grund vorstellen, warum man die Ampelkennzeichnung ablehnt: weil man es der Industrie weiterhin so leicht wie möglich machen möchte, ihren Profit zu maximieren, und das auf Kosten der Gesundheit der Menschen. Das akzeptieren wir nicht. Wir fordern Sie auf: Beenden Sie endlich diese Kumpanei!
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Mein zweiter Punkt: das staatliche Tierwohllabel. Das klingt toll. Viele Menschen wollen Fleisch essen, aber sie wollen auch, dass die Tiere vorher anständig gehalten und behandelt wurden. Die große Mehrheit der Menschen ist empört über das Leid der Tiere in vielen konventionellen Ställen, auf den qualvollen Tiertransporten und in den Megaschlachthöfen wie Tönnies in Rheda, wo 26 000 Schweine am Tag geschlachtet werden.
Aber wo Tierwohl draufsteht, muss auch Tierwohl drin sein.
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Die Kriterien für Ihr Label werden gerade noch zwischen Politik, Wirtschaft, Tierschutzverbänden und Verbraucherschutzorganisationen verhandelt, und es zeichnet sich ab, dass die mächtigen Wirtschaftsverbände die Kriterien so krass nach unten drücken wollen, dass es kaum einen Unterschied für das Wohl der Tiere machen wird. 10 Prozent mehr Platz im Stall, ansonsten bleibt alles beim Alten.
Einen solchen Etikettenschwindel werden wir aber nicht akzeptieren. Die Linke wird sich mit ganzer Kraft dieser Entwicklung entgegenstellen, damit das Tierwohllabel nicht zu einem Tierindustriewohllabel verkommt. Dafür steht Die Linke nämlich nicht zur Verfügung.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, Frau Kollegin Mohamed Ali.
Frau Dr. Tackmann, Ihr Zwischenruf vorhin, den ich mit Interesse zur Kenntnis genommen habe – „Das werden die alten Männer auch noch lernen!“ –, gibt mir Veranlassung zu zwei Bemerkungen. Zunächst ist der Kollege Dr. Hocker aus meiner Sicht eher ein Vertreter der jüngeren Generation.
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– Das habe ich mir schon gedacht. – Deshalb komme ich jetzt zur zweiten Bemerkung: Die Antidiskriminierungsrichtlinie schützt auch ältere Männer.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Nächstes spricht zu uns der Kollege Markus Tressel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Haase hat vorhin mit den Worten eingeleitet: „Heute ist ein guter Tag für die ländlichen Räume“. Mir erschließt sich nicht ganz, wo er diese Zuversicht hernimmt.
Jahrelang sind die ländlichen Räume ja unter dem Wahrnehmungsradar der Politik in Berlin gelaufen; aber auf einmal sind sie in aller Munde. Das ist – das muss man klar sagen – positiv, und das ist auch absolut notwendig. Deswegen war ich etwas enttäuscht, dass die Ministerin heute keine 60 Sekunden über das Thema „ländlicher Raum“ gesprochen hat.
({0})
Wenn das die Bedeutung ist, die Sie gemeint haben, dann war das heute auch eine Fehlleistung der Ministerin.
({1})
Ich hätte auch erwartet, liebe Frau Ministerin, dass die neue Bundesregierung mit deutlich mehr Engagement – in diesem Haushalt – an das Thema herangeht.
Wir erinnern uns an die letzte Wahlperiode. Damals wollten Sie die GAK schon zur Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ umbauen. Das hat bekanntermaßen nicht ganz geklappt. Vorhin haben Sie an die SPD appelliert. Sie hätten das doch gemeinsam mit der SPD in der vergangenen Wahlperiode machen können. Da hatten Sie nämlich eine Mehrheit in diesem Hause, um das Grundgesetz zu ändern; jetzt haben Sie sie nicht mehr. Jetzt wird es schwerer, liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und Herren.
({2})
Ich habe ganz wenig Hoffnung, dass am Ende tatsächlich mehr rauskommt. Ein Blick in den vorliegenden Haushalt genügt, um das zu bestätigen. Die Mittel für das Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“, die Sie angeführt haben, wurden nicht noch einmal erhöht, sondern belaufen sich nach wie vor auf 55 Millionen Euro. Es ist gut, dass sie da sind, aber man hätte sie noch einmal erhöhen müssen. Neu ist nur, dass Sie 10 Millionen Euro für den Sonderrahmenplan „Förderung der ländlichen Entwicklung“ ausgeben. Ja, das ist ein erster Schritt, und es ist ein kurzes Haushaltsjahr. Aber entweder Sie wollen wirklich etwas verändern oder eben nicht. Wenn Ersteres der Fall ist, was ich einmal unterstelle, dann hätten Sie schon im Haushalt 2018 die Ärmel hochkrempeln müssen, um mit einem ernstzunehmenden Mittelumfang wenigstens quasi ein erkennbares Startsignal zu geben.
({3})
Wir brauchen mehr Nachhaltigkeit und weniger Modellprojekte; darauf haben Sie vorhin ja rekurriert. Das kann ich in Ihrem Entwurf aber nicht erkennen.
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Die 1,5 Milliarden Euro für den ländlichen Raum sind angesprochen worden. Wo sind denn wenigstens die ersten Boten dieser 1,5 Milliarden Euro in diesem Haushalt? Absolute Fehlanzeige!
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Wenn man einmal ganz ehrlich ist, muss man sagen: Nach einer ellenlangen Regierungsbildung bleibt Ihnen doch nur wenig Zeit, das umzusetzen, zumal wir nach den Unionschaostagen nicht wissen, wie lange Sie mit dieser Koalition überhaupt durchhalten. Das ist für die Leute da draußen in den Regionen, die Unterstützung dringend nötig haben, keine besonders schöne Perspektive. Die hängen in der Schwebe, und das ist doch kein guter Zustand, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Also: Ihre 10 Millionen Euro können und dürfen nur ein Anfang sein; das wird Ihnen auch selbst klar sein. Eine reine Mittelerhöhung wird Ihnen da nicht helfen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Abrufquoten besser werden, dass das System vereinfacht wird.
Was brauchen die strukturschwachen ländlichen Regionen? Sie brauchen Investitionen, und sie brauchen echtes Engagement. Neben Themen wie Digitalisierung, Mobilität und Nahversorgung gibt es Probleme, die man mit dem Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“ eben nicht lösen kann. Vielerorts braucht die Infrastruktur eine grundlegende Sanierung. Die Sanierung eines Wassersystems in einer Gemeinde kostet 20 Millionen Euro.
({7})
Da kommen Sie mit Ihren 10 Millionen Euro auf Bundesebene nicht weit, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Der Deutsche Städte- und Gemeindebund spricht von einem Investitionsstau von über 100 Milliarden Euro. Der Bund darf die Länder und Kommunen da nicht alleine lassen. Da werden wir auch an die Gemeinschaftsaufgaben rangehen müssen. Durch die Einrichtung einer Kommission wird sich das noch einmal weiter nach hinten verschieben, bis es zu einer Lösung kommt. Wenn wir wirklich den Anspruch haben, gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland sicherzustellen, dann muss hier wesentlich mehr passieren als das, was Sie in diesem Haushalt vorgelegt haben.
({9})
Liebe Frau Ministerin – ich weiß, Sie hören mir nur eingeschränkt zu –,
({10})
Sie hätten die Chance gehabt, mit diesem Haushalt ein deutliches Zeichen zu setzen, dass Sie die Entwicklung der ländlichen Räume wirklich ernst nehmen. Ich habe den Eindruck, Sie versprechen den Menschen etwas, das Sie nachher ganz offensichtlich nicht zu liefern bereit sind. Genau das ist die Botschaft dieses Haushaltes.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.
Man kann für die ländlichen Räume in diesem Land wirklich nur hoffen, dass sich Ihr mündlich vielfach bekundeter Tatendrang im kommenden Haushalt 2019 widerspiegelt.
Herr Kollege.
Dieser Haushalt, wie er jetzt vorliegt, ist für die ländlichen Räume und ihre Herausforderungen jedenfalls beinahe eine Nullnummer, Frau Ministerin, und das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
Herzlichen Dank.
({0})
Herzlichen Dank. – Als Nächster spricht zu uns der Kollege Johannes Röring für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst geht ein großer Dank an unsere Haushälter, insbesondere an meinen Kollegen Christian Haase.
({0})
Ihr habt hervorragend verhandelt und gute Ergebnisse erzielt. Ich will aber ganz ausdrücklich auch den Kollegen von der SPD, Herrn Freese, in diesen Dank mit einschließen.
({1})
Christian, danke! Wir sind froh, dass wir dich haben, und ich bin ganz beeindruckt, wie schnell du dich in dieses komplizierte Thema eingearbeitet hast.
Unser Einzelplan 10, meine Damen und Herren, umfasst etwa 6 Milliarden Euro. Es ist also kein großer Einzelplan, aber ein wichtiger. Von den Ausgaben in diesem Einzelplan entfallen etwa zwei Drittel auf agrarsoziale Maßnahmen. Ich freue mich, dass wir den Bundeszuschuss zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung in Höhe von 178 Millionen Euro aus dem Vorjahr beibehalten konnten. Mit diesem agrarsozialen Schwerpunkt stärken wir unseren Bauernfamilien den Rücken und zeigen ihnen unsere Wertschätzung. Wir werden damit unserer Verantwortung gerecht.
({2})
Ein zweites starkes Signal sendet unser Haushalt im Hinblick auf die Zukunft der ländlichen Regionen in unserem Land. Wir stehen für eine Politik für gleichwertige Lebensverhältnisse in der Stadt und auf dem Land, eine Politik, die den Menschen vor Ort konkrete Lösungen anbietet. Dafür haben wir im Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“ und bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ die Haushaltsansätze der letzten Jahre fortgeschrieben und weiterentwickelt. Die GAK ist ein wichtiges Element zur Sicherung und Stärkung der agrarstrukturellen Entwicklung in unserem Land, für einen perspektivischen Hochwasser- und Küstenschutz sowie für die ländliche Entwicklung. Mich freut, dass wir zusätzlich mit einem Sonderrahmenplan die Förderung der ländlichen Entwicklung über die kommenden Jahre weiter ausbauen können, und ich bin sehr froh, dass wir hier auch das Ehrenamt ausdrücklich mit einbeziehen.
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Bei uns gilt: Versprochen, gehalten! Wir sind die Partei für die Menschen im ländlichen Raum. Wir wollen dafür sorgen, dass der ländliche Raum ein attraktiver Arbeits- und Lebensraum für alle Menschen ist, und zwar überall in Deutschland.
Unser Haushalt ist ein Zukunftshaushalt. Wir reagieren auf die gesellschaftlichen Debatten um die Tierhaltung und die Auswirkungen einer modernen Landwirtschaft auf die Umwelt.
Die Themen Ernährung und Lebensmittel gehen uns alle an. Die Produkte, die wir konsumieren, wachsen nicht im Supermarkt, sondern auf den Feldern unserer Landwirte. Wir kümmern uns also nicht nur um die Ernährung; wir kümmern uns auch um die Ernährer. Ihnen verdanken wir es, dass wir hochwertige, gesunde, jederzeit verfügbare, vielfältige und auch bezahlbare Lebensmittel haben.
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Damit dieses Angebot weiter bestehen kann, damit unsere Bauern Tag für Tag für uns ackern können, brauchen sie die richtigen Rahmenbedingungen, politisch wie auch finanziell – und mit dem nötigen Weitblick. Wir werden diese Rahmenbedingungen weiter aktiv gestalten und unseren Landwirten vor allem Planungssicherheit geben.
Große Sorgen bereitet mir zurzeit die Zukunft der Ferkelerzeugung in Deutschland. Kastration, Kastenstand, Kupieren – die Herausforderungen sind riesig. Sollte der Selbstversorgungsgrad bei Ferkeln in Deutschland von derzeit unter 80 Prozent noch weiter sinken, verlieren wir den Einfluss auf diese aus Tierschutzsicht so wichtige Prozessstufe; sie wird dann größtenteils im Ausland stattfinden. Liebe Julia, in Anlehnung an ein bekanntes Zitat von dir möchte ich betonen: Unsere Ferkelerzeuger sind systemrelevant!
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Sie brauchen dringend einen runden Tisch und unsere Unterstützung in jeglicher Hinsicht, vor allen Dingen aber bei der Umsetzung des sogenannten vierten Weges.
Bleiben wir beim Thema Tierhaltung. Bundesministerin Julia Klöckner hat schon zu Beginn ihrer Amtszeit gesagt, dass sie als eines ihrer wichtigsten Projekte eine staatliche Tierwohlkennzeichnung auf den Weg bringen will. Liebe Julia, du hast dabei die volle Unterstützung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
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Wir wollen dieses Projekt unbedingt umsetzen, und zwar so schnell wie möglich.
Gemeinsam möchten wir ein dreistufiges Label einführen. So können wir das Marktangebot segmentieren und die Kosten für zusätzliche Tierwohlmaßnahmen dann auch auf die konkreten Produkte umlegen. Wichtig ist dabei für uns, dass wir kein Label für eine weitere Nische im Promillebereich schaffen, sondern insgesamt und in der Breite etwas bewegen, und das sehr schnell.
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Es geht darum, für viele Tiere eine Verbesserung zu erreichen und nicht nur für einige wenige. Deshalb brauchen wir eine vernünftige Einstiegsstufe, bei der wir die Erfahrungen der Initiative Tierwohl nutzen wollen. Eine breite Marktdurchdringung mit moderaten Preisaufschlägen, die auch für Verbraucher mit geringeren Einkommen finanzierbar sind, ist unser Ziel. Danke, liebe Abgeordnete der SPD, dass Sie bei dem Thema dabei sind und uns unterstützen.
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Es muss klar sein, meine Damen und Herren, dass die dann folgenden Stufen auf der Einstiegsstufe aufbauen und die Erzeugung am Ende transparent machen, sodass der Verbraucher die Wahl hat, wie viel Geld er für wie viele Lebensmittel ausgeben will. Wir stehen auf jeden Fall dafür. Um die Einführung einer sogenannten Tierwohlkennzeichnung zu unterstützen, ist mit dem Haushalt Sorge dafür getragen worden, dass Finanzmittel für Werbung, aber auch für Investitionen bereitstehen. Zudem plädiere ich dafür, dass wir die andauernden Zielkonflikte im Agrar-, Umwelt- und im Baurecht flexibel auflösen.
Wir müssen dabei ehrlich miteinander umgehen. „Raus aus den ideologischen Schützengräben der Agrar- und Umweltpolitik“, das war eines der ersten Zitate unserer Ministerin, und da stehen wir ihr zu 100 Prozent zur Seite.
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Diese Ehrlichkeit im Dialog brauchen wir nicht nur in Fragen der Tierhaltung, sondern auch bei Fragen der Biodiversität. In der vergangenen Woche haben wir viel über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Nitratrichtlinie gesprochen. Zur Ehrlichkeit gehört dazu, dass sich dieses Urteil auf die alten Regelungen bezogen hat und nicht auf die scharfen Regelungen,
({10})
die wir im letzten Jahr hier im Deutschen Bundestag erlassen haben.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss?
Ja. – Meine Damen und Herren, wir sind uns einig. Wir denken wie Landwirte: Wir wollen klares Wasser, saubere Luft und gesunde Böden für die folgenden Generationen.
Herr Kollege Röring, bitte.
Wir als CDU/CSU wollen dies im Einklang mit einer produktiven Landwirtschaft erreichen, die unsere Landwirte und Verbraucher auch noch in 20 und 50 Jahren ernährt. Deswegen stimme ich diesem Haushalt zu.
Danke.
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Vielen Dank, Herr Kollege Röring. – Als Nächstes für die SPD-Fraktion der Kollege Rainer Spiering.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Ministerin! – Adjektive spare ich mir. – Sehr geehrte Damen und Herren! Der Haushalt wird verabschiedet, aber es gilt: Nach dem Haushalt ist vor dem Haushalt. Lassen Sie mich einige wichtige Punkte ansprechen, über die wir in der Zukunft reden müssen.
Uns wurde ein Organisationsgutachten über die Situation beim Personal der BLE zugesagt, aber die Zusage wurde leider nicht eingehalten. Unser Kenntnisstand ist: In der BLE sind 20 Prozent der Stellen befristet. Die Folge ist ein Projektstau. Wir bräuchten das Gutachten dringend; denn 83 Millionen Euro Forschungsmittel sind zurückgeflossen, weil die Kolleginnen und Kollegen vor Ort in der Jobrotation waren und die Projekte nicht abarbeiten konnten. Das Geld fließt zurück zum Finanzminister. Frau Ministerin, entfristen Sie die Personalstellen in der BLE! Sorgen Sie dafür, dass Forschungsmittel zu Forschungsergebnissen werden!
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Zum Thema „gesunde Ernährung“. Lassen Sie mich zu Ihnen aus der Erfahrung eines Berufsschullehrers sprechen. Es war immer sehr interessant, zu beobachten, wenn die jungen Frauen und Männer kamen und einige dabei waren, die – vorsichtig ausgedrückt – übergewichtig waren, was mit diesen Schülern passiert ist. Sie alle kennen die Folgen von Dickleibigkeit: Bewegungsprobleme, Fehlentwicklungen bis hin zum Außenseiterdasein in Gruppen und Gesellschaft. Mir tut das leid, und mir hat das immer leidgetan. Das muss nicht sein.
Übergewicht ist häufig die Folge falscher Ernährung, vor allen Dingen verursacht durch Zucker. Wenn man sich mit dem Thema Zucker auseinandersetzt, dann weiß man, dass er in Urzeiten der Energiespeicher war, den man unbedingt brauchte, um klarzukommen. Das hat sich durch ein Überangebot gewandelt. Zucker ist jetzt eine tickende Zeitbombe, eine Gefahr für unsere Kinder. Daher schlagen wir vor, Verbraucher, insbesondere Eltern und ihre Kinder, durch eine einfache Kennzeichnung zu unterstützen. Jedes Kind, ob arm oder reich, hat Anspruch auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung, vor allem aber auf soziale Teilhabe und Anerkennung. Frau Ministerin, schützen Sie unsere Kinder. Nehmen Sie Ihre Verantwortung ernst, und sorgen Sie für eine klare Kennzeichnung der Lebensmittel. Geben Sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern Orientierung beim Einkauf.
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Zur häufig angesprochenen Gemeinsamen Agrarpolitik; das ist doch ein schönes Wort. Es geht um Steuermittel; das wissen wir alle. Steuermittel werden in Deutschland unter anderem für Sicherheit, Verteidigung, Bildung, Kultur, Sport, Gesundheit, Sozialleistungen und Investitionen in Umweltschutz verwendet. Es handelt sich also um die klassische Aufgabe: öffentliches Geld für öffentliche Leistungen. So soll es auch sein.
Sie alle kennen die Beurteilung des Europäischen Rechnungshofes in Bezug auf die Verausgabung der GAK-Mittel. Bei der Verwendung der GAK-Mittel sieht das völlig anders aus. Hier werden Steuermittel für Eigentum an Land verwendet. Die Rechnung ist fürchterlich simpel: wenig Land, wenig Geld – viel Land, viel Geld. Hat mal jemand darüber nachgedacht, ob sich die Steuermittel für Umweltschutz und für die Flächenprämie nicht gegenseitig neutralisieren, weil damit zurzeit unterschiedliche Zielsetzungen verfolgt werden? Ich finde, das ist sehr nachdenkenswert. Für viel schlimmer aber halte ich das: Die Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern berichten ständig über Land Grabbing. Haben wir einmal darüber nachgedacht, ob wir mit der jetzigen Finanzierung das Land Grabbing vielleicht erst möglich machen?
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Haben wir darüber nachgedacht, dass dahinter so viel EU-Geld steckt, dass, wer viel Land hat und viele Zuschüsse von der EU bekommt, noch viel mehr Land kaufen kann? Haben wir darüber nachgedacht, dass das eine Entwicklung ist, die wir so nicht hinnehmen können? Ich denke, wir sollten gemeinsam darüber nachdenken. Wir wollen eine EU-Agrarpolitik, die andere Anreize gibt, die nachhaltig ist und unseren Kindern einen guten Lebensraum bietet.
Der Kollege Röring hat es eben angesprochen: Boden, Luft und Wasser sind zu schützen. Wir wollen die Symbiose aus Wertschöpfung und Nachhaltigkeit. Ich glaube fest daran, dass die deutsche Landwirtschaft das kann, aber wir müssen sie durch gute Rahmenbedingungen unterstützen und nicht durch falsche Anreize. Wer Landbesitz fördert, kann damit nur den Stillstand fördern und zur Spekulation anreizen, aber keine Transformation einleiten.
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Die rund 6 Milliarden Euro EU-Agrarmittel, finanziert aus Steuergeldern, sollten daher vielmehr investiert werden in Tierhaltung. Ich möchte den richtig toll arbeitenden Landwirt in den kleinen Einheiten in Bayern, Baden-Württemberg oder Hessen unterstützen in dem, was er tut. Ich möchte nicht Land unterstützen, ich möchte Tierhaltung unterstützen, ich möchte Bodendiversität unterstützen, ich möchte Maßnahmen zur Luftreinhaltung unterstützen, und ich möchte die Förderung der ländlichen Räume. Aber das können wir nicht erreichen durch einen völligen Fehlanreiz, durch eine Förderung der landwirtschaftlichen Fläche.
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Frau Ministerin, streiten Sie mit uns für den Erhalt der landwirtschaftlichen Betriebe. Lassen Sie uns gemeinsam die Förderkulisse den aktuellen Gegebenheiten anpassen. Lassen Sie uns gemeinsam die Innovationen und die Technologien fördern. Machen wir die Landwirtschaft zur Fortschrittslokomotive und nicht zum letzten Wagen des Zuges.
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Jetzt kommt der Punkt, Frau Ministerin, bei dem ich Ihnen wirklich dankbar bin: Stoffstrombilanz und Big Data. Hier ist gesagt worden, das sei ein Bürokratiemonster. Ich habe in den letzten Tagen viele Gespräche mit Softwareherstellern geführt. Die Softwarepakete, um die Stoffstrombilanz für jeden, und zwar bis zum kleinsten Hof, vernünftig zu gestalten, sind da, und sie kosten dankenswerterweise kein Vermögen. Frau Ministerin, ich habe ja mit Ihren Kolleginnen und Kollegen von CSU und CDU lange gerungen, bis das Thema Big Data aufgenommen worden ist.
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Aber das sind nette Kollegen; die haben das ertragen. Dass Sie das jetzt zu Ihrem Thema machen, finde ich sehr gut. Ich finde auch, dass die 10 Millionen Euro, die wir für Sie und Ihr Haus erstritten haben, gut angelegtes Geld sind.
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Zur Verwendung werde ich gleich noch etwas sagen.
Um alles zu koordinieren und zusammenzuführen, brauchen wir eine Masterplattform für die Landwirtschaft. Wir brauchen Daten, die die Landwirte einspeisen können und die ihnen zur Verfügung gestellt werden. Sie sollen sie nicht kaufen bei Monsanto, SAP, Microsoft, Google oder John Deere; nein, sie sollen sie vom Staat zur Verfügung gestellt bekommen. Wir brauchen Wetterdaten, Bodenbiologie, Bodenphysik, Geodaten, und wir brauchen vor allen Dingen – über das Thema haben wir alle gesprochen – Datensicherheit. Keiner der Landwirte und Erzeuger in Deutschland will, dass seine Daten in einer Cloud landen, die Google, Microsoft, Apple und Co verwalten; keiner will das. Davor, Frau Ministerin, müssen wir die deutsche Landwirtschaft und die Verbraucher schützen.
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Diese Masterplattform der Gesellschaft ist der Gegenentwurf zur Abhängigkeit von IT-Riesen wie SAP, Microsoft und den anderen, die ich genannt habe.
Frau Ministerin, wir haben beobachtet, wie sehr Sie in den letzten 100 Tagen eingespannt waren, auch um die Koalition mit CDU und CSU zu retten. Dafür haben Sie unsere Wertschätzung. Das war ja ein hartes Stück Arbeit. Ich habe mir gedacht: Wenn sie so viel Zeit dafür aufbringen muss, dann hilfst du der Ministerin mal.
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Der Gesetzgeber ist gelegentlich gar keine schlechte Hilfe. Wir haben uns sehr intensiv damit beschäftigt, wer so eine Plattform anbieten könnte, und tatsächlich ein namhaftes deutsches Forschungszentrum mit einem sehr guten Ruf gefunden, und zwar das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, das über einen riesigen Satz an Geodaten verfügt, über IT, über die Netzwerke und vor allen Dingen über das Know-how, so etwas zu verwalten – treuhänderisch, bevor hier falsche Gedanken aufkommen. Wir haben mit dem Vorstand des DLR gesprochen, und das DLR sagte: Ja, Herr Spiering, das ist eine Aufgabe, die wir gerne und gut übernehmen können. Wir haben die Kompetenz, und wir haben die Möglichkeit, das in Realität umzusetzen. Das DLR sagte auch: Wir machen das treuhänderisch. Wenn wir das fünf bis sechs Jahre gemacht haben, übergeben wir das an eine andere Instanz.
Ich finde, damit haben sie Ihnen einen großen Gefallen getan, um das Problem „Digitalisierung in der Landwirtschaft“ nachhaltig zu lösen.
Herr Kollege, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.
Ich bin fertig; danke schön.
Herzlichen Dank fürs geduldige Zuhören.
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Passt doch. Vielen Dank, Herr Kollege.
Der Kollege hat fertig.
Herr Kollege Spiering, vielen Dank für diesen Hinweis. – Als Letzter spricht zu uns die Kollegin Marlene Mortler für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst zu Ihnen, Herr Hocker – wo ist er denn? –:
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Ich weiß, unsere Ministerin ist selbstbewusst genug, Männer wie Sie nach so einer Aussage entsprechend abtropfen zu lassen.
({1})
Darum geht es aber nicht. Es geht hier um eine grundsätzliche Einstellung zu uns Frauen, und die ist aus meiner Sicht unsäglich.
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Zum Thema: Ich bin glücklich, in einer Zeit und in einem Land zu leben, in dem gilt: Wir halten die EU-Maastricht-Kriterien bzw. den EU-Stabilitätspakt wiederholt ein. – Als Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft habe ich eines gelernt, und was ich gelernt habe, verlerne ich nie. An dieser Stelle möchte ich Marcus Tullius Cicero – wohlgemerkt: vor Christus – zitieren, der sagte:
Die Menschen verstehen nicht, welch große Einnahmequelle in der Sparsamkeit liegt.
Auch das gilt immer wieder für uns Politiker.
({3})
In unserem Haushaltsplan, dem Einzelplan 10, sehen wir eine minimale Steigerung. Wir haben eine angemessene, aber eine vor allem mittelfristig gesicherte Finanzausstattung. Vielen herzlichen Dank allen Kolleginnen und Kollegen und vor allem ein dickes Dankeschön an die, die Geld nicht nur per se verteilt, sondern aus tiefer Überzeugung gehandelt haben; denn wir reden heute über eine Branche – und arbeiten dafür –, die unglaublich vielfältig und innovativ ist und dafür sorgt, dass unser Tisch jeden Tag so reichlich gedeckt ist, eine Branche, der wir nicht nur an Erntedank, sondern jeden Tag aufs Neue danken sollten.
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Diese Branche reicht weit über unser Essen und unsere Lebensmittel hinaus. Wenn ich an den Bereich „Erneuerbare Energien“ denke, dann muss ich hier einmal festhalten, dass der Löwenanteil der Primärenergie der erneuerbaren Energien mit 68 Prozent auf die Bioenergie entfällt. Das ist vielen nicht bewusst. Erst mit 14 Prozent kommt der Bereich Windkraft. 11 Millionen Hektar Wald liefern in unserem Land Holz für Baustoffe, Wertstoffe und die Energieversorgung.
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Auf 270 000 Hektar wachsen Industriepflanzen für den Bau, für Schmierstoffe, für Arzneien und für Färbemittel.
In den letzten Wochen haben manche über das Verbot von Wattestäbchen und Strohhalmen diskutiert. Ich fragte mich immer: Kann das die Antwort auf das Problem Plastikmüll sein? Nein. Eine gute Antwort auf das Problem Plastikmüll – davon bin ich sehr überzeugt – kann zweifellos unsere Landwirtschaft liefern. Sie muss aus meiner Sicht gemeinsam mit Wissenschaft und Forschung schneller praxistaugliche Lösungen entwickeln, dass aus Reststoffen, aus nachwachsenden Rohstoffen am Ende Bioplastik – „Plastik“ ist eigentlich der falsche Begriff – wird, das zu 100 Prozent abbaubar ist, statt weiterhin Plastikmüll für die Ewigkeit zu produzieren.
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Deshalb ist es so toll, dass wir den Haushaltsansatz dazu entsprechend erhöht haben. Auch hierfür ein dickes Dankeschön.
Meine Damen, meine Herren, Fortschritt braucht keine Schuldzuweisungen, sondern Dialog – Vertreter der Leibniz-Gemeinschaft haben diese Woche diese Erkenntnis auf den Punkt gebracht. Das gilt auch für unser Topthema „mehr Tierwohl“. Ich bitte Sie an dieser Stelle: Führen wir uns vor Augen, dass wir beim Thema Tierwohl nicht bei null anfangen. Vor 30 Jahren hat keiner an dieses Thema gedacht. Über vergleichsweise dunkle und enge Ställe hat man sich keine Gedanken gemacht. Heute macht man sich sehr wohl und Gott sei Dank Gedanken über moderne Ställe. Deshalb ist es unsere Herausforderung und unser Ziel, mehr Tierwohl für alle zu erreichen. Aber alle müssen bei unserem geplanten staatlichen Tierwohllabel ernsthaft mitmachen.
