Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich hier – wie schon in der letzten Woche – dank der Opposition noch einmal Gelegenheit bekomme, kurz darauf hinzuweisen, dass wir ein Verfahren haben, das rechtlich vollkommen einwandfrei und sehr transparent ist. Wir haben hier überhaupt nichts Geheimes in irgendeiner Form vor. Das konnte man ja lesen, im Übrigen auch, dass wir jetzt parallel zur Weltmeisterschaft eine Parteienfinanzierungsänderung durchführen. Es war, finde ich, eine Beleidigung, mir zu unterstellen, ich wisse nicht, wann das Eröffnungsspiel beginnt; denn letzte Woche war ja noch gar nichts passiert. Soweit ich weiß, passiert auch zurzeit in Russland nichts. Es ist nicht angepfiffen. Wir können also zur Primetime, zur besten parlamentarischen Zeit, diskutieren und dieses Verfahren wie bisher transparent und vorrangig durchführen.
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Erste Feststellung. Einen besseren Debattenplatz als den heutigen, um im Rahmen dieses Verfahrens transparent zu debattieren, gibt es nicht. Auch letzte Woche war es derselbe. Da kann man nur sagen: Prima gemacht! Diejenigen, die Transparenz wertschätzen, hätten genau diese beiden Debattenplätze ausgesucht.
Zweitens. Wir haben alle Geschäftsordnungsfristen eingehalten. Auch das bestreitet niemand, auch die Opposition nicht.
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Letzte Woche hatten Sie dazu auch kein Argument. Ich erspare Ihnen heute aber die Paragrafen. Vielleicht erinnern Sie sich an vergangene Woche.
Drittens. Es hat eine öffentliche Anhörung gegeben. Auch das ist völlig transparent.
Viertens. Die Sache ist entscheidungsreif, der Regelbedarf sehr überschaubar. Man kann dafür sein, man kann dagegen sein: Längere Verfahren braucht es nicht.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, insofern kann ich nur sagen: Hören Sie auf, ein einwandfreies parlamentarisches Verfahren zu kritisieren. Das dürfen Sie. Möglicherweise sind manche von Ihnen der Auffassung, sie müssten das. Es soll so sein. Ich hoffe, dass Sie hier, bei der Geschäftsordnungsdebatte, irgendwann einmal mit Argumenten kommen – nicht inhaltlicher Art; die werden wir gleich hören. Sagen Sie doch mal, was an dem Verfahren falsch ist,
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ob irgendetwas rechtlich nicht in Ordnung ist. Ich sage nur: Kommen Sie endlich zur Sache, und hören Sie auf, mit Geschäftsordnungsdebatten dieses Verfahren zu verlängern.
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Stimmen Sie einfach der Aufsetzung zu, wenn Sie keine Angst haben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner in dieser Geschäftsordnungsdebatte ist der Kollege Thomas Seitz, AfD.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nein, ich werde heute nicht schweigen. So schrecklich die bald täglich verübten Verbrechen an unseren Frauen und Kindern sind, so empörend ist die Absicht der Regierungsmehrheit, heute eine schamlose Erhöhung der staatlichen Teilfinanzierung der Parteien kurzfristig auf die Tagesordnung zu setzen, um sie möglichst unbeobachtet durchzupeitschen.
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Das Bundesverfassungsgericht hat im Diätenurteil von 1974 die Transparenz des Verfahrens als das entscheidende verfassungsrechtliche Kriterium bei Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache betont. Der Grund hierfür ist, dass es in dieser Konstellation nur eine Kontrollinstanz gibt, nämlich die Öffentlichkeit. Diese verfassungsrechtliche Rechtsprechung gilt für die Parteienfinanzierung in genau gleicher Weise und wird von der gar nicht mehr so Großen Koalition bewusst missachtet. Eine Einhaltung der Mindestfristen der Geschäftsordnung genügt bei einer Ausweitung der staatlichen Teilfinanzierung nicht den verfassungsgerichtlichen Anforderungen an ein rechtmäßiges Gesetzgebungsverfahren. Die Koalition versucht vielmehr, die Öffentlichkeit zu überrumpeln, um im Windschatten der Fußballweltmeisterschaft ein verfassungswidriges Gesetz durchzubringen.
({1})
Die Behandlung im federführenden Ausschuss zeigt deutlich, dass es der Koalition um alles geht, nur nicht um ein rechtsstaatliches Verfahren. So wurde die Sachverständigenanhörung schon vor der Überweisung des Antrages in den Ausschuss von der Koalitionsmehrheit beschlossen. So etwas mag bisher üblich gewesen sein, wird aber von der Geschäftsordnung nicht gedeckt. Gewöhnen Sie sich einfach daran, dass hier jetzt die Fraktion der AfD sitzt. Wir prüfen, was erlaubt ist und was nicht.
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Die kurzfristig terminierte Anhörung der Sachverständigen hatte zur Folge, dass von sieben Sachverständigen nur drei eine schriftliche Ausarbeitung einreichen konnten, die aber so kurzfristig kam, dass die Mitglieder sie vor der Anhörung gar nicht zur Kenntnis nehmen konnten. Das war wohl auch gewollt; denn sonst hätten vielleicht auch die Kollegen von der Koalition die richtigen Fragen gestellt.
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Gerade weil in Sachen Parteienfinanzierung die Abgeordneten in eigener Sache entscheiden, ist es zwingend geboten, für Öffentlichkeit und Transparenz zu sorgen. Mit Heimlichkeit anstatt Transparenz verkommt der selbstbegünstigende Gesetzgebungsakt zur räuberischen Selbstbedienung.
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Der AfD wird oft vorgeworfen, die parlamentarische Demokratie zu verachten. Das ist falsch.
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Was wir verachten, ist die von Ihnen, den Altparteien, geschaffene erbärmliche Parteiendemokratie.
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Diese Verachtung haben Sie uns durch Ihre jahrzehntelange Missachtung des Willens des Souveräns, nämlich des deutschen Volkes, gründlich gelehrt.
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So wie Sie den Willen des deutschen Volkes verachten, so verachten Sie das deutsche Volk selbst und entsprechend handeln Sie. Schämen Sie sich. Die Fraktion der AfD tritt der beantragten Aufsetzung auf die Tagesordnung entgegen.
Vielen Dank.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe gestern darauf hingewiesen, dass zum Grundkonsens unserer parlamentarischen Demokratie eine gewisse Mäßigung der Debattenbeiträge gehört. Ich möchte das gerne aus gegebenem Anlass wiederholen.
Ich erteile jetzt dem nächsten Redner, dem Kollegen Carsten Schneider, SPD, das Wort.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren jetzt und werden gleich über die Frage entscheiden, ob wir über die Änderung des Parteiengesetzes heute im Bundestag debattieren. Wir wollen das, und wir wollen das entscheiden; denn wir stehen dazu. Deswegen haben wir dieses Thema auch in die Kernzeit des Deutschen Bundestages – Freitag, 9 Uhr – gesetzt. Wir wollen entscheiden und nicht nur reden, meine Damen und Herren. Deswegen bitten wir hier um Zustimmung.
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Das Verfahren ist vollkommen transparent, es ist ordnungsgemäß. Wir haben es in aller Öffentlichkeit getan. Wir machen es zur besten Zeit in voller Öffentlichkeit. Ich weiß nicht, ob Sie blind sind, aber dieses Plenum ist voll.
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Es gibt eine Liveübertragung. Es gibt überhaupt nichts zu verstecken, im Gegensatz zu dem, was die AfD vielleicht zu verschleiern hat. Ich habe das schon am letzten Freitag gesagt: Sie bekommen Ihre Finanzen aus dubiosen Quellen und verschleiern sie. Das wollen wir nicht.
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Sie lassen sich Ihre Leute mit einem russischen Privatjet hierher fliegen, und dann wollen Sie uns etwas von Verachtung des deutschen Volkes erzählen. Das ist absurd.
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Sie wollen Staatsanwalt sein. Ich lache mich tot.
Ich bin sehr dafür, dass wir eine staatliche Parteienfinanzierung haben, die es ermöglicht, dass die Interessen in diesem Land auch von Leuten vertreten werden, die nicht viel Geld haben. Ich will Ihnen das einmal an meinem Beispiel erläutern.
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Als ich für den Bundestag kandidiert habe, habe ich über null Vermögen verfügt. Ich hatte 4 000 Mark, die ich erspart hatte. Die habe ich eingesetzt, und es war möglich. In den USA hätte ich Millionär sein müssen. Das ist der Unterschied zwischen einer Demokratie in Deutschland, auf die wir stolz sein können,
({5})
und einer gekauften Demokratie oder Autokratie.
Dieser Gesetzentwurf ist überschaubar: Es geht um einen Regelungsbestand, die Obergrenze. Selbst Sie müssen das intellektuell kapieren.
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Aus diesem Grund bitte ich Sie, dass wir heute darüber debattieren können. Mahmut Özdemir wird für meine Fraktion sprechen, und dann werden wir eine klare Entscheidung treffen.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Marco Buschmann, FDP.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Geschäftsführer der Koalition haben um Argumente gebeten, und die kann ich ihnen liefern, weil sie sehr zahlreich sind.
Erstens. Sie sind mit diesem Verfahren von einem jahrzehntealten Komment abgewichen, dass Änderungen des Parteiengesetzes vorher zwischen allen Parteien besprochen werden, damit nicht der schale Geruch der einseitigen Parteinahme und der Beeinflussung des demokratischen Wettbewerbs aufkommt.
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Zweitens. Sie sind davon abgewichen, dass ein vernünftiges Gesetzgebungsverfahren im Regelfalle nicht von einer Woche auf die andere stattfindet, weil es sonst gar nicht möglich ist, Einwendungen und verfassungsrechtliche Bedenken, die zahlreich in der Anhörung und auch im Ausschuss vorgetragen worden sind,
({1})
vernünftig zu prüfen und das Gesetz verfassungsfest zu machen. Daran müssen diejenigen ein Interesse haben, die davon profitieren wollen; denn wenn das Gesetz kassiert wird, dürfen sie das ganze schöne Geld, das sie kassieren, möglicherweise wieder zurückzahlen.
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Drittens. Herr Schneider, ich bin ja ganz bei Ihnen. Aber wenn wir im Parteiengesetz Lücken schließen wollen, damit die auf der rechten Seite sich nicht weiter schamlos bedienen können, warum geben Sie uns dann nicht die Zeit, das Parteiengesetz entsprechend zu verbessern?
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Herr Schneider, sehr gut! Ich bin der Meinung, wir sollten neue Einnahmequellen erschließen. Sie haben die USA genannt. Barack Obama sammelte schon 2008 Mikrospenden, wodurch sich Menschen mit wenig Geld beteiligen konnten. Das deutsche Parteiengesetz ist so undigital und so kompliziert, dass das gar nicht möglich ist. Warum geben Sie uns nicht die Zeit, es entsprechend zu ändern?
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Das meinen wir mit Transparenz:
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Ideen sammeln, Dinge verbessern, Dinge möglich machen. Transparenz ist kein Fetisch.
Ich muss Ihnen sagen: Auch die Begründungen, die Sie vorlegen, sind gar nicht vernünftig zu prüfen. Sie behaupten einfach pauschal, Digitalisierung sei teuer, deshalb brauche man mehr Geld. Die meisten Unternehmen, die sich digitalisieren, sparen dadurch Geld.
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Man kann doch nicht einfach behaupten, man mache das, dann sei das alles teuer und dann müsse mehr Geld her.
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Ich kann Ihnen nur eines sagen: Dieses ganze Verfahren riecht danach, dass es einem unangenehm ist. Die Debatte in der Primetime, von der Sie hier sprechen, macht das Verfahren nicht transparenter. Transparenter wird das Verfahren, wenn man genug Zeit hat, um darüber zu sprechen. Deshalb kann ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wirklich nur einen guten Hinweis geben: Sie werden, wenn Sie jetzt nach Hause in den Wahlkreis fahren, nach dieser Sitzungswoche, die Sie hier erlebt haben, sehr spannende Debatten führen. Ich möchte nicht mit Ihnen tauschen.
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Aber wenn Sie dann auch noch mit einem Verfahren, das wie Selbstbedienung aussieht und klingt, Öl ins Feuer gießen, dann werden Sie damit viel Freude haben.
Deshalb: Stimmen Sie gegen die Aufsetzung,
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in Ihrem eigenen Interesse und im Interesse des Ansehens dieses Hohen Hauses.
Herzlichen Dank.
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Jetzt hat das Wort der Kollege Jan Korte, Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sinnvoller wäre nach dieser Woche, heute statt diesem Tagesordnungspunkt eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum Zustand ihrer maroden, katastrophalen Koalition aufzusetzen.
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Das fände ich nach dieser Woche irgendwie angemessen. Aber gut, Sie haben anders entschieden.
({1})
Kollege Grosse-Brömer, formal ist es korrekt gelaufen.
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Das Problem ist, dass das, was Sie tun, politisch nicht sinnvoll ist.
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Jetzt kommt ein ganzer Reigen an Argumenten, um die Sie ja gebeten haben. Ich will noch mal in Erinnerung rufen: WM 2006 Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozent, WM 2010 Steigerung des Beitrags zur gesetzlichen Krankenkasse von 14,9 auf 15,5 Prozent;
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bei der EM 2012 wurde hier in einer Minute das Bundesmeldegesetz durchgeballert,
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und heute, WM 2018 – siehe da! – 15-prozentige Erhöhung der Parteienfinanzierung.
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Merken Sie irgendetwas?
Ich will Sie auf noch etwas aufmerksam machen. Sie haben in den Gesetzentwurf reingeschrieben, die ganze Chose soll ab 2019 gelten. Das ist meines Wissens noch ein bisschen was hin. Wir haben noch einige Monate vor uns. Deswegen ist Ihre Argumentation überhaupt nicht stichhaltig. Wenn das Gesetz erst 2019 in Kraft treten soll, warum haben wir dann nicht die Zeit, diese Fragen von grundsätzlicher Bedeutung in den nächsten Monaten in Ruhe zu diskutieren, und zwar miteinander? Eine jetzige Diskussion ist nicht zwingend.
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Dann noch mal zum Verfahren. Die Frage ist doch: Wie wirkt hier was auf die Leute? Ich darf daran erinnern: Es hat, glaube ich, rund zehn Jahre gedauert, ehe Sie sich zur Einführung des Mindestlohns durchringen konnten. Jetzt machen Sie diese Chose in neun Werktagen. Ich will Ihnen sagen: Sie müssen darauf achten, wie das draußen wirkt, was die Leute darüber denken.
Dann noch mal zur Genese. Am Dienstag, Kollege Grosse-Brömer, kündigten Sie in unserer sehr feinen PGF-Runde an, dass Sie einen entsprechenden Tagesordnungspunkt aufsetzen.
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– Ja, so weit, so gut. So weit ist es noch okay.
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Das Problem ist: Am Mittwoch hauten Sie gegenüber der Presse raus, das sei auch mit den Oppositionsfraktionen abgesprochen, was schlicht gelogen gewesen ist.
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Am Freitag machten Sie hier die erste Lesung, und am Montag darauf führten Sie eine Sachverständigenanhörung durch. Sie forderten also von den Sachverständigen, übers Wochenende – so viel zum Umgang mit guten Wissenschaftlern – eine Expertise zu erarbeiten, die sie am Montag in der Anhörung vorstellen sollten.
Jetzt kommt das Beste. Spätestens danach – es ist ja nun wirklich kein gutes Verfahren – hätten Sie sagen müssen: Wenn drei Sachverständige sagen: „Das Ding geht so nicht, das ist verfassungswidrig“, dann legen wir das Vorhaben auf Eis und denken noch mal darüber nach. Aber das haben Sie nicht gemacht, und deswegen ist dieses Verfahren so daneben.
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Gerade in diesen Zeiten verstehe ich nicht,
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dass Sie das überhaupt nicht merken, Kollege Grosse-Brömer.
Kollegen von der SPD, Ihr Schatzmeister sagt es im Kern ja relativ offen: Wir sind aufgrund der nicht guten Wahlergebnisse pleite, und deswegen brauchen wir das Geld.
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Immerhin ist das ehrlich.
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Aber das kann nicht das Vorgehen sein. Das schadet dem Bundestag als Ganzes.
Danke.
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Letzte Rednerin in dieser Geschäftsordnungsdebatte ist die Kollegin Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Grünen, die FDP und die Linken haben der Aufsetzung dieses Tagesordnungspunktes widersprochen.
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Wir drei Fraktionen haben das beschlossen. Und ich will es gleich vorweg sagen: Dafür braucht es nicht die AfD;
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eine Fraktion im Deutschen Bundestag, deren Redner das Parlament und die Parteiendemokratie so verächtlich machen und die sich gleichzeitig Finanzierungsquellen wie den Handel mit Gold verschafft, bis wir einen gesetzlichen Riegel vorschieben.
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Den Handel mit Gold mussten wir im Parteiengesetz verbieten, damit Sie aufhören, sich darüber staatliche Parteienfinanzierung ans Land zu ziehen.
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Meine Damen und Herren, wir werden uns jetzt auch mit den dubiosen Vereinsfinanzierungen beschäftigen müssen, über die Sie versuchen, Ihre Eigenfinanzierung zu erhöhen.
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Deshalb: Hören Sie auf mit dem Thema „Wir sind hier der Saubermann“! Das sind Sie nicht.
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Die Verächtlichmachung des Parlamentes steht Ihnen nicht zu. Der demokratische Konsens besteht auf der übrigen Seite des Hauses,
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auch wenn wir hier in der Sache unterschiedlich argumentieren.
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Zur Sache. Herr Grosse-Brömer, es gab erhebliche Bedenken in der Anhörung. Es wurde deutlich gesagt: Ihnen fällt eine besondere Begründungs- und Darlegungspflicht zu, und die haben Sie nicht wahrgenommen. Keiner von Ihnen hat erklärt, warum es 25 Millionen Euro sind, nicht 17 Millionen Euro oder 23 Millionen Euro. Sie haben durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine ganz harte Begründungs- und Darlegungspflicht – die haben wir als Gesetzgeber –, und der kommen Sie in keiner Art und Weise nach.
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Und Sie können nicht darlegen, warum Sie dieses Verfahren hier so schnell durchziehen, warum Sie keine Gespräche zwischen den Fraktionen sowie Erörterungen über weitere notwendige parlamentarische Änderungen am Parteiengesetz zulassen. Deshalb sind Sie hier in der Defensive, und deshalb wäre eine Aufsetzung heute falsch. Deshalb beantragen wir, die Aufsetzung nicht vorzunehmen.
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Damit kommen wir jetzt zur Abstimmung. Wer stimmt dafür, jetzt im Anschluss den Tagesordnungspunkt 16 wie beantragt aufzurufen? – Wer stimmt dagegen? –
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Wer enthält sich? – Das Erstere war mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der vier Oppositionsfraktionen die Mehrheit. Damit ist die Erweiterung der Tagesordnung angenommen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Parteien sind das Scharnier zwischen dem deutschen Volk und den politischen Entscheidungsgremien. Parteien sind für unsere Demokratie unentbehrlich. Von funktionierenden Parteien hängt das Funktionieren unserer Demokratie ab; davon sind wir fest überzeugt. Das ist auch das politische Konzept unserer parlamentarischen Demokratie, des Grundgesetzes.
In Deutschland besteht die Parteienfinanzierung aus drei Säulen: Mitgliedsbeiträge, Spenden und staatliche Finanzierung. Es wurde ein System für die Parteienfinanzierung geschaffen, das eine kluge Balance zwischen eigenständiger Mitteleinwerbung und staatlicher Finanzierung schafft. Der Gedanke, der hinter der staatlichen Teilfinanzierung der Parteien steht, ist: Parteien sollen alle Meinungen vertreten können und dabei die gleichen Chancen haben. Dafür brauchen sie einen gewissen finanziellen Grundstock, selbstverständlich abhängig von ihrer gesellschaftlichen Verwurzelung, sprich: vor allem abhängig von ihrem Wahlerfolg.
Den Grundstock stellen wir aus staatlichen Mitteln zur Verfügung. Parteien sollen nicht ausschließlich auf private Mittel angewiesen sein, damit sie nicht von einzelnen finanzkräftigen Gönnern abhängig sind. Gleichzeitig sind Parteien aber eben gerade keine Staatseinrichtungen, sondern privatrechtlich als Vereine organisiert. Ich sage es mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts: Das Grundgesetz erfordert, dass die Parteien ihren Charakter „als frei gebildete, im gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnde Gruppen“ wahren.
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Damit diese Staatsfreiheit der Parteien gewährleistet wird, können Parteien nie mehr staatliche Mittel bekommen, als sie selbst beisteuern. Die Selbstfinanzierung hat Vorrang vor der Staatsfinanzierung. Diesen Grundsatz tastet auch der jetzt vorliegende Gesetzentwurf nicht an.
Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach zur Parteienfinanzierung Stellung genommen und Leitplanken aufgestellt. Dazu gehört auch die „absolute Obergrenze“. Die absolute Obergrenze beinhaltet das Finanzvolumen, das für alle Parteien zusammen zur Verfügung steht. Die Höhe der absoluten Obergrenze für die Parteienfinanzierung ist im Parteiengesetz geregelt.
Um gleich eventuelle Missverständnisse auszuräumen: Worauf bezieht sich die absolute Obergrenze? Das Bundesverfassungsgericht sagt ausdrücklich, dass „in die Berechnung des höchstzulässigen Anteils staatlicher Mittel an der Finanzierung der Parteien – die weder mit den Parlamentsfraktionen noch den sogenannten parteinahen Stiftungen identisch sind … – die ihnen unmittelbar aus der Staatskasse zufließenden Zuwendungen vollständig einzubeziehen“ sind.
Diese absolute Obergrenze ist aber eben nicht in Stein gemeißelt. Das Bundesverfassungsgericht hat die absolute Obergrenze unter einen Vorbehalt gestellt: „solange die bestehenden Verhältnisse keine einschneidende Veränderung erfahren“.
Durch den Prozess der Digitalisierung hat sich eine Zäsur ergeben, die als einschneidende Veränderung vor allem in Bezug auf Kommunikationsverhältnisse betrachtet werden kann. Mit dem heutigen Gesetzentwurf wollen wir daher die Obergrenze von circa 165 Millionen Euro auf 190 Millionen Euro anheben, also um etwa 15 Prozent.
Was erwarten wir denn heute von den Parteien? Bürgernähe und Dialog, und zwar ernsthaften Dialog. Um die Erwartungen zu erfüllen, die wir im Jahr 2018 als Bürgerinnen und Bürger an die Parteien richten, reicht dann eben nicht mehr nur ein Umschichten. An die Parteien werden ganz neue Anforderungen im Meinungsbildungsprozess gestellt – in der externen Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch in der internen Meinungsbildung der Parteien selbst.
({1})
Alle diskutieren mit und sollen mitdiskutieren, jeder in seinem oder ihrem gewünschten Forum: per E-Mail, Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, in den Kommentarspalten der Medien und weiter auch ganz klassisch per Brief, per Telefon, in der Verbandszeitschrift, im Rundfunk und analog bei Ortsverbandstreffen, am Marktplatzstand, in den Bürgersprechstunden oder Themenabenden. Auf allen diesen Kanälen müssen Parteien mittlerweile innerhalb kürzester Zeit reagieren, und gleichzeitig hat sich auch die Entscheidungsfindung in den Parteien selbst verändert. Auch hier geht es darum, die Basis ernsthaft einzubeziehen. Mitgliederentscheide und Urwahlen sind die Stichworte dazu.
Diese Entwicklungen sind gut. Die politische Entscheidungsfindung wird damit nicht nur partizipativer, sie wird auch transparenter; sie muss viel mehr erklären. Die moderate Anhebung der finanziellen Ausstattung dient dazu, diese Partizipation im veränderten digitalen Zeitalter zu gewährleisten und damit die Funktionsfähigkeit der Parteien aufrechtzuerhalten.
Die Zeiten ändern sich und damit auch die Ansprüche an uns und die Parteien. Was wir erhalten wollen, ist unser großartiges politisches System, die Demokratie. Daher müssen wir uns dem digitalen Wandel anpassen, und für die Anpassung an diese einschneidenden Veränderungen müssen wir auch die Finanzierung der Parteien angemessen anpassen.
Daher bitte ich Sie um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf.
Vielen Dank.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Seitz, AfD.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin erschüttert. Als wir uns vor genau einer Woche hier im Plenum in erster Lesung mit dem zwei Tage zuvor eingebrachten Gesetzentwurf befassten, wollte ich noch nicht glauben, dass Sie das hier tatsächlich so durchziehen. Beim Griff in den Steuersäckel muss der Anstand, wie so oft bei Ihnen, aber wohl hinten anstehen.
({0})
Worum es hier eigentlich geht, habe ich schon vor einer Woche gesagt. Ich wiederhole es aber gerne für jeden, der diese Schmierenkomödie hier trotz Fußball-WM auf dem Bildschirm sieht, vor allem für den hart für sich und seine Familie arbeitenden und steuerzahlenden Mittelschichtler auf dem Weg in die Altersarmut, nämlich den Facharbeiter, den Büroangestellten und den Kleinselbstständigen: Es geht hier nicht um angebliche Zusatzkosten der Digitalisierung bei der politischen Kommunikation. Dieses lächerliche Argument ist vorgeschoben; denn Digitalisierung führt in aller Regel zu Kostenersparnissen.
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Es geht hier schlicht darum, dass die SPD eine Wahl nach der anderen und ein Mitglied nach dem anderen verliert und nicht dazu bereit ist, ihre überdimensionierten Parteistrukturen anzupassen.
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Meine Damen und Herren Sozialdemokraten da drüben, nehmen Sie es zur Kenntnis: Sie sind keine Volkspartei mehr. Sie haben Ihr Volk und Ihre Wähler verraten und erhalten jetzt die Quittung.
({3})
Damit auch Sie es verstehen, benutze ich die Sprache Ihrer Vorsitzenden: „Bätschi“, sage ich dazu nur.
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Aus meinen bisherigen Erfahrungen mit Vertretern der SPD weiß ich, dass die Bürger wohl kaum darauf hoffen können, dass der eine oder andere von Ihnen noch spontan zur Vernunft kommt. Manche Grüne oder Linke tun das, was sie tun, wenigstens noch aus Überzeugung, wenn auch aus einer völlig falschen Überzeugung heraus. Aber Sie von der SPD sind einfach nur noch eine Partei von amoralischen und schamlosen Selbstbedienern. Kein Wunder, dass heute auf einmal so viele Abgeordnete von Ihnen anwesend sind.
({5})
Herr Kollege Seitz, ich habe vorher schon einmal gesagt: Eine gewisse Mäßigung bewahrt Sie vor Ordnungsrufen.
({0})
Sie sind gerade nahe dran; ich sage es nur.
({1})
Darf ich fortfahren, Herr Präsident? – Sie kämpfen schon lange nicht mehr für den arbeitenden Bürger, sondern nur noch für Ihre Posten, Ihre Macht und Ihre Netzwerke
({0})
zu Konzernen und zur Sozialindustrie. Sie kämpfen für Ihre ganz persönliche Bereicherung.
({1})
Herr Schneider und Frau Haßelmann, Ihre grotesken Vorwürfe zur Finanzierung der AfD sind falsch, ganz egal, wie oft Sie dies auch wiederholen.
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Sie, meine Damen und Herren von der Union: Wollen Sie das Spiel wirklich mitspielen? Ist das für Sie ein verantwortlicher Umgang mit dem Geld unserer Bürger? Vor kurzem wollten Sie doch noch eine schwarze Null für den Bundeshaushalt. Jetzt reicht Ihnen eine schwarze Null für die SPD-Kasse; Hauptsache, die Koalition bröckelt nicht noch mehr und noch schneller, damit Ihre alternativlose Kanzlerdarstellerin weiterhin ungestört an der Zerstörung unseres Landes arbeiten kann.
({3})
Nein, es geht nicht nur um 25 Millionen Euro. Es ist das Prinzip, das dahintersteckt: das Prinzip der Selbstbedienungsmentalität unter Missachtung der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, dass die Parteien sich dem Wettbewerb stellen und dass sich Wahlverluste auch bei der Parteienfinanzierung niederschlagen müssen.
({4})
Wenn ein Abgeordneter, der nicht im Innenausschuss sitzt, sich eine eigene Meinung bilden will, hat er heute Pech gehabt: nur drei Ausarbeitungen von sieben Sachverständigen und noch kein Protokoll der Anhörung.
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Allein dies verletzt die Rechte der meisten Abgeordneten und zeigt, wie wenig ernst Sie es mit der Vereinbarkeit Ihres Gesetzes mit dem Grundgesetz meinen.
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Bei all dem führen Sie den Bürger ein weiteres Mal in die Irre; denn die absolute Obergrenze, die Sie anheben wollen, ist doch gar nicht mehr das Entscheidende, seitdem es neben der offenen Parteienfinanzierung auch noch die versteckte Parteienfinanzierung gibt.
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Ich meine die versteckte Parteienfinanzierung in Form von fast 600 Millionen Euro jährlich, die Sie an Ihre sogenannten parteinahen Stiftungen ausschütten,
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wobei jeder weiß, auch die Richter des Bundesverfassungsgerichts, dass dies nur eine Parteienfinanzierung durch die Hintertür ist.
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Was wir hier und heute erleben, ist die moralische Bankrotterklärung der Bundestagsfraktion der ehemaligen Volkspartei SPD.
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Die gerade noch Volkspartei CDU will offenbar diesen Weg in den Abgrund unbedingt mitgehen. Vielleicht sind mittlerweile die schwarzen Kassen der CDU einfach leer, und neue Koffer mit Bargeld bleiben aus.
Was mit der CSU als dritter Regierungspartei ist: Nun, die Mitläufer haben sich noch nicht entschieden, ob sie sich von der längst nicht mehr christlichen Schwesterpartei mit in den Abgrund ziehen lassen oder lieber freiwillig dort hineinspringen wollen. Aber egal: Mit mehr Kohle vom Steuerzahler lebt es sich auch bei der CSU besser.
Meine Damen und Herren, bei vielen von Ihnen schäme ich mich, mit Ihnen im gleichen Parlament sitzen zu müssen.
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Nächster Redner ist der Kollege Mahmut Özdemir, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Seitz, es hält Sie keiner hier.
({0})
Es ist an Geschmacklosigkeit und Ekelhaftigkeit nicht zu überbieten,
({1})
dass sich jemand von russischem Kapital beim Redenschreiben die Hand führen lässt
({2})
und gleichzeitig ein Gesetz zur Regelung von parteinahen Stiftungen schreibt, das Ihnen auf den Leib geschneidert ist. Das ist Selbstbedienungsmentalität. Das ist schäbig und ekelhaft.
({3})
Langwierige Gesetzgebung ist nicht immer gute Gesetzgebung, und gute Gesetzgebung ist nicht immer langwierig. Deshalb lasse ich an dieser Stelle den Oppositionsfraktionen das Zeitargument auch nicht durchgehen, weil gute Argumente nie etwas mit Zeit bzw. mangelnder Zeit zu tun haben.
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Wenn man Gedanken gehabt hätte,
({5})
dann hätte man diese Gedanken auch im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses einbringen und in der Sachverständigenanhörung mitteilen können.
({6})
Damit möchte ich direkt zu Beginn dem Eindruck entgegentreten, dass es sich bei den vorliegenden Änderungen im Parteiengesetz um eine Überrumpelung der anderen Fraktionen handelt. Die von den Regierungsfraktionen vorgelegte Änderung im Parteiengesetz in Gestalt des Änderungsantrages bezieht sich nämlich nur auf zwei wesentliche Punkte: erstens die Erhöhung des absoluten Höchstbetrages und zweitens die Festsetzung in Höhe von 190 Millionen Euro zum Jahre 2019. Diese beiden Punkte sind schnell zu erfassen und auch parlamentarisch zu würdigen.
Die parlamentarische Würdigung nach der ersten Lesung im Deutschen Bundestag haben wir mit der Anhörung fortgesetzt. Das war im Übrigen eine den Sachverhalt vertiefende, notwendige Anhörung, die trotz des engen Zeitplans der Sache auch gerecht geworden ist. Ich bedanke mich daher ausdrücklich bei den Oppositionsfraktionen für die kritische Diskussion im Rahmen der Anhörung der geladenen Sachverständigen.
Das Ergebnis war aber deutlich. Neben der vereinzelten Kritik, dass die Parteien in eigener Sache entscheiden und bedauerlicherweise keine parteiübergreifende Einigung vorliegt, wurden die Änderungen von der Mehrheit der Sachverständigen als maßvoll, bescheiden und sinnvoll bezeichnet.
({7})
Entscheidungen in eigener Sache mögen teilweise eigenartig anmuten. Doch das Grundgesetz legt die Demokratie und die Demokratie durch die Parteien bewusst und mit klarem Verstand in die Hand des Gesetzgebers. In der Öffentlichkeit dann den Eindruck zu erwecken, als täten der Deutsche Bundestag und insbesondere die Regierungsfraktionen etwas Unmoralisches
({8})
oder Unzulässiges,
({9})
ist schlicht unanständig,
({10})
zumal alle diejenigen, die scharfe Kritik üben, selber keinen Bedarf haben, weil sie irgendwelche zwielichtigen Finanzquellen haben oder aber auch stiller Nutznießer dieser Änderungen sind.
({11})
Daher halte ich es für geboten, dass wir uns in der Sache mit den Änderungen auseinandersetzen. Lassen Sie uns darüber streiten, ob die finanzielle Teilausstattung der Parteien in der Höhe nachvollziehbar ist. Lassen Sie uns darüber reden, ob die gesetzliche Ausgestaltung des Parteiengesetzes zeitgemäß ist. Nichts dazu habe ich heute an Argumenten gehört.
Aber lassen Sie uns zum Schutze des Vertrauens in die Parteien deutlich machen, dass es hier um Gelder geht, die treuhänderisch und verantwortungsvoll in unser Gemeinwesen zurückfließen.
({12})
Der Stehtisch mit dem Schirm, der Handzettel für die Befragung der Bürgerinnen und Bürger dazu, was sich in ihrem Umfeld ändern soll, die Unterstützung und Würdigung von Forderungen aus Bürgerbegehren genauso wie das zielgerichtete Aufbereiten von Informationen über Parteitage für Twitter und Facebook und das Bedienen von Kurznachrichtendiensten auf dem Smartphone: Das alles wird daraus finanziert. Das Geld fließt hier nicht in die Parteien, sondern durch die Parteien zurück in die Willensbildung des Volkes.
({13})
Die Menschen müssen in die Lage versetzt werden, zu wissen, was eine Partei will. Und das ist eben keine Einbahnstraße.
Die Änderungen sind auch notwendig geworden, weil das beträchtliche Ungleichgewicht zwischen der relativen und der absoluten Höchstgrenze im Parteiengesetz den Gesetzgeber zum berichtigenden Handeln nahezu aufruft. Die relative Höchstgrenze führt derzeit bei allen berechtigten Parteien – und auch Sie streichen diese Gelder ein; jetzt tun Sie mal nicht so scheinheilig! –
({14})
zu einem Anspruch von rund 190 Millionen Euro. Das ist sachlich nachvollziehbar.
({15})
Diese relative Höchstgrenze achtet darauf – ich erkläre Ihnen das auch gerne noch einmal persönlich –, dass den Parteien nicht mehr gegeben wird, als sie selber erwirtschaftet haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Hoffmann, FDP?
Nein, ich würde gerne im Zusammenhang vortragen und möchte fortfahren.
Die relative Höchstgrenze haben wir gerade angesprochen. Die absolute Höchstgrenze bleibt demgegenüber bei 165 Millionen Euro stehen. Das heißt, obwohl ein höherer Anspruch besteht, steht nicht mehr Geld zum Verteilen zur Verfügung. Wenn die relative Höchstgrenze also mit ihrer überschießenden Innentendenz regelmäßig die absolute Höchstgrenze überschreitet und damit zur Kappung von tatsächlich bestehenden Ansprüchen führt, ist Handlungsbedarf gegeben.
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Diesem kommt die gesetzgeberische Lösung mit der Erhöhung auf den tatsächlichen Bedarf – auf den nachvollziehbaren Bedarf – auch nach, zumal seit 2011 überhaupt keine Anpassung oder Erhöhung stattgefunden hat.
Die absolute Höchstgrenze ist ein verfassungsrechtliches Stoppschild, dass das Maß gewahrt werden soll. Sie ist nicht streng rechnerisch zu betrachten. Sie ist vielmehr eine mahnende, eine strenge Darlegungslast.
Aber sie gewährt auch dem Gesetzgeber einen Beurteilungsspielraum, einen Spielraum, um auf wesentliche Veränderungen der politischen Willensbildung und der Landschaft zu reagieren. Die Kappung der wesentlich höheren Ansprüche durch die absolute Grenze ist auch ein Zeichen dafür, dass die eigene Erwirtschaftung von Mitteln durch die Parteien immens gestiegen ist. Das System der Teilfinanzierung nach dem Parteiengesetz in Zusammenschau mit der öffentlichen Rechenschaftspflicht der Parteien bietet die Sicherheit dafür, dass die Parteien weder zu staatsabhängig noch zu wirtschaftsabhängig werden.
Wenn man sich das Ganze anschaut, dann sieht man, dass es auch eine Schutzpflicht des Gesetzgebers ist, die wir heute ausüben, die aus Artikel 21 Grundgesetz fließt und die wir gegenüber den Parteien haben. Die Erhöhung der staatlichen Teilfinanzierung von Parteien ist nachvollziehbar und begründet und entspricht dem tatsächlichen Bedarf. Die Art und Weise der Verwendung der Mittel folgt immer noch dem innerparteilichen Selbstverständnis von Teilhabe. Die Parteien müssen Rechenschaft darüber ablegen können, dass sie die Mittel zum Zweck der politischen Willensbildung auch aufgebracht haben. Politische Willensbildung bedeutet im Jahre 2018, dass man die Lebenswirklichkeiten der Menschen berücksichtigt.
Die Kommunikation hat sich wesentlich verändert. Während früher die Mitgliederversammlungen der Ort für die Einflussnahme oder die Tageszeitungen die Informationsquelle war, so ist es heute zusätzlich – zusätzlich, auch zusätzliche Kosten verursachend – ein Messenger-Dienst, eine Internetseite, eine App, die gepflegt werden muss. Während früher von 19 bis 21 Uhr in Sitzungen der Raum zur Diskussion bestand, so besteht heute der Raum zur Diskussion rund um die Uhr, und das teilweise mit dem Anspruch einer nahezu postwendenden Rückmeldung auf irgendwelche Internetbeiträge, Posts oder auch Nachrichten.
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Das Angebot vom Flugblatt über die Tageszeitung bis hin zu Facebook setzt voraus, dass wir diese Entscheidungen den Parteien nicht im Sinne eines Entweder-oder aufzwingen, sondern dass wir ihnen gestatten, dass sie mit einem Sowohl-als-auch auf allen Wegen der politischen Willensbildung unterwegs sein können.
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Parteien, die auf der Höhe der Zeit sind und Schritt halten mit der Erneuerung der Lebenswirklichkeiten, das sind die wahren Garanten unserer Demokratie und nicht irgendwelche zwielichtigen russischen Co-Finanzierungen. Deshalb brauchen wir eine Parteienfinanzierung. Wir brauchen ein strenges Regiment vom Bundestagspräsidium, das auf Spenden, auf Sponsoring, auf Einnahmen, auf relative, auf absolute Höchstgrenzen ganz genau guckt.
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Deshalb bin ich stolz auf die Parteienfinanzierung in diesem Land.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Hermann Otto Solms, FDP.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Verfahren hat mein Kollege Marco Buschmann das Notwendige gesagt. Deswegen will ich mich auf drei sachliche Gründe beschränken, und zwar will ich begründen, warum wir den Gesetzentwurf aus sachlichen Gründen ablehnen.
Erstens. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Grundsatzurteil von 1992 eine über die Indizierung der absoluten Obergrenze hinausgehende Erhöhung nur dann für zulässig erklärt, wenn sich die Verhältnisse einschneidend geändert haben. Dazu führen die Koalitionsfraktionen schlicht und einfach die Digitalisierung der Kommunikationswege und neue Instrumente innerparteilicher Partizipation an. Für die innerparteilichen Fragen gibt es weder im Verfassungsgerichtsurteil noch im Parteiengesetz irgendeine Grundlage. Wenn Sie das als Grund anführen wollten, müssten Sie das Parteiengesetz erst entsprechend ändern.
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Zur Digitalisierung. Sie haben sich überhaupt nicht die Mühe gemacht, die Forderung inhaltlich zu begründen, geschweige denn die zusätzlichen Kosten von 25 Millionen Euro in der Höhe in irgendeiner Weise vorzurechnen.
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Das ist in dieser pauschalen Beurteilung bei weitem nicht ausreichend. Das haben uns im Übrigen auch die Sachverständigen in der Anhörung bestätigt.
Zweitens. In der ersten Lesung des Gesetzentwurfs wurde die Notwendigkeit der Erhöhung auch damit begründet, dass ja durch die jetzt gültige absolute Obergrenze die Ansprüche der Parteien auf Beteiligung an der staatlichen Teilfinanzierung nicht ausgeschöpft werden könnten. Das ist nun ein besonders scheinheiliges Argument.
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Denn im Dezember 2015 haben die Koalitionsfraktionen bei einer Änderung des Parteiengesetzes die Ansprüche selber angehoben, und zwar von 70 Cent auf 83 Cent je Wählerstimme und von 38 Cent auf 45 Cent für jeden Euro bei Spenden und Beiträgen bis zur Höhe von 3 300 Euro je natürliche Person.
Diese Erhöhung war damals völlig wirkungslos, weil die absolute Obergrenze das nicht zur Wirkung hat kommen lassen. Ich habe mich damals, als ich das gelesen habe – ich war ja nicht im Parlament –, gefragt: Was haben die da eigentlich gemacht? Das macht doch gar keinen Sinn. – Es stellt sich aber jetzt heraus, was die Absicht war.
Wenn Sie mit dieser Begründung die absolute Obergrenze jetzt erhöhen wollen, verschweigen Sie, dass Sie die Erhöhung der Ansprüche vorher bewusst selbst herbeigeführt haben.
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Offenkundig haben Sie schon mit der damaligen Erhöhung der Zuschläge auf Beiträge, Spenden und Wählerstimmen die Begründung für die jetzt nachfolgende Anhebung der Obergrenze schaffen wollen. Sie wollen dem Wahlvolk also vorgaukeln, dass Sie objektiv zu dieser Erhöhung gezwungen seien, obwohl Sie die Gründe dafür selbst absichtlich herbeigeführt haben, und das scheint mir überhaupt nicht zulässig zu sein.
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Drittens. Sie übergehen bei Ihrem Griff in die Kasse der Steuerzahler total den Sinn der Verteilungsmaßstäbe für die staatlichen Mittel. Der Staat stellt einen durch die absolute Obergrenze definierten Betrag für alle Parteien gemeinsam zur Verfügung.
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Um die Verteilung dieses Geldes wetteifern die Parteien. Maßstab dafür ist die Höhe der Beiträge und Spenden sowie die Zahl der Wählerstimmen.
Wenn also Parteien bei Wahlen Millionen an Stimmen verlieren, wie es Union und SPD bei der Bundestagswahl erfahren mussten, dann muss ihr Anteil an der staatlichen Finanzierung sinken,
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und das müssen diese Parteien akzeptieren; das ist ja gerade der Sinn des Wettbewerbs.
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– Wenn Sie es akzeptieren, dürfen Sie nicht jetzt gleich wieder in die Kasse greifen, um das auszugleichen.
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Das mussten wir Freien Demokraten nach der Wahl 2013 selbst erfahren. Wir haben die Zähne zusammengebissen, dies klaglos hingenommen
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und versucht, durch bessere Politik erfolgreicher zu sein, und zwar durch den Einsatz von weniger Mitteln. Das ist die Konsequenz, die ich auch Ihnen empfehle; das war nämlich erfolgreich.
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Aber durch Ihren frechen Griff in die Kasse der Steuerzahler wollen Sie sich genau dieser Konsequenz entziehen und so weitermachen wie bisher. Ich sage Ihnen voraus: Das wird nicht erfolgreich sein.
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Dieses Verhalten steht eindeutig im Widerspruch zu Sinn und Wortlaut der Verfassungsrechtsprechung, und das können wir Freien Demokraten nicht akzeptieren.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner ist der Kollege Jan Korte, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur so viel zur AfD: Die Partei AfD beschimpft die anderen Parteien und nimmt dann das Geld der Parteienfinanzierung. Das ist irgendwie ein gewisser Widerspruch.
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Zu Ihrer Rede, Kollege, will ich schon noch mal eines sagen: Bei Ihnen ist es offenbar ja wie eine Sucht:
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Sie müssen jede Woche die Hetzdosis erhöhen.
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Wo führt das eigentlich irgendwann hin? – Damit ist zu Ihnen alles gesagt. In der Debatte sind Sie raus.
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Ich will versuchen, das Ganze hier mal einzuordnen. Wir haben im Pflegebereich zurzeit 40 000 Stellen, die nicht besetzt werden können – nicht, dass das nicht notwendig ist! –; 40 000 Stellen, die nicht besetzt werden können. Zu dieser Tendenz sagt Minister Spahn: Die wollen wir umdrehen. Das geht nicht von heute auf morgen.
Dann haben die Hälfte aller Befristungen keinen Sachgrund. Minister Heil – immerhin ist ein Minister hier; ich frage mich, wo alle Übrigen sind – sagt: Die Hälfte der Befristungen ist ohne Sachgrund. Das muss aufhören. – Er, also Minister Heil, will das innerhalb eines Jahres anpacken.
Zu dem, was wir heute diskutieren – um das mal einzuordnen für die Menschen, die hier zuhören und das Ganze mitverfolgen –: Wenn Sie innerhalb von neun Tagen den Pflegemindestlohn erhöhen würden und die sachgrundlosen Befristungen endlich abschaffen würden, dann könnte man anders über die Parteienfinanzierung diskutieren. So ist die Sachlage.
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Sie kennen doch, hoffe ich, wohl die Zahlen. Gucken Sie sich Infratest an! Zwei Drittel der Menschen in diesem Land haben kein Vertrauen mehr oder sehr wenig Vertrauen in die Parteien. Bei Bundestagswahlen nehmen 25 Prozent der Leute erst gar nicht mehr teil; bei Landtags- und Kommunalwahlen sieht es noch katastrophaler aus. Das heißt, ein relevanter Teil der Menschen wendet sich ab von der Politik, von den Abläufen, wie sie hier stattfinden. Und dann erleben sie das, was sie heute erleben.
Wenn man das nicht mitkriegt, was da draußen vor sich geht, dann hat man, liebe Große Koalition, den Schuss nicht gehört nach der letzten Bundestagswahl. Ihr könnt doch so nicht weitermachen!
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Vielleicht einen kleinen Insidertipp an die SPD. Sie wollen sich, liebe Genossinnen und Genossen, nach dem Ergebnis mit den 20 Prozent ja erneuern. Ich hätte einen guten Hinweis für Sie: Wenn Sie endlich wieder eine gute, vernünftige sozialdemokratische Politik machen würden, dann würden Ihre Wahlergebnisse sich verbessern, und dann bekämen Sie mehr Geld aus der staatlichen Teilfinanzierung.
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Das wäre doch der viel bessere Weg, und er würde Ihnen und dem Land nutzen.
Ich glaube, in diesen Zeiten, wo es ein grundsätzliches Akzeptanzproblem für die parlamentarische Demokratie gibt, wo Demokratie, wo übrigens auch Anstand schwer unter Beschuss stehen, gerade in diesen Zeiten ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Bundestag in Gänze ein Zeichen setzt, dass man verstanden hat, was passiert ist, und dass man das Abwenden von weiten Teilen der Bevölkerung von dem Geschehen hier – das trifft alle hier gleichermaßen – ernst nimmt. Deswegen: Dieses Verfahren geht nicht; dazu ist alles gesagt worden. Auf der Agenda müsste eine große Reform der Parteienfinanzierung stehen.
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Dazu muss endlich ein Verbot der Unternehmensspenden an Parteien durchgesetzt werden. Politik darf nicht käuflich sein.
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Das Zweite – das betrifft vor allem die CDU/CSU; seit Jahren diskutieren wir das hier –: Wir brauchen jetzt endlich ein Lobbyistenregister, damit die Bevölkerung gucken kann, wer hier rumläuft und Einfluss nimmt.
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Das ist der zweite wesentliche Punkt.
Und da wir nicht nur kritisieren, sondern logischerweise auch konstruktive Vorschläge machen, will ich einen Vorschlag machen. Warum machen wir nicht Folgendes: Sie ziehen dieses Ding heute zurück – das nutzt Ihnen, das nutzt dem Ansehen des gesamten Bundestages –, und wir berufen einen runden Tisch ein – ich habe diesen Vorschlag gemacht –, unter dem Vorsitz des geschätzten ehemaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, der viele gute Vorschläge in dieser Hinsicht gemacht hat, mit Transparenzorganisationen, Parlamentariern und vielen anderen mehr, und wir gehen eine grundlegende Reform der Parteienfinanzierung
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und eine große Parlamentsreform an. Das wäre das richtige Zeichen in diesen Zeiten, in denen die Demokratie in der Krise ist. Das wäre angemessen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Zum Schluss. Ich glaube, dass wir hier alle eine ziemlich große Verantwortung für die in Teilen schwer angeschlagene Demokratie haben, die bei aller Kritik das Beste ist, was wir in der Geschichte bis jetzt hatten. Dafür haben wir alle eine Verantwortung. CDU/CSU und SPD werden dieser Verantwortung heute in keinster Weise gerecht, in keinster Weise.
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Eins will ich schon sagen: Dass Sie sich damit selber enorm schaden, das sieht man ja am betretenen Gucken. Aber das Hauptproblem ist: Sie beschädigen damit den Bundestag und die parlamentarische Demokratie insgesamt, die wir gerade in diesen Zeiten stärken und verteidigen müssen.
In diesem Sinne: Wir lehnen ab.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der heute vorliegende Gesetzentwurf zur Parteienfinanzierung steht unter der Überschrift „Wider besseres Wissen und bar jeder Vernunft“.
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Das ist etwas, was Ihnen allen zu denken geben sollte. Sie werden sich in Ihren Wahlkreisen – da spreche ich jetzt die Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen der Union und der SPD an – nicht dahinter verstecken können, dass Sie sagen: Na ja, das hat die Fraktionsführung irgendwie ausgehandelt; weiß auch nicht. – Das ist so eine Reaktion, die ich in den letzten Tagen gehört habe, die bei mir angekommen ist.
Es ist kein normales Gesetzgebungsverfahren. Es verstößt gegen alle Gepflogenheiten, die wir bisher in Sachen Parteienfinanzierung im Deutschen Bundestag zwischen den demokratischen Fraktionen hatten.
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Denn da war immer klarer Stil: Wenn jemand etwas ändern wollte, Notwendigkeiten sah, an der Parteiengesetzgebung etwas zu ändern, dann sind wir aufeinander zugegangen, dann haben wir Fragen gemeinsam erörtert. Manchmal hatten wir Gemeinsamkeiten, manchmal hatten wir auch Trennendes. Deshalb haben wir 2011 gemeinsam, FDP, Union, SPD und Grüne, den Mechanismus der Parteienfinanzierung, was die relative Obergrenze und die absolute Obergrenze angeht, hier im Haus beschlossen. Von dieser Art zu diskutieren – als Parteien, Fraktionen gemeinsam eine Lösung zu finden –, haben Sie sich mit Ihrem Vorgehen hier komplett verabschiedet.
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Dafür, meine Damen und Herren, werden Sie sich den Fragen der Bürgerinnen und Bürger in Ihren Wahlkreisen stellen müssen. Da ist nichts mehr mit Wegducken und Verweisen auf die Fraktionsführungen der beiden Großkoalitionäre. Das geht einfach so nicht, und es schadet allen demokratischen Parteien. Das ist doch das Problem, das wir haben.
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Wissen Sie, sonst könnte ich doch sagen: Laufen Sie einfach in Ihr Unglück. – Aber es ist doch ein völlig unüblicher Stil.
Keiner aus Ihrer Fraktion hat mal den Kontakt zu mir als Berichterstatterin gesucht – aus der anderen Fraktion übrigens auch niemand –, weder zu den Kollegen der FDP noch zu den Linken noch, wie gesagt, zu uns Grünen. Niemand hat mal gesagt: Lasst uns darüber diskutieren. Wie findet ihr den Vorschlag in der Sache?
Frau Kollegin Haßelmann.
Das ist doch kein normales Verfahren, meine Damen und Herren. Das verantworten Sie ganz alleine.
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Frau Kollegin Haßelmann, der Kollege Dr. Hoffmann, FDP, möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.
Gerne, Herr Hoffmann.
Der CDU-Abgeordnete Stephan Harbarth hat hier in der letzten Debatte zu diesem Thema erklärt, dass die Schwäche der Parteien in der Weimarer Republik zum Untergang geführt habe, und leitet daraus ab, dass die Parteien heute unterfinanziert seien. Man kann natürlich darüber streiten, ob das Unfug ist oder nicht.
Ich denke, die Parteien erhalten heute so viele Steuergelder wie noch nie. Jetzt wird von der CDU und der SPD nochmals ein Aufschlag von 15 Prozent gefordert. Ich glaube, die Herrschaften haben den Schuss noch nicht gehört, den uns die Truppe, die alternative Südkurve mit den Gauleitern, beschert hat. Wir brauchen Reformen aus der Mitte der Gesellschaft und des demokratischen Spektrums heraus.
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Jetzt die Frage an Sie: Glauben Sie, dass die Parteien insgesamt – und speziell die grüne Partei – zu schwach finanziert sind und uns deshalb Weimarer Verhältnisse drohen würden? Und glauben Sie, dass die teure Hauruckaktion von CDU und SPD auf Kosten der Bürger dazu beiträgt, das Vertrauen in unsere liberale Demokratie zu stärken, oder eher, es zu schwächen? Halten Sie das Handeln der Regierungskoalition für verantwortlich oder letztendlich für einen Sargnagel unserer liberalen Demokratie?
Vielen Dank, Herr Hoffmann, für Ihre Frage. – Ich glaube, dass die Parteien eine wirklich gute finanzielle Grundausstattung brauchen, damit sie in unserer lebendigen Demokratie ein guter Bestandteil sein und ihre Arbeit gut ausführen können.
Gerade weil ich überzeugt bin, dass das notwendig ist, ist so viel Sorgfalt angebracht, wenn man über Parteienfinanzierung redet. Es ist notwendig, einen Konsens zwischen den demokratischen Parteien darüber herbeizuführen, was wir im Parteiengesetz ändern wollen oder wie wir die Parteienfinanzierung aufstellen wollen.
Es ist ein großer Fehler von Union und SPD gemacht worden, weil wir mit der Darlegungspflicht und der Begründungspflicht, die uns das Bundesverfassungsgericht auferlegt hat, nicht so fahrlässig umgehen dürfen, wie das hier passiert, meine Damen und Herren.
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Herr Hoffmann, genau das war meine Frage an die Sachverständigen in der Anhörung: Glauben Sie, dass die Erhöhung der Obergrenze, das Heraufsetzen um 25 Millionen Euro, sachlich begründet ist? Mehrere Sachverständige haben deutlich gemacht: Weil uns das Bundesverfassungsgericht einen so klaren Begründungsrahmen und eine Darlegungspflicht vorgibt, müssen wir als Gesetzgeber das genau begründen – und nicht mit drei Stichworten nach dem Motto: Digitalisierung, Mitgliederentscheide und soziale Medien.
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Gucken Sie mal in die Begründung, Herr Hoffmann. Genau das steht da drin, –
Frau Kollegin Haßelmann.
– drei Schlagworte, und am Ende ist da keine Begründung, keine Darlegung, die belastbar ist. Das ist das Problem.
Frau Kollegin Haßelmann, damit ist die Frage des Kollegen Dr. Hoffmann beantwortet. – Herr Kollege Dr. Hoffmann, für den Ausdruck „diese Truppe von Gauleitern“ muss ich Sie zur Ordnung rufen.
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Die Uhr wurde nicht angehalten. Das rechne ich jetzt noch ein bisschen mit ein.
Über die Redezeit verfügt der Präsident.
Ich weiß. Im Gegensatz zu vielen anderen kenne ich ja die Geschäftsordnung.
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Meine Damen und Herren, demokratische Grundsätze der inneren Ordnung von Parteien, die staatliche Teilfinanzierung und die gleichzeitige Staatsferne – da knüpfe ich an das Stichwort „Weimar“ an, das Herr Hoffmann gerade genannt hat –, diese drei Elemente sind ganz zentral für die Wahrnehmung unserer Arbeit und die Legitimation der Parteien in dieser Demokratie. Deshalb ärgert es mich so, wie Sie hier heute vorgehen. Sie schaden uns allen, den demokratischen Parteien, mit dieser Art des Vorgehens ganz erheblich. Es ist doch auch kein Wunder, dass sich Ihr Schatzmeister – ich weiß gar nicht, ob er heute überhaupt da ist – in die letzte Reihe gesetzt hat.
