Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/29/2018

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Griechenland wird das dritte Hilfsprogramm planmäßig am 20. August 2018 beenden. Damit kann Griechenland die Rettungsschirme nach acht Jahren verlassen und hat die Chance, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Das ist eine gute Nachricht, und es ist eine gute Nachricht, die sich an andere anschließt: So ist es zum Beispiel der Europäischen Union und der Euro-Gruppe gemeinsam gelungen, mit ihren Hilfsmaßnahmen auch Portugal und Irland, als sie in einer großen finanziellen Schwierigkeit waren, zu helfen. Nun ist die dritte europäische Nation gewissermaßen als Ergebnis europäischer Solidarität aus den Hilfsnotwendigkeiten herausgekommen und kann wieder auf eigenen Beinen stehen. Ich glaube, das zeigt, dass Europa eine große Stärke hat und dass wir in der Kooperation gemeinsam auch die Herausforderungen der Zukunft bewältigen können. ({0}) Dass es in Europa um Kooperation geht, das diskutieren wir in diesen Tagen auch aus anderen Gründen. Deshalb will ich ausdrücklich sagen: Dass die Staatschefs der Europäischen Union gestern Nacht gemeinsame Positionen zur Frage der Asyl- und Migrationspolitik gefunden haben, ist ein großer Fortschritt. Ich glaube, das ist eine gute Grundlage für die Herausforderung, die Europa im Umgang mit der Fluchtmigration hat – ein guter Erfolg für uns alle. ({1}) Das von der Euro-Gruppe vereinbarte Paket, das ich Ihnen heute vorstelle, umfasst eine sehr breite Unterstützung. Ich will ausdrücklich darum bitten, dass der Deutsche Bundestag die Maßnahmen, die wir hier beantragen, unterstützt, und freue mich, wenn Sie das dann am Ende der Debatte auch tun werden. Was ist geschehen? Wir haben uns darüber unterhalten, wie sich die Entwicklung in Griechenland in den letzten Jahren zugetragen hat. Wenn man dort genau hinschaut, dann stellt man fest: Es sind sehr, sehr viele Reformen unternommen worden. Das ist jetzt auch noch einmal miteinander festgestellt worden. Griechenland ist auf einem guten Weg. Das war eine große Anstrengung der Regierung, des Parlamentes, aber vor allem der Bürgerinnen und Bürger Griechenlands, die viel auf sich genommen haben. ({2}) Der größte Teil der Hilfe, die wir geleistet haben als Europäer, ist die Zurverfügungstellung unserer Fähigkeiten, Kredite aufzunehmen und sie weiterzugeben. Manchmal verwechselt das der eine oder andere in der politischen Debatte: als ob es um Direktzahlungen geht, wenn man Kredite verleiht. Aber das ist ein großer Irrtum, und es bleibt auch einer, wenn man ihn wiederholt. ({3}) Denn tatsächlich geschieht hier nur etwas, was im Falle von Irland und Portugal ja schon gut geklappt hat. In dem Augenblick, in dem ein Land seinen Zugang zu den Finanzmärkten verliert, sorgen wir dafür, dass dieser Zugang mit unserer Hilfe erhalten bleibt. Aber die Kredite, die dann gemeinschaftlich aufgenommen werden – in diesem Fall über die EFSF oder den ESM –, werden auch wieder zurückgezahlt. ({4}) Selbstverständlich umfasst dies einen ganz langen Zeitraum. Aber auch Deutschland hat manche Kredite, die es in einer schwierigen Situation aufgenommen hat, erst vor wenigen Jahren zurückgezahlt. Dass solche Dinge langfristig sind, gehört zur Natur der Sache dazu. ({5}) Deshalb glaube ich, dass es richtig ist, was wir jetzt machen, und dass wir die notwendigen Schritte jetzt gehen. ({6}) Wir haben eine letzte Tranche von 15 Milliarden Euro bewilligt. Die eigentliche Botschaft sind nicht die 15 Milliarden Euro, sondern ist, dass mit dieser letzten Tranche keineswegs die gesamten Kapazitäten, die der ESM Griechenland in Aussicht gestellt hat, ausgeschöpft worden sind. Das heißt, dass alles das, was wir ermöglicht haben, von dem wir gesagt haben: „Das könnte möglicherweise in Anspruch genommen werden“, gar nicht in Anspruch genommen wird. Diese letzte Tranche dient dazu, den Übergang für die Rückkehr zu der Refinanzierung über die Kapitalmärkte zu begleiten. Genauso haben wir es bei Portugal und Irland gemacht, und genauso wird das bei Griechenland funktionieren. ({7}) Klar, das ist ein langes Programm gewesen. Deshalb ist die Hilfe hier auch etwas größer. Aber wir haben das auch ergänzt durch weitere Entscheidungen, die für die Zukunft wichtig sind – zum Beispiel, indem wir mit einer Laufzeitverlängerung und einer Zinsstundung Krediterleichterungen schaffen. Das ist etwas, was wir allerdings schon in Aussicht gestellt haben – 2016.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Bundesminister Scholz, der Kollege Ehrhorn, AfD, möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie das?

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Ja.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte, Herr Kollege.

Thomas Ehrhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004707, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Minister, ich hatte Sie vorgestern mit einer Frage konfrontiert und ausgeführt, dass der Bundestag im August 2015 dem dritten Rettungspaket zugestimmt hat, aber unter einer einzigen wichtigen Voraussetzung, nämlich der, dass der IWF an diesem Rettungspaket beteiligt sein würde. Diese Beteiligung hat es nicht gegeben. Ich rede hier explizit, so wie vorgestern auch, vom dritten Rettungspaket. ({0}) Sie haben daraufhin behauptet, das sei nicht so; der IWF sei beteiligt. Dies ist leider nicht der Wahrheit entsprechend. Deswegen habe ich Sie schon vorgestern gefragt und wiederhole diese Frage heute: Wie können Sie, nachdem die Geschäftsgrundlage für die Zustimmung des Bundestages nun erloschen ist, jetzt eine weitere Auszahlung dieses Rettungspaketes befürworten? ({1}) Danke schön. ({2})

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Schönen Dank für Ihre Frage. Denn dadurch, dass Sie wiederholt die gleiche Frage stellen, kann ich Ihnen wiederholt die gleiche Antwort geben. ({0}) Das ist manchmal ganz wichtig, weil es zu einem politischen Stil gehört, gewissermaßen falsche Wahrnehmungen in der Öffentlichkeit zu produzieren, indem man Fragen stellt und dabei immer den Eindruck erweckt, als ob damit schon eine Information verbunden ist. Die Information, die in Ihrer Frage steckt, ist falsch. ({1}) Wir haben gesagt: Wir wollen den IWF dabeihaben. – Und der IWF ist dabei. Er hat Kredite in Höhe von 10 Milliarden Euro laufen, die bis etwa 2024 zurückzuzahlen sind und deshalb in diesem Programm eine Rolle spielen. Weil der IWF sich natürlich um sein Geld kümmert, wie man sich leicht vorstellen kann, ({2}) ist er auch bei der Nachprogrammüberwachung dabei. Was wir uns überlegt haben, ist, ob es eigentlich Sinn macht, dass wir uns jetzt, obwohl wir nicht einmal den ESM-Kreditrahmen ausschöpfen, vom IWF noch weitere 1,6 Milliarden obendrauf geben lassen, um dann gewissermaßen in einer Situation zu sein, die wir so auch schon haben. ({3}) Das ist etwas, was wir nicht machen. Deshalb wiederhole ich ausdrücklich: Der IWF ist dabei. Er wird in der Nachprogrammüberwachung dabei sein. Das, was der politische Zweck der Beschlüsse dieses Hauses war, wird auch erreicht. ({4}) Im Übrigen wäre ich zu diesem Punkt noch gekommen. Dann kann ich ihn weiter hinten in meiner Rede weglassen. ({5}) Um es noch einmal zu sagen: Wir verlängern die Zahlungszeiträume. Das hilft bei der Kredittragfähigkeit und sorgt dafür, dass über die lange Zeit die Rückkehr zu einer Refinanzierung über die Kapitalmärkte besser gelingen kann, indem das dann schon viele Jahre eingeübte Praxis sein wird. Das ist ja das, was wir erreichen wollen. Außerdem verzichten wir auf einen Zinsaufschlag – auch das war in den Beschlüssen 2016 und 2017 schon angekündigt worden –, und wir gehen wieder dazu über, dass wir die Gewinne der Zentralbanken, die sie aus den anfangs gegebenen bilateralen Darlehen erhalten haben, für die griechische Politik erreichbar machen, ({6}) insbesondere damit sie mit ihren Schulden dann besser zurechtkommen können. ({7}) Das sind all die Dinge, die jetzt auf dem Weg sind und für die wir um Ihre Zustimmung bitten. Dazu gehört allerdings auch, dass wir vereinbart haben – ich bin eben schon darauf zu sprechen gekommen –, dass es eine Nachprogrammüberwachung geben wird. Denn das wollen wir natürlich auch: dass die Anstrengungen, die die Bürgerinnen und Bürger Griechenlands und die Regierung unternommen haben, jetzt nicht aufhören und vergeblich sind, sondern wir wollen gerne, dass die Politik, die Griechenland in Zukunft entwickelt, sich weiter entsprechend den Reformmaßnahmen der letzten Jahre orientiert. Klar werden die Spielräume etwas größer, und sie werden umso größer, je größer der wirtschaftliche Erfolg des Landes ist. Aber es ist auf alle Fälle so, dass wir mit dieser Nachprogrammüberwachung sicherstellen, dass Griechenland auch in Zukunft weiter die Reformpolitik verfolgt, die in den letzten Jahren eingeschlagen worden ist. Meine Damen und Herren, ich will zum Schluss kommen und sagen: Es ist ein Zeichen europäischer Solidarität, das wir hier geben, ({8}) indem wir deutlich machen, dass wir gemeinsam sehr stark sind. Das ist im Übrigen auch ein Zeichen, das notwendig ist. Denn wir haben eine gemeinsame Währung, den Euro. Wir wollen eine wirtschaftliche Macht sein, die auf Augenhöhe handeln kann: mit China, den Vereinigten Staaten von Amerika und großen anderen Wirtschaftsnationen der Zukunft, die jetzt dabei sind, eine Größenordnung zu erreichen, die uns sehr beeindrucken wird. Wenn wir das erreichen wollen, dann werden wir das als Europäische Union nur gemeinsam können und indem wir zeigen, dass wir, weil wir zusammenhalten, in der Lage sind, die großen Probleme unserer Zeit zu lösen – die Probleme, wie wir unsere Wirtschaft organisieren und wie die Staatsfinanzen sich entwickeln –, indem wir zeigen, dass wir eine starke gemeinsame Währung und wirtschaftliches Wachstum haben, aber dass wir auch mit solchen Herausforderungen umgehen können wie zum Beispiel der Fluchtmigration. Schönen Dank. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Peter Boehringer, AfD-Fraktion. ({0})

Peter Boehringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004675, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In der heutigen Vorlage steht auf 480 Seiten eigentlich nur eines: Griechenland bekommt eine weitere Finanzspritze in Milliardenhöhe. Konkret: Der Tilgungsbeginn für sonst bald fällige EFSF-Kredite soll nun erst weit nach 2030 liegen. Und: Deutschland verzichtet auf hohe Zinserträge. Das alleine wäre schon das Schnüren eines Rundum-Sorglos-Pakets für Griechenland. Bei Kreditlaufzeiten von nun 43 Jahren im Schnitt bei faktischer Zins- und Tilgungsfreiheit denkt kein Schuldner auch nur ansatzweise noch über Rückzahlung oder Bewirtschaftung dieses Kredites nach. Das ist schon per se unnatürlich. ({0}) Und insbesondere Politiker interessieren Rückzahlungen Jahrzehnte nach ihrer Amtszeit schon gar nicht mehr. Da hilft auch keine Nachprogrammüberwachung, wie Sie es gerade genannt haben, Herr Minister. Das können Sie in diesem Punkt vergessen. Jeder Anleiheprofi wüsste: Hier wäre eine sofortige Vollabschreibung fällig. ({1}) Doch was dem Bundestag stattdessen heute auch noch vorgeschlagen wird: Wir sollen sogenannte Zinsgewinne an Griechenland zurückzahlen, die angeblich durch Kreditvergabe der EZB entstanden sind. Zunächst einmal: Nur Ideologen können überhaupt von „Zinsgewinnen“ sprechen, wenn Zinserlöse gemeint sind. Bereits die erhobenen winzigen Zinssätze waren 2010 ein riesiges Geldgeschenk. Es wurden gewaltige Ausfallrisiken praktisch zu Nullkosten von uns, vom deutschen Steuerzahler, mit übernommen. Die Risikokomponente des Zinses entspricht in einem freien Markt der Ausfallwahrscheinlichkeit des Kredits. Und in der Praxis gab es ja diese Ausfälle bereits: Bei den griechischen Schuldenschnitten 2012 wurden dem Land 47 Milliarden Euro erlassen – 14 Milliarden Euro davon von Deutschland. Die damals noch private Hypo Real Estate hat damals 9 Milliarden Euro verloren und musste in der Folge verstaatlicht werden. Das hat der Bund bis heute auf den Büchern. So viel zu „Wir verdienen an der Griechenland-Rettung“ oder „Kredite sind keine Zahlungen“, Herr Minister. ({2}) Und doch wird dem Bundestag heute ernsthaft eine Abführung dieser fiktiven Zentralbankgewinne an Griechenland vorgeschlagen. Hier findet eine vorgezogene Ausschüttung von temporären, nicht realisierten Buchgewinnen von angeblich ach so unabhängigen Zentralbanken statt. So etwas muss man sich erst einmal ausdenken. Das ist nicht nur eine faktische Einmischung in die Ausschüttungspolitik dieser ach so unabhängigen Zentralbanken, sondern im Prinzip eine Pervertierung des Geschäftsmodells des Kreditwesens. ({3}) Genauso wie bei einer Versicherung ist natürlich auch hier das Risiko eines Schadenfalls zu vergüten. Rückerstattungen von Versicherungsbeiträgen, nur weil gerade mitten in der Laufzeit halt mal kein Schaden entstanden ist, würden die gesamte Versicherungsmathematik und das Kreditwesen auf den Kopf stellen. Wenn die Kreditabteilungen von privaten Banken so arbeiten würden, dann wären sie alle innerhalb eines Jahres pleite. ({4}) Vereinbart ist nun in diesem Konvolut – viertens – sogar noch ein explizites Geschenk an Griechenland in Form eines Cashpuffers über 15 Milliarden Euro, wohlgemerkt an ein doch angeblich gerettetes Land; das ist die offizielle Erzählung. Nun, kein Finanzprofi glaubt bei 175-Prozent-BIP-Verschuldung Griechenlands heute noch die Lüge von der Schuldentragfähigkeit Griechenlands ({5}) oder, wie es hier eben genannt wurde, Herr Minister: Griechenland kann nun wieder auf eigenen Beinen stehen. – Das ist wirklich Realsatire. Aber klar, wenn ein Land keinen Zins und keine Tilgung über Jahrzehnte leisten muss, kann es jeden Schuldenberg tragen. Doch das wäre, als ob man einen Gelähmten für gesund erklärte, nur weil er sich gerade nicht bewegen muss. ({6}) Eine prophylaktische Auszahlung von 15 Milliarden Euro an ein offiziell bereits stabiles Land ist den Bürgern nicht vermittelbar. Die AfD-Fraktion im Haushaltsausschuss hat darum vorgestern per Dringlichkeitsantrag nach § 5 ESM-Finanzierungsgesetz versucht, für den Deutschen Bundestag die Reißleine zu ziehen. Alle anderen Fraktionen haben dieses Ansinnen abgelehnt. Sie sind direkt verantwortlich für die Vollabschreibung mit Ansage von zunächst 15 Milliarden Euro beim ESM; das ist absolut sicher in der Zukunft. ({7}) Wenn der Bundestag heute die weiteren eben genannten absurden Planungen nicht stoppt, dann werden alle Fraktionen – von links bis FDP – auch für den weiteren Kreditschaden verantwortlich sein. Je nach Rechnung – das steht hier auch drin – wird sich das bei Ausfall der Kredite und Zinsen auf bis zu 50 Milliarden Euro aufsummieren. Also: Was von Deutschland hier verlangt und dem Bundestag heute zugemutet wird, ist ein durch keine ökonomische oder vertragliche Logik zu rechtfertigendes Milliardengeschenk Deutschlands, dem Steuerzahler verkauft über die weiterhin anhaltende absurde Propaganda- und Moralkeule: Ihr dürft doch nicht von Griechenlands Not profitieren, und dem Euro geht es übrigens wieder bestens. – Die hier vorgeschlagenen Maßnahmen sind eine weitere Konkursverschleppung des Euro auf Steuerzahlerkosten, ({8}) nur um keine Kreditabschreibung und keinen Offenbarungseid der verfehlten Euro-Rettungspolitik leisten zu müssen, nur damit Sie, Herr Minister Scholz, weiterhin sagen können, Kredite seien keine Zahlungen. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Eckhardt Rehberg, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich manche Rede zu Griechenland in den letzten acht Jahren Revue passieren lasse, dann fallen mir auch viele Aussagen zu Irland, Portugal, Spanien und Zypern ein. Wir haben nun das fünfte Land guten Gewissens dahin gebracht, dass es sich zukünftig wieder auf dem Kapitalmarkt wird refinanzieren können. Wenn hier so getan wird, als ob wir zu viel Solidarität geleistet haben, dann frage ich immer wieder: Wer ist der Hauptprofiteur einer stabilen, regelbasierten Euro-Zone? Das ist die Bundesrepublik Deutschland. ({0}) Ich finde, das muss man herausstreichen, gerade in einer schwierigen Zeit, auch – Herr Scholz, Sie sind darauf eingegangen – nach der Nacht von gestern. Wenn wir die Euro-Zone nicht hätten, würden wir auch auf anderen Gebieten nicht zu Lösungen kommen. Wer wirklich meint, dass jeder in Europa mit seiner eigenen Währung den Herausforderungen der Globalisierung standhalten kann, dem sei ins Stammbuch geschrieben: Wenn wir diesen europäischen Weg in den letzten Jahren und Jahrzehnten trotz vieler Schwierigkeiten nicht gegangen wären, dann wären wir in Europa und wir in Deutschland nicht bei dem Wohlstand, den wir heute haben. ({1}) Natürlich kann man immer wieder die Frage stellen: Warum sind die Griechen da reingerutscht? ({2}) Anfang der 2000er-Jahre war der Beitritt in die Euro-Zone. 2010 war der Beginn der Krise. Ja, die Griechen haben über ihre Verhältnisse gelebt: ({3}) 13 Prozent Defizit im Haushalt. Aber ich glaube, es gab keinen anderen Weg, als Griechenland mit Konditionierungen, mit Reformen dahin zu bringen, wo es heute ist. ({4}) Sie sind noch nicht überall über den Berg; nein, das ist nicht so. Aber ohne die Hartnäckigkeit, ohne die Konsequenz, die in den letzten Tagen Bundesfinanzminister Scholz bewiesen hat und die auch sein Vorgänger gezeigt hat, wäre man nicht da. Lieber Wolfgang Schäuble, ich weiß, Sie hören das nicht gerne. Aber ich möchte Ihnen ausdrücklich danken für Ihre Konsequenz, für Ihre Hartnäckigkeit. Die Euro-Zone, Griechenland, die Reformländer wären heute nicht dort, wenn Sie nicht so aktiv und engagiert gearbeitet hätten. Ein herzliches Dankeschön! ({5}) Gerade heute wurde wieder eine mediale Sau durchs Dorf getrieben. Da gibt es einen Professor Meyer, der meint, dass Griechenland einen Schuldenschnitt, einen Schuldenerlass von bis zu 336 Milliarden Euro bekommt, wobei Deutschland mit 52 Milliarden Euro dabei ist. Ich kann diesem Professor nur eins sagen: Wenn die Zahl 336 Milliarden Euro stimmt, dann sind wir mit 94 Milliarden Euro dabei, weil wir 28 Prozent zu tragen haben. Also, eins von beiden kann nicht stimmen. ({6}) Lieber Johannes Kahrs, dieser Professor soll an der Universität der Bundeswehr in Hamburg tätig sein. Ich glaube, das sollte man kritisch hinterfragen. Genau an einem solchen Morgen so einen Unsinn in die Welt zu setzen: Von Chefvolkswirten oder von volkswirtschaftlich Gebildeten habe ich gelegentlich die Nase voll. Ich kann Professor Meyer nur sagen: Holen Sie einen Zettel und einen Bleistift raus, rechnen Sie noch mal nach! Es ist dummes Zeug. Ich glaube eher den Zahlen des Bundesfinanzministeriums. ({7}) – Wissen Sie, ich höre dieses Gelächter, meine Damen und Herren der AfD, seit zehn Jahren hier in diesem Hause, wenn es um unsere Hilfsprogramme für Länder der Euro-Zone geht. Ich kann Ihnen nur eins sagen: So wie Irland, so wie Spanien, so wie Portugal, so wie Zypern Kredite mittlerweile umgeschuldet und zurückgezahlt haben, bin ich optimistisch, dass auch bei den Griechen der Groschen gefallen ist und dass sie eine gute Zukunft haben werden. Da bin ich optimistisch, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Herr Minister Scholz, Sie legen uns heute vier Punkte vor – eine Stellungnahme, drei Beschlüsse. Ich kann zu den Dingen, die wir heute beschließen sollen, nur sagen: Das ist alles in der Euro-Gruppe in den letzten Jahren vereinbart worden. Es spiegelt sich in den Beschlüssen des Deutschen Bundestages wider. Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, Christian Lindner fängt jetzt an, das Märchen von einem vierten Programm zu erzählen. Nein, wir schließen das dritte Programm ab, schöpfen es nicht mal voll aus. Deswegen ist das vierte Programm ein Märchen. ({9}) Wenn Sie meinen, wir sind im vierten Programm, kann ich nur eins sagen: Wenn wir Ihrer Auffassung nach gegen geltendes deutsches Verfassungsrecht verstoßen, laufen Sie nach Karlsruhe, verklagen Sie uns. Ich sage Ihnen: Sie werden kein Recht bekommen. Wir sind im dritten Programm und nicht im vierten Programm. ({10}) Lassen Sie mich zum Schluss noch ein Wort zum IWF sagen. Übrigens, nach meiner Erinnerung hat nicht der Deutsche Bundestag beschlossen, dass der IWF sich beteiligen soll. Wohl haben wir als Unionsfraktion immer gesagt: Er soll dabei sein. – Und der IWF war dabei. Der IWF war beim dritten Programm dabei, gemeinsam mit der EZB, mit dem ESM und mit der EU-Kommission. Jetzt muss man sich schon die Frage stellen – ich habe das auch öffentlich sehr frühzeitig getan –: Für welchen Preis hält man den IWF auch fiskalisch dabei? Der IWF wollte, dass 10 Milliarden Euro umgeschuldet werden. Herr Minister Scholz, ökonomisch wäre das sogar vernünftig gewesen; denn IWF-Kredite sind nicht ganz billig. Aber – ein Schelm, wer Böses dabei denkt – dafür wollte er mit 1,6 Milliarden Euro einsteigen. Ein gutes Geschäft? Ein schlechtes Geschäft, meine ich. Das Zweite – ich will da nicht zu doll aus dem Nähkästchen plaudern –: Der IWF hatte viel weiter gehende Vorstellungen, was das Thema Schuldenerleichterung/Schuldenstreckung betrifft. Der IWF hatte ganz andere Vorstellungen, was auch Puffervergrößerungen betrifft usw. usf. Wenn Sie sich die Schuldentragfähigkeitsanalyse des IWF aus dem Jahr 2016 anschauen, werden Sie feststellen: Es hätte nach seiner Maßgabe all dieses, was wir heute auf den Weg bringen, nicht geholfen. Deswegen ist es eine gute Entscheidung gewesen, zu sagen: Die Bedingungen sind so. Herr Minister Scholz, ich weiß, Sie haben hartnäckig verhandelt. Ich kann uns nur raten, zuzustimmen. Ich bin der festen Überzeugung, dass in Griechenland wirklich vieles auf den Weg gebracht worden ist; das ist bei weitem nicht am Ende. Herr Kollege Boehringer, wenn Sie von einer sofortigen Vollabschreibung reden – ich kann nur eines mit auf den Weg geben –: Es geht hier, nebenbei, auch noch um Menschen. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Christian Dürr, FDP. ({0})

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Rehberg, Sie sagen: Wir sind im dritten Programm, nicht im vierten. – Das ist ja keine Fernsehsendung hier. In der Nacht vom 21. Juni auf den 22. Juni haben die Finanzminister der Euro-Gruppe ein umfangreiches Paket vereinbart, ein Paket aus Schulden­erleichterungen, zusätzlichen Bedingungen, einer erweiterten Überwachung und einem weiteren Cashpuffer in Höhe von 15 Milliarden Euro. Meine Damen und Herren, wir müssen uns an dieser Stelle ehrlich machen: Was ist das anderes ({0}) als ein viertes Griechenland-Paket, meine Damen und Herren? Alles andere wäre Augenwischerei. ({1}) Herr Kollege Rehberg, das ist ein Paket vor allen Dingen auch aus Schuldenerleichterungen. Es gibt eine zusätzliche Zinsersparnis, nämlich eine Senkung der ursprünglich vereinbarten Verzinsung. Die Buchgewinne aus dem Erwerb griechischer Staatsanleihen sollen an Griechenland ausgezahlt werden. Das sind keine echten Gewinne, nebenbei gesagt, sondern: Die EZB hat in einer Phase angekauft, als niemand griechische Staatsanleihen eingekauft hat, ({2}) zu einem besonders niedrigen Zins, meine Damen und Herren. Und: Der Beginn der Tilgung und die Zinszahlung werden um weitere zehn Jahre von 2022 auf 2032 verschoben – plus eine Laufzeitverlängerung dieser Kredite um weitere zehn Jahre. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch an dieser Stelle müssen wir uns ehrlich machen. Sie haben gesagt: Der IWF wollte einen Schuldenschnitt, den wir nicht wollten. – Das, meine Damen und Herren, ist ein faktischer Schuldenschnitt für Griechenland, um das auch in aller Klarheit zu sagen. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Dürr, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hagedorn, SPD?

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte schön, Frau Staatssekretärin.

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Kollege Dürr, wir hatten in den letzten Wochen schon häufig Gelegenheit, über dieses Thema im Haushaltsausschuss zu diskutieren, und darum muss ich Ihnen schon sagen, dass ich es ein bisschen befremdlich finde, dass Sie uns im Haus hier jetzt schon zum zweiten Mal ermahnt haben, dass wir uns ehrlich machen sollen. ({0}) Denn das, was Sie hier gerade gesagt haben, entbehrt jeder Form der Ehrlichkeit. ({1}) Sie bedienen hier wirklich Ressentiments, möglicherweise auch die „Bild“-Zeitung, ({2}) indem Sie behaupten, es sei ein viertes Paket, ({3}) obwohl Sie ganz genau wissen, dass es das dritte Paket ist und dass in diesem dritten Paket vor vielen Jahren knapp 86 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt worden sind, von denen jetzt ungefähr 25 Milliarden Euro gar nicht gebraucht werden, ({4}) und das ist eine gute Botschaft. ({5}) Das ist eine Botschaft des Erfolgs für Europa und für Deutschland. Ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie hier in diesem Hohen Hause ({6}) solche, entschuldigen Sie bitte, Dinge verbreiten, die schlicht nicht wahr sind. Das ist Diffamierung. ({7})

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Hagedorn, ich will das nur in aller Klarheit sagen – ich werde auch gleich noch mal aus den Debatten genau zu diesem Thema zitieren, die hier 2015 geführt wurden, als die FDP nicht im Deutschen Bundestag war; dann können wir über Ehrlichkeit reden an der Stelle –: Wenn man nachträglich Bedingungen eines festgelegten Pakets ändert, wenn man nachträglich der Auffassung ist, dass mehr Liquidität rein muss, als ursprünglich vereinbart war, wenn man nachträglich Zinsen senkt, dann sind das faktische Schuldenerleichterungen, und dann ist das ein neues Paket. Alles andere, Frau Kollegin, ist irrational. ({0}) Jetzt will ich Ihnen sagen, wie das Hohe Haus 2015 hier diskutiert hat, und den damaligen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zitieren. Im Rahmen der Debatten über das dritte Hilfspaket für Griechenland hat Schäuble klar gesagt: Wiederum ist auch klar, dass ein Schuldenschnitt nicht möglich ist. Und weiter – Stichwort „IWF“ –: Für die Bundesregierung ist unabdingbar, dass der Internationale Währungsfonds mit seiner besonderen Expertise bezüglich Staatsschuldenkrisen weiter an Bord bleibt. Und zum Schluss: Die Euro-Gruppe ihrerseits hat entsprechend der Position der Bundesregierung klar gesagt, dass eine weitere Beteiligung des Internationalen Währungsfonds an diesem Programm auch finanziell unverzichtbar ist. ({1}) Herr Rehberg, Sie haben gerade von „regelbasiert“ gesprochen. Das sind die Regeln, die der Deutsche Bundestag selbst aufgestellt hat. An die wird sich jetzt nicht gehalten, und das ist es, was die Menschen in Deutschland stört, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Frau Hagedorn, Sie haben auch auf die Entwicklung in Griechenland Bezug genommen und gesagt, nicht alles, was im Rahmen des ESM möglich gewesen wäre, sei ausgeschöpft worden; das war ja gerade Ihre These. Ich will in aller Klarheit sagen: Die Entscheidung, die hier die Finanzminister der Euro-Gruppe getroffen haben, ist auch aus einem anderen Grunde nicht gerechtfertigt. Gemessen an den Erwartungen im Zusammenhang mit den bisherigen drei Rettungspaketen steht Griechenland tatsächlich besser da, als ursprünglich erwartet, meine Damen und Herren. Es gibt bessere Wachstumsprognosen. Der Haushaltsüberschuss ist höher als erwartet. Wenn man jetzt aber, nach drei Paketen, feststellt, dass Griechenland heute besser dasteht, als ursprünglich erwartet, vor welchem Hintergrund kann man dann noch weitere Schuldenerleichterungen zulassen? Das ist eine Logik, die die Menschen in Deutschland nicht verstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Wenn man die Bedingungen hinsichtlich der nach dem ESM-Vertrag zwingend erforderlichen Schuldentragfähigkeit beim dritten Paket jetzt nachträglich ändert, meine Damen und Herren, dann war die Schuldentragfähigkeit offensichtlich schon damals, 2015, nicht gegeben. Das ist übrigens die Kontinuität bei den Freien Demokraten an dieser Stelle: Wir haben schon 2015, nachdem wir die ersten beiden Rettungspakete hier im Deutschen Bundestag mit verabschiedet haben, gesagt, dass der Verzicht auf eine entsprechende Regelung ein Fehler ist. Es war damals ein Fehler, und es ist heute ein Fehler. Dabei bleibt es, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Entscheidend ist doch – das ist mir wichtig –, welchen Kurs Griechenland langfristig einschlägt; denn es ist, wie hier alle Kollegen zu Recht gesagt haben, ein sehr langfristiges Paket, über das wir hier reden. Wird Griechenland langfristig einen Weg wie Irland einschlagen, mit marktwirtschaftlichen Reformen, oder wird man in Athen angesichts der Erleichterungen eher bei den Reformbemühungen nachlassen? Meine Damen und Herren, ich will in diesem Zusammenhang an die Situation der Bundesrepublik Deutschland Anfang des vergangenen Jahrzehnts erinnern: Deutschland war damals der kranke Mann Europas. Es waren mutige Reformen einer rot-grünen Bundesregierung mit weitgehender Unterstützung der damaligen schwarz-gelben Opposition, die Deutschland in Europa aus eigener Kraft wieder haben wirtschaftlich erstarken lassen, meine Damen und Herren. ({5}) Ich glaube, dass mutige Reformen, die – unabhängig von Konjunkturzyklen – ein Land langfristig erfolgreich machen, aus eigenem Willen geschehen müssen. Die Agenda 2010 wäre so in Deutschland nie gekommen, wenn sie aus Brüssel, London oder Berlin aufoktroyiert worden wäre. ({6}) Deswegen muss es Griechenland aus eigener Stärke schaffen – das ist die Botschaft –, und da bin ich durchaus zuversichtlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. Durch dieses finanziell großzügige und gleichzeitig politisch sehr enge – Stichwort „Bedingungen“ – und langwierige Schlusspaket nehmen wir Griechenland aus meiner Sicht die Chance, eine eigene Reformpolitik zu entwickeln. Es ist ein Paket der dauerhaften Fremdbestimmung. Diese Fremdbestimmung ist genau das, was falsch läuft. Wir haben immer gesagt: Wir stehen bereit, wenn die gesamte Währungszone in Gefahr ist; ich glaube, dann kommt auch die Solidarität der deutschen Steuerzahler zum Tragen. ({7}) Aber wenn es nur darum geht, einem einzelnen Land von europäischer Seite seine Reformbemühungen zu diktieren, dann wird das langfristig keine erfolgreiche Euro-Rettungspolitik sein, meine Damen und Herren. Das muss sich ändern, auch in der Bundesregierung, um das in aller Klarheit zu sagen. ({8}) Wir stellen fest: Finanziell ist der Internationale Währungsfonds bei diesem Schlusspaket nicht mehr an Bord. Faktisch ist es ein Schuldenschnitt, tatsächlich ist es ein viertes Griechenland-Programm. ({9}) Ich will in Richtung der Kolleginnen und Kollegen der Union sagen: Das ist das Gegenteil dessen, was die Union ihren Wählerinnen und Wählern – und übrigens auch ihren eigenen Mitgliedern – versprochen hat. Ich glaube, es gibt die Bereitschaft der Menschen, in der Währungszone zu helfen, aber nur dann, wenn man sich am Anfang und am Ende an die Regeln hält. Ich komme zum Ende. Ich frage mich, ob dieses Ergebnis statt unter einem Bundesfinanzminister Scholz auch unter einem Bundesfinanzminister Schäuble so zustande gekommen wäre? Ich weiß es nicht. ({10}) Aber war es klug, sich in einer entscheidenden Phase der Zukunft der europäischen Finanz- und Währungspolitik durch innerkoalitionäre Streitereien auch auf europäischer Ebene erpressbar zu machen? Nein, meine Damen und Herren, liebe Kollegen der Union, dieses Verhalten der letzten Wochen war im Hinblick auf die Finanzstabilität und die Währungsstabilität in Europa selten dämlich, um das in aller Klarheit zu sagen. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Fabio De Masi, Fraktion Die Linke. ({0})

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Griechenland soll nach Jahren der Entbehrungen an den Finanzmarkt zurückkehren. Zeit, sich ehrlich zu machen! 95 Prozent der Griechenland-Kredite in Höhe von 274 Milliarden Euro flossen in den Schuldendienst, auch an deutsche und französische Banken, nicht an griechische Krankenschwestern oder Rentner. ({0}) Wahr ist auch: Deutsche Finanzminister erzielten mit diesen Krediten Zinserlöse in Höhe von 3 Milliarden Euro. Griechenland wurde das härteste Kürzungspaket einer Industrienation seit dem Zweiten Weltkrieg auferlegt. Die öffentliche Schuldenquote stieg jedoch von etwa 120 Prozent der Wirtschaftskraft auf 180 Prozent, weil Kürzungspakete die Depression vertieften. Auch Ökonomen des Internationalen Währungsfonds haben diese extreme Kürzungspolitik als falsch bezeichnet. Die Griechenlandrettung funktionierte so, als würde ich zu einem Freund gehen, der eine Taverne betreibt und bei mir Schulden hat, und diesem Freund meine Kreditkarte leihen, um damit seine Schulden bei mir zu bezahlen, ({1}) würde ihn aber zwingen, mir seine Tische und Stühle zu schenken und den Koch zu entlassen, sodass er kein Einkommen mehr erwirtschaftet, und dennoch darauf bestehen, dass er Monat für Monat die Rate für die neuen Kredite überweist. Eine solche Politik ist völlig verrückt, meine Damen und Herren. ({2}) Der „Spiegel“ ließ nach der Sitzung der Euro-Gruppe einen 76-jährigen griechischen Rentner zu Wort kommen. Ich zitiere: „Meine einzige Sorge ist …, wie ich genug Geld für meine Beerdigung sparen kann.“ Griechische Renten wurden bereits um 60 Prozent gekürzt; sie werden 2019 erneut gekürzt. Die Einkommen der Griechen sind auf den Stand von 2003 gefallen; über 300 000 junge Griechen sind ausgewandert. Im Krankenhaus von Nikea gab es fast eine Stunde Stromausfall. Das Notstromaggregat sprang nicht an. Krankenschwestern liefen mit Verlängerungskabeln über die Flure, um den operierenden Chirurgen Strom zu bringen. Intensivpatienten war minutenlang der Strom abgedreht; denn die Infrastruktur in Griechenland verlottert. Doch Athen soll weiter kürzen und privatisieren, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Die hessische Landesregierung intervenierte bei der Troika, damit die profitablen Regionalflughäfen zu Schleuderpreisen an die Fraport AG verkauft wurden – in einem Verfahren mit nur einem Bieter. Sie nennen das Marktwirtschaft, ich nenne das nackte Erpressung. ({3}) Deutschland verkauft immer mehr und billiger ins Ausland, als es von dort einkauft, weil unsere Löhne wegen Hartz IV, Leiharbeit und Befristungen zu niedrig sind. Auch die griechischen Löhne sind seit der Krise um 25 Prozent gefallen. Aber Griechenland exportiert kaum etwas; denn Griechenland wurde durch den Cocktail aus deutschen Exportüberschüssen und Kürzungspolitik deindustrialisiert. Es ist Zeit für eine unbequeme Wahrheit: Griechenland wird die Kredite niemals komplett zurückzahlen können. ({4}) Sie haben Deutsche Bank und Co Zeit gekauft, damit die Rettungsschirme das Risiko einer griechischen Pleite übernehmen. Die Bundesregierung sollte jedoch die deutsche Geschichte, die Geschichte von Versailles, kennen. Wir sollten nicht vergessen, dass Deutschland 1953 zig Milliarden Euro Schulden durch das Londoner Abkommen erlassen wurden. Aber Sie verweigern weiter eine zukunftsfeste Lösung für die griechischen Schulden, obwohl der IWF klipp und klar sagt, dass Griechenland überschuldet ist. Daran ändern auch die geringfügigen Schuldenerleichterungen nichts. Sie verschieben den Offenbarungseid nur hinter die nächste Bundestagswahl. Griechenland soll noch bis 2060 Haushaltsüberschüsse vor Zinsen erwirtschaften. Dies ist noch keinem Land der Welt gelungen. Ein heute geborenes griechisches Baby wäre bis dahin 42 Jahre alt. Und die Nachprogrammüberwachung soll noch 30 Jahre andauern, bis 75 Prozent der Schulden getilgt sind. Das ist mehr als das Doppelte einer Kanzlerschaft von Frau Merkel. Das Geld, das in den Schuldendienst fließt, fehlt für Investitionen. Nur mit Investitionen kann jedoch ein Strukturwandel in Griechenland gelingen und einer verlorenen Generation wieder Hoffnung gegeben werden. Wir haben den 5. Juli 2015 nicht vergessen. Damals sagte die Mehrheit der Griechen „Oxi“ – Nein – zur Kürzungspolitik. Aber die EZB drehte Griechenland den Euro ab und zwang die Regierung, eine Vereinbarung zu unterzeichnen, über die Wolfgang Schäuble einmal gesagt haben soll, er hätte so etwas für Deutschland niemals unterschrieben. An diesem Tag starb in Griechenland, der Wiege der Demokratie, auch ein Stück Europa. Mein Freund, der 96-jährige griechische Widerstandskämpfer und Poet Manolis Glezios, der als junger Mann die Naziflagge von der Akropolis holte, dessen Bruder Nikos von deutschen Besatzern hingerichtet wurde, antwortete einmal in meiner Heimatstadt Hamburg auf die Frage, ob er angesichts der Kriegsschulden Deutschlands nicht die Konfiszierung der Goethe-Institute befürworte: Ich liebe Goethe und die deutsche Literatur. Die Deutschen sind unsere Brüder und Schwestern und tragen keine Schuld für ihre Regierung. Niemals würde ich ihre Bücher beschlagnahmen. Ich möchte mich im Namen meiner Fraktion bei den Griechinnen und Griechen für die Politik der Bundesregierung entschuldigen, die so viel unnötiges Leid verursacht hat. ({5}) Den Griechen wünsche ich, dass sie ihr Land nach der Finanzkrise und den Verwüstungen der Troika wieder aufbauen können. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Sven-­Christian Kindler, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es am Anfang klar zu sagen: Es war gut und richtig, dass die deutsche Bundesregierung endlich ihre Blockadehaltung bei der Schuldenerleichterung für Griechenland aufgeben musste. Wir Grüne haben das lange gefordert. Das war überfällig. ({0}) Griechenland hat seine Verpflichtungen eingehalten, und deswegen ist es auch nur logisch, dass jetzt die Euro-Gruppe ihre Verpflichtungen, ihre Versprechen einhält und ihr Wort hält in Bezug auf Schuldenerleichterungen für Griechenland. ({1}) Verträge sind einzuhalten, pacta sunt servanda. Deswegen werden wir Grüne heute der Schuldenerleichterung für Griechenland zustimmen. ({2}) Herr Dürr, es reicht nicht, wenn die FDP auf Parteitagen schöne Sonntagsreden zu Europa hält. Aber wenn es konkret wird bei der Frage der Reform der Währungsunion, wenn es konkret wird bei der Frage: „Wie gehen wir mit Griechenland um?“, ({3}) wollen Sie de facto immer noch, dass Griechenland aus dem Euro austritt, also die Euro-Zone spalten. Wenn es konkret wird, sind Sie gegen Europa. Diese Doppelzüngigkeit, Herr Dürr, finde ich wirklich beschämend. ({4}) Herr Boehringer, Sie haben hier im Plenum behauptet, dass wegen des privaten Schuldenschnittes, den es gab, die Hypo Real Estate in Deutschland verstaatlicht worden wäre. Das Gegenteil ist der Fall: 2009 musste die Hypo Real Estate verstaatlicht werden wegen massiver schlechter Finanzgeschäfte, die sie gemacht hat. 2012 gab es den privaten Schuldenschnitt in Griechenland, und daran wurde auch die Hypo Real Estate entscheidend beteiligt. Wenn Sie hier im Plenum reden, dann kriegen Sie die Fakten klar und machen Sie nicht solche Attacken auf Europa. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Kindler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich würde gerne meine Rede zu Ende führen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Er gestattet nicht.

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Boehringer hatte schon Zeit, dazu zu reden. – Herr Boehringer, wenn Sie auf Ihrer Homepage am 22. Juni 2018 im Zusammenhang mit diesem Griechenland-Paket und Europa von – ich zitiere – „Endsiegpropaganda“ reden, dann wird klar, wes Geistes Kind Sie sind. Das ist Nazisprache. ({0}) Sie wollen Europa zerstören und in die dunkelste Phase deutscher Geschichte zurück. Natürlich verdient Deutschland momentan an den griechischen Anleihen, die die EZB gekauft hat, den sogenannten SMP-Gewinnen, und an den Kreditprogrammen, die die KFW aufgelegt hat. Insgesamt sind es fast 2,9 Milliarden Euro. Die Euro-Gruppe hat 2012 – ich sage das noch einmal – beschlossen, dass diese sogenannten SMP-Gewinne an Griechenland ausgezahlt werden. Ich finde, das ist eine Selbstverständlichkeit. Deutschland darf nicht auch noch an der Krise in Griechenland verdienen. ({1}) Deutschland hat an der Finanzkrise in Europa insgesamt mächtig verdient. Den weitaus größten Profit hat Deutschland, der deutsche Bundeshaushalt, aus der historisch niedrigen Zinsphase geschlagen. Rund 162 Milliarden Euro – das muss man im Deutschen Bundestag mal sagen dürfen – hat Deutschland, der deutsche Bundeshaushalt, seit 2008 im Rahmen der Niedrigzinsphase an Zinskosten gespart, ({2}) weil viel Kapital aus Südeuropa nach Deutschland geflohen ist und weil Mario Draghi eine Niedrigzinspolitik gemacht hat. Seien wir doch einmal ehrlich: Ohne Mario Draghi hätte Wolfgang Schäuble diesen Bundeshaushalt nie sanieren können. Das ist doch die Wahrheit. ({3}) Aber ich will auch klar sagen: Beim Thema „Europa“ geht es nicht nur um Finanzen und Wirtschaft. Deutschland profitiert extrem vom Euro und von der Europäischen Gemeinschaft; aber es geht bei Europa um etwas anderes. Europa ist ein zentrales Friedensprojekt; denn Europa wurde aus der Erfahrung heraus gegründet, dass Nationalismus überwunden werden muss, weil Nationalismus früher oder später immer zu Krieg führt. Europa war die zentrale Lehre aus den schrecklichen Verbrechen des deutschen Nationalsozialismus. Ich finde es angesichts der Debatte, die wir in den letzten Wochen in Deutschland führen, ziemlich geschichtsvergessen, mit welcher Brutalität die CSU und Teile der CDU dieses Europa jetzt infrage stellen und offen mit extrem rechten Politikern wie Orban, Salvini und Strache sympathisieren. Ich sage Ihnen: Dieser Nationalismus ist brandgefährlich. Sie legen die Axt an unser Europa. ({4}) Diese Entwicklung kam ja nicht über Nacht. Wir haben gerade während der Krise in Griechenland extrem nationalistisches Denken in Deutschland erlebt; das hat stark zugenommen. Es gab ein übles Bashing und Beleidigungen durch die „Bild“-Zeitung. CDU-Politiker haben gefordert, dass Griechenland seine Inseln verkauft. Alexander Dobrindt und Markus Söder haben immer wieder gefordert, dass Griechenland aus der Euro-Zone austritt. Auch der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble hat 2015 versucht, Griechenland aus dem Euro zu schmeißen. Ich sage Ihnen: Das hat tiefe Wunden in Europa gerissen. Es war ein Versuch, Europa zu spalten. Zum Glück ist dieser Versuch gescheitert. Ich sage Ihnen auch mit Blick auf die CSU, auf Teile der CDU und gerade heute auch mit Blick auf die FDP: Das dritte Programm für Griechenland wird beendet. Es war gut und richtig, dass Griechenland im Euro geblieben ist. ({5}) Es ist jetzt notwendig, dass Griechenland eine klare Perspektive, eine Partnerschaft auf Augenhöhe, geboten bekommt und dass in Griechenland Strukturreformen weiter umgesetzt werden – das haben wir immer unterstützt –, zum Beispiel in der Steuerverwaltung, im Justizsystem oder in der öffentlichen Verwaltung. Es ist aber auch notwendig, dass die Fehler der alten Troika-Politik korrigiert werden. Eine falsche, harte Sparpolitik hat die Krise in Griechenland verschärft. Die Armut ist extrem groß; ein Drittel der Menschen in Griechenland ist von Armut gefährdet. 50 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos. Wir sagen Ihnen klar: Griechenland braucht jetzt eine Perspektive für die Zukunft. Griechenland braucht Luft zum Atmen und den Spielraum für Investitionen, für soziale Maßnahmen, für die Bekämpfung der Armut. Das Herumschubsen Griechenlands muss endlich aufhören. Vielen Dank. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort zu einer kurzen Zwischenintervention dem Kollegen Peter Boehringer, AfD. ({0})

Peter Boehringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004675, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Lieber Kollege Kindler, wir müssen zwei Dinge faktisch klarstellen, nachdem Sie ja auch Faktenfehler unterstellt haben. Obwohl Sie zunächst geleugnet haben, dass die Hypo Real Estate verstaatlicht wurde, haben Sie es eigentlich im nächsten Satz selbst ausgesprochen: Sie wurde verstaatlicht. ({0}) – Sie können ja gleich antworten. Im Portfolio der Hypo Real Estate waren eine Menge griechischer Anleihen ({1}) – 9 Milliarden, genau –, ({2}) die bis heute Teil des Portfolios des Bundes sind. Sie sollten das wissen. Sie und ich sind ja Berichterstatter zum Einzelplan 32 des Bundeshaushaltes, und da wird dieses Portfolio, das heute in München bei der FMS Wertmanagement verwaltet wird, konsolidiert, indem Zahlungen rein- und rausgeschoben werden. Das sind die Fakten. Insofern ist es nicht falsch, hier zu sagen, dass die Abschiebung, ({3}) die Abschreibung dieser Kredite auf die lange Bank geschoben wird. Das ist genau das Gleiche wie bei allen Krediten, über die wir hier reden. Das war also kein Faktenfehler. Das sind die Fakten. Sie meinten auch, beim Thema „falsche Terminologie“ wieder einmal Mimimi machen zu müssen und Stilfragen aufmachen zu müssen. Das ist ja das Einzige, was Ihnen hier noch einfällt gegen unsere Argumente. ({4}) „Endsieg“, meine Damen und Herren, ist ein Nazibegriff. „Endsiegpropaganda“ ist das genaue Gegenteil. Es ist ein abwertender Begriff gegen die Endsiegideologie des Naziregimes. ({5}) Genau so habe ich ihn auf meiner Homepage auch gebraucht. Ich habe „Endsiegpropaganda“ gebraucht im Sinne von: Das Ende ist klar. 1944/45 wusste das Naziregime, dass es zu Ende gehen würde. ({6}) Die Propaganda wurde aufrechterhalten. Da gibt es durchaus Analogien zu einigem, was wir hier heute gehört haben: Das Ende ist sicher, aber es wird noch geleugnet. Deshalb ist das in keiner Weise eine Verharmlosung der Zeit von 1933 bis 1945. Ich bitte, diesen Blödsinn endlich einzustellen. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Kindler, Sie mögen offensichtlich, also dürfen Sie antworten.

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident, ich werde gerne antworten. – Herr Boehringer, Sie haben hier im Plenum behauptet, dass die Hypo Real Estate wegen der Abschreibungen im Zuge des Schuldenschnitts in Griechenland verstaatlicht worden sei. ({0}) Das ist ein Faktenfehler, das war einfach Blödsinn. Gut, dass Sie das hier korrigiert haben. ({1}) Es ist ja auch immer sehr erstaunlich, dass Sie sich nachher nicht erinnern können, was Sie alles mal im Internet geschrieben haben. ({2}) – Die vulgäre Beleidigung der Kanzlerin will ich hier gar nicht wiederholen, weil sie so schlimm ist. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege Kindler hat der Zwischenbemerkung des Kollegen Boehringer in aller Ruhe zugehört. Tun Sie jetzt bitte dasselbe. ({0})

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Sie müssen sich das schon zuschreiben lassen und auch dazu stehen, wenn Sie Begriffe, die in der Nazizeit gebraucht wurden, selber benutzen. ({0}) Dazu müssen Sie stehen. ({1}) Und wenn Sie hart austeilen, dann müssen Sie auch Kritik einstecken können. ({2}) Wenn Sie Begriffe wie „Endsiegpropaganda“ benutzen, wird völlig klar, wes Geistes Kind Sie sind; ({3}) das ist doch klar. ({4}) Sie wollen dieses Europa diffamieren, Sie wollen dieses Europa zerstören, Sie wollen zurück in den Nationalismus, Sie wollen zurück in die dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte. ({5}) Das ist doch klar bei der AfD. Das wird jede Woche hier im Plenum des Deutschen Bundestages klar, und das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Achim Post, SPD-Fraktion. ({0})

Achim Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004378, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Einigung der Finanzminister zu Griechenland ist eine gute Nachricht – für Europa, für Griechenland und für Deutschland. Erstens: Es ist eine gute Nachricht für Europa, weil die Einigung zeigt, dass Europa handlungsfähig ist und Probleme in den Griff bekommen kann. Ich weiß, das dauert manchmal etwas länger in Europa, das ist nun einmal so – in diesem Fall acht Jahre –; aber die jetzt gelungene Einigung auf den Abschluss des dritten Hilfsprogramms für Griechenland zeigt: Mit Geduld, mit Verhandlungen, mit Vernunft bekommt man gemeinsame Lösungen hin, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Das ist ein gutes Signal, das gerade in diesen Tagen wichtig ist; denn eines ist wohl klar: Wenn in der Griechenland-Frage nationale Egoisten oder politische Hasardeure die Oberhand gewonnen hätten, dann stünden wir heute nicht vor einem Abschluss des Hilfsprogrammes, sondern vor einem politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Scherbenhaufen in Europa. ({1}) Das Paket, auf das sich die Finanzminister geeinigt haben, ist ausgewogen und vernünftig. Es wird ein ordentlicher Liquiditätspuffer eingebaut. Es ist klar vereinbart, dass Griechenland den eingeschlagenen Reformkurs fortführt, überwacht durch die europäischen Institutionen und auch mit der Expertise des IWF. Und mit der technischen Hilfe bei der Umsetzung von Reformen geht es um ganz konkrete, praktische und nachhaltige Dinge: bei der Zoll- und Steuerverwaltung, bei der Einrichtung eines Grundbuchs, im Bereich der erneuerbaren Energien, bei der Exportförderung. Mein Dank gilt dem Bundesminister der Finanzen, der dieses Paket in den letzten Wochen ohne großes Wellenschlagen seriös und solide verhandelt hat. ({2}) – Ja, da können Sie ruhig klatschen. ({3}) Und auch das sei an dieser Stelle gesagt: Die Art und Weise, wie diese Einigung zustande gekommen ist, ruhig, mit einem vernünftigen Ergebnis, hebt sich erfrischend von den Dramen und Last-minute-Showdowns der Vergangenheit ab. Es geht also auch anders, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Die Einigung ist zweitens auch für Griechenland eine gute Nachricht. Nach acht Jahren kann Griechenland nun die Rettungsschirme wieder verlassen. Das ist ein Schritt, dessen Bedeutung für Griechenland politisch, ökonomisch, aber auch symbolisch nicht zu unterschätzen ist; denn – das müssen wir uns auch vergegenwärtigen – die Anstrengungen Griechenlands, der griechischen Regierung und der griechischen Bevölkerung waren und sind enorm. Griechenland hat seit 2009 seine Staatsausgaben um 30 Prozent reduziert. Griechenland musste Renten und Löhne kürzen, Steuern erhöhen und die Troika akzeptieren. Ich verstehe sehr gut, dass den Menschen in Griechenland oftmals heftig zugesetzt wurde und dort vieles als verletzend empfunden wurde. Deshalb gilt meine Solidarität auch den griechischen Bürgerinnen und Bürgern. ({5}) Eines sollten wir beherzigen: Solide Finanzen, Strukturreformen, Wachstumsinvestitionen und sozialer Ausgleich müssen von vornherein zusammengedacht und besser als in der Vergangenheit zusammengebracht werden. ({6}) Drittens: Die Einigung ist auch eine gute Nachricht für Deutschland. Zusammen mit unseren europäischen Partnern waren wir zu erheblicher Solidarität gegenüber Griechenland bereit. Das Volumen der Kredite aus den drei Hilfsprogrammen beläuft sich derzeit auf fast 230 Milliarden Euro. Das ist sehr viel Geld. Dass Europa und dass unser Land zu einer solchen Kraftanstrengung der Solidarität bereit waren, ist etwas, worauf wir durchaus stolz sein können. ({7}) Schließlich ist es auch in unserem Interesse, dass nun das letzte Hilfsprogramm im August ausläuft. Damit machen wir einen großen Schritt nach vorne, der die realistische Chance bietet, dass Griechenland künftig wieder auf eigenen Beinen stehen kann. Zusammengefasst: Wir sollten uns in diesen Tagen vergegenwärtigen, worum es eigentlich geht. Wir erleben gerade, wie Europa in beispielloser Art und Weise herausgefordert wird: von den USA, von Russland und von China. Zugleich sind gefährliche Nationalisten dabei, Europas Einheit von innen aufzusprengen. In dieser Lage kann es sich Europa schlicht nicht leisten, lösbare Probleme wie die Griechenland-Frage nicht zu lösen. In dieser Lage müssen wir uns auf das Wesentliche besinnen, und das ist vor allem eines, nämlich den Zusammenhalt Europas zu sichern, liebe Kolleginnen und Kollegen; ({8}) denn ohne den Zusammenhalt Europas müssten wir uns wirklich Sorgen machen. Hören wir also nicht auf Populisten oder Kleinkrämer! Setzen wir gemeinsam auf die Kraft Deutschlands und Europas! Setzen wir gemeinsam auf die Kraft der Vernunft, und setzen wir gemeinsam auf kluge Kompromisse! In diesem Sinne: Schönen Dank und eine gute Debatte! ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Harald Weyel, AfD. ({0})

Prof. Dr. Harald Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004932, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Bürger, die die Zeche zahlen! Liebe Kollegen der Altparteien, ({0}) im Jahr 2010 haben Sie per Fingerschnipsen die kalte Enteignung der deutschen Sparer eingeleitet. ({1}) Sie haben dem sogenannten ersten Griechenland-Rettungspaket zugestimmt und dadurch eine Niedrigzinsphase erzwungen, die Millionen Deutsche bis heute um die Früchte ihrer Sparsamkeit bringt. ({2}) Sie haben uns ein milliardenschweres Haftungsvolumen aufgebürdet. Sie haben mit Ihrer sogenannten Griechenland-Rettung in erster Linie französische Banken gerettet, die in Griechenland engagiert waren. ({3}) Hier ein Beispiel für die jetzige Bonitätsvortäuschung nach Euro-Muster – Zitat aus dem „Handelsblatt“ vom 22. März dieses Jahres –: Mehr als 400.000 Griechen bekommen dieser Tage Post von ihrer Bank. Die Briefe enthalten ein verlockendes Angebot: Mit einer einmaligen Abschlagszahlung können sich Schuldner, die ihre Kredite nicht mehr bedienen, freikaufen. Je nach Einzelfall bieten die Banken an, auf ihre Forderungen zu verzichten, wenn der Kunde binnen weniger Wochen zwischen zehn und 30 Prozent der ausstehenden Kreditsumme zurückzahlt. Tatsächlich beruht dieser Abbau ausfallgefährdeter Kredite also nicht auf wirtschaftlichem Erfolg, wie die 489 Seiten suggerieren, sondern auf einem massiven Forderungsverzicht. Dieses Durchlügen bis zur Bankenunion wird sozusagen international unterstützt. Ihre Politik richtet sich gegen die Interessen unseres Landes. Sie sind Vertreter der Finanzindustrie. Ihre Politik setzt auf untaugliche Konzepte und untergräbt das Vertrauenskapital in unserer Gesellschaft. ({4}) Ein ehrlicher Handwerker bekommt von Ihnen keinen Cent, wenn er von einem kriminellen Bauträger um sein Geld geprellt wird und in die Insolvenz gehen muss. Griechenland hingegen wurde mit der Hilfe einer interessierten Investmentbank in die Euro-Zone geschleppt und mit frisierten Zahlen durchgeschmuggelt. Dieses Täuschungsmanöver wird von Ihnen bis heute mit deutschem Steuerzahlergeld belohnt, und das, obwohl Sie ganz genau wissen, dass dieses Geld nie zurückgezahlt wird. ({5}) Der Zahltag wurde nun mal eben von 2023 auf 2033 gestreckt. Warum nicht gleich auf 3033? ({6}) Wir als AfD nennen die Dinge beim Namen: Was Sie betreiben, ist staatlich organisierte Konkursverschleppung. Das ist mit uns nicht zu machen. Wir investieren lieber Milliardenbeträge in die Zukunft unseres Landes, in eine funktionierende Infrastruktur zum Beispiel. Damit meine ich nicht etwa nur zeitgeistpolitisch verhunzte Bildung oder allerlei Digitales. Die DZ Bank hat letztes Jahr ausgerechnet, dass die EZB-Nullzinspolitik uns über die Jahre bisher 340 Milliarden Euro an Zinseinnahmen gekostet hat und andererseits – ja, gespart wurde auch – bei Krediten 145 Milliarden Euro weniger gezahlt wurden. Das heißt, in Summe sind 200 Milliarden Euro futsch. 200 Milliarden Euro Miese für deutsche Haushalte. Wir stellen die Interessen der deutschen Bürger in den Mittelpunkt und nicht die der Finanzindustrie. ({7}) Wir möchten, dass der deutsche Sparer künftig wieder die Früchte seines Konsumverzichtes in Form von Zinsen erntet. Wir stehen für eine Antikonkursverschleppungsfinanzmarktpolitik und weisen den hier vorgelegten Antrag zurück. Danke fürs Aufpassen im Fall des Falles. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Christian Haase, CDU/CSU. ({0})

Christian Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004286, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen über Griechenland, wieder einmal. Bei der Vorbereitung auf die heutige Rede ist mir ein Ohrwurm in den Kopf gekommen: Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da? Habt ihr auch so gut geschlafen, na dann ist ja alles klar. ({0}) Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, mein ostwestfälischer Kollege Ralph Brinkhaus sollte recht behalten, als er 2015 an diesem Rednerpult sagte: Wir werden noch häufig in diesem Hohen Hause über Griechenland sprechen. ({1}) Doch heute sprechen wir zum Glück aus einem ganz anderen Anlass als 2015 über Griechenland. ({2}) Lassen Sie uns einmal zurückblicken: 2015 hatten wir in Europa die globale Finanzkrise noch nicht überwunden. Zwischenzeitlich hatten wir fünf Länder unter dem Euro-Rettungsschirm. Vier davon konnten wir wieder fit machen und somit zeigen, dass die EU-Politik der Reformen wirkt. Nur beim größten Sorgenkind wollten keine rechten Fortschritte gelingen. Daher mussten wir 2015 das Programm für Griechenland erneuern. Ich erinnere mich noch ganz genau an die hitzigen und intensiven Debatten zu diesem Thema im Sommer 2015. Wir hatten eine Sondersitzung in den Parlamentsferien. Alle Abgeordneten mussten aus dem Urlaub zurück nach Berlin kommen. Im Gepäck war nicht nur der Frust über den abgebrochenen Sommerurlaub mit der Familie, sondern auch jede Menge Zweifel. Wir haben daran gezweifelt, ob wir der griechischen Regierung vertrauen können, die bitteren Reformen auch wirklich umzusetzen. Wir haben daran gezweifelt, ob die Bürgerinnen und Bürger Griechenlands, die sich auf den Straßen versammelt hatten, die Reformpolitik tatsächlich mittragen würden. Wir hatten Bedenken, wie wir die richtige EU-Politik zu Hause in den Wahlkreisen erklären sollten. Viele Fragezeichen standen im Raum, und wir haben uns die Entscheidung 2015 wirklich nicht einfach gemacht. Dabei schaue ich mir die Situation auch immer durch die kommunale Brille an. Man darf die Auswirkungen solcher Reformen auf die kommunale Ebene nicht unterschätzen. ({3}) Ich war zuletzt 2016 in Griechenland, um Gespräche mit den verschiedenen politischen Ebenen zu führen und auch die Stimmung vor Ort mitzunehmen. Ich kann Ihnen sagen: Die Probleme, die unsere deutschen Kommunen haben, würden sich die griechischen Kommunen wünschen. Nur durch Improvisieren, Nichtfragen und mutiges Handeln konnte ein Zusammenbruch der kommunalen Ebene verhindert werden; aber so sind Kommunale nun einmal. Geholfen hat die Deutsch-Griechische Versammlung. Sie hat innerhalb weniger Jahre ein dynamisches Netzwerk aus Kommunen, Zivilgesellschaft und Wirtschaft entwickelt, bei dem wir jetzt anknüpfen können. ({4}) Hier danke ich besonders unserem Parlamentarischen Staatssekretär, Herrn Fuchtel, für sein Engagement. ({5}) Meine Damen und Herren, 2015 haben Deutschland und die europäischen Partner zusammen mit den Institutionen ein Paket geschnürt, welches man im Lehrbuch „Wie saniert man ein Land?“ finden kann. Die Auflagen und Maßnahmen wurden nicht nur an einen strengen Zeitplan geknüpft, sondern auch engmaschig kontrolliert. Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Wolfang Schäuble, der Deutschland als Finanzminister mit der richtigen Mischung aus Solidität und Solidarität durch diese schwierige Zeit geführt hat. Wir haben aus dieser Zeit gelernt, dass Europa und insbesondere die Euro-Zone – wie jede Familie – nicht immer eine Schönwetterveranstaltung sind. Manchmal rappelt es auch ordentlich, ({6}) und wir haben gelernt, dass wir alle eng miteinander verflochten sind. Am Ende haben wir die richtigen Lehren gezogen und die Euro-Zone als Ganzes stabiler gemacht.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Haase, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Christian Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004286, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, die Kollegen warten auf die namentliche Abstimmung. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Er gestattet sie nicht.

