Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/12/2017

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, meine nun 51. und damit erste Rede in der neuen Legislatur versöhnlich zu beginnen – denn Scharfmacher gibt es in der Politik inzwischen genug – und vielleicht erst einmal den Mandatstext zu zitieren. Doch ich sage ganz deutlich, liebe Herren Neu und Nolte: Ich will mir später nicht selbst vorwerfen müssen, ich hätte geschwiegen und den Mund gehalten, wenn, wie vor drei Wochen bei der ersten Lesung zu Sea Guardian, Blödsinn ausgesprochen wird. Da schwadroniert Die Linke von NATO-Imperialpolitik, von geheimnisvollen Interessensphären, von deutschem Expansionsdrang, ({0}) und die Rechten da drüben wiederum verstricken sich selbst in irgendwelche langweiligen Theorien. ({1}) Einerseits sehen Sie den Nutzen für das teutsche Volk – das „teutsche“! –, andererseits werde unsere Bundeswehr doch nur zum Schleuser degradiert, und im Übrigen interessiere Sie die Menschenrettung auf See im Mittelmeer dann doch nicht so recht. Diese krude Logik soll man erst einmal verstehen! ({2}) Über beide Auffassungen bin ich erschüttert. ({3}) Da verlieren täglich geschundene Menschen in den Tiefen des Meeres nicht nur ihre Träume, Sehnsüchte, Hoffnungen auf ein Leben in Würde, nein, sie verlieren ihr Leben. Da machen sich Schleuser breit, und Waffenschmuggler feiern fröhlich Urständ. Und was wir erleben: Die äußerste Rechte und die äußerste Linke trennt nur noch der weite Sitzabstand. In der Verteidigungs- und der Außenpolitik zeigen sie sich als Brüder und Schwestern im Geiste. ({4}) Sie blenden die Wirklichkeit aus und treffen sich in alter Manier dort, wo sie am besten sind, nämlich bei Verschwörungen. Oder sagt man heute besser: „bei alternativen Fakten“? ({5}) Absolute Fehlanzeige, wenn es um Lösungsansätze geht! ({6}) So viel zum „Versöhnlichen“. ({7}) Meine Kolleginnen und Kollegen, zur Sache selbst: Die Operation Sea Guardian ist jetzt und heute richtig. Sie funktioniert. Ihre Aufgaben müssen erfüllt werden. Deshalb werden wir Sozialdemokraten heute dem Mandat zustimmen und das Mandat verlängern. Doch zugleich stelle ich die Fragen in den Raum: Haben wir auch eine Exit-Strategie? Was erwarten wir, um guten Gewissens sagen zu können: „Jetzt können wir nach Hause gehen, jetzt kann es die libysche Küstenwache, jetzt können es die Libyer selbst“? Oder: Wie integrieren wir Sea Guardian mittelfristig in die Operation Sophia? – Dies wäre ein ehrliches Signal zur Europäischen Verteidigungsunion, das zumindest auch noch Ressourcen schonen würde. Als Abrüstungspolitiker sage ich ganz deutlich: Besonders der Sea-Guardian-Beitrag zur Eindämmung des Waffenschmuggels ist richtig. Die Region leidet seit Jahrzehnten unter dem Krebsgeschwür der viel zu einfachen Verfügbarkeit von Kleinwaffen. Auch das ist ein Teil der Debatte; das ist ein Teil des Problems. Deshalb dürfen wir nicht die Augen verschließen und so tun, als ob uns hier in Deutschland dies nichts anginge. Schauen Sie nach Libyen, sprechen Sie mit Martin Kobler, dem ehemaligen Sondergesandten. ({8}) Libyen ist nicht Bautzen, Schwerin oder Oberammergau. Dort gibt es keine funktionierende Staatsgewalt, wie wir sie kennen. Ohne diese kann Libyen wieder zum Rückzugsort für Terroristen werden. Menschenrechtsverletzungen und Sklavenhandel stehen auf der Tagesordnung, was den Druck auf die Flüchtlinge noch weiter erhöht. Afrika liegt vor unserer Haustür, ein paar Seemeilen von Europa entfernt. Stabilität und Perspektiven für die Staaten Nordafrikas – wenn sie überhaupt Perspektiven haben – und die Staaten im Nahen und Mittleren Osten liegen schon in unserem ureigensten Interesse. Gescheiterte Staaten in unmittelbarer Nachbarschaft der EU wären auch Bedrohungen für uns. Sonst fliegt uns der ganze Laden um die Ohren. Meine Kolleginnen und Kollegen, wir Sozialdemokraten sehen hier unsere Verantwortung, die Verantwortung Deutschlands. ({9}) Unser amtierender Außenminister Sigmar Gabriel hat sich mit zahlreichen Projekten und Finanzmitteln am Aufbau eines funktionierenden Gemeinwesens beteiligt, um Fluchtursachen zu bekämpfen und Menschen Perspektiven zu geben. Dazu gehört aber auch ein kluges Migrationskonzept: keine Abschottung, sondern kluges Handeln für die Zukunft. ({10}) Wir Sozialdemokraten sagen dazu: Einwanderungsgesetz. Wir haben es vorgelegt; wir wollen handeln. Meine Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle sei es mir erlaubt, unserer Bundeswehr, die im Mittelmeer hervorragende Arbeit leistet, heute einen Dank auszusprechen, ({11}) einen Dank an die Frauen und Männer der Bundeswehr in der Heimat und in der Ferne – oft am Rande der Belastbarkeit und der Machbarkeit. ({12}) Deshalb schlicht und einfach: Danke. Wir sehen Ihre Arbeit, wir schätzen Ihr Engagement. Sie stehen für eine Generation Deutscher, die konkrete Verantwortung übernimmt. Wir wissen: Die Weihnachtstage werden Ihnen viel zu lang vorkommen. Doch vergessen Sie nicht, liebe Soldatinnen und Soldaten: Viele Menschen und der Deutsche Bundestag werden an Sie denken. Passen Sie auf sich auf, und kommen Sie gut wieder heim in den Kreis Ihrer Lieben! Ihre Gesundheit und das Miteinander sind letztlich das Einzige, was zählt. Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({13})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Kollege Kiesewetter von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Adventszeit debattieren wir sieben Einsätze – verbunden mit sieben namentlichen Abstimmungen –, die wir mit großer Nüchternheit, Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit betrachten sollten. Gerade die Operation Sea Guardian zeigt, dass wir als Parlament handlungsfähig sind, dass wir der Regierung durch unsere namentlichen Abstimmungen Handlungsfähigkeit geben und auch unseren Soldatinnen und Soldaten den Rücken stärken. Wichtig ist aber auch, dass wir nach außen, in die Öffentlichkeit, das Zeichen eines handlungsfähigen Parlaments setzen. Das ist uns als CDU/CSU sehr wichtig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade die Operation Sea Guardian zeigt, was tatkräftiges Engagement einer Regierung und auch eines Parlaments über die Jahre bewirken kann. ({0}) Fast 15 Jahre war dies eine Operation im Rahmen von Artikel 5 des NATO-Vertrages: Selbstverteidigung der NATO. Durch deutsche Diplomatie und viel Werbung innerhalb der NATO-Partner ist es gelungen, daraus eine Mission ganz neuer Art zu machen. Entscheidend sind aus meiner Sicht zwei Bereiche: erstens, dass wir gemeinsam zum Lagebild im Mittelmeer beitragen; denn sowohl im nördlichen Afrika als auch im Nahen Osten sind erhebliche Umbrüche festzustellen. Wir müssen dies auf Seeseite mitgestalten. Zweitens ist diese Mission ganz entscheidend, um Partner aus dem Nahen und Mittleren Osten und aus dem nördlichen Afrika einzubinden, sie auszubilden, sie an die Sicherheitskultur Europas heranzuführen; denn nur gemeinsam werden wir die Herausforderungen, die von internationalem Terrorismus und Migration herrühren, bewältigen können. Deshalb ist die Operation Sea Guardian von uns zu unterstützen. Wir als CDU/CSU möchten hier sehr klar dafür werben. Erlauben Sie mir aber, dass ich drei Punkte anspreche, die über diese Mission hinausgehen und die die sieben Einsätze, die wir in diesen Tagen debattieren, betreffen. Erstens. Es handelt sich um eine Mission der NATO, die aber mit der Europäischen Union eng abgestimmt sein muss. Hierbei sollten wir sehr stark daran denken, dass wir unsere eigenen sicherheitspolitischen Interessen mit dem Vorgehen der Europäischen Union und der NATO abstimmen müssen. Das führt mich zum zweiten Punkt. Spätestens seit der Rede Macrons an der Sorbonne, seit der Rede von Außenminister Gabriel letzte Woche bei der Körber-Stiftung und durch das tatkräftige Engagement unserer Verteidigungsministerin bei der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit ist klar: Wir haben unterschiedliche Sicherheitskulturen in Europa. Frankreich setzt sehr stark auf die europäische Interventionsinitiative. Unser deutscher Ansatz geht in den Bereich der Vernetzung ziviler und militärischer Fähigkeiten, in die Ertüchtigung von Partnern. Wir dürfen das nicht getrennt sehen. Wir sollten das als einen Beitrag zur sicherheitspolitischen Kultur Europas verstehen und uns intensiv darum bemühen, dass das Vorgehen Frankreichs und Deutschlands als zwei Seiten einer Medaille gesehen wird. Das führt mich zum dritten Punkt. Wenn wir den Anspruch haben, in der Bundeswehr eine Parlamentsarmee zu sehen, dann reicht es aus meiner Sicht nicht, dass wir jährlich die Mandatsdebatten leisten – etwa 16, zweimal im Jahr –, eine Haushaltsdebatte und eine Debatte über den Bericht des Wehrbeauftragten führen, sondern wir sollten uns auch Gedanken über die Erfolge der Mission und insbesondere darüber machen, wie wir diese Einsätze besser miteinander vernetzen können; denn es geht darum, dass wir knappe Haushaltsmittel und das höchste Gut, unsere Soldatinnen und Soldaten, sinnvoll einsetzen: im Sinne unserer politischen Interessen und einer gut abgestimmten Sicherheitspolitik. ({1}) Ich sage das auch als Oberst außer Diensten unserer Streitkräfte und danke unseren Soldatinnen und Soldaten. Aber mir geht es nicht darum, meiner alten Berufsgruppe zu danken, sondern umgekehrt: Ich glaube, unsere Soldatinnen und Soldaten erwarten mehr von uns, nämlich eine Evaluierung der Einsätze, eine Bilanzierung der Einsätze und eine regelmäßige Debatte im Bundestag über unser internationales Engagement. Ich halte das deshalb für so wichtig, damit wir auch unserer Bevölkerung klarmachen: Es geht nicht vorrangig um Militäreinsätze, sondern es geht darum, wie wir unser außenpolitisches, sicherheitspolitisches und entwicklungspolitisches Engagement miteinander vernetzen können. Sea Guardian ist ein hervorragendes Beispiel dafür, Lagefeststellung und Ausbildung miteinander zu verknüpfen und der humanitären Verpflichtung im Mittelmeer nachzukommen. In diesem Sinn, liebe Kolleginnen und Kollegen, wünsche ich uns heute und morgen spannende Debatten und eine breite Mehrheit, die unseren Soldatinnen und Soldaten den Rücken für die Einsätze stärkt und unsere Regierung verlässlich und handlungsfähig macht. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Nolte, AfD. ({0})

Jan Ralf Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004842, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte Sie, bei den folgenden Abstimmungen eines nicht zu vergessen: Unsere Soldaten haben geschworen, Deutschland zu schützen und dafür letztlich sogar das eigene Leben einzusetzen. Diese Treue zu würdigen, heißt, unsere Soldaten nicht leichtfertig in Einsätze zu entsenden. Sie sind Schützer Deutschlands und Europas, die nicht fern der Heimat ihr Leben riskieren sollten. Natürlich sind die Bekämpfung von Waffenschmuggel und Terrorismus im Mittelmeer sowie das Vorgehen gegen Schleusernetzwerke klar im nationalen Interesse. Warum werden für Sea Guardian trotzdem keine eigenen Kräfte entsandt, während man für Syrien, Mali oder Afghanistan jeweils etwa 1 000 Mann vorsieht? Sprechen wir doch einmal über die Sicherheitslage in Deutschland. Wir blicken auf schreckliche Terroranschläge zurück, müssen unsere Weihnachtsmärkte mit Antiterrorsperren und Polizei schützen und sind im Sicherheitsranking des Weltwirtschaftsforums seit 2015 um 31 Plätze nach unten gerutscht. ({0}) Es ist kein Geheimnis, dass im Zuge irregulärer Migration auch radikale Islamisten und Kriminelle zu uns kommen. Diese Migration findet über das Mittelmeer statt. Sie macht unser Land heute unsicherer, entfaltet ihre wahren, unwiderruflichen Auswirkungen aber erst in der Zukunft. Trotzdem schicken wir unsere Soldaten um die halbe Welt, statt sie vor unserer Haustür ihre Heimat schützen zu lassen. ({1}) Bei aller Hilfsbereitschaft anderen Staaten gegenüber sind wir doch zuerst Deutschland verpflichtet. ({2}) Wir stimmen heute zu, erwarten aber, dass in Zukunft die Prioritäten richtig gesetzt und solide Einsatzgrundlagen geschaffen werden. Konkret fordere ich Sie auf, entweder die Bundeswehr oder die libysche Küstenwache in die Lage zu versetzen, Migranten nach Afrika zurückzubringen. ({3}) Wir brauchen handlungsfähige Mandate und keine Lippenbekenntnisse. Ich will mit einem Kommentar zur letzten Plenarsitzung zum Schluss kommen. Dort klang mancher so, als könne man irgendwie unseren Soldaten die Realität der Mittelmeereinsätze anlasten. Dazu möchte ich klar sagen, dass unsere Bundeswehr treu den Willen dieses Parlamentes erfüllt. Loyalität ist keine Einbahnstraße, werte Kollegen. Stellen Sie sich vor unsere Soldaten, und übernehmen Sie Verantwortung für Ihre Beschlüsse! ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Graf Lambsdorff von der FDP. ({0})

Alexander Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004798, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zu Sea Guardian im Einzelnen komme, lassen Sie mich für meine Fraktion, die Freien Demokraten, sagen, dass wir heute und morgen der Verlängerung der sieben in Rede stehenden Mandate zustimmen werden. Für uns ist das eine dreifache Verantwortung. Einerseits ist es eine Verantwortung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten, die Rechtssicherheit für ihre Einsätze brauchen. Es ist zum Zweiten eine Frage der Verantwortung gegenüber unseren Verbündeten, mit denen wir diese wichtige Arbeit gemeinsam machen. Deutschland muss ein verlässlicher Partner sein und bleiben. Aber es ist zum Dritten auch eine Frage der Verantwortung dieses Parlaments, dass wir in den nächsten Monaten die Zeit und die Gelegenheit haben, alle Mandate im Einzelnen noch einmal technisch, inhaltlich und strategisch daraufhin zu überprüfen, ob wir ihnen auch in Zukunft zustimmen können. Deswegen will ich hier eines genauso deutlich sagen: Auch wenn wir allen sieben Mandaten zustimmen werden: Das ist keine Vorwegnahme unserer Positionierung für die Zukunft. Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen; er befasst sich mit den Entschließungsanträgen der Kollegen von der Linksfraktion. Wir sind bereit, über alle Themen zu reden. Wir sind auch bereit, Standpunkte zu diskutieren, die nicht unsere sind; aber wir finden, dass es diesem Thema wirklich nicht angemessen ist, wenn Sie spät abends vor einer solchen Debatte sieben Entschließungsanträge einfach auf den Tisch des Hauses knallen, in der Erwartung, dass sich das Parlament damit befassen kann. Wir werden diese Entschließungsanträge daher durchgehend ablehnen. ({0}) Das ist ein Thema, das Ernsthaftigkeit verlangt, das solide Arbeit verlangt, aber nicht hingehudelte Texte, die uns einfach mal so auf den Tisch geknallt werden. Meine Damen und Herren, Sea Guardian ist ein wichtiges Mandat. Es ist die Nachfolgemission zum Mandat Operation Active Endeavour. Active Endeavour war eine Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001. Es war 15 Jahre lang ein Mandat auf der Basis des Artikels 5 des NATO-Vertrages. Wir als Freie Demokraten sagen: Es war ein richtiger Schritt, jetzt eine Entkoppelung vorzunehmen; das war eine richtige Maßnahme. Denn es geht bei Sea Guardian darum, dass wir hier Menschenschmuggel bekämpfen, dass wir Waffenschmuggel bekämpfen. Das ist eine Aufgabe, die wir auch im Rahmen der Europäischen Union mit der Operation Sophia wahrnehmen. Es geht um die Bekämpfung des Terrorismus. Die Änderung der Rechtsgrundlage halten wir für prinzipiell richtig. Wir wollen auch, dass die Seeraumüberwachung, die Sea Guardian vornimmt, fortgesetzt wird. Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, lieber Herr Kollege, dass Sie sagen, das Mittelmeer sei so weit weg von Europa, dass man nicht nachvollziehen könne, warum das noch im Interesse Europas sei. Genau das ist hier gerade gesagt worden. Das Mittelmeer ist ein Meer in unserer unmittelbaren Nachbarschaft; das sage ich als deutscher Abgeordneter. Es ist nicht ein deutsches Küstengewässer. Aber wenn wir Sicherheit europäisch denken, gilt: Das Mittelmeer ist unser Heimatmeer, für das wir eine besondere Verantwortung wahrzunehmen haben. ({1}) Lassen Sie mich mit Folgendem schließen – das will ich hier auch ganz deutlich sagen –: Viele Soldatinnen und Soldaten sind über die Weihnachtstage im Einsatz. Sie werden von ihren Familien schmerzlich vermisst werden. Wir als Freie Demokraten senden – ich glaube, das gilt für das ganze Haus – die besten Weihnachtsgrüße an alle Soldatinnen und Soldaten im Einsatz und an ihre Familien und wünschen von Herzen ein friedliches Weihnachtsfest. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat der Kollege Korte um das Wort für eine Kurzintervention gebeten.

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke. – Herr Kollege, ich will Sie darauf aufmerksam machen: Ich halte es eher für ein Problem, dass alle anderen Fraktionen keine Entschließungsanträge zu diesen wichtigen Vorlagen einbringen und keine umfangreiche inhaltliche Positionierung vornehmen. ({0}) Ich will Ihnen zum Zweiten jenseits der Inhalte sagen: Es ist im Bundestag so, dass man Entschließungsanträge selbst eine Minute oder auch nur eine halbe Minute vor Aufruf eines Tagesordnungspunktes einbringen kann. Diese Anträge heißen Entschließungsanträge; denn es geht darum, dass man kurzfristig auf Entwicklungen reagieren kann. ({1}) – Ja, genau; richtig. Ich wollte nur darauf hinweisen. Der dritte Punkt, auf den ich Sie aufmerksam machen möchte, ist der, dass wir solche Fragen in der Fraktion vorher diskutieren. ({2}) Aufgrund der verkürzten Sitzungswoche fand diese Diskussion erst gestern statt. Danach sind Ihnen die Entschließungsanträge zugeschickt worden. Insofern will ich Sie nur darauf aufmerksam machen: Es ist sinnvoll, Entschließungsanträge einzubringen, um eine Positionierung, um eine inhaltliche Darlegung seines Abstimmungsverhaltens vorzunehmen. Davon können Sie sich etwas abgucken, Sie können das auch machen, und Sie können vielleicht vorher in der Fraktion diskutieren. Wir machen das. Man muss auch in der Lage sein, solche Entschließungsanträge – bei Mandatsverlängerungen geht es nicht um irgendetwas; da geht es um schwerwiegende Entscheidungen –, die anderthalb Seiten umfassen, vor Debattenbeginn zu lesen. Das nur zur Erklärung der Abläufe hier. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Graf Lambsdorff, wollen Sie erwidern? – Bitte sehr.

Alexander Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004798, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Korte, ich kann Ihnen versichern, dass die Fraktion der Freien Demokraten diese Fragen genauso intensiv diskutiert wie Ihre. Punkt eins. ({0}) Punkt zwei. Dass es sich um eine plötzliche Entwicklung handeln soll, auf die Sie spontan reagieren mussten, das kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Die Mandate laufen, zum Teil seit vielen Jahren. Wir wussten seit Wochen, dass heute die Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen stattfinden. ({1}) Dass uns das Ganze über Nacht vorgelegt wird, ist in meinen Augen eben nicht Ausdruck von Ernsthaftigkeit. Man kann die Dinge vorab diskutieren. Man kann die Texte zirkulieren lassen. Man kann dann ernsthaft debattieren. Das ist der Anspruch, den wir an die Arbeit hier stellen, gerade wenn es um diese Mandate geht. Wir finden, dass Ihre Arbeit diesem Anspruch nicht gerecht geworden ist. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Vogler für die Fraktion Die Linke. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute und morgen legt uns die geschäftsführende Bundesregierung ganze sieben Mandate für Bundeswehreinsätze zur Verlängerung vor. Beraten wurden diese Mandate nicht in ordentlichen Sitzungen des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses, ({0}) sondern in einem sonderbaren Konstrukt namens Hauptausschuss, ({1}) das fünf Fraktionen hier im Haus gegen die Stimmen der Linken eingerichtet haben. ({2}) Man könnte diesen Hauptausschuss durchaus auch „Ausschuss zum schnellen Abnicken von Bundeswehreinsätzen“ nennen. ({3}) – Herr Grosse-Brömer, Sie können sich wieder hinsetzen und ein bisschen zuhören; dann hören Sie mal ein paar Argumente. ({4}) Ich bin sehr grundsätzlich gegen diese Bundeswehreinsätze. Aber im Gegensatz zu Ihnen – zu Ihnen allen – finden meine Fraktion und ich, dass die vielzitierte Parlamentsarmee und die Soldatinnen und Soldaten, die über Weihnachten im Auslandseinsatz sein werden, ein ordentliches parlamentarisches Verfahren in den vom Grundgesetz vorgesehenen Ausschüssen verdient hätten. ({5}) Nun zum Mandat Sea Guardian. Das Vorgängermandat Operation Active Endeavour wurde hier 2003 beschlossen. Begründet wurde es damals mit der Terrorismusgefahr nach dem 11. September 2001, und es ist seitdem immer wieder verlängert worden. Seit letztem Jahr gibt es dieses neue Mandat unter einem neuen Namen, mit einer neuen Grundlage und einem noch weiteren Aufgabenspektrum, und, Herr Brunner, es gibt keine Exit-Strategie. Diese Regierung hat keine Exit-Strategie, und das ist ein Skandal. ({6}) Sie wollen damit unter anderem unerwünschte Migration bekämpfen; im Antrag der Bundesregierung wird das „Menschenschmuggel“ genannt. Dabei gäbe es viel wirksamere Mittel, zu verhindern, dass das Mittelmeer weiter zum Massengrab wird: Schaffen Sie legale Migrationsrouten, damit die Menschen nicht ihr Leben aufs Spiel setzen müssen, um nach Europa zu gelangen! ({7}) Ich sage Ihnen auch: Natürlich brauchen wir Seenotrettung, solange immer noch verzweifelte Menschen auf seeuntauglichen Booten versuchen, das Mittelmeer zu überqueren. Aber viele Nichtregierungsorganisationen zeigen doch, dass man das auch ohne Militär leisten kann. Was denen fehlt, sind Ressourcen. Im vorliegenden Antrag werden 1,8 Millionen Euro für drei Monate allein für die deutsche Beteiligung an Sea Guardian veranschlagt. Damit, sage ich Ihnen, könnte die Zivilgesellschaft einige Rettungsschiffe ausstatten. ({8}) Das andere, was die Seenotrettung vor Libyen behindert, ist die sogenannte libysche Küstenwache, die Hilfsorganisationen mit Gewalt daran hindert, die Menschen zu retten. Genau diese Küstenwache soll aber im Rahmen dieses Mandats trainiert werden, und das finden wir unerträglich. ({9}) Wenn wir über regionale Instabilität reden, um die es in dem Mandatstext ja auch geht, dann müssten Sie doch einmal begründen, wie eine Marinemission an den Ursachen dieser Instabilität ansetzen kann. Mir fehlt auch die kritische Auseinandersetzung damit, was denn der Einsatz militärischer Gewalt zu dieser Instabilität beigetragen hat. Gerade im Fall Libyen waren es ja NATO-Staaten, mit denen die Bundesregierung bei Sea Guardian zusammenarbeitet, die mit dazu beigetragen haben, dass Libyen heute so aussieht, wie es eben aussieht. Meine Damen und Herren, Die Linke glaubt nicht, dass dieses Mandat den hier vielfach vorgebrachten Zielen dienen kann. Deshalb fordern wir ein Ende der Beteiligung der Bundeswehr an Sea Guardian. Setzen Sie sich in der EU und in der NATO dafür ein, die Militäroperationen im Mittelmeer zu beenden, und holen Sie unsere Soldatinnen und Soldaten nach Hause! ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Brantner, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich voranstellen, dass wir für jedes Menschenleben, das unsere Soldatinnen und Soldaten retten, sehr dankbar sind. Das ändert aber nichts daran, dass wir eine zivile Seenotrettung brauchen, weil es eigentlich Aufgabe der zivilen Kräfte ist, Seenotrettung vorzunehmen. ({0}) Wenn wir hier über Seenotrettung und permanent über Libyen sprechen, dann wundere ich mich doch und frage mich, ob wir wirklich über das richtige Mandat reden; ({1}) schließlich ist doch hier nicht EUNAVFOR MED Operation Sophia auf der Tagesordnung, sondern Sea Guardian. Aber die permanente Diskussion über Libyen zeigt eines der Probleme beim Mandat Sea Guardian auf: Sea Guardian soll EUNAVFOR MED Operation Sophia unterstützen. Aber was genau ist eigentlich der Unterschied? Was genau soll Sea Guardian im Unterschied zu EUNAVFOR MED machen? Wo ist der Unterschied zwischen diesen zwei Mandaten? Das ist absolut nicht klar, und das ist einer unserer Hauptkritikpunkte an dem vorliegenden Mandat. ({2}) Der zweite Kritikpunkt, den wir haben, ist: Wenn man die Frage stellt, welchen Zweck die Mission Sea Guardian wirklich erfüllt, dann lässt sich im vorliegenden Mandat keine konkrete Antwort finden. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz sieht in Artikel 3 Absatz 2 aber vor, dass wir Abgeordnete genau darüber informiert werden, was Sie abstimmen. Das vorliegende Mandat ist so schwammig formuliert, dass überhaupt nicht klar wird, welchen Auftrag die Soldatinnen und Soldaten haben. Sie könnten mit diesem Mandat genauso gut schon EUNAVFOR MED Operation Sophia oder UNIFIL abgestimmt haben. Mehrere Mandate werden durch dieses eine Mandat abgedeckt. Es ist so unpräzise, dass es unseren Ansprüchen an eine Parlamentsarmee nicht genügt. ({3}) Es gibt die Möglichkeit, das Personal aller Anrainerstaaten im Mittelmeer auszubilden. Was Libyen angeht, haben wir unsere Kritik schon geäußert. Aber wir sehen auch, dass sich Ägypten weit von der Einhaltung der Menschenrechte wegentwickelt. In diesem Land werden zum Beispiel alleinerziehende Mütter, die darauf beharren, dass es normal ist, alleinerziehend zu sein, ins Gefängnis gesteckt. So sieht momentan die Menschenrechtslage in Ägypten aus. Auf der Sinai-Halbinsel wird zudem brutal gegen Menschenrechtsaktivisten vorgegangen. Daher ist Ägypten für uns kein Partner, wenn es um Sea Guardian geht. Welche Kriterien ein Partner zu erfüllen hat, wird im Mandat überhaupt nicht definiert. ({4}) Da es also gravierende Mängel gibt, können wir dem Mandat nicht zustimmen. Erlauben Sie mir, Herr Nolte, eine Frage an Sie zu richten. Sie haben gesagt, deutsche Soldaten sollten vor der Haustür für Recht und Ordnung sorgen. Was soll das bedeuten? Meinen Sie damit Einsätze in Frankreich, Polen oder sogar im Innern? Das, was Sie zur Definition deutscher Politik vortragen, ist doch absurd und hat mit einer europäischen Verantwortlichkeit gar nichts mehr zu tun. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Gädechens, CDU/CSU. ({0})

