Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Diese Aussprache hat Züge des Surrealen.
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Wir sprechen über einen Haushalt – ich kann mir schon vorstellen, warum Sie lachen –, nach dem eine Bundesregierung arbeiten soll, die eigentlich schon gescheitert ist, die zerstritten und innerlich zerfallen ist, eine Regierung, deren einzelne Bestandteile mal mit- und mal gegeneinander, vor allem aber mit sich selbst und mit dem eigenen Überleben beschäftigt sind.
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Die Dauerkrise, in der sich diese Regierung seit ihrem mühseligen Zustandekommen befindet, durchzieht auch das vorliegende Zahlenwerk. Dieser Haushalt ist ein Haushalt des Weiter-so,
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eines Weiter-so, in dem Sie, Frau Bundeskanzlerin, sich eingerichtet haben, das unser Land sich aber schon lange nicht mehr leisten kann: nicht finanziell und nicht gesellschaftlich und weder innen- noch außenpolitisch.
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Davon wollen Sie aber nichts hören. Ihre Weigerung, Fehler zu erkennen und Fehlentscheidungen zu korrigieren, ist notorisch. Die Haushaltsberatungen, die hinter uns liegen, haben das ein ums andere Mal bestätigt, Herr Kauder. Nichts ist gelöst in Deutschland. Frau Merkel, auf keine einzige der drängenden Zukunftsfragen unseres Landes haben Sie und Ihre Regierung eine Antwort.
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Die Staatsquote ist immer noch viel zu hoch. Deutschland braucht eine radikale Steuerreform, die für Verdiener den Grundbedarf aller Haushaltsmitglieder in vollem Umfang und in angemessener Höhe steuerfrei stellt.
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Sie nehmen das Geld der Bürger, das nicht zuletzt die derzeit noch aktiven und gut ausgebildeten Babyboomer reichlich erwirtschaften, freuen sich über scheinbar glänzende Haushaltszahlen, die Ihnen die fortwährende schleichende Enteignung der Bürger durch die Nullzinspolitik der EZB verschafft, und verschleudern den Wohlstand unseres Landes, als gäbe es kein Morgen.
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Steigende Staatseinnahmen sind für Sie offensichtlich kein Grund, den Bürgern das zu viel Abgenommene zurückzugeben. Lieber erfinden Sie neue Ausgabentatbestände für noch mehr Umverteilung, für noch mehr Klientelpolitik und Ideologieprojekte, für die Rettung des Euros und natürlich für die Alimentierung von Millionen von Asyleinwanderern.
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– Ja, es ist ja auch so. – Dabei würden der Wohlstand und die finanziellen Spielräume, die die Bürger und die Unternehmen trotz aller Widrigkeiten immer noch erwirtschaften, dramatisch und dringend gebraucht, zum Beispiel, um unsere Bildungssysteme auf Vordermann zu bringen und unsere Sozialsysteme zukunfts- und demografiefest zu machen.
Sie gründen eine Kommission zur Sicherung der Altersvorsorge über das Jahr 2025 hinaus,
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Sie geben Parolen von stabilen Beiträgen und Rentenniveaus aus, und die Ressourcen, die dafür benötigt würden, werfen Sie mit vollen Händen zum Fenster hinaus. Schlimmer noch, Sie sägen und hacken mit Hingabe an den Grundlagen und Wurzeln unseres bisherigen Wohlstandes herum:
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mit der unbelehrbaren Weiterverfolgung einer gescheiterten Energiewende, die außer den höchsten Strompreisen der westlichen Welt, sinkender Versorgungssicherheit und Ressourcenverschleuderung in jährlich zweistelliger Milliardenhöhe nichts gebracht hat,
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und mit einer Mobilitätswende, die in Wahrheit ein unverhohlener, von bornierten Ideologen angezettelter Krieg gegen das Automobil und die an ihm hängende Industrie und mittelständische Wirtschaft mit allen ihren Arbeitsplätzen ist.
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Dort werden nämlich die Steuergelder erwirtschaftet, die Sie so gerne und reichlich verteilen, nicht zuletzt an sich selbst; denn das Einzige, was Ihre Chaoskoalition in gut drei Monaten geräuschlos und schnell über die Bühne gebracht hat, war ja die dreiste Erhöhung der staatlichen Parteienfinanzierung für Sie selbst.
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Handwerksmeister und Industriefacharbeiter, Handel und Gewerbe schaffen Produktivität und Wohlstand – und nicht steuerfinanzierte Sozialpädagogen und Gender-Professorixe.
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Die Euro-Krise hängt noch immer wie ein Damoklesschwert über Deutschland. Die Rettung Griechenlands sei abgeschlossen, heißt es. Dabei ist die vermeintliche Abschlussregelung nur eine weitere Kreditlinie für ein hoffnungslos überschuldetes Land.
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Ist die verbraucht, kommt der Ruf nach dem nächsten Rettungspaket.
Die 229 Milliarden Euro, die Griechenland als Hilfskredite von den Euro-Staaten bekommen hat, dürften weg sein. Die Fiktion, sie würden eines Tages zurückgezahlt, ist ein billiger Bilanztrick. Und ganz ehrlich: Das wissen Sie auch.
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Uneinbringlich dürften auch die TARGET2-Forderungen der Bundesbank an andere Zentralbanken des Euro-Systems sein, die inzwischen an der Billionengrenze kratzen. Das deutsche Exportwunder wurde über unbegrenzte Blankochecks finanziert, reale Industriegüter wurden eingetauscht gegen theoretische Forderungen, und das Risiko trägt, wie immer, der deutsche Steuerzahler.
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Ich stelle die Frage: Was ist, wenn die Krise in Italien offen ausbricht, das allein für fast die Hälfte der deutschen TARGET2-Außenstände steht? Ohne an die Folgen zu denken, treiben Sie die Banken-, Haftungs- und Transferunion voran, machen Sie dem französischen Präsidenten Macron Zusagen für ein Euro-Zonenbudget, mit dem das Haushaltsrecht der nationalen Parlamente ausgehebelt werden soll,
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und all das nur, um sich in Europa den Anschein eines Rückhaltes zu erkaufen, der Ihnen im eigenen Land unter den Händen zerrinnt.
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Selten haben Regierungen in so kurzer Zeit so viele Zukunftshypotheken aufgeladen und es trotz guter Ausgangslage so fahrlässig heruntergewirtschaftet, wie die von Ihnen seit 13 Jahren angeführten Koalitionen. Das unwürdige Schauspiel, das Sie uns in den vergangenen Tagen und Wochen zugemutet haben, sprengt allerdings alles bisher Dagewesene.
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Ihre Weigerung, den Irrweg Ihrer Willkommenskultur einzugestehen und die notwendigen Maßnahmen zur Kurskorrektur wenigstens einzuleiten, hat die aktuelle Regierungskrise ausgelöst, die mit Ihrem Pyrrhussieg über Horst Seehofer noch längst nicht ausgestanden ist. Sie demontieren Ihren Innenminister, weil er damit droht, nach drei Jahren willkürlicher Außerkraftsetzung wenigstens teilweise wieder geltendes Gesetz anzuwenden.
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Um das zu verhindern, missbrauchen Sie Ihre Richtlinienkompetenz. Schauen Sie einmal ins Grundgesetz. Lassen Sie es sich von einem Verfassungsrechtler erklären: Die Richtlinienkompetenz ist nicht dazu da, Recht und Verfassung dauerhaft außer Kraft zu setzen.
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Der britische Politikwissenschaftler Anthony Glees bemerkte nach Ihrer willkürlichen, einseitigen Außerkraftsetzung geltenden Rechts im September 2015, Deutschland werde als durchgeknallter „Hippie-Staat“ wahrgenommen, der zum rationalen Handeln nicht mehr fähig sei. Die Wahrnehmung ist im Übrigen nicht besser geworden. Vom Standpunkt einer wachsenden Zahl unserer Nachbarn im Norden, Süden, Osten und Westen ist Deutschland ein Narrenhaus,
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und im Kanzleramt ist die Zentrale.
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Von dem EU-Migrationsgipfel haben Sie ein Bündel von vagen Absichtserklärungen und unverbindlichen Allgemeinplätzen mitgebracht, die Sie uns als europäische Lösung verkaufen wollen. Reihenweise aber widersprechen andere EU-Staaten Ihrer eigenwilligen Interpretation, mit der Sie sich Ihre leeren Hände schönreden wollen. Deutschland ist unter Ihrer Regierung vom Motor und Stabilitätsanker zum Chaosfaktor geworden. Das lassen Sie uns hier mal ganz klar sagen.
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Und jetzt Ihr Kompromiss mit der CSU, mit dem Sie die Schwesterpartei noch einmal auf Linie gebracht haben, während der andere Koalitionspartner schon wieder meutert. Horst Seehofer hat auf seine ursprüngliche Hauptforderung, wenigstens bereits registrierte und mit Einreiseverbot belegte Asylbewerber schon an der Grenze abzuweisen, verzichtet und darf Innenminister bleiben. Was heißt das konkret? Statt geltendes Recht durchzusetzen, trägt Seehofer, trägt die CSU die Herrschaft des Unrechts weiter mit,
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so wie vor gut zwei Jahren, als er eine Organklage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Politik der offenen Grenzen ankündigte und nie lieferte. Geliefert hat dafür jetzt die AfD-Bundestagsfraktion.
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Herr Seehofer, schade, Sie hätten Ihre Ehre wirklich retten können als der Mann, der Deutschland einen Neuanfang ermöglicht.
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Jetzt wird man sich an Sie als Agonie-Verlängerer der Ära Merkel erinnern.
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Wie lange noch, Frau Merkel, wollen Sie unsere Geduld strapazieren und dieses unwürdige Schauspiel in die Länge ziehen? Was muss eigentlich noch alles geschehen, um Sie zur Einsicht zu bringen? Wie lange wollen Sie uns noch mit Bluffs, mit Pseudoabkommen und Planankündigungen – voller Hintertüren und Seitenausgängen – hinhalten, aus denen doch nie etwas wird? Sie sind auf der ganzen Linie gescheitert. Sie haben nichts erreicht,
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außer mit allen Kniffen und Listen noch etwas länger auf dem Sessel einer Kanzlerin zu sitzen, die einer längst schon innerlich zerbrochenen Koalition vorsteht.
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Dafür spalten Sie Deutschland. Dafür spalten Sie Europa. Dafür spalten und zerlegen Sie Ihre wackelige Koalition und am Ende Ihre eigene Partei. Machen Sie also dem Trauerspiel ein Ende, und treten Sie bitte ab.
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Jetzt erteile ich das Wort der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute den Haushalt für das Jahr 2018. Ich möchte als Erstes den Abgeordneten, insbesondere den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, ein herzliches Dankeschön sagen; denn diese Arbeit fand unter hohem Zeitdruck statt. Aber es ist gut für das ganze Land, dass dieser Haushalt jetzt verabschiedet werden kann. Herzlichen Dank also dafür!
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Diese Haushaltsberatungen finden in Zeiten kontroverser, zum Teil auch sehr emotionaler gesellschaftlicher Debatten statt. Nicht umsonst haben wir uns in der Koalitionsvereinbarung vorgenommen, den Zusammenhalt unserer Gesellschaft in den Mittelpunkt zu stellen. Diese kontroversen gesellschaftlichen Debatten müssen auch geführt werden; denn es geht um unsere Zukunft, um Deutschlands Zukunft, um die Zukunft Europas. Es geht um die Zukunft Deutschlands und Europas als Agierende in der Welt.
Da die Welt im Umbruch ist, ist es auch richtig, dass wir sehr grundsätzliche Fragen debattieren. „Die Welt ist schon zu integriert, ist zu sehr miteinander verflochten, als dass irgendein Land für sich sein eigenes Schicksal gestalten kann.“ Das sagte Ludwig Erhard schon vor 55 Jahren, also fast 30 Jahre vor den Maastrichter Verträgen, als an eine Europäische Union von 28 – im Augenblick noch 28 – Mitgliedstaaten gar nicht zu denken war.
Es war ein weitblickender Satz, und heute, über fünf Jahrzehnte später, ist die Welt in noch viel tieferem Maße miteinander verflochten in Bereichen des Klimas, der Wirtschaft, der Umwelt. Menschen, Institutionen und Staaten können das Schicksal ihrer eigenen Länder nur gemeinsam mit anderen gestalten.
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Das bedeutet erstens, dass Deutschlands Zukunft eng verbunden ist mit Europas Zukunft in Schicksalsfragen, zweitens, dass Deutschlands Zukunft aufs Engste verbunden ist mit der Zukunft der globalen Ordnung in Bereichen von Wirtschaft, Handel, Sicherheit und Verteidigung und drittens, dass Deutschlands Zukunft aufs Engste verbunden ist mit der Frage, wie wir die Digitalisierung gestalten, die große technische Revolution unserer Zeit, die vieles völlig verändern wird.
Das sind drei sehr konkrete, aber eben auch grundsätzliche Fragen, und es geht um Richtungsentscheidungen in diesen Jahren. Wir müssen auf der Grundlage unserer Wertebasis, unseres Grundgesetzes, unseres Verständnisses vom Menschen die richtigen Antworten für diese neuen Zeiten finden.
Lassen Sie mich mit Europa beginnen. Europa war seit der Gründung und noch mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg ein Versprechen für Frieden und ein Versprechen für Wohlstand. Glücklicherweise hat die Europäische Union dieses Friedensversprechen bis heute einhalten können, und wir tun natürlich alles dafür, dass es auch so bleibt.
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Aber um uns herum findet dennoch eine Vielzahl von gewalttätigen Auseinandersetzungen, von Bürgerkriegen, von Kriegen statt, teilweise auch von großen regionalen Auseinandersetzungen, und das Wohlstandsversprechen gilt für viele Menschen bei uns in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Mitgliedstaaten als nicht mehr so einfach erfüllbar. Wir haben das ja im Zusammenhang mit der Euro-Krise erlebt. Deshalb haben diese Themen, über die ich eben sprach, natürlich auch die Sitzung des Europäischen Rates, auf die ich Sie ja letzte Woche vorbereitet habe, bestimmt. Da standen eben Fragen der Außenbeziehungen, der Sicherheit, der Verteidigung, der Wettbewerbsfähigkeit und des Handels, des Digitalen, der Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion und des Brexits auf der Tagesordnung. Aber im Kern haben wir uns mit der großen Herausforderung der Europäischen Union beschäftigt, die uns ja auch hier zu Hause so in Bann hält. Das ist das Thema der Migration.
Die Interessenlage in der Europäischen Union bezüglich der Fragen der Migration ist unterschiedlich. Aber – und das war der eigentliche Wert dieses Rates – wir haben uns dazu verständigt, dass es eben nicht nur die Frage für einzelne Mitgliedstaaten ist, die diese Mitgliedstaaten herausfordert, sondern dass es eine Aufgabe ist, die alle angeht. Eigentlich trivial, eigentlich selbstverständlich und dennoch Gegenstand von vielen Stunden von Diskussionen, weil natürlich jeder fragt: Was bedeutet das jetzt für mich als Mitgliedstaat, wenn ich akzeptiere, dass das eine Herausforderung für alle ist?
Weil aber nach meiner tiefen Überzeugung und nach der tiefen Überzeugung vieler anderer der Umgang mit dieser Migrationsfrage darüber entscheiden wird, ob Europa Bestand haben kann, weil es eine so bewegende Frage ist, war es wichtig, dass wir zu dieser Einigung gekommen sind. Wir brauchen jetzt natürlich Antworten, die unseren Werten entsprechen und die davon ausgehen, dass die Würde jedes einzelnen Menschen unveräußerlich ist. Wir brauchen rechtlich konsistente Antworten, die dem Völkerrecht entsprechen, dem europäischen Recht und dem nationalen Recht. Wir brauchen solidarische Antworten in Europa, und wir brauchen vor allen Dingen realistische Antworten, die Gesellschaften nicht überfordern, sondern die im Alltag für alle auch lebbar sind.
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Wir haben seit 2015 schon eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, die auch dazu geführt haben, dass zum Beispiel über die Mittelmeerrouten 95 Prozent weniger Flüchtlinge kommen als 2015.
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Wir haben beim Europäischen Rat über zwei Themen diskutiert, über das eine sehr ausführlich. Das ist das große Thema des Außengrenzenschutzes. Die österreichische Präsidentschaft mit Sebastian Kurz als Bundeskanzler hat sich genau dieses Thema als zentrales Thema vorgenommen. Wie können wir unsere Außengrenzen schützen? Da ist auf der einen Seite das Thema Frontex: besser ausgestattet, erweitertes Mandat. Die Kommission hat jetzt deutlich gemacht, dass wir bis 2020 10 000 Polizisten bei Frontex brauchen. Das ist mit Sicherheit nicht zu viel. Aber wenn wir wissen, wie gefordert unsere Polizei auch in Deutschland ist, dann können wir uns vorstellen, dass es nicht so einfach ist, 10 000 Polizisten für den Außengrenzenschutz abzustellen. Aber Deutschland wird seinen Beitrag hier leisten.
Wir haben uns mit der Situation in den Transit- und Herkunftsländern beschäftigt. Ich will hier nur an Libyen erinnern. Die europäische Mission Sophia, die eine Rettungsmission ist, hat jetzt sehr viel mehr Kraft darauf verwendet, die libysche Küstenwache aufzubauen und zu trainieren. Hier war einer der wichtigen Punkte, den wir noch einmal deutlich gemacht haben: Wenn es jetzt eine libysche Küstenwache gibt, die immer besser agieren kann, dann muss das internationale Recht auch eingehalten werden von allen, die dort im Seegebiet operieren.
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Das gilt auch für die Nichtregierungsorganisationen. Das war gerade dem maltesischen Premierminister und dem italienischen sehr wichtig.
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Wir haben über das EU-Türkei-Abkommen gesprochen und haben endlich die 3 Milliarden Euro als zweite Tranche, die nicht der Türkei zugutekommen, sondern den 3,9 Millionen Flüchtlingen, die die Türkei beherbergt, verabschiedet. Wir haben viel zu kritisieren an der Türkei. Aber das, was die Türkei für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge leistet, ist ein Riesenbeitrag, und das verdient die Anerkennung aller.
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Wir haben dann 500 Millionen Euro in den EU-Afrika-Trust-Fund gegeben, weil natürlich ein Land wie Italien sagt: Okay, die eine Route über die Türkei ist wichtig. Aber aus der Perspektive Italiens ist vor allem die Entwicklung Nordafrikas wichtig. – Deshalb war das auch ein sehr sinnvoller Beitrag. Wir haben dann sehr lange über das Wortungetüm von regionalen Ausschiffungsplattformen – man möchte das gar nicht in den Mund nehmen – gesprochen. Worum geht es? Es geht eigentlich um die Frage: Kann man mit afrikanischen Ländern Vereinbarungen darüber treffen, dass Flüchtlinge sich nicht erst auf den Weg durch die Sahara machen, dass Flüchtlinge nicht erst in eine menschliche Lage kommen, die völlig inakzeptabel ist, sodass es dann schwierig ist, in Libyen mit dem UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration
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überhaupt zusammenzuarbeiten? Wir haben über dieses Thema sehr intensiv diskutiert. Ich habe deutlich gemacht: Das alles wird nur gehen, wenn wir nicht über die Köpfe anderer Länder in Afrika hinweg sprechen, sondern wenn wir mit den Ländern sprechen. Deshalb brauchen wir einen neuen Pakt mit Afrika. Deshalb ist das Thema von Gerd Müller als Entwicklungsminister – Marshallplan für Afrika – wichtig.
Sie werden vielleicht gelesen haben: Bei der letzten Tagung hat die Afrikanische Union zum ersten Mal ein Migrationskonzept aus der Perspektive Afrikas entwickelt. Sie wird eine Koordinierungsstelle für Migrationsfragen in Marokko einrichten. Die kann Ansprechpartner für die Europäische Union sein. So muss die partnerschaftliche Zusammenarbeit auch sein. Denn wir dürfen nicht vergessen: Die Migrationsfrage ist für uns wichtig. Aber 85 Prozent – oder mehr – aller Migranten auf der Welt sind nicht in Europa, sondern woanders und leben zum Teil in bitterarmen Verhältnissen. Das heißt, Migration ist mitnichten ein europäisches Problem allein. Es ist ein globales Problem, und es erfordert eine globale Antwort.
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Wir haben natürlich auch über Rückkehrmechanismen für Menschen gesprochen, die keine Anerkennung hier in Europa finden; die Afrikanische Union ihrerseits hat darüber gesprochen, dass es dann auch legale Möglichkeiten für Studienplätze, für Arbeitsplätze geben muss. Und in dem Zusammenhang ist aus unserer Sicht natürlich auch wieder ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz wichtig.
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Wo sind unsere Interessen, und wie können wir daraus Win-win-Situationen auch im Verhältnis zu Herkunftsländern mit heute illegaler Migration machen, meine Damen und Herren?
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Anders, wenn wir nicht solche Mechanismen finden, werden wir die Schlepper und Schleuser nicht bekämpfen können.
Wir haben dann über das Thema der sogenannten Sekundärmigration gesprochen, das heißt also der Wanderungsbewegungen innerhalb der Europäischen Union. Wir sind uns alle bewusst, dass die Vorteile von Schengen, nämlich die Freizügigkeit innerhalb des Schengen-Raums, in Gefahr geraten kann, wenn wir dieses Thema nicht wirklich bearbeiten. Deshalb ist die Aussage – um die Freizügigkeit zu erhalten, die Vorteile des Schengen-Raums zu erhalten –, dass Mitgliedstaaten interne Maßnahmen ergreifen müssen und sollen, aber eben auch partnerschaftlich zusammenarbeiten sollen. Genau auf dieser Grundlage habe ich meine Gespräche geführt: dass nicht einseitige Maßnahmen, nicht unabgestimmte Maßnahmen, nicht Maßnahmen zulasten Dritter stattfinden, sondern dass wir „partnerschaftlich“, wie es im Beschluss heißt, zusammenarbeiten.
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Beim Thema Sekundärmigration sind wir uns, glaube ich, alle einig, dass Flüchtlinge sich nicht einfach aussuchen können, in welchem europäischen Land sie ein Asylverfahren durchlaufen. Auf der anderen Seite wissen wir – da wir noch keine solidarischen Verteilungsmechanismen haben –, dass es schwierig ist und dass wir auch die Außengrenzenstaaten natürlich immer wieder entlasten müssen. Aber es kann nicht sein, dass die Flüchtlinge bestimmen, wo der Asylantrag bearbeitet wird.
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Auf dieser Grundlage habe ich mit Griechenland Gespräche geführt, dass sozusagen im grenznahen Bereich, wenn man davon ausgeht, dass noch gar keine Einreise stattgefunden hat – das kennen wir ja auch aus dem Flughafenbereich –, Flüchtlinge direkt wieder nach Griechenland zurückgeführt werden und dort das Asylverfahren bearbeitet wird. Im Gegenzug hat Griechenland darauf hingewiesen, dass eine Vielzahl von Flüchtlingen in Griechenland ist, die Anrechte auf Familiennachzug hat und dass wir auch dies Schritt für Schritt abarbeiten. Da wir jetzt ja beschlossen haben, beim subsidiären Familiennachzug pro Monat 1 000 Menschen aufzunehmen, können wir genau in diesem Bereich auch handeln.
Meine Damen und Herren, wir haben dann vereinbart – jetzt in den letzten Tagen –, dass wir ähnliche Abmachungen, Verwaltungsvereinbarungen, auch mit anderen Herkunftsländern treffen. Der Bundesinnenminister, Horst Seehofer, wird dazu jetzt die Gespräche führen, und ich werde das natürlich auch weitermachen.
Wir haben dann eine zweite Gruppe von Fragen. Das sind all die Bereiche in Deutschland, in denen keine permanenten Grenzkontrollen durchgeführt werden. Grenzkontrollen werden ja nur an der deutsch-österreichischen Grenze durchgeführt. Hier haben wir die Situation, dass die Dublin-Rücküberstellungsverfahren – das heißt, wenn Deutschland nicht zuständig ist für das Asylverfahren – sehr lange dauern und sehr ineffizient sind. Genau darüber habe ich mit etlichen Ländern gesprochen, weil selbst in unseren Nachbarländern, also gar nicht in den Hauptherkunftsländern, die Erfolgsquote von solchen Rücküberstellungen bei 15 Prozent liegt. Damit kann man sich nicht abfinden, und das wollen wir beschleunigen. Darüber haben wir auch gestern in der Koalition gesprochen, und das ist richtig. Es muss mehr Ordnung in alle Arten der Migration kommen, damit Menschen den Eindruck haben: Recht und Ordnung werden durchgesetzt. Das sind unser Auftrag und unser Anliegen.
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Meine Damen und Herren, deshalb können wir sagen: Wir haben im Bereich der Migration schon etliches geschafft. Der Bundesinnenminister wird seinen Masterplan vorstellen, wodurch in allen Bereichen noch einmal geguckt wird: Wo müssen wir effizienter werden? Wo müssen wir besser werden? Wo müssen wir schneller werden? – Wir werden natürlich auch das Thema der Integration für diejenigen, die Bleibeperspektiven haben, weiter in den Mittelpunkt stellen. Hier zeigt der Haushalt, dass der Bund Verantwortung übernimmt, weiter die Frage der Integration als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sieht. Diese gesamtgesellschaftliche oder gesamtstaatliche Aufgabe spiegelt sich auch im Haushalt wider; denn der Bund beteiligt sich erheblich an den Integrationskosten. Die Verhandlungen für die nächsten Jahre wird der Bundesfinanzminister im Sommer noch weiterführen. Das wird nicht ganz einfach; aber natürlich wollen wir auch da unseren Anteil leisten.
Meine Damen und Herren, wir haben insofern eine wirklich drängende Aufgabe vor uns, an der wir auch intensiv weiterarbeiten werden, über die es kontroverse Debatten auch in Zukunft geben wird, die uns bewegen, die uns wirklich auch fordern. Aber ich glaube, es ist richtig, sich mit dieser Frage intensiv zu beschäftigen und unser Wertegerüst hier auf diese neue Aufgabe auszurichten und außen- und innenpolitisch vernünftig zu handeln.
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Der zweite Bereich – neben Europa – ist die globale Ordnung. Ich will, bei allen Problemen, die wir weltweit haben, noch mal darauf hinweisen, dass wir in den letzten Jahrzehnten auch vieles erreicht haben:
1981 lebten noch 42 Prozent der Weltbevölkerung in absoluter Armut, also mit einem Einkommen von weniger als 2 Dollar pro Tag. Heute sind es 10 Prozent der Weltbevölkerung – bei viel mehr Menschen, aber 10 Prozent der Weltbevölkerung.
Der Anteil der Analphabeten in den 50er-Jahren war 64 Prozent der Weltbevölkerung; heute sind es weniger als 14 Prozent.
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Der Anteil der weltweiten Militärausgaben war 1960 noch bei 6 Prozent des Welt-Bruttoinlandsprodukts; heute ist er bei 2,2 Prozent weltweit.
Es gibt Krankheiten wie zum Beispiel die Pocken, die völlig ausgerottet sind.
Das heißt, wir sollten nicht immer so tun, als ob alle Probleme unlösbar sind, sondern wir sollten zeigen, dass wir mithilfe von Entwicklungshilfe, internationalem Einsatz vieles auch gelöst haben. Und wir sind natürlich nicht am Ende.
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Das sollte uns Mut machen, auch die Entwicklungsziele für 2030 jetzt umzusetzen und einfach weiterzuarbeiten für eine bessere Welt.
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Aber zurzeit gerät etwas ins Wanken, was wir als fast unveränderlich gesehen haben, nämlich die Rolle multilateraler Organisationen. Wir haben jetzt die Zölle auf Aluminium und Stahl, und wir haben eine Diskussion, die weitaus schwerwiegender ist: Sollen – mit Blick auf die Importe in die USA – auch noch Zölle auf Autos erhoben werden? Meine Damen und Herren, das hat dann schon Züge eines Handelskonflikts – ich will jetzt mal noch nicht weitere Worte sagen –, und es lohnt sich alle Mühe, diesen Konflikt, damit er nicht zu einem wirklichen Krieg wird, zu entschärfen zu versuchen. Aber dazu gehören natürlich zwei Seiten.
Jean-Claude Juncker wird jetzt in die Vereinigten Staaten von Amerika fahren. Jean-Claude Juncker wird Vorschläge unterbreiten: Was können wir tun? Aber ich hoffe, dass wir das vermeiden können; denn das gute Funktionieren der Weltwirtschaft hängt davon ab, dass wir partnerschaftlich auch hier miteinander zusammenarbeiten. Die internationale Finanzkrise, die dazu geführt hat, dass wir jetzt immer im Format der G 20 tagen, wäre niemals so schnell behoben worden – es war trotzdem noch schmerzhaft –, wenn wir nicht international und kameradschaftlich und multilateral zusammengearbeitet hätten, und dies muss auch weiter geschehen. Deutschland wird sich jedenfalls dafür einsetzen – und die gesamte Europäische Union.
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Deshalb müssen wir unsere Verpflichtungen aus dem Klimaabkommen erfüllen. Deshalb werden wir uns für eine Stärkung der Welthandelsorganisation einsetzen. Deshalb werden wir in den Formaten G 7 und G 20 weiter intensiv miteinander zusammenarbeiten, und deshalb setzen wir natürlich auch auf Bündnisse wie zum Beispiel die NATO. Nächste Woche findet der NATO-Gipfel in Brüssel statt, und es gibt kritische Anmerkungen, gerade der Vereinigten Staaten von Amerika, dass Deutschland nicht genug im Verteidigungsbereich ausgibt. Ich bin sehr dankbar, dass wir im Haushalt Steigerungen unseres Verteidigungsetats haben – genauso wie wir Steigerungen des Entwicklungsetats haben. Aber gemessen an dem, was andere bezogen auf ihr Bruttoinlandsprodukt tun, ist das längst nicht ausreichend, und deshalb haben wir uns auch verpflichtet, bis 2024 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts dafür auszugeben.
Ich habe über die Effizienzverbesserungen innerhalb der europäischen Zusammenarbeit hier gesprochen; ich will das nicht wiederholen. Ich will nur noch einmal deutlich machen: Deutschland ist ein verlässlicher Partner in der NATO – wir sind der zweitgrößte Truppensteller; wir sind an vielen Missionen beteiligt –, und Deutschland wird auch ein verlässlicher Partner der NATO bleiben, meine Damen und Herren.
Man kann auch nicht so tun, als wenn das Thema Verteidigung nicht ein drängendes in unserer heutigen Zeit ist. Wir alle haben uns gewünscht, dass nach dem Ende des Kalten Krieges die Welt friedlicher wird. Aber vor unserer Haustür toben die Kriege: der Bürgerkrieg in Syrien, der IS im Irak, der Gott sei Dank einigermaßen besiegt ist, aber uns immer noch in Atem halten wird.
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Die Situation in Afghanistan ist nicht befriedet. Die Krim ist annektiert. In der Ostukraine haben wir eine schwierige Situation. Sich nicht auf Bündnisverteidigung vorzubereiten, wäre fahrlässig, meine Damen und Herren, und deshalb sind wir das schuldig und müssen wir hier weiterarbeiten.
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Es gibt die dritte große Herausforderung, die uns umtreibt und die uns in der Bundesregierung in vielen Facetten beschäftigt: Das ist die Digitalisierung. Sie verändert unsere Art zu leben, sie verändert unsere Art zu arbeiten. Die neue Bundesregierung hat strukturell auf diese Frage geantwortet: Wir hatten jetzt die erste Sitzung unseres Digitalkabinetts. Wir haben eine Staatsministerin für Digitalisierung. Wir haben die Strukturen so angepasst, dass wir intensiv in den Fragen zusammenarbeiten.
Wir werden vor allen Dingen nicht nur auf die technischen Entwicklungen Wert legen; die sind wichtig, Stichwort: Infrastrukturausbau. Der Bundesverkehrsminister hat hier ein Riesenaufgabenpaket: Förderung des Glasfaserausbaus, Versteigerung von Frequenzen, 5G ausrollen, und zwar nicht nur in den Städten, sondern auch in den ländlichen Regionen. Das ist Daseinsvorsorge für die Menschen in unserem Land.
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Bis 2025 wollen wir, dass das für jeden erreichbar und zu erhalten ist.
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Das ist Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt von gleichwertigen Lebensverhältnissen sprechen können.
Meine Damen und Herren, es geht dann aber auch um Datenschutz und den Umgang mit Daten, um Datenbewertung. Deshalb messe ich der Arbeit der Datenethikkommission eine sehr große Bedeutung bei.
Es geht um neue Technologien. Hier erarbeiten wir jetzt eine Strategie zur künstlichen Intelligenz. Wir drohen, da zurückzufallen – nicht, weil wir nicht die besten Fachleute haben. Wir haben dazu eine Anhörung gemacht; Deutschland hat herausragende Köpfe. Aber wir müssen das einbinden in eine Gesamtstrategie, von der Forschung bis hin zur Anwendung, damit uns nicht das passiert, was uns früher passiert ist: Wir haben den MP3-Player erfunden, aber niemals vermarktet. Jetzt muss es lauten: von der Forschung hin zur Anwendung in der Wirtschaft – gerade mit Blick auf unsere Stärke, nämlich die Industrie, das Internet der Dinge, Industrie 4.0. Das ist eine Prägung aus Deutschland, und die muss jetzt mit der Entwicklung der künstlichen Intelligenz zusammengebracht werden – eine ganz wichtige Aufgabe für die nächsten Jahre, meine Damen und Herren.
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Aber damit nicht genug, sondern wir werden uns natürlich anschauen – der Bundesgesundheitsminister tut das beispielsweise –: Wie kann die Digitalisierung Einzug halten? Die Landwirtschaftspolitik und die gesamte Landwirtschaft werden sich in der digitalen Welt völlig anders aufstellen. Das führt zu viel besserem und effizienterem Einsatz zum Beispiel von Düngemitteln, zu besseren Möglichkeiten der Tierzucht. Es ist überhaupt noch nicht absehbar, welche neuen Bereiche wir da haben.
Trotzdem ist die Digitalisierung auch ein Gebiet, das Menschen Sorge macht, das Menschen Angst macht, weil damit natürlich völlige Veränderungen der Arbeitswelt verbunden sind. Der Bundesarbeitsminister wird sich zusammen mit der Bildungsministerin genau mit diesem Thema beschäftigen – Stichworte: Berufsbildungspakt, Nationale Weiterbildungsstrategie, Recht auf Weiterbildungsberatung, alles Dinge, die notwendig sind, damit Menschen diesen digitalen Wandel auch wirklich durchstehen können.
Und wir werden die Fragen der Besteuerung völlig neu zu besprechen haben. Deutschland setzt hier nicht auf eine schnelle Interimslösung. Aber dass es nicht sein kann, dass große Internetkonzerne in Deutschland keine Steuern zahlen, sehen wir ja auch ein. Deshalb hoffen wir, dass die OECD ihre Arbeiten schnell umsetzen kann.
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Meine Damen und Herren, wenn es um Handelsbilanzen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika geht, dann ist festzustellen, dass diese Handelsbilanzen, wenn sie einen großen Handelsüberschuss von Europa zeigen, immer zur Basis haben, dass es nur um den Austausch von Waren geht; darin sind Dienstleistungen überhaupt nicht enthalten. Wenn Sie die Dienstleistungen inklusive der digitalen Dienstleistungen hinzunehmen, dann haben Sie eine völlig andere Handelsbilanz, bei der es eher einen Überschuss der Vereinigten Staaten von Amerika gegenüber Europa gibt als umgekehrt. Das muss man auch einmal sagen.
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Es ist sozusagen fast altmodisch, nur die Waren zu rechnen und nicht die Dienstleistungen mit hineinzunehmen.
Meine Damen und Herren, wir sind jetzt etwas mehr als 100 Tage als Regierung im Amt. Wir haben vieles bereits vorangebracht.
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Nicht nur, dass wir jetzt einen Haushalt für das Jahr 2018 haben. Wir haben Arbeitslosenzahlen, die uns wirklich hoffnungsvoll stimmen, die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der deutschen Einheit – im Juni 5 Prozent, meine Damen und Herren –,
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viele Regionen haben Vollbeschäftigung. Nicht nur, dass viele Menschen Arbeit haben, sondern – das ist ja das eigentlich Wichtige – es hat in den letzten Jahren auch zu besseren Lohnentwicklungen geführt. Diese Lohnentwicklungen zeigen sich jetzt auch in der Steigerung des Mindestlohns. Das heißt, wir konnten jetzt wieder sagen: Der Mindestlohn wird angehoben. Das sagt im Übrigen eine Kommission, die sehr reibungsfrei und reibungslos arbeitet.
Den 21 Millionen Rentnerinnen und Rentnern können wir sagen: Die Renten steigen zum achten Mal hintereinander sehr deutlich. Das ist ein Riesenbeitrag dazu, dass gerade ältere Menschen besser leben können; denn bei den geringen Inflationsraten ist das ein Mehr an Geld im Portemonnaie.
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Wir haben beschlossen, dass wir die Bürgerinnen und Bürger durch einen höheren Grundfreibetrag für Erwachsene und den Abbau der kalten Progression als Korrektur am Einkommensteuertarif entlasten.
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Wir entlasten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, indem wir zurückkehren zur paritätischen Beitragsfinanzierung.
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Wir stärken Familien durch ein höheres Kindergeld und die Anpassung des steuerlichen Freibetrages für Kinder. Wir haben das Baukindergeld beschlossen. Wir haben steuerliche Anreize für den Wohnungsbau beschlossen. Wir tun mehr für den sozialen Wohnungsbau. Immer wieder ist hier gesagt worden: Wohnen ist die zentrale Herausforderung. – Hier hat die Bundesregierung bereits gehandelt. Ich danke allen dafür, die das auf den Weg gebracht haben.
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Wir haben mit Blick auf den Strukturwandel in den Braunkohlegebieten eine Kommission eingesetzt, die mit dem Arbeiten begonnen hat und die nicht als Erstes fragt: „Wann steigen wir aus der Braunkohle aus?“, sondern die als Erstes fragt: „Wie können wir Menschen Perspektiven und Zukunft geben?“, und genau das ist die richtige Frage. Ich glaube, diese Kommission wird gute Antworten finden.
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Wir haben einen Haushalt, mit dem wir keine neuen Schulden machen und der ein Riesenschritt dahin ist, damit wir wieder alle Maastricht-Kriterien erfüllen. Das ist ein Beitrag für die zukünftigen Generationen, meine Damen und Herren.
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Wir haben im Übrigen sogar eines der schwierigsten Themen, nämlich Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit, auf den Weg gebracht.
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Das hat uns lange beschäftigt; jetzt ist es auf den Weg gebracht.
Also: Diese Bundesregierung arbeitet. Sie ist sich bewusst, dass sie viel zu tun hat. Sie wird die gesellschaftlichen Fragen so versuchen zu lösen, dass es zu einem besseren Zusammenhalt in der Gesellschaft kommt.
Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung dabei.
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Jetzt hat das Wort der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Christian Lindner.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Herbst 2015 wissen wir von den Softwaremanipulationen bei deutschen Diesel-Pkws. Und seit dieser Zeit sind Millionen Fahrzeughalter im Unklaren, ob sie mit ihrem Auto noch in Innenstädte fahren können. Jetzt schreiben wir Juli 2018, und diese Unsicherheit ist noch nicht bereinigt. Wo ist die Mobilitätsgarantie für Millionen Menschen, die auf den Diesel angewiesen sind?
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Seit Herbst 2015 sind die Baukosten für Mehrfamilienhäuser um 9 Prozent gestiegen. Seit Jahr und Tag liegen die Ergebnisse der Baukostenkommission auf dem Tisch, wo es darum geht, die Erstellungskosten zu reduzieren. Sie diskutieren über die Mietpreisbremse. – Wo sind die Initiativen für die Schaffung bezahlbaren Wohnraums durch Setzung von verhältnismäßigen Standards?
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Seit Herbst 2015, spätestens, warnen die Wirtschaftsweisen davor, dass wir durch diese Energiepolitik weder unsere Klimaziele erreichen noch die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes auf Dauer erhalten können. Sie stellen mit Ihrer Kohlekommission, die Sie gerade genannt haben, Frau Bundeskanzlerin, die Frage, wie man sozialverträglich möglichst schnell auf mehr Braunkohle-Kraftwerksblöcke verzichten kann.
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Diese Frage ist eigentlich geklärt durch den europäischen CO 2 -Zertifikatehandel. Sie müssten die Frage stellen: Wie kommen wir wieder zu einem marktwirtschaftlichen System der Energieerzeugung, das Arbeitsplätze in Deutschland sicher macht?
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Aber wenn ich es richtig sehe, dann gibt es im Haus von Peter Altmaier noch nicht einmal einen zuständigen Staatssekretär für diese Frage.
Seit 2015 wird über die Digitalisierung der Bildung gesprochen. Die Menschen sehen im Alltag, in welchem Zustand die Schulen sind. Da geht es nicht nur um Smartboards an den Wänden und Tablets, nicht nur um digitale Bildung, sondern auch um den Zustand der Toiletten. Seit 2015 wird darüber gesprochen; 2016 wurde der Digitalpakt vorgestellt. Jetzt, in diesem Bundeshaushalt, sind noch nicht einmal die Mittel dafür etatisiert, weil Sie darauf warten, dass Sie dafür Erlöse aus der Versteigerung neuer Mobilfunklizenzen bekommen.
Deshalb, Frau Bundeskanzlerin: Sie haben über vieles gesprochen; es gibt aber nicht nur die Weltbühne, und es gibt nicht nur die Ränder der Gesellschaft, sondern es gibt auch Millionen Menschen in der Mitte dieser Gesellschaft, die von ihrer Regierungschefin Antworten auf Alltagsprobleme erwarten.
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Davon haben wir nichts gehört. Wir haben davon nichts gehört, weil Ihre Regierung seit dem Herbst 2015 insbesondere mit Fragen der Flüchtlingspolitik und mit Asylfragen beschäftigt ist. Das überlagert alles – auch Ihre Rede heute. Die politische Debatte der letzten Tage hat noch einmal einen Eindruck davon gegeben. Seit Herbst 2015 beschäftigt sich Ihre Regierung, beschäftigen Sie selbst sich hauptsächlich damit, ohne dass das Problem nachvollziehbar befriedigend gelöst wäre. Wir haben mal gesagt: Besser nicht regieren, als falsch. – Wir haben uns nicht vorstellen können, dass beides gleichzeitig geht.
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Die wirtschaftliche Entwicklung haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, gewürdigt. Sie haben unerwähnt gelassen, dass wir seit 2008 den vierten Auftragsrückgang in Folge zu verzeichnen haben; das ist einmalig seit 2008. Die Wachstumsprognosen werden zurückgenommen. Wir haben neue wirtschaftliche Risiken, beispielsweise durch die Handelskonflikte auf der Welt. Diese haben Sie angesprochen.
Deshalb wäre es jetzt dringend nötig, dass dieses Land seine Wohlstandsstagnation überwindet und wieder darangeht, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wir auch im nächsten Jahrzehnt eine gute wirtschaftliche Entwicklung haben.
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Davon haben wir nichts gehört.
Was Sie getan haben, Frau Merkel, war, neuen Bürokratismus, den Herr Heil in den Koalitionsvertrag gebracht hat, nämlich die Brückenteilzeit, zu loben. Die einzige konkrete wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Maßnahme, die Sie gelobt haben, ist mehr Bürokratismus. Ich kann Ihnen sagen: Wir wünschen uns von Ihrer Regierung weniger Bürokratismus und mehr Initiativen für den weltweiten Freihandel. Das wäre im Interesse der deutschen Wirtschaft.
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Um zum Haushalt zu kommen: Die Einnahmen des Staates werden in den nächsten Jahren um sage und schreibe 165,9 Milliarden Euro steigen.
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Und dennoch ist keine nennenswerte Entlastung und ist eine sinkende Investitionsquote in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen – und das bei dieser Entwicklung der öffentlichen Einnahmen. Der Publizist Gabor Steingart hat einmal geschrieben:
Der Steuerregen ist der einzige Niederschlag, der bereits verdunstet ist, bevor er den Boden erreicht hat.
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Das hängt mit Ihrer Art, Politik zu machen, zusammen.
Die Kaufprämie für Elektroautos erweist sich als unwirksam. Antwort der Großen Koalition: Dann wird sie verlängert. – Die eigentliche Antwort müsste sein: Abschaffen!
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Das Baukindergeld wird teurer als erwartet. Lösung der Großen Koalition: Dann bekommt die SPD eben auch noch 500 Millionen Euro zusätzlich, um die Zustimmung einzukaufen.
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– Für den sozialen Wohnungsbau.
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– Entschuldigen Sie mal bitte! Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist doch wirklich ein sachwidriges Koppelgeschäft; denn Ihnen fiel erst ein, mehr für sozialen Wohnungsbau zu fordern, als die CSU mehr Geld für ihr Baukindergeld brauchte.
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Zur Rentenkommission. Wie großartig: Sie richten eine Rentenkommission ein, sicherheitshalber beschließen Sie aber vorher die Mütterrente etc., wodurch der Zuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung aus dem Bundeshaushalt von 91 Milliarden Euro auf 103 Milliarden Euro im Jahr steigen wird. Wozu brauchen Sie eine Rentenkommission, wenn die Ergebnisse bereits vorher feststehen? Diese Rentenpolitik kann nicht fortgesetzt werden. Wir brauchen mehr Flexibilität und private Vorsorge.
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Nebenbei gesagt, Frau Kollegin Weidel: Dass ausgerechnet Sie die Rentenpolitik der Großen Koalition kritisieren, war für mich eine Überraschung.
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Denn Ihre Partei hat es ja entweder aus Raffinesse oder aus Faulheit bisher vermieden,
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ein eigenes rentenpolitisches Konzept vorzulegen. Sie sollten andere erst dann kritisieren,
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wenn Sie den Mut haben, sich zu entscheiden, in welche Richtung Sie die Rentenpolitik weiterentwickeln wollen. Vorher macht das keinen Sinn, anderen Zensuren zu erteilen.
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In diesem Bundeshaushalt erkennen wir keine Schwerpunktsetzung und keine Ideen. Ich glaube, Michelangelo wird folgender Satz zugeschrieben. Auf die Frage, wie er denn diese großartigen Statuen schaffen kann, wie diese Skulpturen zustande kommen, hat er gesagt: Ich habe einfach das Überflüssige weggelassen.
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Aus dem groben Klotz wird durch das Weglassen des Überflüssigen ein Kunstwerk.
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Das, was Olaf Scholz vorgelegt hat, ist ein unbeschlagener Block ohne Ideen und ohne Gestaltung.
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Es sagt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein solcher Haushalt ja auch etwas über politisches Grundverständnis aus und über das Verhältnis von Bürger und Staat. Die SPD hat im Wahlkampf versprochen, den Mittelstandsbauch abzuschaffen. Sie haben versprochen, dafür unter anderem den Spitzensteuersatz von 54 000 Euro auf 60 000 Euro zu erhöhen,
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und Sie haben prüfen wollen, ob der Grundfreibetrag über den im jährlichen Existenzminimumbericht prognostizierten Wert hinaus angehoben werden muss. Die Union hat versprochen, den Mittelstandsbauch zu dämpfen. Sie haben versprochen, dass der Spitzensteuersatz nicht bei 54 000 Euro, sondern erst bei 60 000 Euro greifen soll – deckungsgleich mit der SPD –, und Sie wollten den Kinderfreibetrag auf das Niveau des Freibetrags für Erwachsene anheben. Bei diesen Fragen gab es in den Wahlprogrammen von Union und SPD Übereinkunft.
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Warum finden wir das nicht in der mittelfristigen Finanzplanung von Olaf Scholz?
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Alle drei Koalitionspartner – darauf kommt es in diesen Tagen ja an – reden, alle drei handeln nicht. Wenn Sie in Zeiten von Rekordeinnahmen nicht einmal in der Lage sind, Ihre Wahlversprechen zu halten, dann ist das nicht nur ökonomisch unklug, sondern es ist ein Anschlag auf die Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt.
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– Herr Kauder, wenn Sie mir mit so einem Johlen kommen, dann kann ich das Ganze noch verschärfen. – Wofür haben Sie denn Geld? Für 209 Stellen in den Bundesministerien, davon 104 bei Horst Seehofer in einer Abteilung „Heimatbezogene Innenpolitik“, von der der Bundesrechnungshof sagt, sie wisse nicht, was sie tun soll, und dass der Stellenaufwuchs nicht etatreif begründet sei. Wofür haben Sie denn Geld? 6,6 Millionen Euro zusätzlich für die Bundestagsfraktionen. Wofür haben Sie denn Geld? 25 Millionen Euro für die Parteienfinanzierung. Wofür haben Sie denn Geld? 20 Millionen Euro für die politischen Stiftungen. Ich will das alles gar nicht diffamieren
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– warten Sie ab –, aber solange und soweit Sie keine Bereitschaft haben, die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten, ist es ein Beleg mangelnder Sensibilität, wenn die Politik sich selbst bedient.
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Herr Grosse-Brömer sagt gerade – falls der Zuruf nicht im Protokoll ist –: „Sie hätten ja alles besser machen können, wenn Sie den Mut gehabt hätten!“
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– „Das war ein kluger Satz!“ Ja, Herr Schneider, passen Sie mal auf. – Wir erleben doch gerade Folgendes – ich komme gleich in der Sache noch mal darauf zurück –:
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Das, was den Asylkompromiss von CDU und CSU ausmacht, ist ein Bruch des Koalitionsvertrages.
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Es entspricht nicht dem Koalitionsvertrag, was da steht.
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Transitzonen hat die SPD vorher abgelehnt. Ich weiß jetzt, warum CDU und CSU in der Agrarpolitik, in der Klimapolitik, in der Steuerpolitik, in der Europapolitik, in der Einwanderungspolitik den Grünen bei Jamaika jeden Wunsch von den Lippen ablesen konnten:
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weil sie gar nicht die Bereitschaft hatten, das einzulösen, wie man jetzt im Verhältnis zur SPD sieht.
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Das kann man doch jetzt sehen.
Ich wollte darauf gar nicht im Einzelnen eingehen, aber: Sie einigen sich zwischen CDU und CSU zulasten der SPD.
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Die SPD kann sich jetzt entscheiden: Wollen wir die Regierungskrise verlängern, oder holen wir als Sozialdemokraten für die Union die Kastanien aus dem Feuer?
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Wenn bei der Wahl in Hessen und bei der Wahl in Bayern die SPD ein Fiasko an der Wahlurne erlebt, dann werden die eigenen Parteilinken sagen: Der Kotau vor der Union hat uns diesen Scherbenhaufen eingebracht. – Sie spielen also mit der Stabilität der Regierung; Sie verschieben die Regierungskrise nur.
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Das ist kein fairer Umgang von Koalitionspartnern miteinander. Sie grienen und grinsen darüber. Sie wissen aber selbst genau: Das ist kein fairer Umgang mit der SPD.
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Es ist kein fairer Umgang, stimmt’s? Wir sprechen uns, Kolleginnen und Kollegen, nach den Wahlen in Hessen und Bayern wieder und sehen dann ja, wie die Debatte innerhalb der SPD aussieht.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben über den Europäischen Rat gesprochen. Dafür bin ich dankbar.
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Kolleginnen und Kollegen!
Also, Herr Schäuble, ich genieße die Lebhaftigkeit hier im Parlament.
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Ich weiß schon. – Herr Kollege Lindner, jeder Redner hat die gleichen Rechte. Sie haben also auch das Recht, dass Ihnen der Bundestag zuhört.
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Der Europäische Rat wurde von Frau Bundeskanzlerin angesprochen; er ist eine Woche her. Wir erinnern uns: Der Europäische Rat kam ursprünglich zusammen, um über die Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion zu sprechen.
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Für den Juni 2018 wurden ja wegweisende Vorschläge angekündigt. Nun hat es eine Übereinkunft zwischen Deutschland und Frankreich bzw. zwischen Frau Bundeskanzlerin und dem französischen Präsidenten gegeben. Das ist im Koalitionsvertrag und auch in mehreren Regierungserklärungen hier als ein Beitrag dargelegt worden, Europa zusammenzuführen. Ein Beitrag für wirtschaftliche Konvergenz sollte erbracht werden. Das Ergebnis ist: keins. In der letzten Woche hat man sich nicht verständigen können, weil zwei Drittel der Mitglieder des Ecofin insbesondere gegen die Vorschläge von Deutschland und Frankreich sind. Die Vergemeinschaftung von Risiken, von Schulden und Finanzen hat Europa nicht zusammengebracht, sondern hat Europa gespalten,
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weil es eben doch noch Anhänger von Stabilitätspolitik gibt.
Frau Nahles, Sie haben in der vergangenen Woche hier an diesem Pult gestanden und gewettert. Sie haben gesagt, wir müssten in der europäischen Finanzpolitik dazu kommen, dass insbesondere marode private Banken nicht mehr auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abgewickelt werden. Was genau ist eigentlich beim Europäischen Rat als einziger Punkt hinsichtlich der Wirtschafts- und Währungsunion beschlossen worden? Der Common Backstop – oder, um es mal vom Jargon der EU zu entkleiden, dass die letzte Instanz der Haftung für die Abwicklung privater Banken die europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sind.
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Das Einzige, was beschlossen worden ist, ist das Gegenteil von dem, was Sie hier am Pult gefordert haben. Wissen Sie: Es ist ein Problem, wenn Worte und Taten zeitlich so nah zusammenfallen und inhaltlich so weit auseinanderliegen.
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Das zweite Thema, das auf der Tagesordnung stand – Frau Merkel hat es hier angesprochen –, war die Migrationspolitik. Sie haben die Gipfelergebnisse hier geschildert, aber sie sind wirkungslos, wie Ihre Schwesterpartei CSU dargelegt hat.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Wir als Freie Demokraten unterstützen ein europäisches Asylsystem. Wir wollen ein Europa ohne Grenzen, ohne Schlagbäume. Voraussetzungen sind eine wirksame Kontrolle der Außengrenzen und ein fairer Mechanismus der Verteilung von Flüchtlingen im Inneren, auch eine Ordnung für die sogenannte Sekundärmigration. Ich bin mir bei der CSU nicht ganz sicher, ob sie ähnliche Ziele hat. Die Nähe zu Herrn Orban bei den Klausurtagungen der CSU könnte auch andere Gedanken nahelegen.
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Aber im Weg eben, Frau Bundeskanzlerin, unterscheiden wir uns.
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Wir glauben, dass die Voraussetzung für eine europäische Lösung ist, dass wir zunächst als Bundesrepublik Deutschland deutlich machen, dass wir, anders als seit 2015, nicht mehr willens, nicht mehr in der Lage sind, die Hauptlast der Migration von außen und der Sekundärmigration innerhalb Europas zu tragen. Da unterscheiden wir uns.
Die CSU hat die Gipfelergebnisse ebenfalls als wirkungslos bezeichnet. Und was folgte, war eine beispiellose Eskalation, die übrigens die Eskalation von Kreuth 1976 noch in den Schatten stellt. Also in dem Punkt, muss man sagen, hat Horst Seehofer die Latte gegenüber Franz Josef Strauß höher gelegt.
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Franz Josef Strauß hat die Oppositionspartei CDU/CSU seinerzeit in eine Schwierigkeit gebracht. Horst Seehofer ist in der Lage, nicht nur die Unionsfamilie zu spalten, sondern eine ganze Regierung in eine Instabilität zu bringen. In dem Punkt also gehen Sie über Franz Josef Strauß hinaus.
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Was war denn das Ergebnis, das uns als Wende und als große Lösung verkauft worden ist? Frau Merkel war gegen Zurückweisungen an der Grenze und hat auf Abkommen gesetzt, die sie nicht bekommen hat. Horst Seehofer will zurückweisen, aber damit kann er sich nicht durchsetzen. Jetzt soll aus Transitzonen abgewiesen werden, und dafür werden genau die Abkommen benötigt, die Frau Merkel schon nicht bekommen hat. Seehofer muss also jetzt das leisten, was Frau Merkel nicht zu leisten vermocht hat. Ich glaube, im Bundeskanzleramt biegen sie sich vor Lachen, Herr Seehofer.
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„Spiegel Online“ schreibt zu dem, was Sie als Kompromiss vorgelegt haben, zu Recht: Das ist „so praxistauglich wie Sandalen in der Arktis“.
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Die Bundespolizeigewerkschaft sagt: Das funktioniert nicht. Außerdem haben wir, anders als es CSU-Politiker glauben, nicht nur eine bayerisch-österreichische Grenze, sondern auch noch andere Grenzen, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen übrigens.
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Quantitativ leistet das ebenfalls keinen wirksamen Beitrag, wie Sie selbst wissen, Herr Minister Seehofer; denn Sie haben ja in der Vorstandssitzung der CSU, wie man den Medien entnehmen konnte, das Kompromissangebot, was dann am Sonntag beschlossen worden ist, selber abgelehnt als, wie man lesen kann, „dumm“ oder unwirksam. Das ist bemerkenswert; denn das entlarvt: Es ist in Wahrheit ein Waffenstillstand, den Sie geschlossen haben, und keine Lösung in der Sache. Und es sagt noch etwas anderes – man kennt ja solche Situationen –: Wenn aus Vorstandssitzungen solche empfindlichen Fragen nach draußen getragen werden, dann ist der Zeitpunkt gekommen, wo die eigenen Freunde den Rücktritt des Vorsitzenden nicht mehr fürchten, sondern ersehnen.
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Es ist also keine Lösung erreicht worden. Was Sie erreichen, ist eine Spaltung, eine Spaltung Ihrer Parteienfamilie, eine Spaltung der SPD, eine Auseinandersetzung in der SPD vor den Wahlen in Hessen und Bayern und eine Spaltung selbst der Linkspartei, die intern ja auch eine scharfe Auseinandersetzung in der Migrationsfrage führt. Deshalb, Frau Bundeskanzlerin, sollten wir über die ganzen anderen Fragen, über die ich zuerst gesprochen habe, vom Diesel angefangen bis zur Steuer, hauptsächlich in diesem Parlament diskutieren. Da gibt es genug Streitpotenzial.
Unser Angebot ist: Lassen Sie uns doch gemeinsam, Bund, Länder und Gemeinden,
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über die Grenzen, die uns hier im Parlament trennen, hinaus an einem deutschen Migrationskonsens arbeiten; denn bei den großen Fragen brauchen Sie nicht nur die SPD. Bei der wichtigen Frage beispielsweise der Bestimmung sicherer Herkunftsländer etwa in Nordafrika, damit Rückführungen schneller durchgeführt werden, werden Sie die Grünen brauchen und auch von uns mitgetragene Landesregierungen. Frau Merkel, Frau Bundeskanzlerin, unser Vorschlag ist: Da dieses Thema selbst in Ihrer eigenen Fraktion so verkantet ist, lassen Sie uns das Problem parteiübergreifend lösen und in dieser entscheidenden Frage, wie Anfang der 90er-Jahre beim Asylkompromiss, die politischen Debattenlinien verlassen und gemeinsam neu denken!
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Jetzt hat das Wort die Vorsitzende der SPD-Fraktion, Andrea Nahles.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist in diesen Tagen sicherlich nicht falsch, dass wir mit einem hohen Anspruch in dieser Regierung zusammenarbeiten. Diesen hohen Anspruch kann man sehr schnell ablesen am Titel unseres Koalitionsvertrages: „Ein neuer Aufbruch für Europa – Eine neue Dynamik für Deutschland – Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“. Daran lassen wir uns auch messen. Ich sage Ihnen, lieber Herr Lindner: Die Meseberger Erklärung hat keinesfalls eine Spaltung Europas zur Folge, sondern das ist die Lokomotive, mit der wir den Fortschritt in Europa erreichen werden.
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Davon bin ich fest überzeugt. Das ist ein neuer Aufbruch für Europa.
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Auch was die Frage eines neuen Zusammenhalts in diesem Land angeht, hat diese Regierung wirklich viel erreicht:
Ab dem 1. Januar 2019 werden wir wieder halbe-halbe machen; bei der Krankenversicherung wird die Parität wiederhergestellt. Das ist eine Entlastung von 7 Milliarden Euro für Beschäftigte und Rentnerinnen und Rentner in diesem Land.
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Und wir haben ein Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit durchgesetzt. Herr Lindner, wenn Sie hier von Bürokratismus reden, sage ich: Bürokratismus? Um Himmels willen! Es geht hier um Millionen, vor allem Frauen, die endlich wieder eine Chance haben, nicht in der Teilzeitfalle kleben zu bleiben. Wir holen sie raus, sie kriegen anständige Löhne, können Karriere machen und haben auch keine Altersarmut zu fürchten.
({3})
Wenn Sie das hier als Bürokratismus definieren, demaskieren Sie sich dadurch nur selbst. Das ist der Punkt.
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Wir haben es endlich geschafft, bei der Pflegeausbildung bundesweit die Schulgeldfreiheit durchzusetzen. Das halte ich für einen wichtigen Punkt.
Zentrale Grundgesetzänderungen sind auf den Weg gebracht worden; damit kommen wir zum Thema „neue Dynamik“. Wir haben endlich auf den Weg gebracht, dass das Kooperationsverbot fällt. Ich hoffe sehr, dass Grüne und FDP diesen Weg mitgehen können; denn wir brauchen sie dafür. Das ist ein lohnendes Projekt; denn wir haben tatsächlich einen Stau an der Stelle, den wir endlich auflösen können. Wir brauchen eine Modernisierung der Schulen, und wir brauchen noch mehr öffentlichen Wohnungsbau.
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Wir haben das Familienentlastungsgesetz beschlossen. Das bedeutet ab dem 1. Juli 2019 10 Euro und bis Ende der Legislatur 25 Euro mehr Kindergeld. Es bleibt netto mehr für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner und Familien. Und es gibt mehr Rechte für Beschäftigte und Verbraucher durch die Einer-für-alle-Klage, die wir auch durchgesetzt haben. Das ist doch ein Mittel, um im Dieselskandal den Verbraucherinnen und Verbrauchern den Rücken zu stärken.
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Herr Lindner, das Gesetz haben wir schon durch den Bundestag gebracht. Das ist doch nicht Nichthandeln; das können Sie uns hier nicht unterstellen.
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Also, das war jetzt eigentlich kein schlechter Start in diese Regierung.
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Leider ist der Regierungsmotor in den letzten drei Wochen ins Stottern geraten. Anstatt so weiterzumachen, wurden wesentliche weitere Gesetzesvorhaben in den regierungsinternen Abstimmungen verzögert: das Gute-Kita-Gesetz, der soziale Arbeitsmarkt, die gesetzlichen Maßnahmen zum Stopp von existenzbedrohenden Mieterhöhungen. Die SPD-Fraktion erwartet jetzt, dass es bei diesen Themen in den nächsten Monaten vorangeht.
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In den letzten drei Wochen haben wir hier vor allem Streit und Drohungen erlebt. Es ist gut, dass nun alle Teile der Bundesregierung zur ordentlichen Regierungsarbeit zurückkehren möchten. Wir begrüßen das sehr.
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Es gibt keinen Grund, in der Flüchtlingspolitik einen anderen Regierungsstil zu pflegen als in all den anderen Punkten, die ich gerade vorgetragen habe. Wir brauchen auch keine Masterpläne. Wir brauchen gutes Handwerk, damit endlich das umgesetzt werden kann, was wir doch gemeinsam verabredet haben, und die Basis dafür ist der Koalitionsvertrag.
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Ich habe in den letzten Wochen an diesem Ort auch schon gesagt: Seit dem Unterzeichnen des Koalitionsvertrages am 12. März hat sich in der Flüchtlingsfrage keine neue Sachlage ergeben.
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Wer darüber hinausgehende Vorschläge hat, muss diese vorstellen, begründen und mit dem Koalitionspartner abstimmen. Am Beginn eines solchen Prozesses sind wir. Die SPD hat in einem Fünf-Punkte-Plan ihre Position klargemacht: Humanität und Realismus gehen zusammen.
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Das ist etwas, was wir auch im Regierungsalltag beweisen werden.
Unsere Grundsätze lauten – das steht für uns ganz klar fest –: keine nationalen Alleingänge. Rechtsstaatliche Verfahren müssen eingehalten werden. Geschlossene Lager lehnen wir ab.
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Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen – Frau Merkel hat es auch angesprochen –, dass wir endlich zu einer neuen Logik der Zuwanderungspolitik kommen müssen. Wir brauchen ordnende, steuernde Prinzipien, humane Prinzipien. Deswegen ist es wirklich dringend, dass wir endlich ein Einwanderungsgesetz in dieser Regierung auf den Weg bringen. Das hat für uns eine hohe Priorität.
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Wir sehen selbstverständlich, dass wir auch in vielen anderen Bereichen unserer Regierungspolitik in den nächsten Monaten viel zu tun haben. Wir wollen in Deutschland gerne dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit wieder mehr Schwung geben.
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Es geht darum, demokratisch zu gestalten und sich hier nicht in vermeintliche Sachzwänge zu begeben. Wir werden mit diesem Haushalt, den wir hier heute diskutieren, dafür die richtigen Weichen stellen.
Wir wollen einen handlungsfähigen Staat, der nicht nur Recht setzt, sondern auch Recht durchsetzt.
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Dafür sind – ich sage das in Bezug auf diesen Haushalt – wesentliche Voraussetzungen geschaffen worden. Ehrlich gesagt sagen mir viele Leute: Ja, ja, ihr macht da eure Gesetze. Aber an die hält sich ja keiner. – Deswegen ist es keine Kleinigkeit, dass wir dem Zoll, der gegen die Schwarzarbeit kämpft, der dagegen angeht, wenn der Mindestlohn nicht eingehalten wird, und der gegen Schmuggel und Menschenhandel vorgeht, endlich genügend Stellen zur Verfügung stellen,
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damit das Recht nicht nur gesetzt, sondern in diesem Land auch durchgesetzt wird. Dafür geht an dieser Stelle mein ausdrücklicher Dank an Olaf Scholz, der das ermöglicht hat.
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An diesem Haushalt kann man auch sehen, dass wir in den nächsten Monaten ein großes Thema anpacken werden: die Rentenpolitik. Wer sein Leben lang in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt und damit die Renten der älteren Generationen finanziert hat, muss am Ende auch selbst einen Anspruch auf eine auskömmliche Rente haben.
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Es ist mit dem Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit nicht vereinbar, wenn Menschen ihr Leben lang arbeiten, ihre Rente aber später immer weiter an Wert verliert. Die Kaufkraft der gesetzlichen Rente muss erhalten bleiben, und deswegen sind wir für die Sicherung des Rentenniveaus, und zwar die gesetzliche Absicherung des Rentenniveaus.
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Wir wollen auch dafür sorgen, dass jemand, der sein ganzes Leben lang Beiträge in die gesetzliche Rente eingezahlt hat, im Alter grundsätzlich ein Einkommen hat, das oberhalb der Grundsicherung liegt. Es ist ein Versprechen der Leistungsgerechtigkeit in unserem Sozialsystem, dass der, der gearbeitet und eingezahlt hat, später mehr hat als jemand, der das, aus welchen Gründen auch immer, nicht getan hat. Das muss aus meiner Sicht auch dringend angepackt werden.
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Wir werden deswegen in diesen Haushaltsplan viele Milliarden einstellen. Der Bundeszuschuss an die gesetzliche Rentenversicherung steigt in diesem Jahr auf 94 Milliarden Euro, und er wird bis zum Ende der Legislatur auf 110 Milliarden Euro ansteigen. Das ist viel Geld. Das mag manchen in diesem Haus gefallen, manchen nicht. Das soll auch so sein; denn es geht genau darum, dass wir eine große Veränderung, die demografische Veränderung unserer Bevölkerung, nicht einfach hinnehmen und sagen: So ist das halt. Mehr Alte, weniger Junge – dann sinkt halt das Rentenniveau. – Die SPD akzeptiert den Sachzwang eines sinkenden Rentenniveaus nicht; denn es gilt: Es gibt diesen Sachzwang nicht. Es ist eine politische Entscheidung, wie viel uns die Sicherung im Alter wirklich wert ist.
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Die SPD entscheidet sich dafür, die Renten auf dem heutigen Niveau zu sichern und Altersarmut zu begegnen.
Sachzwänge, die wir in dieser Regierung nicht akzeptieren, gibt es aber auch an anderer Stelle. Wir müssen nicht hinnehmen, dass Bildungschancen in unserem Land zwangsläufig ungleich verteilt sind.