Christian Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004286, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Heute stehen wir hier, meine Damen und Herren, und können auf die Anstrengungen der letzten Jahre zurückblicken. Viele waren sich sicher, dass dieser Moment nie kommt. Aber im August ist es so weit: Griechenland verlässt geordnet den Euro-Rettungsschirm. Nach acht Jahren kann sich Griechenland wieder am Kapitalmarkt refinanzieren. Das Prinzip „Finanzhilfen gegen Reformen“ wirkt. Dabei sind die Mittel des dritten Hilfsprogramms noch nicht einmal ausgeschöpft. Sorgen macht jetzt noch die Tragfähigkeit der griechischen Staatsschulden. Ein Schuldenstand in Höhe von 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ist eine gewaltige Belastung. Diesen Schuldenberg abzuarbeiten, wird Jahrzehnte dauern. Eine langfristige Tragfähigkeit erfordert daher verbesserte Bedingungen im Hinblick auf den Schuldenstand. Die Euro-Gruppe hat dazu ein angemessenes Maßnahmenpaket entwickelt. Es umfasst – wiederum gegen Auflagen – unter anderem längere Laufzeiten für die Kredite und die Auszahlung von Gewinnen aus den Hilfsprogrammen an Griechenland. Meine Damen und Herren, zwei Punkte sind für mich hier wichtig: Erstens. Es gibt keinen Schuldenerlass oder Schuldenschnitt. Zweitens. Der Internationale Währungsfonds wird mit seiner Expertise an der Nachprogrammüberwachung mitwirken. Der IWF bleibt mit seinen Darlehen aus dem ersten Hilfsprogramm engagiert. Die Forderungen nach einem Rückkauf der alten IWF-Darlehen sind vom Tisch. Vierteljährlich wird sich Griechenland einer verstärkten Überwachung durch die Institutionen stellen müssen. ({0}) Damit stellen wir sicher, dass die griechische Regierung auf Reformkurs bleibt. Nur so können unsere Hilfen langfristig auf einen fruchtbaren Boden fallen. Meine Damen und Herren, die Sorgen sind noch nicht ganz verschwunden. Aber es sieht doch besser aus, als wir vor drei Jahren gedacht haben. Jetzt muss der Deutsche Bundestag hier am Ball bleiben. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dann erteile ich jetzt dem Kollegen Christian Dürr das Wort zu einer Zwischenintervention.

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Haase, ich habe eigentlich nur eine ganz kurze Zwischenfrage, die Sie ruhig hätten zulassen können. Sie haben ja sehr wortreich beschrieben, dass Sie im Jahr 2015 in der Sommerpause Ihren Urlaub abbrechen mussten, hier zusammengekommen sind und dann gemeinsam einen Beschluss gefasst haben. Ich will auf das Thema IWF zurückkommen, Herr Haase. Damals hat die Große Koalition einmütig beschlossen, dass der IWF an Bord bleiben soll, insbesondere auch finanziell im Rahmen des dritten Hilfspakets. Ist das aus Ihrer Sicht ex post betrachtet, also aus der Sicht von heute, dem Jahr 2018, der Fall gewesen, oder lag die Große Koalition damals schlicht falsch und hat nicht Wort gehalten? ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Haase, mögen Sie antworten – auch wenn die Kollegen auf die Abstimmung warten? ({0})

Christian Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004286, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte sehr.

Christian Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004286, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich mache es ganz kurz: Ja, der IWF ist an Bord. Das haben wir damals versprochen und halten es heute ein. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Frauke Petry.

Dr. Frauke Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004851, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die wichtigsten Fakten zu den über 15 Milliarden Euro, die wir heute ausgeben, in zwei Minuten. Wir brauchen eine Abstimmung. Wäre alles nach Plan gelaufen, müsste dieser Bundestag nicht erneut debattieren und abstimmen. Das sollten Sie den Bürgern der Ehrlichkeit halber sagen. Zusätzlich zu 15 Milliarden Euro bekommt Griechenland bis zum Jahr 2032 weitere 34 Milliarden Euro Zinsen gestundet – ebenfalls Geld, das bei einem normalen Verlauf des Kreditvertrages zu zahlen wäre. Zusätzlich – das wurde hier bereits gesagt – hat Griechenland eine faktische Schuldenquote von deutlich über 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Trotzdem – es ist immer wieder erstaunlich – ist die Koalition optimistisch, dass Griechenland es schafft. Nur zum Vergleich: Jeder private Häuslebauer, der Kredite bei einer Bank aufnimmt – egal ob bei einer Sparkasse oder einer Privatbank –, hat sich an die Kreditverträge zu halten. Wenn er die Kreditmittel nicht ausschöpfen möchte, dann bezahlt er dafür. Er bekommt kein Geld, er bekommt nichts erlassen, sondern er bezahlt der Bank den Zinsverlust, eine Vorfälligkeitsentschädigung. Was passiert hier? Hier werden Bedingungen geändert, aber sie werden nicht verschärft. Sie werden erleichtert. Liquidität, Zinsen, Tilgungserleichterungen: Darüber stimmen wir heute ab. Meine Damen und Herren, ich frage mich: Warum das alles, wenn es Griechenland angeblich besser geht? Entweder sind die Prognosen zu optimistisch und stimmen nicht, oder wir erkaufen uns möglicherweise Griechenlands politische Zustimmung zu anderen europäischen Vorhaben. Ein letztes Wort zu all jenen, die immer gebetsmühlenartig wiederholen, wir, die Deutschen, hätten am meisten vom Euro und der Europäischen Union profitiert: Wenn es denn so ist, dann sollten Sie Zahlen vorlegen. Rechnen Sie das den Bürgern vor, und vergessen Sie bitte nicht, vorher 1 Billion Euro an Target2-Salden, Rettungspakete, Kredite, Negativzinsverluste für deutsche Steuerzahler und nicht zuletzt politische Verwerfungen in diesem Europa des Jahres 2018 hineinzurechnen. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Letzter Redner in dieser Debatte, für den ich angesichts der bevorstehenden Abstimmung auch dieselbe ungeteilte Aufmerksamkeit erbitte, ist der Kollege Alois Rainer, CDU/CSU. ({0})

Alois Rainer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004384, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass das Griechenland-Programm nun ausläuft, ist eine gute Nachricht. Europa hatte es wahrlich mit einer großen Herausforderung zu tun, und Stand jetzt kann man sagen: Europa hat diese Herausforderung bis jetzt respektabel gemeistert. ({0}) Mit dem Auslaufen des Programms ist Griechenland wieder ausschließlich auf den Kapitalmarkt angewiesen, wenn es sich finanzieren will. Griechenland bekommt dann dort auch Geld. Bereits letztes Jahr haben sie erfolgreich damit begonnen, Anleihen zu emittieren. In den letzten Tagen hat die Ratingagentur Standard & Poor’s zudem die Kreditwürdigkeit Griechenlands von B auf B+ hochgestuft. Wenn man sich mit den Ratings auseinandersetzt, dann weiß man: Das ist noch immer kein besonders gutes Rating. Man kann aber doch sagen: Griechenland kann sich wirtschaftlich stabilisieren, wenn es sich an folgenden zwei Leitplanken orientiert: Die eine ist die Haushaltsdisziplin, und die andere, daraus folgende ist ein Wirtschaftswachstum. Die griechische Regierung hat sich zu einem Primär­überschuss von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verpflichtet. Das ist gut. Nach 2022 muss das Land die europäischen Fiskalregeln einhalten. Nach Berechnung der EU-Kommission impliziert dies einen Primärüberschuss von 2,2 Prozent zwischen 2023 und 2060. Das ist ebenfalls gut. Griechenland hat sich zudem eine Wachstumsstrategie gegeben, und der IWF und die EU-Kommission begleiten diesen Prozess sehr intensiv. Das ist noch besser. Ich bin froh, dass wir als Europäer die Möglichkeit haben, Vergünstigungen, die wir Griechenland zugesagt haben, am Ende der Tage wieder einzukassieren, falls die zugesagten Strukturreformen ausbleiben sollten. Das ist notwendig, auch wenn ich hoffe, dass diese Maßnahmen nie nötig werden und von diesem Sanktionsmechanismus nie Gebrauch gemacht werden muss. Ich vertraue ein Stück weit darauf, dass auch Griechenland aus der Krise gelernt hat und die griechische Regierung von sich aus entsprechend umsichtig handeln wird. Haushaltsdisziplin ist mehr als alles andere auch im Interesse der eigenen Bevölkerung, genauso wie eine wachstumsorientierte Politik. Meine Damen und Herren, ich habe mir den BMF-Antrag, so gut es angesichts der vielen Seiten in der vorhandenen Zeit ging, angeschaut, insbesondere die Tabelle, in der die Schuldentragfähigkeitsanalyse der EU-Kommission dargestellt wird. Den dort prognostizierten Bruttofinanzierungsbedarf müsste Griechenland meines Erachtens bei vernünftiger Politik stemmen können. Er liegt bei ungefähr 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Insofern liegt nun der Ball ganz klar bei Griechenland. Man kann kein Land zu seinem Glück zwingen, aber man kann versuchen, ihm Chancen zu eröffnen. Wenn Griechenland, meine Damen und Herren, diese Chancen nutzt und wir am Ende alle auf eine positive Entwicklung blicken, auch diejenigen, die in der Glaskugel oder im Kaffeesatz etwas anderes lesen, dann denke ich: Waren das ganze Programm und auch die ganzen Diskussionen, die wir in diesem Hohen Hause und in den einzelnen Fraktionen geführt haben, die Mühe wert? Ich hoffe, wir bekommen heute eine überzeugende Mehrheit für dieses Programm und dass wir in Europa weiter gut miteinander arbeiten können. Vielen herzlichen Dank. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf der Drucksache 19/2961 mit dem Titel „Finanzhilfen zugunsten Griechenlands: Vierte und letzte Überprüfung des ESM-Anpassungsprogramms, mittelfristige schuldenbezogene Maßnahmen“. Wir stimmen über den Antrag auf Verlangen der Fraktion der FDP namentlich ab. Mir liegen zur Abstimmung mehrere schriftliche Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, die zu Protokoll genommen werden. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist offenbar der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über den Antrag. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgeben konnte? – Das ist offenbar nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. ({0}) – Ja, Entschuldigung. Jetzt habe ich die Abstimmung geschlossen. Da müssen Sie schon ein bisschen früher zuhören und reagieren. Jetzt bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekannt gegeben. Ich bitte, wieder Platz zu nehmen, damit wir fortfahren können. ({1})

Katja Suding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Dauerstreit zwischen den Unionsschwesterparteien hat die politische Arbeit der Bundesregierung merklich gelähmt. Eine erste Bilanz nach 100 Tagen zeigt deutlich, dass die Neuauflage einer schwarz-roten Koalition keinen Gestaltungswillen hat, unser Land in drängenden Zukunftsfragen voranzubringen. ({0}) Eigentlich hätte sie der nationale Bildungsbericht, der letzte Woche vorgestellt wurde, doch endlich wachrütteln müssen. Er stellt dem deutschen Bildungssystem ein blamables Zeugnis aus. Wer aus einem Nichtakademikerhaushalt stammt, hat inzwischen noch deutlich schlechtere Chancen als noch vor wenigen Jahren. Auch die Ungleichheit zwischen den Regionen nimmt deutlich zu. Die Herkunft – sei es aus dem Elternhaus oder Bundesland – bestimmt stärker die Zukunftschancen unserer Kinder, und das immer mehr. Das dürfen wir nicht länger akzeptieren. Hier muss dringend gehandelt werden. ({1}) Die Bundesregierung hat sich nun auf den Weg gemacht, das Grundgesetz ein weiteres Mal zu ändern und das sogenannte Kooperationsverbot im Bildungsbereich weiter abzuschwächen. Das finden wir grundsätzlich richtig. Vergessen Sie aber eines nicht: Sie haben gar keine eigene Mehrheit für die Grundgesetzänderung. Ich gehe davon aus, dass Sie bei der Suche nach Unterstützung auf die Stimmen der FDP nicht verzichten wollen. Deshalb sollten Sie genau zuhören, welche Vorstellungen wir haben. Mit der vom Kabinett beschlossenen Vorlage verpassen Sie die Chance auf eine umfassende Reform des Bildungsföderalismus. Wir brauchen auf jeden Fall bundesweit einheitliche und sehr ambitionierte Bildungsstandards für mehr Qualität, ({2}) damit alle Kinder unabhängig von ihrem Wohnort die gleichen Bildungschancen haben, damit ein Umzug in ein anderes Bundesland keine Katastrophe mehr für Familien mit schulpflichtigen Kindern ist. Dafür hat heute keiner mehr Verständnis. ({3}) Ebenfalls hat niemand mehr Verständnis dafür, dass der seit 2018 vollmundig angekündigte DigitalPakt immer noch nicht da ist. Das digitale Lernen bietet riesige Chancen für unsere Kinder, gerade auch für Kinder aus bildungsfernen Familien. Schüler können in ihrem eigenen Tempo lernen. Eine Schülerin kann schon Zusatzaufgaben rechnen, während ihr Mitschüler mit individueller Unterstützung die Pflichtaufgaben löst. Bei Hausaufgaben bekommt jeder Schüler Hilfe von einem digitalen Tutor, der Wissenslücken schließen kann. Lehrer werden durch kluge Programme von Routine- und Verwaltungsaufgaben entlastet, um sich stärker auf Bildung und Erziehung konzentrieren zu können. In anderen Ländern ist das längst Realität. Aber in Deutschland fehlt die Technik. Das wäre Ihr Job, Frau Ministerin. – Wo ist sie? Sie scheint gar nicht da zu sein. ({4}) Frau Ministerin – vielleicht richtet man es ihr ja aus –, Sie haben die Schulen noch nicht einmal ans Breitband angeschlossen. 90 Prozent der Schulen in Deutschland verfügen nicht über schnelles Internet. Gerade einmal 3 Prozent haben einen entsprechenden Förderbescheid aus dem Bundesverkehrsministerium erhalten. Das Bundesförderprogramm für den Breitbandausbau, auf das die Bildungsministerin im Ausschuss verwiesen hat, sieht eine Förderung einzelner Schulen gar nicht vor. Schlimmer noch: Für das Programm können derzeit überhaupt keine Anträge gestellt werden. ({5}) Frau Karliczek sollte sich hier dringend einmal mit ihrem Kollegen Scheuer auseinandersetzen und sich informieren lassen. ({6}) Auch an dieser Stelle herrscht wirkliches Chaos. ({7}) Die berufsbildenden Schulen sind häufig technisch noch weit schlechter ausgestattet als die allgemeinbildenden Schulen. Sie sind daher besonders auf baldige Investitionen aus dem DigitalPakt angewiesen. Die duale Berufsausbildung in Deutschland ist zwar ein Erfolgsrezept. Man muss sich aber fragen, wie lange das noch der Fall sein wird. In den Unternehmen arbeiten die Auszubildenden mit der neuesten Technik. In den Berufsschulen ist die Technik hingegen hoffnungslos veraltet. Wie wollen Sie die Jugendlichen damit auf den Arbeitsmarkt von morgen vorbereiten? Das funktioniert so nicht. Hören Sie auf, die berufliche Bildung in höchsten Tönen zu loben und gleichzeitig die berufsbildenden Schulen kaputtzusparen, meine Damen und Herren. ({8}) Die Digitalisierung verändert unsere Berufswelt immer schneller. Kein Beruf bleibt so, wie er ist. Etliche verschwinden; andere entstehen neu. Kaum jemand wird künftig ein Leben lang nur einen einzigen Beruf ausüben. Es ist gut, dass wir uns in einer Enquete-Kommission zu diesem Thema Gedanken machen. Eine Kommission ersetzt aber kein politisches Handeln. Und die Zeit drängt, meine Damen und Herren. ({9}) Der Wandel auf dem Arbeitsmarkt hat längst eingesetzt. Viele Arbeitnehmer sind verunsichert; sie haben Angst. Das, was sie gelernt haben, reicht morgen womöglich nicht mehr aus. Die Menschen wollen aber keinen sozialen Arbeitsmarkt à la Hubertus Heil. Sie wollen nicht die Aussicht auf einen subventionierten Arbeitsplatz, wenn sie nur lange genug arbeitslos sind. Die Menschen wollen auf eigenen Beinen stehen. Sie wollen sich weiterbilden und fit für einen funktionierenden ersten Arbeitsmarkt bleiben. ({10}) Wir können die Digitalisierung nicht aufhalten. Aber wir können die Chancen nutzen, die sie uns bietet. Das ist die Wahl, vor der wir stehen. Ohne Kenntnisse in IT geht fast gar nichts mehr. Lebenslanges Lernen ist deshalb wichtiger als jemals zuvor. Aber die Arbeitnehmer stehen vor zahlreichen Fragen: Welche Zusatzqualifikationen brauche ich? Welche Abschlüsse erkennen die Arbeitgeber an? Wovon soll ich die Weiterbildung finanzieren? – Das ist ein Buch mit sieben Siegeln, das keiner mehr versteht. Wir brauchen daher ein Zertifizierungssystem, das Klarheit über die Angebote schafft. Wir brauchen Bildungssparen und Bildungsgutscheine, um Weiterbildung finanzierbar zu machen. ({11}) Deutschland braucht aber noch mehr für seine Zukunftsfähigkeit. Wer glaubt, unser Wohlstand sei mit kleinen Schritten von Innovation aufgebaut worden, der irrt. Immer schon haben nur große Sprünge zu großem Wohlstand geführt. Die Eisenbahn, chemische Farben und das Automobil haben die deutsche Wirtschaft an die Weltspitze katapultiert. Die Politik muss deshalb Innovationen fördern. Die Ministerin für Bildung und Forschung aber hat beim Forschungsgipfel zugegeben, künstliche Intelligenz bereite ihr Angst. Meine Damen und Herren, künstliche Intelligenz bereitet unserer Forschungsministerin Angst. Da, wo Visionen und Mut gefragt werden, da verfällt die Regierung in Angststarre. ({12}) Wenn Sie aber schon Angst haben, dann sollten Sie vor etwas ganz anderem Angst haben: Deutschland verliert bei der künstlichen Intelligenz den Anschluss. 50 KI-Unternehmer haben kürzlich einen Brandbrief an die Bundesregierung geschrieben. Ihre Botschaft: Wenn wir nicht endlich Tempo machen, ist Deutschland innerhalb weniger Jahre nicht mehr wettbewerbsfähig. – Das ist der Albtraum, der Sie nachts wachhalten muss. Meine Damen und Herren, die Welt wartet nicht auf Deutschland. Deutschland muss zukunftsfähig sein. Weltbeste Bildung und beste Bedingungen für Forscher und Gründer dürfen nicht länger Zukunftsmusik sein. Lassen Sie uns die Zukunft heute beginnen. Vielen Dank. ({13})

Dr. Wolfgang Stefinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004414, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Damit eines im Vorfeld gleich klar ist: Unser Ziel, das Ziel der Bundesregierung, ist, die Zukunftsfähigkeit Deutschlands zu sichern. Daher empfehle ich die Lektüre des Koalitionsvertrages. ({0}) Im Übrigen darf ich festhalten, dass seit 2005 die Investitionen im Bereich Forschung und Bildung mehr als verdoppelt wurden: 132 Prozent Steigerung. Der Haushalt 2018, den wir nächste Woche verabschieden werden, sieht in dem Bereich Ausgaben in Höhe von 17,6 Milliarden Euro vor. Nur zur Erinnerung: 2005 lag der Haushalt bei rund 7,5 Milliarden Euro. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser erklärtes Ziel ist, den erfolgreichen Kurs der letzten Jahre fortzusetzen. Ich möchte hier gar nicht alles Punkt für Punkt aufzählen, was in den letzten Jahren geschehen ist. Aber vielleicht ist es sinnvoll – gerade für die Kollegen der FDP, die vier Jahre nicht diesem Hause angehörten –, ein paar Stichworte zu geben: Hightech-Strategie zum Beispiel, Pakt für Forschung und Innovation oder auch das Thema Kompetenzzentren für die Sicherheitsforschung, um nur ein paar Themen zu nennen. Auch für die nächsten Jahre ist einiges geplant. Wir werden noch einiges auf den Weg bringen. Liebe FDP, Sie hätten ja dabei sein können. ({1}) Liebe Kollegen, unser Ziel – das Ziel dieser Bundesregierung – ist, Deutschland auf Erfolgskurs zu halten. Wir wollen ganz vorne dabei sein. ({2}) Die Spitzenstellung unter den federführenden Innovationsnationen wollen wir halten. ({3}) Deshalb fördern wir Schlüsseltechnologien wie beispielsweise die künstliche Intelligenz. Wir werden auch dafür sorgen, dass Innovationen zügig umgesetzt werden bzw. zügig auf die Straße kommen. Wir wollen die Mikroelektronik weiter fördern. Denn wir wissen auch, dass kein Smartphone, kein Notebook, keine vernetzte Produktionsanlage und erst recht kein autonomes Fahrzeug ohne leistungsfähige Mikrochips funktioniert. Daher ist hier ein Mittelaufwuchs um 240 Prozent vorgesehen, nämlich auf 170 Millionen Euro. ({4}) Unser Ziel, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist außerdem, dass bis 2025 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden, und wir werden die Hightech-Strategie und den Pakt für Forschung und Innovation weiterentwickeln. Weil uns die berufliche Bildung genauso wichtig ist, haben wir auch die Initiative Berufsbildung 4.0 auf den Weg gebracht, und die werden wir auch weiter ausbauen. ({5}) Weil auch die Schulen angesprochen wurden: Der DigitalPakt Schule wird auf den Weg gebracht. Im Übrigen gibt es die Initiative „Digitales Klassenzimmer“, die dafür sorgen soll, Schulen an das Breitbandnetz anzuschließen. ({6}) – Ich kann ja nichts dafür, wenn die Schulen das nicht umsetzen oder keine Anträge stellen. ({7}) Auch die Bundesländer sind in der Pflicht. Das darf ich einmal in aller Deutlichkeit sagen. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns unserer Verantwortung voll bewusst. Wir wissen, dass künstliche Intelligenz zu gewaltigen Veränderungen führen wird. Deswegen finde ich es nicht in Ordnung, dass Sie sagen, hier gebe es ein paar Vorbehalte. Sie wissen – zumindest weiß ich als Abgeordneter das, der regelmäßig mit Bürgern in Kontakt ist –, dass es auch Ängste in der Bevölkerung gibt, gerade wenn es um das Thema künstliche Intelligenz geht. Deswegen ist es wichtig, dass wir in der Enquete-Kommission nicht nur den Bereich der Bildung beleuchten, sondern auch den Fragen nachgehen, wie sich beispielsweise die Arbeitswelt verändert, wie sich das Zusammenleben verändert und wie sich unsere Gesellschaft verändert. Das alles sind Themen, die die Menschen draußen bewegen. Diese Themen werden wir auch in der Enquete-Kommission behandeln. ({9}) Ich darf noch einmal die Bundesländer ermuntern, sich noch stärker im Bereich der Digitalisierung zu engagieren. Mein Heimatbundesland Bayern macht das vor. Die bayerische Digitalisierungsoffensive, die in dieser Woche verabschiedet wurde und Investitionsmittel von 280 Millionen Euro vorsieht, wird gerade in den Bereich der Digitalisierung und in den Bereich der künstlichen Intelligenz investieren. Alle sind eingeladen, mitzumachen. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es braucht aber in unserem Land auch mehr Mut: mehr Mut bei Innovationen, mehr Mut zum Risiko und Mut, neue Wege zu gehen. Wir brauchen mehr Wagniskultur. Hier können wir in der Tat von anderen Ländern lernen. Wie Sie wissen, erarbeitet das Ministerium ein Konzept für eine Agentur für Sprunginnovationen. ({11}) Deutschland und Frankreich arbeiten auf europäischer Ebene in diesem Bereich sehr eng zusammen. Mit einem Pilotprojekt wollen wir bahnbrechende Innovationen fördern. ({12}) Sie sehen also: Diese Bundesregierung ist nicht nur hellwach, sondern auch ausgeschlafen trotz Nachtsitzung. Wir werden als CDU und CSU gemeinsam mit unserem Koalitionspartner das Land weiter voranbringen. Wir wollen und wir werden die Stellung Deutschlands als Innovationstreiber ausbauen. ({13}) Ich lade Sie, liebe Kollegen von der FDP, dazu herzlich ein und kann Sie nur ermuntern, sich nicht wieder wegzuducken, wenn es ernst wird. Schönes Wochenende. ({14})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Götz Frömming, AfD. ({0})

Dr. Götz Frömming (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004722, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir debattieren über einen Antrag der FDP-Fraktion, mit dem nichts weniger als die „Zukunftsfähigkeit Deutschlands“ gesichert werden soll. Dafür sollen Bildung und Forschung in den Mittelpunkt gestellt werden. Das klingt nicht nur aufgesetzt und großspurig, das ist es auch, passt aber vielleicht ganz gut zum neuen Image der FDP. ({0}) Und so geht es dann weiter: Nicht gute oder bessere Bildung, nein, „weltbeste Bildung“ soll es sein. ({1}) Wer sollte da etwas dagegen haben? Deutschland hat insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert ({2}) auf dem Gebiet der Bildung großartige Pionierleistungen vollbracht. Man nannte das 18. Jahrhundert nicht umsonst das pädagogische. Bildung wurde in dieser Zeit verstanden als ein Prozess der Entfaltung und Entwicklung aller in einem Individuum angelegten positiven Eigenschaften. ({3}) Es war zugleich das Zeitalter der Aufklärung, die Zeit von Kant, Goethe, Schiller, Herder und Lessing, um nur einige der Bekannteren zu nennen. Aber es ist natürlich völlig altmodisch, bei einem Thema wie Bildung an Namen wie diese zu erinnern. Bildung hat seit dem Siegeszug der sogenannten Kompetenzen, die Sie auch in Ihrem Antrag erwähnen, nur noch am Rande mit Wissen zu tun. Die Methodik ersetzt die Didaktik, technische Geräte ersetzen das eigene Denken, ({4}) und Bildung droht zur mess- und verwertbaren Ware zu verkommen. ({5}) Um sie messen zu können, braucht es die Standards, die auch die FDP fordert, am besten bundesweite oder, noch besser, weltweite Standards. Lobbyorganisationen wie die OECD und das PISA-Konsortium arbeiten bereits daran. Meine Damen und Herren, wir müssen den Einfluss von profitorientierten Firmen auf unser Bildungssystem unterbinden. Wir müssen dem weltweit zunehmenden Bildungskolonialismus einen Riegel vorschieben und wieder unseren Lehrern statt den Algorithmen der Testindustrie vertrauen. PISA und die globale Bildungsindus­trie bedrohen unser nationales Bildungssystem, das unter dem Strich immer noch besser ist als das vieler anderer Länder. ({6}) Schmeißen wir diese Konzerne raus! Beenden wir die unsinnigen Tests, die nur Zeit und Geld kosten! Zum mechanistischen, enthumanisierten Bildungskonzept dieser Konzerne passt die Digitalisierung übrigens hervorragend. Digitalisierung scheint auch für die FDP und einige andere in diesem Hause inzwischen geradezu ein Synonym für Bildung geworden zu sein – eine fatale Verwechslung. ({7}) Selbst wenn morgen wie durch Zauberhand jeder Schüler in Deutschland ein iPad vor sich auf dem Tisch liegen hätte, würde sich am Bildungsstand dieser Nation nichts, aber auch gar nichts verändern. ({8}) Wichtig, liebe Frau Kollegin, wäre insbesondere die Stärkung des Informatikunterrichts; aber das haben Sie in Ihrem Antrag vergessen. Da müsste man etwas tun. Das taucht bei Ihnen leider überhaupt nicht auf. Geht es nach Ihrem Antrag, sollen die Länder sich verpflichten, ihre Lehrkräfte auch mit Eigenmitteln in Digitalkompetenz – was auch immer das sein soll – fortzubilden. Sie wollen in die Landeshaushalte eingreifen. Lehrer und Schüler, wir alle sollen lebenslang lernen ({9}) und zum Beispiel einen Digitalführerschein erwerben – was auch immer das sein soll. ({10}) Darf man – frage ich Sie – ohne diesen Führerschein dann eigentlich nicht mehr ins Internet? Die FDP stand doch mal für Freiheit. Beim Thema Bildungsföderalismus haben Sie auch den Anschluss an die Linken gefunden und übernehmen wie selbstverständlich den politischen Kampfbegriff des sogenannten Kooperationsverbotes, ({11}) das man dringend abschaffen müsse. Meine Damen und Herren, die FDP regiert in NRW mit, stellt sogar die Bildungsministerin. Zeigen Sie doch mal, dass Ihre Vorschläge funktionieren! Führen Sie uns das in NRW vor! Wenn es dann klappt, werden die anderen Länder Ihnen sicherlich gerne folgen, und wir müssen dann nicht einmal das Grundgesetz antasten. Ich danke Ihnen. ({12})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Oliver Kaczmarek, SPD. ({0})

Oliver Kaczmarek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004063, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es eigentlich gut, dass die FDP-Fraktion diesen Antrag vorgelegt hat, ({0}) weil er noch mal die Gelegenheit gibt, deutlich zu machen, dass wir unterschiedliche Auffassungen haben, insbesondere unterschiedliche Auffassungen davon, wie Fortschritt und Innovation gestaltet werden sollen. Denn unsere Auffassung als Sozialdemokratie ist, dass wir technischen Fortschritt erst einmal menschenfreundlich gestalten müssen – ich freue mich, dass das gestern auch in den Beiträgen zum Antrag auf Einsetzung der Enquete-­Kommission zum Ausdruck gekommen ist – ({1}) und dass wir aus technischem und wirtschaftlichem Fortschritt sozialen Fortschritt machen wollen. Wir wollen mehr Freiheit, mehr Selbstbestimmung, aber – das unterscheidet uns – nur auf der Grundlage von mehr gleichen Chancen. Deswegen ist es überraschend: Vor einer Woche ist hier in Berlin der nationale Bildungsbericht vorgestellt worden. Wieder gab es den Befund: Von 100 Kindern, deren Eltern kein Abitur haben, nehmen 24 ein Studium auf, und von 100 Kindern, bei denen mindestens ein Elternteil Akademiker ist, nehmen 74 ein Studium auf. ({2}) Dieser Bericht belegt einmal mehr die Ungleichheit der Chancen. Aber Sie legen uns eine Woche später einen Antrag vor, in dem das nicht mit einem Wort erwähnt worden ist. ({3}) Das ist bemerkenswert: soziale Ungleichheit ausblenden. ({4}) Das ist das Markenzeichen der FDP. Da sind Sie ganz die Alten geblieben. ({5}) Innovation und Fortschritt müssen auf gesunder Basis gedeihen. Deshalb: Chancengleichheit bleibt eine zentrale Herausforderung, weil wir es uns nicht leisten können, weiterhin so viele Talente nicht zu fördern. Unserer Meinung nach – lassen Sie uns über Innovationskraft des Wissenschaftssystems sprechen – beruht diese Innovationskraft gerade auf der Differenziertheit und Lernfähigkeit unseres Wissenschaftssystems. Ja, eine Agentur für Sprunginnovationen – das haben Sie ja mehrfach vorgetragen – ist wichtig, weil sie eine Leerstelle in unserem Innovationssystem füllen soll. Aber selbst Sprunginnovationen können nur auf der Grundlage einer breitaufgestellten Wissenschaftspolitik entstehen. ({6}) Wenn Sie mit Experten sprechen – Sie werden das genauso tun wie wir –, dann werden Sie hören: Im Zentrum des deutschen Wissenschaftssystems steht die Hochschule. Die Hochschule findet in Ihrem Antrag überhaupt keine Erwähnung. Das ist nicht überraschend, aber es ist schon erwähnenswert, dass das so ist. Deswegen sage ich auch: Was wir uns als Koalition vorgenommen haben, ist eine andere Richtung. Wir wollen die Basis stärken und erweitern. Die Verstetigung des Hochschulpakts ist ein wichtiges Signal an die Wissenschaftscommunity; denn sie verschafft verlässliche Finanzierungsperspektiven. Der Hochschulpakt ist eine unerlässliche Basis für die Innovationskraft unseres Wissenschaftssystems. ({7}) Gehen wir weiter: Deutschland hat kein Harvard. Aber Deutschland hat ein herausragendes Netz von Hochschulen, teilweise exzellenten Hochschulen, und Forschungsclustern sowie außeruniversitären Forschungseinrichtungen, und das ist keine Schwäche, sondern das ist eine Stärke des Wissenschaftssystems in Deutschland: diese Differenziertheit und diese flächendeckende Kraft, die das Wissenschaftssystem ausübt. Deshalb ist es richtig, dass wir uns in dieser Wahlperiode darauf verständigt haben: Wir werden den Pakt für Forschung und Innovation mit verlässlichen Aufwüchsen fortführen. Wir haben die Exzellenzstrategie schon verlängert und damit die internationale Sichtbarkeit und Differenzierung gestärkt. Wir wollen im Gegensatz zu dem, was im Antrag steht, wo nur die Spitze betrachtet wird, eine breitangelegte Wissenschaftspolitik, die die deutschen Spezifika erkennt und annimmt und die eine solide Basis für Forschung und Lehre schafft; denn nur auf der soliden Basis können eben auch Exzellenz und Innovation entstehen. Diese grundlegende Erkenntnis fehlt in Ihrem Antrag leider völlig. ({8}) Zur beruflichen Bildung. Ja, es ist richtig: Die Basis für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands ist das Zusammenspiel von Innovationen, die aus exzellenter, aber auch anwendungsorientierter Forschung entstehen, und der Umsetzung durch akademisch gebildetes Personal und beruflich gebildetes Personal. Genau diese Zusammensetzung macht die Basis für den wirtschaftlichen Erfolg aus. Deswegen ist die Stärkung der beruflichen Bildung eben nicht nur eine Frage des Images und der Wertschätzung – das auch –, sondern auch eine Frage dessen, wie wir wirtschaftlich stark bleiben können. Dass wir das angehen wollen, dokumentiert der Koalitionsvertrag. Ich glaube, es gibt keinen Koalitionsvertrag, in dem die berufliche Bildung einen so großen Stellenwert eingenommen hat wie in diesem, der uns vorliegt. ({9}) Das ist auch richtig, weil die berufliche Bildung nicht nur Bekenntnisse braucht, sondern auch nachvollziehbare Taten. Wir werden den Anforderungen der Digitalisierung entsprechen, indem wir im Berufsbildungsgesetz das auch berücksichtigen, beispielsweise wenn es um die Novellierung der Ausbildungs- und Aufstiegsverordnungen geht. Das ist ein ganz wichtiger Punkt: über berufliche Bildung nicht nur sprechen, sondern auch nachvollziehbare Taten durchführen. Ich will zum Schluss eine Gemeinsamkeit benennen, weil das wichtig ist. ({10}) Ja, wir wollen in der Bildung gemeinsam mehr Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen, und wir müssen darüber verhandeln, wie wir das gemeinsam hinbekommen. Ich glaube, dass die vorgelegte Änderung des Artikels 104c Grundgesetz eine gute Gelegenheit ist, weil sie flächendeckende Investitionen des Bundes in die Bildungsinfrastruktur von Ländern und Kommunen erst möglich macht. Deswegen wäre die Zustimmung ein großer Schritt, der auch dokumentiert: Wir nehmen große Herausforderungen gemeinsam an und sind da auch in der Lage, die verfassungsrechtlichen Grundlagen zu schaffen. Meine Bitte ist, mitzumachen. Das macht Spaß, und das bringt am Ende auch was fürs deutsche Bildungssystem. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Petra Sitte, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Na ja, ein bisschen liest sich der Antrag schon wie ein Textbaustein aus den gescheiterten Koalitionsverhandlungen. ({0}) Er wird jetzt als Antrag recycelt; okay, kann man machen. ({1}) „Bildung ist die soziale Frage unserer Zeit.“ Ein Satz, wie in Stein gemeißelt, ist da in diesem Antrag zu lesen. Weiter sagen Sie, dass Sie der Zweiklassengesellschaft innerhalb des technologischen Wandels vorbeugen wollen. Okay. Diesem sozioökonomischen Blick werden Sie mit dem Antrag und mit Ihren Vorschlägen aber nicht gerecht. Warum? Weil Sie sich vor allem den technologischen und ökonomischen Anwendungsansprüchen zuwenden. Zukunftsfähigkeit von Forschung – ich rede hier vor allem von Forschung –, wie Sie es im Titel formuliert haben, verlangt ein komplexeres Herangehen. Wissenschafts- und Technologieentwicklung haben sich erheblich beschleunigt. Anwendungen, bei denen es Probleme gegeben hat, sind oftmals nur schwer umzukehren, dominieren aber unsere Epoche – erst recht, wenn sie dann auch noch von marktbeherrschenden Unternehmen angeboten werden. ({2}) Gesellschaften ändern sich zivilisatorisch. Soziale Zusammenhänge, kulturelle Voraussetzungen, natürliche Ressourcen sollen eben nicht nur erhalten werden, sondern sie sollen sich auch ändern, und sie sollen das Potenzial zur Erneuerung bekommen können. Daher müssten eigentlich gerade jetzt Technikfolgenabschätzung, Transformationsforschung, Nachhaltigkeitsforschung ganz besonders gestärkt werden. ({3}) Mithin, meine Damen und Herren, gehen natürlich auch manche Probleme dieser Gesellschaft auf die Umsetzung wissenschaftlich gewonnener Erkenntnisse zurück. Diese neue Dimension der Verantwortung haben Politik und Wissenschaft gemeinsam zu tragen. Das heißt zum einen: Sensibilität für soziale, ökonomische und ökologische Konsequenzen muss Bestandteil von Forschung und Förderungsprogrammen sein. ({4}) Die Politik wiederum bedarf ihrerseits der Kompetenzbildung hinsichtlich der Forschungsinhalte und der Technologieentwicklung. Beides zusammen gehört in demokratische Diskurse – nicht nur in der Wissenschaft selbst, sondern vor allem in die Gesellschaft hinein. ({5}) Klaus Töpfer hat mit Blick auf technologische Entwicklungen von einer Demokratiefähigkeitsüberprüfung gesprochen. Wir sagen: Analog dazu bedarf es jetzt auch einer Gemeinwohlüberprüfung; wir müssen das diskutieren. Insofern müssen beispielsweise soziale Innovationen einen viel höheren Stellenwert bekommen. ({6}) Der Wohlstand der Nationen – um es mal mit Adam Smith zu sagen – kann nicht gemehrt werden, wenn die Perspektive der Betroffenen und der Anwenderinnen fehlt, wenn sozusagen nur in ökonomischer Anwendungslogik gedacht wird. Den Vorwurf einer solchen Einseitigkeit muss sich der FDP-Antrag gefallen lassen. ({7}) Gesellschaftliche und wissenschaftliche Ansprüche gehören zusammen – in Forschungskonzeptionen, aber eben auch in Anwendungsszenarien. Genau das macht Zukunftsfähigkeit von Wissenschaft, Forschung und Bildung aus. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Regierungsparteien sind mitten im Wettlauf um die Frage, wie man Deutschland von der Welt abschotten kann. Das ist das falsche Rezept für ein zukunftsfähiges Deutschland. Sich abzuschotten, erstickt den freien Geist, doch genau der macht unsere Gesellschaft erst offen und innovativ. Darum streiten wir für Offenheit und Neugier. Aufklärung lassen wir von der AfD nicht zurückdrehen. ({0}) Brennende Probleme gibt es genug: Kinderarmut, Bewältigung der Klimakrise, Umsetzung der Energiewende, Mangel an bezahlbarem Wohnraum und eben der Kampf für eine gerechtere Bildungspolitik. Es wird Zeit, sich endlich um die wahren Herausforderungen zu kümmern und die Fortschrittlichkeit Deutschlands und Europas in den Mittelpunkt zu rücken. ({1}) Die konstruktive Opposition im Bundestag macht ihre Arbeit. Nach uns Grünen und den Linken hat nun auch die FDP Ideen für eine bessere Bildungs- und Forschungspolitik zu Papier gebracht. „Bildung und Forschung in den Mittelpunkt stellen“ – bei dem knalligen Titel erwarten wir ein wahres Feuerwerk an Vorschlägen, werden aber doch enttäuscht. Zu Recht stellt die FDP fest: „Bildung ist die soziale Frage unserer Zeit.“ ({2}) Allerdings fehlen der FDP Konzepte, um dafür zu sorgen, dass Bildungschancen nicht länger vom Wohnort oder vom Bildungsabschluss oder vom Migrationshintergrund der Eltern abhängen. ({3}) Mit FDP-Ladenhütern wie dem dreigliedrigen Schulsystem, dem Deutschlandstipendium, den Studienkrediten und Co lässt sich das jedenfalls nicht erreichen. Ob Paul, ob Ali, ob Lisa oder Cindy – sie alle haben das Zeug zu besten Leistungen. Chancengerechtigkeit für alle, von klein auf und lebenslang, und jedes Talent optimal fördern – das sind unsere Ziele. ({4}) Gut ist, dass auch die FDP für eine grundlegende Reform des Bildungsföderalismus eintritt. Wir tun das schon lange: 2005 haben sich Grüne im Bundestag der Einführung des Kooperationsverbotes in der Bildung widersetzt. Seitdem wollen wir Kooperationshürden in Gänze abschaffen und die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern durch eine Reform des Grundgesetzartikels 91b neu entfachen, für mehr Qualität, Gerechtigkeit und Leistungsfähigkeit. ({5}) Am Ende kommt es aber auf Union und SPD an, wenn es darum geht, ob wir gemeinsam die Verfassung für beste Bildung fit machen; denn nur mit uns in der Opposition gibt es die erforderliche Zweidrittelmehrheit. An der Verfassung nur für den dauerangekündigten DigitalPakt Schule so ein bisschen rumzuschrauben, reicht uns jedenfalls nicht. Es braucht gemeinsame Antworten auf bundesweite Herausforderungen wie Bildungsgerechtigkeit, Integration, Inklusion und Digitalisierung, und das geht nur mit einer vernünftigen Verfassung. ({6}) 100 Tage ist Bildungsministerin Karliczek im Amt. Heute fehlt sie einmal mehr auf der Regierungsbank. ({7}) Sie war eine große Überraschung am Kabinettstisch. Visionäre Ziele fehlen ihr allerdings, und konzeptionell ist sie bisher völlig blank geblieben. Das muss sich dringend ändern. ({8}) Denn es gibt Baustellen zuhauf. Integration durch Bildung ist Megathema im Alltag, aber Randthema bei dieser Bundesregierung. Bildungsgerechtigkeit: bei Ministerin Karliczek gar kein Thema. Wir als Grüne wollen eine Offensive für Schulen in sozialen Brennpunkten. Berufliche Bildung: Die versprochene Stärkung bleibt bislang bloße Ankündigung. Wir wollen eine Ausstattungsoffensive für Berufsschulen. Tatenlos ist die Ministerin bei Ausbildungslosigkeit viel zu vieler Jugendlicher. Statt Warteschleifen weiter zu verwalten oder, wie die FDP es will, einigen Betrieben ein Exzellenzschild an die Tür zu nageln, brauchen wir für alle eine Ausbildungsgarantie und einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung. ({9}) Gute Ausbildungsbedingungen, gute Ausbildungsvergütungen, gute Löhne und mehr Weiterbildungsangebote sind das A und O, damit berufliche Bildung dauerhaft attraktiv ist. Legen Sie damit endlich los! ({10}) Bei Forschung und Innovation belässt es die Ministerin bei Interviews, während ich mich bei der FDP über ein allzu enges Forschungsverständnis schon wundere. Forschung verfolgt erst mal keinen direkten Zweck; es geht nicht nur um Patentzahlen. Wissenschaft braucht Freiheit – hierzulande wie weltweit. ({11}) Forschung für den Wandel, das ist unser Ideal, um die großen gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen wissensbasiert zu bewältigen. Wir setzen auf wissenschaftlichen Fortschritt, der Deutschland zum Pionier für soziale und ökologische Innovationen macht; denn wir brauchen dringend bahnbrechende Innovationen und Gründergeist, um bei der sozial-ökologischen Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft entscheidend voranzukommen und auch die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen; sonst sieht es bei der Zukunftsfähigkeit nämlich verdammt düster aus. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Hochschulen, Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften sind übrigens die Herzkammern des deutschen Wissenschaftssystems. Daher habe ich im FDP-Antrag die Hochschulpolitik vermisst – eine hochproblematische Leerstelle nicht nur bei der FDP, sondern auch bei der Bundesbildungsministerin: nichts zum Sanierungsstau an den Hochschulen, nichts zu der schwierigen Lage auf dem Wohnungsmarkt für Studierende, nichts zur Verbesserung des BAföG. Wir sagen: Wenn die außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu Recht auch künftig Jahr für Jahr Aufwüchse bekommen, dann darf man den Hochschulen das nicht verwehren. Wir wollen eine Dynamisierung des Hochschulpaktes, damit sich die Schere zwischen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen nicht weiter öffnet. Das ist gut für ein besseres Studium in Deutschland. ({13}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in ihrer Antrittsrede hat Ministerin Karliczek die Bedeutung von Bildung und Forschung beschworen. Wenn sie das ernst nimmt, darf sie sich nicht länger damit abfinden, dass ihr Politikfeld unterfinanziert ist. Sie braucht endlich zukunftsweisende Ideen. Wer Innovationen will, muss selbst innovativ regieren. Als Grüne im Bundestag kämpfen wir weiter für Chancen für alle, für gute Bildung, kreative Forschung, sozial-ökologische Innovationen; denn Deutschland braucht mehr Ideen, mehr Meister und mehr Master. Vielen Dank. ({14})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Sybille Benning, CDU/CSU. ({0})

Sybille Benning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004251, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Damen und Herren! Liebe geschätzte Kollegen von der FDP! Es gehört schon ein gehöriges Maß an Griesgrämigkeit dazu – so sagen wir bei uns zu Hause –, wenn man wie Sie zu dem Schluss kommt, dass hierzulande in der Bildungspolitik auf der Stelle getreten wird. Mit Verlaub: Das macht mir schon Sorgen. Das ist doch eher gekünstelte Intelligenz und leider keine menschliche Klugheit, sondern nur schnöde, partielle Wahrnehmung. Antragslyrik ist ja gut und schön, aber so kann ich das nicht stehen lassen. ({0}) Ihr Antrag will ausschließlich Ihr eigenes Programm ins Schaufenster stellen. Die bereits laufenden Aktivitäten zu vielen auch von der FDP befürworteten Vorhaben – wie der DigitalPakt, der Nationale Bildungsrat, die Neuauflage der Hightech-Strategie, die Gründung einer Agentur für Sprunginnovationen, ein Berufsbildungspakt – werden hier geflissentlich ignoriert. Dass die Liberalen den Koalitionsvertrag nicht zur Kenntnis nehmen: Na ja, mit Koalitionsverträgen haben Sie es ja auch nicht so. Geschenkt. ({1}) Befremdlich finde ich, dass Sie den jüngst herausgekommenen Bildungsbericht 2018 mit keiner Silbe erwähnen. Wahrscheinlich fallen dort die Ergebnisse für Ihre gelbe Schwarzmalerei zu positiv aus. Aber die Lektüre lohnt sich. Jedenfalls ist der Bildungsbericht noch immer ein Gradmesser für eine gelungene oder misslungene Bildungspolitik und nicht Ihre „Digital first, Bedenken second“-Leier. ({2}) Wir stehen für harte, überprüfbare Fakten und nicht für Agenturgeschwätz. Zu den harten Fakten gehören: Erstens. Die Anzahl der Beschäftigten im Bildungswesen hat seit 2006 kontinuierlich zugenommen. Der größte Zuwachs ist dabei im Bereich der frühen Bildung zu verzeichnen. Die frühkindliche Bildung schafft für alle Kinder gute Voraussetzungen für erfolgreiche Bildungsbiografien. Zweitens. Das duale Ausbildungssystem, für das wir weltweit bewundert werden, verzeichnet weiterhin Neuzugänge: rund 700 000 junge Menschen im vergangenen Jahr. Das ist nicht genug; aber wir arbeiten mit verschiedenen Maßnahmen an einem weiteren Zuwachs. Drittens. In dieser Woche tagte erstmals das Digitalkabinett mit unserer Bundeskanzlerin, und wir haben in dieser Woche gleich zwei Enquete-Kommissionen „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ und „Künstliche Intelligenz“ auf den Weg gebracht. ({3}) Bei uns ist nämlich Digital- und Bildungspolitik Chefinnensache. Anja Karliczek stellte dort die Eckpunkte der KI-Strategie vor. ({4}) Viertens. Mit der Plattform „Lernende Systeme“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der angekündigten Daten-Ethikkommission hat Deutschland bereits wichtige Schritte in die Wege geleitet. Jetzt gilt es, darauf aufbauend, eine eigene Strategie für die weitere Entwicklung des KI-Standortes Deutschland zu erarbeiten. Meine Damen und Herren, wir wissen, unsere Schulen brauchen schnelles Internet und moderne Ausstattung. Und Sie haben absolut recht: Die Zeit drängt. Die Große Koalition will die Digitalisierung aller Schulen in Deutschland so schnell wie möglich voranbringen: deshalb der gemeinsame Digitalpakt von Bund und Ländern. Das Volumen beträgt 5 Milliarden Euro des Bundes in fünf Jahren. Das ist doch was. ({5}) Das Geld soll sinnvoll und nachhaltig investiert werden. Mit einer Art Subvention für Endgerätehersteller, wie es in Ihrem Antrag gefordert wird, erreichen wir das sicherlich nicht. Was die Ausstattung der Schülerinnen und Schüler mit modernen Endgeräten betrifft, so kann der Ansatz „Bring your own device“ eine sinnvolle Einstiegsstrategie sein, um digitale Medien fächerübergreifend in den Unterricht einzubringen; denn 92 Prozent der Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren besitzen ein eigenes Handy oder Smartphone. Wichtig ist, dass wir jetzt zügig die Grundlage dafür schaffen und gemeinsam hier im Deutschen Bundestag und mit den Ländern das Grundgesetz ändern, im Interesse unseres Landes. ({6}) Die zweite und dritte Lesung ist dafür im Herbst 2018 vorgesehen. Parallel dazu wird die Bund-Länder-Vereinbarung zum Digitalpakt verhandelt, sodass dieser wirklich Anfang 2019 starten kann. Ich stehe zum Bildungsföderalismus; das gebe ich gerne zu. Die Länder tragen auch Verantwortung, und das wird sich in Zukunft auch nicht ändern. Das vielleicht Komplizierteste am Digitalpakt ist, dass wir die Weiterbildung der Lehrer schnell voranbringen müssen, um überhaupt digitalgestützten Unterricht anbieten zu können. Das ist übrigens eine Aufgabe der Länder. Gewiss: Der Bund kann eine Cloud für Lerninhalte anbieten. Das Bundesministerium unterstützt ein Pilotprojekt des Hasso-­Plattner-Instituts zur Entwicklung eines universellen IT-Konzepts für Schulen. 27 Schulen bundesweit wirken durch praktische Erprobung an der Entwicklung mit. Eines davon ist das Hittorf-Gymnasium bei mir zu Hause in Münster. Meine Damen und Herren, die Bereiche Lernen, Wissensaneignung und Mediennutzung werden sich durch die Digitalisierung weiter fundamental ändern, in allen Bereichen. Deswegen gibt es den Bildungsrat. Bundesministerin Anja Karliczek hat ein entsprechendes Konzept vorgestellt, ({7}) und dieses Konzept wurde vor zwei Wochen in der Kultusministerkonferenz mit den Ländern besprochen. Mit dem Berufsbildungspakt, der Nationalen Weiterbildungsstrategie und der Novellierung des Berufsbildungsgesetzes werden wir die Attraktivität der beruflichen Bildung weiter erhöhen. Ferner fördert das BMBF bereits digitale Medien im Ausbildungsalltag. Dabei dürfen wir nicht die akademische und die berufliche Bildung gegeneinander ausspielen. ({8}) Wichtig ist, dass jeder junge Mensch seinen Weg gehen kann und dass wir für jeden etwas anbieten können. ({9}) – Danke. Ich komme zum Schluss. – Grundlage für jegliches politisches Handeln ist für uns Christdemokraten unser christliches Menschenbild. Auch und gerade in Zeiten politischer und technologischer Umbrüche steht der Mensch mit seiner Würde, seiner Einzigartigkeit und seiner Persönlichkeit im Mittelpunkt. Aus diesem Menschenbild heraus wollen wir auch mit der Digitalisierung gestalten. Für uns ist Digitalisierung kein Selbstzweck, sondern Instrument und Werkzeug. Das gilt gerade auch für die Bildungspolitik. Wir haben Gestaltungswillen. ({10}) Wir haben Ideen und eine zukunftsfeste Agenda. Vielen Dank. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Benning. – Als Nächstes für die Fraktion der AfD der Kollege Dr. Marc Jongen. ({0})