Ingo Gädechens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der letzten Woche konnte ich Staatssekretär Grübel begleiten. Wir haben das Einsatzkontingent UNIFIL in Limassol und insbesondere die Korvette „Magdeburg“ besucht. Danach waren wir beim 47. Einsatzkontingent im KFOR-Mandat in Pristina und Prizren. Vor Ort durfte ich der Truppe als Adventsgruß das gelbe Band der Solidarität des Deutschen BundeswehrVerbandes überreichen, mit dem unser Parlament die Verbundenheit insbesondere mit den Soldatinnen und Soldaten in den Auslandseinsätzen zum Ausdruck bringt. ({0}) Man konnte spüren, dass der Dienst gerade in der Adventszeit, fernab der Heimat und der Familie, eine emotionale Herausforderung darstellt. Umso mehr verdienen alle Auslandseinsätze unseren allerhöchsten Respekt. Ich wünsche mir, dass sich alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages immer wieder vor Augen führen, dass der Soldatenberuf etwas ganz Besonderes ist. ({1}) Sea Guardian leistet einen Beitrag zur Seeraumüberwachung und zu einer vernetzten Lagebilddarstellung im Mittelmeerraum. Diese Mission dient dazu, krisenhafte Entwicklungen im maritimen Umfeld rechtzeitig zu erkennen und diese frühzeitig zu bekämpfen bzw. ihnen entgegenzuwirken. Schiffe, die im Verdacht stehen, eine Verbindung zu kriminellen oder terroristischen Organisationen zu haben, dürfen im Einklang mit dem Völkerrecht, aber leider nur mit Zustimmung der Flaggenstaaten auf hoher See kontrolliert und durchsucht werden. Sea Guardian kann mit anderen Missionen im Mittelmeer kooperieren. So wird beispielsweise die EU-geführte Operation Sophia, die unter anderem gegen Schleusernetzwerke vorgeht, mit einem erweiterten Lagebild und auch mit Logistik versorgt werden. Darüber hinaus werden die ständigen maritimen Einsatzverbände der NATO unterstützt. An der Mission in der Ägäis ist die deutsche Marine zurzeit mit dem Einsatzgruppenversorger „Frankfurt am Main“ beteiligt. Als humanitärer Akt wurden in den vergangenen Jahren Tausende Flüchtlinge aus Seenot gerettet. Dies ist nicht die eigentliche Aufgabe von Sea Guardian; aber deutsche Marinesoldaten retten in Seenot geratene Menschen, und nach internationalem Seerecht und seemännischer Tradition ist jeder Kapitän, jeder Schiffsführer auf hoher See verpflichtet, unabhängig von Nationalität, Status und Umständen, bei Seenot unverzüglich Hilfe zu leisten. ({2}) Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es völlig inakzeptabel, wenn Redner der AfD unsere Marinesoldaten abfällig als Schleppergehilfen bezeichnen. ({3}) Ich muss Ihnen sicherlich nicht erklären, wie bei den Soldatinnen und Soldaten die Bezeichnung „Schleppergehilfen“ angekommen ist. Ich denke, alle hier in diesem Hohen Haus sind aufgefordert, ihre Worte etwas sorgsamer abzuwägen. ({4}) Meine Damen und Herren, abgesehen von manch kritischen Einlassungen auch von der linken Seite des Hauses, ist Sea Guardian eine verbindende und somit wichtige Mission. Deshalb stimmt meine Fraktion einer Verlängerung der Mission zu. Wie bereits persönlich vor Ort gegenüber den Soldatinnen und Soldaten geäußert, möchte ich im Namen meiner Fraktion auch von dieser Stelle aus sagen: Ich wünsche allen Soldatinnen und Soldaten in den Einsatzgebieten eine gesunde Heimkehr, vor allen Dingen eine besinnliche Adventszeit, frohe Weihnacht und einen guten Rutsch in ein hoffentlich friedvolles Jahr 2018. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Hauptausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Maritimen Sicherheitsoperation Sea Guardian im Mittelmeer. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/176, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 19/22 anzunehmen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung nun namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? – Das ist jetzt der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Ich bitte Sie, soweit Sie an der Sitzung teilnehmen wollen, Platz zu nehmen. – Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/221. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Enthaltungen von AfD und Grünen ist er mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP abgelehnt, wobei Die Linke dafürgestimmt hat. Oh, ist das kompliziert! Jedenfalls ist der Antrag abgelehnt. ({0})

Michelle Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es ist noch nicht vorbei. Als wir Ende des Jahres 2015 von unseren französischen Freunden nach den schrecklichen Angriffen in Paris um Beistand gebeten wurden und wir erstmals über dieses Mandat zu entscheiden hatten, wütete der sogenannte „Islamische Staat“ mit unvorstellbaren Gräueltaten gegen Menschen und ihr kulturelles Menschheitsgedächtnis. Die eroberten Territorien wurden zum Rückzugsort und zur Basis für weltweite Angriffe. Zu Recht entschieden wir uns damals mit großer Mehrheit, zu handeln, und traten an der Seite unserer europäischen Partner der sogenannten Anti-IS-Koalition bei. Die Mitglieder von Daesh, dem selbsternannten „Islamischen Staat“, hatten 2014 ein Territorium erstritten, das etwa so groß war wie Baden-Württemberg und Bayern zusammen, ein Territorium reich an Ölquellen. Mit den Einnahmen aus den Ölquellen, aus Antiquitäten-, Drogen- und Menschenhandel erbeuteten sie schätzungsweise – niemand weiß es so genau – zweistellige Millionenbeträge im Monat. Daraus bezahlten sie die Kämpfer und diejenigen, die willig ihre menschenverachtende Ideologie in der Welt verbreiten, sowie ihre Propagandaabteilung, die eigene Zeitungen herausgibt und die vor allem über das Internet ihr Gift auch in unserem Land zu verbreiten sucht. Heute, fast sieben Jahre nach Beginn des Konflikts in Syrien, in dem Hunderttausende von Menschen im Bombenhagel ums Leben gekommen sind, versklavt, gefoltert oder vergewaltigt wurden, Menschen geflohen sind, ist die internationale Lage sicherlich nicht minder kompliziert, als sie es in den vergangenen Jahren war, im Gegenteil. Das Assad-Regime sieht sich als militärischer Sieger des Konflikts, unterstützt von Russland und Iran. Aber eine politische Lösung, die das Land nachhaltig befrieden und versöhnen könnte, ist weiterhin nicht in Sicht. Doch der IS hat weitgehend an Territorium und militärisch weitgehend an Bedeutung verloren. Das selbst ausgerufene Kalifat ist Geschichte. Am Wochenende wurde der IS gleich mehrmals für besiegt erklärt. Andere Nachrichten, die von neuer Präsenz der Terrormiliz in Idlib berichten, als auch schreckliche Angriffe, auf deren Urheberschaft sich der IS immer wieder beruft, lassen erahnen, dass dieser Kampf noch nicht vorbei ist. Zeitungsberichte, Interviews Überlebender oder Filme wie „City of Ghosts“, der online zu sehen ist, vermitteln uns angesichts neu aufkommender Konfliktlinien bereits einen neuen Feind zwischen den Trümmern der zerstörten Städte: das Gefühl der Perspektivlosigkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir bestimmen heute über die Verlängerung des Mandats um drei Monate bis zum 31. März kommenden Jahres. Danach – so steht es im Text – sollen „Fortschritte … gefestigt und weiterentwickelt werden“. Bei der ersten Einsetzung des Mandats in diesem Hause sprachen wir bereits über die Notwendigkeit einer internationalen Strategie, die militärisches Vorgehen einer Koalition zwar einschließt, aber politisch breiter angelegt sein sollte. So haben wir uns entschlossen, auch einen wesentlichen Beitrag bei der humanitären Hilfe zu leisten und gegen die Finanzströme des IS, etwa beim Antiquitätenhandel, vorzugehen. Beides haben wir vorangetrieben, allen Schwierigkeiten zum Trotz. Unter den SPD-Außenministern Steinmeier und Gabriel ist Deutschland zu einem der größten internationalen Geber geworden. ({0}) Nun, vor dem drohenden Winter, wird das Auswärtige Amt noch einmal 120 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Das ist gut, und das ist richtig so; ({1}) denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, uns wird es dauerhaft nur gut gehen, wenn es auch anderen auf der Welt gut geht. ({2}) Diesen Beitrag also auch künftig zur Priorität zu machen, wird umso wichtiger, weil der bloße Wiederaufbau für eine stabile Zukunftsperspektive nicht genügt. Humanitäre Hilfe, die weitere Entminung, die Wiederherstellung grundlegender Wasser- und Gesundheitsinfrastrukturen sowie die Unterstützung der Zivilgesellschaft sind dringend geboten. Es bedarf also einer klaren Strategie, wie der Übergang zu einer Friedensordnung gestaltet und Resilienzen gegenüber Extremismus geschaffen werden können, damit sich die Fehler der Vergangenheit, von denen auch die jüngere Geschichte dieser Region berichten kann, nicht ein weiteres Mal wiederholen. ({3}) Es muss weiterhin alles getan werden, damit für den syrischen Bürgerkrieg, in dem die Auseinandersetzung mit dem IS ja nur ein Teil des Konflikts ist, endlich eine politische Lösung gefunden wird. Angesichts dieser Herausforderungen sollte die neue Bundesregierung, die noch zu bilden ist, prüfen, ob nach Ablauf der drei Monate eine Reduzierung der Mittel bei Flugzeugen und Personal zugunsten eines verstärkten zivilen Engagements im Irak angemessen wäre. Es könnte außerdem geprüft werden, ob andere technische Mittel zur Aufklärung notwendig sind und wie dem entstehenden Vakuum durch den zunehmenden Abzug des IS begegnet werden kann, um eine mögliche Machtübernahme durch andere islamistische Gruppen zu verhindern. Darüber ist zu diskutieren. Verehrte Damen und Herren, kluge Außenpolitik muss mit Sorgfalt und Weitsicht komplexe Konfliktursachen berücksichtigen und die Konsequenzen von Handeln und Nichthandeln umsichtig gegeneinander abwägen. Deswegen werbe ich heute um Ihre Zustimmung. Um es mit den Worten von Willy Brandt zu sagen: „Der Tag wird kommen, an dem der Hass, der im Krieg unvermeidlich scheint, überwunden wird.“ Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Hardt, CDU/CSU. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich, bevor ich konkret zu diesem Mandat spreche, etwas voranschicken, was für alle sieben Mandate gilt, die wir heute und morgen beraten: Die CDU/CSU-Fraktion wird allen sieben Mandaten zustimmen. Wir haben entschieden, dass sich Deutschland verantwortlich an der Schaffung einer besseren Welt beteiligen will. Aber wir haben uns auch entschieden, dass wir dies nicht in nationalen Alleingängen tun, sondern gemeinsam mit Partnern in Strukturen, in denen unser Einsatz von Partnern unterstützt wird und die wir durch unseren Einsatz tragen. Allein diese Einbindung fordert von uns Verlässlichkeit, die wir verletzen würden, wenn wir jetzt eines dieser Mandate Hals über Kopf verlassen würden. Es gibt kein Mandat, an dem wir beteiligt sind, bei dem nicht andere Nationen, bei dem nicht andere Soldatinnen und Soldaten von unserer Arbeit, von unserer Verlässlichkeit abhängen. Allein das ist, wie ich finde, ein ganz wichtiges Argument; Alexander Graf Lambsdorff hat auch darauf hingewiesen. Deswegen gibt es überhaupt keinen Zweifel für mich, diese sieben Mandate zu verlängern. Alle sieben Mandate erfüllen wichtige Voraussetzungen, die vielleicht auch für jemanden, der sich bisher nicht so intensiv damit befasst hat, relevant sind, wenn er diesen Mandaten zustimmen will: Erstens. Es muss eine klare völkerrechtliche Grundlage geben. Zweitens. Das militärische Engagement muss einen Beitrag leisten können zur Lösung oder Entschärfung des Problems. Drittens. Die Bundeswehr muss ihrerseits diese Fähigkeiten bereitstellen können. – Wenn diese drei Voraussetzungen erfüllt sind – das ist bei allen sieben Mandaten gegeben –, dann kann der Deutsche Bundestag mit Blick auf seine Verantwortung in der Völkergemeinschaft aus meiner Sicht nicht beiseitestehen. Wir haben gegenwärtig 3 721 Soldaten im Einsatz. Es waren unter der rot-grünen Bundesregierung einmal über 10 000. Das heißt: Wir gehen sehr verantwortungsvoll mit diesem Instrument um. Und wir haben offensichtlich auch Erfolg gehabt: Wir haben in den letzten Jahren Einsätze erfolgreich beenden können. Auch die Einsätze, über die wir heute hier reden, sind erfolgreich.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Hardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Neu?

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Hardt, leider ist jetzt kein Redner der Regierung am Pult, deshalb muss ich Sie mit der Frage konfrontieren. Sie haben soeben einige Kriterien aufgeführt, anhand derer man einem Auslandseinsatz zustimmt. Ein Kriterium ist für mich immer die Frage nach den Opfern. Wie viele zivile Opfer bringt ein solcher Einsatz mit sich? Die Linke hat vor geraumer Zeit eine Kleine Anfrage bezüglich der Opfer in Syrien und im Irak gestellt. Die Antwort der Bundesregierung war, sie hätte keine Informationen. Ich habe das dann konkretisiert, und Herr Staatssekretär Dr. Brauksiepe hat dann genau das Gegenteil gesagt. Er hat gesagt, es gibt im Rahmen der sogenannten Wirkungsanalyse auch in Syrien und im Irak natürlich Aufklärung auch über Opfer und Schäden. Die Frage ist: Kennen Sie die Daten, wie viele zivile Opfer in Syrien und im Irak zu verzeichnen sind? Wenn Sie sie nicht kennen: Warum kennen Sie sie nicht? Denn sie sind abrufbar in einer Datenbank, zu der auch die Bundesregierung Zugang hat.

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Neu, ich glaube, dass keine Nation so sorgfältig mit den Verantwortungen des Kriegsvölkerrechtes umgeht wie wir, das heißt, Abwägung zwischen den eingesetzten Mitteln im Verhältnis zu dem voraussichtlichen Erfolg des Einsatzes dieser militärischen Mittel und den Risiken, die sie mit sich bringen. Ich glaube, dass wir im Deutschen Bundestag in den letzten acht Jahren, in denen ich diesem Hohen Haus angehöre, viel Zeit darauf verwendet haben, genau zu klären, dass die deutsche Bundeswehr und unsere Verbündeten diese sorgfältige Abwägung stets treffen. Deswegen glaube ich, dass wir bei allem, was wir tun, insbesondere bei diesem Anti-IS-Einsatz, bei der Auswertung des Bildmaterials usw., diese Sorgfalt in hohem Maße walten lassen. Ich glaube, dass in einem Kriegsgebiet die Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Opfern schwierig ist und dass es wahrscheinlich nicht vermeidbar ist, dass es Folgen von Militäreinsätzen gibt, die Unschuldige und Unbeteiligte treffen. Ich glaube aber, dass es die Bundeswehr aufgrund der Aufklärungsmittel, die wir haben, in einem hohen Maße schafft, genau solche ungewollten Wirkungen von Einsätzen zu vermeiden. ({0}) Ich möchte zum IS-Einsatz Folgendes vortragen: Der IS ist durch den gemeinsamen Einsatz der Völkergemeinschaft erheblich in Bedrängnis geraten. Er ist noch nicht besiegt, aber er ist in weiten Teilen zurückgedrängt. Er verliert auch seinen Glanz für diejenigen fehlgeleiteten Menschen in Europa und anderswo, die sich von einem aufstrebenden IS haben faszinieren und einbinden lassen und die ihm auf den Leim gegangen sind und seiner Ideologie anhängen. Ich glaube, die Wirkung, dass der IS in Europa junge Menschen, junge Männer und Frauen, verführt und für seine radikalen islamistischen Ziele gewinnen kann, ist durch die Zurückdrängung des IS auch ein Stück weit zurückgegangen. Wir haben leider nach wie vor terroristische Anschläge in Europa. Wir haben in der nächsten Woche den Gedenktag zum einjährigen Gedenken an den Anschlag in Berlin. Ich glaube aber, dass unser Einsatz einen Beitrag dazu leistet, dass die Zahl der jungen Menschen in unserem Lande, die möglicherweise vom IS verführbar sind, entsprechend abnimmt. Ich möchte zum Schluss noch einen Satz zur Bedeutung unseres Einsatzes in der Völkergemeinschaft sagen. Ich bin beim Central Command in Tampa, Florida, gewesen, wo dieser Einsatz in weiten Teilen koordiniert wird. Dort arbeiten deutsche Soldatinnen und Soldaten an der Seite vieler Soldaten anderer Nationen. Sie haben mir hautnah berichtet, wie unser Beitrag zu diesem Einsatz von den anderen Nationen wertgeschätzt wird. Wir leisten Luftbetankung mit einer Hochwertfähigkeit, die auch in der NATO so nicht selbstverständlich ist für andere Nationen. Wir leisten eine hervorragende Aufklärungsarbeit. Wir sind bereit, auch weiterhin mit den AWACS-Flugzeugen über der Türkei und über internationalem Luftraum Luftbilder und Luftaufklärung für den Luftraum im IS-Gebiet zu leisten. Wir sind nach wie vor auch bereit, gegebenenfalls wieder Geleitschutz für einen zum Beispiel französischen Flugzeugträger in der Region zu leisten; eine Aufgabe, die von uns zurzeit nicht abverlangt wird. Ich bin dafür, dass wir dieses erfolgreiche Mandat verlängern, und bitte Sie deshalb um Ihre Unterstützung. ({1})

Peter Felser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004714, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Werte Kolleginnen, werte Kollegen! Liebe Gäste! Der Paradigmenwechsel der Bundeswehr von der Verteidigungs- zur Einsatz- und Interventionsarmee liegt nun über 25 Jahre zurück. Ich selbst war damals junger Offizier, und auch ohne große Erfahrung habe ich mich damals schon gefragt: Kann das richtig sein, was wir dort machen? Kann das richtig sein, was da passiert und wie wir die Bundeswehr umstrukturieren? Heute, ein Vierteljahrhundert später, sind diese Zweifel nicht nur geblieben, sondern sie sind sogar noch größer geworden; denn heute können wir das Ergebnis des damaligen Hauruck-Umschwungs sehen: eine kaputtgesparte, ausgelaugte, marode Truppe. Das ist leider die Wahrheit um die heutige Bundeswehr. ({0}) Genau deswegen, weil wir dieses Ergebnis kennen, sehen wir den Paradigmenwechsel äußerst kritisch. Eine unkritische Akzeptanz der aktuellen und auch der zukünftigen Einsätze wird es darum mit der AfD nicht geben. Dies gilt in besonderem Maße für das Mandat Counter Daesh. Wir sehen durchaus die Teilerfolge. Ja, der IS wurde weit zurückgedrängt. Ja, ein Großteil des vom IS kontrollierten Gebiets konnte zurückgewonnen werden. Wir danken daher an dieser Stelle den im Ausland befindlichen Soldaten für ihre Aufklärungsflüge, für die Betankung der Flugzeuge unserer Bündnispartner, für ihren gesamten Einsatz. Unsere Soldaten haben ihre Arbeit und ihren Auftrag vorbildlich erfüllt. Vielen Dank! ({1}) Aber genau an dieser Stelle darf die politische Bewertung nicht zu Ende sein. Es gibt gravierende Mängel, die gar nichts mit den Soldaten im Einsatz zu tun haben, sondern grundsätzlicher Natur sind. Als Offizier und politisch interessierter Bürger frage ich mich schon lange: Wo ist eigentlich die außenpolitische und sicherheitspolitische Strategie dahinter? Fast sieht es so aus, als wären wir auch in diesen Einsatz hineingestolpert, ohne richtig darauf vorbereitet zu sein. Wissen wir eigentlich, auf was wir uns dort eingelassen haben? Wir müssen doch – der Kollege Kiesewetter hat es bereits angesprochen – Kennzahlen und Kenngrößen festlegen und Ziele definieren, um messen zu können: Hat sich dieser Einsatz rentiert? Hat er sich gelohnt? Was ist daraus geworden? Ich bin auch mittelständischer Unternehmer. Ich könnte im Unternehmen nichts voranbringen, wenn ich keine Ziele definieren und nicht Kennzahlen messen würde. Das haben wir bei Counter Daesh alles nicht. Wir haben keine Kennzahlen, und wir haben auch keine Exit-Strategie. In meinen Augen ist das pure Verantwortungslosigkeit vonseiten der Bundesregierung gegenüber den Leben unserer Soldaten. Außerdem ist das außen- und sicherheitspolitisch unverantwortlich. Genau deswegen wird die Alternative für Deutschland die Verlängerung dieses Mandats ablehnen. Holen wir unsere Soldaten zurück – am besten vor Weihnachten. Das wäre das Gescheiteste. Danke schön. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Kollege Michael Georg Link, FDP. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Felser, man kann und muss beim Thema Bundeswehr über vieles – über Ausrüstung, über Ausbildung – diskutieren, und das tun wir in diesem Parlament. Aber die Bundeswehr hier im Hohen Hause als „marode Truppe“ zu bezeichnen, das ist ehrabschneidend. ({0}) Wir sollten darauf achten, welche Worte wir benutzen; denn hier geht es um einen Einsatz, über den wir aus dem Hohen Hause heraus entscheiden und diskutieren. Da brauchen wir die gebotene Sorgfalt, die wir in diesem Hause pflegen. Deshalb – ich sage es auch – ist es so wichtig, dass wir möglichst schnell die Fachausschüsse haben; denn natürlich brauchen wir eine vertiefte Debatte über diese Dinge. Insofern werden wir – auch wenn wir heute zustimmen – nach diesem Roll-over, nach dieser technischen Verlängerung in eine vertiefte Debatte einsteigen und weiter inhaltlich sehr intensiv darüber diskutieren. Zum Mandat selbst. Wir alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben die militärischen Erfolgsmeldungen gesehen, sowohl im Irak als auch in Syrien. Die Tatsache, dass die Grenze zwischen Irak und Syrien teilweise wieder durch die Streitkräfte kontrolliert werden kann, ist sicherlich ein Fortschritt. Aber wir alle sind uns, glaube ich, einig, dass wir noch lange nicht am Ziel sind. Insofern wird dieses Mandat noch gebraucht. Ich sage sehr wohl „noch“; denn natürlich stellen wir jedes Mandat nicht nur völkerrechtlich, sondern auch zeitlich auf den Prüfstand. Hier sind wir in der FDP-Fraktion aber ganz eindeutig zu dem Ergebnis gekommen, dass es aus verschiedenen Gründen noch gebraucht wird. Noch ist der IS, der sogenannte „Islamische Staat“, eben noch lange nicht besiegt, und natürlich sind wir uns auch darüber im Klaren, dass er als Terrororganisation im Verborgenen fortbestehen wird, wahrscheinlich umso mehr, als er territorial nicht mehr präsent ist. Der militärische Fortschritt im Kampf gegen den IS eröffnet Chancen, sowohl im Irak als auch in Syrien. So schwierig die Lage in beiden Ländern ist, gibt es jetzt zumindest doch die Chance, dass wir neue Anläufe im VN-Friedensprozess machen. Lassen Sie mich für meine Fraktion sehr deutlich sagen: Wir unterstützen den Friedensprozess, wie er von den Vereinten Nationen geführt wird. Da sollten alle Energien hineinfließen. Insbesondere sollten alle parallel laufenden Prozesse, auch der Astana-Prozess, unbedingt in den VN-Friedensprozess eingegliedert werden. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Link, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Braun?

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Jürgen Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004680, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Link, Sie haben hoffentlich vernommen, dass Kollege Felser davon gesprochen hat, dass die Ausrüstung der Bundeswehr in einem miserablen Zustand ist, deshalb der Zustand „marode“ ist. Sind Sie der Meinung, dass die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr in den letzten Jahrzehnten ausreichend war?

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Braun, wie Sie wissen, treten wir als Freie Demokraten ganz eindeutig und nachdrücklich dafür ein, die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr zu verbessern. Wir haben dies als einen ganz wichtigen Punkt im Wahlkampf betont und werden es in unserer parlamentarischen Arbeit unterlegen. Aber bitte, er hat nicht die Ausstattung als marode bezeichnet. Das Zitat war: „marode Truppe“, und das lehne ich ausdrücklich ab. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Mir ist wichtig, ausdrücklich festzuhalten, dass dieser Einsatz in vollständiger Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben für Auslandseinsätze steht. Er erfolgt im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit ({1}) nach Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes, und er stellt unseren Beitrag zur internationalen Allianz gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ dar. Wir haben im Rahmen des Systems kollektiver Sicherheit sogar zwei Bereiche, die einschlägig sind: Wir haben die Beschlüsse des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, der einen Auftrag erteilt, und wir haben auch den ersten Fall einer Anwendung des Artikels 42 EU-Vertrag; es ist das erste Mal, dass die Verpflichtung zu gegenseitigem Beistand in der EU gilt. Aus all diesen Gründen, liebe Kolleginnen und Kollegen, unterstützen wir diesen Einsatz. Wir danken unseren Soldatinnen und Soldaten. Wir brauchen diesen Einsatz noch. Wir stimmen diesem Mandat zu. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat der Kollege Dr. Neu von der Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Die Bundesregierung wirbt also jetzt für die Fortsetzung des Anti-IS-Einsatzes. Nur, der IS ist besiegt. Die irakische und die syrische Regierung haben das letzte Woche kundgetan. Ich meine, sie müssen es wissen, denn es sind die Regierungen der betreffenden Länder. ({0}) Sie wissen es wahrscheinlich besser als so manche Redner vor mir, die davon reden, der IS ist noch nicht besiegt. Natürlich ist er besiegt. Die Russen haben einen Teilabzug ihrer Truppen angekündigt; nur die Bundeswehr soll bleiben. Der Text des Antrags der Bundesregierung ist der gleiche – wirklich Copy-and-paste – wie der, den Sie voriges Jahr und vor zwei Jahren vorgelegt haben. Sie haben noch nicht einmal den Anstand, den Antragstext zu aktualisieren. Also, für wie doof halten Sie uns eigentlich? ({1}) In der Tat wirkt es auf den ersten Blick etwas absurd, dass Sie, obwohl der IS besiegt ist, den Anti-IS-Einsatz verlängern wollen. Aber es wirkt nur dann absurd, wenn man glaubt, dass es in diesem Einsatz in erster Linie um die Bekämpfung des IS in Syrien geht. Nein, es geht in erster Linie nicht um den IS in Syrien, sondern es geht darum, mit der Begründung, den IS bekämpfen zu wollen, in Syrien militärisch Fuß zu fassen. Die sogenannte Anti-IS-Koalition ist nichts anderes als eine Anti-Assad- und Anti-Irak-Koalition, ({2}) bestehend aus westlichen Staaten und Vorzeigediktaturen wie Saudi-Arabien, und das unter der Führung der USA. Der Sturz von Assad war ein Ziel, das nie aufgegeben wurde. ({3}) Noch vor anderthalb Jahren sagte der damalige US-Außenminister Kerry – ich zitiere –: Der Krieg in Syrien könnte innerhalb von drei Wochen beendet sein. Assad muss nur gehen. Wider Erwarten geht Assad nicht. Er scheint sogar den Krieg gewonnen zu haben. Aber das war im Washingtoner Drehbuch für Regierungsstürze so nicht vorgesehen. ({4}) Also musste Plan B herausgeholt werden, und Plan B lautet: Wenn kein Sturz von Assad möglich, dann teilen wir Syrien eben territorial auf. Kurzum besetzen die USA in der Tat völkerrechtswidrig Teile Ostsyriens und kündigen das ohne Selbstzweifel auch noch an. Die „Washington Post“ zitiert US-Regierungsbeamte am 22. November mit den Worten: Ein abrupter Rückzug der USA könnte Assads Macht auf syrischem Territorium vervollständigen und ihm helfen, sein politisches Überleben zu sichern – ein Ergebnis, das einen Sieg für den Iran … bedeuten würde. Um dieses Ergebnis zu vermeiden, planten die USA, ihre Truppen in Syrien beizubehalten und eine neue lokale Regierung zu etablieren.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Neu, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiler von der CDU/CSU?

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Klar.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte.