Am Ende muss es eine Win-win-Situation für alle geben. Dass die Wirtschaft, dass der Lebensmitteleinzelhandel sich dazu wirklich offen bekennt und das Ganze nicht als Marketinggag definiert, sondern als ehrliches Anliegen, ist eine wichtige Voraussetzung. Dass sich der Verbraucher nicht nur mit Worten dazu bekennt, sondern auch mit dem Geldbeutel, ist die zweite Voraussetzung. Wenn der Landwirt damit wirkliche Planungssicherheit hat, damit er, wenn er mehr Geld in die Hand nimmt und mehr investiert, eben nicht für die Katz, sondern für den Markt produziert, dann sind wir auf dem richtigen Weg.
({7})
Wie gesagt, das ist unser Ziel.
Kommen Sie freundlicherweise zum Schluss, Frau Kollegin Mortler?
Herr Präsident, ich schließe mit einer Bauernregel zum heutigen Tag: Scheinet die Sonne im Juli heiß, lohnt sich des Bauern Müh und Fleiß.
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Ich wünsche mir, dass das ein gutes Omen ist. Es macht aber auch deutlich, dass Landwirtschaft nicht nur von uns, der Politik, sondern auch vom Wetter abhängig ist. Wir werden weiter unseren Beitrag leisten.
Danke schön.
({1})
Herzlichen Dank, Frau Kollegin Mortler. – Mit diesen bewegenden Worten schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 10 – Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft – in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Dann ist der Einzelplan 10 mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der anderen Fraktionen des Hauses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.18 auf:
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin Karliczek, Sie haben nach eigener Aussage in Ihrem früheren beruflichen Leben wenig mit dem Thema Bildung und Forschung zu tun gehabt. Das kann und will ich Ihnen persönlich nicht zum Vorwurf machen, aber der Kanzlerin, die Sie ausgesucht hat, schon.
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Meine Damen und Herren, gesucht war offenbar kein Mann bzw. keine Frau vom Fach, kein Macher, kein Visionär, sondern jemand, der das Vorgefundene einfach verwaltet, das Süppchen weiter kocht und nichts anbrennen lässt. Mit Verlaub, Frau Ministerin, das ist in der derzeitigen Lage zu wenig, viel zu wenig.
({1})
Rund 17 Milliarden Euro sind im vorliegenden Haushaltsgesetz für Bildung und Forschung vorgesehen, etwa genauso viel wie im letzten Haushalt. Diese genau 17,4 Milliarden Euro verteilen sich auf insgesamt 22 000 Einzelprojekte, die Ihr Haus, Frau Ministerin, mit Steuermitteln am Leben erhält. 22 000 Projekte! Haben Sie da noch den Überblick? Wie viele dieser Projekte könnten Sie aufzählen? Welche sind wirklich sinnvoll?
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– Ich wusste, dass die Frage kommt. Ich bin noch nicht Minister. – Wo kann, wo sollte, wo muss gekürzt werden, weil die Projekte nichts bringen, weil sie eine reine Klientelbefriedigung sind,
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und wo – die andere Seite der Medaille – sollten wir dringend die Förderung erhöhen, um unsere Bildungs- und Forschungslandschaft zukunftsfähig zu machen?
Es tut mir leid: Ein klares Konzept lässt der vorliegende Entwurf nicht erkennen. Sie schütten wie schon Ihre Vorgängerin das Geld der Steuerzahler mit der Gießkanne aus und wissen offenbar selbst nicht so genau, ob da anschließend Blumen blühen oder Unkraut wächst.
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Die AfD-Fraktion hat über ein Dutzend konstruktive Änderungsanträge zum Einzelplan 30 eingebracht, bei denen sich Erhöhungen und Senkungen in etwa ausgleichen. Wir fordern zum Beispiel mehr Unterstützung für die Sicherheitsforschung, mehr für die Forschung an Fachhochschulen, mehr für die Erforschung des Tiefseebergbaus, mehr für das Deutschlandstipendium und weniger für die Förderungswerke der Parteistiftungen, um nur einige unserer Vorschläge aufzuzählen.
Streichen wollen wir bei ideologisch überfrachteten oder zweckentfremdeten Projekten im Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften. Unter dem Titel „Fortentwicklung des Bologna-Prozesses“ verbergen sich zum Beispiel Fördermittel für linke Studenteninitiativen, die sich um Flüchtlinge an den Universitäten kümmern sollen. Statt unsere Universitäten zu Leuchttürmen von Bildung und Forschung zu machen und die Studenten zum Lernen anzuhalten, verwandeln Sie die Hochschulen nach und nach in ein Zwischending aus Sozialamt und Jobcenter für Flüchtlinge, deren Aufenthaltsstatus und Bleibeperspektive obendrein ungeklärt ist, Frau Ministerin.
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Parallel zu dieser Entwicklung machen die klugen Köpfe inzwischen einen Bogen um Deutschland oder wandern ab, um an den Topuniversitäten in der Schweiz, in England oder in den USA Karriere zu machen.
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Deutsche Start-ups, zum Beispiel aus dem Bereich der Biotechnologie, bekommen mithilfe von darauf spezialisierten Konsortien eher in den USA eine öffentliche Förderung als in Deutschland oder von der EU. Warum ist das so? Weil das bei uns immer noch viel zu kompliziert ist und zu lange dauert. Ändern Sie das, Frau Ministerin!
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Wenn wir hier und in anderen Bereichen nicht schleunigst gegensteuern, wird Deutschland nach dem verpassten Anschluss an die digitale Revolution auch in dieser Zukunftstechnologie nur noch die Brotkrümel einsammeln können, die andere für uns liegen lassen.
Statt zukunftsfähige Branchen fördern Sie mit deutschem Steuergeld den Betrieb und weiteren Aufbau – das wusste ich vorher gar nicht – einer Türkisch-Deutschen Universität mitten in Istanbul, die dem türkischen Hochschulrecht untersteht und an der die Dozenten nach Gutdünken Erdogans eingestellt und bei missliebigem Verhalten – wie es bereits geschehen ist – wieder entlassen werden.
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Was hat das, meine Damen und Herren, mit der von Ihnen immer mit Blick auf Trump vielbeschworenen Wissenschaftsfreiheit zu tun? Stoppen Sie diese Förderung! Stoppen Sie dieses Prestigeprojekt für Erdogan! Streichen Sie es aus dem Haushalt!
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In diesem Zusammenhang freue ich mich, dass die Haushälter zumindest auf eine AfD-Forderung im Rahmen der Haushaltsdebatte eingegangen sind:
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die Erhöhung des Haushaltstitels „Forschung an Fachhochschulen“. Das war uns wichtig.
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Denn das Programm trägt dazu bei, die Fachhochschulen als Hochschulen für angewandte Wissenschaften besser in das deutsche Hochschul- und Wissenschaftssystem zu integrieren und für den Wirtschafts- und Innovationsstandort Deutschland nutzbar zu machen.
Meine Damen und Herren, es ist an der Zeit, gemeinsam mit der Wissenschaft und der Wirtschaft – damit haben Sie auf der linken Seite des Hauses ja ein Problem – jene strategischen Weichenstellungen zu definieren,
({12})
die auf Deutschlands Zukunftsfähigkeit ausgerichtet sind. Ein erster wirksamer Schritt wäre die Einführung der steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung. Vollmundig angekündigt, soll dieses Projekt jetzt wohl wieder auf der Strecke bleiben.
Deutschland braucht eine in sich schlüssige Innovationsstrategie zur Bestimmung und Besetzung von Führungsmärkten im Gesundheitswesen, im Maschinenbau, in der Energiewirtschaft, der IT-Branche und der Umwelt- und Biotechnologie. Höchsttechnologien und damit verbundene Innovationen auf diesen Gebieten versprechen neben wissensintensiven Dienstleistungen die größten Wachstumsperspektiven und sozialen Frieden für unser Land. Dazu, meine Damen und Herren, reichen wir als AfD gerne die Hand.
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Den vorliegenden Haushaltsentwurf lehnen wir ab.
Vielen Dank.
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Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Kerstin Radomski, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute über den Einzelplan des Bundesministeriums für Bildung und Forschung debattieren, dann sprechen wir aus meiner Sicht über den wichtigsten Etat für die Zukunft unseres Landes; denn wir leben in einer Zeit, in der unser Leben sich dramatisch verändert. Wie unser Leben in 20, 30 oder 10 Jahren aussehen wird, können wir uns zum Teil nur in Ansätzen vorstellen. Ja, wir diskutieren heute schon viel über künstliche Intelligenz, selbstfahrende Autos, die Macht von Algorithmen, den Klimawandel, die Bio- und Gentechnik. Wir sehen Chancen, wir sehen Herausforderungen, und wir sehen auch manche Unwägbarkeit. Aufhalten lassen sich viele dieser Entwicklungen nicht mehr, aber wir können Einfluss auf sie nehmen.
Wenn wir auch nicht vorhersehen können, wie diese Themen und noch vieles mehr unseren Alltag neu definieren werden, so wissen wir eines: Der entscheidende Faktor, ob unser Land weiterhin zur Weltspitze der führenden Industrienationen gehört, ist der Bereich „Bildung und Forschung“. Denn eines wollen wir nicht: dass die Zukunft von uns vor allem im Silicon Valley oder in China bestimmt wird. In keiner Phase seit der industriellen Revolution kam es mehr darauf an, was ein Land seinen Schülern, Auszubildenden und Studenten mit auf den Weg gibt, wie es sie auf ihrem Bildungsweg befähigt und stark macht für hervorragende Leistungen.
Anders als in vielen Ländern ist die Frage von guter Bildung in Deutschland nicht ein Thema für eine kleine Elite, sondern wir können hier stolz auf öffentliche Bildungseinrichtungen in der Breite sein. Über 90 Prozent der Schülerinnen und Schüler besuchen eine Schule in öffentlicher Trägerschaft. Fast die Hälfte aller Schüler erwirbt inzwischen die allgemeine Hochschulreife. Ergänzende Hilfen auf dem Bildungsweg geben wir als Bund mit BAföG und Stipendien.
Deutschland verfügt über verhältnismäßig wenig Rohstoffe, weshalb es seit jeher umso mehr auf das Wissen und Können seiner Bürgerinnen und Bürger ankommt. In unserem „Land der Dichter und Denker“ ist daher der Bereich „Bildung und Forschung“ seit Generationen Antriebsmotor für Wirtschaftskraft, Arbeitsplätze und Wohlstand. Dahinter steckt der Erfindergeist der Pioniere von Carl Benz bis Robert Koch, der vielen deutschen Nobelpreisträger und ebenso der Tüftler in den mittelständischen Betrieben. Und so gewährleistet gute Bildung und Forschung auch in Zukunft, dass die deutsche Wirtschaft und die Beschäftigten weiterhin vorne mitspielen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, dafür brauchen wir aber nicht nur gut ausgebildete Entwickler, sondern ebenso hochqualifizierte Facharbeiter. Deshalb bin ich unserer neuen Bildungsministerin Anja Karliczek dankbar, dass sie offensiv auch die nichtakademische Bildung und berufsbegleitende Qualifizierung stärken will.
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Um die Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung mit dem Studium zu unterstreichen, sollen Auszubildende die Möglichkeit haben, einen Teil ihrer Ausbildung im Ausland zu absolvieren, um dort wichtige Erfahrungen zu machen. Aus diesem Grund unterstützen wir im parlamentarischen Verfahren, lieber Swen Schulz, eine Anschubfinanzierung für das Austauschprogramm „Berufliche Bildung für Auszubildende“.
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Ein weiteres Beispiel: Neu hinzu kommt das Austauschprogramm für FH-Studierende des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. In den nächsten Jahren wollen wir unsere Fachhochschulen stärker internationalisieren.
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Bislang sind FH-Masterstudierende mit 36 Prozent weniger mobil als Uni-Masterstudierende mit 54 Prozent. Auch sollen die FHs genauso wie die Universitäten in der Lage sein, Forschungspartnerschaften mit anderen ausländischen Partnern zu knüpfen. Die spezifischen Stärken der FHs, also zum Beispiel die gute Vernetzung mit der Wirtschaft, sind international gefragt und sollen somit in den Fokus rücken.
Blicken wir auf den Bereich Forschung. Fachhochschulen nehmen einen besonderen Platz im deutschen Bildungssystem ein. In den Beratungen zum Bundeshaushalt 2018 haben wir uns für eine Erhöhung des Ansatzes für Forschung an den Fachhochschulen starkgemacht.
({4})
Auch da danke ich dem Kollegen Swen Schulz für die gute Zusammenarbeit.
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Ich möchte ein weiteres Beispiel der IT-Sicherheit nennen. In diesem Jahr wurde das Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit in Saarbrücken gegründet. Mit der zunehmenden Digitalisierung der Wirtschaft und der Gesellschaft rückt die IT-Sicherheit in einen stärkeren Fokus. Viele unserer Smarthome-Geräte aus dem Alltag können für Internetattacken missbraucht werden. Der Bund unterstützt daher die Forschung zur Cybersicherheit.
Ein letztes Beispiel, das mir persönlich besonders wichtig ist: Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, haben wir im parlamentarischen Verfahren eine halbe Million Euro für die Kinder- und Jugendgesundheit zur Verfügung gestellt. Der Bund finanziert Pilotprojekte in diesem Bereich. Wissenschaftler sollen Zivilisationskrankheiten, die Kinder und Jugendliche betreffen, erforschen und nach deren Ursachen suchen. Die Forschungsergebnisse werden uns helfen, die besten Methoden zu entwickeln, damit wir präventiv gegen diese Krankheiten vorgehen können.
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Der Einzelplan 30 beinhaltet Ausgaben in Höhe von 17,6 Milliarden Euro. Das ist viel Geld. Bevor die CDU/CSU in die Regierungsverantwortung kam, waren es jährlich 10 Milliarden Euro weniger. Vor allen Dingen ist es aber auch eine Leistung, dass diese Summe in einem Haushalt erreicht wird, der erneut ohne neue Schulden auskommt. Darauf können wir als Koalition wirklich stolz sein.
({7})
– Da müsste jetzt die SPD auch klatschen.
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– Danke schön.
Das ist ein gutes und wichtiges Zeichen für die Zukunft unseres Landes und für die Menschen, die die Zukunft gestalten werden.
Vielen Dank.
({9})
Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Christoph Meyer, FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der „Spiegel“ titelt in dieser Woche „Es war einmal ein starkes Land“. Man muss sich dem Fatalismus, der in diesem Titel mitschwingt, nicht unbedingt anschließen. Dennoch, glaube ich, sollten wir die diesbezüglichen Debatten als eine Art Weckruf begreifen, gerade im Bereich „Bildung und Forschung“. Es darf nicht weiter verwaltet werden. Es muss endlich regiert werden.
({0})
Der Etat, über den wir heute im Zusammenhang mit dem Einzelplan 30 beraten, ist nach unserer Auffassung Sinnbild für keine klare Schwerpunktsetzung. Er ist uninspiriert. Es geht um ein Weiter-so. Man feiert sich in der Tat dafür, dass hier ein Mittelaufwuchs in den letzten zehn Jahren zu verzeichnen ist. Allerdings fehlt eine Schwerpunktsetzung. Die Zukunftsthemen, über die in der Tat diskutiert wird, werden vom Ministerium nicht angegangen: künstliche Intelligenz, ein Leertitel, Blockchain, allgemein der Bereich Digitalisierung, der ganze Bereich Wissenstransfer. Alle Bereiche, die wir benötigen, um zukünftig unsere Chancen zu nutzen, Wohlstand und Freiheit in diesem Teil der Welt gegenüber anderen Boomregionen zu bewahren, werden verschlafen. Mutige Investitionen in smarte Ideen, da herrscht bei der Koalition großes Schweigen.
({1})
Frau Ministerin Karliczek, Sie sind neu im Amt. Wenn diese Trendwenden nicht im Jahr 2018 geschehen können, weil wir ein Rumpfhaushaltsjahr hatten, dann erwarten wir doch im Jahr 2019 und in den fortfolgenden Jahren, dass Sie hier deutlich mehr Zeichen setzen und diesen Etat gegebenenfalls mit einer vernünftigen Schwerpunktsetzung ausstatten.
({2})
Unabhängig von diesen großen Linien gibt es viele einzelne Baustellen. Das Projekt FAIR zum Beispiel ist verzögert. Es stellt sich die Frage nach der Kostenentwicklung und danach, was mit der Stilllegung oder dem Rückbau kerntechnischer Versuchsanlagen ist. Wir haben eine Debatte darüber zu führen, wie es mit Bereichen weitergeht, die gegebenenfalls eine Doppelförderung oder eine nicht richtige Abstimmung im Bereich Umweltwissenschaften, im Bereich Landwirtschaft, im Bereich Sozialwissenschaften betreffen. Hier brauchen wir Transparenz zu Beginn des Haushaltsverfahrens und nicht erst im Laufe der Haushaltsdebatten.
Ein weites Feld sind ebenfalls die Selbstbewirtschaftungsmittel; 1,2 Milliarden Euro stehen dafür mittlerweile zur Verfügung. Wir stehen als FDP zur Wissenschafts- und Forschungsfreiheit, und wir wollen nicht, dass Forschungseinrichtungen in Jahresetats und Budgets denken müssen. Dennoch sind Selbstbewirtschaftungsmittel am Ende des Tages Steuermittel. Auch hier gilt ein Effizienzerfordernis, und auch hier gilt die Notwendigkeit, kritisch zu evaluieren. Auch das müssen Sie, Frau Karliczek, in den nächsten Monaten zeigen: dass Sie hier zu einem geregelten Mittelabfluss kommen und das animieren, fördern; denn am Ende des Tages ist auch das eine Frage von Haushaltsklarheit und -wahrheit.
({3})
Wir haben im Haushaltsjahr 2019 sicherlich eine Debatte über den DigitalPakt Schule zu führen, auch wenn Ihr Ressort quasi nur inhaltlich dafür verantwortlich sein wird und das Geld offensichtlich woanders etatisiert werden wird. Wir haben uns als FDP immer dafür starkgemacht, das Kooperationsverbot umfassend abzuschaffen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Große Koalition sich hier nur auf einen Minimalkonsens hat einigen können. Wir gehen aber schon davon aus, dass Sie dann dafür Sorge tragen müssen, dass alle Schulen gleiche Chancen haben, um von diesen Mitteln zu profitieren.
Wir brauchen – das sage ich als Abgeordneter aus einem Bundesland mit einer schwächeren Verwaltungsstruktur – Startchancengerechtigkeit zu Beginn des Verfahrens. Wenn starke Bundesländer jetzt schon ihre Programme schreiben, um das Geld an die Schulen zu bringen, dann ist das sehr lobenswert. Ihre Aufgabe muss es aber sein, hier auch für Startchancengerechtigkeit für die Bildungsträger zu sorgen, welche diese Vorteile nicht besitzen.
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Zum Ende möchte ich mich beim Ministerium, aber auch bei meinen Kolleginnen und Kollegen Berichterstattern für die angenehmen und konstruktiven Beratungen bedanken. Nachdem die Kollegin Vorrednerin darauf hingewiesen hat, dass in den Haushaltsberatungen in der Tat einige Aufwüchse oder Änderungen zu verzeichnen waren, möchte ich hier darauf hinweisen: Die höchsten Änderungen, die in den Haushaltsberatungen von der Parlamentsmehrheit von Union und SPD durchgebracht wurden, waren 30 Millionen Euro für eine Gebäudesanierung. Das ist etwas wenig. Ich würde mir wünschen, dass das Parlament, dass die Regierungsmehrheit hier selbstbewusster den Finger in die Wunde legt und hier zu Umgestaltungen kommt.
Wir haben als Freie Demokraten umfangreiche Umschichtungen vorgeschlagen – hin zu mehr Digitalisierung, zu mehr Innovation, zu mehr Forschung. Sie sind uns in den Beratungen bei diesen Vorschlägen nicht gefolgt. Deswegen werden wir Ihnen nicht folgen und den Einzelplan heute ablehnen.
Ich danke Ihnen.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege Meyer. – Als Nächstes für die SPD-Fraktion der Kollege Swen Schulz.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So eine Haushaltsberatung ist ziemlich intensiv – für die Abgeordneten, aber natürlich auch und vielleicht ganz besonders für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bundestag und in den Ministerien. Ich bedanke mich einmal bei allen Beteiligten ganz herzlich für den Einsatz und die gute Zusammenarbeit. Herzlichen Dank!
({0})
Besonders möchte ich mich bei meiner Kollegin Kerstin Radomski bedanken
({1})
für das gute und vertrauensvolle Teamwork in der Koalition. Herzlichen Dank!
Im Ergebnis der parlamentarischen Beratungen haben wir den Haushaltsplan 2018 an einigen Stellen verändert. Dazu muss man wissen: Der Regierungsentwurf war schon sehr gut. Es bleibt ja gar nicht mehr viel Zeit, im laufenden Jahr neue Akzente sinnvoll zu administrieren. Vor diesem Hintergrund sind wir mit Augenmaß vorgegangen. Wir wollen Maßnahmen anstoßen, anfinanzieren, was dann in den Folgejahren noch stärker zur Geltung kommen soll. Im Wesentlichen haben wir vier Punkte und einen großen Bonusknaller erarbeitet. Der Reihe nach, ganz kurz der knappen Zeit wegen; Frau Radomski ist ja schon auf einiges eingegangen.
Erstens. Begabtenförderung. Sie ist uns wichtig. Wir ermöglichen dem Ministerium die stärkere Umschichtung nicht verbrauchter Mittel. Uns geht es darum, dass der, der eine hohe Begabung hat, unterstützt wird und dass alle eine faire Chance haben, diese Unterstützung dann tatsächlich auch zu erhalten. Begabtenförderung darf ausdrücklich nicht von der familiären Herkunft abhängen.
({2})
Zweiter Punkt: Auslandsmobilität. Fremdsprachen, Internationalität, Auslandserfahrungen, das ist von herausragender Bedeutung für die Einzelnen, aber auch insgesamt für Wissenschaft, Wirtschaft, Bildung und Gesellschaft. Wir haben uns angeschaut, wie es um die Auslandsmobilität in den verschiedenen Bereichen steht. Das Ergebnis ist: Es gibt insbesondere bei Fachhochschülern und bei Auszubildenden Nachholbedarf. Für beide Zielgruppen stocken wir den Etat auf – als Anfinanzierung entsprechender Programme – und stärken somit die Aktivitäten des Bundesministeriums.
({3})
Wir sehen, dass die USA, auch andere Staaten den Austausch inzwischen erschweren. Darum sagen wir: Jetzt erst recht! – Wir legen eine Schippe obendrauf, und wir kümmern uns dabei gezielt um jene, die von Hause aus nicht das Geld haben,
({4})
denen die Flugtickets in die USA oder nach China gewissermaßen nicht in die Wiege gelegt wurden. Wir wollen auch in diesem Bereich der Auslandsmobilität soziale Gerechtigkeit.
({5})
Dritter Schwerpunkt: Forschung an Fachhochschulen; das ist bereits angesprochen worden. Uns ist schon in den letzten Jahren immer besonders wichtig gewesen, die angewandte Forschung zu unterstützen.
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Wir wissen um die Leistungen und die große Bedeutung der Fachhochschulen für die regionale Wirtschaft, aber auch darüber hinaus, um ihre Attraktivität. Darum wollen wir einen weiteren Mittelaufwuchs auch in den nächsten Jahren. Wir senden das klare Signal an die Fachhochschulen: Sie sind uns wichtig, und wir unterstützen sie.
({7})
Vierter Schwerpunkt: Forschung für Kinder- und Jugendgesundheit. Das ist natürlich eine besondere Herzensangelegenheit. Was ist wichtiger, als dazu beizutragen, dass Kinder und Jugendliche gesund aufwachsen?
Schließlich, Kolleginnen und Kollegen, der versprochene Bonusknaller, obwohl er haushaltstechnisch gar nicht im Einzelplan „Bildung und Forschung“, sondern im Einzelplan „Allgemeine Verwaltung“ zu finden ist: Wir haben auf Vorschlag des Bundesfinanzministers Olaf Scholz 2,4 Milliarden Euro in einen Digitalfonds getan.
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Damit kann auch der DigitalPakt Schule begonnen werden – endlich, Kolleginnen und Kollegen. Ich habe es bei der ersten Lesung des Haushaltsplans bereits gesagt: Was bei Wanka und Schäuble nur Ankündigungen waren, bekommt nun Substanz. Olaf Scholz und der Haushaltsausschuss haben Butter bei die Fische getan. Jetzt ist es an Ihnen, Frau Ministerin, den Pakt unter Dach und Fach zu bringen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushaltsplan 2019 wird sicher noch ein Stückchen spannender, auch in der parlamentarischen Beratung, weil wir dann das gesamte Jahr vor uns haben und weil wir Tempo machen wollen bei der Umsetzung der Vorhaben, die wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben. Das betrifft den angesprochenen DigitalPakt Schule, aber auch die gesonderte Unterstützung von Schulen in sozialen Brennpunkten oder die Alphabetisierung und Grundbildung. Wir kümmern uns um die Nobelpreisträger, aber auch um alle anderen, die Bildung wollen und benötigen. Das ist unser Grundsatz, Kolleginnen und Kollegen.
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Wir haben auch bei der Forschung einen umfassenden Ansatz. Wir fördern Hochtechnologie und gucken uns auch ihre Auswirkungen auf Arbeit und Gesellschaft an. Da sind dann etwa die Sicherheitstechnologie oder die Robotik ebenso wichtig wie die Geistes- und Sozialwissenschaften, die Produktionsforschung und die Orchideenfächer.
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Das ist eine tolle Herausforderung – ein spannendes Feld –, die der Mühe der Haushaltsberatung lohnt. Ich freue mich schon auf den Haushalt 2019 und die Beratungen.
Lassen Sie mich die verbliebene Restzeit für einen Werbeblock verwenden, Kolleginnen und Kollegen, einen Werbeblock nicht für meine Partei, sondern für ein Thema, das erst mal nichts mit dem Bundeshaushalt zu tun hat, aber besonders wichtig ist, nämlich die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildung. Wir haben im Koalitionsvertrag eine Grundgesetzänderung zur Streichung des Kooperationsverbots vereinbart.
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Das ist eine wesentliche Weichenstellung. Es geht darum, alle Kräfte zusammenzunehmen und gemeinsam die Schulen zu verbessern. Diese Grundgesetzänderung braucht natürlich Zustimmung über die Koalition von CDU/CSU und SPD hinaus in Bundestag und Bundesrat. Ich werbe dafür: Lassen Sie uns das gemeinsam angehen, damit wir die unsinnige Einschränkung – ja: die Fesselung des Bundes – endlich beenden.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Swen Schulz. – Einen schönen Nachmittag, liebe Kolleginnen und Kollegen, von uns hier oben im Präsidium.
Nächste Rednerin: Dr. Gesine Lötzsch für die Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ja nun der letzte Einzelplan vor der Schlussrunde, den wir besprechen. Darum finde ich es richtig, diesen Einzelplan in einen Zusammenhang mit anderen Einzelplänen zu stellen.
Ich erkenne da eine klare Botschaft: Das Verteidigungsministerium bekommt 1,5 Milliarden Euro mehr, das Budget für Bildung, Wissenschaft und Forschung stagniert.
({0})
Es beträgt weniger als die Hälfte des Militärhaushaltes. Ich finde, dieser Weg führt zu einer weiteren Militarisierung aller Konflikte. Wir, Die Linke, wollen die Verhältnisse umdrehen: weniger Geld für Kriege, mehr Geld für die Bildung unserer Kinder, mehr Geld für das lebenslange Lernen.
({1})
Ich will an ein Versprechen der Kanzlerin erinnern: Sie hat im Jahr 2008 gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Länder versprochen, dass 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung und Forschung von Bund und Ländern einzusetzen sind. Jetzt sind es 9 Prozent; aber der fehlende eine Prozentpunkt entspricht immerhin 31,3 Milliarden Euro. Ich finde, dieses Geld könnten wir an Kitas, Schulen und Universitäten dringend gebrauchen, meine Damen und Herren.
({2})
Im Koalitionsvertrag steht, dass Sie für das „Chancenland Deutschland“ mehr Mittel mobilisieren wollen. Wie es mit den unterschiedlichen Chancen unserer Kinder aussieht, beschreibt der Bildungsbericht 2018: Die Bildungsherkunft ist nach wie vor entscheidend für die Beteiligung an der Hochschulbildung. Von den Jugendlichen aus der größten Bevölkerungsgruppe, den Familien, in denen die Eltern über eine berufliche Ausbildung verfügen, gelangt nur ein Viertel an eine Hochschule. Bei Jugendlichen aus Familien, in denen ein Elternteil oder beide einen Hochschulabschluss haben, liegt dieser Anteil mehr als dreimal so hoch: bei 79 Prozent. Ich sage: Gerecht geht anders, meine Damen und Herren.
({3})
Nun wird der Deutsche Bundestag nachher beschließen, Mittel zur Gründung eines Instituts für gesellschaftlichen Zusammenhalt zur Verfügung zu stellen. Ihr Ministerium, Frau Karliczek, schreibt dazu:
Anlass sind aktuelle Entwicklungen, die darauf schließen lassen, dass es Bevölkerungsgruppen gibt, die das bestehende politische System nicht mehr unterstützen, die sich an den Rand gedrängt fühlen, bzw. zur parlamentarischen Demokratie und ihren Repräsentanten auf Distanz gehen.
Ich sage Ihnen: Die Zahlen zur sozialen Spaltung können wir aus dem Bildungsbericht deutlich ablesen. Die Menschen fühlen sich nicht an den Rand der Gesellschaft gedrängt, sie sind an den Rand gedrängt. Hier ist Veränderung dringend notwendig.
({4})
Wir brauchen also mehr Geld und mehr Personal für Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Haushalten. Wir brauchen gut ausgebildetes Personal für Kitas, Schulen und Universitäten.
Damit wir diese Probleme lösen können, darf die Bundesregierung nicht weiter auf der Investitionsbremse stehen. Der Rückgang der öffentlichen Investitionen ist in Anbetracht der beschriebenen Probleme ein echter Akt der Zukunftsverweigerung, meine Damen und Herren.
({5})
Frau Ministerin, Sie haben neulich der „FAZ“ ein Interview gegeben. Daraus will ich ein kurzes Zitat bringen. Sie sagen dort:
Aus dem Land der Dichter und Denker muss jetzt vehementer als zuletzt ein Land der Tüftler und Bastler werden.