Was haben Sie 2015/16 für große Töne gespuckt, als wir hier über „Rent a Sozi“ diskutiert haben? Da hieß es: Die SPD legt bald einen Gesetzentwurf zu Sponsoring vor. Das kommt ja noch dazu; da hat Herr Buschmann doch vollkommen recht. Sponsoring, klare Veröffentlichungsregeln, Transparenzregeln bei Parteienfinanzierung – alles kein Thema mehr bei Union und SPD. Das ist auch ein Grund, meine Damen und Herren, diesen Gesetzentwurf heute abzulehnen.
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Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Frauke Petry.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schön, dass es in diesem Haus Widerspruch gegen die völlig übereilte und auch unnötige Erhöhung der absoluten Grenze bei der Parteienfinanzierung gibt. Ich frage mich nur, Frau Haßelmann, ob Ihre Partei, die Linken oder auch die FDP dann diesen Betrag auch nicht nehmen werden.
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Ich weiß, das ist gar nicht möglich; das Drama dieser Gesetzesänderung ist, dass am Ende alle Parteien davon profitieren. Wir reden – und das ist vielleicht einmal wichtig für die Bürger – über die jährliche Erhöhung der absoluten Obergrenze von 165 Millionen Euro auf 190 Millionen Euro. Noch einmal: pro Jahr und nicht pro Legislatur.
Richtig ist, dass Parteien und Politiker eine sehr großzügige Finanzierung in unserem Land erhalten, wenn auch die Hürden, diese zu erhalten, anfangs sehr groß sind. Es ist immer das Gleiche: Gibt es neue Parteien in diesem Land, dann werden die, die schon da sind, die etablierten, versuchen, die anderen von den Fleischtöpfen fernzuhalten. Das ist legitim im Wettbewerb. Aber Ihre Diskussion darüber, was nach den Gesetzen erlaubt oder verboten ist, ist verlogen und nicht ehrlich; denn Sie alle, meine Damen und Herren, haben in der Vergangenheit alle Lücken und Möglichkeiten des Parteiengesetzes ausgenutzt. Deswegen ist auch nicht zu erwarten, dass eine Reform der Parteienfinanzierung aus den Parteien heraus überhaupt realistisch ist. Das ist genauso unrealistisch wie eine Erneuerung der SPD oder der CDU oder anderer Parteien aus sich selbst heraus.
Meine Damen und Herren, Parteien sollen den Willen der Bürger mitbestimmen, sie sollen nicht dominieren. Das einzige, was dieses politische Land braucht, ist Konkurrenz im politischen Parteiensystem, und die muss von außen kommen, nicht von innen. Deswegen brauchen wir nicht mehr Parteien und mehr Finanzierung. Wir brauchen weniger Partei, mehr aktive Bürger und die Möglichkeit für Bürger, außerhalb von Parteien für Parlamente zu kandidieren, so wie das bereits auf kommunaler Ebene möglich ist. Das wollen Sie nicht hören; aber Sie werden es sicherlich erleben. Wir von der Blauen Partei stehen dafür, dass mehr Bürger ohne Abhängigkeit von Fraktionen und Parteien in diesem Land Politik machen.
Sie riskieren mit diesem Gesetz wieder einmal übereilt und unnötig, dass die Akzeptanz für vernünftige, bürgernahe Politik auf allen Ebenen in diesem Land sinkt. Es ist ein schlechter Tag für die Demokratie in diesem Land. Wenn Sie so weitermachen, werden Sie in der Tat bei den nächsten Wahlen auf verschiedene Weise wieder einmal Ihr blaues Wunder erleben.
Herzlichen Dank.
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Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Michael Kuffer, CDU/CSU.
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Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in Zeiten, in denen unser demokratisches System strapaziert und unsere Demokratie immer wieder auf die Probe gestellt wird. Sie muss sich tagtäglich gegen Angriffe von innen, aber auch von außen bewähren. Ich glaube, wir können mit Stolz bekunden: Sie trotzt diesen Angriffen.
Unser demokratisches Gemeinwesen ist stabil. Ein Grund dafür sind die demokratisch verfassten Institutionen in unserem Staat. Dazu zählen auch die Parteien mit ihrem Auftrag, an der politischen Willensbildung mitzuwirken. Was wir aber in den letzten Jahren immer deutlicher erkennen, ist, dass neue Entwicklungen, die Digitalisierung mit all ihren Chancen und Möglichkeiten, die sie ohne Zweifel bietet, unser demokratisches Zusammenleben und die Wirkungsweise der Parteien, die das Grundgesetz vorsieht, vor neue Herausforderungen stellen.
Wie in allen anderen Lebensbereichen verändert die digitale Entwicklung auch für den politischen Wettbewerb die Art und Weise, wie wir Dinge tun. Politisch Interessierte haben heute eine unendliche Fülle von Möglichkeiten, nahezu minutenaktuell zu kommunizieren, sich zu informieren, sich einzubringen, ihre Positionen zu diskutieren und zu artikulieren, mit den Parteien in Kontakt zu treten. Das alles ergibt nur Sinn, wenn das keine Einbahnstraße ist, sondern ein Kommunikationskanal, der mit großem Aufwand gepflegt werden muss. Das führt dazu, dass diese Entwicklungen natürlich massiven Einfluss auf die Arbeit, aber auch auf die Organisation von Parteien haben.
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Daraus ergibt sich ein deutlich gestiegener Personalbedarf, beispielsweise für die Pflege von Webangeboten, die Betreuung und Moderation von Social-Media-Kanälen, aber auch für den Schutz vor Cyberkriminalität oder – das gewinnt leider immer mehr an Bedeutung – für den Schutz vor der schädlichen Einflussnahme von Falschmeldungen im politischen Wettbewerb.
Es gibt nicht nur eine Verlagerung der Kommunikation, sondern es ist ein zusätzlicher Kanal entstanden, der neben den klassischen Formen der Kommunikation bestehen muss. Es gibt selbstverständlich Wählerschichten, es gibt Menschen, die von uns einfordern, dass wir die traditionellen Angebote weiterhin pflegen und dass es einen festen Platz klassischer Kommunikationsformen gibt. Das hat etwas mit der Präsenz vor Ort, mit Veranstaltungen, also mit klassischen Kommunikationsmitteln, zu tun. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Trotz aller Segnungen der Technik möchte ich diese Möglichkeit des Kontakts mit den Menschen auf gar keinen Fall missen. Das ist einer der großen Verdienste der Parteien. Vieles, was die Parteien inhaltlich machen, kann man mit Kritik versehen; aber die Art und Weise, wie die Arbeit in den Parteien geleistet wird, ist großartig, und das hat auch mit diesen klassischen Formen der Kommunikation zu tun, die weiterhin gepflegt werden müssen.
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Ich habe keinen Zweifel, dass Sie, Herr Gauland und liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, interessante Papiere zum Lesen haben; aber es wäre trotzdem ganz gut, wenn Sie gerade an dieser Stelle einmal hinhören würden. Sie könnten dann nämlich erfahren, wofür sie das Geld eigentlich bekommen. Sie bekommen es nicht für Champagner,
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und Sie bekommen es auch nicht für teure Luxusmenüs, deretwegen Sie bisher in den Parlamenten, in denen Sie tätig waren, aufgefallen sind. Vielmehr bekommen Sie das Geld, damit Sie es auch in diese Formen von Arbeit investieren, damit Sie es für Sacharbeit verwenden.
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Ich habe gar keinen Zweifel daran, dass Sie sich locker hierhinstellen und solche Reden halten können, wie Sie vorhin auch vom Kollegen Seitz gehalten worden ist. Sie halten im Grunde nur eine Fassade aufrecht. Sie halten große Reden und posaunen sie hinaus in die Welt, aber Sie haben sich hier bisher noch nicht ein einziges Mal in irgendeiner Form an Sacharbeit beteiligt.
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Das ist symptomatisch für Ihre Partei.
({5})
An dieser Stelle muss ich leider den Kollegen Hoffmann von der FDP auch von meiner Seite zur Ordnung rufen. Sie haben nämlich die Kolleginnen und Kollegen mit den Fans in der Südkurve verglichen, und ich sage zumindest für die Südkurve des FC Bayern: Ich rüge das als Beleidigung. Das weise ich zurück.
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Es bleibt richtig, sich für die verschiedensten Formen der Kommunikation der Arbeit der Parteien zu engagieren und die Parteien dafür entsprechend auszustatten. Ich bin der festen Überzeugung, dass uns das der Zusammenhalt der Gesellschaft wert sein sollte. Mit dem vorliegenden Vorschlag sichern wir eine angemessene Finanzierung in dem genannten Sinne, einen guten, pluralen, demokratischen Wettbewerb.
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Ein Wort noch zum Schluss. Es ist völlig normal, dass sich die Opposition bei einer solchen Debatte hier kritisch hinstellt und in dem großen Schauspiel sagt, dass Sie das alles nicht will.
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Aber auf eines haben wir bei diesem Vorschlag geachtet. Er ist so gestaltet, dass Sie eines nicht müssen: Sie müssen das Geld nicht annehmen. Insofern schauen wir halt mal, ob Sie es nehmen und zurückgeben oder es überhaupt nicht annehmen werden. Dann können wir uns die nächste Debatte dieser Art vielleicht sparen oder sie verkürzen.
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Vielen Dank.
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Herr Kollege Kuffer, ich habe unterstellt, dass Sie mit der Inschutznahme der Fans in der Südkurve eines bedeutenden deutschen Fußballvereins nicht das ausschließliche Recht des sitzungsleitenden Präsidenten auf Anwendung von Ordnungsmaßnahmen nach der Geschäftsordnung infrage stellen wollen.
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Parteiengesetzes.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte behalten Sie Platz. Zunächst einmal müssen wir in zweiter Lesung abstimmen. Bevor es längere Debatten über die Mehrheiten gibt, bitte ich Sie, Platz zu nehmen. Das gilt auch für die Kolleginnen und Kollegen am Rand des Plenarsaals.
Der Ausschuss für Inneres und Heimat empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/2734, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 19/2509 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
({0})
– Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben gleich in der dritten Lesung eine namentliche Abstimmung. Wir sind uns im Präsidium einig, dass bei der Abstimmung das Erstere die Mehrheit hatte, sodass der Gesetzentwurf mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Opposition in zweiter Lesung angenommen worden ist.
Wir kommen damit zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Wir stimmen nun auf Verlangen der Fraktionen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen über diesen Gesetzentwurf namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Darf ich fragen, ob alle Plätze an den Urnen besetzt sind? – Das ist jetzt der Fall. Damit kann ich die Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf eröffnen.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Haben jetzt alle Mitglieder, die wollten, ihre Stimme abgeben können? – Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekannt gegeben. Jetzt bitte ich, wieder Platz zu nehmen.
({1})
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/2739. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Entschließungsantrag gegen die Stimmen der Fraktion Die Grünen bei Enthaltung der Fraktionen von AfD, FDP und Die Linke mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD abgelehnt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Reihen haben sich merklich gelichtet, nachdem die Schäflein im Trockenen sind.
({0})
Die parlamentarische Demokratie
– so heißt es in einem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1975 –
basiert auf dem Vertrauen des Volkes; Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt zu verfolgen, was politisch geschieht, ist nicht möglich.
So weit das Diätenurteil von 1975.
Meine Damen und Herren, wenn dies für die Abgeordnetendiäten und die Parteienfinanzierung, über die wir gerade debattiert haben, gilt, dann gilt es erst recht für die Finanzierung der sogenannten parteinahen Stiftungen, die seit Jahren in einer Grauzone operieren. Wir wollen die parteinahen Stiftungen aus dieser rechtlichen – einige sagen sogar: verfassungswidrigen – Grauzone herausholen und sie auf eine ordentliche, materielle gesetzliche Grundlage stellen. Wir wollen regeln, wofür sie zuständig sind und wofür nicht, und vor allem wollen wir die Höhe der jährlichen Zuwendungen, die inzwischen mehr als das Dreifache der Parteienfinanzierung beträgt, drastisch reduzieren.
({1})
Bereits die von Bundespräsident Richard von Weizsäcker im April 1992 eingesetzte Sachverständigenkommission zur Parteienfinanzierung bemängelte die fehlende Rechtsgrundlage für die sogenannten parteinahen Stiftungen. Im Abschlussbericht dieser Kommission heißt es – ich zitiere –:
Eine Einstellung der Zuwendungen allein in den Haushaltsplan reicht nicht aus; denn dies geschieht, ohne daß die Öffentlichkeit hinreichend Gelegenheit hätte, davon Kenntnis zu nehmen. Der aus dem Demokratieprinzip fließende Gesetzesvorbehalt verlangt ... ein öffentlichkeitswirksames Gesetzgebungsverfahren auch für die Finanzierung der parteinahen Stiftungen.
So weit die Sachverständigen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, zu diesem längst überfälligen öffentlichkeitswirksamen Gesetzgebungsverfahren lädt die AfD-Fraktion Sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf herzlich ein.
Wie Sie wissen, sind die sogenannten Stiftungen ihrer wahren Rechtsnatur nach lediglich eingetragene Vereine, die sich nicht aus irgendeinem Stiftungsvermögen, wie man denken könnte, finanzieren, sondern auf regelmäßige Zahlungen aus der Bundeskasse angewiesen sind. Das wollen wir ändern, indem wir uns ehrlich machen und aus den Vereinen echte Stiftungen machen, die auch mit weniger Bundesmitteln ihre zentralen Aufgaben erfüllen können.
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Beispielsweise halten wir es für überflüssig, dass die Stiftungen inzwischen mehr Auslandsrepräsentanzen unterhalten als die Bundesrepublik Deutschland Botschaften hat.
Allein im Jahr 2017 waren es sage und schreibe 581 428 000 Euro, die weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit an Ihre politischen Stiftungen geflossen sind. Es kann doch nicht sein, dass über diese gewaltigen Summen am Rande der Haushaltsberatungen in irgendwelchen Kungelrunden entschieden wird. Wir brauchen endlich ein Parteistiftungsgesetz.
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Wir brauchen dieses Gesetz, um den immer wiederkehrenden und leider weitgehend begründeten Klagen über die „gesetzlosen Fünf“ – so hat der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim die Stiftungen einmal genannt – den Boden zu entziehen.
Meine Damen und Herren, schließen wir gemeinsam die rechtsfreien Räume rund um die parteinahen Stiftungen! Mit unserem Gesetzentwurf, der sich eng an die Vorschläge namhafter Parteienrechtler anlehnt, würde die Bundeskasse jährlich um mehrere Hundert Millionen Euro entlastet werden.
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Durch Übergangsfristen würden Härten für bereits bestehende Stiftungen vermieden, würden die Entscheidungen rund um die parteinahen Stiftungen aus dem Hinterzimmer in die Öffentlichkeit geholt und transparent gemacht. Mit diesem Gesetz hätten wir gemeinsam die Chance, verlorengegangenes Vertrauen bei den Bürgern wieder zurückzugewinnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hoffen, dass Sie sich dieser wichtigen Debatte, auch wenn sie die AfD angestoßen hat, nicht verschließen werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner ist der Kollege Marc Henrichmann, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher! Als jemand, der eine ganze Weile die Geschäfte einer Stiftung führen durfte, bin ich fasziniert von der Stiftungsidee und ein bisschen irritiert über die schrägen Töne über den Stiftungsgedanken als solchen und insbesondere den der politischen Stiftungen. Ich weiß selber, wie hoch die Transparenz in diesem Bereich ist. Insbesondere die politischen Stiftungen müssen sich mit ihren Selbstverpflichtungen, ihren Geschäftsberichten, was Personal und Zahlen angeht, die wirklich über Gebühr veröffentlichen und prüfen lassen, hier keinem Vorwurf aussetzen lassen.
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Im Gesetzentwurf der AfD wird an den Stiftungen so ziemlich alles kritisiert – wir haben es gerade gehört –: Sie bekämen zu viel Geld, sie seien nicht ausreichend demokratisch legitimiert, die Finanzierung sei intransparent, die Parteinähe zu groß, es sei eigentlich eine verdeckte Parteienfinanzierung. Die Idee der politischen Stiftungen ist, glaube ich, gar nicht verstanden worden.
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Zum Vorwurf, die Stiftungen würden zu viel Geld erhalten. Ja, sie bekommen eine beträchtliche Summe; die Zahl ist genannt worden. Sie leisten dafür hervorragende Arbeit in der politischen Bildung im In- und Ausland. Sie werden aus den Einzeletats unterschiedlicher Bundesressorts finanziert. Wenn man schon Statistiken zitiert, dann sollte man sie auch ins Verhältnis setzen: Der Einzeletat des BMI zum Beispiel ist in der Zeit von 2005 bis 2017 um 87 Prozent gewachsen, die Stiftungszuwendungen nur um 33 Prozent. – Die Behauptung, wir würden zu viel Geld in die politischen Stiftungen investieren, muss man also sicherlich zurückweisen.
Zweiter Vorwurf: Die Finanzierung sei intransparent. – Auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil gehen Sie da ein, wo es Ihnen passt; aber genau diesen Vorwurf macht das Bundesverfassungsgericht erst mal nicht.
Drittens. Die jährlichen Zuwendungen an die politischen Stiftungen werden ja nicht im Hauruckverfahren mal eben durch das Parlament gepeitscht oder, wie Sie es gerade gesagt haben, in einer „Kungelrunde“ verabschiedet,
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sondern sie gehen durch den Haushaltsausschuss. Ich kann gar nicht erkennen, dass die Haushaltsgesetze Gesetze zweiter Klasse sein sollen. Wir haben drei Lesungen, wir haben Beratungen. Ich glaube, eine höhere demokratische Legitimierung kann man gar nicht haben.
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Wenn Sie den Haushaltsausschuss offenbar für eine Kungelrunde halten, dann muss man auch einmal die Frage stellen, wer da den Vorsitz stellt. Das ist Ihr Kollege. Sie müssen mal sehen, dass Sie aus dem Haushaltsausschuss was Richtiges machen und die Gesetze dort richtig beraten, wenn Sie meinen, da würde gekungelt.
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Auch der Vorwurf der fehlenden demokratischen Legitimation geht also am Kern vorbei.
Wenn es dann heißt – Stichwort „Zuwendungsempfänger“ –, die Stiftungen würden Mittel erhalten, dann muss man sehen, dass zum Beispiel auch Forschungseinrichtungen in Deutschland Mittel ohne spezialgesetzliche Regelungen erhalten. Man muss die Debatte schon ehrlich führen und darf nicht allein die politischen Stiftungen in den Fokus nehmen.
Dann gibt es noch die verfassungsrechtliche Frage, zu der Sie gar nichts sagen, nämlich, ob die Gesetzgebungskompetenz uneingeschränkt beim Bund liegt. Seit der Föderalismusreform im Jahre 2006 gibt es die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes nicht mehr. Es gibt nicht wenige Stimmen, die sagen, dass die Zuständigkeit für ein Gesetz bei den Ländern liegt, weil wir hier im Wesentlichen in den Bereich Bildung eingreifen. Insofern gilt auch da: Wenn Sie einen Gesetzentwurf einbringen, dann setzen Sie sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen bitte intensiver auseinander.
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Ich stelle gar nicht in Abrede, dass es auch Gründe gibt, die für ein Spezialgesetz sprechen. Aber dann muss Ihr Gesetzentwurf wirklich mehr bieten als nur dilettantische Ausführungen. Er müsste Ausführungen enthalten, die wirklich den Kern der rechtlichen Sache betreffen. Da fehlt es aber an jeder Ecke.
Den Vorwurf der zu großen Parteiennähe und der verdeckten Parteienfinanzierung finde ich genauso abstrus. Sie beschweren sich darüber, dass die politischen Stiftungen zu parteinah seien, und schreiben in Ihrem eigenen Gesetzentwurf – ich darf kurz zitieren –, dass sie „juristische Personen des öffentlichen Rechts“ sein sollen und „die politische Partei beraten“ sollen. Mit der Beratungsfunktion, die die Stiftungen eigentlich gar nicht haben – sie beraten die politischen Parteien gar nicht –, würden Sie erst recht eine Parteinähe herstellen. Also konterkarieren Sie mit Ihren Plänen offenbar Ihre eigenen Ansprüche.
Dann wollen Sie die Stiftungen, die jetzt privatrechtlich organisiert sind, auch noch in Körperschaften des öffentlichen Rechts, also wenn man so will, in den öffentlichen Dienst, überführen. Der öffentliche Dienst soll sozusagen politische Parteien beraten. Was ist das denn? Also, wenn hier jemand politische Beratung braucht, dann derjenige, der diesen Gesetzentwurf formuliert hat.
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Ich gebe aber zu: Trotzdem habe ich den Gesetzentwurf neugierig studiert, weil ich seinen Kern verstehen wollte. Und dann bin ich auf § 9 gestoßen, nach dem politische Stiftungen Ansprüche auf Geldleistungen haben sollen, wenn sie zweimal in Folge in Fraktionsstärke in den Deutschen Bundestag einziehen oder – das gibt es bis dato gar nicht – in mindestens acht Landtagen vertreten sind.
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Bis dato ist der zweimalige Einzug in den Deutschen Bundestag Voraussetzung für Geldleistungen. Was Sie hier machen, ist eine Lex AfD.
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Sie wollen schnell an die Fleischtöpfe, Sie wollen schnell ans Geld. Wenn Sie hier die Backen aufblasen – auch in der Debatte davor – und von Sparsamkeit und vom Griff in das Staatssäckel faseln,
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dann müssen Sie sich den Vorwurf an dieser Stelle mal gefallen lassen.
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Die dauerhafte Wichtigkeit der politischen Grundströmung soll für die finanzielle Förderung Maßstab sein. Dauerhafte Wichtigkeit ist gekoppelt an die Ergebnisse der Bundestagswahlen. Dazu soll die wiederholte Vertretung im Deutschen Bundestag der Maßstab sein. Das ist, glaube ich, auch zielführend.
Wenn wir schon bei Scheinheiligkeit sind: In der „Süddeutschen Zeitung“ vom 9. März 2018 wurde der Plan für die Parteistiftung der AfD thematisiert. Da hieß es, dass Sie mit 921 Stellen planen, so die „Süddeutsche Zeitung“. Die Konrad-Adenauer-Stiftung zum Beispiel arbeitet mit 622 Stellen. Wenn Sie jetzt also Zurückhaltung und Sparsamkeit propagieren, dann müssen Sie sich an die eigene Nase fassen.
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Dann heißt es in dem Papier, aus dem die „Süddeutsche Zeitung“ genüsslich zitiert, auch noch, dass die Parteimitglieder in ihrer Stiftung in Zukunft behutsam auf eine einheitliche Linie gebracht werden sollen. Eine einheitliche Linie für Parteimitglieder! Wenn Sie jetzt noch Parteinähe der politischen Stiftungen kritisieren, aber Ihre eigene Stiftung die Parteimitglieder auf Linie, auf Kurs bringen soll, dann finde ich das unfassbar. Das ist der größte Widerspruch des heutigen Tages.
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Zum Schluss. Sie verstehen in Ihrem Gesetzentwurf, wenn ich ihn so interpretiere, wie ich ihn interpretiere, die Stiftungen als Ideologievermittlung und Geldbeschaffungsmaschinerie – und genau das sind sie nicht. In Zeiten, in denen Demokratie in der Welt keine Selbstverständlichkeit ist, sollten wir uns darüber freuen, dass überall auf der Welt die politischen Stiftungen zum Beispiel an der Förderung von Demokratie mitarbeiten.
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Auch ich finde nicht jedes Projekt der Stiftungen gut, aber ihre Vielfalt ist ein Zeichen von Pluralität. Ich kann zum Beispiel, was die Konrad-Adenauer-Stiftung angeht, mich nur überaus begeistert und lobend – das möchte ich an die Mitarbeiter der Stiftung weitergeben –
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über die Mitarbeiter der KAS äußern. Sie haben es verdient. Es gehört zur gelebten Subsidiarität, dass wir bei Stiftungen Eigenverantwortung zulassen, dass die Stiftungen ihre Arbeit machen können.
Wir als Union sind für sinnvolle Vorschläge sicherlich jederzeit offen. Wofür wir nicht offen sind, sind Verstaatlichung, Doppelmoral und Finanzierungsfantasien der AfD. Deswegen können wir dem vorliegenden Gesetzentwurf auch nicht zustimmen.
Vielen Dank.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die politischen Stiftungen in Deutschland sind ein Ergebnis und eine Innovation unserer Geschichte. Schon die Namen, die sie tragen, zeugen davon: Adenauer, Böll, Ebert, Luxemburg, Naumann und Seidel. Die Unterschiede zwischen den Personen, ihren Überzeugungen und Haltungen könnten zum Teil größer nicht sein, aber sie alle kämpften aus ihrer jeweiligen Perspektive für eine demokratischere und humanere Gesellschaft. Das gilt auch für die Stiftungen, die ihren Namen tragen. Wie Norbert Lammert kürzlich treffend beim Jubiläum der Naumann-Stiftung sagte:
Alle nehmen den gleichen Auftrag wahr: Die Förderung von Demokratie und Freiheit mit jeweils eigenem Profil und mit gewollt unterschiedlichen Akzenten.
Die Stiftungen wirken dabei nicht nur als Ideenlabore für Parteien und Gesellschaft, sie sind in dieser Form weltweit einmalig, auch als Förderer politischen Geistes und politischer Kultur. Durch die Begabtenförderung, die außerordentliche wissenschaftliche Befähigung und staatsbürgerliche Bildung verbindet, haben die Stiftungen über Jahrzehnte dafür gesorgt, dass die Demokratie in unserer Gesellschaft Wurzeln schlägt und die im besten Sinne politischer wird.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss gar nicht auf Kaiser Wilhelm II., der sich an der Inschrift, die an diesem Hohen Hause angebracht ist, störte, Bezug nehmen, sondern ich kann auch Thomas Mann zitieren, der im Jahr 1918 bezeichnenderweise in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ sagte:
Ich will nicht Politik. Ich will Sachlichkeit, Ordnung und Anstand. … Ich bekenne mich tief überzeugt, dass das deutsche Volk die politische Demokratie niemals wird lieben können …
Thomas Mann hat rechtzeitig dazugelernt, viele deutsche Bildungsbürger haben dazugelernt, aber, liebe Kollegen von der AfD, Sie sind der lebendige Beweis, dass wir diese politische Bildung weiter brauchen;
({1})
denn dieses Zitat zeigt, dass es in Deutschland lange schick war und manchmal noch ist, Politik und Parteien mit Verachtung zu begegnen. Richtig ist es deshalb nicht.
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Weltweit wirken die Stiftungen als Botschafter unseres Landes, des Grundgesetzes, der Demokratie, übrigens auch durch einen zivilgesellschaftlichen Ansatz der Entwicklungsarbeit, den der erste Entwicklungshilfeminister im Kabinett Adenauer, Walter Scheel, entwickelte. Dass Deutschland heute in der Welt so hohes Ansehen genießt, Freunde und Ansprechpartner findet, die unsere Kultur schätzen und unsere Werte teilen, ist nicht zuletzt Ergebnis dieser jahrzehntelangen Arbeit.
Liebe Kollegen, diese Vorrede war notwendig, um zu begründen, warum ich den vorliegenden Gesetzentwurf rundheraus ablehne. So interessant der Gedanke ist, den politischen Stiftungen einen grundsätzlich neuen Ordnungsrahmen zu geben und dies gegebenenfalls einfachgesetzlich zu regeln – auch die FDP hat das schon einmal erwogen –, so falsch wäre es, die Begabtenförderung, die Bildungsförderung aus den Stiftungszwecken zu streichen, wie Sie es vorschlagen.
Ebenso falsch wäre es, die Zuwendung an die Stiftungen um 450 Millionen Euro zu kürzen, wie Sie es vorschlagen; denn das wäre das Ende der Auslandsarbeit.
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Wer das will, der legt die Axt an einen Baum, der in der Vergangenheit reiche Früchte für unser Land und unsere Gesellschaft getragen hat.
Geradezu infam wird es allerdings, wenn Sie den politischen Stiftungen unterstellen, dass ihre Finanzierung intransparent sei, dass sie keiner parlamentarischen Kontrolle unterlägen. Die Stiftungen dokumentieren ihre Arbeit in jährlichen, öffentlich zugänglichen Jahres- und Rechenschaftsberichten. Ihre Mittel unterliegen öffentlicher Kontrolle. Sie müssen Verwendungsnachweise einreichen, sie werden vom Bundesrechnungshof geprüft, die Berichte liegen dem Haushaltskontrollausschuss vor, und auch die Prüfberichte der Ministerien können jederzeit vom Parlament angefordert werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht alles, was sich Ihrer Kenntnis entzieht, ist deshalb schon ein rechtsfreier Raum.
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Ihre Vorwürfe fügen sich natürlich in die von Ihnen oft betriebene Verächtlichmachung anderer Parteien und demokratischer Institutionen ein.
Besonders dreist ist das – das haben hier schon andere Kollegen angesprochen; Stichwort „Lex AfD“ –, weil Sie sich nicht den üblichen Regeln stellen wollen. Linke und Grüne mussten selbstverständlich zwei Legislaturperioden diesem Haus angehören, ehe ihre Stiftungen Anspruch auf Zuwendungen bekamen. Was das über Ihre Redlichkeit aussagt, darüber mögen sich die Wählerinnen und Wähler ein Urteil bilden.
({5})
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Gesetzentwurf wird die Zustimmung der Freien Demokraten nicht finden.
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Frau Kollegin Teuteberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin von Storch, AfD?
Selbstverständlich.
Könnten Sie einmal kurz das Gesetz zitieren, in dem geregelt ist, dass es zwei Legislaturperioden braucht, bis man Ansprüche hat? Ich würde einmal gerne wissen, wo das konkret steht.
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Nochmals: Nicht für alles, wofür Sie einen Gesetzesvorbehalt formulieren, gibt es auch einen. Ich habe alles dazu gesagt, zu den umfassenden Rechtsgrundlagen für die öffentliche Kontrolle. Sie können die Berichte einsehen. Es gibt dafür diese Regelungen.
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Wieder zurück zum Umgang mit Ihrem Gesetzentwurf, der diesen Tagesordnungspunkt bestimmt. Dieser Vorstoß sollte uns nicht davon abhalten, uns damit zu beschäftigen, wie wir den Ordnungsrahmen für politische Stiftungen zeitgemäß ausgestalten und verbessern können. Wir sollten hier als Parlamentarier Herr und Frau des Verfahrens sein, und nicht warten, bis uns das Bundesverfassungsgericht dafür einen Auftrag erteilt. Deshalb stimmen wir der Überweisung in den Ausschuss zu. Unser Ziel dabei muss sein, die politischen Stiftungen in ihrer Arbeit zu kräftigen und zu stärken; denn sie sind eine Säule unserer Demokratie; in den Worten Ralf Dahrendorfs: „verortet auf der Seite des Geistes, aber doch an der politischen Praxis orientiert“. Und damit von großem Wert für unser Land.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sonja Amalie Steffen, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Den allermeisten sind die Namen der Stiftungen, um die es in dem Antrag der AfD-Fraktion geht, ein Begriff: Da ist die Friedrich-Ebert-Stiftung als SPD-nah, die Friedrich-Naumann-Stiftung als FDP-nah, die Konrad-Adenauer-Stiftung als CDU-nah, die Hanns-Seidel-Stiftung für die CSU, die Heinrich-Böll-Stiftung für die Grünen und die Rosa-Luxemburg-Stiftung für die Linken. Merken Sie etwas? Eine Partei fehlt hier, und wir alle wissen: Es ist die AfD; denn sie rangelt und ringt noch mit ihrer eigenen Stiftung.
Das Gerangel fängt ja schon beim Namen an, Herr Gauland und Frau Weidel. Ausgerechnet die Partei, die gerne so tut, als wäre die Gewährung von Steuergeld für politische Arbeit unanständig, bringt heute einen Gesetzentwurf ein, dem man neben der Überschrift „Lex AfD“ beispielsweise auch die Überschrift „Lex Stresemann“ oder „Lex Erasmus“ geben könnte; denn die Voraussetzungen für die Anerkennung sind exakt auf Ihre Partei zugeschnitten. Aber sei es drum. Über eine spezialgesetzliche Grundlage für die parteinahen Stiftungen kann man ja reden.
Ich denke, wir alle sind uns einig – das dachte ich zumindest, bevor ich Ihre Rede hörte, Herr Frömming –, welch wichtige Aufgaben die politischen Stiftungen in Deutschland und in der Welt übernehmen. Anscheinend hat die AfD das nicht verstanden. So musste ich Ihre Rede zumindest deuten, Herr Frömming. Ich empfehle, einfach mal zu reisen, sich einfach mal in der Welt umzuschauen, einfach mal zu schauen, welch bedeutsame Aufgaben unsere politischen Stiftungen übernehmen.
({0})
Vielleicht ändert das Ihre Meinung, und dann reden Sie nicht mehr so abschätzig über die politischen Stiftungen und ihre tolle Arbeit weltweit.
({1})
Abgesehen davon, Herr Frömming – ich finde Sie gerade gar nicht –, sind Sie ja in der Tat Gründungsmitglied der Desiderius-Erasmus-Stiftung. Deshalb hat es mich doch verwundert, wie abschätzig Sie hier geredet haben.
({2})
– Sie müssen sich gar nicht melden. Ich lasse Ihre Zwischenfrage nicht zu.
Aber auch inhaltlich enthält Ihr Antrag einige Fehler, von denen ich ein paar nennen möchte.
Erste Anmerkung. Sie behaupten zum Beispiel, die Stiftungen bewegten sich in einer rechtlichen Grauzone, und der jetzige Zustand sei rechtsstaatswidrig. Ein Gesetz für die politischen Stiftungen wurde und wird auch von vernünftigen Leuten, die unseren demokratischen Rechtsstaat schätzen, diskutiert. Sie haben das in Ihrem Antrag richtigerweise erwähnt.
Es gab vor 25 Jahren einmal eine Sachverständigenkommission, die damals von dem Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker eingesetzt worden ist. Diese Kommission kam zu dem Ergebnis, dass eine gesetzliche Regelung möglich sei, dass aber der bestehende Zustand keinesfalls rechtsstaatswidrig sei. An dieser Stelle ist Ihre Behauptung schlicht falsch.
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Das Bundesverfassungsgericht hat sich mehrmals mit den parteinahen Stiftungen befasst. Die Grundlagenentscheidung dazu ist wohl das sogenannte Stiftungsurteil aus dem Jahr 1986. Damals ging es um einen Organstreit, den die Kollegen von den Grünen angestrengt hatten. Das Bundesverfassungsgericht hat damals die Voraussetzungen für die staatliche Finanzierung parteinaher Stiftungen festgelegt. Es hat allerdings nicht eine besondere gesetzliche Grundlage für eine Förderung verlangt. Im Gegensatz dazu hat es verlangt, dass es sich bei diesen Stiftungen um rechtlich und tatsächlich von den Parteien unabhängige Organisationen handeln muss.
In neuen Entscheidungen aus den Jahren 2012 und 2017 hat das Bundesverfassungsgericht das noch einmal bestätigt und festgestellt und gesagt – ich bitte Sie, jetzt noch mal besonders zuzuhören –, dass die Stiftungen „von den Parteien rechtlich und tatsächlich unabhängige Institutionen“ sind, „die sich selbstständig ... und in geistiger Offenheit der politischen Bildungsarbeit“ annehmen und „auch in der Praxis die gebotene Distanz zu den jeweiligen Parteien wahren ...“.
({4})
Von einer Rechtsstaatswidrigkeit ist dort nicht die Rede.
Zweite Anmerkung. Der Antrag möchte den Betätigungsbereich der Stiftungen extrem stark einschränken. In Ihrem Antrag fehlt beispielsweise die Stipendiatenförderung komplett.
({5})
Parteinahe Stiftungen erhalten bislang Projektfördermittel von verschiedenen Ministerien, und mit diesen Mitteln finanzieren sie Stipendien und Austauschprogramme. Wir von der SPD-Fraktion – ich denke, da rede ich für alle demokratischen Fraktionen hier im Raum – möchten, dass das so bleibt, weil wir das für unglaublich wichtig halten.
({6})
Wir alle sehen doch, wie wunderbar und bereichernd diese Austauschprogramme sind. Dass Sie das nicht so sehen, kann ich ja sogar verstehen. Wenn man die Rede von Herrn Frömming hört, dann denkt man, er wolle am liebsten nicht über den Gartenzaun gucken.
({7})
Wir alle – oder zumindest viele von uns – haben beispielsweise gestern Abend die Abschiedsparty des internationalen Parlamentarischen Partnerschafts-Programms miterleben dürfen. Wie wunderbar das war, die jungen Menschen zu verabschieden, die sich monatelang in unseren Büros aufgehalten hatten! Ich denke, davon profitieren nicht nur die Stipendiaten, sondern auch wir als Abgeordnete und unsere Mitarbeiter. Für uns alle ist der Austausch bereichernd.
Drittens und letztens: die Finanzierung. Sie von der AfD wollen den politischen Stiftungen weit mehr als die Hälfte der Mittel kürzen.
({8})
Warum? Vielleicht weil Sie es mit der Gründung Ihrer eigenen Stiftung nicht hinbekommen.
({9})
Ich sehe keine andere Logik.
Sie schreiben im ersten Absatz Ihres Gesetzentwurfs – ich zitiere ihn jetzt einmal –:
Nach allgemeiner Ansicht
– dann wohl auch nach Ihrer Ansicht –
leisten die sogenannten parteinahen Stiftungen einen wichtigen Beitrag für die politische Bildungsarbeit. Sie stärken demokratische Strukturen und stützen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung.
Das steht so in Ihrem Gesetzentwurf. Da haben Sie tatsächlich recht. Aber wenn man den Rest des Antrages liest und Ihre Reden heute dazu hört, dann muss man feststellen: Diese Aussagen sind total scheinheilig. Wenn man hinterher genau diesen Organisationen über 70 Prozent der Mittel wegstreichen will, dann stimmt doch irgendetwas nicht.
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Wir werden Ihren Entwurf in den Ausschüssen beraten, wie es sich gehört. Zustimmen werden wir von der SPD-Fraktion diesem Gesetzentwurf auf keinen Fall.
Vielen Dank.
({11})
Jetzt erteile ich das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Dr. Götz Frömming, AfD.
Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Kollegin Steffen, schade, dass Sie die Zwischenfrage vorhin nicht zugelassen haben. Jetzt muss ich in Ihrer Rede ein bisschen zurückgehen.
Sie haben es in üblicher Manier wieder einmal so hingestellt, dass von der bildungsfernen AfD angeblich noch nie jemand im Ausland war. Ich möchte Ihr Weltbild nicht zu sehr erschüttern, aber auch wir reisen durch die Welt.
({0})
– Ausreden lassen ist auch eine demokratische Tugend.
({1})
Unser Gesetzentwurf ist beileibe kein Fundamentalangriff auf die Stiftungen. Ich selbst habe in meiner Laufbahn als Lehrer auch öfter Gutachten für Schüler geschrieben, die zum Beispiel ein Praktikum oder Ähnliches bei einer Stiftung machen wollten.
Uns geht es vielmehr darum, genauer hinzuschauen, was die Stiftungen zum Beispiel im Ausland machen. Vielleicht würden Sie mir das zugestehen, wenn ich Ihnen sage: Die „Jüdische Allgemeine“ kritisiert, dass eine gewisse Heinrich-Böll-Stiftung mit der Hamas in Beirut Veranstaltungen abhält. Wenn diese Kritik auch von anderer Stelle kommt, dann kann man doch hier einmal darüber reden, ob es wirklich sinnvolle Aktivitäten der Stiftungen im Ausland sind, sich derart in das politische Geschehen im Ausland einzumischen, dass hieran sogar unsere jüdischen Freunde Kritik üben.
({2})
Vielleicht nehmen Sie ja diese Kritik zur Kenntnis. – Vielen Dank.
Frau Kollegin Steffen, mögen Sie antworten? – Bitte sehr.
({0})
Herr Kollege, das, was Sie jetzt gesagt haben, kann ich auf die Schnelle natürlich nicht überprüfen. Ob das Fake News sind oder nicht, weiß ich nicht.
Ich jedoch habe mir in der Vergangenheit schon verschiedentlich die Arbeit der Stiftungen in den einzelnen Staaten der Welt anschauen können. Ich war jedes Mal und immer wieder beeindruckt davon, welch tolle Arbeit dort geleistet wird
({0})
und vor allem auch davon, wie wichtig das ist.
Ich empfehle Ihnen wirklich, einmal vor Ort zu sein, einmal nach Vietnam oder nach Afrika zu fahren und sich die Arbeit dort anzuschauen. Manchmal sind die Stiftungen und die Kirchen die Einzigen, die sich da noch aufhalten und den Leuten wirklich Hilfe anbieten.
({1})
Insofern bleibe ich dabei: Schauen Sie sich das an. Vielleicht ändern Sie dann Ihre Meinung darüber.
Vor allem: Sie haben komplett verunglimpfend und verallgemeinernd damit angefangen, zu sagen, dass bei den Stiftungen, gerade bei ihrer Arbeit im Ausland, Geld verschleudert wird. Dem wollte ich in meiner Rede entgegentreten.
({2})
Jetzt erteile ich das Wort dem nächsten Redner, Friedrich Straetmanns, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Zuhörertribünen! Heute beraten wir den Gesetzentwurf der Fraktion der AfD über die Rechtsstellung und die Finanzierung parteinaher Stiftungen –; einen Gesetzentwurf, der weitgehend abgeschrieben ist. Darüber hinaus hat die einbringende Fraktion ohnehin nur ihre übliche Litanei aus angeblicher Steuergeldersparnis und einer vermeintlich mangelnden Rechtsstaatlichkeit vorgebracht, freilich ohne das belegen zu können.
Nun zum Thema. Meine Fraktion, Die Linke, und ich halten die Arbeit der parteinahen Stiftungen für ein wichtiges Mittel der gesellschaftlichen Debatte und des politischen Lebens im Allgemeinen.
({0})
Die Stiftungen leisten enorm viel für die parlamentarische Demokratie; das darf hier ruhig einmal erwähnt werden. Sie betreiben politische Bildungsarbeit. Sie fördern – das ist angesprochen worden – junge Studentinnen und Studenten, aber sie fördern auch Promovierende, und sie erstellen wissenschaftliche Studien.
Die politische Bildungsarbeit will ich einmal gesondert betrachten. So führt die Rosa-Luxemburg-Stiftung Seminare im Bereich „Grundlagen der Kommunalpolitik“ durch. Hier werden Einsteigerinnen und Einsteiger zum Beispiel im kommunalen Haushaltsrecht geschult. Ich selbst konnte als Mandatsträger in der Bezirksvertretung Bielefeld-Mitte über lange Jahre davon profitieren.
Ein weiterer Punkt sind die von der AfD gescholtenen Auslandsaktivitäten der parteinahen Stiftungen. So beklagt die AfD Intransparenz und politische Einflussnahme. Allerdings werden im Aufsatz und Vorschlag für ein Parteistiftungsgesetz von den Verfassern Kretschmer, Merten und Morlok, auf den die AfD in der Begründung ihres Gesetzentwurfs prominent verweist, diese Auslandsaktivitäten ganz anders bewertet. Die Autorin und die Autoren beschreiben insbesondere die politische Bildungsarbeit als – ich zitiere – „durchaus gerechtfertigt“ und stellen klar – ich zitiere erneut –:
Dies gilt aber auch für die grenzüberschreitenden Aktivitäten, also für die entwicklungspolitischen Projekte, die Förderung der Völkerverständigung
– ein wichtiger Punkt für Sie –
({1})
und die Beförderung der europäischen Einigung.
Gerade auch diese Auslandsaktivitäten
– so das Zitat weiter –
haben sich in der Vergangenheit als wichtig erwiesen für die Entwicklung junger Demokratien.
Warum haben Sie von der AfD den Gesetzestext weitgehend abgeschrieben, aber wesentliche Teile der Begründung außer Acht gelassen? Ich gebe Ihnen die Antwort: weil diese Begründung nicht in Ihr demokratiefeindliches Konzept passt.
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Aber man muss es Ihnen lassen: Sie haben ja nicht nur abgeschrieben. Sie haben dann am Ende doch noch eine Eigenleistung erbracht; ein Vorredner oder eine Vorrednerin ist darauf eingegangen. Sie haben in den Vorschlag in § 9 Absatz 1 den Satz 2 eingefügt, und der hat es in sich. Sie schlagen vor, Bundesmittel an die Stiftungen dann zu gewähren, wenn bei erstmaligem Einzug in den Bundestag die Partei zeitgleich in acht Landtagen vertreten ist. Dies wäre eine Änderung der bisherigen Praxis des langsamen Einstiegs in die Gewährung von Bundesmitteln.
Zur Erinnerung: Die der Partei Bündnis 90/Die Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung erhielt erst nach dem zweitmaligen Einzug in den Bundestag Bundesmittel.
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Die meiner Partei nahestehende Rosa-Luxemburg-Stiftung ist den anderen parteinahen Stiftungen sogar erst seit 2011 völlig gleichgestellt worden.
Ihr Vorschlag trifft rein zufällig ganz genau auf Ihre Situation zu und würde Ihre Partei im Vergleich zur jetzigen Situation und Praxis deutlich bevorteilen. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.
({4})
Die AfD will noch in dieser Legislaturperiode schnell mal Bundesmittel abgreifen und verkauft das als sparsamen Umgang mit Steuergeld. Ich nenne das eine Frechheit.
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Ich frage: Wo würden Sie denn das erste Auslandsbüro Ihrer Stiftung errichten? Ich tippe einmal auf die Schweiz, um etwaigen sonstigen Einnahmen näher zu sein. Was wäre sonst noch zu erwarten? Aktivitäten im Goldhandel, in dem Sie sich ja hervorragend auskennen, oder ein Kneipenprogramm für die Burschenschaftsszene.
({6})
Aber unabhängig vom üblichen Gebaren dieser Fraktion: Ein Parteistiftungsgesetz wird von meiner Fraktion nicht grundsätzlich abgelehnt. Was wir aber entschieden ablehnen, sind die Ausführungen rund um die Maximalsumme der Finanzierung. Hier will die Antragstellerin die Obergrenze für die Finanzierung an die der Parteienfinanzierung angleichen und verkennt damit erkennbar die Tatsache, dass es sich um absolut unterschiedliche Sachverhalte handelt.
({7})
Parteien und die parteinahen Stiftungen erfüllen unterschiedliche Aufgaben. Ich zitiere das Bundesverfassungsgericht in dem grundlegenden Urteil vom 14. Juli 1986. Als Richter weiß ich, dass solche Urteile ernst zu nehmen sind. Zitat:
Sie
– die Stiftungen –
betreiben in Erfüllung der in ihren Satzungen festgelegten Zwecken und Aufgaben in mehr oder minder gleicher Weise politische Bildungsarbeit, wissenschaftliche Forschung sowie Begabtenförderung und widmen sich der internationalen Zusammenarbeit. Sie unterhalten Archive und Bibliotheken, veröffentlichen Arbeitsmaterialien und Schriften und stellen Tagungsstätten bereit.
So weit das Bundesverfassungsgericht, das hier kein rechtsstaatliches Problem mit der Konstruktion und Förderung der politischen Stiftungen sieht.
Auf der Einnahmeseite bestehen übrigens ebenfalls erhebliche Unterschiede zu Parteien. So ist es Parteien selbstverständlich zuzumuten, sich vorwiegend aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden zu finanzieren, wenn wir auch bei einigen hier vertretenen Parteien krasse Übertreibungen sehen, was Unternehmensspenden angeht.
({8})
Stiftungen sind in ihrem Auftrag zu Distanz und Unabhängigkeit verpflichtet. Das verträgt sich gerade nicht mit der Einwerbung sonstiger Mittel. Wir werden diesen Gesetzentwurf, der sich bei näherem Draufschauen als ein Gesetz zur Begünstigung der AfD entpuppt, ablehnen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Canan Bayram, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Erlaubnis des Präsidenten würde ich gerne zitieren aus der „Gemeinsamen Erklärung zur staatlichen Finanzierung der Politischen Stiftungen“. Da heißt es:
Der freiheitliche Staat hat durch die Verfassung den Auftrag, politische Bildung zu fördern. Er lebt aus der politischen Kultur, deren gesellschaftliche und politische Wurzeln sich seiner Gewalt entziehen. Politischer Diskurs und politische Entscheidungen setzen Informationen und ethisch-politische Orientierung voraus. Politische, Orientierung bietende Bildungsarbeit nicht-staatlicher Bildungsträger, die auch politische Forschung, Information und Beratung sowie Begabtenförderung umfaßt, ist eine notwendige Voraussetzung für die Entfaltung politischer Freiheit und sichert den Fortbestand des freiheitlichen, pluralistischen Gemeinwesens.
({0})
Das ist etwas, was die Gemeinsame Erklärung der hier bereits mehrfach genannten Stiftungen beinhaltet; darauf hat man sich verständigt. Dann stellt sich natürlich die Frage: Warum sind Sie nicht auf die bestehenden Stiftungen zugegangen und haben gefragt: „Was gibt es da für Möglichkeiten? Wie können gegebenenfalls auch wir uns einbringen?“? Man könnte ja vermuten, dass in der von mir gerade vorgelesenen Erklärung Aspekte sind, die Sie nicht teilen; aber das müssen Sie selbst beantworten.
({1})
Nun kommen wir zu der Frage, inwieweit es eines Gesetzes bedarf oder nicht. Meine Fraktion hat seinerzeit ebenfalls klargestellt, dass es eines Gesetzes bedarf. Tatsächlich hat die Kollegin vorgetragen, dass das Gericht in seiner Entscheidung diese Frage offengelassen hat; es hat es dahinstehen lassen. Nach wie vor sind wir der Ansicht, dass es eines Gesetzes bedarf. Auch wir sind der Ansicht, dass im Grundgesetz wenn auch keine ausdrückliche Gesetzgebungskompetenz, doch wohl eine Annexkompetenz zu Artikel 21 dergestalt vorhanden ist, dass aufgrund dessen ein Gesetz auf den Weg gebracht werden würde.
({2})
Aber dazu muss ich ganz deutlich sagen: Das Gesetz, wie Sie es vorgelegt haben – manche haben es „Lex AfD“ genannt –, ist tatsächlich nicht nur unter diesem Aspekt ein Gesetz, das wir nicht unterstützen können.
({3})
Wenn man vorhin der Rede von Herrn Seitz zugehört hat, dann hat man sich gefragt: Warum durfte er in dieser Rederunde nicht reden; denn er gilt ja als einer der schärfsten Kritiker dieses Gesetzes,
({4})
– Sie nicken –, jedenfalls dieses Anliegens?
Ich finde das wirklich interessant; schließlich gibt es dazu einen Artikel im „Spiegel“ einer Kennerin der AfD-Szene, Melanie Amann. Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich aus dem Artikel mit der Überschrift „AfD gegen AfD gegen AfD“. Ich kläre jetzt auch auf, was dahintersteckt. In dem Artikel wird erwähnt, dass die Fraktionschefin Alice Weidel die Erasmus-Stiftung durchsetzen will. Da wird gesagt, sie sei dabei unterstützt worden von Erika Steinbach. Dabei ziehe ein Hans Hausberger, ein Österreicher mit Wohnsitz am Bodensee, die Fäden. Es wird hier auch behauptet, es sei ihr Vertrauter; dazu kann ich nichts sagen. Aber was hier auch steht, ist, dass er schon die Republikaner bei der Gründung einer Stiftung zu unterstützen versuchte.
Die zweite Fraktion, wird hier behauptet, werde angeführt vom Partei- und Fraktionschef Gauland. Der hätte gerne eine Gustav-Stresemann-Stiftung. Dabei gebe es aber namensrechtliche Probleme, weil die Angehörigen es wohl nicht so gut finden, dass man das so macht.
({5})
Ich will noch mal zitieren, was Herr Seitz dazu sagt,
({6})
weil er hier heute nicht reden durfte:
Seitz zählt sodann auf, wen er zu den möglichen heimlichen Finanziers der Erasmus-Stiftung zählt: „Der israelische oder russische Geheimdienst,
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das Bankhaus Merck Finck oder auch Bundesnachrichtendienst oder Verfassungsschutz.“
Als ehemaliger Staatsanwalt will er wohl den Dingen auf den Grund gehen.
Ich finde, das ist eine Information, die alle hier im Haus und auch die Zuschauer mitbekommen sollten.
({8})
Das Spannende, was Ende des Monats ansteht, ist: Sind Sie eine Partei, die die Basis ernst nimmt, wie Sie das gerne behaupten? Wenn man aktuellen Artikeln glauben darf, dann scheint eine Mehrheit für diese Idee nicht sicher zu sein. Ich frage mich: Halten Sie sich dann an das Votum des Parteitags? Das heißt übersetzt: Reden wir heute vielleicht über einen AfD-Entwurf, der in ein paar Wochen schon Geschichte ist, weil die AfD selber nicht mehr an ihm festhält und ihn sozusagen zurücknimmt? Das müssten Sie ja entweder in dem Fall, dass Ihr Kollege, der ehemalige Staatsanwalt, zu dem Ergebnis kommt, dass alles stimmt, was er vermutet, oder wenn Ihr Parteitag Ihnen die Gefolgschaft verweigert, tun.
Also, es bleibt spannend, und wir bleiben dran.
({9})
Das Wort hat der Kollege Philipp Amthor für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu dieser Debatte über politiknahe Stiftungen habe ich für Sie zum Anfang eine Kennerfrage mitgebracht:
({0})
Was haben Alice Weidel, der Kollege Karl Lauterbach, der SPD-Kollege mit der Fliege, und Thomas de Maizière gemeinsam? Genau! Die einfache Antwort findet jeder heraus – das steht im Kürschner –: Alle sind promoviert. Die kompliziertere Antwort: Alle drei – Alice Weidel, Karl Lauterbach und Thomas de Maizière – sind Stipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung.
({1})
Das heißt: So ein schlimmer Klüngel- und Kaderverein kann das gar nicht sein, wenn man dann hier in drei verschiedene politische Fraktionen kommen kann, liebe Freunde, meine Damen und Herren.
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Ich will fragen – um jetzt zum Gesetzentwurf selbst zu kommen –: Warum hält die AfD dieses Gesetz, das uns jetzt vorliegt, eigentlich für notwendig?
({3})
Dem Grunde nach hat mein Kollege Marc Henrichmann das alles schon erklärt: Weil Sie auch gern Geld haben wollen und die Lex AfD schaffen wollen! Aber ich habe mir das mal ein bisschen formal angeguckt.
Zum Ersten sagen Sie: Die Rechtsstellung und das Ziel, das die politiknahen, die parteinahen Stiftungen verfolgen, sind nicht so legitim. Zum Zweiten sagen Sie: Da gibt es eine zu große Partei- und Staatsnähe. Zum Dritten sagen Sie: Das Ganze bewegt sich in einer rechtlichen Grauzone. – Das sind drei Punkte, die mich nicht überzeugen.
Zum Ersten: Wenn Sie sagen, nach allgemeiner Ansicht hätten die politiknahen und parteinahen Stiftungen einen erheblichen Ertrag für die politische Bildungsarbeit in unserem Land, dann scheinen Sie selbst das nicht zu teilen. Das will ich ausdrücklich zurückweisen.
Wenn man sich das mit Blick auf die Adenauer-Stiftung anschaut, stellt man fest: allein im Jahr 2017 fast 1 700 Veranstaltungen, bei denen über 100 000 Menschen erreicht wurden – überall in Deutschland, von der Uckermark bis an den Bodensee.
Zur politischen Arbeit im Ausland, die Sie kritisieren, kann ich nur sagen: Wenn wir in die Geschichte zurückgucken, dann sehen wir beispielsweise in Spanien erhebliche Erfolge. Nach dem Tod von Franco und nach der politischen Wende 1982 haben alle parteinahen Stiftungen – die Ebert-Stiftung, die Naumann-Stiftung und die Adenauer-Stiftung – maßgebliche Arbeit bei der Demokratisierung des Landes geleistet.
Wenn Sie sagen: „Die Stiftungen sind im Ausland nicht hinreichend demokratisch legitimiert“: Tja, das ist so. Nichtregierungsorganisationen sind nicht demokratisch legitimiert. Aber die Nichtregierungsorganisationen finden Ihre Kumpel Putin und Assad ja auch nicht so gut.
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Meine Damen und Herren, Sie kritisieren zweitens die zu große Staatsnähe und sagen: Die Stiftungen machen viel zu sehr parteinahe Arbeit. – Da habe ich gedacht: Okay, das ist ein Standpunkt, den man einnehmen kann. – Ihr Lösungsvorschlag hat mich dann aber doch überrascht. Sie sagen: „Sie sind zu staatsnah“, und die Antwort ist: Okay, dann verstaatlichen wir mal die parteinahen Stiftungen. – Denn jetzt sind es Vereine; nach Ihrer Lösung sollen sie juristische Personen des öffentlichen Rechts werden. Das macht irgendwie keinen Sinn.