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Wir müssen nicht hinnehmen, dass ländliche Regionen bei der Digitalisierung abgehängt werden. Wir müssen nicht hinnehmen, dass steigende Mieten den Lohnzuwachs, den man hat, auffressen. Deswegen ist dieser Haushalt so gut: Er investiert in Schulen, er investiert in Kitas, er investiert in Straßen und in Eisenbahnen, in den Breitbandausbau, in Umwelt- und Klimaschutz, in sozialen Wohnungsbau, in das Baukindergeld, in Städtebauförderung, in Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Das tun wir. Wir nehmen Sachzwänge nicht hin. Wir brauchen einen handlungsfähigen Staat. Dieser Haushalt steht für einen handlungsfähigen Staat.
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Ich möchte ausdrücklich noch einmal aufgreifen, dass es uns sehr wohl wichtig ist, den Umstieg auf eine CO 2 -arme Wirtschaft im Auge zu haben und voranzutreiben, aber dass wir gleichzeitig den Verlust von Arbeitsplätzen nicht hinnehmen wollen. Deswegen ist in diesem Haushalt ein Topf mit Extramitteln geschaffen worden. Wir wollen den Strukturwandel beispielsweise in der Lausitz so begleiten, dass wir den Leuten am Ende nicht nur ein Ausstiegsdatum für die Braunkohle präsentieren, sondern auch sagen können: Wir haben eure Region nicht hängen lassen. Ihr habt weiterhin eine Zukunft, in der Lausitz und an anderen Stellen. – Das ist der entscheidende Unterschied zu dem, was hier von Einzelnen vorgetragen wird.
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Ich denke, dass es absolut wichtig ist, in dieser Situation zu betonen: Wir wollen in diesem Land gestalten. Wir nehmen keine Sachzwänge hin. Wir sind bereit, unseren selbstgesetzten Anspruch „Aufbruch, Dynamik und Zusammenhalt“ auch weiterhin mit aller Kraft voranzutreiben.
Vielen Dank.
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Auch das Recht, in Maßen Beifall zu spenden, steht allen Fraktionen zu. So viel Geduld muss sein.
Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der Linken, Dr. Dietmar Bartsch.
({0})
Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beschließen in dieser Woche den Haushalt für das laufende Jahr. Das war ja am Montag noch nicht so sicher. Ich habe so etwas auch noch nicht erlebt. Man muss ja als Opposition froh sein, dass es im Juli überhaupt einen Haushalt gibt; denn im Moment ist dieser Koalition wirklich alles zuzutrauen. Dass wir als Linke diesen Haushalt ablehnen, ist klar; denn er zementiert das Weiter-so der ehemals Großen Koalition.
({0})
Was Sie allerdings in den ersten 100 Tagen und besonders in der letzten Woche aufgeführt haben, das hat der Demokratie schweren Schaden zugefügt.
({1})
Es gibt keine Sieger, es gibt auch keine Verlierer.
({2})
Und, Herr Lindner, niemand sollte sich vor Lachen biegen; denn auch Sie wie wir alle nehmen ob dieser Entwicklung Schaden.
({3})
Es befördert Politikerverdrossenheit in einem Ausmaße, wie wir uns alle das nicht vorstellen können. Die Union hat eindrucksvoll dargestellt, dass das C in ihrem Parteinamen für Chaos steht. Das ist die Wahrheit.
({4})
Das war und ist würdelos und unverantwortlich; das ist destruktiv, wie ich das bei Konservativen nicht für möglich gehalten habe.
({5})
Um menschliche Lösungen geht es Ihnen dabei schon lange nicht mehr.
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Es geht um Macht, es geht um Rechtbehalten, und die Humanität bleibt bei all dem auf der Strecke.
({7})
Wir haben seit der Bundestagswahl erst das Desaster von Jamaika und nun das Desaster der Notkoalition der Wahlverlierer erlebt; bei minus 15 Prozent konnte man nicht viel anderes erwarten. Liebe Andrea Nahles, wenn Sie meinen, dass die Überschriften des Koalitionsvertrages mit dem übereinstimmen, was Sie in den ersten Wochen hier geboten haben, dann muss ich sagen: Das ist ein Paralleluniversum. Die Menschen in diesem Land empfinden wirklich etwas anderes.
({8})
Das ist eine Koalition der Selbstsabotage und der Destruktivität, zumindest beim Führungspersonal.
({9})
Meine Damen und Herren, die Menschen vertrauen darauf, dass der Staat funktioniert und dass mit ihren Steuern verantwortungsbewusst umgegangen wird. Diese Verantwortung scheint Teile der Regierung schlicht nicht zu interessieren.
({10})
Im Besonderen gilt das natürlich für die bayerische Wahlkampftruppe,
({11})
der es offensichtlich nur um das Ergebnis der Landtagswahlen in Bayern geht.
({12})
Womit wir bei Horst Seehofer wären bzw. sind; er ist ja noch da. Passend zu Ihrem Geburtstag heute – Sie sind ja 69 geworden –
({13})
sind Sie, offensichtlich als Geschenk, noch Innenminister. Aber, Herr Seehofer, Sie sind ein Innenminister auf Abruf. Ich sage Ihnen voraus: An Ihrem 70. Geburtstag werden Sie hier nicht mehr in dieser Funktion sitzen.
({14})
Frau Merkel, dass Horst Seehofer das überhaupt geworden ist, ist eine grandiose Fehlentscheidung gewesen.
({15})
Der Mann, der im Jahre 2016 die Politik Ihrer Regierung als „Herrschaft des Unrechts“ bezeichnet hat
({16})
und der die Regierung verklagen wollte, ist Verfassungsminister geworden. Da haben Sie den Bock zum Gärtner gemacht,
({17})
und dieser Bock wird jetzt von Markus Söder auch noch getrieben und angestachelt. Der hat in seiner Staatskanzlei einen Globus von Bayern stehen und weiß nicht, dass es in diesem Land und auf dieser Welt noch etwas anderes gibt, meine Damen und Herren.
({18})
Die CSU radikalisiert sich beinahe stündlich, mit mehr oder weniger menschenverachtender Rhetorik. Herr Söder spricht vom Asyltourismus.
({19})
– Dass Sie für Söders Rhetorik Beifall klatschen, ist nicht gut für ihn; lassen Sie mich das sagen.
({20})
Söder spricht, wie gesagt, vom Asyltourismus – als kämen die Flüchtlinge alle im Privatjet nach Europa. Aber, Herr Söder, leider ist das Chartern von Privatjets bayerischen Ministerpräsidenten für die Reise in den Vatikan vorbehalten; da haben Sie das ja getan.
({21})
Gerade beim Thema Flüchtlinge ist es umso bitterer, dass die CSU jegliche Nächstenliebe und jeglichen christlichen Anspruch aufgegeben hat.
({22})
Sie hätten doch auch Jesus mit einem Lächeln abgeschoben.
({23})
Ich will aus Jesaja 58 zitieren:
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Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus!
Als Linker erinnere ich Sie sehr gern daran: Die Bibel kennt keine guten und schlechten Fluchtgründe. Sie kennt nur Menschen in Not, und sie kennt nur Hilfe. Das schreiben Sie sich als christliche Parteien bitte mal hinter die Ohren.
({25})
Dann tut die CSU noch so, als hätte sie mit der gesamten Lage hier im Land überhaupt nichts zu tun. Aber Sie sind doch seit 2005 durchgängig an der Regierung. Und jetzt wollen Sie mit der von Ihnen getragenen Politik nichts zu tun haben? In all den Jahren haben Sie die meiste Zeit den Innenminister gestellt.
({26})
Sie haben all die Kürzungsarien bei der Polizei und im öffentlichen Dienst mitgemacht und sie sogar vorangetrieben. Sie sind mitverantwortlich. Und jetzt wollen Sie als Dauerregierungspartei auf einmal Anwalt der Menschen sein? Das glaubt Ihnen niemand. Diese Strategie geht selbst in Bayern nicht auf, meine Damen und Herren.
({27})
In Bayern ist es ja so, dass im Moment 39 Prozent die CSU als die größte Gefahr für Bayern ansehen. Es ist schon unfassbar, wie eine 6‑Prozent-Partei wie die CSU in einem provinziellen Alleingang die Republik und Europa erpresst. Das, finde ich, ist inakzeptabel.
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Wie wollen Sie eigentlich die nächsten drei Jahre durchhalten? Es geht angesichts der Trump’schen Politik eigentlich um viel mehr als ums Durchhalten; Sie haben davon gesprochen. Das ist ein Handelskrieg und nichts anderes. Hinzu kommt die Situation in Europa, Stichwort „Italien“; ich könnte das jetzt alles aufzählen. Das braucht eine Regierung, die sich eben nicht von Krise zu Krise schleppt.
({29})
Ich wurde in den letzten Tagen oft gefragt, ob die Linke im Asylstreit jetzt bei Angela Merkel oder bei Horst Seehofer steht.
({30})
Ganz klar und eindeutig: Natürlich war die Entscheidung von Frau Merkel im September 2015, die Grenzen nicht zu schließen und den Menschen in Not zu helfen, eine humane Entscheidung.
({31})
Es ist schon dramatisch, dass sich die Bundeskanzlerin seit drei Jahren ausgerechnet für einen Akt der Humanität permanent vor den eigenen Leuten rechtfertigen muss und von ihnen attackiert wird.
({32})
Es muss aber auch deutlich gesagt werden: Die Wahl zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer ist nur eine oberflächliche Wahl; das haben die Ergebnisse des EU-Gipfels sehr deutlich gezeigt. In der Sache wollen Angela Merkel und Horst Seehofer das Gleiche:
({33})
europäische Abschottung, Militarisierung der Außengrenzen, und Flüchtlinge sollen in Lager gesteckt werden.
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Horst Seehofer will die Lager nur direkt an der Grenze bauen und Angela Merkel außerhalb der Europäischen Union. Der EU-Gipfel war ein Gipfel der Inhumanität.
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Wir als Linke lassen uns keinen Sand in die Augen streuen. Diese Lösungen sind keine Lösungen, sondern menschenverachtende Maßnahmen. Sie sind teilweise rechtswidrig und teilweise undurchsetzbar.
({36})
Sie setzen auf Lager und Abschottung und ändern nichts an den Verhältnissen, die die Flucht überhaupt erst produziert haben. Was wir brauchen, ist Mitmenschlichkeit, ist Verantwortung, ist Rechtsstaatlichkeit und ist Solidarität.
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Auch im Bundestag müssen wir immer wieder mal den ersten Satz des Grundgesetzes zitieren: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das gilt für alle Menschen in unserem Land. Und ich muss immer wiederholen: Die Flüchtlinge sind die Botschafter der Kriege und des schreienden Unrechts dieser Welt. Das muss unser Ausgangspunkt sein. Oder um es mit den Worten eines Bayern, Bertolt Brecht, zu sagen: Sie sind „Boten des Unglücks“.
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Dieses Unglück ist allerdings nicht vom Himmel gefallen, sondern ist ein Produkt von Politik. Frau Merkel, Ihre Regierungen der letzten 13 Jahre haben zu diesem Unglück einen relevanten Beitrag geleistet. Wer regiert denn seit gefühlten 100 Jahren in diesem Land? Wer lässt denn gegen alle Beteuerungen schon im letzten Koalitionsvertrag weiter Waffen in alle Welt exportieren? Wer hat denn die Europapolitik mit dem Fetisch der schwarzen Null und der Erpressung anderer Länder durchgesetzt?
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Wer hat Europa an den Abgrund getrieben? Wer hat die soziale Spaltung in unserem Land und in Europa gnadenlos vorangetrieben? Wer hat dafür gesorgt, dass die Reichen reicher und die Armen zahlreicher werden? Das waren Sie, Frau Bundeskanzlerin. Sie und Ihre Regierungen tragen die Verantwortung dafür, dass die Bundesrepublik Deutschland sozial, kulturell und mental tief gespalten ist. Sie tragen die Verantwortung dafür, dass die Menschen das Vertrauen in den Staat und in seine Institutionen immer weiter verlieren.
Ich will an einem Beispiel anschaulich machen, was Ihre Politik bedeutet: Im Jahre 2005, also zu Beginn Ihrer Amtszeit, gab es 760 000 Vermögensmillionäre.
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Heute haben wir 1,36 Millionen Vermögensmillionäre.
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Das ist also eine Verdoppelung. Gleichzeitig stieg auch noch die Zahl der Milliardäre, die über einen obszönen Reichtum verfügen, nämlich im Übrigen über 5,2 Billionen Euro. Das sind 15 Bundeshaushalte, um das mal so klar zu sagen.
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Das ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite ist die Zahl der Kinder in Armut in derselben Zeit auf 2,8 Millionen gestiegen. Das ist auch eine Verdoppelung, und dagegen tun Sie viel zu wenig.
Hier ist das Familienentlastungsgesetz genannt worden. Das verdient doch nicht mal diesen Namen. Die, die es am dringlichsten brauchen, gehen leer aus.
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Das Kindergeld, das um 10 Euro erhöht wird, wird bei den Hartz‑IV-Empfängerinnen und Hartz‑IV-Empfängern angerechnet. Sie sagen, das sei das System. Ja, dann müssen Sie das System anders gestalten.
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Die Anrechnung auf den Unterhalt und den Unterhaltsvorschuss muss abgeschafft werden, und wenn Sie ganz mutig sind, dann machen Sie einen Systemwechsel und kommen Sie zu einer Kindergrundsicherung. Das wäre wirklich mal ein richtiges Reformvorhaben.
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Seit 2005, seit Ihrem Amtsantritt, hat sich die Zahl der Vermögensmillionäre verdoppelt und hat sich die Zahl der Kinder in Armut verdoppelt. Was für ein Offenbarungseid!
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Das alles ist Ergebnis einer radikalen Umverteilung von unten nach oben. Da liegt die zentrale Ursache für die Spaltung Deutschlands. Wenn Sie nur halb so viel Energie für den Kampf gegen Kinderarmut aufgewendet hätten wie für Ihren Machtkampf mit Horst Seehofer, hätten wir ein anderes Land, dann hätten wir ein besseres Land, meine Damen und Herren.
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Bevor Sie also nationale Lösungen ausgerechnet in der Frage von Flucht und Migration beschließen, nutzen Sie doch die nationalen Instrumente, die Sie für eine soziale Politik haben.
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Erhöhen Sie doch zum Beispiel den Mindestlohn
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und stellen Sie Steuergerechtigkeit her! Die Sache mit dem Mindestlohn ist eine Farce. Das hat langfristige Auswirkungen.
Wir Linke haben das Ministerium gefragt, was es für den Mindestlohn bedeuten würde, wenn man nach 45 Beschäftigungsjahren eine Rente über der Grundsicherung erhalten will. Antwort: Man braucht einen Mindestlohn von 12,63 Euro. Das, was Sie mitbeschlossen haben, ist wirklich nur ein Tröpfchen. Wir brauchen endlich – der Vizekanzler hat es doch gesagt – mindestens 12 Euro. Jawohl, da sind wir dabei. Tun Sie da etwas!
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Ansonsten haben wir die Altersarmut programmiert. Ich meine, wir müssen uns einfach nur den Pflegebereich ansehen, in dem Sie jetzt – wir werden Sie an den Taten messen, nicht an den Worten – eine Initiative beschlossen haben. In unserem Bundesland, Frau Bundeskanzlerin, in Mecklenburg-Vorpommern, erhält eine durchschnittliche Pflegekraft nach 45 Jahren Beschäftigung eine Rente unterhalb der Grundsicherung. Das ist doch ein inakzeptabler Zustand. Sie sagen doch selber: Das sind die Träger der Gesellschaft. – Sie werden so miserabel bezahlt. Da muss sich endlich etwas ändern. Das ist Aufgabe von Regierungspolitik.
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Ähnlich ist es natürlich mit den Steuern. Wir haben das Steuersystem des vergangenen Jahrhunderts – Sie ändern nichts. Wir brauchen eine Entlastung von Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen. Wir müssen endlich etwas tun, damit die explodierenden Mieten und die steigenden Lebenshaltungskosten den Mittelstand nicht auffressen. Sorgen Sie dafür, dass die Digitalisierung eine Chance für die Zukunft wird! Beenden Sie die Politik, die die Ärmsten der Armen immer weiter in Panik versetzt! Das ist das, was Sie real machen.
Apropos Panikmache. Ich kann mich gut erinnern, dass ich im Jahr 2015 anlässlich eines Nachtragshaushaltes hier gestanden und gesagt habe: Experten prognostizieren die Ankunft von bis zu 500 000 Flüchtlingen. Ich fordere 2 Milliarden Euro für Kommunen und Behörden. – Da wurde von linker Panikmache gesprochen. Ihr damaliger Innenminister hat mir das vorgeworfen, alle haben den Kopf geschüttelt.
Die Realität hat all diese Prognosen überholt. Sie haben nichts für die Kommunen getan.
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Sie haben dafür gesorgt, dass dort viel zu wenig Geld ankam. – Sie haben zu spät begonnen. Sie hätten damals agieren müssen.
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Hätten Sie die Freigabe von 2 Milliarden Euro für die Kommunen beschlossen, hätten wir viele Probleme nicht gehabt, Herr Kauder. Das ist die Realität.
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Das staatliche Versagen wird jetzt auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abgewälzt, wie wir das zum Beispiel im BAMF sehen.
Sie sagen heute, Frau Merkel: Recht und Ordnung müssen wiederhergestellt werden. – Sie aber haben den Rechtsstaat beschädigt. Sie haben die Demokratie beschädigt. Der Rechtsstaat muss gestärkt werden, sowohl Behörden als auch Polizei als auch Gerichte. Jetzt beginnen Sie damit, aber viel zu spät.
Ihr unerschütterlicher Glaube an den ausgeglichenen Haushalt überall, auf allen Ebenen ist der falsche Ansatz.
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Wir haben nichts gegen einen ausgeglichenen Haushalt. Aber eine rüde Sparpolitik zerstört im Gegenteil das Gemeinwesen. Sie müssen endlich die Superreichen und die Konzerne zur Kasse bitten. Ansonsten wird der Staat kaputtgespart, und die soziale Spaltung wird größer werden.
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Die Sparpolitik behindert im Übrigen auch Zukunftsinvestitionen. Wir brauchen aber mindestens 120 Milliarden Euro für Daseinsvorsorge und Infrastruktur, für die Energiewende, für Bildung, damit wir die Klimaziele erreichen. Das alles hängt ausschließlich vom politischen Willen ab. Sie müssen das wollen, dann können Sie auch entscheiden, mit Entschlossenheit endlich in die Zukunft zu investieren.
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Ähnlich ist es auch mit der Entschlossenheit, was das Bekämpfen von Fluchtursachen betrifft. Ich meine, Sie erhöhen die Ausgaben für Entwicklungshilfe. Ja, ein Marshallplan für Afrika wäre dringend geboten. Aber in der Realität wird nicht einmal das, was Sie in Ihrem Koalitionsvertrag festgelegt haben, realisiert, dass nämlich die Ausgaben für Entwicklungshilfe und für Verteidigung in gleichem Maße wachsen. Das ist nicht der Fall. Der Rüstungsetat explodiert; dafür sind Sie vehement. Aber wenn es wirklich darum geht, dort etwas zu tun, wo Flucht und Vertreibung wesentlich entstehen, dann sind Sie zurückhaltend. Machen Sie doch wenigstens das, was Ihr Entwicklungsminister sagt – Herr Müller hat den richtigen Ansatz –: einen namhaften Milliardenbetrag in Afrika zu investieren, damit wir dort Probleme lösen können – und nicht stattdessen Rüstungsgüter in diese Länder exportieren. Das ist inakzeptabel.
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Im Übrigen: Auch die unfaire Handelspolitik – die Handelsabkommen mit Afrika – raubt Menschen in Afrika die Existenzgrundlage. Die befördert Fluchtursachen. Wenn Sie das so weitermachen, schaffen Sie jeden Tag mit dieser Politik auch neue Flüchtlinge, die vor deutschen Waffen und vor Handelsprofit fliehen. Das können wir so nicht fortsetzen, meine Damen und Herren. Ein Kurswechsel in Ihrer Politik: Hören Sie da auf Ihren Entwicklungsminister! Da lobe ich sogar ausnahmsweise die Christlich-Soziale Union.
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Meine Damen und Herren, wir haben schwierige Zeiten; es sind angespannte Zeiten. Das ist unbestritten. Aber die jetzige Situation ist relevant Ergebnis von Politik. Wir erleben überall in Europa, in der Welt und auch hier in Deutschland einen Kulturkampf von rechts. Wenn wir diesen Kulturkampf bestehen wollen, brauchen wir eine andere Politik. Wir als Linke werden auch weiter ein Bollwerk der Menschlichkeit sein.
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Wir wollen eine andere Politik. – Dass Sie da lachen, ist wirklich die größte Witznummer. Aber Sie sind es nicht wert, darauf einzugehen.
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Ich bedanke mich und wünsche mir, dass spätestens nach der Sommerpause ein Kurswechsel vollzogen wird.
Herzlichen Dank.
({62})
Nächster Redner ist der Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Anton Hofreiter.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe CSU, was für ein Schauerspiel haben Sie eigentlich in den letzten Wochen uraufgeführt? Das war doch wirklich beispiellos in seiner Verantwortungslosigkeit.
({0})
Sie haben damit die Regierung an den Rand des Abgrunds gedrängt und dafür gesorgt, dass in Deutschland und in Europa massive Verunsicherung verursacht worden ist.
Was treibt Sie eigentlich um? Was treiben Sie denn da eigentlich?
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Das fragt sich doch inzwischen der Großteil der Menschen in Deutschland. Das fragt sich doch vom konservativen Bauern in Bayern bis zur linksurbanen Berlinerin die Mehrheit der Menschen in diesem Land.
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Diese Menschen sehen, dass die Regierung keine Probleme mehr löst, ja dass diese Regierung selbst das größte Problem geworden ist.
Dabei waren die letzten Wochen nur der Höhepunkt. Auch die Wochen davor waren geprägt von einer Mischung aus Chaos und Koma,
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Untätigkeit, Setzen falscher Prioritäten, Selbstblockade, Intrigen und jetzt einem völlig verantwortungslosen Umgang mit dem Regierungsauftrag, und dies in einer Zeit, in der eigentlich die Herausforderungen enorm sind: Die Welt gerät in Unordnung. Europa wartet auf Reformen. Beim Klimaschutz geht leider überhaupt nichts voran, und der soziale und gesellschaftliche Zusammenhalt in diesem Land bröckelt.
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Die Plattentektonik der Welt, wie wir dachten, sie zu kennen, ist in Bewegung geraten und erzeugt gigantische Brüche und Beben. Die USA sind nicht mehr unser Verbündeter
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in Bezug auf die westlichen Werte. Im Gegenteil: Trump produziert inzwischen einen Handelskrieg. Russland und China werden zur Blaupause für einen autoritären Turbokapitalismus, dem immer mehr Länder hinterherlaufen. Und während die wissenschaftlichen Fakten zur Klimakrise geleugnet werden, nimmt die Zahl der Dürren und Katastrophen zu, erhitzt sich der Planet immer mehr,
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verlieren immer mehr Menschen ihre Lebensgrundlagen und müssen auf die Flucht gehen.
Die Digitalisierung und Globalisierung lassen die Welt zusammenwachsen, aber ungeregelt vergrößern sie die Schere zwischen Arm und Reich nur. Tausende Menschen ertrinken im Mittelmeer, der tödlichsten Grenze der Welt. In dieser Situation werden Rettungsschiffe wie die „Lifeline“ auf Odysseen gezwungen und werden die Retter, anstatt dass man ihnen dankt, dass sie für das Versagen der Staaten einspringen, kriminalisiert.
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Damit schafft man in Europa ein Klima der moralischen Verwahrlosung, Menschen, die nach Hilfe suchen, werden instrumentalisiert, um ganze Gesellschaften zu spalten und nach rechts außen zu verschieben. Wir werden Ihnen das schlicht nicht durchgehen lassen.
({8})
All diese globalen Herausforderungen sind schlicht da. Der Rückzug ins nationale Schneckenhaus löst überhaupt keines dieser Probleme.
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Diese Probleme werden uns auch nicht einfach in Frieden lassen. Unser Wohlstand als Exportnation hängt ganz stark am Handel. Allein die Wiedereinführung innereuropäischer Grenzen würde Schäden im zwei- bis dreistelligen Milliardenbereich verursachen.
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Offene Grenzen und freier Warenverkehr sind ein Motor für das Freiheits- und Friedensprojekt Europa.
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Genau deshalb greifen die Rechtsaußen das an.
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Wenn Trump mit Zöllen auf Autoimporte droht, trifft das besonders die deutsche Autoindustrie. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, mit Audi und BMW trifft es insbesondere Bayern.
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Wer also die Handlungsfähigkeit der EU mutwillig beschädigt, der wirft einen sehr gefährlichen Bumerang und trifft sich am Ende nur selbst.
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Denn Deutschland ist alleine zu klein, um den Angriffen Trumps zu widerstehen. Deutschland ist alleine auch zu klein, um sich gegen Putin durchzusetzen. Deutschland ist alleine auch zu klein, um es mit der enormen Wirtschaftsmacht Chinas aufzunehmen. Die Europäische Union dagegen ist die größte Wirtschaftsmacht der Welt. Deshalb haben alle europäischen Länder und auch wir das ureigenste Interesse, die Europäische Union zusammenzuhalten und zu stärken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Achim Post [Minden] [SPD]
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Herausforderungen sind radikal, und Politik müsste deshalb umso stärker zeigen, dass sie die Probleme lösen kann und lösen will. Aber diese Bundesregierung zeigt in den letzten Wochen vor allem eines: dass sie die Probleme nicht lösen kann und teilweise auch nicht lösen will. Es sind auch diese 13 Merkel’schen Jahre des Beschwichtigens, des Aussitzens, der öffentlich weder erklärten noch begründeten Wendemanöver, die heute entschlossenes Handeln nötig machen oder nötig machen würden. Heute bekommen wir alle die Quittung für eine Politik des Stillstands, des Nichthandelns, des Lösens von Problemen, das höchstens darin besteht, dass man ein Pflästerchen auf die Probleme klebt.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist eine Behörde, die doch seit Jahren nicht funktioniert, nicht erst seit 2014.
({15})
Schauen Sie sich doch einmal die Fehleranfälligkeit an! 44 Prozent der Geflüchteten, die gegen die Asylbescheide klagen, bekommen recht. Kennen Sie noch irgendeine andere Behörde, wo 44 Prozent der Bescheide, die hinausgeschickt werden, in erster Instanz, wenn sie beklagt werden, von den Verwaltungsgerichten als falsch deklariert werden?
({16})
Schauen wir uns den nächsten Bereich an: Die Mieten in der Großstadt Berlin haben sich in den letzten Jahren verdoppelt. Oder der nächste Bereich: Die NO X -Belastung in den Städten ist – seit Jahren bekannt – so hoch, dass inzwischen klar ist, dass Fahrverbote notwendig sind. Wer zahlt am Ende dafür die Zeche? Die von der Autoindustrie betrogenen und von dieser Bundesregierung im Stich gelassenen Dieselkäufer!
({17})
Nehmen wir den nächsten Bereich. Nach der großspurigen Ankündigung eines Dieselfonds ist bislang kein einziger Cent an die Städte geflossen, damit sie mehr Geld in Bus und Bahn stecken können. Oder der nächste Bereich: Merkel hat großspurig von künstlicher Intelligenz gesprochen. Schauen wir uns doch den Ausbau des Breitbandes an. Ich meine, da versprechen Sie seit Jahren Milliardenbeträge – seit Jahren! Und abgeflossen für Baumaßnahmen sind inzwischen 3 Millionen Euro. Es sind 0,09 Prozent. Das heißt, die Tragik dieser Regierung ist doch, dass, selbst wenn Sie mal was Gutes wollen, Sie nicht in der Lage sind, es umzusetzen.
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Nehmen wir das nächste Beispiel. Frau Merkel und auch Sie, Frau Nahles, haben vom Familienentlastungsgesetz gesprochen – ist ja schön! Dann schauen wir uns an, wer davon profitiert, und dann schauen wir uns an, wie es den ärmsten Kindern geht. Die ärmsten Kinder bekommen davon gar nichts. Mensch, wenn Sie sich schon bemühen, dann machen Sie es doch bitte wenigstens einigermaßen richtig.
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Statt diesen ganzen Stapel an Herausforderungen endlich abzuarbeiten, haben Sie, Frau Merkel, sich von der CSU und dem rechten Flügel der CDU – er war fleißig mit dabei – die letzten Wochen erpressen lassen. Sie haben damit die gesamte Bundesrepublik und Europa gleich in Geiselhaft genommen. Was die geplanten Abfanglager in Afrika angeht: Wenn Sie Schutzsuchende der Willkür libyscher Warlords ausliefern und das dann auch noch „libysche Küstenwache“ nennen – was für ein Euphemismus für die Verbrecherbande in diesem gescheiterten Staat! –,
({20})
wenn Sie bei uns in Deutschland Inhaftierungslager zulassen, dann hat das, ehrlich gesagt, mit diesen vielbeschworenen europäischen Werten von Solidarität, Humanität und Rechtsstaatlichkeit nur noch verdammt wenig zu tun.
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Das ist ein Dammbruch der Unmenschlichkeit, was Sie da organisieren.
Mindestens so schlimm ist, ehrlich gesagt, dass Sie in Ihrem Wahn der Abschottung – machtversessen und machtvergessen vonseiten der Union – den Blick für das Wesentliche eigentlich völlig verloren haben, dass Sie ein Chaos organisiert haben. Die Aufgabe von allen demokratischen Abgeordneten hier im Raum wäre es doch eigentlich, dieser gefühlten Unsicherheit, die viele Leute haben, diesem Getriebensein, der Verunsicherung was Vernünftiges entgegenzustellen.
({22})
Es braucht ein vernünftiges politisches Angebot statt nur dieses Verwaltens des Jetztzustands.
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Man muss eins sagen: Die Ideen gibt es doch eigentlich alle. Häufig werden sie hier sogar vorgetragen. Ja, setzen Sie es halt endlich um, dass es gute Schulen und Kitas gibt! Setzen Sie es doch endlich um, dass es würdige Pflegeeinrichtungen gibt! Ja, sorgen Sie doch dafür, dass Justiz und Polizei umfassend gut ausgestattet sind! Um nur ein paar Beispiele zu nennen.
({24})
Weitere Beispiele: Die Mieten sind explodiert. Es gäbe doch die Möglichkeit, eine funktionierende Mietpreisbremse umzusetzen. Es gäbe doch die Möglichkeit, wirklich ausreichend Geld in den sozialen Wohnungsbau zu stecken. Der Haushalt schaut doch gar nicht so schlecht aus. Da wäre doch Geld vorhanden, ihn vernünftig einzusetzen. Warum machen Sie keinen Abschaltplan für die Kohlekraftwerke, damit Sie Ihre selbstgesetzten Klimaschutzziele wenigstens ansatzweise einhalten können?
({25})
Wissen Sie, Frau Merkel, Sie haben zum wiederholten Male – ich kann es, ehrlich gesagt, kaum mehr hören – davon gesprochen, dass die Armut in Afrika und all das die Fluchtursachen sind. Ja, das stimmt ja. Aber warum tun Sie dann nicht das, was Sie hier tun könnten? Wir könnten zum Beispiel uns dafür entscheiden, endlich aufzuhören, die afrikanischen Kleinbauern mit billigen Hühnchenfleischresten, die wir dahin exportieren, zu ruinieren. Das könnten wir ganz selbstständig entscheiden.
({26})
Trotz alledem: Wenn man sich das anschaut, hat man den traurigen Eindruck, dass mindestens die CSU sich entschieden hat – allerdings in die falsche Richtung. Denn Sie hofieren Orban, Sie schaffen ein Polizeiaufgabengesetz, das dem Überwachungswahn entsprungen ist, und Sie wollen anderen Leuten Ihren Glauben aufzwingen. Das hat mit Freiheit nichts zu tun. Das steht für autoritäres Gehabe.
({27})
Wer sich aus dem Multilateralismus verabschieden will, wer die EU als Problem sieht, der hat sich ins Nationalistische verabschiedet.
({28})
Man hat den Eindruck: Was Sie da in Ihrem populistischen Rausch sich überlegen, hat mit der Lebenswirklichkeit der Leute nur noch verdammt wenig zu tun.
({29})
Die Umfrage ist schon erwähnt worden: 39 Prozent der Menschen in Bayern, wenn sie gefragt werden: „Was ist das größte Problem von Bayern?“, sagen: Die CSU. – Das war nicht zum Ankreuzen, sondern sie haben es einfach offen hingeschrieben. Das ist doch krass.
({30})
Ist das nicht eigentlich der Moment, wo Sie sich auch mal was überlegen könnten, dass Sie vielleicht die Politik so ein bisschen verändern müssten?
Liebe Frau Merkel und Herr Seehofer, Regieren ist keine Paartherapie. Es ist eigentlich auch nicht das Beschäftigen mit sich selbst. Liebe SPD, Regieren besteht eigentlich auch nicht darin, dass man sich vor allem wegduckt.
({31})
Deshalb würde ich mir als Bürger dieses Landes wirklich wünschen, dass es Ihnen gelingt, den Rest an Verstand zusammenzukratzen und endlich anzufangen, dieses Land vernünftig zu regieren – endlich vernünftig zu regieren! 112 Tage, nachdem Sie angefangen haben, braucht dieses Land nämlich endlich eine handlungsfähige, verantwortungsvolle Regierung. Ich glaube, die Menschen im Land warten darauf, und ich erwarte von Ihnen, dass Sie schlicht Ihren Job erledigen. Dafür sind Sie gewählt, dafür haben Sie sich zusammengefunden, und wenn Sie das nicht können, dann lassen Sie es halt einfach sein und lassen Sie andere ran!
({32})
Jetzt hat das Wort der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir bringen in dieser Woche nicht einen Haushalt ein, sondern wir beschließen einen Haushalt. Damit zeigt die Regierung, dass sie handlungsfähig ist. Viele haben das schon gar nicht mehr geglaubt, aber wir zeigen, dass wir handlungsfähig sind. Wir legen einen Haushalt vor – darüber werde ich jetzt sprechen –, der richtige Antworten auf die Herausforderungen der Zeit bietet, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Dieser Haushalt gibt Antworten auf Herausforderungen und zu Themen, die von der Opposition als Problem beschrieben worden sind.
Eine der großen sozialen Aufgaben heißt: mehr Wohnungen, bezahlbare Wohnungen für die Menschen in unserem Land. Jetzt, lieber Toni Hofreiter, schauen Sie doch einmal unseren Haushalt an! Ein Wohnungsbaupaket wird auf den Weg gebracht, wie es dieses Land schon lange nicht mehr gesehen hat.
({1})
Es hat mehrere Elemente. Da ist das Baukindergeld, das jungen Familien die Möglichkeit gibt, nicht nur Wohnraum zu schaffen, sondern auch Eigentum zu schaffen; das ist ein zentraler Punkt dieses Baukindergelds.
({2})
Wir haben den sozialen Wohnungsbau wieder flottgemacht. Es werden für den sozialen Wohnungsbau noch einmal 500 Millionen Euro draufgelegt. Ich kann jetzt nur hoffen, dass die Länder auch bereit sind, mitzumachen, dass dies umgesetzt wird. Natürlich ist eines klar – wenn Sie beispielsweise mit Kommunen sprechen, erfahren Sie das –: Wir haben natürlich die Herausforderung, durch gute Planung die Aufträge auch umsetzen zu können; denn natürlich gibt es Kapazitätsengpässe in der Baubranche.
Deswegen ist es ja richtig, sehr geehrte Frau Nahles, wenn wir sagen: Wir brauchen ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz, um unsere Investitionen auch tatsächlich umsetzen zu können. – Wir haben gestern vereinbart: Bis zum Ende des Jahres ist dieses Gesetz im Deutschen Bundestag. – Wir werden damit der Wirtschaft auch eine Antwort auf die größte Herausforderung unserer Wirtschaft geben, nämlich dass das Wachstum nicht gebremst wird, weil wir nicht genügend Arbeitskräfte zur Verfügung stellen können.
({3})
Wir werden die Städtebauförderungsmittel für das Jahr 2019 auf dem Niveau von 2018 stabilisieren. Und wir werden einen starken Anreiz für den privaten Wohnungsbau geben, indem wir die AfA in den nächsten Jahren noch um 5 Prozent aufstocken. Jetzt will ich einmal sagen: Unter welch anderer Regierung als unter dieser Großen Koalition hat es das schon einmal gegeben, dass auf ein drängendes Problem eine so konsequente und starke Antwort gegeben wird wie mit dem Haushalt 2018?
({4})
Wir geben natürlich auch eine Antwort auf eine große Herausforderung nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt: das Thema Flüchtlinge. Jetzt muss ich schon einmal sagen: Wir sollten, wenn wir darüber reden, mit den Fakten schon anständig umgehen.
({5})
Das heißt zunächst einmal: Es bleibt dabei – das wissen auch Sie in der Opposition –, dass wir für diejenigen, die verfolgt sind, die aus Bürgerkriegen kommen, die persönlich verfolgt sind, natürlich in unserem Land und in Europa Schutz bieten.
({6})
Da brauchen wir überhaupt keine Belehrungen.
({7})
Das, was in den letzten Tagen diskutiert worden ist, auch streitig diskutiert worden ist, handelt von einem ganz anderen Thema.
Ich will nur sagen, Herr Bartsch: Dass Sie das in besonderer Weise beobachten, kann ich gut verstehen; denn Ihre Parteitage sind regelmäßig von solchen Auseinandersetzungen geprägt. Von Ihnen brauchen wir also keine Hinweise, wie man es anders machen sollte.
({8})
Reden Sie einmal mit Sahra Wagenknecht und Frau Kipping darüber, was die in aller Öffentlichkeit auf Parteitagen vorführen.
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Bei der AfD geht es natürlich sehr harmonisch und friedlich zu. Das lesen wir ja jeden Tag.
({10})
Wir sind gespannt, wie später die Frage, wer nachfolgen wird, diskutiert wird. Also, ich kann nur sagen: Jeder kehre vor seiner eigenen Tür; denn jeder hat solche Situationen auch bei sich schon einmal erlebt. Wir brauchen da keine Belehrungen.
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Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt reden wir einmal davon. Es geht doch schlicht und ergreifend darum, dass wir auch im Interesse der Menschen die Situation ordnen und deshalb eine Antwort auf die sogenannte Sekundärmigration geben. Es ist doch überhaupt nicht besonders menschlich, wenn Flüchtlinge in ganz Europa herumreisen, ohne dass festgestellt ist, wo sie nun tatsächlich ihre Verfahren durchlaufen sollen. Um diese Fragestellung geht es. Es geht darum, dass diejenigen, die schon im sicheren Europa ein Verfahren begonnen haben, es dort abschließen, wo sie es angefangen haben.
Wenn wir solche Menschen an der Grenze aufgreifen und sagen: „Ihr müsst in das Land zurück, wo ihr das Verfahren bereits begonnen habt“, ist das doch überhaupt nichts Außergewöhnliches. Wenn wir die Menschen an der Grenze aufgreifen und nicht sagen: „Wir schicken sie einfach irgendwohin“, sondern mit den Ländern, aus denen sie als Flüchtlinge gekommen sind, sprechen und Vereinbarungen treffen, dann werden sie dorthin zurückgebracht und kommen in eine Unterkunft, bis dies organisiert ist. Da kann ich nur sagen: Es ist eine üble Verleumdung, zu sagen: Da werden Lager mit Stacheldraht aufgebaut. – Genau dies ist nicht der Fall.
({12})
Deswegen, Herr Hofreiter, bitte ich Sie wirklich darum, dass wir unter demokratischen Parteien so nicht miteinander sprechen und so nicht miteinander umgehen.
({13})
Herr Kollege Kauder.
Das dürfen wir nicht zulassen; denn damit reden wir denen das Wort, die solche Dinge behaupten, die falsch sind.
({0})
Herr Kollege Kauder, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Baerbock?
Ja.
Vielen Dank, Herr Kollege Kauder, dass Sie die Zwischenfrage gestatten. – Wenn Sie das jetzt hier alles so darstellen, dass wir eigentlich nach Recht und Ordnung verfahren, so wie es bisher sowieso schon der Fall ist, dann frage ich mich wirklich, worüber Sie in den letzten drei Wochen die ganze Zeit – Stichwort „Rücktritt und Rücktritt vom Rücktritt“ – gesprochen haben.
({0})
Ihr jetziger Vorschlag, Internierungslager
({1})
zu bauen – Lager, wo Menschen ankommen, Transitlager – besagt, dass Menschen da hingebracht werden sollen, dort soll das Verfahren festgestellt werden, und dann sollen sie in die Länder zurück, wo sie zuerst registriert worden sind. Entschuldigung, so wie Sie das jetzt beschrieben haben, ist das geltendes Recht, und zwar geltendes Recht nach der Dublin-Verordnung. Wenn Sie das so sehen, dann hätten Sie vor drei Wochen Ihren Kollegen von der CSU sagen können: Liebe Leute, wir wenden hier geltendes Recht an.
Mein zweiter Punkt. Sie sagen: Das sind keine geschlossenen Lager. – Komischerweise hören wir das Gegenteil von der CSU. Wenn es keine geschlossenen Lager sind, frage ich Sie: Warum bringen Sie die Menschen nicht in die Erstaufnahmeeinrichtungen, die es in allen Bundesländern gibt? Sie wissen doch, was es in Heidelberg gegeben hat: Da kommen die Menschen an, sie werden registriert, es gibt schnelle Verfahren, dann wird geschaut, und wer zurückgeführt werden kann, der wird zurückgeführt.
({2})
Jetzt kommt mein Punkt: In manche Länder können Sie eben nicht zurückführen. Wenn Sie die Menschen in den neuen Lagern für angeblich 19 Tage einbehalten wollen, frage ich: Was passiert denn, wenn Sie sie nicht zurückführen können? Dann bleiben Kinder wochenlang in geschlossenen Lagern. Entweder ändern Sie nichts an der derzeitigen Rechtslage, oder all das, was Sie hier gerade gesagt haben, stimmt einfach nicht.
({3})
Sie müssen schon wissen, wie Sie sich dort positionieren und für was Sie sich entschieden haben.
({4})
Frau Kollegin, nach unserer Geschäftsordnung sollen Zwischenfragen und Zwischenbemerkungen kurz sein. Wenn Sie das für die Zukunft bitte beherzigen wollen. – Herr Kollege Kauder.
Frau Baerbock, es war ja bezeichnend, dass, obwohl ich darauf hingewiesen habe, dass es sich um Unterkünfte handelt, aus denen die Menschen in die Länder zurückgebracht werden sollen, wo sie sicher sind und wo sie den Erstkontakt hatten, es Ihnen schon wieder rausgerutscht ist, weil Sie sich einfach nicht von der Vorstellung trennen können, dass es Lager sind. Ich sage Ihnen noch einmal: Das ist falsch, und ich bitte Sie wirklich, dass Sie solche Dinge einfach nicht mehr behaupten.
({0})
Zweitens. Wir haben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es Menschen betrifft, die an die Grenze kommen und die einen bestimmten Status haben, der eine Einreise nicht zulässt. Wer beispielsweise schon eine Einreisesperre hat – es hat mich sowieso gewundert, dass das noch nicht gemacht worden ist –, der kann auch nicht in dieses Land einreisen. Punkt, aus, Ende.
({1})
So einfach ist die Veranstaltung. Ich rate Ihnen: Bevor Sie weiter solche Dinge behaupten, informieren Sie sich, worum es geht. Ich bin gerne bereit, es Ihnen genau zu erläutern; wir können uns nachher zusammensetzen. Ich bin sicher – da ich Sie als gutwillig einschätze –, dass Sie dann solche Sachen nicht mehr behaupten, Frau Baerbock.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein weiteres Thema: Gerade ich, der ich viel in diesen Regionen – ich bezeichne sie mal als Orient – unterwegs bin – auch in Orissa, wo Christen verfolgt wurden und weiter ausgegrenzt werden, oder in anderen Ländern –, weiß, dass Menschen fliehen, weil sie bedroht sind und keine Perspektive für sich selber sehen, gerade weil ich davon so viel Kenntnis habe, muss ich Ihnen sagen: Ich will alles dafür tun, dass Menschen nicht Geld ausgeben, um sich aus entfernten Regionen, ohne eine wirkliche Perspektive, anderswohin verschleppen zu lassen. Deswegen machen wir eine Asylpolitik, die sagt: Wir ordnen das Ganze, und wir lassen nicht zu, dass Menschen aus dem Süden Afrikas in den Norden kommen und dort dann zu Sklaven gemacht werden. Das hat mit Menschlichkeit überhaupt nichts zu tun.
({3})
Deswegen ist es richtig, dass wir den Marshallplan mit Afrika von Gerd Müller umsetzen. Davon müssen wir natürlich nicht nur reden, sondern auch etwas machen. Die Bundesrepublik Deutschland hat ihre Beiträge in die entsprechenden Fonds einbezahlt. Ich habe mehrfach mit der Bundeskanzlerin darüber gesprochen. Sowohl der ehemalige Finanzminister Wolfgang Schäuble als auch der jetzige Finanzminister haben gesagt: Was notwendig ist, um in diesen Ländern zu helfen, werden wir tun.
Ich habe in den letzten Tagen mit dem Vertreter des UNHCR gesprochen, und er sagte mir, dass das Geld für Lebensmittelrationen schon wieder nicht ausreicht. Er hat mir gesagt, dass eine Situation, wie wir sie im Sudan haben, nicht sein müsste. Mit einer halben Milliarde Dollar könnten wir in diesem Jahr den Tod von Tausenden von Kindern im Monat verhindern.
Da kann ich nur sagen: Frau Bundeskanzlerin, setzen Sie sich dafür ein, dass die anderen europäischen Länder und auch alle anderen dieses Geld geben! Ich kann überhaupt nicht akzeptieren, dass Tausende Kinder in Afrika sterben müssen, weil eine halbe Milliarde Dollar fehlt.
({4})
Da erwarte ich, dass es Teil unserer Politik ist, etwas für Menschen zu tun, die in Not sind. Ja, Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, dass die Türkei für Flüchtlinge unglaublich viel macht. Aber auch das kleine und nicht gerade reiche Land Jordanien beispielsweise leistet Unglaubliches für die Flüchtlinge.
({5})
Wenn ich dann von beiden, von der Türkei und von Jordanien, höre, dass es Probleme mit der Finanzierung gibt, dass die Kräfte, die dort tätig sind, nicht mehr bezahlt werden können, muss ich sagen: Wer Fluchtursachen im Interesse der Menschen bekämpfen will, muss auch die notwendigen Finanzmittel zur Verfügung stellen. Das ist eine Frage der Ehrlichkeit und Menschlichkeit.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Haushalt gibt aber nicht nur bei dem großen Thema des Wohnens eine Antwort, sondern er gibt auch eine Antwort darauf, wie wir unter erschwerten Bedingungen gleichwertige Lebensverhältnisse in unserem Land bewahren können. Wir wollen keine Situation wie beispielsweise in Frankreich, wo ganze Landstriche entleert sind und die Menschen nur noch in großen Metropolen wohnen. Wir wollen, dass die Menschen auch in Zukunft in unserem Land dezentral wohnen und arbeiten können.
({7})
Deshalb müssen wir vor allem für eine junge Generation Perspektiven in den ländlichen Räumen schaffen. Dafür haben wir – man kann sagen – eine Kommission eingesetzt, die für einige wichtige Bereiche Vorschläge entwickeln soll.
Mir wird zum Beispiel gesagt: Wir brauchen jetzt doch im ländlichen Raum keine Wohnungsbaupolitik; diese müssen wir in den Ballungsgebieten machen, wo der Druck besonders groß ist. – Ich kann Ihnen sagen: Genau das ist falsch.
({8})
Wir brauchen auch in den ländlichen Räumen Investitionen in den Wohnungsbau, damit die jungen Menschen sehen: Jawohl, da wird etwas getan für unsere Zukunft. – Deswegen ist gerade die Erhöhung der AfA für den privaten Wohnungsbau für uns im ländlichen Raum eine zentrale Aufgabe. Das wird angepackt.
Und wenn ich immer höre: „Privat vor Staat“,
({9})
kann ich nur sagen: Für die Infrastruktur in unserem Land ist in erster Linie der Staat zuständig,
({10})
und dafür muss er auch die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen. Die Straßen, die Eisenbahnen und vieles andere gehören dazu.
Auch die Schulen gehören dazu. Demjenigen, der darüber klagt, dass unsere Bildungspolitik die Anforderungen nicht mehr erfüllt, sage ich: Ich bedauere es außerordentlich. Jetzt ist der Bund aber bereit, obwohl es nicht seine ureigene Aufgabe ist, in die Bildungspolitik zu investieren. Aber eines sage ich hier ganz deutlich, obwohl ich weiß, dass es dann sofort wieder Anrufe aus den Ländern gibt: Wir investieren wieder in die Bildungspolitik. 5 Milliarden Euro stehen zur Verfügung. Wir tun das aber nicht, damit die Länder weniger tun, sondern wir erwarten, dass auch die Länder ihre Aufgabe erfüllen – mit uns zusammen.
({11})
Mit unserem Tun ersetzen wir nicht, sondern wir ergänzen.
Wenn ich dies alles anschaue, kann ich nur sagen: Ja, die letzten Wochen waren gerade für uns in der Union nicht einfach. Aber wir haben gezeigt, dass wir zusammenbleiben und zu Lösungen kommen.
Eines haben wir auch gezeigt: Auch in dieser Zeit ist das Land regiert worden. Wir haben hier im Bundestag Entscheidungen getroffen, Gesetze verabschiedet. Dass das Land nicht gut regiert worden sei, ist wirklich ein Märchen. Das haben die Menschen in der Realität aber immer gesehen. Wir haben eine Regierung. Wir stellen eine Regierung. Wir erfüllen unsere Aufgaben. Dass es da manchmal in den eigenen Reihen Diskussionen gibt, hindert uns nicht daran, diesem Land eine gute Regierung zu stellen.
({12})
Herzlichen Dank, Kollege Kauder. – Als Nächstes für die AfD-Fraktion der Kollege Dr. Alexander Gauland.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Kompromiss zwischen Herrn Seehofer und Frau Merkel hat die Union einen Schritt in die richtige Richtung getan, einen kleinen, offenbar unendlich schweren Schritt nur, aber immerhin. Liebe CDU/CSU, wir werden Ihnen auch künftig als AfD kräftig unter die Arme greifen, damit weitere Schritte in diese Richtung folgen.
({0})
Denn das darf nur ein Anfang sein, ein erster Schritt, um den Rechtsstaat an den deutschen Grenzen wiederherzustellen.
({1})
Das heißt, dass niemand, der aus einem sicheren Drittstaat kommt, hier Anrecht auf Asyl und Aufenthalt hat. Das hängt im Ergebnis nicht an Verwaltungsabkommen, auch nicht mit Österreich. Offenbar hat sich endlich so etwas wie Widerstand in Ihrer Fraktion gegen die Politik der offenen Grenzen geregt, Frau Merkel. Gut so! Aber eine Kanzlerin, der man die Herstellung des Rechtes Schritt für Schritt mühevoll abringen muss, ist und bleibt – seien Sie mir nicht böse – eine Fehlbesetzung.
({2})
Meine Damen und Herren, wir sind in den vergangenen Tagen Zeugen eines bizarren Streits geworden. Der Innenminister wollte plötzlich seine Pflicht tun und Migranten mit einem Verbot der Einreise nach Deutschland oder bereits laufenden Asylanträgen in anderen EU-Staaten an der Grenze zurückweisen lassen. Die Kanzlerin erfuhr bei dieser Gelegenheit, dass neben ihren vielen anderen Gästen auch solche mit Einreiseverbot ungehindert bei uns einreisen können.
({3})
Sie stand ihrem Innenminister aber keineswegs bei, sondern kündigte eine europäische Lösung an. Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie nächste Woche feststellen, dass es im Kanzleramt hereinregnet, werden Sie wahrscheinlich keinen Dachdecker rufen, sondern eine europäische Lösung anstreben.
({4})
Meine Damen und Herren, dass überhaupt darüber diskutiert wird, ob Migranten mit Einreiseverbot einreisen dürfen, zeugt davon, dass – mit Verlaub – irgendwo in dieser Regierung ein Dachschaden vorliegt.
({5})
Dieser Zustand hält an, obwohl ein Anis Amri bereits in Italien registriert war und trotzdem mit mehreren verschiedenen Identitäten hier einreisen und zwölf Menschen ermorden konnte. Aber wir diskutieren über Lager an den Grenzen und darüber, ob diese menschenrechtswidrig sind. Was für eine menschenverachtende Politik ist das?
({6})
Wie aber sieht die europäische Lösung aus, die Frau Merkel angeblich erreicht hat?
({7})
Die angeblichen Beschlüsse des Europäischen Rates nennen sich im Original tatsächlich „Schlussfolgerungen“, womit bereits alles über ihre Unverbindlichkeit gesagt ist. Es sind zwölf wattig formulierte Punkte, die jede konkrete Maßnahme zielsicher umgehen, lauter nette Vorschläge, die in Punkt 6 gipfeln, wo es heißt – ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren –:
Im Gebiet der EU sollten die geretteten Personen entsprechend dem Völkerrecht auf der Grundlage gemeinsamer Anstrengungen im Wege der Beförderung zu … kontrollierten Zentren
– die die Mitgliedstaaten auf rein freiwilliger Basis einrichten –
übernommen werden …
Liebe Frau Bundeskanzlerin, diese heiße Luft verkaufen Sie als europäische Lösung.
({8})
Und weil Sie genau wussten, dass Sie mit leeren Händen dastehen, haben Sie versucht, die Öffentlichkeit in die Irre zu führen mit der Behauptung, Sie hätten Absprachen über die beschleunigte Rücknahme von Flüchtlingen mit 14 Ländern getroffen. Von denen haben drei sofort dementiert
({9})
und gestern auch der österreichische Innenminister,
({10})
im Grunde genommen Ihr Hauptgesprächspartner in dieser Frage.
Der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis bescheinigte der Bundeskanzlerin, sie sei komplett gescheitert, und bezichtigte sie der Lüge.
({11})
– Ich zitiere.
({12})
Was für eine diplomatische Blamage!
({13})
Sogar die seit 2015 Merkel-fromme „Bild“-Zeitung kommentiert:
Man kann nicht anders, als billige Trickserei zum eigenen Machterhalt zu vermuten. Für Deutschland ist das geradezu peinlich, so dementiert dazustehen.
({14})
Die Lektion ist einfach: Die Bundeskanzlerin kann in Europa nichts mehr durchsetzen.
({15})
„… die … Kanzlerin der offenen Grenzen …, die sich faktisch der Politik linksradikaler Träumer verschrieben hat“
({16})
– wie die „Basler Zeitung“ schrieb; es ist nicht AfD-Sprech –,
({17})
hat als Spielfeld nur noch Berlin, und auch dort reicht ihre Kraft nicht aus, um die Union auf Dauer zusammenzuhalten.
An dieser Stelle eine kurze Bemerkung zum kleinen Koalitionspartner SPD:
({18})
Wenn Sie in Ihrem neuen Papier zur Migration keine nationalen Alleingänge fordern, dann ist das nach drei Jahren deutscher Alleingänge wahrscheinlich nur noch Realsatire.
({19})
Frau Bundeskanzlerin, es wird allmählich Zeit, eine Bilanz Ihrer Kanzlerschaft zu ziehen. Über Ihr europäisches Projekt hat meine Kollegin Weidel bereits das Nötige gesagt. Was Ihre Migrationspolitik betrifft, sind die Parallelen zu Ihrem zweiten gescheiterten Großprojekt, zur sogenannten Energiewende, leicht erkennbar: Auch diesen Irrweg geht Deutschland allein und isoliert von den anderen Europäern. Beide Projekte, Masseneinwanderung und Energiewende, begannen nach einem radikalen Kurswechsel: hier der Atomausstieg, nachdem die Laufzeiten von Ihnen erst verlängert worden waren, dort die Grenzöffnung, nachdem Frau Merkel Multikulti und Integration für gescheitert erklärt hatte.
({20})
Beide Kurswechsel folgten keinem Realitätsdruck, sondern vermuteten Stimmungen in der Bevölkerung. Beides, Energiewende wie Migrationsförderung, sind ideologische Experimente, die den deutschen Steuerzahler Milliarden kosten, aber ihren direkten Nutznießern viel Geld in die Taschen spülen und den indirekten Nutznießern die Möglichkeit geben, ihren moralischen Heiligenschein zu polieren.
({21})
Bei beiden Projekten, Frau Bundeskanzlerin, waren die Prognosen immer falsch. Dass angeblich Fachkräfte zu uns kommen und unseren Arbeitsmarkt beleben, sich aber Terroristen nicht unter den Migranten befinden, war genauso gelogen wie Ihre Verheißung vom Juni 2011, Frau Bundeskanzlerin, die EEG-Umlage werde nicht über 3,5 Cent pro Kilowattstunde steigen. Sie liegt heute fast doppelt so hoch.
({22})
Beide Projekte werden, wenn sich herausstellt, dass sie nicht funktionieren, mit dem Argument weitergeführt, dass sie noch nicht radikal genug angepackt worden seien. Beide Projekte werden krachend scheitern; aber bis dahin ist noch so viel Zeit, dass die Verantwortlichen damit rechnen können, sich in Sicherheit gebracht zu haben. Die Rechnung geht an die Kinder und Kindeskinder; die Projekte zerstören unsere Heimat, die natürliche wie die kulturelle.
({23})
Zu Ihrer Schadensbilanz, Frau Bundeskanzlerin, gehört außerdem der Zustand der Bundeswehr; aber darüber werden wir ja noch reden. Das deutsche Militär ist inzwischen eine Truppe, deren Kampfjets und Hubschrauber nicht fliegen, deren Panzer nicht fahren, aber schwangerentauglich sind
({24})
und deren neuentwickelte Fregatte nicht seetüchtig ist.
({25})
Der neue Luftwaffenchef Ingo Gerhartz hat vor wenigen Tagen zur Einsatzbereitschaft gesagt: „Die Luftwaffe befindet sich an einem Tiefpunkt“. Hoffentlich täuscht er sich da nicht; denn weiter nach unten geht es immer.
({26})
Ich bin mir nur nicht im Klaren, ob Frau von der Leyen nun eine besonders erfolgreiche oder besonders miserable Ministerin war. Es hängt immer davon ab, welches Ziel sie eigentlich vor Augen hatte.
({27})
Wenn es darum ging, Deutschland wehrlos zu machen, war sie die Beste.
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Ich bin gespannt, Frau Bundeskanzlerin, wie Sie den Zustand dieser Truppe auf dem kommenden NATO-Gipfel ihrem lieben Freund Donald Trump erklären werden,
({29})
der bekanntlich mit Nachdruck fordert, dass die Bündnispartner ihren Verpflichtungen nachkommen.
Frau Bundeskanzlerin, Frau Merkel, es tut mir leid: Sie sind gescheitert, und einen Neuanfang wird es mit Ihnen nicht geben.
({30})
Es wäre deshalb gut und richtig, wenn Sie diesen Platz räumen würden.
Ich bedanke mich.
({31})
Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Achim Post von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Gauland, nach Ihrem Fachvortrag „Die Reise ins Nirwana – oder: Ich weiß alles besser“ wenden wir uns jetzt wieder den wichtigen Themen zu.
({0})
Es geht hier um mehr als das, was in den letzten Tagen und Wochen besprochen worden ist. Es geht sogar um mehr als um Landtagswahlen in Süddeutschland. Es geht auch nicht um die Frage, wer eigentlich der tollste Hecht im Karpfenteich ist: Herr Dobrindt, Herr Söder oder Herr Seehofer.
({1})
– Die Antwort wurde gerade von der Linken gegeben. Die wissen das besser. – Es geht um mehr als um drei Punkte, vier Sätze und neun Zahlen, die offenbar alles sind, worauf sich die beiden Schwesterparteien in dieser Frage einigen konnten.
Worum geht es wirklich? Es geht um drei Grundfragen im Hinblick auf die Ausrichtung unseres Landes: um unsere Demokratie, um die Zukunftsfähigkeit Deutschlands und um Deutschlands Rolle in Europa.
({2})
Fangen wir mit der Demokratie an. Wenn dieses Staatstrauerspiel aus München zu irgendetwas gut gewesen ist, dann zu einem: dass wir uns vergegenwärtigen, warum die Bundesrepublik Deutschland eigentlich eine so erfolgreiche Demokratie geworden ist. Das beruht nämlich auf zwei Pfeilern: auf der Auseinandersetzung und dem Streit in der Sache zum einen und auf der Fähigkeit zum Kompromiss zum anderen.
({3})
Deshalb sollten wir alle alles daransetzen, weiter die Möglichkeit für Interessensausgleich und Kompromisse zu finden. Denn eine Demokratie ohne diese Fähigkeit ist nicht in der Lage, pragmatische Lösungen zu finden, so wie wir das in diesem Haushalt gemacht haben.
({4})
Gerade in Zeiten wie diesen, in denen die Salvinis, die Straches und die Orbans versuchen, die liberale Demokratie anzugreifen, müssen wir hier in der Bundesrepublik Deutschland alles tun, um weiter ein Ort von Stabilität und Stetigkeit zu bleiben.
({5})
Zur Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Dieser Haushalt zeigt doch zweierlei: Deutschland hat alle Möglichkeiten – die Wirtschaft wächst und die Beschäftigungszahlen steigen –, aber Deutschland nutzt nicht alle Möglichkeiten. Deshalb sind wir gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister dabei, mehr zu investieren als jemals zuvor, in den nächsten vier Jahren allein 180 Milliarden Euro.
({6})
Wir erleichtern damit auch das Leben der Menschen: bei der Krankenversicherung, bei der Arbeitslosenversicherung, mit stabileren Renten, mit der Familienentlastung und auch mit dem sozialen Arbeitsmarkt.
({7})
Letzter Punkt. Zur Rolle Deutschlands in Europa. Wir spüren doch alle – fast alle –, dass es zurzeit um die Frage geht, ob die Gefahr besteht, dass die Europäische Union scheitert, oder ob wir in der Lage sind, Europa zu stärken und mutig zu reformieren, so wie diese Koalition das will.
({8})
Deshalb rate ich – auch in der Flüchtlingsfrage; das wurde gerade angesprochen – dringend von nationalen Alleingängen ab. Ich rate dringend dazu, europäische Lösungen zu suchen und zu finden;
({9})
denn nichts wäre in diesen Zeiten fataler und unverantwortlicher, als Lösungen gegen unsere Partner zu suchen statt mit ihnen.
({10})
Ich will Ihnen eines sagen: Bei dem, was auf dem letzten Europäischen Rat an ersten Schritten vereinbart wurde, muss gelten: Wir wollen eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik; aber wir wollen keine gemeinsame Flucht aus unseren europäischen Werten. Diese Vorschläge des Rates, so wie wir sie in der Koalition weiterentwickeln werden, werden der Garant dafür sein, dass es in Europa weiter gut vorwärts geht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({11})
Eine Sache muss ich allerdings sagen: Dadurch, dass das gerade von der CSU vorangetrieben wurde, sind wir auf dem letzten Gipfel, sind wir auf dem letzten Rat nicht zu dem gekommen, was auch auf der Tagesordnung stand, nämlich zur Reform der Wirtschafts- und Währungsunion, zur Festigung der Euro-Zone. Das liegt auch daran, dass Sie dieses eine Thema zu sehr in den Mittelpunkt gestellt haben. Das muss aufhören, liebe CSU, jetzt und für alle Zeiten. Ansonsten kommen wir bei den wichtigen Fragen in Europa nicht weiter.
({12})
Letzter Satz: Wir tun alles – das zeigen wir mit den in diesem Haushalt gesetzten Schwerpunkten –, damit für die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland, damit für alle Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland das Leben etwas leichter und etwas besser wird. Darauf können Sie sich verlassen.
Schönen Dank.
({13})
Vielen Dank, Herr Kollege Post. – Als Nächster für die FDP-Fraktion der Kollege Otto Fricke.
({0})
Geschätzter Vizepräsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Kauder, ich kann Sie beruhigen: Wir beschließen diese Woche einen neuen Haushalt. Das Kabinett wird hoffentlich – ich glaube, so weit ist man sich einig – am Freitag den Haushalt 2019 beschließen. Das nur einmal als kleiner Hinweis zur Haushaltspolitik in diesem Land.
({0})
Man sucht in den Haushalten eine Linie. Man versucht, diese Linie zu finden. Man hört den Rednern zu und fragt sich: Wo ist die Linie? Ich habe sie erst nicht gefunden. Inzwischen habe ich sie gefunden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, die Linie, die Sie in diesem Haushalt fahren und auch in dem Haushalt 2019, über den man jetzt schon lesen kann, ist: mehr Staat. Das ist die Linie des Haushaltes in diesem Jahr.
({1})
Das Schöne ist, liebe CDU: Die SPD klatscht an dieser Stelle.
Meine Damen und Herren, das ist ein Staat, der immer gieriger guckt, wie er Steuern einnehmen kann, wie er dem Bürger etwas wegnehmen kann. Das ist ein Staat, der, wenn Steuersenkungen geboten erscheinen, wenn er die Steuern doch etwas senken muss – Christian Lindner hat das ja ausgearbeitet –, nicht über den verfassungsrechtlich gebotenen Rahmen der Steuersenkungen hinausgeht, sondern gerade einmal das verfassungsrechtlich Gebotene macht, um dem Bürger immer noch das nehmen und dem Staat geben zu können, was nach Ihrer Meinung des Staates und nicht des Bürgers ist.
({2})
Sie stehen für einen Staat – das macht der Haushalt deutlich –, der Subventionen nicht abbaut, sondern ausbaut. Der Subventionsbericht wird länger, nicht kürzer. Sie stehen für einen Staat, der es sich selbst ermöglicht, für 660 Millionen Euro DAX-Aktien zu kaufen. Sie stehen für einen Staat, der sich nicht von Unternehmen trennt, sondern sogar einen noch größeren Anteil an DAX-Unternehmen haben will. Diese Linie ist erkennbar: mehr Staat, mehr Staat, mehr Staat.
({3})
Wenn der Wirtschaftsminister in dieser Debatte redet, dann redet er nicht über den Unternehmer, dann redet er nicht darüber, wie man die Wirtschaft voranbringen kann, sondern er redet darüber, wie er die staatliche Intervention im Energiemarkt maximieren kann. Das ist kein Wirtschaftsminister, sondern ein Mehr-Staat-Minister.
({4})
Man könnte noch darauf hinweisen, dass Ihnen immer neue Steuern einfallen. Frau Bundeskanzlerin, ich bitte Sie: Seien Sie vorsichtig bei Ihren Überlegungen zur Digitalsteuer. Es ist richtig, dass wir darauf achten müssen, dass gerecht besteuert wird. Aber bitte keine neuen Steuern, die am Ende die Modernisierung, die Digitalisierung am Standort Deutschland gefährden.
({5})
Meine Damen und Herren, mehr Staat ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Unsere Verfassung, liebe CDU/CSU, geht von der Freiheit des Einzelnen zur Verantwortung aus. Sie müssen begründen, warum Sie in die Rechte des Bürgers eingreifen und warum Sie ihm Geld wegnehmen. Sie müssen begründen, warum der Staat der bessere Löser ist. Das mag bei der Daseinsvorsorge so sein. Aber – Herr Post, da zitiere ich dann doch noch mal –: Die größte Stärke unseres Staates, das sind die Bürger, die Bürger in ihrer Freiheit, in ihren Möglichkeiten und ihren Stärken.
({6})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Es ist Ihre Aufgabe als Politiker, den Bürger in seiner Freiheit zu stärken, und nicht, ihn durch diesen Haushalt von staatlicher Seite stetig mehr zu bevormunden.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Fricke. – Als Nächstes spricht jetzt zu uns der Kollege Alexander Dobrindt, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Präsident! Wir haben neue Herausforderungen, elementare Herausforderungen in Europa und in der Welt: mit der Globalisierung, mit dem internationalen Wettbewerb – nicht nur zwischen Konzernen, sondern auch zwischen Staaten –, mit der Digitalisierung, mit der neuen Konfrontation zwischen Ost und West und natürlich mit der Frage der Migration auf der Welt und den damit verbundenen Debatten über die Durchsetzung des Rechtsstaats, die Wahrung der kulturellen Stabilität, die Wahrung des gesellschaftlichen Friedens und auch der Belastbarkeit unseres Sozialstaats. All das sind Herausforderungen, wo Lösungen angezeigt sind und die sich daher auch in einem Bundeshaushalt wiederfinden müssen. Wir haben in diesem Bundeshaushalt klare Antworten auf diese Herausforderungen, und zwar durch Investitionen, Innovationen, Entlastung der Bürger und mehr Personal für einen durchsetzungsfähigen Staat. Das ist die große Diskussion, der wir uns hier auch stellen.