Albert Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004439, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Neu, eine ganz kurze Frage. Haben Sie Ihre Rede mit der AfD abgestimmt? Denn die Linke hat von der AfD ganz schön Beifall bekommen. ({0}) Ist das jetzt eine neue Koalition zwischen extrem links und extrem rechts? Eine ganz kurze Antwort reicht aus. ({1})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, eine kurze Antwort. Die Linke hat es nicht nötig, mit der AfD irgendetwas abzustimmen. ({0}) Fakten sprechen für sich. Wenn Sie faktenblind sind, ist das ein Problem der Parteien hier in der Mitte. Das Motto der USA lautet nach wie vor: Legal, illegal, scheißegal, wir machen, was wir wollen, in Syrien und auch weltweit. – Sehr geehrte Damen und Herren, eine solche Außen- und Sicherheitspolitik ist einfach unerträglich. ({1}) Das ist das Verhalten von Schurkenstaaten. Nach dem Willen der Bundesregierung und der Mehrheit der Abgeordneten in diesem Hause macht Deutschland weiter mit bei einem Rechtsbruch und bei geopolitischen Schweinereien in gewohnter Vasallentreue. Die Linke lehnt diese imperiale Politik ab und fordert die Rückkehr zum Völkerrecht. Danke. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Trittin, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Neu, Fakt ist auch, dass über weite Teile Ihrer Rede Ihre eigene Fraktion nicht geklatscht hat, aber die AfD. ({0}) Vielleicht sollten Sie über Ihre Argumente noch einmal nachdenken. ({1}) Ich sage das, weil ich Herrn Link an einer Stelle widersprechen möchte. Ich bin nämlich nicht der Auffassung – das ist der Grund, warum wir dieses Mandat von Anfang an abgelehnt haben –, dass es für dieses Mandat eine völkerrechtliche Grundlage gibt. Es gibt kein Mandat der Vereinten Nationen, ({2}) das die Bundesrepublik Deutschland ermächtigen würde, diesen Weg einzuschlagen. ({3}) Ich bin der Auffassung, dass wir das Völkerrecht hochhalten müssen. Sie sollten deshalb mit diesem Umstand nachdenklich und kritisch umgehen. Der Grundgedanke ist doch der: Angesichts einer Situation wie in Syrien, unter Teilhabe von großen Mächten, die ein Vetorecht im Sicherheitsrat haben, liegt die Versuchung immer nahe, zu sagen: Man kann doch nicht zuschauen angesichts des Leides der Zivilbevölkerung. Dass die Menschen in Syrien die Opfer dieses Krieges sind, das kommt in dieser Debatte manchmal ein bisschen zu kurz. ({4}) Wir sagen oft – das haben wir hier oft erlebt –, dass wir schnell helfen wollen. Jetzt stellt sich aber heraus, dass die Frage nach der völkerrechtlichen Begründung gar keine nur rechtliche, nur abstrakte, nur moralische Frage ist, sondern auch eine höchst praktische Frage. Jetzt stellt man fest: Mit dem militärischen Sieg über Daesh ist nichts gewonnen; es bedarf einer politischen Lösung. Und nach wem wird jetzt zur Findung einer politischen Lösung gerufen? Nach den Vereinten Nationen. Deswegen sage ich: Die vermeintliche Abkürzung hat sich in der Vergangenheit leider viel zu häufig als Umweg herausgestellt, durch den die Beendigung solcher Konflikte eher verzögert wurde. ({5}) Das ist der Grund, warum wir sagen: Diese Form des Militäreinsatzes ohne ein solches Mandat geht nicht. – Deswegen plädieren wir dafür, künftig genau darauf zu achten und nachdrücklich dafür Sorge zu tragen, dass die Institution, die am Ende als Einzige in der Lage ist und die Fähigkeiten hat, solche Konflikte zu lösen, auch bei der Frage nach dem Einsatz militärischer Mittel ein entscheidendes Wort mitzureden hat. Das verstehe ich unter der Bindung des Einsatzes der Bundeswehr an das Grundgesetz und an das Völkerrecht. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Florian Hahn, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor fast einem Jahr erschütterte der feige Anschlag auf den Weihnachtsmarkt hier in Berlin unser ganzes Land. Wir alle mussten auf tragische Weise realisieren, dass der sogenannte IS auch in Deutschland sein bestialisches Unwesen treiben kann. ({0}) Der Anschlag zeigte, dass äußere und innere Sicherheit immer stärker zusammenhängen. Die Anschläge von London, New York, Paris, Berlin, Barcelona und erst kürzlich auch in einer Stadt in Ägypten zeigen, welche zerstörerische Energie immer noch vom IS ausgeht. Vor dieser Gefahr können wir alle uns nicht einfach verstecken, sondern wir müssen sie konsequent auf allen Ebenen bekämpfen. Das zeigt auch, dass der „Islamische Staat“ eben doch eine Bedrohung für den Weltfrieden und für die internationale Sicherheit ist. Der vorliegende Antrag der Bundesregierung fordert dementsprechend richtigerweise eine Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch den IS. Dieser Einsatz hat zum Ziel, den territorialen Handlungsspielraum dieser Terrororganisation weiter zu beschneiden, Rückzugsräume zu beseitigen und Ressourcen der Terroristen zu vernichten. Der territoriale Einfluss des „Islamischen Staates“ wird von Tag zu Tag kleiner, und ein militärischer Sieg im Irak und in Syrien gegen den IS ist in greifbare Nähe gerückt. Wie ein Kartenhaus fällt dieses Konstrukt IS langsam, aber sicher in sich zusammen. Von diesem vormals selbsternannten „Islamischen Staat“ wird wünschenswerterweise nichts übrig bleiben. ({1}) Zurück bleibt aber eine tiefe Schneise der Verwüstung, des Todes und des Leids, die sich wie eine Wunde durch den Irak und durch Syrien zieht. Knapp 7 Millionen Syrer und Iraker, die teils jahrelang unter der unvorstellbaren Terrorherrschaft des „Islamischen Staates“ leben und leiden mussten, konnten bereits befreit werden. Nun bietet sich mit dem nahen Ende des IS die Chance für einen Neuanfang. Gleichzeitig aber fürchten beispielweise viele irakische Sunniten Vergeltungsanschläge und Gewalt durch schiitische Milizen, wie dies bereits zuvor geschehen ist. Aus dieser Angst heraus konnte sich der IS lange Zeit auf Unterstützung durch Teile der sunnitischen Bevölkerung verlassen, weshalb man diese Ängste ernst nehmen muss. Aus begangenen Fehlern muss gelernt werden. Es dürfen nicht dieselben Fehler wieder gemacht werden. Hier sind alle Akteure vor Ort gefordert. Es gilt, einen Prozess der Aussöhnung anzustoßen, um somit einen Übergang hin zu einem friedlichen Mit- oder wenigstens Nebeneinander zu ermöglichen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, auch jetzt gilt noch: Solange der IS im Grenzgebiet zwischen dem Irak und Syrien operieren kann, solange seine Schreckensherrschaft nicht vollständig beendet ist, so lange müssen wir unseren Beitrag zur Bekämpfung dieser Terrorgruppe leisten. Diese Entscheidung liegt heute in unserer Verantwortung.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Hahn, es gibt von der AfD den Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Jan Ralf Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004842, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Meine Frage ist, ob Sie nicht meinen, dass die Grenz­öffnung unter der CDU/CSU-geführten Regierung solche Anschläge wie den am Breitscheidplatz viel eher ermöglicht hat als mangelndes militärisches Engagement in Syrien. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Kollege von der AfD, ich finde das auch mit Blick auf die Opfer – – ({0}) – Ich finde es bemerkenswert, dass Sie über die Opfer des Anschlags im letzten Jahr auf dem Weihnachtsmarkt hier in Berlin offensichtlich gerne lachen möchten. ({1}) Ich muss Ihnen sagen: Ich finde das geschmacklos. ({2}) Deswegen lehne ich eine Debatte darüber, wie die Zusammenhänge sind, mit Blick auf genau diese Opfer und in der Form, in der Sie sie führen wollen, ab. ({3}) Sehr geehrte Damen und Herren, die Entscheidung, heute der Verlängerung dieses Mandats zuzustimmen, bedeutet eine besondere Verantwortung. Ich glaube, dies sind wir den Menschen im Irak und in Syrien schuldig. Das gilt aber auch mit Blick auf die Sicherheit in unserem Land. Deshalb bitte ich Sie, zuzustimmen. Abschließend möchte ich mit Blick auf die sieben Mandatsabstimmungen in dieser Woche unterstreichen: Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag machen und haben es sich bis heute nie leicht gemacht, deutsche Soldatinnen und Soldaten, aber auch Polizisten in Auslandseinsätze zu entsenden. Ich finde es daher schon besonders bemerkens- und auch dankenswert, dass die Bundeskanzlerin, wie in den vergangenen Jahren auch, in wenigen Minuten Angehörige der Einsatzkräfte von Bundeswehr und Polizei empfängt. ({4}) Darüber hinaus wird sie sich über Videokonferenzen direkt an die Soldatinnen und Soldaten und an die Polizistinnen und Polizisten wenden. ({5}) Bitte, Frau Bundeskanzlerin, richten Sie den Einsatzkräften unseren herzlichen Dank für ihren wertvollen Dienst in schwierigen Zeiten und in einer gefährlichen Lage aus, während wir das Fest der Liebe, des Glaubens und des Friedens feiern. Gottes Segen, Erfolg und alles Gute für unsere Soldatinnen und Soldaten in den Einsatzländern! Danke schön. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Hauptausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 19/192 und 19/205, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 19/23 anzunehmen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Bevor ich die Abstimmung eröffne, will ich noch darauf hinweisen, dass es zu dieser Abstimmung mehrere persönliche Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung gibt, die zu Protokoll gegeben werden. Sind alle Urnen besetzt? – Dann eröffne ich die Abstimmung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekannt gegeben. Sobald Sie Ihre Plätze wieder eingenommen haben, kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 19/222. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/222? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltungen der Fraktionen AfD und Grüne abgelehnt. Damit rufe ich den Punkt 3 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Hauptausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte Drucksachen 19/25, 19/178 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Über die Beschlussempfehlung werden wir später wieder namentlich abstimmen. Auch hier sind nach einer interfraktionellen Vereinbarung 27 Minuten für die Aussprache vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Niels Annen von der SPD-Fraktion. ({0})

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute über ein schwieriges Mandat zu entscheiden. Das Irak-Ausbildungsmandat wird in einem ausgesprochen komplexen Sicherheitsumfeld ausgeübt, und ich möchte auch bei dieser Gelegenheit daran erinnern, unter welchen Belastungen die Bundeswehrangehörigen ihrer Aufgabe in professioneller Art und Weise, aber auch mit wirklich großem Mut nachgehen. Deswegen will ich am Anfang meiner Rede die Gelegenheit nutzen, mich ganz herzlich für diesen Einsatz zu bedanken. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt Fortschritte im Kampf gegen die Terrormiliz IS; das ist auch eben in der Debatte deutlich geworden. Es gibt sie ebenso im Irak. Es gibt sie auch in der kurdisch geprägten Provinz im Norden, über die wir hier miteinander reden müssen. Ich will einmal daran erinnern, dass wir hier in diesem Hause über die Frage diskutieren mussten – das ist noch gar nicht lange her –: Was passiert eigentlich, wenn der IS weiter vordringt, wenn er möglicherweise Erbil erobert und damit nicht nur die Kontrolle über die immer noch am besten und am verlässlichsten regierte Provinz des Iraks erhalten würde, sondern auch die vielen Zehntausenden oder Hunderttausenden von Flüchtlingen erneut vertrieben würden, nicht nur aus dem Irak, sondern auch aus Syrien? Ich erinnere mich an eine Reise mit dem heutigen Bundespräsidenten in seiner damaligen Funktion als Außenminister. Damals stand der IS 40 Kilometer vor Erbil. Wir haben mit den Kommandeuren der Peschmerga-Kräfte gesprochen, mit der Regierung in Erbil. Es gab eine dringende Bitte, der dieser Bundestag, der diese Bundesregierung am Ende nachgekommen ist, nämlich die inzwischen fast berühmten MILAN-Panzerabwehrraketen zu liefern, um die perfiden Anschläge des IS unterbinden zu können. Wenn man sich heute die Lage anschaut, dann kann man zu dem Ergebnis kommen, dass sowohl die Lieferung als auch die Ausbildungsleistung, die wir angeboten haben, erfolgreich gewesen sind. Ich glaube, bei allen kritischen Bemerkungen, die wir in dieser Debatte sicherlich hören werden: Das sollte doch im Mittelpunkt unserer Betrachtung stehen. Dieser Einsatz war und ist gefährlich. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, darauf lege ich großen Wert: Meine Fraktion, die SPD-Fraktion, hat von Anfang an offen auch über die Risiken dieses Einsatzes geredet. Wir mussten abwägen: „Was tun wir, wenn wir uns diesem Wunsch verweigern?“, und: „Was machen wir eigentlich, wenn wir dem Wunsch nach Waffenlieferung und Ausbildungsleistung nachkommen, wir aber eben aufgrund der komplexen Lage im Irak selber nicht ganz sicher sein können, ob diese Waffen und diese dargebotene Unterstützung möglicherweise einmal für ein anderes Ziel eingesetzt werden könnten?“ ({1}) Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, will ich noch einmal darauf hinweisen: Wir und auch die Bundesregierung haben alle Kanäle genutzt, auch die parlamentarischen Kontakte, die wir dort seit Jahren pflegen, um dem damaligen Präsidenten Barsani und seiner Regierung deutlich zu machen: Einseitige Schritte, auch in Richtung einer Unabhängigkeit, können wir bei aller Sympathie für die legitimen Rechte der Kurdinnen und Kurden nicht unterstützen. Wir werden vor allem eines nicht akzeptieren, dass nämlich die von uns gelieferten Waffen in diesem Konflikt eingesetzt werden. ({2}) Mir sind zwei Dinge wichtig. Das Erste: Die Bundesregierung – Frau von der Leyen hat das ja kurzfristig entschieden – hat damals, als der Konflikt zu eskalieren drohte, das Ausbildungsprogramm kurzfristig ausgesetzt. Wir haben diese Entscheidung unterstützt. Ich will zum Zweiten aber auch sagen, dass wir davon im Grunde genommen aus der Zeitung erfahren haben. Das darf sich nicht wiederholen. ({3}) Wir haben dann relativ kurz nach dieser Entscheidung – da gab es eine angemessene Unterrichtung des Deutschen Bundestages; auch das gehört zur Wahrheit dazu – zur Kenntnis genommen, dass diese Ausbildungsleistung wieder angeboten wird. Meine Damen und Herren, wenn wir heute – ich tue das: ich empfehle Ihnen, diese Verlängerung zu beschließen; meine Fraktion wird das tun – dieses Mandat beschließen, dann muss aber eins klar sein: Frau von der Leyen, die Informationsgrundlage, die Sie dem Parlament dargeboten haben, nämlich zu sagen: „Die Sicherheitseinschätzung für die deutschen Ausbilder ist so, dass sie wieder ausbilden können“, reicht nicht aus. ({4}) Natürlich ist das die Voraussetzung dafür, dass die Arbeit weitergehen kann. Aber wir müssen hier in den nächsten drei Monaten eine politische Einschätzung vorlegen. Diese kann sich nicht alleine auf die Sicherheitslage beziehen, sondern wir brauchen eine Einschätzung darüber, ob der Versöhnungsprozess zwischen Bagdad und Erbil vorangeht, ob wir sicher sein können, dass unsere Waffen und unsere Ausbildungsleistung nicht in einem innerirakischen Krieg eingesetzt werden. ({5}) Deswegen haben wir darauf bestanden, dass die Bundesregierung hier eine Erklärung zu Protokoll gibt, und das ist auch geschehen. Diese Erklärung richtet sich übrigens auch an die Kräfte im Irak. Ich hoffe sehr, dass sowohl der innerkurdische als auch der innerirakische Versöhnungsprozess vorangeht. Wir müssen eines sehr deutlich machen: Die Grundlage unserer Politik, die territoriale Integrität des Irak zu bewahren, hat sich nicht verändert. Aber ich sage auch in Richtung Bagdad – denn da ist eine Reise des amtierenden Außenministers blockiert worden –: Es ist jeder Schritt mit Bagdad abgestimmt worden. Wenn wir nicht die Möglichkeit haben, unsere Soldatinnen und Soldaten zu besuchen und den Kontakt mit Erbil weiter aufrechtzuerhalten – das bei allen Problemen in den letzten Jahren ein verlässlicher Partner gewesen ist und bleiben sollte –, dann müssen wir auch darüber mit Bagdad reden. Das ist keine verlässliche Politik, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({6}) Deswegen: Nutzen wir diese drei Monate, um zu einer gemeinsamen sicherheitspolitischen Einschätzung zu kommen und dort, wo es nötig ist, das Mandat anzupassen und möglicherweise auch zu ändern. Wenn das nicht geschehen sollte, dann behält sich meine Fraktion vor, dem Mandat in Zukunft nicht mehr zuzustimmen. Ich danke für die Aufmerksamkeit und bitte – bei allen Problemen – um Zustimmung. ({7})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir blicken auf einen der erfolgreichsten Einsätze der deutschen Bundeswehr zurück. Sie hat die Kurden bzw. die Peschmerga im Kampf gegen den brutalen IS unterstützt, der Gräueltaten verrichtet hat, wie wir sie vorher nicht gesehen haben. Es war ein Paradigmenwechsel für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, an dieser Stelle zu sagen: Wir gehen einen Schritt weiter. Wir wissen: In gewissen politischen Situationen, wenn ein Völkermord geschieht, ist Zurückhaltung ein Fehler. Dann müssen wir das Äußerste tun, und dann müssen wir diejenigen bewaffnen, unterstützen und in die Lage versetzen, Gräueltaten zu verhindern, die sich denen entgegenstellen. Deswegen möchte ich hier noch einmal festhalten: Diese Entscheidung war epochal. Sie war eine kluge Entscheidung. Sie hat Menschenleben gerettet. Sie hat Terroristen gestoppt, und sie war ein Beitrag zu mehr Frieden in diesem geschundenen Irak. ({0}) Dieser Auftrag ist nicht beendet. Der IS ist weiter aktiv. Er sammelt nach wie vor Waffen. Er begeht weiter Anschläge. Deswegen ist es wichtig, weiter aktiv zu bleiben und diejenigen, die dort tapfer gekämpft haben – das sind die Peschmerga-Kämpfer –, weiterhin in die Lage zu versetzen, ihren Auftrag zu erfüllen. Es hat sich gezeigt, dass wir damit auch auf einen Rückzug der Vereinigten Staaten von Amerika aus der gesamten Region reagiert haben. Es wird uns in Zukunft häufiger geschehen, dass wir vor der Frage stehen: Wie verhalten wir uns als Europäer? Wie verhalten wir uns als Deutsche? Ich glaube schon: Auch wenn wir dort keine große Ordnungsmacht werden, kann man den Blick nicht darauf verengen, zu sagen: Die Bundeswehr ist dafür verantwortlich, die Landesgrenzen, die territoriale Integrität Deutschlands und Europas zu verteidigen. Natürlich ist sie dafür verantwortlich. Aber – um ein altes Wort von Peter Struck zu benutzen – unsere Freiheit, unsere Unabhängigkeit müssen wir auch in anderen Regionen der Welt verteidigen. Wir müssen frühzeitig dafür sorgen, dass Menschenrechtsverletzungen nicht stattfinden, dass Fluchtbewegungen nicht entstehen. Diese Aufgabe wird weiter im Irak durch einen europäischen Verbund zu bewältigen sein. Es gibt dort eine Mission der Europäischen Union. Meine lieben Freundinnen und Freunde, ein Grund für die Existenz der Europäischen Union lautet: Sie ist für uns der Rahmen, in dem wir uns auch in anderen Regionen engagieren und dafür sorgen, dass Europa ein Gebiet der Freiheit, der Grundrechte und der Sicherheit bleiben kann. ({1}) Natürlich bedeutet das, dass wir das Mandat überdenken. Niels Annen hat völlig recht: Es muss dabei bleiben, dass der Irak territorial integral bleibt. Das Mandat darf nicht benutzt werden für Sezessionsbewegungen. Das würden wir nie unterstützen. Das haben wir den Kurden auch immer gesagt, und es war völlig richtig. Ich glaube, die Wirkung der Maßnahme von Frau Bundesministerin von der Leyen war sehr groß: Durch die Unterbrechung der Mission zum Schutz der deutschen Soldaten haben die Kurden gemerkt, dass sie nicht so weitermachen können. Das zeigt, dass ein Engagement in diesen Regionen gut und richtig ist und dass es für uns einen Hebel gibt, dort anderes und mehr zu erreichen. Aber das bedeutet natürlich auch, dass für uns immer klar ist: Wir brauchen einen vernetzten Ansatz. Militärisch würden wir allein nie für Frieden und für Aussöhnung in dieser Region sorgen können. Wir brauchen immer auch eine Unterstützung in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit, eine Unterstützung in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung dieses Landes. Dazu sind wir weiter aufgefordert. Abschließend möchte ich sagen: Das ist auch der Grund, warum wir es weiter verantworten können, dieses Mandat zu verlängern. Es ist ein Mandat, das auch von der Zentralregierung in Bagdad gewollt wird. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere auch der Grünenfraktion, gibt es natürlich eine völkerrechtliche Legitimation. Wenn es sie gibt, dann muss man in einer solchen Situation auch bereit sein, Verantwortung wahrzunehmen. Die CDU/CSU-Fraktion ist bereit, diese Verantwortung für den Irak weiterhin zu tragen. Dieses Mandat ist eine wichtige Voraussetzung dafür, den IS weiterhin zu kontrollieren und zurückzuschlagen und im Irak eine bessere Zukunft zu sichern. Deswegen werden wir für die Fortsetzung stimmen. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich der Kollegin Dr. Malsack-Winkemann zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag das Wort. ({0})

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004813, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke schön. – Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Alleiniges Ziel des Mandats war die Front gegen die islamistische Terrororganisation des sogenannten „Islamischen Staates“, IS. Dafür wurden die Selbstverteidigungskräfte der Kurden im Nordirak mit Waffenlieferungen und deutschen Militärausbildern unterstützt. Diese Unterstützung war zum damaligen Zeitpunkt richtig und wichtig. Und auch die Zustimmung der irakischen Zentralregierung und der kurdischen Selbstverwaltung war gegeben. Jetzt aber haben wir eine andere Ausgangslage, die gegen eine Mandatsverlängerung spricht; denn das Ziel ist erreicht. ({0}) Der irakische Regierungschef Haider al-Abadi hat am 8. Dezember 2017 den Krieg gegen den IS in seinem Land für beendet erklärt. Der Irak sei vollständig befreit. Die gesamte Grenze zum Nachbarland Syrien befinde sich unter der Kontrolle der irakischen Streitkräfte. ({1}) Eine Verlängerung des Mandates stellt daher nach meiner Überzeugung und auch aus Sicht meiner Fraktion eine beispiellose Verantwortungslosigkeit dar. Hilfe muss immer Hilfe zur Selbsthilfe bleiben. ({2}) Die kurdische Selbstverwaltung hat sich mit einer überwältigenden Mehrheit von 92 Prozent für eine Loslösung vom Irak entschieden. Die irakische Zentralregierung hingegen lehnt dieses Referendum vehement ab. Niemand kann ein ernsthaftes Interesse daran haben, diese Auseinandersetzung in einen offenen bewaffneten Konflikt zu verwandeln – vor allem wenn man bedenkt, dass sich die kurdischen Gebiete auch über das Staatsgebiet von Iran, Syrien und der Türkei erstrecken und dass das gemeinsame Ziel der allermeisten Kurden ist, einen eigenständigen, souveränen Staat zu bilden. Hinzu kommt, dass die von uns gelieferten Waffen nach der Übergabe an die Kurden in einem erheblichen Umfang auf dem dortigen Schwarzmarkt auftauchen. Eine Mandatsverlängerung führt daher dazu, dass wir in der dortigen Region einen neuen Bürgerkrieg in Kauf nehmen, indem wir bei nunmehr verfeindeten Parteien eine Seite mit Waffenlieferungen unterstützen. Es droht ein neuer militärischer Flächenbrand, wobei wir diesen Konflikt sogar nach Deutschland hineintragen; denn Kurden und Türken haben sich auch hier bereits gegenübergestanden. ({3}) Deutschland hat geschichtlich zu dieser Region die besten Beziehungen und ist dort vor allem deshalb geachtet. Verspielen wir dieses wichtige Pfund nicht! Seien wir neutral und unparteiisch! Denn nur so können wir auf diplomatischem Weg im gesamten Konfliktgebiet des Mittleren Ostens Einfluss nehmen und helfen, eine Lösung – hin zu friedlicher Koexistenz der dortigen Völker – herbeizuführen – und das auch und insbesondere im Interesse einer Akzeptanz der Autonomie der Kurdenregion. ({4}) Beenden wir daher dieses Mandat! Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Graf Lambsdorff, FDP. ({0})

Alexander Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004798, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst sagen, dass ich mich darüber freue, dass wir heute das Mandat zur Fortsetzung der Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte in der Region Kurdistan-Irak direkt im Anschluss an die Debatte über das Mandat Counter Daesh führen. Das hatte ich bereits in der ersten Lesung angeregt. Beide Mandate ergänzen sich logisch und sinnvoll, weil es in beiden Mandaten um die Bekämpfung des „Islamischen Staates“ geht. Wir tragen mit der Debatte heute dieser logischen Verbindung Rechnung. Daneben hat es seit der ersten Beratung Entwicklungen gegeben, neue Entwicklungen, die zeigen, wie wichtig es ist, dass wir uns mit diesen Mandaten auch inhaltlich befassen. Es hat eine Neuvermessung der strategischen Gesamtsituation gegeben, die wir nachvollziehen müssen. Wir haben ein kurdisches Unabhängigkeitsreferendum mit all seinen Folgen gehabt, wir haben die Absage der Reise des Bundesministers Gabriel in die Region zur Kenntnis nehmen müssen, und wir haben – ja, Frau Malsack-Winkemann – die Erklärung des irakischen Ministerpräsidenten al-Abadi, der IS sei im Irak besiegt. Ich teile diese Aussage in dieser Pauschalität allerdings nicht. Ja, es ist richtig: Die territoriale Kontrolle hat der „Islamische Staat“ verloren; Mosul und Rakka sind wieder befreit. Aber ideologische Faszination übt er nach wie vor aus: auf Radikale, auf Verirrte, auf gewaltbereite Menschen in der Region. Das heißt, die Unterstützung der Kräfte, die gegen den IS im Einsatz sind, ist nach wie vor sinnvoll und richtig. Es ist auch ein Erfolg der Ausbildungsunterstützung, dass der territoriale Einfluss des IS im Irak deutlich zurückgedrängt, ja beendet worden ist. Vor diesem Hintergrund können wir aus militärischer, aber auch aus humanitärer Sicht eine durchgehend positive Bilanz ziehen, gerade was den Schutz der Jesiden und anderer Minderheiten in der Region angeht. Was wir Freie Demokraten allerdings von Anfang an kritisch gesehen haben – das will ich hier nicht verschweigen –, war die Lieferung von Kleinwaffen in die Region. Es ist unter den Umständen, die dort herrschen, nicht möglich, deren Endverbleib verlässlich zu kontrollieren. Deswegen sind alle Bedenken, die hier vom Kollegen Annen und von anderen geäußert worden sind, dass diese Waffen in einem innerirakischen Konflikt unter Umständen eingesetzt werden könnten, vollkommen zutreffend und richtig. Ich sage das hier noch einmal: Das kurdische Unabhängigkeitsreferendum war ein schwerer politischer Fehler der kurdischen Autonomieregierung in Erbil. Die anschließenden militärischen Auseinandersetzungen haben das mehr als deutlich gezeigt. Deutschland darf aber nicht Partei werden in einem Prozess des Staatsverfalls des Irak. Unser Ziel muss der Erhalt der territorialen Integrität des Irak werden. Nur so kann Frieden gesichert und der Terrorismus auf Dauer besiegt werden. ({0}) Wir sehen sowohl in Syrien als auch im Irak eine neue Dynamik. Nicht jedes Element dieser Dynamik ist positiv. Aber eines ist völlig klar: Nach der technischen Verlängerung um drei Monate, der wir Freien Demokraten zustimmen werden, wird es eine Neubewertung der Gesamtlage und eine Neuformulierung der Mandate – vielleicht verbunden in einem einzigen Mandat – geben müssen. Diesen Prozess werden wir Freie Demokraten konstruktiv begleiten. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich dem Kollegen Matthias Höhn von der Fraktion Die Linke das Wort zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag. ({0})