Dr. Marc Jongen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004768, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Die FDP hat einen typischen Schaufensterantrag vorgelegt, mit dem Titel „Die Zukunftsfähigkeit Deutschlands sichern“. Das ist so etwas wie das Bildungs- und Forschungsprogramm einer imaginären FDP-Alleinregierung. Bei aller Sympathie für einzelne Aspekte des Antrags, muss man doch froh sein, dass solch eine Alleinregierung nicht besteht. ({0}) Sie würde nach der allzu simplen Maxime handeln: Je radikaler und schneller der Wandel, desto besser. – Das in dem Antrag massiv propagierte lebenslange Lernen entfaltet so ein unterschwelliges Drohpotenzial, für das die FDP in ihrer grenzenlosen Digitaleuphorie offenbar blind ist. ({1}) Wer nämlich irgendwann nicht mehr fähig ist, sich nach der „schöpferischen Zerstörung“ seiner Firma oder seiner Branche immer wieder und wieder neu zu erfinden und völlig umzulernen, ({2}) für den ist nicht wirklich Platz in dieser schönen neuen digitalen Welt. Bildung, werte Kollegen von der FDP, heißt, sich neue Technologien auf der Grundlage bewährter Kulturtechniken anzueignen und sich ihnen nicht bedingungslos unterzuordnen. ({3}) Denken Sie vielleicht einmal über das Bonmot von Harald Schmidt nach: „Je proll, desto digi.“ Der Stimmung nach vermittelt Ihr Antrag eine Art von Torschlusspanik. Mir kam beim Lesen folgendes Bild in den Sinn: Da rast ein Zug in die Zukunft, und der deutsche Michel steht mit der Schlafmütze daneben ({4}) und wird sich, wenn er nicht schleunigst aufspringt, bald in einem biedermeierlichen Freilichtmuseum wiederfinden. Dort kommen ihn dann Chinesen und Amerikaner besuchen, um zu sehen, wie man früher so lebte. ({5}) Das ist natürlich grell überzeichnet; aber da ist auch etwas dran. Das muss man eingestehen. Richtig ist: In der deutschen Wissenschafts- und Forschungspolitik sind seit Jahrzehnten die Weichen falsch gestellt worden. Mit dem Bologna-Prozess hat eine wissenschaftsfeindliche Verschulung des Studiums stattgefunden. Man hat ohne Not die bewährten Diplom- und Magisterstudiengänge aufgegeben; man hat den international hoch angesehenen deutschen Diplomingenieur durch Bachelor und Master ersetzt, wofür wir in den USA, wo wir damit ja Anschluss finden wollen, im Übrigen nur Kopfschütteln geerntet haben. ({6}) Die Dominanz der Projektförderung in der Forschung, hauptsächlich nach EU-Vorgaben, und die damit verbundenen Antrags- und Berichtspflichten haben zu einer exorbitanten Mehrbelastung der Forscher mit wissenschaftsfremden Aufgaben geführt. All die EU-Programme und Initiativen, die der Wissenschaft übergestülpt werden, sind im Wesentlichen für eines gut, nämlich eine neue Kaste von Bürokraten und Wissenschaftsmanagern zu nähren, die selbstreferenziell dafür sorgt, dass die bürokratischen Mühlen mahlen und ihre eigene Reproduktion gesichert ist. Zum Wohle der Wissenschaft ist das nicht. ({7}) Gute Wissenschaft gibt es weiterhin in Deutschland, aber nicht wegen, sondern trotz dieser bürokratischen EU-Programme, meine Damen und Herren. Hinzu kommt noch der schädliche Einfluss der Ideologie. Das Gender-Mainstreaming, ({8}) das den Aberwitz der Genderideologie auch in seriöse Forschungsfelder hineinträgt, hat inzwischen einen ähnlichen Status erreicht wie weiland der Marxismus-­Leninismus in der DDR. ({9}) Alle müssen diesen Gessler-Hut grüßen, wenn sie weiterhin in Ruhe forschen wollen und nicht einer neuen Inquisition zum Opfer fallen wollen. Das bedeutet eine schleichende Korruption des freien Forschergeistes, meine Damen und Herren. ({10}) Kein Wunder, dass seit vielen Jahren ein Braindrain stattfindet, auch deswegen übrigens, weil die Arbeits- und Karrierebedingungen der Wissenschaftler hierzulande nicht gut genug sind. Ebenso wie die Millionäre verlassen auch die klügsten Köpfe scharenweise unser Land. ({11}) Und bei aller Notwendigkeit der künstlichen Intelligenz: Diese klugen Köpfe werden wir durch KI nicht ersetzen können. ({12}) Man müsste endlich ernst machen mit der vielbeschworenen Autonomie der Universitäten und Forschungsinstitute. Lassen wir die Wissenschaft sich aus ihrer Eigenlogik heraus entwickeln. Statten wir sie mit ausreichenden Mitteln aus, aber überlagern wir sie nicht mit bürokratischen Programmen, mit Ideologie und mit staatlichen Strukturvorgaben. Vielen Dank. ({13})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstes erteile ich das Wort für die SPD-Fraktion dem Kollegen Dr. Karamba Diaby. ({0})

Dr. Karamba Diaby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004259, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich 24 Jahre alt war, habe ich mich um ein internationales Stipendium beworben und konnte dann an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Chemie studieren und wurde dort später auch promoviert. Meine Eltern haben dafür keinen Cent bezahlt. Ich bin zum Studieren gekommen und bin zum Leben geblieben. ({0}) So geht es vielen Tausenden Studierenden an deutschen Hochschulen. 89 Prozent davon wollen hier einen Abschluss machen, und rund die Hälfte der über 250 000 internationalen Studierenden ist erfreulicherweise in einem MINT-Fach eingeschrieben. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, damit steht fest: Deutschland hat seine Stellung als attraktiver Studienstandort weiter ausgebaut und steht positiv da. ({1}) Drei wesentliche Rahmenbedingungen sind in diesem Zusammenhang zu nennen: der Hochschulpakt, der Qualitätspakt Lehre, die Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung. Doch eine Sache will ich hier noch anmerken. Die schwarz-gelbe Regierung in NRW verlangt Gebühren von internationalen Studierenden. Wer nicht aus Europa kommt und in NRW studieren will, soll zukünftig Studiengebühren zahlen. ({2}) Das ist weder fair noch liberal. ({3}) Und noch weniger sichert es die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen Gebührenfreiheit von der Kita bis zur Uni, damit es keinen Unterschied mehr macht, ob ein Kind im Burgenlandkreis oder im Schwarzwald aufwächst. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, um gemeinsam globale Herausforderungen anzugehen, bedarf es der Weiterentwicklung funktionierender Bildungs- und Forschungsstrukturen. Für den weiteren Ausbau von Innovation, Wachstum und Beschäftigung werden wir in dieser Legislaturperiode die Entwicklung ambitionierter Strategien fortsetzen und in die weitere Förderung der Internationalisierungsstrategie investieren. Sie ist darüber hinaus aber auch ein Plädoyer für Weltoffenheit, Gemeinsamkeit und die Freiheit des Denkens im internationalen Kontext. ({5}) Mit der zunehmenden Spaltung und dem Erstarken der rechtspopulistischen Kräfte ist die Internationalisierung zunehmend herausgefordert. Heute liegt uns ein Antrag der FDP vor, der viele Dinge fordert, an denen die Bundesregierung bereits arbeitet. Um hier nur einige Beispiele zu nennen: Wir schaffen erst einmal ein Paket für die komplette Bildungskette von der Kita über die Schulen, Hochschulen bis hin zur Weiterbildung im Beruf. Dafür investieren wir in Bildung und Schulen so viel wie niemals zuvor, nämlich sage und schreibe 11 Milliarden Euro. ({6}) Wir werden die Ganztagsschulen ausbauen und nehmen dafür alleine 2 Milliarden Euro in die Hand. Zudem schaffen wir einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder. Wir werden das Grundgesetz ändern und das Kooperationsverbot aufheben. Liebe FDP, Sie sind herzlich eingeladen, mitzumachen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie Sie sehen, investiert diese Koalition kräftig in Bildung und Forschung, und das ist gut für Deutschland. Danke schön. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Wir kommen nun zu Triple B: Ich erteile der Kollegin Birke Bull-Bischoff das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Birke Bull-Bischoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004688, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ausgerechnet aus dem Mund der AfD etwas von humanistischem Menschenbild und Freiheit zu hören, das ist abstrus. ({0}) Sie haben so viel damit zu tun wie der Fisch mit dem Fahrrad. Das kann man sich ansehen, wenn man sich Ihre Reden der vergangenen Woche in diesem Hohen Hause durchliest. ({1}) Bildung ist die soziale Frage der Gegenwart. – Das ist ein sehr schöner und sehr richtiger Satz aus dem vorliegenden Antrag der FDP. Ja, kann ich da nur sagen. Das heißt aber auch, sich der Bildungspolitik aus sozialer Perspektive zu nähern. Wenn uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Praktikerinnen und Praktiker stets und ständig attestieren, dass in unserem Land wie in fast keinem anderen Land weltweit der Bildungserfolg so sehr von sozialer Herkunft abhängt, dann müssen wir diese Barrieren konkret identifizieren und endlich abbauen. Ich habe – es tut mir leid – das Gefühl, dass dieses Thema in Ihrem Antrag nur eine Nebenbaustelle ist. ({2}) Ich will zwei solcher prinzipiellen Barrieren benennen. Erstens. Wir geben in Deutschland zugegebenermaßen wirklich viel Geld für Bildung aus, und wir geben immer mehr aus. Man kann sagen: Ja, das ist gut so. – Aber wenn man unter die Oberfläche guckt, stellt man fest, dass sich Geld und Ressourcen vor allen Dingen auf die Bereiche konzentrieren, die ohnehin über meist viele Ressourcen und über einen hohen Status verfügen. Das ist dann meistens verbunden mit dem Wort „Exzellenz“. Exzellente Förderung und exzellente Bildung gehören aber vor allem dorthin, wo es schwierig wird, dorthin, wo Bildungsförderung und Pädagogik noch eine echte Herausforderung sind, zum Beispiel in der Schulsozialarbeit, in der Jugendsozialarbeit, in der Ganztagsbetreuung, in der Alphabetisierung, in der Grundbildung und in inklusiver Bildung. Denn anderenfalls befindet sich die Exzellenzinitiative auf sehr dünnem Eis. ({3}) Leider ist Umverteilung von unten nach oben auch im Bereich der Bildungspolitik gängige Praxis. Damit bin ich beim zweiten Punkt. In Deutschland hält sich immer noch die Vorstellung, die Quelle von Bildung sei nicht Vielfalt, sondern Einfalt und Homogenität. Es wird ausgegrenzt, es wird sortiert. Wir haben ein gespaltenes Verhältnis zu Diversität und Vielfalt. Im Bildungssystem ist viel zu oft die Rede von Einheitlichkeit. Vielfalt wird hierzulande sehr selten als Lernquelle, sondern eher als Störfaktor betrachtet. ({4}) Wir haben besondere Maßnahmen, wir haben besondere Förderung, wir haben besondere Schulen und besondere Einrichtungen. Inklusion wird in Deutschland stets und ständig verhindert, statt sie zu nutzen. Auch in Ihrem Antrag, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, ist davon nicht die Rede. Dabei ist inklusive Bildung eine ganz zentrale Herausforderung und eben nicht nur eine Frage von Menschenrechten, sondern mit unglaublichen Bildungspotenzialen verbunden.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Dr. Birke Bull-Bischoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004688, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Hier bleibt sie ungenutzt. Das ist aus unserer Sicht die Schwäche Ihres Antrags. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank. – Als Nächstes spricht für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Ronja Kemmer. ({0})

Ronja Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen von der FDP, vorab: Einige Forderungen in Ihrem Antrag gehen in die richtige Richtung; das möchte ich gar nicht in Abrede stellen. Man muss aber deutlich sagen, dass alles Sinnvolle, was Sie fordern, sich mit den Maßnahmen deckt, die bereits entweder in konkreter Planung oder in der Umsetzung sind. Der Koalition vorzuwerfen, dass wir im Bereich Bildung, Forschung und Innovation auf der Stelle treten oder gar entschleunigen würden, geht völlig an der Realität vorbei. ({0}) Um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu sichern, haben wir in der letzten Legislatur vieles auf den Weg gebracht und im aktuellen Koalitionsvertrag weitreichende Vorhaben verankert, die wir jetzt zügig und entschlossen angehen. Sie sprechen das wichtige Thema künstliche Intelligenz an und werfen uns vor, dass wir die Chancen nicht richtig erkennen würden. ({1}) Ministerin Karliczek hat hier in all ihren Reden sehr deutlich betont – das möchte ich noch einmal klarstellen –, dass wir beim Thema künstliche Intelligenz immer die Chancen, die sich für uns wirtschaftlich und gesellschaftlich ergeben, in den Vordergrund stellen müssen. KI ist eines der großen Zukunftsthemen. Wir wollen Deutschland zu einem weltweit führenden Standort für künstliche Intelligenz machen. Was man aber nicht einfach beiseite kehren kann – das hat die Ministerin auch zu Recht angesprochen –, ({2}) ist, dass einige Menschen skeptisch sind, weil es vielen noch schwerfällt, das Thema entsprechend einzuordnen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Ronja Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, sehr gerne.

Dr. Anna Christmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004694, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank fürs Zulassen der Zwischenfrage. – Sie haben ausgeführt, dass Sie KI jetzt mit aller Kraft voranbringen wollen. Es ist ja auch eine Strategie angekündigt. Ich würde gerne einmal nachfragen, warum Sie die Chance in diesem Haushalt nicht genutzt haben. Im Haushalt findet sich der Titel „Deutsch-französisches Zentrum für KI“. Da ist aber kein Geld hinterlegt. ({0}) Warum fangen Sie nicht schon in diesem Jahr an, wenn wir uns doch – dachte ich zumindest – alle einig sind, dass der Zeitdruck sehr groß ist? ({1})

Ronja Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Kollegin, vielen Dank für die Frage. Ich komme noch zum Stichwort „Deutsch-französisches Zentrum für Künstliche Intelligenz“. Die Planungen laufen auf Hochtouren, genau wie die Planungen für die nationale KI-Strategie, die im kommenden Herbst vorgestellt wird. Von daher ist der Zug aufs Gleis gesetzt. Wir bringen da ordentlich PS auf die Straße. ({0}) Zurück zum Thema, zum Antrag der FDP. Die Skepsis können wir von der politischen Seite, glaube ich, nicht einfach ignorieren. Wir müssen doch als Verantwortung tragende Parlamentarier eine breite gesellschaftliche Debatte anstoßen und führen. Darum bin ich sehr froh, dass wir gestern im Bundestag die Einsetzung der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ beschlossen haben. Deutschland muss beim Thema KI vorne mitspielen. Ja, die Konkurrenz in China und den USA ist groß. Aber so schlecht, wie Sie die Lage darstellen, ist sie mitnichten. ({1}) Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz ist immerhin das weltweit größte Institut auf diesem Gebiet mit zahlreichen Ausgründungen. ({2}) Im Cyber Valley in Stuttgart liegt einer der weltweit führenden Hotspots im Bereich maschinelles Lernen, und – ich habe es eben bereits gesagt – die Vorbereitungen zur Einrichtung des deutsch-französischen Zentrums für KI laufen auf Hochtouren, ebenso wie die Erarbeitung der nationalen KI-Strategie. Gerade mit Blick auf ethische Fragen und Datenschutz wollen wir nicht alles so machen wie China. Wenn wir uns auf unsere Stärken besinnen und diese entsprechend ausbauen, dann können wir – davon bin ich überzeugt – eine weltweit führende Stellung bei diesem Thema einnehmen. ({3}) Das Gleiche gilt für das Thema Digitalisierung in der Bildung. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass der DigitalPakt Schule nun endlich umgesetzt werden muss. Genau das tun wir. ({4}) Auch hier arbeiten wir mit Hochdruck auf allen Ebenen daran, dass wir nach einer komplexen Abstimmung mit den Bundesländern und der Änderung des Grundgesetzes Anfang nächsten Jahres die Fördergelder für die Schulen, für die Schulträger und damit natürlich vor allem für die Schülerinnen und Schüler zur Verfügung stellen. ({5}) Den DigitalPakt nicht auf ein solides Fundament zu stellen, das wäre verantwortungslos; denn es geht schließlich um viel Geld. ({6}) Stückwerk lehnen wir ab, so zum Beispiel die jüngste Forderung der FDP, im Haushalt schon einmal 1 000 Euro – ich wiederhole: 1 000 Euro – pro Schule zur Vorbereitung des DigitalPakts zur Verfügung zu stellen. Weder haben Sie in Ihrem Antrag irgendwie begründet, auf welcher Grundlage Sie diese 43 000 Einmalzahlungen genau verankern wollen, noch sind Sie auf den Aspekt eingegangen, wie viel von diesen 1 000 Euro nach Abzug der Verwaltungskosten überhaupt bei den Schulen ankommt. Auch die Forderung, Tablets für alle Schüler seitens des Bundes zu finanzieren, ist nicht durchdacht. Sie sagen nicht nur nicht, dass diese Forderung weitere 4 Milliarden Euro kosten würde, sondern auch nicht, dass das keine Aufgabe des Bundes, sondern der Länder ist. ({7}) Sie widersprechen sich in Ihrem Antrag selbst. In Ihrem Antrag heißt es, dass die Mittel des Bundes nicht zu Einsparungen auf Länderseite führen sollen. ({8}) Das steht so in Ihrem Antrag; ich zitiere das nur. Jetzt frage ich einmal bei aller Liebe: Wenn wir seitens des Bundes alle, aber auch wirklich alle Aufgaben der Länder übernehmen, ({9}) wozu führt das Ihrer Meinung nach, wenn nicht genau dazu, dass die Länder ihre Ausgaben entsprechend zurückfahren? ({10}) Stattdessen setzen wir mit dem DigitalPakt Schule auf eine nachhaltige Verbesserung, indem wir zum Beispiel die WLAN-Ausleuchtung, die Vernetzung der Kommunikations- und IT-Infrastrukturen sowie die Strukturen für Bildungsclouds fördern. Wir wollen einen echten Sprung in die Zukunft. Diesen Anspruch haben wir als Union beim Thema „Bildung und Forschung“, und daran werden wir auch zukünftig arbeiten. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Kemmer. – Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich der Kollegin Wiebke Esdar von der SPD das Wort. ({0})

Dr. Wiebke Esdar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn Sie erlauben, beginne ich meine Rede mit einigen Zitaten aus dem Antrag der FDP. Darin heißt es nämlich unter anderem: „Deutschland droht den Anschluss zu verlieren.“ Oder es heißt: Unser Land „rutscht ab“. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, so viel Untergangsstimmung hören wir doch sonst eigentlich nur von ganz rechts außen. Offen gesagt, klingt das für mich nicht nach „German Mut“, sondern eher nach „Liberal Panik“. ({0}) Anstatt uns aber in Panik treiben zu lassen, brauchen wir einen coolen, einen kühlen Kopf. Bildung und Forschung sind in der Tat die zentralen Zukunftsfragen unseres Landes. Darum wollen wir die Anliegen Ihres Antrags auch gar nicht kleinreden. Ganz im Gegenteil: Bei vielen Punkten – unter anderem, wenn Sie schreiben, dass die Digitalisierung in der schulischen Bildung sozial gerecht gestaltet werden soll – rennen Sie bei uns offene Türen ein. Aber bei all der Dramatik, die Sie in Ihren Antrag legen, würden wir uns wünschen, dass Sie sich mit der gleichen Vehemenz daranmachen, echte, wirklich zielführende und umsetzbare Lösungen vorzuschlagen. Die fehlen nämlich. ({1}) Sie möchten Bildung und Forschung in den Mittelpunkt stellen. Das Wort „Hochschule“ findet sich aber an keiner einzigen Stelle in dem Antrag. ({2}) Wenn Sie Bildung und Forschung in den Mittelpunkt stellen wollen, sage ich Ihnen: Wer das will, der muss doch die Beschäftigungsbedingungen und die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft betrachten. Auch dazu kein einziges Wort. Wir brauchen Spitzenqualität an den Hochschulen und in den Forschungseinrichtungen – keine Frage. Aber vor allem brauchen wir Qualität in der Breite, damit daraus Spitzenleistungen entstehen können. Da stellt sich doch die Frage: Wie viele Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler kehren der Wissenschaft in Deutschland den Rücken, weil sie schlecht bezahlt sind, unsichere Karriereperspektiven haben, befristet beschäftigt sind und sich zum Beispiel nicht einmal trauen, eine eigene Familie zu gründen? 2017 gaben in einer Erhebung der Max-Planck-Gesellschaft 49 Prozent der Doktorandinnen und Doktoranden an, ihr Verdienst reiche nicht aus, um ein Kind aufzuziehen. 58 Prozent erklärten, ihre Forschungseinrichtung unterstütze Promovierende zu wenig, wenn sie eine Familie gründen möchten. Ich könnte noch weitere Zahlen nennen: zur Unzufriedenheit mit der eigenen Vergütung, aber auch im Hinblick auf zu wenige Urlaubstage. Als jemand, der selber Doktorandin und auch Postdoc war, sage ich, dass diese Befragung beispielhaft für die Situation in Deutschland steht. Das müssen wir angehen, und da werden wir uns auch ans Werk machen. Wir als SPD haben mit dem Pakt für Forschung und Innovation bereits die Grundlage dafür geschaffen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen pro Jahr mit 3 Prozent Aufwuchs auszustatten. Was jetzt fehlt, ist – da würde ich Ministerin Karliczek gerne noch stärker in die Pflicht nehmen –, dass von diesem zusätzlichen Geld am Ende auch die Beschäftigten profitieren. Wir haben das bereits konkret angemahnt, und wir werden da auch dranbleiben. ({3}) Darüber hinaus werden wir in dieser Legislaturperiode den Hochschulpakt dauerhaft verstetigen. Wir setzen den Qualitätspakt Lehre fort. Mit dem Tenure-Track-Programm haben wir die Karrierewege an Universitäten bereits planbarer und transparenter gemacht. Mit dem Nachwuchspakt für die Fachhochschulen legen wir jetzt in diesem Bereich nach. Wir fördern Frauen mit dem Professorinnenprogramm. All das sind konkrete Schritte, mit denen wir den Wissenschaftsstandort in Deutschland gestärkt haben. Kolleginnen und Kollegen, das sind zentrale Schritte, die erst einmal für mehr soziale Sicherheit in der deutschen Wissenschaft sorgen. Durch mehr soziale Sicherheit schaffen wir dann attraktive Beschäftigungsverhältnisse. Attraktive Beschäftigungsverhältnisse ebnen für unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Weg hin zu exzellenten Leistungen und Spitzenleistungen an den Hochschulen und in den Forschungseinrichtungen. Dann sind sie dabei – ganz nebenbei – auch noch Aushängeschild im Wettbewerb um die besten Köpfe in der ganzen Welt. Wir als Bundestagsfraktion sind überzeugt: Wenn wir die Zukunftsfähigkeit der Wissensgesellschaft Deutschland erhalten wollen, dann brauchen wir Spitzenforschung. Die Grundlage dafür ist aber soziale Sicherheit. Ich bin hoffnungsvoll, dass auch Sie von der FDP noch zu dieser Erkenntnis kommen können, und ich hoffe, dass Sie dann auch Ihren liberal Mood entdecken. Dann können wir gemeinsam daran arbeiten. Danke schön. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Esdar. – Nach den Worten dieser Kollegin schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/2988 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 184 Jastimmen bei 4 Neinstimmen für Deutschland verkündete der Präsident – – ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Minister, tun Sie mir einen Gefallen und beginnen Sie noch mal neu. Wir warten, bis die Kolleginnen und Kollegen ihre Begrüßungszeremonien abgehalten und sich entweder gesetzt oder den Saal verlassen haben.

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Dann stoppen Sie bitte die Uhr, Herr Präsident, solange ich hier innehalten soll.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ich weiß, dass Sie in der Lage sind, auch bei einer solchen Lautstärke zu reden, aber diese Unruhe ist einfach nicht nur unhöflich, sondern auch ungewöhnlich in diesem Haus.

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Ich danke Ihnen, Herr Präsident. – Also noch mal – es hat sich nichts verändert –: 184 Jastimmen bei 4 Neinstimmen für Deutschland verkündete der Präsident der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 8. Juni 2018 als Ergebnis der Wahl der nichtständigen Sicherheitsratsmitglieder, und ich finde, das ist eine überwältigende Mehrheit für unser Land und keineswegs selbstverständlich. ({0}) Diese Mehrheit ist Ausdruck der großen Anerkennung für das weltweite Engagement unseres Landes, und manchmal würde ich mir wünschen, dass die, die in unserem Land schlecht über unser Land reden, sich mal außerhalb des Landes erkundigen würden, wie dort über uns geredet wird. ({1}) Wir sind als aktiver Fürsprecher multilateraler Konfliktlösungen bekannt, wir sind viertgrößter Beitragszahler in den Vereinten Nationen, und wir sind auch ein wichtiger Truppensteller. ({2}) Wir sind ein engagiertes Mitglied im Menschenrechtsrat und großzügiger Unterstützer des humanitären Systems und der Entwicklungsorganisationen der Vereinten Nationen. ({3}) Unsere Wahl in den Sicherheitsrat ist aber nicht nur die Anerkennung für bereits Geleistetes. Bei meinen drei Besuchen bei den Vereinten Nationen im Vorfeld der Wahl habe ich deutlich erfahren können, welche hohen Erwartungen an uns gerichtet sind. Deutschland wird zugetraut, eine Kraft des Ausgleichs zu sein, ein Verteidiger der regelbasierten Weltordnung, eine Stimme der Vernunft in einer zunehmend radikalisierten Welt. Das sind hohe Ansprüche, denen wir aber gerecht werden wollen. Vor 60 Jahren sprach der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen Dag Hammarskjöld von Zeiten des Friedens, die kein Friede sind. Auch wenn sich die Herausforderungen seitdem verändert haben, spüren wir heute doch, dass unser Friede keineswegs eine Ewigkeitsgarantie hat, dass Konflikte in der Welt auch uns in Europa unmittelbar erreichen und dass die Weltordnung gerade im Moment gewaltige Umbrüche erlebt. Wichtige Akteure wenden sich vom multilateralen System ab. Denken wir etwa an den Rückzug der Vereinigten Staaten aus dem Menschenrechtsrat. Andere Staaten blockieren internationale Konfliktlösungen durch ihr Veto oder brechen internationales Recht, wie wir das bei der Annexion der Krim gesehen haben. Unsere Antwort darauf muss die Antwort sein, die auch Dag Hammarskjöld gegeben hat, als er sagte: Wir brauchen starke Vereinte Nationen, und wir brauchen sie mehr denn je. ({4}) Wir brauchen natürlich auch einen handlungsfähigen Sicherheitsrat als Herzstück der internationalen Sicherheitsarchitektur. Bei aller berechtigten Kritik dürfen wir eines nicht vergessen: Alleine im vergangenen Jahr wurden 61 Resolutionen im Sicherheitsrat in New York angenommen – 59 davon einstimmig. Das zeigt: Der Sicherheitsrat kann und wird einen wichtigen Beitrag zu Frieden und Stabilität leisten. Wenn wir 2019 in den Sicherheitsrat einziehen, wird dieser zu einem Drittel aus EU-Mitgliedern bestehen. Diesen europäischen Moment wollen wir nutzen. Europäische Außenpolitik, die diesen Namen verdient, wollen wir auch in New York machen, dort, wo es um die großen Fragen von Krieg und Frieden geht. Meine Damen und Herren, natürlich ist die Arbeit im Sicherheitsrat zuallererst von den aktuellen Krisen unserer Zeit geprägt. So schwierig es auch sein wird, bei der Konfliktlösung in Syrien, in der Ukraine, im Südsudan oder im Jemen voranzukommen: Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten. Wir sitzen schon jetzt am Verhandlungstisch, wenn es um eine politische Lösung für Syrien oder um eine friedliche Lösung für die Ostukraine geht. Klar ist aber auch, dass der Sicherheitsrat nicht immer erst dann aktiv werden kann, wenn es schon lichterloh brennt. Er muss Brände verhindern, und er muss sich zunehmend auch um die Brandbeschleuniger kümmern. Wie im Antrag von CDU/CSU und SPD gefordert, wollen wir daher unseren Vorsitz im Sicherheitsrat auch nutzen – das wird schon im April des nächsten Jahres der Fall sein –, um Menschenrechtsverletzungen, die Auswirkungen des Klimawandels oder Gesundheitsrisiken wie Ebola auf die Tagesordnung zu setzen; denn wir wissen, dass Entwicklung und Achtung der Menschenrechte immer die Voraussetzung für dauerhaften Frieden sind. ({5}) Auch der vielfach zu wenig beachtete und unverzichtbare Beitrag, den Frauen für Frieden und Sicherheit leisten, muss noch stärker berücksichtigt werden. Hier wollen wir schwedische Initiativen aus dem Sicherheitsrat aufgreifen und fortführen. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Krisenprävention ist eine unserer deutschen Stärken. Unsere Erfahrungen, unsere Ideen und unsere Kapazitäten bei der Stabilisierung, der Mediation und der Konfliktnachsorge werden schon jetzt weltweit abgefragt. Wir werden sie auch aus dem Sicherheitsrat heraus überall dort einbringen, wo Länder in Konflikte abzurutschen drohen. Ein weiterer Brandbeschleuniger ist die unkontrollierte Proliferation von Waffen, insbesondere von Kleinwaffen. Hier wollen wir gemeinsam mit den Vereinten Nationen Verbesserungen für Menschen in Kriegsgebieten erreichen. Auch dieses Thema werden wir auf die Tagesordnung setzen. ({7}) Angesichts der globalen Aufrüstung begrüßen wir deshalb ganz außerordentlich, dass Generalsekretär Guterres die Themen Abrüstung und Rüstungskontrolle wieder auf die Tagesordnung der Vereinten Nationen gesetzt hat. Auch das wird ein Punkt sein, mit dem wir uns außerordentlich intensiv beschäftigen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss will ich noch einen Punkt ansprechen, der auch im Antrag der Regierungsfraktionen zu Recht aufgeworfen wird: Wie können wir die Effektivität und die Legitimität der Vereinten Nationen stärken? Ein Ansatzpunkt ist, um das deutlich zu sagen, den Sicherheitsrat inklusiver zu machen. Das heißt, ihn endlich an die Realität des 21. Jahrhunderts anzupassen. Das heißt auch: Deutschland steht bereit, in einem reformierten Sicherheitsrat auch dauerhaft Verantwortung zu übernehmen. ({8}) Neben den Sicherheitsratsreformen müssen wir aber auch die Reform des Entwicklungssystems der Vereinten Nationen und der Managementstrukturen voranbringen. Auch das ist eines der großen Reformvorhaben des Generalsekretärs. Dabei gibt uns auch die breite Unterstützung des Deutschen Bundestages Rückenwind dafür, die freiwilligen Beiträge Deutschlands im Rahmen bestehender Handlungsspielräume noch einmal zu erhöhen. Meine Damen und Herren, das ist ein wichtiges Signal. Das ist aber auch ein notwendiges Signal, besonders in Zeiten, in denen auch der eine oder andere in Deutschland schon den Abgesang auf die multilaterale Weltordnung angestimmt hat. Je breiter der Multilateralismus infrage steht, desto entschiedener müssen wir ihn verteidigen. Wir müssen für mehr internationale Zusammenarbeit und nicht weniger eintreten. Das wollen wir tun: als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Schönen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Minister Maas. – Als Nächstem erteile ich für die AfD-Fraktion dem Kollegen ­Armin-Paulus Hampel das Wort. ({0})

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Liebe Gäste im Deutschen Bundestag! Ich weiß gar nicht, zum wievielten Male wir uns mit dem Thema „Ständiger Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat“ beschäftigen. ({0}) Viele Jahre ist es her, dass das mal aufs Tapet gebracht wurde, und letztendlich kommt es immer wieder mal als Vorstoß. Aufgrund unserer erneuten Teilnahme als nichtständiges Mitglied ist natürlich klar, dass man darüber reden muss. Interessant finde ich am Antrag von den beiden Koalitionsparteien, dass darin letztendlich immer wiederkehrend die Punkte zu finden sind, die wir alle schon kennen: Demokratie, Menschenrechte, Frieden, Stabilität – Feminismus haben Sie noch ein bisschen erwähnt –, und – nicht zu vergessen – der Klimawandel. Das sind zwar alles schöne hehre Ziele – nicht alles aus unserer Perspektive; damit meine ich den Klimawandel –, aber bloß die üblichen Floskeln. ({1}) Die eigentlichen Probleme der Vereinten Nationen, verehrte Kollegen, werden in diesem Antrag gar nicht erwähnt. Der Minister hat es wenigstens ein bisschen angedeutet. Ich kann mich erinnern, dass Richard von Weizsäcker mal Chef der Reformkommission war. Von den Reformen habe ich allerdings sehr wenig gehört. Ich kann mich erinnern, dass es mal einen Generalsekretär namens Boutros Boutros-Ghali oder auch Kofi Annan gab. Die haben Sie damals bei allen Krisen in dieser Welt in den Nachrichten sehen können. Die waren aktiv dabei. Fragen Sie mal heute die Bürger auf der Straße, wie der derzeitige UN-Generalsekretär heißt. Sie kennen ihn nicht mal mehr. Das zeigt die Schwäche der Vereinten Nationen, vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Konflikte, die wir derzeit in dieser Welt haben. Man muss die Vereinten Nationen und den UN-Sicherheitsrat in der Tat reformieren, um daraus wieder ein aktives Instrument internationaler Politik zu machen. Diese sind heute sehr viel schwächer, als sie es noch vor 20 oder 25 Jahren waren. Das sollte als Erstes unser Ziel sein. ({2}) Deutschland als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat müsste auch die entsprechenden Qualitäten mitbringen. Die, die sonst da sitzen, sind Mächte, Mittelmächte und Großmächte, die durchaus einen Einfluss in der Welt haben und sich Einfluss verschaffen können. Wenn ich den Zustand unserer Bundeswehr sehe, dann habe ich meine Zweifel, ob ein Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat so ernst genommen wird, wenn die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr schon an der Kreisgrenze aufhört. Bei der Reform der Vereinten Nationen muss doch zuallererst ein robustes Mandat der Vereinten Nationen wieder im Vordergrund stehen – was wir Deutschen gar nicht leisten können. Denken Sie nur an die Dinge, die in der Vergangenheit geschehen sind. Lesen Sie mal das Buch des kanadischen Generals, der in Ruanda eingesetzt war, damit Sie sehen, wie beschämend dessen Erfahrungen als UN-Kommandeur in Ruanda mit dem schrecklichen Menschenschlachten, das dort stattgefunden hat, waren. Denken Sie an Srebrenica, wo die Vereinten Nationen völlig versagt haben. Ich glaube also: Wenn wir darüber diskutieren wollen, ein Mitglied im UN-Sicherheitsrat zu werden, müssen wir die Voraussetzungen dazu mitbringen, und das heißt, dass wir erst mal unsere Bundeswehr reformieren und eine schlagkräftige Truppe daraus machen müssen, die dann auch wirklich in einem Einsatz der Vereinten Nationen – ich wiederhole: mit einem robusten Mandat versehen – an der Seite unserer alliierten Partner eingesetzt werden kann. Nur das verschafft uns die entsprechende Geltung. Es handelt sich hierbei selbstverständlich um einen Teil nationaler Interessenpolitik. Der Passus des Antrags ist: Irgendwann in fernerer Zeit wollen wir mal einen EU-Sitz haben. – Warum gehen denn die Franzosen und die Briten nicht darauf ein und sagen: „Wir machen einen europäischen Sitz im UN-Sicherheitsrat“? ({3}) Warum nicht? Weil sie nationale Interessen wahrnehmen. Glauben Sie doch nicht, dass Paris oder London einem europäischen Sitz im Sicherheitsrat zustimmen werden. Also ist es wichtig, dass auch wir unsere nationalen Interessen wahrnehmen. Das ist ein Instrument, um sie auch durchzusetzen und dann als aktives Mitglied dort zu sitzen. Wir werden natürlich auch mehr Verantwortung übernehmen, aber vor dem Hintergrund dessen, was ich gesagt habe: um die Interessen der UN durchzusetzen und mit einem robusten Mandat in Krisengebieten wirklich friedensstiftend zu wirken, und nicht das, was wir in den vergangenen Jahren als Niederlage der UN immer wieder erleben mussten. Es gibt noch einen Punkt, über den komischerweise nie geredet wird, auch in den vergangenen Jahren nicht, obwohl es immer wieder ein Thema war: Bevor wir uns mit einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat beschäftigen, sollten wir uns doch vielleicht mal mit der Charta der Vereinten Nationen beschäftigen. Jetzt wissen Sie natürlich alle, worauf ich hinauswill: Es geht um die Feindstaatenklausel, die immer noch in der Charta der Vereinten Nationen steht. ({4}) Interessanterweise wird dann immer erzählt: Ja, das ist obsolet. – Es gab ja schon Willensbekundungen, das in fernerer Zukunft zu streichen. Ich glaube, 2007 gab es die letzte Initiative der Bundesregierung und es wurde zumindest angekündigt: Wir reden mal drüber. Die Feindstaatenklausel – für den, der es nicht weiß – heißt, dass die ehemaligen Alliierten des Zweiten Weltkrieges Zwangsmaßnahmen ohne besondere Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat verhängen können, falls die Feindstaaten – das sind Deutschland, Japan, und ich glaube, auch Italien – des Zweiten Weltkrieges erneut eine aggressive Politik verfolgen. Dies schließt auch militärische Interventionen mit ein. „Eine aggressive Politik verfolgen“ ist sehr interpretationsfähig; das können Sie so oder so definieren. – Das ist das eine. Das andere ist: Immer wieder wurde betont, auch vonseiten der Mitglieder der UN, dass dies inzwischen überholt sei; es sei obsolet geworden. Dazu gab es auch eine Note. Komischerweise ist es aber nie gestrichen worden. Meine lieben, verehrten Kollegen, einen Mietvertrag, in den der Vermieter schreibt, wenn es ihm wirtschaftlich nicht so gut gehe, sei er berechtigt, die Miete zu verdoppeln, würde keiner von Ihnen in diesem Hause unterschreiben. Die Feindstaatenklausel in der UN-Charta ermächtigt die ehemaligen Siegermächte des Zweiten Weltkrieges aber genau dazu. Insofern bin ich der festen Überzeugung: Bevor wir uns Gedanken darüber machen, dass wir ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat werden, müssen wir die Völker in der UN-Generalversammlung in New York davon überzeugen, dass diese anachronistische Formel über 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in den Mülleimer der UN-Büros gehört und nicht mehr in die Charta der Vereinten Nationen. ({5}) Herr Minister, setzen Sie sich dafür ein. Dann sind wir auf Augenhöhe. Wir sind keine Feindstaaten mehr. ({6}) Wir haben das jahrzehntelang unter Beweis gestellt. Das haben wir nicht nötig. Kämpfen Sie dafür – und dann reden wir über die Teilnahme am Sicherheitsrat der UN. Danke schön. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächster Redner erhält der Kollege Dr. Andreas Nick für die CSU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Andreas Nick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004362, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit großer Mehrheit wurde Deutschland Anfang Juni für die Jahre 2019 und 2020 als nichtständiges Mitglied in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gewählt. Das hervorragende Wahlergebnis ist Ausdruck des weltweit hohen Vertrauens in unser Land –, aber auch der Erwartungen an Deutschland, mehr Verantwortung zu übernehmen. Deutsche Außenpolitik ist dem Frieden verpflichtet und fest in den Vereinten Nationen und der Europäischen Union verankert. Wir bekennen uns in aller Klarheit zur multilateralen und regelbasierten internationalen Ordnung. Diese Ordnung wird inzwischen in vielfacher Form herausgefordert. Daraus ergibt sich für uns eine klare Konsequenz: Wir müssen in deutlich höherem Maße als in der Vergangenheit selbst dazu beitragen, Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten – in unserer europäischen Nachbarschaft und weltweit. Wir sind nicht nur der viertgrößte Beitragszahler der Vereinten Nationen, wir bringen uns auch weit darüber hinaus immer stärker ein: mit diplomatischen Initiativen wie bei E3+3, mit militärischen und zivilen sowie – zunehmend wichtiger – polizeilichen Fähigkeiten und natürlich auch im Bereich der internationalen Entwicklungszusammenarbeit bei der Umsetzung der Agenda 2030. Unsere Kandidatur für den Sicherheitsrat hatten wir unter die vier Leitbegriffe Frieden, Gerechtigkeit, Innovation und Partnerschaft gestellt. Dies wird uns bei unserem Engagement und unseren Prioritäten strategisch leiten. Und mit Christoph Heusgen, dem langjährigen Berater der Bundeskanzlerin, sind wir mit einem unserer erfahrensten Diplomaten bei den Vereinten Nationen vertreten. Dies verdeutlicht den besonderen Stellenwert der Vereinten Nationen in unserer Außenpolitik. Meine Damen und Herren, die Handlungs- und Funktionsfähigkeit des Sicherheitsrats wird zunehmend durch die Vetomächte Russland und China infrage gestellt. Besonders deutlich wird das durch die Blockade in der Syrien-Krise. Seit 2011 hat Russland bei Resolutionen zur Syrien-Krise zwölfmal sein Veto eingelegt; China hat das sechsmal getan. Die Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrats gerade im Fall Syrien unterminiert die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen nachhaltig. Wir sehen aber auch mit wachsender Sorge, dass sich die USA nicht nur mehr und mehr aus der multilateralen Zusammenarbeit zurückziehen, sondern diese zunehmend offensiv infrage stellen – vom Pariser Klimaabkommen und der UNESCO über den UN-Menschenrechtsrat und das Iran-Abkommen bis zum UN-Büro für Terrorismusbekämpfung. Für die Zukunft kommt es deshalb entscheidend darauf an, ob die drei großen Vetomächte bereit sind, den Sicherheitsrat als das zentrale Forum zur internationalen Zusammenarbeit anzusehen und entsprechend zu revitalisieren. Im Rahmen unserer diplomatischen Möglichkeiten wollen wir darauf hinwirken, die bestehende Blockade zum Syrien-Konflikt zu überwinden. Mit unseren Erfahrungen aus dem Normandie-Format wollen wir auch die Diskussion über einen möglichen Blauhelmeinsatz in der Ukraine voranbringen. Der Sicherheitsrat wird sich künftig aber noch frühzeitiger mit Krisenprävention befassen müssen; der Außenminister hat dies angesprochen. Und es ist ein grundlegender Wandel festzustellen: Oftmals geht es nicht mehr um die klassischen zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen, sondern zunehmend um innerstaatliche Konflikte und Bürgerkriege. Deshalb setzen wir uns auch für die Stärkung des Konzepts der Schutzverantwortung, der Responsibility to Protect, und ihre völkerrechtlich legitimierte Implementierung ein. Wenn ein Staat seine Bürger nicht schützt oder gar Krieg gegen seine eigene Bevölkerung führt, dann muss der Sicherheitsrat handlungsfähig sein. Deshalb unterstützen wir mit aller Überzeugung die französische Initiative, dass die ständigen Mitglieder in Fällen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschheit oder Kriegsverbrechen grundsätzlich auf ihr Vetorecht verzichten sollen. Mit Deutschland, Belgien und Polen sind im nächsten Jahr neben den beiden ständigen Mitgliedern Frankreich und Großbritannien fünf Mitglieder – also ein Drittel der Sicherheitsratsstaaten – aus Europa. Insbesondere gemeinsam mit Frankreich wollen wir diese Chance zur Koordinierung, Europäisierung und gemeinsamer Abstimmung nutzen. Volker Kauder hat gestern bereits darauf hingewiesen, wie wichtig es wäre, künftig im Sicherheitsrat mit einer europäischen Stimme zu handeln und zu agieren. Wie keine andere multinationale Organisation tragen die Vereinten Nationen zur Wahrung des Völkerrechts, zur Normsetzung sowie zur Gestaltung der Globalisierung bei. Wir wollen ihre Effektivität und Legitimation stärken. Sonst droht den Vereinten Nationen ein Verlust an Relevanz. Generalsekretär Guterres unternimmt dazu wichtige organisatorische und konzeptionelle Reformen. Dabei wollen wir ihn unterstützen. Unser langfristiges Ziel bleibt ein ständiger Sitz der Europäischen Union. Dies könnte auch ein erster Schritt zu einer nachhaltigen Reform des Sicherheitsrats insgesamt sein. Ein ständiger Sitz der EU ist auch im Konzept von Kishore Mahbubani, einer Drei-mal-sieben-Lösung mit sieben ständigen, sieben semiständigen und sieben nichtständigen Mitgliedern, vorgesehen, ein Konzept, mit dem auch Schwellenländer und Entwicklungsländer endlich fair im Sicherheitsrat repräsentiert wären. Liebe Kolleginnen und Kollegen, internationale Zusammenarbeit ist für uns kein Nullsummenspiel. Deutschland profitiert wie kaum ein anderes Land auf der Welt von der offenen, freien und sicheren Weltordnung. Es ist deshalb das überragende strategische Interesse unseres Landes, diese Ordnung zu bewahren und weiterzuentwickeln. Lassen Sie uns die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat dazu nutzen, die Arbeit der Vereinten Nationen und die regelbasierte internationale Ordnung nachhaltig zu stärken. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster hat das Wort der Kollege Bijan Djir-Sarai für die FDP-Fraktion. ({0})

Bijan Djir-Sarai (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004029, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist die wichtigste multilaterale Errungenschaft seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Ziel des Gremiums ist es, die Grundlage für Frieden, Sicherheit und Stabilität weltweit zu sein. Besonders in Hinblick auf die vielfältigen Konflikte, Krisen und Kriege nimmt die Bedeutung des UN-Sicherheitsrates zu. ({0}) Es ist daher zu begrüßen, dass die Bewerbung für einen nichtständigen Sitz Deutschlands Erfolg hatte und man sich in den kommenden zwei Jahren aktiv in diesem wichtigen Gremium einbringen kann. In dieser Zeit muss sich Deutschland dafür einsetzen, dass die dringend notwendigen Reformen endlich umgesetzt werden. Denn wir erleben immer häufiger, dass die Hauptaufgabe des Gremiums, die Wahrung des Völkerrechts, nicht mehr erfüllt werden kann. Unzählige Resolutionen, beispielsweise für eine Feuerpause in Syrien, wurden von der Vetomacht Russland blockiert. Das ist nur eines von vielen Beispielen, das den Reformbedarf des UN-Sicherheitsrates deutlich herausstellt. Seit 1945 hat sich der Rat kaum verändert. Er spiegelt mit den fünf Vetomächten noch immer die Machtverhältnisse zum Ende des Zweiten Weltkrieges wider. Das entspricht nicht mehr der heutigen Realität. ({1}) Allein im Interesse der Realpolitik sollte die Zusammensetzung des Sicherheitsrates an die geänderte Weltpolitik angepasst werden. Handlungsfähigkeit und Legitimation des UN-Sicherheitsrates können langfristig nur gewährleistet werden, wenn dessen Zusammensetzung die Bedeutung einzelner Mitgliedsländer angemessen widerspiegelt. ({2}) Deutschland zum Beispiel ist mit 400 Millionen Euro im Jahr viertgrößter Beitragszahler der Vereinten Nationen und engagiert sich auch weit darüber hinaus. Für UN-Missionen stellt Deutschland derzeit mehr als 3 500 Soldatinnen und Soldaten sowie 130 Polizeivollzugsbeamte zur Verfügung. Zudem engagiert sich Deutschland im Bereich der Entwicklungshilfe so stark wie kaum ein anderes Land der Welt. Aufgrund dieses Engagements lässt es sich nicht mehr rechtfertigen, dass Deutschland keinen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat hat. ({3}) Außerdem ist offen die Frage zu stellen, warum Deutschland bei den Führungspositionen der Vereinten Nationen derart schlecht vertreten ist. ({4}) Deutsche lassen sich in relevanten Führungspositionen der UNO vergeblich suchen. ({5}) Die Zusammensetzung des Sicherheitsrates und die Besetzung der Positionen innerhalb der Vereinten Nationen sollten die Bedeutung der einzelnen Mitgliedsländer angemessen widerspiegeln. Daher ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung zumindest an dieser Stelle plant, sich während ihrer Mitgliedschaft für einen dauerhaften Sitz, für einen europäischen Sitz starkzumachen. Ob das etwas mit der Realität zu tun hat, werden wir später bewerten können. Bei den notwendigen Reformen müssen wir ebenfalls die Interessen Afrikas im UN-Sicherheitsrat stärker berücksichtigen. Die Afrikanische Union hat dem gesamten afrikanischen Kontinent in den vergangenen Jahren mehr Gewicht verliehen. Diese Entwicklung muss sich in Zukunft mehr als bisher im Sicherheitsrat zeigen. Der Reformbedarf ist aber noch weitreichender. Es darf nicht sein, dass Mitgliedstaaten wichtige Resolutionen zur Bekämpfung von Kriegsverbrechen, Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit blockieren. Daher unterstützen wir Freidemokraten den Vorschlag des französischen Präsidenten Macron, dass die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates in bestimmten Fällen auf ihr Vetorecht verzichten sollten. Der Antrag der Regierungsfraktionen greift diese Forderung zumindest in Teilen auf, weshalb ihm grundsätzlich zuzustimmen ist. ({6}) Der UN-Sicherheitsrat braucht Veränderungen, eine Mitgliederstruktur, die an die veränderte Weltpolitik angepasst ist, einen festen europäischen Sitz und kein Vetorecht in Bezug auf Kriegsverbrechen, Völkermord und Vergehen gegen die Menschlichkeit.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege!

Bijan Djir-Sarai (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004029, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

So kann man die gesamte Debatte zusammenfassen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Djir-Sarai. – Ich weise für die weiteren Redner noch einmal darauf hin, dass Redezeitüberschreitungen uns wieder in die Abendstunden bringen. Ich bin gewillt, solche Überschreitungen nicht mehr zuzulassen. ({0}) – Frau Kollegin Hänsel, das kann möglicherweise auch Sie erwischen. Sie haben jedenfalls als Nächste das Wort. Herzlichen Dank. ({1})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Maas, Sie haben sich echauffiert, hier werde das Land schlechtgeredet. ({0}) – Genau, wo ist denn Herr Maas? – Der Außenminister ist da. Sie haben gesagt, das Land werde schlechtgeredet. Ich muss sagen: Wir reden generell kein Land schlecht, sondern kritisieren schlechte Regierungspolitik. Daher haben wir derzeit zur Bundesregierung viel zu sagen. ({1}) Deutschland wird ab 2019 für zwei Jahre nichtständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats sein. Es ist nicht nur eine Provinzposse, was wir in den letzten Wochen von diesen Seehofers, Söders und wie sie alle heißen, von dieser Laienschauspieltruppe erlebt haben, die nun Abschottung betreibt und einen Angriff auf das Asylrecht unternimmt. Das widerspricht auch völlig dem Inhalt des globalen Paktes für Migration, der von den Vereinten Nationen gerade mit der Bundesregierung verhandelt wird. Da stelle ich mir schon die Frage: Nehmen Sie eigentlich Ihre eigene Arbeit bei den Vereinten Nationen ernst, oder wollen Sie auf die Cowboys in Bayern weiter hören? ({2}) Es geht in dem Pakt um die Menschenrechte von Flüchtlingen und Migranten. Diese müssen in vollem Umfang respektiert werden. Die Vereinten Nationen haben uns kritisiert, wie wir derzeit mit den Flüchtlingsschiffen im Mittelmeer umgehen. Wenn wir Mitglied im UN-Sicherheitsrat werden wollen, dann ist es das Minimum, dass bestimmte Standards eingehalten und verteidigt werden. ({3}) 2017 – so sagt das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung – gab es weltweit 20 Kriege und über 385 Konflikte, viele davon gewaltsam ausgetragen. Fast 70 Millionen Menschen sind auf der Flucht vor Krieg und Elend. In diesem Zusammenhang ist die entscheidende Herausforderung, dass wir dazu beitragen, dass Fluchtursachen beendet werden. Dazu gehört natürlich, dass wir Kriege beenden, dass Militäreinsätze beendet werden, dass wir zur Abrüstung und zum Kampf gegen die weltweit grassierende soziale Ungleichheit beitragen. ({4}) Da muss sich die Bundesregierung doch erst mal die eigene Außenpolitik anschauen. Was macht denn die Bundesregierung zum Beispiel in Fragen des Völkerrechts? Wenn man jetzt Mitglied des UN-Sicherheitsrats werden will, ist es eigentlich entscheidend, dass man alle Völkerrechtsbrüche, egal von wem sie begangen werden, verurteilt und dafür sorgt, dass keine weiteren passieren. Aber Sie schauen nur auf Russland. Sie haben Russland verurteilt, zu Recht: Es war ein Völkerrechtsbruch. Die EU-Sanktionen wurden sogar verlängert. Aber was ist mit all den anderen Ländern? Ihre NATO-Partner brechen Völkerrecht. Das haben Sie bisher nicht mal ausgesprochen. Zu den Angriffen auf Syrien durch die USA, zum Überfall auf Afrin durch die Türkei gibt es von Ihnen kein Wort. Solange Sie diese Doppelstandards nicht beenden, ist die Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat völlig unglaubwürdig. ({5}) Es gab in den letzten Jahren, vor allem im letzten Jahr, wegweisende Initiativen für Abrüstung, zum Beispiel den Atomwaffenverbotsvertrag; seine Unterzeichnung jährt sich kommende Woche. Vor einem Jahr haben 122 Staaten beschlossen, dass der Besitz, die Stationierung und der Einsatz von Kernwaffen verboten sind. Diesen Vertrag muss endlich auch Deutschland unterzeichnen. ({6}) Beenden Sie hier Ihre Blockadehaltung. Statt die eigene Aufrüstung jetzt im Sinne der NATO auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes hochzutreiben – Sie, Herr Maas, haben ja davon gesprochen, international müsse es Abrüstung geben; bei den Haushaltsberatungen nächste Woche werden wir ja erleben, dass zusätzliche Milliarden für das Militär bereitgestellt werden – und sich dann auch noch militärisch gegen Russland aufzustellen, sollte die Bundesregierung eine Initiative für eine ständige Abrüstungskonferenz zu konventionellen und nuklearen Waffen in Europa im Rahmen der OSZE ergreifen. ({7}) Das wäre überfällig, und es würde an die Erfahrungen der Entspannungspolitik anknüpfen. Da hätte die Bundesregierung sehr viel von dem einzubringen, was frühere Regierungen alles erreicht haben. Statt nun selbst auch noch bewaffnungsfähige Drohnen anzuschaffen, sollte sich die Bundesregierung, im Gegenteil, bei den Vereinten Nationen für die weltweite Ächtung dieser Drohnen einsetzen. ({8}) Das wäre eine überfällige Initiative; denn auch beim Einsatz von Drohnen erleben wir zahlreiche Völkerrechtsbrüche. Es gibt auch andere sehr wichtige Initiativen bei den Vereinten Nationen. Da sieht man bei der Bundesregierung auch nur Boykott und Blockade. Ich denke zum Beispiel an den sogenannten Treaty-Prozess. Es geht um die Initiative des UN-Menschenrechtsrates, ein Unternehmensstrafrecht für multinationale Konzerne einzuführen, um endlich Ausbeutung, Billiglöhne und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen weltweit bekämpfen zu können. Das wäre übrigens der beste Beitrag zur Bekämpfung von Fluchtursachen. Aber was macht die Bundesregierung? Sie beteiligt sich nicht an dieser Initiative. Ich muss sagen: Das finde ich schon skandalös. Genau so ein internationales System ist überfällig, um die globalen Konzerne kontrollieren zu können. ({9}) Sie haben auch die sogenannten Nachhaltigkeitsziele verabschiedet. Alle Nationen haben das Dokument unterschrieben. Auch hier stellt sich die Frage – es geht um die Bekämpfung von Armut und sozialer Ungleichheit –: Was macht denn die Bundesregierung, was gibt es denn für Ideen, um weltweit soziale Ungleichheit zu bekämpfen, um weltweit auch diese ungerechten Handelsstrukturen zu überwinden? Wir haben vorgeschlagen: Knüpfen Sie doch an den guten Ideen der Stiglitz-Kommission an, die zum Beispiel vorgeschlagen hat, einen UN-Rat für Wirtschaft einzurichten, damit wir endlich zu einem gerechten Welthandelssystem kommen, das anders aussieht als die jetzigen ausbeuterischen Handelsstrukturen. Danke. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Hänsel. – Als Nächstes spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Dr. Frithjof Schmidt. ({0})