Ich bin überrascht gewesen, lieber Kollege Toni Hofreiter, wie Sie hier die Diskussion darüber geführt haben, was ein freier Handel für eine freie und sichere Gesellschaft bedeutet, dass Sie die Lehre des freien Handels als Garant für Sicherheit und Freiheit dargestellt und die Zölle in den USA kritisiert haben. Das sind durchaus ganz neue Worte von den Grünen. Ich denke, wenn der freie Handel in Europa der Garant für Sicherheit und Wohlstand ist, dann sollten wir doch auch den freien Handel mit den Vereinigten Staaten von Amerika deutlich fördern. Dann müssen Sie doch mal für ein Freihandelsabkommen einstehen und für TTIP sein, wenn das Freiheit und Sicherheit bedeutet!
({0})
Ich finde es ausgesprochen positiv, wenn da bei Ihnen ein Lernprozess stattgefunden hat und wir auf dieser Basis miteinander sprechen können. Vielleicht findet dieser Lernprozess auch dann statt, wenn es darum geht, was Recht und Ordnung in der Frage der Migrationspolitik bedeutet. Sie beschreiben die Umsetzung des geltenden Rechts durch die Zurückweisung aus den Transitzentren als die Abkehr vom Rechtsstaat. Das waren Ihre Worte, sehr geehrter Herr Kollege Hofreiter. Ich habe Sie in der letzten Rede hier im Deutschen Bundestag darauf hingewiesen, dass Sie bisher keine Antwort darauf gegeben haben, wie viele von den 70 Millionen Flüchtlingen, die es zurzeit auf der Welt gibt, Sie eigentlich mit Blick auf Ihre Diskussion über eine jährliche Untergrenze für Deutschland aufnehmen wollen.
({1})
Ihre Kollegin hat darauf eine Antwort gegeben, wie im Protokoll auch nachzulesen ist. Claudia Roth hat darauf gesagt: Alle. – Alle!
({2})
Sie wollen alle aufnehmen, die auf der Welt als Flüchtlinge unterwegs sind.
({3})
Ich kann Ihnen nur sagen: Nicht die Bekämpfung von illegaler Zuwanderung ist die Abkehr vom Rechtsstaat, sondern Ihre Jeder-darf-nach-Deutschland-kommen-Mentalität ist die Gefahr für Recht und Ordnung in diesem Land.
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Uns ist etwas gelungen, über das wir in der Tat lange Debatten und Diskussionen geführt haben. Wie kann man Recht und Ordnung an unserer Grenze durchsetzen? Wie kann das Recht, das übrigens geltendes europäisches Recht ist, an unserer Grenze seine Anwendung finden? Wir haben uns darauf verständigt, dass wir aus den Transitzonen Zurückweisungen vornehmen, dass wir das europäische Recht anwenden, dass nicht jeder in Deutschland ein Asylverfahren bekommen kann, der das wünscht, sondern dass das in die Zuständigkeit derjenigen EU-Länder fällt, in denen jemand zum ersten Mal als Migrant auftritt und registriert wird.
({5})
Dabei handelt es sich ganz klar um Durchsetzung von Recht. Deswegen ist auch damit ein Signal in die Welt gesetzt: Es reicht nicht mehr, einfach europäischen Boden zu betreten, um dann automatisch nach Deutschland kommen zu können.
({6})
Es reicht nicht, nur Regeln zu setzen; man muss dann auch die Bereitschaft haben, sie durchsetzen zu wollen.
({7})
Wir haben diese Bereitschaft. In einer Situation in Europa und in Deutschland, die zurzeit davon geprägt ist, dass wir wirtschaftliche Erfolge haben, dass wir stark sind, dass wir Wachstum haben, dass wir Gott sei Dank niedrige Arbeitslosigkeit haben, haben wir auch sehr deutlich klargemacht, dass von dieser Stärke des Landes alle profitieren müssen. Das heißt, dass man nicht nur darüber diskutiert, wie man neue Verteilungsmechanismen entwickeln kann, sondern vor allem auch darüber diskutiert wird, wie man die Bürger entlasten kann.
({8})
Wir wollen die Spielräume nutzen, um die Bürger zu entlasten. Der Haushalt gibt die Grundlage dafür mit einem starken Entlastungspaket, mit der Erhöhung des Kindergeldes, mit dem Abbau der kalten Progression, mit der Entlastung bei den Sozialbeiträgen, mit der Einführung des Baukindergeldes in Höhe von 1 200 Euro pro Jahr rückwirkend ab dem 1. Januar dieses Jahres, damit die Familien bessere Möglichkeiten haben, in eigene Wohnungsimmobilien zu investieren. Ja, meine Damen und Herren, das, was wir in der Koalition vereinbart haben und hier mit diesem Haushalt umsetzen, das ist ein Rekordförderprogramm für Familien, und es ist richtig, diese Entlastung bei den Familien jetzt durchzusetzen.
({9})
Ich will aber auch deutlich darauf hinweisen, dass noch mehr an Entlastung möglich ist, als wir jetzt in diesem Haushalt vorgesehen haben. Wir haben eine Entlastung bei den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung. Aber wir können da deutlich mehr machen. Wenn man sich die Prognosen zur Entwicklung der Rücklagen der Arbeitslosenversicherung anschaut, dann sieht man, dass bis zum Jahr 2022, falls wir keine Beitragssenkungen vornehmen, über 50 Milliarden Euro an Rücklagen bei der Arbeitslosenversicherung aufgebaut werden. Die Arbeitslosenversicherung ist aber keine Sparkasse für Beitragsgelder der Arbeitnehmer. Ehe eine solche Rücklage aufgebaut wird, muss zunächst einmal darüber gesprochen werden: Wie kann man eine Entlastung der Beitragszahler durchführen? Deswegen sage ich Ihnen: Wir brauchen deutlich mehr als 0,3 Prozentpunkte Entlastung bei den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung. Wir müssen so weit entlasten, dass das Geld, das bei der Arbeitslosenversicherung landet und sonst in den Aufbau einer Rücklage fließen würde, bei den Arbeitnehmern landet, meine Damen und Herren.
({10})
Ich rate auch dringend dazu, dass wir uns bei der Frage der Entlastungen auch die Steuerentlastungen noch einmal anschauen. Die Prognosen, die wir für die Steuereinnahmen haben, sagen eine bessere Entwicklung voraus, als wir sie zu Zeiten der Koalitionsverhandlungen angenommen haben. Wenn es eine bessere Entwicklung gibt, dann wollen wir auf der einen Seite starke Investitionen, zum Beispiel auch im Verteidigungsetat, haben. Wir wollen auf der anderen Seite aber auch stärkere Entlastungen bei den Bürgern erreichen. Deswegen muss schon in dieser Wahlperiode die Entscheidung zur Reduzierung bzw. Abschaffung des Soli einer genaueren Prüfung unterzogen werden. Wenn wir in dieser Wahlperiode die Chancen und Möglichkeiten haben, noch stärker vom Soli zu entlasten, als dies im Koalitionsvertrag vorgesehen ist, dann darf dies kein Tabu in der Diskussion sein, meine Damen und Herren.
({11})
Ich habe darauf hingewiesen, dass wir Investitionen in den Verteidigungsetat brauchen. Da hätten auch wir uns einen größeren Aufwuchs gewünscht, den man ja für die nächsten Jahre planen kann. Wir haben formuliert, dass wir das 2-Prozent-Ziel der NATO einhalten wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht diejenigen, die die Einhaltung des 2-Prozent-Ziels fordern, verhalten sich hier falsch, sondern diejenigen, die meinen, sie könnten das 2-Prozent-Ziel, das wir ja vereinbart haben, diskreditieren, und die ständig von Aufrüstung reden.
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Auch die setzen die Sicherheit unseres Landes aufs Spiel.
Wir brauchen eine starke Verteidigung. Wir brauchen eine starke Bundeswehr, die international für Friedenseinsätze zur Verfügung steht. Deswegen brauchen wir auch eine stärkere Ausrüstung der Bundeswehr. Das hat mit Aufrüstung überhaupt nichts zu tun, meine Damen und Herren.
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Es ist richtig, dass wir diesen Weg jetzt konsequent gehen. Wir brauchen Investitionen, Innovationen, Entlastungen und eine Stärkung der Familien. Das ist ein Haushalt, der klar auf Wachstum in diesem Land setzt. Deswegen ist er ein guter Haushalt für Deutschland. Ich wünsche mir, dass wir diesen Weg beim Haushalt 2019 konsequent weitergehen.
Danke schön.
({14})
Herzlichen Dank, Herr Kollege Dobrindt. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist erfreulich, dass sich hier einige auch mit Zwischenrufen sehr aktiv an der Debatte beteiligen. Zwischenrufe sind nicht nur vorgesehen, sondern auch erwünscht, Zwischenreden allerdings nicht.
Als Nächstes spricht zu uns die Kollegin Dr. Frauke Petry, fraktionslose Abgeordnete.
Sehr geehrter Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Bundeskanzlerin! Der aktuelle Haushalt beträgt 344 Milliarden Euro. Er ist der größte je da gewesene Haushalt, und dabei fehlen leider Rückstellungen für künftig haushaltswirksam werdende Garantien. Wir haben eine Prognose, die ein Wirtschaftswachstum von circa 2,2 Prozent voraussagt. Aber der Bundeshaushalt wächst um das Doppelte. Das heißt, wir leben ganz einfach über unsere Verhältnisse.
Deutschland hat nur noch circa 15 Millionen Nettosteuerzahler, wenn man die staatlich Angestellten einmal abzieht. Bei circa 12 Millionen Angestellten in staatlichen Behörden – das sind über 15 Prozent – sind wir gar nicht so weit vom Drama der griechischen Administration entfernt, wo circa 20 Prozent der Beschäftigten in staatlichen Stellen arbeiten. Die Folgen der Migrationskrise, spätestens seit 2015, haben zu einem weiteren Stellenaufwuchs in Behörden geführt. Wir wissen von einer Vervierfachung der Zahl der Stellen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf 8 000 Stellen. Wir wissen, dass landauf, landab Verwaltungsgerichte die Verfahren nicht mehr bewältigen können, sondern weitgehend gelähmt sind und auch dort die Landeshaushalte entsprechend vergrößert werden müssen. Der Etat des Ministeriums für Arbeit und Soziales beträgt im aktuellen Haushalt 140 Milliarden Euro. Das sind über 2 Milliarden Euro mehr als letztes Jahr.
Da frage ich mich: Wenn es Deutschland so gut geht, wenn die Wirtschaft boomt, wenn wir so gern von „nahezu Vollbeschäftigung“ reden, warum ist ausgerechnet dieser Haushalt so gigantisch groß? Er widerspricht, Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrte Bundesregierung, Ihren Ausführungen bzw. Ihrer Interpretation. Wir haben mitnichten das, was wir in diesem Haushalt bräuchten: einen Aufbruch für mehr Wachstum, für mehr Wohlstand und vor allen Dingen für einen sich zurücknehmenden Staat; denn er breitet sich weiter aus.
Die Zinskosten für die Bundesschuld sind fast so groß wie die gesamten Etats der Bundesministerien der Justiz und für Verbraucherschutz, für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, für Ernährung und Landwirtschaft sowie der Finanzen. Sie betragen 21 Milliarden Euro, und das in Zeiten von Negativzinsen. Sie können ausrechnen, wie hoch dieser Titel wäre, wenn die Zinsen wieder steigen.
Meine Damen und Herren, Ihrem Haushalt fehlt die rote Linie, wenn man Orientierungslosigkeit und Stückwerk als rote Linie nicht gelten lässt. Was wir brauchen, ist eine Wirksamkeitsbenchmark, ein Maß dafür, ob Ihre sogenannten Investitionen wirklich Erfolg bringen, ob sie dabei helfen, dieses Land voranzubringen. Nehmen wir als Beispiel die Energiepolitik. Wir wissen, dass Planwirtschaft zu DDR-Zeiten und zu Sowjetzeiten nicht funktioniert hat, und sie funktioniert auch im Jahr 2018 nicht. Der Strompreis ist in zehn Jahren um 27 Prozent gestiegen. Die deutsche Industrie hat heute mehr als 30 Prozent mehr für Strom zu zahlen als die europäischen Nachbarn.
Und weil Ihnen das noch nicht reicht, haben wir seit wenigen Tagen die Lkw-Maut auch auf Bundesstraßen. Wenn man dem Speditions- und Logistikverband glaubt, dann haben wir damit eine weitere Milliardenbelastung für Unternehmen, die am Ende – das wissen wir alle – auf die Verbraucher, also die Bürger, übertragen wird.
Lassen Sie uns deswegen, anstatt den größten Haushalt aller Zeiten zu feiern, in guter alter Tradition doch einmal nach Westen blicken, in die USA. Nach 500 Tagen Trump steht fest: Die amerikanische Wirtschaft boomt, die Arbeitslosigkeit ist im 18‑Jahres-Tief, und die Arbeitslosigkeit von Afroamerikanern und Lateinamerikanern befindet sich im Allzeittief. Das Verbrauchervertrauen wächst, Firmen investieren nahezu 40 Prozent mehr, und offenbar wurde sogar die koreanische Halbinsel befriedet. Und hier benötigen Sie, liebe Kollegen von CDU und CSU, drei Wochen, um sich auf eine von zwei weitgehend wirkungslosen Alternativen in der Migrationsthematik zu einigen, während die FDP zwar gerne Steuersenkungen fordert, aber auf europäischer Ebene mehr Verwaltung will, um weniger Staat zu bekommen, Herr Lindner. Die Amerikaner lachen uns dabei aus.
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Ein wahres Wort hat Frau Merkel in den letzten Tagen gesprochen. Sie hat gesagt: Die Migration kann zur Schicksalsfrage Europas werden. – Das stimmt, nur haben Sie leider nicht die Kraft, die Fehler der vergangenen Jahre einzugestehen und daraus für uns eine Position der Stärke zu generieren.
Das einzig Gute am vergangenen EU-Gipfel ist der deutlich erkennbare Paradigmenwechsel in der europäischen Politik. Auch wenn Sie, Frau Merkel, sich mit Händen und Füßen dagegen wehren – und Teile dieses Hauses sowieso –, werden die europäischen Völker mehrheitlich dem australischen Modell, der Politik Orbans, Kurz’, Salvinis und auch Seehofers folgen, damit wir Europa als Hort der Freiheit, des Wohlstands und der Demokratie hoffentlich noch rechtzeitig bewahren und wiederbeleben. Wir sollten öffentlich Ehrlichkeit darüber herstellen, dass wir weder in Deutschland noch in Europa in der Lage sind, Millionen von Migranten aufzunehmen und Afrika zu helfen, es sei denn, wir reden über Hilfe zur Selbsthilfe.
Meine Damen und Herren, ich vermisse in diesem Haushalt Wesentliches: eine Senkung der Staatsausgaben, eine Stärkung durch Entlastung für Mittelstand und Familien – auch bei der Bürokratie – und die Überprüfung staatlicher Beihilfen auf Sinnhaftigkeit und Effizienz. Diese Kriterien sind nicht erfüllt. Deshalb verdient der Haushalt auch keine Zustimmung.
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Herzlichen Dank. – Als Nächstes spricht zu uns der Kollege Johannes Kahrs von der SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute ja schon viele Reden gehört, und ganz besonders hat mich die Rede vom Kollegen Kauder gefreut. Der Kollege Kauder hat ja betont: Wir brauchen einen starken Staat, wir brauchen Investitionen in die Infrastruktur, wir brauchen Investitionen in den sozialen Wohnungsbau.
({0})
Herr Kauder, man merkt doch, dass diese Große Koalition eine breite Basis hat, dass wir gemeinsam viel Gutes in diesem Land schaffen wollen. Das freut mich sehr. Wir Sozialdemokraten werden das auch zum Anlass nehmen, immer darauf zu achten, dass wir genauso viel Geld für den sozialen Wohnungsbau wie für das Baukindergeld ausgeben,
({1})
und wir wissen Sie hier an unserer Seite. Deswegen ist das auch gut so.
In den letzten Jahren sind viele Investitionen nicht abgeflossen. Das werden wir ändern, und das haben wir schon in diesem Haushalt gezeigt.
({2})
Wir haben mehr Geld in Personal investiert; wir werden mehr Personal einstellen. Es gilt der gute sozialdemokratische Dreisatz: neue Stellen schaffen, Stellen heben, Auflösung von Befristungen.
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Nur so kriegen Sie eine öffentliche Verwaltung, die satisfaktionsfähig ist und die in der Lage ist, die Gelder, die wir hier beschließen, auch abfließen zu lassen, die die PS auf die Straße bringt. Ich glaube, es ist richtig, wichtig und gut, dass wir hier nicht nur Zahlen beschließen, sondern dass vor Ort auch was passiert.
({4})
Dieser Haushalt zeigt, dass wir auch in diesen Haushaltsberatungen noch mehr für Investitionen getan haben. 2,4 Milliarden Euro für den Digitalfonds, für Schulen und für den Breitbandausbau sprechen eine deutliche Sprache.
In den letzten Jahren haben wir viel über Breitbandausbau und digitale Infrastruktur gesprochen. Wir werden das jetzt machen.
({5})
Ich glaube, das ist einer der Punkte, die wichtig sind, und deswegen werden wir das auch entsprechend umsetzen.
Wir als SPD haben uns dafür eingesetzt, dass wir trotz der Investitionen und der Ausgaben für neues Personal und die Dinge, die in diesem Land für Bildung und für Familien wichtig sind, keine neuen Schulden machen.
Herr Dobrindt – er steht gerade, weil er weiß, dass er angesprochen wird – hat ja nun erwähnt, wofür er noch viel mehr Geld ausgeben möchte. Einige Punkte finde ich auch gut. Aber, Herr Dobrindt, lernen Sie von Sozialdemokraten: Man kann nicht nur ausgeben und Steuern senken.
({6})
Man muss auch aufpassen, dass man keine neuen Schulden macht.
Herr Dobrindt, lassen Sie sich von der SPD ins Stammbuch schreiben: Die nachfolgende Generation – das hat etwas mit Generationengerechtigkeit zu tun – möchte nicht Ihre Schulden bezahlen.
({7})
Deswegen: Seitdem die SPD in diesem Land mitregiert, also seit fünf Jahren, gibt es keine neuen Schulden, und das ist auch gut so.
({8})
Da jetzt die Kolleginnen und Kollegen von der AfD wieder am Rumkrähen sind, können wir kurz einen Ausflug zu dem machen – wir reden ja über den Haushalt –, was sie sich in den Haushaltsberatungen geleistet haben. Nicht nur, dass die AfD die gesetzliche Rente abschaffen möchte. Das sollten sich die Wählerinnen und Wähler der AfD einmal genau überlegen:
({9})
Wenn man die gesetzliche Rente abschaffen möchte, dann kümmert man sich nicht um die sozial Schwachen in diesem Land.
({10})
Also sollten wir das unterlassen.
({11})
Ich habe mir auch Ihre Anträge durchgelesen. Da Sie immer sagen, dass Sie etwas für die innere Sicherheit übrighaben: Es gibt ja zwei Deckblätter der AfD. Zum einen wollen Sie den Zuschuss an den Bundesnachrichtendienst auf null kürzen. Und zum anderen wollen Sie den Zuschuss für das Bundesamt für Verfassungsschutz auf null kürzen.
({12})
Das heißt, die AfD möchte das Bundesamt für Verfassungsschutz und den Bundesnachrichtendienst abschaffen. Ehrlich gesagt: Mit innerer Sicherheit hat das nichts zu tun.
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– Ich kann gut verstehen, dass Sie das Bundesamt für Verfassungsschutz abschaffen wollen.
Herr Kollege.
Die sollten Sie nämlich untersuchen! Rechtsradikale braucht in diesem Land niemand!
({0})
Herr Kollege Kahrs, zunächst einmal richte ich liebevoll ermahnende Worte an Vertreter der AfD-Fraktion. „Haben Sie noch alle?“ ist kein parlamentarischer Ausdruck, wenn man einen Redner klassifiziert.
({0})
– Wer immer sich angesprochen fühlt, kann sich zu Wort melden. – Mir liegen Wortmeldungen aus der AfD-Fraktion vor. Herr Kollege Kahrs, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Mit Rechtsradikalen rede ich nicht.
({0})
Gut. Dann machen wir jetzt weiter. Wir haben in diesem Haushalt nicht nur viel Gutes getan, sondern wir haben auch in Bereiche investiert, die normalerweise vom Bund nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen.
({1})
Es ist so, dass der Deutsche Bundestag in den letzten Jahren sehr viel mehr für Kultur getan hat. Kultur ist immer der Bereich, in dem zuerst gekürzt wird: in Ländern und in Kommunen. Wenn Geld vorhanden ist, finden wir Sozialdemokraten, kann man in Kultur investieren. Wir tun das. Die Staatsministerin Grütters, die hinter mir sitzt, liest zwar gerade,
({2})
aber sie ist diejenige, mit der wir das tun, wenn wir in Kultur investieren.
({3})
Zur Auswärtigen Kulturpolitik wird Staatsministerin Müntefering etwas sagen.
Ein Blick auf den Haushalt zeigt: Wir haben hier auch Leuchttürme. Diese haben wir entsprechend unterstützt, ob das die Konzerthalle in Görlitz war, die Zeppelintribüne in Nürnberg, die Dreimastbark „Seute Deern“ in Bremerhaven, aber zum Beispiel auch das Nationaltheater in Mannheim, wo wir mit dem Oberbürgermeister Peter Kurz eng zusammengearbeitet haben.
({4})
Manchmal muss der Bund auch helfen, wenn es nicht anders geht. Wir Sozialdemokraten sind, was Helfen angeht, ganz besonders gut.
Ich freue mich über die gute Zusammenarbeit mit der CDU/CSU, im Bereich der Kultur mit der Kollegin Lips. Sie guckt gerade so intensiv fröhlich, weil sie gleich redet. Also, vielen Dank für die gute Zusammenarbeit. Die Koalition funktioniert auf der Sachebene immer gut.
({5})
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Herr Kollege Kahrs.
Die Erregung veranlasst mich zu mehreren Bemerkungen. Erstens. Es ist seitens der AfD-Fraktion gerügt worden, sie seien als Rechtsradikale bezeichnet worden. Dies ist im Rahmen der Meinungsäußerung zulässig. Ob es zutreffend ist, habe ich nicht zu bewerten. Auch die Fraktion Die Linke muss sich gelegentlich dem Vorwurf aussetzen, sie seien Linksradikale. Noch einmal: Ob das zutreffend ist, ist nicht meine – –
({0})
– Auch dies könnte ich jetzt bewerten, aber das mache ich nicht, Herr Kollege Birkwald.
Zweitens. Es ist mir zugetragen worden, dass der Kollege Baumann den Redner mit dem Begriff „Verleumder“ belegt hat. Das haben wir nicht gehört. – Sie stehen dazu. Dann erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.
({1})
Die Fraktion der AfD hat mich gebeten, eine Kurzintervention zuzulassen, was ich gerne machen würde, wenn der Kollege Kahrs dem zustimmt.
({2})
Der Kollege Boehringer würde gerne eine Kurzintervention machen. Ich lasse das zu. – Herr Kollege Boehringer.
Herr Präsident! Ich beschränke mich auch auf die nötigsten sachlichen Korrekturen.
({0})
Herr Kahrs, Sie wissen genau und wussten auch bei Ihrer Rede ganz genau, warum es diese zwei Änderungsanträge gab, die natürlich ein Ausdruck des Protests waren. Natürlich will den BND niemand abschaffen. Natürlich will das BKA niemand von uns abschaffen.
({1})
Sie wussten das ganz genau. Es war ein Ausdruck des Protests unserer Fraktion, dass auch nach vier Anläufen in diesem Hause die Kontrollgremien für die Haushalte dieser Geheimdienste keinen Vertreter der AfD enthalten.
({2})
Deshalb haben wir uns tatsächlich erlaubt, diese Spitze zu setzen.
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Ich finde, die Spitzen, die die SPD setzt, sind signifikant anders, und auch was die Grünen teilweise gemacht haben, war noch erheblich schärfer, teilweise auch humorloser als diese kleine Spitze, die wir uns da erlaubt haben.
({4})
Das konkret in dieser Sache.
Zum Thema Rente: Es gibt keinen Änderungsantrag. Auch das waren Fake News. Es gab keinen einzigen Änderungsantrag zur gesetzlichen Rente in diesem Haushaltsprozess.
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Ich bitte Sie, auch das zur Kenntnis zu nehmen. Ansonsten haben Sie vermutlich hellseherische Fähigkeiten, wie die AfD zum Rentenkonzept steht. Es gibt nämlich dazu keine Aussage,
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im Haushaltsprozess nicht und auch nicht final in anderen Gremien.
Herzlichen Dank.
({7})
Herr Kollege Kahrs, wollen Sie antworten?
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Fangen wir mit dem Letzten an: Wenn Sie jetzt Herrn Meuthen aus der AfD ausschließen wollen, dann akzeptiere ich Ihre Entschuldigung, was die Rente angeht.
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Ansonsten legen wir die Anträge vor; Haushaltsausschuss 19. Wahlperiode, Anträge 501 und 325. Sie als Vorsitzender haben ja selber die Sitzung geleitet.
Bisher habe ich immer gedacht: Auch wenn Sie rechtsradikal sind, muss ich Sie wenigstens ernst nehmen. Wenn Sie aber jetzt schon Anträge stellen, die Sie nur als Scherz meinen, dann fragt man sich, ob Ihre Anwesenheit hier ein Scherz ist. Dann wäre das allerdings ein schlechter.
({1})
Wir haben uns als SPD und CDU/CSU hingesetzt und für die Dienste mehr Personal und mehr Geld beschlossen, weil wir finden, dass Typen wie Sie überwacht gehören.
Vielen Dank.
({2})
Herr Kollege Kahrs, für die Bemerkung, „dass Typen wie Sie überwacht gehören“, erteile ich Ihnen ebenfalls einen Ordnungsruf.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Nächste spricht zu uns die Kollegin Patricia Lips, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Haushaltsberatungen sind immer die Hochzeit des Parlamentes, nicht nur des Deutschen Bundestages, auch in allen anderen Parlamenten in unserem Land. Gestatten Sie mir, zu sagen: Dazu gehört Temperament. Das haben wir heute Vormittag auch gezeigt. Traditionell beginnt der Mittwochvormittag mit dem Einzelplan der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Er wird zur Generaldebatte genutzt – das ist gut so; das ist wichtig –, und am Ende beschließen wir aber nichtsdestotrotz, Kolleginnen und Kollegen, auch einen Einzeletat.
Gestatten Sie mir, dass ich im Verlauf dieser Debatte doch noch den einen oder anderen Blick darauf werfe. Denn neben dem eigentlichen engeren Bereich des Bundeskanzleramtes gehören weitere Bereiche dazu, die wir an dieser Stelle nicht vergessen wollen, weil sie ebenfalls eine große Bedeutung haben. Ich erwähne in diesem Zusammenhang das Bundespresseamt, die Informationsdienste, die Sie seitens der Bundesregierung leisten, aber auch – vielleicht sitzt der eine oder andere da; viele Kolleginnen und Kollegen kennen es – im Zusammenhang mit den Besuchergruppen.
Wir haben im Bundeskanzleramt den Bereich Migration, Flüchtlinge und Integration unter der Staatsministerin Annette Widmann-Mauz angesiedelt. Wir haben dort als jüngstes Projekt das Thema Digitalisierung unter der Staatsministerin Dorothee Bär angesiedelt. Und – Johannes Kahrs hat schon ein bisschen den Übergang geschaffen – wir haben natürlich den Bereich Kultur und Medien mit Monika Grütters als Staatsministerin.
Wenn man von einem Gesamtetat des Bundeskanzleramts von rund 3 Milliarden Euro spricht und Kultur und Medien rund 1,8 Milliarden Euro davon in Anspruch nehmen, dann zeigt das auch, welche Bedeutung und welchen Stellenwert dieses Thema für uns hat.
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Es steht nicht immer im Vordergrund vieler Menschen in diesem Land, wenn über den Haushalt diskutiert wird. Aber es ist durchaus eine Klammer. Wenn man die Debatte heute Morgen verfolgt hat, in der viel vom gesellschaftlichen Zusammenhalt gesprochen wurde, muss man feststellen, dass man das Thema „Kultur und Medien“ nicht unterschätzen sollte. Es ist ein Bereich, bei dem die Mittel eigentlich nie infrage gestellt werden, solange es dem Land gut geht. Es zeigt die Vielfalt unseres Landes. Dankbar sage ich: Es ist ein Bereich, der weitgehend ideologiefrei ist und vor allem von großer Freiheit geprägt ist.
({1})
Unzählige Menschen engagieren sich in unserem Land im Bereich von Kultur und Medien, in der Musik in all ihrer Vielfalt, im Theater, in der Literatur, im Museum, bei Festivals bis hin zu Filmproduktionen und Dokumentationszentren für unsere Erinnerungskultur. Alle tun dies mit viel Kreativität, viele mit ihren Händen, aber vor allem mit Herzblut. Nicht vergessen wollen wir – Johannes Kahrs hat das erwähnt – die baulichen Kulturgüter, die je nach Region unsere Geschichte widerspiegeln.
In Zusammenarbeit mit den Bundesländern und Kommunen übernimmt der Bund seit Jahren seine Rolle, um diese ganz besondere Art von Reichtum zu fördern und zu bewahren. Dieser Reichtum ist es doch, der unsere Gesellschaft prägt, unsere Städte, ganz besonders aber unsere Regionen. Genau darauf wollen wir einen Schwerpunkt legen.
Natürlich geht es hier genauso wie in vielen anderen Bereichen um einen Mehrwert für unser Land. Kein Verschiebebahnhof! Jeder muss seiner Verantwortung gerecht werden. Länder und Kommunen tragen natürlich den Löwenanteil. Die Kulturhoheit ist auch deren Gut. Aber es ist gleichermaßen eine wichtige und schöne Aufgabe, diese seitens des Bundes bei der Erreichung ihrer Ziele zu unterstützen.
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Bei allen Themen, die die Menschen zu Recht bewegen – viele wurden heute Vormittag benannt –, dürfen wir nicht vergessen: Gerade Kultur ist auch ein Brückenbauer und Botschafter unseres Landes zugleich. Auch deshalb ist diese Gemeinschaftsaufgabe so wichtig.
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Umso mehr freue ich mich, dass wir bereits am vergangenen Mittwoch im Haushaltsausschuss erneut grünes Licht für zusätzliche Projekte mit einem Gesamtvolumen von mehr als 100 Millionen Euro noch 2018 beschließen konnten. Die betreffenden Projekte können zeitnah Unterstützung erfahren.
Lassen Sie mich nun das eine oder andere in Kürze herausgreifen. Wir hatten erst vor kurzem eine Debatte über unseren Auslandssender Deutsche Welle. Sie ist unsere Stimme in der Welt und eine Stimme der Freiheit. Sie wird auch empfangen in Krisen- und Kriegsregionen, gibt den Menschen Hoffnung, wo autoritäre Regierungen Meinungsfreiheit und Demokratie gefährden.
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Unser Ziel ist, sie in der kommenden Zeit auf das Niveau anderer großer und namhafter europäischer Sender anzuheben und ganz konkret Kooperationen zu unterstützen, wie nun im Bereich der Türkei. Aber auch der Ausbau des Kultursenders soll zusätzliche Mittel erfahren. 7 Millionen Euro sind bereits eingestellt.
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Ein weiterer Punkt: Vieles in der Kultur spielt sich in kleinteiligen Einheiten ab. Deshalb freue ich mich nicht minder über die Unterstützung der Kulturförderfonds des Bundes sowie weiterer Einrichtungen. Mit diesen Mitteln werden deutschlandweit Projekte der bildenden und darstellenden Künste, der Literatur, der Musik und vieles mehr gefördert.
Last, but not least – hier schlägt mein Herz ein bisschen schneller –: Wir bringen erneut ein großes Paket auf den Weg, das die Bundesländer bei ihrer Arbeit zum Schutz und Erhalt wertvoller kleinerer Kulturdenkmäler überall in unserem Land unterstützt. Diese strahlen oft nicht über ihre unmittelbare Region hinaus. Sie sind jedoch zumeist einzigartig und stiften damit ganz konkret vor Ort Identität, gerade auch in ländlichen Gebieten, wo die Menschen leben und arbeiten.
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Wann immer wir von Infrastruktur reden: In der Kultur gehört sie ebenfalls dazu.
An dieser Stelle spreche ich abschließend allen meinen Dank aus, die in den vergangenen Wochen daran mitgewirkt haben: Staatsministerin Monika Grütters, den Kolleginnen und Kollegen der Union wie auch des Koalitionspartners.
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Ich bin der Überzeugung, dass wir einmal mehr ein sehr gutes Paket für die Menschen in unserem Land auf den Weg gebracht haben. Ich sage dies ausdrücklich im Großen für den Gesamthaushalt wie auch im etwas Kleineren hier in diesem Bereich.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Lips. – Als Nächstes für die SPD-Fraktion der Kollege Dennis Rohde.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen heute einen Tag vor Abschluss des Bundeshaushaltes 2018. Man muss ehrlich sagen: Es wird Zeit, dass wir die vorläufige Haushaltsführung dann auch mal beenden. Es hat alles aufgrund der schwierigen Regierungsbildung etwas länger gedauert.
Obwohl wir in den letzten Tagen und Wochen intensiv und zuweilen auch kontrovers über den Haushalt diskutiert haben, obwohl wir in nächtelangen Sitzungen vieles noch verändert, verbessert haben, muss man doch ehrlich zugestehen: Diese Debatte stand in den letzten Tagen und Wochen nicht wirklich im Fokus der medialen Aufmerksamkeit. Wenn ich mir die Debattenbeiträge links und rechts neben der Haushaltsdebatte der vergangenen Wochen so ansehe, dann wundere ich mich schon, was man für einen kurzfristigen Erfolg alles aufs Spiel zu setzen bereit ist, und ich meine dabei nicht ausschließlich die Stabilität einer Regierung.
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Ich war bisher immer der Überzeugung, dass die Einheit Europas für alle demokratischen Parteien ein Wert an sich ist,
({1})
ein Wert, für den es sich zu kämpfen lohnt und den es auf jeden Fall zu bewahren gilt.
Generationen von europäischen Politikern haben doch teils visionär, teils durch stundenlange Überzeugungsarbeit vor allem eins erschaffen: einen Kontinent, auf dem die Völker friedlich zusammenleben, einen Kontinent, auf dem das Miteinander vor dem Gegeneinander kommt. Es waren Politikerinnen und Politiker wie Konrad Adenauer oder Willy Brandt, die vor allem eins sicherstellen wollten: Die Menschen in Europa sollten nie wieder Opfer eines Krieges werden.
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Ich sage: Die Verständigung der Staaten Europas ist und bleibt der größte und wichtigste Garant für Frieden in unserem Land und damit auch der größte und wichtigste Garant für Freiheit und Wohlstand.
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Nun gibt es Generationen, die der große Nutznießer der damaligen Vision eines geeinten und eines friedlichen Europas sind. Es gibt Mitglieder des Deutschen Bundestages, die in ihrem Leben keinen Krieg auf diesem Kontinent erlebt haben werden. Denen ist das größte Geschenk überhaupt zuteilgeworden, nämlich ein Leben in Frieden. Es ist ein Geschenk, dass man sich selbst nie die Fragen stellen musste, die sich viele Schutzsuchende aus Kriegsgebieten zwangsweise stellen mussten: Verlasse ich meine Heimat, und riskiere ich dabei auch noch mein Leben, oder sehe ich vor Ort zu, wie sich all das in Trümmer verwandelt, was ich in meinem Leben aufgebaut habe, und riskiere ich dabei auch noch, dasselbige zu verlieren? – Man kann nur sagen: Welch Glück, wenn man sich in seinem Leben diese Fragen nicht stellen musste.
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Ich spreche hier und heute auch für viele der noch jüngeren Generation in unserem Land; denn ich will sagen: Es macht mich zunehmend sprachlos, wie dieses höchste Gut der europäischen Einheit und des europäischen Friedens zum Spielball von machtpolitischen Interessen geworden ist. Wo sind wir eigentlich angekommen, wenn man Europa laufend und immer wieder für innerpolitische Debatten zur Disposition stellt und es einigen offenkundig egal ist, ob das europäische Bündnis am Ende daran zerbricht? Was sagen diejenigen, die das tun und die ihr Leben lang von den Vorzügen Europas profitiert haben, eigentlich ihren Kindern und Enkelkindern?
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Auch die kommenden Generationen haben ein Recht, in einem geeinten und in einem friedlichen Europa zu leben. Wer die Axt an Europa anlegt, der legt sie auch an die Zukunft der jungen Generation an. Ich sage deutlich: Wir sind nicht bereit, dabei zuzusehen, wie geschichtsvergessene und an der Zukunft nicht interessierte Politikerinnen und Politiker dieses Friedensbollwerk aus reinem Machtkalkül aufs Spiel setzen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch an der Art der politischen Auseinandersetzung erkennt man die beängstigenden Veränderungen der letzten Monate. Vielen geht es nur noch um Überschriften, um Schlagworte, um Zuspitzungen. Es geht für viele nicht mehr um Inhalte, sondern nur noch darum, den politischen Gegner herabzusetzen. Vermeintlich einfache Wahrheiten sind mancherorts an die Stelle echter komplexer politischer Auseinandersetzungen gerückt. Wir wissen doch: Wer der Verrohung der Sprache nicht entgegenwirkt, darf sich über die Verrohung des Handelns am Ende auch nicht wundern.
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Wenn ich bei Facebook Kommentare lese, die voller Hass, voller Missgunst und voller Beleidigungen sind, wenn ich Überschriften lese, die vorverurteilen und einseitig sind, wenn ich Tweets lese, die offen hetzen, wenn ich auf YouTube agitatorische Reden mit offenen Drohungen sehe, dann wird mir aufs Neue klar: Das genau ist nicht unsere Art, zu leben. Genau das ist nicht Teil der Errungenschaften unserer Gesellschaft. Genau das ist kein Charakterzug eines modernen Landes.
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Und daher möchte ich noch einmal wiederholen, was ich vor fast zwei Jahren in der Generaldebatte zum Haushalt hier gesagt habe: Es tut mir leid um diejenigen, deren Ängste und Zweifel missbraucht und instrumentalisiert werden. Anstatt ihnen Mut zu machen, Perspektiven zu eröffnen, will man sie mitnehmen auf die eine Seite der Gesellschaft, um sie dann gegen die andere Seite der Gesellschaft auszuspielen. Für mich, für uns ist klar: Wir wollen in einem Deutschland leben, in dem man nicht wieder nach seinem Aussehen oder seiner Herkunft bewertet wird.
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Wir wollen in einem Deutschland leben, in dem religiöse Orientierung, Sprache, Homosexualität oder sozialer Status nicht Grundlage für Stigmatisierung sind.
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Wir möchten auch in Zukunft in einem Deutschland und in einem Europa leben, in dem das Miteinander weiter vor dem Gegeneinander kommt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich bin überzeugt davon, dass dieses Land es schaffen wird, den Versuchungen der Demagogen und der Europafeinde zu widerstehen. Ich bin überzeugt davon, dass wir dem widerstehen, wenn wir uns auf das besinnen, was uns ausmacht: ein starkes Deutschland in einem starken und solidarischen Europa.
Vielen Dank.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege Rohde. – Als Nächstes für die AfD-Fraktion der Kollege Dr. Marc Jongen.
({0})
Herr Kollege Kahrs, darf ich Sie ansprechen? – Wir wissen im Präsidium, dass wir die Nutzung von Handys und Smartphones im Plenarsaal nicht unterbinden können. Aber die Bitte, das Fotografieren zu unterlassen, wiederhole ich jetzt, und die gilt für alle.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den vergangenen Tagen wurden wir entsetzte Zeugen einer Regierungskrise, und die Gefahr der Eskalation zur Staatskrise ist längst nicht gebannt. Die deutsche Regierung leistet sich Szenen einer zerrütteten Politehe wie in einer Bananenrepublik.
({0})
Insofern wäre es vielleicht konsequent, dass das misslungene Freiheits- und Einheitsdenkmal, im Volksmund „Bundesbanane“, nun tatsächlich gebaut wird; das gäbe unserem Weg in die Bananenrepublik einen symbolischen Ausdruck.
({1})
Nein, meine Damen und Herren, setzen wir kein solch fatales Symbol in unsere Hauptstadt – die 17 Millionen Euro dafür wurden ja jetzt gottlob noch gesperrt –, schreiben wir den Wettbewerb für dieses Denkmal neu aus und prämieren dann einen würdigen Entwurf!
({2})
Sie finden den Ausdruck „Bananenrepublik“ übertrieben? Machen Sie sich bewusst: Eine Regierungschefin hindert ihren Innenminister daran, geltendes Recht anzuwenden
({3})
und das Land vor dem massenhaften illegalen Grenzübertritt durch Migranten zu schützen. Sie begründet es damit, Herr Hofreiter, dass eine solche nationale Lösung zulasten Dritter gehen würde. Was zulasten des eigenen Volkes geht, das interessiert Frau Merkel längst nicht mehr. Sie ist die Kanzlerin der anderen.
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Dass diese Mentalität an die Macht gelangen konnte und sich so lange dort halten konnte, das hat sehr viel mit dem kulturellen Klima zu tun, einem kulturellen Klima, in dem die Missachtung des Eigenen bei gleichzeitiger kritikloser Bejubelung alles Fremden als normal gilt und Kritik daran sofort mit der „Rassismus“-Keule beantwortet wird.
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Seit 20 Jahren mindestens steht die Kulturpolitik der Bundesregierung im Dienst des Umbaus Deutschlands zu einer multikulturellen Vielfaltsgesellschaft. Diese Politik arbeitet erklärtermaßen an der Aushöhlung der nationalen Identität und damit aktiv an der Zerstörung der Kulturnation Deutschland.
({6})
Normalerweise sind höhere Beamte diplomatisch, aber manchmal plaudern sie auch die Geheimnisse ihrer Regierung aus: Der Leiter der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt, Dr. Andreas Görgen, hielt im vergangenen September eine Rede „Für eine post-nationalstaatliche Kulturpolitik“. Er bezichtigte diejenigen, die – Zitat – „dem souveränen Nationalstaat hinterherträumen“, wörtlich der „spießbürgerlichen Ignoranz“. Man lässt sich also von den Bürgern des Nationalstaats Deutschland qua Steuern ein üppiges Salär bezahlen und beschimpft sie als Spießer, wenn sie der Abschaffung des eigenen Landes nicht untertänig zustimmen. Was für eine Arroganz, meine Damen und Herren!
({7})
Natürlich verkaufen die schon viel zu lange hier Regierenden dieses perfide Programm mit den allerschönsten Worten. Zum Beispiel verpackt man es als „Nationalen Aktionsplan Integration“, auch im Kulturbereich. Und wer hat schon etwas gegen die Integration von Migranten? Die AfD auch nicht – wenn es denn darum ginge, Migranten an die deutsche Kultur heranzuführen, sodass sie sich assimilieren und spätestens in der zweiten oder dritten Generation keine Fremden mehr sind. Nur dadurch wäre der soziale Frieden nachhaltig zu sichern in diesem Land.
Aber das Gegenteil geschieht: Die Merkel-Regierung will nicht Fremden helfen, Deutsche zu werden; sie macht vielmehr Deutsche zu Fremden im eigenen Land.
({8})
Sie ist eine post-nationalstaatliche Regierung, eine Regierung gegen das eigene Volk.
Man will die interkulturelle Öffnung der Kultureinrichtungen erzwingen. Man will Diversity Management von Museen, Theatern usw. einfordern. Vor allem will man die Legitimität kultureller Vielfalt mithilfe der Staatsmedien in den Köpfen verankern. Dieses Cultural Mainstreaming ist nichts anderes als eine subtile Form der Gehirnwäsche, meine Damen und Herren.
({9})
Ich habe mich lange gefragt, wie eine ehemals bürgerliche Partei wie die CDU sich solcher linksradikalen Ideologie widerstandslos ergeben kann.
({10})
Seit ich im Kulturausschuss bin, weiß ich: Sie sind einfach zu unbedarft, um dieses Spiel zu durchschauen, aber ich erkläre es Ihnen gerne.
({11})
Seit der gute alte Proletarier ausgedient hat,
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ist Die Linke auf der verzweifelten Suche nach einem neuen revolutionären Subjekt – und da hat sie den Migranten für sich entdeckt. Ziel bleibt wie eh und je die Zerstörung der bürgerlichen Gesellschaft und des Nationalstaats.
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Darum lassen Sie sich nicht täuschen, Frau Kollegin Motschmann und die gesamte CDU/CSU-Fraktion: Wenn Herr Bartsch die Bibel zitiert, dann meint er eigentlich die Mao-Bibel.
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Bleiben Sie nicht länger die nützlichen Idioten dieser gewieften linken Ideologen.
Hinter dieser Regierungskrise steht als tiefere Ursache ein Kulturkampf. Die AfD nimmt diesen Kulturkampf an und begegnet ihm mit der grundsoliden bürgerlichen Vernunft eines Franz Josef Strauß.
({15})
Aus demselben Grund lehnen wir diesen ideologisch durchsetzten Kulturhaushalt ab.
Vielen Dank.
({16})
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Jongen. – Ihr Hinweis auf das Denkmal für Einheit und Freiheit gibt mir Veranlassung zu folgender Feststellung: Ich gehe davon aus, dass Sie mit mir übereinstimmen, dass Beschlüsse des Deutschen Bundestages umzusetzen sind. Ich erinnere daran, dass der Deutsche Bundestag zweimal mit überwältigender Mehrheit beschlossen hat, dieses Denkmal zu errichten.
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Ich denke, es wird Zeit, dass es auch dazu kommt.
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Als Nächstes hat für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Elisabeth Motschmann das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kultur ist das schönste Feld der Politik. Das hat Herr Jongen leider noch nicht begriffen;
({0})
aber das lernen Sie vielleicht auch noch im Laufe der Zeit.
Aber auch die schönen Künste brauchen Geld; auch hier gilt: Ohne Moos nichts los. Heute beschließen wir einen Kulturhaushalt in Höhe von fast 1,8 Milliarden Euro. Das ist eine stattliche Summe für die Kultur in unserem Land, wenn man bedenkt: Als die CDU das Ressort übernommen hat, waren noch 950 Millionen Euro im Topf für die Kultur. Durch den unermüdlichen Einsatz auch unserer Staatsministerin Monika Grütters ist es gelungen, nun eine solche Summe im Kulturhaushalt zu erzielen.
Es sind 9 Prozent mehr als im Haushalt 2017; in diesem Jahr gibt es 317 Millionen Euro zusätzlich. Das ist eine Erhöhung im Vergleich zum Regierungsentwurf 2017 von rund 23 Prozent. Mehr Mittel für den Ankauf national wertvollen Kulturguts, mehr für die Deutsche Welle, mehr für die Filmförderung – und all das ist gut angelegtes Geld. Wir konnten in den Haushaltsberatungen den Etat noch mal um 100 Millionen Euro im Vergleich zum Regierungsentwurf erhöhen. Das verdanken wir sicherlich der guten konjunkturellen Lage und dem Verständnis unserer Kollegen im Haushaltsausschuss.
Aber ehe wir uns selbst auf die Schulter klopfen und meinen, wir seien so toll, sage ich ganz klar: Toll sind die Kulturschaffenden, die Künstler, die Musiker, die Schauspieler, Regisseure, Autoren. Sie verdienen unseren Dank, und nicht umgekehrt.
({1})
Ihnen schulden wir das Geld, das wir im Haushalt beschließen. Wir alimentieren sie nicht.
Ein wichtiges Thema in dieser Legislatur ist die Kultur im ländlichen Raum; deshalb lege ich darauf den Schwerpunkt meiner Rede: sie wollen wir in den kommenden Jahren fördern. Die Hauptstadt mit ihren Leuchtturmprojekten ist und bleibt uns wichtig. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Menschen auf dem Land haben den gleichen Anspruch auf vielfältige, lebendige Kultur wie die Touristen und Staatsbesucher in der Hauptstadt.
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Wir wollen, dass sich Jugendliche nicht an Bushaltestellen treffen müssen. Wir wollen, dass sie spannende Kulturorte haben. Dafür ist der Bund nicht allein zuständig. Der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder hat es gesagt: Wir unterstützen hier die Länder und Kommunen. – Wenn wir die Landflucht nicht fortgesetzt wissen wollen, ist Folgendes wichtig: Kultur im Dorf, an unerhörten Orten, in Scheunen, Ruinen, Kinos, Gedenkstätten, Kirchen, Klöstern oder auch ganz simpel in Gaststätten mit kleinen Bühnen. Dort können wir solche Kulturräume schaffen. Deshalb gibt es erneut das Denkmalschutz-Sonderprogramm und demnächst das „Zukunftsprogramm Kino“.
„Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ heißt das fünfbändige Werk von Theodor Fontane. Nächstes Jahr feiern wir seinen 200. Geburtstag. Wir müssen jetzt unsererseits durch die Landschaften unserer Republik wandern – nicht nur durch die Mark Brandenburg – und aufspüren, wo wir Kulturräume und Kultur im ländlichen Raum fördern können.
({3})
Aus der Vielzahl der Förderungen im Kulturhaushalt ist mir besonders wichtig, noch mal das Programm „Jugend erinnert“ zu erwähnen. Das bleibt eine Kernaufgabe der Kulturpolitik. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Kinder und Jugendlichen ihre Geschichte und die Probleme der Geschichte kennen, um zu guten Demokraten zu werden. Hier leisten die Gedenkstätten, die wir mit über 30 Millionen Euro fördern, einen ganz wichtigen Beitrag.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, eine Bitte muss ich nun doch äußern: Stimmen Sie bitte dem Freiheits- und Einheitsdenkmal endlich zu. Es gehört zur guten demokratischen Kultur, dass wir unsere eigenen Beschlüsse auch umsetzen. Wir haben es dreimal im Bundestag beschlossen und es auch in der Koalitionsvereinbarung festgelegt: Nun muss dieses Denkmal endlich kommen. Ich hoffe, dass auch Johannes Kahrs das versteht.
({4})
Abschließend – der Präsident ermahnt mich jetzt auch – möchte ich noch einen Dank an das Ehrenamt im Kulturbereich loswerden; denn ohne die ergänzende Unterstützung von Ehrenamtlichen und Sponsoren wäre vieles an Kultur im Land nicht möglich.
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Deshalb gilt ihnen mein besonderer Dank; denn sie stiften entweder Zeit oder Geld oder beides, und das ist wichtig.
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Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Ich ermahne nicht nur, ich bin auch konsequent.
Letzter Satz. Allerdings sollten wir gerade diesen Ehrenamtlichen nicht durch Überbürokratisierung das Leben schwer machen; denn manches, was wir beschließen, fördert nicht die Kultur, sondern hindert sie. Bürokratisierung ist gerade für Ehrenamtliche ein großes Problem.
({0})
Also, ein Kulturhaushalt – –
Frau Kollegin, ich habe Ihnen gerade das Wort entzogen, nachdem Sie eine Minute über Ihrer Zeit sind.
({0})
– Ja, ich finde auch, dass das schade ist; aber die Geschäftsordnung legt mir nahe, dass ich alle gleich behandle.
({1})
Ich verweise immer gerne auf § 35 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung.
Als Nächstes erhält für die Fraktion Die Linke das Wort die Kollegin Brigitte Freihold.
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Einigungsvertrag von 1990 bezeichnet das vereinte Deutschland als „Kulturstaat“, dessen kulturelle Aufgaben einschließlich der Finanzierung zu sichern sind. Vor zehn Jahren hat die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ einstimmig empfohlen, Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern. Das ist übrigens auch eine Forderung der Linken.
({0})
Doch umgesetzt wurde das bislang leider nicht. Dieses Versäumnis zeigt sich auch bei den Haushaltsberatungen. So wurden zwar die Kulturförderfonds aufgestockt – auch eine langjährige Forderung der Linken –, das Ungleichgewicht des Kulturetats bleibt jedoch insgesamt bestehen.
Zwei unterfinanzierte Bereiche möchte ich hervorheben. Das ist zum Ersten die kulturelle Bildung. Kulturelle Bildung ermöglicht kulturelle Teilhabe, die Auseinandersetzung mit dem eigenen kulturellen Hintergrund und der kulturellen Vielfalt unserer Gesellschaft. Sie steht für gesellschaftlichen Zusammenhalt und unsere Identität in Europa.
({1})
Kulturelle Bildung braucht die Verankerung in den Schulen und die Interaktion mit kulturellen Einrichtungen. Nur so ist eine lebendige, kreativitätsfördernde Vermittlung zu gewährleisten. Deshalb fordern wir eine Erhöhung des Budgets für kulturelle Vermittlung um 1,5 Millionen Euro.
({2})
Ohne diese Mittel gehen kreative Ressourcen verloren. Das können wir uns nicht leisten, besonders angesichts der vielfältigen Bedrohungen unserer Demokratie!
({3})
Die Herausforderungen unserer divers-kulturellen Gesellschaft sind langfristig. Und langfristig und sicher muss auch die Finanzierung kultureller Vermittlung sein.
({4})
Zum Zweiten. Im Bereich der Pflege des Geschichtsbewusstseins kompensiert bürgerschaftliches Engagement leider allzu häufig mangelndes staatliches Engagement. Die „Topographie des Terrors“ wäre ohne bürgerschaftliche Vereine wie das „Aktive Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e. V.“ und die Berliner Geschichtswerkstatt gar nicht entstanden. Viele weitere Beispiele wären zu nennen. Die Mitarbeiter der Stiftung Topographie des Terrors leisten trotz personeller Unterbesetzung vorbildliche Arbeit. Die Räumlichkeiten platzen aus allen Nähten, und ein Neubau wäre nötig.
({5})
Gestern wurde dort die Ausstellung zur „Aktion Reinhardt“ eröffnet. Die Bundesregierung hat es hingegen versäumt, den 75. Jahrestag der „Aktion Reinhardt“, bei der 2 Millionen Juden sowie Sinti und Roma ermordet wurden, angemessen zu begehen. Ich finde, das ist ein Skandal.
({6})
Bekennen Sie sich zu Ihrer historischen Verantwortung! Stimmen Sie deshalb am Donnerstag unserem Entschließungsantrag – Drucksache 19/3131 – zur Erinnerung an die Opfer der „Aktion Reinhardt“ zu,
({7})
der die Dimensionen von Wissenschaft und Forschung mit historischer Vermittlung und Gedenken verbindet.
Die Gedenkstätten sind insgesamt strukturell unterfinanziert und in ihrer Tätigkeit eingeschränkt.
Frau Kollegin, auch Sie müssen zum Schluss kommen.
Ein Satz. – Der Haushaltsentwurf 2018 gleicht den Verantwortungszuwachs der Gedenkstätten nur zum Teil aus. Um die gedenkstättenpädagogische Arbeit zu sichern, fordern wir eine Erhöhung der Mittel um weitere 2,5 Millionen Euro.
Herzlichen Dank.
({0})
Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes spricht zu uns für die SPD-Fraktion die Kollegin Michelle Müntefering.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Koalitionsvertrag unterstreicht die Rolle der Kulturpolitik, gerade die der internationalen Kulturpolitik. Er formuliert deutliche Ansprüche für diese Legislaturperiode. Herr Jongen, Sie haben hier gerade einen politischen Beamten angegriffen. Das gehört sich nicht. Ich sage Ihnen: Dieser Beamte macht gute Arbeit, ebenso wie die ganze Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes.
({0})
Ich möchte an dieser Stelle heute sagen: Angesichts der Lage in Europa und in der Welt ist es folgerichtig, dass wir die internationale Kulturpolitik aufwerten. Auch einige Debatten der letzten Tage haben gezeigt: Innen- und Außenpolitik gehören zusammen und müssen zusammen gedacht werden. Die Kulturarbeit wird dabei immer wichtiger: für die europäische Integration, den Zusammenhalt, aber auch für die Freiheitsräume, die kritische Auseinandersetzungen zulassen – weltweit. Aber statt Open Spaces sehen wir eher Shrinking Spaces. Künstler oder Journalist zu sein, ist in manchen Teilen der Welt ein gefährliches Unterfangen geworden, und international stehen wir einer immer größeren Zahl von Akteuren der internationalen Kulturpolitik gegenüber. Wir befinden uns in einem Wettbewerb der Narrative, in dem wir unsere Werte und Positionen selbstbewusst vertreten müssen. Kurz gesagt: Wir müssen aktiv helfen, die Freiheit zu stärken.
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Genau das tun wir. Das tun wir mit der internationalen Kultur- und Bildungspolitik. Mit dem weltumspannenden Netzwerk schaffen wir Verbindungen, Austausch, ja sogar Freundschaften zwischen Menschen, oft auch da, wo Politik nicht mehr sprachfähig ist. Wir schaffen Bindungen an Deutschland: in unseren Bildungseinrichtungen, in deutschen Schulen im Ausland. Über 600 000 Schülerinnen und Schüler lernen im Ausland Deutsch. Die Partnerschulen bauen wir weiter aus. Mit Stipendienprogrammen und Wissenschaftsförderung werben wir um kluge Köpfe auf der ganzen Welt.
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Wir bekämpfen Fluchtursachen mit Bildungsprojekten in den Herkunftsländern, die Perspektiven für Menschen vor Ort schaffen, und auch durch eine gezielte Auslandskommunikation, die ein realistisches Bild unseres Landes zeichnen soll. Auch die Arbeit der Deutschen Welle unterstützen wir. Daher ist es gut, dass hier beim BKM aufgestockt wurde.
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Frau Kollegin Müntefering, erlauben Sie mir eine kurze Unterbrechung. – Ich würde die Kolleginnen und Kollegen bitten, der Rednerin zuzuhören und dieses ständige und dauerhafte Gemurmel zu unterlassen. Wir haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch zwei weitere Redner. Das gilt übrigens auch für die Mitglieder der Bundesregierung auf der Regierungsbank. Das kommt sehr deutlich an mein Ohr,
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und ich werde die Personen demnächst namentlich benennen, die ich jetzt darum bitten würde, ihre Schwatzhaftigkeit zu unterlassen.
Frau Kollegin Müntefering, Sie haben das Wort.
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Nicht zuletzt übernehmen wir auch Verantwortung. Die Programme zum Schutz verfolgter Künstlerinnen und Künstler aus Syrien oder der Türkei helfen ihnen, bei uns Zuflucht zu finden. Wir wollen mit der Alexander von Humboldt-Stiftung diese Projekte fortsetzen und mit dem ifa und dem Goethe-Institut weiterentwickeln. Ohne die Unterstützung des Unterausschusses „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“ und die Weisheit der Haushälter wäre es nicht möglich gewesen, diesen Bereich unserer Politik auf diese Weise zu stärken. Mit 956 Millionen Euro haben wir in diesem Jahr unterm Strich 33 Millionen Euro mehr als 2017 und damit einen verantwortbaren, aber deutlichen und wichtigen Aufwuchs in diesem Bereich erzielt.
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Ich finde, zu den großen Qualitäten unserer Kulturpolitik gehört, dass es auch einen Austausch jenseits von Parteigrenzen gibt.
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Als ehemalige Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion im Unterausschuss habe ich diese Kultur unserer parlamentarischen Arbeit in den letzten Jahren sehr schätzen gelernt. Wir alle wissen – das ist vielleicht das Schönste, wenn man mit der internationalen Kulturpolitik zu tun hat; Elisabeth Motschmann hat es gerade gesagt –: Wir tun etwas Gutes.
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Wir glauben an die Kraft der Demokratie und an die Kraft der Aufklärung, so wie es übrigens auch Thomas Mann getan hat, der im kalifornischen Exil einst zum politischen Schriftsteller, aber auch zum großen Demokraten wurde. Er beschrieb in seiner Zeit – ich zitiere das –: „Es ist ein schreckliches Schauspiel, wenn das Irrationale populär wird.“ Die Begegnungsstätte in seinem ehemaligen Haus hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gerade eröffnet. Es wird künftig ein Haus des Austausches, der Auseinandersetzung mit unserer Zeit sein.
Wir verstärken den Austausch mit den USA, gerade in einer Zeit, in der die Kommunikation schwieriger wird. Auch mit dem Deutschlandjahr werden wir Gelegenheit haben, uns als Partner im Kulturaustausch zu präsentieren.
Frau Kollegin Müntefering, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehm von der Linksfraktion, der heute sehr aktiv ist?
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Wo ist er denn?
Links, ganz links.
Kollege Diether Dehm, darf ich den Absatz noch zu Ende bringen, und wir machen das am Ende? – Super.
Sie entscheiden es selbst, Frau Kollegin.
Wir arbeiten mit Russland, besonders mit der jungen Generation, die auch in Zukunft Wege der Verständigung finden muss.
Sie sehen an den Beispielen: Es gibt für uns alle genug zu tun. Das Auswärtige Amt beginnt nun einen Prozess, der eine neue Strategie für unsere internationale Kultur- und Bildungspolitik aufgreift und 2020 in eine neue Ausrichtung münden soll; denn dann wird die Kulturabteilung 100 Jahre alt. Wir setzen auch hier auf Zusammenarbeit und den Austausch mit dem Deutschen Bundestag.
Schon heute arbeiten wir zusammen mit den französischen Partnern auch daran, gemeinsame Kulturinstitute aufzubauen, und wir werden unsere Arbeit in Afrika erweitern.
Lieber Dennis Rohde, auch ich gehöre zu einer Generation, für die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und Freiheit selbstverständlich waren; aber sie sind es eben nicht. Auch deswegen müssen kommende Generationen die Möglichkeit haben, eigene Zugänge zur Welt und auch zu unserer Geschichte zu finden – über die Partnerschaftsvereine der Kommunen, die im Übrigen als internationale Akteure immer wichtiger werden, über Freiwilligen- und Austauschdienste. Das werden wir fördern; denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, Demokratie ist Teil unserer politischen Kultur, und wir müssen aufpassen, dass sie nicht unter die Räder kommt.
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Ich wünsche mir, dass all diejenigen, die Verantwortung tragen, sie annehmen und konstruktiv für ein stabiles, weltoffenes Deutschland eintreten. Wir brauchen Kooperation und Zusammenarbeit statt nationaler Abschottung. Das ist unsere Verantwortung in allen Fragen unseres Zusammenlebens und bei unseren politischen Entscheidungen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Müntefering. Die Zwischenfrage kann ich jetzt nicht mehr zulassen, weil Ihre Rede zu Ende ist.
Ich dachte, er macht eine Intervention.
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Der Kollege wollte eine Zwischenfrage stellen.
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Ihre Rede ist zu Ende. Sie können gerne Platz nehmen.
Na gut!
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Die Geschäftsordnung sieht Endfragen nicht vor, Herr Kollege, sondern nur Zwischenfragen. – Ihre Rede ist zu Ende, und wir wollen sie auch nicht durch die Zwischenfrage verlängern. Sie dürfen Platz nehmen, Frau Kollegin Müntefering.
Da ich den Drang sehe, lasse ich die Kurzintervention zu, Herr Kollege Dehm.
Ich muss zwei Anmerkungen loswerden, Herr Präsident: Ich bin immer ein aktiver Abgeordneter.
Ja, aber heute besonders.
Und den Unterschied zwischen dem Zwischenruf und der Zwischenrede lasse ich mir natürlich gerne von Ihnen als Jurist noch erläutern.
Frau Kollegin Müntefering, ich wollte vorab eine kleine Anmerkung machen: Thomas Mann wurde nicht erst in Kalifornien zum großen politischen Schriftsteller; er war es schon vorher.
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Aber er hat dann natürlich mit seinen BBC-Interventionen von dort noch einen draufgesetzt – da haben Sie schon recht.
Aber jetzt meine Frage oder mein Hinweis. Wir haben in den Jahren im Unterausschuss parteiübergreifend eine große Gemeinsamkeit gehabt, und dafür danke ich auch sehr. Wir haben gemeinsam etwas für die Kulturschaffenden getan. Aber wie fanden Sie denn die Verrenkungen der CDU bei den Haushaltsbeschlüssen? Wenn wir in den Fragen der Erhöhung des Etats für die Kultur übereingestimmt haben, hat die CDU dennoch darauf bestanden, mit den Vertretern meiner nun mal sehr kulturvollen linken Partei keine gemeinsamen Anträge zu verabschieden.
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Frau Kollegin, wollen Sie antworten? – Herr Kollege Dr. Dehm, es wäre schön, wenn Sie stehen blieben.
Lieber Kollege Dehm, es kommt jetzt darauf an, ob ich als Abgeordnete oder als Staatsministerin antworte.
Sie antworten als Abgeordnete, Frau Kollegin.
Ich antworte einfach als Politikerin. Ich sitze hier auf dem Platz der Abgeordneten. Insofern verweise ich darauf, dass hierzu natürlich eine Absprache unter den Koalitionsfraktionen getroffen worden ist. Sie wissen, dass ich immer dafür offen war: Wo Politik gemeinsam arbeitet und wo wir gemeinsame Ziele formulieren, habe ich mich dafür eingesetzt – gerade im Gremium des Unterausschusses in den letzten Jahren –, dass wir die gemeinsamen Ziele erreichen.
Ich nehme als Beispiel das Thema Sobibor, zu dem Die Linke immer etwas eingebracht hat, auch einen Antrag. Ja, es gab bei der Abstimmung dann Unterschiede; da waren Sie nicht immer zufrieden. Aber ich denke, wir haben vor allen Dingen in einem gemeinsamen Geist, in einem gemeinsamen Sinne gearbeitet. Ich würde mir auch in den nächsten Jahren genau diesen gemeinsamen Geist wünschen, den ich sehr zu schätzen gelernt habe.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Herr Kollege Dr. Dehm, Sie sind immer aktiv; aber heute sind Sie besonders aktiv. Das wollte ich zum Ausdruck bringen.
Der Unterschied zwischen einem Zwischenruf und einer Zwischenrede besteht darin, dass ein Zwischenruf gelegentlich aus einem Wort, manchmal aus einem Satz besteht. Eine Zwischenrede besteht aus einer Aufeinanderfolge von Sätzen, und das ist heute mehrfach passiert.
Als Nächstes spricht zu uns die Kollegin Margit Stumpp für Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! „Horst Seehofer kündigt Unionsbündnis mit CDU auf“ – das war vor zweieinhalb Wochen die Sensationsmeldung, unter anderem bei „Reuters“, „Bild“ und „tagesschau24“. Wie sich wenig später herausstellte, war das eine als Eilmeldung getarnte Fake News des Satiremagazins „Titanic“. Es überrascht nicht, dass „Russia Today Deutsch“ als eine der ersten diese Falschmeldung ungeprüft verbreitete und eine begeisterte Konsumentin das hier im Parlament postwendend übernommen und verkündet hat. Das war ein Paradebeispiel für die Mechanismen unserer sensationsgetriebenen Medienlandschaft.
Angesichts von Fake News und Desinformation, zunehmender Medienkonzentration und der weltweit immer stärker bedrohten Pressefreiheit ist die Medienpolitik der Bundesregierung ein Armutszeugnis. Schon im Koalitionsvertrag sucht man vergeblich nach mutigen Impulsen. Der Haushaltsentwurf fällt entsprechend mau aus. Wo ist der Plan für den Kampf gegen den grassierenden Populismus, gegen Nationalismus und die Diffamierung von Minderheiten?
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Ihr Hauptaugenmerk liegt auf der Kulturpolitik, Frau Staatsministerin Grütters. Aber gibt es in Zeiten, wo Antidemokraten fast ihr ganzes Fraktionsgeld in ihre Propagandamaschinerie stecken, nicht deutlich wichtigere Herausforderungen als die Rekonstruktion eines Barockschlosses?
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In Ihrer Regierungserklärung erwähnten Sie pflichtschuldig, dass „die Vielfalt und Unabhängigkeit der Medien“ zu pflegen seien. Mit Verlaub: Das ist nichts weiter als eine leere Worthülse. Mittel im Haushalt zur Stärkung der Medienvielfalt? Null!
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Auch beim wichtigen Thema Medienkompetenz findet sich wenig. Wo ist das im Koalitionsvertrag versprochene gesamtstaatliche Bündnis für kulturelle Bildung und Vermittlung sowie Medienkompetenz?