Matthias Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es dürfe kein einfaches „Weiter so“ im Nordirak geben, und eine Neubewertung des Einsatzes sei notwendig; so hieß es schon im Oktober aus den Reihen verschiedener Fraktionen, unter anderem vom Kollegen Röttgen. Ich kann Ihnen bei dieser Einschätzung nur zustimmen. Allerdings lautet meine Frage zwei Monate später: Wo ist denn Ihre Neubewertung, und welche Konsequenzen ziehen Sie? ({0}) Es gehe – so sagte Kollege Röttgen im Oktober – um eine kurze, technische Verlängerung, bis eine neue Regierung stehe. Nun, wir wissen, wie der erste Versuch ausgegangen ist. Wir wissen noch nicht, wie der zweite Versuch ausgeht und wann er möglicherweise abgeschlossen ist. Ich frage, was wir in drei Monaten tun werden, wenn wir dann noch immer keine neue Regierung haben. Werden wir erneut um drei Monate verlängern in der Hoffnung, dass wir dann eine neue Regierung haben werden? Ich halte das für ein absurdes Verfahren. ({1}) Ich will hinzufügen: Das ist auch unangemessen gegenüber den Soldatinnen und Soldaten, die wir in diesen Einsatz schicken. ({2}) Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, keine Regierungsarmee. Der Bundestag ist entscheidungsfähig. Deswegen können wir eine Bewertung – auch eine Neubewertung – dieses Einsatzes ohne eine neu gebildete Regierung vornehmen. Die Linke jedenfalls bleibt bei ihrem Nein, egal wer nun zukünftig Außen- oder Verteidigungsminister wird. ({3}) Der IS ist militärisch geschlagen; darauf wurde in der ersten Beratung hingewiesen, nicht zuletzt von der Verteidigungsministerin. Der ursprüngliche Grund für den Einsatz und die Waffenlieferungen ist damit entfallen. Trotzdem bleiben Sie bei Ihrer Auffassung und machen weiter wie bisher, und das ohne eine ausreichende völkerrechtliche Grundlage. Wenn wie zuletzt im Oktober die Ausbildungsmission wegen der Situation unterbrochen wird, zeigt das, wie schwierig die Situation im Nordirak ist. Wir sind mitten in einem innerirakischen Konflikt. Meine Fraktion hat bereits im Jahr 2014 den Einsatz und die Waffenlieferungen in die Region abgelehnt. Die damaligen Warnungen waren leider mehr als berechtigt. Ein Teil der gelieferten Waffen ist mittlerweile auf dem Schwarzmarkt erhältlich. Sie sind längst in falsche Hände geraten und nicht mehr kontrollierbarer Teil der Auseinandersetzungen. Jesidinnen und Jesiden werden mittlerweile auch mit deutschen Waffen vertrieben. Panzerabwehrraketen aus Deutschland sind zum Einsatz gekommen in einem Konflikt zwischen der Zentralregierung und den Kurden. Kaum ein anderer Konflikt zeigt deutlicher, wie unkontrollierbar und gefährlich der Kreislauf aus Waffenexporten ist. Darum bleibt es bei unserem Nein zu Waffenexporten, nicht zuletzt in solche Krisenregionen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, beenden Sie dieses Mandat! Beteiligen Sie sich an einer politischen Lösung, und beenden wir alle Waffenexporte! Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Kollege Trittin, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Wir haben diesen Einsatz am Anfang nicht für grundsätzlich falsch gehalten. Wir haben an ihm kritisiert, dass er nicht in einem System kollektiver Sicherheit stattfindet. Wenn wir aber heute darüber reden, dass dieser Einsatz verlängert werden soll, dann kann man das doch nicht tun, ohne die Situation im Irak zu betrachten. Wenn jedoch die völkerrechtliche Grundlage für den Einsatz lautet, dass man der Regierung des Irak hilft, ihren Sicherheitssektor zu reformieren, und diese Regierung selbst feststellt, dass sie die Grenzen des Irak vollständig unter Kontrolle hat und Daesh besiegt ist, stellt sich doch die Frage: Wo ist denn da der Spielraum, lieber Niels Annen, an dieser Stelle so zu tun, als sei das nicht der Fall gewesen, und einfach weiterzumachen? Ich finde, dass man zusätzlich hinzunehmen muss, was im Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum passiert ist. Es ist doch eine Tatsache, dass ein Teil der Waffen, die wir geliefert haben – man muss das in dieser Deutlichkeit sagen; Panzerabwehrraketen sind keine Yogamatten –, in diesem Krieg eingesetzt worden sind. Vor diesem Hintergrund war es richtig, so zu verfahren, wie Sie, Frau von der Leyen, gesagt haben, nämlich in dieser Situation aufzuhören, weiter auszubilden. Was war aber eigentlich das Motiv – diese Frage hat auch Niels Annen nicht beantworten können –, die Ausbildung wieder aufzunehmen? ({0}) Können Sie heute sicherstellen, dass die militärischen Fähigkeiten, die ein Teil der Kurden, also eine bestimmte Strömung innerhalb der irakischen Kurden, besitzt, nicht eingesetzt werden, um einen Zerfall bzw. einen Bürgerkrieg im Irak herbeizuführen? Auf all dies haben Sie keine Antwort gegeben. Es ist noch viel schlimmer: Dem Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hat die Regierung einen Besuch im Nordirak schlicht und ergreifend untersagt. Als so etwas in Incirlik stattgefunden hat, waren wir gemeinsam der Auffassung: Da, wohin die deutsche Bundesregierung bzw. die Parlamentarier nicht gehen können, lassen wir keine deutschen Soldaten stehen, sondern ziehen sie ab. ({1}) Warum passiert das hier nicht? Wir alle haben ja ein Interesse daran, dass der Irak nicht zerfällt; denn die Folgen wären fürchterlich. Ein Zerfall des Irak in einen kurdischen Nordteil, einen schiitisch regierten und vom Iran dominierten Süden und isolierte sunnitische Teile in der Mitte und im Westen brächte das Wiederaufleben genau jener Strukturen mit sich, die den IS stark gemacht haben. Deswegen sage ich Ihnen: Wir müssen alles tun, um die zentrifugalen Kräfte innerhalb des Irak unter Kontrolle zu bringen. – Dazu gehört aber nicht, sich weiterhin fahrlässig darauf einzulassen, die Soldatinnen und Soldaten von Separatisten militärisch zu trainieren. Deswegen ist es falsch, dieses Mandat heute hier zu verlängern. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Jürgen Trittin. – Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der nächste und letzte Redner in diesem Teil unseres Debattentages ist Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier ja oft, ob ein Einsatz erfolgreich war oder nicht. Bei diesem Einsatz können wir festhalten: Er war erfolgreich. Er ist bisher ein großer Erfolg. Denken Sie zurück an den Sommer 2014, als der IS weite Teile des Iraks förmlich überrannt hat und wir hier nicht sicher waren, ob die Peschmerga ihre Gebiete werden halten können. Wir befürchteten damals, dass Hunderttausende, die in den Nordirak geflohen waren, dort nicht mehr sicher sind und sich weiter auf den Weg machen müssen. Wir können heute feststellen: Es ist den Peschmerga gelungen, die Gebiete zu halten. Sie haben es auch dank unserer Unterstützung, dank unserer Ausrüstung, dank unserer Ausbildung geschafft. Sie konnten den IS auch in weiten Teilen des Iraks zurückdrängen. Ich sage bewusst „zurückdrängen“ und nicht „besiegen“; denn der Kampf gegen den IS ist noch nicht gewonnen. Die Ideologie existiert weiterhin. Die Anhänger werden versuchen, den Kampf weiterzuführen: in Syrien, im Irak und an anderen Orten, wahrscheinlich auch bei uns. Meine Damen und Herren, der Kampf gegen den IS hat sich aber verändert. Es kommt jetzt darauf an, den Menschen in den zurückeroberten Gebieten das Vertrauen und die Sicherheit zu geben, dass sie dort eine bessere Zukunft und bessere Lebensbedingungen haben als unter der Gewaltherrschaft des „Islamischen Staates“. Deswegen ist der Schwerpunkt unseres deutschen Engagements nicht die Militärausbildung, über die wir heute diskutieren; sie ist nur ein kleiner Aspekt. Unser deutscher Schwerpunkt sind der Wiederaufbau und die Stabilisierung des Iraks. Seit 2014 wurden dafür 700 Millionen Euro zur Verfügung gestellt; so wurde es mit dem Haushalt beschlossen. Ebenso wurde mit dem Haushalt beschlossen, dem Irak einen Kredit in Höhe von 500 Millionen Euro zu gewähren, um die Basisinfrastruktur wieder aufzubauen und den Binnenvertriebenen die Möglichkeit zur Rückkehr zu geben. Die Menschen werden aber nur dann zurückkehren, wenn sie die Sicherheit haben, dass der irakische Staat sie schützen kann, und keine Angst haben müssen, dass der IS bei nächster Gelegenheit wiederkommt. Deswegen ist der Aufbau von Sicherheitsstrukturen im Irak essenziell. Heute stehen wir vor der Frage – und darüber stimmen wir gleich ab –, ob wir mit der Verlängerung des Mandats einen positiven Beitrag dazu leisten können, die Sicherheitsstrukturen im Irak weiter aufzubauen. Ich meine, ja. ({0}) Aber zwei Bedingungen müssen dafür auch in Zukunft erfüllt werden: erstens, dass wir unsere Soldaten nicht unnötig gefährden, und zweitens, dass wir nicht Teil eines innerirakischen Konflikts werden. Beide Bedingungen sind im Moment erfüllt. ({1}) Die Fortsetzung der Ausbildung geht auf den ausdrücklichen Wunsch beider Parteien, sowohl der Zentralregierung in Bagdad als auch der Regierung in Erbil, zurück. Unser regionaler Schwerpunkt liegt zwar im Nordirak in der Autonomen Region Kurdistan; im internationalen Kontext gesehen findet die Ausbildung aber nicht einseitig im Nordirak statt, weil andere NATO-Partner zum Beispiel in Bagdad oder in anderen Teilen des Iraks Truppen ausbilden. Die Europäische Union unterstützt die irakische Regierung seit kurzem auch mit einer zivilen Beratermission – übrigens unter Führung eines deutschen Bundespolizisten. Meine Damen und Herren, es wäre das absolut falsche Signal, jetzt in dieser Situation die Truppen abzuziehen. Wir wollen die Menschen im Irak nicht im Stich lassen und dürfen unsere bisher im Kampf gegen den IS erreichten Erfolge nicht leichtsinnig gefährden. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung zur Verlängerung dieses Mandats. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Brandl. – Damit schließe ich die Debatte. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Hauptausschusses zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/178, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 19/25 anzunehmen. Wie Sie wissen – das sieht man auch daran, dass Sie sich bereits zu den Wahlurnen begeben –, stimmen wir namentlich über die Beschlussempfehlung ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre vorgesehenen Plätze einzunehmen und uns hier oben zu signalisieren, ob sie bereit sind. – Jetzt ist alles klar. Dann gebe ich die Abstimmung frei. Gibt es noch Kolleginnen oder Kollegen, die noch nicht abgestimmt haben? – Keine Reaktion; dann gehe ich davon aus, dass alle Kolleginnen und Kollegen abgestimmt haben. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wie immer wird Ihnen das Ergebnis schnellstmöglich bekannt gegeben. Wir sind mitten in einem Abstimmungsvorgang, deswegen bitte ich, die Gespräche einzustellen. Das betrifft auch Sie, Gerd Müller. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/223. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt gegen den Entschließungsantrag? – Wer enthält sich? – Zugestimmt hat Die Linke, dagegen waren FDP, CDU/CSU und SPD, Enthaltungen von AfD und Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie mir das Wort erteilt haben. Ich glaube, wir haben hier eine Debatte zu führen, die nicht ganz einfach ist. Wenn ich so in die Runde schaue, dann sehe ich viele Kolleginnen und Kollegen aus fast allen Fraktionen, die schon einmal in Afghanistan gewesen sind und die sich inzwischen über Jahrzehnte, muss man ja sagen, mit der Lage in diesem Land auseinandergesetzt haben. Ich sehe auch viele, die sich persönlich für Fortschritte in Afghanistan eingesetzt haben. Erwarten Sie nicht von mir, dass ich Ihnen jetzt sage, die Lage in Afghanistan sei gut. Sie ist es nicht. Die Lage kann uns alle miteinander nicht zufriedenstellen. Aber da ich so ein bisschen ahne, wie die Debatte ablaufen könnte, weil wir hier, wenn es um Afghanistan geht, ja langsam so etwas wie ein Ritual zelebrieren, will ich schon am Anfang sagen: Bei allen Problemen gibt es auch Fortschritte. Wir dürfen nicht vergessen, dass es zumindest in den großen Zentren – in Kabul, in anderen Städten – auch dank deutscher Unterstützung heute Schulen gibt, die von Jungen und Mädchen besucht werden, dass es Möglichkeiten der Berufsausbildung gibt, dass es Universitäten gibt, dass es zumindest in Kabul eine Zivilgesellschaft gibt. Es ist eine Zivilgesellschaft, die unter Extrembedingungen arbeiten muss, die es manchmal nicht nur deswegen schwer hat, weil sie Ziel von Angriffen der Taliban und anderer Terroristen ist, sondern auch deswegen, weil sie Probleme hat, bei unserem Partner, nämlich der afghanischen Regierung, Gehör zu erhalten. Es ist aber gerade in dieser Situation wichtig, diejenigen zu unterstützen, die unter ganz anderen Bedingungen als bei uns hier in Deutschland jeden Tag für ihre Grundrechte eintreten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, das muss im Mittelpunkt der Debatte stehen. Ein realistischer Blick auf Afghanistan ist notwendig. Dafür werbe ich hier heute ausdrücklich. ({0}) Ich will am Anfang ganz klar auf eines hinweisen – wir werden das wahrscheinlich nachher von den geschätzten Rednerinnen und Rednern der Partei Die Linke wieder hören –: Der Kampfeinsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist beendet. Er wird auch nicht wiederaufgenommen, jedenfalls nicht mit der Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion. ({1}) ISAF ist ein Teil unserer Geschichte. Wir haben Soldatinnen und Soldaten verloren. Wir haben einen hohen Preis gezahlt, auch für die Sicherheit Afghanistans und für unsere eigene Sicherheit. Aber wir sind heute in einer Phase, in der ISAF zur Geschichte gehört, einer Geschichte, die wir aber nicht einfach beiseitelegen können. Vielmehr müssen wir uns selbstkritisch fragen: Was hat die internationale Staatengemeinschaft – damit auch unser Land – für Fehler in Afghanistan gemacht? Wir haben diese Diskussion in unserer Fraktion stets offen geführt, und wir werden sie auch in Zukunft führen. Worum geht es heute? Es geht um die Frage, ob Afghanistan und seine Regierung in die Lage versetzt werden können, für die eigene Sicherheit zu sorgen. Stand heute ist die Antwort sehr eindeutig: Allein schafft Afghanistan das nicht, weder finanziell noch was die Ausbildung und das Know-how angeht. Afghanistan braucht unsere Unterstützung. Deswegen haben wir ISAF umgewandelt und weiterentwickelt zu dem Mandat, was Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, heute vorliegt: Resolute Support, entschiedene Unterstützung für die afghanischen Sicherheitskräfte. Das betrifft übrigens – ich kann aufgrund der Zeit nicht auf alle Details eingehen – nicht nur die Armee, sondern auch den Polizeiaufbau, der möglicherweise langfristig gesehen sogar die größere Herausforderung darstellt. Wenn Sie sich anschauen, wo vor allem Opfer zu beklagen sind, stellen Sie fest, dass dies im Bereich der Polizei gerade in den ländlichen Gebieten, die nicht unter vollständiger Kontrolle der afghanischen Regierung stehen, der Fall ist, wie Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, alle wissen. Wir bedauern das gemeinsam. Ich will auf einen weiteren Aspekt hinweisen. Als wir das letzte Mal hier über Afghanistan diskutiert haben, mussten wir einen Schwerpunkt legen auf die anhaltenden Spannungen zwischen Herrn Ghani und Herrn Abdullah, also in der von uns unterstützten Regierung; denn diese Regierung war ganz unabhängig von dem, was die Taliban in diesem Land an Verbrechen begehen, aufgrund eigener Unfähigkeit nicht in der Lage, minimale Versprechungen, die sie selber gemacht haben, umzusetzen. Man kann sich heute nicht zufrieden zurücklehnen – das ist auch nicht meine These –; aber es gibt Fortschritte. Es gibt Fortschritte in der Zusammenarbeit zwischen diesen beiden für Afghanistan so wichtigen Personen. Wir müssen den Druck auf die afghanische Regierung aufrechterhalten, damit sie ihrer eigenen Bevölkerung gegenüber liefert. Aber jeder, der sich in den vergangenen Jahren mit Afghanistan beschäftigt hat, weiß: Afghanistan befindet sich – selbst wenn Präsident Ghani und CEO Abdullah alles in ihrer Macht Stehende tun würden und über Stammes- und Partikularinteressen hinaus mutige Entscheidungen treffen würden – in einem ausgesprochen schwierigen regionalen Umfeld. Deswegen ist unser Ansatz ein umfassender Ansatz. Er bezieht die Zivilgesellschaft – ich habe sie schon genannt –, aber auch die Nachbarn Afghanistans, die real existierenden Machtfaktoren, mit ein. Ohne die Unterstützung Pakistans, Russlands, Chinas, aber natürlich auch der Vereinigten Staaten von Amerika werden wir in dieser Situation zu keiner nachhaltigen Lösung kommen. Deshalb bleibt Resolute Support wichtig. Aber auch der umfassende diplomatische Ansatz für diese Initiativen, für den auch unser Außenminister Sigmar Gabriel steht, bleibt wichtig. Ich bitte deswegen – bei allen Problemen, die wir nicht verschweigen – um Zustimmung und danke für die Aufmerksamkeit. ({2})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gilt heute insgesamt sieben Mandate zu verlängern. Die CDU/CSU wird der Verlängerung aller sieben Mandate zustimmen, weil es darum geht, die Stabilität und Sicherheit zu stärken und unsere Verlässlichkeit im Verbund zu zeigen. Aber wir wollen damit auch einen Beitrag zur Sicherheit unseres Landes in den kommenden drei Monaten leisten; danach soll die neue Bundesregierung die Lage neu bewerten. Ich finde, das ist eine gute Maßgabe. Wir haben die Lage in Afghanistan über die Jahre hinweg im Verteidigungsausschuss, im Haushaltsausschuss, aber auch im Auswärtigen Ausschuss immer miteinander diskutiert. Auch im Hauptausschuss haben wir intensiv darüber beraten. Deswegen bitte ich, dieses Mandat für Afghanistan weiter zu verlängern, meine Damen und Herren. Vieles ist erreicht worden. Jetzt gilt es die Erfolge zu festigen, aber auch deutlich zu machen: Die Anstrengung darf nicht nachlassen. Der Terror muss bekämpft werden, die zivile Entwicklung muss gestärkt werden, Fluchtursachen müssen beseitigt werden. Das liegt auch im Interesse unseres Landes, im Interesse Deutschlands. Die klare Zielvorgabe war, dass von afghanischem Boden kein Terror ausgehen darf, der die westliche Welt bedroht. Diesbezüglich ist viel erreicht worden, und für das Erreichte danken wir insbesondere den zivilen Helferinnen und Helfern, aber auch den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Herzlichen Dank dafür! ({0}) Dies ist kein Kampfauftrag mehr, sondern eine Beratungs- und Ausbildungsmission innerhalb der NATO­Kräfte, an der sich 39 Nationen beteiligen. Die afghanische Armee hat viele Erfolge vorzuweisen. Sie kontrolliert zwei Drittel des Landes und damit 75 Prozent der Bevölkerung. Aber dies ist beileibe noch nicht als gesichert anzusehen, sondern die Anstrengungen müssen zum Teil sogar verstärkt werden. Diese Herausforderung gilt es anzunehmen. Das ist mit einer Brandwache zu vergleichen: Wir müssen unsere Kräfte vor Ort halten, um zu gewährleisten, dass Konflikte nicht wiederaufflammen. Dabei müssen wir militärisch, wirtschaftlich und zivil vernetzt agieren, um eine Stabilisierung der Lage in Afghanistan zu erreichen. Hierzu leistet Deutschland einen Beitrag. Aber insbesondere die afghanische Regierung ist aufgefordert, ihren Beitrag zu verstärken. Es gibt zwar durch ein regionales Konzept gute Ansätze im Kampf gegen Kriminalität und Terror. In Richtung des Staatspräsidenten Ghani sage ich aber deutlich, dass die Anstrengungen Afghanistans, selbst für Stabilität und Sicherheit zu sorgen, verstärkt werden müssen. Wir können nur einen gewissen Beitrag leisten. Dieser Beitrag ist aber wichtig und im Interesse unseres Landes, im Interesse Deutschlands. Deswegen müssen wir verlässlich zu unseren Partnern stehen, meine Damen und Herren. ({1}) Im Norden und Westen des Landes gibt es bereits stabile Zonen. Es ist unser Ziel, dass Menschen, die sich unrechtmäßig in Deutschland aufhalten oder hier beispielsweise gewalttätig geworden sind, in ihre Heimat zurückgehen können. ({2}) Auch deswegen müssen wir dieses Land stabilisieren. Ich habe großes Verständnis dafür – und unterstütze entsprechende Maßnahmen –, dass sich unrechtmäßig in Deutschland aufhaltende oder gar gewalttätig gewordene afghanische Staatsbürger in ihr Land zurückkehren sollen. Zu sagen, das Land sei in Gänze nicht sicher, ist falsch und wäre auch ein falsches Signal von Deutschland. Deswegen unterstütze ich Maßnahmen der Rückführung. ({3}) Auch das ist Verantwortung, meine Damen und Herren. Deutschland nimmt diese Verantwortung innerhalb der Vereinten Nationen, der NATO und der Europäischen Union wahr. Wir müssen deutlich machen, wie begrüßenswert die Entwicklung im Rahmen von PESCO ist und dass wir sowohl unsere Verteidigungspolitik als auch unsere Außenpolitik innerhalb von Europa noch stärker miteinander koordinieren wollen. Das sind ganz wichtige Signale. Gleichzeitig wollen wir die Sicherheitsarchitektur im Inneren – die Streitkräfte, die Polizei, das Bundeskriminalamt, aber auch die Nachrichtendienste – stärken; auch sie gehören dazu. Unser Auftrag ist es, sie an die jeweilige Lage anzupassen. Ich schließe mit einem ganz herzlichen Dank an all diejenigen, die sich für die Sicherheit unseres Landes einsetzen. Sie sind die wahren Säulen und brauchen die volle Rückendeckung unseres Parlamentes. Auch deswegen sagen wir: Bitte unterstützen Sie weiterhin das Mandat in Afghanistan; denn es trägt auch zur Stabilität und Sicherheit unseres Landes bei. Herzlichen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Henning Otte. – Der nächste Redner hält jetzt seine erste Rede im Deutschen Bundestag: René Springer für die AfD-Fraktion. ({0})

René Springer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004900, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung will mit dem vorliegenden Antrag den Einsatz von fast 1 000 deutschen Soldaten in Afghanistan verlängern. Um das gleich zu Beginn mit aller Deutlichkeit zu sagen: Die AfD-Fraktion lehnt diesen Antrag als absolut unvernünftig und absolut unverantwortlich ab. ({0}) Drei Gründe will ich Ihnen nennen: Erstens. Niemand hier im Haus kann die Lage in Afghanistan wirklich kennen. Vor drei Jahren legte die Bundesregierung einen letzten Fortschrittsbericht vor. Seitdem hat es keinen einzigen seriösen Lagebericht mehr gegeben, keine ehrliche Bilanzierung, keine unabhängige Evaluation. Wer hier und heute im Sinne der Bundesregierung entscheidet, der entscheidet schlichtweg blind. ({1}) Zweitens. Für die Mission in Afghanistan gibt es kein explizites Mandat der Vereinten Nationen. Wer aber – wie wir als AfD – die zentrale Rolle der Vereinten Nationen für internationale Sicherheit und Weltfrieden anerkennt, der kann ein fehlendes UN-Mandat nicht einfach ignorieren. Genau das aber tut die Bundesregierung, und sie tut es seit drei Jahren. ({2}) Drittens. Die NATO-Mission in Afghanistan kann man als klassisches Nation-Building verstehen, und laut Antrag der Bundesregierung ist es ausdrücklich kein Kampfeinsatz. Aber es war gerade im August – vor wenigen Monaten –, da stellte sich der US-Präsident Donald Trump vor die Kameras dieser Welt und erklärte seine neue Afghanistan-Strategie. Dort sagte er: Wir betreiben kein Nation-Building. Wir töten Terroristen. – Das ist aus meiner Sicht kein lapidares Abweichen von unserer Strategie in Afghanistan. Es ist exakt das Gegenteil unserer Strategie in Afghanistan. ({3}) Meine Damen und Herren, seit 16 Jahren ist die NATO unter deutscher Beteiligung am Hindukusch, und wir alle kennen die katastrophale Bilanz. Kaum ein Land auf dieser Welt ist korrupter – glauben Sie mir; denn ich habe es als Soldat im Einsatz, der dort sechs Monate verbracht hat, selbst erlebt –, kaum ein Land ist mehr vom Terror betroffen, und bei der Opiumproduktion liegt Afghanistan weltweit auf Platz eins. 56 deutsche Soldaten mussten den Einsatz, der diese katastrophale Bilanz aufweist, mit ihrem Leben bezahlen, und doch will die Bundesregierung allen Misserfolgen, Rückschlägen und Opfern zum Trotz erneut deutsche Soldaten nach Afghanistan entsenden, obwohl kein UN-Mandat vorliegt, obwohl niemand hier weiß, wie die Lage in Afghanistan wirklich aussieht, und obwohl von einer abgestimmten NATO-Strategie sicherlich nicht mehr die Rede sein kann. ({4}) Nicht mit uns, meine Damen und Herren, nicht mit der AfD! Wir lehnen diesen Antrag der Bundesregierung ab. Danke schön. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nächster Redner in der Debatte: Alexander Graf Lambsdorff für die FDP-Fraktion. ({0})

Alexander Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004798, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Freien Demokraten bekennen sich ausdrücklich zum Afghanistan-Engagement der Bundesrepublik Deutschland. Resolute Support ist ein zentraler Beitrag für die Zukunft Afghanistans. Aber wir haben schon bei der ersten Lesung eines sehr deutlich gemacht: Wir wollen dem Parlament den realistischen Blick, der hier vom Kollegen Annen erwähnt worden ist, in der Zukunft besser ermöglichen. Wir brauchen eine kritische Bestandsaufnahme, eine Bewertung des bisher Erreichten und des bisher nicht Erreichten. Es sind ja Fortschritte gemacht worden. Es gibt einen erfolgreichen Aufbau staatlicher Institutionen, es gibt eine Zivilgesellschaft. Aber diese Erfolge können nur da auf Dauer bewahrt werden, wo die afghanischen Sicherheitskräfte für Sicherheit und Stabilität sorgen. Hier geht es eindeutig um das nicht Erreichte, denn das schaffen die afghanischen Sicherheitskräfte noch nicht. Deswegen braucht Afghanistan auch in Zukunft mehr politische Aufmerksamkeit, mehr entwicklungspolitisches Engagement; es braucht aber eben auch noch mehr militärische und polizeiliche Ertüchtigung. Wie aber soll das geschehen, und anhand welcher Kriterien ist der Erfolg der Mission zu messen? Wir fordern die Bundesregierung auf, dies in einem jährlichen Evaluierungsbericht offenzulegen. Ich habe es bereits gesagt: Es gibt in den USA das Verfahren des Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction. Er legt einmal im Jahr einen entsprechenden unabhängigen Bericht vor. Der Deutsche Bundestag braucht das auch. Ich will hier aber auch eines ganz deutlich sagen: Wir werden der jetzt anstehenden technischen Verlängerung zustimmen – nicht blind, wie der Kollege von der AfD gerade gesagt hat, denn wir haben genug Informationen –, aber wir wollen in der Zukunft eine Neubewertung auf Grundlage eines Evaluierungsberichts. Wer hier heute ablehnt, wer heute dem Antrag nicht zustimmt, der will ja den Abzug binnen dreier Monate quasi erzwingen. ({0}) Das ist logistisch und militärisch völlig unrealistisch, und es ist politisch und diplomatisch absolut verantwortungslos. ({1}) Alle unsere Verbündeten würden auf Deutschland schauen und fragen, ob wir noch alle Tassen im Schrank haben, wenn wir unsere Bundeswehrsoldaten mir nichts, dir nichts aus einem gemeinsamen Einsatz der internationalen Gemeinschaft abziehen. ({2}) Ich sage es noch einmal: Es ist logistisch und militärisch unrealistisch und politisch und diplomatisch verantwortungslos. Humanitär wäre es geradezu zynisch, weil wir die Menschen im Norden Afghanistans völlig unvermittelt alleine lassen würden. Das kann nicht deutsche Politik werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass Afghanistan erneut ein sicherer Hafen für Terroristen wird. Wir haben es geschafft, dass in den letzten 16 Jahren von diesem Land keine Bedrohung für die Sicherheit und den Frieden der Welt ausgegangen ist. Das ist ein Erfolg, auf den wir auch in Zukunft aufbauen sollten. Herzlichen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. – Nächster Redner: Tobias Pflüger für Die Linke. ({0})

Tobias Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004852, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte wird sehr viel über die Evaluation von Bundeswehreinsätzen gesprochen. Könnten wir uns nicht einfach ernsthaft anschauen, wie die konkrete Lage in den Gebieten ist, wohin Sie die Bundeswehr schicken, und erst dann konkret Entscheidungen treffen? Ich habe den Eindruck, in der Debatte reden alle von Evaluation, aber zustimmen werden Sie auf jeden Fall. So genau wollen Sie dann doch nicht wissen, was vor Ort passiert. Wir als Linke schauen uns die Situation sehr genau an und kommen zu dem Schluss: Es macht überhaupt keinen Sinn, Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan zu schicken. Deshalb sagen wir Nein zu diesem Einsatz. ({0}) Wir sollen heute darüber entscheiden, ob bis zu 980 Bundeswehrsoldaten im Rahmen von Resolute Support nach Afghanistan geschickt werden. Die Situation in Afghanistan eskaliert immer weiter. Seit Jahresbeginn gibt es 350 000 Binnenflüchtlinge, die innerhalb Afghanistans vor Gefechten zwischen Taliban und den sogenannten Sicherheitskräften fliehen. Das sind Zahlen der UN-Agentur OCHA. Allein der gesamte Norden Afghanistans ist inzwischen eine Region, in der man die Sicherheitslage als hochproblematisch einschätzen muss. Das Ganze hat Gründe. Die Bombardierungen, die es bis heute gibt, insbesondere die der USA, werden umfangreich ausgeweitet. Allein in der letzten Zeit gab es pro Monat 236 Angriffe. Die NATO hat nach Trumps Intervention entschieden, die Truppen aufzustocken, aber das Ergebnis ist nicht eine bessere Sicherheitslage, im Gegenteil. Wir als Linke sagen: Diese Truppenaufstockung war völlig falsch. Wir wollen keine Truppenaufstockung, sondern wir wollen, dass die Truppen abgezogen werden. ({1}) Die Ausbildung von Soldaten und Polizisten ist offensichtlich nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Sogar höchste afghanische Offiziere verkaufen Waffen, Treibstoff und Ausrüstung unter anderem an die Taliban; dabei sind sie es, die von der Bundeswehr ausgebildet worden sind. Ich kann nur sagen: Nein, diesem Bundeswehreinsatz kann man in keiner Weise zustimmen. ({2}) Wir sagen Nein zu diesem Einsatz, weil er politisch falsch ist. Wir lehnen ihn grundsätzlich ab. ({3}) Die afghanische Armee hat 4 000 Soldaten verloren, die afghanische Polizei 5 000 Polizisten. Sie sind entweder gefallen oder desertiert. Ich bin der Meinung, dass es einfach falsch ist, den Bundeswehreinsatz fortzusetzen. Wir als Linke werden ihn aus inhaltlichen Gründen ablehnen. Lassen Sie mich abschließend noch eine Bemerkung machen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Aber abschließend!