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben eine dramatische Krise der multilateralen Weltordnung, die die letzten Jahrzehnte geprägt hat und immer ein zentraler Bezugspunkt für deutsche Außenpolitik war. Wenn es nicht nur „USA first“ heißt, sondern auch „Russland first“ und „China first“ und auch „Great Britain first“, dann ändert das im internationalen System fast alles. Das erhöht einerseits die politische Bedeutung der Vereinten Nationen als Ordnungsfaktor; es schwächt sie aber auch zugleich. Das ist eine widersprüchliche politische Lage, in der es von enormer Bedeutung ist, wenn die Europäische Union ein Gegengewicht gegen den Zerfall des Multilateralismus bildet und alles tut, um die Vereinten Nationen zu stärken. ({0}) Das muss ein zentrales Leitmotiv deutscher Außenpolitik sein. Vor diesem Hintergrund ist es eine gute Fügung, dass es Deutschland jetzt gelungen ist, erneut als nichtständiges Mitglied in den Sicherheitsrat einzuziehen. Das schafft gute Möglichkeiten. Wir begrüßen, dass die Bundesregierung diesen Sitz auch im Sinne eines europäischen Sitzes mitgestalten will. Aber jetzt müssen Sie in dieser Hinsicht auch politisch liefern. ({1}) Wir erwarten, dass Sie über eine solche Ankündigung hinaus konkret werden. Es ist sicher wichtig und richtig, die Politik Schwedens im Sicherheitsrat zur Ächtung von Kriegsgewalt gegen Frauen und zur Stärkung ihrer Rechte durch die Umsetzung der Resolution 1325 als europäische Initiative fortzuführen – Herr Außenminister Maas, Sie haben das angesprochen –, aber ich denke: An europäischer Initiative bedarf es in der jetzigen Lage weit mehr. ({2}) Ergreifen Sie eine umfassende europäische Initiative zur Stärkung der Vereinten Nationen! Adressieren Sie den Kampf gegen eine politische Marginalisierung der Vereinten Nationen als zentrale Aufgabe gemeinsamer europäischer Außenpolitik! ({3}) Ich will dafür drei mögliche Ansatzpunkte besonders hervorheben: Erstens. Der schon begonnene Teilrückzug der USA aus den Vereinten Nationen reißt aktuell riesige Lücken in den Haushalt. Die Zahl kriegerischer Konflikte nimmt weiter zu, aber schon jetzt müssen wichtige Blauhelmmissionen zurückgefahren werden, da die Vereinten Nationen ihr Budget für Friedenseinsätze um 14 Prozent kürzen mussten. Der Bedarf steigt, und das Angebot sinkt. Die Stärkung des Department of Peacekeeping Operations sollte gemeinsam europäisch vorangetrieben werden, ({4}) und das sollten Sie als Initiative in der Europäischen Union auch auf den Weg bringen. Zweitens. Die Zahl der Flüchtlinge weltweit – wir wissen es alle – ist auf eine neue Rekordhöhe von über 68 Millionen gestiegen. Die Mittel für die Flüchtlingshilfe brechen aber weiter ein. Ein Drittel des Gesamtbedarfs ist aktuell nicht gedeckt. Viele Zusagen werden dann auch noch nicht mal realisiert, und oft sind die Mittel für die konkrete Versorgung von Flüchtlingslagern nicht einmal zur Hälfte gesichert. Auch hier sollte die Europäische Union mit einer Initiative zur Stärkung von UNHCR und OCHA vorangehen. ({5}) Auch hier kann Deutschland Impulsgeber sein. Wir erwarten von Ihnen auch, dass Sie da bewusst Impulse setzen. Drittens. Für eine nachhaltige Hilfe ist der Übergang von der humanitären Nothilfe zur dauerhaften Entwicklungszusammenarbeit häufig von zentraler Bedeutung. Die Vereinten Nationen beginnen gerade mit der Reform ihres Systems der Entwicklungspolitik. Die politische und materielle Unterstützung dieser Reform ist ebenfalls eine Herausforderung für die gesamte gemeinsame europäische Politik in den Vereinten Nationen. Es geht darum, die UNO als zentrale Instanz multilateral getragener globaler Entwicklung zu erhalten, und das ist der entscheidende Unterbau für die Akzeptanz der Vereinten Nationen auf längere Sicht in der internationalen Gesellschaft. ({6}) Deutschland leistet in dieser Hinsicht materiell bereits viel, aber als Mitglied des Sicherheitsrats gibt es die Chance und, ich finde, auch die Pflicht, politisch hier noch viel mehr zu leisten und sich da besonders zu engagieren. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass wir uns selbst an die Verpflichtungen halten, die wir auf UN-Ebene eingegangen sind. Das Pariser Klimaschutzabkommen oder die Agenda mit den UN-Nachhaltigkeitszielen waren wegweisende Abkommen der Vereinten Nationen. Deutschland ist jetzt, vorsichtig formuliert, zögerlich bei ihrer Umsetzung oder hat zum Klimaabkommen bereits erklärt, dass man es nicht einhalten wird. Eine solche Politik schadet natürlich den Vereinten Nationen und dem Multilateralismus. ({8}) Sie spielt denjenigen in die Hände, die globale Ordnungspolitik nur als Durchsetzung nationaler Machtinteressen verstehen. Wenn Deutschland als Mitglied im Sicherheitsrat glaubwürdig sein soll, dann muss die Bundesregierung gerade auch in diesen Fragen ihre Politik ändern. Danke für die Aufmerksamkeit. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Dr. Schmidt. – Als Nächster hat der Kollege Christoph Matschie für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Christoph Matschie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuschauer! Wir diskutieren die Mitgliedschaft Deutschlands im Sicherheitsrat in einer Zeit, in der es gravierende Umbrüche in der internationalen Ordnung gibt, in einer Zeit, in der viele die Gretchenfrage stellen: Wie hältst du’s mit dem Multilateralismus, wie hältst du’s mit der internationalen Ordnung? Wir haben auch gestern in der Europa-Debatte darüber diskutiert. Deshalb ist es, glaube ich, ganz angemessen, noch mal die historische Perspektive einzunehmen und der Frage, was die Vereinten Nationen eigentlich bringen und was der Sicherheitsrat eigentlich kann, die Perspektive entgegenzustellen, woher diese Institution kommt: Sie war die Lehre aus einer bitteren Geschichte, sie war die Lehre aus zwei verheerenden Weltkriegen, sie war die Lehre aus dem Holocaust. Die Vereinten Nationen bieten die Möglichkeit, als Weltgemeinschaft zu versuchen – der Versuch, das stimmt, ist nicht immer gelungen –, Konflikte zu entschärfen und Zusammenleben zu ermöglichen. Neben diesem institutionellen Rahmen hat sich die Weltgemeinschaft auch ein Wertefundament gegeben: Drei Jahre nach der Gründung der Vereinten Nationen, im Dezember 1948, wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Vielleicht muss man in den Debatten heute ab und zu mal an den Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte erinnern – ich will ihn mal zitieren –: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen. Das ist der Anspruch, den wir uns als Weltgemeinschaft selbst gesetzt haben. Ich finde, in dieser Situation, in der sich wichtige Staaten aus der internationalen Ordnung zurückziehen, in der wichtige Staaten versuchen, das Eigeninteresse in den Vordergrund zu stellen, muss man an diese Lehren aus der Geschichte erinnern. Es waren ja eigentlich zwei amerikanische Präsidenten, die am Beginn der Vereinten Nationen standen und die entsprechende Initiative vorangetrieben haben, nämlich erst Wilson und dann, in der Umsetzung, Truman. Ich glaube, an dieser Stelle muss man auch darauf hinweisen, dass auch die Europäische Union zu den Lehren aus unserer Geschichte gehört. Ich finde es fahrlässig, wenn sich inzwischen auch in der Bundesrepublik Deutschland Politiker mit Aussprüchen wie „Der Multilateralismus ist am Ende“ zitieren lassen. ({0}) Nein, der Multilateralismus ist nicht am Ende. Es ist ja richtig: Weder die Vereinten Nationen noch die Europäische Union sind perfekt. Aber die Frage muss doch gestattet sein: Was wäre denn die Alternative dazu? Wäre denn die Regel, dass der Starke sich das Recht nimmt, das er sich nehmen kann, dass der Starke sich durchsetzt, wirklich eine Alternative zu einer gemeinsamen Ordnung? Ich mag mir das nicht vorstellen, und wenn man in die Geschichte schaut, weiß man, dass das nicht gutgeht. Das kann und darf keine Alternative in der internationalen Ordnung sein. Die Alternative für uns muss sein: internationale Zusammenarbeit, europäische Zusammenarbeit, Konflikte frühzeitig entschärfen und dafür sorgen, dass sich alle an die Regeln halten. ({1}) Bei der Frage, wie wir wichtige globale Probleme lösen können, stoßen wir doch sofort an eine Grenze. Wie sollen wir denn ein Problem wie den Klimawandel bewältigen, wenn jedes Land zuallererst nach seinen Interessen handelt, ({2}) wenn jedes Land zuerst auf die nächste Wahl schaut? Es ist dann schlicht unmöglich, ein solches Problem zu lösen; denn die Lösung der großen Fragen erfordert, dass man das Eigeninteresse ein Stück weit zurückstellt, das gemeinsame Interesse in den Vordergrund stellt und gemeinsame Lösungen anstrebt, die nur möglich sind, wenn jeder einen Schritt zurück tritt, wenn jeder ein Stück von seinem Interesse abgibt, damit das gemeinsame Interesse verfolgt werden kann. Herr Kollege Schmidt, das, was Sie eben erwähnt haben, ist nicht richtig: Deutschland hat nicht zugegeben, die Ziele von Paris nicht einzuhalten. Richtig ist: Wir haben selbstgesteckte Ziele, die wir jetzt noch nicht einhalten, weshalb der Zeitplan verlängert wird. Das ist ein wichtiger Unterschied. Die Bundesrepublik steht zu den Klimaschutzzielen von Paris. Die Bundesregierung wird alles unternehmen, diese Ziele in den kommenden Jahren zu erreichen. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Christoph Matschie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zum Schluss, Herr Präsident: Ich glaube, wir stehen an einem Scheideweg. Wir müssen uns entscheiden, ob wir Teil der Lösung sein wollen, nämlich Teil der Staaten, die sich für eine internationale Ordnung, für gemeinsame Regeln einsetzen, oder – –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade das Wort entzogen. Ich verweise auf § 35 Absatz 3 der Geschäftsordnung. Ihre Rede ist zu Ende. ({0}) Als Nächstes erteile ich dem Kollegen Christian Schmidt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({1}) – Frau Kollegin Hendricks, Sie wissen, dass die Entscheidungen des Präsidenten der Erörterung entzogen sind. Aber ich weise darauf hin, dass § 35 Absatz 3 der Geschäftsordnung folgenden Wortlaut hat: Überschreitet ein Redner die ihm zugebilligte Redezeit, so soll der Präsident nach einmaliger Mahnung ihm das Wort entziehen. – Ich verstehe das „soll“ als „ist“. Das habe ich vorhin angekündigt, und dabei wird es bleiben. ({2}) Herr Kollege Schmidt, Sie haben das Wort.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, herzlichen Dank. – Ich bemühe mich, § 35 Absatz 3 der Geschäftsordnung nicht in Anspruch zu nehmen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Sie nicht, aber ich.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Multilateralismus in dem Sinne, dass sich die Staaten dieser Welt in ein gemeinsames Regelwerk, ein gemeinsames Ordnungswerk begeben, ist hochaktuell. Unser Land ist nur zu beglückwünschen, dass es im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nun wieder für zwei Jahre eine Rolle spielt als – Herr Minister, Sie haben das gesagt – hochgeachtetes Mitglied mit nahezu einstimmiger Berufung. Das ist auch die politisch richtige und gegenwärtige Antwort auf das, Herr Kollege Hampel, was Sie angesprochen haben. Der Gedanke gründet sich, wie so vieles aus Deutschland, auf kantianische Politik, die zum ewigen Frieden führen soll. Weil noch gewisse Defizite bestehen, sind wir noch nicht angelangt. Zum Thema Feindstaatenklausel: Sie ist in der Tat – auch rechtlich – obsolet. ({0}) Einen Punkt müssen Sie aber berücksichtigen, wenn Sie auf den „Müllhaufen“ rekurrieren: Der polnische Außenminister Skubiszewski hat 1993 bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen auf Deutsch gesagt, dass die Klausel „auf den Müllhaufen der Geschichte“ gehört. Die Generalversammlung hat mit der Resolution, die im Jahr 1995 genau diesen Punkt betraf, reagiert. Ich bin einig mit allen, die sagen: Bei der nächsten Flurbereinigung der Charta der Vereinten Nationen muss die Klausel weg, und die Charta muss ebenso wie die Zusammensetzung des Sicherheitsrates angepasst werden. Es muss zudem angepasst werden, dass sowohl beim Sicherheitsrat als auch bei den Strukturen wie dem Menschrechtsrat das Prinzip der Menschenrechte nicht nur hochgehalten wird, sondern sich diejenigen, die in den Strukturen vertreten sind, daran orientieren. Ich bin zwar nicht erfreut, kann aber nachvollziehen, warum sich die Vereinigten Staaten aus diesen Gremien zurückziehen. Ich lade sie ein, wieder dabei zu sein, um etwas zu verändern; es muss verändert werden. Es kann nicht sein, dass Israel der einzige Fokus der Menschenrechtspolitik der Vereinten Nationen bleibt. Ich bin sehr dafür, dass wir die Wege für Veränderungen suchen und der Verantwortung, die wir haben, gerecht werden. Zu den aktuellen Krisen werden weitere hinzukommen, die wir in kein Programm reinschreiben können. Schön wäre: „neue Krisen – Fehlanzeige!“, aber leider lehren uns die Geschichte und Erfahrung etwas anderes. Wir müssen uns über die wichtigen Punkte der Veränderung klar werden. Dazu gehört auch, dass wir die Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele ernst nehmen, die wir uns erst vor einigen Jahren gegeben haben und die Antworten auf viele Fragen geben, die auch von Ihnen, Herr Kollege Schmidt, angesprochen wurden. Als Beispiel nenne ich die Bekämpfung des Hungers in der Welt: Kein Hunger in der Welt – das heißt, Entwicklungspolitik in einer ganz verantwortungsvollen Weise fortzusetzen und weiterzuentwickeln. Wir müssen und wollen allerdings die Funktion der Vereinten Nationen als Schutzinstitution verstärken und die Diskussion über die Frage: „Wie können wir auf Krisen reagieren?“, verstärkt führen. Leider hat auch die Reform des Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen – es betrifft die Möglichkeit, bei Krisen Konflikte einzudämmen, durch einen Beschluss des Sicherheitsrates auch gewaltsam einzudämmen – nicht zu genügend Flexibilität geführt, insbesondere im Hinblick auf die Ausstattung der Vereinten Nationen: Peacekeeping, Friedenserhaltung, muss besser ausgestattet werden. Ich bin nach wie vor ein Anhänger der Ideen, die wir zuzeiten von Boutros-Ghali entwickelt hatten, dass auch die Vereinten Nationen eine eigenständige militärische Komponente brauchen. Wir werden bereit sein, uns auch zukünftig bei solchen Themen zu beteiligen. Wir sind auch sehr für Verrechtlichung. Ich glaube, Multilateralismus hat dann einen Sinn, wenn er auf der Basis des Rechts und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte stattfindet und wenn er die Nürnberger Statuten, die wir in unserem Lande entwickelt haben und die auf die Nürnberger Gerichtsprozesse von 1945 bis 1948 zurückgehen, berücksichtigt und wir diesen im Rahmen des IStGH Kontinuität verleihen und zur allgemeinen Durchsetzung verhelfen. Ich wünsche der Bundesregierung viel Erfolg bei ihrer verantwortungsvollen Arbeit für die Welt und für Deutschland. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Schmidt. – Als nächster Redner hat das Wort Ulrich Lechte für die FDP-Fraktion. ({0})

Ulrich Lechte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004799, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Die Vereinten Nationen sind in einer Krise, in einer Krise, die aus unserer Sicht aber bewältigbar ist. In dieser schwierigen Zeit schaut die Welt zu Recht auf Deutschland, aber nicht nur als viertgrößten Beitragszahler der UNO. Deutschland muss als engagierter Verteidiger des Multilateralismus und der liberalen Weltordnung voranschreiten, als Fackelträger für Freiheit und Menschenrechte weltweit. Nicht ohne Grund hat Barack Obama unserer Kanzlerin, die heute nicht da ist, die Führung der freien Welt angetragen. Aber kann diese Bundesregierung – auch Sie, Herr Bundesaußenminister – solche Erwartungen erfüllen? Na ja, im vorliegenden Antrag der Koalition stehen ja viele gute Sachen: Stärkung der humanitären Hilfe, Schutz von Menschenrechtsverteidigern, Unterstützung von Friedensmissionen, Stärkung der Responsibility to Protect und Erhöhung der freiwilligen Beiträge. Die Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Denn alle Ihre Worte stehen unter dem gerade der FDP so wohlbekannten Vorbehalt – in Anführungszeichen – „im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel“. Da kann ich bisher nicht erkennen, dass Sie Ihren Worten auch Taten folgen lassen. Sie wollen die humanitäre Hilfe stärken und bekennen sich zu den Zielen des „Grand Bargain“. Bezeichnenderweise sprechen Sie im Antrag von den Vorschlägen des „Grand Bargain“. ({0}) Um Sie aufzuklären, wovon ich gerade rede: Das sind keine Vorschläge, sondern Selbstverpflichtungen, ({1}) die Deutschland beim humanitären Weltgipfel 2016 in Istanbul eingegangen ist. Von einer Erfüllung dieser Selbstverpflichtung sind wir aber sehr weit entfernt. ({2}) Im Haushalt 2016 konnte sie ja noch nicht drinstehen, im Haushalt 2017 hätte man sie vielleicht schon mal ansatzweise hineinschreiben können. Für den Haushalt 2018 gab es Anträge der Opposition, die die Möglichkeit geboten hätten, das in einem Handstreich zu erledigen; es wäre um eine Umschichtung innerhalb der Töpfe gegangen. Ich bin jetzt mal gespannt, ob Sie es im Haushalt 2019, der jetzt im September beraten wird, festschreiben. ({3}) – Ja, die Mittel gesamt; aber die Verpflichtung, Herr Kollege, lautete, dass wir die freien Mittel zum Beispiel für den UNHCR anheben. Dieser Ansatz ist seit Urzeiten bei 12 Millionen Euro festgefahren. ({4}) Wir haben in unserem Antrag 80 Millionen Euro gefordert. Sie kennen den Unterschied zwischen den freien Beiträgen und denen, die gedeckelt sind. ({5}) – Ja, das ist egal. Wenn Sie die Selbstverpflichtung eingehen – der Anteil liegt derzeit bei 2,5 Prozent –, dann müssen Sie diese auch einhalten. Nach dem Protokoll von Istanbul soll der Anteil bei 30 Prozent liegen. Um das zu erreichen, macht die Bundesregierung mit ihren beiden Fraktionen, also CDU/CSU und SPD, derzeit nichts. ({6}) Ich bin über der Zeit. Deswegen gehe ich jetzt raus und wünsche Ihnen viel Spaß. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Lechte. Ich bin begeistert, dass Sie die Bitte des Präsidenten, die dort elektronisch aufleuchtet, beachten – im Gegensatz zu vielen anderen Rednern. Als Nächstes erhält für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Volkmar Klein das Wort. ({0})

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben jetzt schon in einigen durchaus eindrucksvollen Beiträgen gehört, dass wir, die Bundesrepublik Deutschland, als Mitglied im Sicherheitsrat einiges für eine dauerhaft friedliche, stabile und gerechte Ordnung in der Welt beizutragen haben. Diejenigen, die das hier in vielen Details dargestellt haben, haben Recht. Ich möchte das aber auch auf die einzelnen Menschen runterbrechen; denn am Ende geht es uns doch nicht um abstrakte Politik, sondern um Menschen. Es geht darum, Menschen Perspektiven zu sichern oder – das ist leider an vielen Stellen notwendig – Perspektiven in den Ländern, in denen sie leben, zu schaffen. Das ist doppelt wichtig. Das ist einerseits wichtig, weil es uns ein ethisches Anliegen ist, uns um Menschen zu kümmern; das ist ein Gebot der Nächstenliebe. Aber andererseits ist das auch in unserem eigenen Interesse; denn wenn Menschen keine Perspektiven haben, wenn Menschen in Armut leben, dann werden auch wir hier in Deutschland nicht auf Dauer in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben können. Deswegen ist uns das ein Anliegen. ({0}) Es ist ja durchaus nicht so, dass wir das nicht auch mit Geld unterfüttern, wie Herr Kollege Lechte es gerade gesagt hat. Wir zahlen inzwischen allein an das World Food Programme, das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen, rund 1 Milliarde Dollar – 820 Millionen Euro aus unserem Haushalt – von den ihm insgesamt zur Verfügung stehenden 8 Milliarden Dollar. Das ist ein sehr, sehr wichtiger Beitrag für diese sehr, sehr wichtige Organisation, ({1}) die Menschen in Krisengebieten hilft. Zu über 80 Prozent leben die Menschen, um die sich das World Food Programme kümmert, in War Zones. Wir helfen, Perspektive zu geben. Wir haben sehr viel anzubieten und tun das auch. Aber neben dem Geld sind Sicherheit und Entwicklung wichtig. Mir ist das gerade vorgestern in umfangreichen Gesprächen mit Vertretern der G-5-Sahel-Gruppe deutlich geworden. Gerade dort wird exemplarisch klar, dass Sicherheit und Entwicklung aufeinander bezogen und sich wechselseitig bedingend sind. Ohne Sicherheit – da sind diese Länder in der Sahelzone, aber auch in Subsahara-Afrika ein gutes Beispiel – wird es keine vernünftige Entwicklung geben, werden keine Jobs und Arbeitsplätze entstehen, die die Menschen aber brauchen, um dort eine Perspektive zu haben. Wenn es uns nicht gelingt, den Menschen Perspektiven zu geben, dann wird es umgekehrt auch keine Sicherheit geben, weil dann nämlich die Anfälligkeit der Menschen, die ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, für gut bezahlende Terrorgruppen viel zu groß ist. Wir müssen uns um Sicherheit und Entwicklung kümmern. Deutschland hat für beides – das ist gerade bei diesen Gesprächen mit den Vertretern der G-5-Sahel-Gruppe noch einmal deutlich geworden – ganz viel anzubieten. Gut, dass wir nicht nur etwas anzubieten haben, sondern auch bereit sind, diese Verantwortung zu übernehmen – nicht nur jetzt im Sicherheitsrat, sondern auch in vielen praktischen Dingen, bei denen es darum geht, Sicherheit und Entwicklung zu verwirklichen. Das ist, um es abschließend noch einmal zu sagen, nicht nur ein ethisches Gebot, sondern das ist auch in unserem ganz eigenen deutschen Interesse. Das ist auch gut so. Daran sollten wir arbeiten. Ich wünsche der Bundesregierung sehr viel Erfolg bei der würdigen Vertretung deutscher Interessen, auch im Sicherheitsrat. Danke sehr. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Klein. – Als letztem Redner erteile ich dem Kollegen Peter Beyer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Peter Beyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004010, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist als nichtständiges Mitglied in den UN-Sicherheitsrat gewählt worden. Die Arbeit nehmen wir dort Anfang nächsten Jahres auf. Was erwartet uns und unseren Permanent Representative, unseren ständigen Vertreter Christoph Heusgen, dort, und was können die übrigen Mitglieder von uns erwarten? Zunächst einmal ist eine Wahrheit, dass wir es mit einem veränderten Sicherheitsrat zu tun haben, verändert gegenüber der Zeit, als wir dort vor ein paar Jahren schon einmal Mitglied sein durften. Wir werden Mitglied in einer Zeit, in der sich die politische Großwetterlage dramatisch verändert hat. Wir werden Mitglied in einer Zeit, in der der Ansatz „America first“ auch voll auf die Arbeit im Sicherheitsrat durchschlägt und der Sicherheitsrat zuweilen handlungsunfähig ist. Die Blockade durch Russland und China, die Vetomächte, in Bezug auf das Thema Syrien ist schon angesprochen worden. Und wir werden Mitglied in einer Zeit, in der der Sicherheitsrat europäischer werden wird. Ein Drittel des Sicherheitsrats, nämlich fünf Mitglieder, werden Mitgliedstaaten der Europäischen Union sein. Das ist eine Chance für uns, in enger Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Staaten Einfluss zu nehmen. Ob das gelingt und erfolgreich sein wird, hängt ganz entscheidend davon ab, wie geschlossen sich die europäischen Mitgliedstaaten und Sicherheitsratsmitglieder dort verhalten. Voraussichtlich im April des nächsten Jahres werden wir dann von Frankreich auch den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat übernehmen. Deswegen ist es klug, sich schon jetzt, also sehr frühzeitig, sehr eng, gerade auch mit Frankreich, abzustimmen. Diese insgesamt günstige Zusammensetzung des Sicherheitsrats sollten wir idealerweise auch dazu verwenden, bei unseren Debatten, die wir hier auf bundesrepublikanischer Ebene führen – gerade bei den außenpolitischen Debatten und Entscheidungen –, immer automatisch auch die UN-Brille aufzusetzen und uns unter dem Blickwinkel der Mitwirkungsmöglichkeiten im UN-Sicherheitsrat die Frage zu stellen: Können wir unsere Sicherheitsratsmitgliedschaft quasi auch als zusätzliches Register für unsere außenpolitische Arbeit nutzen? Das macht auch deshalb Sinn, weil viele UN-Mitgliedstaaten sich von den USA als Orientierungsgröße abwenden. Deutschland sollte sich dafür einsetzen, dass die EU-Mitgliedstaaten im Sicherheitsrat diese Lücke als verantwortliche und gestaltende Kraft füllen. Stichwort „USA“. Meine Damen und Herren, wir haben ein großes Interesse an der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika, auch und gerade im Sicherheitsrat, und zwar auf der Grundlage dessen, wofür Amerika in der Vergangenheit immer gestanden hat: für Rechtsstaatlichkeit, für den Einsatz für Menschenrechte, für Demokratie, für Presse- und Meinungsfreiheit, um nur einige Punkte zu nennen. Meine Damen und Herren, ein Schwerpunkt des deutschen Engagements wird die Verhütung von Konflikten sein. Indikatoren für sich entwickelnde Krisen sollten frühzeitig erkannt werden und dann auf die Tagesordnung beim Sicherheitsrat gesetzt werden, bevor Schaden und Leid entstehen. Da hat die internationale Gemeinschaft in der Vergangenheit, beispielsweise in Myanmar, versagt. Damit wurde der Sicherheitsrat viel zu spät befasst. Meine Damen und Herren, als Bilanz kann man kurzum sagen: Die zwei Jahre unseres Engagements im Sicherheitsrat der UN sollten wir dazu nutzen, um erstens Konflikte einer Lösung näherzubringen, um zweitens menschliches Leid mindern zu helfen und um drittens das Regelwerk, das das Fundament der Vereinten Nationen ist, zu verteidigen und idealerweise auch zu stärken.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Peter Beyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004010, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dies ist unsere feste Überzeugung, und dies schulden wir unserer Geschichte. Ich danke Ihnen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Zunächst Tagesordnungspunkt 19 a. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/2982 mit dem Titel „Deutschlands Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – Für eine dauerhaft friedliche, stabile und gerechte Ordnung in der Welt“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Ich stelle fest, dass dieser Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen von Linken und Grünen bei Enthaltung der AfD angenommen ist. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 19 b. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/2980 mit dem Titel „Völkerrecht durchsetzen, zivile UN-Initiativen stärken, Abrüstung für Sicherheit und Armutsbekämpfung vorantreiben“. Wer stimmt für diesen Antrag? – ({0}) – Ich darf die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion darauf hinweisen, dass man nur einmal abstimmen darf. ({1}) Ich frage noch einmal: Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der übrigen Fraktionen dieses Hauses ist der Antrag abgelehnt. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19 c. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/2975 mit dem Titel „Nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat nutzen, Vereinte Nationen stärken“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Ich stelle fest, dass gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses der Antrag abgelehnt ist.

Canan Bayram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004665, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie weit sollen die Mieten eigentlich noch steigen? Wie viele Menschen sollen noch in die Wohnungslosigkeit geraten? Was muss eigentlich noch passieren, damit die Koalition endlich etwas unternimmt, um die Mieterinnen zu schützen? ({0}) Längst sind viele Häuser zur Ware geworden, und Menschen verlieren ihr Zuhause. Dagegen müssen wir etwas tun. ({1}) Mit unserem Antrag stellen wir konkrete Maßnahmen vor, wie wir die Mieterinnen schützen können. Inzwischen frisst die Miete bei vielen Menschen in den Städten die Hälfte oder sogar noch mehr vom Einkommen auf. Viele sind von Verdrängung bedroht, und die Zahl der Wohnungslosen hat in einem reichen Land wie der Bundesrepublik inzwischen fast die Millionengrenze erreicht. Auch bei Gewerberäumen verhält es sich so: Kleine Händler und soziale Einrichtungen finden keine bezahlbaren Räume mehr, egal ob Kitas, betreutes Wohnen oder Künstlerateliers. Fast-Food-Ketten verdrängen kleinere Obst- und Gemüseläden. Entweder fliegen sie raus, weil sie die Mieten nicht mehr bezahlen können, oder sie finden erst überhaupt keine bezahlbaren Gewerbeflächen mehr. Die Spekulation mit Immobilien verdrängt in den Städten Familien, kleinere Händler und auch Künstler. Dagegen müssen wir handeln. Jetzt! ({2}) Die Mieten müssen runter. Ein Wochenlohn muss für die Wohnraummiete reichen. Wir müssen auch an den Kündigungsschutz ran. Im Moment ist die Gefahr, tatsächlich geräumt zu werden, sehr hoch. Immer mehr Menschen verlieren so ihre Wohnungen. Deswegen wollen wir auch den Kündigungsschutz stärken. ({3}) Gerade weil immer mehr Aktiengesellschaften und große Konzerne Immobilien verwalten und durch standardisierte, automatisierte Verfahren Mieterinnenrechte untergraben, brauchen wir im Sinne des Verbraucherschutzes mehr Mieterschutz und in diesem Bereich rechtlich die Möglichkeit der Gruppenklage. ({4}) Denn andernfalls bleiben die Mieterinnen und Mieter großen Konzernen ausgesetzt. Selbst die Mieterinnenvereine schaffen es nicht, den Bedarf zu decken. Deswegen, meine Damen und Herren, freue ich mich auf die Beratung in den Ausschüssen zu dem Thema „Mieterinnenrechte stärken beim Wohnen und im Gewerbe“. Ich hoffe, Sie sind da wenn schon nicht an unserer Seite zumindest an der Seite der Mieterinnen und Mieter in Deutschland. ({5}) Danke schön. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Liebe Kollegin Canan Bayram, herzlichen Dank für diesen Beitrag. – Als Nächsten rufe ich auf den Kollegen Dr. Jan-Marco Luczak für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kollegin Bayram, Sie können sicher sein: Als Union und als Koalition sind wir selbstverständlich an der Seite der Mieterinnen und Mieter. ({0}) – Da können Sie sich sicher sein, Frau Kollegin. ({1}) Was ich bzw. wir immer betonen – das haben wir auch in der letzten Debatte zum Mietrecht gesagt –, ist, dass es nicht geht, dass wir den Menschen, insbesondere den Mieterinnen und Mietern in unserem Land Sand in die Augen streuen, indem wir ihnen sagen: Es gibt für die steigenden Mieten eine ganz einfache Lösung. Wir machen einen Deckel drauf, und dann ist alles gut. – So ist es nicht. ({2}) Wir dürfen deshalb hier nicht mit der Forderung nach bestimmten Maßnahmen und Instrumenten Erwartungen wecken, die wir letztlich nicht erfüllen können. Wir nehmen als Union und auch als Koalition den Schutz von Mieterinnen und Mietern sehr ernst. Wenn Sie sich unseren Koalitionsvertrag anschauen, stellen Sie fest, dass wir darin sehr viele sehr gute und sehr ausgewogene Maßnahmen vorgestellt haben, die wir in dieser Legislaturperiode ergreifen wollen. Wir sind uns im Ziel völlig einig: Wir wollen nicht, dass Menschen aus ihren Wohnungen herausmodernisiert werden, dass sie sich ihre Miete nicht mehr leisten können. ({3}) Wir wollen aber den richtigen Weg gehen und nicht den einfachen Weg. Der richtige Weg, meine Damen und Herren, ist nun einmal – daran gibt es auch nichts herumzudeuteln –: Wir müssen uns mit den Ursachen von steigenden Mieten beschäftigen. Eine Ursache für steigende Mieten ist, dass wir zu wenige Wohnungen in unserem Land haben. Das ist ganz eindeutig. Ich möchte ein Beispiel anführen, das ich hier im Plenum schon einmal vorgetragen habe. Dieses Beispiel veranschaulicht, dass wir die Mietpreisbremse noch so sehr verschärfen können – wir lesen jetzt ja auch wieder im Antrag der Grünen, dass sie fordern, die zulässige Miethöhe bei Neuvermietung von 10 auf 5 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete zu reduzieren und die Ausnahmen, die es bei der Mietpreisbremse berechtigterweise gibt, abzuschaffen –, aber all das nichts nutzt, wenn wir nicht genügend Wohnungen haben. Hier in Berlin, in Prenzlauer Berg, haben sich auf eine schön geschnittene Wohnung, die relativ günstig war, 1 400 Menschen beworben. 1 400 Menschen! ({4}) Ganz egal, wie sehr wir die Mietpreisbremse verschärfen, Herr Kühn, am Ende des Tages gehen von diesen 1 400 Menschen 1 399 ohne Mietvertrag nach Hause. Das zeigt uns doch ganz deutlich, was wir tun müssen: ({5}) Wir müssen für ein größeres Angebot auf dem Wohnungsmarkt sorgen. Wir müssen mehr, schneller und kostengünstiger bauen. Nur das bringt letztlich eine Entlastung an dieser Stelle. ({6}) Weil wir das als Ziel identifiziert haben, haben wir ja auch im Koalitionsvertrag eine große Wohnungsbauoffensive auf den Weg gebracht. ({7}) Unser Ziel – das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel – lautet: Neubau von 1,5 Millionen Wohnungen in dieser Legislaturperiode. Wir sind jetzt dabei. Wir haben das Baukindergeld rückwirkend zum 1. Januar 2018 beschlossen. Wir haben als Union durchgesetzt, dass es keine fragwürdigen Einschränkungen bei der Quadratmeterzahl gibt. ({8}) Das kommt. Das wird Familien entlasten. Wenn Familien ein Eigenheim erwerben können, weil sie die Hürde des Eigenkapitals besser überspringen können, wird dadurch natürlich der Mietwohnungsmarkt entlastet. Deshalb ist das Baukindergeld etwas absolut Richtiges. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bayram?

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Bayram hat gerade geredet. Wir müssen das hier ja nicht verlängern nach dem langen Abend, den wir gestern alle miteinander hatten. ({0}) Der zweite Punkt neben dem Baukindergeld ist die soziale Wohnraumförderung. Das ist auch ein ganz wichtiger Baustein. Da gehen wir über die Vereinbarung im Koalitionsvertrag hinaus und legen auf die 2 Milliarden Euro, die wir für diesen Bereich zur Verfügung stellen, noch einmal 500 Millionen Euro obendrauf. Das heißt, in den nächsten Jahren stehen zusätzlich 2,5 Milliarden Euro für die soziale Wohnraumförderung zur Verfügung. An dieser Stelle adressiere ich an die Länder: Wir erwarten, dass dieses Geld – wir werden das mit einer Grundgesetzänderung entsprechend verankern – ({1}) zweckgerichtet, zielgerichtet eingesetzt wird, dass es wirklich in den sozialen Wohnungsbau fließt und nicht irgendwelche anderen Haushaltslöcher damit gestopft werden. Das Geld muss den Mieterinnen und Mietern ganz direkt zugutekommen. Da sind die Länder in der Pflicht, meine Damen und Herren. ({2}) Da wir gerade bei den Ländern sind: Sie fordern ja in Ihrem Antrag auch etwas in Bezug auf die Betriebskosten. Sie sagen, sie müssten gerechter gestaltet werden. Da bin ich sehr dafür. Sie machen zum Beispiel einen Vorschlag zur Grundsteuer. Die Grundsteuer kann ja über die Betriebskosten direkt auf die Mieter umgelegt werden. Sie sagen, das soll abgeschafft werden; das soll zukünftig allein bei den Eigentümern verbleiben. ({3}) Da muss man sich einmal ein Stück weit die Zahlen vergegenwärtigen: Das Volumen der Grundsteuer liegt bei etwa 14 Milliarden Euro; das ist jetzt eine sehr grobe Rechnung. Wenn man jetzt sagt, man schafft das ab, dann muss man sich natürlich fragen: Wer zahlt denn hinterher die Grundsteuern? Das wird am Ende natürlich bei den vermietenden Eigentümern landen. ({4}) Dann stellt sich natürlich die Frage: Welche Folgen hat das? Das macht das Mieten am Ende nämlich nicht billiger, weil natürlich auch die Refinanzierung gewährleistet sein muss. Dieses Geld muss dann über die Nettokaltmieten und andere Dinge hereingeholt werden. Der entscheidende Punkt muss doch sein – an dieser Stelle kann ich die Grünen einmal auffordern, ihrer Verantwortung gerecht zu werden –, von den hohen Grundsteuersätzen herunterzukommen. Da blicke ich einmal auf mein eigenes Bundesland, das Land Berlin. Wir haben hier den zweithöchsten Hebesatz, den es in ganz Deutschland gibt, nämlich 810 Prozent. Es wäre doch eine Aufgabe der Kollegen, die hier für Berlin Verantwortung tragen – da regiert ja Rot-Rot-Grün –, an ihre Landesregierung zu appellieren, diese hohen Grundsteuersätze zu senken. Das würde ganz unmittelbar nicht nur die Mieterinnen und Mieter, sondern auch die Eigentümer entlasten. ({5}) Einen letzten Punkt, den Sie in Ihrem Antrag ansprechen, möchte auch ich erwähnen. Sie plädieren dafür, § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes zu reformieren, und wollen das Tatbestandsmerkmal des Ausnutzens einer Wohnmangellage streichen. Das würde im Ergebnis dazu führen – so formulieren Sie es auch in Ihrem Antrag –, dass sich ein privater Kleinvermieter, der seine Wohnung vermietet und vielleicht nicht auf den Euro genau ausgerechnet hat, wie hoch denn tatsächlich die ortsübliche Vergleichsmiete plus 10 Prozent ist, möglicherweise einer Ordnungswidrigkeitensanktion ausgesetzt sieht. Das muss man sehen. Wenn man dieses Tatbestandsmerkmal abschaffen würde, hätte man ein großes Problem, weil dann natürlich viele Eigentümer sagen würden: Auf dieses Glatteis begebe ich mich nicht. Ich ziehe mich völlig aus dem Wohnungsbau zurück und investiere auch nicht mehr in den Wohnungsneubau. – Deswegen wäre das absolut kontraproduktiv. Man muss immer wieder sagen – Sie, Frau Bayram, haben das ja angesprochen –: Es sind doch nicht die großen Kapitalgesellschaften, die den Wohnungsbestand in unserem Land vorhalten, sondern es sind die privaten Kleinvermieter; diese stellen zwei Drittel der Wohnungen in unserem Land zur Verfügung. Wenn wir das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, umsetzen würden – es gibt noch viele Dinge mehr; darauf werden die Kollegen noch eingehen –, dann würden wir diese Kleinvermieter verschrecken. Es würde niemand mehr in den Wohnungsneubau und in die Modernisierung des Bestandes investieren. Damit würden wir allen Menschen in unserem Land schaden, den Mieterinnen und Mietern ganz vorneweg. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen, meine Damen und Herren. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Luczak. – Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, bekommen Sie noch Gelegenheit, Ihre Ausführungen zu ergänzen; denn die Kollegin Canan Bayram bittet um eine Kurzintervention, die ich zulasse.

Canan Bayram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004665, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Luczak, Sie sind ja Berliner Abgeordneter, und Sie haben hier zu allem gesprochen, nur nicht zum Mietrecht. ({0}) Sie sind Mitglied des Rechtsausschusses. Sagen Sie mir doch bitte einmal, wie Sie mithilfe des Mietrechts die Mieterinnen und Mieter schützen wollen. Ich kann Ihnen mit Blick auf Kreuzberg sagen: Wir haben wieder einen Häuserkampf wie in den 80ern. In Schöneberg wird es bestimmt auch nicht mehr lange dauern. Das kann doch in Ihrer Wahrnehmung nicht irrelevant sein. Das will ich nicht glauben. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, ich sehe, Sie möchten antworten. – Sie haben das Wort.

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gerne. – Ich widerstehe jetzt der Versuchung, all die Dinge, die wir im Mietrecht machen, aufzuführen. Wir debattieren hier ja auch mehr oder weniger jede Woche über das Mietrecht. ({0}) Ich habe auch an anderer Stelle dazu ausgeführt. Aber es ist schon interessant, Frau Bayram, wenn Sie sagen, dass die Grünen den Häuserkampf wieder aufgenommen haben. Aus Berlin kennen wir das ja. ({1}) Wenn Mitglieder des rot-rot-grünen Senats sagen, Hausbesetzungen seien angesichts der Wohnungsknappheit ein legitimes Mittel, diesen Kampf zu führen, dann muss man sich schon fragen, in welchem Staat man lebt. ({2}) Mit rechtsstaatlicher Attitüde hat das nichts mehr zu tun. ({3}) Wir haben als Koalition ein ehrgeiziges Programm. Da geht es zum einen um die Wohnungsbauoffensive – ich habe sie dargestellt –, aber natürlich wollen und werden wir zum anderen auch Mieterinnen und Mieter schützen. Sie wissen sehr genau, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Wir wollen die Mietpreisbremse in einigen Punkten ändern, zum Beispiel, wenn es um die Rügepflicht geht, für die wir die Hürden absenken wollen. ({4}) Darüber hinaus wollen wir über eine Auskunftspflicht in begrenzten Ausnahmenfällen mehr Transparenz schaffen und in den Gebieten, in denen Wohnungsknappheit herrscht, die Modernisierungsumlage von 11 auf 8 Prozent absenken. Außerdem werden wir eine Kappungsgrenze einführen, sodass man in sechs Jahren nur maximal 3 Euro pro Quadratmeter umlegen kann. Wir haben also sehr viele sehr gute, aber eben auch ausgewogene Maßnahmen in unserem Koalitionsvertrag. Damit ergreifen wir nicht einseitig Partei zulasten der Vermieterinnen und Vermieter, so schutzbedürftig die Mieterinnen und Mieter auch sein mögen; vielmehr brauchen auch die privaten Kleinvermieter einen Anwalt ihrer Interessen, und das sind auch wir als Union an dieser Stelle. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

So, das war dieses. – Als Nächstes hat für die AfD-Fraktion der Kollege Jens Maier das Wort. ({0})

Jens Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004811, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute, genau eine Woche vor Beginn der Sommerpause, beraten wir noch husch, husch über einen Antrag der Grünen. Die Grünen haben diesen Antrag erst vor zwei Tagen unserer Fraktion zugänglich gemacht. ({0}) Zur Begründung hieß es, der Antrag sei zwar schon auf – – ({1}) – Hören Sie mal auf mit dem Geschrei! ({2}) Zur Begründung hieß es, der Antrag sei zwar schon auf die Tagesordnung des Plenums gesetzt worden, jedoch sei der Antrag noch nicht fertig und müsse erst fertiggestellt werden. ({3}) Nach der Linkspartei wollen offenbar auch die Grünen – – ({4}) – Herr Präsident, sagen Sie mal: Wollen Sie da nicht eingreifen?

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ich stoppe zunächst mal Ihre Redezeit, Herr Maier, und ich bitte wirklich um Ruhe, weil die wechselseitigen Vorwürfe, man habe die Anträge zu spät erhalten, in den Reden ja immer in unterschiedliche Richtungen gemacht werden.

Jens Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004811, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich möchte einfach nur – –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Einen kleinen Moment, Herr Maier. Wenn ich sage, Sie dürfen weitersprechen, dann dürfen Sie weitersprechen.

Jens Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004811, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sie benehmen sich hier wie Soldaten – – ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ich bitte auch um Ruhe und Aufmerksamkeit für den Redner. ({0})

Jens Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004811, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sie benehmen sich hier wie die Kindersoldaten von der Antifa; das muss ich mal ehrlich sagen. Ich will hier einfach nur reden. ({0}) Das zeigt Ihr Demokratieverständnis in aller Deutlichkeit. Sie wollen uns gar nicht zu Wort kommen lassen, ({1}) weil Sie Angst vor uns haben, und Sie haben berechtigte Angst. ({2}) Ich möchte jetzt mit meiner Rede fortfahren und von Ihnen hier nicht niedergebrüllt werden. So, wie Sie sich hier verhalten, macht das keiner von uns. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich bitte wirklich noch einmal um Ruhe und Aufmerksamkeit für den Redner, auch wenn es Ihnen schwerfällt. Aber das sind bisher die Usancen im Haus. Es gibt vielleicht einige, die einen Kater haben, das rechtfertigt aber nicht, zu knurren. ({0})

Jens Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004811, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Jetzt haben wir das, glaube ich, geklärt, und jetzt will ich hier weiter fortfahren. Wir wollen ja irgendwann auch nach Hause. Also: Ich bin nicht der Meinung, dass es für die Ernsthaftigkeit dieses Antrags spricht, wenn Sie von den Grünen kurz vor Beginn der Sommerpause noch schnell etwas zusammenschustern müssen, weil Sie es schon vorher auf die Tagesordnung des Bundestages zur Beratung gesetzt haben. Das ist für meine Begriffe nicht seriös. ({0}) Insgesamt fordern die Grünen die Bundesregierung zu 34 Maßnahmen auf, die mitunter völlig verschiedene Rechtsgebiete betreffen: von Gruppenklagemöglichkeiten und einer Änderung der Umlagefähigkeit der Grundsteuer in den Betriebskosten über eine Anpassung des Wirtschaftsstrafgesetzes bis hin zu einer Umkehr des Beibringungsgrundsatzes laut § 280 BGB. Sie haben alles da reingepackt, was Ihnen gerade mal so eingefallen ist. Das erinnert an eine Art Brainstorming. Auffällig ist, dass die Grünen wohl mangels eigener Ideen das, was die Linke unter dem Stichwort „echte Mietpreisbremse“ hier vor kurzem servierte, zu großen Teilen übernommen haben und jetzt als eigenen Beitrag verkaufen wollen. So fordern die Grünen wie die Linke die Rügepflicht der Mieter bei unzulässig überhöhter Miete durch eine Auskunftspflicht des Vermieters zu ersetzen, ({1}) § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes zu ändern und ein Kondiktionsrecht zugunsten des Mieters für zu viel gezahlte Miete vor Erhebung der Rüge einzuführen. Das alles ist bekannt und war schon mal da. ({2}) Es zeigt sich wieder mal, wie richtig es ist, die Grünen als Wassermelone zu sehen: außen grün, innen tiefrot. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der FDP-Fraktion?

Jens Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004811, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Nein. – Wenn Sie schon von dem Antrag der Linken, der bereits vor drei Wochen durchgefallen ist, abkupfern, dann liefern Sie doch wenigstens die gleiche Qualität ab! Legen Sie wenigstens für eine Ihrer 34 Forderungen einen eigenen Gesetzentwurf vor! Das, was wir hier vorgelegt bekommen haben, ist nichts weiter als das qualitativ minderwertige Produkt von Leuten, die man bestenfalls der akademischen Unterschicht zurechnen kann. ({0}) Damit wollen Sie von den Grünen, die Sie an den hohen Mietkosten erhebliche Mitschuld tragen, allen Ernstes soziale Kompetenz beweisen. ({1}) Die Grünen erkennen offenbar nicht den Zusammenhang zwischen dem, was sie unter Unterstützung für den Klimaschutz verstehen, und der Steigerung von Mietkosten aufgrund energetischer Sanierung. Sie sehen nicht, dass ihre kunterbunten Vorstellungen gerade zu den Ursachen für Mietpreissteigerungen gehören. ({2}) Haben Sie sich einmal gefragt, wie viele betroffene Mieter überhaupt kein Interesse an einer energetischen Sanierung haben? Diese führt nämlich zu Mietsteigerungen. Es ist auch egal, ob die Umlage dann 11 oder 6 Prozent pro Jahr beträgt. ({3}) In vielen Teilen baut der Antrag auf die bereits bestehende Mietpreisbremse auf, obwohl die Grünen selber einräumen, dass die Mietpreisbremse gescheitert ist. ({4}) Das Kernproblem der Mietpreisbremse ist es, dass private Investitionen in den Wohnungsbau weniger rentabel werden. Die Mietpreisbremse bremst den dringend notwendigen Neubau von Wohnungen durch private Investoren. Ein totes Pferd kann man nicht mehr reiten, auch dann nicht, wenn man ihm einen neuen Sattel aufsetzt. Deshalb sind Maßnahmen, die die negativen Folgen der Mietpreisbremse sogar noch verschärfen, konsequent abzulehnen. ({5}) Durch die Mogelpackung Mietpreisbremse wird kein einziges Problem gelöst. ({6}) Den größten Nachteil durch gestiegene Mieten in Ballungsgebieten haben diejenigen, die für die Zukunft unseres Landes von höchstem Wert sind: Das sind die deutschen Familien. ({7}) Vornehmlich in den deutschen Familien wachsen die Leistungsträger von morgen auf. ({8}) Es ist ein unhaltbarer Zustand, wenn junge Leute in Deutschland eine Familie gründen wollen, jedoch keinen bezahlbaren Lebensraum zur eigenen Entfaltung finden. ({9}): „Lebensraum“?) Wenn es Ihnen ernst damit gewesen wäre, junge Familien zu entlasten, dann hätten die Grünen in Mecklenburg-Vorpommern das Vorhaben meiner Kollegen in der dortigen Landtagsfraktion unterstützt, jungen Eltern ein Familiendarlehen zu gewähren, das verwendungsunabhängig gestellt wird und das man pro Kind gemindert zurückzahlen muss. Dieses Familiendarlehen wäre bei dem dritten Kind vollständig erlassen worden. Es ist schade, dass das nicht gekommen ist und dass Sie dagegen sind. Wir müssen dafür sorgen, dass generell mehr gebaut wird. Die Einführung eines Baukindergeldes weist in die richtige Richtung, sollte aber nicht mit den Restriktionen versehen werden, wie das jetzt geplant ist. Auch Wohnungen mit einer Fläche von über 120 Quadratmetern sollten als förderungswürdig angesehen werden. ({10}) Es müssen neue Baugebiete erschlossen werden. Das ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. Die Städte und Landratsämter brauchen einen größeren Personalpuffer, damit Baugenehmigungen und Baunutzungsänderungen schneller erteilt werden können. Wir müssen auch die Anzahl an bürokratischen Vorgaben wie die Vorschrift zur Wärmedämmung verringern. ({11}) Die notwendig gewordene gesetzliche Neuregelung der Grundsteuer ist eine gute Gelegenheit, eine Regelung aufzustellen, nach der zum Beispiel die Anzahl der Hausbewohner in einer Immobilie Einfluss auf die Substanzsteuer hat. Zu guter Letzt noch ein Punkt: Der Trend, dass viele junge Menschen in die Großstädte ziehen, sorgt dafür, dass ganze Landstriche im ländlichen Raum veröden. Jeder, der vom Land in die Stadt zieht, fehlt in seinem Dorf. Wir wollen aber, dass der ländliche Raum lebt, dass es auf den Dörfern eine ausreichende Infrastruktur gibt und dass zum Beispiel auch die freiwilligen Feuerwehren überall genügend Mitglieder haben. Ergebnis der zunehmenden Urbanisierung ist aber auch, dass es zahlreiche Grundstücke in dünnbesiedelten Gegenden gibt, die ausgesprochen billig sind und trotzdem über Monate und Jahre auf einen Käufer warten. Wir sollten uns deshalb Gedanken darüber machen, wie wir junge Familien überzeugen können, aufs Land zu ziehen, wo Wohnraum noch billiger ist. Funktionieren kann das nur, wenn wir die Kommunen mit deutlich mehr Geld ausstatten. Dadurch könnte die Infrastruktur verbessert werden. Insbesondere muss der öffentliche Nahverkehr im ländlichen Raum verbessert werden. ({12}) Vielleicht ein Tipp für junge deutsche Familien von mir als Dresdner: Wenn ihr es in den westdeutschen Großstädten nicht mehr aushalten könnt, wenn ihr dort bezahlbaren Wohnraum sucht, aber nicht findet, wenn ihr wollt, dass eure Kinder auf gute Schulen gehen, wenn ihr in Sicherheit leben wollt, dann müsst ihr zu uns nach Sachsen kommen; ({13}) denn bei uns ist die Welt noch einigermaßen in Ordnung. Die AfD Sachsen wird dafür sorgen, dass das auch so bleibt. Vielen Dank. ({14})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Maier. Bevor ich das Wort erteile, erlauben Sie mir bitte eine Bemerkung. Niemand in diesem Saal kann sich darüber beschweren, dass ein Redner aufgrund der massenhaften Zurufe das Gefühl hat, niedergebrüllt zu werden, wenn er sich als Abgeordneter selber daran beteiligt. Das sage ich in Richtung der drei Fraktionen auf der linken Seite. Ich mache das genauso bei der AfD-Fraktion. Wenn ihre Abgeordneten massenhaft dazwischenrufen, bitte ich auch darum, die Ordnung zu beachten. Das gilt wechselseitig, oder es gilt gar nicht. Ein Recht hat keine Farbe, sondern es ist in gleicher Weise anzuwenden. Ich bitte wirklich darum, das zu beachten; denn das Bild, das wir da abgeben, ist kein gutes. ({0}) Als nächster Redner hat für die SPD-Fraktion der Kollege Michael Groß das Wort. ({1})