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Glauben Sie wirklich, die 4 Millionen Euro für die Initiative „Ein Netz für Kinder“ decken den so drängenden Handlungsbedarf? Warum wurde die Nationale Initiative Printmedien beerdigt? Wo bleibt der Blick in die Breite? Fazit: Beim Thema Medienkompetenz mangelt es der Bundesregierung sowohl an Bewusstsein als auch an Strategie.
Auch andere wichtige Themen liegen brach. Wie schützt die Bundesregierung verfolgte Journalisten? Die Bundesregierung führt keine Statistik über die Erteilung von Visa für verfolgte Medienschaffende. Das wirft die Frage auf, ob solche Visa überhaupt erteilt werden. Die Bemühungen zur Einsetzung eines UN-Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalistinnen und Journalisten stocken auch. Ihre Willensbekundungen zum Einsatz für die Pressefreiheit in allen Ehren, aber wenn de facto nichts passiert, dann ist auch Ihr guter Wille irgendwann nicht mehr glaubhaft.
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Damit bin ich bei der Deutschen Welle. Deren finanzielle und strukturelle Stärkung tut gleichfalls not. Der Mittelaufwuchs sollte noch enger an die Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags geknüpft werden; denn dieser geht weit über das reine Verbreiten von Nachrichten hinaus. Es ist nicht hinzunehmen, dass die Verantwortlichen die Bereinigungssitzungen abwarten müssen, um einschätzen zu können, welche Vorhaben realisierbar sind. Damit sie ihren gesetzlichen Auftrag erfüllen kann, braucht die Deutsche Welle mitsamt ihrer wichtigen DW-Akademie Planungssicherheit und eine Verstetigung der Mittel.
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Ich komme zur Kulturpolitik. Im Koalitionsvertrag sind durchaus bedenkenswerte Absichten formuliert. Ansätze im Haushaltsentwurf? Wieder Fehlanzeige! Der Einzelplan 04 enttäuscht. Es reicht nicht, immer wieder den Aufwuchs des Kultur- und Medienetats zu feiern, wenn es innerhalb der Kulturförderung kein Gleichgewicht gibt und die wahren Probleme nicht angegangen werden.
Wir wollen die Teilhabe an Kunst und Kultur stärken und die Förderung ausbauen. Deshalb haben wir die Mittelaufstockung bei den Bundeskulturfonds und der Musikförderung, insbesondere die Rücknahme der Etatkürzung für den wichtigen Spielstättenprogrammpreis APPLAUS, beantragt. Dies wurde von der Koalition leider abgelehnt. In der Bereinigungssitzung ist man unserer Forderung dann doch noch nachgekommen. Das freut uns. Kultur braucht Verlässlichkeit. Deshalb werden wir auch 2019 eine weitere Aufstockung der notwendigen Mittel beantragen.
Unsere Kunst- und Kulturlandschaft ist zwar reich, aber sie ist größtenteils gebaut auf prekären Lebensverhältnissen, unsicheren Jobs und der Leidenschaft der Künstlerinnen und Künstler. Von Beifall und Lob allein kann niemand leben, Frau Motschmann.
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Wir erwarten mehr als Loblieder auf große Projekte und inhaltsleere Ankündigungen.
Zum Schluss ein Wort zum Einheitsdenkmal. Werter Herr Kahrs, werte SPD, Sie haben in der letzten Sitzungswoche den überfälligen Baubeschluss für das Denkmal gezielt von der Tagesordnung des Haushaltsausschusses genommen. Damit haben Sie sich über die Beschlusslage des Deutschen Bundestages hinweggesetzt. Zwei Wettbewerbe, mehrere Anhörungen im Kulturausschuss und zwei Bundestagsbeschlüsse sind damit Makulatur. Diese Aktion ist peinlich und den Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr vermittelbar.
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Wer so mit Projekten umgeht, zeigt: Es geht hier nicht um die Sache.
Ich fürchte, mit dieser Koalition werden uns unwürdige Machtspielchen und verantwortungslose Machtproben weiter begleiten. Um es mit meinem Kollegen zu sagen: Braucht’s des? Und um es auf Schwäbisch zu beantworten: Noi, des braucht’s ned. Es wäre auch ein Zeichen von Kultur, dieses Gebaren endlich zugunsten der Inhalte und damit der Menschen in diesem Land zu beenden.
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Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Als letzter Redner in der Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt der Kollege Dr. Jens Zimmermann für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir auch in dieser Generaldebatte über Digitalisierung debattieren; denn dieses Thema ist ja nun beim Kanzleramt angesiedelt. Ich begrüße es ausdrücklich, dass noch vor der Sommerpause das Digitalkabinett zu seiner ersten Sitzung zusammengekommen ist. Dieses Kabinett nach rheinland-pfälzischem Vorbild ist wichtig, um die Digitalisierung in der gesamten Bundesregierung zu koordinieren und voranzutreiben.
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Wir begrüßen es auch ausdrücklich, dass die Bundesregierung bis zum Herbst eine neue Digitalstrategie, eine Digitale Agenda II, vorlegen wird. Wir hier im Parlament fordern ganz selbstbewusst ein, dass das Parlament und der Ausschuss Digitale Agenda dabei beteiligt werden.
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In dieser, auch wenn das vielen nicht so vorkommt, doch noch relativ jungen Legislaturperiode haben wir in den ersten etwas mehr als 100 Tagen einiges erreicht. Ich will nur an die 2,4 Milliarden Euro für den Digitalfonds erinnern, die in diesem Bundeshaushalt drinstehen. Wir haben vereinbart, dass 10 bis 12 Milliarden Euro für den Ausbau der Breitbandnetze genutzt werden sollen. Gestern erst sind die Förderrichtlinien dafür vorgelegt worden. Das begrüße ich ausdrücklich. An dieser Stelle muss es weitergehen. Wir verdoppeln den Förderhöchstbetrag von 15 auf 30 Millionen Euro. Wir wollen Glasfaser bis ans Haus. Das alles haben wir in diesen ersten 100 Tagen auf den Weg gebracht.
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Aber es muss weitergehen. Es gibt keinen Grund, sich auszuruhen. Wir brauchen zum Beispiel auch Lösungen für die sogenannten grauen Flecken. Das sind die Landkreise in Deutschland, die schnell waren, die vorangegangen sind. Diese Landkreise brauchen in Zukunft aber auch Unterstützung, um beim Glasfaserausbau voranzukommen. Ich habe heute Morgen sehr genau zugehört, als die Bundeskanzlerin gesprochen hat. Sie hat darauf hingewiesen, dass auf den Verkehrsminister da sehr viel Arbeit zukommt. Das kann ich nur unterstreichen. Wir werden den Verkehrsminister und seine Kolleginnen und Kollegen natürlich unterstützen und vielleicht an der einen oder anderen Stelle, wo das nötig ist, auch ein wenig antreiben.
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In dem Digitalfonds ist aber nicht nur Geld für den Breitbandausbau vorgesehen, sondern auch für den Digitalpakt, für die Bildung, für die Schulen. Das ist auch bitter nötig. Wir brauchen nicht nur schnelles Internet in den Schulen – das ist auch sehr wichtig; ich habe gestern erfahren, dass Hunderte von Schulen immer noch, seit dem ersten Förderprogramm, mit 6 Mbit pro Sekunde surfen, was viel zu wenig ist –, wir müssen auch Geld bereitstellen, damit die Schulen in die Infrastruktur investieren können. Jetzt ist das Geld für den Digitalpakt angemeldet, meine Damen und Herren.
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Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Herr Präsident, wir haben gleich eine Debatte von 210 Minuten hinter uns. Ich glaube, es ist nicht nötig. Vielen Dank.
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Nächster Punkt. Wir brauchen auch – das ist bereits auf den Weg gebracht worden – den nächsten Mobilfunkstandard 5G. Das ist wichtig. Im Beirat der Bundesnetzagentur wurde über die Frequenzversteigerungen diskutiert. Für uns ist ganz klar: Wir müssen dafür sorgen, dass die flächendeckende Abdeckung beim neuen Mobilfunkstandard gewährleistet wird. Denn wir brauchen in Stadt und Land schnelles mobiles Internet.
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Es gilt natürlich auch, nach vorne zu schauen. Wir haben jede Menge Aufgaben. Wir haben hier im Deutschen Bundestag eine Enquete-Kommission zum Thema „Künstliche Intelligenz“ eingesetzt. Es wird dazu eine Daten-Ethikkommission aufseiten der Bundesregierung geben. Denn dieses Thema – künstliche Intelligenz und Algorithmen – und die Frage, wie sich unsere Gesellschaft verändert, sind die Aufgaben, auf die wir in dieser Legislaturperiode als Regierung und als Deutscher Bundestag Antworten finden müssen. Deswegen sind das wichtige Weichenstellungen.
Im Übrigen ist es auch eine ganz wichtige Weichenstellung, dass Arbeitsminister Hubertus Heil ein Digital Lab in seinem Ministerium aufgebaut hat, um die ganzen Grundlagen, die seine Vorgängerin Andrea Nahles mit dem Thema „Arbeit 4.0“ geschaffen hat, weiterzuführen. Denn für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist klar: An der Frage der Zukunft der Arbeit wird sich auch entscheiden, wie sich unsere Gesellschaft in Zukunft entwickeln wird.
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An dieser Stelle kann man, glaube ich, die Debatte von heute sehr gut zusammenfassen. Die Frage, wie wir in Zukunft in Deutschland leben werden, wird zu einem großen Teil von Europas Antwort auf die Frage abhängen, wo es zwischen dem Turbokapitalismus aus dem Silicon Valley auf der einen Seite und einem chinesischen Staatskapitalismus auf der anderen Seite steht, der Digitalisierung nutzt, um seine Menschen zu überwachen. Das sind momentan die zwei Pole, zwischen denen wir in Europa stehen. Daran, meine Damen und Herren, wird sich die Zukunft unseres Landes und unseres Kontinentes entscheiden, und sie wird sich eben nicht an der deutsch-österreichischen Grenze entscheiden.
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Es ist richtig, dass wir im Koalitionsvertrag zum Beispiel das Projekt eines deutsch-französischen Zentrums für künstliche Intelligenz niedergeschrieben haben. Das müssen wir jetzt angehen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir gemeinsam mit Frankreich und gemeinsam mit unseren europäischen Partnern diesen Kontinent in einer digitalen Welt gestalten. Wir als SPD-Fraktion werden dafür kämpfen. Wir werden für Europa kämpfen.
Vielen Dank.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege Dr. Zimmermann. – Mit diesen Worten beende ich die Aussprache.
Wir kommen gleich zur Abstimmung über den Einzelplan 04. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/3176 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Antrag gegen die Stimmen von FDP, AfD und Linken bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen von SPD und CDU/CSU abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 04 – Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt – in der Ausschussfassung namentlich ab. Dazu bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze durch die Schriftführerinnen und Schriftführer eingenommen worden? – Ich sehe, dass das der Fall ist. Dann eröffne ich die Abstimmung über den Einzelplan 04.
Vielen Dank, Herr Präsident. Verzeihen Sie meine Nachlässigkeit.
Verehrte Kollegen! Als wir uns das letzte Mal über den Haushalt des Auswärtigen Amtes unterhalten haben, hat die Alternative für Deutschland moniert, dass dort ein Betrag von über 1,5 Milliarden Euro für Hilfsmaßnahmen vorgesehen ist – NGOs, Vereinte Nationen etc. –, obwohl es andere Töpfe dafür gibt. Auch auf Nachfrage konnte uns das Auswärtige Amt nicht sagen, welche einzelnen Organisationen denn weltweit mit diesen Mitteln unterstützt werden. Wir wissen nur, dass sie in die Töpfe der Vereinten Nationen geflossen sind. Ich ahne, dass es dort auch einige Geldflüsse an Organisationen geben wird, die vielleicht nicht so sehr im Sinne der Hilfsbedürftigen unterwegs sind, sondern denen es eher darum geht, politisch Einfluss zu nehmen.
Ich glaube, dass es eine grundsätzliche Debatte in diesem Lande geben muss, inwiefern eine Regierung NGOs unterstützen kann, die nicht aus humanitären Gründen aktiv sind, sondern die politisch Einfluss nehmen wollen. Wir machen uns damit nämlich, meine Damen und Herren, zutiefst unglaubwürdig. Sie haben die Anwürfe der vergangenen Jahre in Erinnerung. Ich erinnere an die US-Staatssekretärin Nuland, die zugeben musste, dass die USA die ukrainischen Oppositionskräfte über NGOs mit 5 Milliarden US-Dollar unterstützt haben; in Anbetracht dessen ist das Vertrauen in die amerikanische Regierung natürlich nicht sehr groß gewesen. Die Kollegen von der Union kennen so etwas von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Ich nenne nur das Stichwort „Ägypten“; hier wurde sogar mit Haftstrafen etc. gedroht. Auch die Konrad-Adenauer-Stiftung war in der Ukraine nicht ganz untätig, wie Sie der Presse der vergangenen Jahre entnehmen können.
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Wenn wir das so machen, meine Damen und Herren, dann können wir in der Tat mit vielen Regierungen nicht glaubwürdig verhandeln – egal, ob sie uns angenehm sind oder nicht; ich unterstreiche das –, weil auch ein Herr Assad, in Bezug auf den wir sagen: „Mit dem muss man reden“, fragen wird: Wie soll ich zu Ihnen Vertrauen entwickeln, wenn Sie gleichzeitig Organisationen unterstützen, die meinen Sturz betreiben?
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Es kommt aber noch etwas viel Schlimmeres hinzu, nämlich dass selbst die Organisationen, die in der Tat aus rein humanitären Gründen im Einsatz sind, dadurch in Misskredit geraten; ich habe das in meiner Korrespondentenzeit für die ARD oft genug erlebt.
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Das geht dann zulasten der Organisationen, die sich guten Willens engagieren. Ein Beispiel ist „Ärzte ohne Grenzen“, die ich nach wie vor für eine der besten Organisationen weltweit halte.
Wichtig sind auch die Auflagen, die sich das Internationale Rote Kreuz selbst gibt, nämlich keiner Partei in irgendeiner Weise politische Unterstützung zukommen zu lassen. Das Internationale Rote Kreuz ist seit 1856 – Henry Dunant – ganz gut mit dieser Maxime gesegelt. Wir sollten sehr vorsichtig sein, von diesem Weg abzuweichen, weil wir uns dann Verhandlungsmöglichkeiten und Gesprächsmöglichkeiten abschneiden. Dann müssten wir jedem Staatsoberhaupt – egal, wie er gestrickt ist, ob demokratisch oder nicht demokratisch – nachsehen, wenn er sagt: Wie soll ich mit Ihnen vertrauensvoll kommunizieren, wenn Sie gleichzeitig mit viel Geld Organisationen unterstützen, die den Sturz meiner Regierung betreiben? – Ich halte das für einen gefährlichen Weg. Er schafft kein Vertrauen, sondern Misstrauen. Er wird die deutsche auswärtige Politik mit Sicherheit nicht mit Nachhalt zu einem vertrauenswürdigen Gesprächspartner im Ausland machen; Sie haben da ja viel Erfahrung.
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Zu einem anderen Punkt. Ich wundere mich, dass Herr Maas gerade nicht unterwegs ist – nach Österreich, Italien, Ungarn usw. –, um das umzusetzen, was Frau Merkel und Herr Seehofer beschlossen haben.
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– Nein, nein, nein. Da ist auch Herr Maas gefordert. Sie reden doch immer von Multilateralität.
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Sie werden eines erleben: Wir werden bilaterale Verträge mit Österreich, mit Italien, mit Ungarn und anderen schließen müssen, weil wir die Situation, in die Sie sich hineinverhandelt haben – nicht wir uns –, ansonsten gar nicht auflösen können. Das ist dann das genaue Gegenteil von dem, was viele von Ihnen hier im Parlament immer anmahnen, nämlich: Wir müssen ganz Europa mitnehmen. – Sie werden aufgrund der Situation genau das Gegenteil erleben, dass sich nämlich die europäischen Staaten untereinander und bilateral mit den afrikanischen Staaten verständigen werden.
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Im Hinblick auf die afrikanischen Staaten kann ich Ihnen nur das vorhalten, was der französische Staatspräsident Macron getan hat. Er war schon unterwegs und ist schon dabei, genau dieses Thema zu diskutieren. Dabei geht es ihm wahrscheinlich erst mal um Frankreich. Ich glaube nämlich nicht, dass er ein europäisches Gesprächsmandat hat. Zumindest habe ich nichts davon gelesen oder gehört.
Wir wären vielleicht gut beraten, unseren Außenminister ebenfalls nach Marokko, Algerien, Tunesien und vielleicht auch Ägypten zu schicken, obwohl die Ägypter Ihnen, Herr Maas, ja gerade eine Absage erteilt haben,
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um die Möglichkeit zu schaffen, dort vor Ort – das haben wir immer vertreten – Schutzzentren zu schaffen. Hören Sie auf mit den Streitereien über die bayerische Grenze und Ihre Expresszentren, wie die Sozis sie jetzt nennen.
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Das bringt nichts, das wird nur Ärger geben. Außerdem geht nur ein Bruchteil der Flüchtlinge dort rein, und der Rest kommt über andere Grenzen; das wissen wir.
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Es müsste jetzt also eine Gesprächsinitiative mit den afrikanischen Ländern, mit unseren NATO-Partnern und mit unseren europäischen Partnern geben, um im Mittelmeer das zu machen, was wir schon lange hätten machen müssen, nämlich die deutschen und die europäischen Streitkräfte dorthin zu schicken, die Flüchtlinge gleich, wenn sie vom Ufer abgestoßen haben, ans Land zurückzuschicken und dann zu verhandeln, wie man sie in Zentren unterbringen kann, um sie in ihre Heimat zurückzuführen.
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Das ist das Entscheidende, was jetzt außenpolitisch gemacht werden muss, um innenpolitisch überhaupt erst mal wieder Stabilität zu erreichen; denn nur wenn Sie nach außen hin wirken können, können Sie innenpolitisch was gestalten, und damit haben Sie ja gerade die allergrößten Schwierigkeiten.
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Ich weiß, ich bin am Ende meiner Redezeit, Herr Präsident. – Ich finde es hochinteressant, dass an eines immer wieder nicht gedacht wird, nämlich daran, dass die jetzige Situation, dass wir Verhandlungen führen müssen, um das Flüchtlingsproblem zu lösen, aufgrund einer nationalen Entscheidung entstanden ist. Es war die Bundeskanzlerin Angela Merkel, die mit einem deutschen Alleingang – nicht europäisch abgestimmt – diese Situation herbeigeführt hat. Dafür muss sie sich verantworten; dafür müssen sie und ihre Regierung geradestehen.
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Damit ist sie fulminant gescheitert.
Danke schön.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Doris Barnett für die Fraktion der SPD.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe hier eine etwas andere Auffassung.
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Die deutsche Außenpolitik gehört zu den angesehensten in der Welt.
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Allerdings können wir alleine nicht die ganze Welt retten. Aber wir können sie ein Stück besser machen, zu einem besseren und sichereren Platz.
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Über 65 Millionen Menschen sind derzeit auf der Flucht vor Krieg, Gewalt und Verfolgung – die meisten von ihnen sogar im eigenen Land. Einem kleinen Teil dieser Entwurzelten können wir helfen, und wir tun das als Deutschland auch mit Mitteln des Auswärtigen Amtes außerhalb unserer Grenzen und, ja, auch außerhalb unseres Kontinents. Mit 1,5 Milliarden Euro, die wir in die humanitäre Hilfe stecken – und damit fast 300 Millionen Euro mehr als im vergangenen Jahr –, sorgen wir dafür, dass Menschen auf der Flucht Hilfe erhalten – Unterkunft, Essen und medizinische Versorgung – und dass ihre Kinder in die Schule gehen können. Daneben kümmern wir uns auch um die Bevölkerung der aufnahmebereiten Länder, die es ja bei weitem nicht so gut und nicht die gleichen Möglichkeiten haben wie wir.
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Viel wichtiger, als Krisen zu bewältigen, ist für uns aber, Krisen erst gar nicht entstehen zu lassen bzw. so früh wie möglich einzugreifen und sie abzuwenden. Deshalb haben wir auch noch mal 35 Millionen Euro zusätzlich in die Krisenprävention gesteckt. Krisenprävention gehört für uns zum Konzept.
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Um Krisen oder sogar Kriege zu vermeiden, ist für mich auch die Befähigung von Staaten wichtig, der UNO Blauhelmtruppen zur Verfügung zu stellen. Deshalb unterstützen wir afrikanische Staaten im Rahmen der Ausstattungshilfe. Ich möchte den deutschen Soldatinnen und Soldaten dieses Hilfsprogramms an dieser Stelle ausdrücklich danken. Wir Berichterstatter haben uns vor Ort angesehen, wie viel sie mit ihren Partnern erreichen, weil sie sich engagiert ans Werk machen. Ob Munitionsvernichtungsanlagen oder mobile Feldhospitale, ob Wasseraufbereitung, Kfz-Werkstätten oder Floßbau: In Afrika haben wir unseren Partnerländern geholfen, sich Fähigkeiten anzueignen, damit sie als Teil der UNO-Truppen auf dem eigenen Kontinent Krisen entschärfen können.
Hervorragende Arbeit leistet in diesem Zusammenhang auch das Kofi-Annan-Center in Ghana. Die hier gut ausgebildeten örtlichen Truppen des Heeres und der Polizei entlasten schließlich auch uns selbst, hier in Deutschland, weil wir keine weiteren Truppen entsenden müssen.
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So greifen die verschiedenen Maßnahmen des Auswärtigen Amtes ineinander und werden zum großen Bild einer nachhaltigen, sinnvollen und auch ressourcensparenden Außenpolitik.
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In der Tat geht ein erheblicher Teil des Etats des Auswärtigen Amtes an die Vereinten Nationen, die mit ihren Einrichtungen die größte internationale Erfahrung im Krisenmanagement haben. Es mag ja sein, dass bei dem vielen, vielen Geld der eine oder andere Euro mal nicht so verwendet wird, wie Sie sich das alle vorstellen. Aber die meisten Mittel – ich möchte wetten: 99 Prozent der Mittel – werden ordentlich verwaltet. Ganz nebenbei: Der deutsche Bundesrechnungshof überprüft auch die UNO.
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Wir konnten uns zum Beispiel als Berichterstatter in Saatari in Jordanien nahe der syrischen Grenze von dem außergewöhnlichen Einsatz der UNO-Kräfte ein Bild machen. Dort leben über 80 000 Menschen in einem riesigen Zeltlager. Nur damit wir uns davon eine Vorstellung machen können: Das sind so viele Menschen wie die Einwohner von Frankenthal und Speyer zusammen bei mir in der Pfalz. So viele Menschen leben in riesigen Zeltreihen. Über 300 000 weitere Syrer sind auf der Flucht und stehen an der jordanischen Grenze.
Wenn wir jetzt, wie manche vorschlagen, der UNO, dem UNHCR, OCHA und dem World Food Programme die Mittel kürzen, weil Sie ihnen nicht trauen, dann wissen wir doch, was passiert. Die Menschen machen sich auf den Weg dorthin, wo sie versorgt werden: nach Europa. Wer also hier die Axt an die Mittel für die humanitäre Hilfe der UNO legt, also Mittel kürzen will, der ist letztlich auch für weitere Flüchtlingswanderungen nach Europa verantwortlich.
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Aber Menschen fliehen ja nicht nur vor Krieg und Gewalt. Viele verlassen zwangsweise ihre Heimat, weil Trockenheit ihre Felder verdorren lässt, weil Krankheiten die Menschen in ganzen Regionen wegraffen. Das sind dann Umweltflüchtlinge. Diese haben zum Teil auch wir mit zu verantworten. Deswegen müssen wir uns auch um sie kümmern. Diese Menschen möglichst nah ihrer Heimat zu versorgen und ihnen beim Wiederaufbau zu helfen, das ist unsere Aufgabe.
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Unsere humanistisch ausgerichtete Außenpolitik vergisst dabei nicht, dass Menschen auch andere Bedürfnisse haben als Essen oder ein Dach über dem Kopf. Menschen sehnen sich nach Freiheit und nach einem selbstbestimmten Leben, auch unsere Nachbarn im Osten. Die Mittel für die Östliche Partnerschaft, von der im großen Umfang die Ukraine profitiert, stocken wir um 3 Millionen Euro auf jetzt 17 Millionen Euro auf. Das hört sich nicht nach viel an, ist aber für die 2 000 Projekte, die sich darum bewerben und von denen nur ein Teil zum Zug kommt, von erheblicher Bedeutung. Einen Offenen Kanal, also ein Bürgerfernsehen, in der Ukraine zu haben, in der die Fernsehprogramme in wenigen privaten Händen liegen, hat etwas mit Demokratieentwicklung zu tun. Er ist Teil der gefahrfreien Meinungsäußerung, die noch nicht in allen Ländern der Östlichen Partnerschaft angekommen ist.
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Von besonderer Bedeutung für die deutsche Außenpolitik ist und bleibt allerdings die Kultur- und Bildungsarbeit. Deswegen stärken wir unsere Flaggschiffe wie den Deutschen Akademischen Austauschdienst und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung in diesem Jahr mit zusätzlich 12 Millionen Euro.
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Sie vermitteln nämlich nicht nur deutsche Kultur und damit auch deutsche Sprache und Lebensweise, sondern sie vergeben auch Stipendien. Interessierte junge Menschen studieren bei uns. Manche bleiben bei uns, weil wir sie haben wollen. Andere gehen wieder zurück und helfen ihren Ländern als Ärzte, Juristen, Ingenieure usw., unterstützen also ihr Land, damit es vorwärtskommt.
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Das Goethe-Institut, das neben Sprachen und Kultur auch Projektarbeit in 98 Ländern betreibt, wird zusammen mit dem Französischen Institut ein deutsch-französisches Institutsnetz mit zehn Einrichtungen aufbauen und dabei seine digitalen Angebote in allen Bereichen erweitern. Dafür bekommen sie von uns 15 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung. Das ist gut angelegtes Geld; denn viele Länder sind sehr daran interessiert, ein Goethe-Institut zu haben. Das Goethe-Institut hat nämlich eine sehr hohe Glaubwürdigkeit und genießt allerorts größtes Vertrauen.
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Das hilft schon, wenn man in Ländern ist, die noch kein fortgeschrittenes demokratisches System haben und in denen Literatur, Gedankengut und Medien nicht so umfangreich im Angebot sind, an das die daran Interessierten sowieso nicht herankommen. Auch die Deutsche Welle oder unsere Stiftungen helfen, sind Aufklärer vor Ort und beraten, wie man welche politischen Prozesse gestalten kann. Also ist auch das gut angelegtes Geld.
Unsere Partnerschulen, die wir von 500 auf 2 000 weltweit ausbauen konnten, konnten die Zahl der Deutschlernenden aktuell auf 600 000 weltweit steigern: eine richtige Erfolgsgeschichte. Deshalb erhöhen wir deren Etat auch um 3 Millionen Euro; wir wollen diese Geschichte fortschreiben.
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Wir haben auch viele weitere Projekte, die ich jetzt nicht alle aufzählen kann, die aber das gute Bild von Deutschland nach außen zeichnen. Hilfe in akuter Not, Krisen frühzeitig eindämmen, afrikanische Länder stärken in ihrer Fähigkeit zur Krisenprävention und -eindämmung, demokratische Entwicklungen unterstützen, Menschen der deutschen Sprache bemächtigen, sie ausbilden und damit auch ihren Herkunftsländern helfen: So wird es ein in sich geschlossenes Bild der deutschen Außenpolitik, die wir im Haushaltsausschuss unterstützen und stärken.
Wie gesagt, mit einem Haushaltsansatz von 5,45 Milliarden Euro können wir die Welt nicht retten, aber wir können sie wenigstens ein kleines Stück besser machen. Dafür möchte ich an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Mutterhaus, in den Botschaften und Konsulaten und unseren Mittlerorganisationen weltweit Danke sagen. Ich hoffe, Sie sehen das genauso und unterstützen uns mit Ihrer Zustimmung zum Einzelplan 05.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen es alle: Die politische Lage um uns herum ist extrem angespannt. Wir leben in einer Krise der multilateralen Weltordnung. Die Welthandelsorganisation hat Riesenschwierigkeiten. Wir haben Willkürzölle. Die Amerikaner haben sich aus der UNESCO, dem UNFPA und dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen genauso zurückgezogen wie aus dem Abkommen mit dem Iran und dem Pariser Klimaschutzabkommen. Die Europäische Union hat große Schwierigkeiten. Auch die OSZE tut sich schwer.
Unser Land aber ist auf ein regelbasiertes System angewiesen wie kaum ein anderes. Wir sind ein großes Land in der Mitte unseres Kontinents. Wir haben eine Geschichte, die bei unseren Nachbarn noch mitunter für Misstrauen und eine gewisse Vorsicht sorgt,
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und wir sind Exportweltmeister. Wir sind auf den Zugang zu den Märkten der Welt angewiesen.
Der Politologe Jan Techau schreibt: Deutschland ist von einem Regelsystem abhängig, das es selber nicht herstellen kann.
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Daraus folgt, meine Damen und Herren, dass es in dieser Lage die überragende Aufgabe deutscher Politik ist, auf Regeln basierende internationale Kooperationen, Institutionen und Organisationen als Grundlage von Frieden, Sicherheit und Stabilität zu stärken und weiterzuentwickeln. Rolf Mützenich lächelt. Er weiß: Das ist der Text des Koalitionsvertrages von Union und SPD.
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Meine Damen und Herren, wir finden diesen Ansatz gut. Die Freien Demokraten unterstützen diese Passage des Koalitionsvertrages ausdrücklich. Deswegen haben wir uns so darüber gewundert, dass ein prominenter Vertreter der CSU, Markus Söder, vor ein paar Tagen allen Ernstes erklärte:
„Das Zeitalter des geordneten Multilateralismus ist vorbei. Der Respekt vor Deutschland beruht auch darauf, dass wir unsere eigenen Interessen alleine durchsetzen können.“
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Meine Damen und Herren, abstruser wird es nicht mehr.
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Stellt sich denn die CSU deutsche Außenpolitik so vor wie Donald Trump, als Deal Making, raus aus Organisationen, Institutionen und Kooperationen rein ins freie Spiel der Kräfte, hin zum Recht des Stärkeren anstelle der Stärke des Rechts? Das kann nicht der Weg unseres Landes sein, meine Damen und Herren.
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Ich glaube nicht, dass unser Außenminister das will, dass Sie das wollen, Herr Maas.
Aber was folgt jetzt daraus? Erstens. Wir müssen stärker vernetzt denken in unserer eigenen Politik. Zweitens. Wir müssen die Diplomatie stärken, das, was die Amerikaner früher einmal „The first line of defense“ genannt haben, also die Institutionen und die Menschen, die daran arbeiten, Konflikte erst gar nicht entstehen zu lassen. Drittens. Wir müssen europäisch denken.
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Wenn ich von vernetztem Denken spreche, will ich deutlich sagen, dass wir Freien Demokraten die Aufwüchse im BMZ und im BMVg unterstützen. Aber wir müssen auch das Auswärtige Amt, unsere Diplomatie stärken. Wenn ich mir die Entwicklung unseres Haushalts in diesem Jahr anschaue, dann sehe ich, dass auf der niedrigsten Basis aller drei Häuser – der des Auswärtigen Amtes – auch noch der niedrigste Aufwuchs erfolgt. Ich habe die Haushaltszahlen aufgeschrieben. Die Haushaltsmittel für das Auswärtige Amt wachsen gerade einmal um 2,49 Prozent, aber die für das BMZ um über 10 Prozent und die für das BMVg um über 4 Prozent, und das von deutlich höheren Sockelbeträgen aus. Das kann nicht sein. Ich hätte mir gewünscht, lieber Herr Maas, dass Sie sich ein bisschen stärker ins Zeug gelegt hätten. Ich habe bei den Jamaika-Verhandlungen erlebt, wie Ursula von der Leyen und Gerd Müller wie Löwen für ihre jeweiligen Häuser gekämpft haben. Ich habe aber von Ihnen aus dem Haushaltsausschuss nicht viel gehört. Es ist nicht sehr beeindruckend, was das Auswärtige Amt hier erreicht hat.
Natürlich kann man sagen: Das ist noch immer ein Aufwuchs. Aber schauen Sie sich bitte einmal die Finanzplanung der nächsten Jahre an!
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Da sehen Sie, dass das Auswärtige Amt Kürzungen in mehrstelliger Millionenhöhe hinnehmen muss. Wenn wir das fortsetzen, dann geht die Attraktivität des Auswärtigen Dienstes noch dramatischer zurück, als das jetzt schon der Fall ist. Die Bewerberzahlen gehen zurück. Menschen springen aus dem Auswärtigen Dienst ab. Mitausreisende Partner haben große Probleme. Die Sicherheit der Auslandsvertretungen ist ein Dauerproblem, das nicht wirklich gelöst wird. In der Sahelzone, in Nordafrika haben wir Botschaften, in denen die Mitarbeiter nur die hinteren Räume nutzen können, weil die Baumaßnahmen zur Sicherung nicht durchgeführt werden. All das geht nicht.
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Deswegen brauchen wir einen Aufwuchs beim Auswärtigen Dienst, der auch in den Kernbereich der Diplomatie geht. Das Auswärtige Amt pfeift auf dem letzten Loch.
Ungefähr 150 Personen machen die strategische Außenpolitik. Das kann nicht wahr sein. Deswegen will ich hier eines deutlich sagen: Wenn wir in einer Situation sind wie im Februar dieses Jahres, in der erstmals mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Auswärtigen Dienstes im Inland eingesetzt waren als im Ausland, dann läuft etwas grundsätzlich falsch. Der Stellenaufwuchs des Auswärtigen Amtes darf nicht wie im Moment im Inland konzentriert werden, sondern muss an unseren Auslandsvertretungen erfolgen, um deutschen Bürgerinnen und Bürgern im Ausland – auch in der konsularischen Fürsorge – beistehen zu können und um unsere Beziehungen zu pflegen.
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Sie müssen zum Schluss kommen.
Wir haben eine Effizienzreserve, die wir jetzt heben können. Der Brexit hat auch sein Gutes. Der Europäische Auswärtige Dienst sollte ermächtigt werden, konsularische Dienstleistungen anzubieten, insbesondere zur Erteilung von Schengen-Visa für den ganzen Schengen-Raum. Das könnte der EAD viel besser machen. Wir würden enorm viel Geld sparen, Europa stärken und Mittel für Diplomatie freisetzen.
Mein letzter Satz ist ein Appell an unseren Bundesaußenminister: Kämpfen Sie für die Ihnen anvertrauten Menschen! Kämpfen Sie für die Diplomatie! Kämpfen Sie für Deutschland als Anker einer regelbasierten Weltordnung!
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist Alois Karl für die Fraktion der CDU/CSU.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages! Wir erleben in dieser Woche etwas ungewöhnliche Haushaltsberatungen. Wir haben erst am 4. Mai den Regierungsentwurf von Finanzminister Scholz bekommen. Schon heute, am 4. Juli, dem Geburtstag von Horst Seehofer, verabschieden wir diesen Haushalt. Das nenne ich gesteuerten Zufall.
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Wir haben innerhalb der letzten zwei Monate in der Tat außerordentlich viel gearbeitet in den Fraktionen und in unseren Arbeitsgruppen.
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Ich möchte unseren Mitarbeitern herzlich danken für die viele Arbeit, die in den letzten acht Wochen geleistet werden musste in unseren Büros, den Arbeitsgruppen und den Ministerien, auch in Ihrem Ministerium, Herr Außenminister Maas. Das gehört durchaus einmal erwähnt.
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Als Sie, Herr Hampel, in Ihrer fast zu spät gekommenen Rede – manchmal habe ich mir gedacht, es wäre gut gewesen, Sie wären absent geblieben –,
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die wirklich großartigen Erfolge unserer Haushaltsaufstellung, etwa die Stärkung der humanitären Hilfe, etwas oberflächlich kritisierten, dachte ich mir: Das hätten Sie doch lieber sein gelassen. – Um es zusammenzufassen: Ich habe das Ende der Rede herbeigesehnt, nachdem der Anfang etwas spät gekommen ist.
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Wir haben die letzte Haushaltsbeschlussfassung hier im November 2016 gehabt. Niemand hier im Hause kann sich daran erinnern, dass zwischen zwei Haushaltsaufstellungen eine so lange Zeit verstrichen ist. Dieses Verstreichen hatte mit vielem zu tun: mit der Regierungsbildung, mit der Wahl im letzten Jahr. Dass wir uns jetzt sehr stark sputen mussten, ist ja gesagt worden.
Ungewöhnlich ist auch, dass wir morgen den Haushalt verabschieden und bereits übermorgen den Entwurf für den Haushalt 2019 durch den Finanzminister hier präsentiert bekommen und dass wir dann nur vier Monate Zeit haben – bis November 2018 –, um den 2019er-Haushalt aufzustellen.
Innerhalb dieser 19 Monate, die seit der letzten Haushaltsbeschlussfassung vergangen sind, hat sich vieles getan. Vor 19 Monaten war Donald Trump noch nicht Präsident in Amerika. Viele europäische Staaten hatten sich noch nicht auf den Weg in einen Nationalismus, in einen Populismus, in einen Egotrip gemacht, der heute die Politiken in Polen, Ungarn, Italien, der Tschechischen Republik und manch anderem Land durchaus bestimmt.
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– Bayern wählt erst heuer. Sie werden noch überrascht sein, weil Sie nicht ins bayerische Parlament kommen; das steht schon einmal fest. Das ist ein Vorteil, der Bayern bisher ganz gut getan hat.
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Meine Damen und Herren, die Europaentferntheit von vielen Staaten, mehr als 60 Jahre nach Unterzeichnung der Römischen Verträge, schmerzt schon sehr. Nicht nur den Austritt Großbritanniens aus der EU, den Brexit, sondern auch vieles andere mehr könnte man erwähnen. Manche festgefügten Wahrheiten oder manche Wahrheiten, die festgefügt schienen, lösen sich auf. Amerika wendet sich mehr den Asiaten zu. China und andere asiatische Völker wenden sich eher von Europa ab. Wenn wir realistisch bleiben, erkennen wir: Der Satz „America first“ ist nicht erst jetzt eine Mehrheitsmeinung geworden, sondern sie wird schon seit vielen Jahren in Amerika beobachtet. Trump hat sie nur aufgegriffen. Andere amerikanische Präsidenten haben dieser Mehrheitsmeinung – Gott sei Dank und zum Glück für uns – nicht Folge geleistet, sondern die festen Verpflichtungen gegenüber Europa ganz oben angestellt.
Wenn Sie, Herr Bundesaußenminister, neulich gesagt haben: „Der Atlantik ist breiter geworden“,
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dann war es ja keine geografische Aussage, die Sie getroffen haben und die nicht stimmt, sondern eine politische Aussage, dass das Verhältnis zwischen uns und den Amerikanern deutlich gelitten hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wissen, dass kein Land der Erde diese globalen Herausforderungen, vor denen wir stehen, alleine bewältigen kann. Das ist in der Tat richtig. Um einen zweiten Satz aus Ihrer Rede zu zitieren: „Unsere Antwort auf ‚America first‘ kann nur heißen: ‚Europe united‘.“ Nur das vereinigte Europa kann – das sind ja ganz einfache Tatsachen – weltweit die Probleme mit angehen und mit lösen.
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In wenigen Jahren werden 8 Milliarden Menschen auf der Welt leben. 1 Prozent davon sind Deutsche: 80 Millionen. Europäer sind davon vielleicht 6 Prozent. Wir können die großen Probleme nur europäisch-gemeinschaftlich anpacken. Eines der großen Probleme heute sind die Flüchtlingsströme – wir haben davon heute schon gehört und gesprochen –, und wir haben sie ganz gewiss nicht im Griff. Ich bin sicher, dass wir mit unseren Maßnahmen, so gut sie auch gemeint sind, die Wurzel nicht anpacken, dass wir nicht bis an das Fundament, also in die Tiefe, gehen, wenn wir die Abkommen mit der Türkei und mit anderen Staaten treffen, wenn wir Frontex stärken usw. Wir müssen die Notlagen in Afrika, in den anderen Fluchtgegenden der Welt angehen, und das tun wir in der Tat. Frau Barnett ist kurz darauf eingegangen, dass wir die Krisenprävention mit unseren erhöhten Ausgaben deutlich verbessern und so viel Geld wie noch nie dafür ausgeben.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen auch den Dialog mit Amerika verstärken. Das hätte ich vorhin noch hinzufügen können: Es ist nicht unsere Aufgabe, die transatlantischen Partnerschaften und Bindungen zu kappen oder zu vermindern. Gerade im nächsten Jahr, Herr Bundesaußenminister, findet in den USA ein Deutschlandjahr statt. Da sollten wir uns zusammen mit den anderen europäischen Ländern als selbstbewusster, guter Partner Amerikas darstellen.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Deutschlandbild ist für uns auch Ausdruck einer selbstbewussten und einer demokratisch gewachsenen und festen Struktur, und daran gibt es nichts zu ändern, selbst wenn wir manchmal Differenzen in den Ausdeutungen haben.
Ein Glanzstück unseres Haushalts, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist das Anwachsen im Bereich der humanitären Hilfe. Wir haben mit 1,5 Milliarden Euro so hohe Ausgaben angesetzt, wie wir sie noch nie hatten. Zum Vergleich: Vor sechs Jahren hatten wir für diesen Haushaltstitel noch 105 Millionen Euro vorgesehen. Das ist innerhalb von sechs Jahren eine Verfünfzehnfachung der Ausgaben für den humanitären Bereich. Da, meine Damen und Herren, brauchen wir uns von niemandem irgendetwas vorhalten zu lassen. Wir erfüllen unsere Aufgaben auf diesem Gebiet und auf diesem Sektor – und das fraktionsübergreifend – in hervorragender Art und Weise. Das ist meines Erachtens mehr als bloß erwähnenswert.
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Wir konnten in den letzten Wochen bei den Beratungen unseren Haushalt um 94 Millionen Euro steigern. Mit der wunderbaren Brotvermehrung im Neuen Testament ist das noch nicht ganz vergleichbar, aber wir haben uns dennoch angestrengt, und auch der Außenminister, der vorhin von Ihnen, Herr Lambsdorff, angesprochen worden ist, hat sich da durchaus mit ins Zeug gelegt.
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Wir haben 27 Veränderungen durchgeführt; 94 Millionen Euro gab es zusätzlich. Das – ich glaube, das kann man mit Fug und Recht sagen – ist ein Haushalt des Parlaments. Das ist kein Haushalt der Regierung, sondern wir haben das durchaus vehement und dynamisch verändert.
Dazu passt auch, dass wir in der letzten Haushaltsausschusssitzung einen Beschluss gefasst haben, der dahin geht, dass der Haushaltsausschuss erwartet, dass finanzielle Zusagen der Bundesregierung im internationalen Bereich künftig vorher mit ihm besprochen werden müssen. Jede Ausgabe, jede Verpflichtung, die über 25 Millionen Euro hinausgeht, darf von der Bundeskanzlerin oder den Mitgliedern der Bundesregierung nur dann erfolgen bzw. eingegangen werden, wenn vorher eine Zustimmung des Haushaltsausschusses gegeben ist. Das ist ein ganz wichtiger Beschluss für mich, weil damit dokumentiert wird, dass das Haushaltsrecht die wichtigste Waffe des Parlaments ist, dass wir keine Vollstrecker von Zusagen sind, sondern dass wir als Parlament immer Herr des Verfahrens bleiben müssen.
Jetzt müssen Sie zum Schluss kommen, Herr Karl.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Wir haben einen guten Haushalt, eine schwarze Null, in den letzten fünf Jahren und in den nächsten drei Jahren. Wir halten alle Maastricht-Kriterien ein. Es wäre nicht schwer, auch für die Kollegen der Opposition, zuzustimmen; die aus den Koalitionsfraktionen werden das sicher tun.
Ich danke herzlich denjenigen, die mitgeholfen haben.
Vielen herzlichen Dank.
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Die Gelegenheit zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Hampel.
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Lieber Kollege Karl, an Sie würde eine ganz schlichte Frage gehen. Wenn Sie sich die humanitäre Hilfe weltweit anschauen, dann werden Sie doch wahrscheinlich mit mir übereinstimmen, dass das immer humanitäre Hilfe bleiben muss; ansonsten ist sie gefährdet. In dem Augenblick, wo politische Einflüsse geltend gemacht werden, ist die humanitäre Hilfe mit einem Risiko behaftet. Dann, glaube ich, stimmen Sie mir doch zu, dass man genau das unterbinden muss. Ich sage noch mal: Das Internationale Rote Kreuz ist über 100 Jahre gut damit gefahren.
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Das Internationale Rote Kreuz –
Wenn Sie so lange stehen bleiben würden, Herr Hampel.
– hat teil an unserer humanitären Hilfe, in ganz großem Ausmaß. Dass wir Gelder vergeben, wo keine politischen Überlegungen dahinterstehen, das ist nicht der Fall. Es ist gang und gäbe, dass wir – natürlich – unsere Politik mit den Ausgaben befördern wollen, dass wir Frieden und Freiheit in der Welt befördern wollen, dass wir die Not der Menschen beheben wollen. Es geht nicht nur um das, was zum Überleben, sondern um das, was zum Leben notwendig ist. Dafür stehen diese 1,5 Milliarden Euro.
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Ich lade Sie gern ein, da mal tiefer hineinzuschauen.
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Heute hat das für mich ein bisschen oberflächlich geklungen, lieber Herr Kollege Hampel.
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Als Nächster redet Michael Leutert für die Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, wir haben in den Haushaltsverhandlungen – das ist schon angesprochen worden – auf Ihren Etat noch knapp 100 Millionen Euro dazugepackt. Das begrüßen auch wir von den Linken: Es ist an der richtigen Stelle, zum Beispiel 35 Millionen Euro mehr für Krisenprävention, aber zum Beispiel auch 3 Millionen Euro mehr für die politischen Stiftungen.
Das wird von der AfD ja immer kritisiert, aber ich will hier noch mal klarstellen: Die Fraktionschefin Weidel hat auch davon profitiert. Sie hat immerhin ein durch Steuergeld finanziertes Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung erhalten, um ihren China-Aufenthalt zu finanzieren.
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Ich möchte bloß noch sagen: Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat auch ein hervorragendes Rechtsstaats- und Demokratieprogramm für Lateinamerika. Vielleicht hätte sie sich besser das mal anschauen sollen.
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Zurück zum Haushalt, den der Kollege Lambsdorff hier schon schön mit Grafiken gezeigt hat. Wenn man sich allerdings die mittelfristige Finanzplanung anschaut, so muss man feststellen, dass der Etat des Auswärtigen Amtes in den nächsten vier Jahren wieder unter 5 Milliarden Euro gefahren wird. Da stellt sich natürlich die Frage: Warum? Sind die Krisen bei uns dann alle gelöst, oder ist unser Investitionsstau im Bereich Auswärtiges Amt dann aufgelöst? Ich kann das so nicht sehen.
Wir sagen die ganze Zeit, dass wir mehr Investitionen beim Auswärtigen Amt brauchen, in Personal, ferner sowohl in die Sicherheit des Personals als auch in die Sicherheit unserer Botschaftsgebäude. Das hängt natürlich mit den vielen Krisen zusammen.
Aber wir brauchen nicht nur dort Geld, sondern wir brauchen auch mehr Geld, um überhaupt Grundaufgaben zu erfüllen. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass es Visastellen gibt – ein Beispiel ist Sarajevo –, wo ein Antragsteller, um einen Termin für ein Visum zu bekommen, acht Monate warten muss. Dann hat er immer noch kein Visum, sondern erst mal einen Termin, um für ein Visum vorzusprechen. Das kann nicht sein. Das sind alles Aufgaben, die gelöst werden müssen. Dafür brauchen wir natürlich mehr Geld.
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Übrigens – um das ganz kurz hier zu streifen – zur Eins-zu-eins-Regelung, die ja besagt, dass das, was mehr für den Verteidigungsetat zur Verfügung steht, komplementär auch in die Bereiche Entwicklungszusammenarbeit oder humanitäre Hilfe – also alles, was ODA ist – gehen soll: Die Verteidigungsministerin bekommt in dieser Legislaturperiode, also bis Ende des gültigen Finanzplanzeitraums – heute ist der neue Finanzplan herausgekommen –, 30 Milliarden Euro on top. 30 Milliarden Euro on top! Dagegen ist es im Auswärtigen Amt weniger, und das BMZ kann nicht wirklich mithalten; 2 Milliarden Euro mehr sind es ungefähr. Eigentlich müssten sich das Auswärtige Amt und das BMZ zusammenschließen und gegen diese Beschlüsse Sturm laufen, die natürlich vom Finanzminister so unterstützt werden.
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Ich möchte jetzt gerne noch eine unappetitliche Sache ansprechen; die Kanzlerin hat heute früh in ihrer Rede schon darauf hingewiesen: Es geht darum, dass jetzt mit europäischer Hilfe der Küstenschutz Libyens aufgebaut werden soll und die libysche Marine in Zukunft Flüchtlinge einsammeln und nach Libyen zurückbringen soll.
Abgesehen von offenen Fragen – mit welcher Regierung soll eigentlich der Vertrag dort gemacht werden?
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wem untersteht dieser Küstenschutz? – interessiert mich in dem Beispiel Folgendes: Die SPD diskutiert derzeit Transitzentren.
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– Es geht darum, welche Meinung Sie dazu haben, in Deutschland.
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Der SPD-Parteivorstand hat einen Fünf-Punkte-Plan beschlossen,
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in dem ausdrücklich steht: Wir sind gegen geschlossene Lager, egal ob in Europa oder Afrika. –
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Sehr gut.
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Wir wissen aber auch mindestens seit letztem Jahr, wie die Lager in Libyen aussehen. Es gibt einen Kabelbericht von Diplomaten des Auswärtigen Amtes an die Zentrale hier in Berlin.
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Ich möchte daraus zitieren: In den Flüchtlingslagern des Landes gebe es systematisch Exekutionen, Folter und Vergewaltigungen. Von „allerschwersten systematischen Menschenrechtsverletzungen in Libyen“ ist die Rede. Es heißt weiter:
Authentische Handyfotos und -videos belegen die KZ-ähnlichen Verhältnisse.
In solchen „Privatgefängnissen“ würden Schlepper ausreisewillige Migranten häufig gefangen halten. Und weiter:
Exekutionen nicht zahlungsfähiger Migranten, Folter, Vergewaltigungen, Erpressungen sowie Aussetzungen in der Wüste sind dort an der Tagesordnung. … Augenzeugen sprachen von exakt fünf Erschießungen wöchentlich in einem Gefängnis – mit Ankündigung und jeweils freitags, um Raum für Neuankömmlinge zu schaffen …
Das haben Diplomaten des Auswärtigen Amtes geschrieben.
Jetzt frage ich mal: Dorthin wollen wir Menschen zurückschicken?
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Wie passt das eigentlich zu der Beschlusslage in der SPD? Dann erklären Sie bitte, wo Sie die Menschen hinschicken wollen.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Lambsdorff, Herr Leutert?
Ja, bitte.
Herr Leutert, es ist ja nicht meine Aufgabe, hier die Politik der Koalition zu erklären. Aber würden Sie mir nicht zustimmen, dass es für die betroffenen Menschen – ich kenne den Bericht auch, den Sie gerade zitiert haben – um ein Unendliches viel besser ist, wenn sie in Einrichtungen unterkommen, die unter der Aufsicht des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen und der Internationalen Organisation für Migration eingerichtet werden,
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sofern das möglich ist? Die Frage, ob das möglich ist, muss noch beantwortet werden. Da werden Herr Seehofer und Herr Maas wahrscheinlich gemeinsam unterwegs sein müssen. Aber wenn es dazu kommt: Dass das eine Verbesserung gegenüber den von Ihnen gerade geschilderten Zuständen ist, wollen Sie das ernsthaft bestreiten?
(Zuruf des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]
Nein, Herr Kollege, das bestreite ich nicht; aber leider gibt es diese Einrichtungen, die Sie hier beschrieben haben, nicht. Die Zurückweisungen über den Küstenschutz, der jetzt mit aufgebaut wird, beginnen eher, als diese Einrichtungen, die Sie gerade beschrieben haben, realisiert sein werden. Das ist das Problem.
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Deshalb kann ich Ihnen nur sagen, Herr Minister: Stoppen Sie dieses Vorhaben auf EU-Ebene! Sie sind genau wegen solcher Sachen in die Politik gegangen. Und zu dem, was wir in den letzten Wochen erlebt haben, kann ich nur sagen: Es haben schon Minister für viel, viel nichtigere Sachen den Koalitionsfrieden aufs Spiel gesetzt. Hier würde es sich lohnen.
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Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Ekin Deligöz von den Grünen.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden hier über den Etat der zivilen Friedenspolitik und der Diplomatie. Es ist bei den Vorrednern eindeutig klar geworden, worum es geht. Wir brauchen die Diplomatie. Wir brauchen sie auf der internationalen Bühne. Wir brauchen sie besonders in dieser komplexen, unübersichtlichen Weltlage, Beispiele dazu sind gefallen: der Brexit, die neue geopolitische Rolle der USA, die humanitären Krisen oder die Tatsache, dass weltweit fast 70 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Laut UNICEF ist mehr als jeder zweite Flüchtling weltweit ein Kind, ein Minderjähriger, ein unter 18 Jähriger. Das bringt uns in neue Verantwortung.
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Der Syrien-Krieg, die Ukraine-Krise, all das ist etwas, wo wir uns in unserer Verantwortung angesprochen fühlen müssen. Deshalb brauchen wir auch das Auswärtige Amt; denn die Diplomaten dort sind unsere Kräfte, die uns nicht nur vom Ausland berichten, sondern natürlich auch unsere Werte nach außen tragen und dort für uns gute Arbeit machen. Ich finde, es ist auch an der Zeit, einmal ein Dankeschön auszusprechen für die gute Arbeit, die in Ihrem Haus, Herr Minister, im Inland wie im Ausland geleistet wird.
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An die AfD gerichtet muss ich sagen: Sie zielen ja die ganze Zeit darauf ab, die Stiftungen abzuschaffen. Sie sagen: „Die Stiftungen sind unrecht“, oder was auch immer Sie da im Kopf haben. Jedenfalls: Sie wollen die Stiftungen abschaffen. Mich wundert das ein bisschen; denn gleichzeitig gründen Sie doch selber eine Stiftung.
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Jetzt kann man daraus entnehmen: Sie werden niemals im Ausland eine Stiftung aufmachen. Das ist gut für die Welt. Bleiben Sie dabei!
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Ich finde die Arbeit der Stiftungen, die ich kenne, wichtig: Ja, sie setzen sich für Demokratisierung ein, sie setzen sich für unsere Werte ein. Ich bin Verfassungspatriotin genug – und von Tag zu Tag werde ich durch Ihre Reden noch verfassungspatriotischer –, um diese Demokratie und diese Werte stärker zu verteidigen und an dieser Stelle auch die Stiftungen zu verteidigen. Wir brauchen mehr von ihrer Arbeit und nicht weniger – im Sinne der Aufklärung und eines modernen Staates.
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Jetzt sind wir uns alle einig über die Wichtigkeit der Diplomatie in der Welt. Da klatschen auch alle; das finde ich super. Aber bei der Etatplanung sind wir uns, ehrlich gesagt, nicht mehr einig. Warum? Wenn wir das Gesagte für richtig halten, dann können Sie doch nicht in der Finanzplanung für die kommenden Jahre die Ansätze senken und weniger Mittel für das Auswärtige Amt ausgeben – ganz im Gegenteil: Weil die Herausforderungen steigen, müssten die Mittel in diesem Etat auch steigen. Die Ausgaben für zivile Außenpolitik und Entwicklungshilfe sind ja laut Koalitionsvertrag an die Höhe des Militäretats gebunden. Jetzt stellen wir fest: Der Militäretat steigt, die anderen beiden müssen sich in Bescheidenheit üben. Das passt nicht. Das ist falsch. Das kann nicht die Rolle Deutschlands sein.
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Ich gebe Ihnen ein Beispiel, zu was es führt, wenn Sie so weitermachen: Das Auswärtige Amt erhält nur eine minimalste Steigerung bei den Personalmitteln. Ja, Sie erhalten neue Stellen; aber dabei geht es auch um die Erledigung sehr vieler Pflichtaufgaben, die ohnehin angefallen wären.
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Dabei benötigten Sie mittelfristig alleine 500 neue Stellen für den Bereich der Personalreserve. Worum geht es bei der Personalreserve? Gemeint sind Bedienstete, die wir ad hoc einsetzen können, um Überlastungen im Ausland, zum Beispiel bei Pass- und Visastellen, ausgleichen zu können. Wir brauchen diese Menschen. Übrigens wissen wir genau, wo die Stellen gebraucht werden, welchen Auftrag sie haben, welche Aufgaben sie übernehmen.
Für die Personalreserve bekommen Sie, Herr Maas, aber keine einzige Stelle zugebilligt. Dann haben wir andererseits das sogenannte Heimatministerium, und da wissen wir eigentlich nicht, was die Leute machen sollen, welchen Auftrag sie haben sollen, womit sie beschäftigt sein sollen. Trotzdem bekommt die Heimatabteilung fast 100 neue Stellen.
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Finde den Fehler!
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Die einen wüssten, woran sie arbeiten sollen. Die anderen haben keine Ahnung davon, bekommen aber die Stellen. Finde den Fehler! Ich finde, hier verkommt Personalpolitik zu symbolischer Machtpolitik. Das ist zu teuer. Das ist ignorant. Das ist selbstvergessen.
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Da gibt es überhaupt keine Idee, worum es geht. Da, finde ich, müssen wir noch einmal nachhaken.
Zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik haben wir vieles gesagt; aber, ehrlich gesagt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass die Mittel dafür am Freitag, wenn der Haushaltsentwurf für 2019 kommt, immer noch in mindestens gleicher Höhe im Etat für das nächste Jahr stehen werden. Meine Angst ist, dass wir Haushälter beim Haushalt für das nächste Jahr von neuem anfangen müssen, dafür zu kämpfen. Ich fände das schade; denn wenn es alle gut finden, dann sollte die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik auch angemessen etatisiert werden.
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Wir werden beim Etat 2019 über Personal reden, über Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, über humanitäre Hilfe und die Spending Review zwischen Entwicklungsministerium und dem Auswärtigen Amt. Wir sollten aber auch dringend darüber reden, wie wir den UNHCR besser ausstatten; denn für all das, was die Regierung sich für den UNHCR vornimmt, ist dieser überhaupt nicht vorbereitet. Gerade durch unsere Haushaltspolitik setzen wir starke Bedingungen: Wir gehen nicht so stark in die ungebundenen Beiträge, aber gerade die ungebundenen Beiträge stärken den UNHCR in seiner Arbeit, damit er tatsächlich auf Krisen reagieren kann,
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sodass er flexibel ist, er schnell ist, vor Ort ist und den Flüchtlingen hilft. Was die ungebundenen Beiträge angeht: Das tun Sie, wie gesagt, nicht genug. Es ist mein persönliches Ziel, Herr Minister, dass wir da stärker mit hineingehen.
Ein Letztes. Zur Colonia Dignidad gibt es jetzt einen Bericht der Bundesregierung. Darin steht, eine rechtliche Verpflichtung Deutschlands sei nicht gegeben. Aber eine moralische Verpflichtung haben wir schon.
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Dazu hat der Bundestag eine Entscheidung getroffen – und ich finde, im Haushalt muss das dann auch nachvollzogen werden. Auch das ist ein Auftrag – mindestens für den Etat 2019.
Vielen Dank.
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Als nächsten Redner rufe ich Bundesminister Heiko Maas auf.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst will ich mich ganz herzlich bedanken für die Anerkennung der Arbeit unseres diplomatischen Dienstes weltweit. Ich gebe das gerne weiter und bin voll und ganz der Auffassung, dass das hier auch so zu Recht geäußert wurde.
Ich freue mich auch schon auf die Haushaltsberatungen, die ab Freitag beginnen werden, und hoffe, dass Sie die Personalzahlen und die Entwicklungspläne für den diplomatischen Dienst, die wir dort vorlegen werden, dann auch alle genauso tatkräftig unterstützen werden; denn vieles von dem, was Sie jetzt gesagt haben, wird darin aufgenommen.
Meine Damen und Herren, dass der diplomatische Dienst tatsächlich immer wichtiger wird, hat etwas damit zu tun, dass sich die Weltordnung dramatisch verändert. Die Stichworte sind in der Debatte eigentlich alle schon genannt worden: das transatlantische Verhältnis, die wachsenden autoritären Entwicklungen in Russland, in China oder in der Türkei, die Zunahme nationaler Alleingänge anstelle multilateraler Kooperationen – leider auch immer mehr in Europa –
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und die Angriffe auf die regelbasierte Weltordnung.
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich ist es in einer solchen Debatte oder auch politisch insgesamt gar nicht so entscheidend, wer die beste Erklärung für all diese Entwicklungen liefert, sondern entscheidend müsste eigentlich sein, wer die besten politischen Antworten darauf liefert. Deshalb will ich zunächst einmal sagen: Eine Antwort, die man nicht geben kann und darf, weil man sich damit auf eine Stufe mit denjenigen stellt, die wir alle bzw. fast alle kritisieren, ist: Abschottung und Nationalismus. Wer auf Abschottung mit Abschottung reagiert, ist auf einem Irrweg und trägt dazu bei, Deutschland in der Situation, in der wir sind, zu einem politischen Zwerg zu machen.
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Das dürfen wir nicht zulassen.
Wir werden ohne unsere Partner, vor allen Dingen ohne die Partner in Europa, keine einzige Herausforderung, der wir uns gegenübersehen, alleine in den Griff bekommen. Weder die Migrationsfrage noch der Klimawandel – der Klimawandel macht den Atlantik sogar in Wirklichkeit etwas größer, Herr Karl –
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noch die Bedrohung des Welthandels, über die wir reden, oder auch die Frage der nuklearen Ordnung, mit der wir uns auseinandersetzen müssen – nichts von dem werden wir, auch als größter Mitgliedstaat der Europäischen Union, noch alleine regeln können. Die Antwort – das ist austauschbar – auf „America first“, auf „Russia first“ oder auf „China first“ kann wirklich nur „Europe united“ sein, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Ich will auch etwas an diejenigen sagen, die hier immer vom deutschen Interesse sprechen: Ja, die deutsche Außenpolitik ist auch deutschen Interessen verpflichtet.
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Sie ist sogar in erster Linie deutschen Interessen verpflichtet. Aber dann müssen Sie auch einmal zur Kenntnis nehmen: So wie die Welt jetzt aufgestellt ist, hat das deutsche Interesse gerade jetzt einen Namen, und das ist Europa.
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Deshalb ist alles, was Europa guttut, im deutschen Interesse. Wenn Sie das nicht verstanden haben, dann sollten Sie einmal anfangen, sich mit den Realitäten auseinanderzusetzen.
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Das, was wir als Bestandsaufnahme in Europa haben, ist: Ja, es gibt Spaltungstendenzen: in der Migrationsfrage, aber auch in der Finanzpolitik, in vielen anderen Fragen. Es gibt immer mehr unabgestimmte nationale Alleingänge.
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Sie gehen meistens zulasten Dritter, und deshalb wird es auch insgesamt nicht funktionieren, auf diese Art und Weise Politik zu machen. Es gibt keine vernünftige Alternative dazu, die großen Probleme dieser Zeit im großen Europa anzugehen. Dem fühlt sich die deutsche Außenpolitik dieser Bundesregierung verpflichtet.
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Meine Damen und Herren, dann muss man aber auch ein paar Sätze sagen zu der Frage: „Wie macht man denn die Europäische Union überhaupt außenpolitikfähig?“; denn die Anforderungen werden größer werden. Dazu haben wir – und das sind nicht nur wir, sondern wir haben das zusammen mit unseren französischen Freunden gemacht – einige Vorschläge unterbreitet. Wir wollen in Zukunft in der Außenpolitik im Rat nicht mehr nur einstimmig entscheiden müssen, sondern wir wollen – das erlauben die Verträge – auch Inhalte definieren, bei denen mit Mehrheit entschieden werden kann, damit wir möglichst schnell und zügig und effektiv außenpolitisch tätig werden können. Wir brauchen die Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion. Durch die Bündelung der Interessen – im Rahmen einer europäischen Ostpolitik, einer balancierten neuen Partnerschaft gegenüber den Vereinigten Staaten und auch im Rahmen einer europäischen Afrika-Politik – tun wir das, was die Herausforderungen dieser Zeit uns mit auf den Weg geben. Auch das ist eine europäische Aufgabe, der wir gerecht werden wollen.
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Wir tun dies in der Außenpolitik, meine Damen und Herren, schon jetzt in vielen anderen Fragen, auch mit unseren Partnern zusammen, und übernehmen Verantwortung. Es hat vor nicht allzu langer Zeit – nach über 16 Monaten das erste Mal – auf deutsch-französische Initiative hin noch einmal das Normandie-Format der Außenminister getagt. Wir haben die Russen und die Ukrainer nach über einem Jahr wieder an einen Tisch gebracht und haben mit ihnen darüber geredet, wie dem, was längst vereinbart worden ist in den Minsker Verträgen, wie dem Waffenstillstand, dem Abzug der schweren Waffen, endlich Genüge getan werden kann und wie wir mit einer neuen Initiative, nämlich einer VN-Mission für die Ostukraine, dem Ganzen noch einmal größeren Nachdruck verleihen können.
({10})
Darüber wird im Moment sehr konkret verhandelt.
Sie wissen, dass wir gerade beim Atomabkommen mit dem Iran zusammen mit den französischen und den britischen Partnern sehr aktiv sind, weil wir davon überzeugt sind: Das ist besser, als gar keinen Vertrag zu haben und den Iran in eine Entwicklung zu drängen, die keiner will. Wo das, was wir jetzt schon als problematisch empfinden – die Rolle Irans in der Region, das ballistische Raketenprogramm –, möglicherweise eine Dynamik entfalten würde, die in die völlig falsche Richtung geht. Deshalb werden wir alles daransetzen, den Iran in diesem Abkommen zu halten.
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Dieses Abkommen sorgt dafür, dass es dort keine militärische nukleare Entwicklung gibt. Das Gleiche gilt auch für den Syrien-Konflikt. Nachdem wir dort lange nicht mehr am Verhandlungstisch gesessen haben, verhandeln wir jetzt zusammen mit unseren Partnern in der Small Group.
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– Wenn Sie dazwischenrufen: „Was bringt’s?“: Ich kann es Ihnen nicht sagen. Aber ehrlich gesagt: Wenn ich mich an jeden Verhandlungstisch, an den ich mich setze, mit der Überzeugung „Was bringt’s?“ setze, dann würde ich wahrscheinlich besser zu Hause bleiben.
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Und wenn Sie Außenpolitik unter der Überschrift „Was bringt’s?“ machen, dann hören Sie vielleicht besser auf, Außenpolitik zu machen.
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So kann man sich dort nicht verhalten.
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Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass in den Haushaltsberatungen eine nicht unerhebliche Anzahl von Euros auf den Regierungsentwurf draufgepackt worden sind, und zwar an den richtigen Stellen. Dafür bedanke ich mich bei allen ganz herzlich. Damit versetzen Sie uns in die Lage, den wirklich immer größer werdenden Herausforderungen auch in unserem diplomatischen Dienst gerecht werden zu können. Dafür will ich mich herzlich bedanken.
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Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dr. Birgit Malsack-Winkemann für die AfD.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Leider kann von einer echten parlamentarischen Kontrolle bei fast der Hälfte der Ausgaben des Auswärtigen Amtes, immerhin rund 2,6 Milliarden von knapp 5,5 Milliarden Euro, weiter kaum die Rede sein. Deckungsvermerke im Einzelplan ermöglichen, dass das für einen Titel geplante Geld genauso gut für einen anderen Titel verwendet werden kann. Und trotz unserer Anträge, diese abzuschaffen, wurden diese beibehalten. Wir fordern jedoch weiter eine Abschaffung der Deckungsvermerke.
Ich betone: Wir reden hier über die Möglichkeit der Verschiebung der Hälfte des Etats des Auswärtigen Amtes.