Das, finde ich, ist – freundlich gesagt – wirklich eine Verniedlichung des Problems.
({6})
Schauen Sie sich doch einmal die Arbeitsbedingungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an: befristete Verträge, Teilzeitstellen, unsichere Zukunft. Erst gestern zum Beispiel berichtete die ARD über die Situation in der Krebsforschung. Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wissen häufig zu Weihnachten nicht, ob ihr Arbeitsvertrag im Januar noch weiterläuft. Ich finde, so kann man mit solchen Menschen doch nicht umgehen.
({7})
Und – so wurde gewarnt – es ist zu befürchten, dass auf diesem wichtigen Gebiet unserem Land die Fachkräfte ausgehen – und das, obwohl jährlich immer mehr Menschen an Krebs erkranken.
Meine Damen und Herren, wir können weder auf Dichter und Denker noch auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verzichten; wir brauchen alle. Dazu benötigen wir endlich eine Bildungspolitik, die allen Kindern und Jugendlichen, aber auch den Erwachsenen während ihres Berufslebens echte Chancen bietet. Dafür bietet der Haushalt zu wenig. Ich setze darauf, dass wir im Haushalt 2019 starke Korrekturen vornehmen.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Gesine Lötzsch. – Nächste Rednerin: Ekin Deligöz für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin! Nachdem sich die Koalition gegenseitig so gelobt hat, richte ich meinen Dank an Christoph Meyer, unseren Chefberichterstatter. Vielen Dank für die gute Vorbereitung auch an Gesine Lötzsch, die Mitberichterstatterin. Ich finde, wir sind eine hervorragende Opposition. So etwas kann man sich ja nur wünschen.
({0})
Frau Ministerin, Sie wollen mit Ihrem Haus – und Sie rühmen sich damit – das Zukunftsministerium sein. Ob das so ist, dazu werde ich im Folgenden etwas sagen. Einen Begriff möchte ich aber gleich ansprechen: Ich bin auch der Meinung, dass wir uns in diesem Bundestag etwas mehr mit den Zukunftsfragen beschäftigen sollten.
({1})
Denn die letzten Tage und Wochen hat sich die Koalition nur noch mit der Vergangenheit und mit Rückständigkeit beschäftigt. Da ist es an der Zeit, auch mal nach vorne zu blicken. Deshalb habe ich mir als Beispiel für meine Rede einen Themenschwerpunkt gelegt, und das ist der Klimawandel.
Jetzt gibt es hier Leute – von mir aus gesehen auf der rechten Seite –, die behaupten, den menschengemachten Klimawandel gibt es gar nicht, und die das Ganze leugnen.
({2})
– Sie sagen: „Ich gehöre dazu“. – Manche behaupten sogar, die Grünen hätten das erfunden.
({3})
Ich kann Ihnen zusichern: Nein, das wäre zu viel der Ehre. Wir haben den Klimawandel nicht erfunden.
({4})
Die Wissenschaft hat es erforscht. Darauf würden wir uns auch niemals berufen, sondern würden ganz im Gegenteil der Wissenschaft für diesen Fortschritt danken.
({5})
Sie haben sogar einen Antrag gestellt, in dem gefordert wird, dass dem renommierten Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung die Mittel gestrichen werden; denn das seien ja irgendwie die Erfinder des Klimawandels; das ist Ihre Meinung.
({6})
Da habe ich eine klare Antwort: Dieses Land hat einen Rohstoff: Das ist die Bildung, das ist die Forschung, und das sind die exzellenten Köpfe unserer Wissenschaftler.
({7})
Wir müssen in die Wissenschaft investieren. Das ist Zukunft. Wenn Frau Merkel – ich darf aus ihrer Rede am 5. September 2017 zitieren – sagt: Wir wollen „nicht im Technikmuseum enden“, dann ist das die Antwort darauf, dass man genau diese Institute unterstützt und voranbringt und nicht der Rückständigkeit hinterherläuft, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({8})
Ich will dem aber auch ein inhaltliches Argument zufügen:
({9})
Die „Zeit“ titelt: „Sie schmilzt“, und meint damit die Antarktis. Wenn Sie der Vordebatte zugehört haben, wissen Sie, dass das alles natürlich Konsequenzen für Mensch, Landwirtschaft, unser Leben, die Wetterphänomene und die Ökosysteme hat. Gerade deswegen ist der Klimawandel ein sehr wichtiges Thema. Das ist auch die Antwort auf einige humanitäre Krisen und auf die Ernährungsprobleme in der Welt. Dafür brauchen wir ein anderes Wirtschaften, ein anderes Denken. Wir brauchen die Verkehrswende, und, ja, wir brauchen auch die Förderung im Bereich der erneuerbaren Energien.
Damit komme ich zu Ihrem Etat, Frau Ministerin. Ich will drei Beispiele für Bereiche nennen, wo das einfach nicht läuft.
Erstes Beispiel: die Energieforschung. Sie verpulvern seit Jahren Steuergelder an das Fusionsforschungsprojekt ITER.
({10})
Sie verpulvern das – im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist unklar, ob diese Technologie jemals laufen wird, ob sie jemals eine Antwort auf die Energiefragen unserer Zeit geben wird. Was wir aber wissen, ist, dass es sehr, sehr teuer ist und dass die Kosten noch mehr explodieren. Wenn Sie wirklich ehrlich sind und jetzt und heute handeln wollen, müssen Sie doch in die erneuerbaren Energien investieren und nicht in eine solche Technologie ohne Ergebnisse und ohne Zukunft. Sie müssen jetzt handeln und nicht auf einen falschen Wechsel in die Zukunft setzen.
({11})
Es gibt inzwischen viele Berichte zur Stilllegung von Atomanlagen. Die Einsetzung dieser Mittel ist nicht sparsam, und sie sind nicht wirtschaftlich gehandhabt. Hier haben wir eine Verantwortung. Gehen Sie mit einem Wirtschaftlichkeitsansatz daran! Gehen Sie mit Verantwortung daran! Lassen Sie uns das Geld, das Sie einsparen, in die erneuerbaren Energien und in die Zukunftsforschung investieren! Damit machen wir dieses Land fit für die Zukunft und verbleiben nicht in der Vergangenheit.
({12})
Ein drittes Thema ist das Fracking. Wir wollen kein Fracking in Deutschland. Das ist grüne Politik, und das ist, glaube ich, auch die Politik von anderen Fraktionen hier. Es ist höchst umweltschädlich, es ist gefährlich, es ist riskant. In Wirklichkeit sind Sie ja auch immer ein bisschen gespalten. Sie sagen: Na ja, so richtig finanzieren tun wir das nicht. – Doch, tun Sie! Sie richten eine Expertenkommission ein und geben Geld dafür aus. Damit zeigen Sie, dass Sie das in Wirklichkeit wollen. Stehen Sie doch endlich dazu! Dann müssen Sie aber auch zu den Risiken von Fracking stehen, und das tun Sie wiederum nicht. Das ist falsch, Frau Ministerin. Das hier ist ein Rohrkrepierer. Lassen Sie uns das Geld einsparen und in die Zukunft – die Energiewende, die Klimaforschung – investieren.
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Ein letztes Thema – das gefällt hier manchen nicht –: das dramatische Artensterben. Ja, natürlich ist das auch ein Thema, gerade hier. Wir reden über Bienen, und Sie lachen darüber; aber auch in Deutschland brauchen die Apfelbäume Bienen. Es geht auch hier um Vogelarten und Pflanzenschutz. Unser Vorschlag für ein Monitoringzentrum für Biodiversität ist abgelehnt worden. Das halte ich für einen Fehler.
Letzter Satz, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, Sie wollen die steuerliche Forschungsförderung, aber Sie wollen die großen Unternehmen fördern, die das Geld nicht so dringend brauchen. Innovation kommt aber vor allem von den kleinen und mittleren Unternehmen.
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Seien Sie doch endlich eine Zukunftsministerin. Noch sind Sie in der Vergangenheit verhaftet, und das ist schade für dieses Land.
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Vielen Dank, Ekin Deligöz. – Jetzt hat die Ministerin das Wort. Ich gebe das Wort an Anja Karliczek, die Bundesministerin für Bildung und Forschung.
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Sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein fester Vorsatz ist das wichtigste Instrument für Erfolg. Und ich habe einen festen Vorsatz: Ich möchte die Menschen und unsere Wirtschaft in Deutschland fit für die Zukunft machen; wir sprachen schon darüber. Dabei geht es mir einerseits um den Menschen selbst, um seine individuelle Persönlichkeit und um seine Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Eine gute Ausbildung gibt hierzulande jedem die Chance, sich das gewünschte Leben aufzubauen. Andererseits geht es mir bei guter Bildung um Sachinhalte, um Know-how für den Beruf.
Bereits Kinder haben heute ein Smartphone als ständigen Begleiter dabei. Mit Google Maps, Park-App und Banking-App bewegen wir uns durch den Alltag. Wir starten in eine neue Arbeitswelt: Azubis lernen mit Datenbrillen die Montage, fahrerlose Transporter erledigen Logistikaufgaben, Bauteile lösen selbstständig den Reparaturauftrag aus. In allen Bereichen erreichen wir neue technologische Möglichkeiten. Das ist Fakt und unaufhaltsam. Und nur mit Menschen, die bereit sind, hier mitzugehen, bleiben wir als mündige Bürgergesellschaft und als Wirtschaftsnation am Ball. Nur so können wir an der Weltspitze bei Forschung und Innovation bleiben.
({0})
Wir brauchen digitale Bildung in den Schulen, in den Berufsschulen, den Hochschulen und darüber hinaus. „Lebenslanges Lernen“ ist mehr als ein Schlagwort. Es ist zur Notwendigkeit des privaten und beruflichen Alltags geworden.
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Wenn mich eine Rentnerin anspricht, dass ihr der ganze technische Schnickschnack zu viel wird, dann möchte ich entgegnen können: Keine Sorge, da gibt es jede Menge gute Unterstützung. Wenn mich ein Lehrer fragt, wie er die Jugendlichen auf den neuen Arbeitsmarkt vorbereiten soll, dann möchte ich auf gut ausgerüstete Schulen, einen zukunftsfesten Lehrplan und passende didaktische Lehrmaterialien verweisen können. Deswegen ist – er ist schon angesprochen worden – mir der DigitalPakt so wichtig. Deswegen müssen wir jetzt das Grundgesetz ändern. Deswegen müssen wir jetzt den Nationalen Bildungsrat auf den Weg bringen. Wir brauchen ein Bildungssystem, das MINT-Kenntnisse und kognitive Kompetenzen fördert.
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Gute Chancen für unsere jungen Menschen entstehen aus persönlicher Leidenschaft und passenden Rahmenbedingungen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind nur einige wichtige Leitlinien, die ich mit dem Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung verwirklichen möchte, einem Etat, der in den letzten Jahren beachtliche Aufwüchse erfahren hat. Mit rund 17,6 Milliarden Euro im Jahr 2018 ist er der viertgrößte im Bundeshaushalt. Das zeigt: Wir als Bundesregierung investieren kontinuierlich und verlässlich in Bildung und Forschung und damit in die Zukunft Deutschlands.
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Denn Bildung und Forschung benötigen keinen Aktionismus, sondern einen langen Atem, wie wir ihn seit 2005 beweisen und wie ihn auch der Koalitionsvertrag für die kommenden Jahre vorzeichnet. Mir geht es nicht darum, jedes Jahr mehr Geld ausgeben zu können. Mir geht es darum, die Aufgaben, die mit dem Etat verbunden sind, gut erfüllen zu können. Der Staat muss ein verlässlicher Partner sein für die Bürger, die Institutionen und die Unternehmen. Dafür ist der Hochschulpakt, den wir, Bund und Länder, gemeinsam finanzieren, ein gutes Beispiel.
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So konnten seit 2007 über 900 000 zusätzliche Studienplätze geschaffen werden. Wir haben damit die Hochschulen unterstützt, die doppelten Abiturjahrgänge abzufedern. Jetzt gilt es, den Hochschulpakt mit neuer Intention fortzusetzen. Genügend Kapazitäten in den Hochschulen sind vorhanden. Jetzt setzen wir auf Qualität.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausschuss für Bildung und Forschung und aus dem Haushaltsausschuss, ich danke ganz herzlich dafür, dass Sie bei allen unterschiedlichen Interessen, die wir diskutieren, immer das Ziel vor Augen haben, dass jeder Euro für Bildung und Forschung eine gute Investition in die Zukunft unseres Landes ist.
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Bildung und Forschung brauchen genau diesen Grundkonsens und Ihre Unterstützung. Sie können gewiss sein, dass wir als BMBF das uns anvertraute Geld in wirksame Maßnahmen umsetzen.
Lassen Sie mich einige Belege nennen. Eines meiner wichtigsten Anliegen ist es, die berufliche und akademische Bildung als gleichwertige Bildungswege nebeneinanderzustellen, –
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strukturell und finanziell, aber auch in der Ausstattung. Denn wenn wir es ernst damit meinen, dass jeder junge Mensch den Weg gehen soll, der zu seinen Fähigkeiten und Wünschen passt, dann ist es jetzt höchste Zeit, Aufstiegswege in der beruflichen Bildung zu definieren und zu fördern.
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Wie wollen wir das machen?
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Strukturell, indem wir – erstens – die Berufsbildung an Digitalisierungsanforderungen anpassen, – zweitens – die Aus- und Weiterbildung besser miteinander verzahnen
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und – drittens – erfolgreiche Aufstiege und Karrieren in der beruflichen Bildung fördern.
({11})
Finanziell, indem wir – erstens – einen deutlichen Ausbau des Aufstiegs-BAföG vornehmen, – zweitens – mit einer Palette neuer Initiativen starten, die von einem Bundeswettbewerb zu Innovationsclustern „Berufsbildung“
({12})
bis hin zu Maßnahmen zur Digitalisierung der Berufsbildung reichen, und – drittens – bewährte Initiativen fortsetzen, die zur Durchlässigkeit beruflicher Bildung in beide Richtungen beitragen, etwa auch Studienabbrecher für die Berufsbildung zu gewinnen.
Wenn ich von Modernisierung der Ausbildung spreche, so darf ein Kernpunkt nicht fehlen, nämlich die Qualifizierung derjenigen, denen wir unsere Kinder anvertrauen. Wir unterstützen die Länder, ihrer Pflicht zur Lehrerweiterbildung nachkommen zu können. Damit machen wir die angehenden Lehrerinnen und Lehrer digital fit und setzen einen Schwerpunkt bei der Berufsschule.
Es ist mir ein persönliches Anliegen, dass unsere Lehrerschaft nicht nur gut aus- und weitergebildet wird, sondern dass ihre Arbeit auch den notwendigen Respekt und Rückhalt durch die politisch Verantwortlichen, aber auch durch die ganze Gesellschaft erfährt.
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Doch auch Forschung und Innovation haben wir natürlich im Blick. Mit Förderprogrammen von der Mikroelektronik über die IT-Sicherheit bis hin zur künstlichen Intelligenz
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sorgen wir dafür, dass hierzulande die Forschung in Schlüsseltechnologien vorangebracht wird. 910 Millionen Euro stecken wir mit diesem Haushalt in neue Technologien. Das ist ein Plus von über 20 Prozent gegenüber 2017.
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Nur wer bei diesen Themen die Nase vorn hat, Innovationen entwickelt, Experten ausbildet und – wichtig – Standards setzt, sichert wirtschaftliches Wachstum, Arbeitsplätze und Lebensqualität.
Ein gutes Beispiel ist insbesondere die Forschungsfabrik Mikroelektronik, die die deutsche und europäische Halbleiter- und Elektronikindustrie im globalen Wettbewerb stärkt. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Forschung und Wirtschaft schafft Schnelligkeit und Innovationskraft und stärkt damit die Wettbewerbsfähigkeit.
Wichtig ist mir auch die Gesundheitsforschung; denn Gesundheit betrifft jeden Menschen. Wenn beispielsweise kein Antibiotikum mehr wirkt, dann stehen wir vor riesengroßen Problemen. Deshalb stecken wir gerade so viel Geld in die Gesundheitsforschung. Dazu gehört unter anderem die Krebsforschung; denn diese Krankheit belastet beispielsweise ganze Familien über sehr, sehr lange Zeiträume.
Forschung ist also für den Einzelnen wichtig, aber auch für die Innovationskraft und damit für die Wettbewerbsfähigkeit unserer ganzen Wirtschaft. Deutschland zählt zu den innovativsten Ländern der Welt. Im letzten Global Innovation Index lag die Bundesrepublik auf Rang neun. Nachweislich sind die Entwickler hierzulande kreativ und leistungsfähig. Doch Fakt ist auch: Die Innovationskraft ist regional unterschiedlich ausgeprägt. Im Mittelstand muss sie gestärkt werden. Und: Wir entwickeln hierzulande hauptsächlich inkrementelle Innovationen. Deshalb brauchen wir mehr Dynamik, mehr Mut. Das ist eben nicht nur eine Frage von monetärer Förderung, sondern ganz klar auch von kluger Strategie und Kulturwandel.
({16})
2019 werden wir deshalb eine Agentur für Sprunginnovationen einrichten, um bei der Innovationskraft unseres Landes mehr PS auf die Straße zu bringen.
({17})
Denn um neue Märkte zu erschließen, brauchen wir mehr große technologische Sprünge statt kleiner Schritte.
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Lieber Herr Sattelberger, vor kurzem haben Sie etwas despektierlich davon gesprochen, dass wir uns in Deutschland mit den Forschungseinrichtungen „fette Katzen“ herangezüchtet hätten. Dem möchte ich ganz deutlich widersprechen. Die „Katzen“ Leibniz, Max Planck, Fraunhofer und Helmholtz sind äußerst beweglich und innovativ. Die dürfen wir nicht auf Diät setzen. Mit der Agentur für Sprunginnovationen wollen wir vielmehr einen Schnüffelhund freilassen, der über die klassische Forschungsleistung hinaus visionäre Ideen verfolgen kann: durch mehr Freiräume und durch zusätzliche Mittel.
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Ein weiteres wichtiges Zukunftsthema ist die künstliche Intelligenz. Wenn Roboter und intelligente Software immer mehr Aufgaben für die Menschen übernehmen, hat das enorme Auswirkungen auf die Wertschöpfung und auf den Arbeitsmarkt. In der Grundlagenforschung der künstlichen Intelligenz ist die deutsche Wissenschaft dank dem DFKI und den oben genannten „Katzen“ schon weit vorangeschritten. Jetzt erarbeiten wir gerade eine Gesamtstrategie für künstliche Intelligenz.
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Das heißt: gemeinsam Projekte definieren, Einrichtungen vernetzen und Transferstrukturen schaffen. Dabei stimmen wir uns eng mit den europäischen Partnern ab, insbesondere mit Frankreich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, seit über einem Jahrzehnt genießt die deutsche Bildungs- und Forschungspolitik hohe Priorität. Deshalb steht Deutschland hervorragend da.
({21})
Doch der innovative Wettbewerb weltweit geht weiter. Wichtig ist, dass die Innovationspipeline im Land immer gut gefüllt bleibt. Das heißt, dass wir noch schneller und noch besser werden müssen. Das heißt, dass wir viel investieren müssen. Dabei geht es aber nicht immer nur um staatliches Geld. Wir brauchen das Miteinander von Wissenschaft und Wirtschaft. Investitionen in Bildung und Forschung schaffen genau den Mehrwert, den unsere Gesellschaft jetzt braucht. Unser Haushalt – mein Fachbereich – ist eine solide Grundlage, um diese Themen zu gestalten.
Vielen Dank.
({22})
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Nächste Rednerin: Nicole Höchst für die AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Frau Ministerin! Insgesamt 22 000 Projekte werden durch das BMBF mit etwa 17,5 Milliarden Euro Steuermitteln unterstützt. Es drängt sich dabei der Eindruck auf, dass wohlfeil nach dem Gießkannenprinzip verfahren wird; denn ein schlüssiges Konzept ist nicht zu erkennen. Auch berühren sich vielfach Projekte und Initiativen mit den eigentlichen Zuständigkeitsbereichen der Bundesländer. Prestigeprojekte mit Schaufenstereignung werden bevorzugt. Zutage tritt doch vor allem eines: Bildungspolitik in Deutschland folgt seit einigen Jahren bedenklichen ideologischen Strömungen. Die große Fraktion der Deutschland-Abschaffer betätigt sich hier auch als Koalition von Regierungs- und Oppositionsparteien im besten Orwell’schen Sinne als Doppeldenk: Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke.
({0})
Sie, meine Damen und Herren, betreiben insgesamt gesehen die Zerstörung von Bildung im Namen von Bildung. In der Psychologie wird das bei Orwell beschriebene Phänomen übrigens als kognitive Dissonanz bezeichnet. Auch dieser Haushalt zeigt das deutlich.
({1})
Frau Ministerin Karliczek hat in diesem Hohen Hause, so auch heute, sinngemäß verkündet, wir bräuchten mehr Meister als Master. Mir als jemandem, der selbst zig Plakate mit dieser originären AfD-Forderung „Deutschland braucht mehr Meister statt Master“ aufgehängt hat, sprach sie damit aus der Seele. Leider ist diese vollmundige Ankündigung nicht wirklich im Bildungshaushalt angekommen. Sie wird auf 2019 verschoben.
Immerhin bringt Ihr Ministerium gemeinsam mit dem Parlament zwei wichtige Enquete-Kommissionen auf den Weg – hoffentlich –: eine zur künstlichen Intelligenz und eine zur beruflichen Bildung in der digitalen Arbeitswelt, was wir von der AfD ausdrücklich begrüßen. Wir werden uns dort unideologisch und pragmatisch mit unserer Expertise einbringen – versprochen!
({2})
So weit, so gut.
In geradezu sträflicher Weise liegt derweil die Unterstützung der beruflichen Bildung regierungsseitig auf Eis, und das, obwohl im Bundestag Einigkeit herrscht, dass wir sie stärken müssten. Die AfD hatte diesbezüglich Anträge gestellt. Wir forderten unter anderem eine massive Aufstockung von 44 Millionen Euro für die Begabtenförderung in der beruflichen Bildung sowie 13 Millionen Euro mehr für bessere Berufsorientierung der Schüler. Hm – die Anträge sind einmütig abgelehnt worden, obgleich sogar Vorschläge zur Gegenfinanzierung gemacht worden waren. Schämen Sie sich!
({3})
Liebe Regierung, liebe Serviceopposition, Sie zeigen damit doch in großen, leuchtenden Neonbuchstaben die Haushalt gewordene Ausprägung Ihrer eigenen kognitiven Dissonanz:
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Stärkung der beruflichen Bildung durch weitgehende Beibehaltung des Ungleichgewichts zwischen beruflicher Bildung und akademischer Bildung. Hä?
({5})
Dabei ist das so einfach, Frau Karliczek: Sie sind an der Regierung; Sie können nicht nur fordern, Sie können Forderungen auch umsetzen. Verstehen Sie das?
Der Versuch, die europäischen Hochschulsysteme nach US-amerikanischem Import zu amalgamieren und zu bolognatisieren, ist krachend gescheitert. Ringen Sie doch bitte mal der Realität die Erkenntnis ab, dass es ein schwerer Fehler sein kann, alle nationalen Besonderheiten auszulöschen.
({6})
Erkennen Sie stattdessen die Vorteile, die die Vielfalt unterschiedlicher Bildungstraditionen auf globaler Ebene gerade für den Wettbewerb bietet.
({7})
Und hören Sie endlich auf, auf europäischer Ebene weitere unsinnige Gleichmacherei zu betreiben. Es wird als Nächstes die berufliche Bildung treffen.
Wir erleben in Deutschland den Versuch der Transformation unserer Gesellschaft in eine Art schöne neue Welt, in der versucht wird, kulturelle Eigenheiten auszuradieren und durch einen globalen Konsumgütermarkt zu ersetzen.
({8})
Die AfD hält die vorherrschende Bildungsmaxime der Ökonomisierung von Bildung für einen kapitalen Fehler,
({9})
weil diese in Schulabgängern nur noch konsumorientiertes Humankapital sieht, welches im besten Fall auch noch von morgens bis abends damit beschäftigt ist, sich zu überlegen, ob es Männlein oder Weiblein ist.
({10})
Werte Kollegen, Ihre neoliberale Bildungsoffensive ist in Wahrheit eine Offensive gegen die Bildung. Sie will Bildung auf Kompetenz reduzieren und Haltungen auf Verhalten. Sie versuchen, in letzter Konsequenz Bildung zu maschinisieren.
({11})
Ihr Anspruch ist es, Schulabsolventen zu Könnern zu machen, die seelenlose Kompetenz mit beliebigen Inhalten produzieren –
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ohne Sinn, ohne Glück, ohne Hoffnung und ohne Zufriedenheit,
({13})
ohne Geist und ohne Verstand.
({14})
Trostlose neue Welt!
({15})
Lehrer werden zu Kompetenzbeschaffungsgehilfen degradiert und im schlimmsten Falle wegdigitalisiert. Bildung wird dehumanisiert, Gedöns jedoch gefördert.
Noch in ihrem heruntergekommensten Zustand
({16})
ist Bildung ein Hoffnungsträger, ein Zukunftsweiser.
({17})
Bitte kurieren Sie deshalb dringend Ihre kognitive Dissonanz, meine Damen und Herren. Stärken Sie die berufliche Bildung, indem Sie sie stärken zum Wohle des deutschen Volkes.
Danke schön.
({18})
Nächster Redner: Oliver Kaczmarek für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu einem Haushalt gehört mehr, als nur die Zahlen zusammenzuzählen. Ein Haushalt folgt politischen Zielen. Ich möchte hier die Gelegenheit ergreifen, noch einmal deutlich zu machen, welche Ziele wir in den nächsten Jahren weiter verfolgen werden, die bereits im Haushalt angelegt sind.
Uns geht es um mehr Kooperation, uns geht es um mehr Chancengleichheit, uns geht es um mehr Innovation. Das alles gehört zusammen, und da müssen wir in dieser Wahlperiode entscheidende Erfolge erzielen.
({0})
Deswegen haben wir in der Koalition eine neue Kultur verankert. Wir wollen dafür sorgen, dass es mehr Kooperation zwischen Bund und Ländern gibt, mehr gemeinsames Anpacken. Wir wollen so etwas wie einen kooperativen Bildungsföderalismus schaffen. Deshalb wollen wir das Grundgesetz noch einmal ändern. Mit der vorgeschlagenen Änderung des Artikel 104 c Grundgesetz ermöglichen wir erst flächendeckende Investitionen in die Bildungsinfrastruktur von Ländern und Kommunen. Ich glaube, das ist eines der größten Projekte, die wir in dieser Wahlperiode anfassen. Deswegen bitte ich um Mitwirkung und um Zustimmung.
({1})
Lassen Sie mich anhand von zwei Beispielen verdeutlichen, warum wir dazu das Grundgesetz noch einmal ändern müssen; es sind Maßnahmen, die das Bildungswesen auf ihre Art und Weise deutlich verändern werden.
Erstes Beispiel. Wir werden die Diskussionen über den DigitalPakt beenden, und wir werden ihn jetzt endlich machen. Wir sind – das hat Swen Schulz gerade schon gesagt – dem Finanzminister sehr dankbar, der das Geld besorgt hat. Über 2 Milliarden Euro stehen schon jetzt zur Verfügung, unter anderem für den DigitalPakt. Wir wollen jetzt dafür sorgen, dass das Geld auch zügig bei den Schulen ankommt.
({2})
Der DigitalPakt soll zum 1. Januar 2019 starten. Ich begrüße es sehr – Sie haben hier die Unterstützung der SPD, Frau Ministerin –, wenn Sie, wie in Erfurt angekündigt, parallel zur Grundgesetzänderung an einer Bund-Länder-Vereinbarung arbeiten. Das ist das richtige Signal. Wir dürfen beim DigitalPakt keine weitere Zeit verlieren.
({3})
Zweites Beispiel. Wir werden mit dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in den Grundschulen, den wir bis 2025 realisiert haben wollen, nicht nur ein neues qualifiziertes Betreuungsangebot schaffen, sondern wir werden – erinnern wir uns, welche Wirkung das Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“, vom ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder angestoßen, entfaltet hat – für einen neuen Ausbauschub und für eine neue Diskussion über die Qualität von Ganztagsschulen sorgen. Das ist genau der richtige Weg. Wir wollen Ganztagsschulen, die helfen, die Bildung zu verändern, zu erweitern und zu verbessern. Das ist ein großer Entwicklungsschritt, und dafür brauchen wir auch die Grundgesetzänderung.
({4})
Deswegen werbe ich noch einmal um Ihre Zustimmung. Meine Fraktionsvorsitzende hat das in der Generalaussprache auch gemacht. Die Abschaffung des Kooperationsverbots ist der richtige Schritt, die richtige Entscheidung. Sie entspricht im Übrigen auch der Meinung der überwiegenden Mehrheit der Menschen in diesem Land. Auch deswegen sollten wir es tun.
({5})
Meine Damen und Herren, der aktuelle Bildungsbericht dokumentiert: Die soziale Ungleichheit im Bildungssystem ist unverändert hoch. Deswegen haben wir uns vorgenommen: Wir wollen ein Deutschland, das ein Land der Chancen ist, und zwar für alle Menschen, die sich bilden bzw. weiterbilden wollen. Chancengleichheit darf keine Worthülse sein, sondern sie muss ganz konkret mit Maßnahmen hinterlegt werden. Dazu gehören ganz sicher die Ganztagsschulen und die Ganztagsbetreuung an den Grundschulen, dazu gehört, dass wir eine BAföG-Novelle auf den Weg bringen – wir werden schon sehr bald darüber diskutieren, wie wir sie ausgestalten –, dazu gehört, dass wir das Meister-BAföG gleichrangig mit diskutieren, und dazu gehört auch, dass wir mit der Novelle des Berufsbildungsgesetzes und dem Berufsbildungspakt einen deutlichen Schritt machen, nicht nur über Ausbildung zu reden, wie das andere tun, sondern die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung ganz konkret zu verbessern.