Aber dann habe ich gedacht: So unflätig wird die AfD schon nicht sein; die werden sich was dabei gedacht haben. Dann habe ich gesagt: Ich schaue mal nach, wie Sie das begründen. Ich musste feststellen: Eine substanzielle Begründung enthält Ihr Gesetzentwurf nicht. Der Begründungsteil, der besondere Teil zu den einzelnen Normen, widerspiegelt sich eigentlich nur in dem Benennen von Überschriften und in nichts anderem.
Die Antwort darauf ist ganz einfach; das hat Herr Straetmanns schon gesagt. Den Gesetzentwurf haben Sie quasi abgeschrieben, bis auf Ihre eigene Lex AfD, den Zusatz, dass auch Sie Geld kriegen; aber sonst haben Sie es im Grunde abgeschrieben von einer Abhandlung unter anderem des Staatsrechtlers Morlok. Bemerkenswert ist: Im Jahr 2000 hat Morlok diese Abhandlung geschrieben, in der „Zeitschrift für Gesetzgebung“. Herr Braun, Sie haben vorhin den tollen Zwischenruf gebracht: Das hat ein toller Staatsrechtler geschrieben; das ist doch komplett geklärt mit der Gesetzgebungskompetenz. – Ich sage Ihnen: Als Herr Morlok das 2000 geschrieben hat, gab es die Föderalismusreform 2006 noch nicht. Das hätte einer Ihrer Referenten mal herausfinden können. Die Rahmengesetzgebungskompetenz ist entfallen.
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Die Lösung, die Sie vorschlagen, Artikel 21 als Gesetzgebungskompetenz, finde ich mehr als schwierig. Also alles in allem sehr lieblos, wie Sie es da vorstellen. Das ist keine gute Grundlage.
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– Die Zwischenfrage würde ich zulassen.
Wenn Sie also eine Frage oder Bemerkung des Herrn Boehringer zulassen, dann hat er jetzt das Wort.
({0})
Danke, Kollege Amthor, dass Sie sie zulassen. – Die Frage geht in folgende Richtung: Wenn Sie sagen, 2000 ist zu lange her
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und es gab eine Änderung: Zunächst ist die Relevanz dieser Änderung von 2006 nicht so ganz klar. Aber Sie sollten zumindest zur Kenntnis nehmen, dass die einzige Rechtsgrundlage, auf die sich auch heute schon berufen wurde von anderen Rednern, von 1998 ist, die übrigens keine Rechtskraft hat. Die sogenannte Gemeinsame Erklärung der Stiftungen ist eine reine privatrechtliche Vereinbarung, die keine Gesetzeskraft hat. Das ist die Basis. Deswegen ist ein Parteistiftungsgesetz überfällig. Das wurde ja sogar teilweise heute hier schon konzediert. Wir arbeiten hier also auf einer noch viel älteren sogenannten Rechtsgrundlage.
Aus haushalterischer Sicht – das darf ich an dieser Stelle auch einmal anmerken – ist diese Gemeinsame Erklärung, diese Kungelrunde, heute die Rechtsgrundlage, auf der die Haushaltsposition der Stiftungen festgestellt wird. Wir haben schriftlich vom Bundesinnenministerium, dass diese Kungelrunde von den Berichterstattern, und zwar allen, der Parteien und aller Vertreter aller Stiftungen, jährlich die Haushaltsposition feststellt, in Negierung des Initiativrechts des Bundestages und der Bundesregierung.
({1})
Der Bundestag hätte das Initiativrecht hier. Das wird alles negiert. Diese Kungelrunde ist eine absolute Ausnahme.
Ich stelle für 2018 für die Haushaltsposition der Stiftungen fest, dass unser Berichterstatter, der Berichterstatter der AfD, zumindest nicht teilgenommen hat an dieser Kungelrunde.
Danke.
({2})
Herr Boehringer – bleiben Sie bitte stehen –, ich hatte es eigentlich nicht vorgesehen, noch mal eine grundsätzliche Erklärung zum Thema Gesetzesvorbehalt einzuschieben; mache ich aber gerne. Denn es ist in der Tat so: Ich finde es super, dass ausgerechnet Sie als Vorsitzender des Haushaltsausschusses diese Frage stellen.
({0})
– Die Pointe kommt noch, also nicht zu früh klatschen. – Herr Boehringer, wenn Sie sich die Lehre vom Gesetzesvorbehalt anschauen, stellen Sie fest, dass in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in der Auslegung des Grundgesetzes immer klar ist, dass es ein Parlamentsgesetz nur unter qualifizierten Voraussetzungen bei Grundrechtseingriffen gibt. Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf selbst auf zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen. Wenn Sie die genau gelesen hätten, hätten Sie gesehen, dass es dort einzelne Streitfragen gibt, dass das Bundesverfassungsgericht aber kein Parlamentsgesetz gefordert hat; das einfach deshalb, weil es schon jetzt eine gesetzliche Grundlage gibt, und das ist in der Tat der Bundeshaushalt.
Ich finde es bemerkenswert, wenn Sie als Vorsitzender des Haushaltsausschusses sagen, das sei eine Klüngelrunde. Hat Ihre Fraktion einmal darüber nachgedacht, dazu einen Antrag im Haushaltsausschuss einzubringen?
({1})
Das hätten Sie machen können. Das wäre nämlich der richtige Weg. Und dann können Sie über diese Haushaltsgrundlage reden. Das ist viel mehr eine Rechtsgrundlage als viele Dinge, die Sie sonst machen.
Insoweit: Kümmern Sie sich vielleicht darum, die Instrumente, die Sie als Haushaltsausschussvorsitzender haben, zu nutzen. Dann können Sie die Sachargumente dafür vorbringen. Das ist der Ort der Diskussion, Herr Boehringer. – Vielen Dank.
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Meine Damen und Herren, wir haben gesehen: Nicht nur die Begründung ist schlecht.
Ich finde das Thema „rechtliche Grauzonen“ super. Das klang auch in der Zwischenfrage von Herrn Boehringer an. Sie sagen: Die parteinahen Stiftungen sind gar nicht reguliert. Ich sage Ihnen mal, wie parteinahe Stiftungen kontrolliert werden, nämlich durch insgesamt fünf Kontrollinstanzen: Bundesverwaltungsamt, Bundesrechnungshof, die geldgebenden Ressorts aus der Bundesregierung, Wirtschaftsprüfer und Finanzbehörden. Überall dort ist man sehr genau. Ich kann Ihnen aus leidiger Erfahrung sagen: Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist selbst beim letzten Kaffeelöffel sehr genau; und das ist auch gut so.
Das Bundesverfassungsgericht hat dort verfassungsrechtlich keine Notwendigkeit für eine Regelung gesehen. Trotzdem schaffen wir natürlich Transparenz, indem man aufklärt; über einzelne Dinge kann man auch reden. Aber da Sie von rechtlichen Grauzonen reden, will ich Ihnen sagen: Kehren Sie doch lieber mal vor der eigenen Haustür. Wir haben heute viel über Parteienfinanzierung gesprochen.
Frau Bayram hat bereits einen „Spiegel“-Bericht zur Zerstrittenheit Ihrer Fraktion genannt. Vielleicht haben Sie im „Spiegel“ ebenfalls den Bericht gelesen, in dem auch ich mich zu der Frage geäußert habe, wie es eigentlich um Ihren Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten bestellt ist. Das ist nämlich das klassische Beispiel einer Spendenwaschmaschine.
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Schauen Sie sich nur mal Ihre Rechenschaftsberichte an: Millionen Euro gehen ohne irgendeine Kontrolle an diesem Verein vorbei – in direkter Unterstützung Dritter.
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Dabei nutzen Sie ganz bewusst eine Grauzone.
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Sie sagen zur GOAL AG und anderen: Wir kennen die Leute nicht. – Ich sage Ihnen: Wir werden im weiteren parlamentarischen Verfahren auf diese Grauzone eingehen, und wir werden gerne Licht in alle Grauzonen der Parteienfinanzierung bringen.
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Ich glaube, daran können Sie kein Interesse haben. – Ihren Gesetzentwurf lehnen wir ab.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Albrecht Glaser für die AfD-Fraktion.
({0})
Verehrter Herr Kollege Harry Potter – Entschuldigung: Amthor!
({0})
– Es gibt Formen der Klugscheißerei, die darf man schon mit Ironie behandeln.
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Ich hätte ganz gerne meine Zeit zum Reden gehabt und nicht zum Rumschreien.
({2})
Ihre grundsätzliche Äußerung zum Bundesverfassungsgericht ist falsch. Sie verschweigen, dass das Bundesverfassungsgericht nur deshalb in der Sache nicht judiziert hat, weil die Klagebefugnis des Klägers bestritten war – nicht weil das Bundesverfassungsgericht inhaltlich nicht der Meinung wäre, man müsse es gesetzgeberisch beordern. Das war der erste Punkt.
({3})
Zweiter Punkt. Ihre Verdächtigungen, die Sie überall über irgendwelche finsteren Finanzquellen der AfD machen, entbehren jeder Grundlage. Es ist reine Propaganda ohne jede Substanz.
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Dritter Punkt. ARD und ZDF sind bekanntlich völlig unabhängig und sind Anstalten des öffentlichen Rechtes. Wie kann das sein? Also kann die Anstalt des öffentlichen Rechtes nicht das Problem für eine unabhängige Stiftung sein.
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Wir führen eine Diskussion wie heute Morgen, bloß ist die Zahl der anwesenden Abgeordneten der Opposition kleiner gegenüber heute Morgen, weil die Interessensbefangenheit an der großen Mehrheit besteht und diese Diskussion dominiert.
Herr Glaser, Entschuldigung. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Strasser?
Im Prinzip ja und sogar mit einer gewissen Freude, wenn mir die Zeit dabei natürlich abgezogen wird.
Die Uhr ist schon längst angehalten.
Das ist wunderbar. – Bitte sehr.
Ob Sie sich nach meiner Frage noch so freuen, bin ich mir nicht so sicher. – Ihr Kollege Hampel, Ex-Landesvorsitzender der AfD Niedersachsen, hat in massiver Weise Parteimittel ohne Belege, teils für private Zwecke, ausgegeben. Er wurde von Ihrem Kassenprüfer kritisiert und von der Landespartei abgewählt. Weil Sie von Propaganda sprechen: Was sagen Sie dazu? Ist das alles Propaganda, oder trifft das zu, Herr Glaser?
({0})
Sie geben zu, dass das mit Parteienfinanzierung nichts zu tun hat. Das ist eher das Gegenteil. Der Kollege Hampel befindet sich derzeit bei der Staatsanwaltschaft in einem Ermittlungsverfahren.
({0})
Nur: Sie und ich wissen nicht, was dabei herauskommt.
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Aber Sie sehen, dass die Rechnungsprüfung der AfD funktioniert, und zwar hervorragend.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich besteht ein Problem mit dem Rechtsstaatsprinzip. Dabei geht es um viel Geld. Das hat offensichtlich heute die Diskussion hier bestimmt. Das Rechtsstaatsprinzip, meine Damen und Herren, manifestiert sich im Vorbehalt des Gesetzes. Die Exekutive hat keine Eingriffsrechte bezogen auf die Rechte der Bürger, wenn ein Gesetz dies nicht erlaubt. Nach der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts, die zu Recht aus dem Grundgesetz abgeleitet ist – und das ist der Punkt –, benötigt die Bundesregierung für gesamtstaatlich bedeutende Maßnahmen – dazu gehört unser Thema – ebenfalls eine gesetzliche Ermächtigung. Ob es also zum Beispiel einer Kanzlerin oder einem Innenminister erlaubt ist, eine Völkerwanderung durch eine innerdienstliche Anweisung am Telefon anzuordnen oder auch nur zuzulassen oder ob es dafür eines Gesetzes bedarf, wird demnächst das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Wir haben alles dafür Erforderliche getan.
({3})
So verhält es sich auch mit der Finanzierung der parteinahen Stiftungen. Es sind sogenannte Stiftungen, weil sie – wie schon ausgeführt – gar keine Stiftungen, sondern Vereine sind: ganz normale, gewöhnliche Vereine, die unter einem falsche Etikett firmieren.
Herr Glaser, ich habe noch einmal die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Bayram?
Wenn es die Diskussion bereichert, sind Fragen immer wunderbar.
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Bitte, eine Frage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Danke, dass ich die Frage hier stellen darf.
Ich glaube, ich habe das erlaubt, nicht die Frau Präsidentin.
Es gibt Medienberichte, wonach Sie sagen, dass der Versuch, diese Euro-Millionen abzugreifen, seitens der AfD –
Welche Euro-Millionen?
– im Moment nicht in Ordnung sei, sondern die Partei dem Vorwurf der Disziplinlosigkeit aussetze und der Lächerlichkeit preisgebe. Ist das so zutreffend?
Liebe Frau Kollegin, mir ist nicht bekannt, dass die AfD gestern, heute oder wann auch immer „Euro-Millionen“ bei wem auch immer abgegriffen hätte.
({0})
– Nein. – Ich sage Ihnen das, weil ich ein bisschen in die Finanzlage der Partei Einblick habe, und ich kann Ihnen mitteilen: Es ist eine völlig freie Erfindung von Leuten, die daran Interesse haben, so etwas zu erfinden. Sie gehören wahrscheinlich auch dazu.
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Meine Damen und Herren, zwischen 2008 und 2017 sind 4,8 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt an diese Vereine geflossen, ohne dass es ein Leistungsgesetz gibt. Bekanntlich gibt es für die direkte Parteienfinanzierung ein Leistungsgesetz bezogen auf viel geringere Beträge. Die Zuwendungen sind gestiegen, von 260 Millionen D-Mark im Jahr 1990 auf 580 Millionen Euro im Jahr 2017 – es ist vorhin schon eine Steigerungszahl genannt worden –: in diesem Zeitraum um 450 Prozent. So hoch ist keine Inflation gewesen, so ist das Haushaltsvolumen nicht gewachsen, so ist das Steueraufkommen nicht gewachsen und die Wirtschaft schon gar nicht.
Diese Finanzorgie ist nur erklärbar aus der engen Verflechtung von Staat und Parteien. In Artikel 21 Absatz 1 Grundgesetz ist davon die Rede, dass die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. Dass sie darauf ein Monopol hätten oder eine marktbeherrschende Stellung einnehmen dürfen, ist nirgendwo vorgesehen. Da hiermit an einer sensiblen Stelle des demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozesses gearbeitet und dort in die wettbewerblichen Strukturen dieses Prozesses eingegriffen wird, schreibt Herr Morlok – er wurde vorhin schon zitiert; ich zitiere wörtlich – : sprechen einige gewichtige Gründe für die Notwendigkeit einer besonderen gesetzlichen Regelung des Rechts der parteinahen Stiftung. Zitat Ende. – Ob das ein bisschen älter oder jünger ist, ändert an der Richtigkeit gar nichts.
({2})
Was im Recht der direkten Parteienfinanzierung gemacht worden ist, muss jetzt im Recht der indirekten Parteienfinanzierung gemacht werden. Die astronomische Höhe, meine Damen und Herren, will ich Ihnen ein bisschen dokumentieren.
Herr Glaser, das wird Ihnen nicht mehr gelingen. Das Minus vor der Uhr zeigt an, wie weit Sie Ihre Redezeit schon überschritten haben. Setzen Sie bitte einen Punkt.
Also, Sie gestatten mir, dass ich tatsächlich zum Schluss komme
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und sage: Die Stiftung Wissenschaft und Politik, eine der bedeutendsten Denkfabriken Westeuropas, wie es schwärmerisch beispielsweise bei Wikipedia heißt, erhält 12 Milliarden Euro Zuwendungen, beschäftigt 140 Mitarbeiter und macht gute Arbeit.
Setzen Sie bitte jetzt den Punkt.
Danach müssten die Stiftungen 6 800 Mitarbeiter haben, und sie könnten sie sich leisten bei parallelen Finanzierungsstrukturen zu dieser Stiftung.
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Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Kaiser für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Förderung der politischen Stiftungen ist im Bundeshaushalt folgendermaßen begründet: Die wesentlichen Verwendungszwecke sind „gesellschaftliche und demokratische Bildungsarbeit, die politische Forschung, … Begabtenförderung und Hilfeleistung zum Aufbau demokratischer freiheitlicher und rechtstaatlicher Strukturen im Ausland“.
Der Bundestag hat die Haushaltshoheit. Als Abgeordnete sage ich, dass die Förderung der politischen Bildung durch politische Stiftungen eine sehr gute Verwendung von Steuermitteln ist.
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Alle politischen Stiftungen haben in der Bundesrepublik einen ähnlichen zentralen Zweck. Sie erfüllen im Auftrag des Staates demokratische und gesellschaftspolitische Bildungsarbeit. Diese Aufgabe liegt im öffentlichen Interesse, weshalb sie auch aus öffentlichen Töpfen zu finanzieren ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Handeln parteinaher Stiftungen basiert auf dem Wertekonsens der ihr nahestehenden Parteien. Das macht politische Stiftungen so besonders; denn sie repräsentieren über Jahre gewachsene politische Strömungen mit deren gefestigtem Wertekompass. Deshalb ist es richtig, die staatliche Finanzierung parteinaher Stiftungen von einer angemessenen Dauer der Zugehörigkeit ihrer Parteien in den Parlamenten abhängig zu machen, und dies sollte auch so bleiben.
({1})
Der Pluralität der politischen Stiftungen entsprechend hat auch jede politische Stiftung ihre ganz eigene Gründungsgeschichte und Arbeitsschwerpunkte. Ich nenne als Beispiel die 1925 gegründete Friedrich-Ebert-Stiftung. Ihr Ansinnen war es vor allem, junge kompetente Arbeiterkinder zu unterstützen. Sie sollten mithilfe der Stiftung an staatlichen Studiengängen teilnehmen können.
Heute leisten viele parteinahe Stiftungen hervorragende Arbeit bei der Begabtenförderung mit ihren Studien- und Promotionsförderwerken. Damit haben sie peu à peu eine Stipendienkultur in Deutschland etabliert, die unabhängig von Herkunft, Parteizugehörigkeit oder dem Geldbeutel der Stipendiaten ist. Das ist praktizierte Chancengerechtigkeit.
({2})
Aber es ist nicht nur die finanzielle Unterstützung, die die Studienförderung der parteinahen Stiftungen so wertvoll macht. Als Studentin engagierte ich mich ehrenamtlich in Jugendverbänden und arbeitete neben dem Studium, um es finanzieren zu können. Das war natürlich immer ein Balanceakt. Als ich dann im Masterstudium ein Stipendium der Friedich-Ebert-Stiftung erhielt, entspannte sich die Situation merklich. Ein besonderes Auswahlkriterium war allerdings nicht der Notenspiegel, sondern vor allen Dingen mein gesellschaftliches Engagement. Ist die Förderung von zivilgesellschaftlichem Engagement nicht das, was uns allen am Herzen liegt?
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn die Studienförderung allein schon ein guter Grund für die staatlichen Zuwendungen wäre, lassen sich diese auch mit dem umfassenden Aufgabenspektrum der politischen Stiftungen begründen. In ihrer Bildungsarbeit zielen die Stiftungen darauf, einen Mehrwert für möglichst viele Bürgerinnen und Bürger zu erzielen und die Angebote entsprechend zugänglich zu machen.
In den überaus gut besuchten Veranstaltungen der Friedrich-Ebert-Stiftung und anderer Stiftungen zu DDR-Geschichte, Rechtsextremismus oder Industriepolitik 4.0 in meinem Wahlkreis, in Gera, Altenburg oder Greiz, habe ich stets sehr großes Interesse aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer wahrgenommen – egal ob jung oder alt, ob Erzieherin oder Bankangestellter. Das ist für mich auch ein klares Zeichen der besonderen Qualität der Bildungsangebote.
Aber auch von Angeboten anderer Stiftungen wie der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Heinrich-Böll-Stiftung oder der Rosa-Luxemburg-Stiftung weiß ich, dass sie einem hohen Qualitätsanspruch folgen und ihre Arbeit immer einer stetigen internen und externen Überprüfung unterziehen.
Wenn die AfD die Zuwendungen an die politischen Stiftungen radikal kürzen will, dann geht dies zulasten von Qualität und Wirkungskraft ihres staatlichen Bildungsauftrages.
({4})
Dass dies nicht im Sinne unserer freiheitlichen Grundordnung ist, hat das Bundesverfassungsgericht bereits klargestellt. In seinem Urteil von 1986 begründet es die Rechtmäßigkeit der staatlichen Förderung parteinaher Stiftungen exemplarisch mit § 2 der Satzung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dort steht, dass sie „nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet“ ist, sondern die „demokratische Erziehung“ sowie „die internationale Zusammenarbeit“ und die gesellschaftliche Entwicklung „im demokratischen Geiste zu fördern“ strebt.
({5})
Für die anderen Stiftungen gilt das ebenso. In den Statuten der Friedrich-Naumann-Stiftung heißt es zum Beispiel sinngemäß: Gewinn wird nicht erstrebt. Aufgabe der Stiftung ist es, moralische Grundlagen in der Politik zu festigen. Im Statut der Konrad-Adenauer-Stiftung steht geschrieben, sie diene gemeinnützigen Zwecken und unterstütze die europäische Einigungsbestrebung. In der Satzung der Heinrich-Böll-Stiftung heißt es, die politische Bildungsarbeit im In- und Ausland zur Förderung der demokratischen Willensbildung werde betont. Bei der Hanns-Seidel-Stiftung liegt der Zweck darin, die demokratische und staatsbürgerliche Bildung des deutschen Volkes zu fördern, und bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung werden in den Statuten die politische Bildungsarbeit sowie die internationale Verständigung und Zusammenarbeit als Zweck hervorgehoben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, es ist klar geworden: Auch bei weltanschaulichen Unterschieden eint alle hier genannten politischen Stiftungen ein verbindendes Ziel: das gemeinsame Engagement für Demokratie, Bildung, Verständigung und gleichberechtigte Teilhabe.
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Wir alle sollten ein Interesse daran haben, dieses Netz politischer Stiftungen in Deutschland mit ihrer qualitativ hochwertigen und international anerkannten Arbeit zu erhalten und weiter zu stärken. Dazu brauchen wir diesen Gesetzentwurf nicht. Deshalb lehnen wir ihn ab.
Vielen Dank.
({7})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat Herr Dr. Volker Ullrich das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die parteinahen Stiftungen sind Teil der politischen Kultur unseres Landes. Nach bitteren historischen Erfahrungen haben wir uns nicht nur darauf verständigt, dass es eine unlösbare Bindung unseres Gemeinwesens an Menschenwürde und Demokratie gibt, sondern dass wir für diese Ordnung auch allesamt eintreten müssen. Niemals mehr soll es eine Demokratie ohne Demokraten geben.
({0})
Deswegen liegt die Förderung politischer Bildungsarbeit und das Werben für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im öffentlichen Interesse; und das ist auch gut so für unser Land.
Die politischen Stiftungen leisten eine bedeutende Arbeit, nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland. Mit vielen Hundert Repräsentanten sind sie Botschafter für Menschenrechte und Demokratie.
({1})
Wer sich die Entwicklung des Transformationsprozesses beispielsweise in Mittel- und Osteuropa angesehen hat, stellt fest, dass die politischen Stiftungen – gleich welcher parteipolitischen Nähe – sehr stark dafür gekämpft haben, dass dieser Transformationsprozess auch gelingen konnte. Es war ein wichtiges Eintreten auch für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.
Nicht vergessen werden darf auch die journalistische Nachwuchsförderung. Dies ist ein großartiges Werben für Pressefreiheit in der Welt. Gerade auch dieser Einsatz ist vor dem Hintergrund einer zunehmenden Bedrohung – auch der freien Presse – eine sehr wichtige Arbeit, die die Stiftungen weltweit leisten.
Nun wird darüber gesprochen, ob es eine gesetzliche Grundlage brauche. Ich darf Ihnen zurufen – es ist bereits angesprochen worden –, dass es diese gesetzliche Grundlage bereits gibt, und zwar in Form des Haushaltsgesetzes. Auch dieses ist ein ordentliches Parlamentsgesetz und kann dazu dienen, die Mittel für die politischen Stiftungen nach den Regeln, die der Haushaltsausschuss vorgibt, auszukehren. Also, die Behauptung, es würde keine materiell-rechtliche Grundlage vorliegen, ist vor dem Hintergrund des tatsächlichen Charakters des Haushaltsgesetzes, aber auch vor der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einfach nicht zutreffend. Ich denke, Sie sollten hier nicht vor dem Hintergrund der Rechtsprechung und des Gesetzescharakters von einer Grauzone oder gar von verfassungswidrigen Zuständen sprechen. Das gibt die Sachlage eindeutig nicht her.
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Das Gesetz, das Sie vorgelegt haben, hat einen schwerwiegenden Konstruktionsfehler. Das Verfassungsgericht betont in seiner Rechtsprechung, dass es zwar eine Nähe zwischen der parteinahen Stiftung und der sie tragenden Partei gibt, dass aber die Grenze klar und deutlich gezogen werden muss. Insbesondere müssen diese Stiftungen staatsfern sein. Wenn Sie aber die Stiftungen zu juristischen Personen des öffentlichen Rechts machen, dann werden sie inkorporierter Teil des Staates und verfehlen damit ihre Wirkung. Damit stellen Sie im Grunde das Stiftungswesen zur Disposition. Das wollen wir nicht. Das wollen Sie vielleicht, weil Sie die Demokratie schwächen wollen. Wir wollen an diesem bewährten Merkmal festhalten.
({3})
Es ist auch nicht in Ordnung, dass Sie zwei wesentliche Punkte nicht mehr aufnehmen, zum einen die journalistische Nachwuchsförderung und zum anderen die Begabtenförderung. Ja, wir müssen junge Menschen, die sich zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bekennen, unterstützen und fördern, damit sie Botschafter dieser Werte und dieser Haltung werden.
Kollege Ullrich, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Glaser?
Ja.
Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Darf ich Sie und andere Diskutanten vielleicht noch einmal auf Folgendes hinweisen: Dieses Projekt kann man ja in vielen Einzelfragen, weil tatsächlich viele, auch juristische Probleme darin liegen, anders gestalten; das soll gar nicht bestritten werden. Aber das Wesen eines solchen Vorschlags ist ja, dass wir den Prozess in Gang setzen. Ich darf Sie und die anderen Diskutanten darauf aufmerksam machen: Wenn Sie sich diesem Projekt verweigern, wird der Umfang der Mittel, die einer AfD-nahen Stiftung nach den alten Spielregeln zufließen werden, in Zukunft um ein Vielfaches höher sein als die Mittel, die ihr zufließen, wenn wir dieses Gesetzesvorhaben umsetzen würden.
({0})
Da Sie sich ja vor solchen politischen Aktivitäten der AfD fürchten, könnte es sein, dass das dann in Bezug auf Ihre Absicht kontraproduktiv ist.
({1})
Können Sie sich dazu vielleicht äußern? Ich meine, das ist ja eine ganz interessante Frage taktischer und strategischer Natur.
Herr Kollege Glaser, wir werden Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil er schlichtweg schlecht ist. Er ist handwerklich völlig daneben, und Sie sprechen einige Punkte in diesem Gesetzentwurf nicht an, die, wie meine Kollegen bereits ausgeführt haben, in ein Stiftungsgesetz hineingehörten. Sie erkennen nicht, dass es eine Trennung geben muss zwischen einer parteinahen Stiftung und dem Staat selbst.
Aber wenn wir schon über die AfD-Stiftung sprechen, dann muss ich Ihnen zurufen: Werden Sie sich erst einmal selbst im Klaren darüber, welche Stiftung Sie eigentlich präferieren.
({0})
Ehrlich gesagt, beide Stiftungen passen nicht zu Ihnen. Desiderius Erasmus war ein Humanist, der für Religionsfreiheit und für Toleranz eingetreten ist. Das passt nicht zu Ihrer Haltung.
({1})
Und dann lassen Sie uns auch über Gustav Stresemann sprechen. Gustav Stresemann, Friedensnobelpreisträger, wusste, dass Deutschland nur in und mit Europa existieren kann, niemals dagegen.
({2})
Er war für die Aussöhnung mit Frankreich. Ich sage Ihnen ehrlich: Wenn es mehr weitsichtige Politiker wie Gustav Stresemann in den 1920er-Jahren gegeben hätte,
({3})
wäre mehr für die Aussöhnung mit Frankreich getan worden, und vielleicht wären bitterste Stunden unserer Geschichte nicht passiert.
({4})
In diesem Zusammenhang möchte ich den Enkel von Gustav Stresemann zitieren, der gesagt hat – ich zitiere –:
Was mein Großvater schließlich aus Überzeugung vertrat, steht ja fundamental gegen das, was die AfD verkörpert.
Das sollten Sie sich merken.
({5})
Der Name Gustav Stresemann passt nicht zu einer Stiftung, die Ihr Gedankengut als parteinahe Stiftung tragen würde.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam die Arbeit der politischen Stiftungen unterstützen, im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und einer gemeinsamen Verantwortung für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte, für die Bildungsarbeit und für das Eintreten für Pressefreiheit. Ich sage das ganz bewusst auch in diesen Tagen, weil wir merken: Überall in Europa wird die demokratische, offene und plurale Ordnung angegriffen. Die Stiftungen stehen genau für diese Ordnung. Sie verteidigen und festigen sie. Insofern sollten wir auch nicht durch ein schlechtes Gesetz diese Stiftungen infrage stellen. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab.
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Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/2674 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich möchte mich zunächst namens der Bundesregierung ausdrücklich bei Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, dafür bedanken, dass dieses wichtige Gesetzgebungsvorhaben so seriös, so sorgfältig, aber auch so zeitnah beraten wurde, sodass es jetzt abschlussreif ist.
Bei diesem Gesetzentwurf zur Neuregelung des Familiennachzugs zu eingeschränkt schutzbedürftigen Personen geht es um ein sehr wichtiges Projekt der Bundesregierung. Sie haben mitbekommen: Es war im Vorfeld, auch bei den Verhandlungen zum Koalitionsvertrag, durchaus umstritten. Ich bin aber der festen Überzeugung: Es ist ein sehr guter Kompromiss gefunden worden. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass dieses Gesetz nicht isoliert zu betrachten ist, sondern dass es sich in ein großes Regelwerk Migration einfügt. Dieses Regelwerk Migration werden wir insbesondere seitens des Bundesinnenministeriums vorantreiben. Dieser Gesetzentwurf zur Neuregelung des Familiennachzugs zu eingeschränkt schutzbedürftigen Personen fügt sich ein in unseren Grundsatz des besseren Ordnens, des Steuerns und auch des Begrenzens der illegalen Migration in unserem Land.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, worum geht es im Konkreten? Wir regeln den Familiennachzug zu eingeschränkt schutzbedürftigen Personen neu. Ich bin sehr froh, dass es dabei bleibt, dass es vom Grundsatz her keinen Rechtsanspruch für eingeschränkt schutzbedürftige Personen gibt, Familienangehörige nach Deutschland zu holen. Es war wohlgemerkt nur ein sehr kurzer Zeitraum, in dem dies überhaupt jemals möglich war. Nur zwischen dem 1. August 2015 und Mitte März 2016 gab es überhaupt einen Rechtsanspruch für eingeschränkt schutzbedürftige Personen auf Familiennachzug. Ich lege auch Wert auf die Feststellung, dass es weder völkerrechtlich noch europarechtlich vorgegeben ist, dass wir den Familiennachzug zu nur eingeschränkt schutzbedürftigen Personen zulassen. Es handelt sich bei diesem Personenkreis um Personen, die sich nur über einen bestimmten Zeitraum in Deutschland aufhalten sollen und einen Schutzstatus für ein Jahr bekommen. Die Regelungen bezüglich des Erlangens der Niederlassungserlaubnis, aber auch die materiellen Ansprüche unterscheiden sich bei eingeschränkt schutzbedürftigen Personen grundlegend von Personen, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurden.
Deshalb gibt es aus meiner Sicht sehr gute Gründe dafür, dabei zu bleiben, dass der Rechtsanspruch ausgeschlossen ist, auch über den 1 August hinweg. Ich bin aber auch der Überzeugung, dass wir mit diesem Gesetzentwurf drei Grundsätzen entsprechend Rechnung tragen: zum einen dem Grundsatz auf Humanität und Hilfsbereitschaft, zum anderen dem Grundsatz auf Sicherheit sowie schließlich dem Grundsatz, die Integrationsbereitschaft und die Integrationsfähigkeit unseres Landes mit zu berücksichtigen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Baumann?
Selbstverständlich.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Es gibt ja im Moment zwischen CDU und CSU den Streit – zu Recht –, ob die Grenzregelung, wie wir sie im Moment haben, überhaupt weiter gelten dürfe. Es ist ja so, dass jeder, der an die deutsche Grenze kommt, auch wenn er keine Papiere, keine Identitätsnachweise, gar nichts hat, hereingelassen wird, wenn er Asyl erbittet. Das ist so; da wird er im Moment nicht zurückgewiesen. Herr Seehofer will das ja ändern. Aber es ist im Moment nicht geändert, und es sieht nicht so aus, als ob es geändert würde. Es ist nichts in der Pipeline, es ist nichts in Sicht.
Wie können Sie den Familiennachzug regeln, indem Sie ihn, wie Sie gerade sagen, für subsidiär Schutzbedürftige auf 1 000 begrenzen, wenn jeder seine Familie an die deutsche Grenze und mit dem Zauberwort Asyl über die deutsche Grenze bringen kann, ohne Identitätserfassung, ohne Papiere? Man weiß also nicht, wie er wirklich heißt, woher er kommt. Man weiß auch nicht, zu welcher Familie er gehört. Das ist doch dann nach den Gesetzen der Logik eine Augenwischerei. Was wollen Sie denn auf 1 000 begrenzen? Jeden Monat kommen 15 000, jeden Monat schaffen das 15 000. Dieser Gesamtzusammenhang widerspricht jeder Logik. Wie ist es überhaupt möglich, den Bürgern zu suggerieren, man könnte das auf 1 000 begrenzen, indem man einen solchen Gesetzentwurf vorlegt?
({0})
Herr Kollege Baumann, Sie haben jetzt zwei Themen in Verbindung gebracht, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben.
({0})
Zum einen geht es hier dezidiert um die Neuregelung des Familiennachzugs zu eingeschränkt schutzbedürftigen Personen. Ich bin der Überzeugung: Wir haben hier als Bundesregierung einen sehr probaten und auch ausgewogenen Gesetzentwurf vorgelegt. Und ich bin durchaus auch der Überzeugung, dass er im parlamentarischen Verfahren sogar noch verbessert wurde. Ich sage dazu gerne noch was.
Zum Punkt, den Sie ansprechen, also Zurückweisungen an der deutschen Grenze: Es geht hier darum – und das wird ja heute auch schon vollzogen –, dass Personen an der deutschen Außengrenze ab- bzw. zurückgewiesen werden, die offenkundig keinen Anspruch auf Asyl zum Ausdruck bringen, die keinen Antrag auf Asyl stellen bzw. angeben, nur durch Deutschland durchreisen zu wollen. Es gibt also heute schon Zurückweisungen an der deutschen Außengrenze.
({1})
Im letzten Jahr waren es in etwa 12 000, also gar keine so unbeträchtliche Zahl.
Ich möchte Ihrem Eindruck in aller Entschiedenheit und Deutlichkeit entgegentreten, dass jeder doch ohnehin seine Familienangehörigen nach Deutschland bringen könnte.
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Dies ist dezidiert nicht der Fall. Es geht nämlich bei der Neuregelung des Familiennachzugs nicht um Personen, die sich in Österreich, in Slowenien oder in Italien aufhalten, sondern es geht bei den Familienangehörigen, die ab dem 1. August von dem 1000er-Kontingent umfasst sind, um Personen, die sich beispielsweise in Jordanien, im Libanon, in Libyen aufhalten.
Wir werden – danke für die Gelegenheit, dass ich jetzt auf Ihre Frage schon diesbezüglich antworten kann – insbesondere humanitären Notlagen Rechnung tragen. Wir werden – das ist aus meiner Sicht der erste entscheidende Grundsatz – dem Anspruch auf Humanität und auf Hilfsbereitschaft Rechnung tragen, indem wir den Personen, die besonders schutzbedürftig sind, weil sie schwer erkrankt sind, weil sie behindert sind, in besonderer Weise die Möglichkeit eröffnen, in dieses 1000er-Kontingent mit aufgenommen zu werden.
Ich bin der Überzeugung: Es handelt sich um einen Gesetzentwurf, der rund ist. Wie gesagt, der Grundsatz der Humanität ist uns sehr wichtig. Es war uns auch sehr wichtig, dass wir den Aspekt des Kindeswohles in besonderer Weise in den Gesetzentwurf mit aufnehmen. Besonders minderjährige Kinder, die beispielsweise noch in Libyen, in Jordanien, in Beirut im Libanon auf die Nachreise warten, können durch die Neuregelung des Familiennachzugs privilegiert berücksichtigt werden.
Insofern kann ich Ihrer Pauschalkritik in keiner Weise etwas abgewinnen. Das Gegenteil ist der Fall. Sie hören das nicht gern, Herr Kollege Baumann, aber das ist ein Gesetzentwurf, der einerseits dem Grundsatz des Steuerns und Begrenzens in klarer Weise Rechnung trägt –
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es gibt keinen ungezügelten Familiennachzug zu eingeschränkt schutzbedürftigen Personen –, aber andererseits auch dem Grundsatz der Humanität und der Mitmenschlichkeit Rechnung trägt.
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Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich habe als zweiten Aspekt das Thema der Sicherheit genannt. Ich bin insbesondere den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD dankbar, dass nunmehr dank eines Änderungsantrages klargestellt wird, dass Gefährder grundsätzlich vom Familiennachzug ausgeschlossen sind. Das war und ist uns als Bundesinnen- und ‑sicherheitsministerium ein sehr wichtiger Aspekt. Darüber hinaus sind beispielsweise Personen ausgeschlossen, die sich schwerer Straftaten in Deutschland schuldig gemacht haben. Auch dies ist ein wichtiger Punkt, dass derjenige in keiner Weise privilegiert werden kann, der sich in Deutschland einer schweren Straftat schuldig gemacht hat.
Der dritte Aspekt, der von mir erwähnt wurde, ist die Integrationsfähigkeit unseres Landes. Wir werden mit dieser Neuregelung vor allem auch unter den Personen, die Stammhalter sind, sich also schon in Deutschland befinden, diejenigen in besonderer Weise privilegieren können,
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die beispielsweise ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können und über einen Arbeitsplatz verfügen. Wir werden unter den nachzugswilligen Familienangehörigen die Personen privilegiert berücksichtigen können, die – beispielsweise weil sie sich schon Deutschkenntnisse angeeignet haben – zum Ausdruck bringen, dass sie in besonderer Weise bereit und willens sind, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Der Aspekt der Integrationsfähigkeit und der Integrationsbereitschaft spielt also auch eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, im pflichtgemäßen Ermessen festzulegen, welche Personen monatlich unter das 1000er-Kontingent fallen.
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Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns in einer intensiven Debatte innerhalb der Bundesregierung, aber dann auch mit dem Parlament darüber Gedanken gemacht,
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wie dieses Gesetz ab dem 1. August exekutiert wird. Wie gesagt, es gibt ein monatliches Kontingent von 1 000 Personen. Uns vom Bundesinnenministerium war es wichtig, dass es, wie beim üblichen Visumverfahren auch, dabei bleibt, dass die Visa zur Ermöglichung des Familiennachzugs durch die Außenvertretungen unseres Landes, also durch die Botschaften und durch die Generalkonsulate, erlassen werden. Wir werden dies in einem guten und auch sehr vertrauensvollen Miteinander gemeinsam mit dem Bundesverwaltungsamt machen. Das Bundesverwaltungsamt wird also die Anträge materiell-rechtlich prüfen, und die Visa werden dann entsprechend durch die Auslandsvertretungen erlassen. Das zeigt, wie ich glaube, in besonderer Weise, dass verschiedene Ressorts hier sehr eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten.
Abschließend, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, möchte ich seitens der Bundesregierung ein herzliches Dankeschön für die zügige, aber aus meiner Sicht auch sehr sorgfältige Bearbeitung dieses wichtigen Gesetzentwurfs sagen. Er zeigt – das möchte ich abschließend auch noch einmal klar sagen –, dass wir als Bundesregierung, aber auch die Große Koalition, insbesondere bei diesem wichtigen Thema der Bewältigung der Flüchtlings- und Migrationskrise, handlungsfähig sind, um Vertrauen und Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung zurückzugewinnen.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat die Abgeordnete Beatrix von Storch für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was war das für ein Theater gestern! Dabei ist doch so klar, was passieren muss: Wir müssen den Familiennachzug für die Subsidiären abschaffen, wir müssen die Grenzen kontrollieren, und wir müssen die ganzen illegalen Migranten an der Grenze zurückweisen; denn aus Österreich muss niemand fliehen, in Österreich gibt es keine Verfolgung.
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Dann schließen die Österreicher den Brenner, und die Italiener weisen die Schlepperboote zurück.
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Dann helfen wir vor Ort und unterstützen den UNHCR.
Das ist nicht rechts, das ist nicht mal populistisch,
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das zeugt von ganz normalem gesunden Menschenverstand, aber den haben die Linken nicht, und die Grünen und die SPD haben ihn auch nicht.
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Aber das macht nichts. In unseren europäischen Nachbarländern ist dieser Menschenverstand auf jeden Fall im Kommen. In Frankreich und Österreich, in Dänemark und Italien, von Polen bis Ungarn – überall gibt es diesen Menschenverstand.
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So viel zu Ihrer europäischen Lösung, die Sie immer weiter anstreben, obwohl sie längst gescheitert ist.
Wir nehmen natürlich mit großem Interesse zur Kenntnis, dass spätestens nach dem ganzen Theater gestern der Innenminister, die CSU und auch wachsende Teile der CDU eine Rückkehr zum gesunden Menschenverstand zumindest erahnen lassen. Als wir unseren Antrag zu Grenzkontrollen und zur Zurückweisung an der Grenze gestellt haben, da haben Sie noch alle dagegengestimmt.
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Heute haben Sie nach dem ganzen Tamtam gestern die Gelegenheit, diesen Fehler zu korrigieren. Ich möchte Ihnen zurufen: Nur Mut! Machen Sie mal den Rücken gerade! Das ist gar nicht so schwer, wie es aussieht.
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Aber es gibt offensichtlich ein großes Hindernis. Obwohl, so groß ist es gar nicht, ich möchte sagen, 1 laufender Meter 60: Angela Merkel.
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Nach dieser Woche ist es nun wirklich kein Geheimnis mehr, dass Frau Merkel mehr Rückhalt bei den Grünen hat als in ihrer Partei oder gar in der CSU.
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Der Unterschied zwischen der AfD und der CSU scheint ja nur noch zu sein: Wir sagen: „Merkel muss weg“, und Sie denken: „Merkel muss weg“ – aber die Gedanken sind frei.
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Der Kanzlerin geht es offenbar nur noch darum, das Gesicht zu wahren, wenn irgendwann herauskommt, dass man Grenzen eben doch schließen kann.
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Da schloss sie messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.
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Mit der SPD hat sie natürlich den richtigen Partner. Wer als vormalige Volkspartei ernsthaft den Familiennachzug für Gefährder fordert, ist mit 9 Prozent bei den Umfrageergebnissen in Sachsen noch überreichlich bedient.
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Die Vorlage von Union und SPD ist der Versuch, es beiden Seiten recht zu machen, den Vernünftigen und den Verblendeten. Im Monat sollen nur 1 000 Familiennachzüge erlaubt sein, so verkauft uns das die Union. Ab dem 1 001. heißt das dann „humanitärer Einzelfall“ – ein Erfolg der SPD –, und wir wissen, es kann auch 1 Million Einzelfälle geben.
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Der Gesetzentwurf der FDP ist typisch FDP: Merkel hat recht, Seehofer hat aber auch recht. Wir brauchen eine europäische Lösung, aber später. Wir sichern die Grenzen, aber nur vorübergehend. Wir verteilen die Flüchtlinge in der EU und wollen das Resettlement, auch wenn die EU-Staaten nicht mitmachen. Alles in allem ein glasklares und mutiges Sowohl-als-auch.
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Der Gesetzentwurf der Linken ist einfach Weltklasse. Nach dem Parteitag hätten sie ihn etwas kürzer fassen können. Es genügen drei Worte: Alle dürfen rein!
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Und alle 7 Milliarden haben dann auch Anspruch auf Bleiberecht, ausdrücklich Staatsbürgerschaft und Sozialleistungen.
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Dem unbeteiligten Beobachter Ihres Parteitages musste der Gedanke kommen: Linke, alle doof, außer Sahra.
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Denn nur Frau Wagenknecht hat den Irrsinn abgelehnt und wurde dafür folgerichtig ausgebuht. Aber im Namen der AfD danke ich ihr ausdrücklich für ihre Offenheit. Damit wird deutlich, worauf Ihre Forderung nach offenen Grenzen hinausläuft: Deutschland wird abgeschafft, der Sozialstaat wird geschreddert, und die Dritte Welt kommt nach Europa.
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Wir werden Ihre zentralen Punkte kopieren und einfach in den Fußgängerzonen in Ostdeutschland während des Wahlkampfes verteilen und sie plakatieren. Das ist der beste Wahlkampf, den wir machen können. Darauf freuen wir uns schon jetzt.
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Ronald Reagan hat gesagt: Eine Nation, die ihre Grenzen nicht kontrollieren kann, ist keine Nation. – Wir werden alles dafür tun, dass wir eine Nation bleiben.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Dr. Eva Högl für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Bei all der Aufregung rund um das Thema ist heute ein richtig guter Tag für das Asylrecht, für verantwortungsvolle Politik, und vor allem für ganz viele Familien.
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Ab dem 1. August wird es wieder Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte geben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den vergangenen Jahren sind viele Menschen aus ihren Heimatländern zu uns geflohen: vor Krieg, vor Terror und vor Verfolgung. Ich sage es ganz deutlich: Sie suchen bei uns Schutz und Sicherheit, und sie bekommen bei uns Schutz und Sicherheit,
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wenn sie dazu einen Anlass haben, und sie bekommen auch eine neue Perspektive.
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Ich möchte auch nicht, dass das zynisch als Asyltourismus bezeichnet wird. Ich möchte das weder lesen noch hören.
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Diese Menschen kommen in der Regel überhaupt nur zu uns, wenn sie nicht im Mittelmeer ertrinken oder auf der Balkanroute stranden; denn andere Wege zu uns gibt es gar nicht. Häufig genug schaffen es nur Einzelne aus den Familien. Für sie machen wir heute dieses Gesetz; denn für sie ist es besonders wichtig, dass wir die Familienzusammenführung ermöglichen.
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Familienzusammenführung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie wir generell unsere Asylpolitik ausrichten sollten, nämlich basierend auf humanitärer Verantwortung, kombiniert mit staatlicher Steuerung und mit einem geordneten Verfahren.
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Humanitär ist unsere Politik, weil sie sich an den Schwächsten orientiert, weil sie denen hilft, die unsere Hilfe am dringendsten brauchen. Deshalb haben wir ausdrücklich im Gesetz verankert, dass die UN-Kinderrechtskonvention umfassend berücksichtigt werden muss. Wir stärken die Rechte von Kindern und das Kindeswohl. Zur Erinnerung: Artikel 6 unseres Grundgesetzes, der Ehe und Familie schützt, gilt für alle Menschen.
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Der Familiennachzug, den wir heute auf den Weg bringen, hat alles, was wir im Bereich Zuwanderung richtig finden: Er findet nämlich legal statt, er findet sicher statt, er findet geordnet statt – eben nicht durch Schlepper und Schleuser –, und er findet statt nach unserer staatlichen Auswahl.
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Deswegen war es uns auch so wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir bei der Auswahl der 1 000 Personen, die pro Monat kommen können,
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die dringendsten Fälle berücksichtigen und auch im Blick haben, dass wir die deutschen Auslandsvertretungen nicht überlasten. Deswegen haben wir uns darauf geeinigt, bei der Visumsvergabe zunächst hier in Deutschland eine sachliche Prüfung und eine Entscheidung im Inland vorzunehmen. Diese Prüfung übernimmt das Bundesverwaltungsamt. Das ist ein gutes und geordnetes Verfahren, das wir auf den Weg bringen. Ich bin mir sicher, dass die letzten Details der Zusammenarbeit von Innenministerium, Auswärtigem Amt und Bundesverwaltungsamt jetzt auch zeitnah geklärt werden, damit rechtzeitig zum 1. August ein gutes, geordnetes und praktikables Verfahren beginnen kann.
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Ich will auch deutlich sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir haben in den vergangenen Wochen, ja Monaten intensiv um dieses Thema gerungen, nicht nur in der Koalition, sondern viele haben sich an der Debatte beteiligt. Wir haben hart in der Sache gerungen, aber immer fair im Umgang. Wir haben uns auf den Weg gemacht, einen guten Kompromiss zu finden. Dieser Gesetzentwurf, der heute zur Abstimmung vorliegt, zeigt, dass wir fähig sind, uns zu einigen und gute Regelungen zu treffen, und dass wir fähig sind, eine gute und konsequente Politik zu machen, die nicht an Schlagzeilen orientiert ist, sondern sich an der Sache orientiert, die nicht Streit provoziert, sondern Kompromisse ermöglicht, und zwar ruhig, sachlich und lösungsorientiert.
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Ich rate sehr dazu, dass wir gerade in der Asyl-, Flüchtlings- und Migrationspolitik diesen Weg weiter beschreiten.
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Eine letzte Bemerkung, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Stichwort „Europa“: Wir brauchen in der gesamten Migrationspolitik, in der gesamten Innenpolitik, ja überhaupt, also auch in anderen Politikbereichen, mehr Europa und nicht weniger.
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Wir wollen unsere Freiheit bewahren, wir wollen unseren Wohlstand sichern, und wir wollen Sicherheit gewährleisten. Das hat Herr Mayer auch zu Recht hervorgehoben. Genau darum geht es. Das geht nur mit mehr und nicht mit weniger Europa und nur mit mehr globaler Verantwortung und nicht mit weniger.
Dazu leistet unser heute vorliegender Gesetzentwurf zum Familiennachzug einen wichtigen und richtigen Beitrag. Deswegen bitte ich Sie alle um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Herzlichen Dank.
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Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Benjamin Strasser das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Frage, über die wir heute zu entscheiden haben, ist keine leichte, weil es in der Tat nicht nur um Zahlen geht, Herr Mayer, sondern auch um Menschen. Als Abgeordnete haben wir die Aufgabe, den richtigen Spagat zwischen Machbarkeit und Menschlichkeit zu finden. Keinen von uns, der die Schicksale gehört hat, die auch im Innenausschuss vorgetragen wurden, lässt das kalt. Ich sage Ihnen aber auch: Ich bin Gemeinderat in meiner Heimatgemeinde Berg in Oberschwaben mit 4 500 Einwohnern, und ich weiß, was es heißt, 150 geflüchtete Menschen unterzubringen. Wir können die große Hilfsbereitschaft, die es bei den Menschen gibt, auf Dauer nicht überfordern. Da helfen uns weder ein „Wir schaffen das“ von Frau Merkel noch diese Parolen, die Frau von Storch hier vorgetragen hat.
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Herr Mayer, ganz im Gegenteil: Die Lex CSU, die wir heute hier beschließen, dieses Wahlkampfgeschenk der Großen Koalition, knüpft doch nicht ernsthaft am Schicksal der Menschen an. Sie hantieren hier mit Zahlen. Sagen Sie doch mal zu dem 1 001. – oder dem 12 001., wenn Sie sagen, es werde aufs ganze Jahr gerechnet –, der nach Ihrem Gesetzentwurf den gleichen Anspruch hat, warum seine Familie nicht nachziehen kann. Das zeigt doch schon, wie abstrus Ihr Gesetzentwurf ist. Das haben im Übrigen auch die Sachverständigen in der Anhörung – selbst die, die Sie benannt haben – so bestätigt.
({1})
Am 1. August droht Chaos in den Behörden. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass der Gesetzentwurf der Freien Demokraten vom Städtetag bis hin zur Leiterin des Willkommenszentrums Berlin – rot-rot-grüner Senat – positiv beschieden wurde. Wir sagen nämlich: Machbarkeit heißt, weitere Aussetzung des Familiennachzugs um zwei Jahre, aber Menschlichkeit heißt genauso, nicht nach Zahlen zu entscheiden, sondern nach klaren Kriterien, die wir hier im Parlament als Härtefall festlegen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen – jetzt komme ich zum Entschließungsantrag meiner Fraktion –, uns ist klar, dass diese Aussetzung des Familiennachzugs keine Dauerlösung sein kann, sondern dass die Migrationsfrage nur gemeinsam in Europa gelöst werden kann, Frau Högl. Aber wo sind denn die Initiativen Ihrer Bundesregierung?
Wenn wir nach Europa schauen, dann stellen wir fest, dass es da hakt; da gibt es keine Bewegung. Wir müssen doch ehrlich sein und sagen: Wenden wir die Regeln von Dublin III an! Das Ziel der Freien Demokraten ist, schnellstmöglich ein Nachfolgeabkommen für Dublin zu bekommen. Unser Ziel ist der dauerhafte Erhalt offener Binnengrenzen.
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Schengen – das ist tagtäglich ein Freiheitsgewinn. Und wir wollen die Außengrenzen schützen und Frontex stärken.
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Wenn Sie das auch wollen, dann müssen wir jetzt auch sagen, dass die Bundespolizei die Regeln von Dublin III anwenden und stichprobenartig die Personen zurückweisen darf, die in der Europäischen Union schon einen Asylantrag gestellt haben.
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Ein Letztes, meine sehr geehrten Damen und Herren: Ein Mitglied dieses Hohen Hauses bezeichnete Horst Seehofers Masterplan am Montag auf Twitter als „Desasterplan“. Herr Lischka, recht haben Sie. Nur, das Schlimme ist, dass die SPD heute einem weiteren Desaster zustimmen wird.
Liebe Kollegen der CDU, ja, was soll man nach dem gestrigen Tag eigentlich noch sagen? Ein Hauch von Kreuth 1976 ist über die Fraktionsebene geweht. Doch wir alle kennen das Ende von Kreuth:
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Die CSU wird wieder kneifen. Wenn Sie, liebe Kollegen der CDU, heute diesem CSU-Gesetzentwurf zustimmen, dann beweisen Sie leider einmal mehr, dass Ihnen Machterhalt vor politischer Problemlösung geht. Das sehen wir Freie Demokraten explizit anders.
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Ich komme zum Schluss. Liebe CDU, liebe SPD, jetzt ist es eigentlich an der Zeit, einen Zwergenaufstand gegen die CSU zu proben und gegen dieses Desaster zu stimmen. Oder frei nach dem großen Sozialdemokraten Kevin Kühnert: „Heute einmal ein Zwerg sein, um künftig wieder Riesen sein zu können.“ – Stimmen Sie unserem guten Gesetzentwurf und unserem Entschließungsantrag zu.
Vielen herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat für die Fraktion Die Linke die Kollegin Akbulut.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sollen heute in der Sache über den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten entscheiden. Jetzt soll die Diskussion darüber nicht mehr sachlich geführt werden. Die FDP und die AfD instrumentalisieren die heutige Debatte, um über rechtswidrige Praxen an der deutschen Grenze zu diskutieren.
({0})
Wir als Linke sagen ganz deutlich: Eine Zurückweisung an der Grenze ohne ein rechtsstaatliches Verfahren ist ein Verstoß gegen verbindliches Recht.
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Jetzt möchte ich zu der eigentlichen Debatte kommen. Heute wollen die Koalitionsfraktionen den Rechtsanspruch auf Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten auf Dauer abschaffen. Gerade einmal bis zu 1 000 Angehörige pro Monat sollen künftig zu ihrer Familie nachziehen können. Aber ob und wann das der Fall sein wird, weiß keiner. Das ist für die Betroffenen wirklich unerträglich.
({2})
Kollegin Akbulut, kleinen Moment. Ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Abgeordneten von Storch?
Nein, das möchte ich nicht.
({0})
Schwer erträglich ist auch das parlamentarische Schnellverfahren, in dem das Ganze hier durchgezogen werden soll. Ich kann Ihnen sagen: Die von dieser Regelung betroffenen Menschen können es kaum fassen, wie schnell und bedenkenlos heute hier über ihr Schicksal entschieden wird. Ich möchte Sie an dieser Stelle erinnern: Es geht hier um Menschen, die Schwerstes erlebt und durchgemacht haben.
({1})
Schon seit Jahren sind diese Menschen zwangsweise von ihren Vätern, Müttern, Kindern und Geschwistern getrennt. Die Koalition will diese Leidenszeit einfach um weitere Jahre verlängern. Nehmen Sie künftig bitte die Worte „christlich“ und „Familie“ einfach nicht mehr in den Mund.