({0})
Hinzu kommt, dass die Deckungsvermerke im Plan des Bundeswirtschaftsministeriums schon 2016 im Wesentlichen abgeschafft worden sind.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. – Weshalb also legen die Regierungsparteien gerade beim Auswärtigen Amt einen solchen Wert darauf, verschiedene Titel austauschen und vermischen zu können? Bundesaußenminister Maas sagt, das Streichen der Deckungsvermerke sei nicht notwendig, weil die betreffenden Titel ohnehin einen Sachzusammenhang aufweisen. Wo aber ist der Sachzusammenhang zwischen humanitärer Hilfe in einer akuten Krisensituation wie einem Erdbeben und Demokratisierungsmaßnahmen, also dem Export demokratischer Werte in andere Länder? Die AfD sieht diesen Sachzusammenhang jedenfalls nicht und fordert daher nochmals die Streichung.
({0})
Tarnen und Täuschen lehnen wir bereits vom Ansatz her ab.
Und wenn schließlich behauptet wird, dass die Deckungsvermerke nicht in Anspruch genommen würden, wozu hat man sie denn dann,
wenn man sie doch angeblich nicht braucht?
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Oder aber behält man sie nur deshalb, weil der Antrag von der AfD stammt? Meine Damen und Herren, wir sprechen hier über Steuergelder fleißiger Bürger. Hier ist nicht entscheidend, von wem der Antrag stammt, sondern einzig, ob er vernünftig ist.
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Wir haben es in den Ausschusssitzungen ja gesehen: Keine Partei hat auch nur einem einzigen unserer Anträge – und wenn er noch so vernünftig, wirtschaftlich und sparsam war – zugestimmt.
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Sie alle haben alles, was von der AfD kam, unisono abgelehnt. Das ist in keinster Weise sachdienlich und konstruktiv. Das ist eine pauschale Blockade- und Verweigerungshaltung,
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ohne sich auch nur im Geringsten die Mühe zu machen, das, wofür wir gewählt worden sind, und zwar von 6 Millionen Bürgern, auch nur ansatzweise verstehen oder gar umsetzen zu wollen.
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Wir sind anders: Wir haben in den Ausschusssitzungen allen Anträgen zugestimmt, die wir für vernünftig hielten. Die AfD handelt daher als einzige Partei hier im Bundestag sachdienlich und konstruktiv.
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Und bei den parteinahen Stiftungen sieht es kaum besser aus. Gleich drei verschiedene Ressorts haben die sechs politischen Stiftungen Ihrer Parteien
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mit insgesamt 581 Millionen Euro allein in 2017 gefördert, unter anderem das Auswärtige Amt. Ja, Sie haben richtig gehört: 581 Millionen Euro. Und das ist viel zu viel.
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Und als wenn das nicht genug wäre, wollen Sie sich jetzt noch weitere Millionen quasi über Nacht genehmigen. Und genau deshalb stellen wir noch heute einen Änderungsantrag, um diese ausufernde Selbstversorgungsmentalität Ihrer politischen Stiftungen endlich einzudämmen.
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Zudem sind diese vielen Hunderte Millionen Euro an unterschiedlichsten Stellen über viele verschiedene Titel verstreut, wie mit der Gießkanne ausgekippt. So viel zur vielbeschworenen Haushaltsklarheit.
Und im Ausland haben die parteinahen Stiftungen mit 300 Auslandsvertretungen doppelt so viele Niederlassungen wie Deutschland als Staat mit 153 Botschaften. Jeder fragt sich: Was machen parteinahe Stiftungen im Ausland überhaupt mit so vielen Vertretungen?
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Das Auswärtige Amt sagt dazu: Die politischen Stiftungen führen aus Mitteln des Auswärtigen Amtes vornehmlich gesellschaftspolitische Dialogmaßnahmen im Sinne eines gegenseitigen Lernens und Verstehens von Politikansätzen durch. – Das stimmt.
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Das am häufigsten vorkommende Wort in allen Projekttiteln ist das Wort „Dialog“. Besonders bemerkenswert ist hier übrigens ein Projekt der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung. Diese hat doch tatsächlich von 2016 bis 2018 ein Projekt unter besonderer Berücksichtigung von Genderaspekten in Marokko gefördert.
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War hier der Erkenntnisgewinn, dass sich Gender dort eher doch nicht durchsetzen lässt? Zuletzt kam es 2018 in Marokko zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, meist wegen wirtschaftlicher und sozialer Missstände. Allgemein wurde zur Vorsicht geraten, und die Hanns-Seidel-Stiftung hat nichts Besseres zu tun, als Dialoge unter besonderer Berücksichtigung von Genderaspekten zu führen? Sind Sie denn so abgehoben, dass Sie die Einschläge noch nicht einmal mehr bemerken?
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Jedenfalls aber wird sich der bayerische Wähler sehr darüber wundern, dass eine parteinahe Stiftung einer Partei, die sich ein C wie „Christlich“ auf ihre Fahnen schreibt, dazu hergibt, ein Projekt unter besonderer Berücksichtigung von Genderaspekten in einem hauptsächlich islamischen Land durchzuführen.
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Wer weiß, wie lange die CSU noch eine Volkspartei ist, wenn sie in dieser Art und Weise an ihrer eigenen Bevölkerung vorbeiregiert.
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Aber Effizienz ist bei parteinahen Stiftungen ohnehin kein Thema.
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Hierzu das Auswärtige Amt: Das Kriterium der Effizienz ist bei Maßnahmen der politischen Stiftungen oft nur sehr eingeschränkt anwendbar. – Wer so handelt, braucht sich nicht zu wundern, dass Bürger jedes Vertrauen in Parteien oder deren Stiftungen verlieren. Der Frust über die abgehobenen Politiker, die in einer Parallelwelt leben,
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wächst verständlicherweise ins Unermessliche, und genau deshalb ist die AfD hier im Deutschen Bundestag.
Sie müssen zum Ende kommen.
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Sofort. – Wir sind wirtschaftlich und sparsam. Wir, die AfD, fordern eine klare und transparente Politik;
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denn nur so bekommen wir das Schiff Deutschland wieder auf Kurs.
Danke schön.
({1})
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Deligöz.
Frau Kollegin Malsack-Winkemann – es ist übrigens interessant, dass ich mich hier zu Wort melde und nicht die Kollegen der Großen Koalition –, nachdem Sie sich mehrfach zum Thema Deckungsvermerke verausgabt haben, sage ich es jetzt noch einmal für alle – wir haben das im Haushaltsausschuss mehrfach besprochen –: Die Deckungsvermerke hat nicht das Haus erfunden – die Übertragbarkeit zwischen einzelnen Titeln ist in § 20 Absatz 2 Bundeshaushaltsordnung geregelt –, sondern das haben wir, die Politiker, in die Bundeshaushaltsordnung eingeführt, weil wir damit eine gewisse Flexibilität in der Verwaltung zusichern wollten, um die Effizienz und die Effektivität der Haushaltsmittel zu gewährleisten, damit es am Ende des Jahres eben nicht zu dem berühmten Dezemberfieber kommt und damit Mittel nicht verfallen. Zeitgleich geht damit eine Wirtschaftlichkeitsprüfung einher.
Jetzt können Sie natürlich so tun, als sei das ein Riesenproblem. Aber, erstens, im Etat des Auswärtigen Amtes, der sich auf etwa 5,5 Milliarden Euro beläuft, sind im Haushaltsverfahren im vergangenen Jahr gerade mal 2 Millionen Euro über einen Deckungsvermerk woandershin übertragen worden. Das ist ein verhältnismäßig kleiner Ansatz; das muss man in diesem Rahmen sehen.
({0})
Zweitens wird das Auswärtige Amt selbstverständlich vom Bundesrechnungshof überprüft. Bisher liegen uns überhaupt keine Anhaltspunkte dafür vor, dass da irgendwie falsch oder unverantwortlich gehandelt wurde.
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Drittens wundere ich mich, dass Sie sich sowohl im Haushaltsausschuss als auch im Rechnungsprüfungsausschuss dazu so gar nicht zu Wort melden, obwohl Ihnen das so wichtig ist. Das zeigt mir, dass Sie zwar gerne darüber motzen, aber das nicht wirklich ernst meinen.
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Liebe Frau Deligöz, Sie wissen ganz genau, dass ich sehr viele Änderungsanträge bezüglich der Abschaffung der Deckungsvermerke gerade bei der entsprechenden Sitzung gestellt habe.
({0})
Es waren sehr viele. Sie haben sich alle miteinander ausdrücklich darüber beschwert, dass es deswegen so lange dauert.
({1})
Das ist Punkt eins.
Punkt zwei. Sicher, es ist möglich – gesetzlich –, dass Deckungsvermerke eingerichtet werden.
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Ich habe ja auch nicht gesagt, dass das in diesem Sinne illegal ist. Nur, wenn man sie nicht braucht – und sie werden meistens zum Ende eines Jahres relevant –, dann ist zum einen schon aus praktischen Gesichtspunkten die Frage: Warum schafft man sie nicht ab,
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und warum beharrt man auf der Möglichkeit von Deckungsvermerken nur für den Falle eines Falles in Höhe von 2,6 Milliarden?
Zum anderen gibt es gerade im Hinblick auf die Flexibilität die Möglichkeit der über- und außerplanmäßigen Ausgaben, die dann nämlich dazu führen, dass das Parlament und zuvor der Haushaltsausschuss genau darüber entscheiden, wofür die Ausgabe im Einzelnen ist.
({4})
Und das wird durch die Deckungsvermerke unterbunden.
Danke schön.
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Wir fahren fort in der Debatte. Nächster Redner ist Dr. Johann David Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Äußerungen der AfD-Fraktion sind im Wesentlichen nicht einlassungsfähig. Aber um Ihnen einmal zu beweisen, dass es auch Sternstunden gibt, in denen die Koalition in der Lage ist, der Opposition recht zu geben, sage ich: Zu dem, was Sie zuletzt vorgebracht haben, hat die Kollegin Deligöz alles gesagt. Das ist komplett richtig. Die Koalition stimmt der Kollegin aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu 100 Prozent zu. – Also, das können wir auch.
({0})
Ich will schon auch noch mal sagen: Herr Kollege Hampel, Sie haben in Ihrer verhaspelten Rede – Sie wären fast zu spät gekommen –
({1})
hier schlicht und ergreifend gesagt, man müsste mal eben einen Bundeswehreinsatz machen, um die Flüchtlinge zurückzuwerfen nach Afrika.
({2})
Das haben Sie vorhin gesagt, Herr Kollege, ohne einmal ernsthaft darüber nachzudenken, welche auch völkerrechtliche Legitimation es möglicherweise dafür gäbe, ohne überhaupt einmal darüber nachzudenken, ob das unter dem Gesichtspunkt der Humanität irgendwie gerechtfertigt wäre.
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Hinter dem, was die AfD-Fraktion uns hier bietet – 80 Prozent der Redezeit entfallen auf die Tätigkeit von politischen Stiftungen, und gerade wurde hier der haltlose Vorwurf erhoben, Haushaltsmittel würden irgendwie versteckt –, steckt eine klare Strategie, die wir aber erkennen: Sie wollen alle parlamentarischen und demokratischen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland verächtlich machen.
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Sie tun so, als handelten wir rechtswidrig, als sei hier irgendeine Cliquenwirtschaft im Gange,
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die Sie als Retter der Entrechteten jetzt aufdecken. Ich sage Ihnen eines: Das ist in der Weimarer Republik leider schon mal gelungen,
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und wir werden alle zusammenstehen, um das nicht noch ein einziges Mal in Deutschland zuzulassen. Nicht noch ein Mal!
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Das steht hinter Ihrem Plan.
Es ist von vielen Rednerinnen und Rednern deutlich gemacht worden – der Bundesaußenminister hat das eindrucksvoll unterstrichen –, wie die internationale Ordnung unter Druck steht. Leider erleben wir, wie sich insbesondere die Vereinigten Staaten, die es nach dem Zweiten Weltkrieg geschafft hatten, die westliche Welt zusammenzuhalten, sie zu führen, sie auch inhaltlich zu führen, davon verabschieden, insbesondere der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, der Vereinbarungen wie das Pariser Klimaabkommen oder das Atomabkommen mit dem Iran, welches Sie, Herr Minister, erwähnt haben, beendet, der Gelder für die VN-Systeme kürzt, der die UNESCO verletzt, der den Menschenrechtsrat verletzt, der auch Welthandelsregeln verletzt. Wenn also die westliche Führungsmacht als Werteordnung, als Führungskraft einer westlichen Welt nicht mehr zur Verfügung steht und alternativautoritäre Systeme und aggressive Modelle weiter Raum greifen, wie beispielsweise das russische Modell der Einflusszonen – ich nenne nur die Stichworte „Krim-Annexion“, „andauernde Militärintervention in der Ostukraine“ usw. –, wenn auch das chinesische Modell der Schaffung von politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten im globalen Maßstab um sich greift, dann müssen wir uns in dieser Stunde wirklich fragen: Was ist die Aufgabe deutscher Außenpolitik? Ich unterstreiche das, was der Bundesaußenminister gesagt hat: Wir müssen darauf antworten, indem Europa in der internationalen Politik relevanter, geschlossener, handlungs- und durchsetzungsfähiger wird. Für uns muss das heißen: natürlich transatlantisch bleiben, aber europäischer werden. Das kann die einzige Antwort sein, die wir als Westen darauf geben.
({8})
Herr Graf Lambsdorff, ich nehme sehr ernst, was Sie hier gesagt haben. Aber wir müssen dann auch ehrlich miteinander diskutieren. Und wenn ich die Einlassung Ihres Parteivorsitzenden Lindner in der „Osnabrücker Zeitung“ von Anfang der Woche zu diesen Fragen lese, dann stelle ich fest: Das stimmt nicht mit dem überein, was Sie hier heute gesagt haben.
({9})
Er hat sich auch für Zurückweisungen ausgesprochen. Er hat auch das Meseberg-Abkommen abgelehnt, und er lehnt auch einen Investivhaushalt der Europäischen Union ab. Ich sage Ihnen ganz klar: Man kann ja über die Ausgestaltung eines solchen Haushalts miteinander reden. Aber wenn es richtig ist, dass eine derartige Einigung in Europa nur möglich ist, wenn Deutschland und Frankreich das gemeinsam miteinander hinbekommen, und wenn es so ist, dass Präsident Macron Bedingungen gestellt hat bzw. Dinge genannt hat, die ihm wichtig sind, dann muss Deutschland darauf eingehen,
({10})
dann muss die Europa-Partei FDP, Herr Graf Lambsdorff, für die Sie und Ihre Familie ja stehen, sich auch dazu bekennen und darf nicht ankommen und kleinkariert wieder alle Einzelheiten diskutieren.
({11})
Das, muss ich ganz ehrlich sagen, kann ich der FDP an dieser Stelle natürlich nicht durchgehen lassen.
Wir müssen uns auch fragen, welche weiteren Partner wir in der Welt haben. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass es andere Partner in der Welt gibt, mit denen wir zusammenarbeiten können. Die Europäische Union schließt gerade ein Handelsabkommen mit Japan. Australien und Neuseeland sind dringend daran interessiert, mit uns zusammenzuarbeiten.
({12})
In Lateinamerika gibt es viele Länder, die unsere Werteordnung und unsere Wirtschaftsordnung teilen. Das heißt, es gibt Partner in der Welt. Europa muss erwachsen werden. Deswegen sage ich: Wir müssen transatlantisch bleiben, aber doch ein weltweites Werte- und Interessenbündnis schmieden. Wir müssen unseren Blick weiten. Wir müssen unsere Partner suchen. Es gibt viele Staaten auf der Erde, die bereit sind, mit uns zusammenzuarbeiten. Da müssen wir offen bleiben.
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Letzten Endes: Ja, wir müssen Amerika Antworten geben. Ich rate dazu, dass wir auch auf die Kritikpunkte eingehen. Wenn wir Vereinbarungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika getroffen haben, beispielsweise innerhalb des NATO-Rahmens, dann müssen wir sie auch erfüllen.
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Wenn Amerika Regeln verletzt wie bei der WTO mit der Ankündigung von höheren Zöllen, dann müssen wir auch darauf selbstbewusst als Europäer antworten und sagen: Nein, das machen wir nicht. Darauf gibt es eine europäische Antwort. – Man muss sich dagegen wehren.
Wir müssen insbesondere – das ist eine Aufforderung an uns alle – nach Amerikanern als Partner suchen, und zwar im Kongress, im Senat und in der Bevölkerung der Vereinigten Staaten von Amerika. Ich glaube, eine der wesentlichen Aufgaben, vor der Deutschland auch in den nächsten Jahren steht, ist es, dafür zu sorgen, dass wir trotz dieses Präsidenten, trotz der Politik dieses Präsidenten, die viele von uns nicht für richtig halten und die zum Teil auch feindlich gegenüber deutschen Interessen ausgerichtet ist,
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das enge Bündnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika aufrechterhalten, pflegen und dafür sorgen, dass es eine gute Zukunft hat.
Herzlichen Dank.
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Der Abgeordnete Graf Lambsdorff erhält die Gelegenheit zu einer Kurzintervention.
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Lieber Herr Trittin, unsere Familienehre ist intakt und bedarf keiner Rettung. – Herr Wadephul hat hier eine Frage in den Raum gestellt, die man schon beantworten muss. Die Frage lautet: Ist man nicht proeuropäisch, arbeitet man also nicht im Sinne der europäischen Integration, wenn man skeptisch gegenüber diesem sogenannten Investivhaushalt ist? Ich würde diese Frage deutlich verneinen. Warum? Das, was Emmanuel Macron vorgeschlagen hat, einen Euro-Zonenhaushalt – nichts anderes ist es ja, was jetzt als Investivhaushalt bezeichnet wird –, ist ein Element mit einer Tendenz, die ich sehr bedaure, und zwar einer Tendenz zur Renationalisierung. Er möchte nämlich ausdrücklich nicht, dass ein solcher Euro-Zonenhaushalt, Investivhaushalt Teil des europäischen Rechts wird. Er möchte, dass die Mitgliedstaaten ganz alleine darüber entscheiden dürfen, wie das Geld verausgabt wird.
Mir ist zudem vollkommen unklar, wo das Geld eigentlich herkommen soll. Damit ein solcher Haushalt makroökonomisch Wirkung erzielen kann, muss er ja mehrere Prozentpunkte des BIP umfassen. Wir reden da über Beträge, die in der Europäischen Union in dieser Form bisher noch nie mobilisiert worden sind. Der europäische Haushalt – das muss man hier vielleicht einmal für die Zuschauerinnen und Zuschauer sagen – ist ja viel kleiner als der deutsche. Der Umfang des EU-Haushaltes beträgt ungefähr 130 bis 135 Milliarden Euro, der des deutschen Bundeshaushaltes, über den wir hier debattieren, 345 Milliarden Euro. Wenn wir jetzt einen Investivhaushalt in Höhe von mehreren Prozentpunkten unserer Wirtschaftsleistung aufstellen, reden wir über eine Verdrei- bis Vervierfachung des europäischen Haushalts.
Unser Ansatz ist ein ganz anderer: Den europäischen Haushalt, den Haushalt der Europäischen Union, wollen wir modernisieren. Er ist unter der Kontrolle des Europäischen Parlamentes. Das ist ein echter europäischer Haushalt. Der ist für uns wichtig. Und: Wir wollen die Europäische Investitionsbank stärken. Wir haben schon ein Instrument für Investitionen. Dafür brauchen wir keinen Investivhaushalt, lieber Herr Wadephul.
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Graf Lambsdorff, ich habe gerade schon gesagt, dass wir natürlich über die Ausgestaltung des Investivhaushaltes noch einmal miteinander reden müssen: Wofür genau wird er verwandt? Wie wird er gespeist? – Das Volumen ist – ganz anders, als Sie es gerade gesagt haben – nach den Aussagen der Bundeskanzlerin im niedrigen zweistelligen Milliardenbereich angesiedelt,
({0})
übrigens – das haben Sie eben leider falsch gesagt – innerhalb des EU-Haushaltes. Das steht auch ganz klar in den Meseberg-Vereinbarungen.
Ich sage es noch einmal: Sie sind ja nun hier, und ich nehme Ihnen persönlich ab, dass Sie ein überzeugter Europäer sind. Das zeigen Ihr gesamter politischer Werdegang durch das EU-Parlament und alle Äußerungen, die wir von Ihnen hören. Ich lese aber von Ihrem Parteivorsitzenden immer etwas anderes. Ich lese von Ihrem Parteivorsitzenden in besagtem Zeitungsartikel in der Tat, dass er auch für Zurückweisungen ist. Ich lese von Ihrem Parteivorsitzenden, dass er nicht nur gegen den Investivhaushalt, sondern auch gegen das Griechenland-Paket ist, weil dann dort der IWF aussteigen würde.
({1})
– Entschuldigen Sie, man muss Europa – das wissen Sie doch besser als ich – im Kompromiss machen.
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Sie können nicht die ganze Zeit rechts blinken und hier im Parlament proeuropäisch reden. Das ist am Ende unglaubwürdig. Darauf müssen wir Sie hinweisen.
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Nächster Redner ist Michael Link für die FDP.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein kleiner Exkurs zum EU-Haushalt, über den wir ja gerade gesprochen haben: Wir werden ihn hoffentlich bald ausführlich diskutieren. Auch ein kleiner Exkurs in die Parteipolitik: Herr Kollege Wadephul, Sie wissen, ich schätze Sie sehr. Ich würde Sie aber gern einmal zum ALDE-Parteitag einladen. Wenn Sie beim letzten gewesen wären, hätten Sie hören können, wie Christian Lindner in seiner Rede im Kreise unserer Freunde der ALDE – wir freuen uns auf die nächste Europawahl, aus der die ALDE-Fraktion deutlich stärker hervorgehen wird – die europapolitischen Grundsätze dargelegt hat, und zwar in einer Art und Weise, bei der, glaube ich, viele, auch Kolleginnen und Kollegen in der Union, noch sehr viel mehr Proeuropäisches dazulernen könnten;
({0})
denn wir stehen dezidiert für den Erhalt des Schengen-Raumes. Wir sind gerade eben nicht für Zurückweisungen aufgrund von flächendeckenden Kontrollen. Wir haben immer deutlich gemacht: Es geht um Stichproben, und wir wollen uns ganz entschieden dafür einsetzen, die Errungenschaften der EU zu erhalten.
({1})
Man kann aber trefflich über den besten Weg dahin streiten. Es geht darum, welche Instrumente die besten sind, um das Projekt zu verwirklichen und das Ziel zu erreichen. Da gibt es zum Glück in der Demokratie einen Wettstreit, den wir gerne vor die Wählerinnen und Wähler tragen.
Herr Minister, Sie haben völlig zu Recht und, wie ich finde, auch wirklich beeindruckend die Aufgaben, die Ihr Haus hat, beschrieben – völlig klar –, ob China, ob die USA, all diese Bereiche. Umso mehr wundere ich mich, dass angesichts dieser Mehrarbeit, die für die deutsche Diplomatie anfällt, für die Substanz des Auswärtigen Amtes in diesem Haushalt so wenig übrig bleibt. Das passt nicht zusammen.
({2})
Das ist eine Sache, die nicht auf mangelnder Unterstützung aus dem Haushaltsausschuss beruht. Da will ich mich ausdrücklich auch bei den Berichterstattern der Koalition bedanken: Kollegin Barnett, Kollege Karl, wir können gemeinsam als Berichterstatter – Sie sagen zu Recht, es ist ein Haushalt des Parlaments – viel machen.
Wir werden aus der Opposition heraus mit den anderen Fraktionen, die das so ähnlich sehen – ich habe Kollegin Deligöz und Kollegen Leutert da gehört –, weiter streiten, zum Beispiel für die Personalreserve. Sie ist gesetzlich zugesichert. Wer verweigert sie Ihnen? Das BMF, Ihr eigenes Haus? Ich kann es mir nicht vorstellen. Wenn es ein anderes Haus ist, dann lassen Sie uns gemeinsam als Parlamentarier daran arbeiten, dass umgesetzt wird, was im Gesetz steht.
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Wir als FDP-Fraktion stehen gerne dafür zur Verfügung; denn die Zuwächse – ja, es sind dieses Jahr Zuwächse da, und es ist erfreulich, dass mehr in die humanitäre Hilfe und die Krisenprävention geht – sind begrenzt; Kollege Lambsdorff hat das vorhin sehr deutlich aufgezeigt.
Die Zuwächse fließen 2018 ausschließlich in die durchlaufenden Posten der humanitären Hilfe und der Krisenprävention. Für die Substanz bleibt extrem wenig übrig. Die Substanz aber bröckelt. Es ist wie bei einem Gebäude: Wenn das Fundament nicht stimmt, bricht der Boden irgendwann weg. Es ist kein Alarmismus der Opposition, sondern die Realität dieses Einzelplans, dass mehr in die Substanz gesteckt werden muss, zum Beispiel bei der Infrastruktur und bei der Sicherheit der Gebäude. Ja, es wird gebaut. Wir haben sogar unverbaute Reste, weil es Engpässe beim Verbauen gibt. Das alles stimmt. Aber es reicht nicht einmal annähernd, all die Botschaften schnell auszubauen, die unverzüglich ausgebaut werden müssten.
Was die Personalreserve angeht, kann ich sagen: Wir werden das, Kollegin Deligöz, gerne wieder aufgreifen. Dann werden wir gemeinsam so lange Druck machen, bis da endlich etwas passiert.
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Wir sind dankbar, dass für den UNHCR punktuell ein bisschen mehr gemacht wird. Ja, das ist okay. Aber auch die brauchen nicht nur Programmgelder. Die brauchen Grundunterstützung. Der UNHCR ist einer unserer besten Partner im VN-System. Deutschland sitzt ab 2019 wieder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Was machen Sie 2020? Sie senken den Haushalt von 2019 auf 2020 – Sie hören jetzt richtig – um 648 Millionen Euro, und das, während Deutschland im Sicherheitsrat sitzt. Das passt hinten und vorne nicht zusammen.
({5})
– Das ist aber letzten Endes die Realität.
Das passt vor allem nicht in einer Situation, in der – nehmen wir ein anderes Beispiel – viele Betroffene, aber auch die deutsche Wirtschaft darunter leiden, dass es bei Konsulaten, um nur einen Antrag abzugeben, Wartezeiten von über einem Jahr gibt. Kollege Leutert hat Sarajevo erwähnt. Ich muss Sie enttäuschen: Die Wartezeit ist nach den neuesten Auskünften noch länger. Über ein Jahr muss man warten, bis man überhaupt einen Terminantrag stellen kann. Da hat man noch kein Visum, und da hat man auch noch kein Arbeitsvisum. Darunter leiden alle: der Antragsteller, derjenige, der die Person beschäftigen will, die deutsche Wirtschaft – alle. Wir machen uns auch zum Gespött der Partnerstaaten, in denen das teilweise sehr, sehr viel schneller geht.
Es gibt in diesem Haushalt zahlreiche Achillesfersen, die wir angehen müssen, damit die Substanz nicht weiter bröckelt. Lassen Sie uns die Haushaltsberatungen für 2019 intensiv dafür nutzen. Es gibt viele Dinge, die wir uns da anschauen können.
Ein Punkt, mit dem wir vielleicht beginnen müssten, ist die Effizienz des deutschen Außenauftritts. Wir leisten uns zu viel Unabgestimmtes zwischen den Einzelplänen 05 und 23. Das ist ein furchtbares Fachwort. Für die Gäste, die uns zuhören, sage ich: Es geht um das Auswärtige Amt und um das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Zwischen den Bereichen Außen und Entwicklung leisten wir uns also eine ganz schlechte Abstimmung.
({6})
Seit 2015 ist eine Verfünfzehnfachung der Gelder eingetreten. Seit 2015 – das ist bekanntlich die Zeit der Großen Koalition gewesen – kam es, wie gesagt, zu einer Verfünfzehnfachung der Mittel, und seither ist die Abstimmung zwischen diesen Bereichen miserabel.
({7})
Wir leisten uns außerdem den Zustand, dass beide Häuser aufeinander schauen wie Hase und Igel: Sie buhlen um die gleichen Gelder, und sie buhlen um die gleichen Aufgaben. Wir sprechen international oft mit zwei verschiedenen Stimmen. Auch das kann nicht so bleiben.
Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns beim Haushalt für 2019 besser machen, was wir beim Haushalt für 2018 versäumt haben. Wir Freie Demokraten stehen gerne dafür bereit. Wir freuen uns bereits jetzt auf die nächsten Haushaltsberatungen, die ja bereits im September dieses Jahres beginnen.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist Andrej Hunko für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Jahre 2012 hat das Friedensnobelpreiskomitee der Europäischen Union den Friedensnobelpreis verliehen für den Kampf für Frieden, Versöhnung, Demokratie sowie die Menschenrechte. Ich glaube, heute käme niemand mehr auf diese Idee, schon gar nicht nach dem Gipfel vom vergangenen Donnerstag und Freitag.
({0})
Wenn man sich die Schlussfolgerungen dieses europäischen Gipfels anschaut, stellt man fest: Im Kern ging es um zwei große Blöcke. Auf der einen Seite ging es um Abschottung – darüber ist hier viel diskutiert worden – mit sogenannten Ausschiffungsplattformen, also Lagern außerhalb der Europäischen Union. Auf der anderen Seite spielten Aufrüstung und PESCO bzw., auf Deutsch übersetzt, die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit eine Rolle, um Jahr für Jahr mehr Geld fürs Militär bzw. für „military mobility“, wie es da heißt, also für militärische Mobilität, bereitzustellen. Wir halten das für völlig falsch.
({1})
Wir wollen ein ganz anderes Europa, ein Europa, das auf Frieden, auf Kooperation und auf sozialen Ausgleich setzt.
Es gab vor einigen Jahren in der Europäischen Union mal das Ziel der Angleichung der Lebensverhältnisse – Einheitliche Europäische Akte, 1986 –; da wurden dann Kohäsionsfonds aufgelegt.
({2})
Im Finanzrahmen, der jetzt für 2021 bis 2028 vorgesehen ist, soll das um 10 Prozent gesenkt werden. Dafür sollen aber 6,5 Milliarden Euro für die Fähigmachung von Straßen und Brücken für Panzer bereitgestellt werden. Diese Richtung halten wir für völlig falsch.
({3})
Ja, Herr Lambsdorff, Sie haben vorhin völlig zu Recht gesagt: Wir brauchen eine regelbasierte Außenpolitik. Wir brauchen Multilateralismus. Wir brauchen mehr europäische Kooperationen, mehr internationale Kooperationen. – Dann müssen wir aber auch selbst die Regeln einhalten. Es geht ja nicht nur darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Herr Außenminister Maas, ich muss schon sagen: Dass Sie im Fall von Skripal nicht abgewartet haben, bis die zuständige OPCW, die Organisation zum Verbot von Chemiewaffen, ihre eigenen Regeln angewendet hat, um das aufzuklären, und dann auch Diplomaten ausgewiesen haben, ist keine Stärkung von regelbasierter internationaler Politik. Das haben wir sehr deutlich kritisiert.
({4})
Organisationen mit einer regelbasierten Politik sind natürlich die UNO und die OSZE, die wir eigentlich weiterentwickeln wollen, aber auch der Europarat. Der Europarat ist gerade in einer schweren Krise, in einer Budgetkrise, und droht auseinanderzubrechen. Warum? Weil die russischen Abgeordneten im Europarat so sanktioniert worden sind, dass sie nicht mehr die Richter mitwählen können, die beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Urteile fällen.
({5})
– Dafür gibt es Gründe; das ist völlig richtig. Darüber kann man aber streiten. Wollen wir zusehen, dass diese wichtige Organisation aus diesen Gründen auseinanderbricht, oder nicht?
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Ich denke, wir sollten nicht zusehen. – Ich finde, dass der Europarat und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der die Einhaltung der Menschenrechte von 850 Millionen Europäern gewährleisten soll – eben auch der Russen und Russinnen –, wichtige Errungenschaften sind.
({7})
Ich denke, deswegen sollten wir für deren Erhalt eintreten.
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Wir stehen jetzt vor dem NATO-Gipfel, und ich hoffe, dass die Bundesregierung die Anmaßungen von Donald Trump sehr deutlich zurückweist. An dieser Stelle will ich auch sagen: Nicht alles, was aus Amerika kommt, ist schlecht. Ich freue mich sehr über den Wahlsieg von López Obrador und möchte an dieser Stelle auch meinen herzlichen Glückwunsch aussprechen.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank. – Als Nächstes spricht Omid Nouripour für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 11. Juni dieses Jahres hat der Innenminister die Vorstellung eines Masterplans – geschrieben vom Innenministerium für ihn als Parteivorsitzenden – verschoben, weil er größere Auseinandersetzungen mit der Frau Kanzlerin hatte. Seitdem ist Chaos.
Zwei Tage nach dieser Verschiebung hat der Herr Außenminister eine Grundsatzrede zu Europa gehalten, und ich muss Ihnen zugestehen: Ich fand, das war eine richtig gute Rede. Herr Minister, Sie haben in dieser Rede gesagt, dass es viele Fragen gibt, die man jetzt stellen muss: Welche Rolle soll Europa in einer Welt spielen, die durch Nationalismus, Populismus und Chauvinismus radikalisiert ist? Wer soll führen, wenn die USA unter Trump die internationale Ordnung eher bedrohen als erhalten? Sie fragen: Wird die Europafahne das neue Banner der freien Welt, wie es einst die Stars and Stripes der USA waren? Sie sagen weiterhin: Die Antwort darauf muss auch aus Deutschland kommen.
Ich halte das alles für vollkommen richtig. Die Frage ist nur: Wo waren Sie eigentlich nach dieser Rede in den letzten drei Wochen? Wo waren Sie eigentlich, als genau dieser Populismus, den Sie beschrieben haben, hier in einem Schmierentheater so vorgeführt wurde, dass in Ihrem Arbeitsbereich, in der Europapolitik – Sie sind ja Europaminister – und in dieser Koalition so viel kaputtgemacht worden ist?
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Wo waren Sie denn, als durch den sogenannten Asylkompromiss der Führungsanspruch Deutschlands als liberale Zivilmacht eine Absage bekommen hat? Wo waren Sie denn eigentlich als Europaminister, als Stimmen aus der CSU zu hören waren: „Wir brauchen jetzt keine europäischen Lösungen, und wir werden nur noch bilateral miteinander sprechen“?
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Diese Bundesregierung taugt in dieser Verfasstheit nicht als Leitfigur für ein ausgleichendes, freies und solidarisches Europa.
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Das Schlimme ist: Das hat auch noch konkrete Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit der deutschen Außenpolitik. Wir erleben seit Wochen ein massives Bombardement im Süden Syriens. Die Luftwaffe Assads und die Russen bombardieren dort. Laut UN-Angaben sind 270 000 bis 300 000 Menschen auf der Flucht, direkt an der jordanischen Grenze, die komplett geschlossen ist. Die Menschen kommen nicht nach Jordanien hinein, und sie kommen nirgendwo mehr hin. Sie bekommen auch keine humanitären Güter, weil diese Grenze komplett geschlossen ist.
Die Frau Bundeskanzlerin war in diesen Tagen in Jordanien. Wir stellen uns vor: Das Land, das in den letzten Jahren nach Libanon pro Kopf die meisten Flüchtlinge auf der Welt aufgenommen hat, soll jetzt von unserer Kanzlerin darüber belehrt werden, dass es mehr tun muss, in einer Zeit, in der es in diesem Land eine Regierungskrise wegen zwei Zurückweisungen an der deutschen Grenze gibt? Es tut mir leid, das hat mit Glaubwürdigkeit in der Außenpolitik und mit Handlungsfähigkeit überhaupt nichts mehr zu tun.
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Das alles geschieht in einer Zeit, in der – das ist mehrfach gesagt worden – ein Donald Trump in den fundamentalen Fragen von Handel, Wohlstand und Sicherheit kein Partner für Europa ist; in einer Zeit, in der Russlands militärisches Gebaren die Grundfesten der europäischen Sicherheitsordnung erschüttert hat; in einer Zeit, in der Deutschland erst recht eine besondere Rolle einnehmen sollte, weil wir gerade einen Sitz im Sicherheitsrat bekommen haben – ein großer Vertrauensbeweis der Völkergemeinschaft –, sodass wir im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mitwirken können.
Ein Blick in den Haushalt zeigt – das ist jetzt mehrfach gesagt worden –, dass wir es nicht nur mit einem politischen Irrsinn zu tun haben, sondern auch mit strukturellen Schwächen. Der Ansatz der humanitären Hilfe wird angehoben; das ist gut. Aber es ist seit Jahren ein Trauerspiel, dass das Parlament diesen Ansatz immer weiter anheben muss, weil der ursprüngliche Ansatz nicht ausreicht. Wir wissen auch, dass wir im Nachhinein mehr werden ausgeben müssen, weil es nicht anders geht. Das ist auch deswegen ein Trauerspiel, weil die Hilfsorganisationen keine Planungssicherheit haben. Je später sie ihre Güter kaufen oder ihre Charterflüge buchen, desto teurer wird es. Das heißt, sie können weniger helfen. Ich kann nur appellieren, dass Sie ab dem Freitag, wenn Sie über den neuen Haushalt verhandeln, endlich einen realistischen Ansatz wählen.
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Ich will auch nur daran erinnern – das ist schon gesagt worden; ich teile sehr, was der Kollege Link gerade gesagt hat –: Laut Gesetz über den Auswärtigen Dienst brauchen wir eine Personalreserve im Auswärtigen Amt, die es so einfach gar nicht gibt. Deshalb werden wir selbstverständlich ab Freitag weiterhin Druck machen, damit es, da alle zu Recht immer wieder von politischen Lösungen sprechen, auch Personal gibt, um daran zu arbeiten.
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Ich möchte zum Schluss herzlichen Dank sagen. Es gibt Soldatinnen und Soldaten, die wir als Bundestag entsenden und denen wir in vielen Mandatsdebatten danken. Es gibt auch Diplomatinnen und Diplomaten in ganz schwierigen Situationen, zum Beispiel im Südsudan. Es gibt Menschen, die unter Lebensgefahr versuchen, im Namen der Bundesrepublik Entwicklungszusammenarbeit zu leisten. Es gibt auch Menschen, die, von demokratischen Parteien unterstützt, für politische Stiftungen versuchen, einen Dialog zwischen Völkern zu organisieren. Es geht in der Diplomatie nicht nur darum, dass Regierungen miteinander sprechen. Herzlichen Dank für diese unglaubliche Arbeit, die unter widrigsten Umständen in China, Russland oder der Türkei geleistet wird.
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Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dr. Katja Leikert für die Fraktion der CDU/CSU.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bereits viel von dem Wert einer regelbasierten Weltordnung gesprochen. Wir haben viel von dem Wert der Europäischen Union gesprochen. Es kann sein, dass Sie hier drüben am rechten Rand die Komplexität von solchen Regelwerken nicht verstehen.
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– Ich meine schon Sie. – Keiner außer Ihnen hier möchte zu einem nationalistischen Klein-Klein zurück.
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Wenn wir heute über den Außenetat sprechen, dann sprechen wir eben nicht nur haushaltstechnisch über Ausgaben für die Beteiligung an einer supranationalen Einrichtung. Europa ist viel mehr. Europa ist Teil unserer Identität, und für uns als CDU/CSU ist klar: Wir alle sind Deutsche und Europäer. Die Europäische Union ist für uns nicht verhandelbar.
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Drei Punkte sind uns mit Blick auf die Zukunft der Europäischen Union ganz wichtig. Erstens. Europa muss sicher sein. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ausbauen. Deshalb ist es gut, dass jetzt eine europäische Interventionsinitiative entwickelt wird, auch auf Initiative unserer Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hin. Bereits jetzt haben neun Staaten unterzeichnet. Das ist schon ein großer Erfolg.
Mittelfristig muss es auch das Ziel sein – diese Linien hat die Kanzlerin auch gezeichnet –, einen gemeinsamen europäischen Sitz im Sicherheitsrat der UNO zu schaffen. Wir sind davon überzeugt – auch das haben wir gerade gehört –: Europa ist nur stark, wenn wir wehrhaft sind. Europa ist nur stark, wenn es mit einer Stimme sprechen kann, auch im internationalen Umfeld.
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Zweitens. Europa muss aber auch seine Legitimität bewahren. Dazu gehört auch, die Migrationskrise in den Griff zu bekommen. Kein anderes Thema zeigt besser, wie Innen- und Außenpolitik miteinander zusammenhängen. Hier sind wir fundamental – das muss jeder hier verstehen – auf die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn angewiesen.
Bisher haben wir – auch das ist in der Debatte in den letzten Wochen ein bisschen in Vergessenheit geraten – hier sehr erfolgreich gehandelt. Der Rückgang der Zahl der Flüchtlinge über das Mittelmeer um 95 Prozent seit Oktober 2015 spricht eine ganz klare Sprache. Aber dieses Thema wird uns natürlich auch weiterhin beschäftigen.
Für uns gilt weiterhin, dass wir die Flüchtlingssituation ordnen, steuern und begrenzen wollen. Wenn wir einen Blick nach Afrika werfen, wo sich die Bevölkerung bis 2050 verdoppeln wird, dann sehen wir, dass wir noch lange mit diesem Thema zu tun haben werden. Das bedeutet für uns auch, dass wir Afrika helfen wollen. Wir wollen einen Marshallplan aufstellen und einen EU-Treuhandfonds von 500 Millionen Euro auflegen.
Es bedeutet aber auch, dass wir unsere Außengrenzen sichern wollen, mit einem Aufwuchs der Frontex-Mitarbeiter auf 10 000 Polizisten insgesamt. Es bedeutet für uns auch – darüber haben wir in den letzten Wochen viel gesprochen –, dass wir die Sekundärmigration verhindern wollen. Das geht aber nur, wenn wir unsere ganze Energie dafür einsetzen, Lösungen auf europäischer Ebene zu finden. Keiner von uns will zurück in ein Europa der Schlagbäume.
Drittens. Es ist wichtig, wenn wir die Stärke Europas erhalten wollen, dass Europa auch nach innen stark wird. Auch das wurde schon angesprochen. Es geht darum, die Wirtschaftskraft Europas robust zu halten.
Was macht uns so stark mit Blick auf Europa? Uns macht der gemeinsame Binnenmarkt stark. Das können Sie sich einfach einmal empirisch ansehen. Es sind die vier Grundfreiheiten, für die wir uns immer wieder einsetzen müssen: für Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital.
Die EU ist der größte gemeinsame Markt. Auch das mögen Sie nicht so gerne hören. Die gemeinsame Währung ist die zweitstärkste Währung in der Welt.
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Auch das ist eine Erfolgsgeschichte, und es ist eben keine Selbstverständlichkeit. Allerdings müssen wir auch hier die Augen aufmachen und die Europäische Union handlungsfähig halten. Zukünftige Krisen werden wir nur meistern können, wenn wir Strukturreformen in den Mitgliedstaaten weiter vorantreiben, wenn wir die Bankenunion weiter ausbauen und stärken und, so banal es auch klingt, wenn in den Einzelstaaten einfach vernünftig gehaushaltet wird. Da setzen wir auch auf Eigenverantwortlichkeit. Die Union stand immer dafür und steht auch weiterhin dafür: Haftung und Risiko müssen zusammenbleiben.
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Wenn wir mit Blick auf Europa bilanzieren, ist klarer als jemals zuvor: Wir brauchen ein starkes Europa. Wir brauchen die Bereitschaft, Lösungen zu verhandeln, auch wenn es einmal ein bisschen länger dauert. Wir müssen verabredete Regeln weiterhin einhalten und uns immer wieder solidarisch verhalten. Das ist die europäische Idee, und daran halten wir fest.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Frank Schwabe für die SPD.
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Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir haben hier in vielen Bereichen durchaus eine große Einigkeit in der Außenpolitik festgestellt. Deswegen, lieber Kollege Nouripour, macht es keinen Sinn, einen Einzelnen herauszugreifen. Das war in Ihrem Fall der Außenminister, der gerade angeblich nicht genug tut. Die Sozialdemokratie muss ihre Europafreundlichkeit sicherlich nicht besonders unter Beweis stellen. Wir haben im Koalitionsvertrag klargemacht, dass dies das Thema Nummer eins ist und dass es mit uns nur Regelungen gibt, die europakonform sind, nichts anderes. Natürlich ist der Außenminister Heiko Maas bei dieser Positionierung vorneweg.
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Was ist eigentlich das Ziel von Außenpolitik? Es geht darum – das wurde heute schon vielfach betont –, dass Länder in Frieden miteinander leben und dass Konflikte minimiert werden. Das ist heute schon vielfach getan worden. Ich will das auch noch einmal tun. Hier ist durchaus Selbstlob angebracht. Wir haben in den letzten Jahren die Haushaltsmittel – leider hat die Welt das notwendig gemacht – in den Bereichen der humanitären Hilfe und der Krisenprävention erhöht. Insgesamt sind es 1,5 Milliarden Euro. Für diejenigen, die das nicht wissen – das alles kann man nachlesen oder googeln –: Es gibt bestimmte Richtlinien für die humanitäre Hilfe. Es geht dabei um Unabhängigkeit, Neutralität und Unparteilichkeit. Das sind die Kriterien der humanitären Hilfe. Damit wird natürlich kein Regime Change betrieben. Alle anderslautenden Behauptungen sind natürlich dummer Unsinn.
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Wir haben jetzt durch unsere Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat die Chance – das begrüße ich ausdrücklich, da Menschenrechte, Klimaschutz und Konfliktminimierung unsere Hauptthemen in den nächsten zwei Jahren sind –, unsere Vorstellungen von humanitärer Hilfe und Konfliktprävention weltweit noch stärker zu verankern.
Ich will die Zahlen noch einmal vor Augen führen: Zurzeit sind auf der Welt etwa 68 Millionen Menschen auf der Flucht. Das sind erschreckend viele. Das ist die höchste Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Menschen sind unter erbärmlichsten Bedingungen auf der Flucht. Das sind nur geringfügig weniger Menschen, als in der Bundesrepublik Deutschland leben. Sicherlich sind das viele Menschen. Aber es ist nur ein Hundertstel der Menschen auf der Welt. Es wäre doch gelacht, wenn die Welt nicht die Kraft aufbringen könnte, mit dieser Situation umzugehen. Ich lobe uns ausdrücklich für den Haushaltsansatz in Höhe von 1,5 Milliarden Euro. Ich wünsche mir aber, dass wir im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft Deutschlands im UN-Sicherheitsrat die Chance nutzen, uns in der humanitären Hilfe und der Konfliktprävention weltweit noch stärker zu positionieren und das zu einem Markenzeichen Deutschlands weltweit zu machen. Ich glaube, dass wir die Chance dazu haben.
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Das 20. Jahrhundert ist eigentlich – das vergisst man immer wieder – eine Erfolgsgeschichte für Demokratie und Menschenrechte. Aber man hat den Eindruck, dass es einen Virus gibt, der uns befallen hat, nämlich der Virus des Populismus und des Autoritarismus. Davon sind auch Länder in Europa betroffen wie Ungarn, die Türkei, Polen und – ganz aktuell – Russland. Wir erleben so etwas wie eine Orbanisierung der Politik, die leider bis in große Teile dieses Hauses hineinreicht. Es gibt nur ein Mittel dagegen. Das ist nämlich Haltung, eine klare Haltung zu demokratischen Werten und Aufklärung. Es geht um die Stärkung von Institutionen wie der OSZE, die in den nächsten Tagen hier ihre Jahrestagung abhält, aber auch des Europarats – das wurde gerade schon angesprochen –, einer Institution von 47 Nationen, die natürlich inklusiv zusammenarbeiten sollen, auch mit Ländern wie der Türkei, Aserbaidschan und Russland.
Es gibt aber auch bestimmte Werte. Es gibt die Europäische Menschenrechtskonvention, die alle Länder, die Mitglied sind, unterschrieben haben. Wenn sich aber Länder massiv dagegen verhalten, dann müssen wir das am Ende auch sanktionieren. Das ist die Debatte, die wir führen. Wenn Russland bereit ist, bestimmte Auflagen, die es durch die Europäische Menschenrechtskonvention und die Institution Europarat gibt, zu erfüllen, dann ist Russland natürlich Mitglied der Organisation. Wenn es aber nicht bereit ist, werden wir über die Mitgliedschaft Russlands in dieser Organisation zu reden haben. Anders geht es nicht.
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Meine herzliche Bitte: Lassen Sie uns den Europarat nutzen! Er steht ein bisschen im Schatten vieler anderer Institutionen. Aber wir brauchen ihn dringend als Gremium, um gemeinsam über Werte, Menschenrechte, Demokratie und anderes zu diskutieren. Wir haben uns im Rahmen des Koalitionsvertrages vorgenommen, den Europarat zu stärken und zu unterstützen. Das ist die Aufgabe für die nächsten Jahre.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte zeigt, dass wir uns nicht nur mit blanken Zahlen beschäftigen. Vielmehr geht es um eine Frage grundsätzlicher Haltung; das wurde in der Debatte auch deutlich. In einer Zeit, wo die Europäische Union zunehmend durch die Überbetonung regionaler und nationaler Unterschiede unter Druck gerät, ist die Frage, wie sich unser Land hier positioniert. Stellen wir uns auf die Seite derjenigen, die für die Festung Europa stehen, die für Abschottung stehen, und gegen das, was uns über Jahrzehnte ausgezeichnet hat, Solidarität und Miteinander? Oder aber versuchen wir mit aller Kraft die internationale werteorientierte Ordnung zu erhalten? Die Kollegen Wadephul, Nouripour und auch Graf Lambsdorff haben beeindruckend darauf hingewiesen.
Ich möchte hier zwei Dinge herausstellen, die mir am Herzen liegen. In dieser Debatte spüren wir ja geradezu, dass das, was wir in Europa über Jahrzehnte geleistet haben, in erster Linie auch für Deutschland ein Vorteil war: die Römischen Verträge, die Westorientierung, die Lebenserfahrungen von Adenauer, de Gaulle und de Gasperi, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg politische Verantwortung trugen und dann über die Jahrzehnte, in der Zwischenkriegszeit und nach dem Zweiten Weltkrieg, berufen waren, eine europäische Ordnung aufzubauen, die Vertrauen in den Mittelpunkt gestellt hat. Da spielt es eine Rolle, dass die Vergemeinschaftung kriegswichtiger Güter wie Kohle und Stahl, insbesondere die Aufsicht darüber, wie auch die Integration von Millionen Vertriebener und von Flüchtlingen in Deutschland in den 1950er-Jahren geleistet wurden.
Es war die CDU/CSU, die über Jahrzehnte den europäischen Gedanken der Einigung über die deutsche Einheit in den Vordergrund gestellt hat und daran geglaubt hat, als andere die DDR längst behandeln wollten wie Österreich oder die Schweiz. Dann ergab sich über die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa die große Chance, über die Frage der Menschenrechte den Schlüssel dafür zu finden, wie wir die Gesellschaften, die unter der Sowjetunion litten, aufschließen konnten. Mit dem Abschluss der KSZE und den Freiheitsbewegungen in Europa gab es auch ein Hoffnungsversprechen. Dieses Hoffnungsversprechen zeitigte sich in der Charta von Paris, wo Souveränität und territoriale Unversehrtheit und zudem die Chance auf freie Bündniswahl garantiert wurden. Diese Ordnung geriet zunehmend unter Druck.
Wir als Deutsche sollten deshalb – das macht dieser Haushalt eindrucksvoll klar – eindeutig dafür werben, dass Europa, wie es heute besteht, das Freiheitsversprechen der KSZE-Grundakte umgesetzt und die Charta von Paris verwirklicht hat. Das ist das eigentliche Verdienst der letzten Jahrzehnte.
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Wie erhalten wir diese Ordnung? Diese Ordnung erhalten wir nicht durch Abschottung oder, wie wir es vorhin hören mussten, durch irgendwelche Marineoperationen im Mittelmeer; vielmehr erhalten wir diese Ordnung, indem wir gerade in afrikanischen Staaten – Katja Leikert hat angesprochen, was aufgrund der Demografie dort auf uns zukommen wird – außer mit entwicklungspolitischen Projekten auch mit Bildungsprojekten arbeiten. Zu nutzen ist die Chance von Bildungspartnerschaften und auch von Rückführungen hier ausgebildeter Menschen. Dazu gehört auch, dass wir uns in den Bereichen, die in Afrika in Not und Sorge sind, engagieren.
Die Bundesrepublik Deutschland ist einer der Treiber internationaler Diplomatie. Ich spreche den Minsker Prozess an, in dem wir uns gegen die Aufrüstung der Ukraine durchgesetzt haben und für einen diplomatischen Prozess eingetreten sind. Ich spreche den Genfer Prozess für Frieden in Syrien an. Ich spreche auch an, was wir im nördlichen Afrika leisten und was wir in den E3+3-Verhandlungen beim Nuklearabkommen mit dem Iran eingebracht haben. Das alles reicht aber nicht mehr.
Alois Karl hat es vorhin angesprochen: Die Mittel für Krisenprävention sind deutlich erhöht worden, um über 10 Prozent, auf über 350 Millionen Euro. Unsere künftige Aufgabe muss es sein, Krisenvorsorge zu treffen und in Europa dafür zu werben, dass wir nicht zum Spielball aufstrebender Mächte werden, sondern dass wir Recht und Gesetz vertreten und dass wir auch bereit sind, das gegenüber unseren amerikanischen Verbündeten deutlich zu machen. Hierzu gehört übrigens auch das 2-Prozent-Ziel – wo manche lispeln und „Aufrüstung“ sagen; aber es ist „Ausrüstung“ gemeint –
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und eine klare Lastenteilung. Es geht darum, wie wir den Amerikanern bedeuten, dass wir in der Lage sind, unsere Verantwortung in unserer Region wahrzunehmen. Dazu dient das 2-Prozent-Ziel. Es ist ein Baustein der Vorsorge.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, da ich nicht dazu neige, zu überziehen, ist einfach mein Schlussappell: Lasst uns die Frage der militärischen Unterstützung zusammenbinden in Entwicklungszusammenarbeit und diplomatischen Anstrengungen. Nur so machen wir europäische Außen- und Sicherheitspolitik glaubwürdig.
Herzlichen Dank.
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Letzter Redner in dieser Debatte ist nunmehr Michael Brand für die CDU/CSU.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute bei den Beratungen zum Einzelplan des Auswärtigen Amtes viel über Haushaltstitel und -kapitel gesprochen. Ich möchte über ein besonderes Kapitel der auswärtigen Politik sprechen, das der frühere Außenminister und heutige Bundespräsident Steinmeier im April 2016 wie folgt qualifiziert hat: „Kein Ruhmesblatt in der Geschichte des Auswärtigen Amtes“.
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Ich zitiere aus der Rede:
Über viele Jahre hinweg, von den sechziger bis in die achtziger Jahre haben deutsche Diplomaten bestenfalls weggeschaut – jedenfalls eindeutig zu wenig für den Schutz ihrer Landsleute in dieser Kolonie getan. Auch später – als die Colonia Dignidad aufgelöst war und die Menschen den täglichen Quälereien nicht mehr ausgesetzt waren – hat das Amt die notwendige Entschlossenheit und Transparenz vermissen lassen, seine Verantwortung zu identifizieren und daraus Lehren zu ziehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bundestag hat spät, aber er hat Lehren gezogen und vor genau einem Jahr einen Beschluss gefasst, und zwar erstmals bei diesem brutalen Thema mit Stimmen aller Fraktionen im Hohen Haus. Die Bundesregierung wird darin aufgefordert, nach dem Bekenntnis zur moralischen Mitverantwortung den Worten nun Taten folgen zu lassen. Es geht um Aufarbeitung, Dokumentation und vieles mehr. Ein zentraler Punkt des Bundestagsbeschlusses ist die Vorlage eines Hilfskonzepts für konkrete Hilfsleistungen bis zum 30. Juni dieses Jahres. Die Einrichtung eines Hilfsfonds ist darin als eine Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Ein Jahr hat das Parlament der Regierung Zeit gegeben, um etwas Vernünftiges vorzulegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was wir jetzt auf fünf Seiten bekommen haben, das hat mich – das muss ich ehrlich sagen – sprachlos, auch zornig gemacht.
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Das Auswärtige Amt hat aus einem Auftrag des Deutschen Bundestags, einen Akt der moralischen und materiellen Wiedergutmachung zu entwickeln, ein kaltes und zynisches Bürokratenpapier gemacht, das vor allem ein Ziel hat: Nur kein Geld ausgeben!
Herr Außenminister Maas, das geht nicht. Das machen wir nicht mit. Das ist im Übrigen dezidiert auch nicht das, was der Deutsche Bundestag vor einem Jahr beschlossen hat.
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Es widerspricht eklatant dem Geist und dem Text der Entschließung des Parlaments. Der Entwurf ist nicht nur beschämend für Deutschland; er ist vor allem zynisch gegenüber den Opfern.
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Herr Brand, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wo ist denn eine? – Ja, gern.
Herr Kollege Brand, gehe ich recht in der Annahme, dass Sie sich in Ihren Ausführungen etwas widersprochen bzw. versprochen haben, als Sie von einer Stellungnahme und einem Bericht des Auswärtigen Amts ausgegangen sind? Ich bin mit Ihnen einer Meinung, dass der Deutsche Bundestag den Auftrag hat, die Opfer der Colonia Dignidad entsprechend auch finanziell zu unterstützen, wie wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dies wollen. Aber der Bericht, der vorgelegt wurde, ist kein Bericht des Auswärtigen Amts, sondern unserer Bundesregierung, der wir, die Unionsfraktion und die SPD-Fraktion, den Auftrag erteilt haben, und kein Bericht des Auswärtigen Amts. Haben Sie sich also insoweit versprochen?
Überhaupt nicht, weil die Koordinierung natürlich im Auswärtigen Amt liegt. Daher ist der Bericht auch vom Auswärtigen Amt an den Bundestagspräsidenten gegangen, bis zum 30. Juni.
Sie haben recht: Das ist ein Konzept der Bundesregierung. Deswegen habe ich auch darauf hingewiesen, dass das Parlament der Bundesregierung den Auftrag gegeben hat. Insofern widerspricht sich das überhaupt nicht. Es trifft die ganze Bundesregierung.
Aber man muss natürlich sagen – ich habe Ihnen das eben auch gezeigt –: Es war eine beeindruckende Rede von Frank-Walter Steinmeier; auch viele von den Kollegen waren dabei. Er hat mit der Legende aufgeräumt, dass man nichts gewusst habe, und er hat von keinem Ruhmesblatt in der Geschichte des Auswärtigen Amtes gesprochen. Deswegen hat das Auswärtige Amt natürlich eine besondere Verantwortung. Dass ausgerechnet nach dieser Rede ein solcher fünfseitiger Bericht zu uns kommt, mit Vorschlägen, bei denen das Entscheidende fehlt, hätte ich, Herr Kollege Brunner, ehrlich gesagt, nicht für möglich gehalten, und das hat mich auch sprachlos gemacht.
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Ich will Ihnen auch sagen: Mit ein paar Workshops, ein paar Einladungen, zehn Betten für ein Pflegeheim – das steht in diesem Konzept – konterkariert das Auswärtige Amt selbst die sehr beachtenswerte Rede des seinerzeitigen Außenministers. Das jahrelange Wegschauen gerade des Auswärtigen Amtes gegenüber Folter, Vergewaltigung, Mord, Entführung, Zwangsadoptionen und Zwangsarbeit hat Herr Steinmeier deutlich benannt.
Dieses Parlament hat immer klargemacht, dass es neben der wichtigen Aufarbeitung sowie konkreter Unterstützung wie Beratung und psychosozialer Betreuung auch konkrete Geldzahlungen an die Opfer geben muss. Das ist der deutsche Staat den Menschen schuldig. Es ist doch unerträglich – lieber Kollege Brunner, auch das gehört zur Wahrheit dazu –, dass sogar Haupttäter bis heute weitgehend unbehelligt in Deutschland leben, während die Opfer, die ihr Leben lang Zwangsarbeit leisten mussten, ziemlich alleine gelassen werden.
Lieber Herr Maas, ich will mich direkt noch mal an Sie wenden: Ich kann mir auch wirklich nicht vorstellen, dass Sie das Thema kaltlässt. Umso mehr hat mich ja dieser Bericht überrascht; wir haben darüber gesprochen. Aber ich möchte Sie auffordern, Herr Außenminister, und von Herzen darum bitten, sich mit Empathie den Opfern zuzuwenden. Laden Sie die Opfer doch bitte zu einem direkten Gespräch ein, hören Sie ihnen zu!
Denn meine Erfahrung der vergangenen zwölf Monate ist – wir haben es eng begleitet vom Parlament –: Das Auswärtige Amt bindet die Betroffenen und Experten bei diesem Thema zu wenig bis gar nicht ein. Ansonsten ist es doch auch gar nicht zu erklären, dass ein solches Papier vorgelegt worden ist und dass ein komplettes Jahr fast vertan worden ist.
Die Hoffnungen von Geknechteten, die eigentlich schon gar keine Hoffnung mehr auf eine Geste des deutschen Staates hatten, sind in diesen Tagen bitter enttäuscht worden. Nach all dem Wegsehen, dem Versagen, dem Leugnen, der Klarstellung durch Frank-Walter Steinmeier, dem einstimmigen Beschluss des Deutschen Bundestages schließt die Bundesregierung in ihrem aktuellen Papier ausdrücklich – ich zitiere das – „Individualmaßnahmen, insbesondere Geldzahlungen an Einzelpersonen“ aus. Ich finde, es ist eine Schande. Es ist auch eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Das darf und das wird so nicht bleiben.
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Herr Maas, Ihre beiden Vorgänger, Minister Steinmeier und Gabriel, haben eine politische Verantwortung Deutschlands eingestanden. Das eingestehen von moralischer Verantwortung ist aber nichts wert, wenn weiter auf Zeit gespielt wird und Geldzahlungen verhindert werden. Wenn es nicht zeitnah zu konkreten Hilfen kommt, sind auch noch die letzten Opfer tot.
Wir sprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen, von 300 Menschen, 100 Menschen in Deutschland, 100 Menschen in der früheren Colonia Dignidad, in der heutigen Villa Baviera, und 100 Menschen in Chile. Auch in Deutschland gibt es Fälle, wo Menschen lebenslang Zwangsarbeit – 7 Tage die Woche, 16 Stunden am Tag – geleistet haben, die heute zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel haben.
Hier besteht dringender Handlungsbedarf nach Jahrzehnten des Nichtstuns. Darüber sind sich alle Fraktionen im gemeinsamen Beschluss einig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Haushalt 2019 müssen konkrete Summen zur Verfügung gestellt werden, damit es den geforderten Hilfsfonds für die Opfer gibt, der selbstverständlich auch individuelle Zahlungen vorsieht. Ich bitte Sie alle herzlich, dabei mitzuhelfen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05 – Auswärtiges Amt – in der Ausschussfassung. Dazu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen müssen.
Der erste Änderungsantrag ist von der AfD auf Drucksache 19/3189. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Mit der Mehrheit des Hauses gegen die Stimmen der AfD ist der Antrag abgelehnt.
Dann kommen wir zum Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/3121. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der Grünen mit den Stimmen der Linken und gegen die Stimmen von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD ist der Antrag ebenfalls abgelehnt.
Wer stimmt nunmehr für den Einzelplan 05 – Auswärtiges Amt – in der Ausschussfassung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenstimmen? – Das sind die Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Das Erste war die Mehrheit. Damit ist der Einzelplan 05 angenommen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! In diesem Parlament gibt es rund ein Dutzend Fachpolitiker für Verteidigung. Auf der Regierungsbank muss sich vor allen Dingen Ministerin von der Leyen mit der Bundeswehr beschäftigen. Seit 4,5 Jahren macht sie das jetzt. Wenn sie eine Vorgesetzte hätte, die sich für ihre Arbeit interessieren würde, wäre sie schon lange entlassen; denn Ursula von der Leyen ist eine Blenderin. Angefangen hat sie ihre Amtszeit mit fachfremden Themen wie „Kitas“, „Flachbildschirme auf Stuben“ und „Genderregelungen“. Das hat alles nichts mit dem Kernauftrag von Streitkräften zu tun,
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teilweise steht es diesem sogar im Wege.
Dann zündete sie ihre sogenannten Trendwenden und ihre „Agenda Attraktivität“. Heute weiß jeder: Alles nur heiße Luft, keine einzige Ankündigung wurde umgesetzt. Aber Ursula von der Leyens Vorgesetzte interessiert das alles nicht. Wenn an der deutschen Grenze geltendes Recht umgesetzt werden soll, dann droht Merkel mit Richtlinienkompetenz; aber wenn die letzten vier CDU-Verteidigungsminister die Bundeswehr und Deutschlands Verteidigungsfähigkeit zugrunde richten, dann scheint das alles nichts mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zu tun zu haben.
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Die Verteidigungsministerin schiebt die Schuld gern auf ihre Vorgänger. Diese Vorgänger hatten eines gemeinsam: Angela Merkel als Chefin.
Einige von uns haben die Kanzlerin auf der letzten Bundeswehrtagung im Mai 2018 erlebt. Die Soldaten und Offiziere warteten dort auf ein Bekenntnis zur finanziellen Stabilisierung der Bundeswehr – vergebens. Die Bundeskanzlerin legte sich wie immer nicht fest. Wer im Raum war, spürte regelrecht eine Wand zwischen der Kanzlerin und den Soldaten.
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Angela Merkel kann weder mit unseren Soldaten noch mit Sicherheitspolitik etwas anfangen. Das Ergebnis ist dieser Verteidigungshaushalt: 38,5 Milliarden Euro will die Bundesregierung in diesem Jahr für die Streitkräfte ausgeben. Mit diesem Betrag gelingt es nicht einmal, den Verfall unserer Bundeswehr aufzuhalten. Jeder verantwortungsbewusste Verteidigungspolitiker hier im Saal weiß das.
Viel schlimmer jedoch ist der Ausblick: Auf der Bundeswehrtagung kündigte die Verteidigungsministerin eine Steigerung der Ausgaben auf 1,5 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt bis 2025 an – 1,5 Prozent vom BIP sind nach heutiger Rechnung circa 53 Milliarden Euro. Der Finanzplan der Bundesregierung sieht 2022 aber nur 42,7 Milliarden Euro für Verteidigung vor. Das würde bedeuten, dass der Einzelplan 14 in den verbleibenden drei Jahren – also von 2022 bis 2025 – um 10 Milliarden Euro steigen müsste. Eine solche Anböschung von Ausgaben in nur drei Jahren ist nichts als Maskerade.
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Die Bundesregierung verhält sich hierbei wie ein 100-Meter-Sprinter, der die ersten 70 Meter gemütlich spaziert und erst ganz zum Ende hin durchstarten will. Das wird nicht funktionieren. Unsere Bündnispartner wissen das. Das ist auch der eigentliche Grund, warum es fast unüberwindbare Zerwürfnisse im Bündnis gibt: weil die Bundesregierung nämlich ihre Partner anlügt und ihren Verpflichtungen nicht nachkommt.
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Mit Donald Trump hat das nichts zu tun. In Wahrheit kommt Ihnen der amerikanische Präsident sogar sehr gelegen. Hinter Trump können Sie sich und Ihre verantwortungslose Sicherheitspolitik verstecken.
Dabei ist die Forderung nach einer gerechteren Lastenverteilung und nach der Übernahme einer angemessenen Verantwortung Deutschlands im Bündnis schon uralt; Obama hat das genauso gefordert. Mit Trump ist die Bundesregierung nur an jemanden geraten, der umsetzt, was er angekündigt hat. Ich verstehe, dass Ihnen das fremd ist.
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Es geht aber um die Sicherheit und die Souveränität unseres Landes und nicht um die Zurschaustellung einer gefühlten moralischen Überlegenheit. Statt den Verteidigungshaushalt tatsächlich zu erhöhen und damit auch unsere heimische wehrtechnische Industrie wieder in die Lage zu versetzen, Schlüsseltechnologien zu schützen und weiterzuentwickeln, setzen Sie auf eine sogenannte Europäische Verteidigungsunion.
Wenn die Regierung sich aber nicht einmal an die NATO-Vereinbarungen – ein bestehendes und bewährtes Bündnis – hält, frage ich mich: Warum sollte es dann mit den Europäern anders gehen? Es bleibt dabei: Die Bundeskanzlerin trägt die Verantwortung für den erschreckenden Zustand der Bundeswehr – sowohl für den finanziellen als auch den personellen Zustand.
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Wer 13 Jahre lang ausschließlich fachfremdes Personal zu Verteidigungsministern macht, zeigt damit sein totales Desinteresse an unserer Truppe und an der Sicherheit Deutschlands. Die Bundeswehr braucht jetzt die Mittel, um wieder vom Kopf auf die Beine zu kommen – nicht erst in vier oder fünf Jahren, wenn Sie alle nicht mehr hier sitzen.