({6})
Nicht zuletzt: Deutschland muss natürlich ein Innovationsland bleiben. Forschung bleibt deshalb auch ein Schwerpunkt im Bundeshaushalt und in den politischen Maßnahmen dieser Bundesregierung. Forschung ist nicht nur für Innovationskraft notwendig. Sie ist auch wichtig, weil wir Erkenntnisse für die Lösung von Problemen brauchen, zum Beispiel bei der Bewältigung des Klimawandels, bei der Energieforschung, bei der Mobilitätsforschung und bei der Bekämpfung von Krankheiten; vieles ist hier schon genannt worden.
Die Ziele, die wir uns vorgenommen haben – das Erreichen des 3,5‑Prozent-Ziels, die Verlängerung des Paktes für Forschung und Innovation, die Agentur für radikale Innovation, die hier gerade angesprochen worden ist –, sollen einerseits die Innovationsfähigkeit unserer Volkswirtschaft absichern, aber sie sollen auch und besonders Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft finden. Das gehört zu einem Land, das wirtschaftlich erfolgreich, aber auch kulturell modern sein will. Dafür setzen wir uns weiter ein.
({7})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wir wollen in den nächsten Jahren eine neue Dynamik für Bildung entfachen. Deswegen wäre es gut, wenn wir als Koalition statt andere Themen das Thema Bildung in den Vordergrund stellen; denn hier haben wir wirklich etwas anzubieten.
Herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank, Oliver Kaczmarek. – Nächste Rednerin: Nicola Beer für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland geht es gut – noch. Erste dunkle Wolken zurückgehender Dynamik stehen am Himmel. Reaktion der Bundesregierung? Sie gibt Geld aus, mit vollen Händen, aber wo? Vorausschauende Steigerungen bei Infrastruktur, bei Bildung, bei Forschung und Entwicklung? Fehlanzeige!
({0})
Unser Rohstoff ist die Intelligenz, Herr Kollege, ist die Kreativität, der Leistungswille unserer Bürgerinnen und Bürger, ihr Wissen, ihr handwerkliches Können. Sie bilden den entscheidenden Baustein für den Wohlstand unseres Landes.
({1})
Trotzdem investiert diese Regierung in unsere Zukunft bei Bildung, bei Forschung und Entwicklung, bei Technologie mit 17,5 Milliarden Euro gerade einmal ein Achtel – ein Achtel! – der Summe, die sie bei Arbeit und Soziales im Status quo, im Jetzt verwaltet. Das sind die falschen Schwerpunkte, meine Damen und Herren. Sie konzentrieren sich auf Fürsorge, die abhängig macht statt selbstständig, ohne sich ausreichend darum zu kümmern, wo das Geld für unseren Sozialstaat morgen noch herkommen soll, wie wir den Wohlstand, wie wir die Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes erhalten sollen. Die Digitalministerin im Kanzleramt zeichnet zwar das Bild der autonom fliegenden Drohnen; der Haushalt der Regierung aber atmet nur die Beschäftigung mit der Zukunft der GroKo und nicht mit der Zukunft Deutschlands.
({2})
Um im internationalen Innovationswettbewerb wieder an die Weltspitze aufzusteigen, anstatt weiter abzusteigen, müssen alle unsere Bildungsebenen Weltspitze werden. Und wie kommen wir dorthin? Mit mehr Mut für dieses Land, mit mehr Ambitionen. Wir brauchen endlich volle Fahrt voraus bei Innovationen. Bitte, Frau Ministerin, mehr Mut bei einer Agentur für radikale Innovation, wie andere Staaten sie längst haben, und zwar mit einem international wettbewerbsfähigen Budget.
({3})
Mehr Mut bei künstlicher Intelligenz. Ihre Ankündigungen höre ich gerne; aber wir haben eine kleckerweise Projektförderung in diesem Haushalt, weit hinter den Investitionen, die andere Staaten haben. Und Sie richten erst einmal gemütlich eine Enquete-Kommission ein. So können wir den Rückstand international nicht aufholen. Da muss viel, viel engagierter gehandelt werden,
({4})
und zwar nicht, Herr Kollege, aus Technikverliebtheit, sondern zum Wohle der Menschen. Ich gebe Ihnen zwei Beispiele:
Eine selbstlernende Software, zum Beispiel in der Lkw-Logistik, kann so viel mehr CO 2 über die Einsparung von Kraftstoff einsparen als jedes Fahrverbot, das Sie gerade quer durchs Land planen.
({5})
Selbstlernende Programme in der Medizin können seltene Krankheiten sicherer diagnostizieren und damit besser heilen helfen. Wir brauchen mehr Mut an dieser Stelle, mehr Mut auch beim Anwerben von Spitzenforscherinnen und Spitzenforschern, die wir dafür brauchen; denn ohne sie gibt es keine Spitzenforschung, meine Damen und Herren. Aber eine Headhuntingagentur, um die besten Köpfe der Welt hier nach Deutschland zu holen, lehnen Sie ab. So kann der Aufbruch in eine bessere Wissenschaftslandschaft nicht gelingen.
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Mehr Mut brauchen wir auch, um Hochschulen eine ausreichende finanzielle Ausstattung und Planungssicherheit zu geben. Frau Ministerin hat den Hochschulpakt angesprochen. Aber die Antwort auf die Frage, wie es konkret nach 2020 weitergehen soll, sind Sie heute schuldig geblieben.
Mehr Mut bitte auch bei der beruflichen Bildung. Wenn Ihnen das so wichtig ist, warum gibt es dann keine Exzellenzinitiative für die berufliche Bildung, so wie es sie für die Hochschulen gibt? Warum gibt es kein Zentrum für digitale berufliche Bildung? Warum Fehlanzeige bei vorausschauender Berufsplanung? Nein, Frau Ministerin, wer über Fachkräftemangel klagt, der muss hier und jetzt investieren, wenn er diesen Mangel abstellen will.
({7})
Mehr Mut bitte auch bei weltbesten Schulen. Da wird das Fundament gelegt, und zwar für selbstbestimmtes Leben, für Teilhabe und insbesondere für die Chance auf sozialen Aufstieg von jedem, und zwar jederzeit, aus eigener Kraft, ein Leben lang.
Und DigitalPakt? Na ja, zwei Jahre lang Diskussionen, kein Handeln. Jetzt, Herr Schulz, eine Grundgesetzänderung, die alleine auf Ausstattung setzt und nicht auf Qualität. Es tut mir schrecklich leid; aber die Bundesregierung springt zu kurz an dieser Stelle – wieder einmal.
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Lebenslanges Lernen und Digitalkompetenz, und zwar in jedem Alter, unabhängig davon, ob man noch im Beruf steht: Hier reichen Ihre Ambitionen ja nicht einmal für eine Kommission.
Nein, meine Damen und Herren, Weltspitze werden wir mit diesem Einzelplan 30 nicht. Im Gegenteil: Wir bräuchten viel mehr Mut zum Aufbruch, zum neuen Denken. Aber daran fehlt es der GroKo leider vollständig.
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Vielen Dank, Nicola Beer. – Nächste Rednerin: Nicole Gohlke für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Regierungsparteien sprechen in diesen Tagen ja sehr viel davon, dass duale und akademische Bildung gleichwertig sein müssen. Das ist richtig. Das Problem ist nur: Der Haushalt, den das Bildungsministerium vorgelegt hat, trägt überhaupt nichts dazu bei. Sie frieren nämlich die Förderung der Hochschulen ein, ohne auf der anderen Seite etwas für die berufliche Bildung zu tun, und das nennen Sie dann Gleichbehandlung. Wahr an Ihrer Rede von der Gleichwertigkeit ist also höchstens, dass Sie beide Bereiche gleichermaßen vernachlässigen, und das ist wirklich ein ziemlicher Hammer.
({0})
Auf der einen Seite stehen die Hochschulen. Die Hochschulen und Universitäten – das ist bekannt – platzen aus allen Nähten. Viele Hörsäle und Labore sind miserabel ausgestattet, das Lehrpersonal ist überfordert und unterbezahlt, die Betreuung der Studierenden ist an vielen Orten nicht mehr gut gewährleistet. Die Verstetigung des Hochschulpaktes, die Sie jetzt planen, Frau Ministerin, wird daran nichts ändern; denn die Mittel haben doch schon in den vergangenen Jahren vorne und hinten nicht ausgereicht.
Der Hochschulpakt ist seit Beginn seines Bestehens als ein Notprogramm konzipiert. Die Studienplätze sind systematisch unterfinanziert. Wenn Sie den Hochschulpakt jetzt auf diesem niedrigen Niveau verstetigen: Ja, was soll denn da wohl rauskommen?
({1})
Warum setzen Sie sich nicht endlich mal die auskömmliche Finanzierung der Hochschulen zum Ziel?
Auf der anderen Seite schleppt sich die Ausbildungskrise von einem Jahr zum nächsten. Wir hatten im vergangenen Jahr wieder mehr unvermittelte Ausbildungssuchende als im Jahr zuvor, während gleichzeitig nur noch weniger als 20 Prozent der Betriebe ausbilden. Wenn diese Regierung die berufliche Bildung aufwerten will, dann hätte ich erwartet, dass sich im Haushalt an irgendeiner Stelle ein Zuwachs in diesem Bereich findet,
({2})
zum Beispiel bei der Unterstützung überbetrieblicher Ausbildungsstätten. Aber auch da: Fehlanzeige! Auch hier richten Sie sich in der auf Dauer gestellten Unterversorgung ein, und das kann doch so nicht bleiben.
({3})
In der Bildung – das wird hier im Hause ja leider öfter mal vergessen; deswegen will ich es mal ganz deutlich sagen – geht es um die Entfaltungs- und Entwicklungschancen von jungen Menschen und nicht nur um den Fachkräftebedarf von Industrie und Handwerk.
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Das Problem ist auch, dass dieser Fachkräftebedarf alle paar Jahre völlig anders eingeschätzt wird, und die Schulabgängerinnen und Schulabgänger sollen sich dann dementsprechend mal in die eine und mal in die andere Richtung dirigieren lassen.
Jahrelang verbreiteten die Regierungsparteien wirklich landauf, landab die Klage von der zu niedrigen Akademikerquote in Deutschland. Wir würden abgehängt, hieß es, die Zukunftstechnologien würden abwandern, der Standort sei in Gefahr. Alle an die Unis: Das war der Schlachtruf.
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Jetzt wollen Sie das Ruder wieder radikal rumreißen. Jetzt ist auf einmal die Rede von einer exorbitanten Studierneigung oder von der – ein absolutes Unwort – „Akademikerschwemme“, und Sie trommeln für die duale Ausbildung.
Was, ehrlich gesagt, diese beiden Kampagnen miteinander verbindet, ist, dass beide auf Kosten der Betroffenen ausgetragen werden.
({6})
Es gibt weder genug ausfinanzierte Studienplätze noch genug Ausbildungsplätze, und das ist ein Armutszeugnis für dieses reiche Land.
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Der Haushalt, den Sie hier heute vorlegen, enthält leider wenig bis nichts, was die erheblichen Probleme des Bildungswesens in der Bundesrepublik angehen würde, und damit bleiben Sie vielen Menschen, die dringend auf politische Entscheidungen warten, einiges schuldig.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Nicole Gohlke. – Nächste Rednerin: Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ein riesiges Problem in unserem Land ist die fehlende Chancengleichheit in der Bildung. Längst nicht jedes Kind hat die Möglichkeit, seine Potenziale voll auszuschöpfen, und das ist schlecht.
Es ist unsere Aufgabe, ein Bildungssystem zu gestalten, das es jedem Kind ermöglicht, sein jeweils Bestes zu entwickeln und sein Bestes zu geben. Das ist nicht nur für die Kinder gut – und ich finde, es ist auch ihr gutes Recht –, sondern es ist auch für uns alle, für unsere Gesellschaft und für die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land gut.
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Deshalb sagen wir Grüne ganz klar: Der Bund darf sich hier nicht weiter wegducken. Der Bund ist ganz klar in der Pflicht. Wir wollen dieses vermurkste Kooperationsverbot dahin verbannen, wo es hingehört, nämlich in die Geschichtsbücher, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.
({1})
Jetzt soll es ja einen ersten Schritt für mehr Zusammenarbeit zwischen Bund und Bundesländern auch in der schulischen Bildung geben. Der Gesetzentwurf war schon in erster Lesung im Bundesrat. Insofern können wir uns wahrscheinlich auf die Beratungen freuen. Ich frage mich aber: Warum bleibt dieser Schritt so zögerlich?
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Wenn wir das Grundgesetz ändern, dann doch bitte richtig, dann doch bitte mit einem mutigen Schritt, mit einem Kooperationsgebot zwischen Bund und Bundesländern.
({3})
Wir brauchen endlich einen modernen Bildungsföderalismus. Wir brauchen eine Ermöglichungsverfassung. Ich würde mir sehr wünschen, dass sich eine Bundesministerin an die Spitze dieser Bewegung setzt, die so etwas einfordert.
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Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder zu verankern; Herr Kaczmarek hat es auch gesagt. Ich finde das ein sehr, sehr gutes Vorhaben. Noch besser wäre es, wenn der Bund eben nicht nur die Kantinen bauen, sondern auch pädagogisches Personal bezahlen könnte. Also, bleiben Sie nicht bei einem ersten kleinen Schritt stehen. Machen Sie es richtig. Dann können Sie auch auf unsere Zustimmung zählen.
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Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich kann leider auch nach 100 Tagen nicht erkennen, wo Ministerin Karliczek in der Bildungspolitik hinwill. Wo sie in der Wissenschaftspolitik hinwill, bleibt leider auch schleierhaft. Ich kann nicht erkennen, dass sie die zentralen Themen, beispielsweise die Neuverhandlung des Hochschulpakts oder die Personalmisere im akademischen Mittelbau, ernsthaft und mit Elan anginge.
Es ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel, dass die Mittel für den Pakt für Forschung und Innovation um 3 Prozent steigen – das ist natürlich eine gute Sache –, während die Mittel für den Hochschulpakt nur verstetigt werden sollen.
({6})
Die mangelnde Grundfinanzierung der Hochschulen ist ein Problem. Klar – das sehen wir auch so –, hier sind natürlich auch die Länder in der Pflicht.
({7})
Aber der Handlungsdruck in dem Bereich ist doch viel zu groß für die wechselseitigen Schuldzuweisungen, die wir in dieser Frage erleben.
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Wir Grünen fordern deshalb ganz klar, dass die Mittel für den Hochschulpakt so dynamisch steigen, wie sie das beim Pakt für Forschung und Innovation tun sollen.
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Frau Ministerin, eines Ihrer Lieblingsschlagworte ist ja die Digitalisierung; das haben Sie auch heute wieder mehrfach verwendet. Die Digitalisierung ist ja nicht nur für die Schulen eine große Herausforderung. Sie wird die Art und Weise, wie wir arbeiten, komplett verändern. Sie wird Erwerbsbiografien komplett verändern. Einmal Gelerntes reicht schon heute nicht mehr bis zur Rente. Die Notwendigkeit, sich fortzubilden, sich weiterzuqualifizieren, sich beruflich auch komplett neu zu orientieren, wird immer weiter steigen. Das macht vielen Menschen Angst, und das kann ich auch nachvollziehen.
Deshalb sehen wir Sie, Frau Ministerin Karliczek, hier in der Pflicht. Wir haben in den Haushaltsberatungen erneut unser Modell der BildungsZeit Plus vorgestellt, ein neues Finanzierungsinstrument, eine Lohnersatzleistung, damit Menschen die Chance haben, sich Zeit für eine Weiterbildung oder eine berufliche Umorientierung zu nehmen. Dass Sie unseren Vorschlag nicht eins zu eins übernehmen, ist, würde ich sagen, geschenkt. Aber machen Sie sich jetzt bitte endlich auf den Weg, und machen Sie es schnell. Die Digitalisierung wartet nämlich nicht.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Katja Dörner. – Nächster Redner: Dr. Stefan Kaufmann für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Gohlke, Frau Dörner, bei Ihnen beiden ist angeklungen, wir täten nichts für die Hochschulen. Also, meine Damen und Herren hier im Hause, wir geben in diesem Haushalt rund 3 Milliarden Euro für die Hochschulen aus. Das sind zwischen 15 und 20 Prozent. Zu behaupten, wir täten in diesem Bereich nichts, ist wirklich fast schon lächerlich; das muss ich an dieser Stelle betonen.
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Meine Damen und Herren, der vorliegende Haushalt 2018 ist ein Haushalt der Kontinuität. Er gibt wie unser Koalitionsvertrag ein klares Bekenntnis zur Fortschreibung der Erfolgsstory einer unionsgeführten Bildungs- und Forschungspolitik. Mehr noch als durch diesen Übergangshaushalt wird dies durch das klare gemeinsame Ziel von Union und SPD dokumentiert, bis zum Jahr 2025 die Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern.
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Hierfür wird der Bund bis zum Jahr 2021 zunächst zusätzliche 2 Milliarden Euro investieren. Dabei wird es nicht bleiben. Diese Zahl ist eine Selbstverpflichtung, eine Messlatte für unsere Anstrengungen, Deutschland zusammen mit den Unternehmen noch innovativer und noch wettbewerbsfähiger zu machen. Denn die Konkurrenz – vor allem in Asien – schläft nicht. Im Gegenteil: Sie droht uns zu überholen.
Doch was nützt uns eine noch innovativere Wirtschaft, wenn die Unternehmen ihren Fachkräftebedarf nicht decken können, wenn die innovationsgetriebene Expansion an fehlenden Ingenieuren und vor allem an Facharbeitern scheitert? Deshalb steht der Bereich der beruflichen Bildung im besonderen Fokus dieser Koalition und auch der Bundesregierung. Deshalb werden wir weiter in die berufliche Bildung investieren. Die Ministerin hat hier ja einiges aufgezählt. Unter anderem werden wir 541 Millionen Euro für die Stärkung der beruflichen Bildung bereitstellen, meine Damen und Herren.
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Der Berufsbildungsbericht 2018, den wir neulich diskutiert haben, hat aber auch gezeigt, dass es einen großen Handlungsbedarf im Bereich der jungen Flüchtlinge gibt. Deshalb ist es richtig, bei den Maßnahmen zur Verbesserung der Berufsorientierung im laufenden Haushalt 22 Millionen Euro der 97 Millionen Euro für Maßnahmen einzustellen, die sich direkt an junge Flüchtlinge wenden. Ich darf Ihnen aus meinem Wahlkreis Stuttgart berichten, dass es dort Firmen gibt, die ohne Flüchtlinge ihre Ausbildungsplätze überhaupt nicht mehr besetzen könnten,
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beispielsweise die Firma Lapp im Bereich der Maschinen- und Anlagenführer. Deshalb sind alle Maßnahmen und auch die vielen Hilfsangebote, die wir den Unternehmen bei der Integration von Flüchtlingen unterbreiten, gut angelegtes Geld, meine Damen und Herren.
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Vom Thema Flüchtlinge ist es dieser Tage natürlich nicht weit zum Thema Europa. Unsere nunmehr seit 13 Jahren andauernde Investitionsoffensive für Bildung und Forschung hier in Deutschland hat mittlerweile auch Europa angesteckt. Dazu – das möchte ich an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich sagen – hat nicht zuletzt unser Haushaltskommissar Günther Oettinger beigetragen, dem für seinen aktiven Einsatz in Brüssel unser aller Dank gebührt. Er hat sich sehr dafür eingesetzt, dass die Etats aufwachsen: um rund 60 Prozent in Forschung und Innovation – der Bereich Horizon Europe –, und es ist auch eine Verdopplung des Etats für Erasmus+ auf nunmehr 30 Milliarden Euro vorgesehen, davon im Übrigen allein 5,23 Milliarden Euro für die berufliche Bildung. Auch das ist ein Erfolg, den wir Deutschland und unserem Kommissar zuschreiben können.
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Meine Damen und Herren, gerade das Erasmus-Programm ist aus Sicht unserer Fraktion eine großartige Antwort auf die Herausforderungen, denen sich Europa derzeit im Innern und auch im weltweiten Wettbewerb gegenübersieht; denn wohl kein anderes Programm hilft gleichermaßen beim Aufbau eines neuen europäischen Bewusstseins junger Menschen als Bottom-up-Strategie.
Stichwort „weltweiter Wettbewerb“: Auch dem stellen wir uns mit – dies wurde noch nicht angesprochen – unserer Internationalisierungsstrategie, die wir in Deutschland seit Jahren erfolgreich verfolgen. Im Haushalt 2018 konnten wir die Mittel für den Studenten- und Wissenschaftleraustausch nochmals steigern: auf knapp 150 Millionen Euro. Davon erhält der DAAD rund 70 Millionen Euro und die Alexander von Humboldt-Stiftung 66 Millionen Euro. Beide Organisationen leisten eine ausgezeichnete Arbeit. Sie helfen auch beim Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen in vielen Ländern, und sie bringen vor allem Botschafter für Deutschland in aller Welt hervor.
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Abschließend noch einmal zurück zum Thema Innovation: Bereits im vorliegenden Haushalt arbeiten wir am eingangs erwähnten 3,5-Prozent-Ziel. Wir stellen für den Pakt für Forschung und Innovation zusätzliche 232 Millionen Euro zur Verfügung und geben für die Hightech-Strategie zusätzliche 203 Millionen Euro aus. Hier wäre mir, hier wäre uns eine Neuauflage des Spitzenclusterwettbewerbs besonders wichtig; denn ich bin fest davon überzeugt, dass Innovation zukünftig immer stärker in Themenbereichen regional fokussiert stattfinden wird. Deshalb wollen wir das auch gern unterstützen. Aber: Um das 3,5-Prozent-Ziel erreichen zu können, brauchen wir notwendig – das wurde angesprochen – auch die steuerliche Forschungsförderung.
Wir wollen außerdem eine konsequente Stärkung des Wissens- und Technologietransfers anpacken, und wir wollen das neue Instrument der Förderung von Sprunginnovationen entwickeln; die Ministerin hat es angesprochen. Ich hoffe sehr, dass wir dafür im Parlament eine breite Mehrheit finden.
Aber – dies sei abschließend auch an die Kollegen der SPD gerichtet – sowohl für die steuerliche Forschungsförderung als auch für die geplante Agentur für Sprunginnovationen brauchen wir ein zügiges Bekenntnis des Bundesfinanzministers.
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Der Koalitionsvertrag ist hier eindeutig. Der Handlungsdruck ist groß. Wir als Union sind bereit.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Kaufmann. – Nächster Redner für die SPD-Fraktion: René Röspel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Jahr 2018 ist schon zur Hälfte um, und wir beschließen heute endlich den Haushalt 2018. Das ist auch gut so, aber es ist tatsächlich keine solche Katastrophe, wie wir es von anderen Ländern kennen, nämlich dass die Arbeit eingestellt wird. Das liegt daran, dass alle Fraktionen – mit Ausnahme von ganz rechts – bis ganz links in den letzten Jahren etwas unterstützt haben, was deutschlandweit wirklich wichtig ist und europa- und weltweit sicherlich anerkannt ist: Deutsche Wissenschaftlerinnen – ich benutze heute mal nur die weibliche Form – können sich verlassen, in diesen Jahren kontinuierliche Aufwüchse über den Pakt für Forschung und Innovation zu bekommen. Es ist ein wichtiges Signal, dass, unabhängig ob es den Haushalt jetzt gibt oder nicht, Wissenschaft und Forschung in Deutschland weiterlaufen können. Das ist ganz wichtiges Zeichen. Dafür Danke an alle, die daran mitgewirkt haben.
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Dass die FDP jetzt gerade so knurrig war, Frau Beer, liegt vielleicht daran, dass nicht Sie Urheber des Pakts für Forschung und Innovation sind, sondern dass es eine sozialdemokratische Forschungsministerin war, die es 2005 zusammen mit den Grünen auf den Weg gebracht hat. Das war ein ganz wichtiges Signal, weil es bedeutet hat, mit Sicherheit zu wissen, dass nächstes Jahr Mittel zur Verfügung stehen. Deswegen kann die FDP das vielleicht kritisieren, aber tatsächlich waren es SPD und Grüne, die das Land vorangebracht haben.
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Zur Kritik von Herrn Sattelberger aus der letzten Debatte: Es ist auch nicht mehr so wie zu FDP-Zeiten, als sozusagen ein Laster mit Geld vor dem Helmholtz-Zentrum vorfuhr, es auskippte und dann gesagt wurde: „Nun macht mal was damit.“ Vielmehr hat eine sozialdemokratische Forschungsministerin Anfang der 2000er-Jahre eingeführt, dass auch Helmholtz, eine große Gemeinschaft von Forschungseinrichtungen, wettbewerblichen Verfahren unterliegt. Das ist die sogenannte programmorientierte Förderung. Sie wird alle fünf Jahre evaluiert, und die unterschiedlichen Einrichtungen müssen sich in wettbewerblichen Verfahren an Programmen zu Energie, Klima, Umwelt oder Materie beteiligen. Das Geld gibt es nicht umsonst, sondern nur gegen gute wissenschaftliche Leistungen.
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Auch das ist ein Erfolg, den die SPD mit auf den Weg gebracht hat.
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Als Zwischenbilanz darf man sagen, dass die Wissenschaft in Deutschland gut aufgestellt ist und dass Wissenschaftlerinnen frei sind. Junge Leute, die vielleicht ein Studium absolvieren werden, oder auch andere, werden, wenn sie einen guten Antrag einreichen, ihn gut begründen können und das Vorhaben exzellent ist, für dieses Forschungsthema in Deutschland Geld bekommen. Das ist eine große Stärke, dass man Geld bekommt, egal ob es der Politik passt oder nicht. Es geht allein um die Exzellenz dieses Antrages, und es gewährleistet eine große Vielzahl unterschiedlicher Themen, die deswegen in Deutschland bearbeitet und erforscht werden.
Die Liste der Max-Planck-Institute fängt an bei A mit dem Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik und hört bei Z mit dem Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie auf. Man kann das gut oder schlecht finden, aber es kann gemacht werden. Es ist ein so hohes Gut, dass es Vielfalt gibt und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland frei sind, zu forschen, wenn sie es gut begründen können.
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Dann gibt es allerdings auch die Möglichkeit der Politik, zu sagen: Es gibt Bereiche, in denen vielleicht mehr getan werden muss. Wenn wir uns Fragen stellen wie: „Wird eigentlich genug an neuen Materialien der Zukunft gearbeitet, die vielleicht eines Tages Stahl, Eisen oder andere Metalle ersetzen?“, „Wird – weil vielleicht einige Bereiche wie Kinder- und Jugendgesundheit und armutsassoziierte vernachlässigte Erkrankungen nicht gut genug berücksichtigt werden – genug im Bereich Gesundheitsforschung getan“? oder „Sind wir gut genug im Bereich der IT-Sicherheitsforschung aufgestellt?“, dann kann Politik zum Beispiel über den Haushalt des BMBF einschließlich der Regierung sagen: Okay, wir wollen diese Bereiche stärken und geben dafür mehr Geld aus. – Deswegen ist dieser Haushalt in diesem Bereich ein guter Erfolg, weil wir mehr für neue Materialien, für IT-Sicherheit, Gesundheitsforschung und viele andere Bereiche ausgeben.
Wenn ich jetzt dem Haushalt ein Lob gemacht habe, so will ich auch die Kritik anführen. Denn in den Bereichen künstliche Intelligenz und digitale Arbeit gibt es eine Leerstelle. Das ist vielleicht auch der Tatsache geschuldet, dass wir mit dieser Koalition erst drei Monate am Werk sind. Das ist auch unsere Anforderung an den Haushalt 2019 – Frau Ministerin, Sie haben es eben gesagt –, genauso wie wir uns auf die Agentur für radikale Innovation freuen.
Als letzten Punkt nenne ich die langjährigen Auseinandersetzungen, ob wir 1 Million Euro zusätzlich für Fachhochschulforschung bekommen. Ich bin erstaunt, dass die AfD jetzt dieses Thema besetzt. Denn ich erinnere an den Parlamentarischen Abend, als die Einlassung Ihres Vertreters zu einem Kopfschütteln bei den Rektorinnen und Rektoren geführt hat. Alle waren entsetzt, und es war klar: Es geht Ihnen gar nicht um die Fachthemen, sondern nur um ein Thema, das ich gar nicht erwähne.
Ich finde, wir sollten auch den Mut haben, in den Bereich der Fachhochschulen Kontinuität hineinzubringen –
Denken Sie ein bisschen an die Redezeit.
– okay – und einen Pakt für Fachschulen auf den Weg zu bringen, damit sich auch die Fachhochschulen darauf verlassen können, jedes Jahr einen ordentlichen Aufwuchs zu bekommen.
Vielen Dank und Entschuldigung.
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Danke, Kollege Röspel. – Nächste Rednerin: Dr. Frauke Petry.
Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Karliczek, Sie haben einen schönen Slogan ausgerufen: Fit für die Zukunft. – Eine ehemalige Ministerpräsidentin unseres größten Bundeslandes sagte dazu – ähnlich –: „Kein Kind darf zurückgelassen werden.“ Tatsächlich sieht die Bildungsrealität in Deutschland an vielen Stellen anders aus.
Es freut mich, dass alle darüber nachdenken, wie man die Unterschiede zwischen den Bildungsstandards in den deutschen Bundesländern beseitigen kann. Ich frage mich nur, was die Kultusministerkonferenz in den letzten Jahrzehnten getan hat; denn es ist diese Institution, die den Bildungsföderalismus in unserem Land begleiten und dafür sorgen soll, dass die Unterschiede nicht zu groß werden. Insofern scheint mir der nun ausgerufene DigitalPakt oder der geplante Nationale Bildungsrat letztlich ein Notpflaster oder ein Placebo dafür zu sein, dass bestehende Institutionen seit Jahren ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben.