Michael Groß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004045, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nach dem Beitrag meines Kollegen muss ich erst einmal einen Schluck trinken. Ich möchte betonen: Herr Maier, ich lasse mir nicht von Ihnen ein Jota Angst einjagen oder mir von Ihnen drohen. Das ist eine Art und Weise, die Sie an den Tag legen! Und die wird dem Thema auch nicht gerecht. ({0}) Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen bezahlbaren Wohnraum finden, und ich glaube, dass wir im Koalitionsvertrag dafür eine gute Lösung gefunden haben. Ich hatte, als ich dem Herrn Luczak zugehört habe, nicht das Gefühl, dass wir immer über dasselbe sprechen. Ich glaube, wir müssen das Thema noch mal vertiefen. Uns als Sozialdemokraten war wichtig, dass wir drei Dinge tun: Wir wollten einmal, dass mehr Wohnungen geschaffen werden. Wir brauchen in Deutschland 150 000 bezahlbare Wohnungen für untere und mittlere Einkommen. Das war für uns ein großes Ziel. Wir wollen außerdem, dass mehr Eigentum geschaffen wird, und wir wollen die soziale Funktion des Mietrechts gestalten. Es ist jetzt aber leider so, dass Sie beim dritten Punkt, bei der sozialen Funktion des Mietrechts, schon wieder auf die Bremse treten. Die Justizministerin hat einen Referentenentwurf vorgelegt, der bei Ihnen schon wieder aufgehalten wird. Ich glaube, es wird der Sache nicht gerecht, wenn Sie hier betonen, was wir alles machen wollen – die Modernisierungsumlage senken, die Härtefallregelung ändern und gerade auch bei der Mietpreisbremse für Verbesserungen sorgen –, und gleichzeitig Ihren Ministerien sagen: Das ist nicht das, was wir wollten. ({1}) Wir beide waren ja dabei und konnten uns eigentlich mehrfach nicht einigen. Wir haben dann schriftlich festgelegt, was wir machen wollen. Und jetzt sagen Sie wieder: Das ist nicht das, worauf wir uns gemeinsam verständigt haben. ({2}) Das wird aber den Menschen in Deutschland nicht gerecht, nicht in Berlin, in Köln oder Hamburg. Sie müssen, glaube ich, noch über einen großen Oxer springen. Das ist auch meine Erwartung, was Sie angeht. ({3}) Ich möchte noch einmal betonen, dass ich sehr froh bin, dass die Bundesregierung es geschafft hat, zusätzliche 500 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. ({4}) Wer hätte gedacht – auch die Grünen und die Linken –, dass wir eine Verantwortung des Bundes auch über 2019 hinaus für die soziale Wohnraumförderung schaffen? Das war eine großartige Sache, die wir dort vereinbart haben, weil viele Menschen davon profitieren werden. Wir haben viel zu wenige Wohnungen in Bindung. Es ist leider immer noch so – das kann man in NRW sehen –, dass die Landesregierungen viel zu wenig tun, um neue Wohnungen in Bindung zu schaffen oder zu bauen. Unter Rot-Grün war Nordrhein-Westfalen noch deutscher Meister beim Schaffen von Sozialwohnraum. ({5}) Leider ist das unter der neuen Regierung nicht mehr so. So kann man sehen, wie sich hier die Gemengelage darstellt. Rot-Grün war dort auf einem guten Weg. Das ist jetzt abgebrochen. NRW wird leider darunter leiden. Was wollen wir bei der Stärkung des sozialen Mietrechts erreichen? Wir wollen – ich habe das bereits angedeutet –, dass die Mietpreisbremse verbessert wird. Sie ist besser als ihr Ruf; ich betone das noch mal. Es gibt dazu Untersuchungen. Wenn Sie auf Online-Portale gehen – auf das der Stiftung Warentest zum Beispiel –, werden Sie feststellen: Alle Mieter, die sich trauen, dagegen vorzugehen, haben Erfolg, auch durch Vergleiche. ({6}) Sie, Herr Luczak, und viele Immobilienunternehmen haben dafür gesorgt, dass die Mietpreisbremse einen schlechten Ruf hat. Wir werden dafür sorgen, dass durch ein vorvertragliches Transparenzgebot der Mieter darüber Bescheid weiß, wie hoch die Miete sein darf. Wir werden seine Rechtsposition dadurch stärken. ({7}) Der zweite große Punkt ist die Modernisierungsumlage. Wir haben eine Situation – gerade auch in meinem Wahlkreis, von dem man nicht sagen kann, dass es ein Hotspot in Deutschland ist –, in der die Modernisierungsumlage von 11 auf 8 Prozent sinkt. Das bedeutet, dass bei einem Investment von 20 000 Euro – ich wiederhole das immer wieder gerne – eben nicht mehr 183 Euro, sondern nur noch 133 Euro dauerhaft umgelegt werden können – ein Riesenschritt für die Menschen. Das bedeutet natürlich auch, dass wir verhindern werden, dass Menschen rausmodernisiert werden können. ({8}) Ich komme zum nächsten Punkt. Ich glaube, es ist besonders wichtig, dass wir die Menschen davor schützen, rausmodernisiert zu werden. Wir sagen: Es ist eine Ordnungswidrigkeit, wenn jemand bewusst aus seiner Wohnung vertrieben werden soll, weil die Kosten der Modernisierung schon so hoch angesetzt sind, dass er weiß: Ich kann das gar nicht bezahlen. ({9}) Wir werden dies auch – zumindest sieht der Referentenentwurf das so vor – als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld belegen ({10}) sowie dem Mieter eine Möglichkeit zur Geltendmachung von Schadensersatz geben. Ich hoffe, dass Sie dabei mitmachen. Das wäre eine richtig gute Sache. ({11}) – Nein, nein, nein. Das war nicht Ihr Vorschlag. Ich war ja dabei. ({12}) Ich hoffe, dass Sie an dieser Stelle springen. Ich weiß nur, dass Sie an dieser Stelle nicht springen wollen, Herr Luczak. Also: Fragen Sie Ihre Häuser! Seien Sie an dieser Stelle ehrlich. Denn Sie laufen auch intern herum und sagen: Ich habe die Mietpreisbremse verhindert. ({13}) Ich hoffe, dass wir für die Menschen in Deutschland, die Mieter in Deutschland, hier einen guten Weg finden. Danke schön. ({14})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Als Nächstes hat die Kollegin Katharina Willkomm von der FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Katharina Kloke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004783, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wann ist Ihnen das letzte Mal der Begriff „warten“ in den Sinn gekommen? Laut Duden bedeutet „warten“: dem Eintreffen einer Person, einer Sache, eines Ereignisses entgegensehen, wobei einem oft die Zeit besonders langsam zu vergehen scheint … Haben Sie jetzt auch gerade an die Bundesregierung und den Mietwohnungsmarkt gedacht? Wir alle sehen der Veröffentlichung eines Regierungsentwurfs entgegen. Vor allem Menschen, die dringend neuen und bezahlbaren Wohnraum brauchen, scheint die Zeit hier besonders langsam zu vergehen. Aber bitte, liebe Bundesregierung, liefern und nicht irgendwie mal was in den Raum stellen! ({0}) Ich darf an dieser Stelle aus dem CDU-Wahlprogramm zitieren: Wir werden … keine Maßnahmen beschließen, die die Schaffung von Wohnraum zusätzlich verteuern. Diese Verteuerungsmaßnahme hat einen Namen. Es ist das Baukindergeld. Diese milliardenschwere Einladung mit Mitnahmeeffekt muss Peter Altmaier durchgerutscht sein, als er diesen Satz ins Wahlprogramm geschrieben hat. Wir Freie Demokraten als Partei der zweiten Chance sagen: Einen einmal erkannten Fehler muss man auch korrigieren dürfen. – Aber peinlich ist es schon. Erst verspricht die Union im Wahlkampf ein sündhaft teures Baukindergeld. Dann rechnet der SPD-Finanzminister noch einmal nach. Dann stellt er das fest, was Experten landauf, landab schon zur Wahlkampfidee Baukindergeld gesagt haben, nämlich: sehr teuer, aber dafür sehr ineffektiv. Dann dampfen Olaf Scholz und Regierungsabrissminister Seehofer die Nummer so ein, dass sie wieder ins Budget passt, aber noch weniger zu den Bedürfnissen bauwilliger Bürgerinnen und Bürger. Diese Woche findet die Drama-Koalition am Rande des x-ten Krisentreffens dann die Lösung: Von einer Quadratmeterbegrenzung wird abgesehen; dafür wird das Ganze zeitlich auf drei Jahre begrenzt. Lassen Sie das doch mit den Obergrenzen! Sie sehen ja, Sie laufen damit dauernd gegen eine Wand. Streichen Sie das Baukindergeld! Schaffen Sie einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer! ({1}) Nun zum Antrag der Grünen. Es heißt, Politik beginne mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Die Grünen schreiben, die Mietpreisbremse sei gescheitert; es gebe Verwerfungen auf dem freien Wohnungsmarkt; das stelle zahlreiche Familien vor ernste Probleme. Wir starten also von derselben Ausgangslage. Die FDP begrüßt jeden Vorschlag, der die Selbstbestimmung des Einzelnen stärkt, solange das nicht dazu führt, dass sich noch mehr private Vermieter aus dem Mietwohnungsmarkt zurückziehen. – So weit der gemeinsame Lösungsansatz. Leider haut es Sie in der nächsten Kurve wieder aus der Flugbahn. Von der Mietpreisbremse nur Erstmieten im Neubau auszunehmen, reicht nicht. Die Mietpreisbremse muss gestrichen werden. ({2}) Ihr Vorschlag zum Mieterhöhungssatz bei Modernisierung und zur Kappungsgrenze will vor allem eins, nämlich die geleakten Vorschläge aus dem BMJV übertrumpfen. Die Folge wäre schlicht noch mehr Modernisierungsstau im Bestand. Sie wollen ein Mietminderungsrecht, wenn das Gebäude nicht so energieeffizient ist wie vorgeschrieben, verzichten aber völlig auf eine Verknüpfung mit dadurch tatsächlich erhöhten Energiekosten für den Mieter. Das ist etwas zu kurz gesprungen. Im gleichen Atemzug schränken Sie die Möglichkeit, den Mieter an etwaigen Modernisierungskosten angemessen zu beteiligen, drakonisch ein. Das ist geradezu frech. Am Ende schaden Sie damit dem richtigen Anliegen, CO 2 einzusparen. ({3}) Ich dachte immer, das sei Ihnen besonders wichtig. Das alles wird die Vermieter nicht motivieren, mehr Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Sehr geehrte Damen und Herren, über eine Baulandoffensive für bezahlbare Wohnungen und Infrastruktur in wachsenden Städten können wir reden. Darüber, qualifizierte Mietspiegel auf eine rechtssichere und gerichtsfeste Grundlage zu stellen, können wir reden. Über die Weiterentwicklung des Gewerbemietrechts und die Erstellung von Gewerbemietspiegeln können wir reden. Über all das können wir reden. Nur noch länger warten, das können wir nicht. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort die Kollegin Caren Lay. ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute zum dritten Mal in dieser Legislaturperiode über das Mietrecht, zum dritten Mal auf Antrag der Opposition. Das sollte Ihnen von der Koalition wirklich zu denken geben. ({0}) Hatte die Justizministerin, Frau Barley, nicht angekündigt, dass sie ihren Gesetzentwurf noch vor der Sommerpause einreichen will? Dazu wäre am heutigen Tag die letzte Gelegenheit. In der nächsten Woche sprechen wir nämlich über den Haushalt. Nicht dass es so kommt wie in der letzten Legislaturperiode, wo jeder Versuch, das Mietrecht im Interesse der Mieterinnen und Mieter zu verbessern, an der Union gescheitert ist oder im Kanzleramt gestoppt wurde. Das, meine Damen und Herren, darf nie wieder passieren. ({1}) Die Frage, die hier heute gestellt ist, lautet: Mietrecht? Die Antwort der Union darauf: Baukindergeld. Also, ehrlich gesagt, da fällt doch auch jemandem, der kein Fachmann und keine Fachfrau ist, auf, dass an dieser Antwort irgendwas nicht stimmen kann. ({2}) Aber ich kann es Ihnen gerne noch mal erläutern. Es wird ja so kommen, dass das Baukindergeld am Ende das Einzige ist, was diese Koalition im Bereich der Wohnungspolitik vor der Sommerpause noch tatsächlich beschließen wird. ({3}) Es ist ein Lieblingsprojekt der Union, auch persönlich von Horst Seehofer favorisiert, aber nach Expertenmeinung wird das Baukindergeld vor allen Dingen dazu führen, dass auf dem Land mehr Eigenheime gebaut werden. ({4}) Aber mehr Eigenheime im Bayerischen Wald werden der Krankenschwester in München nichts nutzen. Das ist doch überhaupt nicht die richtige Antwort auf die Wohnungsfrage in den Städten. ({5}) Für die Krankenschwester in München ist die Idee, sich ein Eigenheim zu kaufen, wie für Millionen andere Normalverdiener in den Städten in weite Ferne gerückt, wegen geringer Löhne, wegen explodierender Mieten, weil sie gar keinen Kredit mehr bekommen und wegen der horrenden Boden- und Quadratmeterpreise. Daran wird das Baukindergeld nichts ändern. ({6}) Aber deswegen wird sie am Ende mit ihren Steuergeldern dem Zahnarzt im Bayerischen Wald sein Eigenheim finanzieren. Ehrlich gesagt, ich kann nicht erkennen, was daran eine soziale Politik sein soll. ({7}) Es ist ein teures Wahlgeschenk für Seehofers Klientel. Das Baukindergeld ist nicht die richtige Antwort auf die Wohnungsfrage in den Städten. Ich kann mich hier nur wiederholen. ({8}) Es ist auch ein Irrglaube – das möchte ich der Union jetzt wirklich noch einmal erklären –, dass „bauen, bauen, bauen“ die einzige Antwort auf die Wohnungsfrage ist. ({9}) Es kommt eben nicht darauf an, dass mehr gebaut wird. Es kommt doch darauf an, für wen und wo gebaut wird. Das ist doch die entscheidende Frage. ({10}) Schauen wir uns doch einmal an, was in den Großstädten gebaut worden ist. Es sind in den letzten Jahren nur 10 Prozent aller Wohnungen für Normalverdiener erschwinglich gewesen, ({11}) hier in Berlin sogar nur 5 Prozent. Aber gerade die Durchschnittsverdiener, die Normalverdiener, und Menschen mit geringem Einkommen brauchen doch die Unterstützung der Politik. Wenn wir für die was tun wollen, dann müssen wir mehr Sozialwohnungen bauen, dann müssen wir mehr Sozialwohnungen für Familien bauen. ({12}) Das wäre die richtige Antwort. ({13}) Ja, und wenn Sie was für Familien tun wollen, wie wäre es denn, wenn Sie vielleicht damit anfangen, dass einer alleinerziehenden Mutter mit Hartz IV das Kindergeld nicht länger auf Hartz IV angerechnet wird? Das wäre ein erster und sozialer Schritt, um die Situation von Familien zu verbessern. ({14}) Meine Damen und Herren, jetzt zum Mietrecht. Es ist schon erwähnt worden, dass die Mietpreisbremse in ihrer jetzigen Form nicht funktioniert. Sie sollte ja auch nicht funktionieren, weil der Druck der Bau- und der Vermieterlobby sehr, sehr groß war. Aber was folgt denn jetzt daraus? Es kann doch nicht sein, dass nun AfD, FDP und – manchmal habe ich fast das Gefühl – die Union daraus schlussfolgern, dass sie jetzt gänzlich abgeschafft wird. Das Gegenteil ist richtig: Sie muss nachgebessert werden. ({15}) Deswegen unterstützen wir dem Grunde nach auch den Antrag der Grünen, auch wenn wir im Detail an einigen Stellen darüber hinausgehen. Wir als Linke finden, dass alle Ausnahmen gestrichen werden müssen. Das wäre ein ganz wichtiger Schritt. Wir finden es auch unmöglich, dass die Mietpreisbremse jetzt nach zwei Jahren im Grunde auslaufen soll. Es ist ja nicht gesichert, ob sie überhaupt weiter besteht. Das wäre völlig absurd. Selbstverständlich wollen auch wir, dass Vermieter, die sich nicht an die Mietpreisbremse halten, bestraft werden. Das sollte doch selbstverständlich sein. ({16}) Wir brauchen einen echten Mietendeckel. Ansonsten bekommen wir das Problem nicht in den Griff. Die Mietpreisbremse bezieht sich aber nur auf neue Mietverträge. Wo wir dringend ranmüssen, ist die Deckelung der Mieten im Bestand, die Deckelung bei Altmietverträgen. ({17}) Denn auch hier steigen die Mieten enorm. Daran wird kein Bauprogramm etwas ändern. Das ist der beste Beweis dafür, dass wir eine Deckelung im Mietrecht brauchen, um die Mieterinnen und Mieter besser zu schützen; das ist doch völlig logisch. ({18}) – Es stimmt, dass wir eine Kappungsgrenze haben. Aber diese ist viel zu großzügig berechnet. Deswegen gibt es von den Grünen einen anderen Vorschlag. Wir sagen: Wie wäre es, wenn wir uns angesichts der horrenden Mietsteigerungen vielleicht darauf verständigen, dass die Mieten in den nächsten Jahren maximal so stark steigen wie der Inflationsausgleich oder – wenn es nach mir geht – wie die Löhne? Das wäre vielleicht auch mal eine soziale Antwort. ({19}) Wir müssen an das Mietrecht ran. Wir brauchen einen besseren Kündigungsschutz; das habe ich vor anderthalb Jahren an dieser Stelle schon mehrfach ausgeführt. Das ist bei der Union bis heute nicht angekommen. Wir müssen an den Mietspiegel ran. In seiner jetzigen Fassung ist er ein Mieterhöhungsspiegel. So wird er nichts nutzen. Letzter Punkt: die Modernisierungsumlage. Wir wollen sie nicht wie die Grünen lediglich absenken, sondern abschaffen; denn sie ist das Verdrängungsinstrument Nummer eins in unseren Städten. Deswegen gehört diese Modernisierungsumlage abgeschafft. ({20}) Sie ist eigentlich eine Einladung für Spekulanten. Der Mietwohnungsmarkt ist inzwischen interessant für internationale Finanzspekulation; denn es handelt sich hier um eine Renditegarantie. Wo gibt’s denn so was? Hier müssen wir endlich ran. Das muss endlich aufhören. ({21})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. – Ich fände es gut – und die Mieterinnen und Mieter würden es Ihnen danken –, wenn die Union endlich aus ihrem mietenpolitischen Dornröschenschlaf aufwachen würde. Das wäre mal ein tolles Signal am heutigen Freitagnachmittag. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Heribert Hirte. ({0})

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Untertitel Ihres Antrags lautet „Bezahlbares Wohnen sichern“. Wenn man den Antrag genau durchliest, dann stellt man fest: Es geht nicht um das Sichern von bezahlbarem Wohnen für alle, sondern es geht darum, hippe Innenstadtwohnungen für Ihre Klientel weiterhin billig zu halten. Das ist das, was uns unterscheidet. ({0}) – Dass Sie nun laut zustimmen, ist klar; denn Sie haben das gerade auch gesagt, Frau Lay. Ihnen geht es nicht darum, auch Menschen auf dem Land Wohnraum zu verschaffen, sondern Ihnen geht es genau um dieses Ziel. ({1}) Es geht Ihnen aber nicht um unser Ziel, bezahlbaren Wohnraum für alle zu erreichen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Liebich zu?

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Er soll zu Ende zuhören. Dann kann er beurteilen, ob sich seine Zwischenfrage erledigt. Über einige Ihrer Vorschläge, die Sie uns vor ein paar Stunden gemacht haben, kann man durchaus nachdenken. Gegen eine vernünftige und übersichtliche Betriebskostenabrechnung hat niemand etwas einzuwenden. Auch rechtssichere Mietspiegel wären nicht nur für Mieter, sondern auch für Vermieter ein Segen. Ihre anderen Vorschläge – das sei gesagt, bevor ich auf weitere Punkte, trotz der kurzen Vorlagefrist, eingehe – sind jedoch nur Kosmetik und bedeuten nichts anderes als graduelle Änderungen des geltenden Mietrechts, die letztlich, wie gesagt, den Besitzstand derjenigen wahren, die schon in einer schönen Wohnung drin sind. Uns geht es aber auch darum, Menschen Wohnraum zu verschaffen, die noch keine Wohnung haben. ({0}) Von der Opposition müsste man eigentlich mehr erwarten als nur Detailänderungen, etwa 50 Stück, Klein-Klein, nämlich eine Vision, wie das Wohnen in diesem Land besser gestaltet werden kann. – Jetzt will der Kollege Sven Lehmann fragen. Er kann auch gleich seine Frage stellen oder seine Bemerkung machen, um das vorweg zu sagen. ({1}) Nachdem Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Chance vertan haben, lassen Sie mich meine Vorstellung von bezahlbarem Wohnraum für alle darlegen, eine Vorstellung von bezahlbarem Wohnraum ohne überbordende Bürokratie. Eine Fußnote – das haben Sie eben gesagt –: Jemand, der unter Berufung auf die Mietpreisbremse klagt, bekommt sehr häufig recht. Das zeigt: Verdient wird an ganz anderen Stellen. Nicht die Wohnungen werden billiger, sondern die Anwälte reicher. ({2}) Es soll darum gehen, dass auch bildungsferne Schichten günstigen Wohnraum bekommen. Im Übrigen habe ich eine Vorstellung, die nicht davon ausgeht, dass der Staat alles regeln muss. Nach meiner Vorstellung brauchen wir mehr Wohnungen, übrigens von der Größe, um es deutlich zu sagen, die sich Bürgerinnen und Bürger wünschen, und nicht die, die irgendwelche Förderrichtlinien vorschreiben. ({3}) Deshalb haben wir in der Koalition vor zwei Tagen zu Recht verabredet – ich will das für die Kollegen, die das nicht gehört haben, in Erinnerung rufen –, dass es in diesem Punkte beim Baukindergeld keine Flächenbegrenzungen geben wird. ({4}) Dazu braucht es günstiges Geld. Davon gibt es – das muss man auch mal sagen – zurzeit genug. Wir brauchen ein entschlacktes Baurecht, und wir brauchen schnelle Behördenentscheidungen mit praxisgerechten Bebauungsplänen. Während wir über Ersteres im Bauausschuss nachdenken werden, liegt der zweite Punkt, nämlich eine schnellere Entscheidung der Behörden, nicht in unserer Macht, sondern es ist eine Sache der Länder und Kommunen. Deshalb ist es an uns allen, unsere Kolleginnen und Kollegen in den Ländern und Gemeinden hier zu einem Umdenken zu motivieren. Gleichzeitig gilt es, Regionen, Stadtteile, Straßenzüge und andere Gegenden attraktiver zu gestalten und so den Wohnungsmarkt zu entzerren. Wer etwa in meiner Heimatstadt Köln nicht nach Sülz ziehen will oder kann, für den müssen wir daran arbeiten, dass Mülheim ähnlich hip wird, wie es Sülz und Ehrenfeld schon sind. Das bedeutet auch: Wir müssen das Gefälle zwischen Stadt und Land reduzieren; denn 30 Minuten mit dem Regionalexpress von Berlin entfernt gibt es durchaus attraktiven Wohnraum. ({5}) Neben der Entzerrung des Mietwohnungsmarktes bedarf es auch noch weiterer Anstrengungen, Wohneigentum, gerade von jungen Familien, zu steigern. Wohnungseigentum macht nämlich unabhängig von Mietsteigerungen, ({6}) bindet Kapital, das im Alter und in Notsituationen zur Verfügung steht, und ist zudem – ich sage es ganz deutlich – ein gutes Gefühl. Deshalb ist das Baukindergeld der richtige Ansatz, auch wenn es ökonomische Kritik an der einen oder anderen Stelle daran gibt; denn es rückt das Eigentum und das Eigentumsrecht weiter in die Öffentlichkeit und lässt mehr Menschen über diesen Schritt nachdenken. Meine Damen und Herren, wenn wir schon bei guten Maßnahmen der Bundesregierung sind: Auch die aktuelle Niedrigzinsphase hilft bei der Finanzierung von Wohnungseigentum. Das sollte man in diesem Zusammenhang nicht unterschlagen. Wenn ich von schöneren Wohnungen spreche, die man bekommen können soll, dann muss ich doch noch mal auf Ihren Antrag zurückkommen. Sie beklagen an einigen Stellen, dass die Menschen „herausmodernisiert“ werden. Das ist an einigen Orten durchaus richtig. Ich sage es noch mal – der Kollege Luczak hat es ja schon im Zwischenruf deutlich gesagt –: Deshalb haben wir in den Koalitionsvertrag Maßnahmen zu diesem Punkt hi­neinverhandelt. ({7}) Da wird also etwas passieren. Was mir aber gar nicht gefällt, ist der Unterton, den wir in Ihrem Antrag an der einen oder anderen Stelle herauslesen können, dass nämlich Vermieter lediglich geldgierige, herzlose Finanzinvestoren von den Cayman Islands sind. ({8}) Denn zumindest in meiner Heimatstadt besagt die Statistik etwas ganz anderes: 66 Prozent der Mietwohnungen sind in der Hand von Privatpersonen, ({9}) 18 Prozent in der Hand öffentlicher Wohnungsunternehmen. Nur bei 14 Prozent sind es privatwirtschaftliche Wohnungsunternehmen. Selbst wenn Letztere ihre Mieter auspressen sollten, dann sind die anderen 86 Prozent noch ordentliche Vermieter, und auch daran müssen wir denken. ({10}) Letztlich noch eine Anmerkung zum Thema „bezahlbarer Wohnraum für alle“. Auch mit einer Begrenzung der Mieterhöhung auf 10 Prozent in drei Jahren kommt ein Geringverdiener nicht an Wohnraum; diese Maßnahme hilft nicht. ({11}) Sie sehen also: Unsere Fraktion und meine Partei haben alle Bürgerinnen und Bürger im Blick, private und gewerbliche Vermieter und natürlich auch den Grünenwähler, der gut verdient. Vielen Dank. ({12})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe zwei Wünsche nach Kurzinterventionen. Einmal ist das Stefan Liebich, Fraktion Die Linke, und dann Sven Lehmann, Bündnis 90/Die Grünen. Die Betonung liegt auf „kurz“.

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Hirte, Sie haben gesagt, ich solle Ihnen zuhören; dann würde ich noch was lernen. ({0}) Ich habe jetzt zugehört. Es bleiben trotzdem noch ziemlich viele Fragen offen. Sie beschreiben hier eine Welt, in der ich wirklich nicht leben möchte. Sie sagen: Es ist völlig normal, dass sich Leute mit nicht so hohem Einkommen Wohnungen in der Innenstadt nicht mehr leisten können. In meinem Wahlkreis, Prenzlauer Berg, ist die Bevölkerung seit 1990 komplett ausgetauscht worden. ({1}) Früher haben dort Arbeiter gewohnt, Studenten gewohnt. Niemand von denen kann sich heute dort noch die Miete leisten, und Sie sagen, dass diese Leute den Regionalexpress nehmen und nach Brandenburg rausfahren sollen. Was ist denn das für eine Welt! In den Städten nur noch die Reichen und Schönen, und die, die nicht mehr so viel Geld haben, wohnen halt am Stadtrand oder ganz woanders. Das ist eine Welt, in der ich nicht leben möchte, und wir werden dagegen kämpfen. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Wollen wir erst noch den Kollegen Lehmann nehmen? Herr Hirte, dann können Sie auf beide Kurzinterventionen zusammen erwidern. – Sven Lehmann, bitte schön.

Sven Lehmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004801

Herr Kollege Dr. Hirte, Sie haben mehrfach in Ihrer Rede das Wort „hip“ benutzt und sozusagen suggeriert, das Thema „explodierende Mieten“ sei irgendwie so ein grünes Wohlfühlthema. Wir kommen beide aus demselben Wahlkreis, nämlich aus dem Kölner Südwesten. Ich möchte das Plenum jetzt nicht langweilen mit Kölner Interna, aber ich sage Ihnen einfach mal informationshalber: Die Kölner Südstadt hat ein ganz großes Problem mit explodierenden Mieten und Verdrängung. Köln-Zollstock – das liegt auch in unserem Wahlkreis – hat ein sehr großes Problem, weil es einen hohen Anteil von Genossenschaftsbauten gibt und trotzdem explodierende Mieten, Sanierung und Verdrängung. Wenn Sie hier sagen, das sei irgend so ein grünes Wohlfühlthema, ignorieren Sie, dass gerade Menschen mit geringem Einkommen, gerade junge Familien massiv aus den Großstädten verdrängt werden. Es ist nicht in Ordnung, dass Sie das so als Wohlfühlthema hier darstellen. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege Hirte.

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst mal: Zuhören wäre gut. Das, was Sie mir in den Mund gelegt haben, habe ich nicht gesagt. ({0}) – Das müssen wir dann schon mal klarstellen. Ich habe nicht gesagt, dass mir die Mieter in Berlin und in Köln nicht am Herzen liegen. Sie liegen mir sehr am Herzen. ({1}) Ich habe auch nicht zweimal von „hip“ gesprochen. Das haben Sie falsch verstanden. Aber das ist vielleicht eine Überinterpretation durch Sie. Lassen Sie es mich ganz deutlich sagen: Sie sehen nur auf eine Gruppe; das sind diejenigen, die im Bestand drin sind. Wir schauen auch auf diejenigen, die noch Wohnraum haben wollen; das sind insbesondere junge Familien. Lieber Kollege Lehmann, wir haben vor wenigen Tagen in Köln genau zu diesem Thema zusammengesessen. Pfarrer Mörtter hat auf meine Nachfrage, wie die Mietpreisbremse wirkt, genau das gesagt, was ich hier gesagt habe: Sie wirkt nicht für die Zielgruppe, die uns auch am Herzen liegt, nämlich für diejenigen, die sich nicht den Anwalt leisten und als Erstes Prozesse führen können, um dann eine billigere Miete zu bekommen. Wir wollen billigeren Wohnraum für alle, und daran arbeiten wir auch in dieser Koalition. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Der nächste Redner ist für die FDP-Fraktion der Kollege Hagen Reinhold. ({0})

Hagen Reinhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004229, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Schön, dass das so munter losgeht hier bei uns heute! ({0}) Deshalb möchte ich mir ein paar Sachen herausgreifen, die in der Debatte schon gebracht worden sind. Erst mal: Ein guter Antrag. – In Teilen kann ich Ihnen da zustimmen, aber wirklich nur in Teilen – ich sage auch gleich, in welchen ganz genau –, zum Beispiel wenn es um Bauland geht usw. usf. Bei manchen Teilen habe ich mich gefragt: Wer hat Ihnen bei diesem Absatz bitte schön die Feder geführt? Das haben Sie, Gott sei Dank, Frau Bayram, jetzt schon erklärt. Das waren ganz offensichtlich die Mitnahmeeffekte vom Häuserkampf in Kreuzberg. Wenn Sie hier zum Beispiel den Kündigungsschutz für gemeinnützige Vereine noch auf deren Untermieter ausweiten wollen, einen besonderen Schutz für die Untermieter wollen, dann wissen wir alle, für wen Sie das hier machen, und dann erklärt sich das auch von ganz allein. Da offenbaren Sie, für wen Sie hier kämpfen. ({1}) – Entspannt, entspannt! Ich fange mal mit den guten Sachen an. Bauland wollen Sie aktivieren. Da müsste noch viel mehr in Ihrem Antrag stehen. Da sind wir sehr dafür. Weisen wir Bauland aus! Stocken wir da auf! Aktivieren wir Brachflächen! ({2}) Da bin ich bei Ihnen; alles gut. Mietpreisbremse nicht für die Erstvermietung; so schreiben Sie. Gratulation! Da sind Sie schlauer als viele andere hier im Plenum. Da bin ich bei Ihnen. Auch die Frist für die Geltendmachung von Härtefällen bei der Modernisierungsumlage – dafür haben Sie meine Sympathie. Aber ein paar Sachen sind dabei, da muss ich mich wirklich fragen, was hier passiert ist. Sie wollen eine enger gefasste Mietpreisbremse, bei den Betriebskosten zum Beispiel. Ja, sorry! Wir wissen alle, die Betriebskosten sind eine zweite Miete. Aber warum denn? Das sind doch zum größten Teil die grün-getriebenen Strom- und Wärme- und Energiewenden der letzten Zeit gewesen, mit EEG-Umlagen noch und nöcher. ({3}) Sorgen Sie doch dafür, dass die Betriebskosten billiger werden! Helfen Sie uns dabei, und begrenzen Sie sie nicht! So ein Schwachsinn! Ehrlich! ({4}) Der Mietspiegel. Da bin ich sehr dabei. Meine Herren von der Union, da bin ich dankbar, dass auch Sie hier vorn gerade noch mal offenbart haben: So richtig rechtssicher ist das nicht. Bevor Frau Nissen wieder von Frankfurt anfängt, mache ich es: Oma Else in Frankfurt hat zwei Wohnungen und vermietet sie; das macht sie zu Recht. Wir verpflichten sie mit der Mietpreisbremse in angespannten Wohnungsmärkten dazu, den Mietspiegel anzuwenden. Der Mietspiegel – Sie offenbaren es in Ihrem Koalitionsvertrag – ist nicht rechtssicher. Dann können wir nicht per Gesetz Leute dazu verpflichten, diesen Mietspiegel anzuwenden. Deshalb ist da dringend Handlungsbedarf. Schade, dass Sie die Mietpreisbremse hier nicht sogar aussetzen! Das wäre nämlich konsequent; denn Sie sagen: Die Grundlage ist nicht mal rechtssicher. – So sieht es nämlich aus. ({5}) Die Absenkung der Modernisierungsumlage. Ich muss darauf eingehen. Sorry! Was Sie hier alles erzählen! Es gibt durch die Rechtsprechung schon mehr als genug Ausnahmefälle. Wir haben Härtefälle. Da bin ich sogar bei Ihnen, wenn Sie sagen: Wir wollen die Frist für die Geltendmachung verlängern. – Aber nehmen Sie doch mal zur Kenntnis, dass das einen großen Teil, bis zu 30 Prozent, gar nicht betrifft. Bei den Profis, auf die Sie alle so schimpfen, ist das gut institutionalisiert. Die machen das in einem schönen Verfahren. Viele Leute, die es sich nicht leisten können, müssen die Modernisierungsumlage gar nicht tragen; sie sind nämlich davon ausgenommen. Deshalb macht das keinen Sinn. ({6}) – Bleiben Sie entspannt! – Ich habe es nachgerechnet. Es ist ein soziales System, weil diejenigen, die es sich leisten können, die Modernisierungsumlage zahlen, und diejenigen, die es sich nicht leisten können, sie nicht zahlen, weil sie Härtefälle sind. Wenn Sie meinen, dieses soziale System abschaffen oder konterkarieren zu wollen, ist das doch der größte Fehler, den Sie machen können. ({7}) Wer glaubt, dass das sozial ist, der glaubt auch, dass Merkel und Seehofer bereits zum Brüderkuss ansetzen. ({8}) Das ist der falsche Weg. Es tut mir leid, aber das muss ich ablehnen. Jetzt blinkt das Signal für meine Redezeit. Stellen Sie doch bitte eine Zwischenfrage, Frau Nissen, damit ich weitermachen kann. ({9}) Da wäre ich sehr erfreut. Ich hätte noch einige andere Sachen parat. Ich freue mich auf die Debatte. Die guten Ansätze übernehmen wir, bei den schlechten müssen wir Ihnen leider noch ein bisschen zeigen, wie es geht. Danke. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Ulli Nissen für die SPD-Fraktion. ({0}) – Oh, Entschuldigung, die Kollegin Ulli Nissen! Ich bitte um Nachsicht, Frau Kollegin. Das passiert nicht mehr.

Ulli Nissen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004363, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir haben doch schon zusammen Präsidium gemacht, Herr Kollege. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute ein Thema, das auch in meinem Frankfurter Wahlkreis eine hohe Brisanz besitzt. ({0}) Bezahlbares Wohnen hat für uns große Bedeutung. Ich freue mich, dass beim Koalitionsgespräch am Dienstag weitere Verbesserungen über den Koalitionsvertrag hinaus erreicht wurden. Zu den bereits beschlossenen 2 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau kommen jetzt noch mal 500 Millionen Euro dazu. Großartig ist auch, dass für die Städtebauförderung für 2019/2020 pro Jahr zusätzlich 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. ({1}) Eigentumsförderung für Familien ist für mich auch ein Bestandteil des Wohnens. Ich bin Berichterstatterin für das Baukindergeld und bin froh, dass am Dienstag in der Koa-Runde beschlossen wurde, wie das Baukindergeld kommt. Es gilt der Förderzeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 31. Dezember 2020, und es gibt keine Deckelung der erlaubten Wohnungsgröße; das war für mich sehr wichtig. ({2}) Pro Kind werden über einen Zeitraum von zehn Jahren jährlich jeweils 1 200 Euro gezahlt, also insgesamt 12 000 Euro. Das erleichtert jungen Familien das Bauen. Aber Voraussetzung ist, dass das zu versteuernde Einkommen nicht über 75 000 Euro liegt. Deshalb gilt es nicht für den Zahnarzt in Bayern. Neben der Eigentumsförderung müssen wir dringend die Situation der Mieter und Mieterinnen verbessern. Erst mal will ich an etwas erinnern, was wir in der letzten Legislaturperiode umgesetzt haben – es wird häufig vergessen. Wir haben beschlossen: Wer den Makler bestellt, muss ihn auch bezahlen. – Ich finde das nach wie vor großartig. Das ist eine riesige Entlastung für Mieterinnen und Mieter. ({3}) Jetzt, zu Beginn der neuen Koalition, hat unsere Ministerin zum Mietrecht einen aus meiner Sicht sehr guten Gesetzentwurf vorgelegt. Die Mietpreisbremse wollen wir schärfer stellen. Der Vermieter muss künftig die Vormiete angeben, und es soll leichter sein, zu viel gezahlte Miete zurückzubekommen. Nur, wer seine Rechte kennt, Herr Luczak, kann sie auch nutzen. Deshalb bin ich dafür, dass Mieterinnen und Mieter besser über ihre Rechte informiert werden. Dies kann zum Beispiel durch ein Beiblatt zum Mietvertrag, aber auch – das müssen wir machen – durch zusätzliche Informationskampagnen passieren. ({4}) Persönlich bin ich dafür, dass auch möblierte Wohnungen unter die Mietpreisbremse fallen. Dem Missbrauch in diesem Bereich sollten wir einen Riegel vorschieben. Ganz wichtig ist auch – es wurde angesprochen –, dass Modernisierungskosten künftig gedeckelt werden, bei maximal 3 Euro pro Quadratmeter innerhalb von sechs Jahren. So werden künftig wohl nur noch sinnvolle und wirtschaftliche Modernisierungsmaßnahmen vorgenommen. ({5}) Die Grünen fordern in ihrem Antrag viele Dinge. Aber ich frage mich: Warum machen Sie das nicht auch dort, wo Sie vor Ort verantwortlich sind? Ich erinnere mich gut daran, wie die Frankfurter Grünen die Mietpreisbremse bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft ABG Frankfurt Holding mit gut 50 000 Wohnungen abgelehnt haben. Erst, als die SPD in die Stadtregierung eintrat, konnte SPD-Oberbürgermeister Peter Feldmann ({6}) umsetzen, dass die Mieten nur noch um 1 Prozent pro Jahr angehoben werden können. ({7}) So eine Mietpreisbremse will die hessische SPD – mit Thorsten Schäfer-Gümbel an der Spitze – nach Regierungsübernahme auch auf andere Wohnungsbaugesellschaften in Landesbesitz umsetzen. ({8}) Liebe Kolleginnen von den Grünen, das gilt für alle Einkommensgrenzen, nicht nur für besondere. ({9}) Ich versuche, selber Vorbild zu sein: Seit 14 Jahren bin ich Vermieterin; ich habe kein einziges Mal eine Bestandsmiete erhöht, und ich habe die Miete bei Neuvermietung nur einmal um 20 Euro erhöht. Ich kann Ihnen sagen: Wenn bei mir Modernisierungen vorgenommen werden, werde ich diese Kosten nicht auf meine Mieter umlegen, weil ich etwas davon habe; es ist eine Wertverbesserung meiner Wohnung. Ich mache es anders. ({10}) Liebe Kollegen von den Grünen, in Ihrem Antrag fordern Sie auch einen verbesserten Kündigungsschutz. Sie sind seit fünf Jahren mit der CDU in Hessen in einer Koalition, und dort gilt leider immer noch die Kündigungssperrfrist von fünf Jahren – wie vorher unter CDU und FDP. Warum haben Sie das nicht geändert? Wenn die SPD drankommt, werden wir das ändern. Wir werden die Frist wieder auf zehn Jahre erhöhen. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen – ich spreche jetzt insbesondere die Kollegen von CDU und CSU an –:

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Aber nur sehr kurz.

Ulli Nissen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004363, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir haben nach gut 100 Tagen Regierungszeit viel Gutes für die Menschen auf den Weg gebracht, insbesondere im Hinblick auf bezahlbares Wohnen. Die Menschen in Deutschland warten darauf, dass wir das für sie umsetzen. Lassen Sie die Menschen nicht im Stich! Raufen Sie sich zusammen! Lassen Sie uns gemeinsam weiter Gutes für die Bürgerinnen und Bürger tun! Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Ulli Nissen, ich glaube, ich bin im falschen Film. ({0}) Jetzt habe ich verstanden, dass das Baukindergeld auch ein SPD-Projekt ist. ({1}) Jetzt habe ich auch verstanden, warum der Gipfel am Dienstagabend die Ergebnisse produziert hat, die er produziert hat. Die Große Koalition pumpt 9 Milliarden Euro in einen eh schon überhitzten Wohnungsmarkt, und dabei hat die SPD – sozusagen nebenbei – 1 Milliarde Euro für den sozialen Wohnungsbau rausgeholt. Aber beim Mietrecht habt ihr nichts gemacht. ({2}) Ich habe hier in der letzten Sitzungswoche gesagt: Ich will die SPD beim Thema Mietrecht kämpfen sehen. – Bei diesem Gipfel habt ihr euch nicht hingestellt und gesagt: Das Baukindergeld gibt es nur, wenn es auch Verbesserungen beim Mietrecht gibt. Das habt ihr nicht hinbekommen. ({3}) Das zeigt ganz klar: Das Mietrecht ist nicht auf der Agenda der SPD. ({4}) Der Referentenentwurf von Frau Barley vergammelt immer noch im Ministerium. Das ist ein mietenpolitischer Skandal. Und das hat nichts mit der CDU zu tun, sondern nur mit dem Willen der SPD, in dieser Frage Härte zu zeigen. ({5}) Die SPD lässt sich, wie in der letzten Wahlperiode, bei der Mietenthematik über den Tisch ziehen. Herr Luczak, dass Sie an dieser Stelle lachen, kann ich überhaupt nicht verstehen. Sie bremsen jede Verbesserung für die Mieterinnen und Mieter mittlerweile seit über fünf Jahren aus. Dass Sie hier bei jeder Rede den Mieterschutz betonen und Krokodilstränen vergießen, ist wirklich unerträglich. ({6}) Wenn Sie nicht zusammen klarkommen: Meine Kollegin Canan Bayram und ich haben ein bisschen Expertise beim Mediationsverfahren. Vielleicht nehmen Sie uns einfach mal mit dazu, und dann reden wir miteinander. Dabei kommt vielleicht auch etwas für die Mieterinnen und Mieter in Deutschland heraus. ({7}) Wir brauchen eine Neujustierung des Mietrechts, und zwar eine soziale Neujustierung, weil die Mieten in Deutschland insgesamt zwischen 2012 und 2016 um 15 Prozent gestiegen sind und sich der Anstieg weiter erhöht hat. Das merken die Menschen, und sie haben Angst vor Verdrängung. Deswegen braucht es eine Neujustierung. ({8}) Und diese Neujustierung wird nur gelingen, wenn wir eine funktionierende Mietpreisbremse haben. Die Nebelkerze Neubau funktioniert nicht beim Bestand; nur die Mietpreisbremse funktioniert beim Bestand. Ich sage Ihnen eines: Unser Vorschlag bringt in Ihrem Wahlkreis, Herr Luczak, 29 Euro pro Monat Ersparnis. Das werden wir Ihnen vor Ort unter die Nase reiben. ({9}) Wir brauchen eine Modernisierungsumlage, die nicht darauf setzt, dass nach zehn Jahren die nächste Modernisierung folgt. Ich meine: Welcher Kollege innerhalb der Union saniert sein Haus alle zehn Jahre? Das macht niemand; ein solches Investment gibt es nirgendwo. Deswegen fordern wir eine Begrenzung auf maximal 6 Prozent. Damit haben Sie für 20 Jahre ein Investment abgedeckt. Das ist vernünftige Marktwirtschaft. Lassen Sie hier endlich wieder die soziale Marktwirtschaft gelten, statt diejenigen in den Blick zu nehmen, die mit dem Geschäft „Modernisierung“ am Ende Rendite machen. ({10}) Wir brauchen zudem eine Mietbegrenzung für den Bestand. Wir fordern eine maximale Steigerung der Mieten von 10 Prozent in drei Jahren und nicht um 15 Prozent, wie es im Augenblick im Gesetz steht. Wenn wir den Bestand nicht berücksichtigen, sondern immer nur die Nebelkerze Neubau zünden, wird das nicht gelingen. Der Neubau in Deutschland macht 0,6 Prozent aus. Damit erreichen Sie gar nichts bei den derzeitigen massiven Mietsteigerungen. ({11}) Deswegen braucht es regulierende Instrumente im Mietrecht. ({12}) Ich finde es, ehrlich gesagt, total traurig, dass gestandene Juristen hier nicht in der Lage sind, auf unseren Antrag im Detail einzugehen; ({13}) denn im Detail, Herr Hirte, muss man konkret werden. Das werden Sie als CDU in dieser Frage leider nie. Sie halten hier nur Ihre Schönwetterreden. ({14}) Das reicht einfach nicht aus für eine vernünftige Mietenpolitik und schon gar nicht, um den Mietenwahnsinn in Deutschland zu bremsen. Danke schön. ({15})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die CDU/CSU-Fraktion hat als Nächster das Wort der Kollege Michael Kießling. ({0})

Michael Kießling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Also, wir haben hier schon einiges über Bayern gehört: über den bayerischen Zahnarzt und den Bayerischen Wald. Aber eines muss ich schon sagen, Frau Nissen, Frau Lay: Auch bei uns wohnen Leute, und auch bei uns gibt es Krankenschwestern, auch auf dem Land, die Wohnraum benötigen. ({0}) Natürlich haben wir einen angespannten Wohnungsmarkt in Ballungsgebieten; auch das gibt es in Bayern, um bei diesem Beispiel zu bleiben. Deswegen müssen wir als verantwortungsvolle Politiker nachhaltig handeln und dürfen keinen Schnellschuss machen. Auf eines können wir uns verständigen, darauf, dass es keine einfache Lösung gibt, sondern dass wir mehr anbieten müssen als nur die Mietpreisbremse und den Neubau. Sie haben es angesprochen: Wir brauchen genauso eine Städtebauförderung. Wir müssen auch in anderen Bereichen aktiv werden. Genau das machen wir seitens der Koalition. Wir setzen uns für gleiche Lebensbedingungen ein, auf dem Land und in der Stadt. Wohnraum zu schaffen – das machen wir – gehört auch dazu, weil das zur Entlastung des Mietmarkts führt. ({1}) – Ja, auch wir haben Visionen. Es gab mal jemanden, der gesagt hat: Wer Visionen hat, muss zum Arzt gehen. Aber manchmal helfen sie, eine Idee zu entwickeln, wo es hingehen soll. Ich glaube, die haben wir sehr gut im Koalitionsvertrag niedergelegt. Ja, wir schaffen Eigentum für junge Familien. Wir wollen junge Familien dabei fördern. Reiche Leute, die sich das leisten können – die Einkommensgrenze liegt bei 75 000 Euro –, sind davon ausgeschlossen. Und wenn Wohnraum durch Eigentum geschaffen wird, werden woanders Flächen frei. ({2}) So erreichen wir eine Entlastung auf dem Mietwohnungsmarkt. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist, dass wir den Mietwohnungsbau und den sozialen Wohnungsbau fördern. Sie haben von den Mittelerhöhungen für diesen Bereich gehört, die jetzt auf den Weg gebracht wurden. Auch das ist Bestandteil einer nachhaltigen Wohnungsbaupolitik; das gehört genauso gut dazu. Es gehört natürlich auch dazu, dass wir die Mieter schützen; da bin ich bei Ihnen. ({3}) – Ja, jetzt wird es spannend. – ({4}) Wir haben ja eine Mietpreisbremse. ({5}) Ein Kollege von der SPD hat vorhin gesagt: Die funktioniert. – Ja, sie funktioniert. Wir müssen sie aber trotzdem nachbessern. ({6}) Wir haben uns im Koalitionsvertrag auch darauf geeinigt, dass wir das tun. Mit diesem Gesamtpaket, glaube ich, können wir den Menschen in Deutschland helfen. Eines, liebe Grüne, muss ich aber sagen: Wenn Sie von 860 000 Wohnungslosen sprechen, suggerieren Sie den Menschen draußen, die sich nicht mit diesem Thema beschäftigen, dass diese Menschen kein Dach über dem Kopf haben. Das ist nicht der Fall. Wir wissen, dass jeder der 860 000 Menschen einer zu viel ist. Aber wir wissen auch, dass seit 2014 die Hälfte davon Fehlbeleger sind, also anerkannte Flüchtlinge, die in Sammelunterkünften leben. Dass das kein schöner Zustand ist, ist klar. Aber das gehört zum Thema „Zuwanderung“, das wir mit unserer Politik in den Griff bekommen müssen, und da müssen wir alle zusammenwirken. Da hilft es nicht, sich an skandalösen Zahlen hochzuziehen. Wir müssen an den Fakten arbeiten. Ich finde, das tut die Koalition ganz gut mit dem, was sie vorhat. ({7}) – Natürlich ist das die Realität. Ich sage ja nicht, dass die 860 000 nicht Realität sind. Aber wir haben einen sehr starken Zuwachs bekommen durch die Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind und anerkannt sind. Es ist kein schöner Zustand, dass sie in Sammelunterkünften leben müssen, weil wir keinen Wohnraum haben. Aber wir wissen, dass diese Sondersituation, die wir seit 2015 haben, dazu geführt hat, dass wir Wohnraummangel haben und sich die ganze Problematik noch einmal verstärkt hat. Noch einmal: Alles, was wir in der Koalition tun, ist, den Wohnungsmarkt zu entlasten und Angebote zu schaffen, und das über alle Gesellschaftsgruppen hinweg. Da schaue ich zu den Linken. ({8}) – Ja, ich weiß es. Ich habe auch eine vierköpfige Familie. Ich wohne in der Nähe von München; ich weiß, was man da an Miete zahlt. Auch in Starnberg – jetzt sagen Sie sicher: Warum Starnberg? Da wohnen doch lauter Reiche –, nein, auch dort wohnen Polizisten, Handwerker und Krankenschwestern. Mit dem Einheimischenmodell wird dafür gesorgt, dass die einheimische Bevölkerung vor Ort Wohnraum schaffen kann. Alles in allem, denke ich, sind wir gut aufgestellt. Lassen Sie uns noch etwas Zeit, damit wir bei der Mietpreisbremse – das ist heute unser Thema – in den Ausschüssen zusammen eine gute Lösung erarbeiten können. Dann sind wir schon einen Schritt weiter. Ob das noch vor der Sommerpause kommt oder erst nach der Sommerpause, ist nicht entscheidend. ({9}) Wichtig ist, dass es möglichst schnell kommt. Ich denke, es ist wichtig, dass wir alle zusammen daran arbeiten. ({10}) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({11}) Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Wir sehen uns dann nächste Woche. ({12})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Klaus Mindrup. Er ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt. ({0})

Klaus Mindrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004354, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist vollkommen klar: Die Wohnungsfrage ist die entscheidende soziale Frage in unserem Land, die wir zu lösen haben. ({0}) Wir haben im Koalitionsvertrag zwei entscheidende Punkte vereinbart. Es geht darum, bezahlbaren Wohnraum neu zu schaffen und bezahlbaren Wohnraum zu sichern. Diese Vorhaben finden sich ja auch im Titel des Antrags der Grünen, den wir jetzt in erster Lesung debattieren. Insofern werden wir zu den Details ja noch kommen. Ich gehe fest davon aus, dass nach der Sommerpause das erste Mietrechtspaket kommt. Wer sich nicht an den Koalitionsvertrag hält, weiß, was dann kommt. Insofern sagen wir ganz eindeutig: Wir werden dann zu ersten Maßnahmen im Mietrecht kommen. Was kommt auf uns zu? Wir werden das Mietrecht stärken; das haben wir vereinbart. Wir werden die Mietpreisbremse schärfen. Wir werden die Modernisierungsumlage senken und bei 3 Euro kappen. Wir werden das Herausmodernisieren verbieten. Wir werden das Grundgesetz ändern – wenn wir dafür eine Mehrheit bekommen –, damit wir weiter in den sozialen Wohnungsbau investieren können; wir haben die Mittel dafür bereits aufgestockt. Wir werden ein Gebäudeenergiegesetz bekommen, das nicht die Mieter bedroht, sondern die Umwelt schützt, und wir werden eine neue Bodenpolitik machen, mit der BIMA, aber auch hinsichtlich der Eisenbahner-Wohnungsbaugenossenschaften. ({1}) Das ist vereinbart, und ich gehe fest davon aus, dass das auch so umgesetzt wird. Ich möchte auch etwas zur Bedeutung von Mietwohnungen sagen. Über die Hälfte der Deutschen wohnen in Mietwohnungen. Wir haben hier viel über Eigentumsbildung geredet; das ist wichtig. Aber Eigentumsbildung macht keinen Sinn, wenn die Menschen sich das nicht leisten können, weil sie zu wenig Einkommen und zu wenig Eigenkapital haben. Wir dürfen auch nicht vergessen: Wir erwarten von den Menschen Flexibilität. Wir erwarten, dass sie umziehen, wenn sie den Arbeitsplatz wechseln. Diese Flexibilität erfordert einen guten Mietmarkt. Nehmen wir mal das Land in Europa als Beispiel, das die meisten Mietwohnungen hat. 56 Prozent der Schweizer wohnen in Mietwohnungen. Dort funktioniert das. Sie haben ein strenges Mietrecht und gleichzeitig eine boomende Volkswirtschaft. Es geht beides zusammen. Lassen Sie uns also dahin gucken! Ein gutes und starkes Mietrecht geht zusammen mit einer boomenden Volkswirtschaft. Das ist ein gutes Beispiel, das wir uns noch sehr genau anschauen werden. ({2}) Ich habe hier in der Vergangenheit schon mehrfach das Thema „Entmietung“ deutlich angesprochen. Es gibt in meinem Wahlkreis einen absurden Fall. Dort bekommt jemand ständig Modernisierungsankündigungen und muss die Maßnahmen dulden. Er wehrt sich gegen die Modernisierungsankündigungen, gewinnt seine Prozesse, muss aber gleichzeitig die erhöhte Miete bezahlen, weil er ansonsten Gefahr läuft, wegen Mietverzugs gekündigt zu werden. – Das geht nicht. Das werden wir uns angucken müssen; denn das läuft auf Herausmodernisieren hinaus und muss gestoppt werden. ({3}) Manchmal höre ich von Eigentümern – gerade im Prenzlauer Berg; das ist ja schon vom Kollegen Liebich angesprochen worden –, dass man mit seinem Eigentum machen kann, was man will. Es ist unwürdig, welchen Umgang wir mit Mieterinnen und Mietern teilweise erleben. Dem möchte ich zwei Punkte entgegensetzen. Erstens. Wir haben eine Sozialklausel im Grundgesetz. In Artikel 14 Absatz 2 Grundgesetz steht: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Das muss man immer wieder deutlich hervorheben. ({4}) Es gibt noch einen zweiten Punkt. Das Bundesverfassungsgericht hat 1989 entschieden, dass das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung auch Eigentum im Sinne des Artikels 14 ist. Es ist also auch von der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes erfasst. Das beachten wenige. Unsere Aufgabe ist es, beides miteinander ins Lot zu bringen: die Eigentumsgarantie, die der Eigentümer hat, und die Eigentumsgarantie des Besitzers. Dafür brauchen wir ein soziales Mietrecht. Da haben wir noch einiges zu tun. Der Koalitionsvertrag bietet dafür eine gute Basis. Ich denke, wir werden liefern. Auch ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. In der nächsten Woche geht die Arbeit weiter. Danke. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/2976 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es geht um weitere Vorkehrungen gegen die ASP, die Afrikanische Schweinepest. Die Seuche konnte, seitdem sie erstmals 2014 in einigen osteuropäischen Ländern aufgetreten ist, bislang noch nicht ausgerottet werden. Bis dato ist aber erreicht worden, dass die ASP von unserem Land ferngehalten wurde. Das möchten wir weiter sicherstellen. Wir haben bisher aktiv daran gearbeitet. Es besteht die Gefahr einer Einschleppung; das muss man klar sagen. Für diesen Fall brauchen wir eine Optimierung des Instrumentariums. Dieses Instrumentarium muss jetzt geschaffen werden, damit bei Gefahr effektiv und offensiv gehandelt werden kann und kein Zeitverlust entsteht, weil erst die notwendigen Grundlagen für das Handeln geschaffen werden müssen. Nein, meine Damen und Herren, wir möchten das jetzt tun, damit diese Vorkehrungen getroffen sind und die Beteiligten sich damit vertraut machen. Oftmals funktioniert ja in solchen Situationen gerade das Zusammenspiel nicht. Wenn man das jetzt ordnet, hat man genügend Zeit, um solche Fragen durchzuarbeiten und auf allen Ebenen, die da beteiligt sind – das ist ja sehr vielfältig –, klar zu wissen, wann wer in welcher Weise agiert. Es bedarf einer Änderung des Tiergesundheitsgesetzes und auch des Bundesjagdgesetzes, um dort die Grundlage für Ermächtigungen zur Erweiterung der einschlägigen Verordnungen zu schaffen. Ich möchte hier noch einmal betonen: Die ASP ist für den Menschen ungefährlich. Darüber gibt es ja immer wieder Besorgnisse. Aber wie der Name sagt, betrifft es die Schweine. Ein Ausbruch der Seuche hätte ganz erhebliche Konsequenzen für die schweinehaltenden Betriebe in der Landwirtschaft und für den gesamten Schweinefleischsektor inklusive des Exports, und das sollte man nicht unterschätzen. Der Schaden muss im Fall der Einschleppung so gering wie möglich gehalten werden. Die Einschleppung wäre insbesondere durch Wildschweine zu erwarten. Was viele hier im Lande nicht wissen, ist: Deutschland hat einen sehr hohen Bestand an Wildschweinen. In den letzten zwei Jagdjahren wurden jeweils 600 000 Wildschweine geschossen. Trotzdem haben wir weiterhin eine sehr hohe Population. Übrigens wurden in Deutschland mehr Wildschweine geschossen als in jedem anderen EU-Land. Ich sage das, damit man auch darüber einmal gesprochen hat. Unsere Maßnahmen setzen da an. Wir beziehen insbesondere die Erfahrungen in der Tschechischen Republik mit ein. Hier hat man erst jüngst wieder dazugelernt. Deswegen greifen wir auf, was uns von dort berichtet wird. Wir ergänzen die bisherigen Verordnungen zur Schweinepest und auch die Verordnung über die Jagdzeiten durch – ich darf das noch kurz referieren – Maßnahmen zur Absperrung eines von der zuständigen Behörde zu bestimmenden Gebietes, zum Beispiel Umzäunungen, Beschränkungen des Personen- und Fahrzeugverkehrs für bestimmte Gebiete, Beschränkungen und Verbote der Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen bis hin zum Ernteverbot, Anordnung einer vermehrten Fallwildsuche, um die Infektionsmöglichkeiten gesunder Wildschweine zu minimieren, Durchführung verstärkter Bejagung, auch durch andere Personen als die Jagdausübungsberechtigten. Wir wollen mit der Änderung im Bundesjagdgesetz auch dafür sorgen, dass die Länder die Möglichkeit erhalten, aus Gründen der Tierseuchenbekämpfung ausdrückliche Ausnahmen für die Jagd in Setz- und Brutzeiten zu bestimmen. Natürlich geht es in all den Fällen auch um Entschädigungsfragen. Meine Damen und Herren, seit 2014 hat Deutschland sehr viel unternommen. Es gab umfassende Aufklärungsaktionen. Man hat versucht, die Fernfahrer, die mit ihren Lkws durch Deutschland fahren, aufzuklären, dass sie vorsichtig sind und nichts wegwerfen usw. Man hat in einer großen Aktion Erntehelfer informiert. Man hat die Verordnung zum Schweinepest-Monitoring erlassen. Man hat die Schweinepest-Verordnung und die Verordnung über die Jagdzeiten geändert; hier müssen wir allerdings noch einen Schritt weiter gehen. Man hat auch Bund-Länder-Übungen unter Einbeziehung aller Bundesländer durchgeführt und jüngst erst, vor wenigen Wochen, eine gemeinsame Übung von Polen und Deutschland veranlasst. Meine Damen und Herren, mit dieser Gesetzesänderung wird die Chance, die ASP zu bekämpfen, weiter verbessert. Deswegen bitte ich Sie, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen. Ich wünsche mir gute und vor allem eilige Beratungen in den nächsten Wochen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Die nächste Rednerin ist die Kollegin Verena Hartmann von der AfD-Fraktion. ({0})

Verena Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004737, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Liebe Zuschauer! Wir beraten heute den von CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Tiergesundheitsgesetzes und des Bundesjagdgesetzes im Kampf gegen die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest, kurz: ASP. Was ist die Afrikanische Schweinepest? Sie ist eine Viruserkrankung, die ausschließlich bei Wild- und Hausschweinen vorkommt und innerhalb von sieben bis zehn Tagen zum Tod führt. Es gibt keinen Impfstoff; laut Friedrich-Loeffler-Institut dauert das noch fünf Jahre. Wie verbreitet sich der Virus? Ursprünglich kommt der Virus – wie der Name schon sagt – aus Afrika. Überträger war zunächst das Warzenschwein. Zuerst kam der Virus nach Georgien, dann in den Kaukasus, nach Russland und ins Baltikum. Nun steht er direkt vor unserer Haustür, nämlich in Polen und Tschechien. Der Virus wird über Wildschweine in einer Geschwindigkeit von 25 Kilometern pro Jahr übertragen. Durch den Menschen geschieht das viel schneller, und zwar mit einer Geschwindigkeit von 90 Kilometern pro Stunde. Damit können Tausende Kilometer Strecke überwunden werden, nämlich auf den Transitstraßen; denn der Virus ist in Essensabfällen, auf Schuhen, auf Kleidung, auf Lebensmitteln und auf Lkw-Reifen. Auf gepökeltem Fleisch hält er sich 182 Tage, auf gefrorenem Fleisch mindestens 1 000 Tage. Was bedeutet das für Deutschland? Es hat zwar keine gesundheitlichen Auswirkungen auf den Menschen, aber Wildschweine und Hausschweine sind betroffen und damit unsere Bauern. Deutschland ist das Exportland für Schweinefleisch. Im Mai 2018 registrierte das Statistische Bundesamt 23 000 schweinehaltende Betriebe. Wenn ein Schwein erkrankt ist, müssen alle getötet werden, das heißt der gesamte Bestand. Das gefährdet Existenzen. ({0}) Durch das Gesetz soll eine Erleichterung für die zuständigen Behörden im Ernstfall geschaffen werden. Die Kosten der Entschädigung, zum Beispiel bei Ernteverboten für betroffene Landwirte, sind zwar detailliert aufgelistet, aber nur Deckungsbeiträge werden berücksichtigt. Die variablen Kosten wie für Saatgut und Dünger, die der Bauer aufgewendet hat, sind nicht gedeckelt. Auch fehlt eine Anpassung an den Markt. Silomais ist in diesem Jahr mit 596 Euro pro Hektar berechnet, aber das kann im nächsten Jahr schon wieder anders aussehen. Die Entschädigung scheint in § 6 Absatz 8 geregelt zu sein. Das klingt beruhigend, das ist aber nur ein Verweis auf landesrechtliche Vorschriften. Die AfD sagt: Die Bekämpfung der Seuche ist eine nationale Aufgabe. Der Standort sollte nicht zur Existenzfrage für Schweinebauern werden. Hier ist der Bund gefordert, Standards zu setzen. ({1}) Die Änderung des Bundesjagdgesetzes sieht eine verstärkte Bejagung vor. Es wird davon ausgegangen, dass durchschnittlich acht Ansitze zu je fünf Stunden für die Erlegung eines Wildschweins notwendig sind. Das bedeutet 40 Stunden pro Wildschwein. Das ist ein immens hoher Zeitaufwand, zusätzlich zum jährlichen Abschuss­plan. Welcher Jäger hat derartig viel freie Zeit zur Verfügung? Da bleiben nur die übrig, die eine schlechte Ehe führen. ({2}) Wir geben als Anregung: Polen gibt dafür Sonderurlaub. Wildschweine sind nachtaktive Wesen. Um das zu bewältigen, sollte über die Aufhebung des Nachtjagdverbotes nachgedacht werden. Uns fehlt es allgemein an Prävention. Es gibt keine intensiven Aufklärungskampagnen zur Sensibilisierung, erstens speziell für Landwirte, Forstwirte und Kommunen und zweitens allgemein für die Bevölkerung. Es gibt keine Masterpläne, die gemeinsam mit den Kommunen und den betroffenen Akteuren erarbeitet werden. Ja, es gibt Verbote der Einfuhr von Schweinefleisch aus Nicht-EU-Ländern und betroffenen Ländern Osteuropas. Es gibt Desinfektionskontrollbücher für Tiertransporte. Aber was nützt dies alles ohne die dafür notwendigen Kontrollen an den Grenzen? ({3}) Die Forderung der AfD ist eine bessere personelle und materielle Ausstattung der Gewerbeaufsicht und der Produktprüfung. Es sollten Hygieneschleusen für Personen und Fahrzeuge errichtet werden, besonders an den Grenzen zu Polen und Tschechien. Das wären gezielte Maßnahmen. Auch Autobahnraststätten müssen umgehend umzäunt werden. Mülleimer müssen verschlossen bleiben und abendlich geleert werden. Nur so kann verhindert werden, dass Wildschweine sich die Essensreste holen. Zum Schluss möchte ich sagen: Der Gesetzentwurf ist ein Schritt in die richtige Richtung, bedarf aber dringend der Nachbesserung in den genannten Punkten. Wir, die AfD, hoffen dabei auf das Beiseiteschieben von Animositäten und auf eine lösungsorientierte Zusammenarbeit in der Sache. Hier geht es um den bestmöglichen Schutz vor einer konkreten Gefahr; denn die Seuche kommt nach Deutschland, es ist nur eine Frage der Zeit. Danke schön. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Katrin Budde. ({0})

Katrin Budde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns alle darüber einig, dass der Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest in Deutschland fatale Auswirkungen hätte. Deshalb handeln wir ja auch heute. Wir wissen, dass handelsrelevante Drittstaaten, auch so große wie China, vermutlich sofort ihre Importe aus Deutschland auf Eis legen würden. Das wäre in der Tat nicht nur nicht lustig, sondern verheerend. Das hätte wirtschaftliche Auswirkungen, die der Deutsche Bauernverband auf 2 bis 3 Milliarden Euro jährlich schätzt. Deshalb müssen wir versuchen, das, was an Bundesgesetzgebung möglich ist, den Ländern an die Hand zu geben, um in einer Krisensituation, also bei einem Auftreten der Schweinepest, reagieren zu können. Was haben wir? Wir haben den Entwurf eines Änderungsgesetzes, mit dem die Grundlage dafür geschaffen werden soll, dass die Afrikanische Schweinepest eingedämmt wird, wenn sie nach Deutschland eingeschleppt würde, also im Krisenfall ein Ausbruch verhindert wird. Dann soll die Möglichkeit bestehen, unverzüglich einzugreifen. Wenn die Afrikanische Schweinepest plötzlich auftreten würde, bliebe sicherlich keine Zeit mehr, um Gesetze zu ändern. Deshalb haben wir das heute auf der Tagesordnung. Deshalb ist es gut, wenn wir das zügig beraten. Deshalb ist eine rasche Gesetzesänderung jetzt notwendig. Das ist ein Gebot der Stunde, damit wir auf das Szenario bestmöglich vorbereitet sind, ohne Ängste zu schüren oder Ängste zu verbreiten. Die Zahl der Ausbrüche in den osteuropäischen Ländern ist zwar seit 2014 kontinuierlich gestiegen – zuletzt war ein großer Hausschweinebestand im Nordosten von Polen betroffen –; aber die Afrikanische Schweinepest rückt nicht in dem Maße vor, wie wir das noch vor einem Jahr gedacht haben. Also gemach und vernünftig mit der Situation umgehen! Es hat auch seine Gründe, warum sie eingedämmt worden ist – der Kollege Staatssekretär hat schon darauf verwiesen –: Die Tschechen machen einen verdammt guten Job. Sie haben das ausprobiert und frühzeitig reagiert. Die Änderungsvorschläge, die wir heute vorliegen haben und über die wir hier diskutieren, beruhen auf den Erfahrungen mit der Bekämpfung der Afrikanischen Schweinepest in Tschechien. Das dient uns als Vorbild und ist Grundlage für die Gesetzesanpassung. Man muss einfach sagen, dass in Tschechien bisher noch kein Hausschweinebestand von der Afrikanischen Schweinepest betroffen ist. Das ist gut; deshalb können wir uns daran orientieren. Das ist im Grunde auch eine gute Nachricht für unsere Schweinehalter in Deutschland, weil die Afrikanische Schweinepest von dieser Seite nicht vorrückt. Ergo, mit einem guten Seuchenmanagement kann man die Afrikanische Schweinepest eindämmen. Dabei geht es zum Beispiel darum, dass die zuständigen Behörden vor Ort die Möglichkeit eingeräumt bekommen, ein bestimmtes Gebiet abzusperren, also einzuzäunen, den Personen- und Lieferverkehr zu beschränken – das ist immer unschön; das will keiner, aber in bestimmten Situationen ist das eben einfach nötig –, und die Behörden befugt werden, vermehrt Fallwildsuche, insbesondere bei den Wildschweinen, anzuordnen, damit die gesunden Tiere sich nicht anstecken können. Der Gesetzentwurf sieht außerdem vor, dass für bestimmte landwirtschaftliche Flächen ein Nutzungsverbot ausgesprochen wird. Das kann dann auch heißen, dass eben nicht geerntet werden darf, damit die Wildschweine in ihrem Bereich bleiben und nicht von dort wegwandern. Wir wissen, dass das mit Entschädigungszahlungen verbunden sein muss, weil es zu wirtschaftlichen Ausfällen bei den Landwirtinnen und Landwirten führt. Wir wissen auch, dass uns der Bundesrat, da das bei den Ländern liegt, schon aufgetragen hat, die Entschädigungszahlungen aufzubringen, natürlich in unbestimmter Höhe. Wenn das so kommen würde, haben wir den Auftrag, darüber nachzudenken, ob wir als Bund nicht mit unterstützen können. Es wird ganz sicher auch eine Aufgabe mit Blick auf den 2019er-Haushalt sein, darüber zu reden, ob wir die Bundesländer dabei unterstützen können. Entschädigungszahlungen sind immer richtig und immer falsch. Man kann ganz viel darüber diskutieren: Welche sind die richtigen Grundlagen? Ist die Höhe in Bezug auf die Region, die angebaute Sorte und das Jahr richtig gegriffen? Da werden wir uns wahrscheinlich nie einig werden. Deshalb, glaube ich, ist die Grundlage, die in diesem Gesetzentwurf vorgesehen ist, gut. Wir müssen allerdings unterscheiden: Wir haben auf der einen Seite das Ausbreitungsrisiko – es gibt schon einige Vorschläge, wie man es für den Fall der Fälle eindämmen kann –, und wir haben auf der anderen Seite die Einschleppungsgefahr. Daran kann ein Gesetz nicht viel ändern. Die Einschleppungsgefahr besteht weiter. Ja, sie besteht über den Menschen. Ja, sie besteht über die berühmte Wurststulle, die immer wieder angeführt wird. So ist es auch, wenn sie nicht aufgegessen wird. Dem Menschen schadet sie nicht. Aber wenn sie zur Hälfte weggeworfen wird, am Wegesrand liegt, dann zufällig von einem Schwein gefressen wird und etwas vom Virus auf sich trägt, dann wäre das natürlich fatal und könnte zu einer Ausbreitung führen. Das ist über Lkw-Reifen und Pkw-Reifen möglich; das ist klar. Es wird in der Tat sehr schwierig werden, die Einschleppungsgefahr einzudämmen; denn wir können – mit Verlaub – nicht auf jeder Autobahn etwas unternehmen. Aus den alten Zeiten von vor 1989 kenne ich es so – das wird heute auch noch so sein –, dass man, wenn man in einen landwirtschaftlichen Betrieb ging, durch eine Seuchenmatte gehen musste. Dass wir das für alle Lkws und alle Pkws auf den Autobahnen an den Grenzen machen können, halte ich für fraglich. Vermutlich werden wir dieses Risiko nur eindämmen können, indem wir auf die Vernunft derjenigen setzen, die etwas einführen und in diesem Sinne Gefährder sein könnten, das Virus einzuschleppen. Ja, der Virus kann Hunderte Kilometer zurücklegen. Das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, sondern wir müssen unsere Aufmerksamkeit auch auf diesen Aspekt richten. Außerdem bestehen tierschutzrelevante Probleme. Ja, wir wollen das Bundesjagdgesetz ändern. Es sieht vor, dass die Länder die Jagd in Setz- und Brutzeiten aus Gründen des Seuchenschutzes zulassen können. Dabei dürfen wir aber, meine Damen und Herren, nicht außer Acht lassen, dass auch dies zu tierschutzrelevanten Problemen führt. Ich will das an dieser Stelle nur anmerken; denn diese Probleme sind in der Tat da. Das wird immer eine Abwägung sein. Denn wenn Bachen geschossen werden, sind irgendwo die Frischlinge, wenn es denn welche gibt, und sie sind dann in der Tat hilflos, werden entweder verhungern oder von Raubtieren aufgefressen. Deshalb wird es immer eine Abwägung sein, inwieweit hier ein Risiko besteht. Wenn die Seuche das größere Risiko ist, muss diese Genehmigung erteilt werden. Das müssten dann die Länder machen, aber wir schaffen die Ermächtigung dafür. Es geht also immer um eine Abwägung zwischen der Lockerung des Bundesjagdgesetzes und den tierschutzrelevanten Problemen. Ich bin davon überzeugt, dass sowohl die Länder als auch die Jägerinnen und Jäger damit sehr vernünftig umgehen werden. Lassen Sie uns keine Zeit verlieren und die vorgelegten Gesetzesänderungen rasch verabschieden, damit wir im Fall der Fälle – auch wenn wir alle hoffen, dass ein Seuchenfall nicht eintreten wird – effektiv und schnell handeln können. Die Tschechen machen es uns mit einem guten Seuchenmanagement vor. Wenn die Behörden vor Ort über das richtige Instrumentarium verfügen, sind wir schon einen Schritt weiter. Ich jedenfalls weiß: Wenn ich im Sommer in Tschechien im Urlaub bin, kann ich ungefährdet mein Picknickkörbchen packen. Darauf freue ich mich. Ich wünsche uns eine gute Beratung des Gesetzentwurfes. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Karlheinz ­Busen das Wort. ({0})

Karlheinz Busen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004690, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig und wichtig, die nationalen Regeln zum Tiergesundheitsgesetz zu überprüfen. Aber Ihr Gesetzentwurf geht hier eindeutig zu weit. Erstens. Die bestehende grundsätzlich gute Zusammenarbeit zwischen den Jägern in Deutschland und den Behörden wird hiermit aufs Spiel gesetzt. Mit der Schaffung der Anordnungsbefugnis zur verstärkten Bejagung wird das kooperative Miteinander über Bord geworden und unnötig durch den Gesetzesbefehl ersetzt. ({0}) Eines ist nämlich klar: Die Behörden werden von ihren Befugnissen sicher Gebrauch machen, allein schon deshalb, um sich rechtlich abzusichern. Die Afrikanische Schweinepest kann aber nur mit den Jägern und nicht gegen die Jäger bekämpft werden. ({1}) Zweitens. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird hier missachtet. Ohne Not werden behördliche Befugnisse geschaffen, die nicht nur bei einer ausgebrochenen Seuche, sondern auch für den vorbeugenden Seuchenschutz, nämlich die präventive stärkere Bejagung von Schwarzwild, gelten. Für den Schutz von Hausschweinen spielt der Wildschweinbestand in der jeweiligen Region jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Allenfalls kann deshalb über die Anordnung einer Bejagung im konkreten Seuchenfall nachgedacht werden.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, es gibt eine Zwischenfrage aus Ihrer Fraktion. Lassen Sie die zu? ({0})

Karlheinz Busen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004690, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das war nicht abgesprochen.