Danke.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat Dr. Reinhard Brandl das Wort.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Lucassen, jetzt haben Sie den Mund aber ein bisschen voll genommen.
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Wenn Sie die Entwicklung der Bundeswehr in den letzten Jahren verfolgt hätten, dann hätten Sie gemerkt, dass wir in den letzten vier Jahren die Ausgaben für Ausrüstung für die Bundeswehr verfünffacht haben.
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Im Zeitraum von 2009 bis 2013 haben wir im Haushaltsausschuss – meistens oder immer gegen die Stimmen der Linken; aber wir haben es gemacht –
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Ausgaben in Höhe von 6 Milliarden Euro beschlossen. Im Zeitraum zwischen 2013 und 2017 haben wir Ausgaben von über 30 Milliarden Euro beschlossen. Sie können doch nicht ernsthaft behaupten, dass in den letzten vier Jahren unter Bundesministerin von der Leyen nichts passiert ist. Das Gegenteil ist der Fall.
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Aber Sie müssen auch sehen, dass sich in den letzten vier Jahren die Sicherheitslage in Europa und in der Welt dramatisch verändert hat.
Sie waren 2011 noch nicht da. Aber die FDP und alle anderen Fraktionen waren hier im Parlament. Wir haben im Jahr 2011 in diesem Saal die Neuausrichtung der Bundeswehr beschlossen. Damals war die Linie des Hauses: Strukturbestimmend für die Bundeswehr sind die Auslandseinsätze. Danach wurde die Bundeswehr ausgerichtet.
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Ich habe damals keine Stimme gehört, die gefordert hat: Wir müssen die Bundeswehr so aufstellen, dass sie im Jahr 2015 oder im Jahr 2019 in der Lage ist, mit einer Brigade kurzfristig, innerhalb von sieben Tagen, einsatzbereit zu sein, um zum Beispiel unseren Bündnispartnern im Baltikum zu helfen. Das war in der Struktur der Bundeswehr nicht vorgesehen. Wir haben damals auch nicht die Verschlechterung des Verhältnisses zu Russland prognostiziert. Sie ist aber nun eingetreten. Ich habe mir das nicht gewünscht, aber wir müssen jetzt darauf reagieren.
Meine Damen und Herren, die Bundeswehr reagiert auch darauf. Was die Bundeswehr leistet, ist immens. Obwohl sie nicht darauf eingestellt war, eine Brigade schnell in Einsatzbereitschaft zu versetzen, hat sie es 2015 gemacht. Sie wird es auch 2019 machen, und sie wird es auch 2023 machen. Sie erfüllt alle Forderungen der NATO. Sie erfüllt alle Zusagen, die wir der NATO gegeben haben. Aber der Preis dafür ist, dass Material aus ganz Deutschland jeweils zu dieser einzelnen Brigade zusammengeführt werden muss, weil die Bundeswehr dafür nicht ausgerichtet ist. Das Ziel, das wir heute hier mit dem Verteidigungshaushalt bzw. der Finanzplanung formulieren, ist, dass wir auf die veränderte Sicherheitslage reagieren und die Bundeswehr langfristig wieder einsatzbereit machen müssen für Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung, die sie über viele Jahre hinweg nicht hatte – Gott sei Dank nicht hatte. So ist unser Ziel, dass wir spätestens 2023 so weit sind, die Brigade auch wieder aus eigener Kraft in Einsatzbereitschaft, in Alarmbereitschaft versetzen zu können. Aber, meine Damen und Herren, alleine diese Maßnahme kostet 4 Milliarden Euro. Geld ist nicht alles; aber ohne Geld ist alles nichts.
Wir haben nicht nur die Landes- und Bündnisverteidigung als Aufgabe vor uns, sondern wir haben auch neue Bedrohungen vor uns, Stichwort „Cyberspace“. Wir haben die Situation, dass fast jede weiterentwickelte Armee in der Welt den Cyberspace genauso wie die Luft, das Land oder das Meer als Operationsraum betrachtet. Dieser Operationsraum Cyberspace wird in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen.
Auch da hat die Ministerin reagiert. Sie haben in Ihrer Rede nichts davon erwähnt. Wir haben zum Beispiel vor zwei Jahren einen neuen Cyberorganisationsbereich eingerichtet. Es gibt jetzt einen Drei-Sterne-Cyberinspekteur, der die Truppe koordiniert und die Leistungsfähigkeit in diesem Bereich erhöht, weil wir darauf reagieren müssen. Das ist nicht vorrangig eine Frage des Geldes. Das ist vor allem eine Frage des Personals. Deswegen investieren wir massiv, zum Beispiel in die Universitäten der Bundeswehr. Wir haben im Haushaltsausschuss letzte Woche noch einmal extra 11 Millionen Euro, meine ich, beschlossen, um die Universitäten leistungsfähiger zu machen, damit sie attraktiv sind und die Soldatinnen und Soldaten den entsprechenden Anforderungen anpassen.
Es gibt andere Bedrohungen. Nehmen wir als Beispiel einmal das Thema Luftabwehr. Wir haben einen unheimlichen Fortschritt – „unheimlich“ kann man jetzt schon unterstreichen – bei der Entwicklung von Raketentechnologien. Wir haben eine unheimliche Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Was bringt es uns denn, wenn wir von Freunden umgeben sind und uns dann ein irrer Diktator von irgendwoher auf der Welt eine Rakete nach Berlin schicken kann und wir uns dagegen nicht verteidigen können? Deswegen müssen wir uns auch in diesem Bereich auf diese neue Form der Bedrohung einstellen. Ein neues Raketenabwehrsystem ist in der Entwicklung, kostet aber auch mehrere Milliarden Euro. Das ist im Moment finanziert. Aber, meine Damen und Herren, wenn wir die Bundeswehr für die Zukunft glaubwürdig in die Lage versetzen wollen, einen Beitrag zur Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu leisten, zum Schutz unserer Bündnispartner, dann müssen wir auch langfristig bereit sein, mehr zu investieren und auf neue Bedrohungen eine Antwort zu geben.
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– Bitte klatschen. Ja, das ist richtig.
Der Verteidigungshaushalt 2018, den Sie hier kritisiert haben, Herr Lucassen, ist in Wirklichkeit gar nicht das Problem. 2018 ist die Bundeswehr mehr als ausreichend finanziert. Wir haben eher die Situation, dass wir schon das halbe Jahr hinter uns haben und die Bundeswehr 2018 wahrscheinlich Probleme haben wird, das Geld, das wir ihr geben, vollständig auszugeben.
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Deswegen haben wir die Möglichkeit der Überjährigkeit beschlossen – gegen die Stimmen der Grünen und der Linken; von der AfD weiß ich gar nicht, wie sie gestimmt hat –, damit das Geld, das nicht ausgegeben wird, zumindest zu einem gewissen Teil ins nächste Jahr übertragen werden kann, damit die Bundeswehr auch in Zukunft das Geld, das sie hat, in die dringend notwendige Ausrüstung, Ausstattung unserer Soldatinnen und Soldaten investieren kann.
Wir haben den Weg der Trendwenden vor vier Jahren begonnen. Wir haben auf die veränderte Sicherheitslage reagiert. Die Bundeswehr wächst wieder; sie wächst beim Material, sie wächst bei der Ausrüstung, sie wächst auch, was die Finanzen und das Personal angeht. Diesen Weg hat Bundesministerin von der Leyen eingeschlagen; diesen Weg werden wir konsequent fortsetzen – mit dem Verteidigungshaushalt 2018 und den weiteren, fortführenden Haushalten.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Karsten Klein für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade im Zuge des unwürdig zelebrierten Asylstreits sollte man nicht vergessen, darauf hinzuweisen, dass die Bundeswehr einen sehr wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Fluchtursachen durch ihre Auslandseinsätze leistet. Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, und für die Landesverteidigung benötigt die Bundeswehr dringend zusätzliche Mittel.
({0})
Die Bundeswehr muss so ausgestattet werden, Frau Ministerin, dass wir den internationalen Verpflichtungen nachkommen können, und dabei, Frau Ministerin, würden wir Sie gerne kraftvoll unterstützen.
({1})
Dafür sind aber zwei Dinge zwingend nötig:
Das Erste ist: Legen Sie dem Parlament transparent dar, in welcher Höhe Sie Mittel für welche Maßnahme in welchem Bereich und in welchem Zeitkorridor benötigen. Vielleicht nennen Sie das einfach – ich mache mal einen Vorschlag – „Bericht zur Entwicklung des Finanzbedarfs der Bundeswehr“ und legen das dem Parlament endlich mal vor.
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Das Zweite, Frau Ministerin, ist noch viel entscheidender: Sorgen Sie dafür, dass die Mittel auch bei der Truppe ankommen, und zwar an den Stellen, für die wir, das Parlament, Ihnen die Mittel zugestanden haben. Steigern Sie die Effizienz der Bundeswehrverwaltung. Das ist dringend nötig.
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Die Bundeswehr, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine Parlamentsarmee, und verteidigungspolitisch muss dann vor allem gelten: maximale Sicherheit für die Soldatinnen und Soldaten bei gefährlichen Einsätzen im Ausland. Das wiederum erfordert die Beschaffung einer bewaffneten Drohne.
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Aber auch haushaltspolitisch ist es gefordert, keine Mittel für die Bewaffnungsfähigkeit einer Drohne auszugeben, wenn dieser Leistungsumfang am Ende überhaupt nicht genutzt wird. Auch das macht die Beschaffung einer bewaffneten Drohne und nicht einer bewaffnungsfähigen Drohne dringend nötig.
({5})
Die ethische, verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Würdigung, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, hat doch längst in den Fraktionen und im Deutschen Bundestag stattgefunden. Zum Beispiel fand schon am 30. Juni 2014 eine Anhörung des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages zu diesem Thema statt. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat allein 22 Arbeiten zum Thema Drohne vorgelegt. Die Bundeswehr beteiligt sich seit 2016 an der Entwicklung einer bewaffneten Drohne, nämlich der Eurodrohne.
Wir Freien Demokraten sind der Auffassung, dass die Beschaffung einer bewaffneten Drohne ethisch vertretbar ist. Wir werden aber vor allem nicht der Ausgabe von Steuergeldern für etwas zustimmen, dessen Nutzung von den Regierungsfraktionen selbst infrage gestellt wird. Deshalb möchte ich Sie an dieser Stelle noch mal auffordern: Wir sind heute hier entscheidungsbereit – stimmen Sie unserem Antrag auf Bewaffnung der Drohne zu! Das verhindert die Gefahr von Steuerverschwendung, und das gewährleistet die maximale Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten.
({6})
Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben auch einen sehr großen haushalterisch neuen Punkt in Ihrem Einzelplan stehen: Es ist ein absolutes Novum, dass für einen Einzelplan in einem eigenen Kapitel eine Rücklage eingerichtet wird. Wir als Parlament haben aber dafür Sorge zu tragen, dass sie eben nicht zur Sparbüchse des Verteidigungsministeriums verkommt. Wir haben die Verantwortung, dass Haushaltsklarheit und -wahrheit sichergestellt werden. Das sind nicht nur Einwendungen, die von Oppositionsseite kommen, sondern auch der Bundesrechnungshof hat dies klar artikuliert und die Haushaltsklarheit und -wahrheit eingefordert. Wir Freien Demokraten sehen klar die Anforderung, dass am Ende des Jahres gerade im Verteidigungshaushalt große Summen, die nicht verausgabt werden, liegen bleiben können. Aber es muss trotzdem bei den Grundsätzen der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit bleiben, und das macht die Zweckbindung dieser Rücklage zwingend nötig.
({7})
Wenn der Deutschen Bundestag Ihnen Mittel beispielsweise zur Beschaffung von Fregatten zur Verfügung stellt, dann darf das Geld, wenn es in diesem Jahr nicht verausgabt werden kann, im nächsten Jahr nur für die Beschaffung von Fregatten ausgegeben werden.
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Frau Ministerin, in diesem Bereich gilt: Wehret den Anfängen! Der Kontrollverlust des Parlaments kann hier einsickern. Ich kann nur alle Kolleginnen und Kollegen darum bitten und dafür werben, dass sie unserem Antrag zustimmen, diese Zweckbindung im Haushaltsgesetz festzuschreiben.
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Ich möchte zum Schluss kurz etwas zum Kollegen Dr. Brandl sagen. Es ist sehr beruhigend, dass es in Ingolstadt langfristig noch gute Politiker gibt, auch vonseiten der CSU. Aber weil Sie auf den Bereich der Cybersicherheit eingegangen sind: Wir haben im Haushaltsausschuss etliche Anträge zum Thema IT-Ausstattung, Digitalisierung und Cyber vorgelegt. Sie haben sie leider alle abgelehnt. Aber ich habe Ihrer Rede entnommen, dass Sie Besserung geloben. Vielen Dank für diese Zusage.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Thomas Hitschler für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei Haushaltsdebatten kann man sich leicht in den vielen Zahlen und Details verlieren. Natürlich schauen wir genau hin und prüfen, wofür wir welches Geld verwenden. Das schulden wir den Bürgerinnen und Bürgern, die dieses Geld erwirtschaften. Wir schulden der Bevölkerung aber auch eine Einordnung dieser Zahlen in die großen Linien. Dazu hilft es, einen Schritt zurückzutreten, sich das große Ganze anzuschauen. So wird greifbar und verständlich, warum wir einzelne Entscheidungen treffen.
2013 etwa lag der Verteidigungshaushalt bei rund 30 Milliarden Euro. Jetzt steigt er auf 38,5 Milliarden Euro. Demnächst sind wir bei weit über 40 Milliarden Euro. Innerhalb von nur zwei Legislaturperioden haben wir damit die Verteidigungsausgaben um fast ein Drittel erhöht. Das ist eine ordentliche Steigerung, aber eine mit Augenmaß, abgeleitet von den aktuellen Herausforderungen und Aufgaben und den dafür benötigten Fähigkeiten. Das ist sinnvoller, als blind irgendwelchen Prozentzielen nachzujagen. Für unsere Truppe zählt nämlich nicht, ob der Verteidigungshaushalt bei 1,2 Prozent oder bei 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt. Für sie zählt, dass wir sie ihren Aufgaben gemäß ausrüsten.
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Der Bevölkerung müssen wir erklären, warum wir überhaupt so viel Geld für Verteidigung ausgeben.
Machen wir den Schritt zurück und fragen uns: Wo kommen wir her? Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Landes- und Bündnisverteidigung hat in den letzten Jahren wieder deutlich an Bedeutung gewonnen. Mit dem Ende des Kalten Krieges waren wir noch „umzingelt von Freunden“. Große Armeen schienen damals nicht mehr gebraucht zu werden, Personal wurde abgebaut, und Verteidigungshaushalte wurden gekürzt. Die Bundeswehr wurde in den letzten Jahren zu einer kleineren, zu einer moderneren und zu einer sehr schlagkräftigen Einsatzarmee umgebaut. Da kommen wir her, Kolleginnen und Kollegen.
Die Weltlage hat sich abermals dramatisch geändert. Terrorgruppen gründen Quasistaaten, autoritäre Herrscher sind auf dem Vormarsch. Sie brechen Völkerrecht und verschieben Grenzen mit militärischen Mitteln. Landes- und Bündnisverteidigung gewinnt damit wieder an Gewicht; leider, muss man fast sagen. Hier stehen wir jetzt.
Bleibt die Frage: Wohin wollen wir? Um ein Ziel zu erreichen, brauchte man früher einen Kompass, heutzutage tut es auch ein Navi mit GPS. Aber auch mit moderner Technik findet man seinen Weg nur, wenn man die richtigen Koordinaten hat. Unsere Koordinaten haben wir im Koalitionsvertrag verankert. Sie finden sich auch im Verteidigungshaushalt wieder. Willy Brandt sagte einst:
Nicht der Krieg, der Friede ist der Vater aller Dinge.
Das muss heute oberster Grundsatz unserer Sicherheitspolitik sein, Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Es gibt aber Szenarien, bei denen es gerade nicht dem Frieden dient, wegzuschauen; vielmehr muss Verantwortung übernommen werden,
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im Kampf gegen den selbsternannten „Islamischen Staat“ beispielsweise, der ganze Bevölkerungsgruppen auslöscht und in die Flucht treibt, oder beim Wiederaufbau fragiler Staaten, und genau in solchen Fällen setzen wir auch die Bundeswehr ein.
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Wo wir Verantwortung übernehmen, dienen wir dem Frieden. Das ist das Ziel eines jeden Einsatzes der Bundeswehr.
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Das ist mein Verständnis unserer Parlamentsarmee. Das ist das Selbstverständnis unserer Soldatinnen und Soldaten. Ich meine, darauf können wir stolz sein, Kolleginnen und Kollegen.
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Für unsere Parlamentsarmee haben wir eine besondere Verantwortung, auch mit Blick auf faire Arbeitsbedingungen und die Arbeitnehmerrechte unserer Soldatinnen und Soldaten und all der zivilen Beschäftigten bei der Bundeswehr. Deshalb haben wir in der Koalition vereinbart, Gehalts- und Besoldungsstrukturen, Dienstrecht, die soziale Absicherung von Bundeswehrangehörigen und auch deren Familien sowie den Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung für Soldaten auf Zeit zu verbessern. Deshalb machen wir den Arbeitgeber Bundeswehr attraktiver. Deshalb setzen wir im Ministerium eine Beauftragte für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Dienst ein. Deshalb bauen wir Kasernen um und lassen die Abgabe von Liegenschaften erneut überprüfen. Deshalb führen wir die Trendwende Personal fort und erhöhen dort die Ausgaben. Qualifiziertes, hochmotiviertes militärisches und ziviles Personal ist der Kern der Einsatzbereitschaft und aller Fähigkeiten bei der Bundeswehr.
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Zu unserer Verantwortung gegenüber der Parlamentsarmee gehört aber auch folgender Grundsatz: Wenn wir Soldatinnen und Soldaten in den Einsatz schicken, müssen wir alles tun, damit sie ihrer Aufgabe gemäß ausgerüstet sind. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag die persönliche Ausstattung unterstrichen, und deshalb erhöhen wir die Ausgaben für Bekleidung und Ausrüstung, um beispielsweise Schutzwesten schneller beschaffen zu können.
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Deshalb erhöhen wir die Ausgaben für Material und investieren in gepanzerte Transportfahrzeuge. Unsere Soldatinnen und Soldaten müssen nämlich etwas von den Maßnahmen haben, die wir hier beschließen. Deshalb müssen wir von der Trendwendeankündigung zur Trendwendeumsetzung kommen.
({8})
Kolleginnen und Kollegen, mehr militärisches Großgerät bedeutet auch höhere Kosten für die Instandsetzung. Gerade mit Blick auf die Landes- und Bündnisverteidigung müssen wir eigene Fähigkeiten bewahren und dürfen uns nicht von Quasimonopolen in der Rüstungsindustrie abhängig machen. Deshalb sind wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gegen eine weitere Privatisierung bei der Heeresinstandsetzungslogistik, bei der HIL.
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Rüstungsmanagement und Beschaffungsmaßnahmen müssen wir weiter optimieren. Trotz einer immens gestiegenen Auftragszahl und trotz Personalabbau machen die Kolleginnen und Kollegen im Beschaffungsamt in Koblenz einen guten Job. Deshalb müssen wir sie weiter stärken, mit mehr Personal, mehr Digitalisierung, schnelleren Verfahren und, und, und.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sicherheit erreichen wir schlussendlich nur im vernetzten Ansatz. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag Folgendes vereinbart:
Mehr Mittel für Entwicklungszusammenarbeit, zivile Krisenprävention, humanitäre Hilfe, Verteidigung und Bundeswehr – zusätzliche finanzielle Mittel für diese Bereiche sollen im Verhältnis 1:1 prioritär erhöht werden.
Das ist genau richtig so, Kolleginnen und Kollegen.
({11})
Zum vernetzten Ansatz gehört auch die Erkenntnis, dass wir Sicherheit rein national niemals gewährleisten können. Wir leben seit sieben Jahrzehnten in Frieden, weil wir fest an der Seite unserer Bündnispartner stehen. Die NATO, vor allem die transatlantische Partnerschaft, ist eine der beiden großen Säulen, auf denen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland basiert.
({12})
Der amerikanische Präsident bringt diese Säule zwar sehr zum Wanken; wir wollen sie alle gemeinsam wieder stabilisieren, aber selbstverständlich ist das leider nicht mehr.
Darum wird die zweite Säule immer wichtiger: Europa. Meine südpfälzische Heimat war als deutsch-französisches Grenzgebiet in der Geschichte immer wieder Schauplatz blutiger Konflikte, bis hin zu zwei Weltkriegen. Aus der deutsch-französischen Erbfeindschaft ist eine tiefe europäische Freundschaft gewachsen. Das war ein Segen für die Generation meiner Eltern, und das ist ein Segen für meine Generation. Sorgen wir dafür, dass Europa auch für die kommende Generation ein Segen wird.
Darum bauen wir die Europäische Verteidigungsunion aus. Darum wollen wir eine gemeinsame europäische Armee. Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns deshalb den vielen Maßnahmen, die wir im Verteidigungshaushalt und im Koalitionsvertrag vereinbart haben, zustimmen.
Kollege Hitschler, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Die Sozialdemokraten tragen den Haushalt mit.
Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren.
({0})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Abgeordnete Michael Leutert das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich finde diese Debatte sehr spannend. Von CDU, CSU und FDP hört man: Die Truppe ist noch nicht genügend ausgestattet; wir brauchen mehr Geld für die Verteidigung. Von der SPD hört man: Wir haben in den letzten Jahren so viel Geld ausgegeben; das ist doch eine beachtliche Leistung. Ich muss sagen: Wenn man sich die Zahlen anschaut, stellt man fest, dass das Verteidigungsministerium dieses Jahr 38,5 Milliarden Euro zur Verfügung hat und nach der neuen mittelfristigen Finanzplanung 30 Milliarden Euro für die nächsten Jahre, bis 2022, on top kommen. Das ist schon eine Menge Geld.
({0})
Man muss sich das einmal vor Augen führen: Vor sieben Wochen fand hier die erste Lesung des Haushaltes statt. Damals galt noch eine mittelfristige Finanzplanung, in der 22,5 Milliarden Euro on top standen. Jetzt sind es schon 30 Milliarden Euro. Jede Woche haben Sie 1 Milliarde Euro mehr herausgehandelt.
({1})
Sie sind sehr erfolgreich in der Akquise. Vielleicht könnten Sie diese Fähigkeit auch für andere gute Projekte einsetzen.
Jetzt kommt noch dazu – das wurde hier bereits angesprochen –, dass eine sogenannte Sparbüchse eingerichtet werden soll.
({2})
Immer wenn Mittel für die Beschaffung im Rüstungsbereich nicht abgeflossen sind, können diese sozusagen aufgehoben werden. Die Überjährigkeit ist damit hergestellt; die Mittel können im nächsten Jahr eingesetzt werden.
({3})
Allerdings ist für uns im Parlament überhaupt nicht klar, wofür sie eingesetzt werden. Denn wenn das Geld vom Parlament für die Fregatte freigegeben, diese aber nicht gekauft wurde, kann dann nächstes Jahr damit ein Flugzeug gekauft werden. Auch das ist ziemlich absurd.
({4})
Der Kollege Hitschler hat gerade die Eins-zu-eins-Regelung im Koalitionsvertrag angesprochen. Ich kann diese Regelung nicht finden. Wenn hier also 7 Milliarden Euro mehr für die nächsten Jahre rausgehandelt wurden, wo sind dann die 7 Milliarden Euro im BMZ oder AA-Bereich?
({5})
Dort stelle ich das Gegenteil fest: Es geht nach unten. Unser Vorschlag wäre deshalb, diese Sparbüchse für die ODA-Mittel zu verwenden. Was nicht abfließt, fließt in den ODA-Bereich.
({6})
Jetzt muss man sich mal anschauen, wie die Begründung aussieht. Es wird gesagt: Wir haben gestiegene Anforderungen und eine neue Aufgabe Landesverteidigung. Das 2-Prozent-Ziel soll eingehalten werden. – Ich muss ganz ehrlich sagen: Es wird ja immer wieder versucht, dieses Ziel zu erreichen; jetzt sollen es 1,5 Prozent sein. Es ist meines Erachtens an der Zeit, den Amerikanern einmal deutlich zu sagen: Wir werden dieses Ziel nicht einhalten, und zwar nicht einhalten wollen,
({7})
weil wir dafür keine Notwendigkeit sehen. Das wäre doch eine ehrliche und aufrichtige Politik. Wenn Sie mit den Amerikanern darüber sprechen, dann erinnern Sie sie doch bitte daran, dass sie sich auch an Verpflichtungen zu halten haben und bitte nicht die Mittel für UN-Organisationen kürzen sollen. Das wäre mal ein guter Beitrag.
({8})
Die Mittel werden außerdem mit der Beschaffung von neuem Großgerät begründet. Die Realität sieht allerdings so aus, dass große Teile des Großgerätes, die vorhanden sind, zum Beispiel U-Boote, Schiffe,
({9})
Panzer, Flugzeuge, Hubschrauber – wir können in den Wehrbericht reinschauen; wir haben das alles besprochen –, nicht fliegen, nicht tauchen, nicht schwimmen usw. Wäre es nicht vielleicht eine sinnvolle Sache, mit dem vielen Geld, das uns zur Verfügung steht, erst einmal dafür zu sorgen, dass dieses Großgerät, das da ist, funktioniert? Dann kann man sich irgendwann auch mal über andere Sachen unterhalten.
({10})
Ein Großprojekt ist hier schon angesprochen worden: Das ist die Drohne Heron TP. Man muss der FDP darin recht geben, dass die ganze Debatte hier etwas unehrlich geführt wird. Ich finde es spannend. Die SPD bemüht sich darum, klarzustellen: Wir haben eine Beobachtungsdrohne angeschafft. – Andere sprechen davon, dass eine Kampfdrohne angeschafft wurde. Mit den folgenden Begriffen wurde gehandelt: bewaffnungsfähig, bewaffnungsfertig, unbewaffnet, bewaffnet usw. Jetzt haben wir den Beschluss vom Haushaltsausschuss. In dem heißt es klar: Es darf keine Munition für das System Heron TP beschafft werden. Und: Über die Aufhebung des Beschlusses zu Erstens wird der Deutsche Bundestag nach ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung gesondert entscheiden. – Das ist der Beschluss vom Haushaltsausschuss.
({11})
Dazu will ich zwei Sachen anmerken.
Mein erster Punkt betrifft die Unehrlichkeit. Das müssen wir uns alle ins Stammbuch schreiben. Jetzt ist es so: Die Drohne steigt auf, klärt auf, hat eine Zieldefinition, landet wieder, und ein anderes Waffensystem bekämpft das Ziel. Genau das passiert. Und trotzdem wird hier immer gesagt: Na ja, eine Aufklärungsdrohne ist doch besser als eine bewaffnete Drohne. – Nein! Wir müssen darüber diskutieren, wozu wir Drohnen überhaupt brauchen und ob wir sie brauchen. Erst wenn das passiert ist, kann man eine Entscheidung treffen.
({12})
– Ja, bei Einsätzen. Aber wir sind uns, glaube ich, nicht einig, in welche Einsätze Soldaten geschickt werden sollen.
({13})
Eine Frage, die mich jetzt interessiert, konnte mir im Haushaltsausschuss niemand beantworten: Wer würdigt denn wann was? In welchem Zeitraum denn? Wer ist denn mit einbezogen? Sitzen da die Staatssekretäre abends bei einem Glas Rotwein
({14})
und würdigen das, und wir werden dann vor vollendete Tatsachen gestellt? Das ist doch für uns die entscheidende Frage.
({15})
Solange diese Fragen nicht geklärt sind, können wir das Geld an anderer Stelle viel, viel besser verwenden.
({16})
Das Geld, was wir beim BMZ – –
Kollege Leutert, ich hoffte, das wäre jetzt der Schlusspunkt. Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Gut, Frau Präsidentin, dann hebe ich mir diese Punkte für die BMZ-Debatte nachher auf. Da passen sie auch sehr gut hin.
Danke schön.
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Dr. Tobias Lindner das Wort.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man bei so manchen Beiträgen in dieser Debatte und auch bei der Generaldebatte heute Morgen die Rufe aus den Koalitionsfraktionen oder auch aus der FDP nach einer Erhöhung des Wehretats hörte, dann könnte man auf die Idee kommen, die Bundeswehr würde finanziell Hunger leiden
({0})
und sie hätte in den letzten Jahren überhaupt nichts erhalten.
Ich habe einmal gerechnet, Frau von der Leyen: Seit Ihrem Amtsantritt im Jahr 2013 ist der Verteidigungsetat von 32,4 Milliarden Euro auf jetzt 38 Milliarden gestiegen. Er soll im kommenden Jahr weiter steigen. Wenn man alle Etatsteigerungen Ihrer Amtszeit zusammenrechnet, kommt man, wenn ich das kommende Jahr auch dazunehme, auf über 20 Milliarden Euro.
({1})
Tun wir also nicht so, als würde die Bundeswehr Hunger leiden. Nein, der Verteidigungsetat ist kräftig gestiegen, sogar deutlich kräftiger und stärker als der Bundeshaushalt in Gänze.
Vor lauter Debatte über die Gesamthöhe dieses Haushalts gerät doch aus dem Blick, dass wir in der Bundeswehr in den vergangenen Jahren trotz mehr Geld erhebliche Probleme hatten. Ich denke da zum Beispiel an Beschaffungsvorhaben. Da brauchen wir gar nicht über Großgerät reden; da reicht es schon, wenn wir uns beispielsweise die Lage bei Winterbekleidung und Zelten anschauen. Da kamen Sie nicht voran, unter anderem auch deshalb, weil es erhebliche Personallücken beim Beschaffungsamt der Bundeswehr gibt, was die Bearbeitung solcher Projekte erschwert. Zudem sind die Prozesse, die die Menschen ausführen sollen, teilweise mit unnötiger Bürokratie überfrachtet. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir eigentlich viel weniger über die Frage reden, wie viel Geld die Bundeswehr braucht, sondern darüber, ob das, was sie hat, überhaupt ordentlich und korrekt ausgegeben wird.
({2})
Sie könnten mit den vielen Milliarden, die zur Verfügung stehen, heute schon weitaus mehr erreichen. Ja, die Bundeswehr hat Probleme; das ignorieren wir Grüne auch nicht. Wir tun nicht so, als sei da alles in Butter. Aber mit mehr Geld lassen die sich nicht lösen. Im Gegenteil: Bei einem Etat, der wie kein anderer für einen laxen Umgang mit Steuergeldern steht, bei einem Etat, der regelmäßig Großkunde beim Bundesrechnungshof ist, was Prüfbemerkungen an den Rechnungsprüfungsausschuss betrifft, ist das nicht nur ein unverantwortlicher Umgang mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, sondern es ist auch gegenüber den Soldatinnen und Soldaten unfair, zu behaupten, mehr Geld würde die Probleme, die die Truppe hat, lösen.
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Es ist gut, dass wir heute Nachmittag nicht nur über den Wehretat sprechen, sondern eben schon über den Etat des Auswärtigen Amtes gesprochen haben und gleich über den Etat des BMZ reden werden; denn zu einer vernünftigen Sicherheitspolitik gehört ein Blick über den Tellerrand. Sie selbst, Frau von der Leyen, propagieren, durchaus gemeinsam mit Ihren Kollegen Maas und Müller, die Notwendigkeit starker ziviler Instrumente. Sie, Herr Kollege Hitschler, sind ja auf das eingegangen, was im Koalitionsvertrag vereinbart ist, nämlich eine Eins-zu-eins-Koppelung der Steigerung der Verteidigungsausgaben mit der Steigerung der Mittel, die ODA-fähig sind. Wenn man in die Presse schaut oder meinetwegen auch ins eigene Postfach und die neue mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung für die kommenden Jahre sieht, dann muss man zur Kenntnis nehmen, dass Sie nicht nur Ihren eigenen Koalitionsvertrag brechen – nein –, sondern die zivilen Instrumente bei Ihnen auch im Zuwachs nicht einen nur annähernd ähnlichen Stellenwert wie das Militärische haben. Ich gebe Ihnen nur ein Beispiel: Der Einzelplan 14 soll im kommenden Jahr um 4,4 Milliarden Euro anwachsen; das Auswärtige Amt wird insgesamt nur 1 Milliarde Euro mehr überhaupt zur Verfügung haben.
Schaut man sich dann einmal an, wo wir im Jahr 2022, am Ende der Finanzplanung, stehen, stellt man fest: Das Verteidigungsministerium erhält 5,34 Milliarden Euro mehr, während das Auswärtige Amt 450 Millionen Euro weniger und das BMZ fast 0,75 Milliarden Euro weniger erhalten soll. Nein, das ist nicht ehrlich, wenn Sie sich hierhinstellen und sagen, Sie erhöhten die Mittel für zivile Instrumente. Sie erhöhen die Mittel fürs Militär, und beim Zivilen stagnieren oder sinken die Ansätze sogar.
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Die Debatte um das 2- bzw. 1,5-Prozent-Ziel ist insofern eine Schimäre, als sie von den eigentlichen Problemen – auch von den Problemen, die es in der NATO gibt – ablenkt. Wenn Sie, Frau von der Leyen, kommende Woche zum NATO-Gipfel nach Brüssel fahren und da ankündigen, dass Sie die Verteidigungsausgaben im Jahr 2024 auf 1,5 Prozent erhöhen wollen, dann sollten Sie zu zwei Dingen Stellung nehmen:
Erstens. Als Parlamentarier erwarte ich schon, dass wir hier in diesem Haus auch einmal einen Beschluss über so etwas fassen. Denn wenn man das, was Sie da ankündigen, ernst nimmt und wenn Sie das auch selbst ernst nehmen, muss man sagen: Das präjudiziert doch eine Bindung des Haushaltsgesetzgebers für die nächsten Jahre, die wir nicht einfach so per Ankündigung in Brüssel durchführen können.
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Zweitens – ich finde, in der Politik sollte es immer um Konsequenz und Glaubwürdigkeit gehen –: Wenn Sie eine Erhöhung auf 1,5 Prozent ankündigen, dann müssen Sie die Frage beantworten, wie Ihre mittelfristige Finanzplanung – auch die, die diese Woche durch das Kabinett gehen soll – dazu passt. Was sagen Sie eigentlich den Amerikanern, wenn die Sie fragen: Wo ist denn Ihr Plan, wie Sie das erreichen wollen?
Mein Appell bzw. unser Appell als Grüne an Sie wäre, dreierlei zu tun:
Erstens. Seien Sie ehrlich. Das 1,5- oder 2-Prozent-Ziel ist ein wahnwitziger Indikator, um eine vernünftige Lastenteilung in einem Bündnis zu messen. Deswegen sollten wir klar und deutlich sagen, dass wir nichts davon halten.
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Zweitens. Wir sollten auf dem NATO-Gipfel nicht nur über Geld reden, sondern auch darüber, welche Fähigkeiten die NATO haben muss und welche sie nicht haben muss. Wir sollten, wenn die NATO über Rückversicherung und Dialog spricht, darüber reden, was dieser Dialog im Detail ist. Wir sollten Russland nicht aus der Verantwortung lassen und gerade deshalb als nordatlantisches Bündnis noch stärkere Anstrengungen unternehmen, was die Rüstungskontrolle betrifft.
Drittens. Wir sollten klarmachen, dass die NATO ein Bündnis ist, von dem zumindest ich noch sage, dass es auf Werten basieren sollte. Das sollten wir einfordern und daraus keine Veranstaltung machen, wie der amerikanische Präsident es möchte, bei der es am Ende des Tages nur darum geht, wer welchen Teil der Rechnung bezahlt.
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Ein weiterer Teil Ihres Haushalts ist angesprochen worden: die Rücklage. Man könnte auch sagen: von der Leyens Rüstungssparkasse.
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Richtig ist: Es bleibt manchmal Geld liegen – das ist völlig normal –, weil sich Projekte verzögern; der Kollege Klein hat die Fregatte genannt. Aber es ist ja nicht so, dass Sie mit dem heute bestehenden Haushaltsrecht nicht schon Möglichkeiten hätten, damit umzugehen. Sie können das Geld zum Beispiel innerhalb Ihres Etats umschichten. Sie können Auslandseinsätze damit bezahlen – das tun Sie teilweise auch –, oder Sie können es für Personal verwenden. Sie haben im Beschaffungsbereich die Möglichkeit, sogenannte Teil-2-Projekte zu aktivieren. Sie können Geld, das irgendwo liegen bleibt, für ein anderes Projekt nehmen. Sie können das Geld sogar, wenn Sie wollen, bereits heute in das folgende Jahr übertragen, wenn Sie an anderer Stelle eine Einsparung finden, wenn sich dort also wieder ein Projekt verschiebt.
Außerdem haben Sie die Möglichkeit, bis zur Bereinigungssitzung im November zum Haushaltsausschuss zu gehen, sich ehrlich zu machen – davon haben Sie selbst Gebrauch gemacht – und wie damals, als es um den Puma ging, zu sagen: Das Ding verspätet sich; ich brauche da im kommenden Jahr mehr Geld, weil das in diesem Jahr nicht abgeschlossen werden kann. – Wenn der November zu spät ist, können Sie auch eine überplanmäßige Ausgabe im Vollzug beantragen; denn dann wäre das unvorhersehbar gewesen. All diese Möglichkeiten haben Sie.
Stattdessen beantragen Sie ein Instrument, mit dem Sie einfach 500 Millionen Euro, die noch nicht einmal zweckgebunden sind, bunkern können. Auf diese Weise können Sie Gelder, die liegen bleiben, im Folgejahr oder Jahre später auch für andere Projekte verwenden. Meine Damen und Herren, das hat mit der Transparenz, die Sie, Frau von der Leyen, ständig predigen, nichts zu tun, erst recht nicht mit Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit.
({9})
Das macht den Einzelplan 14 intransparenter. Deswegen lehnen wir Grünen die Rücklage ab.
Zum Schluss ganz kurz zum Thema Drohne. Ich erinnere mich noch daran, dass der Kollege Otte hier in diesem Haus vor vier Jahren erklärt hat, die ganze Debatte sei geführt – ich habe das Zitat im Zweifel hier, wenn Sie mir nicht glauben – und man könne jetzt das Thema Bewaffnungsfähigkeit angehen.
({10})
Sie argumentieren ja immer mit Diskontinuität im Erkenntnisprozess der Koalitionspartner; das verrät viel.
({11})
Hinzu kommt: Hätten Sie eine ergebnisoffene Debatte führen wollen, meine Herren und Damen, hätten Sie sie führen müssen, bevor Sie 50 Millionen Euro ausgeben, um schon die technische Bewaffnungsfähigkeit herzustellen. Wir Grüne sagen: Die meisten Fragen im Hinblick auf bewaffnete Drohnen sind ganz und gar nicht beantwortet. Die Bedenken und Sorgen überwiegen den möglichen fiktiven Nutzen. Deswegen lehnen wir die Beschaffung oder das Leasing bewaffnungsfähiger Drohnen ab. Wir werden uns nachher entsprechend verhalten.
Frau Ministerin, Sie sind jetzt vier Jahre im Amt. Sie haben eine Menge Analysen durchgeführt, Kommissionen eingesetzt und Berichte vorgelegt. Auf Ergebnisse, dass man also sagen kann: „Hier gibt es ein Projekt, das sich eklatant verändert hat; da sieht man, dass man etwas besser machen kann“, warten wir bis heute. Deswegen werden wir diesem Etat heute nicht zustimmen können.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat die Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der Leyen.
({0})
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich für die konstruktive und professionelle Zusammenarbeit mit unseren Berichterstattern danken. Ich danke Ihnen, Herr Brandl, als Hauptberichterstatter und gratuliere zum ersten Haushalt, den Sie als Hauptberichterstatter hier heute durchbringen. Und mein Dank schließt natürlich alle anderen Berichterstatter auch mit ein: Herrn Leutert, den ich dort sehe, Herrn Rohde, Herrn Lindner, Herrn Klein und Herrn Hohmann. Vielen Dank für eine wirklich konstruktive und professionelle Zusammenarbeit, und ich spreche diesen Dank vor allem auch für das Verteidigungsministerium und für die gesamte Bundeswehr aus.
Wir haben zusammen viel erreicht. Und wenn man hier den Rednerinnen und Rednern zuhört, dann merkt man auch, wie stark uns inzwischen ein gemeinsamer Geist prägt. Das zeigt sich auch in diesem Haushalt; das ist ein guter Haushalt.
Herr Leutert, ich habe Ihre Rechnung über die vielen Milliarden nicht ganz verstanden, ich fand aber, die Rechnung hörte sich gut an. Die nehmen wir gerne so an; das war eine vernünftige Rechnung.
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Wir haben bei diesem Haushalt einen Anstieg um 4 Prozent – das ist ein Anstieg zum vierten Mal in Folge –, und alle Vorredner haben ja auch betont, dass wir diesen brauchen. Ich brauche nicht wieder darauf einzugehen, woher wir kommen, wie lange die Durststrecken waren und dass wir wegen der völlig veränderten Sicherheitslage vor vier Jahren – Annexion der Krim; hybrider Krieg in der Ostukraine; der IS, der Irak und Syrien in Flammen gesetzt hat; die Destabilisierung Afrikas – ganz andere Missionen und Aufträge für unsere Bundeswehr haben. Daneben ist der Bedarf gestiegen, deutlich besser und mehr zu investieren, um damit die eingeleiteten Trendwenden mit Leben zu füllen.
Ich danke für das, was in den vergangenen vier Jahren geschafft worden ist. Wir alle wissen aber – und das hörte man auch durch die unterschiedlichen Akzente aus den Reden raus –: Wir sind noch lange nicht am Ziel. Wir müssen beharrlich weitermachen. Das ist noch richtig harte Arbeit, die vor uns liegt; denn 25 Jahre Kürzen schüttelt man eben nicht in zwei, drei Jahren aus den Kleidern.
Mir ist wichtig, dass wir – und das atmet dieser Haushalt – vor allen Dingen für unsere Soldatinnen und Soldaten verlässlich bleiben. Angeklungen sind die Investitionen, die wir in der letzten Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben. Es dauert, bis das auf dem Hof steht. Gemeinsam besprochen worden ist auch, wo die Schwerpunkte in dieser Legislatur liegen: persönliche Ausrüstung, Digitalisierung, vor allen Dingen das ganze Cyberthema, der Materialerhalt und die Einrichtung multinationaler Fähigkeiten, die für uns wichtig sind.
Der Haushalt atmet aber auch wieder die Verlässlichkeit im Bündnis. Schutz und Sicherheit im Bündnis kosten Geld, und ich will hier deutlich sagen: Wir stehen ganz klar zum 2-Prozent-Ziel in der NATO.
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Wir haben dieses 2-Prozent-Ziel im Jahr 2014 gemeinsam verabredet. Damals hatte Amerika einen Präsidenten mit dem Namen Obama, und wir haben dies als Große Koalition mit damals 27 anderen Ländern gemeinsam auf den Weg gebracht.
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Wir sind auf der Strecke. Wir werden im Jahr 2024 1,5 Prozent erreichen. Das ist eine politische Verabredung.
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Es geht also in die richtige Richtung.
Ich will hier allen nur noch mal vor Augen halten: Dieses 2-Prozent-Ziel verfolgen wir alle, 29 Länder. Das heißt, auch die anderen Länder strengen sich an. Da können wir als großes, politisch und wirtschaftlich starkes Land nicht sagen: Die anderen sollen sich anstrengen, aber wir brauchen uns da nicht anzustrengen, wir stehlen uns aus der Verantwortung. – Das kann es nicht sein.
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Deshalb bin ich froh, dass es eine klare Linie ist, bis zum Jahr 2024 die 1,5 Prozent zu erreichen. Und wir stehen weiterhin zum 2-Prozent-Ziel – mit absoluter Sicherheit.
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Ich möchte ein Zweites aber auch noch mal erwähnen: Es geht nicht nur um die Frage der 2 Prozent. Sie sind ein wichtiges Maß, um vergleichen zu können und damit sich auch alle anstrengen.
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Nur, ehrlich gesagt: 2 Prozent Verteidigungsinvestitionen besagen noch lange nicht, was dann bei der NATO ankommt, sondern es stellen sich auch die Fragen: Welche Fähigkeiten werden der NATO zur Verfügung gestellt, und welche Beiträge leistet das jeweilige Land zur NATO? Hier – das will ich sehr deutlich sagen – muss Deutschland sein Licht nicht unter den Scheffel stellen. Vielmehr können wir unseren Partnern und Verbündeten sehr selbstbewusst deutlich machen, dass wir Verantwortung übernehmen.
Klar sind bei all den Themen, wo wir uns messen, die USA immer an erster Stelle und auch die Stärksten; gar keine Frage. Das hat auch etwas mit der Größe des Landes, dem Volumen, das sie einsetzen können, und einer ganz klaren Vormachtstellung zu tun. Wenn man aber die Frage stellt: „Wer ist der zweitgrößte Truppensteller in der NATO?“, dann ist die Antwort: Deutschland.
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Wer ist der zweitgrößte Truppensteller in Afghanistan – das war das einzige Mal, dass wir Artikel 5 des NATO-Vertrages gezogen haben –, und das seit 17 Jahren verlässlich? Deutschland.
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Wer ist das einzige kontinentaleuropäische Land, das die wichtige Aufgabe der Bündnisverteidigung Enhanced Forward Presence als Rahmennation verantwortlich trägt? Deutschland in Litauen.
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In Estland sind die Briten, in Lettland sind die Kanadier, und in Polen sind die Amerikaner. Deutschland ist die verantwortliche Rahmennation in Litauen.
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Wer ist der zweitgrößte Nettozahler in der NATO? Deutschland.
Das heißt, Deutschland hat in den vergangenen Jahren bewiesen, dass wir bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, dass man sich auf uns verlassen kann und dass wir auch aktuell Verantwortung im Bündnis nach unseren Möglichkeiten tragen.
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Es ist mir vor allen Dingen wichtig, dass wir bei all den Tweets, die wir lesen, und bei all den Briefen, die geschrieben werden, sagen: Ja, wir stehen zu dem Ziel, das wir im Bündnis gemeinsam verabredet haben. Aber wir müssen unser Licht auch nicht unter den Scheffel stellen. Wir können uns selbstbewusst hinstellen und sagen: Deutschland trägt Verantwortung.
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Das lenkt meinen Blick auf ein zweites Thema, das hier angesprochen worden ist. Wir wollen transatlantisch bleiben. Aber wir müssen auch europäischer werden. Bei der Frage nach Eins-zu-eins-Etatsteigerungen darf ich alle Rednerinnen und Redner, die vor mir gesprochen und das angezweifelt haben, auf Folgendes hinweisen: Ausgangspunkt ist der Entwurf des 51. Finanzplans.
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Es ist nun einmal so, dass das BMF traditionell die Kosten der Personalverstärkungsmittel übernimmt.
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– Nun, Sie können die Soldatinnen und Soldaten nicht dafür bluten lassen, dass wir eine Tariferhöhung haben, die alle Beschäftigten in Deutschland und selbstverständlich auch die Beamtinnen und Beamten bekommen. Das gilt für unsere Soldatinnen und Soldaten gleichermaßen. Also, ich muss schon bitten.
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Wenn wir, abgesehen davon, vergleichen, dann gibt es einen Eins-zu-eins-Aufwuchs für BMZ und AA und für das Verteidigungsministerium, ausgehend vom 51. Finanzplan, wie er verabschiedet worden ist.
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Das ist auch der Grund – Stichwort „vernetzte Sicherheit“ –, warum wir Wert darauf legen, zu sagen: Es ist für uns wichtig, transatlantisch zu bleiben, aber europäischer zu werden.
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Es ist erfreulicherweise schon gesagt worden: Wir haben die Europäische Verteidigungsunion aus der Taufe gehoben. Wir haben jetzt endlich den Europäischen Verteidigungsfonds auf den Weg gebracht. Zum ersten Mal wird europäisches Geld für Ausrüstung ausgegeben. Wir machen uns auf diesem Feld ehrlich.
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Wir haben die Planungsprozesse auf den Weg gebracht. Das, was zehn Jahre lang an Möglichkeiten im Lissabon-Vertrag geschlummert hat, wird jetzt mit Leben erfüllt.
Meine Damen und Herren, diesen Geist atmet der Haushalt. Wir wollen hier deutlich sagen: Wir arbeiten daran, dass wir ein Europa haben, das schützt.
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Im übergeordneten Sinne, bei all den Themen, die heute besprochen worden sind, kann man mit Fug und Recht auch in der Verteidigung sagen: Europa ist dann am stärksten, wenn es gemeinsam handelt. Dieser Haushalt ist ein Beleg dafür.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Martin Hohmann für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Der Einzelplan 14 umfasst rund 38,5 Milliarden Euro. Wir sind damit bei rund 1,16 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Sie, Frau Ministerin, haben eben die großen Ziele umrissen: 2025 2 Prozent.
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– So habe ich Sie verstanden. – Zweifel sind angebracht.
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Die ausgehungerte Bundeswehr braucht, um das Gerät zu erhalten, das heute schon im Einsatz ist oder sein sollte, ein jährliches Mehr von rund 5 Milliarden Euro. Das ist natürlich in diesem Haushalt 2018 mit vorläufiger Haushaltsführung praktisch nicht mehr zu machen.
In diesem Zusammenhang muss auch die Privatisierungswut angesprochen werden. Da hat der Kollege Fritz Felgentreu schon recht. Die Privatisierungen haben die stets großartig versprochenen Privatisierungseinsparungen in der Regel nicht erbracht. Die Privatisierung der drei Werke des bundeseigenen Unternehmens Heeresinstandsetzungslogistik GmbH, HIL, im Saarland, in Hessen und in Brandenburg bleibt ein Wagnis mit großen Risiken, vor allem zulasten der Arbeitnehmer.
Die Anträge der AfD für Erhöhungen in dem Bereich des Wehretats sind Ausdruck des längst Überfälligen. Eine Armee ohne Ersatzteile ist bewegungsunfähig und damit leichte Beute für den Gegner.
Einsatzbereitschaft: Leugnen ist sinnlos. Der Zustand der Streitkräfte ist trotz aufmunternder Worte der Ministerin personell und materiell katastrophal.
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In einer Disziplin ist die Bundeswehr zwangsläufig zum Meister geworden: in der Mangelverwaltung. Die übernommene Verantwortung Deutschlands seit 1989 ist beständig gewachsen und damit auch die Aufgaben als Einsatzarmee. Ja, aber die Fähigkeiten sollten vor der Entsendung abrufbar sein.
Befähigung zur Landes- und Bündnisverteidigung nach Wales und Warschau: Womit wird das hinterlegt? Major Joint Operation Plus. Sie, Frau Ministerin, schreiben den Soldaten Aufgaben ins Lastenheft. Sie selbst liefern aber zu wenig. Wer heute seine Soldaten in die Einsätze schickt, der muss ihnen den Schutz mitgeben, den man heute haben kann und braucht. Seit Jahren ist Stand der Technik das bewaffnete unbemannte Aufklärungsflugzeug. Wir als AfD-Fraktion werden in Kürze einen entsprechenden Antrag stellen, und ich persönlich habe große Sympathie für den Antrag der FDP.
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Rund 3 500 deutsche Männer und Frauen sind derzeit in den Einsätzen. Sie riskieren ihr Leben. Sie haben es nicht verdient, dass aus politischen Hakeleien um den Vorteil eines politischen Linsengerichtes willen mit ihrem Leben oder dem Glück ihrer Familien sträflich gespielt wird.
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Frau Ministerin, ich darf Sie kurz zitieren: „Die Bundeswehr“, so sagten Sie, „hat ein Haltungsproblem, und sie hat offensichtlich eine Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen.“ Das ist sehr sauer aufgestoßen.
Sie bescheinigen der Bundeswehr weiterhin, sie müsse „alles nachholen, was die Gesellschaft in den vergangenen 100 Jahren geleistet hat“. Zitat Ende. – Führungsschwäche? Wohl eher auf der Leitungsebene.
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Handelte Ihre Staatssekretärin Katrin Suder tatsächlich eigenmächtig, als sie das BAAINBw in eine GmbH überführen und den Einfluss des Haushaltsausschusses zurückdrängen wollte?
Die Bundeswehr geistig vor 100 Jahren, im Jahr 1917, stehen geblieben? Ganz bestimmt nicht. Die Bundeswehr habe ich als aktiver Soldat und Wehrübender mit 14 Wehrübungen als eine damals gut ausgerüstete, grundsolide Armee und demokratische Stütze unserer Republik kennengelernt. Hier und jetzt, Frau Ministerin, ist die ideale Gelegenheit, sich bei den Soldaten und insbesondere bei den zu Unrecht Beschuldigten zu entschuldigen und diese Sätze zurückzunehmen.
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Zu den Erwartungen der Soldaten. Ich zitiere:
Historische Beispiele für zeitlos gültige soldatische Tugenden, etwa Tapferkeit, Ritterlichkeit, Anstand, Treue ... und gewissenhafte Pflichterfüllung, ... können in der Bundeswehr Anerkennung finden und ... genutzt werden.
Das schreiben Sie in Ihrem Traditionserlass. Wie will man aber Tapferkeit im Krieg erwarten von Soldaten, die man vorher pressewirksam niedergemacht hat und denen man das Vertrauen entzogen hat?
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Streitkräfte trainieren weltweit mit dem Ziel der vollständigen Kriegstauglichkeit und Einsatzbereitschaft. Frau Ministerin, tun Sie mehr für Ausrüstung und Bewaffnung unserer Soldaten! Dieser Verteidigungsetat reicht nicht aus.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dennis Rohde für die SPD-Fraktion.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die Zahl schon häufiger gehört. Im Jahr 2018 liegt der Wehretat, der Etat des Bundesministeriums der Verteidigung, bei 38,5 Milliarden Euro. Das ist ein Aufwuchs von 1,5 Milliarden Euro gegenüber 2017. Noch deutlicher zeigt sich die Einzelplanentwicklung im Vergleich zum letzten Finanzplan unter Wolfgang Schäuble. Dort waren für 2018 noch 36,86 Milliarden Euro veranschlagt. Das sind knapp 1,7 Milliarden Euro weniger, als nun durch Olaf Scholz zur Verfügung stehen. Ich möchte betonen, dass wir in Anbetracht des Zustandes von Teilen des Materials der Bundeswehr dieses Geld zum Erhalt einer angemessenen Ausrüstung und zum Erhalt der Fähigkeiten auch als dringend notwendig ansehen.
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Gleichwohl möchte ich sagen, dass wir als Haushälter unsere Aufgabe darin sehen, darauf zu achten, ob der Etat angemessen und nicht überbordend ausgestattet ist und ob das Ziel, das wir erreichen wollen, mit dem Geld, das wir einsetzen, erreichbar ist. So haben wir noch in diesen Haushaltsverhandlungen 43 Millionen Euro zusätzlich beschlossen für die verbesserte Ausbildung und Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten, unter anderem mit Nachtsichtbrillen; der Kollege Brandl hat darauf aufmerksam gemacht.
Ich möchte betonen: Es ging uns in der Koalition in den Verhandlungen über den Haushalt 2018, der nur noch ein halbes Jahr wirksam ist, darum, konkrete Projekte zu fördern, deren Ergebnisse die Soldatinnen und Soldaten auch zeitnah wahrnehmen und nicht erst in vielen Jahren. Was wir Sozialdemokraten hingegen nicht wollen – das hat der Kollege Hitschler vorhin betont –, ist, die Höhe des Etats einzig und allein nach irgendwelchen Quoten festzulegen. Es geht uns immer um das Konkrete, immer um die Einzelmaßnahme und ihre Bedeutung für das Ganze. Wir finden, dass man die Ausstattung der Bundeswehr vom Ziel her denken muss.
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Insofern sind die stets wiederkehrenden öffentlichen verbalen Störfeuer in Form immer neuer Finanzmittelforderungen in immer neuer Höhe für unbestimmte – da uns gegenüber nicht genannte – Zwecke aus unserer Sicht wenig zielführend. Der Kollege Thomas Hitschler hat das bereits gesagt: Den Soldatinnen und Soldaten würde es bedeutend mehr helfen, wenn der Trendwende Ankündigung endlich die Trendwende Umsetzung mit konkreten Projekten folgen würde.
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Denn die letzten Jahre zeigen auch, dass immer mehr Geld nicht automatisch zu immer besseren Ergebnissen führt.
Ich möchte an dieser Stelle auf die Debatte eingehen, die wir in der ersten Lesung geführt haben. Wir haben in der ersten Lesung über die Frage debattiert, wie es eigentlich um die Mittelabflüsse in diesem Einzelplan bestellt ist. Das ist besonders spannend, weil dieser Einzelplan gegenseitig deckungsfähig ist, also sehr flexibel ist. Ja, die Haushaltsansätze wurden 2014, 2015 und 2016 ausgeschöpft. Lediglich 2017 wurden ungefähr 54 Millionen Euro nicht abgerufen.
Wirklich Sorgen bereitet uns aber der Blick auf das wichtige Kapitel der militärischen Beschaffung. Für diesen Bereich wurden in der letzten Legislaturperiode satte 2,6 Milliarden Euro nicht verausgabt, zuletzt im Jahr 2017 immerhin 895 Millionen Euro. Bei einem Kapitelansatz von 4,75 Milliarden Euro sind das immerhin knapp 19 Prozent. Ich sage: Da müssen wir, da muss Ihr Haus, Frau Ministerin, besser werden.
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Zur Wahrheit gehört auch: Solange der Nichtabfluss von Mitteln der militärischen Beschaffung das Nadelöhr ist, helfen auch keine zusätzlichen Milliarden, die im Zweifel dann ebenfalls wieder nicht abfließen, sodass wir weiterhin über die Probleme in dem Bereich diskutieren müssen, zum Beispiel über die 1 000 offenen Dienstposten allein im Beschaffungsamt der Bundeswehr. Sie stehen exemplarisch für die unveränderten Defizite in Strukturen und Prozessen. Denen müssen wir uns primär und zeitnah widmen.
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Ich sage: Das Bundesministerium der Verteidigung muss jetzt zeigen, dass es nachhaltig auch für Besserung sorgen kann. Wir erwarten von Ihnen, Frau Ministerin, dass mehr Zeit und Kreativität in die Erarbeitung von Lösungen dieser hausgemachten Probleme investiert werden. Wir erwarten – das sage ich noch einmal ganz deutlich –, dass Sie uns endlich sagen, für welche Projekte und Vorhaben genau Sie mehr Geld fordern. Wir fordern das auch, damit die Mutmaßungen, die wir zum Teil auch in der ersten Lesung hier im Parlament von verschiedenen Seiten gehört haben, endlich ein Ende haben.
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Ich habe schon gesagt: Unser Schwerpunkt in den Verhandlungen lag darin, konkrete Dinge auf den Weg zu bringen, die bei den Soldatinnen und Soldaten zeitnah spürbar sind. Wir haben beispielsweise 2 Millionen Euro mehr bereitgestellt für die Beschaffung und Erneuerung der Verpflegungsvorräte – ein Aufwuchs von 7 auf nun 9 Millionen Euro. Wir haben 13 Millionen Euro für die Beschaffung von IT-Ausstattung der Bundeswehr zugewiesen, um die technische IT-Sicherheit der Bundeswehr zu überwachen, um Maßnahmen zur Wiederherstellung zu ergreifen. Der steigenden Zahl der Studierenden an den Universitäten der Bundeswehr begegnen wir mit zusätzlichen 11 Millionen Euro für die Erneuerung und den Mehrbedarf bei den Laborausstattungen. Von diesem Geld werden zum Beispiel ein optisches Spektrometer, eine Thermokamera und Hochspannungsprüftransformatoren sowie ein Brennstoffzellenmessstand gekauft, und das Windenergielabor wird erweitert.
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Frau Ministerin, wir verabschieden morgen den Bundeshaushalt. Ab dann sind Sie am Zug. Sie müssen zeigen, dass Sie nicht nur neue Missstände identifizieren und benennen können, sondern dass Sie diese Missstände auch beenden und die Ursachen, die dahinterstehen, beheben. Geld allein ist und bleibt kein Heilsbringer. Das gilt auch und ganz besonders für den Bereich der militärischen Beschaffung. Wichtig sind für uns vor allem anderen die Ausrüstung und Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten sowie ihre Sicherheit im Einsatz und Dienst. Das gilt für den Haushalt 2018, und das gilt für die kommenden Haushalte ganz genauso.
Vielen Dank.
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Für die FDP-Fraktion hat nun Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann das Wort.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Rohde, Geld ist in der Tat kein Heilsbringer; aber ohne Geld gehtʼs gar nicht.
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Allen Demokraten hier im Haus, die ernsthaft daran interessiert sind, dass unsere Soldatinnen und Soldaten gut ausgerüstet sind, muss klar sein: In die Bundeswehr muss nach jahrelangem Kahlschlag, gerade weil es veränderte Aufgaben gibt, kontinuierlich mehr Geld gesteckt werden. Entscheidend dabei werden die Fragen sein: Wofür? Innerhalb welchen Zeitraums? Und letztlich: Wie viel?
Wir sollten uns bei dieser Debatte auch gar nicht vom Säbelrasseln des US-Präsidenten in irgendeiner Weise irritieren oder beeindrucken lassen. Wir sollten auch nicht immer nur auf diese 2 Prozent schauen, sondern wir sollten auf die Qualität achten. Der wesentliche Maßstab muss natürlich sein: Welche Aufgaben hat die Bundeswehr in Zukunft? Welche Verpflichtungen ist Deutschland im Rahmen der NATO und Europas eingegangen? Welche UN-Mandate liegen vor?
Immer begleitet wird das Ganze natürlich von der Diplomatie und der Entwicklungshilfe. Frau Ministerin, Sie sagten es gerade: In der Tat wird das ein wenig angepasst. – Aber das sind nur die ODA-Mittel. Also, was Diplomatie und Entwicklungshilfe betrifft, ist noch deutlich Luft nach oben. Es empfiehlt sich an dieser Stelle, das noch einmal zu betonen.
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Frau Ministerin, Ihr Haus hat in den letzten Jahren viel Papier geschaffen und hat im „Weißbuch 2016“ festgestellt, wie die Bundeswehr aus geostrategischer Sicht ausgestattet sein soll und was sie dafür braucht. Die Rede ist auf der einen Seite von der Konzeption der Bundeswehr – darüber haben wir auch im Ausschuss diskutiert – und auf der anderen Seite vom Fähigkeitsprofil, das sich ja noch in der Abstimmung befindet. Wir lesen in diesem Fähigkeitsprofil jetzt schwarz auf weiß, wie die Bundeswehr in den kommenden Jahren aussehen soll. Wir alle können jetzt sehen, wie viel Soldatinnen und Soldaten fehlen. Wir wissen jetzt zum Beispiel auch, wie viele Schutzwesten fehlen, wie viele Nachtsichtgeräte benötigt werden, wie viele Gewehre und Panzer angeschafft werden müssen. Ich glaube, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass wir trotz erhöhter Effizienz ohne einen kontinuierlichen Anstieg der Ausgaben nicht wirklich weiterkommen.
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Wir wissen auch jetzt wieder ganz aktuell, wie viele Tanker die Marine braucht. Trotzdem mussten wir vor zwei Wochen erleben, dass beide im Betrieb befindliche Tanker aus dem Verkehr gezogen werden mussten. Die Marine mahnt das schon sehr lange an. Die Tanker sind sehr alt, Baujahr 1974.
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Dafür gab es schlichtweg kein Geld. Das ist einfach Ignoranz. Das ist auch nicht komisch oder lustig; denn das hat dazu geführt, dass Deutschland jetzt gerade ebendiese Fähigkeiten aus NATO-Verbänden abmelden musste – und das kurz vor dem NATO-Gipfel. Na viel Vergnügen!
Wir haben der NATO, die auch unserer nationalen Sicherheit dient, richtigerweise konkrete Fähigkeiten zugesagt. Ich erinnere noch mal daran: eine Brigade des Heeres bis 2023, eine Division bis 2027 und drei Divisionen bis 2032 – und das alles in Vollausstattung. Es gibt außerdem den Vorschlag, dass die Einsatzbereitschaft erhöht werden muss, um die Speerspitze der NATO zu unterstützen. Es drängt sich also die Frage auf: Gibt es einen wirklich langfristigen seriösen Plan?
Meine Damen und Herren, die Bundeskanzlerin wird „1,5 Prozent des BIP bis 2024“ der NATO nächste Woche melden. Gleichzeitig sehen wir aber im Haushalt, dass zwar im kommenden Jahr, also 2019, deutliche Steigerungen zu verzeichnen sind – das ist sehr schön –, dass aber die Quote im Jahr 2022 wieder auf 1,2 Prozent absinkt. Offensichtlich wird hier in Legislaturperioden gedacht nach dem Motto: Wir haben den Donner gehört; wir wachsen jetzt. In der folgenden Legislatur – davon können wir ausgehen – wird das Ganze nach dem Motto „nach mir die Sintflut“ wieder gesenkt. – Das ist keine überzeugende nachhaltige Strategie.
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Meine Damen und Herren, ich lasse es mir nicht nehmen, das abschließend noch zu sagen: Diese Bundesregierung ist derart mit sich selbst beschäftigt, dass offensichtlich keiner mehr merkt, was um uns herum passiert. Ich fasse es nicht, die Menschen in diesem Lande fassen es auch nicht – geschweige denn unsere Soldatinnen und Soldaten. Meine Damen und Herren, Deutschland ist ein freies Land, ein friedliches Land, ein reiches Land, ein Land, welches eine vorbildliche Rolle in der Welt spielen sollte, und Sie von der CDU/CSU benehmen sich wie Kleinkinder, die im Sandkasten sitzen und sich gegenseitig das Förmchen wegnehmen. Die SPD geht bei der Stellung in Deckung.
Ich kann Ihnen nur sagen: Politiker wie – egal wie man zu denen steht – Konrad Adenauer, Willy Brandt, Helmut Schmidt, auch Franz Josef Strauß, Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher, sie alle drehen sich angesichts dieses Schauspiels im Grabe um. Meine Damen und Herren, wir müssen uns als Parlamentarier leider zu oft schämen.
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Für die Fraktion Die Linke hat nun Tobias Pflüger das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Ministerin, wir debattieren heute den Einzelplan 14, den sogenannten Verteidigungshaushalt. Vielleicht einfach noch mal zur Erinnerung: Das ist der zweitgrößte Haushalt: 38,5 Milliarden Euro, 1,5 Milliarden Euro mehr als 2017. Das ist eine Aufrüstung – der Begriff ist schon richtig –,
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und das lehnen wir als Linke ab.
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Was Sie als Bundesregierung im Moment machen, ist, im Windschatten Trumps – es ist völlig Konsens, dass völliger Wahnsinn ist, was von dort kommt – eine Aufrüstungspolitik zu betreiben, die insbesondere in zwei Bereichen feststellbar ist, nämlich zum Ersten im Bereich der Europäischen Union; zum Zweiten rüsten Sie Truppen insbesondere gegenüber Russland auf. Wir als Linke sagen: Das ist die falsche Strategie.
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Das „Handelsblatt“ sagt, dass 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis zum Jahr 2024, was jetzt quasi der Konsens innerhalb dieser Bundesregierung ist, 60 Milliarden Euro für den Militärhaushalt sind. Das wird Angela Merkel am Wochenende der NATO zusagen. Ich kann nur sagen: Das sind Zusagen, die viel zu hoch sind, und das ist auch eindeutig Aufrüstung,
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und das lehnen wir ab.
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Diese Bundesregierung will mit der Bundeswehr alles auf einmal. Sie will die Auslandseinsätze, und sie will bei den Auslandseinsätzen ausbauen. Stichwort „Irak“, Stichwort „Afghanistan“, Stichwort „Mali“ – überall werden die Truppen aufgestockt. Gleichzeitig wird Bündnisverteidigung neu definiert, und plötzlich geht es um Truppen, insbesondere gegenüber Russland. Und auch Landesverteidigung wird neu definiert. Gleichzeitig will man diesen ganzen Themenbereich PESCO weiterhin ausbauen. Mein Kollege Andrej Hunko hat das vorhin genau beschrieben. Ich kann nur sagen: Wenn man alles auf einmal will, ist völlig klar, dass man dann diese Gelder zusätzlich einfordert. Wir halten diese Strategie der Bundeswehr für falsch und halten deshalb auch die Gelder für falsch, die Sie für die Bundeswehr einstellen.