Was fehlt und was behindert gute Bildung an unseren Schulen, an Universitäten und Berufsschulen? Es sind gerade die divergierenden Bildungsstandards, zu große Klassen, zu viel Unterrichtsausfall in Kernfächern, marode Schulen, Integrations- und Inklusionsprobleme sowie ein wachsendes Ungleichgewicht zwischen beruflicher Bildung und universitärer Ausbildung. Ja, nicht alles davon kann hier im Bundestag entschieden werden. Insofern ist das Nachdenken über eine Aufhebung des Kooperationsverbotes sinnvoll. Die Frage ist nur, ob damit diese Probleme gelöst werden. Wenn ich höre, dass die SPD als eines ihrer Ziele nun nach dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz den Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung in der Grundschule ausruft, dann kann ich Ihnen nur sagen, dass Sie damit wieder einmal am Bedarf der Schüler, der Lehrer und der Kommunen vorbeiplanen. Sie werden dadurch gute Hortbetreuung nicht fördern. Sie werden sie zerstören. Sie werden die Lehrer, die ohnehin überlastet sind, in ihrer Arbeit weiter behindern.
Für manch andere sind es europäische Studiengänge oder die Förderprogramme für Chancengerechtigkeit. Frau Karliczek, bevor wir noch mehr Geld ausgeben, sollten wir mit einem eisernen Besen durch den Bildungshaushalt gehen und all die Förderprogramme abschaffen, die nichts gebracht haben. Was mir in Ihrem Haushalt fehlt, ist eine Evaluierungsmöglichkeit für die Wirksamkeit vieler seit Jahren bestehender Förderprogramme.
Was wir stattdessen brauchen, ist die Verbesserung der Kernkompetenzen unserer Schüler in allen Schulformen: Lesefähigkeit, Textverständnis, Rechenkenntnisse und vieles andere mehr. Was wir auch brauchen hinweg über alle Bundesländer, ist eine bedarfsgerechte Ausbildung von Absolventen, nicht nur bei Lehrern, sondern bei allen Studien- und Berufsabschlüssen. Das müssten wir tatsächlich leisten, wenn wir den Herausforderungen einer globalisierten Welt entgegentreten wollten. Das schaffen wir aber nicht.
Was können Sie tun? Sie, Frau Karliczek, können nach meiner Ansicht mit Ihrem Ministerium begangene Fehler korrigieren und vor allem Stabilität in der Bildung an unseren Bildungseinrichtungen herstellen. Dazu gehört unter anderem das Überdenken der Inklusionsrichtlinie, des Bologna-Prozesses und der Heraufsetzung von Bildungsgängen wie dem der Hebammen auf das universitäre Level. Es gibt gute Beispiele, die zeigen, warum dies unsinnig ist, warum dies nicht zu einer besseren Ausbildung führt und warum wir damit nicht weitermachen sollten.
Tun Sie etwas, damit wir eine bedarfsgerechte Ausbildung und eine bessere Berufsorientierung unserer Schüler bekommen und damit wir das Geld, das Sie so reichlich einsetzen, tatsächlich so ausgeben, dass dabei ein Maximum an Wirksamkeit herauskommt. Dabei haben wir noch eine ganze Menge Arbeit vor uns.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner: Tankred Schipanski für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir arbeiten in einem kooperativen, föderalen System, in dem die Verantwortungsbereiche klar beschrieben sind. Wenn ich auf den Verantwortungsbereich des Bundes schaue, kann ich feststellen, dass unser Haushalt eine ganz klare Botschaft hat: Wir übernehmen Verantwortung.
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Entscheidende Gestalter im Bereich der Bildung und Forschung sind aber laut Verfassung die Bundesländer. Am 14./15. Juni 2018 trafen sich die in den Ländern verantwortlichen Minister zur Kultusministerkonferenz, der sogenannten KMK, in Erfurt. Dieses Treffen hat erneut bestätigt, dass wir dringend einen Nationalen Bildungsrat brauchen, und zwar ganz bewusst als Gegengewicht zur KMK, also mit einer starken Stimme des Bundes. Die KMK ist nicht Reformmotor; das kann nur der neue Bildungsrat sein.
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Meine Damen und Herren, wir sind uns über Fraktionsgrenzen hinweg einig, dass wir einheitliche verbindliche Bildungsstandards brauchen. Das konnte ich der Debatte in den letzten Monaten hier entnehmen. Ich appelliere abermals an die Ministerpräsidenten, derartige Standards in einem Staatsvertrag verbindlich festzuschreiben.
Ein weiteres Thema bei der KMK war der DigitalPakt Schule. Der Bund hat dazu einen klaren Fahrplan vorgestellt. Die Frau Ministerin hat uns das im Ausschuss erläutert. Den Ländern wurde noch einmal bewusst, dass diese Finanzhilfe, die der Bund leisten will, auch an Pflichten vonseiten der Länder gebunden ist. Für uns Fachpolitiker steht nunmehr die Änderung von Artikel 104c Grundgesetz im Mittelpunkt. Ich werbe bei den Grünen und der FDP ganz herzlich um Unterstützung für diese Grundgesetzänderung. Das wird das zentrale Projekt nach der Sommerpause sein. Da kann die FDP ihren Mut zeigen, den sie hier immer wieder einfordert.
Weitere haushaltsrelevante Themen sind die Neuverhandlung des Hochschulpaktes, des Qualitätspakts Lehre und des Pakts für Forschung und Innovation; die Frau Ministerin hat bereits darauf hingewiesen. Zu allen drei Pakten haben wir ganz klare Parameter im Koalitionsvertrag vereinbart, und diese gilt es unbedingt zu beachten. Da in den Beratungen des Haushaltsausschusses die Grünen immer wieder dafür geworben haben, insbesondere über den Hochschulpakt in eine Grundfinanzierung der Hochschulen einzusteigen, darf ich für meine Fraktion festhalten, dass wir dies nicht wollen. Das ist nicht die Aufgabe des Hochschulpaktes.
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Die Länder haben massive Steuermehreinnahmen; darauf habe ich bei der ersten Lesung hingewiesen, Stichwort: Die Länderminister werden in der Presse als Dagobert Duck bezeichnet wegen ihrer hohen, massiven Einnahmen.
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Da dürfen die Bürger zu Recht erwarten, dass diese Länder auch in ihrem Verantwortungsbereich tätig werden und in Schule und Hochschule investieren.
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Für meine Fraktion ist zudem wichtig, dass bei der Mittelverteilung beim Hochschulpakt neue Kriterien gefunden werden. Die reine Studienanfängerzahl hat sich als untaugliches Kriterium entwickelt. Wir werben vielmehr für Parameter, die auch dem Bundesland Anreize geben, in qualitätsvolle Studienplätze zu investieren. Diese Thematik werden wir, denke ich, auch noch gemeinsam diskutieren.
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Nach Bildungsrat, DigitalPakt, Hochschulpakt will ich abschließend noch etwas zu den Selbstbewirtschaftungsmitteln sagen; Kollege Meyer von der FDP hat das vorhin schon einmal angesprochen. Die Kollegen Albert Rupprecht, Eckhardt Rehberg und ich haben im Jahr 2012 ganz hart für das Wissenschaftsfreiheitsgesetz gekämpft. Dieses Gesetz war ein Meilenstein für die deutsche Wissenschaft. Ich bedauere sehr, dass die Bundesländer nicht auch den Mut gefunden haben, ihren Hochschulen diese Freiheit und Eigenverantwortung zu geben.
Es ist gesetzesimmanent, dass nunmehr Finanzmittel auch angespart werden können. Dass daraus der Bundesrechnungshof eine Überfinanzierung dieser Einrichtungen schlussfolgert, ist sinnwidrig. Mit Blick auf die Höhe der nicht verbrauchten Selbstbewirtschaftungsmittel erwarten wir einen Bericht vom BMBF, und wir werden das gemeinsam mit dem Haushaltsausschuss konstruktiv gestalten. Ich wollte aber darauf hinweisen, dass es nicht unüblich, sondern gesetzeskonform ist, dass wir diese Mittel haben. Ich werbe herzlich um Zustimmung für diesen Haushalt.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Tankred Schipanski. – Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Dr. Wiebke Esdar.
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Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich gestehe, dass es mir nach den Ereignissen der letzten Wochen nicht leichtfällt, meine Rede zu beginnen, ohne auf das verantwortungslose und vorurteilsschürende Theater der CSU einzugehen.
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Aber wir wollen ja heute hier den Haushalt verabschieden, und wir wollen regieren auf Basis eines Koalitionsvertrages, der den Titel trägt „Ein neuer Aufbruch für Europa“.
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Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, wird uns nur gelingen, wenn wir gemeinsam Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit entgegentreten. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe.
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Aus dem Etat für Bildung und Forschung möchte ich dazu jetzt einen Punkt aufgreifen, der gar nicht im Rampenlicht steht, dessen Wirkung wir aber nicht unterschätzen dürfen. In den parlamentarischen Beratungen zum Haushalt hat mein geschätzter Kollege Swen Schulz für die SPD durchgesetzt, die internationalen Austauschprogramme für Studierende und Auszubildende deutlich auszubauen. Um das klar zu sagen: Das war eine parlamentarische Initiative, und zwar eine der sozialdemokratischen Abgeordneten.
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Noch in diesem Jahr wird es darum eine Anschubfinanzierung des Bundes von einer halben Million Euro geben, um speziell Studierenden von Fachhochschulen und jungen Berufstätigen mehr Möglichkeiten zu geben, fremde Länder und andere Kulturen kennenzulernen. Bis 2021 stehen dann jährlich 17,5 Millionen Euro zur Verfügung, und das bedeutet für viele Studierende und Azubis, dass es eine echte Chance gibt, um nicht nur neue berufliche Perspektiven zu entdecken, sondern auch in einer neuen Umgebung ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln.
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Die 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks hat gezeigt: Während im Jahr 2016 18 Prozent der Studierenden an Universitäten im Ausland waren, kamen die Studierenden an Fachhochschulen dabei nur auf einen Anteil von 12 Prozent. Noch krasser ist der Unterschied zu den Azubis. Der Anteil der Azubis mit Auslandserfahrung liegt nur bei 4,5 Prozent. Das sind Zahlen, die zeigen, dass wir handeln müssen, und das tun wir mit diesem Haushalt.
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Denn ein anderes Land kennenzulernen, anderen Kulturen zu begegnen, historisch gewachsene Eigenheiten auch zu verstehen, das ist nicht nur eine Frage persönlicher Entfaltung. Wir sind auch davon überzeugt, dass es für das friedliche Zusammenleben der Völker unverzichtbar ist, dass man sich von Mensch zu Mensch begegnet. Das sind letztlich die besten Mittel gegen Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit.
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Bildungs- und Forschungspolitik muss darum den Austausch und die Mobilität stärken. Dort, wo Staats- und Regierungschefs derzeit Mauern errichten, wollen wir als SPD Tore öffnen und Raum für Dialog geben. Wir sind überzeugt, dass Verständigung vor allem durch gegenseitiges Verständnis zu erreichen ist.
Meine Damen und Herren, mit dem zusätzlichen Geld für das internationale Austauschprogramm kommen wir diesem Ziel einen wichtigen und großen Schritt näher. Ich möchte mich daher auch für die Unterstützung unseres Anliegens bei den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU bedanken.
Zugegeben, auch wenn für den ehemaligen Auszubildenden Horst Seehofer dieses Programm zu spät kommt, bin ich mir trotzdem sicher, dass auch neue Generationen von Politikerinnen und Politikern von ihren Auslandserfahrungen profitieren werden.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Wiebke Esdar. – Jetzt der letzte Redner in der Debatte: Dr. Wolfgang Stefinger für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gestern Abend die Film- und Laserprojektion beim Reichstagsgebäude angeschaut, und ich muss sagen: Ich war wirklich, ja, ergriffen, zum einen wegen der Darstellung des Parlamentarismus, zum anderen auch deshalb, weil sie mir vor Augen geführt hat, welch rasante Entwicklung unser Land in den letzten Jahren, in den letzten Jahrzehnten genommen hat, welche rasanten Innovationssprünge wir in den vergangenen Jahren erlebt haben.
Wir haben zurzeit Fußballweltmeisterschaft. 2006 hatten wir die Weltmeisterschaft in Deutschland. Können wir uns noch daran erinnern, dass erst 2007 das iPhone auf den Markt kam? Wir haben in den letzten Jahren wirklich sehr viele Sprünge erlebt, und bei manchem Sprung, bei mancher Innovation kommt es einem vor, als hätte es diese Technik, diese Innovation schon immer gegeben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Deutschland gehört zu den führenden Innovationsnationen – dank des Erfindergeists, dank kreativer Menschen in unserem Land und dank kluger Forschungs- und Entwicklungspolitik.
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Wir fördern Forschung für die Menschen. Was heißt das konkret? Ich möchte in diesem Zusammenhang den Medizinbereich mal etwas näher beleuchten.
Dank der Forschung und Entwicklung, liebe Kolleginnen und Kollegen, konnte die Medizintechnik entwickelt und erforscht werden, sodass sie heute angewandt werden kann. Viele Operationen sind heute viel einfacher, viel patientenfreundlicher als früher – kleinere Eingriffe statt langer Operationen dank neuer medizinischer Geräte. Dank der Forschung konnten auch neue Wirkstoffe entwickelt werden. Neue Medikamente kommen auf den Markt. Manche Krankheit ist heute heilbar oder zumindest beherrschbar geworden dank des medizinischen Fortschritts. Aufgrund dieses Fortschritts steigt unsere Lebenserwartung.
Wir sehen aber auch, dass die Verbreitung der Volkskrankheiten immer mehr zunimmt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer von uns hat keinen Fall von Krebsdiagnose im Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis? Wie viele Menschen leiden an Diabetes, an Demenz, an Herz-Kreislauf-Beschwerden? Ich sage ganz offen: Ich weiß die Zahl nicht. Aber ich weiß eines: Wir fördern und wir unterstützen die Forschung in diesem Bereich.
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Wir stärken die Forschung, liebe Kolleginnen und Kollegen; das wird auch in diesem Haushalt deutlich. Die Koalition hat sich vorgenommen, den Volkskrankheiten den Kampf anzusagen. Aus diesem Grund haben wir in den letzten Jahren eine Reihe von Zentren zur Gesundheitsforschung aufgebaut. Wir fördern die Krebsforschung, die Diabetesforschung, die Herz-Kreislauf-Forschung, die Infektionsforschung, die Lungenforschung und noch vieles mehr. Und wir betten das alles in europäische und internationale Zusammenarbeit ein, um gegenseitig zu profitieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben eine Verantwortung in der Welt, auch im Bereich der Forschung. Deshalb haben wir ein Forschungsprogramm für vernachlässigte Krankheiten aufgelegt. Wir sehen gerade in den letzten Jahren und auch in den letzten Tagen, wie wichtig das Thema der Fluchtursachenbekämpfung ist. Deshalb, denke ich, ist das ein wichtiger Beitrag, den das Bildungs- und Forschungsministerium leistet. Es ist wichtig, dass wir den Bereich der vernachlässigten, der armutsassoziierten Krankheiten im Koalitionsvertrag aufgenommen haben.
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Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Der vorgelegte Haushalt ist ein Zukunftshaushalt. Lassen Sie uns die Herausforderungen mutig und entschlossen angehen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Stefinger. – Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30 – Bundesministerium für Bildung und Forschung – in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 30 ist angenommen. Zugestimmt haben die SPD-Fraktion und die Fraktion der CDU/CSU. Dagegen waren die Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.19 auf:
hier: Einzelplan 32 Bundesschuld
Drucksache 19/2422
Berichterstattung: Abgeordnete Eckhardt Rehberg, Johannes Kahrs, Peter Boehringer, Otto Fricke, Dr. Gesine Lötzsch, Sven-Christian Kindler.
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen daher gleich zur Abstimmung über den Einzelplan 32 – Bundesschuld – in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 32 ist angenommen. Zugestimmt: CDU/CSU- und SPD-Fraktion. Dagegen waren die Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.20 auf:
hier: Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung
Drucksache 19/2423
Berichterstattung: Eckhardt Rehberg, Andreas Mattfeldt, Dr. André Berghegger, Johannes Kahrs, Andreas Schwarz, Volker Münz, Martin Hohmann, Otto Fricke, Dr. Gesine Lötzsch, Sven-Christian Kindler.
Zum Einzelplan 60 liegen zwei Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP sowie ein Änderungsantrag und zwei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Über die Entschließungsanträge werden wir heute nach der Schlussabstimmung abstimmen.
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Das heißt, wir kommen sofort zur Abstimmung über den Einzelplan 60 – Allgemeine Finanzverwaltung – in der Ausschussfassung.
Wir stimmen zuerst über die Änderungsanträge ab.
Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/3181. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dafürgestimmt haben die FDP-Fraktion und die AfD, dagegengestimmt haben die CDU/CSU, die SPD und die Fraktion Die Linke. Enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/3182. Wer stimmt für den Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die FDP. Dagegen waren die SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten haben sich die AfD-Fraktion und Die Linke.
Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/3122. Wer stimmt für den Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die Fraktion Die Linke. Dagegen waren die SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU, FDP und die AfD-Fraktion. Nur der eine Abgeordnete bei der FDP hat nicht mitgestimmt.
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Sie sind schließlich wichtig.
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– Sie sind voll dabei. Dann ist gut.
Wir stimmen nun ab über den Einzelplan 60 – Allgemeine Finanzverwaltung – in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Der Einzelplan 60 ist angenommen. Dafürgestimmt haben die CDU/CSU-Fraktion und die SPD. Dagegen war die Fraktion der Linken, des Bündnisses 90/Die Grünen, der FDP und der AfD.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schlussrunde: Greifen wir also vor Abschluss des 18er-Haushalts noch auf, was noch abgearbeitet gehört.
Herr Boehringer, eine Sekunde bitte. – Würden Sie sich bitte hinsetzen oder entscheiden, ob Sie rausgehen wollen oder nicht. Wir wollen jetzt noch eine gute Schlussdebatte haben.
({0})
– Nein, Sie setzen sich jetzt bei Herrn Boehringer hin. Er hat jetzt das Rederecht. Da sollen sich bitte alle hinsetzen.
Danke, Frau Präsidentin. – Im Raum steht zunächst dieses Zitat des Finanzministers aus der Etatdebatte:
Nie wieder sollen Steuerzahler … für Fehler der Banken geradestehen müssen. Da gibt es auch heute noch viel … zu lösen.
Was sind nun diese Lösungen? Die EU und das BMF streben neue Kapitalvorschriften an. Große Banken sollen künftig 8 Prozent ihres Kapitals als Haftungspuffer vorhalten, bevor dann bei Bankenpleiten der Steuerzahler einspringen muss. Dazu sollte man wissen, dass es bereits seit 2016 einen Abwicklungsfonds der privaten Banken für diesen Zweck gibt. Dieser Fonds soll etwa 60 Milliarden Euro umfassen. Das ist angesichts der gewaltigen Bilanzsummen der europäischen Banken von 30 000 Milliarden Euro geradezu grotesk niedrig angesetzt. Selbst dieser Minifonds wurde in drei Jahren noch nicht einmal zur Hälfte aufgefüllt.
Nun sollen es also 8 Prozent der Bilanzsummen nur der Großbanken sein; das wären 1 650 Milliarden Euro. Man erkennt hier den vollkommen verlorengegangenen Realitätssinn bei der europäischen Krisenplanung. In drei Jahren konnten 25 Milliarden Euro von den Banken eingesammelt werden, und nun verlangt man von ihnen, mal eben das 66-Fache dieser 25 Milliarden Euro aufzubringen. Beim aktuellen Tempo wird dieser Topf dann in genau 200 Jahren aus den Bankgewinnen aufgefüllt sein. Dann ist alles gut; dann immerhin droht dem Steuerzahler nicht mehr, für Fehler der Banken geradestehen zu müssen. Dann endlich wird dieses Versprechen des Ministers wahr werden.
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Minister Scholz, Sie sagten vorgestern hier, dass wir doch bitte rechnen sollen. Gut, das haben wir also jetzt getan. Bitte tun Sie es beim Euro-Rettungsprozess endlich auch einmal – auch wenn wir es dort mit vielen Nullen zu tun haben.
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Apropos Nullen: Null Qualität hatten auch die Debattensprüche zu unserem Protest gegen die undemokratische Nichtwahl der AfD-Kandidaten in wichtige Geheimdienstkontrollgremien.
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Gleich von mehreren Kollegen wurde hier in aller Öffentlichkeit wider besseres Wissen behauptet, wir wollten die Geheimdienste abschaffen –
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und das trotz einer schon in der Ausschusssitzung anderslautenden Protokollerklärung von uns.
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Wir haben den Protestcharakter dieser Anträge klargemacht. Die Debattensprüche dazu hier sind einfach nur wichtigtuerische und unredliche Pseudoaufregung vor den Plenarkameras.
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Ungebührliche Scherze dazu gab es allerdings tatsächlich im Ausschuss, und zwar von Ihrer Seite, vonseiten der Altparteien.
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Wir mussten uns beim Einzelplan 14 tatsächlich mit einem Antrag zum Kauf einer Korvette für Herrn Kahrs beschäftigen, damit der Seeheimer Kreis der SPD eine repräsentative Spargelfahrt durchführen kann.
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Das sind angesichts des ernsten Zustandes unseres Landes die wirklich unangebrachten Debatten; das sollte hier vielleicht auch einmal zur Sprache kommen.
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Und noch eine weitere Richtigstellung. Ein FDP-Redner behauptete hier vorgestern: Die AfD will, dass die BRD aus allen internationalen Organisationen austreten soll. – Ich stelle dazu einfach fest, dass diese Aussage schlichtweg falsch ist. Sie werden von uns dazu überhaupt nur an genau zwei Stellen Kürzungsanträge finden, nämlich zu den Einzelplänen 15 und 23. Damit wollten wir freiwillige Beiträge an internationale Organisationen wohlbegründet ein wenig kürzen. Wir haben nicht einen einzigen Austritt aus internationalen Organisationen gefordert. Wir halten hier also einmal fest: Frei erfundene Behauptungen und Auslegungen gegen uns werden leider immer mehr salonfähig.
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Kommen wir zu den Zahlen zurück. Wir müssen wegen der Bedeutung der Frage nochmals auf die deutschen Beiträge zum EU-Haushalt zurückkommen. Diese Beiträge werden weiterhin als negative Einnahmen verbucht, was den Bundeshaushalt verkürzt.
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Das ist keineswegs nur eine technische Frage. Darum liefere ich jetzt etwas mehr Hintergrund dazu: Es wird behauptet, haushaltsrechtlich gehören die vom Bund abzuführenden EU-Eigenmittel nicht zu den Bundeseinnahmen; das ist aber schon materiell absurd. Wo soll es denn herkommen? Natürlich speist sich die Abführung aus deutschen Steuermitteln.
Aber wie ist nun die Rechtslage? Die Verbuchung als negative Einnahme ist ein Usus, der jeweils nur für ein einziges Jahr festgelegt wird, und zwar jedes Jahr neu im jeweiligen Haushaltsgesetz. Nichts könnte uns als Haushaltsgesetzgeber also davon abhalten, die EU-Kosten im Haushalt ganz normal wie praktisch alle anderen Kostenpositionen auch zu verbuchen. Wir müssten nur den entsprechenden Haushaltsvermerk ändern,
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den Haushaltsvermerk in Kapitel 6001 in Einzelplan 60. Die BHO, die Bundeshaushaltsordnung, stünde nicht im Weg. Sie werden dort kein einziges Wort zur Verbuchung als negative Einnahmen finden. Es ist nicht vorgeschrieben.
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Nicht einmal der bekannteste Kommentar zum Haushaltsrecht kann auf irgendeine gesetzliche Dauerregelung verweisen. Es gibt sie nicht. Und auch das BMF hat uns auf Rückfrage einfach nur empirisch geantwortet: Das ist halt immer so gemacht worden. Es ist Usus seit 1972.
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Das Fazit ist also: Die EU-Kosten sollten behandelt werden wie auch die UN-Ausgaben oder die vielen Ausgaben an NGOs, nämlich als ganz normale Kosten.
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Das ist deshalb wichtig, weil es in Zukunft immer wichtiger wird: erstens weil Herr Oettinger ja nun einmal will, dass die EU-Kosten von 32 auf 44 Milliarden Euro pro Jahr aufwachsen, und zweitens weil uns inzwischen ein Verordnungsentwurf der EU-Kommission vorliegt, der der EU tatsächlich das Recht auf eigene Steuererhebung zubilligt. Diese ganz klaren verfassungswidrigen Planungen der EU bzw. von Herrn Macron lehnen wir ab.
({15})
Wenn wir diese Allüren von Herrn Macron und von der EU nicht sofort stoppen, dann führen wir hier nämlich mangels verfügbarer nationaler Steuern in zehn Jahren keine Haushaltsdebatten mehr. Dann werden vermutlich alle Steuern in Berlin nur noch für die EU erhoben, aber im deutschen Haushaltsgesetz nur noch nachrichtlich erwähnt. Das ist der Weg, den wir im Moment gehen.
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Abschließend einige Worte des Dankes: Ein Haushaltsgesetz mit 3 000 Seiten liegt vor,
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über 1 300 Änderungsanträge diskutiert und abgestimmt in 45 Ausschusssitzungen oft bis in die Nacht – und das alles noch ohne Berichterstattersitzungen. Es hat sich beim Haushaltsprozess wieder einmal gezeigt: Wenn die Kameras nicht im Saal sind, kann man ordentlich miteinander umgehen, dann kann man auch effizient miteinander arbeiten.
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Andernfalls hätten wir den größten Haushalt seit 1949 mit der kürzesten Frist seit 1949 nicht zum Abschluss bringen können. Dafür Dank an alle berichterstattenden Kollegen aller Fraktionen, natürlich an die beteiligten Beamten der Haushaltsreferate, an die Regierungsvertreter, besonders die des BMF, und ganz besonders natürlich an das Sekretariat des Haushaltsausschusses. Das Team um Herrn Majewski ist heute sogar im Plenum anwesend.
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Ohne Ihre eingespielte, hochkompetente und konzentrierte Arbeit bis in die Nachtstunden hätten wir es nicht schaffen können. Dafür vielen Dank! Quantitativ und qualitativ eine tolle Arbeitsleistung.
Die schlechte Nachricht an Sie ist: Morgen, mehr oder weniger unmittelbar nach der Abstimmung über den 18er-Haushalt im Bundesrat, kommt der Haushalt 2019. Dann müssen Sie den auch wieder verteilen, und das Spiel geht von vorne los.
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Nach dem Haushalt ist vor dem Haushalt. Sepp Herberger sagte: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. – Halten wir es also wie Sepp Herberger. Wir sollten es vielleicht nicht wie Hase und Igel halten: Die liefen 73 Runden, und danach war der Hase tot. Lassen Sie es also nicht dazu kommen, dass wir nach der Debatte über den 2019er-Haushalt am Ende tot umfallen. Bis dahin herzlichen Dank an alle Beteiligten auf allen Seiten dieses Hauses.
Schönen Abend.
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Vielen Dank. – Nächster Redner für die SPD-Fraktion: Andreas Schwarz.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Konzentrieren wir uns jetzt einmal auf den Bundeshaushalt.
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Auch ich möchte beginnen mit einem Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, einmal im Ausschusssekretariat, aber auch in den Ministerien, die hier kräftig zugearbeitet haben, und natürlich an die Kolleginnen und Kollegen.
Ganz besonders möchte ich mich bei unserem neuen Bundesfinanzminister und Vizekanzler bedanken. Olaf Scholz hat seit seinem Amtsantritt mit Sicherheit nicht so viele Interviews gegeben, wie es vielleicht manch anderer in diesem Hohen Haus für üblich hält. Er war auch nicht in so vielen Talkshows unterwegs wie manch anderer. Jetzt mag sich der eine oder andere fragen: Was macht der Mann denn so als Politiker, wenn er nicht vorrangig die Medien bedient? Liebe Kolleginnen und Kollegen, gutes Regieren hat vor allen Dingen mit harter und konzentrierter Arbeit zu tun. Diese findet nicht im Fernsehen statt, nicht auf Balkonen, nicht auf Twitter, sondern ganz einfach an Schreibtischen, in intensiven Gesprächen – immer sachlich und am Wohle unseres Landes orientiert. Für unseren Finanzminister und die SPD gilt: Lieber richtig arbeiten und richtig regieren
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und sich auf das konzentrieren, was dem Land und vor allen Dingen den Menschen in unserem Land hilft. Zukunft braucht Geld, braucht Kreativität, braucht Ideen. All das ist in diesem Haushalt enthalten. Olaf Scholz, die gesamte SPD und unsere Kollegen von der Union haben in den letzten Wochen intensiv und konzentriert und sachlich an diesem Haushalt gearbeitet
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und einen Dreiklang hinbekommen, den es so noch nicht gab.
Erstens. Wir investieren deutlich mehr in die Zukunft unseres Landes, als es in der Vergangenheit der Fall war. Es sind allein dieses Jahr 37 Milliarden Euro und in der Finanzplanung für die nächsten Jahre über 180 Milliarden Euro, die in Bildung, Straßen, Brücken, Umwelt- und Klimaschutz, in die Digitalisierung fließen. Gestärkt wird aber auch der Wohnungsbau. Investiert wird in Kindergärten, ins THW, in die Städtebauförderung zum Wohle unserer Kommunen.
Zweitens. Dabei kommen wir gleichzeitig ohne neue Schulden aus. Das ist ein ganz wichtiges Zeichen an die junge Generation; denn die Schulden von heute sind die Steuern von morgen.
Drittens. Wir stärken mit diesem Haushalt die Handlungsfähigkeit unseres Staates. Wir brauchen einen starken Staat. Einen schwachen Staat können sich nur Reiche leisten.
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Deshalb schaffen wir auch deutlich mehr Stellen, ob bei der Bundespolizei oder beim BAMF. Wir entfristen Stellen, wir heben Stellen. Das macht den Bund insgesamt als Arbeitgeber attraktiver. Und: Wir gehen mit einem guten Beispiel voran.