({2})
In der Anhörung des Innenausschusses am vergangenen Montag haben nahezu alle Sachverständigen deutliche Kritik an dem Gesetzentwurf geäußert. Auch der Bundesrat hat konkrete Einwände und Forderungen aufgestellt. Die Koalition aber peitscht hier den Gesetzentwurf ohne jede Berücksichtigung dieser fachlichen Einwände im Eilverfahren durch.
Nach unserer Auffassung – das entspricht der Auffassung vieler Sachverständiger, fachkundiger Verbände, der Kirchen, des Deutschen Instituts für Menschenrechte usw. – verstößt der Gesetzentwurf der Koalition gegen das Recht auf Familie, wie es im Grundgesetz und in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist.
({3})
Auch wenn sich daraus kein direktes Recht auf Einreise zur Familienzusammenführung ableiten lässt: Unter bestimmten Bedingungen gibt es eben doch eine Verpflichtung des Staates, die Familieneinheit auch hier in Deutschland zu ermöglichen.
Sie nehmen eine Ungleichbehandlung der GFK-Flüchtlinge und der subsidiär Schutzberechtigten vor, die sich sachlich und menschlich einfach nicht begründen lässt. Beide gelten nach nationalem und EU-Recht gleichermaßen als international Schutzberechtigte. Beide Gruppen sind in gleicher Weise schutzbedürftig. Das sehen Sie doch an den syrischen Flüchtlingen. Unabhängig davon, welchen Status sie bekommen haben: Eine Rückkehr in den nächsten Jahren ist diesen geschundenen Menschen nicht möglich. Deshalb fordern wir mit unserem Gesetzentwurf: Das Recht auf Familienleben für international Schutzberechtigte muss wieder uneingeschränkt gelten.
({4})
In der Anhörung der Sachverständigen am Montag ist deutlich geworden, dass bislang völlig unklar ist, wer künftig in welcher Reihenfolge kommen darf. Die praktische Umsetzung der Kontingentregelung droht administrativ an die Wand zu fahren. Das formulierte der Leiter der Berliner Ausländerbehörde.
Ich kann Ihnen sagen, zu welchem Ergebnis das Ganze führen wird: Die Behörden werden mit der Prüfung der Anträge erneut überfordert sein. Sie werden es aus bürokratischen Gründen nicht schaffen, 1 000 Visa pro Monat zu erstellen. Meine Damen und Herren, das ist untragbar und auch unverantwortlich.
({5})
Das Mindeste wäre gewesen, dieses Gesetz in seiner Wirkung zu befristen und die Auswirkungen der Neuregelung erst einmal gründlich zu evaluieren. Nicht einmal das haben Sie beschlossen. Es ist einfach zum Fremdschämen.
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Für uns als Linke gibt es nur eine humanitäre Lösung, die auch meine Kollegin Ulla Jelpke vergangene Woche schon angesprochen hat: Jeder Mensch hat das Recht auf seine Familie,
({7})
und das muss auch für alle Flüchtlingsgruppen gelten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Luise Amtsberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Debatte ist schwierig, nicht nur weil die Große Koalition ein Gesetz, das die Lebenswirklichkeit von Tausenden von Menschen massiv berührt, innerhalb von acht Tagen durch dieses Parlament peitscht – das ist das eine –; sie ist auch deswegen schwierig, weil unter anderem die FDP diese wichtige Debatte förmlich gehijackt hat, um aus der Krise der Union politisch Kapital zu schlagen.
({0})
Deswegen müssen wir in dieser Debatte auch über einen Antrag zur Abweisung von Schutzsuchenden an Deutschlands Grenzen debattieren. Das allein ist extrem unanständig. Denn das Mindeste, was die Menschen, die künftig keine Chance mehr auf ein Leben mit ihrer Familie hier in Deutschland haben, verdient haben, ist eine würdige und ungeteilte Aufmerksamkeit in der Sache, meine Damen und Herren.
({1})
Das Gesetz zur Beschränkung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte ist schlecht. Das haben Ihnen am Montag auch die meisten Sachverständigen gesagt. Begründen tun Sie das immer wieder – wie Herr Mayer gerade eben schon wieder – mit der Behauptung, der subsidiäre Schutz sei weniger wert; folglich sei die Einschränkung dieses Status irgendwie gerechtfertigt.
Vielleicht übersetzen Sie einmal diesen schönen, aus dem Französischen kommenden Begriff oder befassen sich mit der Geschichte des subsidiären Schutzes. Dann wüssten Sie, dass es sich hierbei um einen ergänzenden Status handelt, der die Genfer Flüchtlingskonvention um die Schutzgründe Folter, Todesstrafe oder Lebensgefahr in kriegerischen Konflikten ergänzen sollte.
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Er sollte sie ergänzen, nicht Flüchtlinge erster und zweiter Klasse schaffen. Aber das verstehen Sie bis heute nicht. Das und dass niemand – weder Sie noch die Sachverständigen, das Parlament oder die beteiligten Behörden – weiß, wie Sie diese 1 000 Menschen konkret auswählen wollen, macht es aus fachlicher Sicht unmöglich, diesem Vorhaben zuzustimmen.
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Aus rein menschlicher Sicht ist die Sache für uns noch viel klarer. Mit diesem Gesetz adressieren Sie nicht Härtefälle, sondern Sie produzieren erst welche – Frau Högl, das geht an Sie –; denn was hier nicht verschleiert werden darf, ist, dass Sie diesen Menschen erst einmal ein fundamentales Recht wegnehmen. Das ist die Grundlage.
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Und dann lassen Sie diese Menschen auch noch in der Ungewissheit, dass sie sich täglich fragen müssen: Werde ich Glück haben? Bin ich Teil dieses Kontingents? Dieses Jahr? Nächstes Jahr? – Uns bleibt schleierhaft, wie man so etwas ernsthaft gesetzlich manifestieren kann.
Zum zweiten Thema, liebe FDP: Was ist eigentlich los mit Ihnen?
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In einer Zeit, in der es auf die ankommt, die Europa im Herzen tragen, und in der es darauf ankommt, aus Krisen zu lernen
({6})
und Europa mit all seinen Schwierigkeiten besser und stärker zu machen, entscheiden Sie sich: Das war’s, Schotten dicht, wir kümmern uns jetzt erst einmal um uns selbst.
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– Das steht in Ihrem Antrag. – Dass dieses Anliegen mit Blick auf gestern verantwortungsloser Populismus ist, ist jedem hier im Hause klar, denke ich.
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– Ich muss nicht zuhören; ich habe es gelesen. Sie haben ja einen Antrag zur Abstimmung gestellt.
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Was mich aber wirklich schockt, ist, dass Sie dieses Anliegen über die jahrzehntelang gewachsene europäische Tradition Ihrer eigenen Partei stellen.
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Sie wollen jetzt alle Flüchtlinge, die über ein anderes EU-Land kommen und in Deutschland Asyl beantragen, abweisen. Das steht als erster Punkt in Ihrem Antrag.
Sie wissen genauso gut wie wir, dass kein Flüchtling über Deutschland vom Himmel fällt. Natürlich kommen die meisten über das Mittelmeer. Geografisch ist das nicht zu lösen. Weil das so ist, weil wir in Europa mit unterschiedlichen Voraussetzungen kommen, lebt Europa eben vom Gedanken der Solidarität – weil wir Europäer uns füreinander verantwortlich fühlen, und zwar auch dann, wenn es uns braucht, und nicht nur, wenn es uns nützt.
({11})
Ich will das hier überhaupt nicht juristisch angehen. Es ist eine politische Entscheidung, um die es hier geht.
Kollegin Amtsberg, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Strasser?
Von einem Kollegen der FDP sehr gerne.
Frau Kollegin Amtsberg, man kann ja inhaltlich unterschiedlicher Meinung sein, ob man subsidiären Schutz will und in welcher Form man ihn ausgestaltet. Würden Sie aber bitte zur Kenntnis nehmen, dass ich vorhin an dieser Stelle explizit für ein gemeinsames europäisches Asylrecht gesprochen habe, für offene Binnengrenzen? Das heißt nicht, dass wir uns abwenden, sondern im Gegenteil, dass wir mehr Europa wollen. Wir kritisieren diese Bundesregierung dafür, dass sie drei Jahre in diesem Bereich nichts getan hat.
({0})
Das Ding ist, dass ich Ihnen persönlich das alle Male abnehme. Aber ich habe den Antrag gelesen, und es bezog sich nicht auf den Familiennachzug, sondern auf Ihren Entschließungsantrag, der uns heute hier vorliegt. Da steht unter Punkt eins, dass man für eine bestimmte Zeit die Menschen, die bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat registriert sind, an der Grenze abweisen soll. Das Asylverfahren soll in dem Erstaufnahmestaat durchgeführt werden. Das steht dort.
({0})
– Na ja, Dublin setzt ja voraus, dass wir einmal eine Runde Prüfung drehen. Nicht abweisen, sondern gewährleisten, dass Menschen in ein rechtliches Prüfverfahren kommen, darum geht es uns.
({1})
Abweisen oder die Zuständigkeit in einem rechtlichen Prüfverfahren zu klären, das ist ein wesentlicher Unterschied, und das wurde in Ihrem Antrag sprachlich nicht klargemacht. Das ist doch genau der Punkt; das ist genau das, was ich adressiere. Wenn Sie da unklar sind, dann fordere ich Sie auf: Machen Sie es klar;
({2})
denn wir würden uns darüber freuen, wenn wir mit Ihnen weiterhin eine Fraktion im Deutschen Bundestag hätten, die den Wert und die Gedanken von einem Europa der Solidarität mitträgt und mit uns gemeinsam kämpft. Ich sage noch mal ausdrücklich: Es braucht jetzt Europäerinnen und Europäer, die kämpfen, die stehen, die für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einstehen.
({3})
Nehmen Sie Abstand von der Forderung, Schutzsuchende an der Grenze abzuweisen – das richte ich auch an die CSU und CDU –; denn es ist der falsche Weg für Europa.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat Dr. Mathias Middelberg für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz der kritischen Anmerkungen bin ich wie die Kollegin Högl der Meinung: Das ist heute ein guter Tag, ein guter Tag für die Menschlichkeit, aber auch ein guter Tag – das hat auch der Kollege Mayer betont –, was die Begrenzung, Steuerung und Ordnung der Migration angeht.
Wir müssen beide Aspekte im Auge behalten: Bei der Asylpolitik und auch bei der Flüchtlingspolitik insgesamt werden wir nicht alle Probleme dieser Welt auf deutschem Boden lösen können. Deswegen müssen wir die Dinge politisch steuern. Deswegen müssen wir auch immer eine Abwägungsentscheidung treffen und müssen abwägen zwischen dem humanitären Wunsch, den sicherlich viele von uns haben, möglichst alle Bedrohten in Deutschland aufzunehmen, ihnen zumindest zu helfen, und der Notwendigkeit, auf der anderen Seite aber auch zu erkennen, dass unsere Möglichkeiten begrenzt sind: Wir können nicht allen auf dieser Welt helfen, jedenfalls nicht auf deutschem Boden,
({0})
und deswegen können wir auch nicht alle, Frau Polat, grenzenlos bei uns aufnehmen. Da sind wir tatsächlich anderer Meinung als die Linken.
({1})
Hier ist eben der Satz gefallen, wir oder die FDP dürften die Begriffe „christlich“ und „Familie“ nicht mehr für uns in Anspruch nehmen.
({2})
Ich sage Ihnen dazu mal ganz deutlich: Im letzten Jahr haben wir hier in Deutschland in 524 000 Fällen über Asylanträge entschieden. In allen anderen 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind insgesamt nur 449 000 Asylentscheidungen getroffen worden. Wir tragen mehr als die Hälfte der Aufgabe und der Verantwortung in diesem Bereich. Da müssen wir uns nicht schämen und müssen uns auf gar keinen Fall sagen lassen, wir seien unchristlich und wir würden nicht an die betroffenen Familien denken.
({3})
Dem Kollegen Strasser von der FDP möchte ich sagen: Sie hatten gefragt: Was sagen Sie denn dem 1 001.?
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Sie wissen vielleicht, dass die Zahl 1 000 an die Resettlement- und Relocation-Programme anknüpft. Die Zahl ist nicht irgendwie gegriffen, sondern die Zahl rührt genau daher. Wir dürften, wenn wir Ihrer Argumentation folgen würden, überhaupt keine Kontingentflüchtlinge aufnehmen; denn Kontingentflüchtlinge sind immer kontingentiert; wir haben immer eine Begrenzung.
Kollege Middelberg, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Polat?
Gern.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Middelberg, in alter Verbundenheit – wir sind beide aus dem Landkreis Osnabrück bzw. aus der Stadt Osnabrück; ich kenne Sie als sehr restriktiven Innenpolitiker –: Weil auch Sie diese Mär „Das Boot ist voll“, die die AfD immer wieder wiederholt, hier sinngemäß wiedergegeben haben, die Frage: Ist Ihnen bekannt, dass der Familiennachzug, je nach Zahl, die angenommen wird – der Bundesregierung ist sie faktisch nicht bekannt; aber nehmen wir mal den Mittelwert, den auch Ihre Fraktion in den Sondierungen vertreten hat –, 0,000625 Prozent der deutschen Bevölkerung ausmachen würde?
({0})
Glauben Sie, dass es die deutsche Bevölkerung überfordert, wenn wir dieses Grundrecht auf Familieneinheit hier beachten?
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Vielen Dank. – Frau Kollegin Polat, mir erschließt sich Ihre Rechnung, ehrlich gesagt, nicht. Ich kann das nicht nachvollziehen, weil ich die Grunddaten nicht kenne, die Sie Ihrer Rechnung zugrunde gelegt haben.
({0})
Ich will Ihnen aber Folgendes sagen: In den Jahren 2015 bis 2017, also in den letzten drei Jahren, sind allein über den Familiennachzug für anerkannte Flüchtlinge, also für Asylberechtigte und für voll Anerkannte nach der Genfer Konvention, 126 000 Menschen in dieses Land gekommen. Das ist mit Sicherheit humanitär. Das ist nicht unmenschlich, und das ist nicht gegen die Familien gerichtet. Es sind in den letzten drei Jahren im Wege des Familiennachzugs für Einwanderer und Zuwanderer nach Deutschland insgesamt über 300 000 Menschen nach Deutschland gekommen.
({1})
Wir stellen uns keinem Nachzug in den Weg, aber wir müssen am Ende durch unsere Migrationspolitik in diesem Land steuern, ordnen und begrenzen. Darum geht es uns: um eine vernünftige und abgewogene Politik.
({2})
Ich möchte noch zwei Punkte betonen. Der eine Punkt, der mir wichtig ist: Hier wird immer gesagt, diese Unterscheidung zwischen subsidiär Schutzberechtigten und Flüchtlingen nach der Genfer Konvention sei nur willkürlich; sie sei durch nichts begründet. Dem möchte ich an dieser Stelle mal ausdrücklich entgegentreten. Die Flüchtlinge nach der Genfer Konvention sind direkt Betroffene von Konflikten oder sind unmittelbar Verfolgte, die wegen Religion, Volkszugehörigkeit was auch immer unmittelbar verfolgt sind.
Das gilt für die subsidiär Schutzberechtigten nicht. Hier schützen wir Menschen, nehmen sie bei uns auf, weil sie, wenn wir sie zurückschicken würden, Nachteile, ernsthaften Schaden befürchten müssten. Das unterscheidet.
Wir geben den subsidiär Schutzberechtigten hier deshalb auch nur einen auf ein Jahr befristeten Schutz; die anderen erhalten einen längeren befristeten Schutz, nämlich für drei Jahre. Da macht es Sinn und ist auch vernünftig, den Familiennachzug entsprechend anders zu regeln. Für die subsidiär Schutzberechtigten ist es dann auch vertretbar, den Familiennachzug entsprechend einzugrenzen.
({3})
Der zweite Punkt, den ich nicht auslassen will, ist der Hinweis auf die Gefährder und den Familiennachzug für sie. Er ist in diesem Gesetzgebungsvorhaben vollständig ausgeschlossen, und das halten wir als CDU/CSU auch für richtig.
Herzlichen Dank.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in der Debatte fortfahren – wir hören noch drei Rednerinnen und Redner –, bitte ich diejenigen, die erst jetzt zu uns gekommen sind, Platz zu nehmen. Wir werden, bevor wir zu den namentlichen Abstimmungen kommen, auch noch eine einfache Abstimmung haben. Wir haben ja diese Woche gelernt, dass es da manchmal unübersichtlich ist, wenn Kolleginnen und Kollegen in den Gängen stehen. Nehmen Sie bitte Platz, und folgen Sie noch der Debatte.
Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Frauke Petry.
Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Gesetzesvorlage zum Familiennachzug zu subsidiär Schutzbedürftigen kehrt auch der Antrag der Unwägbarkeiten ins Plenum zurück. Heute wird nun über ihn abgestimmt. Wir stimmen ab über ein Papier, das nicht wegen der Expertenratschläge, sondern den Expertenratschlägen zum Trotz in dieser Form vorliegt.
Unabhängig vom einzelnen politischen Standpunkt ist nach wie vor die Umsetzung weitgehend unklar. Wir wissen nicht, wie viele neue Personalstellen fehlen; die Mehrkosten bleiben unübersichtlich. Die Vertreter der Kommunen, also diejenigen, die wissen müssen, wie es in der Praxis aussieht, haben sich ausdrücklich für eine Aussetzung des Familiennachzugs ausgesprochen.
Ich zitiere aus dem Schreiben des Landkreistages vom 25. Januar dieses Jahres:
Die integrativen Kapazitäten Deutschlands sind … nahezu erschöpft und sollten – auch im Interesse des gesellschaftlichen Friedens – nicht durch einen in seinem Ausmaß nur schwer einschätzbaren Familiennachzug weiter strapaziert werden.
Aber die Meinung der Basis, der Bürger, scheint Ihnen schlichtweg egal zu sein. So ist die Bundesregierung dem Wunsch des Landkreistages eben nur begrenzt nachgekommen. Denn Föderalismus bedeutet in Deutschland mittlerweile, dass der Bund seine Probleme auf Länder und Kommunen abwälzt. Sie bürden den überforderten Kreisen neuerliche Belastungen auf, während Flüchtlinge ohne Duldung nach wie vor nicht in ausreichender Zahl abgeschoben werden.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, Sie bleiben leider unbelehrbar, auch wenn es um die Meinung von Rechtsexperten geht. Ich muss hier nicht auf alle Details eingehen; einige von ihnen wurden auch schon genannt. Wir werden sehen, welches Kriterium am Ende welches schlägt. Vermutlich werden dann wieder einmal deutsche Gerichte bemüht.
Ihre Verantwortungslosigkeit wohnt allerdings vor allem dem Termin inne. Denn wir wissen, dass gerade einmal sieben Wochen bleiben, um die Behörden auf die neue Aufgabe einzuschießen.
Meine Damen und Herren, nun nehmen Sie dem BAMF die Verantwortlichkeit weg und geben sie dem Bundesverwaltungsamt, eine fachfremde Aufgabe. Ich frage mich in diesem Zusammenhang, Herr Mayer: Haben Sie nicht selbst ein Déjà-vu? Das BAMF war überfordert; all das kommt jetzt ans Tageslicht. Sie wiederholen diesen Fehler und marschieren – nicht schlafwandelnd, sondern sehenden Auges – in die nächste Verwaltungskrise. Es kann nicht allen Ernstes Ihr Wille sein, dass wir in einigen Monaten oder Jahren neben dem aktuellen BAMF-Skandal einen Skandal im Bundesverwaltungsamt aufklären müssen. Sie versagen an dieser Stelle kläglich –
Frau Petry, kommen Sie bitte zum Schluss.
– und wälzen die Aufgabe wieder einmal auf die nächstniedrigere Ebene ab. Das ist verantwortungslose Politik.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Helge Lindh für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verantwortung kommt im Wesentlichen davon, Antwort zu geben. Ich stelle mir angesichts eines der Entschließungsanträge die Frage, ob Herr Lindner – ich sehe ihn hier gerade – einigen seiner Kollegen, die ich aus dem Innenausschuss kenne und die dort immer sehr moderate Fragen stellen, die angemessene Antwort gegeben hat.
Ich frage mich auch – Sie betreffend, aber auch uns alle betreffend, auch mich ganz persönlich betreffend –, welche Antwort wir einer syrischen Mutter, Frau H., geben. Diese Frau H. erwähnte ich in meiner ersten Plenarrede vor einigen Monaten. Sie hat kein Interesse daran, dass auf ihrem Rücken wahltaktische Manöver ausgetragen werden. Sie hat einfach nur das Interesse, eine realistische Perspektive, eine Hoffnung darauf zu haben, in gewisser Zeit ihr Kind wiederzusehen. Ich habe damals in meiner Rede vor einigen Monaten den Fehler gemacht, ihren Vornamen zu nennen. Das Ergebnis war, dass rechte Parteien – –
Kollege Lindh, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung?
Selbstverständlich, gerne.
Lieber Kollege Lindh, angesichts unserer gemeinsamen Beratungen im Innenausschuss über die Frage des Familiennachzugs muss ich doch sagen: Die Scham darüber, dass es der CSU gelungen ist, die Obergrenze gegen den Willen der SPD in dieses Gesetz hineinzuschreiben,
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steht Ihnen und Ihrer Fraktion ins Gesicht geschrieben.
Ich frage mich: Wie können Sie das eigentlich mit dem vereinbaren, was Sie uns im Innenausschuss über den Familiennachzug erzählt haben? Was hat das mit unserem Entschließungsantrag zu tun, mit dem wir endlich zu einer regelbasierte Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik zurückkehren?
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Das hat nichts miteinander zu tun. Wir erleben hier, dass Sie sich von der CSU haben über den Tisch ziehen lassen und die Obergrenze als Wahlkampfmanöver von Ihnen mitgetragen wird. Dafür sollten Sie sich wirklich schämen.
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Sehr geehrter Herr Kuhle, erst mal danke ich Ihnen für die Verlängerung meiner Redezeit; bei drei Minuten ist das angenehm. – Ich glaube eher, die Scham wäre in Ihren Reihen angebracht. Ich bin jemand, der Burkhard Hirsch und Gerhart Baum sehr schätzt. Die Art und Weise, wie sich Herr Lindner regelmäßig in Fragen der Flüchtlingspolitik äußert, ist, glaube ich, nicht die Form des Liberalismus, die diesem zur Ehre gereicht.
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Insofern sind nicht wir es, die sich schämen müssen, sondern Sie müssen Ihren Liberalismus hinterfragen.
Aber ich will in meiner Rede fortfahren. Ich erwähnte, dass man infolge dieser Rede erleben musste, wie in meiner Stadt rechte Parteien der betreffenden Person nachstellten, Anträge im städtischen Parlament stellten, ihre ganze Situation infrage stellten. Dabei hat Frau H. überhaupt kein Interesse an irgendwelchen Plänen oder großen Fragen der Integrationspolitik, sondern einfach nur den Wunsch, ihr Kind wiederzusehen.
Heute machen wir uns auf den Weg; denn sie hat nach vielen Jahren diese Perspektive.
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Sie hatte sie nicht im Jahre 2015. Sie hatte sie ein paar Monate – von 2015 bis 2016 – mit dem privilegierten Nachzug, dann zweieinhalb Jahre lang nicht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Abgeordneten von Storch?
Ach, heute bin ich in Genehmigungslaune. Ich weiß ja, dass Ihre Zwischenfragen Teil einer Inszenierung sind. Ich störe diese Inszenierung gerne und akzeptiere mit Freude die weitere Verlängerung meiner Redezeit.
Einen ganz kleinen Moment aber bitte noch. – Ich bitte vorher alle anwesenden Abgeordneten, Platz zu nehmen und notwendige Gespräche außerhalb des Plenums zu führen, sodass der Geräuschpegel wieder zurückgefahren wird und es möglich ist, die Frage oder Bemerkung ebenso wie die Antwort zu hören. Das gilt auch für die diskussionsfreudigen Kolleginnen und Kollegen der CSU dort hinten.
Sie haben jetzt das Wort zur Frage oder Bemerkung.
Herr Kollege, die „Bild“-Zeitung meldet gerade, dass Herr Seehofer die Fraktionsgemeinschaft aufgekündigt hat. Hat das irgendwelche Einflüsse auf das, was Sie gerade gesagt haben?
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Frau von Storch, wir beschäftigen uns jetzt nicht mit der „Bild“-Zeitung und dieser Meldung, sondern wir beschäftigen uns hier mit der Frage des Familiennachzugs.
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Eine Reihe von Abgeordneten, auch solche, die damals mit großer Skepsis der Aussetzung zugestimmt oder sie abgelehnt oder sich enthalten haben, kamen in den letzten Tagen zu mir und sagten, dass sie ganz bewusst heute diesem Gesetzentwurf zustimmen. Warum tun sie das? Weil sie das stärkste Argument haben: Jetzt ist in dieser kontingentierten, gesteuerten Form Familiennachzug nach Jahren wieder möglich.
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Wir leben in einer Zeit – wir erleben das dieser Tage, seit Monaten, seit Jahren –, in der viel zu viel darüber geredet wird, was nicht funktioniert, was nicht geht, in der ein Kult der Negativität gefeiert wird. Unsere Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist aber nicht zu ent möglichen, sondern zu er möglichen. Genau das tun wir heute.
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Ich erlebe in den letzten Jahren, mit welcher Verhärtung und Verbitterung die Migrationsdebatte geführt wird. Ich erlebe, insbesondere von Ihrer Fraktion, Frau von Storch, wie jede Gelegenheit genutzt wird, monoton eine Hetzsuada über alle Flüchtlinge auszukippen. Wenn es Flüchtlinge nicht gäbe, müssten Sie sie im Grunde erfinden, als Mittel, um Hass, Angst und Spaltung in dieser Gesellschaft zu säen.
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Unser aller Aufgabe ist – das muss man, glaube ich, heutzutage betonen –, hier konstruktiv in Verlässlichkeit und Solidität zu arbeiten.
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Und unsere Aufgabe ist auch, unter gegebenen Bedingungen, in einer gegebenen Gesellschaft, mit den gegebenen Verunsicherungen, die wir alle kennen, Hoffnungsüberschuss zu produzieren. Genau das versuchen wir heute. Insofern appelliere ich an Sie alle, diesem Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und SPD zuzustimmen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Storch, ich bin nicht von der „Titanic“, ich bin wahrer Abgeordneter. Seien Sie insoweit unbesorgt: Die Nachrichten in den nächsten vier Minuten sind wahrheitsgetreu. Glauben Sie nicht alles, was jetzt über die Auflösung einer Gemeinschaft verbreitet wird. Aber es hat ja die Debatte zumindest einmal erheitert.
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Ich schließe an bei Stephan Mayer: Warum ist dieses Gesetzesvorhaben ein kluges? Nicht nur deshalb, weil die polarisierenden Enden – auch in diesem Haus – mit der Stärke ihrer Kritik uns beweisen, dass wir genau in der Mitte liegen, sondern weil es eine originäre Aufgabe eines Staates bestätigt: Er muss eine Moral, die sich in Humanität ausdrückt, mit einem Rechtssystem verbinden, das zum Beispiel ausdrückt, dass eine Gesellschaft nur eine begrenzte Aufnahmefähigkeit bei der Zuwanderung hat. Moral und Recht stehen hier zusammen. Übrigens: Wenn es um Menschenleben geht, ist die Moral immer stärker als das Recht. Wir haben hier eine Lösung hinbekommen, die auch völkerrechtlich, europarechtlich beides erfüllt.
Ich bin beim ersten Thema: Humanität. Richtig ist, diese Regelung gab es vor dem 1. August 2015 gar nicht, dann wurde sie im März 2016 zunächst ausgesetzt. Deshalb kann man auch nicht sagen, dass wir heute in irgendeiner Art und Weise etwas einschränken. Wir holen etwas zurück, und wir geben vielen Menschen, die Leid erfahren haben, auch eine Chance. Humanität hat auch immer etwas mit Empathie zu tun. Eine Gesellschaft muss das beweisen, auch indem sie sagt: Bei aller notwendigen Regulierung, die richtigerweise erfolgen muss, haben wir diese in uns. Sie von der AfD pauschalisieren. Ja, das kennen wir: Flüchtlinge sind Gefährder, Folterknechte, Ganoven und Schlimmeres, Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und Ähnliches. Das ist als solches erbärmlich. Aber wissen Sie, was mich noch viel mehr ärgert an Ihrer Argumentation?
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Dass Sie dann sagen, Sie wären hier in diesem Hause die Patrioten.
Ich zitiere mal einen Patrioten – da sollten Sie zuhören –: Helmut Kohl. Ich mache das aus einem gewissen Grund. Morgen, an seinem ersten Todestag, gedenken wir Helmut Kohls. Helmut Kohl war ein guter Bundeskanzler, er war ein deutscher Patriot und ein überzeugter Europäer. Er hat mal Folgendes gesagt:
Wer gegen Ausländer hetzt und brandschatzt, ist kriminell und gemeingefährlich. Wer so etwas tut, kann nie für sich in Anspruch nehmen, ein deutscher Patriot zu sein.
Sie können dieses nie für sich in Anspruch nehmen, solange Sie so gegen Ausländer hetzen.
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Diese Regelung sagt aber auch ganz deutlich – das haben wir im Hinblick auf rund 265 000 subsidiär Schutzbedürftige in der Zeit von 2013 bis 2017 gesehen –, dass diese Gesellschaft dies verkraften muss. Nun kann man da – der Parteitag der Linken liegt ja kurz hinter uns – eine ganz andere Position einnehmen. Ich glaube, die Aufgabe des Staates muss auch sein, dies zu regulieren und in Gesetze zu gießen. Das machen wir mit diesem Gesetz. Ich lege die beiden entscheidenden Folien nochmal übereinander. Wir sagen auf der einen Seite: Ja, es gibt eine Ausnahmeregelung, zum Beispiel da, wo minderjährige Kinder betroffen sind, bei einer ernsthaften Gefahr für Leib und Leben oder für die Freiheit der Nachzugswilligen, bei Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung, bei Pflegebedürftigkeit oder bei Behinderung. Da sagen wir ganz deutlich: Wir haben eine humanitäre Verantwortung; deshalb wird dieses Kontingent auch entsprechend ausgesteuert werden.
Auf der anderen Seite sagen wir aber auch – ich finde, das gehört auch dazu –: Nein, der Anspruch besteht zum Beispiel nicht in dem Fall, in dem die Ehe erst während der Flucht geschlossen wurde. Er besteht auch nicht, wenn in Deutschland lebende Ausländer schwerwiegende Straftaten begangen haben.
Das Thema der Gefährder war uns besonders wichtig. Wir haben ein Recht darauf, zu sagen, dass Gefährder nicht in unser Land kommen dürfen. Dazu sagen wir ganz klar – das entspricht ja auch dem Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion –: Das konnten wir damit auch aufheben.
Letzter Punkt: Wir reden über den Familiennachzug zu subsidiär Schutzbedürftigen; wir reden nicht – um das noch einmal für die Öffentlichkeit deutlich zu machen – über das unbestrittene Recht auf Familiennachzug für Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder für Flüchtlinge, die nach unseren Gesetzen ein Recht auf Asyl haben.
Ich möchte zum Abschluss als Familienpolitiker eins sagen – Stephan Mayer hat es angesprochen – –:
Kollege Weinberg, packen Sie das bitte in Ihren letzten Satz.
Das packe ich ganz verschlüsselt in meinen letzten Satz. – Uns ist das Kindeswohl wichtig. Wir wollen in Zukunft nicht mehr, dass Kinder losgeschickt werden, Leib und Leben riskieren, um dann möglicherweise eine Perspektive zu haben. Dem stimme ich zu.
({0})
Unser Gesetzentwurf schafft Humanität auf der einen Seite und berücksichtigt die Aufnahmefähigkeit der Gesellschaft auf der anderen Seite.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Deswegen kann ich Sie nur bitten, diesem klugen Gesetzentwurf auch zuzustimmen.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Aus aktuellem Anlass rate ich uns allen, uns auf die Dinge zu konzentrieren, die wir hier gerade zu tun haben, und uns mit diesen Dingen auseinanderzusetzen.
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Sollte jemand das Bedürfnis haben, sich außerhalb des Plenarsaales über andere Vorgänge zu informieren, kann ich ihn davon nicht abhalten.
Ich möchte außerdem darauf hinweisen, dass wir gleich drei namentliche Abstimmungen durchführen werden. Danach folgen noch weitere Abstimmungen mittels Handzeichen. Es gilt also die Regel, die der Präsident heute Morgen schon erklärt hat: Wenn Sie abgestimmt haben, nehmen Sie bitte wieder Platz, damit wir hier vorn zweifelsfrei die Abstimmungsergebnisse feststellen können.
Ein letzter Hinweis vorab: Kontrollieren Sie bitte, ob die Stimmkarten, die Sie verwenden, Ihren Namen tragen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten.
Dazu liegen mir einige Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Wir nehmen sie entsprechend unseren Regeln zu Protokoll. Der Ausschuss für Inneres und Heimat empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/2740, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 19/2438 und 2702 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der AfD-Fraktion, der FDP-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem Platz? – Offensichtlich ist das der Fall. Ich eröffne die Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme zum Gesetzentwurf noch nicht abgegeben hat? – Ich bitte, dies jetzt zügig zu tun.
Ich frage noch einmal: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das noch nicht die Gelegenheit hatte, seine Stimme zum Gesetzentwurf abzugeben? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/2767. Die Fraktion der AfD hat namentliche Abstimmung verlangt. Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an den vorgesehenen Plätzen? – Das ist der Fall. Ich eröffne die zweite namentliche Abstimmung, und zwar über den Entschließungsantrag der Fraktion der AfD.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme zur zweiten namentlichen Abstimmung noch nicht abgegeben hat? – Ich bitte, das jetzt zügig zu tun.
Ich frage noch einmal: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, welches keine Gelegenheit hatte, an der zweiten namentlichen Abstimmung teilzunehmen? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Auch hier werden Ihnen die Ergebnisse der Abstimmung später bekannt gegeben. Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Fraktion der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes. Der Ausschuss für Inneres und Heimat empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/2740, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/2523 abzulehnen. Sollte irgendjemand dem Irrtum unterliegen, dass das eine namentliche Abstimmung ist, muss ich ihn korrigieren. Ich muss also das Abstimmungsergebnis zweifelsfrei mit den Kolleginnen und Kollegen hier vorne feststellen können, wenn wir jetzt durch Handaufheben abstimmen. Ich bitte erstens, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wir sehen, wie im Saal abgestimmt wird, und zweitens, dafür zu sorgen, dass Ihrer Stimme auch entsprechend Geltung verschafft wird und wir das hier ordentlich zuordnen können. Sobald das Präsidium wieder vollständig versammelt ist, werden wir diese Abstimmung durchführen und ein entsprechendes Ergebnis feststellen.
Also noch einmal für alle Kolleginnen und Kollegen: Wir stimmen über den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes ab. Der Ausschuss für Inneres und Heimat empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/2740, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/2523 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der AfD-Fraktion – zu einer Ausnahme komme ich gleich noch –, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der einreichenden Fraktion, also der FDP-Fraktion, bei Enthaltung eines Abgeordneten der AfD-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen schließlich zur Abstimmung über den von der Fraktion Die Linke eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes – Recht auf Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten. Der Ausschuss für Inneres und Heimat empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/2740, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/2515 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der AfD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Auch hier entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Somit kommen wir nun zum Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/2765, über den auf Verlangen der antragstellenden Fraktion wiederum namentlich abgestimmt werden sollen.
Mir liegt auch hier eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, die wir zu Protokoll nehmen. Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem Platz? – Das ist der Fall. Ich eröffne die dritte namentliche Abstimmung, und zwar über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es noch eine Kollegin oder einen Kollegen, die oder der noch nicht die Stimme abgegeben hat? – Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bedanke mich bei den Schriftführerinnen und Schriftführern und bei den Assistentinnen und Assistenten, die jetzt gleich auszählen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, von mir einen schönen Mittag! Wir gehen jetzt weiter in der Tagesordnung. Bitte nehmen Sie Platz.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin als Gewerkschafterin seit fast 30 Jahren in der Arbeitsmarktpolitik unterwegs, und in dieser Zeit habe ich viele erwerbslose Menschen kennengelernt: Menschen, deren Arbeitsplätze nach der Wende abgewickelt wurden und die seitdem erwerbslos sind, Frauen aus der Textilindustrie und auch viele aus dem Maschinenbau.
Viele Langzeiterwerbslose haben nie aufgegeben. Trotz aller Enttäuschung haben sie immer wieder nach einer neuen Beschäftigung gesucht. Für diese Kraft bewundere ich sie.
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Sie haben sich von Maßnahme zu Maßnahme gehangelt: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, als diese noch nach Tarif bezahlt wurden, unzählige Bewerbertrainings, Umschulungen, Strukturanpassungsmaßnahmen, wo schon deutlich weniger bezahlt worden ist, Bundesfreiwilligendienst, und zum Schluss sind sie in 1-Euro-Jobs gelandet, wo eigentlich gar nichts mehr verdient wird. Altersarmut ist hier vorprogrammiert. Zwischendurch waren sie dann immer wieder arbeitslos, das heißt: ein ständiger Gang zum Arbeitsamt und seit Einführung von Hartz IV zum Jobcenter, mit Auflagen, Gängeleien und Demütigungen, aber meist wenig Aussicht auf eine gute Förderung oder einen ordentlich bezahlten Arbeitsplatz. Wissen Sie, was das für die Menschen bedeutet? Langzeiterwerbslosen und ihren Kindern wird eine gesellschaftliche Teilhabe verweigert. Menschen werden zu Bittstellern. Ich habe Frauen kennengelernt, die große Angst haben, ins Jobcenter gehen zu müssen. Dieses System, meine Damen und Herren, gehört abgeschafft. Es ist menschenverachtend.
({1})
Meine Damen und Herren der Regierung, diese Zustände zu bekämpfen, sollte nicht nur Ihr soziales Gewissen fordern – falls es da noch einen Rest gibt –, es ist auch eine zutiefst demokratische Aufgabe. Der AfD-Abgeordnete Ehrhorn sagte am Mittwoch in der Aktuellen Stunde zum Thema Kinderarmut, es gebe in unserem Land Menschen, die schon in der zweiten und dritten Generation von der Stütze lebten, gar nichts anderes wollten und das auch noch völlig in Ordnung fänden. Er sagte weiter, stellenweise hätten wir es tatsächlich mit regelrechten Hartz-IV-Dynastien zu tun. Das ist für mich der Gipfel der Diffamierung von Erwerbslosen, meine Damen und Herren. So etwas darf es nicht geben.
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Allen Erwerbslosen zu unterstellen, sie wollten nicht arbeiten, ist für mich eine niveaulose Pöbelei. Es zeigt deutlich, dass der AfD die Lage von erwerbslosen Menschen völlig egal ist.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, schon im Jahr 1997 haben wir im Bundestag die Einführung eines sozialen Arbeitsmarktes gefordert, den wir öffentlich geförderte Beschäftigung nennen. Seit 2005 bringt Die Linke regelmäßig einen solchen Antrag ein, den Sie ebenso regelmäßig ablehnen. Die SPD meinte damals sogar, der Antrag sei mit dem Ziel der Vollbeschäftigung ohne dauerhafte staatliche Zuschüsse nicht vereinbar.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung aus der AfD-Fraktion?
Nein, heute nicht.
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Danach haben Sie bekanntlich einen anderen Weg gewählt. Sie haben mit den Hartz-Reformen ein Sanktionsregime gegenüber Erwerbslosen aufgebaut, mit Leistungen, die nicht zum Leben reichen, und das kombiniert mit einem der größten Niedriglohnsektoren. Was Sie da geschaffen haben, meine Damen und Herren, ist unsozial und menschenverachtend.
({1})
Nun möchten die SPD und die Union einen sozialen Arbeitsmarkt, sogar mit 100-prozentigen Lohnkostenzuschüssen an private Arbeitgeber; so ändern sich die Zeiten.
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Für 4 Milliarden Euro im Koalitionsvertrag hat sich die Große Koalition feiern lassen; gut, wir wissen noch nicht, wie lange diese Koalition hält. Hinzu kommt: Sie haben das Geld noch nicht eingestellt, aber kürzen es schon wieder von 4 auf 3,2 Milliarden Euro.
({3})
Sie bleiben also Ihrer Linie treu: Sparen auf dem Rücken der Erwerbslosen. Sozial, meine Damen und Herren, geht anders!
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In diesem Jahr wird offensichtlich gar nichts mehr passieren, da die gesetzliche Grundlage erst Ende des Jahres geschaffen wird. Dazu kommt, dass die Bundesregierung mit ihrem sozialen Arbeitsmarkt überhaupt kein nachhaltiges Konzept verfolgt. Bei Ihnen läuft es nämlich darauf hinaus, privaten gewinnorientierten Arbeitgebern zu 100 Prozent den Lohn aus Steuergeldern zu subventionieren. Es gibt nicht einmal eine Nachbeschäftigungspflicht für die Arbeitgeber. Sie können also einfach sagen: „Ich brauche dich nicht mehr“, und dann holen sie sich einen anderen Langzeiterwerbslosen. Was daran sozial sein soll, das bleibt für uns ein Rätsel.
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Meine Damen und Herren, dass es auch innovative Konzepte gibt, zeigen wir mit unserem heutigen Antrag ein weiteres Mal. In dem von uns geforderten öffentlich geförderten Beschäftigungssektor sollen gesellschaftlich notwendige und sinnvolle Tätigkeiten verrichtet werden – zusätzlich, damit keine regulären Arbeitsplätze verdrängt werden, freiwillig, dass also keiner gezwungen wird, und natürlich ordentlich bezahlt, um davon leben zu können und später auch mal eine ordentliche Rente haben zu können.
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In Berlin haben wir bewiesen, wie es geht. Von 2006 bis 2011 sind 7 500 ÖBS-Arbeitsplätze entstanden. Dann kam die CDU und hat alles abgewickelt. Auch in Thüringen gibt es ein Landesprogramm. Daran können Sie sich mal ein Beispiel nehmen. Wir haben gezeigt, wie ein guter sozialer Arbeitsmarkt funktionieren kann. Die Linke meint: Sie können gerne von uns abschreiben.
Danke schön.
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Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Am 29. Mai dieses Jahres konnte man in der „Süddeutschen Zeitung“ Folgendes lesen – ich zitiere –:
Der hessische Arbeitsmarkt befindet sich in einer guten Verfassung.
Einen Tag darauf konnte man in der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ lesen:
Der Arbeitsmarkt in der Region ist in einer guten Verfassung. Auch im Mai sinkt die Arbeitslosigkeit in Brandenburg auf ein Rekordtief.
Und noch einen Tag später konnte man in der „Schwäbischen Post“ lesen – Zitat –:
Der Arbeitsmarkt in Baden-Württemberg hat im Mai mit einer Arbeitslosenquote von 3,1 Prozent seinen Aufschwung fortgesetzt.
Die Linke hingegen schreibt in ihrem Antrag – ich zitiere –: Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist „in keiner guten Verfassung“. Ich möchte Sie fragen: Von welchem Deutschland reden Sie da eigentlich?
({0})
Liegt Ihr Deutschland irgendwo zwischen Adria und Ägäis, und heißt es zufällig Griechenland? Sie leben offensichtlich seit 13 Jahren in einer ganz speziellen sozialen Filterblase.
({1})
Noch einmal ein paar Fakten für die Geschichtsvergessenen unter uns in diesem Haus: Im April dieses Jahres waren 44,6 Millionen Menschen erwerbstätig. Das sind 592 000 Menschen mehr als im Vorjahr, was der Einwohnerzahl einer Stadt so groß wie Dortmund entspricht, und 6 Millionen mehr als noch im Jahr 2005, was der Einwohnerzahl des Bundeslands Hessen entspricht. Frage: Sieht so Massenarbeitslosigkeit in diesem Land aus? Ist das ernsthaft Ihre Meinung?
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2005, als 5 Millionen Menschen ohne Job waren, hatten wir Massenarbeitslosigkeit.
({3})
Heute haben wir die niedrigste Arbeitslosenquote seit der Wiedervereinigung, und das ist unser Verdienst.
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Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass Sie ein Zukunftsprogramm mit einem Volumen in Höhe von 120 Milliarden Euro auf den Weg bringen möchten. Nicht ganz klar scheint zu sein, für wen und für was eigentlich. Sie schreiben da was von Infrastrukturausbau. Ich frage mich: Wie soll ein Langzeitarbeitsloser, der weder Deutsch spricht noch eine Berufsausbildung hat, Brücken und Straßen bauen? Das hilft ihm doch überhaupt nicht. Oder ist das Geld doch für die Finanzierung von irgendwelchen Arbeitslosenprogrammen gedacht?
Sie schreiben von 300 000 sozialen Jobs für den sozialen Arbeitsmarkt, und dann erwähnen Sie 840 000 Langzeitarbeitslose, die offiziell gezählten 2,4 Millionen Arbeitslosen und die nach Ihrer Zählung 3,4 Millionen Arbeitslosen.
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Wir können jetzt ja mal schauen, was es bedeutet, wenn man die 120 Milliarden Euro auf diese Menschen verteilt.
Wenn man das Geld nur auf diese 300 000 umlegt, dann bedeutet das, dass jeder von denen im Monat 33 000 Euro überwiesen bekommt. Das ist so viel, wie ein Chefarzt mit zwanzig Jahren Berufserfahrung im Monat verdient. Wenn Sie die 120 Milliarden Euro auf die 840 000 Langzeitarbeitslosen verteilen, dann bedeutet das für jeden immer noch 11 900 Euro im Monat.
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Das ist das, was ein Technischer Geschäftsführer eines Stadtwerkes verdient. Wenn man die 2,4 Millionen Arbeitslosen zugrunde legt, dann wollen Sie immer noch jedem Arbeitslosen 4 000 Euro im Monat überweisen.
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Das verdient in Deutschland ein Mechatroniker. Selbst wenn man Ihre große Zahl von 3,4 Millionen Menschen nimmt, die arbeitslos sind, wären das immer noch 2 900 Euro im Monat. Das ist das, was ein Kundenberater im Vertrieb jeden Monat verdient. Damit übertreffen Sie selbst Ihren Mindestlohn von 12 Euro die Stunde.
Ich frage mich, warum Sie es hier so kompliziert machen. Sie sagen, Sie wollen es den Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen, Menschen mit Behinderungen, Alleinerziehenden, Personen in Haushalten mit Kindern, in denen beide Elternteile erwerbslos sind, Personen, die bereits länger als zwei Jahre ununterbrochen Leistungen nach dem SGB II beziehen, und Personen über 55 Jahre geben. Jetzt fehlen nur noch die 230 000 Jugendlichen. Warum schreiben Sie in Ihren Antrag nicht einfach rein, dass es für alle gilt?
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Herr Whittaker.
Ich lasse keine Zwischenfrage zu, danke. – Warum machen Sie es so kompliziert?
({0})
Die Gewinnaneignung durch privatrechtlich organisierte Unternehmen ist auszuschließen.
Warum gründen Sie nicht einfach eine staatliche Behörde und stellen alle Langzeitarbeitslosen einfach an? Das wäre doch wesentlich konsequenter, als hier einfach so einen Gesetzentwurf hinzulegen, von dem keiner weiß, was er eigentlich soll.
({1})
Das Ganze wollen Sie dann auch noch mit 180 Milliarden Euro Mehreinnahmen finanzieren. Ganz konkret gesagt: Das ist nichts anderes als eine Steuererhöhung. Die Deutschen zahlen jedes Jahr 180 Milliarden Euro Lohnsteuer. Das wollen Sie den Menschen noch einmal, zusätzlich, abknöpfen. Das heißt, jeder von uns müsste doppelt so viel Steuern zahlen wie heute.
({2})
Das ist Ihr Plan, und deshalb muss das hier auch mal angesprochen werden.
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Es wird in meiner politischen Laufbahn nicht oft vorkommen, dass ich Oskar Lafontaine zitiere, vielleicht muss ich das hier aber mal tun. Er hat gesagt: „Wenn wir schon kein Geld haben, dann brauchen wir wenigstens gute Ideen.“ Ich muss feststellen: Leider haben Sie beides nicht, weder Geld noch gute Ideen. Aber dafür gibt es ja uns als Union.
({4})
Ganz offen: Um hier einen letzten Beweis der Realitätsferne abzuliefern, fordern Sie in Ihrem Antrag auch noch, die „Teilhabe an gesellschaftlich sinnvoller und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung“ zu finanzieren. Als erfolgreiches Beispiel wird ausgerechnet Berlin genannt, wo es die höchste Hartz-IV-Quote in Deutschland und viele Langzeitarbeitslose gibt. Den Einzigen, den Sie da wirklich intensiv betreuen sollten, anstatt Ihr Konzept hier auszubreiten, ist der Regierende Bürgermeister von Berlin.
Meine Damen und Herren, die Union schlägt anderes vor. Wir müssen die Menschen qualifizieren, wir müssen sie besser betreuen, wie müssen sie mitnehmen in den ersten Arbeitsmarkt und aus Hilfskräften Fachkräfte machen. Das muss unser Ziel sein.
Ich hoffe, dass wir mit der SPD – wir haben uns ja die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit zur Aufgabe gemacht – einen guten Gesetzentwurf dazu hier durchs Parlament bekommen, damit wir den Menschen helfen.
Danke schön.
({5})
Vielen herzlichen Dank, Herr Whittaker. – Zu einer Kurz intervention – Kurz ; K – U – R – Z –
({0})
– wenn Sie es gehört haben, dann ist es ja gut, Herr Braun – gebe ich das Wort an Frau Zimmermann.
Sehr geehrte Präsidentin, ich bin immer für die Kürze. Vielen Dank, dass Sie die Kurzintervention zugelassen haben.
Herr Whittaker, wenn ich Ihnen so zuhöre, dann denke ich: Entweder haben Sie den Antrag nicht gelesen,
({0})
oder Sie wissen wirklich nicht, was auf dem Arbeitsmarkt stattfindet. Sie sprechen davon, wie toll der Arbeitsmarkt in Deutschland funktioniert. Es gibt 44 Millionen Beschäftigungsverhältnisse.
({1})
Wenn ich das meinem Kollegen Leiharbeiter mit drei Jobs erzähle, dann sagt er immer zu mir: Ja, Sabine, davon habe ich drei.
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Merken Sie gar nicht, dass wir am Arbeitsmarkt einen Wandel vollzogen haben, weg vom gutbezahlten Vollzeitarbeitsverhältnis hin zu prekärer Beschäftigung? 25 Prozent der Menschen arbeiten im Niedriglohnbereich: mit Minijobs, mit Teilzeit, mit Zweit- und Drittjobs. 3,2 Millionen Menschen haben einen Zweit- oder Drittjob. Glauben Sie, das machen sie, weil sie nicht wissen, wohin mit ihrer Zeit? Nein, das machen sie, weil ihnen das Geld fehlt. Diese Menschen vernachlässigen Sie völlig, wenn Sie davon sprechen: Wir haben einen supertollen Arbeitsmarkt. – Das ist aus meiner Sicht nicht hinnehmbar.
Sie haben gesagt, wir würden den Erwerbslosen Tausende von Euro zukommen lassen. – So ein Blödsinn! Wir wollen, dass die Leute einen ordentlichen Lohn bekommen, und zwar den Mindestlohn; natürlich einen Mindestlohn, von dem sie leben können und der dafür sorgt, dass sie später nicht in die Altersarmut rutschen, nämlich 12 Euro pro Stunde. Das sind niemals 4 000 Euro für jeden Arbeitslosen, wie Sie hier vorrechnen.
Da Sie wissen, dass wir den Passiv-Aktiv-Transfer wollen, müssen Sie ja unseren Antrag gelesen haben. Das bedeutet, dass wir nicht Arbeitslosigkeit, sondern Arbeit finanzieren wollen, Arbeit in gesellschaftlich notwendigen Bereichen. Ich finde einfach, es ist verantwortungslos, wenn Sie hier in Ihrer Rede solche Lügen rüberbringen.
Danke schön.
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Herr Whittaker, bitte. – Es wäre nett, wenn Sie stehen bleiben würden, Frau Zimmermann.
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– Ja, ich finde schon.
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– Das ist ja auch gut für den Körper.
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Frau Kollegin Zimmermann, ich habe mir die Zahlen nicht ausgedacht, sie stehen in Ihrem Antrag. Den Betrag – Sie wollen 120 Milliarden Euro für die Arbeitslosen ausgeben – haben Sie in den Antrag geschrieben. Sie haben auch aufgeschrieben, dass Sie Mehreinnahmen in Höhe von 180 Milliarden Euro haben wollen, ohne auch nur einen einzigen Satz darauf zu verwenden, welche Steuer Sie dafür einführen oder erhöhen wollen. Ich finde, es gehört mit Blick auf die deutsche Öffentlichkeit zur Redlichkeit dazu, zu sagen, woher das Geld kommt. Das tun Sie nicht.
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Jetzt ist Herr Whittaker dran.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann sagen Sie, der Niedriglohnsektor hätte sich durch Hartz IV ausgebreitet. Wir haben das im Ausschuss am Mittwoch schon einmal diskutiert. Ich habe nicht vernommen, dass Sie sich mit den Zahlen beschäftigt haben.
Nehmen wir den Zeitraum zwischen 1998 und 2005, also bis zu Einführung von Hartz IV. In dieser Zeit ist der Niedriglohnsektor in Deutschland tatsächlich stark gestiegen, nämlich um 4,5 Prozent aller Erwerbstätigen. Seit der Einführung von Hartz IV 2005 bis heute ist er um nicht einmal 2 Prozent gestiegen. Das heißt, man kann sagen: Der Niedriglohnsektor hat sich durch Hartz IV nicht schneller ausgebreitet, sondern die Ausbreitung ist gebremst worden. Das sind die Fakten.
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Ein Satz zur prekären Beschäftigung. Es wird regelmäßig gemessen, wie hoch der Anteil der unfreiwillig teilzeitarbeitenden Bevölkerung ist. Er lag bei Einführung von Hartz IV bei ungefähr 25 Prozent. Also, jeder vierte Teilzeitbeschäftigte hätte gerne mehr gearbeitet, als er durfte. Heute beträgt dieser Anteil weniger als 10 Prozent. Da können Sie nicht sagen, dass der Anteil an prekärer Arbeit zugenommen hat. Es sind zwar mehr Menschen in Teilzeitjobs, aber die Menschen wollen dann auch nur Teilzeit arbeiten. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.
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Vielen herzlichen Dank, Herr Whittaker, Frau Zimmermann. – Nächster Redner für die AfD-Fraktion: Uwe Witt.
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Jetzt ist Uwe Witt dran.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste des Hohen Hauses! Bevor wir uns über die Situation der Langzeitarbeitslosen und den vorliegenden Antrag der Linken unterhalten, lassen Sie mich kurz einen Blick über den Tellerrand werfen.
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Wie sieht es in Europa aus? Eurostat vergleicht die Langzeitarbeitslosenquoten der EU-Länder quartalsweise. Da wird, wie Sie wissen, etwas anders gerechnet. Deutschland hatte danach 2017 eine Langzeitarbeitslosenquote von etwa 40 Prozent. Damit lagen wir im Mittelfeld zwischen Schweden mit 20 Prozent und Griechenland mit fast 70 Prozent. Die Langzeitarbeitslosenquote ist, wie Herr Whittaker richtig sagte, leicht gesunken. Im europäischen Vergleich gibt es für Deutschland tatsächlich einen positiven Trend.
Aber – jetzt kommt das Aber – diese Zahlen drücken nicht aus, wie es um das Wohl der Langzeitarbeitslosen bestellt ist, übrigens auch nicht, wie es um das Wohl derjenigen bestellt ist, die einen Weg aus der Langzeitarbeitslosigkeit in den Niedriglohnsektor gefunden haben. In Deutschland verändert sich mit der Dauer der Arbeitslosigkeit zugleich Art, Ausmaß und Qualität der sozialen Absicherung.
Transferleistungen – Grundsicherung für Arbeitsuchende nach SGB II, also Hartz IV – beziehen mittlerweile etwa zwei Drittel aller in der offiziellen Statistik erfassten Arbeitslosen. Regional, etwa im Ruhrgebiet, sind es etwas über 80 Prozent. Die inflationäre Einschränkung des durch die Arbeitslosenversicherung gewährten Schutzes war in Verbindung mit der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende ein Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik. Noch mal danke, SPD, für dieses große Stück sozialer Gerechtigkeit. Man kann also kaum sagen, dass sich die Lage für die Arbeitslosen verbessert hat.
Ein Staat, der sozial verantwortlich handelt, hat die Aufgabe, Menschen vor Risiken zu schützen. Die Hartz-Reformen in Deutschland haben aber einen gegenteiligen Effekt gehabt. Es wurde der Arbeitsmarkt dereguliert, Sanktionen für arbeitslose Menschen wurden weiter verschärft, und gesetzliche Regelungen für 1-Euro-Jobs, befristete Jobs und andere atypische Beschäftigungsverhältnisse wurden geschaffen.