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Sie wollen die rüstungsinvestiven Ausgaben um 11 Prozent erhöhen. Ich will mal einige Beispiele nennen, die Ihnen zeigen, was das konkret bedeutet. Transporthubschrauber A400M:
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2018 sollen 680 Millionen Euro dafür ausgegeben werden. Dieser A400M kommt 139 Monate später und kostet 1,487 Milliarden Euro mehr. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein Skandal. In diesem Hause würde sehr viel deutlicher kritisiert, was bei diesen Großprojekten passiert, wenn es nicht um die Bundeswehr ginge. Ich glaube, ein Journalist, der einen Vergleich zu Großprojekten herstellt, hat es sehr gut formuliert und über eine Fregatte gesagt: Hier werden gerade drei Elbphilharmonien verbraten. – Eine unglaubliche Verschwendung von Steuergeldern in diesem Bereich, die wir sehr klar kritisieren.
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Eurofighter: 390 Millionen Euro in 2018 werden im Haushalt eingestellt. Er kommt 149 Monate später. Er kostet 6,7 Milliarden Euro mehr. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben auch konkrete Lobbyprojekte, wie zum Beispiel das Projekt von Johannes Kahrs und Eckhardt Rehberg, die Korvetten, wo es plötzlich zehn Korvetten statt fünf sind; insgesamt: 2,5 Milliarden Euro.
Und – meiner Ansicht nach das schlimmste Projekt –: die Heron TP, eine bewaffnungsfähige Drohne, eine Kampfdrohne. Wir haben einen Antrag auf namentliche Abstimmung gestellt, weil wir wissen wollen, wie Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu dieser bewaffnungsfähigen Drohne stehen. Wir plädieren dafür, dass die nicht angeschafft wird. Dafür haben wir diesen Antrag eingebracht.
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Wir werden den Einzelplan 14 ablehnen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Johann Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Verteidigungshaushalt zeigt, dass der Deutsche Bundestag hinter der Bundeswehr steht. Er zeigt, dass wir im Bündnis verlässlich sind.
Herr Kollege Lucassen, nur um das noch mal zu sagen: Die Ministerin hat wiederholt, dass die Bundesregierung der NATO mitgeteilt hat, 2024 1,5 Prozent des BIP als Mittel im Bundeshaushalt für Verteidigungsausgaben zur Verfügung zu stellen. Insofern ist da überhaupt nicht gelogen worden. Wer so einen Vorwurf erhebt, sollte nicht die Unwahrheit sagen. Deswegen weise ich den Vorwurf zurück. Hier sind alle Karten auf den Tisch gelegt worden.
Aber richtig ist: Es hat sich eine Schere aufgetan. Die Bedrohungslage ist größer geworden, es sind neue Bedrohungen hinzugetreten. Gleichzeitig sind die Ausgaben für die Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland geringer geworden.
Wir erleben jeden Tag Cyberattacken auf deutsche Regierungsnetze, gegen die wir uns zur Wehr setzen müssen. Wir stehen vor der Situation – Stichwort „Ukraine“; das Baltikum ist mittlerweile auch betroffen, die Ministerin hat auf die Einsätze dort hingewiesen –, dass wir die Bedrohung, die von Russland ausgeht, das erstmalig nach dem Zweiten Weltkrieg wieder militärische Gewalt eingesetzt hat, unterschätzt haben. Darauf müssen wir reagieren.
Angesichts der Lage im gesamten Mittelmeerraum, wo Unsicherheiten herrschen und wo wir zahlreiche Einsätze haben, wissen wir, dass wir die Sicherheit Deutschlands und Europas nicht nur – nach einem berühmten Wort des früheren Verteidigungsministers Struck – am Hindukusch, sondern auch an vielen anderen Orten der Welt zu verteidigen haben.
Deswegen ist die Analyse richtig, dass wir mehr Geld für die Verteidigung Deutschlands ausgeben müssen. Dieses Geld ist gut angelegt. Wir stehen hinter jedem Euro, der in diesem Haushalt veranschlagt ist. Und wir stehen auch ganz klar zum 2‑Prozent-Ziel der NATO, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Dazu muss man Folgendes sagen – wir haben manche Diskussion noch auszustehen, auch innerhalb der Koalition; die Diskussionen werden wir miteinander führen, das ist überhaupt gar keine Frage –: Niemand gibt sich der Illusion hin, dass derartige Probleme nur im Verteidigungshaushalt zu regeln sind. Deswegen nehmen wir das absolut ernst und halten nachprüfbar die Eins-zu-eins-Verabredung ein: Jeder Euro, der in die Verteidigungsausgaben geht, muss auch in sogenannte ODA-Ausgaben fließen. Das heißt, Entwicklungszusammenarbeit, Förderung der sozialen, humanitären Situation in den betroffenen Ländern und Ausbildung vor Ort sind uns genauso wichtig wie Ausgaben für Sicherheitspolitik. Das wird diese Koalition in dieser Legislaturperiode eins zu eins einhalten. Das ist wichtig für unsere Glaubwürdigkeit. Das ist aber auch der einzige Weg, wie wir überhaupt erreichen können, dass wir diese Krisen beherrschen und von uns fernhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Aber am Ende darf man dann auch nicht sagen: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. – Es besteht fraktionsübergreifend große Einigkeit – das ist gerade eben noch mal vom Kollegen Rohde gesagt worden; die Kollegen der SPD haben es unterstrichen –, dass die persönliche Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten wichtig ist. Ja, auf jeden Fall. Wir müssen für die Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten mehr Geld ausgeben. Die Ausrüstung ist unbefriedigend, lückenhaft, und das ist absolut nicht hinnehmbar. Wir stehen dazu, dass die persönliche Ausrüstung der Soldaten besser werden muss; dafür muss viel getan werden.
Aber am Ende des Tages, meine sehr verehrten Damen und Herren, brauchen wir – das ist nicht so populär, aber die Sicherheitsaufgaben müssen erledigt werden; es geht nicht um eine Quote – nicht nur gut ausgerüstete Soldatinnen und Soldaten mit einer guten persönlichen Ausrüstung, sondern auch Waffensysteme. Wir brauchen U‑Boote, wir brauchen Kriegsschiffe und auch einen Nachfolger für den Tornado – das hat die Ministerin heute noch mal angekündigt –, am Ende brauchen wir auch Gewehre, so traurig das ist. Das muss man nicht schön finden, aber es gehört zu einer einsatzfähigen Bundeswehr dazu. Deswegen müssen wir über diese Vorhaben hier offen und ehrlich miteinander diskutieren, und deswegen sage ich: Ja, persönliche Ausrüstung ist notwendig und richtig; aber wir brauchen auch neue Waffensysteme. Deutschland muss sich wappnen und zur Kenntnis nehmen: Andere schlafen nicht. Wir müssen unsere Hausaufgaben hier machen.
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Weil jetzt viel auf den Brief des amerikanischen Präsidenten Bezug genommen wird, nenne ich einen entscheidenden Punkt. Ehrlich gesagt, glaube ich: Wenn Präsident Obama noch im Amt wäre, hätte er uns diesen Brief auch geschrieben. Es geht übrigens nicht nur um die Vereinigten Staaten von Amerika, sondern es geht auch um kleinere Länder in der NATO wie beispielsweise Litauen, wo wir heute aktiv sind. Es ist eine Frage der Verlässlichkeit Deutschlands im Verteidigungsbündnis NATO, ob wir das 2‑Prozent-Ziel erfüllen. Die Frage ist nicht, ob wir Herrn Trump einen Gefallen tun. Vielmehr ist die Grundfrage: Stehen wir zu unseren Zusagen? Können sich unsere Partnerinnen und Partner auf Deutschland verlassen? Dafür steht die CDU/CSU-Fraktion.
Herzlichen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Siemtje Möller das Wort.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Wahlkampf habe ich oft gesagt: Es geht uns um Ausrüstung und nicht um Aufrüstung. Und wie wir alle merken, ist das heute noch genauso richtig wie damals. Der Haushalt zeigt: Wir tun etwas, der Verteidigungsetat wächst, im Übrigen wie jedes Jahr. Dies ist angesichts der Materiallage der Bundeswehr und unserer Bündnisverpflichtungen auch angemessen und absolut notwendig.
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Zwei Aspekte treiben mich seit Beginn dieser Wahlperiode um: Das ist einmal die mangelnde Ausrüstung der Marine und zweitens der umständliche Beschaffungsprozess. Ich bin überzeugt: Hier müssen wir endlich besser werden.
Machen wir uns nichts vor: Wir sind abhängig von der Freiheit der Meere. Sie sichert Deutschland als Exportnation auch den wirtschaftlichen Wohlstand, den wir genießen. Diesen Wohlstand wollen wir bewahren und damit einhergehend die Freiheit, die wir so sehr schätzen. Die Einsätze unserer Marine im Mittelmeer zeigen: Die Marine ist europäisch, ja international, sie ist flexibel, anpassungsfähig und belastungsfähig. Sie ist zudem erfolgreich, und das, obwohl sie schlecht ausgerüstet ist. Es fehlt an vielem, angefangen bei Oberhemden bis hin zu den vielen fehlenden Schiffen. Unsere Marine befindet sich an einem Tiefpunkt.
Vor wenigen Wochen feierte sie ihren 170. Geburtstag – ein wunderbarer Anlass. Doch tatsächlich war sie noch nie so klein wie heute. Es gibt ganze Besatzungen, denen momentan kein Schiff, keine Fregatte, kein U-Boot zur Verfügung stehen. Den Unmut und das Unverständnis darüber höre ich tagtäglich direkt von den Soldatinnen und Soldaten, und ich frage mich: Welche Auswirkungen hat ein solcher Ausrüstungsstand auf die Motivation unserer zur See fahrenden Soldatinnen und Soldaten, und welche Auswirkungen hat er auf unser Ansehen bei unseren Bündnispartnern?
Unmut entsteht auch, wo Soldatinnen und Soldaten keine Wertschätzung erfahren. Manchmal würde es helfen, diesem Unmut zu begegnen und Zeichen der Wertschätzung, auch wenn es nur kleine sind, zu gewähren.
Nehmen wir als Beispiel einmal die ehrenvolle Verabschiedung in einen Einsatz oder das Willkommenheißen nach der Rückkehr. Im Moment findet das nur bedingt statt. Selten kann eine ehrenvolle Verabschiedung mit Live-Musik realisiert werden; meistens läuft Musik vom Band. Ich finde, hierfür muss doch ein zusätzliches Marinemusikkorps eingerichtet werden.
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Damit können wir allen Soldatinnen und Soldaten, die mit unseren Schiffen in See stechen, unsere Wertschätzung zeigen und eine Tradition der Seefahrt wiederbeleben bzw. aufrechterhalten. Ich finde, das haben unsere Seefahrerinnen und Seefahrer verdient!
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Mein zweiter Kritikpunkt ist der Beschaffungsprozess. Es zeigt sich doch: Der Prozess ist viel zu langwierig. Mir ist schon bewusst, dass man damals mit dem veränderten Prozess sicherstellen wollte, dass es nachher bei der Auslieferung nicht zu Verzögerungen kommt, wie es bereits vorher so häufig passiert war. Aber wenn nun bereits der Beschaffungsprozess die Gefahr birgt, dass Schlüsseltechnologien wie der maritime Schiffbau aus Deutschland abwandern, dann stimmt doch etwas mit diesem Prozess nicht. Das müssen wir doch erkennen. Das müssen wir auch beheben.
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Wir haben Vorschläge zur Reformierung des Beschaffungsamtes der Bundeswehr gemacht, die ganz sicher keine Pläne zur Privatisierung umfassen – so wie es von anderer Seite aus geplant ist –,
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eben weil es eine zutiefst staatliche Aufgabe ist, unsere Bundeswehr auszurüsten. Es ist ein Teil unserer Rolle als souveräner Staat.
Die Debatte darum, ob wir 2 Prozent, 1,9 Prozent oder 1,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – wie viel auch immer – für Verteidigung ausgeben, führt in die Irre; denn bei dieser Debatte diskutieren wir am Wesentlichen vorbei: Was braucht die Truppe? Was ist realisierbar? Wie können wir den Beschaffungsprozess erfolgreich verändern? Wann steht das Gerät auf dem Hof bzw. liegt im Hafen?
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Ein einziges Trauerspiel ist wirklich – und zu meinem Leidwesen – der gesamte Prozess um die Fregatte 125. Meine Fragen dazu bleiben quasi unbeantwortet. Sie lauten: Können die bisherigen Mängel tatsächlich behoben werden? Wie lange müssen unsere Soldatinnen und Soldaten noch auf ihr Schiff warten? Ist die Fregatte überhaupt irgendwann einsatzfähig? Sechs fertig ausgebildete Besatzungen warten schließlich auf Schiffe.
Die NATO wartet ebenso – nicht nur auf die Fregatte 125, sondern auch auf die Tanker als Teil des deutschen Beitrages. Nur leider sind diese Tanker seit 40 Jahren in Betrieb, sodass sie nun altersschwach den Dienst versagen und wir eine Zusage an die NATO zurückziehen müssen. Ich finde diesen Vorgang beschämend.
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Mir ist sehr wichtig, zu betonen: Wir als SPD stehen zu diesen Beschaffungen für die Marine, aber die Prozesse müssen eben einfach endlich besser werden. Unsere Soldatinnen und Soldaten sollen sehr gut ausgerüstet sein, denn das ist unsere Pflicht ihnen gegenüber.
Ehrlich gesagt, ärgert es mich, dass wir immer die gleiche Diskussion führen, die noch dazu nicht zielführend ist. Wenn wir nämlich nicht mehr über abstrakte Zahlen ohne konkrete Vorhaben, nicht mehr über die Mängel bei der Ausrüstung, über unvernünftige Privatisierungen oder über die Verspätungen bei Beschaffungen sprechen müssten, könnten wir endlich auch einmal über die strategische Rolle von Deutschland im 21. Jahrhundert diskutieren und diese skizzieren, und zwar, ohne dass diese Diskussion überschattet ist von den Fragen, welches Gerät wann und wo doch hoffentlich zur Verfügung stehen könnte. Dahin muss doch die Reise gehen: ein klares Bekenntnis zur guten Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten, zu schlanken und funktionierenden Beschaffungsprozessen in einem souveränen Staat.
Frau Ministerin, ich schließe mich meinen Kollegen Hitschler und Rohde an: Lassen Sie uns dafür sorgen, dass der Trendwende „Ankündigung“ nun die Trendwende „Umsetzung“ folgt! Hierfür stehen wir an Ihrer Seite.
Vielen Dank.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, die notwendige Aufmerksamkeit auch noch für die übrigen Rednerinnen und Redner in dieser Debatte herzustellen. Dazu gehört auch, dass sich alle Abgeordneten, welche sich im Plenarsaal befinden, an einen Platz begeben und die Debatte von ihrem Platz aus verfolgen. Ich bitte, das sicherzustellen und das gegebenenfalls durch die Parlamentarischen Geschäftsführer in die hinteren Reihen ihrer Fraktion zu übermitteln, wenn die Kolleginnen und Kollegen mich jetzt gerade nicht gehört haben.
Es wäre prima, wenn sich alle Kolleginnen und Kollegen hinsetzen würden.
Das Wort hat der Kollege Henning Otte für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Verteidigungshaushalt umfasst für das Jahr 2018 38,5 Milliarden Euro für Versorgungs- und Betriebsausgaben, für Investitionen, für Kooperationen, für Soldatinnen und Soldaten, für zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für Liegenschaften. Und dann kommt hier Herr Pflüger und sagt, das sei eine Aufrüstungsspirale, und zählt auf, wo die Soldatinnen und Soldaten für die Sicherheit Deutschlands im Einsatz sind, mit einem Unterton, als wäre das kein rechtmäßiges Handeln, als würde man aggressive Politik betreiben. Ich weiß nicht, ob das politische Naivität ist oder linke Arroganz. Auf alle Fälle ist klar: Gut, dass wir diesen Haushalt jetzt gemeinsam beschließen. Das ist wichtig für die Arbeit der Soldaten und für die Sicherheit unseres Landes, meine Damen und Herren.
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Wir orientieren uns dabei klar an der sicherheitspolitischen Lage; denn die Herausforderungen sind groß. Wir haben einen regelrechten Klimawandel in der Sicherheitspolitik, zum einen durch die rechtswidrige Annexion der Krim, zum anderen aber auch durch den internationalen Terrorismus und durch internationale Krisenherde, die sich am Rand der Europäischen Union und Europas auftun. Da gilt die Devise: Wenn es außen rauer wird, dann muss man von innen stärken, wenn die See rauer wird, dann muss man den Sicherheitsdeich stärken. Deswegen müssen wir bereit sein, mehr für die Bündnisverteidigung auszugeben, den europäischen Pfeiler innerhalb der NATO zu stärken, aber auch dazu, für die Vereinten Nationen, für die OSZE einen Beitrag zu leisten.
Das alles kostet natürlich auch Geld. Wenn die sicherheitspolitischen Herausforderungen steigen, dann muss man bereit sein, mehr Geld auszugeben; denn diese Krisen sind nicht mehr alleine national, sondern sie greifen ineinander. Staaten werden durch Angriffe von außen destabilisiert und von innen. Auch Deutschland wird tagtäglich angegriffen, nämlich in Form von Cyberangriffen auf das Netz. Wir richten unser Handeln darauf aus, dass innere und äußere Sicherheit nicht mehr so klar voneinander zu trennen sind, sondern ineinander übergehen. Wir wählen den Ansatz: Kein Konflikt ist militärisch zu lösen. Auch zivil muss ein Beitrag geleistet werden. Der vernetzte Ansatz ist wichtig, der sogenannte Comprehensive Approach in den Einsatzgebieten.
Aber auch die nationale Sicherheitsarchitektur muss neu überdacht werden. Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz dürfen nicht nebeneinander arbeiten, sondern müssen miteinander arbeiten können. Bei all dem ist vor dem Hintergrund der hybriden Kriegsführung, des internationalen Terrorismus der Akzent, den wir für die Bundeswehr als Garant für Frieden und Freiheit setzen, ein ganz wichtiger. Deswegen stärken wir unsere Streitkräfte.
Wir stärken unsere Truppe mit einem finanziellen Aufholprozess. Wir sagen klar: Wir fassen das 2-Prozent-Ziel der NATO fest ins Auge. Wir sichern bis 2024 1,5 Prozent des BIP zu und für 2018 38,5 Milliarden Euro. Die Bundeswehr braucht zukünftig mehr Geld. Wir brauchen eine Vollausstattung für die Truppe. Wir müssen die Gerätschaften modernisieren, und wir müssen die Streitkräfte auf das digitale Zeitalter ausrichten. Wir brauchen mehr Möglichkeiten in den Bereichen Logistik, Lufttransport, Persönliche Schutzausrüstung, und wir brauchen die europäische Drohne, das Mehrzweckkampfschiff und drei ausgestattete Divisionen bis 2032.
Die Erkenntnis, meine Damen und Herren, ist klar gegeben, der politische Wille bei der CDU/CSU-Fraktion ist da. Deswegen haben wir in der Koalition mit der SPD zusammen die Flexibilität in der Vergabe erhöht. Wir haben gesagt: Die Überjährigkeit im Haushaltsrecht bedeutet eine zusätzliche Stärkung auf dem Weg zu einer besseren Ausstattung, und die Beschaffungsstrukturen sollen überprüft werden.
Wir brauchen ein ehrliches Bild der Truppe, und es ist deutlich zu erkennen, dass wir in der Ausbildung Defizite haben. Beispielsweise gibt es zu wenig Flugstunden. Wir haben aber auch bei der Ausrüstung zu viele Defizite und müssen in der Beschaffung schneller werden, um eine modernisierte Ausstattung bieten zu können.
Der Beruf des Soldaten bzw. der Soldatin ist kein Beruf wie jeder andere. Deswegen ist es umso wichtiger, dass die Bundeswehr keinen Anlass hat, an der politischen Rückendeckung zu zweifeln. Deswegen stellen wir für die Koalition deutlich fest, dass wir die 38,5 Milliarden Euro im Haushalt brauchen, um eine sachgerechte Ausstattung zu gewährleisten – mit der klaren Tendenz, dass wir mehr Geld für die Sicherheit unseres Landes brauchen.
Wir danken abschließend allen Soldatinnen und Soldaten und zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dass sie bei ihrer Arbeit für Sicherheit, Schutz und Stabilität in unserem Land einstehen. Herzlichen Dank dafür.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Lamers für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit den letzten beiden Haushalten sowie der Finanzplanlinie bis 2020 wurde die dringend notwendige Trendwende bei der Streitkräftefinanzierung überzeugend eingeleitet. Eine Erhöhung des Verteidigungsetats, der seit Ende des Kalten Krieges immer nur auf Sparen ausgerichtet war, ist aus zwei Gründen wichtig: wegen erheblichen Modernisierungsbedarfs und aus sicherheitspolitischen Gründen, wegen der geostrategischen Veränderungen, die sich insbesondere seit 2014 im Umfeld Europas und der NATO ereignet haben, mitten vor unserer Haustür – durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland, durch die andauernden Konflikte im Osten der Ukraine, durch Daesh-Terrorismus und vieles andere mehr.
Mit der Gipfelerklärung von Wales 2014 haben sich die Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten fest versprochen, mehr Finanzmittel für die Verteidigung zur Verfügung zu stellen, nämlich 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, und das innerhalb von zehn Jahren. Meine Damen und Herren, davon sind wir weit entfernt.
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Herr Kahrs, die Ankündigung unserer Verteidigungsministerin, bis 2024 auf 1,5 Prozent des BIP zu kommen, ist realistisch und zugleich maßvoll. Aber, Herr Leutert, wir wollen 2 Prozent. Und, Herr Dr. Lindner, das ist kein wahnwitziger Indikator;
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das muss die Zielmarke unserer Politik bleiben.
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Sie stimmen mir sicher zu: Unsere Soldatinnen und Soldaten brauchen die allerbeste Ausrüstung, wenn wir sie in Einsätze schicken. Das kostet Geld; aber, meine Damen und Herren, das sind wir ihnen doch auch schuldig. An dieser Stelle mein Dank und Respekt für ihren großartigen Einsatz für Frieden und Freiheit überall in der Welt.
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Wir setzen uns verstärkt für die Landes- und Bündnisverteidigung ein. Auch das kostet Geld. Unsere Freunde im Baltikum und in Polen fühlen sich gerade mit Blick auf den Nachbarn Russland ziemlich unwohl, um nicht zu sagen: bedroht. Das erfordert Wachsamkeit und Entschlossenheit – neben Dialogbereitschaft.
Dem amerikanischen Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, möchte ich heute – erstens – herzlich zum Independence Day gratulieren, aber – zweitens – eine herzliche Bitte aussprechen: Bereiten Sie Ihren Präsidenten Donald Trump gut auf den NATO-Gipfel in der nächsten Woche vor. Sagen Sie ihm – Frau Ministerin, Sie haben es heute auch deutlich gemacht –, was Deutschland alles leistet. Neben Cash und Capabilities geht es eben auch um Contributions, um unsere Beiträge in der Welt. Man kann Donald Trump sagen: Auf Ihre Brandbriefe können Sie verzichten, schauen Sie auf das, was Deutschland leistet!
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Der Botschafter soll ihm sagen, dass Deutschland Rahmennation in Litauen im Rahmen der Enhanced Forward Presence ist. Informieren Sie ihn über unseren Beitrag zur Very High Readiness Joint Task Force in den Jahren 2019 und 2023, über unsere Bereitschaft, ein neues NATO-Kommando in Ulm aufzustellen, über alle unsere Einsätze in der Welt. Sie kosten viel Geld! Schärfen Sie den Blick des Präsidenten für das Ganze, meine Damen und Herren.
Ich komme zum Schluss. Die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika ist für mich und für uns unverzichtbare Grundlage für Sicherheit und Freiheit in Europa. Doch: Das transatlantische Band ist fragiler geworden. In der Presse wird darüber spekuliert, die USA könnten gar ihre Truppen aus Deutschland abziehen
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– den Beifall will ich jetzt nicht haben –;
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ich bin überzeugt und hoffe: nur ein Gerücht.
Früher haben wir uns rundum auf Amerika verlassen nach dem Motto „Die werden das schon richten“. Heute sind wir mehr denn je gefordert, selbst Verantwortung zu übernehmen. Dazu brauchen wir eine Bundeswehr, die den künftigen Herausforderungen angemessen begegnen kann. Nur mit einer modernen Ausrüstung – Frau Nahles, ich bin mir sicher, dass wir uns da einig sind:
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Ausrüstung nicht im Sinne von Aufrüstung – kann die Bundeswehr weiterhin ein verlässlicher Partner in der NATO und in der Europäischen Union sein. Deshalb begrüße ich die Steigerung im Verteidigungshaushalt und bitte Sie, diesem zuzustimmen.
Ich danke Ihnen.
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Ich schließe die Aussprache und bitte Sie, die notwendige Aufmerksamkeit für die weiteren Verhandlungen hier im Raum herzustellen, gegebenenfalls, wenn Sie noch nicht Gelegenheit hatten, auch Platz zu nehmen.
Ich erteile nach § 30 unserer Geschäftsordnung dem Abgeordneten Michael Leutert das Wort zu einer Erklärung zur Aussprache.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich habe mich gemeldet, um eine Sache klarzustellen. Zum einen, Frau Ministerin, recht herzlichen Dank für das Lob in Ihrer Rede an meine Person. Ich bitte darum, das sparsam zu dosieren, da ich in meiner Fraktion gerne noch weiterarbeiten möchte.
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Sie haben mich zum anderen aber auch kritisiert, auch dafür recht herzlichen Dank. Sie haben gesagt, Sie können meine Rechnungen nicht nachvollziehen, und da habe ich noch einmal nachgerechnet. Sie haben recht: Es sind nicht 7 Milliarden Euro Differenz zwischen der vor sieben Wochen gültigen mittelfristigen Finanzplanung und der jetzt neu gültigen mittelfristigen Finanzplanung, sondern es sind nur 5 Milliarden Euro. Das heißt trotzdem: Sie haben innerhalb von sieben Wochen diese 5 Milliarden ausgehandelt, das bedeutet pro Woche 714 Millionen Euro. Das ist schon eine starke Leistung.
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Das BMZ hat nicht mal 500 Millionen Euro für den gesamten Zeitraum heraushandeln können; nur, um das Verhältnis klarzustellen.
Zu meiner Verteidigung möchte ich aber noch etwas anbringen. Normalerweise ist es so: Wenn ein Kabinett einen Haushaltsentwurf einschließlich der mittelfristigen Finanzplanung beschließt, dann wird dieser Kabinettsentwurf erst dem Parlament und danach der Öffentlichkeit zugeleitet. Die Presse verfügt über diesen Kabinettsbeschluss seit zwei Tagen, wir in der Opposition haben es nicht so einfach. Wir müssen uns die Zahlen irgendwo herholen. Da kann man sich auch mal verrechnen. Ich bitte um Entschuldigung.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Laut vorliegendem Bundeshaushaltsplan befasst sich – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin – die „deutsche Entwicklungspolitik ... mit den zentralen Überlebens- und Zukunftsfragen der Menschheit“. Sie „unterstützt das Ziel, allen Menschen eine Lebensperspektive zu ermöglichen“. Damit knüpft das BMZ an Sie, Frau Präsidentin Claudia Roth, an, die bei der konstituierenden Ausschusssitzung sagte: Wir sind der Weltgerechtigkeitsausschuss.
Der gesamten Menschheit eine Lebensperspektive zu geben, hieße, sich um 7,5 Milliarden Menschen zu kümmern, und Sie, Herr Minister Müller, machen ernst. Allein unsere Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit betreut 1 680 Projekte in 120 Ländern. Deutschland ist weltweit zweitgrößter Geber von Entwicklungshilfe.
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Mit Selbstzufriedenheit wird auch in dieser Legislaturperiode erneut der Etat des BMZ erhöht, um rund 200 Millionen Euro.
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Als ob mehr Geld schon ein Erfolgsnachweis an sich wäre:
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1 Milliarde für Syrien, ein paar Milliarden fürs Klima und ein sogenannter Marshallplan für Afrika.
Was bedeutet es für den deutschen Bürger, wenn, wie im Bundeshaushaltsplan gefordert, der ganzen Menschheit eine Perspektive gegeben werden soll? Das heißt, dass wir Deutschen verantwortlich sind für den Weltfrieden, für weltweite Vollbeschäftigung, für Ernährung, für Gesundheit und Bildung, für Gleichberechtigung und für Umweltschutz – auf der ganzen Welt.
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Das ist ambitioniert.
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Herr Minister, zum Glück haben wir noch keine Außerirdischen entdeckt, sonst wären wir auch für deren Wohlergehen verantwortlich.
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Gleichzeitig reden Sie uns ein, wir Deutschen seien an der globalen Migration selbst schuld, weil wir noch immer zu wenig tun. Herr Müller, um nur ein Beispiel zu nennen: Viele afrikanische Staaten sind seit mehr als 50 Jahren politisch unabhängig. In dieser Zeit haben ihnen Industriestaaten und internationale Organisationen mehr als 3 Billionen US-Dollar an Hilfe zukommen lassen. Trotzdem wollen zwei Drittel der 1,3 Milliarden Afrikaner auswandern – und das, obwohl zu den 8,7 Milliarden Euro Ihres Ministeriums auch noch 20 Milliarden Dollar Rücküberweisungen hinzukommen, also Geld, das von Migranten aus Deutschland in ihre Heimatländer fließt.
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Obwohl Rücküberweisungen für Sie bekanntlich ein wichtiges Instrument sind, erheben Sie dazu nicht einmal eigenständig Daten. Sie wissen nicht einmal, in welchem Umfang deutsche Sozialleistungen ins Ausland fließen. Das Wenige, was Sie wissen, wissen Sie von der Weltbank, und diese Daten können Sie nicht einmal richtig abschreiben, so wie in der Antwort auf unsere Große Anfrage.
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Liebe Freunde, Dezimalstellen bereiten dieser Bundesregierung offensichtlich Schwierigkeiten. Aus Milliarden werden dann schon mal Millionen. Mich überrascht diese Haltung zu den Finanzen aber nicht, schließlich wissen wir doch eines ganz genau: Gute Menschen verteilen ihr eigenes Geld, aber Gutmenschen verteilen immer das Geld der anderen.
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Trotz aller finanziellen Bemühungen erleben wir seit 2015 die größte Völkerwanderung der Neuzeit. Mit Geld allein werden Sie die Migrationsströme nicht aufhalten. Haben Sie also Nachsicht mit Deutschland.
Ja, wir wollen helfen, aber wir können den deutschen Sozialstaat nicht bis nach Kapstadt ausdehnen.
Vielen Dank.
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Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion: Carsten Körber.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Beratungen zum Bundeshaushalt 2018 waren kürzer als üblich. Trotzdem waren es sehr arbeitsreiche und intensive Beratungen. Diese Beratungen waren von einem gemeinsamen Geist getragen, nämlich den Haushalt noch vor der Sommerpause verabschieden zu können. Dieses Ziel werden wir erreichen. Wir werden den Haushalt morgen hier im Plenum des Deutschen Bundestages beschließen.
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Dabei haben wir es uns im Parlament trotz der kurzen Beratungszeit nicht leicht gemacht. Ich bin auch ein wenig stolz, jetzt sagen zu können, dass wir den schon guten Regierungsentwurf in unseren Beratungen im Haushaltsausschuss noch ein Stückchen besser gemacht haben.
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Das gilt sowohl für den Bundeshaushalt insgesamt als auch für den Einzelplan 23 im Besonderen.
Mein ganz besonderer Dank gilt meinen Kollegen Mitberichterstattern für das konstruktive und gute Miteinander sowie dem Minister Müller und seinem Haus für gute und solide Unterstützung.
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Dieser Etat verzeichnet einen wahrhaft stolzen Aufwuchs: plus 900 Millionen Euro. Das sind im Vergleich zum Vorjahr gut 10 Prozent mehr. Das ist doch ein Beleg für die gestiegene Verantwortung, die Deutschland international hat und die es bereit ist zu tragen.
Weltweit sind gut 65 Millionen Menschen auf der Flucht, so viel wie noch nie seit 1945. Es handelt sich hierbei um eines der großen globalen Probleme. Dabei braucht niemand zu glauben, dass einzelne Nationalstaaten, die in einigen Bereichen vielleicht sogar noch gegeneinander arbeiten, in der Lage sind, allein auf ein so großes globales Problem angemessen und wirkungsvoll zu reagieren. Daher brauchen wir auch bei diesen Fragen europäische Lösungen, für die sich Bundeskanzlerin Merkel in den vergangenen Tagen und Wochen so intensiv eingesetzt hat.
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Parallel dazu aber müssen wir verhindern, dass sich die Menschen weiter in Lebensgefahr begeben und versuchen, in nicht seetauglichen Booten nach Europa zu kommen. Hier sind wir im eigentlichen moralischen Dilemma Europas. Einerseits können wir nicht zulassen, dass Flüchtlinge massenweise im Mittelmeer ertrinken. Das widerspricht allen Werten, auf denen die Europäische Union und Europa sich gründen. Wenn wir allerdings andererseits alle Flüchtlinge retten, sobald sie sich wenige Meilen auf hoher See befinden,
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dann machen wir uns zu einem Teil eines kriminellen Systems. Die aktuelle Debatte um die „Lifeline“ führt uns exemplarisch vor Augen, wie schwer diese Fragen angemessen zu beantworten sind.
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Das sind große Aufgaben, die vor uns liegen.
Was haben wir als Koalition in den vergangenen Etatberatungen im Einzelplan 23 ganz konkret erreicht? Lassen Sie mich hierzu vier Punkte rausgreifen.
Erstens. Wir werden jetzt mit der Umsetzung einer Maßnahme beginnen, über die ich persönlich sehr glücklich bin. Nachdem es uns gelungen ist, die islamistische Terrororganisation IS weitestgehend niederzuringen, geht es jetzt um den zügigen Wiederaufbau der Region. Den nehmen wir jetzt in Angriff. Wir stellen für den dringend erforderlichen Wiederaufbau von Häusern im Nordirak insgesamt 35 Millionen Euro bereit. So können die dort vom IS Vertriebenen – das sind überwiegend Christen und Jesiden – schnell wieder in ihre Heimat zurückkehren.
Zweitens. Viele Organisationen und natürlich die sich in ihnen engagierenden Menschen leisten einen wichtigen und entscheidenden Beitrag im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Das wissen wir, und mit diesem Haushalt würdigen wir das auch. Daher haben wir uns in der Koalition dafür starkgemacht, dass im Titel der privaten Träger, aber auch im Titel der politischen Stiftungen, die in der EZ tätig sind, und für unsere beiden großen Kirchen die Mittel verstärkt werden.
Drittens. Eine Entwicklung, die jeden Demokraten mit Sorge erfüllen muss, ist die zunehmende Beschneidung der Pressefreiheit weltweit. Daher haben wir uns als Koalition in den Etatberatungen dafür eingesetzt, dass wir uns im Kampf für die Pressefreiheit stärker engagieren werden. Die Deutsche Welle und andere leisten einen wichtigen Beitrag hierzu, indem sie Journalisten aus aller Welt schulen und weiterbilden. Dafür gibt es nun auch auf unsere Initiative hin 10 Millionen Euro zusätzlich.
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Und schließlich viertens. Unsere Zukunft kann nicht in selbstgewählter Isolation liegen. Dafür, dass das nicht funktioniert, hat es in der Geschichte wahrlich schon genügend Beispiele gegeben. Auch wenn wirtschaftlicher Protektionismus und der selbstverordnete Rückzug ins Nationale aktuell wieder modern zu sein scheinen, bin ich – wahrscheinlich auch mit der großen Mehrheit in diesem Hause – der klaren Überzeugung, dass das der falsche Weg ist. Eine gute Zukunft kann es nur in fairer und ehrlicher Zusammenarbeit gleichberechtigter Partner geben. Auch deshalb erhöhen wir unsere Beiträge für die Vereinten Nationen und für andere internationale Organisationen.
Uns geht es allen so gut, dass einige Wirrköpfe meinen, Frieden und Freiheit seien eine Selbstverständlichkeit, Solidarität untereinander sei nicht erforderlich. Was für ein Irrsinn! Ohne den Multilateralismus hätten wir nicht die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele, die SDGs. Wir hätten keine internationalen Klimaschutzverträge, und keiner würde sich zum Beispiel über die Vermüllung der Weltmeere Gedanken machen.
Deshalb ist der multilaterale Politikansatz weit mehr als die Summe der Einzelinteressen von Nationalstaaten.
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Und deshalb gilt es, für diesen Multilateralismus mit aller Kraft zu kämpfen, und das tun wir auch mit diesem Haushalt.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Carsten Körber. – Nächster Redner: Dr. Christoph Hoffmann für die FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Körber hat gerade den Multilateralismus angesprochen. Dafür sind wir zu haben. Aber in dem Einzelplan findet er sich nicht wieder, in ihm gibt es immer noch eine starke Betonung des bilateralen Ansatzes.
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Illusion statt Vision: Das wäre eigentlich die richtige Überschrift für den Haushalt der Entwicklungszusammenarbeit, ein Haushalt ohne Strategie.
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Diese Strategie sollte ursprünglich zusammen mit Horst Seehofers Masterplan angekündigt werden. Die Veranstaltung wurde dann ja abgesagt, und die Strategie ist in dem unsäglichen Streit der CDU/CSU offensichtlich irgendwo hängen geblieben.
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Sie soll auch bis auf Weiteres nicht veröffentlich werden, hat eine Anfrage ergeben. Die Große Koalition bleibt auf vielen Gebieten ein Ankündigungsweltmeister: Breitbandausbau, Energiewende mit SuedLink, innere Sicherheit, Fortschritte für Europa und zuletzt der parallele Haushaltsaufwuchs von Verteidigung und Entwicklung. Was haben wir nicht schon alles gehört! Was wurde uns versprochen und nicht gehalten!
Hier reiht sich der Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit nahtlos ein:
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kein Konzept, kein Fortschritt, immer weiter so, das eigentliche Problem aber nicht angehen.
Ankündigungsmeister sind Sie auch in der Entwicklungszusammenarbeit. Große Worte auf dem G‑20-Gipfel: Förderung privater Investitionen in Afrika. Worte, die jedem gefallen, und kaum ist der Medienaufschlag verhallt, wird es still.
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Die deutsche Wirtschaft vermisst seit einem Jahr Bewegung in dieser Frage und ist, wie auch die afrikanischen Staaten, sehr enttäuscht. Weitere Illusionen und Beruhigungspillen für den Bürger. Ein Marshallplan für Afrika – nichts Geringeres: Hier sollen 80 Millionen Deutsche 1,5 Milliarden Menschen in Afrika den wirtschaftlichen Aufschwung bringen. Wenn wir uns da mal nicht überheben. Jetzt haben Sie dafür nicht einmal Geld im Budget verankert.
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Oder „Perspektive Heimat“: Rückkehrzentren in Afrika, um Flüchtlingen in Deutschland ihre Heimat wieder schmackhaft zu machen. Sie wollen dort Jobs vermitteln, die es gar nicht gibt. Ich selber habe mir das in Erbil angeschaut. Dort wurde jungen Menschen beigebracht, wie man einen Lebenslauf schreibt. Das ist natürlich eine riesige Hilfe für diese Leute. Ich meine, dass man das Geld sinnvoller einsetzen kann.
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Kaffeekapseln, Kaffeesteuer, Grüner Knopf oder auch wie man Gurken in Treibhäusern besser anbaut – all diese unüberschaubaren Spontaninitiativen des Ministers sind per se eigentlich gut, lösen aber das grundsätzliche Problem leider nicht. Ein grundlegendes Thema ist gute Regierungsführung. Deutschland hat viele bilaterale Projekte zur guten Regierungsführung initiiert und begleitet sie. Aber sie konnten nicht verhindern, dass weiter Konflikte entstehen, Bürgerkriege aufflackern im Kongo, in Tansania, in Togo, in Kamerun und in anderen Ländern. Die Bemühungen scheitern. Warum? Weil die Projekte nicht multilateral gestützt sind. Herr Körber, für Sie noch einmal: Die Projekte scheitern, weil sie multilateral nicht gestützt sind.
Die „Fluchtursachenbekämpfung durch Entwicklungszusammenarbeit“ scheint fast ein Modebegriff zu werden. Aber schauen wir uns die Realitäten einmal an! Internationale humanitäre Hilfe: Hier hat Deutschland einen sehr guten Beitrag geleistet. UNHCR leistet hier Hervorragendes. Schauen Sie sich die Lage im Bürgerkrieg in Syrien an. Wie die Lager rund um Syrien gestützt worden sind, war großartig. Es verhindert natürlich Flüchtlingsströme, wenn man genügend Geld gibt und nicht wie 2012 spart.
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Wir haben aber noch ein anderes Phänomen. Das ist die Armutsmigration. Geschätzte 500 Millionen Menschen in Subsahara-Afrika würden lieber heute als morgen nach Europa kommen; darüber müssen wir uns klar sein. Sie werden erst bleiben, wenn sie auch dort ein Leben in einigermaßen Wohlstand haben. Wissenschaftler haben ausgerechnet, dass die Grenze dafür bei etwa 7 500 Euro pro Kopf und Jahr liegt. Wenn man von den bisherigen Wachstumsraten dieser Länder ausgeht und die bisherige Entwicklungszusammenarbeit so fortsetzt, dann stellt man fest, dass es rund 200 Jahre dauern wird, bis die Menschen dort das erreicht haben. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Entwicklungszusammenarbeit für Afrika nach 40 Jahren und vielen Milliarden eigentlich nicht das Ergebnis und die Effizienz gebracht hat, die wir brauchen. Es darf deshalb nicht so weitergehen.
Eine Neuorientierung ist dringend nötig: echte Konfliktprävention mit internationalem Druck auf Kleptokraten und Despoten in den betreffenden Staaten, Lösung der Klimakatastrophe, mehr Wald für den Klimaschutz – selbst in Ländern, wo Deutschland Forstprogramme unterstützt, nimmt der Wald eher ab; das kann nicht sein –, die Armutsmigration richtig bekämpfen durch Medienkampagnen, aber auch durch Empfangszentren in Afrika,
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dort, wo sich die Fluchtrouten treffen, und zuletzt – das ist natürlich das Wichtigste – Wohlstand schaffen durch Privatwirtschaft, dazu Freihandel, Risikoentlastung für Investoren, verbesserte Rahmenbedingungen in den betreffenden Ländern durch Rechtsstaatlichkeit, Eigentumsgarantie, Grundbücher und korruptionsfreie Verwaltungen. Das ist nur multilateral durchsetzbar.
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Kommen Sie bitte zum Schluss, und zwar relativ zügig.
Wir Freie Demokraten stehen bereit, das Genannte umzusetzen und auch mehr Geld in der Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen, wenn denn die Richtung und das Programm endlich stimmen.
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Vielen herzlichen Dank, Dr. Hoffmann. – Nächste Rednerin: Sonja Steffen für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf der Tribüne! Herr Hoffmann, Sie haben uns jetzt einen bunten Strauß präsentiert. Ich habe nach Ihrer umfangreichen Kritik lange darauf gewartet, um zu erfahren, wie es denn nun sein soll. Ich kann dazu nur eines sagen: Ihre Fraktion wollte doch das Entwicklungszusammenarbeitsministerium ursprünglich ganz abschaffen.
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Wir haben fünf Jahre gebraucht, um die Niebel-Delle endlich auszugleichen. Da können Sie sich ganz hinten anstellen.
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Als Haushälterin der SPD-Fraktion für den Einzelplan 23 möchte ich mich als Erstes beim Haus, bei Herrn Minister Müller herzlich bedanken für die gute Zusammenarbeit, selbstverständlich auch bei meinen Mitberichterstattern, allen voran bei unserem Hauptberichterstatter, dem Herrn Kollegen Leutert. Er hat heute schon viel Lob in der Debatte über den Verteidigungsetat bekommen. Aber auch in der Entwicklungszusammenarbeit hat er sich mit uns hervorragend organisiert. Danke schön!
Jetzt wird es eng, Herr Leutert.
Ich freue mich übrigens auch, dass vor allem die Grünen und die Linken die meisten unserer Änderungsanträge im Haushaltsausschuss mitgetragen haben. Auch die FDP hat zumindest einen oder zwei der Anträge mitgetragen. Dass die Kollegen und Kolleginnen von der AfD das nicht getan haben, das war natürlich komplett vorauszusehen. Ich glaube, bei dem Thema „internationale Solidarität und Verantwortung“ kennen Sie sich einfach überhaupt nicht aus.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich auf einige Haushaltsschwerpunkte zu sprechen kommen, die meiner Fraktion, der SPD, besonders wichtig waren. Da möchte ich mit dem zivilgesellschaftlichen Bereich anfangen. Hier haben wir während der Beratungen noch einige Änderungen vorgenommen. Die Mittel für die privaten deutschen Träger und für die Kirchen haben wir für künftige Haushaltsjahre in Verpflichtungsermächtigungen um jeweils 10 Millionen Euro erhöht. Den Bereich „Förderung der Sozialstruktur“ haben wir für 2018 um 5 Millionen Euro und um weitere 5 Millionen Euro in den nächsten Jahren erhöht.
Wir schätzen die Arbeit der Zivilgesellschaft sehr. Die Arbeit vor Ort geschieht oft unter Bedingungen, die wir uns hier in der deutschen Komfortzone gar nicht vorstellen können. Ich möchte deshalb an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Ehrenamtlern und auch den Freiwilligen für ihr großes und unermüdliches Engagement vor Ort zu danken.
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Ein weiterer Bereich, den wir in den Haushaltsberatungen noch stärken konnten, ist die entwicklungspolitische Bildungsarbeit im Inland. Im Rahmen der Beratungen haben wir den Titel um weitere 5 Millionen Euro angehoben; denn wir wollen eine vielseitige entwicklungspolitische Debatte auch in Deutschland. Wir wollen vor allem, dass schon in den Kitas und in den Schulen ein Verständnis für die ethische Verantwortung und die internationale Solidarität geweckt wird. Herr Frohnmaier von der AfD, vielleicht sollten Sie sich an der Stelle noch einmal ein wenig Nachhilfe holen; denn von ethischer Verantwortung und internationaler Solidarität verstehen Sie wirklich nichts. Das scheinen für Sie Fremdworte zu sein; aber die Welt hört eben nicht am eigenen Jägerzaun auf.
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Mein lieber Kollege Körber hat schon darauf hingewiesen: Es ging uns bei den Haushaltsentscheidungen auch um die Stärkung der Informations- und Meinungsfreiheit. Nach einem Bericht von „Reporter ohne Grenzen“ aus 2018, also ganz aktuell, kann sich nur noch jeder siebte Mensch weltweit frei und ungehindert informieren. Das sind nur noch 14 Prozent der Weltbevölkerung, und das ist unfassbar. Dabei ist gerade die Medienfreiheit ein wichtiger Grundpfeiler für die demokratische Entwicklung und auch für die Bildung und Beschäftigung weltweit. Deshalb haben wir die Mittel an dieser Stelle noch einmal um 10 Millionen Euro angehoben und auch für weitere Träger geöffnet.
Noch ein paar Worte zu den multilateralen Instrumenten, die wir übrigens auch sehr begrüßen und unterstützen. Herr Minister Müller, Sie haben eine Sonderinitiative „Bildung und Ausbildung“ für 2019 angekündigt, und Sie haben auch schon mehrmals gesagt: 25 Prozent der Mittel des BMZ wollen Sie in diesen Bereich stecken. Sie wissen, dass Sie dabei die SPD-Bundestagsfraktion sehr stark an Ihrer Seite haben. Eins liegt uns dabei aber besonders am Herzen: Sie sollten den Schwerpunkt nicht nur auf die berufliche Ausbildung und Beschäftigung legen, sondern vor allem auch auf den Bereich der Grundbildung. Beispielsweise die Mädchen sind oftmals nur ein bis zwei Jahre in der Schule, und dann nimmt man sie da weg. Wir wissen alle aus vielen Berichten und vielen Erfahrungen, dass gerade Mädchen und Frauen in der Entwicklungszusammenarbeit besonders förderungswürdig sind. Aber darauf wird meine Kollegin Dagmar Ziegler gleich noch eingehen. Unser Ziel ist es, Bildung für alle Menschen weltweit zu erreichen. Die Grundbildung ist hier einfach der erste sehr wichtige Schritt.
Als weiteres multilaterales Instrument unterstützen wir einmal mehr die Globale Initiative zur Ausrottung von Polio, GPEI, mit insgesamt 3 Millionen Euro für 2018 und 2019. Wir denken, Deutschland sollte sich weiterhin für den Kampf gegen Polio einsetzen; denn Polio ist noch nicht weltweit ausgerottet. Ich gehe aber auch hier davon aus, Herr Minister, dass Sie da auf unserer Seite sind.
Abschließend möchte ich noch einmal darauf hinweisen –, auch das hat der Kollege Körber schon gesagt; aber ich finde, man kann es gar nicht oft genug sagen –: Wir haben heute einen Rekordhaushalt für das BMZ in Höhe von 9,4 Milliarden Euro vorliegen, den wir gleich sehr wahrscheinlich verabschieden werden. Die Ausgaben sind gegenüber dem Vorjahr noch einmal um satte 10 Prozent gestiegen. Das ist ein Aufwuchs von 900 Millionen Euro. Der kann sich wahrhaft sehen lassen.
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Der Haushalt für 2019 steht nun schon vor der Tür. Die Haushaltsberatungen dazu beginnen bereits am Freitag, also übermorgen. Auch hier werden wir die Verteilung der einzelnen Mittel auf die Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit sehr genau anschauen.
Ich will an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich daran erinnern: Wir haben uns im Koalitionsvertrag neben der Steigerung der ODA-Quote auf die Stärkung einiger konkreter Initiativen und Instrumente geeinigt. Hierzu gehören, wie ich vorhin bereits erwähnt habe, die entwicklungspolitische Bildungsarbeit und ebenso der zivile Friedensdienst. Wir haben uns auch verständigt, dass der GFATM, also der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, mit ausreichend Mitteln ausgestattet wird. An dieser Stelle haben wir im Haushalt 2018 noch nichts abbilden können.
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Aber ich gehe davon aus, dass wir das im Haushalt 2019 tun werden.
Abschließend ist zu sagen: Wir haben einen guten Haushalt. Ich hoffe, dass Sie alle, jedenfalls fast alle, diesem Etat zustimmen werden.
Vielen Dank fürs Zuhören.
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Vielen Dank, Sonja Steffen. – Nächster Redner: der besagt gelobte Michael Leutert für die Fraktion Die Linke.
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Jetzt liegt die Latte hoch.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Abend ist kein Fußball, und da werde ich mir mal ein paar Gedanken über meine politische Zukunft machen.
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Bis dahin versuche ich, mit der Rede jetzt mein Standing in meiner Fraktion etwas zu verbessern.
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Oje.
Wir reden hier über einen Etat – ich glaube, da haben wir alle ein Problem –, der im Jahr 2018 auf 9,4 Milliarden Euro ansteigt, aber in der mittelfristigen Finanzplanung, in den nächsten Jahren bis zum Jahr 2022, wieder auf 8,7 Milliarden Euro absinkt.
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Zum Vergleich – wir haben den Verteidigungsbereich gerade zuvor behandelt –: Das Verteidigungsministerium bekommt in den nächsten Jahren on top 27,5 Milliarden Euro.
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Wenn man sich jetzt mal die zwei verschiedenen Finanzplanungen anschaut – vor sieben Wochen hatten wir hier die erste Lesung des Bundeshaushalts; da gab es eine gültige Finanzplanung; in dieser Woche ist im Kabinett eine neue Finanzplanung beschlossen worden –, wenn man nur mal den Unterschied betrachtet, dann sieht man, dass das Verteidigungsministerium noch mal 5 Milliarden Euro extra bekommt – 5 Milliarden! Das heißt, die Ministerin hat pro Woche 714 Millionen Euro herausgehandelt – großartige Eigenschaft von ihr. Das BMZ bekommt in den nächsten Jahren lediglich 464 Millionen Euro on top.
Was mich an diesen Zahlen ärgert, sind zwei Sachen: Erstens. Im Verteidigungsbereich sieht man: Wenn der politische Wille da ist, etwas zu bewegen und Geld zur Verfügung zu stellen, dann ist das auch durchsetzbar. – Wir haben hier das Ziel gehabt, 0,7 Prozent zu erreichen. Offensichtlich ist der politische Wille nicht da, dieses Ziel auch mit Geld zu untersetzen. Das ist ein Problem.
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Die zweite Sache, die mich dabei ärgert, ist: Es gibt einen Koalitionsvertrag. Der wird derzeit wie eine Bibel von allen vor sich hergetragen und zitiert. Es gibt dort einen ganz entscheidenden Punkt, den auch alle immer zitieren, und das ist die Kopplung zwischen ODA-fähigen Ausgaben und Verteidigungsausgaben im Verhältnis eins zu eins. Ich habe die Zahlen gerade genannt. Da kann man sich wenden und winden, wie man will:
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Der Koalitionsvertrag wird hier nicht eingehalten, sondern er wird ganz klar gebrochen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Da muss man auch mal etwas Druck auf unseren SPD-Finanzminister machen – es ist ja auch eine Sache, die die SPD-Fraktion in den Koalitionsvertrag hineinoperiert hat –, dass der Finanzminister nicht den Minister, der für Entwicklungszusammenarbeit zuständig ist, am langen Arm verhungern lässt. So geht das nämlich nicht.
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Wir brauchen das Geld ja nicht einfach nur, um eine Quote zu erfüllen, sondern wir brauchen das Geld, um die Sachen zu erledigen, die von allen immer vor sich hergetragen werden. „Fluchtursachenbekämpfung“ nimmt, glaube ich, derzeit jeder bei jeder Rede in den Mund. Die SPD hat im Parteivorstand in dieser Woche ein Fünf-Punkte-Papier beschlossen. Ich zitiere daraus:
Europa soll Fluchtursachen bekämpfen und die UNO-Organisationen finanziell ausstatten.
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Wenn wir das machen wollen und ernst nehmen, müssen wir auch das Geld dafür zur Verfügung stellen. Also, wir kämpfen da mit Ihnen gern gemeinsam.
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Die zentrale Problemlage, die sich über alle oder über viele Einzelpläne hinwegzieht, ist die Frage der Migration. Auch in Ihrem Haus, Herr Minister, gibt es ein Programm. „Perspektive Heimat“ heißt das. In diesem Programm sind Migrationszentren benannt. Das ist im Übrigen nichts Neues. Die Migrationszentren gibt es schon seit 2015. Das erste hat im April 2015 in Pristina eröffnet. Aber man kommt langsam etwas durcheinander: Es gibt Migrationszentren, es sollen Transitzentren oder Expresszentren hier bei uns errichtet werden, es sollen Ausschiffungsplattformen geschaffen werden, AnKER-Zentren und wer weiß was noch.
Meine Frage ist: Wo ist denn hier eigentlich von der Regierung das Gesamtkonzept, das Migrations- und Fluchtursachenbekämpfung zusammenfassend beschreibt, Herr Minister? Die eigentliche Frage – Sie sagen immer, Sie sind nicht der Abschiebeminister –, das, was uns interessiert, ist doch: Wie hängen diese verschiedenen Zentren miteinander zusammen? Welche Aufgabe wird in welchem Zentrum erledigt? Welcher Flüchtling soll in welches Zentrum kommen, mit welcher Perspektive? Das sind alles völlig ungeklärte Fragen.
Deshalb haben wir Haushälter gesagt: Wir interessieren uns für diese Fragen. Wir wollen uns das vor Ort anschauen. Wir haben sogar schon einen Zeitpunkt dafür gefunden; wir werden das Ende Februar nächsten Jahres angehen.
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Solange diese offenen Fragen gerade in diesem sensiblen Bereich der Migration nicht geklärt sind, wo nicht klar ist, welche Verantwortung Sie haben, welche Verantwortung der Innenminister hat, welche Verantwortung beim Außenminister liegt, so lange können wir solchen Konzepten natürlich nicht zustimmen.
Aber, Herr Minister, ich versichere Ihnen: Sie haben die volle Unterstützung der Linken bei der Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels. Wir kämpfen mit Ihnen gemeinsam für mehr Geld.
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Vielen Dank, Michael Leutert. – Nächste Rednerin: Anja Hajduk für Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der Entwicklungspolitik wollen Sie, Herr Minister Müller, auch wir, Perspektiven vor Ort schaffen, und zwar Perspektiven dort vor Ort, wo die Bedingungen sehr, sehr schwierig und prekär sind. Wir wollen außerdem in vielen Regionen der Welt Strukturen schaffen, und das ist auch bitter nötig. Deswegen ist es richtig, dass wir beim Haushalt des BMZ über Geld und über Steigerung der Mittel reden. Davon sind wir zutiefst überzeugt.
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Im Haushalt 2018 hat es einen ordentlichen Aufwuchs in Höhe von 900 Millionen Euro gegeben. Dadurch ist die ODA-Quote dieses Jahr voraussichtlich bei 0,58 Prozent anzusetzen. Damit haben wir zwar immer noch nicht 0,7 Prozent erreicht – es ist davon entfernt –, aber es ist die richtige Richtung.
Jetzt kommt das Aber, das wir natürlich gleichermaßen sehen müssen, und das ist schon ein Riesenproblem: Die Verpflichtungsermächtigungen in diesem Haushalt 2018, die bei den typischerweise mehrjährigen Projekten für die Entwicklungszusammenarbeit sehr wichtig sind, sinken um 15,4 Prozent, also ebenfalls um ungefähr 900 Millionen Euro. Deswegen gibt es keinen Grund, liebe Kollegen von der SPD und der CDU, mit diesem Haushalt unter finanziellen Gesichtspunkten zufrieden zu sein.
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Nun das zweite Aber. Herr Müller, wenn sich jetzt im Kabinett bis Freitag nichts mehr bewegt und die Zahlen, die heute in der „taz“ zu lesen sind, stimmen, dass im Regierungsentwurf für den Haushalt 2019 im Bereich der Entwicklungspolitik und des Auswärtigen Amtes bei den ODA-fähigen Geldern im Vergleich zum Haushalt 2018 nur 550 Millionen Euro hinzukommen, dann heißt das, dass die ODA-Quote weiter sinken wird, wahrscheinlich unter 0,5 Prozent.
Das entspricht nicht dem, was Sie im Ausschuss für erforderlich gehalten haben. Sie kommen regelrecht in die Bredouille; Sie haben nämlich beim Eckwertebeschluss für den Haushalt 2019 eine Protokollerklärung abgegeben und nur unter Vorbehalt zugestimmt. Sie haben gesagt: Damit die ODA-Quote nicht absinkt, damit wir unseren eigenen Koalitionsvertrag einhalten, brauche ich doppelt so viele zusätzliche Mittel, als bisher bekannt ist. – Nur damit bleiben Sie mit Ihrem Standing international überhaupt glaubwürdig und stark.
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Da kann ich nur sagen: Es liegt noch ganze Arbeit vor Ihnen, Herr Müller. Da kann ich ferner nur sagen, Frau Staatssekretärin: Das Finanzministerium hat hier auch eine Verantwortung.
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Sie haben die Verantwortung für den internationalen Auftritt und für die Glaubwürdigkeit Deutschlands. Da können Sie sich mit diesem Kabinettsentwurf nicht zufriedengeben.
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Frau Kollegin, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche: Lassen Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von der AfD zu?
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Nein, ich möchte weitermachen.
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Die ganze Diskussion über das zusätzliche Geld findet nämlich vor dem Hintergrund statt, dass der Bundeshaushalt zwischen 2018 und 2019 insgesamt 13 Milliarden Euro mehr zur Verfügung hat. Wir sind nicht in einer Mangelsituation, wo wir schweren Herzens unsere internationalen Verpflichtungen leider nicht einhalten können. Im Gegenteil: Es gibt jeden Grund, dass man von uns erwarten kann, dass wir sie einhalten.
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Deswegen, sage ich, ist das eine Verantwortung sowohl für die CDU als auch die SPD. Kommen Sie nicht mit dem Argument – wenn wir nur die Haushalte 2018 und 2019 vergleichen –: Bei der Verteidigung sind das ja nur Personalverstärkungsmittel, die zu dem Aufwuchs von 4 Milliarden Euro führen. – Steht denn im Koalitionsvertrag bei der Eins-zu-eins-Regelung für den Verteidigungs- und Entwicklungsetat irgendwas drin, dass Personalverstärkungsmittel beim Verteidiger anders behandelt werden als in der Entwicklungszusammenarbeit? Das ist doch purer Quatsch.
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Eins zu eins ist eins zu eins. Sie brechen den Koalitionsvertrag, zumindest hat der Finanzminister das jetzt vor.
Was ich auch noch zum Abschluss erwähnen will, ist, dass der Multilateralismus in der Tat gestärkt werden muss, Herr Körber. Und da müssen Sie, Herr Müller, auch in Ihrer Politik im Hinblick auf die Entwicklungszusammenarbeit umsteuern. Ich möchte Ihnen das noch mal veranschaulichen.
Aber bitte kurz.
Ganz kurz. Das geht ganz schnell, Frau Präsidentin. – 2014 betrug der Anteil der bilateralen Mittel an der ODA-Quote 70 Prozent. Drei Jahre später steigt der Anteil auf 80 Prozent. Das heißt umgekehrt, die multilateralen Mittel werden nicht gestärkt, sondern massiv zurückgefahren. Das ist auch eine Fehlsteuerung, die zu korrigieren ist. In diesem Sinne: Lassen Sie uns gemeinsam für mehr Multilateralität kämpfen und auch hier eine glaubwürdige Politik machen.
Herzlichen Dank.
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Danke, Frau Kollegin Hajduk. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat Dr. Weyel von der AfD-Fraktion.
Danke für die Möglichkeit der Kurzintervention. – Frau Kollegin Hajduk, halten Sie es für möglich, dass die Official Development Assistance, kurz: ODA, letzten Endes einen Anachronismus darstellt, der von der UNCTAD, vom UNO-System Anfang der 70er-Jahre ausgebracht wurde, dass die ganze tonnenideologische Entwicklungshilfe, die auf dieser Grundlage jetzt fast ein halbes Jahrhundert die Welt quasi regiert oder sie zu regieren versucht, ein Kind des Kalten Krieges darstellt und eigentlich zurückzuweisen ist? Wir haben nicht das Problem der Quantität. Unser Problem ist: zu viel Geld, zu viel Geld in alten Schläuche; dazu kommen Ideen und die entsprechende Rhetorik: Es wurden eben die Millennium Development Goals und Ähnliches – davor waren es die Entwicklungsdekaden – genannt. Wir erleben in diesem Sektor eigentlich alle Jahre, alle Jahrzehnte wieder eine Umverpackung von Gammelfleisch mit umgekehrter Rhetorik. Hier geht es immer um das Gleiche, sei es „trickle-down“, sei es Bottom-up, sei es Armutsbekämpfung, sei es die Bildung etc.
Die Entwicklungshilfe hat global eine verheerende Bilanz. Diese Diskussion wurde 2007 in den USA aufgegriffen. Von deutscher Seite ist vor zehn Jahren zum ersten Mal von Rupert Neudeck und dem Botschafter a. D. Seitz ein entsprechender Ansatz entwickelt worden. Mit dem „Bonner Aufruf“ wurde 2008, 2009 zum ersten Mal ein alternatives Denken, das es in der angloamerikanischen Welt schon länger gab und in dem man sich kritisch zu den genannten Dingen geäußert hat, aufgegriffen. Am Bundestag ist das fraktionsübergreifend an allen vorbeigegangen.
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Das ist eine intellektuelle Zumutung
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und hat nichts damit zu tun, das Publikum über die Notwendigkeiten in der Entwicklungshilfe aufzuklären, deren Problem die Qualität und nicht die Quantität ist.
Danke.
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Würden Sie bitte stehen bleiben. – Frau Hajduk, bitte; auch nicht länger als zwei Minuten; denn wie der Name schon sagt: Es ist eine Kurzintervention.
Herr Kollege, ich will Ihnen Folgendes dazu sagen: Nehmen Sie zur Kenntnis und leugnen Sie nicht weiter, dass die Kollegen in den anderen Fraktionen, auch was Qualitätsaspekte angeht, bereit sind, sehr selbstkritisch auf die Entwicklungszusammenarbeit zu gucken; denn wir wollen sie verbessern.
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Das bezieht sich immer auch auf Quantitäten und auf Qualitäten. Indem Sie hier behaupten, nur Sie könnten so was sehen und erkennen, macht es diese Sache nicht wahrer. Was Ihr eigener Redner vorhin gemacht hat, ist, dass er die Botschaft verbreitet hat: Wenn man weniger Geld in die Entwicklungszusammenarbeit steckte, dann würde das Sinn machen. Sie unterliegen dem großen Missverständnis, dass es ein Gewinn für Deutschland wäre, wenn wir weniger Verantwortung für die Welt tragen würden. Das ist der große Irrtum,
({1})
und ich bin froh, dass die Mehrheit in unserem Land Ihnen da gar nicht glaubt und Ihnen, was Ihre sehr begrenzte politische Fähigkeit angeht, zu erkennen, dass eine wirklich erfolgreiche Politik im 21. Jahrhundert für Deutschland nämlich in globaler und europäischer Verantwortung stattfinden muss, nicht folgen wird. Insofern widerlegen Sie sich mit Ihren Argumenten eigentlich selber. Vielleicht lernen Sie das Zuhören noch; ich habe aber meine Zweifel daran.
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Danke, Frau Hajduk. – So, und jetzt hat das Wort der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der geschätzte Dr. Gerd Müller.
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– Ja, er kommt auch aus dem Allgäu. Heimatliebe nennt sich das.
Geschätzte Kollegin Roth!
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Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Jugend auf den Tribünen! Das ist gerade das Schöne; denn Entwicklungspolitik ist Zukunftspolitik, Politik für die Erhaltung der Schöpfung und des Planeten für euch, für das Jahr 2050. Wir, die Alten, stellen hier die Weichen, und wir müssen uns dessen bewusst sein: Es geht darum, den Planeten als Ganzes auch für morgen noch lebenswert zu erhalten. Es geht um eure Zukunft.
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Deutsche Politik kann nicht an den Grenzen Deutschlands oder Europas enden. Mich erschüttert – das darf ich Ihnen sagen – die aktuelle deutsche Flüchtlingsdebatte, wie wir sie führen. Richten wir doch den Blick einmal über die Grenzen der Europäischen Union hinaus. Wo liegen denn die wahren Herausforderungen in diesen Tagen in der Flüchtlingsproblematik? Es muss hier gesagt sein: 270 000 Menschen sind in den letzten drei Tagen vor syrischen Bomben an die jordanische und israelische Grenze geflüchtet. Sie lagern in der Wüste. Über 10 Millionen Kinder und Erwachsene sind im Jemen auf der Flucht – und das in den letzten drei Wochen – und kämpfen um das Überleben vor Ort. 800 000 Rohingya liegen im wahrsten Sinne des Wortes im Dreck, müssen ungeschützt vor dem Monsun in dreckigen Zelten um das Überleben kämpfen. Es fehlt an allem. Es fehlt an Geld, an Essen und an Verantwortung. Deshalb sage ich: Übernehmen wir Verantwortung für diese Herausforderungen!
Mit 50 Cent, liebe Kolleginnen und Kollegen, retten wir ein Menschenleben in diesen Regionen. Das muss es uns wirklich wert sein.
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Ich könnte viel zur Wirkung und zur Verantwortung sagen, aber wir sind in der Haushaltsdebatte, und ich habe nur sechs Minuten Redezeit.
Deutschland ist der zweitgrößte Geber; wir leisten viel und bewirken viel. Die Weltgemeinschaft versagt. Ich will das ganz klar sagen: Mit 20 Milliarden Euro weltweit – alle 195 Nationen – könnten wir jedem Menschen in Not das Überleben sichern. Ist es nicht beschämend? Ist es nicht ein Skandal, dass wir Reichen in der Welt diese 20 Milliarden Euro nicht aufbringen?
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Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen aus den Fraktionen, bei den Berichterstattern. Der Haushalt wächst dieses Jahr um 900 Millionen Euro auf. Ich bedanke mich auch bei meinem Team. Ich habe ein neues Team, eine Staatssekretärin und zwei Staatsekretäre: Herr Barthle und Frau Flachsbarth sitzen auf der Regierungsbank; dazu kommt noch Herr Jäger. Gemeinsam mit diesem Team zeige ich, dass meine zweiten vier Jahre mit einer neuen Entwicklungsagenda 2030, die wir in den nächsten Wochen diskutieren können – sie ist fertig; ich werde sie zur Diskussion vorlegen –, nicht ein Weiter-so sein werden. Ich freue mich, dass ich das machen darf, und möchte meine Erfahrung einbringen, um Strukturen zu verändern. Wirksamkeit und Effizienz sind die Vorgaben.