Ganz persönlich, meine Damen und Herren, freue ich mich auch über die deutliche Stellenanhebung beim Zoll. Ich arbeite sehr eng und intensiv mit dem Zoll zusammen, hier in Berlin, aber vor allen Dingen auch in meinem Wahlkreis, in Bamberg. Der Zoll war in den letzten Jahren meist das Aschenputtel der Republik. Immer mehr unangenehme Aufgaben wurden an den Zoll übertragen, ohne ihn entsprechend zu stärken. Damit ist jetzt Schluss. Der Zoll wird deutlich gestärkt:
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circa 1 500 Stellen in diesem Jahr; und in der Koalition haben wir uns darauf verständigt, in den nächsten drei Jahren bis zu 2 000 Stellen pro Jahr neu zu schaffen. Das ist ein klares Zeichen an den Zoll. Damit sorgen wir für mehr Personal an den See- und Flughäfen, für mehr Personal im Kampf gegen Schwarzarbeit, bei der Kontrolle der Einhaltung des Mindestlohns, im Kampf gegen Geldwäsche und den Schmuggel. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur inneren Sicherheit und zum sozialen Frieden im Land.
Aus meiner Sicht darf das aber noch nicht das Ende sein. Ich werde mich weiter dafür einsetzen, dass wir den Zoll auch als attraktiven Arbeitgeber stärken. Deshalb sollten wir die Besoldung reformieren und das Einstiegsamt beim Zoll von A 6 auf A 7 heben. Auch bei der Aus- und Fortbildung müssen wir besser werden. Wir haben gute Konzepte auf dem Tisch liegen. Diese müssen jetzt zeitnah umgesetzt werden. Insgesamt müssen wir jedoch die Ausbildungskapazitäten beim Zoll deutlich ausbauen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass der Schmerz hier in diesem Haus auf einigen Seiten groß ist. Manch einer in der Union konnte sich nicht vorstellen, dass auch ein roter Finanzminister einen Haushalt erstellt, der ohne Schulden auskommt. Die Opposition darf sich ärgern, dass wir ein Rekordniveau an Investitionen haben. Und ich sage Ihnen: So geht einfach gutes Regieren –
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sachlich und ruhig und mit harter Arbeit. Und ich kann Ihnen eins versprechen: Fortsetzung folgt.
Ganz zum Schluss darf ich noch ein persönliches Dankeschön für die Unterstützung in meinem Wahlkreis loswerden: In Forchheim hat man mit Freude zur Kenntnis genommen, dass das denkmalgeschützte ehemalige Rathaus von besonderer Bedeutung ist und auch entsprechend gefördert wird.
Lieber Olaf Scholz, morgen beginnt der parlamentarische Prozess für den Haushaltsplan 2019. Wenn wir auch den kommenden Haushalt in dieser Art und Weise angehen, dann habe ich keine Sorge, dass wir dieses Land weiter moderner und gerechter machen
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und dabei auch zukünftig ohne Schulden auskommen werden.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Andreas Schwarz. – Nächster Redner: Christian Dürr für die FDP-Fraktion.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will mich natürlich auch zuerst mal bedanken, insbesondere bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung, beim Ausschusssekretariat, beim Bundesministerium, bei den Abgeordnetenbüros, bei den Berichterstattern und insbesondere auch bei denjenigen, die bis in die Nacht durchgehalten haben, nämlich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bundestagsfraktionen. Ich glaube, das ist einen Applaus wert,
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weil es wirklich fantastisch ist, was sie geleistet haben. Ich mache das jetzt zum ersten Mal im Bundestag und war wirklich begeistert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Kollege Schwarz, was Sie mit diesem Bundeshaushalt machen, ist: Sie schreiben das fort, was die Große Koalition in der letzten Wahlperiode gemacht hat. Sie tun bei den Investitionen in Wahrheit nichts. Sie entlasten die Menschen in Deutschland nicht,
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obwohl wir Rekordsteuereinnahmen haben, meine Damen und Herren.
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Wenn wir über Strukturen des Bundeshaushaltes reden: Der Zuschuss an die gesetzliche Rentenversicherung steigt in diesem Haushaltsjahr erneut und wird in dieser Wahlperiode, im Jahr 2020, die Schallmauer von 100 Milliarden Euro durchbrechen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist das zweitälteste Land der Welt nach Japan. Wenn meine Kinder in das Erwerbsleben einsteigen, wird jedes von ihnen eine Rentnerin oder einen Rentner finanzieren müssen.
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Bereits im Jahr 2024, in der kommenden Wahlperiode, werden die Einnahmen aus der Einkommensteuer erstmals in der Geschichte unseres Landes zurückgehen. Deutschland hat eine handfeste demografische Krise, meine Damen und Herren.
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Und was tun Sie? Nach der Rente mit 63 und der Mütterrente I soll jetzt die Mütterrente II kommen.
Anstatt sich strategisch um die Einwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt zu kümmern, lähmen Sie Deutschland und Europa mit einem irrationalen Asylstreit, aus Angst vor rechten Idioten, meine Damen und Herren.
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Das, was Sie tun, ist fahrlässig – nichts anderes.
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Wenn man sich anschaut, wie die Migration nach Deutschland zurzeit ist, dann sieht man: Das Verhältnis zwischen den Einwanderern in den Arbeitsmarkt, die wir so händeringend brauchen, und Flüchtlingen und Asylbewerbern beträgt zurzeit 1 : 10. Es ist leichter, über das Asylsystem nach Deutschland zu kommen als über reguläre Einwanderung.
Deutschland ist ein Einwanderungsland. Ich bitte die CDU/CSU, das endlich anzuerkennen. Machen Sie den Weg frei, meine Damen und Herren! Wir wollen ein modernes, weltoffenes Einwanderungsland sein, weil wir es brauchen. Das sollten wir endlich in diesem Hause beschließen. Ein Einwanderungsgesetz für unser Land, das wäre die Aufgabe der Großkoalitionäre an dieser Stelle.
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– Ja, der hilft wenig, weil Sie sich nicht an den Koalitionsvertrag halten, Stichwort: Asylstreit zwischen Merkel und Seehofer. Sie halten sich doch selber nicht dran, Herr Kahrs!
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Dieser Koalitionsvertrag ist nicht das Papier wert, auf dem er steht. Das ist die Wahrheit bei Union und SPD!
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Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen. Sie beschließen mit diesem Haushalt die Anschaffung einer bewaffnungsfertigen Drohne für die Bundeswehr. Aber auf was Sie verzichten, das ist die Anschaffung der Bewaffnung. Was muss jetzt der Steuerzahler in Deutschland denken?
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Jetzt haben wir also eine Drohne im Bestand der Bundeswehr, die wir für ihren Zweck gar nicht nutzen können, meine Damen und Herren.
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Union und SPD sind sich an dieser Stelle nicht einig. Das reiht sich ein in die zahlreichen Waffensysteme der Bundeswehr, die aus technischen Gründen nicht zur Verfügung stehen.
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Das ist irrational, meine Damen und Herren, was die Große Koalition an dieser Stelle tut.
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Ich kenne ja die Ausreden: Wir müssen noch mal darüber diskutieren, wir wollen noch einmal sondieren und ethische Debatten führen. 2014 hat es eine Anhörung im Deutschen Bundestag gegeben. Es liegen zwei Dutzend Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes vor. Ich fordere Sie auf: Beenden Sie dieses schräge Hase-und-Igel-Spiel der Großkoalitionäre. Auch hier gilt: Handeln Sie endlich, anstatt zu reden, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Dürr, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Hilse von der AfD-Fraktion?
Ja, aber gerne.
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Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis:
… wir sind kein Einwanderungsland. Wir können es nach unserer Größe und wir können es wegen unserer dichten Besiedlung nicht sein.
Das Zitat stammt von Hans-Dietrich Genscher. Er hat es schon vor ein paar Jahren gesagt.
Es ist kein Zitat von vor ein paar Jahren! Ich kläre Sie gleich auf.
Das ist schon eine Weile her, natürlich. – Ich wollte jetzt bloß fragen, ob Sie denken, dass sich die Besiedlungsdichte und die Größe unseres Landes verändert haben; denn nach Ihrer Meinung sind wir jetzt ja quasi ein Einwanderungsland.
Wissen Sie, Herr Kollege: Der Unterschied zwischen der demokratischen Mitte hier und Ihnen, ist, dass wir dazulernen können. Die Freien Demokraten haben im Jahr 1986 das erste Einwanderungsgesetz in den Deutschen Bundestag eingebracht. Von Ihnen brauchen wir keine Hilfestellungen an dieser Stelle, um das in aller Klarheit zu sagen; ganz im Gegenteil.
({0})
Ich will einen dritten Punkt ansprechen. Sie schaffen mit diesem Bundeshaushalt 15 700 zusätzliche Stellen in der Bundesverwaltung. Das wird uns in jedem Haushalt 2,8 Milliarden Euro kosten. Aber strukturelle Verbesserungen bei der Organisation, Vermeidung von Doppelzuständigkeiten, eine echte Digitalisierung unseres Staates? Fehlanzeige!
Ich will gar nicht, dass Sie nur unsere Kritik an dieser Stelle hören.
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Wir haben in den letzten Wochen und Monaten viel über den Internationalen Währungsfonds gesprochen. Gestern hat er in einem Jahresgutachten der Bundesrepublik Deutschland Folgendes bescheinigt: Deutschland steht vor großen Herausforderungen, insbesondere bei seinem Wachstumspotenzial, weil es sinkt. Deutschland braucht nicht nur mehr öffentliche, sondern vor allen Dingen mehr private Investitionen. Der IWF sagt: Wir brauchen ein besseres Umfeld für Unternehmertum; denn Unternehmensgründungen sind in Deutschland rückläufig. Wir brauchen eine bessere Gründungsfinanzierung, eine unkomplizierte digitale Verwaltung, mehr Bildungsinvestitionen und eine geringere Abgabenbelastung.
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Meine Damen und Herren, der IWF fordert die Umsetzung des Wahlprogramms der Freien Demokraten, um das in aller Klarheit zu sagen. Handeln Sie, anstatt zu reden! Das gilt auch hier.
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Kommen Sie bitte zum Schluss.
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Frau Präsidentin, ich komme tatsächlich zum Schluss.
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Tatsächlich, ja!
Liebe Kollegen, Frau Nahles hat als Fraktionsvorsitzende der SPD hier am Mittwoch gesagt: Das war jetzt eigentlich kein schlechter Start in eine Regierung. – Doch!
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Vielen Dank, Christian Dürr. – Nächster Redner: Dr. André Berghegger für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Sieben Minuten Redezeit, sieben Gedanken versuche ich darzulegen.
Erstens: Vorbemerkungen. Die Haushaltswoche neigt sich ja allmählich dem Ende entgegen. Wir haben intensive Debatten erlebt, erleben sie jetzt auch noch. Ich glaube, so allmählich ist es Zeit für ein Resümee. Und eine weitere Vorbemerkung: Ich empfinde es immer wieder als besondere Ehre, in der Schlussrunde sprechen zu dürfen, und das auch noch am eigenen Geburtstag. Das darf man nicht allzu oft.
({0})
Einen Moment. Dann gratulieren wir Ihnen natürlich von ganzem Herzen. Singen tun wir lieber nicht. Ich gratuliere Ihnen im Namen des gesamten Hauses ganz herzlich zu Ihrem Geburtstag und wünsche Ihnen, dass Sie heute Abend noch entsprechend feiern können.
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– Wie, soll er einen ausgeben?
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– Ja, als Haushälter. Oder, Herr Rehberg?
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Genau, die Papierkneipe grüßt.
Gut so. Ab jetzt geht Ihre Rede dann weiter.
Die Redezeit läuft weiter. – Vielen Dank.
Der zweite Gedanke: allgemeine Aussagen zum Haushalt. Seit 2014 – man kann es nicht oft genug wiederholen – haben wir keine neuen Schulden aufgenommen. Die Union lehnt die Aufnahme neuer Schulden auch kategorisch ab.
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Im nächsten Jahr werden wir ein weiteres Maastricht-Kriterium einhalten. Wir werden den gesamtstaatlichen Schuldenstand unter 60 Prozent rücken. Das ist nicht nur ein statistischer Wert, sondern das ist generationengerecht, das ist nachhaltig, und – ich wiederhole es gerne – es sichert unsere Unabhängigkeit. Die Investitionen werden im laufenden Haushalt auf 39,8 Milliarden Euro erhöht. Das sind gut 6 Milliarden Euro mehr als im letzten Jahr. Die Investitionsquote steigt auf 11,6 Prozent, und das trotz steigendem Haushaltsvolumen. Ich denke, das ist eine sehr gute Entwicklung.
({1})
Der dritte Gedanke: Perspektiven für den ländlichen Raum geben. Ich bin Vertreter des ländlichen Raumes aus Niedersachsen, aus dem Landkreis Osnabrück. Man kann es nur immer wieder betonen: 60 Prozent der Menschen leben im ländlichen Raum. Der ländliche Raum stellt ungefähr 90 Prozent der Fläche dieses Landes dar. Das ist Lebens-, Wirtschafts- und Erholungsraum für uns alle.
Wir in der Koalition werden die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse erhöhen, und wir werden uns immer wieder an diesem Thema messen lassen. Der Haushalt bietet hierfür gute Grundlagen. Beispielsweise sei das Baukindergeld für die eigenen vier Wände genannt. Im ländlichen Raum ist das besonders wichtig zur Erhöhung der Eigentumsquote und zur Vorsorge für spätere Zeiten. Wir können die Breitbandförderung im ländlichen Raum nennen, und wir haben verschiedene Themen im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Beispielsweise seien erwähnt das Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ und natürlich die Entlastung der landwirtschaftlichen Betriebe durch die Verstetigung der Zuschüsse für die landwirtschaftliche Unfallversicherung. All das sind gute Maßnahmen, die uns im ländlichen Raum weiterhelfen.
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Herr Hofreiter, da ich Sie gerade sehe, möchte ich Sie auf eine Sache gerne ansprechen. Sie haben gestern in der Generaldebatte gesagt, beim Breitbandausbau seien erst 3 Millionen Euro für Baumaßnahmen abgeflossen und das seien nur 0,09 Prozent der gesamten Mittel. So ähnlich haben Sie das gesagt. Ich würde sagen: Diese Aussage ist zumindest irreführend, weil nicht vollständig. Das möchte ich an dieser Stelle einmal klarstellen. Sie müssten genau wissen, dass 26 Millionen Euro für die Beratung vollständig abgeflossen sind, plus 3 Millionen Euro für die Baumaßnahmen. Die Baumaßnahmen sind im Gange. Erst nach Abschluss der Baumaßnahmen wird abgerechnet. Also suggerieren Sie bitte nicht, dass sich in diesem Bereich nichts bewegt. Ich glaube, das BMVI ist dort auf einem guten Weg.
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Der vierte Gedanke – jetzt komme ich dazu, lieber Andi Scheuer –: Investitionen im BMVI. Wir haben im parlamentarischen Verfahren den Etat noch mal um gut 200 Millionen Euro erhöht.
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Hier geht es nicht nur um klassische Felder wie Wartung und Ausbau von Infrastruktur, sondern wir fördern umweltfreundlichere Antriebstechnologien, sowohl zu Wasser als auch auf der Straße. Wir unterstützen die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene. Wir haben die Trassenpreise gesenkt. Das entlastet die Unternehmen und ist ein guter Schritt nach vorne. Insbesondere starten wir die 5x5G-Strategie. Das heißt, wir entwickeln fünf Modellregionen für den neuen Mobilfunkstandard. Das sind Maßnahmen, die für Innovation und Nachhaltigkeit stehen. Da sind wir auf einem guten Weg.
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Der fünfte Gedanke: die wichtige Aufgabe der Verteidigung und der äußeren Sicherheit. Die Mittel werden hier auf gut 38,5 Milliarden Euro angehoben. Wir verlieren dabei das 2-Prozent-NATO-Ziel nicht aus den Augen. Wichtig sind uns eine gute, innovative und einsatzgerechte Ausrüstung sowie die Versorgung und Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten. Darum müssen wir uns kümmern. Das geht aber nicht von heute auf morgen. Wir bleiben an diesem Thema dran.
An dieser Stelle möchte ich gerne die Gelegenheit nutzen und den Soldatinnen und Soldaten für ihren wertvollen Beitrag, den sie jeden Tag für uns leisten, herzlich danken.
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Der sechste Gedanke: die innere Sicherheit. Otto Fricke hat das Thema im Laufe dieser Woche auch schon angesprochen. Lieber Otto Fricke, in einer der Reden fiel der Satz, Sie würden die Linie des Haushaltes nicht finden; Sie könnten sie nicht feststellen. Nach näherem Nachdenken hätten Sie sie doch gefunden, haben Sie gesagt, und zwar sei die Linie des Haushaltes: immer mehr Staat. Von Verschwendung war die Rede.
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Da wir ja auch eine Servicekoalition sind,
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helfen wir natürlich auch der Serviceopposition. Sie haben verschwiegen, dass ungefähr 80 Prozent der neuen Stellen auf den Sicherheitsbereich entfallen. Wir als Koalition, Union und SPD, wollen die Sicherheit der Menschen objektiv und subjektiv stärken.
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Dazu stehen wir, und das werden wir umsetzen.
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Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir alleine in diesem Jahr der Bundespolizei über 3 000 Stellen, dem Bundeskriminalamt über 500 Stellen, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über 1 600 Stellen und dem Zoll – ich erwähne auch den Zoll; der Kollege Schwarz hat das auch getan – 1 400 Stellen bewilligen, und da wird es in Zukunft noch weitergehen. Darauf haben die Bürger einen Anspruch.
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Ich komme zum siebten und letzten Gedanken. Aus meiner Sicht steht der Haushalt 2018 für nachhaltiges Wachstum. Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen für die gute Zusammenarbeit während der Haushaltsplanberatungen im Haushaltsausschuss. Den Dank an das Sekretariat wiederhole ich gerne. Alle haben gut zusammengearbeitet.
Die Stimmung im Haushaltsausschuss war nicht von Hochmut und übertriebener Eile, wie in dem Märchen „Der Hase und der Igel“, geprägt, sondern von Vertrauen und gegenseitigem Respekt.
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Lassen Sie uns auf dieser Basis im Haushaltsausschuss und hier gerne weiterarbeiten. – Der Präsident hat gewechselt.
Ich sehe den Haushalt nicht als persönliches Geburtstagsgeschenk an, sondern als Beleg für eine solide Haushaltspolitik in diesem Land.
Vielen Dank fürs freundliche Zuhören.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Berghegger. – Ich habe Ihren erschreckten Gesichtsausdruck gesehen und hoffe, es verdirbt Ihnen jetzt nicht die Geburtstagslaune, dass Sie mich jetzt hier sehen. – Herzlichen Dank.
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– Hat da jemand „Mir schon“ gerufen?
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Als nächste Rednerin bekommt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch das Wort, Fraktion Die Linke.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe jetzt mehrfach – gerade auch in den letzten Redebeiträgen – gehört: Jetzt kommen wir doch mal zurück auf die Sachebene. Jetzt reden wir doch endlich mal über den Haushalt. – Das hört sich für mich so an, als wollten Sie ignorieren, was draußen passiert. Wir sind hier doch in keinem Paralleluniversum.
Wir haben die Situation, dass sich Herrn Seehofer gerade mit Herr Kurz in Österreich trifft und dafür sorgt, dass Internierungslager eingerichtet werden. Das können wir niemals gutheißen, und das können wir hier auch nicht verschweigen.
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Während wir hier sitzen und über einzelne Zahlen diskutieren, hat man sich darauf geeinigt, die Mittelmeerroute, wie es so schön heißt, zu schließen. Das Erkundungsflugzeug wird auf Malta festgehalten, auch der Kapitän der „Lifeline“ wird auf Malta festgehalten und kriminalisiert. Dem müssen wir uns doch entgegenstellen. Auch Sie als Sozialdemokraten müssen dazu eine Meinung haben. Sie können sich doch nicht hierhinstellen und so tun, als wären das Probleme zwischen CDU und CSU, mit denen Sie als Regierungsfraktion nichts zu tun haben. Das lasse ich Ihnen nicht durchgehen.
({1})
Natürlich geht es um Internierungslager; das wollen wir mal ganz deutlich so aussprechen. Es geht ja nicht um irgendwelche anderen Begriffe, die ich hier gar nicht wiederholen möchte.
Der Kollege Staatssekretär Mayer hat im Deutschlandfunk eindeutig gesagt, in diesen Lagern könne man sich bewegen, man könne nur nicht raus. Was ist denn das anderes als ein Gefängnis? Was ist denn das anderes als ein Internierungslager? Das dürfen wir niemals akzeptieren, meine Damen und Herren. Das widerspricht auch unserem Grundgesetz.
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Das Schlimme ist, dass es Herrn Seehofer, der jetzt ja nicht da ist, gar nicht vor allen Dingen und in erster Linie um die geflüchteten Menschen geht. Er hat sich durch die vielen, vielen Streitigkeiten, warum auch immer, die Forderung der AfD zu eigen gemacht, dass Frau Merkel weg muss.
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Ich finde, er ist einfach verantwortungslos. Auf dem Rücken der Flüchtlinge kämpft er seinen schmutzigen Machtkampf. Das entspricht überhaupt nicht dem Wählerauftrag, meine Damen und Herren.
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Die Bundestagswahl ist 285 Tage her. Ich finde, man sollte nicht über 100 Tage im Amt reden. Man hat sich darauf verständigt, möglichst wenig zu tun und wenn, dann das Falsche. Vor allen Dingen haben Sie sich darauf verständigt, zu sagen, was Sie alles nicht wollen. Sie wollen zum Beispiel kein gerechtes Steuersystem.
Mehr als ein Drittel der Steuereinnahmen, nämlich 38,7 Prozent, werden über die Lohnsteuer und die Einkommensteuer realisiert. Die Einnahmen aus der Energiesteuer, 13,6 Prozent, sind doppelt so hoch wie die Einnahmen aus der Körperschaft- und Abgeltungsteuer. Das heißt im Klartext: Sie bestrafen die arbeitenden Menschen, die Rentner und Arbeitslosen mit Ihrem Steuersystem und verschonen die Vermögenden. Das werden wir niemals akzeptieren, meine Damen und Herren.
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Das hat zu einer enormen Reichtumskonzentration in unserem Land geführt, die das Land spaltet. 1 Prozent der Bevölkerung verfügt über ein Drittel des gesamten Eigentums. Das ist doch nicht normal. Das sehen selbst die Wählerinnen und Wähler der CDU so, nämlich zu 55 Prozent, und 90 Prozent der Wähler von SPD, der Linken und Grünen sehen das auch so. Die Vermögensverteilung in unserem Land ist ungerecht. Da müssen wir gegensteuern, und zwar vor allen Dingen mit einer Steuerpolitik für die Vermögenden, meine Damen und Herren.
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Es ist unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker, dafür zu sorgen, dass der gemeinsame Reichtum endlich gerecht verteilt wird. Bei der Verwendung der Steuern wird deutlich, dass Sie eben nicht die Mehrheit der Bevölkerung im Auge haben, sondern vor allen Dingen bestimmte Lobbygruppen bedienen.
Wenn wir uns einmal den größten Einzelplan anschauen, nämlich den für Arbeit und Soziales, und den Rentenzuschuss herausrechnen, dann sehen wir ganz deutlich, dass für Arbeit und Soziales ungefähr so viel ausgegeben wird wie für todbringende Waffen und Kriegseinsätze. Das können wir niemals akzeptieren, meine Damen und Herren.
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Wenn Sie dann auch noch die Forderung von Donald Trump erfüllen wollen, nämlich das berühmte 2-Prozent-Ziel, also 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung auszugeben, dann werden wir bald mehr für die Finanzierung von Rüstung ausgeben als für Arbeit und Soziales. Das ist eine falsche Entwicklung. Da müssen wir gegensteuern.
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Wer in Friedenszeiten mehr Geld für Rüstung als für Arbeit ausgeben will, der kann doch nicht ernsthaft behaupten, dass er die Interessen der Menschen in diesem Land vertritt.
Von der Bundesregierung wird immer gern betont, wie viel Geld sie in die Zukunft investiert. Doch ist es nicht bemerkenswert – wir haben gerade den Etat für Bildung und Forschung beraten –, dass die Bundeswehr 1,5 Milliarden Euro mehr bekommt, aber die Ausgaben für Bildung und Wissenschaft stagnieren? Das ist doch die falsche Richtung.
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Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, hat Deutschland zu verstärkten Anstrengungen bei Strukturreformen sowie im Klimaschutz aufgefordert. Im Wirtschaftsbericht der OECD zu Deutschland heißt es, dass angesichts einer starken Haushaltslage auf kurze Sicht viel Spielraum zur Finanzierung wichtiger Aufgaben, etwa für den Ausbau qualitativ hochwertiger Kinderbetreuungs- und Ganztagsschulangebote, für Erwachsenenbildung oder Investitionen in Infrastruktur oder neue Technologien, vorhanden ist und auch genutzt werden muss.
Aber was macht die Bundesregierung? Sie will mittelfristig die öffentlichen Investitionen einfrieren. Das ist nicht zukunftsorientiert. Ist das Ihrer Meinung nach die richtige Reaktion auf den Handelskrieg von Donald Trump? Wir sagen Nein.
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Unsere hohe Exportabhängigkeit wird zum Bumerang. Um die Stabilität unseres Landes zu sichern, müssen wir mehr im Inland investieren. Es reicht eben nicht, Strafzölle vermeiden zu wollen. Wir brauchen einen Plan B.
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Das heißt für uns mehr Investitionen in soziale und ökologische Innovationen. Das setzt mehr Investitionen in Bildung und Wissenschaft voraus.
Die Fokussierung auf eine kleine Elite ist völlig falsch. Wir brauchen jedes Kind in unserer Gesellschaft. Wir brauchen jedes Talent. Deshalb müssen wir endlich mehr gegen Kinderarmut tun.
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Jedes fünfte Kind in unserem Land – das muss man sich einmal vorstellen – lebt in Armut. Daran wird auch Ihr Familienentlastungsgesetz nichts ändern; denn Kinder, die von Hartz IV leben müssen, bekommen dadurch keinen Cent mehr. Das ist eine Schande für unser Land.
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Ein Thema hat in dieser Debatte so gut wie gar keine Rolle gespielt. Wir brauchen unbedingt mehr Zukunftsinvestitionen in Ostdeutschland. Das Wirtschaftswachstum in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen wuchs langsamer als im Bundesdurchschnitt. Im Osten stagniert das Bruttoinlandsprodukt nach Abzug der Inflation in manchen Gegenden nahezu. Am düstersten ist die Lage in Sachsen-Anhalt. Mit einem Plus von nur 0,8 Prozent Wachstum ist es das Schlusslicht Deutschlands. Schon im Vorjahr war das Wachstum nicht über die 1-Prozent-Marke hinausgekommen.
Wenn die Bundesregierung zum Beispiel über den Kohleausstieg nachdenken lässt, dann muss gleichzeitig über soziale und ökologische Lösungen diskutiert werden. Warum zum Beispiel hat Verkehrsminister Scheuer keinen Plan, wie wir abgehängte Regionen mit schnellen Bahnverbindungen wieder an wachsende Regionen ankoppeln können? Natürlich wird Ihnen die Bahn sagen, dass sich das für sie nicht rechnet. Aber für die abgehängten Regionen würde sich das rechnen und für unsere gesamte Gesellschaft wäre das ein großer Gewinn.
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Nein, es passiert nichts. Ihre Gleichgültigkeit und Ignoranz gegenüber Ostdeutschland ist nicht mehr zu ertragen.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, die AfD hat nach der Bundestagswahl angekündigt, dass sie diese Regierung jagen will. Schlimm, meine Damen und Herren von der Regierung, ist, dass Sie sich bei bestimmten Themen von der AfD jagen lassen und bei wichtigen Themen zum Jagen getragen werden müssen.
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Sie sind schnell, wenn es um Sanktionen gegen Flüchtlinge und Arbeitslose geht. Sie sind schnell, wenn es um den Abbau von demokratischen Rechten und den Ausbau des Polizeistaates geht. Und Sie sind schnell, wenn Rheinmetall neue Rüstungsaufträge braucht, und Sie sind langsam, wenn es um den Kampf gegen Altersarmut und Kinderarmut geht.
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Meine Damen und Herren, hören Sie auf, mit der AfD Hase und Igel zu spielen! Diese rechtsextreme Partei wird Sie in ihren inhumanen Forderungen immer übertrumpfen.
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Zum Schluss, meine Damen und Herren, noch eine erfreuliche Zahl: Es gibt in Deutschland 6 Millionen Menschen, die Flüchtlingen ehrenamtlich helfen.
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Diese Zahl finde ich beeindruckend. Die Linke wird sich immer dafür einsetzen, dass wir gemeinsam, friedlich und solidarisch in Europa leben können.
Vielen Dank.
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Als nächsten Redner rufe ich den Kollegen Dr. Tobias Lindner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, auf.
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Vielen Dank, geschätzter Herr Präsident. – Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass wir heute Abend hier überhaupt über den Haushalt beraten, grenzt nach den Chaostagen, die Sie in den letzten zwei Wochen hier – vor allem in der Union – aufgeführt haben, fast schon an ein Wunder.
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Diese Große Koalition ist jetzt 114 Tage im Amt, aber mir kommt es eher vor, als stünden Sie 100 Tage vor den nächsten Bundestagswahlen, so zerstritten, wie Sie sind.
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Herr Dobrindt, wenn Ihre bayerische Regionalpartei, die CSU, als einziges Projekt in dieser Bundesregierung noch das Ergebnis bei den Landtagswahlen im Herbst verfolgt, dann werden Sie Ihrer Verantwortung in dieser Bundesregierung, dann werden Sie Ihrer Verantwortung für die Herausforderungen in diesem Lande alles andere als gerecht.
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Ist doch an dem sogenannten Masterplan von Herrn Seehofer nicht nur bezeichnend, was alles darin steht, sondern es ist auch bezeichnend und nahezu skandalös, wie er erstellt und veröffentlicht wurde. Wer wie Horst Seehofer im Bundesinnenministerium so einen Plan erstellen lässt und ihn dann – ich zitiere – als Vorsitzender der CSU zuerst im CSU-Parteivorstand veröffentlicht, der zeigt nicht nur eine unglaubliche Missachtung dieses Parlaments und der Fachpolitiker im Innenausschuss, nein, der muss sich auch mit dem Vorwurf auseinandersetzen, ob hier nicht Ressourcen der Bundesregierung für eine illegale Parteienfinanzierung der CSU missbraucht werden, meine Damen und Herren.