Tobias Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004852, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Bundesregierung ist trotz der Unsicherheitslage in Afghanistan inzwischen bereit, Menschen dorthin abzuschieben. Zu diesen Abschiebungen sagen wir genauso Nein. ({0}) Wir als Linke sagen Nein zu den Auslandseinsätzen und zu den Abschiebungen nach Afghanistan. Das sind nämlich zwei Seiten einer Medaille. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Pflüger. – Nächster Redner in der Debatte: Dr. Tobias Lindner für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, geschätzte Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 22. Dezember 2001 hat der Deutsche Bundestag beschlossen, Soldatinnen und Soldaten nach Afghanistan zu entsenden. Das ist jetzt 16 Jahre her. Wir bzw. unsere Vorgängerinnen und Vorgänger haben das damals getan, weil Deutschland nach den Anschlägen des 11. September fest an der Seite der Vereinigten Staaten gestanden hat. So nachvollziehbar diese Begründung damals gewesen sein mag, so reicht sie natürlich heute bei weitem nicht aus, um hier eine Mandatsverlängerung zu beschließen. ({0}) Wir sind und – das sage ich persönlich – wir bleiben mit der Bundeswehr in Afghanistan, weil wir damit begonnen haben, für dieses Land und für seine Bevölkerung Verantwortung zu übernehmen. Meine Fraktion bekennt sich unabhängig davon, wie wir nachher abstimmen, auch weiterhin zu der Verantwortung für dieses Land, liebe Kolleginnen und Kollegen. In der ersten Debatte an diesem Morgen hat der Kollege Kiesewetter zu Recht anklingen lassen, dass wir regelmäßig evaluieren müssen: Welche Ziele haben wir erreicht? Wie verläuft dieser Einsatz? Wo gab es Rückschläge? Wo gab es Fehlschläge? Wo gab es Irrtümer? Daher wäre das Schlimmste, was wir sowohl unseren Soldatinnen und Soldaten im Einsatz als auch den Menschen in Afghanistan antun könnten, heute so zu tun, als sei eine solche Verlängerung reine Routine. ({1}) Ich gehöre zu denen in meiner Fraktion, die dem Antrag der Bundesregierung trotz aller Mängel nachher ihre Zustimmung geben werden. ({2}) Wir tun dies, weil wir davon überzeugt sind, dass das Engagement der Bundeswehr im Bereich der Ausbildung in Afghanistan weiterhin benötigt wird, und weil wir überzeugt sind, dass die Bundeswehr mit der Speiche Nord in Masar-i-Scharif einen wichtigen Knotenpunkt für unsere Partner bereitstellt. ({3}) Aber wir sagen auch ganz deutlich: Militär ist in Afghanistan nicht die Lösung. ({4}) Es kann maximal einen Rahmen für eine zivile Entwicklung schaffen. Es kann einen Rahmen dafür schaffen, dass wir beim Staatsaufbau, bei den zivilen Instrumenten wie humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit sowie bei der Polizeiausbildung vorankommen. Weil wir hier viel mehr tun müssten und weil wir – davon bin ich persönlich überzeugt – viel mehr tun könnten, wird ein großer Teil meiner Fraktion diesem Mandat heute wie in den Vorjahren nicht seine Zustimmung geben können. ({5}) Ein letzter Punkt, ein Blick nach vorne: Was braucht es, wenn wir in drei Monaten erneut über dieses Mandat diskutieren? Was hätte es schon längst gebraucht? Wir brauchen nicht nur eine ehrliche Evaluation – was haben wir richtig gemacht, was haben wir falsch gemacht, was können wir lernen? –, sondern endlich auch eine öffentliche Debatte darüber, was dieser Einsatz mit der Bundeswehr gemacht hat. Und für Afghanistan brauchen wir endlich einen größeren Plan – ein Weiter-so in der Ausbildung wird nicht reichen –, mit dem dieses Land eine wirklich realistische Perspektive hat, sodass wir hier eines Tages beschließen können, die Truppen aus Afghanistan abzuziehen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das machen wir jetzt aber nicht mehr.

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Tobias Lindner. – Der nächste und letzte Redner in dieser Debatte: Thorsten Frei für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es gut, dass wir in diesen Adventstagen über die Mandatsverlängerungen entscheiden, nicht nur aus politischen und rechtlichen Gründen, sondern auch, weil unsere Soldatinnen und Soldaten, die fernab von Familie und Heimat ihren wichtigen Dienst für unser Land tun, diese Rückenstärkung verdienen. Ich habe in der bisherigen Debatte viel über die Probleme gehört. Es gibt diese Probleme hinsichtlich der Sicherheitslage in Afghanistan. Die Zahl der Binnenvertriebenen ist erneut gestiegen. Die Zahl der Anschlagsopfer ist seit Jahresanfang erneut um 6 Prozent gestiegen. Wir haben tatsächlich große Herausforderungen zu bewältigen. Wenn man sich die 401 Distrikte in Afghanistan anschaut, stellt man fest, dass nur 57 Prozent von der Regierung kontrolliert werden, während 30 Prozent umkämpft sind und 13 Prozent gar in den Händen der Aufständischen sind. Die Frage ist aber, welche Schlussfolgerungen man daraus zieht. Wir haben in Afghanistan große Probleme. Afghanistan ist das Herz des internationalen Drogenanbaus und der Drogenproduktion. 9 000 Tonnen Opium werden allein in diesem Jahr produziert – eine Steigerung um 87 Prozent. Das macht insgesamt 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Afghanistans aus. Das Schlimme ist im Übrigen, dass mit diesem Geld internationaler Terrorismus finanziert wird. Etwa die Hälfte davon fließt in die Taschen der Taliban, die damit ihren Terrorismus auch bei uns in Europa und der westlichen Welt finanzieren und ermöglichen. Vor diesem Hintergrund ist mir schon schleierhaft, wie man allen Ernstes behaupten kann, dass die Sicherheit Deutschlands nicht auch am Hindukusch verteidigt wird, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0}) Wer so denkt, der denkt in den Kategorien des vorletzten Jahrhunderts. Denn in Zeiten der Globalisierung wird die Sicherheit und werden die Interessen Deutschlands und Europas natürlich auch am Hindukusch verteidigt. Wir haben ein Interesse daran, wie die Zukunft Afghanistans aussieht. Aber zu diesen Themen habe ich von Ihnen nichts gehört. Was wollen Sie eigentlich? Wir wollen nicht, dass Afghanistan wieder ein Hort und Rückzugsort für islamistischen Terrorismus wird.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege Frei, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung eines Kollegen von der AfD? – Entschuldigung, ich kenne Ihre Namen noch nicht alle. Nach Weihnachten ist das vielleicht anders.

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Bitte schön.

Dr. Anton Friesen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004720, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Sie haben das Thema Drogen angesprochen. Welche Drogenbekämpfungsstrategie verfolgt denn die Bundesregierung, ({0}) oder welche Drogenbekämpfungsstrategie würden Sie uns vorschlagen?

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir wissen ganz genau, lieber Herr Kollege, dass wir für Afghanistan eine Gesamtstrategie brauchen. ({0}) Das bedeutet zunächst einmal mehr Sicherheit in Afghanistan und aufbauend auf mehr Sicherheit auch Nation-Building. Genau das tun wir. Wenn Sie sich einmal die Erfolge anschauen – über sie ist wenig gesprochen worden –, stellen Sie fest: Es gibt sie nicht nur im Bereich der Gesundheitsversorgung und nicht nur bei den Bildungsmöglichkeiten, sondern beispielsweise auch beim Staatsaufbau. So ist es der afghanischen Verwaltung gelungen, das Zoll- und Steueraufkommen in den letzten drei Jahren um 13 bzw. 15 Prozent zu erhöhen. All das sind Entwicklungen, die für Stabilität in Afghanistan sorgen und dabei helfen, den Menschen Lebensperspektiven zu eröffnen. Das ist eine effektive Strategie für Sicherheit und gegen Drogenanbau und -produktion in Afghanistan. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben über die Probleme gesprochen, aber es gibt auch unbestreitbare Erfolge. Nach der Beendigung der ISAF-Mission im Jahr 2015 hat sich die Sicherheitssituation zunächst deutlich verschlechtert. Das hatte auch Folgen für das zivile Leben und die ökonomische Entwicklung in Afghanistan. Es gab dort ein Wirtschaftswachstum im zweistelligen Bereich, danach ein Nullwachstum, und heute haben wir ein Wachstum von 2,9 Prozent, über das wir uns freuen. Ich glaube, es ist wichtig, zu sagen: Wir brauchen heute die Verlängerung dieses Mandats bis März nächsten Jahres. Aber wir müssen uns auch Gedanken darüber machen, wie man das militärische Patt zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung auflösen kann. Vorhin ist über die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten gesprochen worden, 4 000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan zu senden. Ich halte diese Entscheidung für richtig. Ich halte es auch für richtig, situationsangepasst vorzugehen und Maßnahmen nicht vom heimischen Wahlkalender abhängig zu machen, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Wir – jedenfalls die meisten von uns – kritisieren zu Recht die Aussage: Wir töten nur noch Terroristen, aber wir machen kein Nation-Building mehr. – Wer das propagiert, der darf aber nicht sagen: Wir dürfen keine vierstellige Zahl an deutschen Soldaten nach Afghanistan senden. Wir müssen eine entsprechende Strategie entwickeln und deutlich machen, dass wir in Afghanistan Sicherheit brauchen und dass wir diese gewährleisten, indem wir die afghanische Regierung unterstützen –

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie an Ihre Redezeit.

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– und damit die Taliban zwingen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Denn es ist tatsächlich so: Am Ende muss ein innerafghanischer Aussöhnungsprozess stehen. Wir sind bereit, dafür die Voraussetzungen zu schaffen. Herzlichen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Frei. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Hauptausschusses zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 19/193 und 19/206, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 19/21 anzunehmen. Es liegen uns eine Reihe von Erklärungen zur Abstimmung gemäß § 31 der Geschäftsordnung vor. Wir stimmen jetzt über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen, damit wir mit der Abstimmung beginnen können. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich jetzt die Abstimmung. Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die ihre Stimme noch nicht abgegeben haben? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wie immer wird Ihnen das Ergebnis später bekannt gegeben. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, weil wir in einem Abstimmungsvorgang sind. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/224. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt gegen den Antrag? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat Die Linke, dagegengestimmt haben CDU/CSU, SPD und FDP, enthalten haben sich die AfD und Bündnis 90/Die Grünen.

Siemtje Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute debattieren wir das UN-Mandat MINUSMA. Ich möchte vorweg für MINUSMA klar herausstellen: Das Hauptziel dieses Mandates ist die Stabilisierung des Landes in der Sahelregion. Unsere Aufgabe ist es, mithilfe der Bundeswehr und an der Seite unserer europäischen und internationalen Partner Verantwortung zu übernehmen und Mali zu helfen. ({0}) Ziel ist die Umsetzung des Friedensabkommens von 2015. Das ist das, was wir versuchen mithilfe des Mandats zu erreichen. 2013 drohte Mali die Kontrolle über weite Teile seines Territoriums zu verlieren oder hatte sie bereits an marodierende Räuberbanden verloren. Auf den Hilferuf der malischen Regierung reagierte Frankreich umgehend. Deutschland nun unterstützt Frankreich und stärkt so mit seinem Engagement nicht nur die malische Regierung, sondern auch die europäische Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik. In die Zukunft gedacht kann diese Zusammenarbeit beispielhaft für die beschlossene europäische Sicherheitsunion stehen. Trotz dieser erfolgreichen Kooperation wissen wir alle: Der Blauhelmeinsatz der UN in Mali ist einer der gefährlichsten, an dem sich die Bundeswehr je beteiligt hat. Eine schwierige Sicherheitslage, die katastrophale Situation der Infrastruktur und herausfordernde Witterungsverhältnisse fordern unsere Soldatinnen und Soldaten besonders. Damit kommt uns, dem Parlament, eine besondere Verantwortung zu. Alle Abgeordneten, die diesem Mandat heute zustimmen – um Ihre Zustimmung werbe ich ausdrücklich –, sind sich dieser Verantwortung bewusst – auch ich; seien Sie sich dessen versichert. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verlängerung des Mandats um drei Monate gibt uns Zeit, die Herausforderungen und Probleme des Einsatzes anzusprechen und gegebenenfalls nachzujustieren. Auch ich bin schon im Gespräch in meinem Wahlkreis Friesland – Wilhelms­haven – Wittmund; denn 52 Soldatinnen und Soldaten des Objektschutzregiments der Luftwaffe aus Upjever, also direkt aus meinem Wahlkreis, sind vor Ort in Mali und leisten dort als Teil des Einsatzkontingentes hervorragende Arbeit. Beispielsweise sichern sie einen Flughafen. Ich freue mich deshalb besonders, dass der Kommandeur, Oberst Walter, als Vertreter der Objektschützer heute auf der Besuchertribüne zu Gast ist. ({2}) Damit unterstreicht er, wie ich finde, wie sehr die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bedrohungen in Mali sind häufig asymmetrisch. Radikale Rebellengruppen quälen die Bevölkerung, und der unübersichtliche Norden dient als Rückzugsort für international agierende Terrornetzwerke. Nur ein funktionierender Staat kann dagegenhalten. Gerade deswegen geht es darum, Mali zu stabilisieren. Und, sehr verehrte Damen und Herren, es ist sehr wohl im Interesse Deutschlands und der globalen Gemeinschaft, in Mali gegen Armut, Kriminalität und Terrorismus und für stabile staatliche Strukturen einzutreten. ({4}) Um dort diese Probleme anzugehen und die Kernpunkte des Friedensabkommens umzusetzen, ist ein vernetzter Ansatz entscheidend. Das heißt, das Engagement der Bundeswehr muss mit der Diplomatie und der Entwicklungszusammenarbeit Hand in Hand gehen. Die Kernpunkte des Friedensabkommens sind die bessere Integration der Bevölkerung aus dem Norden, um sie nicht strukturell vom Staatsdienst in Armee und Verwaltung auszuschließen, sowie die Neuordnung des Sicherheitssektors und die Entwaffnung der Rebellen. Es ist wichtig, vertrauensbildende Maßnahmen zwischen den Konfliktparteien einzuleiten, um einen gesellschaftlichen Versöhnungsprozess und einen nationalen Dialog zu beginnen und darüber hinaus Entwicklungsprogramme und die verstärkte Autonomie für Nordmali zu fördern. Kurz gesagt: Das Ziel ist, Mali auf seinem Weg in eine friedliche und stabile Zukunft zu unterstützen. ({5}) Folgenden Fragen müssen wir uns allerdings stellen: Wie kann das zukünftige Engagement der Bundeswehr in Mali aussehen? Wie können die Fähigkeiten und Kompetenzen unserer Soldatinnen und Soldaten optimal eingesetzt werden? Und wie schaffen wir es, dass die Ausrüstung den ortsüblichen Witterungsumständen bestmöglich standhält? Es gehört aber auch zu unserer Verantwortung, unsere Fähigkeiten zu gewährleisten und sicherzustellen. In der letzten Debatte hat die Ministerin gesagt, dass die Hubschrauber Tiger und NH90 nur noch bis zum Sommer 2018 in Mali sein werden. Es gehört, finde ich, tatsächlich zu unserer Verantwortung, sicherzustellen, dass die Ablösung unserer Hubschrauberflotte einwandfrei funktioniert und der Fortgang des Einsatzes garantiert wird. ({6}) Deshalb möchte ich meine Erwartungen an die zukünftige Bundesregierung deutlich formulieren: Der Friedensprozess in Mali muss fortgeführt werden, indem wir unser Engagement in der Region um Bamako ausweiten. Die Ablösung unserer Truppenteile muss einwandfrei vollzogen werden. Die Zivilgesellschaft des Landes muss stärker in den Friedensprozess eingebunden werden, und die Korruption im Lande muss dringend weiter massiv bekämpft werden. Mir ist klar: Diese Erwartungen können nur erfüllt werden, wenn es zügig zu einer Regierungsbildung in Deutschland kommt, damit die Mandate der Bundeswehr die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen. Das sind wir unserer Parlamentsarmee schuldig. Allen Soldatinnen und Soldaten, besonders denjenigen, die während der Weihnachtszeit für Deutschland ihren Dienst in Mali oder in anderen Auslandseinsätzen leisten, sende ich von hier sehr herzliche Grüße und unseren Dank für ihren Einsatz. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Möller. – Nächster Redner: Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion. – Ich bitte auch die Herren in der ersten Reihe der CDU/CSU-Fraktion, ihren Rednern zuzuhören. Die Herren merken gar nicht, dass ich mit ihnen rede. – Danke, Herr Kauder. Jetzt ist Herr Hardt an der Reihe, und wir hören ihm auch zu.

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Mali-Einsatz der deutschen Bundeswehr ist, auch im Zusammenhang mit der Ausbildungsmission der Europäischen Union gesehen, der größte Einsatz, und ich glaube, er gehört auch zu den gefährlichsten Einsätzen, die die Bundeswehr derzeit im Ausland absolviert. Ich erinnere an den tragischen Hubschrauberabsturz am 26. Juli 2017. Wir haben in einer ergreifenden Trauerfeier in Fritzlar von den beiden Kameraden Abschied genommen, die im Einsatz für die Bürger Malis und für die Bundesrepublik Deutschland ihr Leben gelassen haben. Es war die dunkelste Stunde der Bundeswehr in diesem Jahr, als wir in diesem Auslandseinsatz leider zwei gefallene Soldaten beklagen mussten. Aber der Einsatz, der nun seit circa fünf Jahren läuft, ist ein ausgesprochen erfolgreicher Einsatz gemessen an dem, wie die Situation war, als wir im Frühjahr 2013 die Arbeit dort aufnahmen – die Kollegin Möller hat darauf hingewiesen –: Das Land war dabei, komplett zu kippen. Die Hauptstadt Bamako stand kurz vor der Besetzung durch Rebellen. 450 000 Binnenvertriebene waren innerhalb Malis unterwegs. Die Tuareg, aber auch die islamistischen Terroristen haben Kinder als Soldaten rekrutiert und sie als Kanonenfutter in die Gefechte geschickt. Die Zahl der Bombenexplosionen ging rapide nach oben. Dieses Land war knapp davor, der Kontrolle zu entgleiten. Die Franzosen haben dann den ersten Schritt getan. Wir haben uns dem bald angeschlossen und haben auf der Basis des UN-Mandats unseren Beitrag dazu geliefert, dass dieses Land zusammengehalten wird, dass es stabilisiert wird und dass sich heute zivile Hilfsorganisationen im Land wieder freier bewegen können, als es früher der Fall war, und dass sie ihrer Arbeit nachgehen können. Wir sind in Mali noch weit entfernt von einem durchschlagenden Erfolg, von einer sich selbst tragenden Entwicklung. Die Regierung braucht unsere Unterstützung. Deswegen ist es richtig, dass wir dieses Mandat verlängert haben. Wenn man sich die geografische Lage Malis anschaut, wird einem auch klar: Es ist nicht nur für Mali, sondern auch für die gesamte Region des westlichen Afrikas von enormer Bedeutung, dass wir den Vormarsch des Terrorismus aus den destabilisierten Regionen Libyens über die Wüste in den westlichen Teil Afrikas stoppen und dass Mali eben nicht das Durchmarschland für Terroristen und Gewalttäter und für Menschenschlepper in der Region wird. Die Bundeswehr hat ganz konkret in Gao von den Niederländern die wichtige Aufgabe übernommen, das dortige Lager Castor zu sichern, zu organisieren, von dort Aufklärung zu betreiben und auch die medizinische Versorgung der gesamten UN-Truppen in dieser Region durch die MedEvac- Hubschrauber der Bundeswehr sicherzustellen. Wir sind dort außerdem mit der Hochwertfähigkeit der Transporthubschrauber NH90 und der Kampfhubschrauber vertreten. Dort passierte auch dieser schreckliche Unfall. Wir setzen darauf, dass die Bereitstellung dieser Hochwertfähigkeit im Frühsommer abgelöst wird, vermutlich durch belgische Soldaten und, möglicherweise dann in einer weiteren Welle, durch andere. Den nächsten Zyklus könnten die Kanadier beginnen. Es würde mich – auch als Koordinator der transatlantischen Zusammenarbeit – besonders freuen, wenn wir die Kanadier wieder mit ins Boot bekämen. Wir müssen die Bundesregierung bitten, innerhalb der Völkergemeinschaft zu fordern, derartige Hochwertfähigkeiten, wie zum Beispiel die Fähigkeit, Soldaten im Unglücksfall oder im Gefechtsfall, etwa wenn sie verletzt oder verwundet worden sind, mit Hubschraubern zu evakuieren, gemeinsam bereitzustellen. Solche Hochwertfähigkeiten sollten roulierend von den Nationen praktiziert werden, die das können. Diejenigen, die sich bereit erklären, in einen Einsatz zu gehen, dürfen nicht als diejenigen dastehen, die sozusagen darum betteln müssen, dass sie eines Tages abgelöst werden. Vielmehr brauchen wir ein vernünftiges, roulierendes System, in dem auch die Bundeswehr ihren festen Platz hat. Aber für uns muss eben auch klar sein: Wir können unsere Bundeswehrsoldaten nach 12 oder nach 18 Monaten abziehen, und wir können uns darauf verlassen, dass die Hochwertfähigkeit erhalten bleibt. Die Fähigkeit, Soldatinnen und Soldaten im Falle eines Gefechts oder eines Unglücks innerhalb einer goldenen Stunde in eine vernünftige medizinische Feldlazarettversorgung zu bringen und damit ihr Leben zu retten, ist eine absolut unverzichtbare Fähigkeit, wie wir sie nicht nur in Mali, sondern zum Beispiel auch in Afghanistan dringend brauchen. Wir sind dafür, dieses Mandat fortzusetzen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird dem zustimmen. Wir bitten die Kolleginnen und Kollegen des Hohen Hauses, dies ebenfalls zu tun. Wir wünschen den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz – 950 sind es allein bei MINUSMA – eine glückliche Heimkehr nach ihrem Einsatz. Denen, die vor Ort bleiben müssen, wünsche ich ein gesegnetes Weihnachtsfest. Danke schön. ({0})

Jens Kestner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004777, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Heute entscheiden wir über die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali oder, kurz, so wie wir alle es kennen, MINUSMA. Wenn man der Bundesregierung glauben mag, so soll der deutsche Einsatz Mali stabilisieren. Er soll die Bevölkerung schützen. Der lokale Sicherheitssektor soll ausgebaut, ja, er soll gestärkt werden. Man will die territoriale Einheit Malis sichern. Flüchtlingsströme in Richtung Deutschland will man verhindern oder will man gar stoppen. Wie Sie sehen: Man will hier alles. All das hört sich schön an, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass man diese Ziele mit dem Einsatz an Truppe und Material nicht erreichen kann, zumal von vollkommen falschen Voraussetzungen ausgegangen wird, da zum Beispiel Mali, wenn überhaupt, nur ein Transitland für Flüchtlinge und kein klassisches Ursprungsland ist. Viel schlimmer noch – wir haben es hier vorhin von meinem Kollegen und Kameraden Springer gehört –: Sie haben nichts, aber auch gar nichts aus der deutschen Geschichte in Bezug auf den Afghanistan-Einsatz gelernt. Dieselben Fehler werden nun auch in Mali begangen. Man begibt sich in ein Abenteuer, das aus heutiger Sicht schon zum Scheitern verurteilt ist. ({0}) In voreiligem Gehorsam vertritt man französische Interessen in Mali, im Westen von Afrika, wo doch deutsche Interessen klar im Vordergrund stehen sollen. ({1}) Die Bedrohungslage für unsere Soldaten im Einsatzgebiet, so steht es geschrieben, ist erheblich. Oder sollte ich lieber sagen: „Sie ist vermutlich tödlich“? Darüber wird auch die bunte Berichterstattung à la Hollywood, die hier auf den Weg gebracht wurde, nicht hinwegtäuschen. Mali mit einer Fläche dreimal so groß wie Deutschland kann mit einer Mandatsobergrenze von 1 000 Soldaten und aktuell 968 Kameraden im Einsatz nicht befriedet, stabilisiert und auch nicht gesichert werden. ({2}) Man muss sich den Realitäten stellen und erkennen, dass man all das nicht leisten kann, was man sich hier zur Aufgabe gemacht hat. Die AfD-Fraktion wird diesen Einsatz ablehnen. Es fehlt eine klare Strategie, der Kräfteansatz ist verfehlt, und deutsche Interessen, wenn überhaupt vorhanden, kann man hier mit der Lupe suchen. ({3}) Frau Ministerin und alle Anwesenden im Plenum, sind wir doch heute einfach alle so mutig, wie unsere Soldaten tapfer sind, jeden Tag aufs Neue! Lassen Sie uns den Mut aufbringen, diesen Einsatz abzulehnen, auf dass unsere Soldaten wieder mit Stolz auf uns, die politischen Vertreter, blicken können! Wir sind es unseren Soldaten, ihren Familien, ja, aber auch unserem Volk in Gänze schuldig. Lehnen Sie mit uns diesen Einsatz ab! Danke schön. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön. – Nächster Redner für die FDP-Fraktion: Pascal Kober. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute der Verlängerung des Einsatzes der Bundeswehr im Rahmen von MINUSMA, der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission in und für Mali, zustimmen, dann tun wir das aus der festen Überzeugung heraus, dass wir damit einen entscheidenden Beitrag für die Sicherheit in Europa und damit auch für die eigene Sicherheit in Deutschland leisten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Mali erscheint manchem weit weg. „Was geht uns dieses Land an?“, mag der eine oder andere fragen. Aber: Der internationale Terrorismus kennt keine Grenzen. Er sucht sich instabile Lebensverhältnisse – wenn er sie nicht findet, dann schafft er sie sich –, von denen aus er operieren kann, von denen aus er seine Kampfkraft entwickeln kann und von denen aus er seine Angriffe auf die freie Welt starten kann. Deshalb ist das Engagement unserer Bundeswehr im Rahmen dieser internationalen Friedensmission der Vereinten Nationen richtig. Wir müssen zu verhindern suchen, dass Mali zum Failed State wird, dass Mali verloren geht, dass Mali in die Hände islamistischer Terroristen fällt. Wir müssen verhindern, dass es dem islamistischen Terrorismus in Mali gelingt, von Mali aus die Sahelzone zu destabilisieren und dann in einem zweiten Schritt die Maghreb-Staaten und damit die Außengrenze Europas. Der Norden Afrikas ist unsere Außengrenze. Wir wissen nicht erst seit der Flüchtlingswelle 2015, wie nah uns Afrika ist. Ich selbst war 2016 mit MINUSMA in Gao im Einsatz. Deshalb weiß ich aus eigener Anschauung, dass sich in Mali nicht alles reibungslos und ohne Rückschritte entwickelt. Ich glaube aber aus Gesprächen mit der malischen Bevölkerung zu wissen, dass die Bundesrepublik Deutschland ein ganz besonders hohes Ansehen in Mali genießt. Das müssen wir nun für eine positive Entwicklung nutzen. Mali muss aber auch in bestimmten Bereichen besser werden. Die Staatsführung muss mehr Anstrengungen in den Bereichen gute Regierungsführung und Korruptionsbekämpfung unternehmen. Hier müssen wir als Bundesrepublik Deutschland unseren guten Namen und unseren hohen Stellenwert stärker als in der Vergangenheit zur Geltung bringen. ({0}) Bei allen unseren eigenen Sicherheitsinteressen wollen wir als Demokraten aber nicht vergessen, dass wir auch eine Verpflichtung haben, für Freiheit, Demokratie, Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit für alle Menschen auf dieser Welt einzutreten. Die Malier sind, obwohl sie sechs Stunden von uns entfernt wohnen, nicht weit weg und sind Menschen, für die wir uns interessieren, für die wir eintreten und für die wir Verantwortung empfinden. Mein Dank geht an die Soldatinnen und Soldaten sowie die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einsätzen genauso wie an ihre Familien, die nicht zuletzt die Anforderungen des anspruchsvollen Dienstes mit den Soldatinnen und Soldaten teilen. Ich möchte aber so kurz vor Weihnachten auch denjenigen Menschen Dank sagen, die sich um die betreffenden Familien und die Soldaten in den Einsätzen kümmern, –

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Darf ich Sie dennoch an die Redezeit erinnern?