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Busen, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. – Ich kann die Erheiterung gleich zerstreuen; denn ich hätte von dem Kollegen ­Busen gerne einen Kommentar zu einer Aussage der Kollegin Hartmann, die eben gesprochen hat und erklärt hat, dass es durchschnittlich acht Ansitze zu je fünf Stunden dauern würde, um ein Stück Schwarzwild zu schießen. Ich frage den passionierten Jäger Karlheinz Busen, ob er das tatsächlich für eine realistische Größenordnung hält. Vielen Dank. ({0})

Karlheinz Busen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004690, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn das so lange dauern würde, könnten wir keine 600 000 Schweine schießen. Ich würde die Kollegin aber gerne einmal mit auf den Ansitz nehmen und ihr zeigen, wie das funktioniert. ({0}) Drittens müssen Entschädigungsansprüche auch für Jagdausübungsberechtigte gelten. Besonders wenn ein Ruhen der Jagd angeordnet wird, muss entweder der Wildschadensersatz gegenüber den Geschädigten ausgeschlossen oder den Jagdausübungsberechtigten ein eigener Schadensersatzanspruch gegeben werden. Die Jagdausübungsberechtigten auf ihren Kosten sitzen zu lassen, geht eindeutig zu weit. Hier muss der Gesetzentwurf noch geändert werden. Es geht hier aber nicht nur um das Tiergesundheitsgesetz, sondern auch um das Bundesjagdgesetz. Wir brauchen auch Änderungen im Munitionsrecht, und für die Ausbildung brauchen wir bundeseinheitliche Regeln. Die große Jagdrechtsnovelle, die Herr Seehofer 2016 verhindert hat, könnte hier beschlossen werden. Daneben gibt es noch ein riesiges Problem. Jetzt kommt ein Satz, der nicht von mir stammt: Den Wolf brauchen wir nicht. – Dieser Satz stammt vom grünen Umweltstaatssekretär aus Baden-Württemberg. Dass die vielen grünen Wolfsromantiker das nicht hören wollen, ist mir klar. ({1}) Wie in den meisten anderen Politikfeldern sind von Ihrer Seite kaum Problemlösungen zu erwarten. ({2}) Sie können sich allerdings sicher sein, dass wir Freie Demokraten im Rahmen der Ausschussberatung zumindest die Aufnahme des Wolfes und weiterer problematischer Tierarten ins Jagdrecht beantragen werden. Der Überweisung werden wir zustimmen. Danke. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin Amira Mohamed Ali. ({0})

Amira Mohamed Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004823, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir diskutieren heute über die Gefahr des Ausbruchs der Afrikanischen Schweinepest in Deutschland und darüber, was zu tun ist, wenn dieser Fall eintritt. Diese Krankheit ist für Menschen ungefährlich. Ausschließlich Haus- und Wildschweine können daran erkranken. Für sie ist die Krankheit aber extrem gefährlich. 90 Prozent der infizierten Tiere sterben daran. Das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit hält den Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest in Deutschland für sehr wahrscheinlich. Um es vorwegzusagen: Meine Fraktion hält die Maßnahmen in dem heute diskutierten Gesetzentwurf durchaus für sinnvoll. ({0}) Sie lösen aber nicht das Grundproblem, das sich hier wieder einmal besonders deutlich zeigt: Die Agrarindustrie in Deutschland ist ein Hochrisikosystem mit Hochrisikostrukturen. Dieses System muss dringend und grundsätzlich geändert werden. ({1}) Wenn die Afrikanische Schweinepest Deutschland erreicht, werden Hunderttausende Tiere sterben müssen und entsteht ein riesiger volkswirtschaftlicher Schaden. Wir erinnern uns: Beim Ausbruch der klassischen Schweinepest in den 1990er-Jahren mussten allein in Niedersachsen, wo ich lebe, über 2 Millionen Tiere gekeult werden. Furchtbar war das! Hat diese Katastrophe zu einem Umdenken in der Agrarpolitik geführt? Nein! Im Gegenteil: Im Vergleich zu den 90er-Jahren haben wir heute mehr Megaställe mit Zehntausenden von Schweinen, gedrängt auf dichtestem Raum. Erreicht die Afrikanische Schweinepest Deutschland, werden die Folgen noch verheerender sein, zumal der Erreger noch gefährlicher ist. Man rechnet mit Schäden in Milliardenhöhe. Die Krankheitserreger der Afrikanischen Schweinepest werden vor allem über kontaminierte Rohwurstwaren eingeschleppt; das wurde heute schon gesagt. Laut dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit reicht es aus, wenn zum Beispiel ein Transit-Lkw-Fahrer versehentlich ein Wurstbrot auf dem Rastplatz liegen lässt, ein Wildschwein findet es und frisst es auf. Damit ist der Krankheitserreger im Land. So einfach kann das geschehen. Wie schnell sich die Krankheit dann ausbreitet, hängt von der Populationsdichte der Wildschweine ab, die sich gegenseitig anstecken. Die Wildschweinpopulation in Deutschland ist so hoch wie nie zuvor. Die Pest wird sich also schnell verbreiten. Die Linke hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die Monokulturen, besonders beim Mais, für die Überpopulation der Wildschweine verantwortlich sind. Die Schweine bekommen dadurch viel Futter, sie können sich gut verstecken. Die Monokulturen sind verheerend für unsere Böden, unsere Insekten, allen voran unsere Bienen. Sie haben eben auch zur Folge, dass die Wildschweinpopulation aus den Fugen geraten ist. Die Seuche, über die wir heute reden, bedroht uns nicht seit gestern. Die Linke weist seit vielen Jahren darauf hin, dass sie auf dem Weg zu uns ist. Inzwischen hat sie unsere Nachbarländer Polen und Tschechien erreicht.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage von dem Kollegen Röring zulassen?

Amira Mohamed Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004823, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich glaube, heute mal nicht. ({0}) Wenn die Seuche nun Deutschland erreicht, müssten die Wildschweine flächendeckend geschossen werden, natürlich auch die gesunden Tiere, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Alle Tiere im jeweiligen Waldgebiet – das sind riesige Flächen – müssen dann getötet werden. Was für ein grauenvolles Szenario! Ergreifen Sie endlich die effektiven Maßnahmen zur Reduktion des Wildschweinbestandes, wie Die Linke sie seit Jahren fordert, Kolleginnen und Kollegen von der Bundesregierung. ({1}) Was ist mit den Hausschweinen in den Ställen? In den Restriktionsgebieten werden auch sie alle vorsorglich getötet werden, ob sie krank sind oder nicht. Ich möchte nicht in der Haut der Amtstierärzte stecken, die anordnen müssen, dass ein Stall mit 60 000 Schweinen aus Sicherheitsgründen komplett geräumt werden muss. Entsetzlich! Zehntausende, Hunderttausende Tiere müssen getötet werden, weil so viele Tiere an einem Standort gehalten werden. Durch dieses Hochrisikosystem drohen horrende volkswirtschaftliche Schäden. Das ist ethisch nicht zu verantworten. Von diesem System müssen wir uns verabschieden. ({2}) Setzen Sie endlich die verpflichtenden Maßnahmen für eine bessere Tierhaltung um, die Die Linke schon so lange fordert. Die Reduzierung der Bestandsdichten wäre ein wichtiger und dringend notwendiger Schritt. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege Friedrich Ostendorff. ({0})

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, dass die Bundesregierung versucht, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um den Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest in Deutschland zu erschweren. Doch gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Zu Recht bemängeln die Jäger, dass die erweiterten Behördenermächtigungen sehr weit gefasst sind. Wurden denn die Verbände der Jagd bei der Erstellung dieser Gesetzesnovelle überhaupt einbezogen? Auf wen hören Sie denn eigentlich bei der Erstellung? Wir Grüne fordern Sie auf: Binden Sie die Jäger als Fachleute bitte mit ein. ({0}) Zwei wichtige Punkte werden aus unserer Sicht nicht deutlich genug gefasst. Erstens. Ab wann gelten die erweiterten Befugnisse und Ermächtigungen genau? Wer genau legt sie eigentlich fest? Wie viel Ermessensspielraum gibt es hier? Ist es denn vorstellbar, dass der eine Kreis das so handhabt und der andere Kreis anders? Wie wollen Sie das ausschließen? Zweitens. Welche anderen Personen können mit der Jagd beauftragt werden? Wenn nicht nur die Jäger, wer denn dann noch? Die paar Berufsjäger kann man sich da noch vorstellen, okay. Aber das ist doch ein Tropfen auf den heißen Stein. Wer soll das denn noch sein? Sie müssen hier konkretisieren und sagen, wer berechtigt sein soll, hier tätig zu werden. Das verlangen wir. Wenn diese Fragen nicht eindeutig geklärt werden, gibt es willkürliche Entscheidungen. Es wird Zuständigkeitskonflikte, Durcheinander und massiven Vertrauensverlust geben. Deshalb: Bessern Sie jetzt nach! Schaffen Sie Klarheit! ({1}) So viel Sorgfalt, meine Damen und Herren, muss sein, auch wenn die Zeit drängt. Anfang dieses Monats gab es leider wieder einen neuen Fall der Afrikanischen Schweinepest im Nordosten Polens. Was uns alle aufhorchen ließ, ist, dass der betroffene Bestand ein großer Akteur im Markt ist und scheinbar über modernste Sicherheitsmaßnahmen verfügt. Ein Einschleppen des Virus über natürliche Vektoren kann doch in diesem Fall wahrscheinlich ausgeschlossen werden. Wie soll das denn gegangen sein? Damit kommen wir zu dem Punkt, den Sie gerne unter den Tisch fallen lassen: Wodurch wird das Virus eigentlich noch verbreitet? Durch Wildschweine? Doch wohl räumlich nur sehr begrenzt. Sind es nicht vor allem die internationalen Handelsströme, die Verkehre, die unablässig Ferkel und andere Tiere, Futter, Betriebsmittel usw. hin- und herkarren? Sind es nicht die vielen Menschen, die zwischen den Ländern und Betrieben unterwegs sind, denen wir Einschleppung und Verbreitung verdanken? Die Viehdichte in den Intensivregionen Europas, vor allem auch Deutschlands – Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen –, hat ein kritisches Maß erreicht und oft überschritten. Der Seuchenfall wäre in diesen Gebieten natürlich dramatisch. Selbst in der Nutztierstrategie des Ministeriums vom Sommer 2017 wird kritisch angemerkt, dass die Risiken in – ich zitiere – „hochverdichteten Regionen ... für eine perspektivische regionale Diversifizierung der Tierbestände“ sprechen. ({2}) Dem können wir aus unserer Sicht nichts hinzufügen. Aber was sagt eigentlich Ministerin Klöckner dazu? Denn nicht zu leugnen sind drei Punkte. Erstens. Die Afrikanische Schweinepest ist ein großes Risiko – nicht für Verbraucherinnen und Verbraucher, aber natürlich für die Produktion. Vor allem ist sie natürlich ein großes Risiko für den Export. Zweitens. Die ASP, die Afrikanische Schweinepest, wird ganz maßgeblich durch menschliche und technische Vektoren verbreitet – ein Beiwerk und Begleiter der internationalen Agrarverflechtung. Drittens. Die Wildschweinpopulation ist außer Kontrolle. Die primären Ursachen dafür sind die seit Jahrzehnten steigenden Stickstoffeinträge in die Landschaft mit dem so reichlich gedeckten Futtertisch. – So schreibt es selbst die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf. Doch anstatt diesen Umstand zu berücksichtigen, versteifen Sie sich auf die einseitige Argumentation, Wildschweine müssten dezimiert werden. Das ist kurzsichtig; das ist aktionistisch. ({3}) Dies trifft aus unserer Sicht nicht den Kern der Problematik. Wir müssen aber dem Kern der Problematik auf den Grund gehen. Die Industrialisierung der Tierhaltung mit einer damit einhergehenden aberwitzigen Konzentration ist das Problem, meine Damen und Herren. Reiten Sie diesen toten Gaul nicht weiter, steigen Sie ab! Das raten wir Ihnen zum Wochenende. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Hermann Färber, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hermann Färber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viele Themen wurden in den letzten Reden angesprochen; allerdings verstehe ich die Vorwürfe und die Aufregung nicht so ganz. Denn dass man diese Themen und Aufgaben jetzt angehen muss, ist doch der Grund dafür, dass die Bundesregierung jetzt diesen Gesetzentwurf einbringt. Man hat den Handlungsbedarf erkannt. Ich bin sicher, dass wir das in diesem Zuge regeln können. Herr Kollege Busen, jetzt sage ich einmal von Jäger zu Jäger: Wir werden eine Lösung finden, mit der sich Landwirte, Jäger und Behörden insgesamt identifizieren können. Wir haben in Deutschland bisher Glück gehabt; denn die Afrikanische Schweinepest ist bisher nicht aufgetreten. Deshalb, Frau Kollegin Ali, sage ich jetzt einmal – – ({0}) – Ja, Ali, gerne. ({1}) – Frau Kollegin Mohamed Ali, zufrieden? – Okay. Wir müssen schauen, welche Art der Tierhaltung hochrisikoreich ist. Bei uns ist diese Seuche noch nicht aufgetreten. Schauen wir doch einmal dahin, wo die Seuche aufgetreten ist, und beurteilen wir dann, was risikoreich ist und was nicht. ({2}) – Ja, gut, dann müssen wir das fachlich einfach noch vertiefen. ({3}) Meine Damen und Herren, die Viruserkrankung, die Seuche befällt ausschließlich Haus- und Wildschweine. Sie ist für den Menschen und auch für die Bienen ungefährlich. Die Krankheit kann aber sehr leicht durch direkten Kontakt von infizierten auf nicht infizierte Tiere übertragen werden. Andererseits – das wurde auch angesprochen – ist die Übertragung der Seuche aber auch indirekt, nämlich über den Menschen, über verunreinigte Gegenstände, Werkzeuge, Fahrzeuge, Kleidung oder kontaminierte Lebens- oder Futtermittel, möglich. Die Inkubationszeit ist kurz; sie beträgt nur vier Tage. Die Krankheit führt fast immer zum Tod des Tieres. Der Erreger ist hoch widerstandsfähig. In toten Tierkörpern von Wildschweinen, die dann draußen im Wald liegen, bleibt das Virus viele Monate lang vermehrungsfähig. Darin liegt auch das große Risiko. Die Hauptgefährdungsquelle sind tatsächlich Wildschweine, weil diese Tiere Allesfresser sind, weil bereits befallene Tiere über Landesgrenzen hinweg wechseln können und weil Wildschweine sich sehr rasch vermehren. Hier müssen wir allerdings unterscheiden. Die Übertragung über weite Strecken – mehrere Hundert Kilometer – erfolgt weniger durch Wildschweine und mehr durch Menschen, Fahrzeuge, Transport und Wegwerfen kontaminierter Lebensmittel. Die Verbreitung vor Ort, also die Übertragung der Seuche selbst, erfolgt allerdings in der Tat über die Wildschweine, die in dieser Region leben.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Hermann Färber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Verena Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004737, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Ich wurde gerade aus den Reihen der FDP gerügt, weil ich behauptet habe, zur Erlegung eines Wildschweins seien durchschnittlich acht Ansitze zu je fünf Stunden notwendig. Das habe ich allerdings aus Ihrer Begründung. Es wäre nicht schlecht, wenn man das Ganze einmal ordentlich lesen würde. Es stammt also nicht von mir, sondern aus Ihrer Begründung. Deshalb möchte ich fragen: War die Einschätzung des Zeitaufwands jetzt eine Übertreibung?

Hermann Färber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehen Sie, das sind immer Betrachtungen im Ganzen und Durchschnittswerte. Ich empfehle Ihnen: Machen Sie es so wie ich. Machen Sie den Jagdschein; ({0}) gehen Sie auf Ansitz; betreiben Sie die Jagd. Dann wissen Sie genau, wie es ist. – Danke schön. ({1}) Meine Damen und Herren, Erfahrungsberichte aus der Tschechischen Republik haben gezeigt, dass im Seuchenfall besondere behördliche Maßnahmen helfen können, die durch das derzeitige Tiergesundheitsgesetz allerdings nicht abgedeckt sind. Dazu zählen Duftzäune und Ernteverbote. Bei Einzäunungen muss man nicht zwingend an Elektrozäune oder Maschendrahtzäune denken. Es gibt auch Duftzäune, die die Tiere von bestimmten Gebieten abhalten. Notwendig ist ferner eine vermehrte Suche nach den toten Wildschweinen, um die Möglichkeiten der Infektion gesunder Tiere zu minimieren. Weiterhin kann die schon angesprochene reduzierte Schwarzwildpopulation dazu beitragen, zu verhindern, dass sich die Seuche langfristig etabliert. Genau dort setzt der heute vorliegende Gesetzentwurf an. Er soll es den zuständigen Behörden ermöglichen, im Seuchenfall Vorschriften zu erlassen, um die eben genannten Maßnahmen in Kraft zu setzen. Gleichzeitig werden darin die Entschädigungsleistungen für den Fall geregelt, dass die Nutzung von Flächen – sei es für den Landwirt oder auch für den Jäger – beschränkt oder verboten wird. Entscheidend für die erfolgreiche Bekämpfung der Schweinepest ist jedoch – das wurde heute noch nicht so deutlich gesagt – der reibungslose Handlungsablauf zwischen den Behörden, also zwischen allen Akteuren. Jeder Beteiligte muss genau wissen, in welchem Fall er was zu tun hat, damit die Seuchenbekämpfung dann auch Hand in Hand ablaufen kann. Deshalb ist es besonders wichtig, dass die Entscheidungsträger in Ländern und Kommunen bereits im Vorfeld Gespräche mit Jägern und mit Landwirten führen, dass genügend Informationen bereitgestellt werden, dass die entsprechenden Ansprechpartner bekannt gemacht werden und dass Übungen durchgeführt werden. Denn nur bei solchen Probeläufen stellt sich heraus, wo noch eine Lücke besteht und wo man noch etwas klären muss, damit am Ende wirklich jeder weiß, was er zu tun hat. Dabei muss zweifellos die Frage geklärt werden, ob Jäger lediglich verendete Tiere suchen und die Geodaten des Kadavers melden sollen oder ob sie die Tiere auch aus dem Gelände bergen müssen. Es muss also geklärt werden, von wem und wohin erlegte oder auch verendete Tiere zu transportieren sind. Ferner ist zu klären, ob den Tierkörperbeseitigungsbehörden bzw. den Veterinärämtern geländetaugliche Fahrzeuge und entsprechende Einrichtungen zur Verfügung stehen, aber auch – das ist sehr wichtig –, zu welchem Zeitpunkt welche Maßnahmen angeordnet werden müssen. Wir müssen im Seuchenfall schnell und wirkungsvoll handeln können. Die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest in Deutschland würde neben den tödlichen Auswirkungen für die Tiere auch sehr schwere wirtschaftliche Schäden nach sich ziehen. Jetzt wende ich mich an Sie von allen Fraktionen: Wir sollten den Gesetzentwurf an die Ausschüsse überweisen und ihn dort fachlich beraten und uns dabei mit allen Argumenten auseinandersetzen. Ich bin sicher, dass wir dann auch eine ordentliche Lösung hinbekommen. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege Färber. – Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/2977 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Sebastian Münzenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004836, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Die gewerbesteuerliche Hinzurechnung, im Volksmund oft auch Urlaubssteuer getauft, besorgt Tausende von Menschen in Deutschland und treibt ihnen die Zornesfalten ins Gesicht. Ursprüngliche Intention des Gesetzgebers bei der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung war die Beteiligung der öffentlichen Hand an den Wachstumsinvestitionen der Industrie. Unternehmen, die also wachstumsbedingt neue Büros oder Werkshallen anmieten, sollten auf den Mietpreis ebenfalls Gewerbesteuer entrichten. Die Besteuerungsgrundlage sollte also verbreitert werden. Findige Finanzbeamte verkennen jedoch diesen ursprünglichen Zweck der Vorschrift vollkommen und legen jetzt dank eines 2012 ergangenen Ländererlasses, der vom Bundesfinanzminister angestoßen wurde, die Gewerbesteuerhinzurechnung völlig anders aus. Nun sollen beispielsweise Reiseveranstalter auf die Kaltmiete für Hotelzimmer, die sie an Kunden weitervermitteln, plötzlich Gewerbesteuer zahlen. Diese Form der Auslegung ist extrem umstritten und sorgt vor allem für erhebliche Rechtsunsicherheiten. Voraussetzung ist ein Mietverhältnis nach zivilrechtlichen Grundlagen. Die Überlassung eines Hotelzimmers, das vom Reiseveranstalter natürlich nicht selbst genutzt wird, sondern an einen Kunden weitervermittelt wird, kann aber schwerlich als Mietverhältnis bezeichnet werden. Wie soll man denn außerdem die Kaltmiete eines Hotelzimmers berechnen? Sie merken schon: Steuererklärungen werden für Reiseveranstalter in Zukunft zum türkischen Basar, auf dem je nach Finanzbeamten mal eine etwas höhere, mal eine etwas geringere Belastung auf das Unternehmen zukommt. Rechtssicherheit: Fehlanzeige. ({0}) Außerdem stellt sich natürlich die Frage: Wer wird denn diese Zusatzbelastung am Ende übernehmen? Zahlt nicht letztendlich wieder der deutsche Michel, der sowieso schon knapp die Hälfte seines hart erarbeiteten Lohns abgibt, einfach mehr Geld für den wohlverdienten Urlaub? Genauso wird es kommen. Experten rechnen mit einer Verteuerung von Reisen um durchschnittlich 2,3 Prozent. Der Leidtragende ist wie so oft in diesem Hohen Haus der deutsche Bürger, meine Damen und Herren. ({1}) Noch schlimmer als diese Rechtsunsicherheit und auch unnötige Preissteigerungen ist jedoch die Existenzgefährdung unzähliger Firmen. Gerade Reiseveranstalter, die traditionell mit sehr geringen Margen arbeiten, stehen massiv unter Druck. Sollte die gegenwärtige Praxis der Finanzverwaltung nicht gestoppt werden, drohen nach Einschätzung des Deutschen ReiseVerbands Steuernachforderungen von mehr als 1,4 Milliarden Euro – 1,4 Milliarden Euro für eine Branche, die zum Großteil aus kleinen und mittelständischen Familienunternehmen besteht. Großkonzerne hingegen werden letztendlich von der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung sogar noch profitieren. Zum einen ist es für sie wesentlich einfacher, Rückstellungen zu bilden, und zum anderen können sie sich klammheimlich darüber freuen, dass viele kleine Mitkonkurrenten in die Insolvenz gehen müssen. Wieder einmal wird also unser Mittelstand – die Menschen, die das Rückgrat unserer deutschen Wirtschaft bilden – massiv geschädigt und vor nahezu unüberwindbare Schwierigkeiten gestellt. ({2}) Der Präsident des RDA, des Internationalen Bustouristikverbands, rechnet damit, dass 25 Prozent aller Reisebusunternehmen in Deutschland aufgrund der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung insolvenzgefährdet sind. 25 Prozent, meine Damen und Herren! Welche Kommune hat denn einen Vorteil von einer vermeintlich höheren Gewerbesteuer, wenn danach ein Viertel aller ansässigen Betriebe in diesem Bereich insolvent gehen? Dann gibt es nämlich überhaupt keine Steuereinnahmen von diesen Firmen mehr. ({3}) Oder wie wird sich die Situation in den grenznahen Gebieten zu Polen, Frankreich oder Tschechien gestalten? Jeder Reiseveranstalter und jeder Busunternehmer wird, um die eigene Existenz zu retten, den Sitz ins nahegelegene Ausland verlagern, ({4}) sich so nicht nur die gewerbesteuerliche Hinzurechnung sparen, sondern den deutschen Staat auch um sonstige Steuereinnahmen bringen, ganz zu schweigen davon, dass die gewerbesteuerliche Hinzurechnung wieder einmal unsere deutschen Unternehmen vor einen Wettbewerbsnachteil stellt, ausländische Anbieter besserstellt und Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet. ({5}) Wie so oft haben die Finanzminister der Länder und auch des Bundes kurzfristig gedacht und sind sich überhaupt nicht im Klaren über die massiven Folgen der verfehlten Politik. Fassen wir also kurz zusammen: Die gewerbesteuerliche Hinzurechnung bedroht Tausende von Arbeitsplätzen in Deutschland, belastet insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen und somit das Rückgrat unserer deutschen Wirtschaft, sorgt für erhebliche Rechtsunsicherheiten und verteuert das Reisen für unsere Bürger. Aber es gibt Licht am Ende des Tunnels. Schließlich sind alle hier versammelten Fraktionen – von der Linken bis zur AfD – im Ausschuss einhellig der Meinung gewesen, dass die gewerbesteuerliche Hinzurechnung im Übernachtungsgewerbe gestoppt werden muss und dass wir als Deutscher Bundestag hier in der Verantwortung stehen. Werte Kollegen, bitte werden Sie dieser Verantwortung endlich einmal gerecht! Verstecken Sie sich bitte nicht wieder hinter irgendwelchen Formalien oder Worthülsen, sondern entscheiden Sie wenigstens einmal bei einem Sachthema ohne parteipolitische Scheuklappen. Gerne gehen wir mit gutem Beispiel voran. ({6}) Wir freuen uns auf die Debatte über den FDP-Antrag, der in die richtige Richtung geht, in den Ausschüssen. Wir als AfD-Fraktion stehen an der Seite der deutschen Wirtschaft. Wir stärken den Mittelstand. Wir kämpfen für Rechtssicherheit und gegen soziale Ausgrenzung. Springen Sie also doch bitte einmal über Ihren Schatten! Entscheiden Sie sich für unseren Antrag statt für eine Ausgrenzung aus billigen parteipolitischen Motiven! Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Sebastian Brehm, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht nicht um Parteipolitik, Worthülsen oder Formalien, sondern um die Anwendung geltenden Rechts, insbesondere des Steuerrechts. Darüber diskutieren wir. Wir wollen wieder zur steuerpolitischen Debatte zurückkommen. Grundgedanke der Ermittlung des gewerbesteuerlichen Einkommens war und ist, eben nicht die ertragsteuerlichen Bemessungen heranzuziehen, sondern eine objektive Ertragskraft zu ermitteln. Das ist übrigens das Wesen. Deshalb handelt es sich nicht um eine Ertragsteuer, sondern um eine Realsteuer. Dies bedeutet, dass die Steuer nach einer objektiven Ertragskraft erhoben werden soll, unabhängig davon, ob das Unternehmen mit Eigenkapital oder Fremdkapital finanziert ist. Deshalb wird der Jahresüberschuss seit jeher durch Hinzurechnungen ergänzt. Den Grundgedanken der Hinzurechnung gibt es seit 1936, ({0}) seit Bestehen der Gewerbesteuer. Insofern sind die Hinzurechnungen an sich nichts Neues und gehören zum Wesen der Gewerbesteuer. Würde man diese Hinzurechnungen dem Grunde nach aufgeben, so wäre die Gewerbesteuer keine Realsteuer mehr, sondern eine weitere zusätzliche Ertragsteuer – übrigens nicht einmal für alle Unternehmen –, und wir würden automatisch – ich glaube, das ist das Ziel sowohl des AfD-Antrags als auch des FDP-Antrags – in eine Diskussion über die Abschaffung der Gewerbesteuer kommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD, Sie fordern sogar die gänzliche Abschaffung der Gewerbesteuer ohne jegliche Kompensation. ({1}) Als ehemaliger Kommunalpolitiker möchte ich ein Beispiel nennen. In meiner Heimatstadt Nürnberg würde das zu 450 Millionen Euro Mindereinnahmen pro Jahr führen. ({2}) Die Folge wäre: Schließung aller städtischen Schulen und aller städtischen Kindergärten sowie Kürzung aller freiwilligen Leistungen zum Beispiel für die Sportvereine. Ob das ein Wirtschaftsprogramm für den Mittelstand ist, wage ich zu bezweifeln. Das ist mit uns nicht zu machen. Das ist keine Alternative für Deutschland und auch keine Alternative für unsere Kommunen. ({3}) Übrigens, die Frage der Hinzurechnung ist erst kürzlich, 2016, höchstrichterlich vom Bundesverfassungsgericht entschieden und abschließend geklärt worden. Nun gibt es aber wie immer im Steuerrecht Entwicklungen – damit komme ich zum Kern –, die dem Grundgedanken der eigentlichen Gesetzgebung – es war 2008, als wir die Regelungen betreffend die Hinzurechnungen geändert haben – entgegenlaufen. Und da hilft es nicht, zu sagen – wie in Ihrem Antrag –, die Ländererlasse sollten korrigiert werden oder das Bundesfinanzministerium sollte angewiesen werden, hier für Klarstellung zu sorgen. Wenn es hier Fehlentwicklungen gibt, dann müssen wir als Gesetzgeber tätig werden und es in der Gesetzgebung angehen. ({4}) In der Systematik der Hinzurechnung haben wir es aber mit mehreren Fragestellungen zu tun – es geht eben nicht so einfach, wie Sie sich das immer malen –, die in dem Kontext mitbehandelt werden müssen. Ist es zum Beispiel überhaupt sinnvoll, dass Unternehmen, die durch Hinzurechnungen Verlust machen, Gewerbesteuer zahlen müssen? Das müssen wir mitbesprechen. Oder gibt es Hinzurechnungen, die dem eigentlichen Grundgedanken zuwiderlaufen? 2016 gab es mehrere Urteile des Bundesfinanzhofs. In einem Fall ging es um die kurzfristige Anmietung von Zimmern. In einem anderen Fall ging es um die kurzfristige Anmietung von Konzertflächen. Hier hat der BFH gesagt, die Hinzurechnung sei gerechtfertigt. In einem weiteren Urteil ging es um die kurzfristige Vermietung von Messeplätzen. Da hat der BFH gesagt, die Hinzurechnung sei nicht gerechtfertigt. Deswegen, glaube ich, müssen wir auch bei den Hotelzimmern eine ganz klare Einordnung vornehmen und gucken, wie wir hier vorgehen. Das Verfahren vor dem Finanzgericht Münster stammt aus 2016, und das regelt genau diese Frage. Es ist derzeit beim BFH anhängig. Gerade bei der Hotelzimmeranmietung müssen wir unterscheiden. Da kommt es auf den Einzelfall an, auf den einzelnen Vertrag. Es gibt zum Beispiel Reiseveranstalter, die sich ein komplettes Hotel für ein komplettes Jahr mieten. Das ist dann Anlagevermögen, und damit wird es eigentlich von den Hinzurechnungen wieder erfasst. Aber es gibt natürlich auch Reiseveranstalter – das sind insbesondere die kleineren und mittleren –, die sich kurzfristig ein paar Zimmer zur sofortigen Weitervermietung mieten. Dann ist es eben kein Anlagevermögen und somit eigentlich von der Hinzurechnung nicht umfasst. Das ist eigentlich die Sachfrage, über die wir reden. Deswegen sollten wir das Ganze an den Finanzausschuss überweisen und im Finanzausschuss noch einmal unter steuerfachpolitischen Gesichtspunkten miteinander besprechen. Es geht natürlich darum, dass wir die kleinen und mittleren Unternehmer unterstützen. Sie haben bei der Hinzurechnung auch einen Freibetrag von 100 000 Euro. Aber es geht darum, die Systematik richtig zu begreifen und auch richtig einzuordnen. Das werden wir gemeinsam in einer guten steuerpolitischen Debatte im Finanzausschuss tun. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag erteile ich nun das Wort dem Kollegen Dr. Marcel Klinge von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Marcel Klinge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004782, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Koalition ist seit nunmehr 100 Tagen im Amt und hatte 100 Chancen, den Wirtschafts- und Tourismusstandort Deutschland nach vorne zu bringen. ({0}) Es hat hier ja sehr vielversprechend begonnen. Peter Altmaier hat bei seiner Antrittsrede ein Loblied auf die soziale Marktwirtschaft gesungen, eine Liebeserklärung an Ludwig Erhard abgegeben und das Bundeswirtschaftsministerium kurzerhand zu einem Bundesmittelstandsministerium umdeklariert. Das waren große Worte von dem Minister. Doch was ist seitdem passiert? Was hat die Große Koalition in den letzten 100 Tagen getan? ({1}) Tja, der Mount Everest der Bürokratie steht weiterhin in Deutschland, und er wächst. ({2}) Bei der Datenschutz-Grundverordnung hat die Große Koalition mit viel Liebe zum Detail 120 Prozent umgesetzt, und das trifft jetzt gerade unsere Kleinen und Mittleren mit voller Wucht. ({3}) Auch beim Thema „gewerbesteuerliche Hinzurechnung bei Reiseunternehmen“ liegt das Problem seit Jahren auf dem Tisch, und es ist nichts passiert. Wir glauben, dass die Debatte hier endlich wieder vorangetrieben werden muss. Wir können unsere Unternehmer nicht so im Regen stehen lassen. ({4}) Mittlerweile mag der Planungshorizont der Großen Koalition auf Wochenmaß abgeschrumpft sein. Zum Glück arbeitet unsere Wirtschaft anders. Wenn wir wollen, dass unsere Unternehmen in Deutschland investieren und in Deutschland wachsen, dann müssen wir sie doch bestmöglich unterstützen, und deswegen können wir uns keine schwarz-roten Hängepartien mehr leisten. ({5}) Wir Freie Demokraten kämpfen für ein Unternehmensteuerrecht, das eben nicht willkürlich die Substanz unserer Betriebe, also das wertvolle Eigenkapital, besteuert. Wir wollen die stillen Helden unserer Wirtschaft, also die Mittelständler, unsere Familienunternehmen mit kluger Politik größer machen und ihnen die Wertschätzung geben, die sie verdienen. ({6}) Wertschätzung ist eben nicht, wenn Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU – ich nenne jetzt mal keine Namen; lieber Herr Bareiß, wo sind Sie? – bei jeder Gelegenheit eine Besserung bei diesem Thema versprechen, dann aber nicht liefern. ({7}) Das Problem liegt seit Jahren auf dem Tisch. Handeln Sie endlich! Sie sind in der Regierung. Vielleicht haben Sie es ja vergessen. ({8}) Vor diesem Hintergrund beantragen wir heute als FDP-Fraktion, die Hinzurechnung bei der Gewerbesteuer und ihre Auswirkung kritisch zu überprüfen. Und wir wollen einen zweiten Schritt: Wir wollen dann Korrekturen im Rahmen einer Unternehmensteuerreform vornehmen. ({9}) Diese Korrekturen sind überfällig und wichtig, aber eben nicht nur für Reiseunternehmen. Natürlich freue ich mich als Tourismuspolitiker, wenn die Klassenfahrt mit dem Bus, wenn der Skiausflug, wenn die Reise an den Strand weiterhin nicht teurer wird. Und natürlich freue ich mich als Tourismuspolitiker, wenn wir möglichst viele kleinere Reiseunternehmen weiterhin in Deutschland am Markt haben. Wir brauchen sie. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Problem ist weitreichender, als es der AfD-Antrag suggeriert. ({10}) Nehmen wir doch das Beispiel Start-ups. Es ist eine Absurdität der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung, dass in bestimmten Fällen ein Firmengründer bereits Steuern zahlen muss, obwohl er noch keinen einzigen Gewinn gemacht hat. ({11}) Da hat also jemand eine Idee, arbeitet sieben Tage die Woche an deren Umsetzung, geht ins persönliche Risiko und in Haftung, schafft Arbeitsplätze, hat noch keinen Cent verdient, und trotzdem greift ihm der Finanzminister in die Tasche. Wir glauben, das versteht keiner. ({12}) Das ist in Summe eine Steuersystematik, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Leistungsbereitschaft und unternehmerisches Engagement eiskalt bestraft. Wir Freie Demokraten wollen das ändern. ({13}) Daher macht es auch keinen Sinn, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, sich jetzt einen Einzelfall herauszugreifen und zu bearbeiten. ({14}) Wir brauchen vielmehr einen großen Wurf, von dem alle Mittelständler in unserem Land profitieren. Deswegen steht für uns fest: Ob Reiseunternehmen, Start-ups oder kleine Busunternehmen – nur mit fairen und verlässlichen Rahmenbedingungen schaffen wir es, den Unternehmergeist in Deutschland zu stärken und Menschen zu ermutigen, ihre Ideen auch zu verwirklichen. ({15}) Deswegen: Lieber Herr Altmaier – ich hätte mich gefreut, wenn Sie heute hier teilgenommen hätten –, werden Sie endlich der Wirtschaftsminister, den unsere Mittelständler verdient haben! Wir wissen, dass der Finanzminister ein harter Gegenspieler ist. Der hockt wie Dagobert Duck auf seinem Geld; das ist doch klar. Aber unsere Unternehmer und ihre Mitarbeiter haben einen Wirtschaftsminister verdient, der sich zu 100 Prozent für sie einsetzt. Nutzen Sie die nächsten 100 Tage genau dafür! ({16})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Bernhard Daldrup. ({0})

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Klinge, auch ich gratuliere Ihnen natürlich zu Ihrer ersten Rede, will aber zumindest sagen: Die ersten 100 Tage, die wir regieren und in denen wir etwas zustande gebracht haben, das ist ungefähr die Zeitspanne, die Sie sozusagen in touristischer Manier auf dem Balkon verbracht haben und in der Sie nichts Vernünftiges hinbekommen haben. ({0}) Herr Brehm hat den Sachverhalt hier sehr schön steuerrechtlich eingeordnet. Ich will mal ein bisschen politisch zur Sache Stellung nehmen. Wenn die AfD über Steuerrecht redet, hat sie meist in petto, eine Steuer abzuschaffen. Dieses Mal will sie sogar eine Steuer abschaffen, die es gar nicht gibt, allenfalls im Jargon der Lobbyisten: die Urlaubssteuer. Es geht aber natürlich – die Urlaubszeit steht vor der Tür – nicht darum, über marktbeherrschende Unternehmen und über die Frage zu sprechen, ob sie Preissprünge in der Hochsaison nicht reduzieren sollten, damit sich Familien mit Kindern einen Urlaub leisten können. Vielmehr liegt alles angeblich am Staat, und das ist etwas, was kaum glaubhaft ist. ({1}) Worum geht es eigentlich in der Diskussion? Herr Brehm hat darauf hingewiesen: Es geht um Steuern. Konkret geht es um die Gewerbesteuer. Noch präziser: Es geht um Gleichbehandlung bei der Veranlagung zu dieser Steuer. Ich will daran erinnern, wie das eigentlich zum damaligen Zeitpunkt war: 2008 haben SPD und Union eine sehr große Steuerreform für Unternehmen durchgeführt. Wir haben die Körperschaftsteuer von 25 Prozent auf 15 Prozent gesenkt. Wir haben die Gewerbesteuermesszahl von 5 Prozent auf 3,5 Prozent abgesenkt. Dadurch haben wir die Unternehmen in Deutschland um rund 5 Milliarden Euro pro Jahr entlastet. ({2}) Selbstverständlich profitiert davon auch die Tourismusbranche jedes Jahr. Sollen wir diese Steuersenkung eigentlich jetzt zurücknehmen? Das ist ja die Frage, die sich stellt, wenn man die Anträge von AfD und FDP liest. Rosinenpickerei reicht ja wohl nicht aus; denn gleichzeitig mit den Steuersenkungen im Jahr 2008 haben wir die Regeln für die gewerbesteuerliche Hinzurechnung systematisiert, aktualisiert. Wie alt sie ist, hat Herr Brehm eben gesagt. Damit haben wir erreicht, dass alle Unternehmen gewerbesteuerlich gleichbehandelt werden, egal ob sie betriebsnotwendiges Aktivvermögen fremd- oder eigenkapitalfinanzieren, ob sie es anmieten oder im Eigentum nutzen. Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Es kann doch nicht wahr sein, dass ein Reiseveranstalter, der ein Hotel im Eigentum hat, schlechtergestellt wird als ein Reiseveranstalter, der die Zimmer nur anmietet. Das ist doch wohl nicht gerecht. ({3}) Vor dem Hintergrund muss man sagen: Die massive Steuersenkung bei gleichzeitiger Hinzurechnung einzelner Tatbestände dient dazu, Gleichbehandlung zu erreichen. Wer die Hinzurechnung nicht will, der kann auch die Steuersenkung nicht haben. Das war und das bleibt auch gerecht. Schauen wir mal anhand eines praktischen Beispiels, worum es eigentlich geht. Die Tourismusbranche selber sagt, dass eine Reise wegen der gewerbesteuerlichen Gleichbehandlung um 2,3 Prozent teurer wird; das sind bei einer Pauschalreise im Wert von 1 000 Euro also immerhin 23 Euro. Das ist das Ergebnis einer lobbygetriebenen Berechnung. Es gibt andere Berechnungen – auch unsere eigene –, die zu dem Ergebnis kommen, dass es – weil nur Teilbereiche der Kosten wie beispielsweise unstreitig die Übernachtungskosten in die gewerbesteuerliche Hinzurechnung einbezogen werden – gerade mal 0,6 Prozent, also 6 Euro bei einer 1 000 Euro teuren Reise, sind. Diese Summe müssen übrigens dann nur Unternehmen zahlen, die über den ebenfalls 2008 eingeführten Freibetrag von 100 000 Euro kommen; darüber ist eben gesprochen worden. Dass man bei der Berechnung differenzieren kann, wissen wir, weil die FDP seinerzeit die Mövenpick-Steuer eingeführt hat. Da war das mit der Auseinanderrechnung auch kein Problem. ({4}) Also: Die Behauptung, wegen der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung würden Urlaubsreisen zu teuer, hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Die Forderung der AfD ist also erwartungsgemäß Unsinn. ({5}) Das gilt erst recht für die Anwendung auf einzelne Branchen. Würde man den Sachverhalt so regeln, kämen andere Branchen an und würden sagen: Gleiches Recht für alle! – Die Messebauer beispielsweise würden darauf hinweisen, dass ihnen die Messehallen auch nicht gehören. Die Logistiker würden selbstverständlich entsprechend darauf hinweisen. Es wäre ein Einfallstor, um die Axt an die Gewerbesteuer zu legen. Das will die FDP. Das ist traurig, muss man sagen. Es geht um Steuerrecht; es geht aber auch darum, was eigentlich mit der Gewerbesteuer finanziert wird. Wer, wenn nicht die Kommunen, produziert denn die Standorte für die Tourismusindustrie? Die Kommunen produzieren die Standorte; das kann kein anderer. Und ich sage Ihnen: Die von ihnen geschaffene touristische Infrastruktur ist die Voraussetzung dafür, dass touristische Unternehmen überhaupt ihre Angebote realisieren können. ({6}) Ich komme gleich zum Schluss. Ich will aber noch ganz kurz sagen: Ich bin nicht so ganz sicher, ob dieser penetrante Lobbyismus seit vielen Jahren der Tourismusindustrie wirklich nützt, wenn man sich mal überlegt, wer eigentlich diese Interessen hier vertritt. ({7}) Darüber sollte man tatsächlich mal nachdenken. Eine letzte Bemerkung zum Antrag der FDP, der im Grunde genommen darauf zielt, die Gewerbesteuer abzuschaffen. ({8}) Ich sage Ihnen: Es geht hier um ein besonderes Thema, aber Ihr Modell führt zu einer Verschärfung der Gegensätze zwischen wohlhabenden und strukturschwachen Gemeinden in Deutschland; Ihr Modell führt nicht zu gleichwertigen, sondern zu gegensätzlichen Lebensverhältnissen in Deutschland. ({9}) Das wollen wir auf gar keinen Fall. Ich kann Ihnen in einer Extradebatte mal zeigen: Was Sie da wollen, ist so kommunalfeindlich, wie es überhaupt nur sein kann. Das ist mit uns nicht zu machen. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächste Rednerin: die Kollegin Kerstin Kassner von der Fraktion Die Linke. ({0})

Kerstin Kassner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004324, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Besucherinnen und Besucher! Die gewerbesteuerliche Hinzurechnung ist ein wichtiges Thema, mit dem wir uns in den letzten vier Jahren immer wieder beschäftigt haben. Ehrlich gesagt, macht es mich wütend, dass wir das in der 19. Legislaturperiode immer noch tun müssen. Ich nenne Ihnen mal drei Gründe dafür: Der erste Grund. Wenn ich den Kolleginnen und Kollegen, die in der 17. Wahlperiode hier waren, trauen darf – und ich habe keinen Grund, das nicht zu tun –, dann war es so, dass die gewerbesteuerliche Hinzurechnung nicht die Tourismusbranche treffen sollte. Das haben mir immer wieder Kollegen gesagt. Nun ist es aber anders gekommen, und seitdem schwebt über vielen touristischen Unternehmen ein Damoklesschwert. Wie groß es ist, wird man sehen, wenn am Ende die Rechnung aufgemacht wird. Es gibt Veranlagungen bis ins Jahr 2008 zurück. Da kommen dann Summen zusammen, die tatsächlich existenzgefährdend sein können. Der zweite Grund. Wie gesagt, der Bund wollte nicht, dass diese Hinzurechnung die Tourismusbranche trifft. Schlaue Finanzbeamte in den Ländern haben sich aber gedacht, dass sie auch für die Tourismusbranche gilt, und tun natürlich alles, um ihre Kommunen zu entlasten oder ihnen mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. Das macht mich als Kommunalpolitikerin wieder wütend, denn da gibt es beileibe bessere Mittel. Denken wir nur an die vom Bund ausgereichten Förderprogramme, wo dann immer an den klebrigen Fingern der Finanzminister ordentlich etwas hängen bleibt und in der Landeskasse landet, ({0}) statt dass das Geld direkt in die Kommunen wandert, wo es eigentlich hingehört. Wir könnten auch hier im Bund darüber nachdenken, andere Regelungen für die Kommunalfinanzen auf den Weg zu bringen, zum Beispiel statt der Gewerbesteuer eine tatsächliche Gewerbewirtschaftsteuer, bei der sich alle an der Finanzierung für die Kommunen beteiligen müssen. ({1}) Es lohnt sich, darüber mal nachzudenken. Der dritte Punkt, der mich wütend macht, ist die Ungleichheit an sich. Die FDP-Mövenpicksteuer wurde hier schon mehrmals genannt. Aber ich weiß, dass es ganz viele Menschen in der Tourismusbranche gibt, die zum Beispiel nicht mal die Aufwendung für den Weg zur Arbeit absetzen können, weil sie einfach so wenig Lohnsteuer bezahlen, dass sie gar keine Möglichkeit der Absetzung haben. Gleichzeitig haben große Unternehmen die Möglichkeit, ihre Gewinne in andere Länder zu schicken und sie so der Gemeinschaft zu entziehen. Das macht wütend. ({2}) Es macht noch etwas wütend, nämlich dass nicht alle reisen können. Ich würde mir wünschen, dass alle Menschen diese Möglichkeit haben. Wir müssen feststellen, dass Schulklassen nicht reisen können, weil einzelne Kinder die Reisekosten nicht aufbringen können und Sie die Reisekosten nicht erstatten. ({3}) Das macht mich wütend. Ich würde mir wünschen, dass es dafür andere Regelungen gibt, dass wir uns solidarisch erklären. Denn Reisen birgt viele Möglichkeiten: ({4}) Man lernt andere Menschen, Länder, Sitten kennen. Das ist ein echter Weg zur Völkerverständigung. Ich würde mir wünschen, dass das tatsächlich auf den Weg gebracht wird. ({5}) Ein letzter Wunsch: Wir müssen doch nicht warten, bis der Bundesfinanzhof entscheidet. ({6}) Warum nimmt der Bundesfinanzminister nicht seine Länderkollegen an die Hand, setzt sich mit ihnen gemeinsam hin und findet eine Lösung für dieses Problem, das so viele Menschen schon so viele Jahre belastet? Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, hätten wir die Anträge von der AfD und von der FDP nicht mehr nötig. ({7}) Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Stefan Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Stefan Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004877, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eingangs ein paar grundlegende Punkte klarstellen. Erstens. Es geht heute nicht um eine Urlaubssteuer; denn die gibt es in Deutschland gar nicht. Das ist eine Wortschöpfung der Tourismusbranche für gewerbesteuerliche Hinzurechnungen von Hotelkontingenten. Diese will die Branche abschaffen. Das Anliegen mag berechtigt sein; hier im Parlament sollten wir allerdings korrekt arbeiten. Die AfD will mit ihrem Antrag die Menschen wieder mal etwas glauben machen, was es so in der Sache einfach nicht gibt und was einfach falsch ist. ({0}) Zweitens. Um sachlich korrekt zu arbeiten, brauchen wir verlässliche Zahlen und schlüssige Argumente. Auch hier greift es zu kurz, diese ungeprüft vom Branchenverband zu übernehmen. Um eine gesetzliche Änderung zu fordern und zu begründen, kann man eben nicht mit niedrigen Gewinnmargen oder mit hohem Konkurrenzdruck argumentieren. Mit dieser Argumentation gäbe es keine Steuern und keinen Staat. Damit wäre ich bei meiner dritten Vorbemerkung. Die FDP will mit ihrem Antrag die Gewerbesteuer gleich ganz abschaffen und gefährdet damit die wichtigste Einnahmequelle der Kommunen in Höhe von 53 Milliarden Euro. ({1}) Was das für Schulgebäude, für Bibliotheken, für Schwimmbäder hieße, will ich mir gar nicht ausmalen. Solche Bestrebungen lehnen wir klar ab. ({2}) – Ich habe Ihren Antrag sehr genau gelesen: Schauen Sie auf Seite 1 unten, letzter Absatz; dort finden Sie die Passage. Worum geht es also konkret? 2008 wurde eine Unternehmensteuerreform beschlossen mit dem Ziel, die Eigenkapitalquote der Unternehmen zu erhöhen und die Einnahmen der Kommunen zu verstetigen. Deshalb hat man die Hinzurechnungen bei der Gewerbesteuer ausgeweitet. So weit, so richtig. Das haben auch mehrere Gerichte so bestätigt. Bei der Umsetzung dieser Reform wurden dann aber auch von Reiseveranstaltern angekaufte Hotelkontingente gewerbesteuerpflichtig. Bis zu einer abschließenden juristischen Beurteilung wird diese Hinzurechnung ausgesetzt. Das heißt konkret: Die Steuer fällt bei den Unternehmen im Moment gar nicht an. An diesem Punkt muss ich auch noch auf die Regierung zu sprechen kommen. Statt eine politische Klärung anzustreben, sitzt sie hier das Problem aus und wartet auf die juristische Beurteilung – und das schon seit Jahren. Der Grund: Wieder einmal fehlt es an Einigkeit zwischen Union und SPD, wieder einmal fehlt es an Einigkeit zwischen Wirtschaftsministerium und Finanzministerium. Die Folge: Es gibt keine Rechtssicherheit und keine Planungssicherheit, weder für Reiseveranstalter noch für Kommunen. Das ist das Schlechteste aller denkbaren Szenarien. ({3}) Deshalb ist eine politische Korrektur durch den Gesetzgeber, also durch uns, den Deutschen Bundestag, überfällig. ({4}) Mit der Unternehmensteuerreform wollte der Bundestag zu Recht die Verbreitung von Sale-and-lease-back-Modellen von Unternehmen reduzieren. Aber der Ankauf von Hotelkontingenten sollte dabei nicht besteuert werden. ({5}) Denn bei diesem Ankauf von Hotelkontingenten handelt es sich eben nicht um solche Modelle und eben auch nicht um fiktives Anlagevermögen, sondern um Umlaufvermögen. Eine politische Klarstellung seitens des Bundestages ist also nur folgerichtig. Mit den Vorlagen der AfD und der FDP gelingt dies allerdings nicht. Umso mehr hoffe ich, dass wir uns noch mal intensiv, differenziert und sachorientiert mit dem Thema auseinandersetzen und eine für alle Seiten gute, tragbare politische Lösung finden. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Fritz Güntzler für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Fritz Güntzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004285, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer und Zuhörer! Es kann ja nichts Schöneres geben, als sich am Freitagnachmittag mit § 8 Nummer 1 Buchstabe e Gewerbesteuergesetz zu beschäftigen. Meine Vorredner haben ja schon die Bedeutung der Gewerbesteuer hinsichtlich ihres Umfangs, aber auch ihres Charakters dargestellt. Es ist eine Realsteuer bzw. eine Objektsteuer. Deshalb ist es wichtig, Finanzierungsneutralität herzustellen, indem man Hinzurechnung grundsätzlich macht. Wenn man diese Hinzurechnung abschafft – das ist das Ziel, das aus dem Antrag der FDP zu ersehen ist –, dann legt man die Axt an die Gewerbesteuer und will die Gewerbesteuer nicht weiterführen. Das muss man einfach feststellen; denn die Gewerbesteuer als Objektsteuer, Realsteuer ohne Hinzurechnung macht keinen Sinn. ({0}) Das müssen Sie ehrlich sagen; darüber kann man ja diskutieren. Auch in unseren Kreisen gibt es Leute, die über die Gewerbesteuer nachdenken. Aber Sie sollten es dann auch deutlich und offen formulieren. ({1}) Zur AfD: Sie sagen – wie Ihr Kollege eben auch –, die Finanzminister müssten sich mal zusammensetzen, dann würde man eine Lösung finden. So einfach geht es nicht. Denn die Finanzminister würden sich dann über das aktuelle Urteil des Finanzgerichtes Münster hinwegsetzen, das die Auslegung dieses Gesetzes ja vorgenommen hat. Der Bundesfinanzhof hat auch in mehreren Fällen mittlerweile gesagt, dass der Wortlaut recht ungenau sei. Von daher gibt es Anlass – da bin ich doch ein Stück weit bei der FDP –, dass man sich die Auswirkungen der Urteile anschaut und dann darüber diskutiert, ob es so, wie wir es machen, noch richtig ist. In § 8 Nummer 1 Buchstabe e des Gewerbesteuergesetzes ist von der „Benutzung der unbeweglichen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die im Eigentum eines anderen stehen“ die Rede. Wenn diese im Eigentum eines anderen stehen, kann es gar kein Anlagevermögen sein. Das ist sprachlich schon etwas verwirrend. Das führt natürlich im Ergebnis dazu, dass es zu unterschiedlichen Rechtsauslegungen kommt, die zur Verunsicherung führen. Von daher hoffen wir, dass der Bundesfinanzhof möglichst bald entscheidet und Klarheit schafft. Denn die Urteile sind ja auch nicht ganz einheitlich: Wir haben die Weitervermietung für Gewerbeimmobilien; da wurde sozusagen dem Fiskus recht gegeben. Aber wir haben auch das BFH-Urteil zur Vermietung von Messeständen, das gegenteilig ausgefallen ist. Wenn man sich einige Argumente aus dem Urteil anschaut, könnte man auf die Idee kommen, dass der Bundesfinanzhof dem Finanzgericht Münster nicht recht gibt und die Reiseveranstalter sozusagen gewinnen können. Das werden wir sehen. Dann wird gesagt: Machen Sie doch mal schnell eine Regelung. – Ich hatte ja das Vergnügen – Sie noch nicht –, in der letzten Legislaturperiode schon dabei zu sein. Damals war Sigmar Gabriel Bundeswirtschaftsminister und Walter-Borjans Finanzminister in NRW. Sie haben einen Gesetzesvorschlag gemacht. Dann ist aber deutlich geworden, dass er verfassungsrechtlich sehr schwierig ist und auch beihilferechtlich wahrscheinlich gar nicht umsetzbar ist, sodass eine gesetzliche Lösung, die nur die Reiseveranstalter beträfe, nicht vorgelegt werden kann, ohne die Tür zu weit aufzumachen. Wenn Sie eine Lösung haben, dann geben Sie uns diese. Dann können wir darüber gerne diskutieren. Ich möchte noch zwei andere Anmerkungen zur Gewerbesteuer machen. Die Gewerbesteuer hat für die Kommunen – der Kollege Daldrup hebt darauf ja immer ab – eine große Bedeutung. Aber wenn wir über die Hinzurechnungstatbestände reden, dann müssen wir beachten, dass der Finanzierungsanteil aus diesen Aufwendungen hinzugerechnet wird. Bei der Unternehmensteuerreform 2008 hatten wir ein anderes Zinsniveau als heute. Ich finde, man muss auch einmal darüber nachdenken, ob die pauschalen Beträge bei unbeweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens überhaupt noch richtig sind; denn die Niedrigzinsphase muss sich ja auch irgendwann einmal im Steuerrecht niederschlagen. Eine andere Frage stellt sich im Zusammenhang mit § 6; aber ich glaube, auch darüber sollten wir im Ausschuss diskutieren. ({2}) Ein letzter Punkt: Ich finde, wenn man über die Gewerbesteuer diskutiert, muss man auch das, was zum Beispiel in Meseberg unter dem Stichwort „Gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage“ beschlossen wurde, in die Debatte einbeziehen. Dazu lese ich im Vorschlag für eine Richtlinie der Kommission, dass das Ziel der GKB sei, einen einheitlichen Rahmen für die Unternehmensbesteuerung zu schaffen und die Steuerharmonisierung im Unternehmensrecht durchzusetzen. Wenn das das Ziel ist und wir das mit viel Aufwand machen, dann kann man sich schon einmal die Frage stellen: Macht es dann Sinn, dass wir noch eine zweite Berechnung für die Gewerbesteuer haben? Denn das ist ja genau das Gegenteil von Harmonisierung und Einheitlichkeit. Wir werden deshalb noch interessante Debatten über die Gewerbesteuer im Rahmen der GKB führen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Michael ­Schrodi das Wort. ({0})