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Am Sonntag wollte Herr Seehofer die Brocken noch hinschmeißen. Er hat quasi mit der Bundeskanzlerin Hase und Igel gespielt und nur noch die Frage in den Raum gestellt: Wer ist schneller? Tritt er eher zurück, oder wird er eher entlassen? – Und wenn er sich dann am Dienstag hinstellt und mit einem Lächeln sagt: „Na, das ist ja alles Geschichte!“, muss sich die Bundeskanzlerin schon fragen lassen, ob sie sich nicht in Geiselhaft der Launen eines 69-jährigen zornigen Herrn aus München begeben hat
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und wie lange diese Koalition tatsächlich noch hält – bis die nächste Krise vor der Haustür steht.
Genauso ist auch Ihr Haushalt. Außer dem in diesen Tagen viel gepriesenen Baukindergeld steht darin nämlich wirklich nicht viel Neues. Das Schlimme ist: Auf die großen Herausforderungen unserer Zeit – gesellschaftlicher Zusammenhalt, soziale Spaltung, Kinderarmut oder Klimawandel – geben Sie keine Antworten.
Dieser Haushalt bringt keine Zukunft; er ist ein Dokument des Stillstands. Nehmen Sie nur das Thema Klimaschutz: Da machen Sie null Komma null, aber Sie geben rund 9 Milliarden Euro für Baukindergeld aus, über das sich vielleicht diejenigen freuen, die es bekommen, das aber mit der Gießkanne verteilt wird. Die Frage, wie sich Familien mit kleinen und mittleren Einkommen noch eine bezahlbare Mietwohnung leisten können, wird überhaupt nicht beantwortet.
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Wir Grünen haben mit unseren 157 Anträgen im Haushaltsverfahren gezeigt, wie man in die Zukunft investiert.
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Wir lösen den Investitionsstau auf. Wir kürzen klima- und umweltschädliche Investitionen. Wir geben 4 Milliarden Euro mehr für die Unterstützung von Kindern aus. Wir investieren in die Verkehrswende und in den öffentlichen Personennahverkehr.
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– Herr Kollege Kahrs, ich habe mir lange überlegt, ob ich nur die CSU anspreche. Aber in der letzten Woche – und weil Sie sich hier so engagiert einbringen – hatte ich manchmal den Eindruck: Diese Bundesregierung ist ein Flugzeug auf Schlingerkurs kurz vor dem Absturz mit Herrn Seehofer und Frau Merkel in der Pilotenkanzel.
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Und was macht die SPD? Sie steht mit Ihnen als Steward hinten in der Passagierkabine und verteilt den Tomatensaft. So haben Sie die letzten Tage auf mich gewirkt, um ehrlich zu sein.
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Dieser Haushalt, meine Damen und Herren, ist eine Fiktion von Regierungshandeln. In 3 078 Seiten gegossener Stillstand: keine Vision von Zukunft, kein Zauber des Anfangs, noch nicht einmal irgendwie die Mühen der Ebenen, durch die Sie gehen, sondern der Ausdruck großer Konzeptlosigkeit und Zerstrittenheit.
Diese Große Koalition befindet sich in ihrem Spätherbst und nicht in ihrem Aufbruch. Mit unseren Anträgen haben wir Grünen gezeigt, wie man es besser und anders machen kann. Dem sind Sie nicht gefolgt. Wir lehnen diesen Haushalt ab.
Vielen Dank.
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Herzlichen Dank, lieber Kollege Dr. Lindner. Erlauben Sie mir den Hinweis eines etwas älteren Kollegen an einen jüngeren Kollegen: Die Frage der geistigen Frische ist keine Frage des Alters.
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– Frau Kollegin Lemke, nehmen Sie das doch einfach mal so hin! Es war doch eine nette Geste.
Als Nächstes lauschen wir mit besonderer Freude den Worten des Bundesministers der Finanzen, Olaf Scholz.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst wie alle anderen für die Arbeit bedanken, die bis zum heutigen Tag geleistet wurde, selbstverständlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Deutschen Bundestages, des Ausschusses, auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesministeriums der Finanzen und selbstverständlich bei den Abgeordneten dieses Hauses. Denn wir haben eine ganz besondere Situation zu bewältigen gehabt: einen Haushalt, der erst sehr spät beraten werden konnte, weil die Regierungsbildung sich so lange hingezogen hat.
Es ist eine gute Leistung, dass wir es dann doch in diesem schnellen Tempo miteinander hinbekommen haben. Ich bedanke mich dafür. Es ist ein wichtiger Beitrag für die Demokratie. Denn das Haushaltsrecht gehört zu den zentralen Rechten des Parlamentes.
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Ich freue mich auch darüber, dass Sie uns die Gelegenheit verschafft haben, den Haushalt heute zu beschließen, und uns damit in die Lage versetzen, dass wir morgen über den nächsten beschließen und einen Antrag an den Bundestag auf den Weg bringen können, sodass sich das nicht noch überschneidet. Ich glaube, das ist auch eine gute Entscheidung für das, was vor uns steht.
Vieles ist gesagt worden. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass dieser Haushalt sich mit der Zukunft unseres Landes beschäftigt. Das tut er deshalb, weil wir zwar eine gute Lage haben – das zeigen die sozialen Daten, die wirtschaftlichen Daten, die Zahl der Arbeitsplätze, die Einnahmen des Staates und wie sich das entwickelt –, aber weil es natürlich dann erst recht keinen Anlass gibt, sich darauf auszuruhen. Vielmehr müssen wir alles dafür tun, dass das auch in Zukunft so bleibt. Wir brauchen ein ordentliches Wachstum unserer Wirtschaft, der Zahl der Arbeitsplätze und die finanziellen Mittel, um für den sozialen Zusammenhalt in unserem Land das Notwendige zu tun. So ist das. Deshalb bin ich auch froh darüber, dass wir berichten können: Es wird mehr investiert. Es gibt eine große Steigerung in diesem Bereich.
Ich bin froh darüber, dass wir die Entscheidung getroffen haben, dort zu helfen, wo es für den sozialen Zusammenhalt und die wirtschaftliche Entwicklung notwendig ist. Grundgesetzänderungen sind auf dem Weg, damit wir zum Beispiel mehr ausgeben können für Krippen, Kitas und Schulen und damit wir mehr tun können für die Infrastruktur unseres Landes und den sozialen Wohnungsbau.
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Wenn wir die Zukunftsinvestitionen dieses Haushalts betrachten und die künftigen Möglichkeiten, zusammen mit den Ländern und Gemeinden etwas zu tun, dann, glaube ich, ist es wichtig, dass wir uns immer wieder einmal in Erinnerung rufen, dass dies ein föderales Land ist. Ein großer Teil der Investitionstätigkeit wird gar nicht vom Bund getragen, sondern von den Ländern und Gemeinden. Wenn wir unseren Beitrag dazu leisten, dann ist das gewissermaßen die ganze Kraft, die Deutschland mobilisiert. Aber der Beitrag des Bundes ist nur ein Teil dieser Kraft. Ich werbe dafür, dass wir, wenn wir über die Zahlen und die Investitionen zum Beispiel in Wirtschaft und Wissenschaft, den Breitbandausbau, die Infrastruktur und die Schulen diskutieren, immer bedenken, wie viele Milliarden in ganz Deutschland dafür aufgewandt werden. Der Föderalismus muss uns dazu ermutigen, das als Einheit zu betrachten und nicht jedes für sich.
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Ich will aufgreifen, dass dieser Haushalt mehr Geld für Sicherheit vorsieht. Das ist eine wichtige Entscheidung. Wir stärken die Bundespolizei und den Zoll; die Zahlen wurden genannt. Ich halte das für richtig; denn wir müssen die Erfüllung der entsprechenden Aufgaben gewährleisten. Es gilt nun einmal die Wahrheit, dass es neben dem technischen Fortschritt, den wir nutzen können, um die Sicherheit zu verbessern, immer darauf ankommt, dass möglichst viele Männer und Frauen für die Sicherheit tätig sind. Mir ist ganz besonders wichtig, dass wir viele Tausend zusätzliche Stellen für die Bundespolizei und den Zoll bereitstellen. Genauso wichtig ist – das will ich an dieser Stelle erwähnen –, dass wir einen großen finanziellen Aufwand dafür leisten werden, dass sich die zuständigen Behörden dieses Landes mit der Bewältigung der Aufgaben, die aus Flucht und Migration in Deutschland entstehen, beschäftigen können. Ich jedenfalls finde es eine längst notwendige und überfällige Entscheidung, dass wir dafür Sorge tragen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ausgebaut und aufgebaut werden kann und dass es ausreichend Kraft für seine Aufgaben hat. Es kommt darauf an, dass wir nicht nur über abstrakte und rechtliche Fragen reden, sondern dass wir einfach die Möglichkeiten schaffen, dass die Arbeit gemacht wird und dass zügige und schnelle Entscheidungen getroffen werden. Dieser Haushalt schafft dafür die Grundlage.
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Er tut dies im Übrigen mit einer Weichenstellung, die sowohl für die genannten Behörden als auch für viele andere gilt. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, die Zahl der sachgrundlosen Befristungen in den Bundesbehörden abzubauen. Wir haben das Ziel, die Zahl der sachgrundlosen Befristungen als Element der wirtschaftlichen Betätigung in Deutschland überhaupt zu reduzieren. Wenn wir das aber als Gesetzgeber vorhaben, dann muss das erst recht für die Bundesbehörden gelten. Ich finde es richtig, dass wir diesen Schwerpunkt gesetzt und diese Entscheidung getroffen haben.
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Das gilt auch für andere Aufgaben, die wir haben. Unsere Verantwortung in der Welt kann nur wahrgenommen werden, wenn wir dazu auch die Voraussetzungen schaffen. Also steigen mit diesem Haushalt die Ausgaben für die Verteidigung und in großem Maße die Ausgaben, die wir für die Entwicklungshilfe aufwenden wollen.
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Das sind richtige Entscheidungen, die dazu beitragen, dass wir nicht nur auf uns schauen, sondern dass wir in der Welt dafür sorgen, dass ein besseres Miteinander möglich ist. Das gilt besonders für die Ausgaben für die Entwicklungshilfe. Die Steigerungsraten, die dieser Haushalt abbildet, sind, gemessen an der Vergangenheit, ganz besonders groß. Das ist eine richtige Entscheidung.
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Zum Schluss möchte ich gerne darauf hinweisen, dass wir hier natürlich auch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Europäische Union weiter zusammenwachsen kann. Dazu sind notwendige Entscheidungen zu treffen, Entscheidungen, die etwas damit zu tun haben, dass wir immer alle anderen Länder der Europäischen Union im Blick haben, dass wir wissen, dass über die Dinge, über die wir diskutieren, auch andernorts diskutiert wird und dass es gut wäre, die Perspektiven, die andere einnehmen, zu kennen und sie in unsere Entscheidungen einzubeziehen.
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Das bedeutet im Übrigen, dass wir die richtigen Weichenstellungen dafür treffen, dass es in den nächsten Jahren mit Europa gut klappt. Deshalb finde ich es richtig, dass wir Beschlüsse vorangetrieben haben, die die Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion in Europa möglich machen, dass wir dafür gesorgt haben, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus eine Entwicklung nehmen kann, mit der er die Aufgaben eines Währungsfonds wahrnimmt, dass wir dafür gesorgt haben, dass die Bankensicherheit zunehmen wird durch rechtliche Regeln, aber eben auch dadurch, dass es eine Letztsicherung für den Bankenabwicklungsmechanismus gibt. Das sind alles Beispiele für eine ganz engagierte europäische Politik.
Wenn wir über den Haushalt und das, was Deutschland tun sollte, diskutieren, dann müssen wir das auch immer mit im Blick haben. Für uns bleibt Europa das Wichtigste, was wir in den nächsten Jahren zustande bringen müssen. Deshalb werden wir dies immer mit zu beachten haben.
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Der Haushalt ist solide finanziert. Wir machen keine zusätzlichen Schulden. Das ist ein Prinzip, das wir auch in Zukunft durchsetzen wollen.
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Es ist besonders gut, dass eine expansive Investitionsstrategie, dass mehr Investitionen in den sozialen Zusammenhalt und mehr Investitionen in die wichtigsten Zukunftsfragen unseres Landes möglich sind und dass der Haushalt gleichzeitig so ausgeglichen bleiben kann, wie er ist, und keine neuen Schulden beinhaltet. Das ist ein Prinzip, das auch für die Zukunft taugt.
Schönen Dank.
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Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Kay Gottschalk, AfD-Fraktion, das Wort.
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Eine Bemerkung vorab, Frau Lötzsch: Was soll ich sagen? 1984 bis 1990 SED-Mitglied, 1988 in der DDR promoviert. Linksextremisten sitzen hier im Parlament.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Verehrte Gäste! Dieser Haushalt drückt das ganze Elend und die Beliebigkeit der Merkel-Ära aus, der wohl dunkelsten Kanzlerschaft, die Deutschland erlebt hat. Gott sei Dank, diese Zeit neigt sich nun dem Ende zu.
Ebenso – und das dokumentiert dieser Haushalt – neigt sich die Zeit der SPD dem Ende entgegen.
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Denn Sie, meine Damen und Herren, erinnern mich leider nur noch an ein versifftes Kifferehepaar, das mittags zu einer Anti-Auto-Demo geht, dabei die Haustür sperrangelweit offen stehen lässt, während der Sohn und die Tochter trotz dieses desolaten Elternhauses als Facharbeiter schaffen, Facharbeiter im Übrigen, die mit dem 1,3-Fachen des Durchschnittsgehaltes – das sind 36 000 Euro hier in Deutschland – den Spitzensteuersatz von 42 Prozent zahlen müssen.
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Diese Eltern beklagen übrigens die Entfremdung von ihren Kindern. In einer Nebenrolle könnte ich mir dann noch HH, also Homeboy Hofreiter, vorstellen, der für schöne Pflanzen in dieser relativ leeren und ätzenden Wohnung sorgt. „Flüchtlinge statt Facharbeiter“, das hat Ihre Rede auch eben wieder bewiesen, das ist Ihr neues Motto, das ist Ihr neues Mantra, und das haben Sie eben eindrucksvoll unter Beweis gestellt, Herr Scholz.
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Aber, Herr Scholz, Sie reden laufend von kalter Progression. Die wollten Sie abbauen, auch im Laufe der Vordebatten. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zahlten bereits im Jahre 2012 2,6 Millionen Menschen in Deutschland den steuerlichen Höchstsatz von 42 Prozent. Da sollten auch Sie von der CDU in sich gehen; denn mit Ihrer Politik werden es laut dieser Studie im Jahre 2021 bereits 5 Millionen Menschen sein. Herr Scholz, füge ich nun an, dass 1965 Menschen erst mit dem 15-Fachen des Durchschnittseinkommens im Spitzensteuersatz waren, dann trifft wohl der Satz zu: Sozis plündern dich.
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Bei Ihnen, meine sehr verehrten Kollegen von der CDU, ist es noch viel schlimmer. Ihr politischer Leitsatz der letzten 13 Jahre unter der Knechtschaft von Frau Merkel war noch opportunistischer. Die von der SPD, die können es einfach nicht. Die können es eben nicht – sei es ihnen verziehen. Aber Sie haben wider besseres Gewissen gehandelt: Euro, Bankenkrise, Bankenunion, aggressive Steuervermeidung, kalte Progression, Soli. Ihre gesamte Haltung dazu dokumentiert, dass Sie wider besseres Wissen handeln.
Und noch mehr: Ich halte hier ein Beweisstück in den Händen, das für Sie eigentlich noch viel schlimmer ist. Denn bereits im Jahre 1995 hat Helmut Kohl einen Sachverständigenrat ins Leben gerufen, der „Maßnahmen und Perspektiven zum ,Schlanken Staat‘“ hervorbrachte. Dort ist dann zu lesen – sehr interessant –:
Beseitigung von Investitionshemmnissen Zentraler Anknüpfungspunkt ist das Recht der Planungs- und Genehmigungsverfahren.
Ja, die Schweizer haben den Gotthardtunnel schon durch die Alpen gebaut, und wir haben noch nicht mal die Rheintrasse geplant, meine Damen und Herren. Das ist Ihr Land. Das haben Sie zu verantworten.
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Reduzierung der Normenflut. Hier steht zu lesen: Die Zahl der Normen ist immer weiter gestiegen. – Ach was? – Ihre Reduzierung ist Gemeinschaftsaufgabe von Parlament und Regierung. – Was haben die, die hier schon länger sitzen, in den letzten 20 Jahren getan? Wir hatten noch nie so viele Gesetze. Wir hatten noch nie so eine Steuerflut, noch nie so viele Gesetze im steuerlichen Rahmen, die sich auch oftmals leider noch widersprechen. Meine Damen und Herren, auch hier wider besseres Wissen!
„Gesetzesfolgenabschätzung“ steht hier noch drin, sowie: Abbau von Bürokratie.
Meine Damen und Herren, Sie sind auf ganzer Linie sich selbst nicht treu geworden und haben sich verloren. Deshalb ist dieser Haushalt das geronnene Zahlenwerk Ihres politischen, Ihres gesellschaftspolitischen, moralischen und nicht zuletzt wirtschaftspolitischen Versagens.
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Frau Merkel – Sie sind leider nicht hier –, treten Sie zurück, und machen Sie den Weg für eine bürgerliche bessere Regierung und für eine bessere Zukunft dieses Landes frei!
Herzlichen Dank.
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Als nächster Redner wird der Kollege Eckhardt Rehberg, CDU/CSU-Fraktion, zu uns sprechen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Zu Beginn ein Dank ans Sekretariat des Haushaltsausschusses, ans Bundesfinanzministerium, an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Fraktionen, in den Büros und ein wirkliches Dankeschön auch an die Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in deutlich kürzerer Zeit beraten. Wir waren sechs Fraktionen, aber, ich glaube, gleichwohl waren das sehr intensive und auch sehr geordnete Beratungen.
Ich will noch Frau Lötzsch widersprechen. Frau Lötzsch, chaotisch war das wirklich nicht; ganz im Gegenteil. Ich habe schon andere Zeiten erlebt, wo morgens um halb drei jemand Deckblätter rausholte und Sitzungsunterbrechungen waren. Ich glaube, da hat sich das wirklich deutlich ge- und verbessert.
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Kollege Boehringer, Sie versuchen mit dem Bruttoprinzip bei den EU-Beiträgen nur eines: Ihre Fraktionsvorsitzende Weidel reinzuwaschen, die uns hier vorgeworfen hat, dass wir tricksen und täuschen und dass die Abführungen an den EU-Haushalt im Bundeshaushalt nicht ausgewiesen sind. Genau das haben Sie uns vorgeworfen.
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Herr Boehringer, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte zur Kenntnis nehmen: Der Bundesrechnungshof hat im Berichterstattergespräch deutlich gemacht, dass die Abführungen sauber veranschlagt sind. Ganz nebenbei: Regionalisierungsmittel, Abführungen und Umsatzsteuerpunkte für die Kitas usw. werden genauso als negative Steuereinnahmen ausgewiesen.
Herr Boehringer, hören Sie endlich auf! Ich will Ihnen eines sagen: Wenn Sie etwas kritisieren – ich habe Ihnen in dem Gespräch gesagt: wir sind der Haushaltsgesetzgeber –, dann hätten Sie einen Antrag stellen können, über den wir heute hätten abstimmen können. Das ist eine Farce, was Sie hier vorgeführt haben!
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Herr Kollege Dürr, ich konnte meiner Frau nicht erklären – unsere Kinder sind 1978 und 1980 geboren –, warum sie nur einen Punkt bekommt. Sie bekommt jetzt zwei Punkte.
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Ich glaube, dass es eine grobe Ungerechtigkeit ist, wenn wir das nicht ändern im Verhältnis zu den Frauen, die ihre Kinder nach 1992 geboren haben.
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Sie können es keiner Frau, keiner Mutter in Deutschland erklären, warum das so gewesen ist.
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Ich bin der Auffassung: Wenn wir es uns finanziell leisten können, dann muss diese Ungerechtigkeit auch abgeschafft werden.
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Dann noch ein Punkt. Es trägt auch gerade im Osten Deutschlands dazu bei, dass Frauen nicht in Altersarmut kommen. In Mecklenburg-Vorpommern sind es nur 1,6 Prozent der Rentnerinnen und Rentner, die Grundsicherung im Alter beziehen. Die Rate ist noch mal deutlich gesunken, nachdem dieser eine Punkt für die Mütterrente eingeführt worden ist. Das ist auch etwas gegen Altersarmut, was wir hier tun.
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– Natürlich hat das einen Zusammenhang!
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Frau Kollegin Lötzsch, nehmen Sie ganz einfach mal zur Kenntnis, dass die oberen 10 Prozent der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die Hälfte des Steuervolumens aufbringen. Wir haben einen progressiven Steuertarif. Hier werden die Schultern, die mehr tragen können, auch stärker belastet. Die unteren 30 Prozent tragen nicht mal 5 Prozent zum Steuervolumen in Deutschland bei. Insoweit ist es ein gerechtes Steuersystem, was wir haben.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben eine Menge geschafft: Baukindergeld, sozialer Wohnungsbau. Mir sind heute die Zahlen für den sozialen Wohnungsbau für das Jahr 2017 zufällig zur Hand gekommen. Ich war selten so erschüttert wie in dem Moment, als ich diese Zahlen gesehen habe: minus 18 Prozent bei der Modernisierung von Mietwohnungen, minus 18 Prozent bei der Förderung von Wohneigentum.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Länder haben sich am 24. September 2015, als wir die Mittel noch einmal aufgestockt haben, verpflichtet, dass a) dieses Geld für den sozialen Wohnungsbau und für die soziale Wohnraumförderung verwendet wird und b) dass sie den gleichen Betrag zusetzen.
Jetzt zu den Zahlen hinsichtlich Neubau von Sozialwohnungen. Ich halte es für einen Skandal sondergleichen: Man hätte mit den 1,5 Milliarden Euro, die für das letzte Jahr zur Verfügung standen, rund 45 000 neue Sozialwohnungen bauen können. Es sind nur 26 000 gebaut worden, also rund 17 000 weniger als möglich. Von den 16 Ländern haben nur 2 Länder – Respekt, Herr Bundesfinanzminister: Hamburg gehört mit dazu – mehr Wohnungen gebaut, als sie politisch eigentlich zugesagt haben.
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Deswegen ist im Hinblick auf die Grundgesetzänderung meine Bitte, dass wir ernsthaft darüber sprechen, dass die Mittel, die wir geben – auch im Bereich der Bildung –, zusätzlich sein müssen und dass sich die Länder dort, wo sie die Zuständigkeit haben, nicht vom Acker machen.
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Ich weiß, zu diesen Zahlen passt der Hase-und-Igel-Vergleich nicht; das gebe ich ganz ehrlich zu. Aber mich macht das deswegen so sauer, weil wir uns im Bundeshaushalt an vielen Stellen bemüht haben, Dinge voranzubringen, die dem ganzen Land zugutekommen sollen. Ich finde es gut und richtig, dass wir fast 40 Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung stellen. Es liegt aber nicht nur an uns, dass die Mittel umgesetzt werden.
Ich gucke mal den Kollegen Alexander Dobrindt an. Als er Bundesverkehrsminister geworden ist,
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war er in der Lage, noch für über 3 Milliarden Euro – liebe Kolleginnen und Kollegen, über 3 Milliarden Euro! – das Baurecht für Straßenneubau in Deutschland freizugeben. Heute – Andi Scheuer tut mir ein bisschen leid – ist es gerade mal die Hälfte. Es gibt einen Grund: Die Auftragsverwaltung, das Herstellen von Baurecht, liegt in der Hand der Länder.
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Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es reicht nicht, Geld zur Verfügung zu stellen. Wir – Kommunen, Länder und Bund – müssen alle ein Interesse daran haben, dieses Geld auch in Projekte umzusetzen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, lieber Kollege Rehberg. – Als Nächstes erhält das Wort der Kollege Otto Fricke, FDP-Fraktion.
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Geschätzter Herr Vizepräsident! Meine Damen und Herren! Es war ein ungewöhnliches Verfahren; Herr Minister, Sie haben recht.
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– Herr Kauder, es wäre schön, wenn der Minister zuhören könnte. – Sie haben recht: Es war ein ungewöhnliches Verfahren, und wir haben zusammengearbeitet.
Ich schließe mich dem Dank meiner Vorredner an, und ich will, weil ich Parlamentarier bin, jetzt etwas sagen, was vielleicht bei manchen auf Unwohlsein stößt, aber: So sehr ich das, Kolleginnen und Kollegen von der AfD, was Sie hier machen, und das, was ich in meiner nun vierten Legislatur hier erleben muss, ablehne – in Inhalt, in der Form und in vielem –, sage ich Ihnen dennoch ausdrücklich, Kollege Boehringer – Kollege Rohde, das gilt für Sie ganz genauso –: Ich bedanke mich dafür, wie die beiden – der Vorsitzende und der Stellvertreter – die Haushaltsausschusssitzungen geführt haben. In der Form war das in Ordnung, über den Inhalt sollten wir streiten.
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Meine Damen und Herren, wir brauchten diesen Haushalt, auch deswegen, weil wir vieles an vielen Stellen gestoppt haben im Zusammenhang mit der Frage, wo wir mit unserem Staat vorangehen müssen. Wir brauchten ihn, weil eine vorläufige Haushaltsführung verhinderte, dass wir mit Neuem anfangen. Wir haben das nun beschlossen – mit zusätzlichen Sitzungstagen des Haushaltsausschusses und vielem mehr.
Aber: Haben wir wirklich etwas beschlossen, was dieses Land in die Zukunft bringt? Ich glaube: nein.
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Ich glaube, dieser Haushalt – Herr Minister, das hat Ihre Rede auch wieder gezeigt – beschäftigt sich mit der Vergangenheit und der Gegenwart, aber er beschäftigt sich nicht mit der Zukunft.
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Meine Damen und Herren, die FDP hat mit über 350 Anträgen versucht, klarzumachen, wie man eine Alternative darstellen kann, wie man wirklich einen Haushalt der Ideen hinbekommen kann. Wir sind für ein entsprechendes Einsparvolumen, weil wir in Zukunft den Bürger entlasten wollen. Dieser Punkt, die Entlastung, kam auch heute in Ihrer Rede wieder nicht vor.
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Für Sie geht es um das Ausgeben. Für Sie geht es nicht um die Frage des Erwirtschaftens. Aber ein Finanzminister muss beide Seiten, die Ausgaben und die Einnahmen, fair und immer mit dem Blick auf alle Bürger im Auge haben. Sie tun das leider nicht.
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Wenn man diese Haushaltswoche verfolgt – und die Haushälter haben viele Stunden hier verbracht –, dann merkt man einmal mehr die Unterschiede in den einzelnen Einzelplänen. Ich habe das beim Einzelplan 11 – Arbeit und Soziales – exemplarisch wieder erlebt. Wenn man versucht, den Sozialpolitikern zu erklären: „Ja, es ist wichtig, dass wir in einem Sozialstaat ausreichend Geld für die Schwachen haben, aber wir müssen doch auch sehen, dass es nicht sein kann, dass ein einzelner Einzelplan die anderen erdrückt“, dann wird das mit Unverständnis gesehen.
Ich möchte das einmal bildhaft ausdrücken – ich habe das schon einmal gesagt –: Wenn man sich diese Regierungsbank anschauen und sich fragen würde, wie die Mehreinnahmen in den nächsten Jahren verteilt werden, dann würde in den ersten zwei Reihen nur ein Minister sitzen, und das wäre der Kollege Heil. Alle anderen könnten sich hinten in die dritte Reihe setzen und sich darum streiten, wie viel sie von dem Rest bekommen. Dieser Widerspruch äußert sich ferner darin, dass wir sagen: Wir haben aber noch nicht genug Geld für Bildung. Wir haben aber noch nicht genug Geld für Digitales. Wir haben aber noch nicht genug Geld für Familie. Wir haben aber noch nicht genug Geld für den Rechtsstaat, der essenziell ist. – Diesen Widerspruch lösen Sie nicht auf. Im Gegenteil: Sie tun immer nur so, als würden Sie überall Gutes tun, aber am Ende vergessen Sie dabei die Zukunft unseres Landes.
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Halten wir eines fest: Das Haushaltsvolumen steigt um weitere 3,9 Prozent, während sich die Wirtschaftsprognosen verschlechtern. Gegen alle Vernunft wird mit dem Baukindergeld eine riesige ineffiziente Subvention wiederbelebt und dann auch noch von Ihnen, Herr Minister – und Sie rühmen sich dann auch noch dessen –, als Investition tituliert. Wenn also jemand eine Wohnung, die schon existiert und die jemand anderes bisher hatte, kauft, dann ist das für Sie eine Investition. Für uns ist das Marktwirtschaft, aber sicherlich keine staatliche Investition.
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Sie schreiben intransparente Schattenhaushalte fort, anstatt sie aufzulösen. Sie haben keinen Tilgungsplan für bestehende Altschulden. Sie haben keinen Ansatz für die Entlastung von Bürgerinnen und Bürgern, und im nächsten Jahr machen Sie gerade einmal das verfassungsrechtlich Gebotene. Es gibt keine wirkliche Streichung von Ausgaben. Es gibt immer nur mehr, mehr, mehr. Das ist kein Zukunftsausblick. Das ist gar nichts.
Wir werden das wahrscheinlich dann morgen im Haushaltsausschuss beim Haushalt 2019 wieder erleben. Inzwischen haben ja alle den Entwurf, der komischerweise in den S- und U-Bahnen Berlins rumgelegen hat. Aber es ist ja anscheinend in unserer Gesellschaft und in unserer Mediengesellschaft so, dass man diese Dinge vorher findet.