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– zum Beispiel die Evangelische und die Katholische Arbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung, die Familienbetreuungszentren, der BundeswehrVerband, die Militärseelsorge sowie viele Bürgerinnen und Bürger, die den Soldaten in den Einsatzländern schreiben, Pakete schicken, mit unseren Soldaten mitfühlen und an sie denken. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ihre Weihnachtswünsche teile ich, lieber Kollege. Wenn aber Redezeiten verabredet sind, bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen, sich daran zu halten. Wenn es vorne am Rednerpult blinkt, dann ist das keine Weihnachtsbeleuchtung, sondern bedeutet, dass Sie zum Ende kommen müssen. ({0}) Nächste Rednerin: Sevim Dağdelen für Die Linke. ({1})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Liebe Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! In Mali wird deutlich, wie die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung an ihren eigenen Widersprüchen scheitert. Zum einen haben Sie in den letzten Jahren den Einsatz der Bundeswehr in Mali immer mehr ausgeweitet. Deutschland führt Krieg in der Sahara an der Seite der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. Zum anderen führt dieser Krieg zu immer mehr Unsicherheit. Die Stiftung Wissenschaft und Politik – weiß Gott keine linke Institution – kommt in ihrer Analyse von Dezember 2017 zu dem Befund, dass „sich die Sicherheitslage in Mali und seinen Grenzgebieten stetig verschlechtert“ hat. Morgen, am 13. Dezember, soll nun eine Geberkonferenz – wo auch anders? – in Paris das Geld zusammenkratzen, um zusätzlich eine afrikanische Truppe zu finanzieren. Wieder einmal soll das Schicksal Afrikas in einer europäischen Hauptstadt entschieden werden. Eine politische Strategie suche man – so noch einmal die Stiftung Wissenschaft und Politik – vergebens. Während sich das Kriegsabenteuer der Bundesregierung immer stärker als Desaster erweist, sollen es nun noch mehr Soldaten und Waffen richten. Die Bundesregierung gleicht hier einer Feuerwehr, die statt Wasser Benzin zum Löschen eines Brandes in Mali verwendet. Das lehnt Die Linke ab. ({0}) Man muss sich ja auch einmal klarmachen: Die islamistischen Terrorbanden in Mali kommen nicht aus den Sanddünen der Sahara. Sie sind wesentlich das Produkt der ideologischen Einflussnahme von Terrorstaaten bzw. Terrorfördererstaaten wie Saudi-Arabien oder auch Katar. ({1}) Und sie sind auch das Ergebnis einer völkerrechtswidrigen Umsturzpolitik von vermeintlich unliebsamen Regierungen oder, wie wir es nennen, der Regime-ChangePolitik der NATO und der islamistischen Diktaturen am Golf in Libyen, einem Land, das engste Verbindungen zu Mali hat. Wo kommen denn bitte schön die Waffen oder in Teilen auch die Akteure in Mali her? Sie sind das Ergebnis der verheerenden Regime-Change-Politik in Libyen; denn die Allianz des Grauens – das muss man schon sagen – aus NATO und Terrorfördererstaaten wie Saudi-Arabien oder eben auch Katar setzte auf den islamistischen Terror zum Sturz von Gaddafi. Jedes Mittel war recht, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Jetzt steht der Westen wieder einmal wie der berühmte Zauberlehrling da und schickt auch die Bundeswehr in einen Krieg, der moralisch verwerflich, politisch verheerend und militärisch nicht zu gewinnen ist. Wenn Sie tatsächlich etwas gegen islamistische Terrorbanden unternehmen wollen, dann müssten Sie Ihre engen Beziehungen zu den Förderern des Terrors in dieser Region und gerade auch am Golf neu justieren. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Redezeit.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das wollen Sie nicht, und deshalb können Sie es offenbar auch nicht. Ziehen Sie die Bundeswehr ab, und beenden Sie auch diese unliebsamen Beziehungen mit Terrorförderstaaten am Golf in Form von Waffenlieferungen! Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin Dağdelen. – Nächste Rednerin: Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! MINUSMA ist nicht nur eine UN-mandatierte, sondern auch eine UN-geführte Mission, die wir Grüne von Anfang an unterstützt haben. ({0}) 11 000 Blauhelmsoldaten aus den Nachbarländern Malis sind seit 2013 beauftragt, die Sicherheitslage zu stabilisieren, während der politische Friedensprozess mal mehr und mal weniger Fortschritte macht. Wir unterstützen diese Friedensmission nicht etwa, weil wir sie für harmlos halten – im Gegenteil! Nach der Zahl der bislang gefallenen Blauhelmsoldaten ist dies derzeit die gefährlichste UN-Mission weltweit. Wer aber die UNO stärken will, kann sie gerade bei einer so schwierigen und trotzdem legitimen Aufgabe nicht alleinlassen. Deswegen halten wir es für richtig und konsequent, dass die Bundeswehr die Blauhelmsoldaten unterstützt. ({1}) Wir können die Afrikaner auch schon deswegen nicht mit ihren Problemen alleinlassen, weil Europa und die USA die Probleme mitverursacht haben. Erinnern wir uns: Mali war 2011 ein armer, halbwegs demokratischer Staat mit einer sehr schwachen Armee und einer dünn besiedelten Wüstenregion im Norden, wo die Tuareg leben. Allein die demokratischen Traditionen Malis machen an dieser Stelle schon jeden Vergleich mit Afghanistan hinfällig. Neben den Tuareg gab es in der Sahara allerdings auch noch jede Menge kriminelle und islamistische Netzwerke, die mit Drogenhandel, Menschenschmuggel und Geiselnahmen einem einträglichen Geschäft nachgingen. Viele Tuareg waren zudem Jahrzehnte in Libyen für  Gaddafi als Söldner tätig gewesen. 2011 bombardierte die NATO Libyen so lange, bis der Regime-Change durch den Tod Gaddafis unumkehrbar war. Gaddafis modernstes Waffenarsenal vagabundierte daraufhin unkontrolliert durch die Sahelzone, darunter auch MILAN-Abwehrraketen und fabrikneue G36. Derart bewaffnete Tuareg kehrten nach dem Tod Gaddafis in ihre Heimat zurück und gerieten dort mit der malischen Armee aneinander, die ihnen hoffnungslos unterlegen war. Im Norden verbündete sich die Unabhängigkeitsbewegung der Tuareg mit den islamistischen Milizen, was sie aber nach kurzer Zeit schon bereuen sollte. Die aus dem Ausland finanzierten Islamisten errichteten im Norden ein brutales Scharia-Regime und trieben die einheimische Bevölkerung in die Flucht in den Süden. Im Laufe des Jahres 2012 riefen sowohl die Übergangsregierung als auch die Afrikanische Union mehrfach den UN-Sicherheitsrat an und baten um militärische Unterstützung. Noch bevor im Dezember der Sicherheitsrat die Vorgängermission AFISMA beschlossen hatte, standen die Islamisten schon vor den Toren Bamakos. Präsident Traoré bat am 10. Januar 2013 schriftlich um militärische Unterstützung Frankreichs, die dann auch erfolgte und den Untergang des malischen Staates im letzten Moment verhinderte. Diese militärische Intervention war auch aus heutiger Sicht legal, legitim und notwendig. ({2}) Später übernahm die UN die Führung. Es gab Präsidentschafts- und Parlamentswahlen und 2015 auch ein Friedensabkommen. 80 Prozent der Binnenvertriebenen konnten inzwischen in ihre Heimatregionen zurückkehren. Im November 2016 konnten endlich auch die Kommunalwahlen nachgeholt werden. Dennoch bleibt die Sicherheitslage im Norden angespannt und MINUSMA ein Angriffsziel von extremistischen Gruppierungen. Kritisch sehe ich zudem das Nebeneinander der Friedensmission MINUSMA und der französischen Antiterroroperation Barkhane. Ein solches Nebeneinander ist erfahrungsgemäß eher kontraproduktiv. Außerdem muss die Bundesregierung endlich aufhören, die Förderer islamistischer Terroristen, vor allem Katar und Saudi-Arabien, als strategische Partner zu betrachten und aufzurüsten. ({3}) Mali hat gezeigt, wie Waffenexporte eine ganze Region destabilisieren können.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Redezeit.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir sind es den Maliern schuldig, sie auf ihrem Weg zurück zu Frieden und Demokratie nach Kräften zu unterstützen. Deswegen stimmen wir Grüne zu, dass auch die Bundeswehr die UNO an dieser Stelle unterstützt. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen herzlichen Dank. – Es tut mir leid. Ich bin eigentlich auch jemand, der immer gern lange redet. Aber wir können ja morgen noch Weihnachtsgeschenke verteilen, was die Redezeit angeht. Letzter Redner in dieser Debatte: Dr. Andreas Nick für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Andreas Nick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004362, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An keiner anderen Stelle weltweit ist die Bundeswehr aktuell so stark engagiert wie in Mali. Bei MINUSMA und der Ausbildungsmission EUTM Mali sind insgesamt 1 130 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Das ist aktuell fast ein Drittel der Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen. Die schwierigen politischen und geografischen Verhältnisse haben diese Mission der Vereinten Nationen von Anfang an zu einer der gefährlichsten in ihrer Geschichte gemacht. Auch im Ernstfall die optimale sanitätsdienstliche Versorgung unserer Soldaten sicherzustellen, ist deshalb für uns vorrangig. In Mali sind dazu auch Soldaten des Sanitätsregiments 2 aus Rennerod in meinem Wahlkreis im Einsatz. Allen unseren Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen gelten gerade in diesen Tagen unsere besondere Verbundenheit, wie wir sie erst vor kurzem wieder mit den Gelben Bändern zum Ausdruck gebracht haben, und unser herzlicher Dank für ihren Einsatz. Wie herausfordernd die Bedingungen im Einsatzgebiet für Mensch und Material sind, hat auch der Absturz des Kampfhubschraubers Tiger im Juli dieses Jahres auf tragische Weise gezeigt. Zwei Hubschrauberpiloten der Bundeswehr kamen dabei ums Leben. Ihren Angehörigen sprechen wir unser tiefes Mitgefühl aus. Meine Damen und Herren, es ist die vordringlichste Aufgabe und Verantwortung des Deutschen Bundestages, unseren Soldatinnen und Soldaten für derartige Einsätze die bestmögliche Ausrüstung zur Verfügung zu stellen. Dazu gehört, dass sich künftige Beschaffungsvorhaben an den realen Erfahrungen einer Armee im Einsatz orientieren müssen. Das gilt im Übrigen auch für die Anforderungen an zivile Dienstleister, etwa wenn es darum geht, vertraglich vereinbarte Wartungsintervalle an die im Einsatz tatsächlich zu leistenden Flugstunden anzupassen. Mit Blick auf manche Debatten zum Verteidigungshaushalt stelle ich auch mit aller Deutlichkeit fest: Wenn wir hier jeweils in namentlicher Abstimmung mit großer Mehrheit Einsätze beschließen, wäre es unverantwortlich, anschließend in den Haushaltsberatungen unseren Soldatinnen und Soldaten die notwendigen Mittel für die erforderliche Ausrüstung zu verweigern. ({0}) Kernaufgaben von MINUSMA sind die im Zweifel auch robuste Absicherung der Einhaltung der Waffenruhe und die Umsetzung des Friedensabkommens. Die UN-Mission in Mali folgt aber dem richtigen Grundsatz der vernetzten Sicherheit. Die militärische Unterstützung des Friedensprozesses muss in einen Prozess zur politischen Konfliktlösung und den Aufbau ziviler Sicherheitsstrukturen eingebettet sein. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Schaffung einer funktionierenden Polizei. An deren Ausbildung beteiligt sich Deutschland in Mali mit insgesamt 13 Polizeibeamten. Auch die Ertüchtigung nationaler und regionaler Einsatzkräfte stellt eine wichtige Dimension der Mission dar. Wir unterstützen daher nachdrücklich auch auf der morgigen Geberkonferenz in Paris die Initiative der G‑5-Sahelstaaten, gemeinsame Sicherheitskräfte für den grenzüberschreitenden Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität aufzubauen, die Force conjointe du G 5 Sahel. Angesichts einer schwierigen Sicherheitslage nicht nur im Norden, sondern auch in der Mitte und im Süden des Landes bleibt die Mission MINUSMA eine besondere Herausforderung. Wir sichern heute zunächst die Kontinuität des Einsatzes für die nächsten Monate. Für die Zukunft bedarf es realistischer Erwartungen für die Möglichkeit der Mission ebenso wie einer konsequenten Evaluierung der Wirksamkeit des Einsatzes. Das gilt darüber hinaus auch für die Zielerreichung bei der politischen Konfliktlösung und der stärkeren Übernahme von nationaler und regionaler Verantwortung. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Nick. – Damit schließe ich die Debatte. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Hauptausschusses zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali, MINUSMA. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/177, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 19/24 (neu) anzunehmen. Auch hierüber stimmen wir namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen und mir ein körpersprachliches Zeichen zu geben. – Jetzt gibt es eine kleine Strafzahlung: Hinten fehlt zum vierten Mal jemand. – Ich glaube, wir können jetzt beginnen. Dann eröffne ich die Abstimmung. Gibt es noch Kolleginnen und Kollegen, die ihre Stimme noch nicht abgegeben haben? – Ich sehe keine rennenden Menschen mehr. Dann schließe ich jetzt die Abstimmung. Ich darf die Kollegen und Kolleginnen bitten, Platz zu nehmen, weil wir noch in einem Abstimmungsvorgang sind. Herr Hahn und andere: Schön, dass Sie sich gut unterhalten. Ich bitte auch die Kollegen der AfD, Platz zu nehmen, weil wir noch eine Abstimmung haben. – Danke schön. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/225. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat Die Linke, abgelehnt haben ihn die FDP, die CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und die SPD, enthalten hat sich die AfD.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktion Die Linke hat heute diese Aktuelle Stunde beantragt, weil die Bundeskanzlerin sich schlicht geweigert hat, im Vorfeld des Europäischen Rates, der Ende der Woche stattfinden wird, eine Regierungserklärung zur Politik dieser kommissarisch geführten Regierung im Europäischen Rat abzugeben, obwohl dort gewichtige Themen wie die Militarisierung der EU, die Folgen der Brexit-Verhandlungen und vieles mehr auf der Tagesordnung stehen. Wir halten es für einen Skandal, dass die Kanzlerin sich weigert, hier dem Bundestag Rede und Antwort zu stehen, und deswegen haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt. ({0}) Diese völlige Missachtung des Parlaments macht Die Linke nicht mit. Uns wundert schon etwas, dass die anderen Fraktionen so verhalten reagiert haben, als wir letzte Woche gefordert haben, eine Sondersitzung durchzuführen. Sie sprechen immer von der Stunde des Parlaments, vom Herz der Demokratie. Wenn es darauf ankommt, diese Aussagen mit Leben zu füllen, ist nicht viel da. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis für die anderen Fraktionen hier. ({1}) Ich frage mich schon: Wovor hat die Bundeskanzlerin eigentlich Angst? Warum weigert sie sich, dem Deutschen Bundestag Rede und Antwort zu stehen? Für meine Fraktion kann ich sagen: Wir halten dieses Wegducken von Frau Merkel für unerhört. ({2}) Das zeigt einmal mehr: Ihre Zeit ist abgelaufen. Die Methode Merkel, alles auszusitzen, hat sich überlebt. Wir haben viel zu diskutieren zu Europa. Morgen ist es zehn Jahre her, dass der Vertrag von Lissabon unterzeichnet wurde. Die Linke hat sich von Anfang an gegen diesen Vertrag von Lissabon gewandt. ({3}) Wir haben vor einer undemokratischen und militaristischen Europäischen Union gewarnt. Dafür wurden wir von Grünen, SPD und CDU/CSU hier belächelt. Uns wurde entgegnet, es gäbe gar keine militärischen Strukturen. Aber jetzt ist es so weit. ({4}) Ohne Einvernehmen mit dem Bundestag herzustellen, hat gestern eine geschäftsführende Regierung einer Aufrüstungs- und Militärunion zugestimmt. Wir halten das für einen Anschlag auf die Rechte des Bundestages, einen Anschlag auf die Demokratie und einen Anschlag auf die friedliche Außenpolitik. ({5}) Denn es wird – quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit – deutlich mehr Geld für Aufrüstung geben. Es soll eine jährliche Erhöhung der Mittel für Militär und sehr viel mehr Geld für Rüstungsforschung geben, und auch ein sogenannter Verteidigungsfonds soll eingesetzt werden. Wir werden deswegen auch rechtliche Schritte prüfen. Ich kann Ihnen sagen: Es wäre nicht das erste Mal, dass das Bundesverfassungsgericht die Missachtung der Rechte des Bundestages durch die Bundesregierung rügen müsste. ({6}) Was Sie hier auf die Schiene setzen wollen, ist ein Einstieg in eine sogenannte Verteidigungsunion. Verteidigung, denke ich, ist hier jedoch der falsche Begriff. Wir sehen es eher als eine EU mit globaler Kriegsführungsfähigkeit unter deutscher Hegemonie. Dagegen wird Die Linke immer antreten. Das machen wir nicht mit. ({7}) Ihr Europa ist ein Europa des Krieges und der Aufrüstung. ({8}) Sie bringen dieses Militärprojekt auch deshalb voran, weil Sie der Meinung sind, dass die Menschen darauf warten und dass dieses neue europäische militärische Projekt ein Zukunftsprojekt wäre und eine Antwort auf die große Skepsis vieler Europäer. Was aber die Menschen hier in Europa brauchen, ist soziale Sicherheit. Sie warten nicht auf eine Militärunion. Sie wollen eine Alternative zu diesem neoliberalen und militaristischen Europa. ({9}) Sie wollen einen Plan B, eine Antwort auf die große soziale Krise und die sozialen Ungleichheiten in Europa. Ich glaube auch nicht, dass die Gründungsmütter und ‑väter sich vorgestellt haben, dass auf die Versöhnung über den Schützengräben von Verdun jetzt eine neue Aufrüstungsunion folgt. ({10}) Wir, Die Linke, wollen ein soziales und friedliches Europa der Menschen. Dem stehen die jetzt geplanten Militärausgaben, der Aufbau einer neuen Rüstungsindustrie in Europa, fundamental entgegen. Wir brauchen keine Militärunion. Wir brauchen die Wiederherstellung des Sozialstaats in Europa. Das ist ein Zukunftsprojekt. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Heike Hänsel. – Nächster Redner: Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte kurz auf den Einwurf von Frau Hänsel eingehen. Wir haben vor und nach Europäischen Räten Regierungserklärungen der Bundeskanzlerin gehabt. Wir haben genauso das Verfahren gehabt, dass die Bundesregierung vor dem Europaausschuss berichtet hat, was im Europäischen Rat ansteht. Sie hat dort auch Rede und Antwort gestanden. ({0}) Morgen werden wir im Hauptausschuss, der im Augenblick den Europaausschuss ersetzt, natürlich Gelegenheit haben, darüber zu reden. Insofern finde ich, dass dieser Vorwurf ins Leere geht. ({1}) Zum Thema der Aktuellen Stunde: Die PESCO, die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigungspolitik, ist aus meiner Sicht ein Meilenstein in der Europapolitik, der sich in zehn Jahren in einer Rückschau möglicherweise als ähnlich gewichtig herausstellen wird wie andere Meilensteine, etwa die Schaffung des Schengen-Raumes, ({2}) die Schaffung des Binnenmarktes oder die Einführung der einheitlichen europäischen Währung Euro. ({3}) Diese Erfolgsbausteine der europäischen Einigung, die unseren Kontinent in eine unverbrüchliche Gemeinschaft von Frieden, Freiheit und Wohlstand zusammengeführt hat, werden hier an einer Stelle ergänzt, von der bereits die Gründungsväter der Europäischen Union wussten, dass sie entscheidend ist. Die Europäische Union, die europäischen Gemeinschaften sind einst angetreten, auch die europäische Verteidigungsunion zu schaffen. Es ist aus bekannten Gründen in den 50er-Jahren nicht möglich gewesen, das umzusetzen. Die französische Nationalversammlung hat damals ihr Veto eingelegt. Nun sind wir an einem Punkt angelangt, wo wir endlich diesen Baustein – nun in neuer Gestalt des 21. Jahrhunderts – hinzufügen können. Als dieses Instrument der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit gemäß EU-Vertrag aktiviert wurde, waren viele skeptisch. Wird es genügend Staaten geben, die bei dieser Verteidigungsunion mitmachen wollen? Jetzt stellen wir fest: Von den 28 EU-Mitgliedstaaten haben 25 die Absicht, das Projekt zu begleiten, eine Zahl, die ich mir im Traum nicht hätte vorstellen können. Das hat natürlich damit zu tun, dass die Sorge um die Sicherheit in Europa größer geworden ist, gerade auch bei unseren mittel- und osteuropäischen Partnern. Das hat damit zu tun, dass wir eher skeptisch sind, ob Amerika unter Führung des Präsidenten Donald Trump die Stärke behält, die wir gewohnt sind. Das ist natürlich auch eine Folge der Entscheidung der Briten, aus der Europäischen Union austreten zu wollen. Die polnische und die französische Regierung stehen voll hinter diesem Projekt; das finde ich sehr wichtig. Das ist ein Zeichen dafür, dass unsere früheren Kriegsgegner überhaupt keine Probleme damit haben, dies gemeinsam mit uns zu veranstalten. Das ist doch eigentlich die großartigste Auszeichnung, die wir uns als Deutsche in der Mitte der Europäischen Union wünschen können: dass wir glücklicherweise ein Stück Geschichte und geschichtliche Konfrontationen hinter uns gelassen haben. ({4}) Ich halte den Schritt, sich an PESCO zu beteiligen, für klug eingefädelt. Ich bin sicher, dass wir im Deutschen Bundestag über jedes einzelne der Projekte diskutieren werden, die sich unter dem Dach der PESCO entwickeln werden. Deutschland wird bei ganz vielen Projekten vorne mit dabei sein. Es wird allerdings auch Projekte geben, bei denen Deutschland keine entscheidende Rolle spielen wird. So ist das auch gedacht. Es soll ein Stück weit Arbeitsteilung innerhalb der Europäischen Union stattfinden. Es ist wichtig, dass die Europäische Union, die wirtschaftlich ein Riese, politisch ein Mittelgewicht und sicherheitspolitisch eher ein Zwerg ist, endlich eine Verantwortungsfähigkeit erlangt, die ihrer wirtschaftlichen Leistungskraft entspricht. ({5}) Die Frage, ob dies mit oder ohne Großbritannien geschieht, ist – das ist allerdings meine persönliche Meinung – nach wie vor offen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das britische Parlament eines Tages dem jetzt zu verhandelnden EU-Austrittsvertrag und dem zukünftigen Kooperationsvertrag zustimmen wird. Denn jetzt wird sichtbar, welche unüberbrückbaren Widersprüche zwischen den Erwartungen der Austrittsbefürworter und den realen Möglichkeiten, die sich für Großbritannien bei einem Austritt ergeben, bestehen und welche riesigen Lücken sich auftun. Wir werden in Großbritannien eine spannende Diskussion erleben. Zum Thema Brexit sage ich nur: Wir verhandeln fair, aber wenn die Briten eines Tages sagen: „Wir machen es doch nicht“, werden wir ihnen natürlich die Tür weit öffnen. In diesem Sinne wird es ein spannender, ein interessanter Rat, und die Themen, die auf diesem Rat besprochen und beraten werden, werden uns in den nächsten Monaten und Jahren hier im Deutschen Bundestag beschäftigen. Die Europapolitik hat, wie ich finde, hier im Deutschen Bundestag in den letzten Jahren eine zunehmende Bedeutung bekommen, und dies steht ihr auch zu. Herzlichen Dank. ({6})

Achim Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004378, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dann wollen wir einmal über Europa reden. Warum ist es gut und richtig, dass wir das heute machen? Weil wir eine Aktuelle Stunde haben? Sicherlich. Weil es einen Gipfel am Donnerstag in Brüssel gibt? Auch das. Weil Europa immer irgendwie wichtig ist? Aber natürlich. Aber warum machen wir es wirklich? Wir machen es wirklich, weil in diesen Tagen, Wochen und Monaten grundlegende Entscheidungen in und für Europa anstehen und weil sich für diese Weichenstellungen und Entscheidungen jetzt ein Zeitfenster geöffnet hat, das wir nicht einfach so schließen sollten. Warum nicht? Wir haben in den letzten zehn Jahren ein Europa im Krisenmodus erlebt. Wir haben in den letzten zehn Jahren gesehen, wie der Einfluss Europas global abgenommen hat und wie gleichzeitig innerhalb Europas, innerhalb der Europäischen Union, die Fliehkräfte zugenommen haben. Einige, wie die Briten, wollen sich ganz verabschieden aus der Europäischen Union. Andere, wie die Polen oder Ungarn – aber nicht nur sie alleine –, wollen sich verabschieden aus dem Wertekanon Europas, also Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Gewaltenteilung. ({0}) Dritte wiederum begreifen Europa schlicht und einfach als ein Europa der Rosinenpickerei. Schauen wir mal an drei Orte, nach Sotschi, nach  Budapest und nach Washington – drei Orte, an denen Europa nichts zu vermelden hatte. Nach Sotschi hat der russische Präsident erst den syrischen Präsidenten, dann den iranischen und den türkischen Präsidenten eingeladen, die gefühlten und wahrscheinlich wirklichen Sieger des Syrien-Konfliktes. Europa hat dabei keine Rolle gespielt. ({1}) Schauen wir nach Budapest, zu den 16-plus-1-Gesprächen, die China mit 16 europäischen Ländern führt, davon 11 Mitglieder der Europäischen Union. Die Europäische Union hat dabei keine Rolle gespielt. Schauen wir auf die vor einigen Tagen getroffene Entscheidung von Präsident Trump zu Jerusalem. Mit uns, mit Deutschland, mit der Europäischen Union, wurde das nicht abgesprochen. Wenn wir das ändern wollen – ich vermute mal, dass die Mehrheit des Hauses es ändern will –, ({2}) dann brauchen wir erstens eine strukturierte Zusammenarbeit im Bereich der äußeren Sicherheit. PESCO ist ein gutes Beispiel und aus meiner Sicht ein historischer Schritt in die richtige Richtung. ({3}) Das Gleiche gilt zweitens für die Einladung des schwedischen Ministerpräsidenten – ein Sozialdemokrat, im Übrigen ein alter IG-Metaller –, um neue Impulse zu setzen. Er will zusammen mit den anderen Europäern erreichen, dass es mehr soziale Gerechtigkeit in der Europäischen Union und in Europa gibt. Hier gibt es viele gute Vorschläge, die wir jetzt in die Praxis umsetzen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Der dritte Punkt. Das, was die EU-Kommission und vorher Präsident Macron hinsichtlich einer grundlegenden Reform der Wirtschafts- und Währungsunion vorgeschlagen haben, ist der Kern aller Reformen, wenn wir eine Stabilisierung der Euro-Zone auch in Krisenzeiten wollen. Wenn wir wollen, dass Europa mehr für Investitionen, Wachstum und Beschäftigung tut, dann müssen wir diese Reformvorschläge im Grundsatz unterstützen. Über Details können wir reden; aber im Grundsatz ist das, was da vorgeschlagen wird, richtig. ({5}) Zusammengefasst geht es aus meiner Sicht um eine ganz einfache Frage: Wem wollen wir nicht nur in den nächsten Wochen und Monaten, sondern in den nächsten Jahren dieses Europa überlassen: Ultranationalisten, Kleinkrämern oder wahren Patrioten und Europäern? Ich bin für das Dritte. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Achim Post. – Nächster Redner in der Aktuellen Stunde: Rüdiger Lucassen für die AfD-Fraktion. ({0})

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Die Regierung hat vor vier Wochen ein Dokument unterschrieben, das die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit in der europäischen Verteidigungspolitik zementiert. Die geschäftsführende Bundesregierung will damit wieder einmal einen Weg gehen, der schon in anderen Fällen in der Sackgasse endete. Es ist der Weg einer rücksichtslosen EU-Zentralisierungspolitik. ({0}) Mit PESCO wollen Sie einmal mehr unterschiedlichste nationale Organisationsformen in ein Brüsseler Korsett zwängen und hoffen, dass sich die Staaten Europas dann diesem Korsett anpassen. Der Brexit hat bewiesen, dass die erhoffte Integrationswirkung einer solchen Politik ausbleibt. Jetzt wollen Sie diesen Kardinalfehler in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik wiederholen. Die Verteidigungsministerin sagt es ganz offen: PESCO ist „ein weiterer Schritt in die Richtung der Armee der Europäer”. Der französische Präsident Macron wandelt auf ähnlichen Pfaden wie Sie: gemeinsamer EU-Haushalt, gemeinsamer Finanzminister, Euro-Bonds. Derartige Zugeständnisse an Frankreich haben Sie den verbliebenen Realisten in der Union nicht zumuten können. Jetzt wollen Sie über den Weg der Sicherheitspolitik gehen, einen Bereich, in dem die CDU ja ohnehin schon fast das gesamte Tafelsilber verkauft hat. ({1}) Aber wie verhält sich Deutschland eigentlich in einer EU-Armee, wenn Frankreich mal wieder seine Luftwaffe und seine Fremdenlegionäre einsetzt und einen putschenden Obristen in Westafrika stürzt oder stützt? Sind deutsche Soldaten dann zwangsläufig dabei? Liegt der Befehl dann bei einer Brüsseler Superbehörde? Was wird aus dem Parlamentsvorbehalt in diesem Hause? All das fragen wir die Regierung und das Bundesministerium der Verteidigung. Sie wollen gemeinsame Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene etablieren und gleichzeitig den nationalen Parlamentsvorbehalt erhalten. Das ist eine Quadratur des Kreises. Das geht nicht. ({2}) Deshalb müssen die Menschen in Deutschland erfahren, wohin die Reise geht. Halten Sie sich endlich einmal an das – und das richte ich an die Bundesministerin der Verteidigung –, was Sie ständig ankündigen, und stoßen Sie eine breite öffentliche Debatte über das Ziel einer EU-Armee an. ({3}) Sie wollen den Weg hin zu Ihrer Armee der Europäer weiter betonieren. Sie wollen unter anderem eine gemeinsame Offiziersausbildung. In welcher Sprache soll die eigentlich stattfinden? Und viel wichtiger: nach welchem Leitbild? Nach französischem? Oder erwarten Sie, dass polnische Offiziersanwärter künftig nach dem Prinzip der Inneren Führung ausgebildet werden? ({4}) Frau Ministerin von der Leyen sei gesagt: Sie nennen PESCO einen weiteren „Schritt in die Richtung der Armee der Europäer“. An anderer Stelle sprechen Sie von einem wichtigen Schritt in Richtung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion. Was ist es denn nun: eine Armee oder eine Union? Und was ist der Unterschied zwischen einer Verteidigungsunion und einer Verteidigungsallianz? Die haben wir nämlich schon seit über 60 Jahren, sie heißt NATO. Gerade Sie, die Verteidigungsministerin, müssten eigentlich wissen, dass man Geld nur einmal ausgeben kann. Wenn Sie jetzt anfangen, europäische Parallelstrukturen aufzubauen – das sage ich vertretungsweise dem Staatssekretär Grübel, bevor er vollständig einschläft –, ({5}) werden Sie den europäischen Pfeiler der NATO weiter schwächen. Das ist ein gefährlicher Weg. Wenn wir über eine europäische Armee sprechen – das sage ich gerichtet an das Bundesministerium der Verteidigung –, dann sprechen wir über die Beschneidung von Rechten dieses Parlaments und damit des deutschen Volkes. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie an Ihre Redezeit, bitte?