Heute sind bei uns so viele Menschen wie noch nie zuvor beschäftigt, und auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen konnte verringert werden. Das hört sich zuerst gut an – ich sehe einige von Ihnen freudig nicken –; doch an der Abhängigkeit von Transferleistungen der früheren Langzeitarbeitslosen hat sich nichts verändert, da mit Hartz IV der Niedriglohnsektor ausgebaut und eine neue Gruppe von arbeitenden Armen geschaffen worden ist.
Hartz IV hat in Deutschland insgesamt zu mehr Armut, sozialer Ausgrenzung und zu einem Endloshamsterrad ohne Perspektiven geführt.
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Aus armen Arbeitslosen wurden arme Erwerbstätige gemacht.
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– Lieber Kollege, Sie haben das Recht, sich zu Wort zu melden. Sie können natürlich auch weiterhin den Unterricht stören.
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– Ich mache das wirklich nicht.
Zwischen 2005 und 2015 hat sich der Anteil der Working Poor in Deutschland von 4,8 auf 9,6 Prozent verdoppelt. Der Preis für das deutsche Jobwunder und die nach außen hin glänzende Arbeitsmarktstatistik ist eine prekäre Vollerwerbsgesellschaft.
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Die betroffenen Menschen springen von der Erwerbslosigkeit in den 1-Euro-Job, von dort in die Aushilfstätigkeit und dann in eine Qualifizierungsmaßnahme und so fort, um am Ende doch wieder im Leistungsbezug zu enden. Nur sehr wenigen Menschen gelingt trotz aller Anstrengungen ein dauerhafter Aufstieg in bessere Beschäftigungsverhältnisse. Für alle anderen ist Hartz IV eine Armutsfalle.
69,1 Prozent der Arbeitslosen sind in Deutschland armutsgefährdet. Das sind 30 Prozent mehr als rund um die Einführung von Hartz IV im Jahr 2005. Nach diesem im europäischen Vergleich beispiellosen Anstieg weist Deutschland damit mit Abstand den schlechtesten Wert innerhalb der Europäischen Union auf.
Was Sie hier mit Hartz IV geschaffen haben, verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, zeigt einmal mehr, wo Ihre soziale Kompetenz liegt. Sie können eine nach außen hin glänzende Arbeitsmarktstatistik vorweisen, was Sie ja auch immer wieder gerne tun. Aber für die Betroffenen haben Sie nichts verbessert, sondern das genaue Gegenteil bewirkt.
Wir müssen also etwas tun, um die Situation der Langzeitarbeitslosen zu verbessern. Das ist keine Frage.
Nun wollen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, zwei Dinge auf den Weg bringen, um etwas gegen die Langzeitarbeitslosigkeit zu tun, nämlich bundesweit 300 000 öffentlich geförderte Arbeitsplätze schaffen, und das flankiert durch vorgeschaltete qualifizierende Maßnahmen und begleitende Leistungen, wofür Sie den Kommunen 120 Milliarden Euro zur Verfügung stellen wollen.
Die Jobs wollen Sie auf drei bis fünf Jahre begrenzen. Und dann? So ganz nebenbei wollen Sie auch noch den gesetzlichen Mindestlohn für alle Beschäftigten mal wieder auf 12 Euro pro Stunde erhöhen.
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Der Mindestlohn ist zum einen kein Thema, das in so einen Antrag gehört. Und zum anderen: Wie oft möchten Sie diesen Antrag auf 12 Euro Mindestlohn noch stellen?
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– Das dachte ich mir.
Die Innovationen, die Sie hier vorstellen, die Intention Ihres Antrages also, haben die Österreicher versucht umzusetzen. Sie versuchten, ab Juli 2017 20 000 über 50-jährige Langzeitarbeitslose mindestens für zwei Jahre in Gemeinden, bei gemeinnützigen Organisationen und sozialen Unternehmen arbeiten zu lassen. Der größte Teil der Kosten sollte durch eingesparte Arbeitslosengelder finanziert werden. Das war ein Prestigeprojekt der SPÖ, sozusagen der österreichischen SPD. Allerdings wurde das Projekt im Januar 2018 wieder eingestellt von der neuen Sozialministerin der FPÖ, sozusagen der österreichischen AfD. Warum? Weil es in der ganzen Zeit nur möglich war, 1 326 Langzeitarbeitslosen einen Job zu verschaffen. Das ist dann das Ergebnis sozialdemokratischer Politik.
Aber, liebe Kollegen der Linken, das Beste Ihres Antrages habe ich mir bis zum Schluss aufgespart: die Finanzierung der Umsetzung Ihrer Antragsforderungen. Sie wollen durch Steuererhöhungen 180 Milliarden Euro mehr Steuern einnehmen.
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Sie wollen tatsächlich die Steuern noch mehr erhöhen und die Bevölkerung noch mehr wie einen Schwamm ausquetschen. Falls es Ihnen nicht bekannt sein sollte: Deutschland hat weltweit die zweithöchste Steuer- und Abgabenlast:
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Es sind 49,7 Prozent bei einem alleinstehenden Durchschnittsverdiener.
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Möchten Sie gerne, dass Deutschland negativer Spitzenreiter wird?
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Ich muss Ihnen wirklich sagen, dass uns die Zustimmung zur Überweisung Ihres Antrages an den Ausschuss äußerst schwerfällt; aber wir machen es trotzdem.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Uwe Witt. – Nächster Redner: Dr. Martin Rosemann für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Witt, es wäre für die Öffentlichkeit sicher interessant gewesen, wenigstens ein Wort dazu zu hören, wie sich die AfD eigentlich die Arbeitsmarktpolitik in diesem Land vorstellt.
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Meine Damen und Herren, wir haben es in der vergangenen Woche in einer Aktuellen Stunde debattiert: Der Arbeitsmarkt ist in einer guten Verfassung. Seit 2005 hat sich die Arbeitslosigkeit halbiert. Wir haben mit über 32 Millionen den höchsten Stand an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung seit der Wiedervereinigung.
Aber wir haben es auch mit Herausforderungen für die Arbeitsmarktpolitik zu tun. Ich sehe vor allem drei:
Erstens. Wir müssen die Potenziale von Menschen, von Gruppen, die bisher am Arbeitsmarkt nur unterdurchschnittlich beteiligt sind, heben. Zum Beispiel müssen wir es Leuten ermöglichen, aus unfreiwilliger Teilzeit in Vollzeit zurückzukehren und damit auch zur Fachkräftesicherung in diesem Land beizutragen.
Zweitens. Wir müssen die Beschäftigten dabei unterstützen, den digitalen Wandel zu bewältigen, damit Arbeitslosigkeit erst gar nicht entsteht.
Drittens. Wir müssen die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit anpacken. Richtig ist: Auch die Langzeitarbeitslosigkeit hat sich seit 2007 fast halbiert. Aber Fakt ist auch: Viele langzeitarbeitslose Menschen im SGB II profitieren aktuell nicht von den guten Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt. Dagegen müssen wir etwas tun. Wir müssen daran arbeiten, Langzeitarbeitslosigkeit besser zu verhindern und Langzeitarbeitslosigkeit besser zu bekämpfen.
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Wir sagen als Sozialdemokraten: Auch für diejenigen, die langfristig keine Chance auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben, wollen wir Teilhabe durch Arbeit. Das ist eine zentrale Aufgabe unserer Gesellschaft.
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Daran arbeitet unser Arbeitsminister Hubertus Heil, indem er jetzt den Gesetzentwurf zum sozialen Arbeitsmarkt in die Ressortabstimmung gegeben hat.
Ich sage ganz deutlich: Da geht es jetzt nicht wieder um ein neues Bundesprogramm, sondern da geht es um ein dauerhaftes Regelinstrument, dessen Finanzierung wir durch die Erhöhung des Eingliederungstitels auch finanziell unterlegen werden.
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Wichtig für uns ist, dass es dabei um eine gute und sinnvolle Tätigkeit für die Leute geht – bei öffentlichen und bei privaten Arbeitgebern. Es geht nicht darum, möglichst hohe Zahlen zu produzieren, sondern darum, die beste Qualität des Instruments sicherzustellen. Dazu gehört auch, dass die Leute, die wir in geförderte Beschäftigung bringen wollen, persönliche Begleitung und Unterstützung vor, während und bei Bedarf auch nach der Teilnahme an diesem Instrument brauchen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Einführung eines neuen Instruments ist aber nicht unser einziger Beitrag zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. Ein sozialer Arbeitsmarkt kann nur ein Teil einer Gesamtstrategie sein. Gerade bei guter Arbeitsmarktlage müssen wir die Chance zur Integration in den ersten Arbeitsmarkt für möglichst viele, auch für möglichst viele Langzeitarbeitslose, nutzen. Deshalb wollen wir die Beratungsintensität und die Beratungsqualität in den Jobcentern verbessern: durch bessere Betreuungsschlüssel, durch eine bessere Beratungsqualität, durch eine Qualifizierungsoffensive in und für die Jobcenter. Es geht um bessere, passgenauere und individuelle Unterstützung im SGB II.
Wir wollen individuelle Unterstützung für alle. Die Arbeitslosen müssen die Unterstützung bekommen, die sie im Einzelnen brauchen.
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Es ist doch klar, dass eine junge Alleinerziehende eine andere Unterstützung braucht als ein suchtkranker Langzeitarbeitsloser.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt kann nur gelingen, wenn sich die Unterstützung in den Jobcentern tatsächlich an den individuellen Bedürfnissen der Menschen ausrichtet, und dazu brauchen wir einen Kulturwandel in den Jobcentern. Menschen, die arbeitslos sind und Hilfe und Unterstützung benötigen, müssen auf die Jobcenter als verlässliche Partner zählen können.
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Das, meine Damen und Herren, ist unser Anspruch. Das ist mühsam, aber daran arbeiten wir.
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Vielen Dank, Dr. Rosemann. – Nächster Redner für die FDP-Fraktion: Pascal Kober.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, dass die Sorgen und Anliegen der langzeitarbeitslosen Menschen bei Ihnen in keinen guten Händen sind, das zeigt dieser Antrag. Sie haben sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, die Zahlen in diesem Antrag, den Sie wahrscheinlich schon zum dritten Mal vorlegen, zu aktualisieren. Aktuell werden nämlich nicht 750 Millionen Euro aus dem Eingliederungstitel in den Verwaltungstitel der Jobcenter umgeschichtet,
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sondern 911 Millionen Euro. Aber dass Sie sich nicht mal die Mühe machen, für die langzeitarbeitslosen Menschen Ihre Zahlen zu aktualisieren, das zeigt, dass es Ihnen eigentlich gar nicht um die Sache geht.
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Was ich aber geradezu unerträglich finde, ist, wie Sie mit den Sorgen dieser Menschen spielen, indem Sie die Statistiken so verwenden, dass sie die Menschen entmutigen. Sie sagen in Ihrem Antrag, es gebe nur 778 000 Arbeitsstellen bei 2,458 Millionen Erwerbslosen. Was Sie damit sagen wollen, ist klar: dass rechnerisch noch nicht einmal für jeden Dritten eine Chance auf dem Arbeitsmarkt besteht.
Sie verschweigen aber, dass nicht jede offene Stelle, nicht jede Stelle, die zu besetzen ist, auch gemeldet wird und sich in den Statistiken wiederfindet. Sie verschweigen, dass man natürlich auch aus der Langzeitarbeitslosigkeit in eine erfolgreiche Selbstständigkeit wechseln kann. Sie verschweigen, dass man durch eine kluge Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik zusätzliche Arbeitsplätze entstehen lassen kann.
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Sie verschweigen, dass durch die Folgen des demografischen Wandels zusätzliche Arbeitsplätze frei werden. Das alles verschweigen Sie, um den Menschen Angst zu machen. Ich finde es unerträglich, dass Sie mit den Sorgen dieser Menschen so umgehen.
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Dass Sie sich auch nicht wirklich um eine Lösung bemühen, zeigt, dass Sie Ihr tolles Instrument, das Sie teuer fördern wollen, auf drei bis fünf Jahre begrenzen wollen. Was ist aber im Anschluss? Im Anschluss lassen Sie die Leute wieder allein, und das ist nicht richtig, und deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen.
Aber natürlich gibt es Handlungsbedarf, wenn es um das Thema Langzeitarbeitslosigkeit geht. Da sehe ich natürlich zunächst einmal die Große Koalition in der Verantwortung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da sieht es leider auch nicht ermutigend aus. Hubertus Heil hält nicht, was Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, im Koalitionsvertrag versprochen haben. Sie haben angekündigt, dass Sie 150 000 Menschen eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt ermöglichen wollen. Jetzt legt Hubertus Heil einen Gesetzentwurf vor und stellt Mittel bereit, die für nicht einmal 50 000 Menschen reichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, richtig wäre, dass Sie die 4 Milliarden Euro nehmen, um die Löcher im Haushalt der Jobcenter zu stopfen, damit nicht immer mehr Geld aus der Förderung der Arbeitsuchenden in die Verwaltung umgeschichtet wird.
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Richtig wäre es, die Bürokratie in den Jobcentern abzubauen, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder mehr Zeit haben für die Betreuung und Beratung der Jobsuchenden. Richtig wäre es, auch die Zuverdienstgrenze zu verbessern, um den Menschen einen Aufstieg zu ermöglichen. Notwendig wäre es, die Bundesländer mit an den Tisch zu holen, damit endlich einmal alle an einem Strang ziehen, wenn es um die Chancen von Langzeitarbeitslosen geht, damit endlich auch der Passiv-Aktiv-Tausch eine Perspektive hat.
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Aber hierzu fehlt Ihnen leider der Ehrgeiz. Es zeichnet sich ab, dass die kommenden vier Jahre verlorene vier Jahre für die Schwächsten am Arbeitsmarkt sein werden. Das bedauern wir.
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Aber insgesamt sind wir der Auffassung, dass wir 2021 die Perspektiven für die Langzeitarbeitslosen definitiv verbessern werden.
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Vielen Dank, Herr Kober. – Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Beate Müller-Gemmeke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf den Tribünen! Wenn Menschen lange arbeitslos sind, dann hat das Folgen, und es macht auch was mit den Menschen. Es entstehen gesundheitliche Probleme. Wenn die Menschen das Gefühl haben, dass sie nicht gebraucht werden, dann nagt das am Selbstwertgefühl. Sie fühlen sich ausgegrenzt und stigmatisiert, und sie leben auch am Rande der Gesellschaft. Deshalb müssen wir Langzeitarbeitslosigkeit verhindern; denn es geht um die Würde der Menschen.
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Fakt ist aber: Die Langzeitarbeitslosigkeit hat sich verfestigt. Die Menschen werden vor allem kurzfristig aktiviert und dann wieder alleinegelassen. Damit muss Schluss sein. Wir brauchen endlich einen sozialen Arbeitsmarkt, der wirklich Perspektiven eröffnet.
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Sozialer Arbeitsmarkt meint: geförderte Beschäftigung, Begleitung, Qualifizierung, und zwar langfristig und nachhaltig. Im Mittelpunkt muss die soziale Integration stehen, also gesellschaftliche Teilhabe, soziale Kontakte, Wertschätzung und Anerkennung.
Die Idee vom sozialen Arbeitsmarkt ist richtig und gut, aber sie funktioniert nur, wenn auch tatsächlich die Rahmenbedingungen stimmen. Damit bin ich beim Antrag der Linken. Wir wollen ja beide geförderte Beschäftigung und den sozialen Arbeitsmarkt; ein Antrag von uns dazu liegt schon vor. Und doch gibt es drei Aspekte in Ihrem Antrag, die wir ganz grundsätzlich kritisieren.
Erstens. Sie fordern wieder nur ein Programm. Sie begrenzen die geförderte Beschäftigung auf drei bis fünf Jahre, und finanziert werden soll das vom Bund, von den Ländern, von den Kommunen und dann auch noch aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Wer schon einmal ESF-Mittel beantragt und abgerechnet hat, der weiß, wie bürokratisch und schwierig das ist. Nein, wir brauchen nicht wieder ein kompliziertes Sonderprogramm auf Zeit, sondern ein einfaches und gutes Regelinstrument und ausreichend Mittel. Alles andere hilft den Menschen keinen Schritt weiter. Das zeigt uns die Vergangenheit.
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Zweitens. Sie fordern sozialversicherungspflichtige Arbeit, tariflich und ortsüblich entlohnt. Das wollen auch wir; denn Verwerfungen darf es natürlich auf dem Arbeitsmarkt nicht geben. Aber ich habe doch das Gefühl, dass die Linke die geförderte Beschäftigung als Konkurrenzsituation sieht. Sie reden von Wettbewerbsverzerrung, Gewinnaneignung und notwendigen Prüfungen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit und warnen, dass geförderte Beschäftigung reguläre Arbeit nicht verdrängen darf.
Ich glaube, Sie haben da etwas überhaupt nicht verstanden. Das Ziel ist doch gerade, dass langzeitarbeitslose Menschen in reguläre Beschäftigung vermittelt werden. Langzeitarbeitslose sind doch keine Menschen zweiter oder dritter Klasse, die in einer Sonderwelt, in einem zweiten oder gar dritten Arbeitsmarkt geparkt werden. Nein, sie sollen einen ganz normalen Job bekommen wie alle anderen auch, gleichwertig und auf Augenhöhe. Alles andere ist nicht akzeptabel.
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Drittens. Aus diesem Denken heraus kommt ja, dass Sie nur zusätzliche gesellschaftlich sinnvolle Arbeit fördern wollen, also gemeinnützige Arbeit in Stadtteilzentren, kulturelle Projekte, Programme zur Stadtentwicklung. Sie wollen also nichts anderes als einen rein öffentlichen Beschäftigungssektor, und zwar mit den Kriterien: zusätzlich, im öffentlichen Interesse und wettbewerbsneutral. Aber genau diese Kriterien machen es den Beschäftigungsträgern vor Ort doch schon heute bei ihrer Arbeit extrem schwer.
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Entscheidend ist: Läuft die Förderung aus, dann verschwinden natürlich all diese gemeinnützigen Jobs, und die Menschen werden wieder arbeitslos. Die Förderung nur von gemeinnütziger Arbeit macht einfach keinen Sinn.
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Denn neben Beschäftigungsträgern und Kommunen müssen sich vor allem auch privatwirtschaftliche Betriebe bei der Integration von langzeitarbeitslosen Menschen engagieren. Das ist wichtig; denn nicht alle Menschen passen in soziale Projekte. Die Menschen sind vielfältig. Sie haben unterschiedliche Erfahrungen, Fähigkeiten und Interessen. Deshalb muss für langzeitarbeitslose Menschen die ganze Bandbreite der Tätigkeiten offenstehen. Nur mitten in der Arbeitswelt entstehen für die Menschen tatsächlich neue Chancen und Perspektiven.
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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Langzeitarbeitslosigkeit ist kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem. Deshalb fordern wir Grüne schon lange einen Perspektivwechsel hin zu einer solidarischen Arbeitsmarktpolitik. Daran messen wir den Antrag der Linken und natürlich auch den geplanten Gesetzentwurf der Bundesregierung. Denn es ist wirklich Zeit für einen inklusiven Arbeitsmarkt, der nicht mehr ausschließt, sondern die Würde der Menschen in den Mittelpunkt stellt.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Beate Müller-Gemmeke. – Nächster Redner – er steht schon da – für die CDU/CSU-Fraktion: Frank Heinrich.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Diskussion ist nicht neu – das haben Sie, Frau Zimmermann, in Ihrer Rede gesagt; es war die Rede von 2005 und 1995. Wir haben einige Erfahrungen in dem Bereich gemacht; das wurde in anderen Reden zitiert.
Auch wir sehen Chancen bei öffentlich geförderter Beschäftigung, aber eben nicht nur im Blick zurück, sondern ganz besonders im Blick voraus. Wir haben im Koalitionsvertrag miteinander vereinbart, dass wir in diesem Bereich etwas machen.
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Der eine kennt es besser, der andere weniger gut. Ich war einige Jahre Sozialarbeiter und habe direkt mit Langzeitarbeitslosen zusammengearbeitet. Natürlich hat das Auswirkungen, die man auch in den Gesichtern der Menschen sehen kann, die in solchen Projekten sind: gesellschaftliche Teilhabe, soziale Kontakte, Wertschätzung, Anerkennung, höhere Zufriedenheit, persönliche Entwicklung.
Aber ich weiß auch, dass das eigentliche Ziel, das wir in diesem Hohen Haus damit verbinden, nämlich Langzeitarbeitslose über öffentlich geförderte Beschäftigung nach Ende dieser Förderung in ungeförderte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bekommen, mit diesem Instrument nicht in dem Maße erreicht worden ist, wie wir uns das vorgenommen haben. Unser ultimatives Ziel ist, dass die Menschen dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung stehen. Der Blick ist also nicht einer zurück, sondern einer voraus.
Deshalb plädieren wir – ich persönlich auch – für ein ganzheitliches Konzept: Sie nannten das Wort, das bei den Linken mehrfach im Antrag steht: individuelle und passgenauere Unterstützung von Langzeitarbeitslosen durch Programme, die dem Coaching ähneln. Kollege Rosemann hat das angesprochen.
Individuell, das bezieht sich zum einen insbesondere auf schwer zu erreichende junge Menschen gemäß § 16h SGB II, zum anderen auf Bedarfsgemeinschaften und Familien mit Kindern unter 18 Jahren – zwei Bereiche, die ich einfach mal rausgenommen habe.
Modellprojekte haben insbesondere dort Erfolge gezeigt, wo Leistungsempfänger im Jobcenter individuell gefördert wurden. Wenn häufiger persönlicher Kontakt bestand, dann ist der Erfolg viel größer gewesen. Im Moment ist gesetzlich vorgeschrieben, dass ein Betreuer im Jobcenter für maximal 150 ALG-II-Empfänger über 25 Jahre und für maximal 75 ALG-II-Empfänger unter 25 Jahre zuständig ist. Allerdings haben wir an der Stelle die Erfahrung gemacht, dass in neun Bundesländern dieser Betreuungsschlüssel oft nicht eingehalten werden konnte.
Ich möchte ein Beispiel geben zum Thema „ganzheitliches Coaching junger Menschen“. Oft hilft es ja, wenn man Best Practices nimmt, um zu beschreiben, was wir damit meinen, und um ein Vorbild dafür zu haben, was ein Best Practice sein soll. Vor einigen Wochen habe ich hier in Berlin ein Projekt in Marzahn besucht. Der Kollege Schiewerling, unser geschätzter Kollege, hatte mich eingeladen, anhand dieses Beispiels den § 16h SGB II besser zu verstehen.
Es handelt sich um die „Manege“ – so heißt das Projekt – im Don-Bosco-Zentrum in Berlin-Marzahn. Das Ziel: ganzheitliche Unterstützung in allen Lebenslagen. Es umfasst „feste Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwischen 16 und 25 Jahren, die über das Jobcenter … zugewiesen werden“. Es werden auch Selbstmelder unterstützt. Die Arbeit der „Manege“ ist „integriert in die aktivierenden Hilfen zur Heranführung an den Arbeitsmarkt“.
Einige Leitbilder dieser Einrichtung klingen ähnlich wie unser Ansatz: „Das individuell Beste suchen und geben“ – das meinen wir mit „passgenau“ –, „Nicht Not verwalten, sondern Not verwandeln“ und „Jeder hat das Recht auf einen neuen Anfang“. Aber das bezieht sich auf den Einzelnen.
Lassen Sie uns gemeinsam an den Rahmenbedingungen arbeiten, damit eine individuelle und passgenaue Unterstützung von Langzeitarbeitslosen bundesweit noch besser gelingt. Und warum? Weil individuelle Betreuung und Coaching nachweislich die besten, effektivsten Instrumente sind, um Langzeitarbeitslose wieder an den ersten Arbeitsmarkt heranzuführen. Damit werden wir – das steht ja im Titel des Antrags, über den wir heute debattieren – die Perspektiven für Langzeitarbeitslose verbessern. Das ist unser Plan.
Ich danke Ihnen.
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Vielen Dank, Frank Heinrich. – Nächste Rednerin: Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion.
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Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben ja gerade ganz unterschiedliche Politikstile: Die einen sind eher gesteuert von kurzfristigen Machtinteressen und laufen Ressentiments und vermeintlichen Stimmungen hinterher, die anderen versuchen, Probleme, reale Probleme der Menschen durch harte Arbeit zu lösen. Ich freue mich, dass unser Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil zur zweiten Sorte gehört.
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Ich möchte ihm herzlich gratulieren – liebe Frau Griese, vielleicht können Sie es ihm ausrichten – zum ersten Gesetzentwurf, der durch das Kabinett gegangen ist; dabei geht es um die Einführung der Brückenteilzeit. Ein Gesetzentwurf zum Thema Langzeiterwerbslosigkeit ist in der Kabinettsabstimmung. Ich finde, das lässt sich gut an.
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Insofern danke ich der Linken auch, dass wir heute über das Thema Langzeiterwerbslosigkeit reden können, und ich will auch etwas zu Ihrem Antrag sagen. Da hat sich ja auch tatsächlich im Vergleich zu früheren Anträgen etwas verändert, zum Beispiel ist die Zahl der geforderten Stellen hochgegangen: von 200 000 auf 300 000. Vielleicht war Ihnen der Abstand zu den von uns anvisierten und vorgeschlagenen 150 000 Plätzen nicht groß genug, sodass Sie jetzt noch mal draufgelegt haben. An anderer Stelle – das finde ich schön – kommen Sie uns inhaltlich entgegen. Es ist nicht mehr so, dass Sie sagen: Jeder, der ein Jahr arbeitslos ist, soll ohne Berücksichtigung anderer Hintergründe Zugang zum sozialen Arbeitsmarkt haben. Vielmehr sagen Sie jetzt – wie ich finde, zu Recht –, dass schon geguckt werden sollte, dass es besonders arbeitsmarktferne Personen sind, zum Beispiel Personen mit Familie oder Ältere. Insofern finde ich es gut, dass Sie uns da entgegenkommen.
Es wundert mich, dass Sie ein Programm fordern. Da müssen Sie aufpassen – das vielleicht als Anregung für weitere Anträge –, dass Sie nicht von real existierender sozialdemokratischer Politik überholt werden;
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denn wir werden ein Regelinstrument einführen.
Ich freue mich über den Gesetzentwurf, der jetzt in der Ressortabstimmung ist. Ich will aber schon ankündigen, dass wir als SPD-Fraktion an einem Punkt Diskussionsbedarf haben. Das liegt gar nicht an Hubertus Heil; denn in dem ursprünglich vorgelegten Gesetzentwurf stand noch etwas anderes drin. Wir wollen, dass dieses Regelinstrument „fliegt“. Wir wollen, dass viele Langzeiterwerbslose wieder eine Chance haben auf Arbeit, auf Teilhabe und auf sinnvolle Beschäftigung. Da gibt es einen Knackpunkt, die Frage: Wie wird dieser Lohnkostenzuschuss berechnet? Was ist sozusagen die Bemessungsgrundlage? Im aktuellen Gesetzentwurf steht, der Mindestlohn sei die Grundlage. Das ist ein Problem, weil alle tarifgebundenen Unternehmen, kommunale Wohlfahrtsverbände dann de facto ausgeschlossen sind. Denn sie müssten massiv draufzahlen, wenn nur der Mindestlohn erstattet würde.
Frau Kollegin, wie Sie sehen, meldet sich jemand in der ersten Reihe, der Herr Kober. Erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Wenn es kurz und knapp geht.
Ja, darauf achte ich schon. – Er kann auch eine Bemerkung machen.
Frau Kollegin Kolbe, Sie sprachen gerade davon, dass Sie möchten, dass Ihr Programm „fliegt“. Im Gesetzentwurf habe ich gelesen, dass für 1 000 Förderfälle 24 Millionen Euro bereitstehen sollen. Das bedeutet also 24 000 Euro pro Förderfall. Bei 1 Milliarde Euro pro Jahr, geteilt durch 24 000 Euro, kommen wir somit auf knapp 42 000 Personen. Wenn man dann mit in Anschlag bringt, dass Sie ja den Regelsatz sparen und das Geld in die Qualifizierung bzw. in dieses Regelinstrument reinvestieren wollen, kommt man, wenn man, grob geschätzt, 42 000-mal den Regelsatz von 416 Euro nimmt, auf 17 Millionen Euro. Das ergibt dann weitere 722 Fördermöglichkeiten. Sie erreichen summa summarum pro Jahr nicht einmal 50 000 Plätze. Da die Mittel aber über mehrere Jahre hinweg gebunden sind, möchte ich wissen, wie Sie damit einen nennenswerten Personenkreis erreichen wollen.
Frau Kolbe.
Natürlich ist das eine spannende Frage. Es sind in der Zielstellung 150 000 Plätze. Im ersten Schritt werden wir dieses Regelinstrument einführen, das zwei Stufen haben soll. Es soll einmal für Langzeiterwerbslose, die bereits sechs Jahre im Leistungsbezug sind, gelten. Das wird sowieso anstrengend sein und viel Arbeit erfordern, Stellen für die Betroffenen zu finden, gerade in normalen Unternehmen. Außerdem wird es die Möglichkeit von Lohnkostenzuschüssen für Menschen geben, die zwei Jahre erwerbslos sind.
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Was aber noch nicht im Gesetzentwurf steht, ist, dass wir auch den Passiv-Aktiv-Tausch umsetzen wollen, um auch aus den Länderprogrammen und den Länderanstrengungen heraus Stellen zu schaffen,
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damit möglichst viele Langzeiterwerbslose die Möglichkeit haben, einer sinnvollen Beschäftigung nachzugehen.
Lassen Sie uns beginnen! Lassen Sie uns das aber auch nicht naiv angehen! Tatsächlich ist es ein teures Instrument, gerade wenn Coaching dazukommt. Aber ich denke, dass wir deutlich über die von Ihnen vorgerechneten 50 000 Plätze kommen werden. Wir müssen das auch, weil es sehr viele betroffene Menschen gibt. Hinter diesen Betroffenen stehen auch Familien, die wir im Blick haben sollten.
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Beim Thema Tariflöhne und bei der Frage, welche Löhne als Grundlage in dem Gesetz stehen, gilt ja das Struck’sche Gesetz. Ich denke, wenn das mit der Koalition klappt, dann werden wir uns an der Stelle auch einig werden, weil wir ein gemeinsames Interesse daran haben, dass viele langzeiterwerbslose Menschen hier Zugang bekommen.
Ich habe es gerade in meiner Antwort auf die Frage von Herrn Kober angesprochen: Wir wollen nicht nur dieses Regelinstrument neu schaffen, sondern wir wollen auch den Passiv-Aktiv-Tausch ermöglichen. Das will Die Linke auch; ich denke, da sind wir uns einig. Es gibt hier im Haus eine große Einigkeit dazu.
Ich will vielleicht kurz den Moment schildern, in dem mir klar geworden ist, wie wichtig das ist. Ich hatte ein Gespräch mit einer Betroffenen, einer älteren Dame, die nach der Wiedervereinigung einfach keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen hat. Sie hat mir ihre Geschichte erzählt, die von Beschäftigungsmaßnahmen geprägt war. Sie war im Rahmen des Bundesprogramms „Kommunal-Kombi“ beschäftigt. Drei Jahre lang hat sie Lohn bekommen; danach hatte sie wieder einen 1‑Euro-Job, bei dem sie genau die gleiche Arbeit gemacht hat, aber plötzlich nur noch einen Zuschuss zu den Sozialleistungen bekommen hat. Als sie an den Punkt ihrer Geschichte kam, sind ihr die Tränen in die Augen gestiegen, weil es eben etwas anderes ist, ob man Lohn bekommt für die Arbeit, die man leistet, oder zu den Sozialleistungen obendrauf lediglich ein Goodie erhält.
Lassen Sie uns rangehen, dass wir Arbeit finanzieren und nicht Erwerbslosigkeit.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kolbe. – Nächster Redner: Till Mansmann für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Werte Kollegen von der Linkspartei, nachdem ich Ihren Antrag mehrfach durchpflügt habe, kann ich sagen: Donnerwetter! So sieht Planwirtschaft aus. Darin stehen Summen – der Kollege Whittaker hat es vorgerechnet; das spart mir einige Zeit –, die einfach gigantisch sind. Da wird mit einem riesigen Hammer alles mit Geld zugepflügt.
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Selbstverständlich hat der Kollege Whittaker mit seiner Analyse auch recht;
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denn am Ende stehen natürlich Steuererhöhungen.
({2})
Die Jobs, die Sie schaffen wollen, werden an anderer Stelle unglaublich teuer erkauft werden. Auch in Ihren Nebensätzen verkünden Sie Teures und, wie ich finde, Interessantes. Sie schlagen zum Beispiel mal wieder vor, den Mindestlohn auf 12 Euro anzuheben.
({3})
Da der Mindestlohn ja gesetzlich geregelt ist, würde mich interessieren, wie Sie das eigentlich machen wollen. Er wird ja von einer Expertenkommission ermittelt, und auf der Basis dieser Ergebnisse vom Staat verordnet. Kriegen die unabhängigen Experten dann eine Vorgabe, wie die Expertise auszufallen hat? Oder besetzen Sie die Kommission so oft neu, bis es politisch passt und das herauskommt, was aus Ihrer Sicht herauskommen soll?
({4})
Das sind Anzeichen, die zeigen, dass Sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben.
({5})
Was machen wir nun mit diesem Antrag?
({6})
Die Staatsministerin für Digitalisierung, Dorothee Bär, hat an dieser Stelle einmal von Flugtaxis gesprochen, und in diesem Sinne würde ich sagen: Wir schicken ihn mit einer Zeitmaschine ins 20. oder besser noch ins 19. Jahrhundert; denn da kommt er her.
({7})
Mit genau solchen Rezepten haben wir vor 40 oder 50 Jahren unser Land in eine große Arbeitslosigkeit geführt und es erst richtig reformbedürftig gemacht. Liebe Kollegen von der Linkspartei, kommen Sie im 21. Jahrhundert an!
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Wir brauchen auf dem Arbeitsmarkt Flexibilisierungen und nicht die Erstarrung in staatlichen Mammutprogrammen von gestern.
({9})
Die Digitalisierung ist die Herausforderung, die uns die Möglichkeiten gibt, den Arbeitsmarkt weiterzuentwickeln, und das ist genau das Gegenteil dessen, was Sie tun. Da wir keine Zeitmaschine haben, verweisen wir diesen Antrag in den Ausschuss.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Till Mansmann. – Nächster Redner: Stephan Stracke für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Werte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Linken leben erkennbar in einem anderen Land.
({0})
Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist, anders als die Linken glauben machen wollen, in bester Verfassung.
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Er ist so aufnahmefähig wie ein Schwamm. Wir haben die beste Arbeitsmarktlage seit der Wiedervereinigung. Der Weg zur Vollbeschäftigung ist vorgezeichnet. Vor allem profitieren die Langzeitarbeitslosen davon.
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Wenn man es vergleicht, so gab es 2008 1,6 Millionen Langzeitarbeitslose, und jetzt gibt es um die 800 000. Stark rückläufig ist vor allem die Zahl jener, die bis zu fünf Jahre ohne Job sind. Es gelingt ihnen verstärkt, in den Arbeitsmarkt hineinzukommen. Ich glaube, dies ist eine gute Entwicklung, und genau diese wollen wir verstärken. Deswegen setzen wir uns vonseiten der Union dafür ein, langzeitarbeitslosen Menschen wieder verstärkt Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt zu eröffnen. Daher nehmen wir in dieser Legislaturperiode 4 Milliarden Euro zusätzliches Geld in die Hand.
Für uns hat die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit einen hohen Stellenwert. Die Debatte ist mit dem Referentenentwurf, den die Bundesregierung, insbesondere Bundesarbeitsminister Heil, vorgelegt hat, eröffnet. Wir brauchen an dieser Stelle sicherlich keine Nachhilfe vonseiten der Linken, zumal die Ratschläge eher als untauglich zu bezeichnen sind.
({3})
Unsere Maxime ist bei all dem, was wir uns vorgenommen haben: Die Mittel müssen so effizient wie möglich eingesetzt werden. Die Jobcenter vor Ort brauchen finanzielle Spielräume für eine effektive Betreuung der langzeitarbeitslosen Menschen, und es bleibt dabei: Am Grundsatz „Fördern und Fordern“ halten wir fest. Das war in der Vergangenheit sehr erfolgreich, und es wird auch zukünftig so sein. Mit diesen Grundsätzen lässt sich erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik gestalten.
Vorbild Bayern:
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Dort herrscht nicht nur die mit Abstand beste Arbeitsmarktsituation aller Bundesländer, und aktuell gibt es die niedrigste je in Bayern gemessene Arbeitslosenquote, sondern vor allem ist auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Bayern im Vergleich zum Vorjahr im Mai 2018 um rund 7 000 Menschen und damit um 12,2 Prozent gesunken.
Die Gruppe der Langzeitarbeitslosen profitiert am stärksten vom Abbau der Arbeitslosigkeit. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, die wir insgesamt verstärken wollen. Insbesondere wenn man sich den Anteil der Langzeitarbeitslosen ansieht: Dieser ist im Zehnjahresvergleich von 36,7 Prozent auf 24 Prozent gesunken. Das ist ein unglaublicher Erfolg, den wir in diesem Bereich zu verzeichnen haben.
Die Erfolge sind allerdings alles andere als selbstverständlich, sondern immer Ergebnis konkreter Politik: Best Practice – von den Besten lernen. Deshalb lohnt sich immer ein Blick in den Freistaat Bayern. Warum ist man dort erfolgreich?
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Das bayerische Erfolgsrezept: stabiler und kreativer Mittelstand – Unternehmer sind für uns Vorbilder, nicht Feindbilder – und eine Infrastruktur, die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit fördert und nicht behindert. Das bayerische Erfolgsrezept beim Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit basiert vor allem auf einem Ansatz, den bereits mein Kollege erwähnte: der ganzheitliche Ansatz; denn mit diesem wird nicht nur der Arbeitslose, sondern rechtskreisübergreifend die gesamte Familie in den Blick genommen.
Deswegen wurde jetzt in Bayern das Gesamtkonzept CURA auf den Weg gebracht, bei dem es um das Bedarfsgemeinschafts-Coaching geht. Verkürzt formuliert: Die Mitarbeiter der Jobcenter und des Jugendamtes arbeiten in einem Projektteam zusammen und betreuen den Arbeitslosen und damit auch die gesamte Familie unter einem Dach – mit dem Ziel, die Lebenssituation zu stabilisieren und Hindernisse und Hemmnisse abzubauen. Genau das wollen und werden wir auch weiterhin ausbauen. Die bayerischen Projekte finden ja auch bundesweit immer mehr Zuspruch. Deshalb ist für uns dieser Punkt auch von so zentraler Bedeutung.
Es ist beachtlich, dass die Linken diesem Punkt überhaupt keine oder nur eine sehr unterbelichtete Rolle zusprechen. Es ist aber dringend erforderlich, dass wir auf Bundesebene jetzt die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um den ganzheitlichen Ansatz bundesweit einzuführen. Der Koalitionsvertrag spricht hier eine deutliche Sprache. Dafür setzen wir uns als CSU ein. Mit „Einmal Hartz IV, immer Hartz IV“ finden wir uns nicht ab. Wir wollen Schluss machen mit Hartz-IV-Karrieren, die sich vererben, und wir wollen auch mehr Geld für die Jobcenter bereitstellen, damit die Betreuung und Begleitung von Langzeitarbeitslosen noch besser gelingt. Insofern sind wir uns sicher: Wir werden den Referentenentwurf des BMAS sicherlich noch substanziell verbessern. Aber das Anliegen, dass wir die Situation von Langzeitarbeitslosen verbessern wollen, eint uns.
Herzliches Dankeschön.
({6})
Vielen Dank, Stephan Stracke. – Nächste Rednerin: Kerstin Tack für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, alle Fraktionen hier im Bundestag sind angesichts der Situation der Langzeitarbeitslosen besorgt. Deshalb ist es gut, dass wir in dieser Legislatur nun schon zum dritten Mal über dieses Thema diskutieren. Die Aufmerksamkeit für diese Zielgruppe ist besonders wichtig ist, und deshalb ist es gut, dass wir sie als Koalition in den Blick nehmen.
({0})
Liebe Sabine Zimmermann, auch wir sprechen nicht von einem supertollen Arbeitsmarkt. Aber es ist schon sehr vermessen, von einer „Massenarbeitslosigkeit“ in Deutschland zu reden. Verglichen mit den Ländern um uns herum, glaube ich, ist das sehr stark abwertend gegenüber all denjenigen, die noch mit ganz anderen Problemen zu kämpfen haben, als wir sie hier in Deutschland haben. Ich glaube, dass es gut wäre, anzuerkennen, dass wir an dieser Stelle wirklich sehr gute Fortschritte gemacht haben. Das Wort „Massenarbeitslosigkeit“ gehört hier nicht in Anträge, auch nicht in Anträge der Linken.
({1})
In Ihrem Antrag schlagen Sie ein Konzept vor, von dem Sie sagen, dass Sie es in fünf oder zehn Jahren umsetzen wollen – immer unter der Maßgabe, dass Sie einmal mitregieren. Was tun Sie? Sie sagen: Erst einmal brauchen wir ein Steuerkonzept, das wir umsetzen und das seine Wirkung entfaltet, bevor wir mit Langzeitarbeitslosen im Programm mit immerhin 180 Milliarden Euro weiterarbeiten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der komplette Bundeshaushalt umfasst Einnahmen in Höhe von 330 Milliarden Euro. Sie möchten ein Steuerkonzept, das den Bundeshaushalt um ein Drittel seiner jetzigen Einnahmen erhöht, mit Steuermaßnahmen für Bund, Länder und Kommunen. Herzlichen Glückwunsch zu einer Maßnahme, die, glaube ich, nicht einmal im Ansatz geeignet ist, um auf Kommunen entlastend oder gemeinsam konzeptionell zu wirken. Ich glaube, dass man an dieser Stelle mit einem Steuerversprechen von 120 Milliarden Euro eher Kopfschütteln denn Akzeptanz auslöst.
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Dann sagen Sie: Erst einmal wollen wir noch die Verfassung ändern. – Kann man ja machen. Sie schreiben das natürlich nicht, weil Ihnen wahrscheinlich nicht klar ist, was die Umsetzung von Teilen Ihres Antrages bedeutet. Wenn Sie sagen, Sie wollen ein Vetorecht für die Beiräte vor Ort, dann sagen Sie doch auch: Wir möchten die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland verändern. – Oder sagen Sie: Oh, das haben wir nicht gewusst. So weit soll es dann auch nicht gehen. – Aber beschäftigen Sie sich bitte mit den Sachen, die Sie hier behaupten und die Sie hier festschreiben.
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Dann komme ich zum Kollegen Kober. Das ist ja mal eine ganz heiße Nummer, sich hier als Vertreter der FDP hinzustellen und zu sagen, es wären finstere vier Jahre für Langzeitarbeitslose, die diese Koalition bereithält. Da muss ich sagen: Das ist echt frech.
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Denn in der Amtszeit von Schwarz-Gelb unter Frau von der Leyen als Arbeitsministerin hat es die größten Kürzungen im Bereich des SGB II in der gesamten Geschichte gegeben. Milliarden musste sie streichen, weil der Finanzminister ihr das auferlegte. Und wo hat sie gestrichen? Bei den Schwächsten. Das war Ihre Amtszeit, die Amtszeit von Schwarz-Gelb, die ja Gott sei Dank dann auch endete.
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Aber sich hierhinzustellen und so zu tun, als wären Sie jetzt der Schutzpatron und der Robin Hood der Langzeitarbeitslosen, ist eine ganz große Nummer.
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Ich würde dafür werben, einmal in die eigene Vergangenheit zu schauen, an der Sie ja beteiligt waren, bevor man hier solche Reden schwingt.
Schönes Wochenende.
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Vielen Dank, Kerstin Tack. – Der letzte Redner in dieser Debatte: der hochgeschätzte Dr. Matthias Zimmer für die CDU/CSU-Fraktion.
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Hochgeschätzte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem die Kollegin Tack bereits das Notwendige zur FDP gesagt hat,
({0})
kann ich mich vielleicht darauf beschränken, zunächst einmal einige kritische Anmerkungen zu dem Antrag der Linken zu machen.
Beginnen will ich mit einigen positiven Anmerkungen zu dem Antrag der Linken. Wenn wir eine öffentlich geförderte Beschäftigung fordern, eine Teilhabe am Arbeitsmarkt organisieren, dann sollten wir junge Menschen davon ausnehmen. Das haben Sie in Ihrem Antrag auch richtig vermerkt: Jugendliche bis 25 Jahre sollten von der öffentlich geförderten Beschäftigung ausgeschlossen sein. – Ich frage mich aber manchmal, ob man diese Regelung nicht erweitern sollte. Ich habe auch Bauchschmerzen, bei 26-Jährigen oder bei 30-Jährigen nicht eine Ausbildung, sondern eine öffentlich geförderte Beschäftigung zu veranlassen. Ich glaube, darüber müssen wir einmal gemeinsam nachdenken.
({1})
Dann schreiben Sie in Ihrem Antrag: Die Maßnahmen sollten vorrangig Menschen angeboten werden, die auf dem ersten Arbeitsmarkt kaum noch Chancen haben. Richtig! Wir wollen keine Creaming-Effekte, keine Mitnahmeeffekte, und wir müssen uns sehr viel mehr als bisher um diejenigen kümmern, die fern des ersten Arbeitsmarktes sind und die eine Tagesstruktur brauchen. Für diese Personen ist es ein ganz langer Weg zurück zum regulären ersten Arbeitsmarkt. Deswegen finde ich den Grundansatz richtig.
Gleichzeitig aber verwässern Sie die Perspektive ein wenig, indem Sie das Programm auch für Menschen öffnen wollen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind. Hier sind viele dabei, die auf dem ersten Arbeitsmarkt noch hervorragende Chancen haben. Das lädt zu Mitnahmeeffekten geradezu ein. Im Übrigen sind auch ältere Arbeitslose darunter, die Anspruch auf 18 Monate Arbeitslosengeld haben. Ich will nicht ausschließen, dass das auch eine Zielgruppe für öffentlich geförderte Beschäftigung sein kann; aber wir haben im Moment einen extrem aufnahmefähigen Arbeitsmarkt. Deshalb würde ich persönlich den Fokus hier etwas anders einstellen.
Problematisch finde ich bei Ihrem Antrag die Aussage, es müsste mindestens Mindestlohn gezahlt werden – nicht wegen des Mindestlohns, sondern wegen der 12 Euro. Im Moment liegt der Mindestlohn deutlich darunter. Wenn man einen Mindestlohn von 12 Euro zahlt, dann überholt man damit in einigen Bereichen die Tariflöhne. Man hat also über die öffentlich geförderte Beschäftigung die Tarifautonomie quasi ausgehebelt. Das muss man wollen. Wir wollen es jedenfalls nicht.
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Eine ganz erstaunliche Volte Ihres Antrages, meine Damen und Herren von den Linken, liegt darin, dass sich, wenn man sich Ihre Anträge der letzten Jahre zu diesem Thema ansieht, vieles ähnelt – das ist auch nicht verwunderlich; Textbausteine sind etwas Feines –, eines aber immer ändert, und das ist die Anzahl der zu fördernden Arbeitsplätze, die von Ihnen gefordert wird. Im heute zur Debatte stehenden Antrag sind es 300 000 Arbeitsplätze, im November 2017 waren es 200 000, ebenso im März 2015. Im April 2010 waren es 500 000.
Nun ist seit 2010 die Anzahl der Langzeitarbeitslosen sukzessive und stetig zurückgegangen.
({3})
Man könnte meinen: Jawohl, dem wird auch durch die Tatsache Rechnung getragen, dass die Anzahl der öffentlich geförderten Arbeitsplätze im Forderungskatalog der Linken zurückgeht – bis auf den heute vorliegenden Antrag, in dem sie wieder um 100 000 erhöht worden ist. Daraus schließe ich persönlich: Die Anzahl der Arbeitsplätze, die Sie fordern, hat nichts mit den tatsächlichen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zu tun, sondern ist Funktion anderer Phänomene, vielleicht des inneren Zustands der Linken oder der Frage, ob ein solcher Antrag im Umfeld eines Parteitags gestellt wird. – Das kann man machen, ist aber eher weniger zielführend.
Als erste Bewertung bleibt: Brauchbares und weniger Brauchbares finden sich eng beieinander; eine konzeptionelle Klarheit findet sich eher nicht. Da freue ich mich doch auf unseren Referentenentwurf, der nun in der Ressortabstimmung ist, sodass ich vermute, dass durch real existierende sozialdemokratische Politik, verehrte Frau Kolbe,
({4})
bajuwarische Best Practice und ordnungspolitisches Denken, zu dem die Union fähig ist,
({5})
ein vernünftiger Gesetzentwurf zustande kommt, der dem Struck’schen Gesetz entspricht und den Langzeitarbeitslosen auch hilft.
Herzlichen Dank.
({6})
Vielen Dank, Matthias Zimmer. – Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/2593 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind sicher damit einverstanden. – Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits im März habe ich Ministerin Karliczek hier aufgefordert, Deutschlands Innovationsschwäche anzugehen. Das ist überfällig. Ein Beispiel: Geoffrey Hinton, Godfather der künstlichen Intelligenz, hat Ende 2012 bahnbrechende Forschungsergebnisse vorgestellt – der Durchbruch des Deep Learning. Das BMBF und seine Berater haben damals geschlafen. Der richtige Riecher fehlte, die Sensorik für den Gezeitenwechsel. Anders die USA: Vier Monate später, im März 2013, hat ihre Innovationsagentur DARPA ein mehrjähriges Programm für Machine Learning aufgelegt. Die DARPA – ein heißer Brutkasten der Innovation, gegründet nach dem Sputnikschock. Dieser Game Changer stellt in seinen millionenschweren Wettbewerben schier unlösbare Aufgaben. So entstehen radikale Innovationen und sprunginnovative Prototypen: autonomes Fahren, Spracherkennung, Navigationssystem GPS. DARPA in den USA seit 1958, die Schweizer Innosuisse seit 1943, die schwedische Innovationsagentur Vinnova immerhin seit 17 Jahren – solche Brutkästen für Innovation brauchen wir auch in diesem Land.
({0})
Das glaubt ja leider nicht jeder. Kollege Stephan Albani hat am 22. März hier im Plenum mit christdemokratischer Weitsicht behauptet – ich zitiere –:
Zu … dem Verliebtsein in große Sprünge möchte ich … sagen: Viele Schritte ergeben auch einen Sprung …
Herr Albani, das haben Nokia und Blackberry auch gedacht, als das iPhone mit seinem Touchscreen kam. Erst ungläubig und dann zu langsam.
({1})
Meine Damen und Herren, nach LED und MP3 hat Deutschland keine Sprunginnovation mehr hervorgebracht. Leibniz, Max Planck, Fraunhofer und Helmholtz – über die Jahrzehnte haben wir fette Katzen der evolutionären Innovation gezüchtet.
({2})
Werner von Siemens, Robert Bosch, Bertha Benz – sie würden sich im Grabe umdrehen.
Und Angela Merkel? Sie beichtete vor wenigen Tagen bei „Anne Will“, dass Amerika bei Innovationen vorne liegt und Deutschland weit zurück. Hat die Bundeskanzlerin jemals so eine visionäre Rede gehalten wie John F. Kennedy, der 1962 sagte: „We choose to go to the moon“? Radikale Innovation lebt von den Köpfen, Herzen und Händen, von Feuer und Disziplin, von der Spitzenqualität derer, die das Wagnis packen wollen. Wir brauchen eine deutsche DARPA, die erstens radikale Lösungen herauskitzelt, die zweitens sämtliche Akteure anspornt und die drittens bis in Europa hinein wachstumsfähig ist, aber bitte nicht nur gemeinsam mit Frankreich, sondern zum Beispiel auch mit dem innovationsstarken Schweden.
({3})
Das Allerwichtigste aber ist: Das BMBF darf diese Agentur nicht verwalten.
({4})
Diese Agentur muss leben von unabhängigen Aufsichtsräten, richtungsweisenden Innovatoren, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit kühnen Ideen und wagemutigen Unternehmern. Diese Agentur braucht die 50 besten Projektmanager, die wir weltweit gewinnen können. Das funktioniert aber nicht mit BAT und Stechuhr.
({5})
Diese Agentur braucht einen starken Rücken. Sie darf nicht das Beutestück des Bundesrechnungshofes werden. Diese Agentur braucht an ihrer Spitze schlussendlich einen brillanten Kopf.
Meine Damen und Herren, der Bundestag diskutiert hochemotional über Sozialtransfer, über Rente und über Einwanderung.
({6})
Wir brauchen viel mehr leidenschaftliche Debatten über die Innovationsnation Deutschland, und zwar ab heute.
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Die Uhr tickt!
Es stimmt, dass die Uhr tickt.
({0})
Lassen Sie uns nicht länger kleckern! Lassen Sie uns klotzen!
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Thomas Sattelberger, auch für die Emotionen. – Nächster Redner – ich begrüße ihn ganz besonders –: Andreas Steier für die CDU/CSU-Fraktion, der heute seine erste Rede im Deutschen Bundestag hält.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn ich an Sprunginnovationen denke, dann denke ich zuerst einmal an meinen Wahlkreis Trier. Dort gab es bereits vor 2 000 Jahren neue Technologien. Die Römer hatten dort große Bauwerke vorangetrieben. Ich darf in diesem Zusammenhang die Römerbrücke nennen, die zu neuen Technologien, zum Wissenstransfer, zu neuen Innovationen und auch zu Informationsaustausch geführt hat, Herr Sattelberger. Ich denke dabei aber auch an meinen Beruf. Bevor ich in den Bundestag gekommen bin, war ich 20 Jahre als Diplomingenieur aktiv. Ich habe Innovationen vorangebracht, eigene Patente entwickelt und auch weiterentwickelt.
Hier im Bundestag gilt es jetzt, die Innovationen, die durch die Digitalisierung entstanden sind, weiter voranzutreiben. In der Sache ist viel Tempo; da gebe ich Ihnen recht. Es gibt neue Transformationsprozesse, die wir weiterentwickeln müssen. Wir müssen uns darüber Gedanken machen, wo die Entwicklungen hingehen. In den USA sind große Mengen an Consumerdaten vorrätig. China hat eine Datenethik, die nicht mit unserer übereinstimmt. Das gilt es für uns zu nutzen. In den USA wird 35‑mal mehr Kapital in die Entwicklung künstlicher Intelligenz gesteckt als in Deutschland.
Wir müssen uns aber auch auf unsere Stärken konzentrieren. Deutschland hat Spitzentechnologie. Wir sind ein Land mit klugen Köpfen. Es gibt viele große mittelständische Unternehmen, die Hidden Champions in der Welt sind. Es gilt nun, die Technologien weiterzuentwickeln. Man sollte nicht nur auf die negativen Dinge verweisen, sondern wir sollten den Mut haben, unsere Chancen zu nutzen, und eine Chance, die wir in Deutschland haben, ist die Qualität. Wir können durch Qualität überzeugen. Dadurch haben wir einen Wettbewerbsvorteil. Dies gilt es voranzubringen.
({0})
Grundlage unseres Erfolgs ist die Regierungsarbeit der CDU/CSU seit 2005. Seit 2005 haben wir den Etat im Forschungsbereich mehr als verdoppelt.
({1})
Mit dem Pakt für Forschung und Innovation bewegen wir uns in großen Schritten auf die Marke von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu. Daran wird deutlich, dass in neue Köpfe und neues Wissen in Deutschland investiert wird. Wir haben den Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative und diverse weitere Bund-Länder-Abkommen getroffen, mit denen weiter in den Hochschulbereich investiert wird. Diese Schwerpunktsetzung trägt Früchte, Herr Sattelberger. Beim Max-Planck-Institut kommen über 60 Prozent der neu eingestellten Mitarbeiter aus dem Ausland. Das heißt, Spitzenköpfe aus dem Ausland ziehen nach Deutschland. Deutschland ist ein Spitzenstandort im Bereich Forschung geworden. Jetzt müssen wir gucken: Wie können wir das Wissen weiter vorantreiben? Wie können wir den Transfer hinbekommen?
Die Zahl von 60 Prozent sagt aber auch etwas aus über unseren eigenen Nachwuchs. Und genau darauf bezieht sich meine Kritik an Ihrem Antrag. Sie beschreiben sehr technokratisch, wie eine solche Agentur für radikale Innovation ausgerüstet sein muss. Aber was fehlt, sind exzellente Köpfe aus unserem eigenen Land. Wir müssen dafür sorgen, dass unser Nachwuchs so aufgestellt ist, dass er Spitzentechnologien weiterentwickeln kann.
An dieser Stelle blicke ich in meinen Wahlkreis. Dort gibt es eine Schule, die mitmacht bei der vom BMBF geförderten Initiative „Leistung macht Schule“. Dieses Programm konzentriert sich auf die exzellenten Köpfe in unseren Schulen, die gefunden und gefördert werden müssen. Nur wenn wir auch hier bei uns Spitzenköpfe fördern, sind Sprunginnovationen möglich. Das wiederum ist die Voraussetzung für neue Technologien und Spitzenleistung in der Wirtschaft.