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Ich bin enttäuscht und nicht zufrieden; denn am Freitag werden die Eckwerte für den Haushalt 2019 verabschiedet. Nach heutigem Stand wird ein Aufwuchs von 270 Millionen Euro erfolgen. Das heißt, der Finanzminister verantwortet damit – ich habe ihm das gesagt; das gab eine harte Diskussion –, dass die ODA-Quote von 0,5 Prozent auf 0,48 Prozent sinkt.
Nun bitte ich das Parlament: Wir können dies nicht hinnehmen. Ich bitte Sie, im Haushaltsverfahren Verantwortung zu übernehmen und diese 500 Millionen Euro auszugleichen. Wir brauchen sie dringend, um dort, wo es notwendig ist, mehr tun zu können.
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Was Herr Leutert zum Aufwuchs der beiden Ressorts und zu den Zahlen gesagt hat, stimmt eins zu eins. Ich will das nicht bewerten. Für jeden hat das einen anderen Stellenwert. Ganz schwierig sind diese Eckwerte; ich möchte das klar sagen. Das geht über den Haushalt 2019 hinaus. Die Eckwerte unseres Etats sinken 2020, 2021 um 1 Milliarde Euro. Das heißt – das hat Frau Hajduk sehr richtig angesprochen –: Die VEs sinken. Natürlich müssen wir über den Tag hinaus – zwei Jahre, drei Jahre im Voraus – Maßnahmen planen. Das ist aber schwierig, wenn ich heute nicht weiß, was ich morgen bekomme. Es kann nicht sein, dass wir den Haushalt 2020, 2021 um 1 Milliarde Euro absenken und damit unseren Partnern jegliche Sicherheit nehmen.
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Herr Minister Müller, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Frau Hajduk?
Ja, sehr gerne.
Herr Minister Müller, gerne lassen wir uns von Ihnen auffordern, Anträge zu stellen, die wir für notwendig erachten. Das haben wir auch bei diesem Haushalt getan. Sie gehen am Freitag in eine Kabinettssitzung, wenn ich richtig unterrichtet bin. Sie können doch dort argumentieren und sich auf den Koalitionsvertrag beziehen, wonach die ODA-fähigen Mittel und die Mittel im Verteidigungshaushalt eins zu eins steigen sollen. Können Sie mir einen Grund nennen, der Ihnen bisher gesagt wurde, warum das nunmehr nicht stattfinden soll?
Die Begründung des Finanzministers ist die schwarze Null, das Schuldenziel, das erreicht werden soll. Ich bin da ganz offen. Aber es kann nicht sein, dass gerade bei uns im Haushalt der Rotstift angesetzt wird. Die Fakten sind, wie sie sind. Ich resigniere nicht. Ich kämpfe weiter. Mit dem Parlament an meiner Seite bin ich sicher und guter Hoffnung – hätte ich fast gesagt –, dass wir die 500 Millionen Euro erreichen. – Frau Hajduk, herzlichen Dank.
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Ich möchte mich auch bei der Zivilgesellschaft bedanken, meine Damen und Herren. Die Kirchen, die Deutsche Welthungerhilfe, Hunderte von NGOs verdoppeln nämlich den Betrag, den wir als ODA-Mittel, als öffentliche Mittel, einsetzen.
An der Stelle geht meine Forderung aber auch an die Europäische Union. Die mittelfristige Finanzplanung muss korrigiert werden, Herr Rehberg. Europa muss eine humanitäre Offensive starten. Europa muss Verantwortung übernehmen. Der Entwicklungsetat muss mindestens verdoppelt werden. Wenn Sie sich das überlegen: Der Etat für Afrika – Afrika, die große Herausforderung Europas – steigt in der mittelfristigen Finanzplanung von 5 Milliarden Euro jährlich um 1 Milliarde auf 6 Milliarden Euro. Das ist ein Witz. Das wird den Herausforderungen nicht gerecht.
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Ich sage Ihnen – wenn ich noch ein paar Sätze sagen darf –: Wir können die Probleme lösen. Eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, Energie für alle nachhaltig zu produzieren, Arbeitsplätze, Klimaschutz: Zu all diesen Punkten haben wir ein Programm vorgelegt, den Marshallplan mit Afrika. Er muss europäisiert werden, und er muss internationalisiert werden. Wir werden dies auch zum Schwerpunktthema der EU-Ratspräsidentschaft machen. Allen muss klar sein: Im Libanon, in Jordanien – die Kanzlerin war vor kurzem dort –, in der Türkei finanzieren wir – ein Beispiel – allein 17 000 Lehrerinnen und Lehrer mit Ihren Geldern, mit unserem Etat. Tun wir dies nicht, dann kommen die Menschen zu uns; denn sie kämpfen um ihr Überleben in diesen Regionen. Deshalb müssen wir vor Ort die Hilfe intensivieren und ausbauen.
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Gerd Müller. – Nächster Redner: Ulrich Oehme für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Schauen wir uns den Haushalt der EZ an, so lässt sich eines ganz klar erkennen: Der Plan hat ein Motto, nämlich „Weiter so!“, genau wie die restlichen Vorgaben der Regierung. Dass es aber nicht so weitergehen kann, zeigen internationale Studien immer und immer wieder. Mir geht es vor allem darum, die drei schwersten Fehler der bestehenden Entwicklungshilfepraxis darzustellen: die Idee, dass mehr Geld, mit der Gießkanne verteilt, den Migrationsdruck verringern würde; das Schwächen unserer eigenen Position durch kontinuierliches Ignorieren von Verstößen gegen Ziele und Vorgaben in der Entwicklungszusammenarbeit und letztlich die Finanzierung von Organisationen wie Kirchen, politischen Stiftungen und bestimmten NGOs, die dieser Hilfe nicht bedürfen, wodurch verhindert wird, dass das Geld da eingesetzt wird, wo es wirklich benötigt wird.
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Im Rahmen des Prestigeprojekts „Marshallplan für Afrika“ soll Deutschland als zweitgrößter Geber weltweit weitere Milliarden an Entwicklungsgeldern in Afrika versenken.
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Die Vergangenheit zeigt, dass kaum etwas von dem ankommt, was wir von oben herab, mit der Gießkanne, regnen lassen.
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Die Gründe dafür sind vielseitig: Korruption, Misswirtschaft, aufgeblähte bürokratische Systeme, Intransparenz bei der Verwendung der Mittel etc.
Dass sich weniger Menschen auf den gefährlichen Weg nach Europa machen würden, wenn sie nur mehr Geld hätten, stimmt einfach nicht.
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Studien des Center for Global Development in Washington und des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit in Bonn haben ergeben, dass der Migrationsdruck von denjenigen ausgeht, die zwischen 2 000 und 8 000 Dollar pro Jahr verdienen. Durch unsere Art der Verteilung von Mitteln werden wir die Schwelle von 8 000 Dollar erst nach mehreren Generationen erreichen. Folglich bleibt der größte Anreiz unser Sozialsystem und die großzügige Verteilung der Steuergelder auf Menschen, die nicht aus menschenrechtlicher Not, sondern aufgrund wirtschaftlicher Interessen hierherkommen;
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denn immerhin werden jährlich 20 Milliarden Euro in die Herkunftsländer zurücküberwiesen. Das sind keine Asylsuchenden, sondern Wirtschaftsmigranten. Um die Migration wirkungsvoll zu stoppen, müssten wir die Anreize für die Einreise nach Deutschland nehmen. Wir müssen wieder zum System der Sachleistungen statt Geldleistungen zurückkehren.
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Ich sage nicht, dass wir unserer Verantwortung für Staaten, die unsere Hilfe brauchen und die diese auch zum Wohle ihrer Bevölkerung im Rahmen von Vorgaben nutzen, nicht gerecht werden sollten. Jedoch zeigt sich immer wieder, dass wir entgegen unseren eigenen und internationalen Standards vor allem die Staaten und Gruppierungen unterstützen, die entweder unsere Hilfe nicht benötigen, wie China, Türkei und Südafrika,
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oder diese nicht verdient haben, wie China und Sudan, da sie Christen verfolgen, Menschenrechte nicht einhalten und vereinbarte Ziele und Vorgaben mit Füßen treten.
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Durch ein Immer-weiter-so machen wir uns lächerlich, meine Damen und Herren.
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Wir müssen hier klare Kante zeigen und uns bei Vertragsbruch gegen einen Umar al-Baschir, einen Erdogan oder auch einen Xi Jinping durchsetzen.
Und als Letztes: Warum sollten Steuergelder dazu verwendet werden, sinnlose Genderprojekte
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und den Abbau links-grüner Schuldkomplexe zu finanzieren? Auch dieses Weiter-so lehnen wir ab.
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Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Frau Dröge?
Nein, danke.
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Unser Vorschlag an Dr. Müller und die Regierung lautet: wirkliche Verringerung des Migrationsdrucks durch Rückkehr zu Sachleistungen für Asylsuchende, Zurückfahren bzw. Einstellung von Entwicklungshilfe für Staaten, die sich nicht an Vereinbarungen und Vorgaben halten – ausgeschlossen natürlich Nothilfe –, und Streichung und Umverteilung der Ausgaben für kirchliche Organisationen, politische Stiftungen und bestimmte NGOs. Das wäre ein Anfang mit Zukunftsperspektive und ein wirklicher Plan. Denn ein Weiter-so hilft weder den Entwicklungsländern noch uns hier in Deutschland.
Danke.
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Danke schön. – Nächste Rednerin: Dagmar Ziegler für die SPD-Fraktion.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Oehme, Ihr Kollege Frohnmaier hat vorhin von intellektueller Zumutung gesprochen. Er muss Ihre Rede im Sinn gehabt haben.
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Anders kann ich mir das nicht vorstellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, wir haben festgestellt: Es gibt einen tollen Zuwachs von 10 Prozent; das ist viel Geld, nämlich 900 Millionen Euro. Wir liegen bei 9,4 Milliarden Euro, die für unsere Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stehen. Das ist schon mal ein Erfolg.
Die berühmte Bereinigungssitzung der letzten Woche hat in wichtigen Punkten nochmals Verbesserungen gebracht. Deshalb sind wir auch unseren Koalitionären im Haushaltsausschuss sehr dankbar. Herzlichen Dank!
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Natürlich ist Entwicklungspolitik ein Feld, für das wir nie genug Geld bekommen können. Das Geld reicht an allen Ecken und Enden nicht. Neue Gräben tun sich auf, sobald sich andere geschlossen haben. Dennoch blicken wir auf einen Haushalt, der uns, sehr geehrter Herr Minister, tatsächlich viele Handlungsmöglichkeiten eröffnet. Es ist ein Haushalt, der unserer Verantwortung im Ausland gegenüber internationalen Organisationen und auch im Inland gerecht wird.
Mit Blick auf die Stimmen, die – wir haben es gerade gehört – ein Absinken der ODA-Quote erreichen wollen, will ich sagen: Meine Fraktion tritt gegen ein solches Absinken ein. Das Erreichen der Quote zugunsten einer effektiven Entwicklungspolitik bleibt unser Ziel.
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Dieser Anspruch ist Teil unserer sozialdemokratischen DNA, und es spricht auch kein sozialdemokratischer Finanzminister dagegen.
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Es wäre aber falsch, lediglich den Haushalt des BMZ für das Erreichen der Quote verantwortlich zu machen. Wir wissen: Das Entwicklungsministerium trägt zu rund 40 Prozent der deutschen ODA-Ausgaben bei. Die weiteren Teile werden durch das Auswärtige Amt, nämlich durch humanitäre Hilfe, zivile Krisenprävention und Auswärtige Kulturpolitik, sowie durch das Umweltministerium getragen.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Dürr von der FDP-Fraktion?
Ja, gerne.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin, nach Ihren Worten eben und der doch bemerkenswerten Rede des Herrn Bundesministers, in der er das Parlament sozusagen um Nothilfe
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gegenüber dem Bundesfinanzminister gebeten hat, und der Tatsache, dass, wenn ich mich recht erinnere, Herr Scholz sogar Mitglied Ihrer Partei ist,
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wollte ich einfach nur wissen: Steht die SPD-Fraktion an der Seite des Herrn Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung oder an der Seite des Bundesfinanzministers?
Es gibt im Parlament Spielregeln, wie Sie wissen; die Bundeshaushaltsordnung gibt sie vor. Es gibt ein Kabinett, das über den Haushaltsentwurf berät. Das ist der erste Schritt. Wir als Fraktionen sind da raus; das wissen Sie. Danach erfolgt das parlamentarische Verfahren, und da sind wir als Fraktionen gefragt. Ich war früher selber Landesfinanzministerin. Daher weiß ich, wie man so etwas macht. Das sind die Spielregeln, die einzuhalten sind: im Kabinett für die Ziele, die man durchzusetzen hat, zu kämpfen
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und im Parlament dann für Veränderungen zu sorgen, wenn die Fraktion einen Koalitionspartner hat, der das genauso sieht. So ist das Spiel. Wenn Sie mitregiert hätten, hätten Sie es lernen können.
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So, jetzt ist Frau Ziegler wieder dran.
Ich möchte mich auf drei Bereiche konzentrieren.
Herr Müller, Sie planen dem Einzelplan zufolge, schwerpunktmäßig in Bildung zu investieren und gemeinsam mit der deutschen und der lokalen Wirtschaft berufliche Bildung, Arbeit und nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu fördern. Diese Initiativen begrüßt meine Fraktion sehr, aber ich bitte Sie wirklich mit Nachdruck, bei der Umsetzung der Offensive und bei der Bereitstellung von Mitteln darauf zu achten, dass Frauen und Männer zu gleichen Teilen gefördert werden.
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Ich will Ihnen erläutern, warum. – Vielleicht hilft das auch, zwischen den Ohren der AfD ein bisschen für Bewegung zu sorgen. – Grund und Ziel unserer Entwicklungspolitik muss es sein, Gesellschaften so zu stärken, dass sie wirtschaftlich und politisch an Perspektive und Stabilität gewinnen. Wir wissen, dass Länder, in denen die Gleichberechtigung gestärkt wird, sowohl ökonomisch erfolgreicher als auch politisch handlungsfähiger sind; Sie haben ja auch eine Doppelspitze. In unser aller Interesse haben wir hier noch viel, und zwar sehr viel zu tun. Dies will ich durch einige Beispiele belegen.
Der Weltbank zufolge würde die Produktivität weltweit um 40 Prozent steigen, wenn alle Benachteiligungen von Frauen auf dem globalen Arbeitsmarkt beseitigt würden.
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Während Frauen in Entwicklungsländern 80 Prozent der Nahrungsmittel produzieren, stellen sie weniger als 13 Prozent der Landbesitzerinnen. Der landwirtschaftliche Kapitalertrag würde der Welthungerhilfe zufolge aber um 20 bis 30 Prozent höher ausfallen, wenn der gleiche Zugang zu Nutzungsmöglichkeiten gewährleistet wäre. Die Produktion ließe sich in Entwicklungsländern um 2,5 bis 4 Prozent steigern. Allein die Zahl der hungernden Menschen könnte damit um 12 bis 17 Prozent gesenkt werden.
750 Millionen erwachsene Menschen können weder lesen noch schreiben, davon sind nach Angaben der UNESCO zu 63 Prozent Frauen betroffen. Für jedes Jahr, das ein Mädchen zur Schule geht, steigt sein späteres Einkommen um 20 Prozent. Bildung und Armutsbekämpfung sind also untrennbar miteinander verbunden.
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Es ist wirklich meine feste Überzeugung, auch aufgrund persönlicher Erfahrung, dass wir in einer fortschrittlichen Gesellschaft den Input und die Tatkraft von Frauen ebenso brauchen wie die von Männern. Ich fordere uns deshalb gemeinsam auf, dass wir, 100 Jahre nachdem in unserem Land das Frauenwahlrecht in Kraft getreten ist, uns auch im Bereich der Entwicklungspolitik, sehr geehrter Herr Minister, verstärkt für die Rechte der Frauen einsetzen.
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Als Gesundheitspolitikerin sind mir Investitionen in die Bekämpfung von armutsbedingten und vernachlässigten Krankheiten sehr wichtig. Diese Investitionen sind für die Umsetzung der Agenda 2030 grundlegend. Deshalb möchte ich noch einmal mit Nachdruck betonen, dass wir unseren finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem Global Fund zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria nachkommen müssen. Der Wert seiner Arbeit ist wirklich unschätzbar hoch. Wir müssen diese Arbeit weiter unterstützen.
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Wir konnten diese drei Epidemien stark eindämmen und Millionen von Menschen durch diesen Fund retten. Deshalb möchte ich schon heute, ein Jahr vor der Wiederauffüllungskonferenz, deutlich machen, dass die Bundesregierung dann wieder aufgefordert sein wird, genügend Geld zur Verfügung zu stellen. Wir müssen die Vereinbarungen, wie sie im Koalitionsvertrag stehen, einhalten und diese notwendige Arbeit weiterhin unterstützen.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines der herausragenden Ergebnisse der Bereinigungssitzung war, dass für die Bekämpfung von Polio zusätzlich 3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden konnten. Ein herzlicher Dank auch an dich, liebe Sonja Steffen, dafür, dass du dich dafür eingesetzt hast.
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Ein letzter Punkt noch, weil die AfD dieses Thema angesprochen hat – das zieht sich ja durch alle Diskussionen über den Haushalt –: Ich begrüße es, dass die Haushaltsposten für Stiftungen und Kirchen anwachsen. Die Unterstützung der Zivilgesellschaft, hier und in den Partnerländern, ist grundlegend für die Umsetzung der Agenda 2030. Sie müssten im Ausschuss einmal zuhören, wenn unsere Gäste genau diesen Punkt für wichtig erklären und sagen, dass beispielsweise die Kirchen in Afrika unabdingbar darauf angewiesen sind, dass wir sie unterstützen.
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Ich weiß gar nicht, warum das bei Ihnen gar nicht ankommt, wie das passiert.
Kommen Sie bitte zum Ende?
Ja. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, es bleibt weiterhin viel zu tun. Entwicklungspolitik darf kein Feigenblatt sein. Wir in den entwickelten Ländern sind diejenigen, die die Ressourcen an Energie, an Wasser, an Rohstoffen am stärksten beanspruchen. Deshalb hängt wirklich viel davon ab, dass wir etwas zurückgeben. Fairer Handel auf der einen Seite und das Einfordern von Rechtsstaatlichkeit und Reformwilligkeit und der Einhaltung von Produktions- und Arbeitsnormen sowie von Menschenrechten auf der anderen Seite sind Voraussetzung für eine gute Entwicklungszusammenarbeit.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Dagmar Ziegler. – Nächster Redner: Michael Link für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte ganz herzlich den Kollegen Berichterstattern für die gute Zusammenarbeit danken, allen voran Carsten Körber. Danke! Wir haben es, glaube ich, geschafft, in den Gesprächen mit dem Team des Ministers in die Tiefe zu gehen und den Haushalt wirklich auf Herz und Nieren zu prüfen. Das sollen wir ja auch tun. Das müssen wir machen. Aber er bleibt – sorry, dass ich das so deutlich sage – in vielen Bereichen doch eine herbe Enttäuschung. Wenn wir die Finanzplanung aufschlagen – das wurde ja teilweise sogar vom Minister selbst angesprochen –, trauen wir ja unseren Augen nicht. Wer glaubt denn ernsthaft, dass wir 2020, 2021, 2022 schon so weit sind, dass wir in diesem Bereich weniger Mittel brauchen? Wer glaubt das ernsthaft?
Natürlich ringen wir kräftig um den besten Weg. Wir sind oft uneins über die Instrumente. Wir haben Dissense bei der Frage, wo man die Schwerpunkte setzen müsste. Aber wir sind uns absolut einig, dass wir jetzt in den Bemühungen nicht nachlassen dürfen. Was uns fehlt, ist die Koordinierung innerhalb dieser Bundesregierung, die unseres Erachtens insbesondere zwischen Auswärtigem Amt und BMZ extrem zu wünschen übrig lässt.
({0})
Beide buhlen oft um die gleichen Projekte in den gleichen Regionen. Ich kenne keine für Weltregionen ausgearbeiteten gemeinsamen Problemanalysen von AA und BMZ, keine gemeinsamen Handlungswege, wie man die Probleme angehen will. Man könnte da viele Effizienzreserven heben und die Mittel dann in Bereiche stecken, wo sie dringend gebraucht werden. Das ist also ein riesiges Problemfeld, wo sich beide Ministerien wie Hase und Igel belauern und einander Konkurrenz machen. Das muss doch anders gehen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben der Verschwendung, die wir durch diese Konkurrenzsituation haben, ist in der Tat das große Problem, dass wir für die multilateralen Instrumente zu wenig ausgeben; das ist oft gesagt worden. Wir, also die daran interessierten Oppositionsfraktionen – und das sind ja zum Glück einige –, werden massiv Druck machen, damit sich das ändert. Ob es der Global Fund ist, ob es überhaupt die Vereinten Nationen sind – über den UNHCR haben wir beim Einzelplan 5 schon ausführlich diskutiert –, ob es viele andere Bereiche sind – ich nenne noch ein paar, weil sie so wichtig sind –, zum Beispiel die globalen Bildungspartnerschaften, gerade jetzt, wo sich die USA aus diesem wichtigen Bereich zurückziehen, oder Familienplanung, Bildung, Grundbildung, Ausbildung – man könnte dies weiter fortsetzen –, überhaupt das Potenzial von Frauen für die Entwicklung ihrer Heimatländer, Frauen als treibende Wirtschaftskraft in afrikanischen Staaten – bei all dem könnte man über die multilateralen Einrichtungen viel machen.
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Das reine Bilateralisieren, Herr Minister, wie Sie es in den letzten Jahren leider sehr stark gemacht haben – ich weiß, Sie erschrecken –, sieht niemand gern. Wenn man mit europäischen Partnern in Brüssel, bei den Vereinten Nationen, beim Europarat, bei den Entwicklungsbanken und mit anderen redet, hört man genau das: deutscher Alleingang, zu wenig abgestimmt. – Das ist es, was man von europäischen Partnern hört.
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Also bitte ran an diese Sache! Da passiert uns viel zu wenig.
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Deshalb sagen wir auch: Solange das nicht geschieht, sagen wir nicht einfach Ja zu Erhöhungen. Wir sind bereit, mehr Geld in die Hand zu nehmen, aber es muss koordiniert sein mit dem, was in den Bereichen AA und BMVg geschieht. Vernetzte Sicherheit ist unser Begriff.
Was wir wollen, ist ein vernetzter Ansatz. Aber dazu passt es eben nicht, Herr Minister – sorry to say –, dass wir hier drei Sonderinitiativen von Ihnen haben, die inhaltlich sicherlich gut sind, die Ihre Lieblingsprojekte darstellen, aber, weil Sie ihnen sozusagen haushälterisch Freiraum geben, zum normalen Haushaltsverfahren querstehen. Der Rechnungshof hat dazu deutliche Worte gefunden und gesagt, dass das mehr oder weniger freihändige Ausgeben in diesem Bereich – ich übertreibe jetzt etwas, aber im Kern ist es so – nicht weitergehen kann. Sie aber legen eine vierte Sonderinitiative auf. Das entspricht nicht der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit, und deshalb sehen wir das kritisch.
Kritisch sehen wir auch einen weiteren Punkt, nämlich die mangelnde Evaluierung. Sie haben mit DEval ein Institut, das evaluiert. Man darf, ohne zu technisch zu werden, sagen: Bei so enormen Geldern – es ist immerhin eine Verfünfzehnfachung der Mittel für humanitäre Hilfen und Krisenprävention seit 2015 –, muss man auch auf Controlling und Evaluierung achten. Jetzt gibt es DEval, Ihr Evaluierungsinstitut. Aber der Rechnungshof sagt: Das ist nicht unabhängig genug. – Lassen Sie uns also gemeinsam daran arbeiten, es so unabhängig wie nötig zu machen und die Wirkungsorientierung des deutschen internationalen Handelns besser zu prüfen. Ich bin sicher, dass wir da noch viele Effizienzreserven heben können. Wir werden Ihnen als Parlamentarier gemeinsam die nötige Hilfestellung geben, aber auch Druck machen – das sage ich ohne Arroganz –; denn der Einsatz dieses Geldes, das wir ja einsetzen wollen, muss besser kontrolliert werden. Dadurch werden wir auch Geld finden, das wir dann in Bereiche stecken können, wo es momentan fehlt.
({5})
Das gilt für das AA, das gilt für das BMZ, das gilt für alle Bereiche, die aus unserer Sicht zurzeit viel zu wenig evaluiert und kontrolliert werden.
Wir wollen als Parlamentarier klare Akzente für einen sparsamen, effizienten Haushalt setzen und sind auch bereit, wenn die Effizienz gesichert ist, mehr Geld in die Hand zu nehmen. So etwas steht aber immer am Ende des Prozesses und nicht am Anfang. Lassen Sie uns deshalb auch den Haushalt für 2019 kollegial beraten. Wir als FDP-Fraktion würden uns freuen, wenn wir hier gemeinsam – auch fraktionsübergreifend, auch mit der Koalition – Schritte in die richtige Richtung gehen könnten.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Michal Link. – Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke: Helin Evrim Sommer.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Entwicklungsminister Müller! Ich muss sagen, die Sonntagsreden der Bundesregierung kenne ich – immer mit dem Scheinargument, den Armen auf dieser Welt zu helfen. Die Entwicklungspolitik spricht leider – tut mir leid – eine andere Sprache: Der Anteil der ärmsten Empfängerstaaten an der deutschen Entwicklungszusammenarbeit schrumpft seit Jahren. Das ist an Zynismus kaum zu übertreffen.
({0})
Mehr noch: Die Bundesregierung rechnet die Kosten für die Unterbringung von Geflüchteten in die Entwicklungsausgaben mit ein. Das bedeutet, das reiche Deutschland ist selbst der größte Empfänger von deutscher Entwicklungshilfe, meine Damen und Herren. Wie absurd ist das denn, bitte schön?
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Das ist, als würde man für einen Grillabend mit Freunden einkaufen, aber am Ende alles selber aufessen.
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Wir fordern sie auf: Beenden Sie diese Zweckentfremdung von Steuergeldern, und stellen Sie endlich 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Entwicklungszusammenarbeit bereit!
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Die Koalition – das wurde hier ja schon oft angesprochen – hat eigentlich eine Eins-zu-eins-Bindung für Erhöhungen bei den Verteidigungs- und den Entwicklungsausgaben vereinbart. Machen wir doch einmal eine einfache Rechnung auf: Frau von der Leyen soll zukünftig 1,5 Milliarden Euro mehr bekommen, um sich als Aufrüstungsministerin so richtig zu profilieren. Entwicklungsminister Müller hingegen soll nur 900 Millionen Euro erhalten. Das zeigt Ihre wahren Prioritäten, meine Damen und Herren.
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Sie brechen Ihren eigenen Koalitionsvertrag, kaum dass die Tinte trocken ist.
Lieber Herr Müller, ich schätze die kontroversen Gesprächsrunden mit Ihnen sehr. Ich halte Sie übrigens auch – das haben Sie auch in Ihrer Rede hier gezeigt – für einen fortschrittlichen Entwicklungshilfeminister.
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Die Finanztransaktionsteuer zum Beispiel könnten Sie mit uns Linken sofort einführen, aber mit Ihrer Partei leider nicht, lieber Herr Minister.
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Darüber hinaus habe ich den Eindruck – das muss ich auch sagen –, dass Sie sich vor allem als Fluchtabwehrminister profilieren müssen, um zu zeigen, dass Sie immer noch CDU-Mitglied sind.
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Ich glaube, Herr Entwicklungshilfeminister Müller,
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das haben Sie wirklich nicht nötig.
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– Okay.
Und jetzt ganz neu: Die Festung Europa zieht die Mauern immer höher und schafft Außenlager in Nordafrika. Der Deal: Geld für autokratische Gewaltherrscher, damit sie Geflüchtete aus anderen Staaten stoppen, internieren und zurückweisen. Das ist zynisch, das ist kurzsichtig, und das ist vor allem, meine Damen und Herren, unmenschlich!
({10})
Wir fordern: mehr legale Fluchtwege nach Europa, offene Grenzen für Menschen in Not und eine wirkliche Bekämpfung von Fluchtursachen.
({11})
Zum Schluss: Sorgen Sie dafür, dass es nicht bei diesen Sonntagsreden bleibt! Menschen ertrinken vor Ihren Augen, und Sie schalten auf „Parole Populismus“. Aber nicht mit uns Linken, meine Damen und Herren!
Vielen Dank.
({12})
Vielen Dank, Frau Kollegin Sommer. – Wenn ich gut informiert bin – man weiß es in diesen Zeiten ja nicht so –, ist Herr Müller immer noch in der CSU.
({0})
Frau Sommer hat ja gesagt: „CDU“, und es gab keinen Widerspruch.
({1})
– Es gab ja keinen Widerspruch.
({2})
– Gut.
Nächster Redner in der Debatte: Uwe Kekeritz für Bündnis 90/Die Grünen.
({3})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das Theater vom Wochenende war ja von feinster Art. Allerdings ist es noch nicht vorbei, und vor allen Dingen geht es an den realen Problemen vorbei. Die realen globalen Herausforderungen enden nicht an der Schaubühne von CDU und CSU. Es geht um knapp 70 Millionen – inzwischen eigentlich mehr – Menschen auf der Flucht. Das ist eine humanitäre Katastrophe, die direkt mit Fluchtursachen zusammenhängt. Daher ist es einfach unerträglich, dass diese Regierung das Problem auf eine Migrationsdebatte reduziert.
({0})
Das hat aber System. Die Regierung bedient sich hier meines Erachtens rechter Rhetorik,
({1})
die gezielt von der Problematik der Flucht und ihren Ursachen ablenkt und eben nicht mehr zwischen Menschen, die migrieren wollen, und Geflüchteten unterscheidet.
Politische Entscheidungen müssen heute getroffen werden; Herr Oehme hat es angesprochen. Wenn man das, was Herr Oehme gesagt hat, mit der Regierungssprache vergleicht, dann kommt man schnell zu dem Ergebnis, dass es hier sehr viele Parallelen gibt. Wenn man sich den Masterplan und auch die Beschlüsse der EU anschaut, dann stellt man sehr schnell fest, dass hier zwischen AfD und Bundesregierung doch sehr viele Gemeinsamkeiten sind.
({2})
So sprechen Sie zum Beispiel von einem guten Kompromiss, der getroffen worden ist. Gleichzeitig ertrinken Menschen im Mittelmeer. Sie verdursten qualvoll in der Sahara. Auf den Sklavenmärkten in Libyen werden sie gefoltert und verkauft. Das soll ein guter Kompromiss sein? Da müssen wir die Kanzlerin fragen, was sie unter einem guten Kompromiss versteht.
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Leider denkt die Regierung nicht daran, sich aktiv in die Fluchtursachenbekämpfung einzubringen. Innovativ ist sie nur, wenn es darum geht, Europa und Deutschland in eine Wagenburg zu verwandeln. Herr Minister, es hat mich wirklich gefreut, dass Sie sich von diesem Schmierentheater distanziert haben. Aber leider waren auch Sie es, und zwar als einziger Minister, der in die Erarbeitung dieses unsäglichen Masterplans als Minister einbezogen war – Sie und Herr Seehofer. Damit degradieren Sie Entwicklungspolitik natürlich zu Flüchtlingsabwehr. Außerdem haben Sie schon zu Beginn Ihrer Amtszeit gesagt, die Rückführung werde ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit sein. Wir beide, Sie und ich, wissen, dass Grenzmanagement und Rückführung nun einmal keine entwicklungspolitischen Maßnahmen sind.
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Es gibt doch wirklich genügend Möglichkeiten, zu denen wir uns in vielen Verträgen und Erklärungen, zuletzt in der Nachhaltigkeitsagenda, verpflichtet haben. Nutzen wir diese Möglichkeiten! Wo bleibt die faire deutsche und europäische Handels- und Agrarpolitik, die nachhaltige Entwicklung fördert, statt lokale Märkte in Afrika und die Regenwälder in Asien und in Lateinamerika zu zerstören? Wo bleibt der Stopp der Rüstungsexporte in Krisengebiete? Wann kommt der Ausstieg aus der Kohleverstromung? Wann kommt ein nachhaltiges Finanzsystem?
Herr Müller, Sie wollen Reformpartnerschaften auf den Weg bringen – mit Reformchampions. Ja, das klingt doch gut. Aber Ihre Reformchampions scheinen Sudan, Eritrea, Tschad und Libyen zu heißen. Der Bundesregierung scheint es auch relativ egal zu sein, ob diese Länder von autoritären Machthabern regiert oder ihre Regimemitglieder mit internationalem Haftbefehl gesucht werden. Länder, die Fluchtursachen tatsächlich zu verantworten haben, oder Länder, die auf stark frequentierten Fluchtwegen liegen, bekommen sehr viel mehr Geld von der Bundesregierung und von Europa. Ghana dagegen werden Entwicklungskredite verwehrt, weil angebliche Reformfortschritte nicht schnell genug erreicht wurden. Herr Müller, das lässt sich einfach niemandem mehr erklären.
({5})
– Ja.
Auch der Haushalt zeigt, dass Ihre Strategie nicht passt. Er mutiert zum Bollwerk bilateraler Zusammenarbeit. Der multilaterale Anteil beträgt gerade noch 20 Prozent. Das ist eine klare Absage an die internationale Staatengemeinschaft und damit natürlich auch strategisch falsch.
({6})
Die globale Rechtsentwicklung und damit auch die Trump’sche Politik zeigen, dass genau das Gegenteil notwendig ist: Deutlich mehr Multilateralismus ist notwendig; denn wir lösen die globalen Probleme nur gemeinsam.
({7})
Herr Minister, wir alle wissen: Entwicklungspolitik lebt von Zuverlässigkeit. Die Tatsache, dass der Entwicklungsetat im kommenden Jahr wieder einbrechen wird, zeigt, dass Deutschland in puncto Finanzierung –
Herr Kollege?
– so zuverlässig ist wie Ihre – –
Herr Kollege, entschuldigen Sie. Erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Frohnmaier, AfD-Fraktion?
Aber gerne doch.
({0})
– Na ja, aber bitte.
Geben Sie aber bitte eine kurze Antwort; denn Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten.
Ja.
Herr Frohnmaier.
Vielen Dank. – Gemessen am BIP sind wir schon jetzt weltweit der größte Geber, und wenn ich Ihnen und auch den Vorrednern heute richtig zugehört habe, dann kommt bei Ihnen eigentlich immer das Gleiche raus: Viel hilft viel.
({0})
Ich will Sie fragen: Welche staatlichen Aufgaben soll Deutschland in der Welt eigentlich noch übernehmen? Was sollen wir noch alles machen? Ich habe gerade gehört, dass wir in Zukunft sogar für Good Governance sorgen, also quasi ganze Regierungen austauschen sollen, wenn sie Ihnen nicht in den Kram passen. Sie skizzieren hier eigentlich eine Art von kolonialem Humanitarismus.
({1})
Da fragt man sich schon, wo man ansetzen soll. Herr Frohnmaier, Sie haben von Entwicklungspolitik eigentlich noch nichts verstanden.
({0})
Sie argumentieren mit Behauptungen, die einfach grottenfalsch sind.
({1})
Sie behaupten, dass man mit der Gießkanne durch die Gegend rennt und das Geld verteilt. Sie behaupten, dass hier keine Evaluierungen stattfinden. Nein, das Geld wird zielgerichtet eingesetzt. Es ist richtig: Es gibt immer noch viele Fehlflüsse von Geld. Aber um das zu erkennen, muss ich nicht nach Afrika gehen; dafür kann ich auch auf den Berliner Flughafen oder Stuttgart 21 schauen.
({2})
Es ist einfach so, dass sich in den letzten Jahren, seit 2000 mit den Millennium Development Goals, in der Entwicklungspolitik viel verändert hat. Von dieser Entwicklung haben Sie leider nur nichts mitbekommen.
({3})
In der Agenda 2015-2030 haben wir bezogen auf die Sustainable Development Goals Indikatoren entwickelt, es werden Peer-Reviews durchgeführt usw. usf. Das wird dazu beitragen, dass die Effizienz in der Entwicklungspolitik immer besser wird.
({4})
Vielen Dank. – Kommen Sie bitte zum Schluss.
Meine Redezeit ist fast abgelaufen.
Nein, sie ist nicht fast abgelaufen, sie ist abgelaufen.
Ich habe noch 14 Sekunden, Frau Präsidentin.
Nein, Sie sind bei minus 20 Sekunden; das ist alles korrekt.
({0})
Ich wollte dem Herrn Minister nur noch sagen, dass er mit seinen Reden immer den Anschein erweckt, eine andere Partei als politische Heimat zu suchen. Sie sollten wirklich mal gucken, ob Sie eine finden.
Danke schön.
({0})
Vielen Dank, Uwe Kekeritz. – Nächster Redner: Dr. Peter Ramsauer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe hier an diesem Pult und auch schon in Bonn viele, viele Reden gehalten, und meine letzte entwicklungspolitische Rede liegt ungefähr 25 Jahre zurück.
({0})
Warum sage ich das?
({1})
Ich sage das, weil wir in dieser Zeit eine Reihe von entwicklungspolitischen Erfolgen, aber auch eine ganze Reihe von Misserfolgen zu verzeichnen hatten. So ehrlich muss man sein.
Viele der Postulate, die wir heute hören, was wir uns sozusagen selbst als neue Maßstäbe geben, klingen zum Teil vollkommen identisch mit dem, was wir schon vor 25 Jahren postuliert haben. Deswegen, lieber Bundesminister Dr. Müller, kann ich das, was Sie sagen, nur voll unterstreichen: Es geht nicht um ein Weiter-so. Ich danke Ihnen und spreche Ihnen aufgrund meiner jahrzehntelangen Erfahrung – vor meiner Parlamentsarbeit, in den 70er- und 80er-Jahren, haben wir beide, zum Teil zusammen, schon die halbe Dritte Welt bereist – meinen Respekt für Ihren Mut aus, zu sagen, dass wir in mancherlei Hinsicht Kehrtwenden in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit diesen Ländern und generell in der Entwicklungspolitik vollziehen müssen.
Ein alter Streit ist der um die ODA-Quote; das wissen wir alle. Wir können eigentlich stolz darauf sein, dass wir in Bezug auf die ODA-Quote in, Seehofer würde sagen: „Sichtweite der Wahrheit“ sind, nämlich im Bereich der 0,7 Prozent.
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– Man versteht Sie sehr schlecht. – Allerdings stimme ich voll mit den Forderungen überein, dass das zu verstetigen ist. Schnelle Strohfeuer bringen nichts. Im Hinblick auf die Verwirklichung der 17 SDGs – auf Deutsch: der nachhaltigen Entwicklungsziele – bringt es nur etwas, wenn wir auch im finanziellen Bereich zuverlässige Rahmenbedingungen schaffen.
Wir alle wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die aktuellen globalen Herausforderungen gigantisch sind. Weltweite Fluchtbewegungen, wachsende Weltbevölkerung und vieles mehr sind dafür nur einige Beispiele. Uns Deutschen wird international eine führende Rolle zugewiesen, weil man weltweit weiß: Auf uns Deutsche ist Verlass.
Die internationale Staatengemeinschaft – auch das ist keine Selbstverständlichkeit – hat diese 17 Nachhaltigkeitsziele einhellig verfolgt und beschlossen: hochwertige Bildung; menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum; Industrie, Innovation und Infrastruktur; verantwortungsvolle Konsum- und Produktionsmuster, um nur vier Beispiele aus den 17 herauszugreifen.
Aber wir alle wissen auch, dass diese Ziele nicht allein mit öffentlichen Mitteln erreicht werden können, sondern dass wir dazu auch Nichtregierungsorganisationen, den Privatsektor und vor allen Dingen auch die Wirtschaft brauchen. Das heißt, wir müssen die deutsche Wirtschaft und die deutschen Unternehmen in unsere Arbeit einbeziehen. Nicht zuletzt deshalb heißt es im Namen des Bundesministeriums und entsprechend auch unseres Ausschusses: „für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach 1990 habe ich meine parlamentarische Laufbahn, weil ich gerade von meiner ersten entwicklungspolitischen Rede von vor 25 Jahren gesprochen habe, in diesem AWZ begonnen. Deswegen sind mir diese Dinge immer noch so geläufig. Auch damals galt schon: Nur wenn wir auch die deutsche Wirtschaft weltweit mit ins Boot holen, können wir diese Ziele erreichen und eine positive Zukunft bewirken.
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Ein zentraler Kontinent in unserer ganzen EZ ist Afrika. Das birgt unglaublich viel Potenzial. Wir müssen dort stabilisierend wirken. Wir haben dort Erfolge erreicht, aber wir haben auch Fälle – ich nenne jetzt keine einzelnen Länder –, in denen die Verhältnisse heute insgesamt schlechter als noch vor 25 Jahren sind oder in der Zeit, als Gerd Müller, ich und andere diese Länder bereist haben.
Orientieren wir uns an den positiven Beispielen. Was die deutsche Wirtschaft etwa in Tunesien geleistet hat, ist vorbildlich. Was in Südafrika an Arbeitsplätzen und an Investitionen geschaffen worden ist, ist vorbildlich. Was beispielsweise VW in diesen Tagen in Ruanda aufgebaut hat, nämlich eine lokale Fahrzeugproduktion und einen Carsharing-Dienst, ist vorbildlich. Das, was sich in solchen Ländern tut, sollten wir auch auf andere Länder ausdehnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen über Afrika. Ja, das ist ein zentraler Kontinent, auch im Hinblick auf die Vermeidung von Fluchtursachen. Aber wir dürfen darüber hinaus andere Regionen in unserer Entwicklungszusammenarbeit ja nicht vergessen. Wir hatten gerade vom AWZ, also mit der lieben Frau Weber, mit Herrn Raabe und anderen – ich brauche jetzt nicht alle aufzuzählen –, eine interessante Reise in südamerikanische Länder. Eine Botschaft haben uns unsere Gastgeber und Gesprächspartner mitgegeben. Sie sagen: Ja, wir sehen ein, dass deutsche Entwicklungszusammenarbeit sich sehr mit Afrika beschäftigen muss. Aber – so sagen sie – vergesst uns in den lateinamerikanischen Ländern nicht.
Das Gute in diesen Ländern: Sie unterscheiden sich im Hinblick auf den Charakter der Entwicklungszusammenarbeit fundamental und in vielerlei Hinsicht von afrikanischen Ländern. Lateinamerikanische Länder brauchen überwiegend nicht deutsches Kapital, sondern sie brauchen unser Know-how in Wirtschaftsfragen. Wie gründet man Start-ups? Wie gestaltet man Unternehmen? Rechtsstaatlichkeit, Parlamentarismus, Zuverlässigkeit von Rahmenbedingungen und vor allen Dingen berufliche Bildung: Das können wir alles leisten. Dort können wir mit wenig Geld sehr viel bewirken.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Fokus auf Afrika legen, andere Regionen in der Welt nicht vergessen: Das muss der Maßstab sein, mit dem wir vorgehen.
Ich wünsche Ihnen, lieber Herr Bundesminister, alles Gute auf Ihrem Weg einer Verstetigung der Mittel in der Kabinettssitzung und in den parlamentarischen Beratungen. Meine und unsere Unterstützung, wenn ich für meine Fraktion sprechen darf, haben Sie gewiss.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Dr. Ramsauer. – Nächste Rede für die AfD-Fraktion: Volker Münz.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister Müller! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion steht zur Entwicklungszusammenarbeit. Wir kritisieren nicht die Höhe des BMZ-Haushalts an sich,
({0})
sondern die Vergabe der Mittel im Einzelnen und die Defizite bei der Evaluierung und der Kontrolle der Projekte.
({1})
Humanitäre Hilfe in den Herkunftsregionen und Entwicklungshilfe sind verantwortungsethisch betrachtet die einzig richtige Antwort auf den anwachsenden Wanderungsdruck der Menschen in den Krisenländern.
({2})
Das ist auch im Eigeninteresse unseres Landes.
Wir können die Welt aber nicht in Deutschland retten und alle Mühseligen und Beladenen aufnehmen.
({3})
Das ist nur scheinbar human und nur scheinbar christlich. Das ist ungerecht und unverantwortlich. Wir sollten den Menschen in den Herkunftsregionen helfen.
({4})
Vor diesem Hintergrund steht es in keinem angemessenen Verhältnis, was Deutschland insgesamt, nämlich Bund, Länder und Gemeinden, für die 1,7 Millionen Asylbewerber, die seit 2014 hierhergekommen sind, für die Unterbringung und Versorgung ausgibt, nämlich rund 50 Milliarden Euro pro Jahr laut Sachverständigenrat.
({5})
Das ist mehr als das Fünffache des BMZ-Haushalts, meine Damen und Herren.
Vorausgesetzt, die Mittel werden zielgerichtet und effizient eingesetzt – und darum geht es nämlich –, könnten wir mit demselben Betrag hundertmal mehr Menschen in den Herkunftsregionen helfen, als es durch die Aufnahme in Deutschland erreicht wird.
({6})
– Ja, genau. – Es kann nämlich nicht darum gehen, viel Geld gleichsam mit der Gießkanne an eine Vielzahl von Empfängern auszuschütten. „Viel hilft viel“ ist nicht richtig, meine Damen und Herren.
({7})
Es kommt darauf an, dass die Mittel zielgerichtet und effizient ausgegeben werden. Es kommt auf die Bewertung der Wirksamkeit, der Wirtschaftlichkeit und der Nachhaltigkeit der Projekte an.
({8})
Der Bundesrechnungshof hat in seinem Bericht vom 8. Mai 2018 bemängelt, dass das Deutsche Evaluierungsinstitut eine sachgerechte Prüfung nicht ausreichend sicherstellen kann.
({9})
Darauf hat Kollege Link ja schon hingewiesen. Des Weiteren hat der Bundesrechnungshof in Bezug auf die Projekte kirchlicher Träger Mängel im Bewilligungsverfahren und bei der Prüfung der Verwendungsnachweise festgestellt.
Vor diesem Hintergrund sehen wir dringenden Nachbesserungsbedarf bei der Evaluierung der Maßnahmen und bei der Kontrolle der Mittelverwendung, um eine Verschwendung von Haushaltsmitteln zu verhindern, meine Damen und Herren.
({10})
Wir sollten uns – jetzt komme ich darauf – auf weniger Projekte konzentrieren. Außerdem sollte die Ansiedlung von Produktionsstätten insbesondere unter Beteiligung von deutschen Unternehmen gefördert werden, damit die Menschen ihren Wohlstand selbst erarbeiten können.
({11})
Kollege Ramsauer hat ja eben auch darauf hingewiesen.
Die Entwicklungszusammenarbeit setzt Vertrauen, Kooperationsbereitschaft und Vertragstreue der Partner voraus. Wo diese Bedingungen nicht eingehalten werden, müssen wir konsequent sein und unsere Mittel kürzen. Ausgenommen sind Nothilfemaßnahmen. Es ist nicht richtig, sehr geehrter Herr Minister Müller, wenn Sie bei Ländern, die die Rücknahme von illegalen Einwanderern ablehnen, die Entwicklungshilfemittel nicht kürzen wollen.
({12})
– Warum ist das unterirdisch? Wir müssen konsequent sein.
({13})
Es setzt Vertragstreue voraus. Wir können nicht mit Ländern zusammenarbeiten, die sich nicht vertragstreu verhalten.
({14})
– Ja, ja. – Entwicklungshilfe ist nämlich kein bedingungsloses Geben. Wir sind als deutsche Abgeordnete in erster Linie den Interessen unseres Landes verpflichtet. Dann können wir auch der Welt helfen.
({15})
– Ja, ja, machen Sie weiter so.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({16})
Vielen Dank. – Nächste Rednerin: Gabi Weber für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Es ist natürlich immer schwierig, wenn man auf ein so populistisches Argument eingehen soll wie „Kürzt doch die Entwicklungshilfe, um andere willfährig zu dem zu bringen, was wir wollen“. Dabei vergisst man nur sehr leicht, wie kontraproduktiv es ist, wenn man genau da Geld kürzt, wo es unbedingt notwendig ist, um Menschen die Unterstützung zu geben, die sie brauchen, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Das sollten Sie sich vielleicht einmal merken.
({0})
Es ist schon sehr viel zu dem absoluten Rekordhaushalt gesagt worden, den das BMZ im Jahr 2018 haben wird. In der Finanzplanung des ehemaligen Finanzministers betrug die Summe nicht 9,49 Milliarden Euro – das sollte man sich noch einmal vor Augen führen –, sondern 8,7 Milliarden Euro. Das, was wir jetzt haben, stellt also einen erheblichen Aufwuchs im Vergleich zur ursprünglichen Planung dar. Deshalb sehe ich auch nicht so furchtbar schwarz für das, was im Jahr 2019 kommen wird.
({1})
Herr Müller, Sie haben sich sehr für das eingesetzt, was nun möglich geworden ist. Vor einem Jahr hätte kein Mensch den nun vorliegenden Haushalt für möglich gehalten. Das ist aber noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Wir werden Sie, Herr Müller, da unterstützen. Wir sind aber auch sehr zuversichtlich, dass unser eigener Finanzminister die Notwendigkeit einsieht, die ODA-Quote nicht sinken zu lassen.
({2})
Ich kann das aus folgendem Grund sagen: Der Dauerkämpfer für die ODA-Quote in meiner Fraktion, Sascha Raabe, hat den Finanzminister auf ebendiesen Haushalt angesprochen. Olaf Scholz hat verschmitzt gelächelt. Das ist ein sehr gutes Zeichen, dass wir einen weiteren Rekordhaushalt erleben werden.
({3})
Da ich gerade von Rekorden spreche: Lieber Herr Müller, in Ihren Statements zu den Geldern für die Weiterentwicklung Afrikas verweisen Sie zumeist auf die europäische Ebene und fordern dann auch gerne einmal eine Verdoppelung der Mittel. Das ist schön. Wenn Ihnen aber die Sache ernst ist, dann sagen Sie bitte auch, woher die Mittel kommen sollen. Nennen Sie Ross und Reiter! Wir sind derzeit mitten in den Verhandlungen über den nächsten mittelfristigen Finanzrahmen der EU. Ihr Parteifreund und Finanzkommissar Oettinger hat im Gegensatz zu Ihnen klargemacht, woher das zusätzliche Geld kommen soll: aus dem Abbau der übermäßigen Agrarsubventionen der EU.
({4})
Oettingers Vorschlag trifft dabei einzig die riesengroßen Agrarfabriken. Da können Sie als Bayer doch durchaus mitziehen.
({5})
Wenn Sie Herrn Oettinger unterstützen, bekommen wir dann vielleicht auch ein Stück aus der Agrarsubventionstorte für die europäische Entwicklungspolitik. Dort wäre das Geld gut aufgehoben.
({6})
Ich möchte einmal mit einem Märchen rund um die ODA-Quote aufräumen. Die ODA-Quote beschreibt den Anteil der öffentlichen Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit am Bruttonationaleinkommen. So viel als Erklärung für diejenigen, die auf den Tribünen sitzen und sich fragen, was eigentlich die ODA-Quote ist. Das ist nun die Übersetzung.
({7})
Aber die ODA-Quote ist mehr als die aus dem Entwicklungsministerium heraus finanzierte Entwicklungspolitik. Dazu gehören die humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amts, Klimaschutz und Biodiversität des Umweltministeriums.
({8})
Fast alle anderen Ministerien haben ebenfalls Anteil an der ODA-Quote. Hinzu kommt 1 Milliarde Euro, die die Bundesländer zur ODA-Quote beisteuern. Das alles muss man bedenken.
({9})
Man darf nicht nur auf den entsprechenden Titel des Einzelplans 23 schauen.
({10})
Die ODA-Quote soll die Verantwortung der am stärksten entwickelten Länder gegenüber dem globalen Süden verdeutlichen.
In diesem Zusammenhang muss man auch die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen einbeziehen. Ziel 1 heißt: keine Armut. Ziel 2 heißt: kein Hunger. Diese beiden Ziele sind die ureigensten Aufgaben des BMZ, Herr Müller.
({11})
– Schön, dass Sie jetzt klatschen. – Manchmal habe ich allerdings den Eindruck – damit komme ich auf die Diskussion über Ihren neuen Plan zu sprechen und die Forderung, sich noch einmal mit der Migration zu beschäftigen –, dass bei Ihrem CSU-Schulterschluss mit dem Innenministerium diese grundlegenden Aufgaben in den Hintergrund geraten. Ihre Konzentration auf die Fluchtthematik verstellt den Blick auf diese Kernaufgaben. Es geht nicht nur darum, den Hunger in den Flüchtlingslagern zu bekämpfen, sondern, weit darüber hinauszudenken.
({12})
Ich möchte noch eines dieser Ziele ansprechen. Ziel 13 beschreibt Maßnahmen zur Bewältigung des Klimaschutzes. Viele haben die Dimension dieses menschengemachten Klimawandels noch überhaupt nicht begriffen, und die Diskussion in diesem Bereich wird insbesondere rechts von mir geführt. Die Internationale Organisation für Migration schätzt, dass 2050 bis zu 200 Millionen Menschen allein aufgrund des Klimawandels auf der Flucht sein werden. Das sind dreimal mehr Menschen, als jetzt auf der Flucht sind, wo ein großer Teil vor Bürgerkriegen, vor wirtschaftlicher Not und vor Bildungsnot flüchtet. Ich fürchte, dass noch nicht jeder begriffen hat, dass jeder Euro aus dem BMU, aus dem BMZ oder woher auch immer, der für Klimaschutz aufgewandt wird, positive Ergebnisse hat. Es geht nicht allein darum, Fluchtursachen zu bekämpfen, sondern es geht darum, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln den Menschen in den Partnerländern ein friedliches und existenzsicherndes Leben in Würde zu ermöglichen.
Vielen Dank.
({13})
Vielen Dank, Gabi Weber. – Nächster Redner: Volkmar Klein für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben jetzt schon ganz, ganz viele Zahlen gehört – klar; kein Wunder bei einer Haushaltsberatung. Die Hinweise, dass die Höhe der Zahlen vielleicht gar nicht das Entscheidende ist, sind durchaus richtig; denn am Ende geht es uns ja gar nicht um Zahlen, sondern es geht uns um Perspektive für Menschen, nicht nur in Afrika, sondern – darauf hat Peter Ramsauer eben hingewiesen – natürlich auch in anderen Ländern der Entwicklungszusammenarbeit. Aber weil Afrika in unserer direkten Nachbarschaft ist, geht es natürlich vor allem um Afrika; es hat oberste Priorität.
Ich habe dazu eine brandaktuelle Publikation gefunden und mitgebracht: ein Buch, das heißt „Afrika – Europas Gemeinschaftsaufgabe Nr. 1“. Ich will einfach mal aus dem Vorwort einige Sätze zitieren. Da steht – ich zitiere –:
Früher glichen politische Ereignisse oder wirtschaftliche Umwälzungen ins Wasser geworfenen Steinen. Die Wellen verebbten, bevor sie fernere Gestade erreicht hatten. Heute lösen solche Ereignisse sozusagen elektrische Störungen aus, die global und fast überall in gleicher Intensität spürbar sind.
Brandaktuell! Das ist aber ein Buch, das bereits 1951 erschienen ist. Es macht deutlich, dass in der Vergangenheit sicherlich nicht alles richtig gemacht worden ist. Das unterstreicht die Notwendigkeit dessen, was auch Gerd Müller hier eben noch einmal gesagt hat: Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Wir müssen uns mehr um Jobs und Chancen in den Ländern der Entwicklungszusammenarbeit kümmern.
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Ich denke, Gerd Müllers Marshallplan mit Afrika ist genau der Paradigmenwechsel, den wir brauchen. Wir brauchen intensivere, vielleicht auch intelligentere Hilfe. Wir brauchen eine größere Wirksamkeit, und wir müssen sicherlich auch in den jeweiligen Ländern mehr einfordern. Auch darum geht es im Marshallplan mit Afrika; denn auch die Verhältnisse in den Ländern müssen sich verbessern.
Ich will einfach mal vier Punkte, die ich für ganz wichtig halte, nennen.
Erstens: Eigene Kräfte stärken. Wir tun das an ganz, ganz vielen Stellen mit Ausbildung und auch mit Weitergabe von Unternehmensgeist. Ich war jetzt gerade zu Besuch in Kamerun. Dort leisten wir, Deutschland, gemeinsam mit Israel – weil es genau an dieser Stelle noch mehr davon, nämlich von Mangobäumen, versteht als wir – Entwicklungshilfe. Wir helfen bei der Ausbildung von Bauern überall in Kamerun, Mangobäume zu veredeln, um damit die Ernten vieler veredelter Sorten von bisher drei Monaten über fast das ganze Jahr zu bringen. Das stärkt die Ernährung im eigenen Land. Das schafft auch Möglichkeiten für Exporte, und das stärkt insgesamt die eigenen Kräfte.
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Das ist wirklich ein gutes Beispiel; denn auch so etwas gibt es. Wenn immer davon geredet wird, dass wir nur Geld irgendwo versickern lassen, dann ist das ziemlicher Unfug. „Eigene Kräfte stärken“ läuft an vielen Stellen.
Zweiter Punkt: Investitionen auch von außen stärken und ermöglichen. Wir wollen dafür den Garantierahmen auch für deutsche Unternehmen verbessern. Wenn ich heute sehe, wie wenig Investitionen aus Deutschland in Afrika bisher getätigt worden sind, wie viele gute Arbeitsplätze allein durch diese wenigen Investitionen aber schon geschaffen worden sind – das kann man in aktuellen Publikationen des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft nachlesen –, dann muss ich sagen: Das ist einfach der richtige Weg. Das müssen wir weiter stärken.
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Drittens – wir haben eben schon ein paar Zahlen dazu gehört –: Stärkung der Gesellschaft; das war das, was ich auch am Anfang gesagt habe. Wir brauchen bessere Korruptionsbekämpfung. Wir brauchen eine Stärkung der Gesellschaft. Das können wir erreichen, indem wir die Mittel für die Förderung der Medien stärken; denn das wird am Ende für mehr Kontrolle der Regierungen in Afrika sorgen, die sich leider in vielen Fällen einen Dreck um ihre eigene Bevölkerung kümmern.
Der vierte Punkt: Sicherheit und Entwicklung – wir haben das heute Nachmittag schon an mehreren Stellen besprochen – gehören einfach zusammen. Dafür ist die G-5-Sahel-Allianz-Konferenz hier in Berlin in der letzten Woche ein beredtes Beispiel gewesen. Ohne Sicherheit keine Entwicklung und ohne Entwicklung auch keine Sicherheit. Wir brauchen beides, gerade südlich unserer Grenzen. Das unterstützen wir, nicht nur mit Worten, sondern auch mit viel Geld. Es ist ein riesiger Aufwuchs auf 9,5 Milliarden Euro. Darauf kann man schon stolz sein, vor allen Dingen auf das, was damit bewegt wird. Das soll auch in Zukunft so sein.
Anja Hajduk hat eben gesagt: Im Haushaltsplan stehen weniger Verpflichtungsermächtigungen als in der Vergangenheit, als im vergangenen Jahr. – Ja, das ist aber kein Wunder. Im vergangenen Jahr standen allein 1,6 Milliarden Euro Verpflichtungsermächtigungen drin, weil wir uns im letzten Jahr, aber nur im letzten Jahr, verpflichtet haben, die Afrikanische Entwicklungsbank und die Weltbank in Zukunft mit mehr Geld auszustatten. Das steht in diesem Jahr natürlich nicht wieder drin.
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Also, auf dem Papier ist der Befund richtig. Es sind allein wegen dieses einen Details 1,6 Milliarden Euro Verpflichtungsermächtigungen weniger.
Ich fasse zusammen: Es ist richtig, dass wir eine ganze Menge Geld in diesem Bereich ausgeben, weil es erstens für uns ethisch wichtig ist – ein Gebot der Nächstenliebe –, weil es zweitens aber auch in unserem eigenen deutschen Interesse ist. Wir wollen hier weiterhin in Frieden und Freiheit und Wohlstand leben. Das können wir nicht, wenn jenseits unserer Grenzen bittere Armut herrscht.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Herr Klein, darf ich Sie bitten, noch einmal die Quelle anzugeben. Sie haben nur den Titel des Buches zitiert. Aber wir hätten fürs Protokoll gern noch die Angabe, von wem es geschrieben ist.
„Afrika – Europas Gemeinschaftsaufgabe Nr. 1“, 1951 erschienen, von dem Autor Anton Zischka.
Vielen herzlichen Dank. – Letzter Redner in dieser Debatte: Peter Stein für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Abgeordneter Kollege Minister Müller! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist seit 2014, seit ich dem AWZ angehören darf, eine sehr dankbare Aufgabe, jedes Jahr zum Haushalt einen Beitrag zu liefern, weil es jedes Jahr eine immer erfreulichere Darstellung ist, die wir im Haushalt vorfinden. An dieser Stelle vorab ein herzlicher Dank an alle, die bis dahin dazu beigetragen haben, insbesondere an die früheren und aktuellen Haushälter.
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Die Gelder, die dem Haus zur Verfügung gestellt werden, dienen einer vernünftig strukturierten, nachhaltigen und weltoffen orientierten Entwicklungszusammenarbeit. Sie steigen stetig und sind aktuell auf einer Höhe wie noch nie. Herr Minister Müller, Sie haben es sehr eindringlich gemacht. Ich glaube, die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion für noch mehr und für das, was insbesondere im nächsten Haushalt notwendig ist, haben Sie.
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Für die Verstetigung dieses Anstiegs finden sich sogar erhebliche Unterstützungen, beispielsweise zum Erhalt der ODA-Quote im neuen Migrationsplan von CDU und CSU. Lieber Kollege Kekeritz, ich finde es sogar richtig gut, dass es sich im ersten Drittel dieses Migrationsplans nahezu ausschließlich um Entwicklungspartnerschaft, Entwicklungszusammenarbeit und konkret auch um Projekte in Afrika dreht. Das ist eine gute Sache. Ich danke Ihnen, dass Sie es hier erwähnt haben.
Es sind 9,4 Milliarden Euro, die Minister Müller jetzt zur Verfügung hat. Es ist für uns eine gemeinsame Anforderung, mit diesen Mitteln auch vernünftig umzugehen. Es wurde schon mehrfach erwähnt: Die Projekte, die wir begleiten, vom kleinen bis zum großen, sind sehr zielführend, sind immer besser auf der Schiene. Ich glaube, wir können mittlerweile stolz auf das sein, was aus diesen Projekten im Ergebnis wird.
Da die Redezeit knapp ist, möchte ich mich einem kleinen Thema widmen: der Förderung des bürgerschaftlichen und kommunalen Engagements. Das ist die Titelgruppe 07. Hier stehen im Haushaltsplan insgesamt 263 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist einmal eine richtige Hausnummer für so einen eigentlich etwas unscheinbar daherkommenden Titel.
Unter dieser Titelgruppe finden sich verschiedene Ansätze. Einer davon ist die Verbesserung der kommunalen Zusammenarbeit. Darunter sind Mittel in Höhe von 20 Millionen Euro gefasst. Beispielsweise bündelt das Ministerium in der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt die Angebote, die von Politik und Verwaltung genutzt werden können. Es sind Angebote in die Zivilgesellschaft, in die Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur. Wir versetzen an dieser Stelle die beteiligten Kommunen in die Lage, Verantwortung für nachhaltige Entwicklung, für das globale Gemeinwohl zu übernehmen. Wir bekommen aus diesem Programmansatz auch eine ganze Menge zurück.
Der Kollege Ramsauer hat gesagt, wir sollen die Wirtschaft ins Boot holen. Ich sage: Wir sollen unsere 2,5 Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst und in den kommunalen Betrieben mit ins Boot holen. Sie verfügen über ein enormes Wissen in den verschiedensten Bereichen der Daseinsvorsorge, der Good Governance und der kommunalen Wertschöpfung. Ich glaube, das ist ein Potenzial, das wir viel zu lange nicht effektiv genug genutzt haben.
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Wir bekommen enorm viel zurück, weil jeder der Mitarbeiter, die in ein internationales Projekt abgestellt werden, mit neuen Erfahrungen, mit neuen technischen, aber auch globalen Kenntnissen zurückkommt. Diese Menschen werden in der Lage sein, uns zukünftig in den Bereichen Bildung und Weiterbildung in den Zielländern, aber auch bei den gerade für uns wichtigen Themen Integration und Fachkräftezuwanderung bei uns im Land weiterzuhelfen.
Denn jeder, der aus diesem internationalen Programm zurückkommt, kommt mit einem Wissensschatz über die Traditionen und die Probleme in den Zielländern zurück. Das ist wahrscheinlich auch eines der besten Programme, um Rechtsextremismus vorzubeugen. Ich behaupte einmal: Jeder Mensch, der bei solchen Programmen mitgemacht hat, wird auf jeden Fall eines nicht wählen: die AfD.
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Aktuell werden, soweit ich informiert bin, 465 Kommunen aus Mitteln des BMZ unterstützt. Der Minister hat auf einer Veranstaltung schon einmal 1 000 Kommunen als Zielzahl ausgegeben. Ich behaupte sogar: Wir haben schon viel mehr aktive Städte und Kommunen, wir kennen sie bloß nicht alle. Ich glaube, es ist ganz wichtig, diese vielen kleinen Initiativen und Projekte kennenzulernen, sie zusammenzuführen, sie anzusprechen, eine Plattform des Austausches zu bilden und eine Hilfe anzubieten, die eine viel niedrigere Bürokratieschwelle darstellt, als wir es derzeit haben. Ich könnte mir vorstellen, mit kleinem Mittelansatz beispielsweise beim Städtetag oder einem Landkreistag Unterstützung zu geben, wo Dinge informell angeschoben werden können, gerade im Erstkontakt, wenn es darum geht, ein Projekt aufs Gleis zu schieben.
In diesen Projekten entstehen persönliche Kontakte, die auch für weitere Projektansätze hilfreich sind. Dies geschieht beispielsweise im Bereich Bildung und Ausbildung, Sport, Kultur, aber auch im Bereich der Wirtschaft. Es beinhaltet den studentischen Austausch, aber auch den religiösen Austausch. Kurz: Diese Projekte sind überall dort zu finden, wo wir noch mehr voneinander lernen müssen, wo wir ein Verständnis zwischen Menschen, zwischen Religionen, zwischen Ethnien, zwischen Staaten auf dieser Erde aufbauen müssen. Das geht nur von Mensch zu Mensch.
Wir müssen diese Menschen – ich sprach von 2,5 Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im öffentlichen Dienst – mitnehmen. Das geht nicht nur mit Ministerien und unseren Durchführungsorganisationen. Das müssen wir viel breiter machen. Ich glaube, die Bereitschaft und das Potenzial in unserem Land sind enorm.
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Abschließend möchte ich noch auf einen Punkt hinweisen, der mir überall bewusst wird, wo ich in den Auslandseinsatz gehe: Wir brauchen eigentlich auch eine feste Adresse – vielleicht ein „Deutsches Haus“ –, auf die man sich über Jahrzehnte verlassen kann. Das wäre die Adresse in Tunis, in Kairo, in Rio de Janeiro, wo deutsche Unternehmen einen Ansprechpartner haben, wo das Goethe-Institut seinen Sitz haben kann, wo Angebote für Sprach- und Kulturkurse gemacht werden können, aber auch für das, was in Zukunft im Bereich der Migrationsberatung aufs Gleis gesetzt werden soll.
Ich glaube, als letzter Redner darf ich uns jetzt allen einen schönen Abend wünschen, ohne Ihnen, Frau Präsidentin, vorzugreifen. Ich nehme mir das unter Kollegen einmal heraus und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Kollege Stein. Sie dürfen auch als vorletzter oder als vorvorletzter Redner einen schönen Abend wünschen. Das tue ich sowieso auch noch einmal. – Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23 – Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 23 ist angenommen. Zugestimmt haben die SPD- und die CDU/CSU-Fraktion. Dagegen waren die Fraktion Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, die FDP- und die AfD-Fraktion.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 5. Juli 2018, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ihnen einen schönen Abend.
(Schluss: 19.00 Uhr)