Michael Schrodi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004884, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die FDP hat inhaltlich einen sehr einseitigen und umfänglich einen halbseitigen Antrag eingebracht, in dem lediglich einige pauschale Aufforderungen zu finden sind. Dabei handelt es sich um Hinzurechnungsprüfungen der Tatbestände und eventuelle Maßnahmen, die ergriffen werden sollen. Zum einen wurde gerade vom Kollegen Güntzler gesagt, dass noch eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs aussteht, die wir dann noch anschauen müssen. Zum anderen ist es aber auch ständige Übung, dann etwas anzupassen, wenn wir der Meinung sind, dass wir es tun müssen. Insofern ist es Sache des Ausschusses. ({0}) Die AfD tut etwas, was Sie, Kollegen der FDP, früher gemacht haben bzw. eigentlich immer noch tun; nur trauen Sie sich nicht, es deutlich zu sagen: Sie macht Lobbyarbeit im Parlament und übernimmt gleich den Begriff „Urlaubssteuer“, den es nur auf der Kampagnenseite der Tourismusbranche gibt. ({1}) Sie wollen Sonderinteressen dieser Branche durchsetzen. Wir aber machen keine Gesetze für Branchen, sondern wir machen Gesetze, die gut für alle sind und nicht Sonderinteressen berücksichtigen. ({2}) Zur tatsächlichen Belastung und zur Unternehmensteuerreform 2008 hat der Kollege Daldrup einiges gesagt. Wenn Sie von der AfD sich auf der kommunalpolitischen Ebene nur ein bisschen auskennen würden, dann hätten Sie diesen Antrag so nicht gestellt und Ihre Einstellung zur Gewerbesteuer wäre auch anders. Als Kommunalpolitiker – ich mache das seit 15 Jahren bis heute – kenne ich die Situation vor Ort sehr gut. Zum einen sei Ihnen gesagt: Der überwiegende Teil kleiner und mittlerer Unternehmen, auf die Sie hier abstellen, sind Personengesellschaften. Deren Gewerbesteuer wird zur Entlastung der Unternehmen auf die Einkommensteuer angerechnet. Die Gewerbesteuer wird bis zu einem Hebesatz von 390 bzw. 400 Prozent vollständig verrechnet. Ihre Argumentation läuft also vollkommen ins Leere. ({3}) Zum anderen: Weil Sie diese kommunale Ebene nicht kennen, wissen Sie eben auch nicht, wie stark die Kommunen von der Gewerbesteuer abhängig sind und wie sehr sie sie brauchen. In Ihrem Wahlprogramm steht übrigens kein einziges Wort zur Gewerbesteuer. Nun wollen auch Sie diese, wie man hört, wie die FDP abschaffen. Sie geben damit übrigens keine Antwort auf die Frage, wie die Gemeinden die Infrastruktur eigentlich finanzieren sollen – ({4}) die Straßen und Brücken, die Kitas und Schulen, die Sportplätze und Hallenbäder und auch die touristische Infrastruktur. Darauf geben Sie überhaupt keine Antworten. Stattdessen greifen Sie lediglich Partikularinteressen auf und wollen die Einnahmen der Kommunen schwächen. Das ist mit uns nicht zu machen, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({5}) Übrigens ist das in anderen Bereichen genauso. Aus Ihren Reihen hört man, dass Sie die Grundsteuer, die drittwichtigste Einnahmequelle der Kommunen, auch gleich streichen wollen. Außerdem wollen Sie die obersten 10 Prozent der Einkommen auch beim Soli entlasten. Sie wollen Vermögende entlasten und Unternehmen entlasten, haben aber natürlich kein, aber auch gar kein Herz für die Kommunen und ihre Belange. Das ist die Wahrheit. ({6}) Deswegen werden wir dem Antrag nicht zustimmen. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. Danke schön. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter Kollege Marcel Klinge, erst einmal Gratulation zu Ihrer ersten Rede! Sie haben wie viele Redner der FDP ein großes Lamento über die Arbeit der Großen Koalition vorgetragen. Ich gebe zu bedenken: Bis in die Nachtstunden des 19. November 2017 waren wir dabei, eine gemeinsame Regierung zu bilden. ({0}) Wenn Sie jetzt mitgestalten würden, bräuchten Sie nicht zu jammern. ({1}) Herr Kollege Daldrup, Sie haben ausgeführt, dass Sie der Auffassung sind, dass die Einrechnung von Hotelübernachtungskosten in die Gewerbesteuerumlage 2008 beabsichtigt war. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch dazu, zu sagen, dass gerade in der Reisebürobranche die Gewinnmargen anders als in anderen Bereichen, in denen es um Immobilien geht, viel enger und knapper sind. Von daher: In den letzten Legislaturperioden war es regelmäßig so, dass die Tourismuspolitiker und auch die Wirtschaftspolitiker der Auffassung waren, dass das 2008 nicht so beabsichtigt war, wie es sich jetzt ausgewirkt hat. Ja, es gibt die ersten Urteile zur Hinzurechnung von Messedienstleistungen, angesichts derer man gesagt hat: Das ist zu weit gefasst. – Ich persönlich bin, wie schon gesagt, wie viele Fachpolitiker Ihrer Fraktion der Überzeugung: Wir haben im Bereich der gewerbesteuerrechtlichen Hinzurechnung von Übernachtungsleistungen in der Reisebranche den Bogen zu weit gespannt. Ich würde es begrüßen, wenn dieser Antrag der AfD, wenngleich er an vielen anderen Schwächen leidet, ({2}) zumindest dazu führt, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten die Diskussion über die Hinzurechnung noch einmal anfangen. Frau Staatssekretärin Lambrecht, Sie haben mir ja freundlicherweise im Auftrag des Herrn Ministers geantwortet, Sie würden liebend gern auf das Urteil des Bundesfinanzhofes warten. Ich habe gelernt: Es gibt in Deutschland eine Gewaltenteilung. Es gibt eine Exekutive, es gibt eine Legislative, es gibt eine Jurisdiktion. ({3}) Die AfD sagt: Wir wollen auf die Exekutive einwirken. – Ich sage: Wir sollten eigentlich als Bundesgesetzgeber das Selbstbewusstsein haben, das Gesetz von 2008, das vielleicht nicht präzise genug formuliert worden ist, zu ändern und uns als Abgeordnete des Deutschen Bundestages weder hinter einem Bundesfinanzhof, hinter der Jurisdiktion, noch hinter der Exekutive verstecken. Stattdessen sollten wir sagen: Jawohl, wir wirken auf einen gemeinsamen Ländererlass hin. ({4}) Meine Kollegen von der AfD: Das ist zu wenig. Das ist zu kurz gesprungen. ({5}) Sie sind doch Bundestagsabgeordnete. Wir sollten das hier in diesem Hause korrigieren, wenn es ein Stück weit in die falsche Richtung gelaufen ist. ({6}) Deshalb: Lassen Sie uns hier über die entsprechenden Änderungen nachdenken. Ansonsten haben die Kollegen sehr vieles ausgeführt. Seit 2008 werden Mieten für Immobilien in gewissem Umfang hinzugerechnet. – Herr Daldrup will etwas fragen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ja, ich bin gerade dabei.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das verzögert zwar die nächsten Reden, aber wie schon gesagt: Wenn die Kollegen damit einverstanden sind, freue ich mich auf Ihre Fragen, Herr Daldrup.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut. Sie haben meine Frage schon beantwortet, ob Sie eine Bemerkung oder Frage des Kollegen Daldrup zulassen.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Immer.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte schön, Sie haben das Wort. ({0})

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mir geht es um eine ganz einfache Frage: Wenn Sie der Auffassung sind, wir sollten über die Frage der Gestaltung der Gewerbesteuer reden, wären Sie dann auch bereit, darüber zu diskutieren, dass wir die Bemessungsgrundlage so verbreitern, dass wir sie beispielsweise auch auf die freien Berufe ausweiten können? Somit hätten wir die Möglichkeit, die Gewerbesteuerhebesätze zu senken, weil wir die Basis der Gewerbesteuerzahler dann sozusagen deutlich verbreitern würden. ({0}) Dann gäbe es sicherlich eine bessere Möglichkeit zur Diskussion. Ich würde mich freuen, wenn Sie diese Frage mit Ja beantworten könnten. ({1})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Daldrup, es wird Sie nicht überraschen: Ich bin gegen sozialistische Gleichmacherei. ({0}) 2008 haben wir meines Wissens auch zusammen regiert. Da hatten wir auch eine Große Koalition. Man hat aus wohlgetroffenen Erwägungen genau diesen Punkt nicht in die Gewerbesteuerberechnung einbezogen. Ich will Ihnen eins sagen: Ich bin grundsätzlich von Ihnen gar nicht so weit weg. Ich war selber jahrelang Bürgermeister und weiß, welche Daseinsvorsorgeeinrichtungen die Kommunen schaffen, von der Infrastruktur bis zu den Gewerbegebieten etc. Auch die Möglichkeit, überhaupt erst einmal ein Gewerbe auszuüben, wird natürlich von Kommunen geschaffen. Darum bin ich anders als die Kollegen von der FDP auch der Auffassung: An der Gewerbesteuer sollten wir grundsätzlich festhalten. Die Einbeziehung der freien Berufe ist, wie schon gesagt, eine andere Baustelle. Das ist natürlich ein noch viel größeres Fass, als hier Abrundungsschwierigkeiten zu präzisieren bzw. klarzustellen. Es geht darum, Ungerechtigkeiten zu beseitigen, die sich in den letzten zehn Jahren ergeben haben und die im Übrigen kleine Reisebüros in den Kommunen momentan mit großer Sorge erfüllen. Es sind nicht nur die Großen der Branche, die zu uns kommen, Herr Daldrup. Es sind auch die kleinen Büros. Es nutzt der Kommune überhaupt nichts, wenn sie kurzfristig ein paar Euro mehr Gewerbesteuereinnahmen hat und dieses Reisebüro irgendwann nach zwei, drei Jahren den Laden dichtmacht. Dann sind Arbeitsplätze weg, und die komplette Gewerbesteuer ist weg. ({1}) Das ist genau der Punkt, auf den wir achten sollten. Diese Entwicklung hat man vor zehn Jahren in dieser Breite vielleicht nicht vorhergesehen. Ich bin den Fachpolitikern sehr dankbar für den Einsatz kollektiver Intelligenz, auch bei der SPD. Im Wirtschaftsausschuss und im Tourismusausschuss haben wir uns darauf geeinigt, dass wir etwas ändern müssen. Lassen Sie uns gemeinsam, auch mit den Finanzern in der SPD, noch einmal darüber reden, ob eine Ungleichbehandlung gegeben ist. Aber lassen Sie uns bitte nicht wie das Kaninchen vor der Schlange auf die Einschätzung des Bundesfinanzhofs warten. Lassen Sie uns selbst etwas gegen die Schieflage tun. Dafür wäre ich Ihnen dankbar. – Ich bin jetzt mit der Antwort fertig. Meine Damen und Herren, ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. Durch die Zwischenfrage hat sich meine Redezeit verlängert. Danke, Herr Daldrup. Ich schenke Ihnen 58 Sekunden, wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und ein schönes Wochenende. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/2989 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Federführung beim Finanzausschuss, die Fraktion der AfD wünscht Federführung beim Ausschuss für Tourismus. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der AfD abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Tourismus. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist gegen die Stimmen der AfD-Fraktion mit den Stimmen der übrigen Fraktionen abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD – Federführung beim Finanzausschuss – abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist angenommen.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Meeresschutz ist eines der wichtigsten Themen der Umweltpolitik, und er wird zunehmend immer wichtiger. Weltmeere als Ökosysteme sind in vielerlei Hinsicht bedroht: Überfischung, Erwärmung, Vermüllung, Stichwort „Plastikmüllinseln“, die uns derzeit beschäftigen. Deshalb freue ich mich heute, dass es interfraktionell gelungen ist, einen Antrag zum Schutz des Weddellmeeres in der Antarktis auf den Weg zu bringen. Das Weddellmeer ist ein einzigartiges Ökosystem und ein Hotspot der Biodiversität. Das vorgeschlagene Schutzgebiet im Weddellmeer wäre mit fast 2 Millionen Quadratkilometern rund fünfmal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland und mit Abstand das größte Meeres­schutzgebiet der Welt. Das wäre ein großartiger Erfolg für den globalen Meeresschutz. ({0}) Wir wollen mit dem vorliegenden Antrag die Bemühungen der Bundesregierung bei der Internationalen Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze in der Antarktis unterstützen. Deutschland ist die treibende Kraft bei der Ausweisung von Meeresschutzgebieten und hat bereits im Oktober vor zwei Jahren einen Vorschlag zum Schutz des Weddellmeeres vorgelegt, der von der EU übernommen und eingebracht wurde. Leider fand er 2016 international keine Mehrheit. Beim nächsten Treffen im Herbst dieses Jahres wird dieser Schutzgebietsantrag wieder gestellt. Wir hoffen, dass wir ihm mit dem heute vorliegenden Antrag den nötigen Rückenwind verleihen können. ({1}) Herzlichen Dank für die konstruktive Zusammenarbeit an alle Fraktionen, an alle, die mitgearbeitet haben, auch an die, die mitgearbeitet haben, den Antrag aber leider nicht mit stellen durften. Vielen Dank auch an dieser Stelle an die Forscher vom Alfred-Wegener-Institut, die das wissenschaftliche Fundament für diesen Antrag gelegt haben. Sie stellten fest, dass mit rund 14 000 Tierarten im Weddellmeer eine gleichhohe Artenvielfalt wie auf einem tropischen Korallenriff herrscht. Das Weddellmeer ist eine fast unberührte Region in der Antarktis. Hier hat es nie Fischerei gegeben, zumindest offiziell. Die Eisfläche ist auch in den Sommermonaten noch so groß, dass unter dem Eis immer noch genug Eisalgen und Bakterien leben, dass sie den Anfang der Nahrungskette bilden können für Krill, Fische, Pinguine, Robben und Wale. Der Tisch für Fische und Säugetiere ist hier also immer noch gut gedeckt. Vielleicht könnten dann als Nächstes auch die Ostantarktis und die Antarktische Halbinsel geschützt werden. Auch sie haben eine hohe Artenvielfalt. Ich könnte mir gut vorstellen, dass der Deutsche Bundestag dieses Vorhaben mit einer breiten Mehrheit unterstützen würde. ({2}) Auch wenn es gelingt, das Weddellmeer unter Schutz zu stellen, bleibt ein Wermutstropfen: Dann steht das Weddellmeer zwar formal unter Schutz, wichtig wären aber auch klare internationale Regeln, ein Management, das den Schutzstatus erhält, Monitoringmaßnahmen und Verbote, die auch sanktioniert werden können. Deswegen sollten wir auch als Parlament die Bemühungen der Bundesregierung unterstützen, ein international rechtsverbindliches Durchführungsabkommen zu etablieren. ({3}) Lassen Sie uns zusammen artenreiche Schutzgebiete als Rückzugsräume für Meereslebewesen erhalten. Der Schutz dieser Gebiete ist angesichts des Klimawandels und der Gefahr durch Übernutzung wichtiger denn je. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Karsten Hilse für die AfD-Fraktion. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Gestern gab es ja lautstarke Tumulte, als ich ein paar Analogien in den Mittelpunkt meiner Rede stellte. Heute lass ich es etwas ruhiger angehen; ({0}) aber nicht deshalb, weil ich zwischenzeitlich zahmer geworden bin, sondern weil der vorliegende Antrag im Großen und Ganzen unseren Einstellungen entspricht. Als konservative Partei tritt die AfD ein für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen unserer Gesellschaft bei gleichzeitiger Berücksichtigung technischer, wirtschaftlicher Anforderungen der Entwicklung Deutschlands, aber auch weltweit. Umweltpolitische Konzepte der AfD stellen unsere menschliche Gesellschaft in den Mittelpunkt, ohne aber die Abhängigkeit menschlicher Gemeinschaften von intakten natürlichen Kreisläufen zu vernachlässigen. AfD-Umweltpolitik folgt der Erkenntnis, dass das gegenwärtige wirtschaftliche Wachstum und die enorm steigende Bevölkerungsdichte in der Welt unweigerlich an den rasant wachsenden Verbrauch natürlicher Ressourcen gebunden sind. Ohne ideologische Scheuklappen suchen wir Wege, natürliche Ressourcen nachhaltig zu nutzen. Eine der wichtigsten Ressourcen unseres Planeten stellen die Ozeane in ihrer Gesamtheit dar. Die Ozeane sind komplexe Ökosysteme, Wasserspeicher, Klimaregulator und Lebensraum von Tausenden Lebensformen. Sie sind aber auch Transportweg, Rohstoff, Lagerstätte und Nahrungsmittellieferant für Milliarden von Menschen. Die weltweite Fischerei fängt pro Jahr 140 Millionen Tonnen Fisch, also durchschnittlich 20 Kilogramm je Mensch. In weiten Bereichen wie dem Mittelmeer, in Skandinavien, vor der südamerikanischen Westküste und im Chinesischen Meer sind einst reiche Fischbestände stark reduziert worden. Die riesigen Fischfangflotten und die industrielle Verarbeitung auf See erzeugen einen Druck auf die Fischbestände, dem die Regenerationsfähigkeit vieler Arten nicht gewachsen ist. Viele dieser Bestände brauchen dringend Erholung von der übermäßigen Nutzung. Fangquoten sind hilfreich bei der Schonung von geschwächten Beständen. Dorsch und Hering haben sich zum Beispiel nach deutlicher Überfischung in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts in vielen Gebieten wieder erholt. Die Erholungsphase dauerte teilweise sehr lange, zum Beispiel bei den Heringsbeständen vor Norwegen circa 20 Jahre. Bei einigen Arten sind länger anhaltende strikte Fangverbote notwendig. Je gefährdeter eine Art ist, umso länger müssen die Fangverbote rigoros durchgesetzt werden. An den sich langsam erholenden Walbeständen wird das deutlich. Leider werden häufig Fangquoten und -verbote mehr oder weniger ignoriert bzw. halblegal unterlaufen. Die ständig steigende Nachfrage der wachsenden Weltbevölkerung nach proteinhaltiger Nahrung und die Minderung der Erträge in den traditionellen Fanggebieten lenken immer mehr Fangflotten in bisher nicht bewirtschaftete Meeresregionen, zum Beispiel in die Antarktis. Dazu gehören zum Beispiel die Gebiete um das antarktische Festland. Die reichen Krill- und Fischbestände locken, die Absatzmärkte wachsen. Ökologische Belange, aber auch Ziele nachhaltiger Bewirtschaftung dürften für Fischfangflotten insbesondere aus sich stark entwickelnden Volkswirtschaften nachrangig sein. Neben dem Zweck, die biologische Artenvielfalt und einzigartige Ökosysteme zu erhalten, ist auch aus diesem Grund die Einrichtung weitflächiger Gebiete, in denen zu stark befischte bzw. bejagte Populationen geschützt sind und sich regenerieren können, anzustreben. Daher unterstützt die AfD-Fraktion die Forderung der Einrichtung eines Schutzgebietes im Weddellmeer. ({1}) Beim Lesen der weiteren Ziele fiel mir die Mahnung des Kollegen Koeppen vom gestrigen Tag ein, der anmahnte, sich realistische Ziele und einen realistischen Erfüllungsrahmen zu setzen. Mit der Ausweisung von Meeresschutzgebieten ist es aber nicht getan. Ein großes Problem – Sie sprachen es an – ist die Vermüllung. Ein großer Schritt, um die Vermüllung der Meere zu stoppen, wäre aus unserer Sicht, die Länder, die den größten Plastikeintrag in die Meere verursachen, dabei zu unterstützen, eine funktionierende Müllentsorgung und eine Recyclinginfrastruktur aufzubauen. Geld genug ist da. Das Geld müsste nur aus den auch durch Deutschland und die EU geförderten sinnlosen Klimaschutzmaßnahmen in diesen Ländern in die gerade genannten Projekte umgeleitet werden. Das wäre ein wirklicher Schutz der Umwelt. ({2}) Trotz der kleinen Mängel im Antrag werden wir diesem zustimmen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und ein schönes Wochenende. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Michael von Abercron für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Abercron (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004650, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren Gäste auf den Tribünen! Weddellmeer – wer konnte sich eigentlich etwas darunter vorstellen? Ich glaube, bei einer entsprechenden 1 000- oder 10 000-Euro-Frage wäre so manch einer gescheitert. Ich gebe zu, dass auch ich selber nicht gewusst habe, um welchen geografischen Ort es sich handelt: Liegt es irgendwo am Steinernen Meer, oder liegt es beim Steinhuder Meer? Nein, meine Damen und Herren, wir reden tatsächlich über ein Gebiet, das weit weg von uns ist, und wir haben einen Antrag vorliegen, der im Wesentlichen drei Besonderheiten hat: Er ist ein interfraktioneller Antrag, es geht um ein Gebiet – das habe ich eben schon gesagt –, das wenigen von uns geläufig ist und das die Allerwenigsten von uns jemals gesehen haben, außer im Fernsehen, und wir reden über einen Kontinent, der 14 500 Kilometer von uns entfernt und normalerweise selten Thema im Bundestag ist. Die Durchschnittstemperatur beträgt dort minus 55 Grad; es ist also relativ kalt. Das Weddellmeer liegt – jetzt machen wir ein bisschen Geografie – im nordwestlichen Teil des Kontinents Antarktika; so heißt er offiziell. Ich hoffe, dass dieses Thema, obwohl es um ein polares Gebiet geht, heute nicht polarisiert; aber ich habe das Gefühl, das tut es nicht. Ich bitte um eine breite Zustimmung zu diesem Antrag. Ich bedanke mich bei der Kollegin Frau Lemke, die unsere gemeinsame Arbeit im Hinblick auf diesen Antrag koordiniert hat. ({0}) Ziel ist es, die Bundesregierung in ihrem Bemühen zu unterstützen, dieses Gebiet als internationales Schutzgebiet einzustufen. Wir haben seine Größe gehört: Es ist fünfmal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland, 1,8 Millionen Quadratkilometer. Unser Ziel ist sehr ambitioniert, weil es dort – auch das ist sicherlich eine spannende Frage – auch Nutzungskonflikte gibt, insbesondere beim Thema Fischerei. Wozu ist der Schutz eigentlich notwendig? Wir haben schon viel über die besondere Biodiversität dieses Gebietes gehört. Es wird von Wissenschaftlern häufig mit Korallenriffen verglichen, weil es dort so viele Arten gibt. Das Besondere ist, dass es in einem Kaltgewässer liegt. Dieses Gebiet ist die zentrale Grundlage für vielfältiges Leben. Es gibt dort viele Robben, Wale, Sturmvögel und Kaiserpinguine. Für all dieses Leben ist eine Art von besonderer Bedeutung, nämlich der Krill. Wie Sie wissen, ist der Krill eine Garnelenart, etwa 6 Zentimeter groß, und er wird inzwischen leider zu einem großen Teil von großen internationalen Fangflotten aus Russland, Korea oder China gefangen. Alle mögen diesen Krill gerne. Wofür wird er gebraucht? Er wird zur Herstellung der berühmten Omega-3-Fettsäuren gebraucht, die mancher aus dem Drogeriemarkt kennt und die in der westlichen Welt gerne zu sich genommen werden. Ein anderer wichtiger Fisch dort ist der Antarktische Seehecht, der auch in den angrenzenden Gewässern vorkommt. Er soll eine große Delikatesse sein und ist inzwischen auch sehr begehrt. Die Beliebtheit bei den Fischern hat erheblich zugenommen. Inzwischen werden 30 000 Tonnen pro Jahr gefangen – zum Teil auch illegal. Diese sehr lukrative Wilderei muss gestoppt werden. Ich habe gehört, dass ein Fang von 1 500 Tonnen einen Wert von etwa 67 Millionen Euro hat. Sie sehen, mit welchen wirtschaftlichen Interessen wir es hier zu tun haben. Was noch ganz besonders ist: Die Antarktischen Seehechte können Glykoproteine herstellen. Sie kennen das Thema Glykol vielleicht noch aus einer anderen Diskussion, die wir hier hatten. Die Fische brauchen eben keinen Schnaps zu trinken, wenn es kalt ist, sondern sie können diese Glykoproteine selber herstellen. Das ist eine ganz tolle Sache. Diese Antarktischen Seehechte sind natürlich auch ein ganz wichtiger Baustein der Nahrung für die Orcawale bei deren Aufzucht. Auch daran merkt man, wie sehr das Ganze vernetzt ist. Mit einer stetig wachsenden Weltbevölkerung steigt natürlich überall der Verbrauch an Fisch und all dem – 90 Millionen Tonnen pro Jahr –, was aus dem Meer gewonnen wird. Deswegen müssen wir alles tun, um gerade auch diese Region vor Überfischung zu schützen. Vorbild für diese Unterschutzstellung ist das Rossmeer, das schon 2016 von der Internationalen Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze in der Antarktis, der 24 Mitgliedstaaten angehören, unter Schutz gestellt wurde. Das war ein guter Anfang, und ich glaube, wir wollen versuchen, dass das mit dem Weddellmeer noch weitergeht. Wenn wir das nicht schaffen würden, hätte das gravierende Auswirkungen – wir haben es gesagt – auf die Nahrungskette, auf die Biodiversität, aber auch auf diese besonderen Arten, die kälteangepasst leben und dort einen Rückzugsraum brauchen. Warum sollte die Weltgemeinschaft die Verantwortung gerade für diese abgelegene Region übernehmen? Die bisher kaum belasteten Gebiete sollten in einem möglichst natürlichen Zustand bleiben. Die Biodiversität ist unter den vorherrschenden extremen Bedingungen einmalig. Die Besonderheiten bieten auch den Forschern – auch aus Deutschland sind welche dort – einen besonderen Referenzstandort für die schwierige Klimaforschung. Unser Bundesminister Schmidt hat einmal sehr richtig gesagt: Das Meeresschutzgebiet soll allein der wissenschaftlichen Forschung vorbehalten bleiben und die internationale Kooperation auf diesem Gebiet stärken. Beides bildet die Säulen des Antarktisvertrages. Es ist unsere historische Aufgabe, einzigartige Ökosysteme wie die Antarktis zu schützen. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Insofern bin ich froh, dass wir eine Vielzahl von Forschungseinrichtungen haben, die dort tätig sind, unter anderem das Alfred-Wegener-Institut, das Forschungsschiff „Polarstern“, das gerade zurückgekommen ist, und auch die Forschungsstation Neumayer III, die in der Region forscht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, dass wir das durchkriegen und dass die 24 Mitgliedstaaten positiv entscheiden – wir brauchen hier eine Einstimmigkeit – und keine kalten Füße kriegen. Herzlichen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Hagen Reinhold für die FDP-Fraktion. ({0})

Hagen Reinhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004229, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben jetzt nach einem manchmal doch recht kontroversen und hektischen Tag eine sehr versöhnliche Stimmung bei uns im Parlament. Das freut mich natürlich umso mehr. Auch mein Dank gilt zuallererst der Kollegin Lemke, die es nicht nur geschafft hat, uns alle zusammenzuholen, ({0}) sondern auch, immer im Blick zu behalten, was die Grundlage dieses Antrages ist, nämlich die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, die nicht nur den Schutz, sondern auch die nachhaltige Nutzung unserer Meere in den Mittelpunkt stellen. Ich glaube, so ist es uns auch gelungen, einen Antrag zu entwickeln, der aufzeigt, dass uns schon bewusst ist, dass wir auf dieser Welt etwas tun müssen, dass es Gebiete gibt, die besonders sensibel sind und die wir unter Schutz stellen müssen, dass wir aber genauso im Blick behalten müssen, dass es notwendig ist, alles dafür zu tun, eine nachhaltige Nutzung der Meere zu ermöglichen, und darauf möchte ich noch einmal eingehen. Die Kollegen Träger und von Abercron haben das Wedellmeer ja schon ein bisschen vorgestellt und einen kleinen Vorgeschmack darauf gegeben, was da los ist. Ich glaube, der Kollege Träger war es, der schon gesagt hat: Die Kontrolle ist ein besonders wichtiger Punkt der Unterschutzstellung; darauf möchte auch ich hinweisen. Dafür braucht es nämlich Technologien, und zwar immer bessere Technologien. Deshalb sollten wir in Deutschland nicht nachlassen, in der Meeresforschung weiterhin weltweit führend zu bleiben. Die „Polarstern“ ist vom Kollegen gerade angesprochen worden. Mein Gott, das Schiff wurde 1982 gebaut. Ganz ehrlich: Noch ist jeder einigermaßen zufrieden damit. Aber nach so langer Zeit wird es nötig – auch für unsere Forscherinnen und Forscher vom Alfred-Wegener-Institut –, über einen Neubau nachzudenken. Dieser – viele von Ihnen wissen das sicherlich – lässt seit 2011 auf sich warten. Vor daher: Die Grundlagen dafür, dass wir diesen Antrag heute miteinander besprechen können, sind Forschungsergebnisse, die unsere qualitativ hochwertige Forschung in Deutschland geliefert hat. ({1}) Die Forscher zu unterstützen, ist bitter notwendig. Ich hoffe, dass wir genauso interfraktionell darauf hinarbeiten, Forschung und Entwicklung in Deutschland voranzutreiben. Es ist zum Schutz sensibler Gebiete notwendig, diese zu erforschen. Wir wüssten wahrscheinlich gar nicht, dass da 14 000 Tiere und viel mehr lebten, wenn es unsere Forscher nicht gäbe. Genauso müssen wir darauf hinwirken, dass wir in Zukunft eine nachhaltige Nutzung der Meere sicherstellen, indem wir Technologien entwickeln, mit denen sensible Gebiete geschützt werden können. Wir alle wissen: Auch Deutschland strebt mittlerweile in bestimmten Gebieten auf dem Meer eine Nutzung an. Da stehen Pilot Mining Tests an. All das stellt uns vor die Herausforderung, Technologien zu entwickeln, die in sensiblen Gebieten eingesetzt werden können. Diese Anstrengungen müssen wir unternehmen. Da hilft es wenig, sich über einen solchen Antrag zu freuen – das mache ich auch –, sondern es geht darum, gemeinsam im Haushaltsausschuss dafür zu sorgen, dass die Forschungsinstitute eine sinnvolle Ausstattung erhalten. Als Beispiel nenne ich den Neubau von Forschungsschiffen, was wir mit Dampf und Druck unterstützen müssen. Ein anderes Stichwort ist das Ocean Technology Center, das demnächst in Rostock aufgebaut wird. Auch sollten wir den Bau eines neuen und innovativen Forschungsstandortes der Universität in der Nähe vorantreiben. All das ist wichtig, damit wir diese nachhaltige Nutzung sicherstellen können. ({2}) Es kommt mir darauf an, zu zeigen: Wir schützen; das wollen wir. Es gibt sensible Gebiete. In diese sollte ein Forscher gerne fahren, aber kein Forscher, der wie mit einem großen Bagger etwas aus dem Boden reißen will. Gleichzeitig gibt es Gebiete, die wir in Zukunft dafür brauchen werden, unseren Wohlstand und die Ernährung der Welt zu sichern. Dafür braucht es Technologien. Wir sind Weltmeister bei diesen Technologien. Diesen Fortschritt sollten wir weiter ausbauen. Dafür ist es bitter notwendig, Forschung und Entwicklung in diesem Land voranzutreiben. Ich fordere Sie auf, interfraktionell mitzuarbeiten, wo immer es geht. Unterstützen Sie unsere Forscherinnen und Forscher. Ich glaube, dann ist dieser Ausgleich zwischen Schutz und Nutzung der Meere gut möglich. Ich bin mir sicher, dass dieses Haus auch dabei mit einer Stimme spricht. Ich fordere Sie auf, demnächst an weiteren Initiativen gemeinsam zu arbeiten, um diesem Ziel näherzukommen. Ich danke Ihnen recht herzlich. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke. ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Unsere Natur zu schützen, gerade in empfindlichen Polarregionen, ist eine Zukunftsversicherung für die Menschheit. Der Antrag zum Schutz des Weddellmeeres wird zwar von Union, SPD, FDP und Grünen eingebracht, aber mit ausgearbeitet hat ihn auch Die Linke. ({0}) Wir haben alle gemeinsam ein Interesse daran, dass die Wale vor norwegischen und japanischen Walfängern geschützt werden, dass Kreuzfahrtschiffe eben nicht den letzten Winkel des Planeten erkunden und dass nicht überall nach Rohstoffen geschürft wird. Deswegen ist es so wichtig, diesen Antrag zu unterstützen. Wir werden diesem Antrag selbstverständlich zustimmen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir alle wünschen der Bundesregierung eine gute Hand bei den Verhandlungen, damit die Unterschutzstellung des Weddellmeeres in der Antarktis beizeiten gelingt. Der Antrag wurde schon umfangreich erläutert. Ich möchte auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen. Die Temperaturerhöhungen, insbesondere in der Arktis, sorgen dafür, dass weite Gebiete zukünftig eisfrei sein werden. 2007 konnte das erste Mal ein Frachtschiff das Nordpolarmeer im Winter passieren, ohne dass ein Eisbrecher helfen musste. Es besteht in der Nordpolarmeerregion dringender Handlungsbedarf. Schon beginnen die USA, Russland, Kanada, Norwegen und Dänemark, um Einflusssphären und Außenwirtschaftszonen zu streiten. Es ist dringend geboten, zu verhindern, dass Spekulanten die Rohstoffförderung in den Meeren in Gang setzen, dass Fischfanggründe abgesteckt werden und Spediteure schon berechnen, wie die Frachtkosten nach China bzw. Asien und umgekehrt sinken werden, wenn man über das Nordpolarmeer fährt. Im Norden haben wir ein Ökosystem, das mit am empfindlichsten auf die Klimaänderung reagiert. Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, mit demselben Einsatz für Meeresschutzgebiete in der Arktis zu kämpfen. Ich hoffe, dass alle Fraktionen diesen Kampf ebenfalls unterstützen. ({2}) Es geht darum, dafür zu sorgen, dass auch Eisbären, Walrosse, Narwale und andere Tierarten überleben können. Deshalb brauchen wir internationale Schutzgebiete, die verhindern, dass im Nordpolarmeer Öl und Gas gefördert werden, dass der Kohleabbau auf Spitzbergen wieder startet und dass in Grönland eventuell Mineralstoffe abgebaut werden. Noch gibt es ein Zeitfenster. Denn wegen der derzeitigen Kälte ist es noch unwirtschaftlich, diese Rohstoffe zu gewinnen. Und solange es noch unwirtschaftlich ist, besteht eine höhere Chance, Schutzgebiete einzurichten. Deswegen sollten wir jetzt handeln – die Vertragsgestaltung ist jetzt leichter –, damit diese Gebiete auch zukünftig geschützt sein werden. ({3}) Liebe Koalition, liebe Unionistinnen und Unionisten, Die Linke hilft Ihnen erneut gern bei der Ausarbeitung eines solchen Antrages. Vielleicht lernen Sie ja mittelfristig, in Sachfragen auch mit uns zusammenzuarbeiten. Uns geht es um den Schutz der Menschen; uns geht es um den Schutz der Umwelt, damit alle Menschen – egal ob afrikanischer, amerikanischer, asiatischer, australischer, ozeanischer oder europäischer Herkunft – ein langes glückliches Leben in Gesundheit und einer intakten Umwelt führen können. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Steffi Lemke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Was macht Deutschland eigentlich in der Antarktis?“, könnte man ja fragen. Viele wissen vielleicht nicht, dass die territoriale Nutzung der Antarktis auf einen Vertrag von 1959 zurückgeht, in dem sich die Staaten, die Interessen in der Antarktis angemeldet hatten, darauf geeinigt haben, die Antarktis von wirtschaftlicher Ausbeutung und militärischer Nutzung freizuhalten. Das heißt, dass zu dieser Zeit – 1959 befinden wir uns im Kalten Krieg – international möglich war, was wir uns heute manchmal nicht mehr vorstellen können. Deshalb ist die Antarktis nicht nur in ökologischer, sondern inzwischen auch in politischer Hinsicht absolut faszinierend. ({0}) Das ist eine Verpflichtung auch für uns als Parlamentarier und Demokratinnen und Demokraten in Zeiten, in denen der Umweltschutz, der Klimaschutz, der Naturschutz und auch der Meeresschutz zunehmend unter Druck geraten und in der politischen Debatte um ihre immense Bedeutung kämpfen müssen. Hinzu kommt, dass im Meer, im Ozean die menschengemachten Probleme gerade kumulieren: sei es die Klimakatastrophe, sei es das Artensterben, sei es die Überfischung, sei es die Ausbeutung der Ressourcen, seien es die Überhitzung und Übersäuerung. Alle diese Probleme kumulieren im Meer und führen dazu, dass in der Tat ein Ökosystem, das wir alle, glaube ich, bewundern und lieben und nach dem wir uns kurz vor der Urlaubszeit sehnen, weltweit in seiner Existenz bedroht ist. Deshalb freue ich mich, dass unser Parlament heute die Kraft findet, einen interfraktionellen Antrag zu verabschieden, um der Bundesregierung in den Verhandlungen auf internationaler Ebene um das dann – wenn es zustande kommt – weltweit größte Meeresschutzgebiet Rückenwind zu geben, um sie in ihren Bemühungen zu unterstützen, dieses Meeresschutzgebiet tatsächlich durchzusetzen. Ich freue mich, dass wir uns in diesem Antrag ebenfalls gemeinsam nicht nur zu der internationalen Zielsetzung, bis 2020 weltweit 10 Prozent der Meere unter Schutz zu stellen, bekannt haben, sondern auch zu dem weitergehenden Ziel, bis 2030  30 Prozent der Meere unter Schutz zu stellen. Das deutsche Parlament nimmt sich mit diesem Beschluss heute ebenfalls vor, diese Bestrebungen zu unterstützen. Das hat, finde ich, schon eine gewisse historische Dimension. ({1}) Wichtig dabei ist aus meiner Sicht, dass dieses Meeresschutzgebiet hinterher kein Papiertiger bleiben darf. Dazu haben sich die Kollegen der anderen Fraktionen auch bekannt. Es muss ausgefüllt werden. Hierzu muss es ein Managementsystem geben. Dafür werden wir auch auf internationaler Ebene die entsprechenden Ressourcen brauchen. Es darf nicht sein, dass es zu einem Wettlauf zwischen den Staaten kommt. Das Rossmeer als im Moment weltweit größtes Meeresschutzgebiet wurde schon erwähnt. Es darf nicht sein, dass jetzt jeder Staat der größte Meeresschützer sein will, das Ganze aber als Papiertiger landet, obwohl es einmal als großer Wunsch und große Idee des Meeresschutzes entwickelt worden ist. Das wird die nächste – nicht leichte – Aufgabe sein, wenn diese Unterschutzstellung gelingt. Wenn wir das schaffen, wird es auch ein sehr starkes Signal für die Verhandlungen im Rahmen der sogenannten UNCLOS sein. Hier geht es um die Verhandlungen darüber, wie Meeresschutz auf hoher See, also in Gebieten außerhalb der Hoheitsrechte von Nationalstaaten, funktionieren kann. Dafür soll jetzt ebenfalls eine internationale Rechtsakte entwickelt werden, um dort weiterzukommen und den nächsten Schritt zu gehen. Denn wir wissen alle, dass auf hoher See einiges im Argen liegt. ({2}) Eine Anmerkung möchte ich noch machen, und zwar nicht im Sinne von Polarisieren – diese Befürchtung hatten Sie geäußert –, sondern im Sinne einer Mahnung und eines Auftrags an die Bundesregierung, schon den nationalen Meeresschutz stärker in den Fokus zu nehmen. Wer beim Meeresschutz international Vorreiter sein will, muss auch national seine Hausaufgaben machen. ({3}) Es kann nicht sein – verstehen Sie es bitte wirklich als Mahnung und als Auftrag –, dass elf Jahre nach der Ausweisung der deutschen Meeresschutzgebiete in diesen Naturschutzgebieten nach wie vor naturzerstörerische Fischerei mit Grundschleppnetzen und Stellnetzen möglich ist. Das ist ein Missstand, der beseitigt werden muss. Auch dort müssen wir vorankommen. ({4}) Frau Präsidentin, bitte gestatten Sie mir noch, mit einem Dank an die Kollegen zu enden. Die gemeinsame Arbeit an diesem Antrag hat Spaß gemacht. Vielleicht sollten wir öfter interfraktionell arbeiten. Vielen Dank für dieses gemeinsame Werk! Ich hoffe, dass wir daran anknüpfen können und es auch unseren Diskurs freundschaftlicher und besser gestaltet. Danke. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CSU/CSU hat der Kollege Dr. Klaus-Peter Schulze das Wort. ({0})

Dr. Klaus Peter Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004406, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Tribünen! Als James Cook von 1772 bis 1775 seine zweite Forschungsreise in die Antarktis machte, war der deutsche Forscher Georg Forster zusammen mit seinem Vater mit dabei. Georg Forster hat dort wissenschaftliche Grundlagen gesammelt. Später war er ein bekannter Ethnograf in Preußen. Sicherlich hat die DDR 1987 die erste deutsche Antarktisstation deshalb nach ihm benannt. Insgesamt hat Deutschland jetzt fünf Stationen in der Antarktis. Von meinen Vorrednern, insbesondere vom Kollegen der FDP, ist schon angesprochen worden, welche Rolle die Forschungsleistungen von Deutschland spielen, wenn es darum geht, dort Informationen zu sammeln. Das Weddellmeer ist als Randmeer des Südpolarmeeres nach meinen Informationen 2,8 Millionen Quadratkilometer groß. Das entspricht in etwa der achtfachen Fläche der Bundesrepublik. ({0}) Die beiden Kollegen Träger und von Abercron haben sich sicherlich auf den Schutzgebietsbereich bezogen, der vorgesehen ist, und sind deshalb auf die fünffache Fläche gekommen. Zur Artenvielfalt ist bereits einiges gesagt worden. Im Weddellmeer sind etwa 14 000 Tierarten nachgewiesen worden. Das ist eine beeindruckende Zahl – zumal wir bei der Antarktis ja immer denken: Lange kalt, viel Dunkelheit! Was soll da tatsächlich los sein? Der Mensch ist insgesamt ein seltener Gast. Höchstens die von mir schon genannten Forscher – etwa 4 000 Forscher arbeiten derzeit dort –, Fischer und zunehmend Touristen sind dort anzutreffen. Der zunehmende Schiffsverkehr führt natürlich auch dazu, dass durch die Ablagerung der Rußpartikel auf den Eis- und Schneeflächen die Reflexion der Sonnenstrahlung nicht mehr so stark ist, weshalb Gletscher schneller abschmelzen, als es ohne diesen Eingriff der Fall wäre. Wir wollen aber, dass dieses wertvolle Ökosystem erhalten bleibt. Deshalb unterstützen wir, wie es meine Vorredner schon gesagt haben, unsere Bundesregierung im Hinblick auf die Verhandlungen im Oktober dieses Jahres. Wenn es gelingt, das Weddellmeer unter Schutz zu stellen, haben wir eine Fläche von 1,8 Millionen Quadratkilometer und kämen damit zu dem größten Meeresschutzgebiet der Welt. Zurzeit sind 3,4 Prozent der Meeresfläche unter Schutz. 10 Prozent sind das Ziel, das wir in zwei Jahren erreichen wollen, und ich glaube, Frau Lemke, wir sind uns einig: Das werden wir nicht schaffen. Ob die Zielsetzung 30 Prozent im Jahr 2030 realistisch ist, würde ich auch gerne hinterfragen. Warum ist es gerade jetzt notwendig, die Schutzmaßnahmen voranzubringen? Viele Länder, beispielsweise aus Südostasien und Ostasien, sind zunehmend stärker im Weddellmeer aktiv, um Krill zu fischen. Krill enthält Omega-3-Fettsäuren, die ein sehr bekanntes Nahrungsergänzungsmittel sind. Mit der Zunahme von Weltbevölkerung und Wohlstand wird die Nachfrage danach immer größer. Inzwischen gibt es aber Möglichkeiten, Omega-3-Fettsäuren synthetisch herzustellen, oder man kann auf andere Öle ausweichen. Wir Lausitzer zum Beispiel haben mit dem Mangel überhaupt nichts zu tun. Wir essen regelmäßig Quarkkartoffeln mit Leinöl, das viele Omega-3-Fettsäuren enthält, nämlich etwa 70 Prozent. Damit haben wir also kein Problem. ({1}) Im Übrigen ist es der Gentechnik gelungen, in Raps und Leindotter die Gene der Mikroalge einzubauen. Das zeigt, dass man mit sinnvollem Einsatz – ich betone: sinnvollem Einsatz – der Grünen Gentechnik auch Ressourcenschutz betreiben kann. Das will vielleicht nicht jeder hören, aber das ist tatsächlich so. ({2}) – Ich polarisiere ja auch nicht. Ich stelle nur fest. Es ist also eine Schatzkammer auf unserer Erde. Deshalb sollten wir uns alle dafür starkmachen, dass wir a) die Unterschutzstellung schaffen und b) dann über Managementpläne das, was wir schützen wollen, entsprechend umsetzen. Auch ich möchte mich bei allen Kollegen, die an der Erarbeitung beteiligt waren, ganz herzlich bedanken. Ich will noch einmal betonen, dass die Initiative von Frau Lemke und ihren Mitarbeitern ausgegangen ist. Auch dafür noch einmal herzlichen Dank. ({3}) Ich wünsche uns allen ein schönes Wochenende und schenke Ihnen eine Minute. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die SPD-Fraktion. ({0})

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es gut, dass wir in diesen Zeiten, in denen auf allen Ebenen Uneinigkeit zutage tritt, parteiübergreifend Einigkeit demonstrieren. Die Auswirkungen einer Unterschutzstellung des Weddellmeers scheinen auf die bayerische Landtagswahl keine großen Auswirkungen zu haben. Deswegen schaffen wir es auch, hier Einigkeit zu haben. ({0}) Als Kind der Küste und als ehrenamtlicher Deichrichter einer Deichacht, in deren Gebiet rund 135 000 Menschen vor dem Meer geschützt werden, hat das Meer für mich eine ganz besondere Bedeutung. Die Gewalt des Meeres bei Sturmfluten setzt sich über alles hinweg – sprichwörtlich, aber auch tatsächlich. Immer wieder havarieren Schiffe wie zuletzt die „Glory Amsterdam“. Das Meer ist äußerst respekteinflößend. Deshalb tun wir gut daran, es zu respektieren und zu schützen. ({1}) Überall dort, wo sich der Mensch schon in die Natur eingemischt hat, müssen wir heute eine Balance zwischen dem Schutz und dem Nutzen herstellen. Wir tun dies leider viel zu oft auf Kosten der Natur. Aber in den letzten Jahren haben wir auch einiges erreicht; auch das muss gesagt werden. Die EU setzt zum Beispiel Fischfangquoten fest, die deutlich nachhaltiger sind als noch vor einigen Jahren. Wir haben mit SECA- und NECA-Gebieten die Schadstoffemissionen von Schiffen verringert. Das ist jedenfalls der theoretische Ansatz. Die Praxis darf gerne noch folgen. Wir sind also auf dem Weg, meine Damen und Herren. Auf diesem Weg wollen wir uns nun um das Weddellmeer in der Antarktis kümmern: einen Teil der Erde, der aus unserer Perspektive quasi ganz unten, aber auf jeden Fall sehr weit weg ist. Und aus der Perspektive von Alexander Gerst auf der ISS gehört das da unten auf der Erde alles zusammen. Genauso müssen wir das auch sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen; denn wenn der Meeresspiegel steigt, steigt er überall. Wenn wir im Weddellmeer Gutes tun, hat das auch positive Auswirkungen bei uns zu Hause. Im Weddellmeer bestehen – das ist ungewöhnlich – 90 Prozent der pelagischen Fische nur aus einer Art, dem Antarktischen Silberfisch. Dieser kann nur dort leben; denn seine Fortpflanzung kann nur da erfolgreich sein, wo es eine bestimmte Eisschicht gibt. Es gibt 14 000 Arten auf dem Meeresboden, von denen die allermeisten nur dort leben können. Das Weddellmeer ist zudem enorm wichtig für den Salzgehalt der globalen Tiefsee und damit auch für ihre Biodiversität. Das Weddellmeer ist also nicht nur ein Bereich irgendwo in der Antarktis, den wir schützen. Vielmehr handelt es sich ein Stück weit um globalen Schutz. Größte Teile der Biodiversität sind weitgehend unerforscht. Die Zone, in der gerade Alexander Gerst herumfliegt, ist wesentlich erforschter als die Tiefsee; dort besteht noch enormes Forschungspotenzial. Der Lebensraum ist einzigartig. Wir wollen, dass diese weitgehend unberührte Natur genauso bleibt, nämlich unberührt. ({2}) Vor zwei Jahren hat es schon einmal einen Versuch gegeben. Jetzt soll es endlich klappen. Die Bundesregierung ist zu Recht sehr engagiert in dieser Angelegenheit. Se löppt sük noch de Mors ut de Hacken; so sagt man das in Ostfriesland. Dieses Engagement wollen wir gerne unterstützen. Der von Deutschland erarbeitete Schutzgebietsvorschlag umfasst eine Fläche von rund 1,8 Millionen Quadratkilometer, fünfmal so groß wie Deutschland, das größte Meeresschutzgebiet der Erde. Ich möchte an dieser Stelle einen Dank aussprechen an unsere ehemalige Bundesministerin Barbara Hendricks, die dafür gesorgt hat, dass daraus eine europäische Initiative wird. Das gehört an dieser Stelle dazu. ({3}) Das Schutzgebiet soll ein weiterer Baustein für den umfassenden Schutz sensibler Lebensräume darstellen. Wir sind zuversichtlich, dass der Antrag im Herbst auf der Tagung in Hobart in Tasmanien eine Mehrheit finden wird, und wünschen dem Bemühen viel Erfolg. Wir jedenfalls unterstützen Sie dabei, so gut wir können. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/2985 mit dem Titel „Meeresschutzgebiet im Weddellmeer der Antarktis“. Wer stimmt für den Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist einstimmig angenommen. ({0})

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Deutschland ist Gangster’s Paradise insbesondere im Immobiliensektor. Hunderte Milliarden Euro schmutziges Geld aus Korruption, Menschen-, Waffen- und Drogenhandel oder Steuerhinterziehung der Reichen und Mächtigen werden jährlich in Deutschland gewaschen. Es geht auch um Terrorfinanzierung. Deutschland legt Justiz und Fahndern bei Vermögensabschöpfung und Steuergeheimnis Handschellen an. Ein Immobilienregister wird nach wie vor von der Bundesregierung blockiert. Die Finanzaufsicht verhängt viel zu geringe Strafen bei Verstößen von Banken gegen Geldwäschegesetze. Germany’s Next Trump-Model Markus Söder verhökerte 32 000 landeseigene Wohnungen in Bayern an zwielichtige Oligarchen der PATRIZIA AG. Auch hier besteht Verdacht auf Geldwäsche. Palermos Antimafiastaatsanwalt Roberto Scapinato sagt: „Wenn ich Mafioso wäre, würde ich in Deutschland investieren.“ Frank Buckenhofer, Vorsitzender der Bezirksgruppe Zoll der Polizeigewerkschaft, fordert eine Bundesfinanzpolizei und sagt: „Die Politik will nicht wirksam gegen Geldwäsche vorgehen.“ Sebastian ­Fiedler, Vizechef des Bundes der Kriminalbeamten, warnte prophetisch vor Schaffung der neuen Geldwäscheeinheit beim Zoll, der Financial Intelligence Unit, kurz: FIU, dass es zu massiven Verschlechterungen in der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung kommen werde. Heute spricht Fiedler von einer „sicherheitspolitischen Katastrophe“. ({0}) Ich deckte per Anfrage auf, dass sich bei der FIU zwischenzeitlich 30 000 Geldwäscheverdachtsmeldungen stapelten; fast 80 Prozent aller eingegangenen Meldungen waren unbearbeitet. Aktuell sind es noch immer 38 Prozent, nachdem die Bundesregierung versprochen hatte, den Rückstand bis zum 1. April 2018 abgearbeitet zu haben. Das war dann wohl doch eher ein Aprilscherz. ({1}) Aber es zählt nicht nur Quantität, sondern auch Qualität. Gestern schmiss FIU-Chef Andreas Bardong seinen Job hin. Aber der Fisch stinkt vom Kopf her. Die Politik trägt Verantwortung für das Geldwäschechaos, und Finanzminister Olaf Scholz muss das jetzt zur Chefsache machen. ({2}) Beim BKA und den Landeskriminalämtern waren etwa 300 Beamte mit kriminalistischer Erfahrung für Geldwäsche zuständig, bei der FIU sind es bisher nur gut 100. Geldwäscheverdachtsmeldungen wurden dabei auch durch Langzeitarbeitslose bearbeitet und per Fax übermittelt. Nun hat das Finanzministerium 475 Stellen bei der FIU versprochen. Das ist gut. Aber wie schrieb mir Sebastian Fiedler dazu heute früh? Es bleibt beim Opernglas zur Erforschung des Weltraums. Nun gibt es mehr Leute mit Operngläsern! ({3}) Warum? Dem Zoll fehlen Beamte mit Ermittlungserfahrungen und der Zugang zu relevanten polizeilichen Datenbanken. Auch die beste IT ersetzt keine kriminalistische Spürnase. Laut Geldwäschegesetz soll zwar ein Datenabgleich mit dem BKA erfolgen; aber es lässt sich in den Datenbanken nicht selbstständig recherchieren. Uns wurde im Finanzausschuss von Experten geschildert, dass potenziell kriminelles Geld vielfach nicht festgesetzt wurde, weil die FIU Fristen nicht halten konnte. Wir haben nun gemeinsam mit Experten einen Antrag erarbeitet, der das EU-rechtswidrige Chaos bei der Geldwäschebekämpfung beenden, die FIU mit den analytischen Fähigkeiten ausstatten soll, die sie benötigt, und die Expertise der Landeskriminalämter wieder einbezieht. Und nun eine Überraschung für die schlecht gelaunten Gesichter bei der SPD: Unser Antrag basiert auf einer Initiative der SPD-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen. ({4}) Nun bin ich lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass Sie einem Antrag der Linksfraktion nicht zustimmen werden; aber mir geht es um die Sache. Wie wäre es, Sie schreiben den Antrag einfach ab und „Koalitionsfraktionen“ darüber? Meine Fraktion wird ganz uneitel zustimmen; denn uns geht es darum, kriminelles Geld in Deutschland auszutrocknen und die Sicherheitsrisiken abzuwenden. Um mit Marlon Brando in „Der Pate“ zu sprechen: Ich finde, dies ist „ein Angebot, das Sie nicht ablehnen können“. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Sepp Müller für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Gut, dass wir zur Kaffeezeit am Freitagnachmittag über das spannende Thema Geldwäsche im Bundestag reden, gut, dass die Linken bei der Bekämpfung der Geldwäsche richtig Gas geben möchten; schlecht nur: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Hätte Die Linke diesen Ehrgeiz bei der Aufklärung der Geldwäsche nicht vor Jahren schon selbst zeigen können? Lieber Kollege De Masi, ich schätze Sie persönlich sehr, auch in der Sache, auch im Hinblick auf Ihre kritischen Nachfragen. Die Erläuterungen dazu teile ich in der Regel nicht. Aber wieso klärt Ihre Partei nicht selbst bei der Geldwäsche auf? Wie scheinheilig ist das denn, wenn die Linksfraktion heute einen Antrag zur Geldwäsche einbringt, ({0}) obwohl vor ein paar Tagen aus gewaschenem SED-Vermögen 185 Millionen Euro ausgeschüttet wurden? ({1}) Liebe Kollegen der Linken, auch wenn das wehtut, muss das gesagt werden: Ihre Vorgängerparteien, SED und PDS, haben Millionen Euro ins Ausland gebracht und wollten diese waschen. Mit Ihrem Antrag wollen Sie den Bock zum Gärtner machen. ({2}) Es sitzen heute noch Genossen in Ihren Reihen, die damals Verantwortung getragen haben. ({3}) Wieso übernehmen Sie nicht jetzt die Verantwortung und sagen uns endlich, wo Ihre Millionen an gewaschenem Vermögen versteckt sind? ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Müller, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Klaus Ernst?