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Das sind gute Voraussetzungen für einen Schulterschluss mit Martin Schulz, der bis 2025 die Vereinigten Staaten von Europa will. Die Regierung verschließt sich aber einer Parlamentsdebatte. Sie hat dem Antrag auf Einberufung einer Sondersitzung, den wir unterstützt haben, nicht zugestimmt, sondern hat am Montag eigenmächtig entschieden. Deshalb verweigern wir, die AfD, die Zustimmung zu einem Weg hin zu einer europäischen Armee; denn es ist ein Irrweg. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie an Ihre Redezeit, sonst ziehe ich Ihrem Kollegen Redezeit ab.

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Wir fordern Sie auf, die Zustimmung zu PESCO unverzüglich zurückzunehmen. – Vielen Dank, Frau Präsidentin. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nächster Redner in der Debatte: Alexander Graf Lambsdorff für die FDP-Fraktion. ({0})

Alexander Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004798, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was wollen die Menschen von der Europäischen Union? Was wollen sie von Europa? Sie wollen Jobs, sie wollen Wachstum, sie wollen sozialen Zusammenhalt, sie wollen eine gesunde Umwelt, aber sie wollen auch Sicherheit. ({0}) In allen Umfragen beantworten 70 bis 80 Prozent der Befragten die Frage „Soll die Europäische Union unsere Sicherheit gewährleisten?“ mit einem deutlichen Ja. Genau deswegen befürworten wir als Freie Demokraten die Schaffung einer europäischen Verteidigungsunion. Es ist ein wichtiger politischer Schritt, dass Europa in international schwierigen Zeiten zusammensteht. Frau Hänsel, Sie sagen, das würde unter deutscher Hegemonie mit neuer Aufrüstung und mit einer riesigen, machtvollen Bundeswehr einhergehen. ({1}) Die AfD sagt, die Bundeswehr sei eine marode Truppe. Wenn ich all das so höre, schlage ich Ihnen vor: Setzen Sie sich einmal zusammen und einigen Sie sich: entweder marode Truppe oder deutsche Hegemonie. ({2}) Vielleicht können Sie sich auf eine Linie verständigen. Es ist ein solcher Unsinn, den Sie hier erzählen. Das ist unglaublich. ({3}) Meine Damen und Herren, wir als Freie Demokraten begrüßen den Beschluss des Rates für Allgemeine Angelegenheiten zur Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit. Das ist ein überfälliger Startschuss. Das ist ein richtiger Schritt hin zu dem, was Emmanuel Macron in seiner Rede an der Sorbonne so genannt hat: die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Kultur. ({4}) An dem Punkt, Herr Lucassen – da würde ich Ihnen sogar recht geben –, sind wir noch nicht: Wir haben noch keine gemeinsame europäische strategische Kultur. Aber wenn wir die Welt um uns herum betrachten, müssen wir uns doch fragen: Schaffen wir es mit einer einzelnen deutschen, französischen, polnischen Kultur, in dieser Welt, dieser sich rapide verändernden Welt unsere Interessen, unsere Werte zu schützen? Ganz sicher nicht. Das werden wir nur gemeinsam, europäisch, schaffen. ({5}) Meine Damen und Herren, die PESCO, die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit, schafft die Voraussetzungen, um europäische Verteidigungsprojekte in Zukunft endlich – endlich! – gemeinsam umzusetzen. Es ist richtig, es in der Cyberabwehr gemeinsam, europäisch, zu machen. Brauchen wir 27 verschiedene Cyberstrategien? Es ist richtig, dass wir unsere Rüstungsindustrie konsolidieren. Wir in Europa haben 14 verschiedene Kampfpanzer, die Amerikaner haben einen. Das können Sie für alle Waffengattungen und ‑systeme durchdeklinieren. Wir können in Zukunft über 10 Milliarden Euro einsparen, wenn wir das gemeinsam machen. ({6}) Deswegen gilt es, die PESCO mit Leben zu erfüllen, Fähigkeitslücken zu schließen, gemeinsam Fähigkeiten und Mittel effizienter einzusetzen. Wir wollen dafür auch ganz bewusst ein stärkeres deutsch-französisches Engagement. Wir wollen auch ein stärkeres deutsches Engagement. Das gilt besonders für die Frage einer gemeinsamen Offiziersausbildung, ja; denn wenn Europäerinnen und Europäer gemeinsam in gefährlichen Einsätzen sind, dann ist es eine große Hilfe, wenn die Menschen, die in diesen Einsätzen sind, sich gegenseitig kennen und vertrauen, wenn sie wissen, aus welcher strategischen Kultur heraus ihre Aufträge erteilt wurden und zu erfüllen sind. Ich glaube, das wäre der richtige Weg. ({7}) Meine Damen und Herren, wir wollen ja auch über den Brexit reden. Ich sage Ihnen: Mir als Liberalem fällt es immer noch sehr schwer, den Brexit zu akzeptieren. Großbritannien ist das Mutterland des Liberalismus. ({8}) Wir hätten die Briten wirklich gerne bei uns behalten. Auf der anderen Seite muss man sehen: Großbritannien war nicht besonders konstruktiv in der Europäischen Union, jedenfalls nicht immer. Der Brexit schafft aber auch Chancen. Eine solche Chance ist die Verbesserung unserer Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit. Die Chance wird jetzt durch den Europäischen Verteidigungsfonds genutzt. 500 Millionen Euro werden bereitgestellt für die gemeinsame Forschung im Bereich der militärischen Fähigkeiten, der Sicherheitsfähigkeiten. ({9}) Dazu sage ich: Endlich ist das der Fall. Es macht doch überhaupt keinen Sinn, dass wir alle national an exakt denselben Dingen forschen. Es ist viel besser, wir koordinieren das. Lassen Sie mich abschließend zum Brexit eines sagen: Es ist bemerkenswert, wie stark die britische Regierung sich bewegt hat. Wir haben jetzt die drei Kernfragen der ersten Phase geklärt: Der Europäische Gerichtshof wird nach dem Brexit für weitere acht Jahre die Rechte von europäischen Bürgerinnen und Bürgern in Großbritannien schützen, es soll keine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland geben, und Großbritannien verpflichtet sich, seine Rechnung gegenüber der Europäischen Union zu begleichen. Diese Zugeständnisse wurden durch die erfolgreiche Verhandlungsführung von Michel Barnier, dem Chefunterhändler der Europäischen Union, erreicht. Ich glaube, es ist deswegen wichtig, darüber zu reden, dass jetzt das Mandat für die zweite Phase zu erteilen ist. Das ist die Phase, in der die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen im Vordergrund stehen. Ich glaube, es muss darum gehen, den wirtschaftlichen Schaden, der durch den Brexit unausweichlich entstehen wird, so gering wie möglich zu halten. Wir sind und bleiben enge wirtschaftliche Partner, und – das sage ich hier ganz deutlich – Großbritannien wird auch weiterhin ein enger sicherheitspolitischer Partner, ein Freund und Alliierter in der NATO bleiben. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen: Dr. Franziska Brantner. Bitte schön. ({0})

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte noch einmal kurz klarstellen, worüber wir heute hier reden: Wir reden nicht über eine europäische Armee, wie die AfD uns das hier hat weismachen wollen, sondern wir reden über mögliche Verteidigungsprojekte, die gemeinsam angegangen werden. Für uns ist dieser Unterschied extrem wichtig, weil wir Grüne den Parlamentsvorbehalt bei der Bundeswehr immer nachdrücklich verteidigt haben und das auch in Zukunft tun werden. Das steht für uns außer Frage. ({0}) Aber, Herr Lucassen, vielleicht haben Sie noch nicht mitbekommen, dass beides geht: Man kann den Parlamentsvorbehalt beibehalten und sogar stärken und trotzdem gemeinsame Verteidigungsprojekte angehen. Ich wünsche Ihnen, dass auch Sie das noch herausfinden. Das wäre für die Debatte hier sachdienlich. ({1}) Es ist klar, dass wir Europäer in Zeiten von Trump, Erdogan, Putin & Co eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik stärker vorantreiben müssen. Wir wollen schließlich nicht Spielball dieser Akteure sein, sondern selber gestalten können. Unser Ziel ist es, dass wir gemeinsam Synergien schaffen. Es müssen nicht alle alles anschaffen, und es muss nicht jeder seinen eigenen Panzer haben, sondern einiges können wir auch gemeinsam machen. Aber dann muss es eben auch Synergien bringen. Wir sind also im Prinzip nicht gegen PESCO. Für uns kommt es aber auf drei Dinge an: Erstens geht es um den Inhalt der einzelnen Projekte, zweitens wollen wir die Schaffung von wirklichen Synergien, und wir wollen nicht, dass wir einfach alles weiterlaufen lassen wie bisher und noch zusätzlich europäisch agieren, und drittens brauchen und fordern wir eine parlamentarische Kontrolle der Gesamtprojekte. ({2}) Kurz zu diesen drei Punkten: Erstens. Einzelne Projekte sehen wir mit durchaus großer Skepsis, zum Beispiel die Drohnen. Wahrscheinlich sind wir nicht mit Ihnen an Bord, wenn es darum geht, dass Deutschland dieses Projekt unterstützt. Andere Dinge sehen wir positiv, zum Beispiel das Sanitätskommando. ({3}) Wenn wir über den zweiten Punkt, die Synergien, sprechen – schade, dass Frau von der Leyen heute nicht da ist –: Um beurteilen zu können, ob wir überhaupt Synergien schaffen, haben wir nämlich bis heute keinerlei Grundlage. Wir bekommen zwar lauter schöne Papiere aus dem Ministerium. Aber Frau von der Leyen hat sich bis heute geweigert, irgendwelche Hausnummern bzw. Zahlen zu nennen, wie viel diese Projekte kosten. Wir haben dazu also bis heute keinerlei Informationen. Wenn man sich fragt, warum das so ist, bleiben, ehrlich gesagt, nur zwei Optionen: Entweder hat Frau von der Leyen die Zahlen, möchte sie uns aber nicht geben, sie also dem Parlament vorenthalten, oder sie hat die Zahlen nicht; dann hat sie aber auch keinen Plan, sondern ist auf Geisterfahrt. Ich weiß gar nicht, welche von beiden Alternativen ich schlimmer finden soll. ({4}) Aber eindeutig ist, dass wir die Zahlen dringend von Ihnen brauchen, um diese Frage wirklich seriös beantworten zu können. Der letzte Punkt, der uns wichtig ist, betrifft die parlamentarische Kontrolle. Die Gefahr ist: Wenn es große gemeinsame Rüstungsprojekte geben wird, will Deutschland seinen Anteil an den Geldern kontrollieren, die Spanier ihren und die Franzosen ihren. Aber wer kontrolliert das Gesamtprojekt? Unserer Meinung nach müsste dies das Europäische Parlament tun. Wir sehen nämlich die große Gefahr, dass bei solchen Milliardenprojekten sonst am Ende die Versuchungen, was Korruption und Missmanagement angeht, extrem groß sind, gerade in diesem Bereich. Unsere ganz klare Bitte an Sie ist: Machen Sie sich in Brüssel dafür stark, dass das Europäische Parlament diese Projekte kontrollieren kann! ({5}) Und: Legen Sie bei diesen Themen nach! Wir wollen nicht, dass PESCO ein schönes Weihnachtsgeschenk für die Rüstungsindustrie wird – sozusagen noch eine Runde extra für alle –, sondern wir brauchen hier wirkliche, echte Synergien. Dann macht das auf europäischer Ebene Sinn. Das ist das, was wir von der Bundesregierung bei PESCO erwarten. ({6}) Erlauben Sie mir, noch ein Wort zu sagen. Bei dem Gipfel geht es auch um den Euro; es gibt ja auch einen Euro-Gipfel. Die Vorschläge von Präsident Macron liegen vor, und mit dem Nikolaus-Paket von Herrn Juncker liegen auch Vorschläge der Europäischen Kommission auf dem Tisch. Wir wissen, dass wir die Wirtschafts- und Währungsunion stabiler machen und stabilisierender aufstellen müssen. Wir haben dafür vor den Europawahlen ein enges Zeitfenster. Derzeit haben wir nur eine geschäftsführende Regierung, die beim Euro nichts tut. Was PESCO angeht, tut sie übrigens sehr viel – das ist ein kleiner Widerspruch –, aber mit Blick auf den Euro tut sie gerade nichts. Wir Abgeordnete sind ja gewählt. Uns dürfte eigentlich keiner stoppen können. Wir könnten doch gemeinsam eine europäische Antwort formulieren und sagen: Dies sind die Antworten des Parlaments auf die Herausforderungen, die anstehen. – Das ist mein Weihnachtswunsch. Vielleicht bekommen wir das ja im neuen Jahr hin. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die CDU/CSU hat jetzt der Kollege Detlef Seif das Wort. ({0})

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Bei den Brexit-Verhandlungen stellen sich aktuell die Fragen: Ist ausreichender Fortschritt in den Verhandlungen erzielt worden? Soll der Europäische Rat am Freitag den Weg für weitere Verhandlungen über das zukünftige Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union eröffnen? An dieser Stelle ist zunächst festzustellen, dass sich die Einteilung in zwei Phasen als richtig erwiesen hat. Großbritannien hat sich in der Vergangenheit immer als knallharter Verhandlungspartner erwiesen, hat ständig Rosinenpickerei betrieben und hat auch Sonderrechte erhalten. Ich denke an den Briten-Rabatt, die Nichtzugehörigkeit zur Währungsunion und zum Schengen-Raum und an die vielen Opt-ins und Opt-outs im Bereich Justiz und Inneres. Wir haben also unsere Erfahrungen gemacht und mussten damit rechnen, dass Großbritannien wichtige Fragen bis ans Ende der Verhandlungen zurückstellen wird oder am liebsten gar nicht behandeln will. Man wollte sofort über einen Handelsvertrag reden. Dieser Eindruck ist durch die Verhandlungen selbst auch bestätigt worden: Boris Johnson und David Davis haben stets gezeigt, dass bei ihnen überhaupt kein Interesse besteht, über Zahlen und Positionen im Bereich der finanziellen Verpflichtungen zu sprechen. In ihrer Florenz-Rede am 22. September 2017 hat die Premierministerin Theresa May zwar gesagt, Großbritannien werde seine Verpflichtungen erfüllen, als es dann in die Verhandlungen ging, hieß es bei David Davis aber stets: Es ist nicht die Zeit, das müssen wir bis später verschieben, wenn wir auch über die zukünftige Beziehung zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU reden. Nach der monatelangen Blockade ist an dieser Stelle nun endlich der Gordische Knoten durchgeschlagen worden. Deshalb kann man in diesem Bereich auch tatsächlich von einem Durchbruch sprechen. Das wäre für mich ohne die Arbeit von Michel Barnier und seiner Mitarbeiter, seines Teams, nicht denkbar gewesen. Deshalb, meine ich, kann man ihm auch einmal ausdrücklich für seine geleistete Arbeit danken. Ein Weiteres steht fest: Die anderen 27 Mitgliedstaaten sind völlig geschlossen aufgetreten. Das ist nicht immer der Fall. Man hat mit einer Stimme gesprochen, und das macht uns stark. Ich denke, wenn wir jetzt in die zweite Phase kommen, dann wird das das Pfund sein, mit dem wir wuchern können. Wir sollten diese Strategie beibehalten. ({0}) Natürlich sind die Regelungen erst verbindlich, wenn alles vereinbart ist; das Gesamtpaket muss vereinbart werden. Meine Damen und Herren, die Briten sind für eine ausgebuffte Verhandlungsführung bekannt. Aber an dieser Stelle habe ich keine Zweifel: Wenn in der jetzigen ersten Phase das Papier unterzeichnet sein wird, dann wird man sich auch an die Punkte halten, die vereinbart sind. Im Einzelnen: Bei den Bürgerrechten wurde sehr viel und sehr Gutes erreicht. Man hat sich auf ein einfaches, kostengünstiges und effizientes Verfahren verständigt, sodass die Bürger schnell an ihr Daueraufenthaltsrecht gelangen können. Das oberste britische Gericht soll für acht Jahre die Möglichkeit haben, den Europäischen Gerichtshof anzurufen; damit soll Einheitlichkeit in der Rechtsprechung sichergestellt werden. Bei den finanziellen Verpflichtungen besteht weitgehend Einigkeit – nicht über die Summen, die überall herumgeistern, sondern über die Berechnungsmethode und darüber, um welche Positionen es letztlich geht. Eine Einigung wurde bislang aber nicht darüber erzielt, ob bei der Europäischen Investitionsbank – das ist noch ein Knackpunkt – ein Rückzahlungsanspruch besteht, der sich lediglich auf die Kapitaleinlagen bezieht, oder ob er sich auch auf die entstandene Kapitalbildung im Bereich der Rücklagen bezieht. Über diesen Knackpunkt wird man noch diskutieren müssen. Auch bezüglich der Kosten für den Umzug der beiden Agenturen wurde noch keine Einigkeit erzielt. Zur Situation Irlands hat ein Kommentator das Ganze wie folgt zusammengefasst: Wenn die Republik Irland vollwertiges Mitglied im EU-Binnenmarkt bleibt, es keine Zollgrenze zu Nordirland geben darf und ebenfalls keine zwischen Nordirland und dem Vereinigten Königreich, dann bleibt nur die Möglichkeit, dass das Vereinigte Königreich Mitglied im Binnenmarkt bleibt. – Das ist in der Tat die Frage nach der Quadratur des Kreises, die es zu beantworten gilt. In der jetzigen Phase stellt sich aber doch die Frage: Ist das, was jetzt auf dem Tisch liegt – das muss nicht das endgültige Ergebnis sein –, ausreichend, um in die nächste Verhandlungsphase gehen zu können? Ich meine, man kann hier ohne Wenn und Aber feststellen: In den Verhandlungen wurde ausreichender Fortschritt erzielt. Wir können also dem Europäischen Rat empfehlen, die nächste Verhandlungsphase zu eröffnen. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Zu seiner ersten Rede erteile ich das Wort dem Kollegen Markus Töns von der SPD-Fraktion. ({0})

Markus Töns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004921, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten stehen für eine Weiterentwicklung der Europäischen Union. Wir stehen für ein soziales Europa. Ich glaube, man muss in dieser Debatte noch einmal betonen: Europa ist ein stetiges Projekt. Es ist ein Friedensprojekt, und es ist ein demokratisches Projekt. Das noch einmal herauszustellen, ist wichtig. Europa ist das demokratische Projekt, an dem wir stetig weiterarbeiten müssen. Aber – auch das muss man sagen – Europa ist nicht nur die Bewältigung von Krisen und die Kritik an krummen Gurken. Europa muss mehr leisten und solidarischer werden. ({0}) Deutschland muss hierzu seinen Beitrag leisten. Der Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hat deutlich gemacht: Deutschland ist Nettogewinnerland innerhalb der Europäischen Union. ({1}) Es ist wichtig, das noch einmal zu betonen. Das sollten wir endlich einmal zur Kenntnis nehmen. ({2}) Aber es gibt auch einen Konstruktionsfehler, den ich aus meiner Sicht darstellen möchte: Das ist die fehlende soziale Säule. Deshalb war das Treffen in Göteborg so wichtig, und deshalb ist an dieser Stelle zu betonen: Es ist schade, dass die Bundesregierung nicht daran teilgenommen hat; das will ich ausdrücklich hervorheben. ({3}) Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, dass die Europäische Union sich ständig weiterentwickeln muss. Stillstand ist Rückschritt. Es geht um den Mehrwert für die Menschen in Deutschland und in Europa. Es geht um soziale Sicherheit. Es geht bei diesem europäischen Gipfel übrigens nicht nur um PESCO. Es geht – das ist zum Glück von einigen Rednern betont worden – auch um den Brexit. Beim Brexit haben wir die Situation, dass Boris ­Johnson und Nigel Farage gezündelt, dann Chaos hinterlassen und sich aus der Verantwortung gestohlen haben. Aber die verbleibenden 27 Mitgliedstaaten müssen jetzt noch stärker als zuvor einheitlich zusammenstehen. Ich finde, das ist bisher recht gut gelungen. Die erste Phase der Verhandlungen haben wir so erfolgreich abschließen können. Es muss einen Mechanismus geben, der sicherstellt, dass sich beide Seiten an die im Austrittsabkommen getroffenen Vereinbarungen halten. Das ist ein ganz entscheidender Schritt, der hier zu gehen ist. Aus unserer Sicht wäre eine Zuständigkeit des EuGH hier die sinnvollste Lösung, und zwar für länger als die acht Jahre, die vereinbart sind. ({4}) Ich komme zu den bisherigen Fortschritten in den Verhandlungen. Themen der bisherigen Verhandlungsrunden waren unter anderem: Rechte der Bürger, finanzieller Ausgleich und Grenzziehung Nordirland/Irland. Die Kommission und die britische Regierung haben sich auf eine Berechnungsmethode für die noch ausstehenden Zahlungen geeinigt. Für die EU-Bürgerinnen und ‑Bürger in Großbritannien soll es Erleichterungen bei der Erlangung von Aufenthaltspapieren geben. Das alles ist gut. In der Frage der Grenzziehung Nordirland/Irland haben beide Seiten sich geeinigt, dass der Grundsatz „Keine harte Grenze“ oberste Priorität hat. Wichtig ist in diesem Zusammenhang – das muss man betonen –, dass der Friedensprozess Nordirland/Irland nicht gefährdet wird. Deshalb unterstützen wir ausdrücklich die Linie der Kommission an dieser Stelle. ({5}) In der zweiten Phase, in der über die zukünftige Ausgestaltung der Beziehungen verhandelt wird, wird über ein gemischtes Abkommen verhandelt. Das ist für den Deutschen Bundestag von entscheidender Bedeutung, weil wir darüber entscheiden müssen, wie wir damit umgehen. Aber das Ausbleiben einer Regierungserklärung – das will ich an dieser Stelle betonen – ist enttäuschend. ({6}) Es ist kein Hexenwerk, was auf dem europäischen Gipfel beredet wird. Wenn Mitgliedstaaten gemeinsam beraten, ob die Brexit-Verhandlungen in Phase zwei übergehen, ist das zu begrüßen. Wenn Mitgliedstaaten gemeinsam beraten, wie der Euro für die Zukunft krisenfest gemacht werden kann, ist das zu begrüßen. Wenn Mitgliedstaaten Möglichkeiten nutzen, die im Vertrag von Lissabon schon angelegt sind, um bei der Verteidigung stärker zusammenzuarbeiten, ist das auch zu begrüßen. Das ist kein Hexenwerk. ({7}) Das bietet eigentlich keinen Stoff für Verschwörungstheorien; das will ich an dieser Stelle deutlich sagen. Man muss aber kein Experte sein, um zu wissen, dass hier Kräfte vertreten sind, die genau das daraus machen wollen. Fatal finde ich es schon, sich in so einer Situation der Debatte zu entziehen. Das ist, gerichtet an die Bundeskanzlerin, durchaus ein wichtiger Hinweis. ({8}) Gerade in Zeiten, in denen eine rechtsradikale Partei im Bundestag sitzt, ({9}) wäre es wichtig und richtig gewesen, dass die Frau Bundeskanzlerin eine Regierungserklärung abgibt. ({10}) Ihre Weigerung ist nicht nachzuvollziehen. Aber vielleicht fehlt ihr auch eine europapolitische Perspektive. ({11}) An Die Linke gerichtet sage ich: Heute präsentiert sich ausgerechnet Die Linke, die Friedenspartei, mit ihren populistischen Tönen als Totengräber des größten Friedensprojekts auf europäischem Boden. ({12}) Im Ausschuss der Regionen, dem AdR, in dem ich fünf Jahre saß, habe ich erlebt, wie Linke an der Fortentwicklung der europäischen Idee gearbeitet haben. Fragen Sie doch einmal Ihre Parteikollegen, wie das möglich war! Dann lernen Sie vielleicht daraus. Aber – ich komme zum Schluss – ich möchte nicht falsch verstanden werden: Nicht jeder Vorschlag der Kommission muss aus meiner Sicht bejubelt werden. Das tut auch die SPD nicht. Es kann aber auch nicht sein, dass Europadebatten von Parteien dazu benutzt werden, die eigenen programmatischen Unzulänglichkeiten zu verdecken. ({13}) Stattdessen müssen wir darüber diskutieren, wie Europa in Zukunft sozialer und gerechter gestaltet werden kann. Glück auf! ({14})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, wenn Sie sich bei Ihrer nächsten Rede etwas kürzer fassen, an die vorgesehene Zeit halten und vielleicht auch Ihren Sprachgebrauch gegenüber den Kollegen anderer Fraktionen etwas überprüfen! ({0}) Ebenfalls zur ersten Rede erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Martin Hebner von der AfD. ({1})