An dieser Stelle darf ich die Ministerin, stellvertretend den anwesenden Staatssekretär, loben: Sie haben den Nachholbedarf erkannt. Die Ministerin hat nicht umsonst eine Agentur für Sprunginnovationen vorgeschlagen. Wir brauchen neue Innovationen, die das Potenzial haben, neue Märkte zu erschließen.
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Ich bin dafür, dass wir hier eine staatlich finanzierte Struktur schaffen, die relativ unabhängig vom Haushaltsrecht mit großer Freiheit Dinge weiterentwickelt.
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Diesen Weg gehen wir in der Koalition und im Ministerium, das ja diese Agentur vorgeschlagen hat. Wir können damit einen Nährboden schaffen für Topinnovationen. Wichtig ist, dass wir ein inhaltlich gutes Konzept ausarbeiten und ausreichend Mittel zur Verfügung stellen.
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Durch diese Agentur können wir einerseits die Bereiche, die wir bei uns bereits sehr gut weiterentwickelt haben, vorantreiben. Wir können damit unsere Stärken im Bereich der Gesundheitstechnologie, im Bereich der Mobilität – wir haben ja führende Automobilhersteller in Deutschland, die auch auf dem Weltmarkt gut platziert sind –, aber auch in anderen Bereichen, zum Beispiel in der Pflege, voranbringen und neue Lösungen finden. Durch einen guten Informationsaustausch können wir auch Grenzen zwischen den Wissenschaftsbereichen überwinden. Da genau setzt unsere Agentur für Sprunginnovationen an. Ich kann die Ministerin nur dafür loben, dass sie diese Dinge vorantreibt, und sie dabei unterstützen.
Wir müssen aber auch daran denken, dass wir die neuen Technologien für die Menschen entwickeln müssen, weil nur wenn wir Dinge für Menschen entwickeln, haben wir die Chance, sie am Markt zu platzieren und wirtschaftlichen Erfolg zu generieren. Wir können dadurch die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands erhalten und gleichzeitig die Akzeptanz der Bevölkerung gewinnen. Das ist notwendig; denn nur durch Akzeptanz können wir das Vertrauen in neue Technologien vorantreiben. Nur so können wir dafür sorgen, dass Ängste verschwinden.
Ich darf noch einmal sagen, dass wir Sprunginnovationen fördern wollen, wie es im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Das BMBF und unsere Ministerin treiben das stark voran.
({5})
Ich freue mich schon auf die weiteren Diskussionen, Herr Sattelberger, im Ausschuss und im Plenarsaal.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Andreas Steier. Gratulation zu Ihrer ersten Rede. Es mögen noch viele gute Reden folgen.
Nächste Rednerin: Nicole Höchst für die AfD-Fraktion.
({0})
Danke, Frau Präsidentin. – Werte Kollegen! Herr Steier, Sie haben mich nicht überzeugt.
({0})
Der Antrag der FDP spricht ein drängendes Problem an; der Kollege Sattelberger hat es dargestellt. Dieses Problem konstatieren wir von der AfD ebenfalls. Wir halten die Lösung desselben für zwingend und dringend geboten, zum Wohle unseres Landes.
Zu viel wissenschaftliches und wirtschaftliches Potenzial wandert aus aus dem Land der Dichter und Denker, Erfinder, Ingenieure und Nobelpreisträger.
({1})
Deutschland droht gar im Bereich der Innovationen langfristig den Anschluss zu verpassen. Warum?
({2})
Einer der Gründe für die Abwanderung aus Deutschland ist sicher, dass sich hier nur schwer oder gar keine Investoren finden lassen. Diese sitzen zum Beispiel im Silicon Valley oder in anderen ausländischen Zentren.
({3})
Was aber ändert sich an diesen Grundvoraussetzungen, wenn wir eine Agentur für radikale Innovation installieren? Zunächst einmal ändert sich gar nichts. Zu denken, dass die Installation einer solchen Einrichtung als Einzelmaßnahme etwas ändert, ist gutmeinendes Traumtanzen oder schlicht grenzenlose Überschätzung dieser Agentur.
({4})
Es ist schlicht zu kurz gedacht, weil es eben auch nicht nur um das Zusammenbringen von Ideen und Kapital gehen kann. In Deutschland müssen die Rahmenbedingungen für Gründungen und Investitionen geändert werden.
Machen wir uns nichts vor: Deutschland ist beinahe ein gründungsfeindliches Land. Ein Teil des Problems ist sicher der Bürokratiedschungel, den wir als Deutscher Bundestag eigentlich dringend einhegen müssten, sodass Innovationen – ja, auch radikale oder Sprunginnovationen – eine Chance haben, sich zu entwickeln. Letztlich entscheidet der Markt über das Wohl und Wehe.
Das hohe Unternehmerrisiko in Deutschland blockiert bereits Innovationen und Investitionen. Neben anderen Regelungen sind beispielsweise das Insolvenzrecht und die Kreditvergabe hohe Hürden, ja, sogar Hindernisse. Solange Insolvenzen inklusive ihrer Schufa-Nachwirkungen bis zu zehn Jahre dauern, wird sich jeder intelligente Mensch zweimal überlegen, ob er dieses Risiko tatsächlich eingeht.
({5})
Die FDP regt an, eine Agentur für radikale Innovation ins Leben zu rufen. Eingebettet in eine Reihe anderer Maßnahmen könnte sie tatsächlich Erfolg versprechen. Es gilt allerdings auch, bei ihrer Konzeption wesentliche Dinge zu beachten. Herr Sattelberger hat gesagt, dass er sich eine Ferne von der Politik wünscht, und diesen Gedanken teilen wir.
Wir reden von Steuergeldern, die aufgewendet werden müssen, und deren Einsatz muss sich für unser Land auch rentieren. Was wir garantiert nicht brauchen, Herr Steier, ist eine weitere Institution, die als eine Art politisch-ideologischer Filter auf den Markt der Ideen und Innovationen richtungsgebend Zugriff nimmt. Das lehnen wir ab.
({6})
Die AfD ist für die größtmögliche Freiheit. Staatliche Regularien sollten auf ein Minimum zurückgefahren und es sollten keine neuen ohne Not geschaffen werden. Wir, die AfD, möchten den Dschungel für Gründer lichten. Wir möchten die Startbedingungen vereinfachen und so verändern, dass die Finanzierung von Start-ups in Deutschland wieder interessant wird. Dazu bedarf es einer ehrlichen Analyse, welche Regularien und Gesetze junge und innovative Gründer hemmen und blockieren.
({7})
Bei der Analyse darf es natürlich nicht bleiben. Es müssen Taten folgen und Rahmenbedingungen verbessert, Wege verkürzt, Risiken minimiert werden. Wir werden womöglich auch gesetzliche Regelungen ändern müssen, um Aufbruchstimmung zu erzeugen.
({8})
Wir begrüßen diesen Antrag ausdrücklich, auch wenn wir Aufbau, Auftrag und Zweck dieser Agentur noch debattieren wollen. Wir begrüßen vor allem den Gedanken der Politikferne einer solchen Agentur.
({9})
Es ist gut, dass im Deutschen Bundestag über Innovation und Zukunft debattiert wird und sich die Kunde darüber in alle Bereiche der Gesellschaft hineinträgt. Diese Debatte ist ein sehr wichtiges Signal. Wir brauchen wieder Mut zu Deutschland und zu der Zukunft unseres Landes. Da sind wir sofort begeistert dabei.
({10})
Wir freuen uns auf die hoffentlich fruchtbaren Beratungen in den Ausschüssen, wo wir von der liberalen und konservativ-liberalen Opposition gerne der Motor sein wollen.
Danke schön.
({11})
Danke schön. – Nächste Rednerin: Dr. Manja Schüle für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Herr Sattelberger, ich bin begeistert und ich freue mich über Ihren Antrag, wirklich wahr.
({0})
Wissen Sie auch, warum ich so ein wohliges und neugieriges Gefühl hatte, als ich den Antrag gelesen habe? Weil ich ihn vor sechs Monaten schon einmal gelesen habe,
({1})
nämlich bei acatech, bei der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften.
({2})
Aus diesem Konzept haben Sie passagenweise wortwörtlich abgeschrieben. Aber das sei Ihnen gestattet. Ich freue mich: Das war eine tolle Idee.
({3})
Eingangs sei mir aber auch die Bemerkung gestattet, lieber Herr Sattelberger – das kam ein bisschen zu kurz –: Deutschland ist kein Lummerland für Innovation und Forschung, sondern Deutschland gehört zu den zehn forschungsintensivsten Volkswirtschaften der Welt. 650 000 Beschäftigte aus Wissenschaft und Forschung garantieren, dass wir beim Anteil weltmarktrelevanter Produkte und Patente gut dastehen und der Umsatz mit Produktinnovationen steigt.
Aber das stellt uns nicht zufrieden – richtig –; denn in unserer Innovationslandschaft fehlen die Sprunginnovationen, also Innovationen, die das Potenzial haben, komplette Dienstleistungen oder Produkte vom Markt zu verdrängen oder durch andere zu ersetzen. Ja, da brauchen wir Rahmenbedingungen für wagemutige Forscher und Entwickler; denn Glühbirnen, MP3 – das haben Sie auch gesagt – oder LED wurden nicht von einsamen Tüftlern erfunden, die plötzlich einen Heureka-Moment hatten,
({4})
sondern durch Kooperationen, Mut und Kreativität.
Weil wir das wissen, haben wir uns im Koalitionsvertrag, anders als Sie es in Ihrem Antrag beschrieben haben, auf neue Instrumente zur Förderung von Sprunginnovationen verständigt. Das wissen Sie, lieber Herr Sattelberger. Darüber haben wir nämlich schon zweimal im Ausschuss gesprochen.
({5})
Ich werde jetzt nicht jede Forderung des acatech-Papiers zitieren, die in Ihrem Antrag steht. Nein, ich habe einmal geguckt, welche Teile Sie nicht übernommen haben oder welche Sie hinzugefügt haben. Da fällt mir auf: Sie wollen eine Agentur mit einer größtmöglichen Distanz zur politischen Steuerung. Sie sagen, dass Scheitern „ein Indikator für Experimentierfreude, Agilität und Innovationsdrang“ ist. Das Ganze garnieren Sie dann ganz hübsch in Ihrem gestrigen Interview, in dem Sie wörtlich sagen:
Vor allem müssen wir die etablierten Kontrolleure in Schach halten. Wir müssen dem Rechnungshof klarmachen: Hier bist du nicht gefragt.
Lieber Herr Sattelberger, bei aller Wertschätzung, der Bundesrechnungshof ist nun wirklich keine Frittenbude, die man als Zaungast außen vorlässt, sondern der Bundesrechnungshof sorgt dafür, dass öffentliche Gelder, also Gelder unserer Steuerzahler, rechtmäßig verwendet werden.
({6})
Lieber Herr Sattelberger, an dieser Stelle kommen wir ganz sicherlich nicht zusammen; denn „Digital first. Bedenken second“, Ihr Wahlkampfslogan, ist nicht die Art von Politik, die mir vorschwebt. Im Übrigen werden Sie mit Ihrer Haltung auch bei acatech keine Freunde finden; denn die Autoren haben klar und deutlich gesagt: Öffentlich finanzierte Einrichtungen sind dem Steuerzahler gegenüber verantwortlich. Wir müssen ein Organisationsmodell finden, das dem Rechnung trägt, was nicht trivial ist.
({7})
– Ja, Herr Sattelberger, Sie kommen gleich dran.
Noch eine Forderung in Ihrem Antrag stößt mir bitter auf. Sie schreiben, private Investoren scheuen das Risiko. Gleichzeitig fordern Sie, dass die Agentur für private Investoren geöffnet wird. Ihrer Logik folgend müsste ich also erst einmal das Risiko minimieren, auf das private Investoren in meine Agentur einzahlen sollen.
({8})
– Nein. – Da frage ich Sie ganz ehrlich: Was machen Sie denn an dem Punkt, an dem die Agentur scheitert? Was machen Sie an dem Punkt, an dem die Agentur Erfolg hat? Wer soll sie denn verwerten, der Markt oder der Staat?
({9})
Ganz ehrlich kann ich nur sagen: Mit uns gibt es eine Vergemeinschaftung des Risikos und eine Privatisierung des Erfolges nicht. Wir werden unternehmerisches Risiko nicht einseitig auf den Steuerzahler abwälzen.
({10})
Sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, macht dann eben doch den Unterschied zwischen einer Fraktion, die in Regierungsverantwortung steht, und einer Fraktion, die aus lauter Angst, falsche Politik zu machen, lieber in die Opposition geht.
({11})
Lieber Herr Sattelberger, ich verspreche Ihnen, mit dem Bundesministerium zusammen und auch mit den Kollegen von den Unionsfraktionen werden wir die Probleme aus dem Weg räumen; denn uns sind dornige Chancen auch nicht ganz unbekannt.
Sehr geehrte Damen und Herren, Martin Stratmann, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft und Mitinitiator dieses Papiers, hat unlängst in einem Interview gesagt: „Wissenschaft lebt von dem Unerwarteten.“ Ihr Antrag, liebe Kollegen von der FDP, ist alles andere als unerwartet. Er ist der sehr erwartbare Versuch, ein Thema für sich zu vereinnahmen, auf das sich die Große Koalition schon längst verständigt
({12})
und an dem auch schon längst intensiv gearbeitet wird.
({13})
Kommen Sie bitte zum Ende.
Wenn Sie, lieber Herr Sattelberger, kritisieren, dass das Ministerium 2012 geschlafen hat, dann muss ich Sie ehrlicherweise fragen: Wer hat denn 2012 regiert?
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Dr. Manja Schüle. – Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke: Dr. Petra Sitte.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Das war schon immer so“, „Das haben wir noch nie so gemacht“ und „Da könnte ja jeder kommen“: alles Sätze, die wir schon einmal gehört haben und bei denen man schon gar keine Lust mehr hat. Uns geht es bei diesem Antrag darum, durchaus darüber nachzudenken, wie mit Innovationen umgegangen werden kann, quasi als Ausdruck kreativer Ideen, außergewöhnlicher Ansätze und unbekannter Wege.
Mit Innovationspolitik – dafür sind wir ja hier zuständig – und flexibler Forschungs- und Technologieförderung können wir sehr wohl Innovationsverlusten entgegensteuern. Ministerin Karliczek – das ist schon gesagt worden – hat unlängst in einem Interview mit dem Wissenschaftsmagazin „Spektrum“ gesagt, dass ungefähr 100 Millionen Euro dafür gedacht sind und dass sie beabsichtigt, eine Agentur für Sprunginnovation einzurichten.
Jetzt hat die FDP einen Antrag zur Gründung einer staatlichen Agentur für Sprunginnovation vorgelegt. Auch okay. Ich muss ehrlich sagen: Ich habe kein Problem damit, dass das ein Remix der acatech-Vorschläge ist. Das gehört ja dann auch ins Haus. Deshalb schreiben sie das auch auf; sie sollen ja Politikberatung machen.
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Beim Lesen habe ich zwar auch manchmal gedacht, das ist „Jugend forscht“ für Erwachsene,
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aber Scherz beiseite. Es soll – ich zitiere – frei von „politischer Steuerung, Einflüssen und Kontrolle“ eine Agentur mit öffentlichen Mitteln gegründet werden, die – ich zitiere weiter – „eine große Freiheit und absolute Flexibilität beim Management ihrer Programme“ erhält.
Durch den Einsatz von vermutlich – es kann ja nicht anders sein – Steuergeldern sollen Innovationen zumindest so weit vorangetrieben werden, dass Wagniskapitalgeber oder eben auch innovative Unternehmen Anreize empfinden nach dem Motto „Das versuchen wir jetzt; das hat einen Stand erreicht, bei dem wir uns einklinken“. Erwartet werden, wie schon gesagt, Innovationssprünge, ganz im Sinne des High Risk – High Gain. Aber das große Risiko wäre für uns nicht das Problem. Wenn allerdings No Gain am Ende steht, müssen wir uns schon fragen – da haben Sie nicht ganz unrecht –: Wie gehen wir mit dem Gewinn um? Wie gehen wir mit dem Verlust um? Gibt es da Lösungen, dass die öffentliche Hand, mithin in Treuhand der Steuerzahlenden, alleinige Trägerin des Risikos wäre?
Dennoch möchte ich die Idee einer Agentur und ihrer Ausgestaltung nicht leichtfertig abtun. Lassen Sie uns über die genaue Ausgestaltung und den Mehrwert für das Gemeinwesen diskutieren. Mithin ist das auch mit der bestehenden Forschungsförderung abzugleichen. Wir haben zum Beispiel den High-Tech Gründerfonds. Wie kann sich das ergänzen?
Schließlich geht es um nicht weniger als um Fragen unserer Innovationskultur. Da finde ich schon, dass wir in diesem Land Nachbesserungsbedarf haben. Aber wollen wir mit öffentlichen Mitteln noch stärker als bisher in das Risiko des Totalverlustes gehen? Das kann uns ja auch bei anderen Förderanträgen und bei nicht eintretenden Förderergebnissen passieren. Und soll der Ertrag dann tatsächlich, wie Sie gesagt haben, vollständig privatisiert werden? Es wäre auch durchaus innovativ, darüber nachzudenken, einen revolvierenden Fonds daraus zu machen, aus dessen Ertrag zukünftig ein bestimmter Prozentsatz wieder in die Agentur zurückfließt, den man dann auch weiter nutzen könnte.
Wir legen Wert darauf, nicht nur zu fragen, was den Leuten gerade einfällt, sondern wir wollen wissen, was für das Gemeinwesen und für die Menschen herauskommt. Da sind für uns beispielsweise auch soziale Innovationen extrem wichtig.
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Kurze Anmerkung zum Vorbild Amerika: Dort wurde das vor allem vor dem Hintergrund der militärischen Nutzung vorangetrieben. Sie schreiben in Ihrem Antrag ausdrücklich, dass die zivile Nutzung im Zentrum stehen soll. Das unterstützen wir natürlich. Dual-Use – darüber sollten wir reden – ist nie auszuschließen. Aber auch darauf müssen wir als öffentliche Geldgeber ein Auge haben.
Insofern sollten wir alle hier über unseren Schatten springen – um im Bild zu bleiben –, und ich freue mich auf eine intensive Beratung im Ausschuss.
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Vielen Dank, Dr. Sitte. – Nächste Rednerin: Dr. Anna Christmann für Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir heute über eine neue Innovationskultur sprechen. Denn egal welche der großen Herausforderungen wir anschauen – die Klimaziele, die Mobilität der Zukunft oder endlich saubere Flüsse und Meere –, wir werden sie nur durch die Umsetzung der besten Ideen bewältigen können.
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Wir sind da in der Analyse ein Stück weit mit Ihnen sehr einig, lieber Herr Sattelberger. Deutschland ist zu langsam, wenn es um bahnbrechende Innovationen geht, die ganze Branchen und Gesellschaftsbereiche grundlegend verändern und unser Leben verbessern können.
Wir sind uns auch einig, dass die Bundesregierung sich bisher wenig ambitioniert zeigt, das zu ändern. Wir finanzieren immer noch Steuerrabatte auf Tierfutter und übrigens auch auf das Hotelgewerbe; aber die nötigen Investitionen in neue Innovationskonzepte fehlen auch in diesem Haushalt. So wird keine Zukunft gestaltet.
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Das gilt erst recht angesichts dessen – das möchte ich heute auch an dieser Stelle sagen –, dass andere Dinge ja plötzlich ganz schnell gehen sollen. Herr Seehofer treibt hier jede Woche eine neue Sau durchs Dorf. Und plötzlich soll es unbedingt viel schneller gehen als in der EU? Aber wenn es um zukunftsentscheidende Themen geht wie die digitale Souveränität und die Erforschung der Technologien, die zum Erhalt unserer sozialen und ökologischen Lebensgrundlagen beitragen, dann ist Ihnen alles zu schwierig. Diese Prioritätensetzung schadet der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.
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Es ist ja gesagt worden: Ministerin Karliczek kündigt stets an, dass da was kommen soll, betont aber gleichzeitig, dass das alles sehr kompliziert sei und man erst einmal ein Konzept erarbeiten müsse. Aber andere Länder machen uns das ja vor: Dort gibt es Agenturen für Innovationen; dort gibt es Stiftungen für Innovationen. Nur in Deutschland soll das nicht möglich sein? Das überzeugt mich nicht. Da erwarte ich von dieser Regierung und insbesondere von der Wissenschaftsministerin einfach mal ein bisschen mehr Mut.
Als Grüne fordern wir daher, bereits in diesem Haushalt Mittel für bahnbrechende Innovationen bereitzustellen. Aber uns sind da durchaus drei Punkte wichtig, die ich in Ihrem Antrag nicht gefunden habe, lieber Herr Sattelberger, oder die Sie auf die lange Bank schieben wollen.
Erstens. Innovationen sind kein Selbstzweck. Sie müssen sich immer am Wohle von Mensch und Umwelt ausrichten, besonders wenn sie mit öffentlichem Geld finanziert werden. Da ist es eben zu wenig, nur auf die DARPA zu verweisen; da gibt es nämlich auch andere Beispiele. Ich war letzten Montag mit meinem Kollegen Dieter Janecek in London. Dort gibt es die Innovationsstiftung NESTA, die gezielt in soziale und ökologische Innovationen investiert. Darauf müssen wir setzen.
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Zweitens. Innovationen machen nicht an der deutschen Grenze halt. Wer es ernst meint, dass bahnbrechende Innovationen eben nicht mehr nur noch aus den USA und aus China kommen sollen, der darf nicht national denken, sondern der muss europäisch denken. Aber genau damit hapert es leider in diesen Tagen bei der Regierung. Das ist ein echtes Trauerspiel, das Sie da gerade in Europa und über Europa aufführen. Dabei brauchen wir für unsere Zukunftsfähigkeit nicht weniger als eine europäische Innovationsunion.
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Drittens und letzter Punkt: Innovationen dürfen auch nicht über die Köpfe der Menschen hinweg entstehen, die von ihnen betroffen sind. Entscheidend sind offene Innovationen im Dialog mit der Gesellschaft. Wir wollen Chancen ergreifen und aber auch Risiken und Ängste offen diskutieren. Nur so können Innovationen am Ende erfolgreich sein.
Insgesamt setzen wir damit als Grüne also auf Innovationen auf der Grundlage der globalen Nachhaltigkeitsziele, europäisch vorangetrieben und im Dialog mit der Gesellschaft. Ich appelliere wirklich an die Bundesregierung, dass sie in all ihrem Chaos die so zentrale Innovationskraft unseres Landes nicht aus dem Blick verliert. Legen Sie bitte endlich los!
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Vielen Dank, Anna Christmann. – Nächster Redner: Mario Mieruch, fraktionslos.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nicht ohne Grund bezeichnet man die USA mit Apple, Google und Co als das Land der Innovationen. Aber der Grund ist nicht, dass dort Behörden oder vom Staatstropf abhängige Wissenschaftler Innovationen entdecken oder effizient fördern, sondern es sind, wie im speziellen Fall von SpaceX, wirklich innovative Firmen, die sich auch einmal was trauen – und das, obwohl anerkannte Wissenschaftler spotten. Im Fall von SpaceX sprach der Astrophysiker Neil de Grasse Tyson von der Unmöglichkeit, dass jemals ein privatwirtschaftliches Unternehmen Fortschritte in der Raumfahrt erzielen könne. Ein paar Monate später landete eine SpaceX-Trägerrakete völlig intakt und senkrecht auf einer schwimmenden Plattform und revolutionierte damit die Raumfahrt nachhaltig.
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– Ja, unter anderem.
Das zeigt: Innovation ist immer so neu, dass sich bis dahin keiner so etwas gedacht hat, dass es sich keiner getraut hat oder dass es bis dahin noch nicht realisiert wurde. Es sind oft solche Unternehmen wie dieses, die zuerst von etablierten Experten verspottet wurden.
Was brauchen wir? Wir brauchen die wirkliche Freiheit von Forschung und Lehre. Wir brauchen die findigen Unternehmer in einem freien Umfeld, die schon oft angesprochenen geringen regulatorischen Hürden. Es wäre stark, wenn auch in Deutschland einmal ein Unternehmen in einer Garage gegründet würde. Wir brauchen darüber hinaus – das ist ein ganz großes Problem – einen Muster- und Bestandsschutz mit sinnvollen Fristen, sodass man, wenn man etwas erfunden hat, wenn man etwas publiziert hat, in einer gewissen Frist die Möglichkeit hat, das Patent anzumelden, damit es hier in Deutschland bleibt und nicht abwandert.
Es braucht aber auch die Ehrlichkeit, zu sagen, dass bis zu 90 Prozent aller Start-ups scheitern. Das ist genauso wichtig wie richtig; denn daraus lernen wir. Unternehmertum bedeutet auch immer, sich einer gewissen Unsicherheit zu stellen. Das Risiko dieser Unsicherheit, wie das jetzt hier erfreulicherweise schon angesprochen wurde, sollte aber nicht der Steuerzahler tragen.
Die Bürokratie, die Steuern und auch die fehlende schulische Vermittlung von Unternehmertum stehen uns da ein bisschen im Weg. Deswegen finde ich den Antrag als Grundlage für die Diskussion ganz gut, sodass wir über Anreizsysteme sprechen können. Der Staat sollte dabei so wenig Einfluss wie möglich haben, am besten keinen. Wir sind sicherlich gut beraten, wenn wir in Deutschland ein zweites Silicon Valley ermöglichen und eben nicht staatlich schaffen.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Mieruch. – Nächster Redner: Norbert Altenkamp für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schön, dass sich hier einmal bei einem Punkt im Kern fast alle einig sind – im Kern! Als neuer Abgeordneter habe ich natürlich besondere Lust, in eine gute Zukunft zu blicken. Was würden wir heute eigentlich tun, wenn es das Internet, GPS oder das Handy nicht geben würde? All das waren bahnbrechende Sprunginnovationen, die unser Leben, unsere Arbeit, unsere Wirtschaft, unsere ganze Gesellschaft buchstäblich umgekrempelt haben.
Der technologische Fortschritt wird auch künftig vor allem durch die Digitalisierung immer weiter beschleunigt. Hier haben aktuell die USA und Asien, besonders China, die Nase vorn; das ist Fakt. Die meisten großen Sprunginnovationen der letzten Jahre kamen aus den USA; aus Deutschland kamen keine – außer vielleicht die MP3-Technologie, die zwar hier erfunden, aber vom Ausland vermarktet wurde. Dabei sind wir als Innovationsstandort nach wie vor Spitze, vor allem bei der Weiterentwicklung von Technologien und der Beherrschung von Systemen.
Klar ist – und das haben uns auch acatech, Max Planck und die EFI-Kommission ins Stammbuch geschrieben –: Schrittweise Verbesserungen reichen nicht mehr aus, wenn wir auch künftig im globalen Innovationswettlauf ganz vorne dabei sein und Wachstum und Wohlstand für unser Land sichern wollen. Wir müssen neue Wege gehen und Sprunginnovationen schneller identifizieren, um neue Märkte zu erschließen und vor allem auch selbst zu erobern.
Sprunginnovationen kann man aber nicht verordnen. Sie entstehen meist zufällig aus der Grundlagenforschung, an Schnittstellen, und oft da, wo es viel Freiraum für Experimente gibt – auch den Raum, zu scheitern. Deshalb kommen so viele Sprunginnovationen aus den USA, die eine andere Risikokultur haben.
Wie bereiten wir also den Boden für mehr Sprunginnovationen in Deutschland? Ich finde, wir fangen nicht bei null an. Gute Ansätze verfolgt das BMBF schon seit 2010 mit der Validierungsförderung. Das VIP-Programm baut eine wichtige Transferbrücke zwischen Forschung und Anwendung. Ohne diese Hilfe wären viele gute Ideen in der Schublade verschwunden; denn für Wissenschaftler und Unternehmen ist es meist zu riskant, frühzeitig alleine die Verwertungschancen auszuloten.
Bei den VIP-Projekten geht es zum Beispiel um radikale Innovationen wie „sprechendes Papier“ oder energiesparende Luftpolsteroberflächen für Schiffe. Ob diese neuen Ideen wirklich praxistauglich sind, wissen wir zwar erst in ein paar Jahren. Aber schon jetzt hat sich die Verwertungskultur an den geförderten Hochschulen und Forschungsinstituten erheblich verbessert. Dieser Mentalitätswechsel ist wichtig.
Aber das VIP-Programm ist klein und reicht nicht, um wirklich große Sprünge zu machen. Unsere Forschungs-AG hat deshalb mitgeholfen, dass neue Instrumente zur Förderung von Sprunginnovationen explizit im Koalitionsvertrag stehen. Ich begrüße sehr, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung jetzt Nägel mit Köpfen macht und wahrscheinlich im Herbst ein Konzept für eine neuartige Agentur für Sprunginnovationen vorstellen will.
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Insofern rennt die FDP mit ihrem Antrag längst offene Türen ein.
Die Vorschläge von acatech sind eine gute Basis für den Aufbau der geplanten Agentur. Ich will nur einige Eckpunkte nennen, die mir wichtig sind.
Die Agentur soll neue Impulse zum Nutzen der Menschen in Zukunftsbereichen wie Mobilität, Gesundheit und Energieeffizienz setzen.
Sie soll als Einstieg Innovationswettbewerbe zu wichtigen Themen ausschreiben und dabei viele unterschiedliche Teilnehmer ansprechen. Das Motto: Bottom-up statt Top-down.
Fachlich versierte Programmmanager sollen interessante Projekte zügig bearbeiten.
Die Agentur soll finanziell und politisch weitgehend unabhängig sein, flexibel reagieren, Risiken eingehen – und bei Projekten auch scheitern dürfen.
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Das Motto: High Risk – High Gain.
Die Agentur soll zusammen mit Wagniskapitalinvestoren Prototypen bis zur Marktreife führen.
Sie soll den Staat unterstützen, mit innovativer Beschaffung neue Technologien zu forcieren.
Um wirklich schlagkräftig zu sein, müssen wir auch bei den Sprunginnovationen unsere Kräfte im Forschungsraum Europa stärken und bündeln. Ganz wichtig auch hier: die enge Zusammenarbeit mit Frankreich. Emmanuel Macron und Angela Merkel haben auf dem letzten EU-Gipfel für eine neue europäische Forschungskultur und mehr Technologiesouveränität geworben. Dabei geht es um künstliche Intelligenz und Quantencomputer, um die Forschungsplattform European Innovation Council und ausdrücklich um die gemeinsame Förderung von Sprunginnovationen, zum Beispiel durch vernetzte Innovationswettbewerbe.
Ich komme zum Schluss. Unser Innovationsstandort lebt von neuen Ideen und neuen Produkten und Verfahren, bei denen wir den anderen immer ein Stück weit voraus sind. Damit das so bleibt, müssen wir künftig konsequent auf neue Chancen setzen. Dafür brauchen wir ein innovationsfreundlicheres Klima, wir brauchen mehr Gründergeist, mehr Wagniskapital und eine steuerliche Forschungsförderung. Dafür brauchen wir auch mehr Raum für Unerwartetes.
Dazu braucht es den Mut von allen Seiten, besonders vom Finanzminister und unseren Haushältern. Ich werbe daher dafür, die Agentur schon im Haushalt 2019 mit den notwendigen Startmitteln auszustatten. Dann können die Steuereinnahmen künftig umso besser fließen.
Ich freue mich sehr, dass wir für diese Ziele, Herr Sattelberger, die FDP mit an Bord haben.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Kollege Altenkamp. – Der letzte Redner in dieser Debatte für die SPD-Fraktion: René Röspel.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die wichtigste Voraussetzung für die Innovationsfähigkeit Deutschlands diskutieren wir heute gar nicht; aber ich will sie einfach einmal betonen. Es ist nämlich unser Auftrag, der jungen, heute schon lebenden Generation die beste Bildung zu geben, die Möglichkeit, kreativ zu sein und einen ordentlichen Arbeitsplatz zu finden. Dann ist eine Teilvoraussetzung unserer Innovationsfähigkeit, unserer wirtschaftlichen Stärke übrigens, erfüllt.
Es war ja auch schon Teil der Analyse heute, dass unsere wirtschaftliche Stärke tatsächlich darin besteht, dass wir viele mittelständische Unternehmen haben, dass wir vor allen Dingen gutausgebildete junge Menschen haben, dass Geselle, Facharbeiter, Meisterin und Ingenieurin miteinander arbeiten. So etwas gibt es in keinem anderen Land der Welt.
Aber die Kritik ist berechtigt: Es gibt eben ein großes Versäumnis oder eine Nachholnotwendigkeit im Bereich der Sprunginnovationen, also sozusagen der bahnbrechenden Innovationen. Deswegen hat die SPD-Bundestagsfraktion schon in der letzten Legislaturperiode eine Innovations-AG gegründet. Wir haben uns auch mit dem Vorschlag der Innovationsagentur für radikale Innovationen befasst und fanden den damals sehr gut und unterstützenswert. Das hat uns auch in die Lage versetzt, sehr gut vorbereitet in die Koalitionsgespräche zu gehen. Wir sind sehr froh, dass im Koalitionsvertrag steht, dass wir zur Hebung und zur Schaffung von Sprunginnovationen neue Instrumente einführen wollen.
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Da gilt – diesen Schlenker zur FDP darf ich mir erlauben – der alte Satz: Besser gut regiert als schlecht in der Opposition vorhanden.
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Wir freuen uns trotzdem über diesen Antrag. Wir freuen uns über die Bestätigung der Expertenkommission Forschung und Innovation, die am Anfang des Jahres die Sinnhaftigkeit einer Agentur für radikale Innovation noch einmal bekräftigt hat.
Es hat auch dazu geführt, – Frau Ministerin Karliczek –, die heute nicht da ist, aber ich begrüße den Staatssekretär –, dass auf dem Innovationsgipfel – dort war es, glaube ich – ausdrücklich gesagt wurde, dass die Bundesregierung eine solche Agentur auf den Weg bringen wird. Das ist ein Erfolg von Koalitionsarbeit. Wir sind nicht nur gespannt, sondern werden die Etablierung dieser Innovationsagentur begleiten.
Ich habe mich auch über den Antrag gefreut. Herr Sattelberger, ich bin sehr froh, dass die FDP einen jungen, dynamischen Innovationspolitiker in ihren Reihen hat, der sich mit dem Thema auskennt und in diesem Bereich sehr engagiert ist.
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Ich will ausdrücklich – Sie sprachen an: zehn Jahre zu spät – sagen, dass es zwischen 2009 und 2013, als diese Fraktion regierungstragend war, vielleicht eines solchen FDP-Abgeordneten bedurft hätte; denn das war innovationspolitisch gesehen die schnarchnasigste Zeit des letzten Jahrzehnts.
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Ich will aber trotzdem zu zwei Punkten in Ihrem Antrag etwas sagen, weil die Zeit für mehr nicht ausreicht.
Der erste Punkt ist: Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass Sie ohne Restriktionen Bewerber für so einen Innovationswettbewerb annehmen wollen, was grundsätzlich sicherlich richtig ist, weil es dazugehört, frei und umfassend zu denken.
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– Möglichst niedrige Barrieren oder Hürden. – Aber Sie schreiben rein, dass das zum Beispiel unabhängig von Rechtsform und Größe geschehen soll. Die Rechtsform ist mir dabei sogar egal, aber bei der Größe, finde ich, muss man genau hinschauen. Ich möchte mit einer solchen Innovationsagentur die Jungen und Hungrigen erreichen, aber nicht VW, BMW oder Ähnliches,
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deren Größe möglicherweise über eine Ausgründung dazu führen könnte, dass sie staatliches Geld über die Innovationsagentur abgreifen. Darüber muss man wirklich noch einmal nachdenken. Ich bitte das BMBF, auszuschließen, dass so etwas kommt.
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Der zweite Punkt ist: Natürlich braucht es Freiheit und Kreativität und möglichst viel Spielraum. Je größer die Freiheit ist, Ideen zu entwickeln, desto mehr Innovationsmöglichkeiten wird man erfassen. Dazu gehört auch, dass das Scheitern möglich ist. Je größer die Freiheit von Innovationsmöglichkeiten ist, desto mehr Scheitern wird es geben.
An dieser Stelle muss man dann eben auch sagen: Das muss gerechtfertigt werden. Aus innovationspolitischer Sicht ist es richtig, das Scheitern zuzulassen. Aber es gibt auch eine andere Sichtweise. Das passt zu einer Diskussion, die AfD und FDP in der letzten Woche geführt haben, nämlich über Steuerverschwendung – Sie können es googeln oder einmal in die Protokolle gucken. Aus einer anderen Sicht wird aus den Projekten, die gescheitert sind, weil wir das zugelassen haben, ganz schnell eine Steuerverschwendung postuliert. Das wäre der Tod eines jeden solchen Innovationssystems.
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Das ist genau der zentrale Punkt. Wir müssen uns gemeinsam klar darüber werden, wie wir das abgrenzen. Das ist die Herausforderung: Scheitern zuzulassen, aber es nicht gleich als Verschwendung von Steuermitteln zu sehen. Ich finde, diese Freiheit müssen wir uns nehmen. Ich bin gespannt auf die weitere Diskussion.
Vielen Dank und schönes Wochenende.
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Vielen Dank, Kollege Röspel. – Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/2671 an den in der Tagesordnung aufgeführten Ausschuss vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland hat sich zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens verpflichtet. Die Festlegung neuer CO 2 -Reduktionsziele für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge ist der Lackmustest, wie ernst es diese Bundesregierung mit dem Klimaschutz meint.
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Die Bundesregierung hat mit dem Klimaschutzplan 2050 beschlossen, im Verkehrssektor bis 2030, also in zwölf Jahren, mindestens 40 Prozent weniger CO 2 im Vergleich zu 1990 zu emittieren. Im Moment steigen aber die CO 2 -Emissionen, die im Verkehr zu zwei Drittel von Autos verursacht werden. Allerdings nicht, wie so oft behauptet, weil jetzt weniger Diesel und mehr Benziner verkauft werden, sondern weil immer mehr schwere, hochmotorisierte SUVs auf den Straßen unterwegs sind.
Die EU-Kommission hat nun vorgeschlagen, dass die durchschnittlichen CO 2 -Emissionen neuer Autos in den Jahren 2025 bzw. 2030 um 15 bzw. 30 Prozent unter den Werten des Jahres 2021 liegen müssen. Der aktuelle Grenzwert lautet 95 Gramm CO 2 pro Kilometer. Dieser gilt aber nicht für jedes einzelne Auto, sondern für die durchschnittlichen CO 2 -Emissionen aller Autos. Bis auf die AfD haben das auch alle verstanden.
Am 25. Juni berät nun der EU-Umweltrat den Vorschlag der Kommission. Bis dahin braucht die Bundesregierung eine abgestimmte Position. Davon ist man aber weit entfernt.
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Die Vernichtung einer europäischen Leitindustrie mache er nicht mit, giftete Andreas Scheuer unlängst in Richtung seiner Ressortkollegin Svenja Schulze im Umweltressort. Diese hatte vorgeschlagen, die CO 2 -Emissionen neuer Pkws und leichter Nutzfahrzeuge bis 2030 um 50 Prozent sinken zu lassen. Auch wenn die Umweltministerin die Autohersteller ambitionierter als die EU-Kommission regulieren will, bleibt es für den Klimaschutz zu wenig.
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Notwendig ist aus unserer Sicht eine Erhöhung der EU-weiten Reduktionsziele auf 45 Prozent im Jahr 2025 sowie auf 75 Prozent im Jahr 2030. Verkehrsminister Scheuer ist ein klimapolitischer Geisterfahrer,
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wenn er behauptet, diese Grenzwerte seien willkürlich politisch-ideologisch motiviert.
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Die Fakten sprechen eine völlig andere Sprache. Würde man dem Vorschlag der Kommission in Brüssel folgen, würden bis 2030 in Deutschland nach mehreren Berechnungen nur 4 Millionen Tonnen CO 2 eingespart; 50 Millionen Tonnen CO 2 müssen aber eingespart werden. Wie diese Lücke geschlossen wird, kann der Minister natürlich nicht beantworten. Der Minister stellt sich mit seiner Position aber nicht nur gegen den Klimaschutz, sondern auch gegen die Verbraucherinnen und Verbraucher. Sinkende CO 2 -Emissionen bedeuten nämlich auch sinkende Kraftstoffverbräuche und damit sinkende Kosten.
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Wer wie die FDP keine neuen CO 2 -Grenzwerte festlegen und den Verkehr in den Emissionshandel aufnehmen will, entlässt die Automobilindustrie aus der klimapolitischen Verantwortung und belastet ausschließlich die Verbraucherinnen und Verbraucher.
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Denn dadurch würden nur die Preise an der Tankstelle steigen, fürs Klima aber nichts getan werden.
Meine Damen und Herren, ambitionierte CO 2 -Grenzwerte sind technologisch machbar, wirtschaftlich vorteilhaft, sie vernichten keine Industrie. Im Gegenteil: Sie wirken als Innovationstreiber, sie sichern der deutschen Automobilindustrie den Vorsprung bei klimafreundlichen Fahrzeugtechnologien, und sie sorgen endlich für den Markthochlauf beim Thema „Elektromobilität“.
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Selbst die EU-Kommission kommt zu der Einschätzung, dass mit besseren CO 2 -Emissionsstandards sowohl Beschäftigung als auch die Wirtschaftskraft in Europa wachsen können.
Meine Damen und Herren, diesen Transformationsprozess müssen wir endlich anschieben. Die Entwicklung in Europa und auch auf den internationalen Märkten wie in China deutet auf ein baldiges Ende des fossilen Verbrennungsmotors hin. Ich erinnere daran: Norwegen will ab 2025 keine Autos mehr zulassen, die nicht emissionsfrei sind, Großbritannien ab 2040 keine Benziner und Dieselfahrzeuge, –
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.
– Frankreich keine Autos, die Treibhausgase ausstoßen.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Meine Damen und Herren, Wertschöpfung sichert man nicht, indem man Trends verschläft.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Als nächstes für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Dr. Anja Weisgerber. Ich weise alle Redner ausdrücklich auf § 35 Absatz 3 der Geschäftsordnung hin.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns ein ehrgeiziges Klimaziel gesetzt. Wir wollen die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Dafür müssen alle Sektoren einen Beitrag leisten, auch der Verkehrssektor; das stellt hier keiner infrage.
Ja, der „Klimaschutzbericht 2017“ zeigt, dass wir keine Punktlandung im Jahr 2020 schaffen werden. Deshalb müssen wir den im Klimaschutzplan aufgezeigten Weg erst recht konsequent weitergehen. Für den Status quo gibt es aber auch Gründe. Wir sind aus der CO 2 -neutralen Kernenergie ausgestiegen – und das ist auch gut so –,
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die Wirtschaft ist gewachsen – was an sich auch eine sehr gute Nachricht ist – und die Bevölkerung hat in den letzten Jahren zugenommen. All diese Faktoren müssen wir doch in einer fairen Betrachtung auch einmal zur Kenntnis nehmen.
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Die Bundesregierung hat 2014, als sie gemerkt hat, dass die Klimaschutzlücke droht, ein „Aktionsprogramm Klimaschutz“ mit über 100 Einzelmaßnahmen aufgelegt. Wir werden intensiv daran arbeiten, die Klimaschutzlücke so schnell wie möglich zu schließen; so steht es auch im Koalitionsvertrag.
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Die Strukturwandelkommission wird Maßnahmen erarbeiten, um die Lücke zum 2020-Ziel so weit wie möglich zu reduzieren. Und wir werden ein Abschlussdatum für die Kohle festlegen. Dann werden wir als Industrieland nicht nur den Ausstieg aus der Kernindustrie abschließen, sondern perspektivisch auch den Ausstieg aus der Kohleenergie schaffen. Das kann man schon als historisch bezeichnen; das gilt es, liebe Opposition, doch auch einmal anzuerkennen.
({3}) – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn ihr was macht, erkennen wir immer auch an!)
Ich betone an dieser Stelle noch einmal, dass alle Sektoren einen angemessenen Beitrag leisten müssen.
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Anders werden wir die Klimaziele nicht erreichen; das gehört ebenfalls zur Wahrheit. Ich denke hier natürlich auch an den Verkehrssektor. Da leistet der Kommissionsvorschlag zu den CO 2 -Grenzwerten für Pkw einen wichtigen Beitrag.
Aber es gibt verschiedene Wege, die zu diesem Ziel führen. Wenn wir die Grenzwerte so stark anziehen, wie es die Grünen im Vergleich zum Kommissionsvorschlag noch einmal viel, viel ambitionierter vorschlagen,
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dann machen wir die Automobilindustrie kaputt, und Zigtausend Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel. Das kann doch nicht der richtige Weg sein, meine Damen und Herren.
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Wir würden uns außerdem ins eigene Fleisch schneiden und uns dadurch die Chance für die Entwicklung von Innovationen und alternativen Antrieben, die wir für die Mobilität der Zukunft brauchen, vergeben. Außerdem – was wollen die Grünen noch? – wollen Sie die Anrechenbarkeit von emissionsarmen und emissionsfreien Fahrzeugen auf die Reduktionsziele eines Herstellers streichen. Aus meiner Sicht ist das genau das falsche Signal. Wir sollten die Entwicklung von Elektroautos, von hybriden Antrieben anreizen und nicht noch unattraktiver machen, indem man die Anrechnung dieser Systeme, dieser Ökoinnovationen streicht. Mit diesem Vorschlag schütten Sie das Kind mit dem Bade aus.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nestle?
Ja, erlaube ich.
Herzlichen Dank. – Also eigentlich haben Sie es nicht ganz so wiedergegeben, wie wir es fordern. Aber das ist auch egal; ich glaube, wir werden uns heute Nachmittag nicht über die verschiedenen Details unterhalten. Ich würde gerne bei der großen Geschichte bleiben. Sie haben erfreulicherweise noch einmal betont: Die Klimaschutzziele gelten.
50 Millionen Tonnen CO 2 müssen wir bis 2030 im Verkehrsbereich einsparen. Der Kommissionsvorschlag sieht 4 Millionen Tonnen vor. Das ist der einzige Vorschlag, der im Moment ein Stück weit auch eine Verantwortung der Autoindustrie vorsieht, während die Verbraucher den ganzen Rest einsparen müssen, indem sie weniger und langsamer Auto fahren. Die Wissenschaft ist sich dazu, glaube ich, relativ einig. Auch deshalb fordert unter anderem der ADAC, also der Verbraucherschutzverband der Autofahrer, deutlich strengere Ziele, als sie die Kommission vorsieht.
Jetzt würde ich Sie gerne fragen, ob Sie dem ADAC und auch uns an dieser Stelle – ohne jetzt über genaue Zahlen zu reden – in der Einschätzung zustimmen, dass im Moment weniger als 10 Prozent der Verantwortung auf dem Weg zur Erreichung der Klimaschutzziele bei der Autoindustrie und mehr als 90 Prozent beim Verbraucher liegen? Stimmen Sie mir zu, dass das die falsche Aufteilung ist? Werden auch Sie sich dafür einsetzen, dass an dieser Stelle nicht nur das Wort der Autoindustrie Gehör findet, sondern die Interessen der Autofahrer auch berücksichtigt werden?
Werte Kollegin Nestle, wir denken auch an die Arbeitsplätze, die damit in Verbindung stehen.
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Wir denken in diesem Zusammenhang daran – das hätte ich in meiner Rede noch angesprochen; deswegen werde ich es nur kurz beantworten –, die Grenzwerte vernünftig und realistisch auszugestalten, sodass – ich sage es jetzt mal so – die Daumenschrauben durchaus angezogen werden, damit die Autoindustrie den Weg in die Zukunft geht. Auch im Hinblick auf die Hybridtechnologie ist dies, denke ich, sehr, sehr wichtig. Aber es bringt letztendlich auch nichts, wenn die Grenzwerte so festgelegt werden, dass sie nicht erreichbar sind und Strafzahlungen drohen und die Arbeitsplätze verloren gehen. Wir sind ein Industriestandort, der auch für die Entwicklung von Umweltinnovationen in diesem Bereich steht, und es bringt uns überhaupt nichts, wenn wir das außer Acht lassen.
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Frau Kollegin, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Beutin?
Nein, ich würde gern mit meiner Rede fortfahren.
Das ist Ihr gutes Recht.
Was die AfD fordert – dass die bestehenden Grenzwerte neu festgelegt und nach unten korrigiert werden –, ist natürlich ebenfalls kein Anreiz für moderne Mobilität, und das kann auch nicht der richtige Weg sein.
Was die FDP in ihrem Antrag fordert, ist meiner Ansicht nach ebenfalls nicht die richtige Richtung. Sie möchten die EU-Grenzwerte perspektivisch abschaffen und nur die Einbeziehung des Verkehrs in den Emissionshandel vorschlagen.
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Dabei frage ich mich allerdings als erfahrene Europapolitikerin, die auch im Europaparlament gearbeitet hat und dort Mitglied war: Wie stellen Sie sich das vor, und wie soll das durchsetzbar sein? Der Emissionshandel deckt im Moment die Energiewirtschaft, die energieintensive Industrie ab.
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Für diesen Bereich ist der Emissionshandel ein wichtiges Leitinstrument, keine Frage, und Kernstück unserer Klimaschutzpolitik. Aber die zeitnahe Einbeziehung des Verkehrssektors auf europäischer Ebene, die man zwar andenken kann, ist derzeit nicht durchsetzbar. Wir haben gerade eine umfassende Reform abgeschlossen. Die Reform des Emissionshandels war durchaus erfolgreich. Der Markt antizipiert dies bereits, indem sich der Preis weiterentwickelt und steigt, aber – ich war gerade in Straßburg und habe mit dem Kollegen aus dem Europäischen Parlament gesprochen – eine weitere Verschärfung oder Ausweitung, nachdem die Reform gerade abgeschlossen war, ist einfach nicht realistisch, das muss man zur Kenntnis nehmen.
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Wir sprechen uns deshalb für ambitionierte, aber realistische Grenzwerte aus. Wie gesagt, man muss die Daumenschrauben so weit anziehen, dass die Automobilindustrie konsequent den Weg in die Mobilität der Zukunft geht. Wie gesagt, war dies im Hinblick auf die Hybridtechnologien in der Vergangenheit nicht in dieser Form der Fall, das muss ich als Klimapolitikerin deutlich sagen. Aber die Werte dürfen nicht unrealistisch und im Ergebnis nicht erreichbar sein. Das ist für uns genau der richtige Weg, und ich bin zuversichtlich, dass sich die Bundesregierung in diese Richtung positioniert und sich in die Verhandlungen in Brüssel einbringen wird. Aber ich sage auch: Dafür ist es wichtig, dass sich die Bundesregierung bald positioniert.
Wir dürfen bei all dem eines nicht vergessen: Die Automobilindustrie ist ein Leitmarkt in Deutschland. Ohne Frage hat sich diese Industrie in der Vergangenheit einiges zuschulden kommen lassen; damit habe ich dies ebenfalls klar angesprochen. Aber wir haben auch eine Verantwortung gegenüber dem Klima sowie den vielen Beschäftigten in dieser Branche.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Weisgerber. – Als Nächster spricht für die AfD-Fraktion der Kollege Dr. Dirk Spaniel.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Am Mittwoch wurde hier von unserer Umweltministerin der Klimaschutzbericht vorgestellt. Dabei wurde ersichtlich, dass die CO 2 -Emissionen im Verkehrssektor wenig bis gar nicht abgenommen haben. Als Begründung wurde verwendet, dass man die CO 2 -Gesetzgebung – insbesondere für Pkw – erheblich verschärfen muss. Das habe ich ja noch alles verstanden.
Der aktuelle Entwurf der EU-Verordnung sieht vor, den Flottenverbrauch, also den Durchschnittswert in Gramm CO 2 pro Kilometer – das habe ich wohl verstanden, Herr Kühn –, drastisch zu reduzieren. Hersteller sind für die Überschreitung dieses Grenzwertes mit Strafzahlungen zu belegen, sagt diese Verordnung.
Neben dem Grenzwert ändert sich ab Herbst dieses Jahres auch das Messverfahren vom Neuen Europäischen Fahrzyklus, NEFZ, zu WLTP. Das ist deshalb wichtig, weil das drastische Änderungen hervorruft. Das Ziel ist es, realistischere Verbrauchswerte zu bekommen. Auch das kann man unterstützen. Ich will Ihnen jetzt aber einmal aufzeigen, was das für Auswirkungen hat.
Ein Opel Astra mit 1,4 Liter Hubraum hat unter NEFZ-Testbedingungen einen CO 2 -Emissionsbeitrag von bis zu 128 Gramm CO 2 pro Kilometer. Bei den neuen Messverfahren hat das gleiche Auto einen Beitrag von 209 Gramm CO 2 pro Kilometer. Wird die EU-Verordnung, so wie sie jetzt ist, ab 2021 umgesetzt und der aktuelle Grenzwert von 95 Gramm CO 2 pro Kilometer angewendet, dann zahlt die Firma Opel, wenn sie nur noch Opel Astras verkauft, für diesen Astra einen Strafbetrag von 10 000 Euro pro Auto.
Es gibt dann zwei Möglichkeiten. Die eine ist, der Hersteller reduziert den Verbrauch durch technischen Fortschritt.
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Um die geforderten Werte für ein Fahrzeug der Kompaktklasse zu erreichen, müssten dann die thermodynamischen Wirkungsgrade ungefähr verdoppelt werden. In Ausschüssen höre ich immer, dass durch diese scharfen Grenzwerte die Innovationskraft gefördert wird und damit die deutsche Autoindustrie gestärkt wird.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nestle?
Ja, erlaube ich. Klar.
Ihre Redezeit wird auch angehalten.
Da Sie gerade auf die Unterschiede im Messverfahren hingewiesen haben, die ja tatsächlich Schwierigkeiten hervorrufen, möchte ich fragen, ob Ihnen auch klar ist, dass in Brüssel derzeit über eine prozentuale Absenkung diskutiert wird, diese Erhöhung also mitnichten dazu beiträgt, dass die Strafzahlungen höher werden.
Ja, das ist mir durchaus bewusst. Vielen Dank, dass Sie das fragen. Für die prozentuale Erhöhung gibt es ja auch schon Zahlenwerte.
Herr Kollege, einen ganz kleinen Moment. – Frau Kollegin Nestle, es wäre angemessen, wenn Sie stehen bleiben würden.
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Das ist mir bewusst. Ich will das kurz inhaltlich ausführen. Es gibt Umweltverbände, die schon eine Vorstellung davon haben, wie weit dieser Wert, der momentan bei 95 Gramm CO 2 pro Kilometer liegt, angehoben werden soll, nämlich auf 100 bis 102 Gramm. Das ist der Vorschlag, der existiert. Das heißt also ganz kurz: Dann liegt der Opel Astra nicht bei 209 Gramm statt 95 Gramm, sondern bei 209 Gramm statt 100 Gramm. Das sind dann nicht 10 000 Euro, sondern vielleicht 9 950 Euro. Ungefähr so sieht die Größenordnung aus.
Ich würde jetzt ganz gerne fortfahren. Also: Die EU fordert de facto nahezu eine Verdoppelung der thermodynamischen Wirkungsgrade in vier Jahren. Das wird leider auch von der CDU unterstützt. Ich drücke mich jetzt einmal vorsichtig aus: Das ist auch mittelfristig extrem unrealistisch.
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Das allein zeigt eigentlich schon, dass wir ein massives Problem mit der Kenntnis naturwissenschaftlicher Grundlagen hier in diesem Bundestag haben.
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Es gibt noch eine zweite Option für die Hersteller, die Grenzwerte zu erfüllen.
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– Stellen Sie eine Frage, dann beantworte ich sie auch. – Der Hersteller verkauft einen nennenswerten Anteil sogenannter emissionsfreier Fahrzeuge. De facto werden das – Stand heute – Elektrofahrzeuge sein. Diese sind aber aufgrund der notwendigen privaten Infrastruktur und der hohen Kosten für Batterien für Geringverdiener oder eine junge Familie nicht finanzierbar. Diesen Leuten machen Sie durch diese Gesetzgebung den Kauf eines günstigen Fahrzeuges unmöglich. Es kommt hinzu, dass der Ersatz von Verbrennungsmotoren durch Batterien die Wertschöpfung von Deutschland nach Asien verschiebt.
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Ich sage einmal ganz bildlich: Einen großen Teil der mittelständischen und kleineren Betriebe in der Drehteile- und Maschinenbauindustrie gibt es mit dem Ende des Verbrennungsmotors nicht mehr – leider.
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Aber es kommt ja noch besser: Ein Elektrofahrzeug erzeugt mit dem deutschen Strommix genauso viel CO 2 wie ein moderner Diesel. Ohne eine funktionierende CO 2 -freie Stromerzeugung sparen Elektrofahrzeuge kein CO 2 .