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Also, Herr Sepp Müller, ich habe den Eindruck, Sie haben das Thema total verfehlt. ({0}) Wenn Sie ideologische Kampfreden halten wollen, dann gehen Sie doch in ein Bierzelt zur CSU; da können Sie das vielleicht sehr gut machen. ({1}) Gegenwärtig geht es darum, dass Sie mit dem, was Sie hier treiben, mit Ihren Aussagen, genau die Geldwäscher schützen, die wir gerade an den Pranger stellen. ({2}) Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie hier machen? Wenn Sie in dieser Art und Weise weitermachen, dann sieht wenigstens das geneigte Publikum, welche Rolle Sie von der CDU/CSU in diesem Zusammenhang spielen, nämlich: Sie sind Schutzpatron der Verbrecher, die mit Geldwäsche ihr Geschäft machen; das will ich Ihnen mal sagen. ({3})

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Ernst, das gibt mir die Möglichkeit, mit einem Irrglauben aufzuräumen. Ich bin selber aus den neuen Ländern, in der wunderschönen Lutherstadt Wittenberg geboren. Schauen Sie, die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben hat erst 20 Jahre nach der Wende die ersten 230 Millionen Euro an gewaschenem Geld aus SED-Vermögen reingeholt. Dieses Geld steht den Menschen in den neuen Ländern zu. Es wäre schön, wenn Ihre Partei zur Aufklärung beitragen würde, damit meine Geistigbehindertenschule im Wahlkreis endlich gebaut werden kann. ({0}) Sie schützen nämlich diejenigen, die gewaschen haben, und nicht wir. ({1}) Wir sind dafür, aufzuklären. Arbeiten Sie mit! Sie sind herzlich dazu eingeladen. Ich würde mich freuen, wenn Sie endlich Ross und Reiter nennen, wenn diejenigen, die wissen, wo das Geld gewaschen wurde, das sagen. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Müller, kleinen Moment! – Fürs Erste hat der Kollege Müller überwiegend das Wort. Aber die Uhr ist noch angehalten. ({0}) Ich sage gleich vorsorglich: Sollte der Kollege Müller noch eine Frage oder Bemerkung zulassen, ist das die letzte im Rahmen dieses Redebeitrags, weil wir gehalten sind, die verabredeten Redezeiten einzuhalten. Gestatten Sie noch eine Bemerkung oder Frage der Kollegin Paus?

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank. – Herr Müller, Sie liegen vielleicht gar nicht falsch, wenn Sie darauf hinweisen, dass es sein könnte, dass das Geldwäscheproblem in Deutschland – das BKA schätzt: 100 Milliarden Euro werden jedes Jahr in Deutschland gewaschen und nicht entdeckt – vielleicht etwas damit zu tun hat, dass es auch Geldwäsche bei den Parteien gegeben hat und gibt. Deswegen würde mich in diesem Zusammenhang auch etwas interessieren. Sie haben nicht völlig unrecht, was die SED/PDS/Linkspartei angeht. Da wüsste ich auch gern noch das eine oder andere. Aber ich wüsste auch gern was zur CDU. Da ist es ja nun mal so gewesen: Es gab einen Walther Leisler Kiep. Es gab einen Helmut Kohl, der sein Ehrenwort gegeben hat und die Information darüber, wer es gewesen ist, mit ins Grab genommen hat. Es gab einen Herrn Koch, der gesagt hat, er habe das Geld sozusagen aus jüdischen Vermächtnissen bekommen. All diese Dinge hat es gegeben. Der versuchte Kampf der Finanzbeamten in Hessen gegen Geldwäsche hat unter anderem dazu geführt, dass es Mobbing gegeben hat, dass Finanzbeamte aus der hessischen Finanzverwaltung rausgegrault worden sind. Also, wie sieht es aus mit dem Kampf gegen die Geldwäsche der CDU? Sind Sie hier und heute bereit, mir zu sagen, dass es jetzt doch endlich mal einen gemeinsamen Kampf geben sollte und dass wir damit aufhören müssen, sonntags über Geldwäsche zu reden, aber im Alltag alles dafür zu tun, dass Geldwäsche in Deutschland weiterhin unbemerkt bleibt? ({0})

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Paus, herzlichen Dank. – Heute ist nicht Sonntag, sondern Freitag zur Kaffeezeit, und da bleiben wir auch bei den Realitäten, dass die CDU zu Recht dementsprechend abgestraft wurde. Wir bleiben auch bei den Realitäten, dass danach das Parteiengesetz gestrafft wurde. Wir bleiben auch bei den Realitäten, dass die Verantwortlichen, die ermittelt wurden, zur Rechenschaft gezogen wurden. ({0}) Deswegen ist Deutschland – anders als Sie mit Ihrer Frage suggerieren – kein Geldwäscheland; das will ich hier noch mal klar und deutlich sagen. Wir haben aufgeklärt, und wir stehen weiterhin zur Verfügung, um weiter aufzuklären. Herzliche Einladung dazu! ({1}) Kommen wir doch zum Inhalt Ihres Antrages, liebe Linken. ({2}) Seit knapp einem Jahr gilt die Vierte Geldwäscherichtlinie in diesem Land, und seit knapp einem Jahr arbeitet die FIU; das ist die Stelle, die für die Geldwäscheverdachtsmeldungen zuständig ist. Ja, Sie haben recht: Es gibt strukturelle Probleme, die aber sicherlich normal sind, wenn eine Behörde anfängt, zu arbeiten. Und glauben Sie mir: Als Berichterstatter habe ich da auch schon sehr kritisch nachgefragt. Ich will jetzt nicht sagen, dass das zur Folge hatte, dass der Verantwortliche gehen musste – das nicht –, aber wir stehen zu unserer Verantwortung. Forderung 1 a in Ihrem Antrag ist, Sofortmaßnahmen zu ergreifen, um einen reibungslosen Ablauf der Bearbeitung und Weiterleitung von Geldwäscheverdachtsmeldungen zu gewährleisten. Was sollen denn das für Sofortmaßnahmen sein? Die Bundesregierung hat veranlasst, dass die Zahl der Mitarbeiter in der FIU im letzten Jahr auf 50 erhöht wurde. Im Korridor sind jetzt 475 Beschäftigte vorgesehen. Die Bundesregierung hat mit Unterstützung der Fraktionen auch eine Softwarelösung eingeführt. Das sind Sofortmaßnahmen, die dazu führen – auch jetzt, nachdem wir festgestellt haben, dass mehr Geldwäscheverdachtsmeldungen kommen –, dass ein Abschmelzen der in Bearbeitung befindlichen Fälle stattfindet. Forderung 1 b: Der derzeitige Rückstau bei der Bearbeitung soll unverzüglich abgebaut werden. – Welchen Rückstau meinen Sie denn? Sie sagten, es gibt 30 000 unbearbeitete Fälle. ({3}) Wenn Sie die Antwort durchlesen, die Sie von Staatssekretärin Lambrecht bekommen haben, die gerade vertreten wird, ({4}) dann wissen Sie, dass es über 30 000 in Bearbeitung befindliche Fälle gibt. Das heißt, die Erstbewertung ist abgeschlossen. Eventuelle terroristische Risiken wurden den LKAs gemeldet. Dann frage ich Sie tatsächlich: Wo ist denn der Rückstau bei der Bearbeitung? Bleiben Sie da bitte ehrlich. Dann fordern Sie – zweitens – die Bundesregierung auf, den Finanzausschuss und den Innenausschuss laufend über den Fortschritt zu unterrichten. Ich weiß, dass Sie das mit Ihren Fragen sowieso erreichen, Herr De Masi von den Linken. Aber was wollen Sie denn jetzt? Wollen Sie, dass die Behörde arbeitet, oder wollen Sie eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Behörde, damit sie jederzeit unsere Fragen beantwortet und uns den aktuellen Bearbeitungsstand meldet? ({5}) Mit uns als Union wird es keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die FIU geben. Wir wollen, dass die Beamtinnen und Beamten dort ihre Arbeit machen, und das machen sie richtig gut. Die Zahl der unbearbeiteten Fälle nimmt auch ab. Das heißt für uns: Wir unterstützen die FIU weiterhin dabei, ihre Arbeit zu machen. Das sollte auch mal in dieser Klarheit hier gesagt werden. ({6}) Sie fordern in Ihrem Antrag – drittens –, eine Reform des Rechtsrahmens der Geldwäschebekämpfung zeitnah einzuleiten. Ist Ihnen entgangen, dass die Fünfte Geldwäscherichtlinie vor der Tür steht? ({7}) Wenn solche Schaufensteranträge weiterhin zur Kaffeezeit eingebracht werden, ist das ja auch schön für das Publikum, um einfach mal mitzukriegen, wie hier mit diesem Parlament umgegangen wird. ({8}) Aber solche Debatten brauchen wir nicht, weil es bereits die ersten Berichterstattergespräche zur Fünften Geldwäscherichtlinie gibt. Wenn Sie sich daran beteiligen möchten, Herr De Masi, sind Sie herzlich dazu eingeladen, hier Reformen im Rechtsrahmen für die Geldwäschebekämpfung einzuführen. ({9}) In diese Debatte bringen wir uns als Union gerne sachlich ein, und zwar mit folgenden Diskussionspunkten und Fragestellungen: Benötigen wir zukünftig Schwellenwerte, um einen Verdacht zu melden? Müssen die Geldwäschebeauftragten als einzige Beauftragte in Kreditinstituten persönlich haftbar sein, ist das weiterhin notwendig? Aktuell läuft es nach dem Motto: Melden macht frei. – Jeder Tatbestand wird gemeldet. Übrigens finden sich auch die Mehrfachmeldungen in der Statistik, die Sie abgefragt haben. Auch das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Wie lange wollen wir noch aus sogenannten Datenschutzgründen darauf verzichten – Sie haben das richtigerweise angesprochen –, automatisch auf lokale Polizeidaten zugreifen zu können? Das Stichwort „Polizei 2020“ spielt hier eine große Rolle. Wir müssen uns tatsächlich darüber unterhalten, wie schnell auch die FIU auf die Polizeidaten vor Ort zugreifen können soll. Wo soll die neue, große Behörde, die auf 475 Angestellte anwächst, untergebracht werden? Wir verstehen es im Geiste des Koalitionsvertrages so – Stichwort „Dezentralisierungsstrategie“ –, dass die Standorte dezentral in Deutschland, insbesondere im ländlichen Raum, untergebracht werden. Das verbessert unserer Meinung nach die Kommunikation und Akzeptanz der neugeschaffenen Behörde. ({10}) Was werden wir in der nahen Zukunft erleben? Wenn die Anlaufschwierigkeiten, die es tatsächlich gibt und die wir auch zu Recht kritisieren, durch die bereits besprochenen Maßnahmen, die eingeleitet wurden – mehr Personal, bessere Softwarelösungen, mehr Vernetzung; endlich ist es auch online möglich, einen Verdachtsfall zu melden –, behoben sind, dann werden auf die Länder deutlich mehr Geldwäscheanzeigen bei den Landeskriminalämtern zukommen. Es ist richtig, dass im Vorgriff die unionsgeführten Bundesländer den Personalbestand bei der Polizei und beim LKA signifikant erhöht haben. ({11}) Es ist aber kontraproduktiv, wenn Die Linke in Thüringen seit Jahren Personal bei den Sicherheitsbehörden abbaut. Sprechen Sie doch mit Ihrem Kollegen Herrn Ramelow. ({12}) Es ist kontraproduktiv, wenn der rot-rot-grüne Senat in Berlin über 500 Abgänge bei der Polizei beschließt. Dann schaffen wir es nämlich nicht, dass in den Landeskriminalämtern die Geldwäsche bekämpft werden kann. ({13}) – Durch die Zwischenrufe wird Ihre falsche Aussage auch nicht richtiger. ({14}) Es ist tatsächlich so, dass 500 Abgänge bei der Polizei bis 2021 beschlossen sind. Da sollten Sie sich in der Tat ganz ehrlich machen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Müller, auch wenn offensichtlich großer Debattenbedarf besteht: Ihre Redezeit ist schon weit überschritten. Ich bitte, einen Punkt zu setzen. ({0})

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Punkt kommt. – Liebe Kollegen der Linken, wir lehnen Ihren Schaufensterantrag ab. Kehren Sie lieber selbst vor Ihrer eigenen Tür. Da haben Sie genügend Dreck. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Stefan Keuter für die AfD-Fraktion. ({0})

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Werte Zuschauer hier im Saal, an den Fernsehgeräten und in den sozialen Medien! Der Antrag der Fraktion der Linken birgt eine gewisse Form des Humors; aber dazu kommen wir später. Ich hätte nicht gedacht, dass mich heute, an einem Freitagnachmittag, ein Kollege von der CSU so zur Zustimmung treibt. ({0}) Vielen Dank, Sie haben mir aus dem Herzen gesprochen. ({1}) Nicht, dass wir uns hier falsch verstehen: Die AfD unterstützt selbstverständlich jedwede Form des Kampfes gegen Geldwäsche und Terrorfinanzierung. Allerdings verwundert es uns ganz schwer, dass gerade die Nachfolgepartei der SED, Die Linke, jetzt meint, hier so aufs Gaspedal treten zu müssen. ({2}) – Sparen Sie sich erst mal Ihre Zwischenrufe. Sie sitzen hier noch nicht mal mit zehn Leuten und bringen einen Antrag ein. Erst mal ruhig sein, zuhören. Da kommen wir gleich zu. ({3}) Liebe Genossinnen und Genossen, wie war das noch mit der Verschiebung dreistelliger Millionenbeträge – Geld, das zu Wendezeiten durch Ihre Vorgängerin verschoben worden ist, vornehmlich in die Schweiz? Gut, es ist dann tranchenweise nach mehreren Gerichtsurteilen zurückgeflossen; es fehlt immer noch was. Ich würde von Ihnen eine Zwischenfrage zulassen, ({4}) wenn Sie die stellen wollten, aber nur, wenn Sie uns verraten, wo das Geld geblieben ist. ({5}) Das, liebe Genossinnen und Genossen, was Sie hier veranstalten, ist genau unser Humor. ({6}) Wir als AfD haben im Namen unserer Bürger großes Interesse daran, dass organisierte Kriminalität, Geldwäsche und Terrorismus bekämpft werden. Aber, liebe Genossinnen und Genossen, ({7}) das funktioniert nicht, wenn wir uns hier an einem Freitagnachmittag hinstellen, einen abgedroschenen Antrag bringen mit einem Inhalt, der eh schon geltendes Recht ist, noch mal draufhauen und sagen: Wir müssen dringend Maßnahmen ergreifen. – Das ist linke Polemik, meine Damen und Herren. ({8}) Terrorismus und Geldwäsche bekämpft man in erster Linie dadurch, dass man auf seine Grenzen aufpasst, dass man überlegt, wen man ins Land lässt. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Keuter, ich habe Ihre Uhr angehalten. – Fürs Erste bitte ich mal um Ruhe. – Gestatten Sie eine Bemerkung oder Frage des Abgeordneten De Masi?

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Wenn er uns sagt, wo das Geld geblieben ist, ja, ansonsten nein. Herr De Masi, wir werden uns im Ausschuss noch ausgiebig damit beschäftigen. Dort haben Sie dann nicht die große Bühne wie hier, die große Schaufensterpolitik zu betreiben. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Also ja oder nein?

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Nein. – Danke. Wer ablehnt, dass wir auf unsere Grenzen aufpassen, der öffnet förmlich Kriminalität Tür und Tor. ({0}) Erinnern Sie sich, liebe Genossinnen und Genossen: Es waren Ihre Vorväter, die damals die Grenzen verbarrikadiert haben, die nichts und niemanden hinein, aber auch niemanden rausgelassen haben. ({1}) Das ist offensichtlich Ihr Humor. Sicher ist es richtig, dass die Behörden den Verdachtsmeldungen der Banken und anderer Stellen nachgehen müssen. Mit der Androhung von Gefängnisstrafen, hohen Sanktionen für die zuständigen Mitarbeiter in den Banken provoziert man allerdings nur zusätzliche Verdachtsmeldungen, und wir lösen hiermit eine Flut aus, die mit Sicherheit vom Gesetzgeber nicht gewollt ist. Wir haben es eben schon von Herrn Müller gehört: „Melden macht frei“, genauso funktioniert das hier. Die Relevanz dieser Meldungen ist häufig gering und hat überhaupt keine zielführende Bedeutung. Wir sind beim Thema Massenvorfälle. Die manuelle Bearbeitung dieser Massenvorfälle, deren Relevanz – wir haben es schon gehört – in den allermeisten Fällen eher gering ist, kann niemals effektiv sein. Damit haben Ihre Altvorderen offensichtlich Erfahrung: Ende der 80er-Jahre gab es, liebe Genossinnen und Genossen, in der DDR ({2}) schon mal Massenvorfälle. Sie wollen eine im Moment noch suboptimal funktionierende Bürokratie mit noch mehr Bürokratie bekämpfen. Das ist offensichtlich Ihre linke Ideologie. ({3}) Denken wir mal an unser Umfeld: Wo findet Geldwäsche statt? Stellen Sie sich eine Innenstadt Ihres Beliebens vor: Wettbüros, Call Shops, Spielhallen, Dönerläden reihen sich in Unmenge nebeneinander. Da fragt man sich: Wie kann so etwas funktionieren? ({4}) Natürlich gibt es jede Menge ehrlicher Betriebe; aber es ist tatsächlich so, dass hier arbeitstäglich häufig kleinere Bargeldtranchen auf Geschäftskonten eingezahlt werden. Das führt zu keinen Kontrollmeldungen. Wie sagt man im Ruhrgebiet: Und sauber ist die Kohle. – Da muss man ran. Aber nicht mit Ihrer pseudokulturellen Duldungsstarre, sondern da muss man mit harter Hand rangehen. Ich spreche das Thema Schrottimmobilien an, wieder so ein Thema, wo Sie meinen, Ihre Ideologie verbreiten zu können. Hier holen sich Menschen, bei denen die Umsätze nicht so laufen, unsere Wohltaten ab. Dagegen muss man vorgehen. Wir werden natürlich der Überweisung in den Ausschuss zustimmen. Da werden wir Ihnen, Herr De Masi, in der Praxis noch mal erklären, was hier tatsächlich passieren muss. Mir bleibt an dieser Stelle nur noch, Ihnen ein schönes Wochenende zu wünschen und der AfD einen erfolgreichen Bundesparteitag in Augsburg. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ganz so weit ist es noch nicht. Wir haben noch eine Tagesordnung abzuarbeiten. Zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete De Masi das Wort. Ich weise allerdings darauf hin – das gilt für alle nachfolgenden Rednerinnen und Redner und auch für den nachfolgenden Tagesordnungspunkt –: Wir haben eine verabredete Debatten- und Redezeit. Ich bitte darum, auch zu schauen, dass wir nicht die Redezeiten durch Bemerkungen, Zwischenfragen und anderes verdoppeln, auch darüber haben wir im Ältestenrat gesprochen. ({0}) Herr De Masi, Sie haben das Wort.

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bedaure es ja außerordentlich, dass ich jetzt Ihre Redezeit noch mal verlängere. Ich bin im Unterschied zu Ihnen in der Lage, für das viele Geld, das ich verdiene, auch freitagnachmittags noch zu arbeiten. Sie sprachen davon, dass hier linke Ideologien verbreitet werden. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass ich selbstverständlich meine Hausaufgaben gemacht habe und diesen Antrag unter anderem mit dem Bund Deutscher Kriminalbeamter und der Deutschen Polizeigewerkschaft vorbereitet habe. Ich frage Sie, ob unsere Strafermittler in Deutschland täglich linke Ideologien verbreiten. Wenn Sie mir jetzt noch erklären, wo Frau Weidel ihr Geld versteuert, zum Beispiel in der Schweiz, ({0}) dann erkläre ich Ihnen, was mit irgendwelchen Geldern passiert ist. Ich möchte Sie nur darauf hinweisen, dass ich im Unterschied zu Frau Weidel meine Steuererklärung im Internet veröffentliche. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr De Masi, vielen Dank für Ihre Kurzintervention. Für jede Verlängerung der Redezeit sind wir natürlich dankbar, auch wenn es freitagnachmittags ist. Ich sage mal, wir hatten von den Linken eigentlich nichts anderes erwartet als linke Polemik, wenn wir über Steuererklärungen reden. Solange hier keine Steuerstraftaten vorliegen, bedarf es auch keiner Veröffentlichung. Dafür haben wir ein Steuergeheimnis in Deutschland. Wir reden hier über schwere Straftaten. Dass Sie sich erdreisten, hier aufzustehen für die Linke und uns nicht mal erklären wollen, wo das Geld geblieben ist, ist schon ein starkes Stück. ({0}) Ich möchte Ihnen keine weitere Plattform bieten. Wir sind auf Ihren Antrag ausgiebig eingegangen. Wir reden im Ausschuss miteinander, und dann schauen wir weiter. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens Zimmermann für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Jens Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004603, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich bitte zu Beginn sagen: Dieses Thema ist wirklich viel zu wichtig, als dass ihm diese unwürdige Debatte, die wir gerade erlebt haben, auch nur annähernd gerecht werden würde. ({0}) Das muss man leider in verschiedene Richtungen sagen. Allerdings sollte eine Partei, die in ihrem Partei-Shop Gold verkauft, beim Thema Geldwäsche vielleicht ein bisschen vorsichtig sein. ({1}) Das sind bestimmt tolle Erinnerungen, und das gibt es bestimmt auch auf Ihrem Parteitag; aber der eine oder andere hat da Bedenken. Lassen Sie uns auf die Financial Intelligence Unit schauen. Was ist da in den letzten Monaten passiert? Ja, es gibt nichts schönzureden: Bei der Umstellung gab es Probleme. Es wurden Fehler gemacht; es sind Meldungen aufgelaufen. Das bestreitet niemand; das bestreitet auch die Bundesregierung nicht. Wir hatten dazu im Finanzausschuss eine Anhörung. Ich glaube, es ist eigentlich relativ klar, wo die Fehler lagen und was zu tun ist. Sie sind zu einem großen Teil bereits abgestellt worden. ({2}) Das ist erst einmal der richtige Weg. Ich will aber schon eines in Ihre Richtung sagen, Herr Kollege De Masi: Dafür, dass Sie an der Geldwäscherichtlinie im Europäischen Parlament mitgearbeitet haben, ist mir das, was Sie abliefern, ein bisschen zu wenig. Wir haben 2020 die nächste Länderprüfung durch die Financial Action Task Force. Aus der letzten Länderprüfung ging die Reorganisation der Financial Intelligence Unit als eine zentrale Forderung hervor. Man hat gesagt: So, wie das in Deutschland organisiert ist, ist es nicht zielführend. Ich kann verstehen – ich stehe mit den Gewerkschaften genauso wie Sie in Kontakt –, dass das nicht überall auf Freude stößt. Reorganisationen bringen immer viele Probleme mit sich, egal wo sie vorgenommen werden. Aber – das kann ich für die SPD-Fraktion sagen – das war ein notwendiger Schritt, und jetzt geht es darum, diesen, so gut es geht, zu machen. ({3}) Ich kann sagen: Die aufgelaufenen Verdachtsmeldungen sind zu einem großen Teil abgearbeitet. Ich bin mir sicher, dass sie, wie angekündigt, bis Mitte Juli komplett bearbeitet sind. Wir haben uns in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses darauf geeinigt, dass es 172 zusätzliche Stellen für die Financial Intelligence Unit geben soll; auch das ist die richtige Maßnahme. Wir müssen aber auch weiter nach vorne schauen. Wir müssen uns anschauen, was die Länder machen; denn sie sind unsere eigentliche Achillesferse. Es ist relativ egal, ob ich nach Thüringen, Bayern oder Hessen schaue. Die Länder machen da momentan nach wie vor keine gute Figur. Mich ärgert, dass durch die Konzentration auf dieses Problem bei der Financial Intelligence Unit der Fokus in der Debatte verloren geht. Es ist ein Baustein von vielen. Daran müssen wir arbeiten; das ist überhaupt keine Frage. Aber wir haben noch jede Menge andere Baustellen. ({4}) Deswegen greift das Daraufherumreiten – ich kann verstehen, dass Sie diesen Ball aufnehmen – zu kurz. Wenn man in Ihren Antrag hineinschaut, stellt man fest, dass es ja relativ überschaubar ist, was Sie von der Bundesregierung fordern. Sie fordern, dass die Abläufe ordentlich organisiert werden. Dass das passieren wird, hat uns, glaube ich, die FIU erklärt. Das wird geschehen. Der Rückstau soll aufgearbeitet werden. Ich habe eben gesagt: Bis Mitte Juli wird das der Fall sein. Sie fordern mehr Stellen. Der Haushaltsschuss schlägt die Schaffung von 172 neuen Stellen vor. Sie wollen, dass der Finanzausschuss unterrichtet wird. Wir hatten bereits eine Anhörung und haben das Thema mehrfach unter dem Tagesordnungspunkt „Aktuelles“ diskutiert. Das hat also stattgefunden. Außerdem wollen Sie, dass die Vorgaben der Vierten Geldwäscherichtlinie umgesetzt werden. Sie haben eben selbst gesagt: Sie hätten an der Fünften Richtlinie mitgearbeitet. Die Umsetzung der Vierten Geldwäscherichtlinie haben wir im Deutschen Bundestag bereits beschlossen. Aber – der Kollege Sepp Müller hat das schon angesprochen – wir werden natürlich auch die weiteren europäischen Vorgaben der Geldwäschebekämpfung hier umsetzen. Also bleibt mir am Ende des Tages nur, sachlich und ohne Schaum vor dem Mund zu sagen: Wir können Ihren Antrag für erledigt erklären. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Markus Herbrand für die FDP-Fraktion. ({0})

Markus Herbrand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004745, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich mache es jetzt mal andersherum, Herr De Masi – wenn es so ist, dass man die Linken unterstützen kann, dann wollen wir es auch sagen –: Der Antrag verdient auch liberale Unterstützung, jedenfalls was die Stoßrichtung dieses Antrags angeht. ({0}) Denn auch wir Liberalen wollen einen funktionierenden Rechtsstaat. Mit aller notwendigen Härte müssen wir Geldwäsche, Wirtschaftskriminalität und jeder Art von Terror, ob von rechts oder von links oder aus islamistischer Richtung, entgegentreten. Deshalb müssen wir dringend die Finanzierungstümpel dieser Verbrecher austrocknen. Dabei könnte die FIU wertvolle Arbeit leisten. Diese inzwischen ja beim Zoll angesiedelte Behörde soll maßgeblich dazu beitragen, dass ebendies gelingt. Im Fachgespräch des Fachausschusses zu diesem Thema wurde unmissverständlich deutlich – das kann wirklich niemand bezweifeln –, dass diese Einheit in alarmierender Weise geschwächt ist, um nicht zu sagen: Sie ist kaum arbeitsfähig – jedenfalls gewesen. ({1}) Durch die von der Bundesregierung vorgenommenen Änderungen in der Organisationsstruktur – es hat ja unter anderem auch den Wechsel vom Innenministerium zum Zoll gegeben – wurde eine Einheit mit unzureichenden Kompetenzen und überforderten, weil zu wenigen Mitarbeitern geschaffen – wahrscheinlich noch nicht einmal in böser Absicht. Aber nichts muss sich Politik so sehr vorwerfen lassen, als sehenden Auges in eine Katastrophe zu steuern. Hier wurden die Augen verschlossen vor dem, was ansonsten leicht erkennbar gewesen wäre. ({2}) Die FIU ist von der Bundesregierung stiefmütterlich behandelt worden. Chaotische Zustände von Beginn an sorgten dafür, dass auch heute noch nicht das notwendige Personal bereitgestellt ist. Auch hätte man eigentlich erkennen können, dass die Software nach der Verlagerung der FIU zum Zoll nicht schnell genug einsatzbereit sein würde. Im Ergebnis stapelten sich dann bei der FIU die Verdachtsmeldungen sehr schnell zu wirklich unüberschaubaren Türmen. Und deswegen kommen diese dann zu spät bei den zuständigen Stellen der Strafverfolgungsbehörden an. In der Praxis, liebe Kolleginnen und Kollegen, sieht das dann so aus, dass Geldtransfers, mit denen möglicherweise internationale Terrortruppen finanziert werden, nicht mehr gestoppt werden können. Damit das klar ist: Wir sprechen hier von Meldungen, die von der Natur der Sache her zeitnah und mit ganz großer Sorgfalt bearbeitet werden müssen; sonst kann man darauf auch verzichten, Herr Kollege Zimmermann. Es nutzt nichts, wenn man das in monatelanger Arbeit verrichtet. Das muss zeitnah geschehen. ({3}) So jedenfalls – das sollte klar sein – kann Geldwäsche und Terrorfinanzierung nicht angemessen und auch nicht wirksam bekämpft werden. Da lachen im Grunde genommen die Gauner die Behörden aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Folgen dieses eklatanten Politikversagens der Koalition sind alarmierend; denn es geht hierbei neben den Fragen der Steuergerechtigkeit und Ernsthaftigkeit bei der Bekämpfung des Terrorismus letzten Endes auch um Fragen innerer Sicherheit unseres Landes. Spätestens dann, wenn die OECD 2020/2021 den Stand der Geldwäschebekämpfung in Deutschland überprüft, wird es ein böses Erwachen geben. Wir sollten nicht so lange warten, wir sollten hier aktiv werden. Herr De Masi, im Ziel sind wir also vereint. Die Bekämpfung dieser Kriminalität muss auf stabilen Füßen stehen. Was nicht in Ihrem Antrag steht, uns auch voneinander trennt, sind die Mittel, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen. So sprechen wir uns beispielsweise jetzt schon gegen unverhältnismäßige Doppelstrukturen und auch gegen nicht zielführende Register aus. Wir sind auch nicht davon überzeugt, dass jede Meldung wirklich notwendig ist; das hat auch der Kollege der AfD gesagt. Das werden wir in den Fachberatungen des Ausschusses aber miteinander vertiefen. Ich kann Ihnen versprechen, dass wir ganz genau darauf achten werden, dass die Eingriffe in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger im Verhältnis zu dem damit verbundenen Ziel stehen. Der Zweck heiligt auch hier nicht alle Mittel. ({4}) Der Überweisung werden wir zustimmen. Auf die dringend erforderliche nähere Auseinandersetzung im Finanzausschuss freuen wir uns selbstverständlich. Ich bedanke mich. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Lisa Paus für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist jetzt genau ein Jahr her: Am 30. Juni 2017 schrieb die „Bild“-Zeitung unter dem Titel „Das sind Schäubles Mafia-Jäger“: Schäuble … hat jetzt sein eigenes FBI! … Spezialeinheit … „Financial Intelligence Unit“ (FIU) ist nun endlich einsatzbereit. Aber, meine Damen und Herren, die Wahrheit ist: Selbst heute, zwölf Monate später, ist eben Schäubles FBI noch immer nicht einsatzbereit. Nach wie vor steht die Frage im Raum: Wann geht es endlich los mit der Bekämpfung von Geldwäsche in Deutschland durch die FIU? Und das ist ein Skandal. ({0}) Die Zahlen wurden schon genannt: 58 000 Geldwäscheverdachtsmeldungen gab es in diesem einen Jahr, aber nur die Hälfte davon wurde abschließend beantwortet. So lautete auch die Antwort auf unsere Kleine Anfrage. Es ist eben nicht wie in anderen Behörden, dass es egal ist, wenn sich einfach mal so die Akten stapeln, weil man sie auch ein Jahr oder zwei Jahre später abarbeiten könnte. Vielmehr geht es hier um Fälle von Terrorfinanzierung. Deswegen sagt zum Beispiel der Bund Deutscher Kriminalbeamter, dass es sich um eine sicherheitspolitische Katastrophe handelt. Nicht meine Worte, deren Worte! Und Sie sitzen hier und tun nichts. ({1}) Im Moment ist es so, dass diese Behörde nur 100 Mitarbeiter hat, lieber Herr Zimmermann. Erst vor vier Wochen hat die Bundesregierung auf unsere Nachfrage hin dann doch eingeräumt: Ja, das war wohl doch ein bisschen zu gering kalkuliert. Eigentlich bräuchte man 475 Stellen. – Sie haben gerade gesagt, der Haushaltsausschuss habe mehr Stellen bewilligt – aber immer noch nicht diese 475 Stellen; dabei hat die Bundesregierung selbst schon vor vier Wochen gesagt: Das ist eigentlich das Minimum, was man angesichts des derzeitigen Chaos braucht. – Auch hier wird wieder nicht vernünftig geliefert. Das Problem gehört auf die Tagesordnung. Deswegen ist der vorliegende Antrag der Linken richtig, meine Damen und Herren. ({2}) Es verhält sich noch schlimmer: Unter den 100 Mitarbeitern gibt es ganze zwei Polizisten, dafür gibt es viele Azubis und viele Studierende, also in der Sache nicht qualifizierte Personen. Und: Niemand unter diesen 100 Personen war vorher mit dem Thema Geldwäsche bzw. Terrorfinanzierung befasst. Die Vorgänge werden also komplett von neuen Leute bearbeitet, die unterqualifiziert oder falsch qualifiziert sind. ({3}) Das ist das neue FBI von Herrn Schäuble? Das ist eigentlich ein Witz! Aber man kann nicht wirklich darüber lachen. ({4}) Zu allem Überfluss war der Chef dieser Behörde jemand, der vorher als Referatsleiter im Kartellamt tätig gewesen ist. Auch das ist nicht wirklich ein Ausweis an Qualität. Das Ergebnis der ganzen Angelegenheit ist, dass Deutschland, das schon vorher international als Geldwäscheparadies bekannt war, dieses immer noch ist. Ich habe eben die Zahl schon genannt: Nach Schätzungen der Bundesregierung und des BKA fließen pro Jahr 100 Milliarden Euro schwarzes Geld nach Deutschland, auch im Zusammenhang mit Terrorverdacht. Das war schon vorher so, aber – das muss man leider sagen – dank Schäubles vermurkster Umsetzung sind wir heute mehr denn je ein Geldwäscheparadies. Das ist eine echte Bankrotterklärung dieser Regierung. ({5}) Dass der Chef dieser Behörde zurückgetreten ist, wie gestern bekannt wurde, ist zwar angesichts dieses Desasters keine wirkliche Überraschung; aber das ist leider, meine Damen und Herren, auch keine Lösung des Problems. Deswegen unterstützen wir den Antrag der Linken, in dem ja nichts anderes formuliert wird als die dringendsten Maßnahmen, die man jetzt angehen muss. Diese muss man jetzt auch wirklich umgehend umsetzen. Herr Zimmermann, dass jetzt, wie Sie eben gesagt haben, alles gut wird, stimmt einfach nicht. Die Behörde hat momentan praktisch keine Leitung. Es gibt immer noch zu wenig Personal. Ich muss schon sagen: Die 100 Tage Schonfrist, die jedem Minister eingeräumt werden, sind auch bei Herrn Olaf Scholz inzwischen vorbei. Deswegen möchte ich insbesondere Ihnen von der SPD heute sagen: Es waren nicht wir, sondern es war die SPD aus Nordrhein-Westfalen, die in den vergangenen Wochen bei einer Anhörung im Landtag in Nordrhein-Westfalen von chaotischen Organisationsstrukturen, von fehlenden Kompetenzen, von überforderten Mitarbeitern und von einer eklatanten Sicherheitslücke gesprochen hat. ({6}) Deswegen muss ich klar sagen: In Ihrem Koalitionsvertrag steht zu diesem Thema einfach zu wenig drin. Daran sieht man ganz klar: Das Thema hat bei Ihnen keine Priorität. Das Wort „Geldwäsche“ taucht zweimal auf. Außerdem heißt es da, Sie wollen das Ganze effizient und unbürokratischer gestalten. Das ist eindeutig zu wenig; denn das, was wir haben, ist nicht effizient.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Paus, kommen Sie bitte zum Schluss.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum letzten Satz. – Wenn die Gewerbeaufsichtsämter und die Standesbeamten in Deutschland nach wie vor für die Bekämpfung der Geldwäsche zuständig sind, wenn die zentrale Behörde auf Bundesebene so aufgestellt ist, dann ist das nicht effizient. Das funktioniert nicht. Das ist von daher eine zentrale Aufgabe Ihres Finanzministers. ({0}) Fangen Sie jetzt endlich an, diese Aufgabe wahrzunehmen! ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Sebastian Brehm für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geldwäsche und Terrorfinanzierung schaden unserer sozialen Marktwirtschaft und müssen daher – ich glaube, da sind wir uns alle einig – mit allen Mitteln bekämpft werden. Aber, Herr Kollege De Masi, wenn Sie vom „Gangster’s Paradise“ Deutschland sprechen und die Mittelständler in Deutschland als Oligarchen bezeichnen, dann fangen Sie mit einer Klassenkampfrhetorik an, die zu einer Debatte führt, die eigentlich an dem Thema, mit dem wir uns beschäftigen, vorbeigeht. ({0}) Es geht darum, dass wir Geldwäsche bekämpfen, und zwar sinnvoll durch die Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie. ({1}) Kommen wir zur sachlichen Debatte zurück. Der Deutsche Bundestag hat die Neuausrichtung der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen – auf Englisch: FIU, Financial Intelligence Unit – beschlossen. Die vormalige arbeitsteilige Organisation ist vereint worden; sie ist neu strukturiert worden im Bundesfinanzministerium. Das ist für meine Begriffe richtig, weil Geldwäsche und Terrorfinanzierung oft einhergehen mit Steuerhinterziehung. Im Vorfeld wurden viele Gespräche geführt, und wir haben gefragt, ob die FIU ausreichend leistungsfähig ist oder nicht. Die reine Umorganisation und der Wechsel der Zuständigkeit ins Finanzministerium ist überhaupt kein Problem, weil es in der Verwaltung oftmals so ist, dass Einheiten versetzt oder umorganisiert werden. Das ist völlig unkritisch. Kritisch ist natürlich schon die anfängliche Entwicklung der FIU zu sehen, weil die Software nicht funktioniert hat, weil zu wenig Personal da war und weil letztlich auch die Abstimmung mit den LKAs und dem BKA nicht reibungslos funktioniert hat. Ich glaube von daher, der schwierige Start der FIU hat mehrere Gründe: Erstens. Natürlich müssen wir jetzt beim Personal nachrüsten. Die Aussage, dass es sich um 100 Personen handle, ist übrigens falsch. 300 Mann sind im Wege der Amtshilfe noch dabei. Insgesamt arbeiten dort also 400 Personen. ({2}) Zweitens. Die IT muss funktionieren. Die IT hat am Anfang nicht funktioniert. So richtig funktioniert übrigens auch die Abstimmung mit den Polizeistellen bzw. den LKAs und dem BKA noch nicht; das müssen wir noch klären. Ich glaube, es geht hier um datenschutzrechtliche Fragen, die wir bearbeiten müssen. Drittens. Ich denke, die neue Spitze der Behörde, über die heute in der „FAZ“ berichtet wurde, wird ein positives Signal senden und zeigen, dass die FIU leistungsfähig ist und willig ist, die Terrorbekämpfung und die Geldwäschebekämpfung anzugehen. Ich glaube, über einen Punkt müssen wir noch nachdenken, nämlich über die Fülle der Geldwäscheanzeigen. Ich will nicht, dass dabei Qualität verloren geht; aber über die Fülle der Geldwäscheanzeigen müssen wir noch einmal nachdenken. Eine wesentliche Rolle dabei spielt – das wurde auch in der Anhörung deutlich – die persönliche Strafbarkeit nach § 261 StGB für den Geldwäschebeauftragten. Also nicht die Sparkasse, sondern die Mitarbeiterin der Sparkasse ist persönlich in der Haftung für die Geldwäscheanzeigen. Ich glaube, deswegen werden unheimlich viele Meldungen gemacht. Vor einem halben Jahr waren 31 000 Geldwäscheanzeigen noch nicht bearbeitet. Wenn eine Großmutter ihrem Enkel Geld überweist für eine Reise in die USA, dann ist das schon eine Geldwäschemeldung wert, die danach natürlich aussortiert wird; ist doch klar. Man muss sich klarmachen: Angesichts einer drohenden persönlichen Strafbarkeit geht man natürlich nach dem Motto „Lieber eine Meldung zu viel abgesetzt als eine Meldung zu wenig“ vor, weil man sonst unter Umständen persönlich strafbar ist. Darüber muss man deshalb noch einmal diskutieren. Ein weiterer Punkt, über den wir nachdenken müssen, ist die Einführung einer Erheblichkeitsschwelle, einer Wesentlichkeitsschwelle, damit nicht jeder Sachverhalt gemeldet wird. Es geht ja nicht darum, den Mittelstand – also diejenigen, die Sie, Herr De Masi, als Oligarchen bezeichnen – ständig zu kontrollieren. Mich stört, dass in der Debatte immer wieder gesagt wird, der ganze Mittelstand würde da Probleme machen. ({3}) Sie bezeichnen die Mittelständler sogar als Oligarchen. Daran sieht man ja schon, welches Feindbild Sie haben. Darum geht es doch gar nicht. Es geht darum, dass wir die internationale Kriminalität und Terrororganisationen, die versuchen, in Deutschland Geld zu waschen und Schindluder zu treiben, herausfiltern und deren Transaktionen innerhalb von 24 Stunden bekämpfen. Deswegen ist es wichtig, dass man jetzt zu zeitnaher Abarbeitung kommt. Die Meldung muss innerhalb von 24 Stunden bearbeitet werden, damit Transaktionen aufgehalten werden können, damit das Geld eingefroren werden kann. Darum geht es, nicht darum, dass man den Mittelstand beschimpft und sagt: Wir wollen noch mehr Kontrollen haben. – Das ist der Punkt. ({4}) Das Signal, das von heute ausgehen muss, ist nicht Ihr Signal: „Deutschland ist Gangster’s Paradise“, sondern es lautet: Geldwäsche und Terrorfinanzierung haben in Deutschland keinen Platz. – Dafür setzen wir uns ein. Es muss das Signal nach außen gehen: Jedem, der in Deutschland Geldwäsche betreibt oder versucht, Terrorfinanzierung oder Ähnliches in Deutschland zu platzieren, werden wir den Garaus machen, mit allen gesetzlichen Möglichkeiten. Darum geht es. Und dieses Signal senden wir aus; denn wir als Bundestag werden uns dahinterklemmen, dass die ganzen Fragen, die noch zu beantworten sind, schnellstmöglich gelöst werden. ({5}) Das ist unsere Aufgabe. Ich freue mich auf die Diskussion im Finanzausschuss. Danke schön. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer aus der SPD-Fraktion. ({0})

Ingrid Arndt-Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Ziel der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorfinanzierung ist ja nicht neu. Ich weiß nicht, wie viele Jahre es schon formuliert wird und wie viele Jahre man es schon in irgendeiner Form erreichen möchte. Wenn die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorfinanzierung gut funktioniert hätte, hätten wir das vor einem Jahr ja nicht reformiert. Wenn die Landesbehörden so toll gearbeitet hätten, wie der NRW-Antrag suggerieren will, und wenn alles, was die Landesbehörden gemacht haben, so toll gewesen wäre, dann hätten wir keine Neustrukturierung gebraucht. Übrigens: Die Ähnlichkeit zwischen dem SPD-Antrag aus NRW und Ihrem Antrag beruht darauf, dass man beim Schreiben des Antrags den gleichen Berater hatte. Deshalb ähneln sich die beiden Anträge. Deshalb wird der Inhalt aber leider nicht richtiger. ({0}) Wir haben natürlich immer das Ziel, kein „Gangster’s Paradise“ zu sein. Wir wollen auch nicht in irgendeiner Form Mafiagruppen ermöglichen, nach Deutschland zu kommen. Das ist überhaupt nicht das Ziel. Deshalb haben wir die FIU gegründet. Die FIU hat natürlich Anfangsschwierigkeiten gehabt. Die Personaldecke wurde angesprochen. Es kam zu Ausleihungen von anderen Behörden, weil man ganz schnell qualifiziertes Personal brauchte. Jeder, der Kriminalarbeit schon einmal seriös in irgendeiner Form begleitet hat, weiß, dass man jahrelang ausbilden muss, um das wirklich vernünftig zu machen. Diese Leute stehen nicht irgendwo herum. Aber ich finde, es ist ein bisschen niederträchtig, zu sagen, dass das alles unqualifizierte Menschen, Azubis oder Langzeitarbeitslose waren. Ich weiß nicht, wo Sie die alle gefunden haben wollen. Das ist, wie ich finde, eine Unterstellung, die wir nicht mittragen können. ({1}) Man hat sich also redlich bemüht und hat sogenannte Geschäftsaushilfen genutzt. Sie werden auch – das hat uns jedenfalls das Ministerium auf Nachfrage berichtet – nach und nach abgebaut. Parallel wird nach und nach qualifiziertes Personal aufgebaut. ({2}) Weder ich persönlich noch irgendjemand von uns, die wir hier sitzen, weiß, warum der Behördenleiter gestern gegangen ist. Es gibt aber keine Leitungslücke. Er hat gestern gesagt, dass er zum 1. August dieses Jahres gehen wird. Zum 1. August dieses Jahres wird dann jemand Neues eingestellt. Die Gründe für seinen Weggang kennt keiner von uns. Deswegen sollte man da nicht spekulieren. Aber ich denke, die neue Behördenleitung weiß um die Probleme und wird sie verstärkt angehen. ({3}) Ich fand das Niveau der Diskussion schon ein bisschen bedenklich. Was das SED-Vermögen angeht, möchte ich als Mitglied einer Partei sagen, die im Osten zwangsvereinigt wurde: Wenn es irgendwann einmal auf den Markt kommt, gehört uns als SPD davon die Hälfte. ({4}) Ansonsten würde ich das nicht mehr aufgreifen wollen, weil gegenseitige Beschimpfungen nicht zielführend sind. Auch zu denken, dass man nur die Grenzen schließen müsse und die Probleme dann gelöst seien, ist ein bisschen zu platt. Auch darauf möchte ich nicht näher eingehen. Natürlich finde ich es immer schön, wenn die FDP Linken-Anträge unterstützt. Dann denke ich: Meine Güte, da scheint ja etwas im Gange zu sein, was vielleicht etwas richtig Großes werden könnte. ({5}) Aber die Unterstützung hat sich ja doch nicht als so zielführend erwiesen. Deswegen, glaube ich, sollten wir im Ausschuss sehr sachlich darüber reden, was von dem Antrag überhaupt umsetzbar ist und was nicht. Die meisten Forderungen des Antrags sind im Augenblick nämlich überhaupt nicht umsetzbar, auch wenn Sie Sofortmaßnahmen einfordern. Es ist weltfremd, Sofortmaßnahmen und einen reibungslosen Ablauf bei einer Behörde einzufordern, die gerade 171,5 neue Stellen bewilligt bekommen hat und einstellt. Diese Stellen müssen – das wissen Sie selber – ausgeschrieben werden. Die Leute müssen einbestellt, ausgewählt und eingearbeitet werden. Man kann so viele Sofortmaßnahmen fordern, wie man will, aber das wird nicht reibungslos funktionieren. ({6}) Man hat uns versichert, dass man den derzeitigen Rückstau bis Mitte Juli verstärkt abgebaut haben wird. Ich denke, das ist für den neuen Behördenleiter dann auch eine gute Voraussetzung, um vernünftig zu arbeiten. Zum ausreichend qualifiziertem Personal – Ihr Punkt 1 c – habe ich schon was gesagt. Das wird sich in Zukunft finden, und dann kann auch vernünftig gearbeitet werden. Laufend unterrichtet werden wir alleine schon durch Ihre fast täglichen Anfragen, ({7}) und ich denke, das wird auch weiterhin der Fall sein. Ich bin ganz optimistisch – meine Redezeit ist zu Ende –, dass wir das vernünftig hinkriegen. Es wird in Zukunft vor allen Dingen eine bessere Umsetzung als in der Vergangenheit geben. Allein das ist schon ein positives Signal. ({8}) Ich freue mich darauf, dass wir diesen Antrag, wie ich denke, mit der Zustimmung von allen in den Ausschuss überweisen und da dann bitte sachlich, ohne Kameras und vernünftig darüber reden werden. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/2592 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. ({0}) – Ich sehe, es gibt eine Meldung von Frau Sommer.

Helin Evrim Sommer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004897, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich habe aufgrund der Zahl der Anwesenden den Eindruck, dass die Beschlussfähigkeit hier jetzt nicht gegeben ist, und hinterfrage hiermit, ob das tatsächlich so ist. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bitte jetzt erst mal um Ruhe. – Wir sind im Moment noch bei der Ausschussüberweisung, und ich kläre jetzt erst einmal, ob der Sitzungsvorstand die Beschlussfähigkeit, das heißt die Anwesenheit von 355 Abgeordneten, hier vorne zweifelsfrei feststellen kann. Dazu gibt es eine Regel. Damit ich das exakt so mache, brauche ich die Geschäftsordnung. § 45 Absatz 2 unserer Geschäftsordnung lautet: Wird vor Beginn einer Abstimmung die Beschlussfähigkeit von einer Fraktion oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages bezweifelt und auch vom Sitzungsvorstand nicht einmütig bejaht oder wird die Beschlussfähigkeit vom Sitzungsvorstand im Einvernehmen mit den Fraktionen bezweifelt, so ist in Verbindung mit der Abstimmung die Beschlussfähigkeit durch Zählung der Stimmen nach § 51 ... – usw. – festzustellen. Da die Beschlussfähigkeit durch den Sitzungsvorstand bezweifelt wurde und die Fraktion Die Linke diese ebenso bezweifelt, müssen wir in Verbindung mit der Abstimmung über die Ausschussüberweisung der Vorlage auf Drucksache 19/2592 nun auch zur Feststellung der Beschlussfähigkeit kommen. Dazu haben wir ein Verfahren, das wir in dieser Woche in einem anderen Zusammenhang schon einmal geübt haben. ({0}) – Die Kollegin Lemke hat noch ein weiteres Geschäftsordnungsanliegen. ({1}) – Die Kollegin Lemke hat eine Unsicherheit bezüglich der Geschäftsordnung. Ich bin mir aber sehr sicher, dass wir hier mit einem Hammelsprung die Beschlussfähigkeit feststellen müssen. Nur in der Kernzeit kann ich die Beschlussfähigkeit auch durch Handaufheben feststellen. Das war genau das, was ich eben beim Zitat ausgelassen habe. Ich entschuldige mich dafür. Die einzelnen Paragrafen sind da entsprechend festgeschrieben. Wir müssen das Verfahren des Hammelsprungs in Gang setzen. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, und zwar bitte zügig – ich habe heute schon einmal einen Hinweis auf die fortgeschrittene Zeit gegeben –, den Saal zu verlassen. Ich gebe auf dem Weg nach draußen noch einen Hinweis: Wir haben jetzt zwei Abstimmungen in einer. Wir stimmen einmal über die Überweisung in die Ausschüsse ab. Das heißt, wer der Ausschussüberweisung zustimmt, kommt dann, nachdem die Türen geschlossen und wieder geöffnet wurden, durch die Tür mit dem „Ja“ in den Saal. Wer die Ausschussüberweisung nicht wünscht, kommt nachher durch die Tür mit dem „Nein“ in den Saal. Wer sich enthalten will, kommt durch die dritte Tür „Enthaltung“ in den Saal. Gleichzeitig wird durch die Schriftführerinnen und Schriftführer, die ich schon vorsorglich bitte, ihre Plätze einzunehmen, gezählt, wie viele Abgeordnete insgesamt an ebendieser Abstimmung über die Ausschussüberweisung der Drucksache 19/2592 teilnehmen. Wir stellen nachher beide Abstimmungsergebnisse und die Folgerungen daraus fest. Ich bitte darum, dass die Schriftführerinnen und Schriftführer die vorgesehenen Plätze einnehmen. Sie wissen – das ist eine ständige Übung –: An jeder Tür muss eine Schriftführerin oder ein Schriftführer aus einer Oppositionsfraktion anwesend sein, und an jeder Tür muss eine Schriftführerin oder ein Schriftführer aus einer der die Koalition tragenden Fraktionen anwesend sein. Da alle Fraktionen hier anwesend sind, bitte ich darum, dafür zu sorgen, dass sowohl die Oppositionsfraktionen als auch die die Koalition tragenden Fraktionen ihrer Verantwortung nachkommen. Ich bitte um ein Zeichen, während die letzten Kolleginnen und Kollegen den Saal verlassen, ob an jeder Abstimmungstür die erforderlichen Schriftführerinnen und Schriftführer anwesend sind. – Gut. Wenn ich das richtig überblicke, ist auch kein Kollege mehr in den Reihen. Ich bitte, die Türen zu schließen. – Die Türen sind geschlossen. Wir öffnen die Türen wieder. Die Abstimmung ist eröffnet. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, durch die Tür ihrer Wahl den Saal zu betreten und erinnere daran, dass wir nicht nur die Beschlussfähigkeit feststellen, sondern gleichzeitig auch über die Ausschussüberweisung abstimmen. Das heißt, wer der Überweisung zustimmt, nimmt die Tür, die mit „Ja“ gekennzeichnet ist. Wer die Ausschussüberweisung ablehnt, nimmt die Tür, die mit „Nein“ gekennzeichnet ist. Wer sich enthalten möchte, kommt durch die dritte Tür, von mir aus gesehen rechts, und enthält sich damit bei der Abstimmung über die Ausschussüberweisung. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Abstimmung zügig durchzuführen, das heißt, durch die Tür ihrer Wahl zur Ausschussüberweisung wieder den Saal zu betreten, und im Übrigen die Plätze einzunehmen. Ist noch ein Mitglied des Bundestages anwesend, welches den Saal nicht wieder betreten konnte? – Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die dort hinten vor den Türen stehen, uns den Blick auf die Türen frei zu machen, damit wir uns davon überzeugen können, dass niemand daran gehindert wird, an ebendieser Abstimmung teilzunehmen. Darf ich davon ausgehen, dass die Personen, die noch vor den Türen stehen, keine Mitglieder des Bundestages sind? – Das ist der Fall. Dann ist die Abstimmung geschlossen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, das Ergebnis festzustellen und mir mitzuteilen. ({2}) – Liebe Kolleginnen und Kollegen, während das Abstimmungsergebnis noch festgestellt wird, habe ich Anlass, auf Folgendes hinzuweisen: Erst gestern haben wir im Ältestenrat noch einmal darüber gesprochen, dass Film- und Fotoaufnahmen weder im Plenum des Deutschen Bundestages noch durch Besucherinnen und Besucher erlaubt sind. ({3}) – Auch durch Abgeordnete nicht, Kollege Braun. Das haben wir gestern noch einmal zweifelsfrei festgestellt. ({4}) Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der Abstimmung über die Ausschussüberweisung bekannt: abgegebene Stimmen 125. Mit Ja haben 122 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 3 Abgeordnete gestimmt, es gab keine Enthaltungen. Anhand dieses Ergebnisses stellen wir gleichzeitig fest, dass die Beschlussfähigkeit nicht erreicht wurde. Da zur Beschlussfähigkeit 355 Stimmen erforderlich sind, sind wir nicht beschlussfähig. Daraus folgt erstens, dass eine Ausschussüberweisung nicht erfolgt ist. Infolge der Beschlussunfähigkeit habe ich zweitens die Sitzung gemäß § 20 Absatz 5 der Geschäftsordnung aufzuheben. Der Präsident des Deutschen Bundestages hat an der Abstimmung teilgenommen und mir gerade übermitteln lassen, dass er von seinem Recht, am heutigen Tage eine weitere Sitzung des Deutschen Bundestages einzuberufen, keinen Gebrauch macht. Es bleibt also bei der Aufhebung der Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 3. Juli 2018, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 17.07 Uhr)