Zum Abschluss. Wir werden uns ansehen, ob Sie im nächsten Haushalt wieder die Chancen und Möglichkeiten, die Ihnen die gute Wirtschaft gibt, verschwenden, ob Sie die Zukunft verschwenden oder ob Sie an der Stelle wirklich eine Wende machen und erkennen, was notwendig ist, damit wir in Zukunft in diesem Land im Großen und Ganzen auch so gut werden leben können, wie wir es tun.
Eines allerdings will ich nach dieser turbulenten Woche dann doch noch sagen: Ich bin sehr, sehr gespannt, wie sich die SPD zu dem Kompromiss von CDU und CSU positioniert. Mir fiel dabei das alte Sprichwort von Hase und Igel ein: „Liebe ist niemals ohne Schmerz“, sagte der Hase zum Igel und umarmte ihn. – Ich bin gespannt, wer von Ihnen dreien der Hase und wer der Igel ist.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Fricke. – Als Nächstes für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Ekin Deligöz.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Scholz – er sitzt jetzt gar nicht hier, aber ich denke, er ist im Saal –, ich war ehrlich gesagt total erfreut darüber, dass Sie das Recht des Parlamentes, das Haushaltsrecht, so betont haben. Denn immerhin hat der Haushaltsminister 94 Tage gebraucht, bis er uns das erste Mal im Ausschuss beehrt hat.
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Wir haben ja quasi Suchanzeigen aufgegeben, weil wir nicht wussten, wo er ist.
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Ich finde, Respekt vor dem Haushaltsausschuss bedeutet auch, dass man auch mal hingeht und nicht der Letzte ist. Selbst Herr Schäuble war ja schon vor Ihnen bei uns im Haushaltsausschuss. Aber ich entnehme den Worten des Herrn Ministers, dass er sich in dieser Frage bessert.
Mir ist noch ein zweiter Punkt bei dieser Debatte aufgefallen. Ich sitze hier schon seit 12 Uhr und habe noch nie so oft den Satz gehört: Nach dem Haushalt ist vor dem Haushalt. – Da das immer von den Koalitionsfraktionen kam, klang das in meinen Ohren wie eine Beschwörungsformel, nach dem Motto: Okay, das ist es jetzt nicht, aber es wird besser. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir glauben Ihnen nicht. Wir glauben Ihnen einfach nicht, dass es besser wird. Denn das, was Sie hier jetzt vorgelegt haben, macht nicht viel Hoffnung. Dass Sie viele Ideen nicht vorgestellt haben, weil Sie sie nicht haben, macht auch nicht viel Hoffnung. Aber die Opposition hat da ordentlich gearbeitet. Wir haben richtig gute Vorschläge. Sie dürfen gerne abschreiben. Wir helfen Ihnen auch dabei, gute Ideen umzusetzen.
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Da ich die zweite Frau bin, die in der Debatte redet, verzeihen Sie mir, dass ich Folgendes anführe: Als Mutter erinnert mich das Verhalten der Koalition ein bisschen an den Teenager zu Hause: schönstes Wetter draußen, das Kind verharrt drinnen. Sie haben die besten Bedingungen, aber Sie machen nichts daraus.
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Es ist den Teenagern egal, was übermorgen ist und was nach den Sommerferien ist. Ihnen ist, ehrlich gesagt, auch stinkegal, was danach kommt und was in den nächsten Jahren in diesem Land sein wird. Die Teenager streiten ständig in der Familie. Sie von der Koalition sind geradezu Meister im Streiten, noch besser geht es gar nicht. Nur: Für den Teenager ist es normal, er übersteht das, er wächst, er gedeiht. Für Sie als Regierung ist das nicht normal, aber leider derzeit ein Dauerzustand.
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Dabei haben Sie wirklich die besten makroökonomischen Rahmendaten. Ja, natürlich brauchen wir Strategien für soziale Gerechtigkeit. Herr Kollege Rehberg, Sie sagen, Sie können es Ihren Kindern nicht erklären. Ehrlich gesagt werde ich meinen Kindern irgendwann nicht mehr erklären können, warum sie noch länger arbeiten und noch mehr einzahlen müssen, damit wir überhaupt noch ein Rentensystem in diesem Land aufrechterhalten können. Ich werde es der Frau, die von Grundsicherung lebt, nicht erklären können, warum sie einerseits Rentenpunkte kriegt, dass das andererseits von ihren Leistungen abgezogen wird. Ich werde den Beitragszahlerinnen und -zahlern nicht erklären können, warum sie sich alleine mit den Erziehenden solidarisieren sollen und alle anderen sie im Stich lassen. Dieser Spaß, den Sie hier groß herausstellen, wird nämlich jährlich 11 Milliarden Euro kosten, und Sie haben keine Ahnung, wie Sie das finanzieren sollen. Am Ende werden es weitgehend die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und die Rentenkasse alleine machen. Das ist nicht solidarisch. Das ist nicht sozial gerecht.
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Das ist eine Politik auf Kosten der künftigen Generationen, die draufzahlen müssen.
Ja, wir reden über den Kampf gegen die Klimakrise. Ja, wir brauchen da die Forschungsmittel. Was machen Sie? Gerade im Etat der Bildungsministerin – dort haben wir einen Bundesrechnungshofbericht nach dem anderen – sehen wir: Sie interessieren sich überhaupt nicht dafür. Das kommt in Ihren Reden überhaupt nicht vor. Ganz im Gegenteil: Sie verschwenden Geld. Sie gehen verantwortungslos mit diesem Geld um. Machen Sie doch endlich mal was Konkretes! Investieren Sie endlich mal in die Energiewende; investieren Sie in die Verkehrswende! Ideen gibt es ja genug. Warum fangen Sie nicht damit an?
Ich lege Ihnen vor der Sommerpause zum Abschluss dieses wunderschöne Spiel „Hase und Igel“ ans Herz. Da kann man ganz viel lernen: Strategie, Kreativität, Miteinander, Frust überwinden – all das, was Sie dringend brauchen.
Frau Kollegin, auch Sie müssen zum Ende kommen.
Dafür haben Sie auch die Sommerpause; danach wird es vielleicht besser.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die geschätzte Kollegin Lemke hat mich darauf hingewiesen, dass der Bundesminister der Finanzen nicht anwesend ist und dass die Grünenfraktion seine Anwesenheit begrüßen würde. Die Bitte ist an den Bundesfinanzminister übermittelt worden. Erzwungen werden, Frau Lemke, kann das nur durch Beschluss des Parlaments. Aber ich gehe davon aus, dass der Bundesfinanzminister die Bitte einer Vielzahl von Abgeordneten des Hauses erhören wird.
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Als nächster Redner spricht zu uns Fritz Güntzler, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer auf den Tribünen! Wir sind jetzt in der Endphase der Diskussion: dritter Tag Haushaltsberatung. Wenn man wohlwollend den Debatten zugehört hat, kann man eigentlich nur sagen: Wir beschließen heute einen sehr soliden Haushalt. Die solide Finanzpolitik der Großen Koalition wird fortgesetzt. Die finanziellen Spielräume, die sich ergeben haben, werden für wichtige Weichenstellungen genutzt.
Und man kann es gar nicht oft genug sagen – Wiederholung ist ja auch die Mutter der Pädagogik –: Wir legen hier einen Haushalt ohne neue Schulden vor. Das ist im vierten Jahr in Folge der Fall, dass ein Haushaltsplan ohne Neuverschuldung vorgelegt wird;
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auch in der Finanzplanung ist das weiter vorgesehen. Sehr erfreulich ist auch, dass die gesamtstaatliche Schuldenstandsquote kontinuierlich sinkt, sodass wir im nächsten Jahr auch dieses Maastricht-Kriterium – 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – wieder einhalten werden. Das ist ein großartiger Erfolg, insbesondere für die junge Generation; denn solide Finanzpolitik ist immer ein Beweis dafür, dass wir auch die junge Generation im Blick haben.
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In den letzten Tagen ist viel über die Ausgabenseite, über Investitionen, also über die Verwendung der Mittel, diskutiert worden. Ich als Finanzpolitiker bin dafür zuständig, dass die Mittel in den Haushalt kommen. Von daher möchte ich einige Anmerkungen zur Steuerpolitik machen.
Die Steuern sind nach wie vor das Hauptinstrument der Staatsfinanzierung. Wir haben zurzeit das Glück, dass wir durch kluge Politik und gute Rahmensetzung für die Wirtschaft sehr hohe Steuereinnahmen haben. Man attestiert uns nach der Steuerschätzung, dass wir im Jahr 2022 bei über 900 Milliarden Euro landen könnten. Allein der Bund würde davon 360 Milliarden Euro bekommen. Das ist einem sehr soliden Wachstum, das jetzt sogar schon über zehn Jahre anhält, und natürlich einer hohen Zahl von Beschäftigten geschuldet.
Das schafft Spielräume, die wir auch nutzen – auch, lieber Herr Kollege Dürr, zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger.
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Auch im Koalitionsvertrag haben wir herausgestellt, dass wir gerade die unteren und die mittleren Einkommen entlasten wollen.
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Die Bundesregierung hat ja nun auch das Familienentlastungsgesetz vorgelegt, in dem die erste Stufe der Erhöhung des Kindergeldes zum 1. Juli 2019 um 10 Euro enthalten ist. Die Kinderfreibeträge werden entsprechend erhöht. Wir werden die kalte Progression durch die Verschiebung des Einkommensteuertarifs bekämpfen. Wir werden die Grundfreibeträge erhöhen. Es passiert also einiges.
Das heißt ganz konkret, in Zahlen gesprochen: Eine Familie mit zwei Kindern und einem zu versteuernden Einkommen von 60 000 Euro im Jahr wird im Jahr 2020 20 Prozent weniger Steuern zahlen; sie wird 530 Euro mehr in der Kasse haben. Ich finde, das ist ein klares Signal und ein gutes Signal, das wir damit senden.
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Das wird ergänzt durch das Baukindergeld, das hier auch so ein bisschen diskreditiert wurde, insbesondere von der FDP. Wichtig ist: Es gibt dabei keine Wohnraumbegrenzung. Wir haben in Deutschland eine zu niedrige Wohneigentumsquote. Von daher ist es gut, dass wir hier etwas machen. Es hilft vielen Familien, Eigentum zu erwerben. Von daher ist es auch, glaube ich, richtig, wenn wir weiter darüber diskutieren, wie wir für den Ersterwerb eines Familieneigenheimes einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer hinbekommen können.
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Wir werden die Abschaffung des Solidaritätszuschlags angehen. Wir werden darüber diskutieren müssen, ob wir über das, was im Koalitionsvertrag steht, hinausgehen müssen. Wir haben dazu die erste Sachverständigenanhörung gehabt. Von daher werden wir mal gucken, was wir dafür noch machen müssen und ob wir die zweite Stufe vielleicht auch schon mitbeschließen sollten und müssten, um es verfassungsfest zu machen.
Wir müssen darüber nachdenken, was wir mit den Kapitalgesellschaften machen. Morgen wird es im Bundesrat einen Vorschlag des Freistaates Bayern geben, darüber nachzudenken, ob wir nicht, wenn wir eine Stufung für die Einkommensteuerzahler einführen, für kleine Kapitalgesellschaften etwas Ähnliches bei der Körperschaftsteuer machen könnten.
In dem Zusammenhang sollten wir auch darüber nachdenken, wie wir mit dem internationalen Steuerwettbewerb umgehen wollen. Man mag dieses „race to the bottom“ oder diesen Wettlauf von Hase und Igel zwar bedauern,
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aber es gibt ihn nun einmal. Von daher müssen wir uns dieser Herausforderung stellen, ohne dabei in Aktionismus zu verfallen. Die Ansätze mit der gemeinsamen Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage und den Mindeststeuern, die mit Frankreich vereinbart sind, sind, glaube ich, eine gute Sache.
Aber die Analyse zeigt eben, dass die USA den Steuersatz von 35 Prozent auf 21 Prozent gesenkt haben, dass Frankreich den Steuersatz bis 2022 auf 25 Prozent senken wird, dass das Vereinigte Königreich den Steuersatz von 20 Prozent auf 17 Prozent und auch Belgien ihn bis 2020 auf 25 Prozent senken wird. Damit sind wir Hochsteuerland in Europa. Von daher brauchen wir darauf eine Antwort. Sie muss nicht nur durch den Steuertarif gegeben werden; sie kann auch durch ein modernes Unternehmensteuerrecht gegeben werden.
Von daher würde ich mich freuen – wenn es denn den Ländern Bayern und NRW morgen im Bundesrat gelingt, Mehrheiten zu bekommen –, wenn deren Vorschläge zur Unternehmensteuerreform auch in die Diskussion des Deutschen Bundestages Einzug halten könnten. Ich möchte hier als Beispiel den interessanten Vorschlag des Freistaates Bayern zur Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Körperschaftsteuer nennen.
Wie Sie wissen, gibt es die Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer. Dabei gibt es auch ein paar Probleme; diese kann man aber lösen. Aber es ist, glaube ich, eine kluge Idee, darüber nachzudenken, wie man die Gewerbesteuer auf die Körperschaftsteuer anrechnen könnte. Das würde zu einer erheblichen Entlastung der Unternehmen führen.
Ich glaube, wir müssen das Thema Unternehmensteuerreform wieder angehen; die letzte hatten wir im Jahr 2008. Damals haben wir die Unternehmen mit 5 Milliarden Euro entlastet. Von daher haben wir jetzt Handlungsbedarf, und ich würde mich freuen, wenn wir das auch in die Diskussion miteinbeziehen würden; denn Steuerpolitik muss meines Erachtens wieder mehr Standortpolitik werden. Denn die Steuerfrage ist wichtig für die Standortentscheidung. Mit einer vernünftigen Steuerpolitik stellen wir die Weichen dafür, dass wir weiterhin Wachstum und hohe Beschäftigung in unserem Lande haben. Von daher sollten wir gemeinsam dafür streiten.
Jetzt danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich kann Ihnen sagen: Sie können mit gutem Gewissen dem Haushaltsgesetz zustimmen.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Bevor ich dem geschätzten Kollegen Johannes Kahrs das Wort erteile, stelle ich zunächst die Anwesenheit des Bundesministers der Finanzen im Hohen Hause fest.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Geräuschkulisse etwas zu dämpfen und den wenigen Rednern, die wir noch auf der Tagesordnung haben, Aufmerksamkeit zu schenken. Das ist für uns alle besser. Vor allen Dingen gilt das auch für den Kollegen Johannes Kahrs.
Sie haben das Wort, Herr Kollege Kahrs.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Finanzminister, lieber Olaf, du hast hier einen Haushalt vorgelegt, der solide ist, der Zukunft finanziert, mit dem wir aber gleichzeitig keine neuen Schulden machen.
Ecki, das ist großkoalitionär sozusagen unsere hölzerne Hochzeit, was diese schuldenfreien Haushalte angeht. Denn ehrlicherweise muss man sagen: Mit der FDP habt ihr jedes Jahr Milliarden Schulden gemacht. Erst seitdem ihr mit den Sozialdemokraten zusammen regiert, gibt es keine neuen Schulden.
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Ich finde, man kann immer wieder darauf hinweisen, dass das hier eine Koalition ist, die nicht nur solide und vernünftig die Zukunft finanziert, sondern auch die Chancen nutzt und dafür sorgt, dass es den Menschen in diesem Lande besser geht. Dafür noch mal vielen Dank, Herr Finanzminister.
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Ich freue mich darauf, dass wir morgen vom Kabinett den zweiten Haushalt dieser Großen Koalition vorgelegt bekommen. Den werden wir beraten, zwei weitere werden folgen. Es werden vier gute Jahre für dieses Land; diese Prognose lassen Sie mich einfach wagen.
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An dieser Stelle danke ich auch noch mal allen Beteiligten, besonders dem Sekretariat des Haushaltsausschusses. Man kann ja beurteilen, was Sie getan haben, wenn man sich anschaut, wie lange die Sitzungen dauern und was da bewegt wird. Gleichzeitig ist es so, dass wir natürlich auch Büros haben und Mitarbeiter in Ministerien, die das alles erst möglich machen.
Schaut man sich allerdings an, was da manchmal so herauskommt, dann stellt man fest, dass die Opposition, von der hier immer gesprochen wird, sehr unterschiedliche Auffassungen hat. Dem einen sind es zu wenig Investitionen, dem anderen zu viele. Der eine sagt, es wären zu viel Steuern geplant, der andere, es wären zu wenig.
Es ist hier ja ganz häufig schon von diesem Märchen geredet worden, diesem Hasen und dem Igel. Wenn die Koalition der Igel ist, der immer schon solide und vernünftig da ist, dann sind diese flitzenden Hasen der Opposition diejenigen, die haltlos über den Acker laufen und sich nicht einig sind.
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Am Ende werden wir sehen, dass es diesem Land besser geht mit dieser guten Bundesregierung.
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Herr Gottschalk, ich habe mir vorgenommen, zu den Rechtsradikalen in diesem Land nichts zu sagen.
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Aber nachdem Sie hier so einen blamablen Auftritt hatten, kann man das ja vielleicht auch einmal erwähnen.
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Herr Präsident, nicht dass ich wieder einen Ordnungsruf bekomme: Einen wildgewordenen Hühnerhaufen darf ich die nennen, oder?
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Ich kann das nicht vorab entscheiden, Herr Kollege Kahrs. Ich kann das erst entscheiden, wenn Sie entsprechend tätig geworden sind. Es gibt keine Absolution.
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Sie müssen meine Vorsicht verstehen. Ich habe gestern den ersten Ordnungsruf in 20 Jahren bekommen von diesem Präsidenten. Deswegen bin ich vorsichtig.
Wenn man das also zur Kenntnis nimmt, was man hier so hört, und die Rede des Kollegen Gottschalk nimmt, dann kann man nur sagen: Die AfD ist hier wie ein wildgewordener Hühnerhaufen.
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Wenn man sich das einfach mal anschaut, dann muss man sagen: Der Kollege Boehringer hat es ja nicht lassen können. Er hat schon wieder erwähnt, dass die AfD Anträge vorgelegt hat, dass sie den Verfassungsschutz und den Bundesnachrichtendienst abschaffen möchte.
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Das leugnet er gar nicht, sagt aber, er hat es gar nicht so gemeint. Ich finde, man kann durchaus ernsthaft in diesem Haus arbeiten. Man kann ernsthaft Politik machen.
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Man bekommt seine Diäten. Die Menschen haben einen Anspruch darauf, dass wir solide und vernünftig arbeiten. Und wenn man Anträge nicht so meint, dann sollte man sie nicht stellen. Das wäre hilfreich.
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Dann hat man mir ja auch erklärt, dass die AfD gar nicht die gesetzliche Rente abschaffen möchte. Ehrlicherweise ist es so, dass sich Herr Meuthen, den ja keiner kennen will, der aber nun einer Ihrer Vorsitzenden ist, wenn ich das richtig nachgelesen habe, auf dem Bundesparteitag in Augsburg dafür aussprach – ich habe mir extra vom Deutschlandfunk den Ausdruck besorgt –,
… die gesetzliche Rente schrittweise abzuschaffen. Deutschland müsse weg vom umlagefinanzierten Beitragssystem. Stattdessen sollte man die Menschen in eine selbstgewählte, private Form der Altersvorsorge entlassen.
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Da treffen Sie sich ja mit der FDP.
Jetzt ist es so wie mit dem Hühnerhaufen; jetzt wollen die davon gar nichts mehr wissen.
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Da haben Sie also einen Parteivorsitzenden, der das verkündet, und Sie von der Fraktion wollen gar nichts mehr davon wissen. Ja, was ist das denn für eine Oppositionseinstellung? Hier üble rechtsradikale Reden halten, die Arbeit nicht solide machen und dann nicht mal wissen, was der eigene Bundesvorsitzende will! Das ist doch blamabel.
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Herr Kollege, so leid es mir tut: Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich stelle abschließend fest: Wir haben einen soliden Haushalt vorgelegt. Die Opposition klatscht in den meisten Teilen. Das kann nur besser werden.
Vielen Dank.
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Als vorletztem Redner erteile ich dem Kollegen Tankred Schipanski, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Haushaltsrede unserer Bundeskanzlerin standen gestern drei Themenfelder im Mittelpunkt: Europa, globale Ordnung und Digitalisierung. Das Themenfeld Digitalisierung begleiten wir seit der letzten Legislatur aktiv im Bundestagsausschuss Digitale Agenda, und die vielen Projekte der Digitalen Agenda haben natürlich eine sehr hohe haushalterische Relevanz. Von daher ist es gut und richtig, dass wir das in dieser Schlussrunde der Haushaltsberatungen entsprechend thematisieren.
Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Rede gestern noch einmal sehr deutlich gemacht, dass Digitalisierung Chefsache ist, dass jedes Ministerium ein Digitalministerium ist und dass wir an die erfolgreiche Digitale Agenda der letzten Legislatur anknüpfen und diese fortschreiben werden.
Meine Damen und Herren, die Einrichtung des Digitalkabinetts begrüßen wir ausdrücklich. Es ist ein Spiegelbild unseres Ausschusses Digitale Agenda in der Exekutive. Das Digitalkabinett hat die ersten Arbeitsschwerpunkte festgelegt: die Erarbeitung einer Strategie für künstliche Intelligenz, die Auseinandersetzung mit der Blockchain-Technologie und die Aufarbeitung des gesamten Themenkomplexes Arbeit 4.0. Bis Ende des Jahres wird außerdem eine Digitalstrategie erarbeitet, die wir in diesem Hause und im Ausschuss Digitale Agenda kritisch begleiten und vorantreiben werden.
Meine Damen und Herren, jedes Ministerium treibt in seinem Fachbereich Digitalisierungsprojekte voran. Die Koordinierung dieser Projekte erfolgt im Kanzleramt. Dass jedes Ministerium ein Digitalisierungsministerium ist, spüren wir im Haushalt 2018 ganz besonders bei der Personalaufstockung. Faktisch hat jedes Ministerium Stabsstellen, Abteilungen, Referate eingerichtet, um für seinen Verantwortungsbereich die Herausforderungen des digitalen Wandels zu meistern. Wir als Haushaltsgesetzgeber stellen diese Stellen zur Verfügung, erwarten umgekehrt aber auch eine beschleunigte Aktivität bei den vielen Digitalprojekten des Koalitionsvertrages.
Lassen Sie mich einige wichtige Projekte, die den Haushalt 2018 unter digitalen Aspekten ausmachen, beleuchten:
Zum einen haben wir hier das EXIST-Programm, um die Gründerkultur an unseren Unis und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu stärken. Insgesamt stellen wir hier 40 Millionen Euro zur Verfügung. Ich denke, das ist ein richtiger und guter Schwerpunkt.
Gleiches gilt für die Verstetigung der Haushaltsmittel für unsere Mittelstand-4.0-Kompetenzzentren, die wir ebenfalls über die ganze Republik verteilt haben und ausbauen.
Die digitale Infrastruktur wurde schon genannt. Um den flächendeckenden Breitbandausbau dynamisch voranzutreiben, haben wir in den Haushalt 2018 zusätzliche Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von rund 1,1 Milliarden Euro eingestellt. Begleitet wird dies von der eben überarbeiteten neuen Förderrichtlinie; mein Kollege Jens Zimmermann hat dies gestern beleuchtet und darauf hingewiesen.
Dazu passen auch – André Berghegger hat es genannt – die fünf 5G-Testregionen, die wir in diesem Haushalt mit 6 Millionen Euro zu finanzieren beginnen.
Herr Kollege Schipanski, darf ich Sie kurz unterbrechen? – Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Geräuschpegel ist erheblich, und ich weise als Präsident darauf hin – und ich meine das ernst –: Ich werde die Sitzung erst fortsetzen, wenn Ruhe eingekehrt ist. – Und ich werde sie wieder unterbrechen, wenn die Geräuschkulisse zu stark wird. Ich bitte auch für den danach folgenden, letzten Redner um die ungeteilte Aufmerksamkeit. – Herr Kollege Schipanski, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren, unsere Landwirte sind nicht nur Vorreiter beim Schutz von Hase und Igel, sondern auch Vorreiter beim Thema Digitalisierung.
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Um deren Chancen noch besser nutzen zu können, wird im Landwirtschaftsministerium ein neues Programm „Digitalisierung in der Landwirtschaft“ aufgelegt und von Anfang an mit 10 Millionen Euro solide ausgestattet.
Im Bereich der Verteidigung bringen wir die Digitalisierung unserer Streitkräfte weiter voran. 13 Millionen Euro stehen hier zusätzlich für die Beschaffung von IT im Haushaltsplan. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik erhält 100 neue Stellen. Der Digitalfonds wird vorfinanziert, was ganz wichtig ist für unseren DigitalPakt Schule; das haben wir in der Haushaltsdebatte schon gehört.
Sie sehen: All das sind konkrete und wichtige Maßnahmen, die wir bereits im Haushalt 2018 ergreifen. Dafür ein ganz herzlicher Dank an die Kollegen im Haushaltsausschuss und der federführenden Häuser.
Ich freue mich auf die Beratungen zum Haushalt 2019, wo wir wieder viele digitale Projekte aufnehmen, die wir im Bundestag und im Ausschuss Digitale Agenda aktiv begleiten.
Ich darf herzlich um Zustimmung für diesen Haushalt werben. Er ist ein starkes Zeichen auf dem Weg in die digitale Gesellschaft.
Vielen Dank.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege Schipanski. – Als letzter Redner des heutigen Tages erhält das Wort der Kollege Alois Rainer, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Bundeshaushalt ist ein Haushalt, der auf die Herausforderungen, aber auch auf die Anforderungen unseres Landes ausgerichtet ist. Es ist nur richtig, dass wir unserer Linie der unionsgeführten Bundesregierung treu bleiben und weiterhin den Haushalt ohne neue Schulden verabschieden werden. Auch alle im Koalitionsvertrag vorgesehenen prioritären Maßnahmen im Bundeshaushalt 2018 und in der Finanzplanung bis 2022 sind abgebildet und werden dementsprechend umgesetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hatte die Ehre, in den letzten Tagen viel im Plenum sein zu dürfen, hörte viele Reden zum Haushalt und viele Zahlen, die mit dem Bundeshaushalt eigentlich überschaubar wenig zu tun hatten. Man hörte von Steuereinnahmen in Höhe von über 100 Milliarden Euro und von zu wenigen Entlastungen. Eines muss man klarstellen: Wir reden nicht über die kompletten Staatseinnahmen, wir reden nur über den Bundeshaushalt. Auch bei den Entlastungen reden wir nur über den Bundeshaushalt. Das wird ganz oft vermischt. Und dann kommt von der Neupartei die Aussage, die Flüchtlingskosten gesamtstaatlich zu sehen. Also bitte, vielleicht schaffen wir es im Haushalt für 2019 – ein Appell an die Kolleginnen und Kollegen der Opposition –, mit den Zahlen für den Bundesetat zu operieren. Das wäre hilfreich – für all diejenigen, die uns zuhören.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich, dass wir auch in diesem Haushalt die Länder und die Kommunen stark entlasten, nämlich mit rund 22 Milliarden Euro in Form von Kitaausbau, Kitabetreuung, frühkindlicher Bildung, Schulsanierung oder mit Sonderfonds zum Beispiel nach dem Kommunalinvestitionsförderungsgesetz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Mittel dienen nicht in erster Linie der Sanierung der Länderhaushalte; vielmehr dienen sie der Unterstützung der eigenen Investitionen der Länder und der Kommunen und ersetzen diese nicht. Hier stehen alle Bundesländer in der Pflicht.
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Auch muss es erlaubt sein, dass der Bund irgendwann ein Kontrollrecht darüber erhält.
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Wenn wir schon bei Entlastungen sind, möchte ich eines nicht unerwähnt lassen – ich habe es eingangs schon gesagt –: Gestern war ich etwas irritiert, als uns ein Kollege aus der Opposition mit dem Vorwurf konfrontiert hat, die Entlastungen für die Bürger seien angesichts von 165 Milliarden Euro Mehreinnahmen zu gering.
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Lassen Sie mich dazu in diesem Hohen Hause einmal sagen: Wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land in dieser Legislaturperiode um rund 60 Milliarden Euro. Das ist ein ordentlicher Schluck aus der Pulle.
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Mit dem Familienentlastungsgesetz haben wir bereits einen ersten Schritt gemacht. Es werden weitere folgen.
Wir wollen eine Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung. Ja, im Koalitionsvertrag steht eine Senkung um 0,3 Prozentpunkte. Unseres Erachtens wäre hier mehr möglich. Man wird sich in der Koalition darauf verständigen. Ich gehe davon aus, dass es 0,5 Prozentpunkte werden. Das ist eine Entlastung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um 5,4 Milliarden Euro. Außerdem wollen wir die paritätische Finanzierung der Zusatzbeiträge wieder einführen. Das führt zu einer Entlastung um rund 7 Milliarden Euro.
Das sind also keine Peanuts; wir reden über ordentlich viel Geld. Und wenn beim angekündigten Soli-Abbau in Höhe von 10 Milliarden Euro noch etwas mehr geht, weil sich die wirtschaftliche Situation in unserem Land so gut entwickelt, dann werden wir als Union nicht Nein dazu sagen.
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Abschließend, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sage ich: Wir investieren in die Zukunft, in Bildung und Erziehung, wir entlasten die Bürger, Familien, Länder und Kommunen, und wir fördern die Forschung, und das so, wie schon lange nicht mehr. Der Investitionsaufwuchs und die Entlastungen im Bundeshaushalt zeigen, dass der Haushalt für die Herausforderungen der Zukunft gewappnet ist. Wir stellen weiterhin ausreichend Investitionsmittel zur Verfügung. Wir müssen nur schauen, dass sie auch ordentlich abgerufen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen mit einem Zitat eine schöne Sommerpause – vielleicht denken Sie über dieses Zitat einmal nach –:
Der Igel ist schneller als der Hase, weil er lieber beim Laufen als beim Denken spart.
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Also laufen Sie nicht so schnell. Schöne Sommerpause!
Vielen Dank.
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