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Sie verlagern die Emissionen in den Stromerzeugungssektor. Alles, was Sie hier machen, sind Taschenspielertricks.
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Aber darin sind Sie ja große Klasse.
Herrn Scheuer wollen wir heute nicht herbeizitieren,
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Herr Ferlemann ist ja da. Herr Scheuer glänzt ja mit Rückrufaktionen, die sich natürlich nur gegen die deutschen Unternehmen richten. Damit verschleiern wir die Tatsache, dass wir gar keine Diskussion um Fahrverbote hätten, wenn die Regierung in Brüssel dafür gesorgt hätte, dass wir gesundheitlich unbedenkliche und trotzdem erreichbare Luftreinheitsziele verhandelt hätten.
Es reicht eben nicht, utopische Umweltziele zu formulieren. Man muss auch einen funktionierenden Plan haben, wie man diese erreicht.
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Wir können mit diesem komplett sinnlosen Vernichtungsfeldzug gegen unsere Automobilindustrie das Weltklima nicht retten. Wir müssen darüber reden, wie wir eine saubere Umwelt erreichen, ohne den Menschen in diesem Land ihr Auto oder ihren Arbeitsplatz wegzunehmen.
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Kommen Sie bitte zum Schluss.
Die Einführung realistischer und erreichbarer CO 2 -Grenzwerte in der EU, wie von uns gefordert, ist ein erster Schritt. Ich freue mich auf die Diskussion.
Danke.
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Vielen Dank, Herr Dr. Spaniel. – Als Nächstes für die SPD-Fraktion der Kollege Frank Schwabe.
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Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Um einen dramatischen Klimawandel und die dramatischen Auswirkungen zu verhindern oder zumindest einzuhegen,
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haben wir uns vieles vorgenommen, nämlich die Form der Energieerzeugung der Wirtschaft, der Landwirtschaft, des Wohnens, aber auch des Verkehrs zu verändern. Wir müssen den Verkehr auf eine neue Grundlage stellen. Das gilt für alle Bereiche. Es wird nicht funktionieren nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. – Es wird nicht funktionieren,
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die Pariser Klimaziele – es ist gut, dass wir alle die multilateralen Ziele teilen – zu beschwören und am Ende, wenn es konkret wird, vor den tatsächlichen Maßnahmen zurückzuschrecken. Wenn wir bis zum Jahr 2050 auf eine 80- bis 95-prozentige Treibhausgasreduktion kommen wollen, dann brauchen wir am Ende eigentlich einen kompletten Umbau des Verkehrsbereichs. Ich will betonen, das ist nicht die Aufgabe der Umweltministerin – jedenfalls nicht allein –, sondern es ist die Aufgabe des Verkehrsministers, dort seinen Beitrag zu leisten. Deswegen will ich auch betonen, dass wir neben der Kommission, die wir haben, um den Strukturwandel im Energiebereich voranzubringen, eine Verkehrskommission brauchen, die rechtzeitig, bis wir ein Klimaschutzgesetz im Jahr 2019 verabschieden, entsprechende Vorschläge unterbreitet. Wir von der SPD warten darauf, dass Bundesverkehrsminister Scheuer entsprechend liefert.
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Das ist übrigens auch der Rahmen für die Debatte, die wir heute führen, nämlich für die Frage der CO 2 -Grenzwerte von Pkw und kleinen Nutzfahrzeugen in der Europäischen Union. Es müsste eigentlich der Bundesverkehrsminister sein, dem es ein Hauptanliegen ist, für herausfordernde Grenzwerte jenseits des bisherigen Vorschlags der EU-Kommission zu sorgen, weil es ein System der kommunizierenden Röhren gibt. Das soll heißen: Alles, was wir europäisch nicht erreichen, werden wir hinterher national erreichen müssen. Hier reden wir über Maßnahmen wie Tempolimits, Dienstwagenprivileg, Steuern und Abgaben und Ähnliches. Das alles sind keine leichten Debatten.
Der Vorschlag der EU-Kommission würde nicht einmal 10 Prozent der 50 Millionen Tonnen bringen, die wir national bis zum Jahr 2030 einzusparen haben.
Herr Kollege Schwabe, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beutin?
Ja.
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Vielen Dank, lieber Kollege Schwabe. – Aus Sicht der Linken sind insbesondere die Versäumnisse im Verkehrssektor relevant dafür, dass die Bundesregierung die Klimaschutzziele 2020 krachend verfehlt. Vor diesem Hintergrund wurde in der Regierungsbefragung am Mittwoch zu diesem Thema nachgefragt. Der Kollege Staatssekretär Steffen Bilger aus dem Verkehrsministerium hat gesagt – ich zitiere wörtlich –:
Auch die Elektromobilität will ich hier nennen, bei der wir auch wirklich vorankommen. Zum Beispiel hatten sich viele schon von dem Ziel, bis 2020 1 Million Elektrofahrzeuge auf unseren Straßen zu haben, verabschiedet mit der Begründung, es sei nicht erreichbar. Mittlerweile ist selbst dieses Ziel in greifbare Nähe gerückt.
Vor diesem Hintergrund frage ich: Erstens. Teilen Sie angesichts von 50 000 Elektrofahrzeugen auf unseren Straßen die Einschätzung, dass das Ziel von 1 Million Elektrofahrzeuge bis 2020 realistisch und in greifbarer Nähe ist?
Zweitens. Wenn nein, haben Sie sich von diesem Ziel verabschiedet?
Erstens. Ich teile die Einschätzung, dass es sehr schwierig wird – Sie haben ja die Zahlen genannt –, das Ziel zu erreichen.
Zweitens sind wir in der Tat dabei, uns klarzumachen, dass viele der Ziele, die wir uns im Bereich des Klimaschutzes gesteckt haben, nicht erreicht werden. Wir sind aber trotzdem dabei, alles zu versuchen – ich habe ja gesagt, es gibt eine Kommission für den Bereich der Energiewende und der Energiepolitik –, um den Zielen möglichst nahe zu kommen. Ich denke, das ist auch die Aufgabe, die wir haben.
Ich bin mir ziemlich sicher – das haben wir auch im Koalitionsvertrag vereinbart –, dass wir die Ziele, die wir haben, zukünftig gesetzlich fixieren müssen, mit klaren, überprüfbaren Schritten und am Ende auch mit der Selbstverpflichtung, Strafen in Kauf zu nehmen, wenn wir die Ziele nicht erreichen. Wir brauchen ein Klimaschutzgesetz, um jedenfalls in Zukunft die Ziele, die wir uns gegeben haben, auch vollständig zu erreichen. In der Zwischenzeit ist es unsere Aufgabe, alles zu tun, um den Zielsetzungen so nah wie möglich zu kommen.
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Ich will es noch mal sagen: Wir reden hier über kommunizierende Röhren. Der Vorschlag der EU-Kommission würde nicht mal 10 Prozent der 50 Millionen Tonnen bringen, die wir national bis 2030 einzusparen haben. Wenn man ganz genau hinhört, dann merkt man: Es sind nicht nur die Umwelt- und Verbraucherschutzverbände – der ADAC und andere –, die Spielräume sehen; eigentlich sieht auch die Automobilindustrie noch den einen oder anderen Spielraum, um den Zielen, die die Kommission vorgeschlagen hat, näher zu kommen und die Umsetzung nach vorne zu bringen.
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Insofern will ich sagen, dass die Umweltministerin jedenfalls unsere volle Unterstützung auf diesem Weg hat.
Ich glaube, eine Lehre hat die deutsche Öffentlichkeit – das kann man parteiübergreifend so sagen – aus den Skandalen der Automobilwirtschaft in den letzten Monaten und Jahren gezogen: Die Konzerne allein sind nicht in der Lage und nicht willens, den Umbau, der notwendig ist, voranzutreiben, sondern sie brauchen klare politische Vorgaben, im Übrigen keine Schlupflöcher wie die von der FDP vorgeschlagene Einbeziehung des Verkehrs in den Emissionshandel, weil das – wie man weiß, wenn man sich mit den Fachleuten unterhält – unterm Strich heißen würde, dass in dem Bereich eigentlich gar nichts passiert. Sie brauchen klare Vorgaben, die herausfordernd sind.
Was wir als SPD nicht wollen, sind Strukturbrüche, die zu hohen Arbeitsplatzverlusten oder gar zum Verlust ganzer Konzerne führen. Deshalb unterstützen wir die Forderung der sozialdemokratischen Abgeordneten im Europaparlament, die sich für eine aktive Industriepolitik mithilfe eines Umstrukturierungsfonds einsetzen. Es ist unsere Aufgabe, die Automobilindustrie am Ende komplett umzuwandeln – zu Konzernen, die Mobilität so organisieren, dass sie nachhaltig, klimagerecht und zukunftsgerecht ist. Ich glaube, das ist die richtige Initiative im Sinne des Klimaschutzes, aber auch im Sinne der Konzerne. Am Ende ist das der beste Schutz von Arbeitsplätzen, von Wertschöpfung in diesem Land.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Schwabe. – Als Nächstes für die FDP-Fraktion der Kollege Dr. Lukas Köhler.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem aktuellen Klimaschutzbericht hat die Bundesregierung bewiesen, wie krachend ihre Klimapolitik gescheitert ist. Insbesondere im Verkehrssektor zeigt sich ihr Unvermögen, den CO 2 -Ausstoß zu reduzieren.
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Die immer neuen CO 2 -Grenzwerte sind aber nicht die Lösung dafür, sie sind Teil des Problems. Wir müssen sie abschaffen und stattdessen dafür sorgen, dass wir den Emissionshandel in den Verkehr überführen. Ziel muss es doch sein, bei der CO 2 -Reduktion insgesamt voranzukommen. Es ist deshalb überfällig, dass wir im Verkehrssektor die richtigen Maßnahmen wählen, statt die falschen dauernd fortzuschreiben. Liebe Frau Weisgerber, wir haben im Februar einen Antrag eingebracht, den ich Ihnen gerne noch mal schicke, in dem exakt beschrieben wird, wie wir es zeitlich sinnvoll und anständig umgesetzt hinbekommen, auch den Verkehrssektor in das ETS zu überführen.
Seit 2009 versuchen wir in Europa, des CO 2 -Ausstoßes auf der Straße durch immer strengere Normen Herr zu werden. Die Ziele wurden trotzdem verfehlt. Auch jetzt schlägt die Kommission wieder eine Verschärfung der Flottengrenzwerte vor. Der Umweltministerin und den Grünen geht das – wie üblich – nicht weit genug. Aber statt stupide und reflexhaft immer wieder am selben Rädchen zu drehen, sollte man sich die Bilanz der bisherigen Strategie vor Augen führen. Täten Sie das, müssten Sie eigentlich ernüchtert und erschüttert zurückbleiben.
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Trotz immer strengerer Grenzwerte steigt der CO 2 -Ausstoß im Verkehrssektor seit 2010 wieder an. Er lag 2016 3 Millionen Tonnen über dem Wert von 1990. Der Trend ist also eindeutig, und er geht eindeutig in die falsche Richtung.
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Warum ist das so? Weil Sie in Ihrem Tunnelblick stets nur die Flotten der Hersteller betrachten. An welcher Stelle wir CO 2 einsparen, ist dem Klima herzlich egal. Wir sollten CO 2 am besten dort vermeiden, wo es am einfachsten und günstigsten funktioniert. Aber statt das große Ganze in den Blick zu nehmen und über die Alternativen nachzudenken, bieten Sie uns wieder nur „Mehr vom Gleichen“, dem ideenlosen Zwilling des Merkel’schen Weiter-so.
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Meine Damen und Herren, wenn die Medizin nicht wirkt, hilft es nicht, ständig die Dosen zu erhöhen. Wenn ein Medikament nicht anschlägt, ist es an der Zeit, über eine vollkommen andere Therapie nachzudenken. Wir brauchen neue, treffsichere und marktwirtschaftliche Instrumente. Wir müssen den Gesamtausstoß in den Fokus nehmen, statt krampfhaft auf die Fahrzeugflotten zu starren.
Herr Kollege Dr. Köhler, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus den Reihen der Grünen?
Gerne.
Lieber Herr Köhler, ist Ihnen bekannt, dass durch wirklich ambitionierte Grenzwerte bis zu 20 Millionen Tonnen der benötigten 50 Millionen Tonnen, die wir bis 2030 einsparen müssen, eingespart werden könnten? Mit welcher Maßnahme wollen Sie denn die gleiche Menge erreichen? Das würde mich interessieren.
Frau Badum, vielen Dank für die Frage. – Es ist mir durchaus bekannt, dass es Prognosen gibt, aus denen hervorgeht, dass man das hinbekommen sollte. Mir ist auch bekannt, dass es 2009 ähnliche Prognosen gab. Das Resultat kennen Sie: Wir haben es nicht hinbekommen, den Rebound-Effekt zu verhindern. Die Verbrauchseinsparungen werden nämlich dadurch aufgehoben, dass mehr Kilometer gefahren werden. Es wird zwar pro Kilometer weniger Sprit verbraucht, aber da mehr Kilometer gefahren werden, haben wir es nicht hinbekommen, in diesem Bereich CO 2 einzusparen. 2009 wurde etwas anderes prognostiziert. Sie haben jetzt gleichlautende Prognosen vorgelegt. Ich sehe nicht, dass das irgendetwas bringen würde. Deswegen schlagen wir vor, für Reduzierungen in der Form zu sorgen, wie wir es erfolgreich in der Energiepolitik und in der Industriepolitik tun, nämlich über das ETS reduzieren.
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Ein solches Emissionshandelssystem bezöge auch den Bestand alter Fahrzeuge, nicht nur die neuen, also alle Emittenten, mit ein. Wenn mit Regelungen für Neuwagen überhaupt etwas erreicht wird, dann handelt es sich um Auswirkungen, für die man den Blick weit in die Zukunft richten muss. Darauf, meine Damen und Herren, wie wir bis 2030 mit dem Pariser Klimaschutzabkommen überhaupt umgehen wollen, haben Sie noch keine Antwort gegeben.
Im Emissionshandel dagegen würden Einsparungen aus einem geringeren Spritverbrauch auch nicht durch ein erhöhtes Verkehrsaufkommen aufgewogen. Im Moment führt das aber schlicht dazu, dass mehr gefahren wird. Das, liebe Grüne, nennt man den Rebound-Effekt, mit dem man genau das Gegenteil von dem erreicht, was Sie eigentlich erreichen wollen.
Mit unserem Ansatz erreichen wir die Ziele, die wir uns vorgenommen haben. Statt durch die kalte Küche der Flottenstandards das Ende des Verbrennungsmotors herbeizuführen, sollten Sie sich, liebe Regierung, für Technologieoffenheit und eine tatsächliche Reduktion der gesamten CO 2 -Menge einsetzen. Lassen Sie uns also neu denken und endlich Abstand nehmen von kleinteiliger Regulierung. Ziel muss die Reduktion des Gesamtausstoßes von CO 2 sein. Zerschlagen wir diesen gordischen Knoten, statt an alten wirkungslosen Rezepten festzuhalten. Schaffen wir die Flottengrenzwerte ab, weiten stattdessen den Emissionshandel auf den Verkehr aus und tun damit endlich was, das wirklich dem Klima nützt.
Vielen lieben Dank.
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Vielen Dank, Herr Dr. Köhler. – Als Nächstes für die Fraktion Die Linke die Kollegin Ingrid Remmers.
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Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Wenn wir es nicht schaffen, die Klimaerhitzung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen,
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werden die Folgen – ja – dramatisch und unumkehrbar sein. Wir bekommen eine Zunahme von Extremwetter; da sind die Unwetter der letzten Wochen nur das Vorspiel. Deshalb müssen die Bundesregierung und die Autoindustrie endlich umsteuern.
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Das gesamte bisherige Geschäftsmodell der Autoindustrie – unbelehrbares Festhalten am Verbrennungsmotor, immer mehr Fahrzeuge, für die in den Städten schon gar kein Platz mehr ist, und immer größere und schwerere Fahrzeuge mit immensem Spritverbrauch – ist durch die fortschreitende Klimaerhitzung völlig infrage gestellt.
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Der Verkehr ist der einzige Bereich, in dem der Ausstoß von Klimagasen immer weiter ansteigt; wir haben es heute schon gehört. Die heutige Produktion von Autos – Stichwort SUVs – und die Verkehrsmittel des Welthandels – Lkws und Schiffe – sind alles andere als nachhaltig. Um zumindest die Autos weniger klimaschädlich zu machen, müssen sie leichter, verbrauchsärmer und – ja, auch das – weniger werden.
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Diesen Impuls muss die Politik endlich setzen und die notwendige Transformation der Autoindustrie anstoßen, solange die Autoindustrie selber die offensichtlichen Entwicklungen weiter ignoriert.
Die europäischen CO 2 -Grenzwerte sind das zentrale Instrument, um den Verbrauch der Fahrzeuge zu verringern. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass die Vorgaben den tatsächlichen Bedarf abdecken, also eigentlich noch erhöht werden müssen.
Dass neue Autos verbrauchsarm sind, ist selbst für CO 2 -arme Antriebe wichtig. Je leichter und verbrauchsärmer das Fahrzeug, desto leichter ist der Übergang zu CO 2 -freien Antrieben. Bei der Elektromobilität – wir haben es eben schon ansatzweise gehört – kann dann beispielsweise die Batterie viel kleiner ausfallen. Das heißt, auch der größte Kostenfaktor bei einer Umstellung wird dadurch preisgünstiger.
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Aber was nützen die besten Grenzwerte, wenn sie durch Betrügereien und Manipulationen auf den Prüfständen umgangen werden? Auch bei den CO 2 -Werten klafft ja ein ganzer Abgrund zwischen Messung und Wirklichkeit: ganze 40 Prozent Abweichung. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher – das haben wir eben schon vom Kollegen Kühn gehört – sind aber verlässliche Angaben zum Schadstoffausstoß wichtig. Sie sind es, die die Zeche für die Manipulationen der Autokonzerne aktuell zahlen müssen; wir erleben das gerade. Eine Verminderung des Ausstoßes von Klimagasen macht sich auch in deren Portemonnaie bemerkbar.
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Starke Klimaziele sind also auch im Interesse der Verbraucher. Dazu braucht es aber mehr Transparenz. Die CO 2 -Zahlen aus den Messungen unter realen Fahrbedingungen müssen veröffentlicht werden. Nur so können sich die Autokäufer orientieren und richtig informiert Entscheidungen treffen.
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Übrigens sind gerade Menschen mit geringem Einkommen auf billigen Wohnraum angewiesen. Und wo finden sie diesen Wohnraum in den Städten heute noch? An lauten und luftverpesteten Straßen.
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Aber auch diese Menschen haben einen Anspruch darauf, kostengünstig mobil sein zu können und kostengünstig wohnen zu können, und das unter gesunden Bedingungen.
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Die Linke fordert daher unter anderem einen breiten Ausbau des ÖPNV zum Nulltarif und einen starken Ausbau für den Rad- und Fußverkehr sowie gute Lösungen für die Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs in den Städten.
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Die Bundesregierung muss die Städte und Gemeinden beim Umbau im Zuge der Verkehrswende zugunsten dieses Umweltverbundes unterstützen, und sie muss endlich eine effektive Kontrolle der Autoindustrie gewährleisten, damit die europäischen Grenzwerte eingehalten werden. So sichert man Arbeitsplätze!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Herzlichen Dank, Frau Kollegin Remmers. – Als Nächstes der fraktionslose Abgeordnete Mario Mieruch.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das ist eine spannende Diskussion. Es ist völlig unstrittig, dass wir mit unserem Planeten sorgsam umgehen müssen. Ich stimme den Grünen zu – das werden sie jetzt nicht erwarten –:
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Wir haben nur diesen einen Planeten. – Die Aussage ist absolut richtig. Aber bei allem, was wir in dieser ganzen Diskussion tun, bedarf es Objektivität und Sachlichkeit. Die zu treffenden Maßnahmen sind immer in einem umfassenden Kontext zu betrachten.
In der Debatte vorhin – das war ganz spannend – wurde ein Redner gefragt, ob er glaubt, dass 0,000x Prozent von dem, worum es gerade ging, Einfluss haben. Man könnte jetzt natürlich genauso gut die Frage stellen: Glauben Sie denn wirklich, dass der deutsche CO 2 -Anteil von 0,0000047 Prozent weltweit relevanten Einfluss hat?
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Diesen Wert muss man noch durch fünf dividieren, damit man auf die eigentlichen Verkehrsemissionen kommt. Damit stelle ich überhaupt nicht infrage – ich sage das, bevor das Geschrei wieder losgeht –, dass wir etwas tun müssen und auch etwas tun wollen. Ich will nur die Gesamtzusammenhänge darstellen.
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In diesen ganzen Diskussionen fehlen die Dieselloks, die teilweise noch mit 20 Jahre alter Abgastechnologie unterwegs sind, es fehlen der Schiffsverkehr, der Flugverkehr und die ganzen anderen Quellen.
Würde man den Bürgern gegenüber ehrlich sein, könnte man diese ganze Diskussion über die Reduzierung von Grenzwerten oder die Einführung einer CO 2 -Umlage recht leicht zusammenfassen: Der technologische Wandel hin zu alternativen Antriebskonzepten geht einigen nicht schnell genug – das ist okay –; der Bedarf des Marktes spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle – das ist weniger okay –; aber auf jeden Fall muss sichergestellt werden, dass auch nach Wegfall von Mineralöl- und Ökosteuer neue Einnahmeformen für den Staat und die treibende Lobby generiert werden; denn zahlen muss der Bürger immer, egal wie.
Ich finde es witzig, dass in diesem Zusammenhang jetzt darüber gejammert wird, dass die CO 2 -Ziele nicht eingehalten werden und man den Bürgern Vorgaben machen möchte, was sie alles zu kaufen haben. Ich habe die Regierung mal gefragt, was für Antriebskonzepte sie aktuell einsetzt hinsichtlich alternativer Energien und hinsichtlich Verbrennungstechnologie. Ich habe nach den Verhältnissen gefragt, in denen solche Formen zum Gesamtbestand stehen, und danach, wie viel die Fahrzeuge verbrauchen. Die Antwort ist: Wir können es nicht sagen. – Da stelle ich mir die Frage: Kann man es wirklich nicht sagen, oder will man es nicht sagen, weil es in der Realität vielleicht doch nicht ganz so positiv aussieht?
Vorhin ist ja auch wieder reichlich über Grenzwerte und tatsächliche Emissionen diskutiert worden. In diesem Zusammenhang: Wie sieht es denn mit den regenerativen Energien in den ganzen Studien aus? Ist das, was sie demzufolge ausstoßen, unter Idealbedingungen angenommen, wie es die Automobilindustrie auch immer macht?
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Oder hat man reale Bedingungen angenommen? Und hat man die Ergebnisse nach unten korrigiert, gerundet oder nach oben entsprechend angepasst?
Sie haben jetzt noch einen Satz, Herr Kollege.
Wir brauchen sinnvolle, faire, objektive Technologiemix-Konzepte, basierend auf allgemein – –
Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade das Wort entzogen, wie § 35 Absatz 3 der Geschäftsordnung das nahelegt. Es tut mir leid, aber Sie waren schon eine Minute über Ihrer Redezeit.
Als nächster Redner der Kollege Jens Koeppen von der CDU/CSU.
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Verkehrsbereich sind Ressourceneffizienz, die Minderung von Abgasen und CO 2 -Optimierungen immer ein Thema und werden seither leidenschaftlich diskutiert, und zu Recht. In diesem Bereich gibt es ein großes Einsparpotenzial. Seither engagieren sich auch Ingenieure, Techniker, Wissenschaftler, das Handwerk, die Industrie, aber auch die Politik bei diesen Themen. Seit jeher gibt es aber auch einen Überbietungswettbewerb in Bezug auf Regeln, die Festlegung von Grenzwerten und die Steuerungsmechanismen.
Auch in dieser Debatte sieht man, wie viele Dokumente es gibt. Man weiß nicht genau, welche Zahlen für uns aktuell sind und welche Dokumente gelten.
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Wir haben zum einen den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen mit sehr ambitionierten Zielen, aber auch mit einer deutlichen Mikrosteuerung, die wirklich in die einzelnen Details geht. Da haben wir den Kommissionsvorschlag aus Brüssel zu den Minderungsvorgaben. Dann haben wir den Klimaschutzplan unserer Bundesregierung, der bereits die Pariser Klimaschutzziele beinhaltet. Und dann gibt es zurzeit ein Papier, das nicht hier, sondern in der Öffentlichkeit die Runde macht und in dem das Umweltministerium die Mikrosteuerung noch einmal drastisch verschärft und die Ziele gegenüber den ambitionierten im Kommissionsentwurf ganz schnell einfach verdoppelt.
Das ist aus der Sicht der einzelnen Autoren durchaus verständlich. Wenn wir uns Ziele aber setzen – das wurde heute ja schon mehrfach angesprochen –, dann müssen sie auch realistisch, müssen sie erfüllbar sein. Es macht nämlich überhaupt gar keinen Sinn, wenn man jedes Mal mit Beharrlichkeit versucht, sowohl Physik als auch den Stand von Wissenschaft und Technik sowie die Wirtschaftlichkeit völlig auszublenden. Deswegen bin ich Wirtschaftsminister Altmaier sehr dankbar, der am Mittwoch im Wirtschaftsausschuss gesagt hat: Wir brauchen durchaus ambitionierte Ziele, aber diese müssen auch realistisch und umsetzbar sein.
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Wir haben in der Tat einen sehr ambitionierten Klimaschutzplan 2050 erarbeitet. Auf dessen Basis soll und darf die Bundesregierung in Brüssel verhandeln. Ich sage Ihnen: Ideologische Non-Paper aus den Amtsstuben, in denen der Sachverstand teilweise fehlt, sind bei den Verhandlungen in Brüssel völlig fehl am Platze.
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Wir haben im Verkehrsbereich in den letzten Jahren mit Blick auf die Reduktionsziele respektable Verbesserungen erreicht.
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– Ja, das ist so. – Denn der spezifische Endenergieverbrauch ist im Vergleich zu 2005 um 10 Prozent zurückgegangen; es wurde heute schon darauf hingewiesen. Durch die zunehmende Mobilität, Herr Kühn, durch die Ausweitung des Pendlerverhaltens usw. ist allerdings dieser Emissionsrückgang in realen Zahlen nicht mehr messbar. Sie können es den Bürgern aber nicht verwehren, zu ihrer Arbeit zu pendeln, wenn sie dies müssen. Ich sage also: Wir müssen was tun.
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Aber davon, dass man die Maßnahmen der Automobilindustrie zur Erreichung ihrer Ziele als Nichtstun bezeichnen müsste, wie Sie es in Ihrem Antrag tun, kann überhaupt nicht die Rede sein.
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Bis zum Jahre 2020 will die deutsche Automobilindustrie zum Beispiel alternative Antriebe mit 40 Milliarden Euro unterstützen und entsprechend investieren sowie das Modellangebot in diesem Bereich um weitere 100 Modelle erweitern. Ich denke, das kann man mit Respekt entgegennehmen.
Was kann nun die Politik tun? Die Politik muss in der Tat gute Rahmenbedingungen setzen und in die Infrastruktur investieren. Da ist einiges passiert. Möglicherweise sind das erste Schritte: 300 Millionen Euro für den Ausbau der Ladeinfrastruktur, dann die Kaufprämie für Elektrofahrzeuge, steuerliche Förderung der Elektromobilität, das Carsharinggesetz, Forschungsförderung und, und, und. Hier braucht es in der Tat weitere Anstrengungen. Aber dabei muss es sich um mehr handeln als nur um Zahlen und nicht erfüllbare Wunschzettel; denn das A und O ist die Technologieoffenheit. Die Entwicklung muss offen gestaltet werden; denn das Ziel ist entscheidend und nicht der Weg dahin.
Wir müssen weiterhin investieren und forschen: bei synthetischen Kraftstoffen, bei den Wasserstoffantrieben, bei der Verbesserung der Verbrennungsmotoren, bei intelligenten Leitsystemen, bei Digitalisierung, ÖPNV, Schiene und Carsharing. In Ihrem Antrag wird allerdings wieder einmal ein Weltbild von Bevormundung, Verboten und unerfüllbaren Zielen gezeichnet. Das ist nicht meine Vorstellung von moderner, technologieoffener Verkehrspolitik.
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Auch wenn der SUV und die Premiumklasse für Sie immer noch die Blechwerdung des Bösen ist und Sie das verteufeln, wird es diese Fahrzeuge trotzdem geben. Der Markt ist offen. Selbst wenn Sie diese Fahrzeuge verbieten, wird es sie geben. Wie wollen Sie das denn verhindern?
Glauben Sie denn wirklich, dass mit der Verteufelung einzelner Technologien deren Ausschluss Wirklichkeit wird? Ist es dann nicht besser, wenn wir die Emissionen im Verkehrsbereich mit der Industrie, mit den Technikern, mit den Wissenschaftlern reduzieren, und zwar mit Marktanreizen? Ist es nicht besser, Partner der Branche zu sein, statt ihr immer wieder feindlich gegenüberzutreten? Ist es nicht besser, die Gestaltung der Produktpalette den Herstellern zu überlassen, um das Ziel über Kundenwünsche und Anreize für alternative Antriebe zu erreichen?
Mein Fazit: Solange wir ambitionierte, aber realistische Ziele erreichen werden, sollte das unser Weg sein. Dann haben Sie uns auf Ihrer Seite.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege Koeppen. – Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege Arno Klare für die SPD das Wort.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang drei Zahlen: 162, 166 und 171; es handelt sich um Millionen Tonnen CO 2 . An alle, die das gesagt haben – es stimmt leider –: Das ist eine aufsteigende Reihe beim CO 2 -Ausstoß im Zeitraum von 2015 bis 2017. Insofern muss der Verkehr hier etwas leisten. Er hat auch schon etwas geleistet; denn die Effizienz – das ist auch gerade schon erwähnt worden – ist durchaus verbessert worden. Allerdings steigt die Verkehrsleistung in Form von Personenkilometern und Tonnenkilometern dramatisch an. Insofern arbeitet das dem entgegen.
Es gibt zwei Dimensionen des Denkens, wie man das ändern kann: zum einen, indem man die Effizienz immer weiter erhöht. Aber es gibt zum anderen natürlich auch treibhausgasreduzierende Innovationen, die gleichzeitig eine industriepolitische Dimension enthalten. Dazu werde ich gleich ein paar Stichworte sagen.
Von dem Vorschlag, das ETS auf den Verkehrssektor zu übertragen, halte ich nichts. Das treibt im Grunde nur die Spritpreise nach oben. Wenn man das nach dem jetzigen CO 2 -Tonnen-Preis berechnen würde, würde der Sprit pro Liter ungefähr um 5 Cent teurer werden. Das hat übrigens keinerlei steuernde Wirkung!
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Wenn man sozusagen den Technology Pull ausrechnet, dann würde man erst ab einem CO 2 -Preis von 370 bis 400 Euro pro Tonne die 95 Gramm erreichen, die jetzt als Ziel gesetzt sind, und damit den gleichen Effekt auslösen. Dann kann kein Pendler mehr zur Arbeit fahren. Dann können nur noch die reichen Leute fahren, also etwa wir, die wir ein gutes Einkommen haben. Der Rest kann nicht mehr fahren. Das ist das FDP-Modell. Wir lehnen das ab.
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Meine Damen und Herren, wie reizt man Innovationen an? Man kann Innovationen zum Beispiel dadurch anreizen, indem man in Artikel 11 dieser EU-Verordnung neben Ökoinnovationen auch die Off-Cycle-Technologies mit einer anderen Bewertung als bisher aufnimmt, und zwar nicht nur bis zu einem Wert von 7 Gramm, sondern innerhalb eines Korridors von 7 bis 14 Gramm. Das löst zum Beispiel Innovationen aus.
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Eine andere Möglichkeit ist die Anrechnung von Fahrzeugen, die sehr wenig Emissionen oder gar keine Emissionen ausstoßen. Diese sollten eben nicht ab einer gewissen Jahreszahl abgeregelt werden, sondern es sollte ein Bonus-Malus-System vorgesehen werden. Das betrifft Artikel 5 dieser Verordnung.
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Der Wichtigste aller Punkte ist, dass man die Anrechenbarkeit von THG-neutralen Treibstoffen aufnimmt. Da verweise ich immer auf das, was Andreas Rimkus als große Erzählung vertritt: Wir müssen auf die Wasserstofftechnologie setzen und dafür sorgen, dass denjenigen Herstellern von Fahrzeugen, die als OEM dort investieren – und zwar in industriellem Maßstab, um das nach oben zu fahren –, solche Innovationen auf die Flottenwerte angerechnet werden. Das ergibt eine industriepolitische Dimension, die man weiterverfolgen sollte und auch verfolgen müsste.
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Wir brauchen dazu natürlich auch durchaus ambitionierte Reduktionsziele. Frank Schwabe hat dazu schon das Richtige gesagt. Der wesentliche Punkt ist, dass wir gedanklich auf eine Verordnung, wie wir sie uns vorstellen, das übertragen, was wir mit Sektorkopplung meinen. Das Prinzip der Sektorkopplung ist, systemisch zu denken statt linear in einer Verordnung. Ich habe gerade darauf hingewiesen, dass dies mit der Berücksichtigung von Ökoinnovationen, den ZLEVs – das sind die Zero- and Low-Emission-Fahrzeuge – und auch mit der Anrechenbarkeit von THG-neutralen Treibstoffen der Fall wäre. Dann wäre diese Verordnung durchaus sinnvoll verbessert, und man könnte diese Flottenwerte erreichen.
Übrigens hat die Automobilindustrie vor dem, was ich gerade vorgeschlagen habe, überhaupt keine Angst. Das kriegen die nämlich locker hin.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Damit schließe ich die Aussprache.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun zu wichtigen Entscheidungen.
Tagesordnungspunkt 21 a. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/2110 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur.
Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Federführung beim Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist der Überweisungsvorschlag gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen des Restes des Hauses abgelehnt.
Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Dagegen? – Enthaltungen? – Auch keine. Dann ist dieser Überweisungsvorschlag gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen mit den restlichen Stimmen des Hauses angenommen.
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Herr Kollege Gauland, es herrscht im Präsidium Uneinigkeit über die Frage, auf wessen Seite Sie gerade waren.
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– Sie waren auf der Seite der Mehrheit des Hauses. Dann ist das so im Protokoll festzuhalten: Also, gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen mit den restlichen Stimmen des Hauses ist der Überweisungsvorschlag angenommen.
Tagesordnungspunkt 21 b. Die Vorlage auf Drucksache 19/2688 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Die Federführung ist auch hier streitig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Die Fraktion der AfD wünscht Federführung beim Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur.
Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der AfD: Federführung beim Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist dieser Überweisungsvorschlag gegen die Stimmen von AfD und Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen von Linken, CDU/CSU, SPD und FDP abgelehnt.
Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Dann ist dieser Überweisungsvorschlag mit umgekehrten Stimmenverhältnissen angenommen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlauf dieser Sitzungswoche hat gezeigt, wie akut diese Aktuelle Stunde in Wahrheit ist. Wir haben sie am Montag beantragt – da war das Bild dieser Bundesregierung schon chaotisch –,
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und für die Lage heute, einige Tage später, fehlen einem im Deutschen eigentlich die richtigen Worte; denn das Wort „Chaos“ kennt im Deutschen keine Steigerungsform.
({1})
Es ist doch so: Seit dem Herbst 2015 bestimmt das Thema „Flucht, Migration und Asyl“ die deutsche Politik. Es zieht alle Aufmerksamkeit, alle Kraftanstrengungen dieser Großen Koalition auf sich. Da hat doch die Bevölkerung Anspruch auf eines: dass sie endlich einmal hört, was der Plan ist, um das Thema endlich in den Griff zu bekommen.
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Jedoch hören wir seit 2015, 2016, 2017 und 2018 immer weitere Formelkompromisse statt eines klaren Konzepts.
Dann plötzlich kommt die große Ankündigung. Da wird der Eindruck erweckt: Jetzt kommt der große Wurf. Endlich hat man einen Plan gefunden. Es ist sogar ein Masterplan.
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Und dann bekommen wir ganz beiläufig in einem Fernsehinterview mit, dass dieser Masterplan offenkundig noch nicht mal mit der Regierungschefin abgestimmt ist. Dann lesen wir in den Zeitungen, drei Tage nachdem dieser Plan eigentlich schon der Öffentlichkeit präsentiert worden sein sollte, dass dieser Plan dem Fraktionsvorsitzenden der Mehrheitspartei noch gänzlich unbekannt ist.
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Das ist das schwächste Regierungsmanagement, das dieses Haus je gesehen hat.
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Man kann es den Bürgern nicht verübeln, dass sie sich an den Kopf fassen: Das sorgt für Frust und Enttäuschung in der Bevölkerung. – Eine Regierung, die nicht in der Lage ist, zu diesem Topthema einen klaren Plan vorzulegen, darf sich nicht wundern, dass die Menschen immer verärgerter reagieren.
Die Antwort, die das Grundgesetz auf eine solche Lage gibt, ist doch eindeutig. Da kann sich auch die SPD nicht aus der Verantwortung stehlen; denn die Bundesregierung entscheidet als Kollegialorgan. Artikel 65 des Grundgesetzes ist klar: Über Meinungsverschiedenheiten wird im Kabinett entschieden, entweder durch Beschluss oder durch Richtlinienkompetenz. Ich fordere die Regierung auf, endlich die Streitfragen zu lösen, entweder durch Beschluss oder durch Richtlinienkompetenz.
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Denn das Bild, das Sie abgeben, wirft ja nicht nur ein schlechtes Licht auf Sie – das könnte uns herzlich egal sein –, es wirft mittlerweile ein schlechtes Licht auf die Fähigkeit demokratischer Institutionen insgesamt. Die Bevölkerung verliert doch die Geduld und zunehmend das Vertrauen, dass wir hier in der Lage sind, Lösungen für die Probleme der Zeit zu finden. Gerade bei diesem Thema hat sich die Sprengkraft in Europa doch schon gezeigt: Mit dem Vereinigten Königreich ist ein ganzer Mitgliedstaat durch die falsche Behandlung dieses Themas aus der EU rausgesprengt worden.
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Deshalb müssen Sie sich des Themas doch endlich vernünftig annehmen.
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Es müsste doch ohne Weiteres möglich sein, sich auf wenigstens eine Handvoll Punkte zu einigen. Wir sind ja hier konstruktiv unterwegs und machen Ihnen Vorschläge. Sorgen Sie endlich dafür, dass man Kriminielle und Gefährder schneller abschieben kann! Es ist doch unerträglich, dass der NRW-Integrationsminister Joachim Stamp den Leibwächter von Osama Bin Laden nicht abschieben kann, weil es an rechtlichen Grundlagen und tatsächlichen Gegebenheiten mangelt. Man braucht Rückführungsabkommen. Man braucht Passersatzpapiere. Die Bundespolizei sollte den Ländern helfen. Das wäre jetzt das Gebot der Stunde; denn natürlich wollen wir Menschen in Not helfen, aber wir wollen nicht der Rückzugsort für die Gefährder der ganzen Welt werden.
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Sorgen Sie dafür, dass wir endlich eine Regelung für Altfälle bekommen. Wir haben heute die Situation, dass wir gut ausgebildeten Migranten, Leuten, die gesetzestreu sind und ihr Geld hier verdienen können, zum Teil keine vernünftigen Aufenthaltstitel beschaffen können. Dann kommen wir sogar dazu, dass wir die teilweise abschieben müssen. Was für ein Irrsinn gegen unsere volkswirtschaftlichen Eigeninteressen! Sorgen Sie dafür, dass wir den Leuten bei den Altfällen schneller Aufenthaltstitel beschaffen können!
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Sorgen Sie dafür, dass die Löcher in der Balkanroute gestopft werden!
Sorgen Sie dafür, dass wir endlich ein vernünftiges Dublin-Abkommen erhalten, das nicht dazu führt, dass einige wenige die Gesamtlast schultern müssen!
Und schließlich: Sorgen Sie dafür, dass wir schnell eine vernünftige, ertüchtigte und gut ausgestattete Grenzschutzagentur Frontex bekommen!
Bis zu diesem Zeitpunkt – denn das wird nicht über Nacht geschehen – wird es auch möglich sein müssen, stichprobenartig an Grenzen Kontrollen durchzuführen. Dass diese Bundesregierung sich dazu nicht durchringen kann, zeigt, dass ihr Koalitionsvertrag nicht nur auf Sand gebaut ist, sondern dass er auf Treibsand steht.
Herzlichen Dank.
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Herzlichen Dank. – Als nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Mathias Middelberg.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Buschmann, ich schätze Sie sonst wirklich sehr. Aber was Sie, Herr Kollege, hier vorgetragen haben, das war doch etwas billig und ein bisschen dünn; das sage ich Ihnen ganz ehrlich.
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Sie haben zu Recht gesagt: Das Thema „Flucht, Flüchtlinge“ ist ein Kernthema, seit Jahren. – Das ist auch für uns ein Kernthema.
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Deswegen ist es auch gut so, dass wir uns intensiv damit befassen und dass wir, wenn es Probleme und Streitfragen unter uns selbst gibt, das intensiv aufarbeiten.
Was den Plan angeht, den Sie vermissen: Den haben wir in unserem Koalitionsvertrag.
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Wenn darüber hinaus weitere Maßnahmen notwendig sind, dann müssen wir die während der Regierungszeit ein- oder nachsteuern. Insofern ist der Plan, den Horst Seehofer vorlegen wird, ein umfassender Plan,
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und das finde ich sehr lobenswert. Es ist nämlich dann wahrscheinlich der erste wirklich integrierte Plan dazu,
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wie wir mit dem Thema „Migration und Integration“ insgesamt umgehen.
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Er erfasst die ganze Palette: von „Wie bekämpfen wir Fluchtursachen? Wie gehen wir mit Transitländern um? Wie lösen wir die europäischen Fragen? Wie machen wir es in Deutschland?“ bis zum Thema Integration.
Herr Buschmann, Sie haben nett gesagt: Hier würde nichts passieren. – Wir arbeiten doch schon längst an den Themen.
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Wenn Sie heute früh nach der Debatte über die Parteienfinanzierung hiergeblieben wären, hätten Sie die abschließende Debatte über das Familiennachzugsneuregelungsgesetz mitbekommen.
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Das ist der erste Schritt, den wir ganz konkret unternehmen zum Thema „Ordnung, Steuerung der Zuwanderung“.
Der nächste Schritt ist schon im Verfahren, nämlich weitere sichere Herkunftsstaaten zu benennen: die Maghreb-Staaten und dazu Georgien. Das ist bereits in der Ressortabstimmung. Das hat Horst Seehofer schon längst eingeleitet. Da wird konkret gehandelt.
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Der nächste Schritt ist schon auf der Bahn; das sind die AnKER-Zentren, und da ist es so: Diese AnKER-Zentren werden erkennbar dazu beitragen, dass die Asylverfahren optimiert und beschleunigt werden.
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Die, die einigermaßen billig und gerecht denken in diesem Land, haben das jedenfalls erkannt und haben sich auch bereit erklärt, an dem Pilotvorhaben teilzunehmen. Es gibt aber ein paar, die das irgendwie noch nicht so richtig begriffen haben. Dazu gehört Ihr Integrationsminister, Herr Stamp, in NRW,
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der alles unternimmt, um bei diesem Thema dagegenzulaufen.
Jetzt bin ich gerade bei Herrn Stamp, den Sie eben so lobend erwähnt haben.
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Wir haben hier in der letzten Woche die Regierungsbefragung mit unserer Bundeskanzlerin gehabt. Da hat sie darüber informiert, wie die Situation in Afghanistan nach der neueren Einschätzung des Außenamts aussieht und dass das jetzt Abschiebungen nach Afghanistan ermöglicht. Das Erste, was ich von Ihrem Integrationsminister in NRW dazu gehört habe, waren wieder Bedenken und Hinweise, aus welchen Gründen das denn nun nicht möglich sei.
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– Ja, es waren Einschränkungen. Sie haben von uns Handeln im konkreten Fall gefordert. Das ist genau das, was Sie Ihren FDP-Ministern mit auf den Weg geben müssen. Sie müssen sich als Erstes an die eigene Nase fassen.
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Hier geht es um konkrete Fakten, und da liefern wir: Familiennachzug habe ich erwähnt. Sichere Herkunftsstaaten habe ich genannt. AnKER-Zentren habe ich erwähnt. Das verbindet sich mit den Themen „Sachmittelbezug“ und „Residenzpflicht“. Das sind für uns weitere Kernthemen.
Was wir weiter auf den Weg bringen werden, sind Optimierungen beim Thema „Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam“, damit sich Leute den Abschiebungen nicht mehr entziehen können. Wir werden auch die Ausweisungshürden bei Sozialbetrug, Drogendelikten und missbräuchlichem Handel mit Flüchtlingsdokumenten absenken.
Beim Thema BAMF arbeiten wir im Moment konkrete Probleme auf. Aber bei aller Kritik am BAMF sage ich auch mal: Hier ist die Lage unterdessen dramatisch besser geworden. Wir hatten früher monatelange Verfahren. Wir haben jetzt Verfahren, die nach drei Monaten beendet sind.
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Wer als Flüchtling jetzt in unser Land kommt, hat nach weniger als drei Monaten seinen Bescheid.
Als letzten Punkt möchte ich das Thema Integration nennen. Hierfür werden wir die Mittel weiter erheblich aufstocken – nach dem Prinzip „Fördern und Fordern“. Wir haben 2016 dafür 510 Millionen Euro aufgewandt, in diesem Jahr werden es 610 Millionen Euro sein, und eingestellt für den nächsten Haushalt haben wir 765 Millionen Euro. Das sind Steigerungsraten von 20 und 25 Prozent über die Jahre gerechnet.
Das ist konkretes Handeln, und das hat bisher dazu geführt, dass jeder fünfte Flüchtling, der seit 2015 zu uns gekommen ist, jetzt in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung ist.
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Herr Kollege Middelberg, kommen Sie bitte zum Schluss.
Zu dem, was wir in der Migrations- und Integrationspolitik tun, könnte ich Ihnen hier noch eine halbe Stunde lang konkrete Ergebnisse liefern.
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Das können Sie nicht; kommen Sie bitte zum Schluss.
Herzlichen Dank.
({0})
Als Nächstes hat der Kollege Dr. Gottfried Curio für die AfD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Abgeordnete! Bei der Grenzöffnung wurde sehenden Auges voll auf Risiko gefahren,
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der Verlust der Sicherheit einfach einkalkuliert. Der Fall Susanna zeigt beispielhaft den Maximalschaden der Durchwinkekultur.
Ein Hohn, wenn Frau Merkel uns erzählt, der Mord sei eine Aufforderung an uns alle, die Integration sehr ernst zu nehmen. Der Mörder war als abgelehnter Asylbewerber ohnehin kein Fall für Integration, sondern abzuschieben.
({1})
Aber selbst ein Mord ist nur Anlass für sie, ihre abwegigen Dogmen zu propagieren. Sie lässt unberechtigte Personen unerkannter Identität rein –
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Vergewaltiger, Mörder, Terroristen inklusive –, und wir sollen uns verantwortlich fühlen. Nicht wir haben zu handeln, die Verursacherin muss endlich Verantwortung übernehmen und zurücktreten!
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Ein Staat, der seine Bürger nicht schützt, aber sie zwingt, Betrüger zu alimentieren. Wer illegal die Grenze übertritt, ist Betrüger; wer ohne Papiere kommt, will das deutsche Volk betrügen. Dieser Betrug ist Raub, ist Gewalt, ist Kriminalität. Und wer Leute ohne Papiere reinlässt, leistet Beihilfe, ist Mittäter. Jeder darf sich doch jetzt fragen: Merkels „Ist mir egal, ob ich schuld an den Migranten bin; jetzt sind sie halt da“, meint das auch: „Ist mir egal, ob ich schuld am Schicksal der Mädchen bin, jetzt sind sie halt tot“? Wann ist endlich Schluss mit diesem Wahnsinn, mit dieser allzu oft tödlichen Willkommenskultur? Da wird ein Millionenheer archaisch geprägter junger Männer ins Land gelassen, denen Frauen als Schlampen und Übergriffsobjekte gelten, wenn sie sich nicht der islamischen Unterdrückungskultur anbequemen. Gelernte Frauenverachtung aber ist programmierter Frauenmord.
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Beim BAMF braucht es nicht mehr Bearbeiter, sondern weniger Scheinasylanten.
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Seit 2015 ging es doch nur noch um den Anschein von Bearbeitung. Herr Weise hatte Potemkinsche Dörfer zu errichten, die Bürger zu täuschen durch angeblich bewältigte Fallzahlen, hinter denen aber gar keine seriöse Bearbeitung stand. Erscheinen des Antragstellers? Braucht es nicht. Das Gewünschte ankreuzen geht schneller. Identitätsnachweis? Braucht es nicht. Noch schneller. Papiere? Braucht es nicht. Vereidigte Dolmetscher? Braucht es nicht. Ausgebildete Entscheider? Braucht es auch nicht. Alles ganz nach Merkels Motto „Aus Illegalen Legale machen“.
Ein Amt nicht für Geldwäsche – nein, für Rechtswäsche.
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Hauptsache, der Wahlkampf 2017 würde ungestört laufen. Dem wurden Sorgfalt und Sicherheit geopfert. Heute müssen wir sagen: auch Menschenleben. Merkel gibt zu: Das Kanzleramt, sie selbst ist verantwortlich. Ein allzu billiges Wort, wenn man dann den Stuhl nicht räumt.
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Wenn die Koalition uns jährlich 200 000 Migranten aufzwingen will, braucht es 200 AnKER-Zentren. Der Minister hat Schwierigkeiten, sechs Pilotzentren zu schaffen. Da geht nichts schneller. Örtliche Konzentration schafft nicht mehr Verwaltungsrichter. Da wird nicht besser abgeschoben. Ohne erzwungene Residenzpflicht tauchen die einfach ab. Es ist nicht der Job der Bundespolizei. Die müssten die Grenze kontrollieren und die Leute erst gar nicht reinlassen.
Im September 2015 gab es natürlich keine humanitäre Ausnahmesituation. Die Leute waren in Ungarn in Sicherheit und lange vorher.
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Denen ging es um kalte Vorteilsnahme im Staat mit den besten Sozialsystemen.
Die ganze sogenannte Willkommenskultur ist inhuman. Mit demselben Geld hilft man hundertmal effektiver vor Ort, und zwar den wirklich Armen.
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Und wo Herr Seehofer nur bereits Registrierte zurückweisen will, also nicht mal das rechtlich Gebotene fordert, da stellt Merkel sich schon quer und erzwingt die ewige Fortsetzung ihrer sogenannten Ausnahmeentscheidung – also Dauerüberflutung durch Illegale.
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Herrn Seehofers Vorschlag ist aber völlig ungenügend. Die Betrüger werden sich einfach nicht mehr vor Erreichen Deutschlands registrieren lassen. Aber Frau Merkel will uns sogar erzählen, ihre gänzlich offene Grenze sei vorrangiges europäisches Recht. Was für ein Unsinn! Dublin III ist europäisches Recht. Gerade da ist der Erstzutrittsstaat zuständig und nicht Deutschland. Danach müssten sogar alle zurückgewiesen werden; denn sie kommen über sichere Drittstaaten aus einem anderen Erstzutrittsland. Dublin anzuwenden, ist kein nationaler Alleingang. Nationaler Alleingang war Merkels Handstreich im September 2015.
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Meine Damen und Herren, Zeit für den Masterplan zur Zurückweisung einer illegal agierenden Kanzlerin. Zwei Drittel der Bürger wollen die Grenzschließung sofort, appellieren an Sie als ihre Repräsentanten.
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Werden Sie Ihrer Verantwortung für das Land gerecht. Entfernen Sie diese Frau aus dem Amt. Wählen Sie sie ab! Sprengen Sie die Fesseln der Parteidisziplin
({13})
und den Würgegriff dieser Politik unendlichen Schadens. Schützen Sie das Leben der Bürger! Retten Sie den Rechtsstaat! Befreien Sie das Land von dieser Politik!
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Nächstes spricht zu uns ein Mitglied des Bundesrates. Ich erteile Herrn Senator Andreas Geisel das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für mich ist klar: Menschen, die zu uns kommen und des Schutzes und der Hilfe bedürfen, werden diesen Schutz und diese Hilfe bei uns auch finden. Klar ist aber auch: Diejenigen, bei denen rechtskräftig festgestellt wurde, dass sie dieses Schutzes und dieser Hilfe nicht bedürfen, müssen unser Land wieder verlassen. Dazu bekennen sich die Innenminister der SPD-geführten Länder ganz ausdrücklich. Wir müssen den Rechtsstaat handlungsfähig machen und stehen in der Verantwortung, das zu zeigen.
Vor diesem Hintergrund sind die SPD-Innenminister in der vergangenen Woche zur Innenministerkonferenz nach Quedlinburg gefahren. Wir wollten dort vom Bundesinnenminister hören, wie er mit einheitlichen Standards Rückführungen aus Deutschland verbessern möchte, wie er sich die konkrete Ausgestaltung der im Koalitionsvertrag vereinbarten AnKER-Zentren vorstellt. Wir sind mit einer gewissen Irritation aus Quedlinburg zurückgekommen, weil wir nur wenig Konkretes hören konnten. So ähnlich geht es mir übrigens auch bei der heutigen Bundestagsdebatte.
({0})
Wir debattieren hier über einen Plan mit 63 Punkten, von dem uns 62 Punkte offiziell noch unbekannt sind.
({1})
Die Schaffung von AnKER-Zentren, die bis zu 1 500 Asylbewerber in einem Standort beherbergen sollen, löst die Probleme, die wir zumindest sehen, nicht.
Ich will die Lage im Land Berlin schildern. Derzeit haben wir etwa 12 000 Menschen in der Stadt, die vollziehbar ausreisepflichtig sind. Davon haben 6 000 Menschen eine längerfristige Duldung, beispielsweise eine Ausbildungsduldung oder eine Duldung aus humanitären Gründen, wegen Krankheit und Ähnlichem. Weitere 4 000 Duldungen gibt es aufgrund anhängiger Verfahren beim Verwaltungsgericht oder beim Oberverwaltungsgericht. Es sind abgelehnte Asylbewerber, die gegen die Bescheide geklagt haben.
({2})
Was sind also die wirklichen Probleme bei der Rückführung, die wir sehen?
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Erstens ist es die Beschaffung von Passersatzpapieren.
Zweitens ist es die mangelnde Bereitschaft der Heimatländer, ihre Staatsbürger wieder aufzunehmen. Dafür brauchen wir Rückführungsabkommen.
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Drittens ist es die mangelnde Qualität der BAMF-Bescheide. Diese mangelnde Qualität der BAMF-Bescheide ist für die Vielzahl der Klagen verantwortlich und ebenso für die Dauer dieser Klageverfahren.
Viertens: die derzeit noch unzureichenden Rückführungskapazitäten.
Die Antworten des Bundesinnenministers gehen zumindest diese Probleme nicht wirklich an. Man kann auch sagen: Der Bundesinnenminister bietet uns Lösungen an für Probleme, die wir eigentlich gar nicht haben.
({5})
Auf der anderen Seite gibt es für unsere ungelösten Fragen, für die Probleme, die wir wirklich haben, noch keine überzeugenden Antworten.
Meine Damen und Herren, wir müssen die Asylverfahren grundsätzlich beschleunigen; das ist richtig. Ob dies aber dadurch erreicht wird, dass man bis zu 1 500 Menschen an einem Ort unterbringt, darf man bezweifeln. Die Erfahrungen, die wir in Berlin mit Tausenden Flüchtlingen auf engstem Raum am Flughafengebäude Tempelhof gemacht haben, sind hierfür nicht vorbildhaft.
Alle mit Asylfragen befassten Behörden zusammenbringen, klingt gut. Aber den Beweis, dass das tatsächlich zu mehr Effizienz führt, müssen wir erst antreten.
({6})
In einem Stadtstaat wie Berlin sind die Wege zwischen den beteiligten Stellen ohnehin kurz. Die zuständigen Behörden arbeiten hier eng zusammen. Deshalb erschließt es sich mir nicht, dass die vorgesehene Einbindung der Verwaltungsgerichte in Berlin zu einer wesentlichen Verfahrensbeschleunigung beitragen kann.
Der Aktenaustausch zwischen BAMF und Verwaltungsgerichten erfolgt hier schon in elektronischer Form. Deshalb sage ich Ihnen: Eine Verbesserung der Qualität der BAMF-Bescheide würde die Dauer der gerichtlichen Verfahren sicherlich wesentlich mehr beschleunigen als ein Umzug der Asylkammern in ein neu zu schaffendes AnKER-Zentrum.
({7})
Also, der Bundesinnenminister muss jetzt endlich seine Vorstellung zur konkreten Ausgestaltung der AnKER-Zentren erläutern. Er will das in bilateralen Gesprächen mit den Ländern machen, so hat er es auf der Innenministerkonferenz angekündigt. Ich sage ganz ausdrücklich: Wir stehen dem offen gegenüber.
({8})
Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass wir vor allem diejenigen abschieben müssen, die unsere Sicherheit bedrohen.
({9})
Das sind im Moment nicht die Schutzsuchenden aus allen Krisenregionen dieser Welt, sondern es sind vor allem islamistische Gefährder. Der Fall Amri hat gezeigt, wie mobil und länderübergreifend islamistische Gefährder agieren. Ich sehe hier dringenden Handlungsbedarf. Das geltende Aufenthaltsgesetz muss viel konsequenter angewendet werden. § 58a des Aufenthaltsgesetzes ermöglicht die Herbeiführung bzw. Durchsetzung einer Ausreisepflicht von Gefährdern auf vereinfachtem und beschleunigtem Weg. Nach der aktuellen Regelung erfolgt eine solche Anordnung grundsätzlich durch die oberste Landesbehörde. Aber auch das Bundesministerium des Innern kann eine Abschiebeverordnung erlassen, wenn ein besonderes Interesse des Bundes besteht.
Bislang sind Anordnungen nach § 58a Aufenthaltsgesetz durch mehrere Bundesländer erlassen worden, nicht jedoch durch den Bund. Die Fälle der Länder Niedersachsen und Bremen im vergangenen Jahr haben gezeigt, wie viele langwierige Gerichtsverfahren die entsprechende Anordnung nach sich zieht und wie abhängig die Landesbehörden hier von der Zuarbeit des Bundes sind. Ich bin der Meinung: Wenn die maßgeblichen Erkenntnisse beim Bund liegen, die Fälle vom Generalbundesanwalt bearbeitet werden, also Personen bundeslandübergreifend agieren, sollte zukünftig der Bund verstärkt tätig werden.
({10})
Alle bisherigen Verfahren haben gezeigt, dass die Arbeit des Bundes für die Durchsetzung der Abschiebungen entscheidend ist. Das Land Berlin plant deshalb eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel, den § 58 Aufenthaltsgesetz zu ändern, um die Zuständigkeiten des Bundes bei der Abschiebung von Gefährdern zu konkretisieren und auszubauen. Mit diesen gesetzlichen Änderungen können die Länder und der Bund noch effektiver zusammenarbeiten und Personen, die unsere Sicherheit gefährden, konsequenter abschieben.
({11})
Meine Damen und Herren, ich will abschließend sagen: Bei aller Wichtigkeit der heutigen Diskussion, entscheidend für den Erfolg in der Asyl- und Flüchtlingspolitik sind nicht Abschiebungen oder Zurückweisungen an den Grenzen. Entscheidend – auch unter Sicherheitsaspekten – ist gelingende Integration im Inneren unseres Landes.
({12})
Entscheidend ist europäische Zusammenarbeit, nicht Abschottung. Europa ist nicht das Problem, Europa ist die Lösung.
({13})
Meine Damen und Herren, es kann nur eine gemeinsame europäische Lösung geben. Eine Abschottung Deutschlands löst nicht die Probleme, es ist nur eine einfache Schlussfolgerung, die bei der Aufzählung der genannten Probleme ganz klar zeigt: Es löst nicht die Probleme, und es widerspricht außerdem dem europäischen Gedanken.
({14})
Wir müssen gemeinsam schauen, wie wir die europäischen Außengrenzen sichern und Ländern wie Griechenland und Italien dabei unsere Unterstützung zusichern.
Ich danke Ihnen recht herzlich.
({15})
Herzlichen Dank, Herr Senator. – Als Nächstes spricht zu uns die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion um den sogenannten Masterplan des Bundesinnenministers ist in der Tat gespenstisch, weil dieser Plan weder öffentlich bekannt ist, noch, glaube ich, sind alle Fraktionen über diesen Plan informiert worden. Wir erleben eine aufgeheizte Debatte ohne richtige Grundlage, und ich bin davon überzeugt, dass genau das geplant war: Der Innenminister will ein aufgeheiztes Klima schaffen, um sich im bayerischen Wahlkampf als Scharfmacher in Sachen Flüchtlingspolitik in Szene zu setzen – und das auf Kosten der Schutzberechtigten. Das ist wirklich unerträglich, Herr Minister.
({0})
Dass er für diese verantwortungslose Politik Unterstützung von der AfD und FDP erhält, ist wirklich für die ganze rechte Seite hier im Haus bezeichnend.
({1})
Sie sind sich in Wahrheit in der Sache völlig einig.
({2})
Sie wollen eine weitere massive Aushöhlung des Flüchtlingsrechts.
({3})
Sie wollen Zurückweisungen an den Grenzen und die kasernierte Unterbringungen von Flüchtlingen in inhumanen Lagern.
({4})
Sie streiten hier doch nur noch darüber, ob dies gesamteuropäisch umgesetzt wird oder ob ein nationaler Alleingang unternommen wird.
Meine Damen und Herren, es ist völlig klar: Wer pauschale Zurückweisungen fordert, tritt nicht nur die Menschenwürde der Schutzsuchenden mit Füßen, sondern auch das deutsche und das internationale Recht.
({5})
Nehmen Sie doch mal zur Kenntnis, was das geltende Europarecht dazu sagt. Die sogenannten Dublin-Regeln schreiben eindeutig vor: Wenn jemand Asyl beantragt, muss es ein ordentliches Verfahren geben,
({6})
inklusive der Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen,
({7})
um festzustellen, welcher EU-Staat für das Verfahren zuständig ist. Deswegen kann man die Betreffenden logischerweise nicht einfach an der Grenze abweisen.
({8})
Das sagt im Übrigen auch der Leiter des UN-Flüchtlingswerks UNHCR heute in der „Welt“ – ich zitiere – :
Jedenfalls für die Dauer dieser Prüfung muss die betreffende Person auch bleiben dürfen.
Im ersten Quartal dieses Jahres sind 3 900 Personen an der Grenze zurückgewiesen worden;
({9})
nach offiziellen Angaben waren das keine Asylsuchenden, eben weil das nicht zulässig wäre.
({10})
Bevor der Wahlkampf in Bayern begann, hat auch Innenminister Seehofer im Innenausschuss und in den Medien im Oktober 2017 in einer Pressekonferenz ganz klar gesagt:
Die Zurückweisung an der Grenze ist eine hochkomplizierte Angelegenheit …, die eine Reform des Dublin-Verfahrens voraussetzen würde.
({11})
Daran, Herr Seehofer, ändern auch irgendwelche bilateralen Abkommen mit Österreich nichts. Wenn Sie jetzt ernsthaft mit Zurückweisungen anfangen, schaffen Sie genau jene „Herrschaft des Unrechts“, die Sie vor geraumer Zeit noch Frau Merkel vorgeworfen haben.
({12})
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einige Worte zu den sogenannten AnKER-Zentren, die ja Teil des Masterplans sein sollen, sagen: Schon der Name ist reine Schönfärberei, weil es um inhumane Lageranstalten geht,
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in denen Flüchtlinge wie Kriminelle untergebracht werden. Das ist menschenverachtend.
({14})
Ich kenne die Vorbilder dieser Lager, die sogenannten Transit-Zentren – schon das Wort ist schrecklich – in Manching und in Bamberg aus eigener Anschauung; ich war gerade erst dort. Dort werden bis zu 1 500 Flüchtlinge eingepfercht,
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zum Teil über zwei Jahre lang festgehalten – mit Residenzpflicht, Arbeitsverbot, unzureichender medizinischer Versorgung, ohne Perspektive. Die Menschen dort werden schlicht in die Verzweiflung getrieben. Wer das zur Regel für alle Flüchtlinge machen will, der hat nicht nur kein Herz, sondern macht sich mitschuldig an einer schamlosen Aushöhlung des Asylrechts und an einer massiven Vergiftung des inneren Klimas in unserer Gesellschaft.
({16})
Von dem Streit innerhalb des Unionslagers darf man sich nicht täuschen lassen. Inhaltlich haben wir eine erschreckende Koalition aus CDU, CSU, FDP und AfD, die gemeinsam das Asylrecht begraben wollen.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.
Und das – ich komme zu meinem letzten Satz – vor dem Hintergrund, dass im letzten Jahr nur 220 000 Menschen nach Deutschland kamen.
({0})
Zum Schluss möchte ich sagen: Hören Sie auf – –
Nein. Sie haben den letzten Satz hinter sich.
Wir brauchen kein Europa der Grenzen,
sondern ein Europa der Solidarität.
Frau Kollegin, bitte. – Ich bitte jetzt darum, dass die Kollegin Filiz Polat von Bündnis 90/Die Grünen zu uns spricht.
({0})
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Was ist mit dir los, humanistisches Europa, du Verfechterin der Menschenrechte, der Demokratie und der Freiheit? Was ist mit dir los, Europa, du Heimat von Dichtern, Philosophen, Künstlern, Musikern, Literaten?
({0})
Was ist mit dir los, Europa, du Mutter von Völkern und Nationen, Mutter großer Männer und Frauen, die die Würde ihrer Brüder und Schwestern zu verteidigen und dafür ihr Leben hinzugeben wussten?
Vier Wochen nach diesen Worten von Papst Franziskus steht dieses Europa, steht Deutschland vor einer Weichenstellung, meine Damen und Herren.
({1})
Es geht um den Zusammenhalt in Europa – das wurde hier deutlich –, um Solidarität, aber auch um die Aufrechterhaltung universeller Menschenrechte und um das Grundgerüst unserer Union. Es geht darum, ob die europäischen Staaten in der Lage sind, gemeinsam Probleme zu lösen.
({2})
Die CSU hat in dieser Woche mit ihrem selbsternannten Heimatminister gezeigt, dass sie lieber den Weg der Achse der Willigen mit den Rechtspopulisten in Europa gehen will.
({3})
Da machen wir nicht mit.
({4})
Sie verspielen damit nicht nur Ihre Glaubwürdigkeit, sondern Sie beweisen auch Ihre Unfähigkeit, für Deutschland Verantwortung zu übernehmen –
({5})
ein Land, das für Humanität, Menschenrechte und für das höchste Gut, den europäischen Gedanken, steht. Sie wollen keine Probleme lösen, Herr Seehofer, das wurde diese Woche deutlich. Sie wollen in Berlin Wahlkampf für Bayern machen.
({6})
Mit dieser Angst, am 14. Oktober in Bayern die absolute Mehrheit zu verlieren, stürzen Sie nicht nur Deutschland, sondern auch Europa in eine Krise, und das ist unverantwortlich.
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Aber allen geht es immer nur um die Sache.
({8})
Wenn dem tatsächlich so ist, dann erinnere ich – wir haben es heute Morgen beim Parlamentarischen Frühstück gehört – an die „Aquarius“, eine verzweifelte Rettungsmission, die in diesen Tagen vor den Küsten Europas versucht, 629 Menschen, darunter 123 unbegleitete Minderjährige, 11 Kinder und 7 schwangere Frauen, in einen sicheren Hafen zu bringen.
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Sehen Sie, worum es geht? Es geht um Menschen, und der bayerische Ministerpräsident stellt sich hin und spricht von Asyltourismus. Wir finden das widerlich und beschämend.
({10})
Sie haben eine Verantwortung, und wir sehen an keiner Stelle, dass Sie dieser gerecht werden. Markus Söder sagte gestern: Was richtig ist, muss man vertreten. – Dann mal los! Denn richtig ist die Achtung der Menschenwürde, richtig ist der europäische Gedanke, die Solidarität und richtig ist unser Grundgesetz. Sie marschieren gerade alle miteinander.in die entgegengesetzte Richtung.
({11})
Das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention sind infolge zweier schrecklicher Weltkriege entstanden, und Sie sind dabei, dieses in unserer Verfassung verankerte Grundrecht infrage zu stellen. Haben Sie nichts gelernt? Da machen wir nicht mit, meine Damen und Herren!
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Auch Ihr angeblicher Masterplan – dies wurde deutlich; Herr Middelberg scheint ihn ja zu kennen – bringt tiefe Einschnitte in die Grundrechte. Das zeigen die Maßnahmen, die wir schon kennen. Herr Middelberg, ich frage: Warum entwickeln Sie keinen Masterplan „Integration“? Herr Minister, Sie haben es doch selbst im Innenausschuss gesagt. Sie sind auch der Minister für Integration. Wo bleibt der Masterplan für Integration, den wir so dringend brauchen?
({13})
Noch ein Wort zur SPD, Frau Högl – das muss ich sagen, weil ich in Niedersachsen fünf Jahre wirklich gut mit Ihnen zusammengearbeitet habe –: Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie hier auch mitregieren. Von der Union ein „Ende des Theaterdonners“ zu fordern – Drama oder Tragödie, das wissen wir bis heute nicht –, das klingt nicht nur passiv, sondern auch recht hilflos. Sie sitzen nicht im Publikum, sondern Sie sitzen am Kabinettstisch. Also: Wo waren Sie gestern? Wo waren Sie, als die Kanzlerin den Abschiebestopp nach Afghanistan so kurz weggewischt hat? Manchmal frage ich mich: Wo waren Sie bei den Koalitionsverhandlungen? Sie haben Verantwortung übernommen, liebe SPD. Füllen Sie diese gefälligst auch aus.
({14})
Was die CSU hier vorgelegt hat, ist ein Bruch des Koalitionsvertrages. Wenn Sie Ihrer Verantwortung gerecht werden wollen, dann belassen Sie es nicht bei Worthülsen wie heute Morgen im „Morgenmagazin“.
({15})
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss.
Aber wirklich.
Ich möchte mit den Worten von Frau Dr. Anita Lasker Wallfisch, der Holocaust-Überlebenden, enden. Sie hat vor fünf Monaten zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus hier in diesem Hohen Hause gesprochen.
Frau Kollegin, bitte.
Herr Präsident, ich zitiere:
Die Welt ist voller Flüchtlinge. Für uns haben sich die Grenzen damals hermetisch geschlossen und nicht, wie hier, geöffnet, …
({0})
– Da brauchen Sie gar nicht zu lachen.
Frau Kollegin, bitte.
… dank dieser unglaublich generösen, mutigen, menschlichen Geste, die hier gemacht wurde. … Hass ist ganz einfach Gift, und letzten Endes vergiftet man sich selbst.
Es bleibt die Hoffnung, dass der Verstand siegt.
({0})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Frau Kollegin, ich bitte inständig, meine Bitten zu erhören, weil ich sonst hier wirklich drastische Maßnahmen ergreifen muss. Es kann nicht sein, dass jeder Redner versucht, 30 Sekunden oder eine Minute länger zu reden. Das führt zu nichts.
({0})
– Das hat mit „Mein Gott“ nichts zu tun. Das schreibt die Geschäftsordnung vor, und die gilt für alle gleichermaßen, auch für die Grünen oder für die Sozialdemokraten.
({1})
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Detlef Seif für die CDU/CSU-Fraktion.
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der letzte Redebeitrag hat den Eindruck erweckt, als ob wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion uns die Flüchtlinge und deren Lage nicht zu Herzen nehmen würden.
({0})
Ich betone aber an dieser Stelle ausdrücklich: Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht außer Frage, dass Deutschland sich zu den Menschen bekennt, die verfolgt werden – Punkt eins.
({1})
Punkt zwei. Andererseits muss es aber doch unser Anspruch sein, die Migration in unser Land zu ordnen, zu steuern und auch zu begrenzen,
({2})
vor allen Dingen aber sicherzustellen, dass die Asylverfahren ordnungsgemäß und rechtmäßig ablaufen.
({3})
Obwohl wir in den letzten drei Jahren – das sollte man hier nicht kleinreden – gesetzlich sehr viel auf den Weg gebracht haben, um die Verfahren zu ordnen und zu beschleunigen,
({4})
die Integration zu verbessern, ist unser Land an Grenzen gestoßen.
({5})
Das muss man erkennen. Die Massenzuwanderung der Jahre 2015 und 2016 hat in vielen Bereichen unserer Gesellschaft zu Verwerfungen geführt.
({6})
Auch und gerade diese Asylpolitik hat dazu geführt, dass der Rechtspopulismus und der Rechtsradikalismus in unserem Land einen derartigen Schub bekommen haben.
({7})
Deshalb hängt die positive Entwicklung unseres Landes auch ganz wesentlich von einer gelungenen Asylpolitik ab, die die Menschen mitnimmt.
({8})
Insofern ist ein umfassender und auch vernetzter Ansatz sehr richtig. Ich bin dem Bundesinnenminister dankbar, dass er einen Masterplan vorgelegt hat,
({9})
und wundere mich, dass ein Landesinnenminister den Inhalt kritisiert, obwohl er ihn gar nicht kennt. Das hat mich vorhin wirklich verwundert.
({10})
Wir müssen europäisch, international, aber auch national vorgehen. Ein Kernbereich ist in jedem Fall die geordnete Migration nach Deutschland.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich um Aufmerksamkeit bitten, auch wenn manche Fragen im Raum stehen.
Hier müssen wir sehen: Das föderale Gefüge hat uns nicht immer genutzt. Auch da setzt der Masterplan an. Der vorliegende Masterplan hat 63 Punkte.
({0})
Und lediglich ein Punkt war in den letzten Tagen in der Diskussion: Zurückschiebung im grenznahen Raum gemäß § 18 Asylgesetz. Meine Damen und Herren, Anfang 2016 habe ich zusammen mit 43 Unionskollegen gefordert, dass grenzpolizeiliche Maßnahmen umgesetzt werden. Deshalb können Sie sicherlich nachvollziehen, dass ich große Sympathie für diesen einen Punkt habe.
({1})
Aber man darf es nicht überspannen. Wir können nicht jeden an der Grenze zurückweisen. Man hört in den letzten Tagen ja die merkwürdigsten Ausführungen. Natürlich gibt es Fälle – unbegleitete Minderjährige, Familienbindung, systemische Mängel in einem anderen Land –,
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in denen wir nach den Rechtvorschriften nicht zurückweisen dürfen.
({3})
Aber wir können es doch niemandem erklären: Wer bereits ein anerkannter Asylbewerber ist, wer woanders einen Asylantrag gestellt hat, wer nach der Dublin-Verordnung bereits zurückgeführt ist, steht wieder vor der Türe und wird hereingelassen.
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Das geht nicht, und das muss auch verändert werden.
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Letztlich müssen wir vermeiden – da brauchen wir keine Belehrung von der AfD, die sowieso in eine ganz falsche Richtung geht –,
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dass sich die Asylbewerber das Land aussuchen können, sondern dass wir als Politik, als Gesellschaft entscheiden, wer zu uns kommt.
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Anderenfalls entstehen auch neue Anziehungseffekte, Pulleffekte mit neuen Problemen. Das Problem ist zu lösen, aber nicht binnen weniger Tage.
({8})
Ein akuter Handlungsdruck ist auch gar nicht da. 2015 kamen 800 000 Menschen. Die Zahl ist im letzten Jahr auf 186 000 gesunken. Dieses Jahr sind es voraussichtlich 165 000. Die Zahl ist natürlich immer noch zu hoch. Aber es ist kein Grund, jetzt in Panik zu verfallen und alle politischen Regeln über Bord zu werfen.
({9})
Wir müssen für die Zukunft gewappnet sein. Eine Situation wie 2015 darf sich nicht wiederholen.
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Die Bundeskanzlerin hat für ihr Vorhaben, mit den betroffenen EU-Staaten bilaterale Vereinbarungen zur Rückübernahme zu treffen, unsere volle Unterstützung verdient. Am Ende ist klar: Sollten die europäischen Partner sich gänzlich verweigern, müssen wir neu denken und national nachsteuern.
Vielen Dank.
({11})
Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Lars Herrmann von der AfD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Masterplan der Bundesregierung und insbesondere hier die Geheimwaffe AnKER-Zentren werden keine wesentlichen Änderungen in der katastrophalen Asylpolitik bringen. Zunächst ist festzustellen, dass die Einrichtung von AnKER-Zentren in Deutschland, in der Mitte Europas und damit im Zentrum der Schengener Vertragsstaaten, der vollkommen falsche Ansatz ist. Wenn illegale Migranten bei uns ankommen, ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Nach unserem Grundgesetz sowie auch nach europäischem Recht war genau das nämlich ausgeschlossen.
({0})
Es gibt nach der derzeitigen Rechtslage nur zwei Möglichkeiten, zumindest halbwegs legal in Deutschland einen Asylantrag zu stellen, nämlich wenn man per Flugzeug kommt oder aus der Nord- bzw. Ostsee aus dem Wasser steigt. Diese strengen Regeln sind keine Erfindung meiner Fraktion, sondern wurden doch von Ihnen hier genau so beschlossen.
({1})
Obwohl Schengen und Dublin von Anfang an nicht funktioniert haben, wurde erst im Jahr 2015 das endgültige Scheitern dieser Regelungen für jedermann offensichtlich. Das haben übrigens auch fast alle Sachverständigen bei der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses am 16. April 2018 so gesehen. Professor Dr. Thym sagte beispielsweise dazu – ich zitiere –:
Erstens wissen wir alle, dass die Dublin-Regeln in der Praxis nicht funktionieren.
Der Sachverständige Gerald Knaus äußerte sich noch wesentlich deutlicher – ich zitiere –:
Das Merkwürdige am Dublin-System war, es hat nie funktioniert in den letzten 20 Jahren. Aber bis vor wenigen Jahren hat das niemanden wirklich gestört. Es war eine enorme Verschwendung von Ressourcen.
({2})
Nun wird laut Masterplan fest damit gerechnet, dass die Migranten durch die Bundespolizei an der Grenze festgestellt und kontrolliert werden. Da muss ich fragen: Welche Grenze? Welche Kontrolle? Ich hoffe, es sind damit nicht die derzeitigen Schaufensterkontrollen meiner Kollegen gemeint, die im Augenblick an den Autobahnen zu Österreich als Wahlkampfhelfer für die bayerische Landtagswahl missbraucht werden.
({3})
Was dort nämlich stattfindet, ist maximal ein schlechtes Theaterstück, aber keine Grenzkontrolle.
Nun sollen dank der künftigen AnKER-Zentren die abgelehnten Asylbewerber schnell in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Hört sich toll an, wird jedoch im echten Leben nicht funktionieren. Ein abgelehnter Asylantrag bedeutet eben nicht, dass diese Personen automatisch das Land verlassen. Trauriges Beispiel hierfür ist der des Mordes an der 14-jährigen Susanna aus Mainz dringend tatverdächtige irakische Flüchtling Ali B., dessen Asylantrag bereits im Dezember 2016 abgelehnt wurde. Im Dezember 2016! Noch ein Beispiel: Im vergangenen Jahr wurden gerade einmal 17 000 Personen abgeschoben. Das ist die um die Dublin-Fälle bereinigte Zahl. 17 000 Personen!
Aktuell haben wir aber über 200 000 vollziehbar ausreisepflichtige abgelehnte Asylbewerber in Deutschland.
({4})
Es gibt jedoch bundesweit nur 400 Abschiebehaftplätze. Ich erinnere an dieser Stelle auch an die lächerlichen Rückübernahmeabkommen, die beispielsweise mit Tunesien und Marokko abgeschlossen wurden. Und die absolute Krönung des Ganzen: Wenn die Inhaber einer Duldung nur lange genug durchhalten, wird ihr Widerstand gegen die Abschiebung auch noch mit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis belohnt. Diese Errungenschaft haben wir übrigens der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder zu verdanken.
({5})
Der Innenminister hofft nun darauf, dass die sogenannten Dublin-Fälle schnell in das EU-Land überstellt werden können, das nach dem Dublin-Abkommen für den Asylbewerber eigentlich zuständig ist. Lassen Sie uns auch hier einen Blick auf die Realität werfen: Im Jahr 2017 gab es 64 276 solcher Übernahmeersuchen von deutscher Seite an die Dublin-Vertragsstaaten. Tatsächlich wurden jedoch nur 7 102 Personen daraufhin überstellt, also gerade einmal 11 Prozent. Im Gegenzug hat Deutschland 8 754 Personen im Dublin-Verfahren aus anderen EU-Ländern wieder zurückbekommen. Diese verheerende Dublin-Bilanz mag auch der Grund dafür sein, warum nun so vehement darauf gedrängt wird, den Personenkreis der Dublin-Fälle direkt an der Grenze zurückzuweisen – so zumindest erst mal die Theorie.
Auch hier ein kurzer Ausblick auf die Realität: Voraussetzung für eine Zurückweisung soll laut Masterplan sein, dass die Person bereits ein Asylverfahren in einem anderen EU-Land betreibt. Das ist regelmäßig nur nachweisbar, wenn die Person dort vorher erkennungsdienstlich behandelt wurde und die Fingerabdrücke ordnungsgemäß von Italien, Griechenland, Spanien etc. in das Eurodac-System eingepflegt wurden. Was glauben Sie denn, wie sorgfältig hier die südlichen Mitgliedsländer künftig arbeiten werden, und was glauben Sie, wie lange es dauert, bis sich das bei den Schleusern herumgesprochen hat?
Sehr geehrter Herr Innenminister, AnKER-Zentren machen in Deutschland schlichtweg keinen Sinn; sie machen auch an der Binnengrenze keinen Sinn. Wenn überhaupt, gehören solche Zentren an die EU-Außengrenze, idealerweise jedoch in einen Drittstaat. Ansonsten wird aus dem Masterplan ein Desasterplan.
Vielen Dank.
Als Nächstes spricht für die SPD-Fraktion der Kollege Dr. Lars Castellucci.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Mittwoch war Integrationsgipfel im Kanzleramt, und es war eine ziemlich bunte Veranstaltung mit Vertreterinnen und Vertretern von Migrantenorganisationen, Kirchen, Religionsgemeinschaften usw. Mein Eindruck ist: Die Integration von denen in Deutschland ist ein Pappenstiel im Vergleich zur Integration der CSU in unsere Bundesregierung.
({0})
Man kann gut oder schlecht finden, was eine Regierung tut; aber handlungsfähig muss sie sein.
({1})
Der Zirkus geht nun schon mehrere Jahre, nur unterbrochen durch die Bundestagswahl. Der gestrige Tag war wirklich ein Symbol: vier Stunden Sitzungsunterbrechung – Sie blockieren, dass wir hier vorankommen.
({2})
Das ist eine Zumutung für den Koalitionspartner und für unser Land. Das geht so nicht weiter.
({3})
Wir haben eben eine Sondersitzung des Innenausschusses unterbrochen, um zu dieser Debatte zu kommen. Da geht es um die Aufklärung der Vorfälle in der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge.
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Herr Innenminister, ich habe den Eindruck, Sie haben viele Baustellen – da müssen Sie nicht dauernd neue aufmachen. Politik erschöpft sich nicht im Ankündigen immer neuer Pläne. Es soll bitte auch etwas umgesetzt werden – das steht jetzt auf der Tagesordnung –,
({5})
und zwar nicht irgendwas, sondern das, was wir vereinbart haben. Entschuldigung, wir haben einen Koalitionsvertrag – wofür haben wir denn so was? –,
({6})
und da steht eine Menge drin, insbesondere im Kapitel zu Migration, Flucht und Integration; es ist eines der längsten Kapitel, darüber wurde lange verhandelt.
Deswegen, Herr Innenminister: Verhandeln Sie Rückübernahmeabkommen. Nehmen Sie Herrn Müller mit, der da hinten sitzt. Er soll mal mithelfen, dass derjenige, der kooperiert, von uns Hilfe bekommt.
({7})
Das würde uns doch voranbringen.
Machen Sie das, was Herr Geisel hier vorgeschlagen hat: Engagieren Sie sich für die Abschiebung von Gefährdern,
({8})
und jammern Sie nicht immer nur, dass das nicht funktioniert.
Legen Sie ein Einwanderungsgesetz vor,
({9})
weil doch eindeutig ist: Wenn wir illegale Migration bekämpfen wollen, dann müssen wir legale Migration ermöglichen. – Usw.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten eigentlich eine erfolgreiche Woche.
({11})
Wir haben so wichtige Reformvorhaben aufs Gleis gesetzt: Wir haben die Musterfeststellungsklage, damit endlich Menschen, die sich in der Auseinandersetzung mit großen Konzernen alleingelassen fühlen, Unterstützung erhalten, weil Verbände für sie klagen können. Wir haben die Brückenteilzeit, damit man im Beruf nicht in die Sackgasse gerät, wenn man sich um die Eltern und ihre Pflege oder um die Kinder kümmern will. Wir haben gleiche Beiträge für Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei der Krankenversicherung durchgesetzt. Das sind wirklich große Schritte.
({12})
Und wer redet darüber? Niemand, weil Sie immer solche Streite inszenieren über die Fragen, über die wir jetzt wieder diskutieren. So verrutscht die Diskussion. Die Quittung werden Sie bei der bayerischen Landtagswahl erhalten.
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Zum Schluss: Europa. Ich mache mir wirklich Sorgen. Wir alle zusammen in Europa machen heute etwa 8 Prozent der Weltbevölkerung aus. Binnen einer Generation wird sich das absehbar halbieren. Meine Damen und Herren, wenn wir unserer Art, zu leben, wenn wir den Werten Freiheit, Demokratie und Menschenrechte eine Stimme geben wollen, dann gelingt das nur, wenn wir in Europa lernen, wieder mit einer Stimme zu sprechen.
({14})
Fordern Sie es nicht weiter heraus. Wir brauchen ein gemeinsames Europa.
Wir rufen heute nach Solidarität in Europa, aber waren lange selbst nicht solidarisch. 2015 ist eine richtige, aber einsame Entscheidung getroffen worden. Und heute, CSU, sollen wir wieder isoliert handeln? Das Gegenteil ist nötig. Wir müssen in Europa Vertrauen aufbauen und nicht Vertrauen erneut zertrampeln.
({15})
Leider glaubt uns bald kein Mensch mehr, wenn wir von europäischen Lösungen sprechen. Sie sehen ja: Ein Gipfel nach dem anderen scheitert oder ist ohne Fortschritt. Das liegt an Leuten, die Sie von der CSU gerne zu Klausurtagungen einladen oder mit denen sich der Innenminister trifft, anstatt zum Integrationsgipfel zu gehen. Ich sage Ihnen klar: Passen Sie auf, dass Sie nicht zum Sargnagel Europas werden.
({16})
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen bereit für vernünftige Lösungen. Wir brauchen eine humanitäre Flüchtlingspolitik. Wir müssen auch konsequent sein bei der Rückführung derjenigen, die kein Bleiberecht haben. Wir müssen mit unseren Partnern zusammenarbeiten.
Wir handeln verantwortlich. Sie veranstalten Chaostage, weil Sie Muffensausen wegen der anstehenden Landtagswahl haben, und das ist nicht verantwortlich.
({17})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CSU, heute muss man den Satz mal sagen: Deutschland zuerst!
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Herzlichen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach einem Vertreter der Koalitionsfraktionen nun eine Vertreterin der Opposition. Ich erteile das Wort der Kollegin Linda Teuteberg von der FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben eine wirklich turbulente und bemerkenswerte Woche hinter uns; dazu hat mein Kollege Marco Buschmann alles Notwendige gesagt. Doch die Lage ist zu ernst, die Probleme sind zu groß, als dass wir uns weiter mit dem Schwesternkampf von CDU und CSU aufhalten könnten.
({0})
Deutschland und Europa können nicht warten, bis die Union sich wieder zusammengefunden hat. Wir haben schon zu viel Zeit verloren. Wir haben als Freie Demokraten darum heute einen Vorschlag in der Sache gemacht, einen Vorschlag, der zeigt, dass mit Vernunft beides zusammengeht: eine begrenzte Zurückweisung an unseren Grenzen immer dann, wenn ein Schutzsuchender bereits in einem anderen EU-Staat registriert ist und dort Anspruch auf ein Asylverfahren hat, und gleichzeitig setzen wir auf mehr Zusammenarbeit und intensive Verhandlungen in Europa.
({1})
Wir wissen: Die Herausforderungen bei der Migration werden wir nicht allein lösen können. Eine nationale Lösung kann nur eine Übergangslösung sein.
({2})
Aber das ist natürlich nur eine der vielen Fragen, die wir endlich beantworten müssen. Die Konflikte in der Union und auch die Lähmung der Koalition verhindern immer noch Lösungen. Wir müssen endlich mehr tun, um die Probleme in den Herkunftsländern zu lösen, um die Fluchtursachen zu bekämpfen. Da geht es nicht nur darum, dass wir mehr Geld ausgeben, sondern darum, dass wir es richtig ausgeben.
Die Bundesregierung hat die Mittelansätze für die Bekämpfung von Fluchtursachen zwar erhöht, aber bisher kein schlüssiges Konzept vorgelegt, wie man diese Mittel effizient einsetzt.
Wir müssen auch in Europa endlich zu Lösungen kommen. Seit drei Jahren ist wenig passiert, Fortschritte sind kaum messbar. Da muss es endlich vorangehen:
({3})
mit einer deutlichen Stärkung von Frontex, einer engeren Kooperation mit unseren europäischen Nachbarstaaten, mit vorgeschobenen Asylzentren, in denen Flüchtlinge direkt Asyl beantragen können, mit einer entschlossenen Unterstützung für jene Mitgliedstaaten, in denen besonders viele Schutzsuchende eintreffen. Und nicht zuletzt müssen wir auch in Deutschland unsere Hausaufgaben machen: Die Beschleunigung der Asylverfahren, und zwar ohne Vernachlässigung der Gründlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit, ist überfällig, und eine konsequente Rückführung, wo immer möglich freiwillig, und, wo nötig, eine konsequente Abschiebung.
({4})
Übrigens sind zügige Verfahren auch und gerade im Interesse der Menschen mit Bleibeperspektive, die wir dann umso besser integrieren können, weil wir ihnen eine Perspektive geben können.
Zu guter Letzt müssen wir die Einwanderung nach Deutschland insgesamt neu ordnen, mit einem Einwanderungsgesetz, das diesen Namen verdient.
({5})
Herr Kollege Castellucci, möglicherweise wird umgekehrt ein Schuh daraus: Wer Akzeptanz für legale Migration erhöhen will, der muss auch entschlossen illegale Migration bekämpfen.
({6})
Vieles wäre da längst möglich. Wir haben zum Beispiel einen Gesetzentwurf zur Anerkennung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsstaaten vorgelegt. Beschluss auch durch die Koalitionsfraktionen? Bisher Fehlanzeige.
Wir sind auch offen, über AnKER-Zentren zu diskutieren. Wir wollen aber wissen, was Sie darunter verstehen. Ich finde es sehr bemerkenswert, wie viele hier von einem Masterplan sprechen, der uns noch nicht vorgelegt wurde.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen an Lösungen arbeiten. Um wirkliche europäische Lösungen zu erreichen, reicht es aber eben nicht, sie nur immer wieder pathetisch zu beschwören. Auch wenn Dublin III unvollkommen ist, kommen wir nicht zu einer besseren Lösung durch die bloße Nichtanwendung von Dublin III. Wir wollen Europa als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts stärken. Und wenn es eine unvollkommene Regelung gibt, dann müssen wir das Interesse an einer funktionierenden Nachfolgeregelung deutlich machen und vor allem unsere Partner davon überzeugen. Auf die Frage: „Was machen wir, wenn sie sich nicht auf Lösungen einlassen?“, einfach zu antworten: „Dann sehen wir danach weiter“, ist keine Lösung. Abwarten ist keine Lösung, keine Strategie. Wir bringen unsere Partner zum Beispiel nicht dazu, an gemeinsamen Lösungen zu arbeiten, indem wir eine Praxis wie die Zurückweisung gemäß Dublin III, die unser Nachbar Frankreich anwendet, als rechtswidrig diffamieren.
({8})
Den Zustand, dass die Bundesrepublik mehr Asylverfahren bearbeitet als alle anderen EU-Mitgliedstaaten zusammen, kann jeder, der verantwortungsethisch denkt, nicht so belassen. Es geht auch um gesamtstaatliche Verantwortung. Schade, dass Herr Geisel diese anmahnt, aber mit keinem Wort erwähnt, dass etwa die Länder Berlin und Brandenburg keinerlei Abschiebehaftplätze zur Verfügung stellen.
({9})
Das ist ein großes Problem für die Bundespolizei.
Wir wollen an Lösungen arbeiten. Wir fordern Sie auf: Berufen Sie einen Migrationsgipfel ein, auch mit Ländern und Kommunen. Wem es wirklich um die Stabilität dieses Landes und Europas geht, der darf sich nicht vor politischen Debatten und Entscheidungen drücken.
Vielen Dank.
({10})
Herzlichen Dank, Frau Teuteberg. – Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Michael Kuffer.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht nur schäbig, wie die AfD die Opfer schrecklichster Taten für ihren Klamauk hier missbraucht,
({0})
sondern es ist auch jedes Mal wieder traurig, dabei zusehen zu müssen. Angesichts dieser Vorgeschichte ist es verdienstvoll, dass sich die FDP und nachher auch die SPD nach Kräften bemüht haben, uns wieder aufzuheitern. Bei der FDP war das Mittelmaß. Das ist ja auch ein schwieriges Schauspiel.
({1})
Ich weiß, dass Sie zumindest an vielen Stellen nicht so weit von unseren Vorstellungen entfernt sind.
({2})
Die SPD hat da schon ein bisschen mehr nachgelegt. Ich habe auf den Kollegen Castellucci gehofft, der normalerweise immer für einen Lacher gut ist.
({3})
Er hat jetzt natürlich auch wieder nur die alten Schallplatten aufgelegt.
({4})
Aber ein guter Witz war dabei. Den will ich noch einmal erzählen. Der Witz ging ungefähr so: Die SPD steht für konsequente Abschiebungen.
({5})
Wie viele Abschiebehaftplätze haben Sie noch gleich in Berlin? Der Kollege Geisel ist vorsichtshalber gegangen. Der sucht den Abschiebehaftplatz wahrscheinlich.
({6})
Es ist weniger als eins – das kann ich Ihnen verraten –, nämlich null. Im Bereich zwischen null und einem anderen einstelligen Wert werden sich auch Ihre Ergebnisse bei den Landtagswahlen, die Sie immer so beschwören, bewegen, wenn Sie so weitermachen. Das kann ich Ihnen an der Stelle schon mal sagen.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Journalist Jupp Müller hat einen wahren Satz gesagt. Er hat gesagt:
Wahrheiten, die niemanden verärgern, sind meist nur halbe.
({8})
Zur ganzen Wahrheit gehört, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dass in der Asylpolitik der letzten Jahre Fehler begangen worden sind. Zur ganzen Wahrheit gehört auch – und das ist noch schlimmer; dem Befund müssen wir uns stellen –, dass sich die Menschen in unserem Land und die Politik in Bezug auf die Asylpolitik auseinandergelebt haben.
Mit dem Masterplan Asyl legen wir die Grundlage dafür,
({9})
dass wir den politischen Kurs mit den Sorgen der Menschen im Land wieder zusammenbringen, dass wir Tempo und Mühe verstärken, wo der Kurs stimmt, dass wir den Kurs justieren, wo sich Dinge weiterentwickelt haben, und dass wir den Kurs ändern und neu setzen, wo Dinge in die falsche Richtung gelaufen sind.
({10})
Dazu gehört das Versprechen, dass wir die Hilfsmöglichkeiten, die uns die Menschen in unserem Land mit ihrer Hilfsbereitschaft ermöglicht haben, ausschließlich zur Nothilfe nach dem Masterplan und nicht zur ungeprüften Verteilung von Wohltaten einsetzen. Dazu gehört auch, dass wir exakt zwischen Flucht, Asyl und Zuwanderung unterscheiden.
Das ist eines Ihrer großen Verständnisprobleme, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen:
({11})
Sie helfen niemandem, wenn Sie alles in einen Topf werfen. Wenn Sie Ihre Kapazitäten überschätzen und an der falschen Stelle einsetzen, dann sind Sie der schlechteste Helfer.
({12})
Es gibt immer noch den gesellschaftlichen Konsens in unserem Land, dass wir helfen wollen, wo Not am Mann ist. Aber wir dürfen die Hilfsbereitschaft unserer Bevölkerung nicht uminterpretieren, indem wir daraus einen Willen zu einer ungebremsten Zuwanderung ableiten. Einen solchen Konsens gibt es in der Gesellschaft nicht. Dafür haben wir kein Mandat.
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Zu den Versprechungen gehört auch, dass wir nur denjenigen die Tür öffnen, die bei uns wirklich Anspruch auf ein Asylverfahren haben, und dass wir jene an der Grenze zurückweisen, für die wir nach europäischem Asylrecht nicht zuständig sind.
({14})
Das gilt gerade für die Zurückweisung der Personen, die bereits in einem anderen Mitgliedsland vorstellig geworden sind. Wir reden hier über 50 000 bis 60 000 Fälle pro Jahr.
Vieles ist kompliziert und schwierig, diese Frage ist einfach. Sie ist rechtlich klar und politisch noch klarer gelöst, weil das um uns herum in Europa an vielen Stellen praktiziert wird, mittlerweile also Realität ist. Deshalb muss die Zurückweisung an der Grenze zum Maßnahmenpaket gehören, wenn wir unsere Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel setzen wollen. Das sage ich Ihnen an dieser Stelle ganz deutlich.
({15})
Die Leute würden uns nämlich nicht mehr glauben, dass wir den Willen und die Kraft aufbringen, die schwierigen Probleme zu lösen, wenn wir noch nicht einmal den Willen aufbringen, das Naheliegendste zu tun.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Davon sind wir – das sage ich Ihnen am Schluss – als CSU überzeugt. Wir sind überzeugt, dass die Kursänderung und die vorgeschlagenen Maßnahmen richtig und nötig sind – für das Land und die Menschen, die uns die Verantwortung anvertraut haben.
Herr Kollege, ihr letzter Satz, bitte.
In diesem Sinne bitte ich um Verständnis dafür, dass wir das nicht davon abhängig machen können, ob sich der eine oder andere in der Koalition gut fühlt oder wie die Umfragen an dem einen oder anderen Tag sind. Wir müssen hier etwas langfristiger denken.
({0})
Das würden Sie vielleicht verstehen, wenn Sie auch einmal bereit wären, Verantwortung zu übernehmen.
Danke.
({1})
Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Gabriela Heinrich für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kuffer, das war fast schon wie im Bierzelt. Respekt!
({0})
Im ganzen Land werden hochemotionale Debatten geführt – am Stammtisch, hier, unter Freunden, auch in den Parteien. Verbrechen, die von Flüchtlingen begangen werden, heizen solche Debatten weiter an, und sie werden instrumentalisiert. Manche meinen, dass der Rechtsstaat in der Flüchtlingspolitik versagt, und sie tun alles, um diesen Eindruck zu verstetigen. Massiv verstärkt wird das Gefühl dann durch Gerüchte, Vermutungen und Propaganda.
Die Frage ist, wie wir hier im Bundestag jetzt damit umgehen. Wollen wir, dass es sich weiter zuspitzt und eskaliert, oder sollte sich nicht zumindest die Koalition lieber um Lösungen bemühen, wie wir das im Koalitionsvertrag nach harten Verhandlungen vereinbart haben? Für mich und für die SPD-Bundestagsfraktion ist die Antwort klar: Wir wollen Verantwortung übernehmen, wir wollen bestehende Probleme lösen, und wir wollen Vertrauen in den Rechtsstaat zurückgewinnen, indem wir die Probleme jetzt endlich angehen.
({1})
Herr Minister, damit endlich wir mit der Arbeit anfangen können, wäre es sinnvoll, wenn wir gemeinsam über die Konzepte des Innenministeriums reden könnten. Aber dafür müssten wir sie kennen. Ein Masterplan Migration ist angekündigt. Er geht – so hört man – über den Koalitionsvertrag hinaus. Er soll – so hört man – gemeinsam mit dem Entwicklungsminister vorgestellt werden. Er darf – so hört man – nicht verändert werden.
Dieser Masterplan, der bislang nicht vorgestellt werden durfte und den wir nicht kennen, bietet viel Raum für Spekulationen. Ich nenne einmal ein paar Stichpunkte, auf deren Konkretisierung wir warten: eine Konzeption für ein Einwanderungsgesetz,
({2})
eine Konzeption für AnKER-Zentren, auf die wir uns verständigt haben, die Ausgestaltung der Asylverfahrensberatung, auf die wir uns verständigt haben, Verbesserungen beim Ausländerzentralregister und Verbesserungen bei den Integrationskursen. Wir warten.
Dieses Land hat massiven Verbesserungsbedarf
({3})
rund um die Migration: die Probleme beim BAMF, ungeklärte Identitäten, Rückführungen, die scheitern, Gerichtsverfahren, die sich über Jahre hinziehen, und nicht zuletzt die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger, vor Gefährdern geschützt zu werden. Die Menschen im Land erwarten zu Recht, dass wir zusammenarbeiten und Verantwortung übernehmen: miteinander, nicht gegeneinander und nicht aneinander vorbei.
({4})
Die SPD, meine Damen und Herren, hat einen klaren Kompass. Wir stehen für ein humanitäres Asylrecht. Wir wollen ein Einwanderungsgesetz, auch deshalb, um Asyl und Arbeitsmigration zu trennen, um eben nicht alles in einen Topf zu werfen. Das wollen wir schon lange und die Grünen genauso. Wir wollen gründliche, aber schnellere Asylverfahren. Wir wollen weiterhin und wir werden ganz massiv in Integration investieren. Das ist die einzige Methode, um unsere Werte zu vermitteln, um sie zu schützen und um Parallelgesellschaften zu verhindern.
({5})
Das Asylrecht kann kein bedingungsloses Bleiberecht für alle sein. Wer nicht schutzbedürftig ist, muss das Land verlassen. Dafür brauchen wir Abkommen und Anreize. Wir brauchen auch endlich ein transparentes Einwanderungsgesetz zur Steuerung der Migration.
Zur Verantwortung gehört, dass wir wirklich Lösungen finden und es nicht bei Überschriften belassen.
({6})
Wenn wir, Kolleginnen und Kollegen, Transitzentren einfach in AnKER-Zentren umbenennen, dann ist das keine Lösung. Dann ist das einfach nur eine Umetikettierung.
Zum Thema „Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutschen Grenze“. Für viele Menschen mag das erst einmal vernünftig klingen. Aber im Grunde würden wir doch nur wieder Kettenreaktionen mit dem Ergebnis auslösen, dass die Flüchtlinge in Italien und in Griechenland bleiben. Das hatten wir aber schon einmal. Die Überforderung dieser Länder und das Versagen der Unterstützung Europas waren Gründe dafür, dass hier 2015 das System zusammengebrochen ist. Man muss sich doch die Frage stellen, ob die Rückkehr dorthin auch nur irgendwie zukunftsweisend sein kann. In Zeiten, in denen so viele Europa spalten und schwächen wollen, bergen nationale Alleingänge das Risiko, Europa zu zerstören.
Landtagswahl first, Deutschland egal und Europa völlig wurscht: So wird es nicht laufen.
Vielen Dank.
({7})
Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Als vorletztem Redner in dieser Aktuellen Stunde erteile ich dem Kollegen Alexander Throm von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Am Ende einer durchaus spannenden und zumindest in Teilen aufgeregten Woche gibt es hier eine ebenso aufgeregte Debatte.
Frau Kollegin Heinrich, ich denke schon, dass Sie als Kollegin der SPD den Koalitionsvertrag gelesen haben. Da steht nichts von einem Einwanderungsgesetz,
({0})
sondern von einem Fachkräftezuwanderungsgesetz. Das ist ein großer Unterschied. Deswegen sollten Sie hier nichts einfordern, was im Koalitionsvertrag so nicht enthalten ist.
({1})
Das Thema „Ordnung und Steuerung der Migration“ ist das innenpolitische Thema in Deutschland. Das zeigt auch: Diese Debatte ist so aktuell wie 2015/2016, wenn auch nicht so aufgeheizt.
Themen wie die Vorkommnisse im BAMF – wie sind die Strukturen? was war in Bremen möglich? –, aber auch die schrecklichen Kriminalfälle beschäftigen die Bürger. Deswegen ist es wichtig, dass wir jetzt alle gemeinsam darauf Antworten geben.
Seit 2015/2016 ist von der alten und jetzigen Koalition vieles auf den Weg gebracht worden – heute erst das Gesetz zur Begrenzung des Familiennachzugs –, aber wir können uns darauf nicht ausruhen. Deswegen begrüße ich es außerordentlich, dass der neue Innenminister jetzt einen Masterplan vorlegen will – er liegt ja noch nicht vor –, in dem er alles zusammenfasst:
({2})
von der Entwicklungshilfe über die europapolitischen Maßnahmen und die nationalen Maßnahmen bis hin zur Integration.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen, täuschen Sie sich nicht: Die Übereinstimmung in der Union und auch in der Unionsfraktion ist größer, als es heute erscheint und als manche von Ihnen hoffen.
({4})
Deswegen müssen wir, nachdem über zweieinhalb Jahre keine Einigung auf europäischer Ebene stattgefunden hat – und es scheint, dass es auch in den nächsten Monaten nicht möglich sein wird –, durchaus über nationale Maßnahmen und auch über Zurückweisungen an der Grenze nachdenken. Das halte ich für eine Selbstverständlichkeit zu diesem Zeitpunkt.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die von mir sehr geschätzte Kollegin Haßelmann von den Grünen hat heute Morgen bei einem anderen Tagesordnungspunkt uns alle hier von der FDP bis zur Linken angesprochen und unsere besondere Verantwortung angemahnt. Das gilt auch gerade jetzt bei diesem Tagesordnungspunkt. Wir sind uns, denke ich, von der FDP bis zur Linken einig, dass wir die Gesellschaft zusammenhalten müssen und dass wir, so wie wir uns in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben, auch eine offene Gesellschaft haben. Aber es geht eben auch darum – die Situation hat sich bei der letzten Wahl verändert –, dass wir für unsere Demokratie bzw. Parteiendemokratie, wie wir sie nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut haben, kämpfen und diese verteidigen müssen.
({6})
Da darf sich keiner einen schlanken Fuß machen. Es geht letztlich darum, dass wir Typen wie Dr. Curio wieder aus diesem Parlament herausbekommen.
({7})
Da, meine sehr verehrten Damen und Herren, gehören alle dazu, auch die Länder. Da regieren Grüne, Linke, SPD und FDP mit. Zur FDP und zu Integrationsminister Stamp hat Kollege Middelberg schon das Entsprechende gesagt.
AnKER-Zentren – ein zentrales Projekt dieser Koalition bei der Steuerung und Regelung der Migration, das, was wir hier in Deutschland machen können – werden von der SPD, von ihren Landesministern, quasi boykottiert.
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Herr Pistorius gefällt sich als Oberoppositioneller in Niedersachsen. Und dass Herr Geisel heute überhaupt erschienen ist, ist schon sehr mutig. Denn gerade seine Koalition lehnt AnKER-Zentren ab. Auch im Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün werden Abschiebehaft und Abschiebegewahrsam als unangemessen bezeichnet, und man will sie über eine Bundesratsinitiative abschaffen.
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Kein Wunder, dass er hier heute zwar redet, aber wieder geht, bevor die Antworten kommen. Er hat wohl gewusst, was auf ihn zukommen wird.
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Beim Thema Familiennachzug sieht es in Berlin nicht besser aus. Dort wollen Sie ihn auf Verwandtschaftsverhältnisse zweiten Grades ausweiten und auch volljährigen Kindern den Familiennachzug gewähren. Ich glaube, Sie haben die Zeichen der Zeit in keiner Weise erkannt.
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Ich will an meine Eingangsworte erinnern, welches Verantwortungsbewusstsein wir als demokratischer Teil dieses Parlamentes haben.
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Deswegen würde ich sagen: Nach dieser aufgeregten Woche –
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
– sollten wir alle ins Wochenende gehen, einmal unsere Positionen überdenken –
Herr Kollege, kommen Sie bitte zu Ihrem letzten Satz.
– und dann auch wieder in die Verhandlungen gehen.
Herzlichen Dank für die Zeit.
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Herr Kollege Throm, ich behalte mir vor, Ihnen wegen des Hinweises auf den Abgeordneten Curio als „Typen“ einen Ordnungsruf zu erteilen. Ich muss aber noch einmal darüber nachdenken. Ich behalte mir das ausdrücklich vor. Ich glaube nicht, dass wir so miteinander umgehen sollten in diesem Parlament, und zwar wechselseitig.
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Als letzter Rednerin der heutigen Debatte erteile ich das Wort der Kollegin Ute Vogt für die SPD-Fraktion.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde gerne am Ende dieser Debatte den Blick ein bisschen über unsere eigenen Landesgrenzen hinaus werfen. Weltweit sind über 65 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Hauptaufnahmeländer für diese Flüchtenden sind neben der Türkei die Länder Pakistan, Libanon, Iran, Uganda und Äthiopien, um nur einige Beispiele zu nennen. Wenn Sie die Situation, insbesondere die wirtschaftliche Situation, in diesen Ländern anschauen und sie mit der bei uns vergleichen, dann müssen Sie erkennen, wo die wirklichen Herausforderungen beim Thema Migration liegen.
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Werfen Sie einen Blick auf die Prognosen: Der UN-Flüchtlingskommissar prognostiziert, dass wir allein durch den Klimawandel mehr als 6 Millionen weitere Vertriebene Jahr für Jahr erleben werden – Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, weil ihr Land verloren geht, weil Trockenheit, Wasserknappheit neben Krieg und Gewalt die Fluchtursachen sind. Angesichts dessen möchte ich diese Debatte auch nutzen, um dafür zu werben, dass wir die Fluchtursachen in den Blick nehmen; denn für die Steuerung von Migration sind die Lebensbedingungen in der Heimat bzw. in den Herkunftsländern ganz wesentlich.
Mit dem Bundeshaushalt, den wir in der übernächsten Sitzungswoche verabschieden wollen, werden gute Investitionen getätigt. Über 900 Millionen Euro zusätzlich bekommt allein das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Dank dem Einsatz der Haushaltspolitiker der Koalition sind weitere 9 Millionen Euro zur Verdoppelung der Anstrengungen für die Globale Bildungspartnerschaft eingestellt. Auch dafür herzlichen Dank an unsere Haushälter.
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Jetzt geht es darum, dass wir richtig investieren. Wir unterstützen durchaus die Afrika-Strategie des Hauses im Entwicklungsbereich. Aber die Afrika-Strategie allein darf nicht ausreichen. Es geht auch darum, den ärmsten und armen Staaten dieser Welt zu helfen. Über 800 Millionen Menschen – das sind 11 Prozent der Weltbevölkerung – leiden noch heute an Hunger und haben nicht genug, um ihren täglichen Bedarf an Ernährung zu decken. Es ist daher unabdingbar, dass wir in den Beratungen für den Haushalt 2019 auch dahin kommen, dass wir die Gelder, die wir zusätzlich erwirtschaften, zur Steigerung der ODA-Quote verwenden, sodass wir es schaffen, wenigstens 0,7 Prozent des Bruttonnationaleinkommens für Entwicklungshilfe aufzuwenden, was sich viele hier im Haus vorgenommen haben. Ich bin froh, dass Finanzminister Olaf Scholz sich sehr für die Finanztransaktionsteuer einsetzt. Das verschafft uns die Finanzmittel, die wir brauchen, um bis 2020 das 0,7-Prozent-Ziel auch wirklich zu erreichen.
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Wir haben uns zusammen mit den Vereinten Nationen große Ziele gesteckt. Wir haben in Deutschland die Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet. Sie gilt in jedem Ressort und nicht allein im Umweltministerium oder im BMZ. Ich wünsche mir, dass wir in dieser Debatte auch darauf achten, unsere Selbstverpflichtungen ernst zu nehmen. Ich nenne die Ziele, denen wir uns verpflichtet haben, die SDGs 1 bis 5: Armut bekämpfen, Hunger bekämpfen, für eine Gesundheitsversorgung aller Menschen sorgen, für Bildung sorgen und auch dafür, dass die Geschlechtergleichstellung weltweit Standard wird. Es gibt zwölf weitere Ziele; ich will sie nicht alle aufzählen. Wenn wir es schaffen, das zum Maßstab unserer Politik zu machen, dann haben wir viel mehr Chancen, die weltweite Migration zu steuern und zu regeln, als mit allen Grenzdebatten, die wir auch heute hier wieder erlebt haben.
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Deshalb will ich Sie zum Schluss bitten: Lassen Sie uns den Blick weiten! Denn die eigentlichen Herausforderungen der Migration liegen jenseits der deutschen und im Zweifel sogar jenseits der europäischen Grenzen.
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Herzlichen Dank, Frau Kollegin Vogt. – Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, an die Worte von Dr. Schäuble zu erinnern, dass die Art und Weise, wie wir im Parlament miteinander umgehen, nicht nur das Bild dieses Parlaments nach außen prägt, sondern auch das Verhalten in der Gesellschaft prägt. Deshalb bitte ich noch einmal ganz inständig darum – das ist eine herzliche Bitte des gesamten Präsidiums –, alles zu vermeiden, was die persönliche Integrität von Kolleginnen und Kollegen, gleich welcher Couleur, beeinträchtigen könnte.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. Juni 2018, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
(Schluss: 17.15 Uhr)