Martin Hebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004740, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident, herzlichen Dank. – Meine Damen und Herren! Am 23. Juni letzten Jahres durften die Bürger des Vereinigten Königreichs demokratisch über eine Schicksalsfrage ihrer Nation entscheiden. Sie haben sich mehrheitlich für den Austritt aus der Europäischen Union entschieden. Der Kollege Hardt, der vorhin gesprochen hat, hat das Ganze bezweifelt. Ich hatte irgendwie den Eindruck, er hat die Ernsthaftigkeit dieser Entscheidung infrage gestellt. Meine Damen und Herren, diese Entscheidung ist sehr ernsthaft. Zu glauben, dass im Rahmen der Verhandlungen irgendetwas revidiert würde, ist milde ausgedrückt etwas blauäugig. ({0}) Die Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen: für das Land selbst, aber auch für die anderen Staaten der EU. Wie bei PESCO, der Verteidigungsunion, so ist auch bei der Ausgestaltung des Brexit die Mitsprache des Deutschen Bundestags dringend sicherzustellen. Der Bundestag entscheidet, meine Damen und Herren, und nicht nur eine Kanzlerin und die vielen Kommissare in Brüssel. ({1}) Es kann nicht sein, dass die Merkel-Regierung – formal nur geschäftsführend – wichtige Entscheidungen trifft und vollendete Tatsachen schafft, ohne diesen Bundestag einzubeziehen. Grundsatzentscheidungen wie zu PESCO oder zur Ausgestaltung des Brexit hat der Bundestag mitzugestalten. Wir alle hier sind die gewählten Vertreter, und wir – und nicht nur eine geschäftsführende Regierung – sind verantwortlich für das Land. ({2}) Der Brexit selber ist eine Kehrtwende in Europa. Er erfordert die sinnvolle Weiterentwicklung eines europäischen Verständnisses. Denn wir müssen es ganz klar unterstützen, Europa weiterzuentwickeln – in einer vernünftigen und gerade nicht ideologischen Werten zugrunde liegenden und am Wohl der verschiedenen Nationen orientierten Ausrichtung. Meine Damen und Herren, der jetzige Weg der EU ist ein Irrweg. ({3}) Die Euro-Schuldenkrise, die erodierenden Sozialsysteme und der Verlust der inneren Sicherheit sind ein untrügliches Zeichen dafür. Die Rückkehr zur Selbstbestimmung Großbritanniens ohne gesetzlich übergriffige Bevormundung durch die Gesetzesflut aus Brüssel ist eine Entscheidung für die Vielfalt Europas. ({4}) Die Vielfalt der Völker Europas hat Europa groß gemacht. Große Teile der Bevölkerung in den europäischen Staaten legen auch Wert auf diese Vielfalt. Jetzt geht es um die Ausgestaltung des Brexit. Diese Ausgestaltung muss ein friedliches Zusammenleben in einem Binnenmarkt wie der früheren EWG zum Ziel haben. Das ist der erste reale Gegenentwurf zu der überstürzten Zwangsintegration in eine europäische Superbürokratie, die hier auch gerne die Vereinigten Staaten von Europa genannt wird. ({5}) Die Ausgestaltung darf deshalb, weil sie als Alternative zu einem EU-Zentralstaat dient, nicht nur und keinesfalls ausgerechnet den EU-Bürokraten überlassen werden, denen ein solcher Erfolg der eindeutige Beleg ihres Irrwegs wäre. Das heißt, er darf auch nicht einer bloß geschäftsführenden, längst abgewählten Regierung Merkel überlassen werden. Beiden fehlen der Mut und der Wille zu einer erfolgreichen Gestaltung. ({6}) Der Wille zur Aufgeschlossenheit für neue Wege wird dringend benötigt, gerade bei uns in Deutschland. Betrachten wir unsere Außenhandelsbilanz, so sehen wir, gerade was Großbritannien betrifft, einen deutlichen Außenhandelsüberschuss, der im Übrigen nicht wie bei den maroden Euro-Südländern von uns noch über Target2 finanziert und kreditiert wird. Wir haben ein großes Interesse an einer weiterhin funktionierenden europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Ein harter Brexit würde uns sehr schaden. Das hat auch Donald Tusk ganz klar betont, der die Notwendigkeit einer EU-UK-Partnership hervorgehoben hat. Wir wollen die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Sie ist dringend notwendig. ({7}) Zum anderen ist, wie eben schon angesprochen, auch aus humanitären Gesichtspunkten eine sinnvolle Regelung im Rahmen des Brexit erforderlich. Ich möchte hier noch einmal auf die Problematik von Irland zurückkommen. Mit dem Karfreitagsabkommen von 1998, dem Good Friday Agreement, haben die Regierungen in Großbritannien und Irland und die Partner in Nordirland eine Basis gelegt. Diese Basis darf jetzt nicht durch einen harten Brexit konterkariert werden, nicht durch eine Grenze im Land. Dafür sind wir in Deutschland aus humanitären, aus menschlichen Gesichtspunkten mitverantwortlich, und dafür sollten wir uns dringend einsetzen. Zusammenfassend heißt das: Aus unserem eigenen wirtschaftlichen Interesse wie aber auch aus humanitären Überlegungen heraus wollen wir als AfD-Fraktion an der Aufrechterhaltung des EU-Binnenmarktes und der Ausgestaltung der europäischen Zusammenarbeit im Rahmen des Brexit gern mitwirken. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion Die Linke spricht der Kollege Andrej Hunko. ({0})

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gab einmal eine Zeit, in der internationale Vereinbarungen getroffen wurden, um Abrüstung, Gewaltverbote in den internationalen Beziehungen, Völkerfreundschaft, Kooperation festzuschreiben. Deutschland war meistens dabei; das war gut so. Am Sonntag wurde der Friedensnobelpreis an die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen vergeben. 120 Staaten beteiligen sich im Rahmen der Vereinten Nationen an diesem Verbot – Deutschland nicht, und das ist eine Schande. ({0}) Zeitgleich, einen Tag später, wird maßgeblich von einer geschäftsführend im Amt befindlichen Bundes regierung Aufrüstung und nicht Abrüstung in einem internationalen Vertrag festgeschrieben. Ich rede von PESCO ­– das ist das heutige Thema –: Permanent Structured Cooperation – Permanente Strukturierte Zusammenarbeit. Ein Abkommen darüber wurde gestern in Brüssel unterzeichnet und soll Ende der Woche, wie es so schön heißt, im EU-Rat gewürdigt werden. Es ist von einem historischen Schritt die Rede. Wir sagen: Es ist ein Schritt in die falsche Richtung, weil Aufrüstung und nicht Abrüstung Zweck von PESCO ist. Wir haben nichts gegen die Zusammenarbeit; aber der Zweck dieser Vereinbarung ist Aufrüstung und nicht Abrüstung. ({1}) Dabei wäre nichts gegen mehr Kooperation europäischer Staaten auch in der Verteidigungspolitik, im Sicherheitsbereich zu sagen. Die Linke will, so steht es im Programm, ein kollektives Sicherheitssystem unter Einbeziehung Russlands, das auf Abrüstung zielt. Da kann es durchaus Sinn machen, dass man Doppelungen vermeidet, dass man Synergien herstellt. Da müsste am Ende ein Weniger an Militärausgaben unter dem Strich stehen und nicht ein Mehr, wie es jetzt bei PESCO festgeschrieben ist. Wir sagen Nein zu diesem Programm, und wir kritisieren dieses Programm inhaltlich und nicht, weil es ein europäisches Programm ist. ({2}) Ich will auf den Inhalt eingehen; das wurde ja kaum erwähnt. Punkt eins der Vereinbarungen: regelmäßige reale Aufstockung der Verteidigungshaushalte, alljährlich überprüft von der Europäischen Kommission und auch im Europäischen Rat behandelt. Das heißt, jedes dieser 25 Länder verpflichtet sich, real mehr Geld in den Haushalt einzustellen – das Ganze soll dann überprüft werden –, und zwar Jahr für Jahr, bis man dann vielleicht bei dem 2‑Prozent-Ziel der NATO ist. Zweiter Punkt. 20 Prozent der Gesamtausgaben sollen in Rüstungsgüter gesteckt werden. Das heißt: nicht Geld für Personal, sondern ganz konkret für Waffen. Ich glaube, darüber freut sich vor allen Dingen die Rüstungsindustrie. Drittens soll dann noch zusätzlich ein Europäischer Verteidigungsfonds aufgelegt werden. Wir fordern von der Bundesregierung sehr dringend, dass die Zustimmung zu diesem Vertrag zurückgezogen wird. ({3}) Aber es gibt auch eine gute Nachricht dabei. Wenn ein künftiger Bundestag oder ein anderes nationales Parlament dieser 25 Staaten, vielleicht nach einer nächsten Wahl, zu der Entscheidung kommt, dass man nicht mehr, sondern weniger Geld für die Rüstung ausgeben will und mehr Geld zum Beispiel für Gesundheit, für Soziales, für Bildung ausgeben will, dann ist dies weiterhin möglich. Es gibt keine rechtliche Verbindlichkeit, das einzuhalten. Es ist ein politischer Druck, den Sie hier aufbauen, und kein rechtlicher Druck. Ganz kurz ein paar Worte zum Brexit, der heute auch Thema ist. Eine gute Nachricht ist, dass es Fortschritte gibt bei den Rechten der EU-Bürger in Großbritannien und der Briten, die in der EU leben; wir drängen schon lange darauf. Es wäre besser gewesen, wenn das schon in einem Vertrag festgehalten worden wäre und jetzt nicht von anderen Fortschritten abhängig gemacht werden würde. Aber trotzdem ist das ein guter Punkt. Ich will, wenn wir über Großbritannien reden, meine Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass der nächste britische Premier Jeremy Corbyn heißt, ({4}) der persönlich wie kaum ein anderer für internationale Kooperation, für Friedenspolitik und für diplomatische statt militärische Lösungen steht sowie gegen soziale Ungleichheit eintritt. Das könnte vielleicht auch ein neues Kapitel in der deutsch-britischen und europäisch-britischen Kooperation aufschlagen. ({5}) Die Linke würde das sehr begrüßen. Es ist meine letzte Rede in diesem Jahr. Deswegen möchte ich Ihnen allen und auch den Zuschauern ein frohes und friedliches Weihnachtsfest wünschen. Ich sage angesichts der Weltlage: Friede auf Erden, das wäre das, was wir wirklich brauchen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Florian Hahn ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident Friedrich! Kolleginnen und Kollegen! Die letzten zwei Sätze des Kollegen Hunko kann ich nur begrüßen. Da möchte ich mich ausdrücklich anschließen. Das war mal was Gescheites aus der linken Ecke. Ich bin ganz begeistert. ({0}) Aber lassen Sie mich, bevor wir die einzelnen Themen des bevorstehenden Europäischen Rats besprechen, kurz noch grundsätzlich etwas zur europapolitischen Ausrichtung sagen. Für uns als CSU ist Europa immer eine Herzensangelegenheit gewesen. Wie könnte es auch anders sein? Bayern ist in der Mitte Europas, geschichtlich und auch wirtschaftlich tief verwurzelt in den europäischen Beziehungen. In unserem Grundsatzprogramm haben wir deswegen auch festgehalten, dass für uns die europäische Einigung die bedeutendste politische Idee und der größte Stabilitätsbeitrag des 20. Jahrhunderts war. Deshalb waren es auch die CSU und die Union, die die europäische Integration maßgeblich vorangetrieben haben. Wir sagen aber auch: Europas Stärke, Europas Besonderheit und Europas kreativer Antrieb ist die Einheit in der Vielfalt. In der CSU gehören bayerische Heimatliebe, deutscher Patriotismus und europäische Identität zusammen. Die Menschen in Europa sollen sich als Europäer fühlen, ohne ihre Nationalität abgeben zu müssen. Da komme ich zum SPD-Parteivorsitzenden Martin Schulz. Was stört mich an der kühnen Vision, in den kommenden acht Jahren die Vereinigten Staaten von Europa zu schaffen? Zunächst einmal ist das schlicht und einfach nicht das, was die Menschen in diesem Land, in unserem Land, oder in irgendeinem anderen Land in der EU wollen. Solche Träumereien von einer postnationalen Zukunft Europas werden von der überwältigenden Mehrheit der EU-Bürger abgelehnt. ({1}) Sie finden auch keinerlei Unterstützung im Kreise der EU-Mitgliedstaaten. Mit wem will Schulz eigentlich die Vereinigten Staaten gründen: mit Luxemburgern und mit Brüsselern? Mir ist das schleierhaft. All diejenigen, die die Fantasien des SPD-Parteivorsitzenden nicht teilen – alle Skeptiker, Realisten und Anhänger europäischer Vaterländer –, sollen dann vor die Tür gesetzt werden? Das ist keine Vision eines vereinigten Europas, das in die Zukunft führt. Das ist ein Europaradikalismus à la Schulz, eine intolerante Vision, die Europa spalten und gefährden und nicht einigen wird. ({2}) Europa wird doch nicht attraktiver, wenn Sie diejenigen bestrafen und bedrohen, die einem „mehr Europa“ skeptisch gegenüberstehen. Vielmehr brauchen wir ein attraktives Europa, dem die Menschen aus Hoffnung und Überzeugung die Bude einrennen, ein Europa, das einen konkreten Nutzen hat. Die Abschaffung der nationalen Souveränität allein kann dieser Nutzen nicht sein. ({3}) Vielmehr muss es ein Europa sein, das weiterhin Frieden und Freiheit auf dem Kontinent sichert, ({4}) das für Wohlstand bei der Mehrheit der Menschen sorgt und das vor allem für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger sorgt. So muss Europa sein. ({5}) Wir konzentrieren uns lieber auf konkrete Projekte, die uns zusammenführen, die uns Schritt für Schritt voranbringen und die den Bürgern konkreten Nutzen bringen. Das ist beim Thema Sicherheit zum Beispiel das Projekt der europäischen Verteidigung. Ja, auch wir als CSU haben den Begriff der europäischen Armee in unserem Grundsatzprogramm stehen. Er steht dafür, dass wir als Europa gemeinsam verteidigungsfähig sein wollen. Hier sind wir seit gestern wieder ein Stück weiter. Der Ratsbeschluss, der die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich begründet, ist ein echter Fortschritt. Natürlich kann man jetzt in der Presse wie im politischen Bereich Unter- und Übertreibungen bei der Bewertung finden. Das reicht von der Einschätzung, dass hier völlig ungenügende Trippelschritte gegangen werden, bis hin zur Furcht vor einer institutionalisierten Militarisierung der EU-Außen- und Sicherheitspolitik, wie sie die Kollegen von der Linken umtreibt. Halten wir uns aber an die Fakten: Die PESCO hat das Potenzial, zu einigen, nicht zu spalten. Mit den Nachzüglern der letzten Tage sind 25 EU-Mitglieder dabei. Sogar Portugal und Irland wollen mitmachen. Das ist ein großartiges Ereignis. 17 konkrete Projekte wurden bereits identifiziert, 4 davon unter deutscher Führung. Das lässt sich aus meiner Sicht sehen. Ich halte PESCO für eine gute Sache im Sinne einer vernünftigen europäischen Politik. Ich finde das gut, genauso wie die Tatsache, dass wir heute darüber hier im Hohen Haus diskutieren. Danke schön. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Dr. Fritz Felgentreu. Bitte schön. ({0})

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Außenminister der Europäischen Union haben auf ihrem gestrigen Treffen abschließend die Permanente Strukturierte Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verteidigungspolitik beschlossen. Zusammen mit dem Europäischen Verteidigungsfonds verleiht die sogenannte PESCO – das ist die englische Abkürzung – damit einer gemeinsamen europäischen Verteidigung zum ersten Mal Kontur. Die EU beweist mit der PESCO Handlungsfähigkeit angesichts neuer Herausforderungen. Zwei entscheidende Anstöße dazu kamen von außen. Europa hat in den letzten Jahren lernen müssen, dass es sich in Fragen seiner Sicherheit nicht mehr in gleichem Maße auf die USA verlassen bzw. nicht mehr zurücklehnen kann wie in der Vergangenheit. Gerade die Entwicklung in Syrien hat uns deutlich vor Augen geführt, welche Risiken entstehen können, wenn ein geringes Engagement der USA und Europas Schwäche in einer instabilen Region ein sicherheitspolitisches Vakuum entstehen lassen. Dann verfolgen andere handlungsfähige und handlungswillige Akteure ganz ungehindert ihre Interessen. Gleichzeitig hat der Rückzug Großbritanniens aus der Europäischen Union zumindest ein politisches Hindernis auf dem Weg zu tieferer verteidigungspolitischer Integration beseitigt. Der Europäische Verteidigungsfonds und PESCO sind Antworten auf eine veränderte Weltlage, die sich in Europa niemand in politischer Verantwortung so gewünscht hat. Dass Europa dennoch in der Lage war, schnell und konzentriert zu reagieren, stimmt hoffnungsvoll. Die PESCO stimmt hoffnungsvoll einmal deswegen, weil sie klug konstruiert ist. Mit ihren finanziellen Zielvorgaben – 20 Prozent der Verteidigungsausgaben der Teilnehmerstaaten müssen in Investitionen fließen, 2 Prozent in Forschung und Technologie – fügt sie sich nahtlos in die Zielvorgaben der NATO ein. Damit wird auch klar, dass sie nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zur NATO konzipiert ist. Die NATO ist und bleibt auf Dauer das Rückgrat der Sicherheit Europas. Ohne diesen Rahmen wäre es vielen Ländern, insbesondere in Ost- und Mitteleuropa schwergefallen, sich auf die PESCO einzulassen. Zum anderen ist die PESCO eine erweiterungsfähige Struktur mit niedriger Zugangsschwelle. Nicht alle Staaten der EU sind zur Teilnahme verpflichtet, und nicht alle Teilnehmerländer müssen sich auch an allen Vorhaben beteiligen. So ermöglicht die PESCO den Ländern, die zu tieferer Integration bereit sind, die engere Zusammenarbeit, ohne die anderen auszugrenzen. Das ist ein sehr europäisches Konzept, das eben nicht mit politischem Druck überwältigen, sondern durch Anreize überzeugen will. ({0}) Und diese Anreize können sich sehen lassen. Es geht um nicht weniger als um einen Zugewinn an Sicherheit, um größere Effektivität bei der gemeinsamen Entwicklung militärischer Fähigkeiten und um den klügeren Einsatz der dafür notwendigen finanziellen Mittel. Der deutsche Weg enger, bilateraler und multilateraler Kooperation mit unseren unmittelbaren Nachbarn in der EU – besonders die Zusammenarbeit mit Holland ist dafür ein gutes Beispiel – kann unter dem Dach der PESCO ohne Richtungswechsel weiter beschritten werden. Deutschland hat sich in dieser Anfangsphase unter anderem zur Leitung von PESCO-Vorhaben im Sanitätswesen, in der Logistik, in der Ausbildung für Auslandseinsätze und in der Vorbereitung auf Krisensituationen verpflichtet. All das ist gut und vernünftig. Gut ist auch, dass wir heute auf Antrag der Linken die Gelegenheit nutzen, im Parlament über PESCO zu diskutieren. Das ist im letzten halben Jahr definitiv zu kurz gekommen, allerdings aus Gründen, die nicht unbedingt der Regierung anzulasten sind. ({1}) In Zeiten des Wahlkampfes und – Achtung, keine Ironie – in Zeiten der Regierungsbildung war dafür auch nicht so sehr die Gelegenheit. Es ist allerdings Unsinn, zu behaupten, die Regierung habe durch ihre Zustimmung zur Einrichtung der Strukturierten Zusammenarbeit ihre politischen Kompetenzen überschritten. Genau dafür ist sie da, und sie kann sich bei ihrem Handeln auch auf eine breite parlamentarische Mehrheit verlassen; das hat die Diskussion hier gezeigt. Es sind ja nur zwei Fraktionen, nämlich die beiden Fraktionen, deren gemeinsamer Nenner es ist, die Westbindung unseres Landes bei jeder Gelegenheit infrage zu stellen, die hier nicht mitgehen wollen. ({2}) – Ja, genau die meine ich. Richtig. Mit der SPD sind deutsche Sonderwege nicht zu machen. Im Gegenteil: Wir sind und bleiben die Partei des Seit’ an Seit’, auch und gerade in der europäischen Sicherheitspolitik. ({3}) Dabei ist uns klar, dass Deutschland als Partnerland sich nicht für alle Zeiten in sicherheitspolitische Komfortzonen wie das Sanitätswesen oder die Logistik zurückziehen kann. Und der Regierung muss klar sein, dass die Zusagen, die sie macht, im Parlament Bestand haben müssen. Der Parlamentsvorbehalt gilt für Einsätze ohne Wenn und Aber, und der Haushaltsgesetzgeber sind wir. Lieber Herr Staatssekretär Grübel, gehen Sie bitte immer davon aus, dass wir nur die Projekte finanzieren werden, von denen wir überzeugt sind, dass sie Europa und unser Land sicherer machen und unsere Freiheit schützen. Danke schön. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der letzte Redner in der Aktuellen Stunde ist von der CDU/CSU der Kollege Thorsten Frei. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat so, dass diese Debatte und auch der Europäische Rat Ende dieser Woche in einer Zeit stattfinden, die sehr herausfordernd ist, die aber gleichermaßen auch Chancen und Möglichkeiten eröffnet. In dieser Zeit ist es, glaube ich, wichtig, die Europäische Union und Europa nicht zu spalten, sondern zusammenzuführen und zu guten Ergebnissen zu bringen. Das beziehe ich zum einen auf die 28 respektive 27 Mitgliedstaaten, zum anderen aber auch auf die Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union. Deshalb rate ich dazu, auch unter dem Gesichtspunkt von Chancen und Risiken hier keine ideologischen Debatten zu führen, sondern das Augenmerk vor allen Dingen darauf zu richten, was den Menschen nutzt, was sie schützt, was sie weiterbringt und was den Rahmen auf europäischer Ebene verbessert. Wenn man das tut, muss man vom Ziel her denken und fragen: Bei welchen Aufgaben und Herausforderungen ist ein europäischer Mehrwert ersichtlich? Nicht alles, was europäisch gelöst wird, wird automatisch gut gelöst – genauso wie nicht alles, was national gelöst wird, automatisch gut gelöst wird. Ich habe einen viel zu subsidiären Politikansatz, um so zu denken. Aber auf die Frage, welche Aufgaben denn überhaupt nur supranational gelöst werden können oder jedenfalls sehr viel besser, ist meines Erachtens eine gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik im europäischen Maßstab exakt die richtige Antwort. ({0}) Auch die Menschen sind davon überzeugt, dass man hier auf europäischer Ebene bessere Lösungen erzielen kann. Graf Lambsdorff hat vorhin darauf verwiesen, wie viel Geld man einsparen kann, wenn man in Europa gemeinsam Sicherheits- und Verteidigungspolitik macht. Damit hat er selbstverständlich recht. Ich will aber ausdrücklich sagen: Uns geht es nicht darum, 10 Milliarden Euro zu sparen. Uns geht es um mehr Effektivität in der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wir haben doch zwei Probleme. Das eine Problem ist, dass beispielsweise die USA – ich könnte aber auch über Russland oder China sprechen – jedes Jahr über 600 Milliarden Euro für Sicherheit und Verteidigung ausgeben und die europäischen Staaten zusammen jährlich etwa 200 Milliarden Euro. Das alleine ist schon ein Problem. Das zweite Problem ist, dass wir mit diesem Drittel, das wir ausgeben, nur 15 Prozent der sicherheitspolitischen Leistungsfähigkeit der Amerikaner erreichen. Das ist ein Riesenproblem, und das hat nichts mit Militarisierung zu tun. Es hat vielmehr damit zu tun, dass wir Europäer nicht in der Lage sind, unsere Aufgaben selbst zu lösen. ({1}) Was glauben wir eigentlich, wenn wir uns über die USA beklagen? Außenpolitik wird auch vor dem Hintergrund von Interessen gemacht. Bilden wir uns wirklich ein, dass die USA unsere Interessen in unserer europäischen Nachbarschaft verteidigen sollen? Wenn sie es nicht machen wollen, dann machen sie es nicht. Da es unsere Interessen sind, müssen wir uns so stark machen, dass wir unsere Aufgaben lösen können. Es ist in der Debatte angesprochen worden: Was ist denn im Nahen und Mittleren Osten, in Syrien? Europa spielt dort keine Rolle. Aber wir tragen die Konsequenzen. Europa trägt die Konsequenzen – und Deutschland in ganz besonderem Maße. Wenn uns darauf keine Antwort einfällt, dann ist das ein Armutszeugnis für unser Parlament. Deswegen setzen wir uns nicht für das Einsparen von Mitteln ein, sondern dafür, in deutsche und europäische Sicherheit zu investieren. Das ist unsere Verantwortung. ({2}) Man könnte die Themen weiter aufspannen. Wenn es um eine gemeinsame Sicherung unserer europäischen Außengrenzen geht, wenn es um einen gemeinsamen Ansatz in der Asyl- und Migrationspolitik geht oder wenn es darum geht, dass Fluchtursachen in den Herkunftsländern gemeinsam in Europa besser zu bewältigen sind als einzeln, erkennen wir einen klaren europäischen Mehrwert. Deshalb plädieren wir auch dafür, dort stärker europäisch zusammenzuarbeiten. Da sind wir jetzt auf dem richtigen Pfad. Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen Punkt hinweisen. Eingangs habe ich gesagt, dass nicht alles, was man europäisch macht, deshalb automatisch besser ist. Ich stelle schon fest, dass man glaubt, zum Beispiel bei der Sozialunion oder auch bei anderen Themen, linke politische Vorstellungen über die europäische Ebene leichter durchsetzen zu können als auf nationaler Ebene. ({3}) Es ist selbstverständlich wichtig, dass wir soziale Mindeststandards nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa haben; das will ich an dieser Stelle betonen. Wenn das am Ende aber dazu führt, dass es sich für die einen zu einem bürokratischen Monstrum ausweitet und die anderen jeglicher Chance auf Erlangung von Wettbewerbsfähigkeit beraubt, ist es nichts, was den Staaten und den Menschen in Europa weiterhilft. Letztlich geht es nicht darum, Nivellierung in Europa zu betreiben – zuletzt noch auf niedrigstem Niveau –, sondern wir wollen ein wettbewerbsfähiges Europa. Das setzt voraus, dass man um die besten Lösungen ringt. Man muss daher genau aufpassen: Nicht bei allen Themen ist Europa die richtige Antwort, aber bei vielen, und das sollten wir klar herausarbeiten. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft sind eine Reihe von Parametern relevant. Für die sich dynamisch entwickelnden Start-up-Branchen sind vor allem Punkte wie gute Ideen, ein Gründergeist der jungen und innovativen Unternehmen sowie die Finanzierung wichtig. Junge Unternehmerinnen und Unternehmer mit mutigen Ideen brauchen während ihrer Gründungs- und vor allen Dingen ihrer Wachstumsphase Kapital. Diese private und manchmal auch Risiken abdeckende Finanzierung ist leider oft keine Selbstverständlichkeit. Daher haben wir Anfang des Jahres zusammen mit dem Bundeswirtschaftsministerium eine Start-up-Finanzierung für den Zugang zu Wagniskapital geschaffen. Wir haben die KfW als sehr erfolgreiche Förderbank des Bundes ermächtigt, in Zukunft die Wagniskapitalausstattung der Hightechbranche zu verbessern. Diese leistet einen wichtigen Beitrag zur Modernisierung und Wettbewerbssteigerung unserer Wirtschaft und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die KfW geht von einer Finanzierungslücke für Unternehmen in der Start-up- und frühen Wachstumsphase von rund 500 bis 600 Millionen Euro jährlich aus. Daher macht die neue Förderung der KfW im Bereich der Wagniskapital- und Beteiligungsfinanzierung substanziell Sinn. Diese substanzielle Intensivierung der Beteiligungsfinanzierung ist gerade zur Verbesserung der Digitalisierung unseres Landes besonders wichtig. Bisher haben Start-up-Unternehmen am Standort Deutschland gute Ideen und Geschäftsmodelle entwickelt, zu deren Finanzierung aber Kapitalgeber aus dem Ausland herangezogen werden mussten. Das birgt Risiken: Das Unternehmen könnte dem Kapital folgen und den Standort Deutschland verlassen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir verhindern. Seit 1948 wird die deutsche Wirtschaft mit den Finanzierungsmitteln des ERP, des European Recovery Program, einem Sondervermögen zur Verwendung für den Wiederaufbau, unterstützt. Die KfW hat zurzeit ausreichende Erträge aus den Kapitaleinlagen des ERP-Sondervermögens. Wir haben die Erfordernisse der Kapitalvorschriften für die KfW vor einigen Monaten angepasst. Dadurch können jetzt Erträge aus der sogenannten Förderrücklage I des ERP-Sondervermögens für die Wagniskapital- und Beteiligungsfinanzierung der KfW zur Verfügung gestellt werden. Hierzu wird die KfW eine Tochtergesellschaft gründen, in der das Beteiligungsgeschäft künftig stattfindet. Diese Gesellschaft soll Mitte des Jahres 2018 ihre operative Geschäftstätigkeit aufnehmen. Der Fokus wird auf Investitionen in Venture Capital Fonds liegen. Auch Investitionen in sogenannte Venture Debt Fonds werden ermöglicht. Diese Fonds stellen Unternehmen zur Finanzierung ihrer risikoreichen Expansionsphase Fremdkapital zur Verfügung. Bis zum Jahr 2020 soll die Gesellschaft ihr jährliches Investitionsvolumen auf 200 Millionen Euro steigern und so in den kommenden zehn Jahren rund 2 Milliarden Euro für wachstumsorientierte Hightechfirmen zur Verfügung stellen. Damit ermöglichen wir Start-ups, zu wachsen, Arbeitsplätze zu sichern und besser am Markt Fuß zu fassen. Die Geschäftsführung der Gesellschaft wird mit jeweils einem Experten aus dem Markt und aus der KfW besetzt. Auch darum beraten wir in dieser Woche in erster Lesung einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Nutzung der Mittel aus dem ERP-Sondervermögen für das Jahr 2018. Der Gesetzentwurf für ein ERP-Wirtschaftsplangesetz 2018 wurde noch unter der Großen Koalition vom Kabinett am 2. August 2017 beschlossen. Wir wollen es jetzt möglichst zügig beschließen, da es sonst beim Anschub und bei der Bereitstellung der Mittel Verzögerungen geben würde. Nach dem vorliegenden Wirtschaftsplan sollen 2018 rund 790 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Damit erhalten insbesondere mittelständische Unternehmen und freie Berufe zinsgünstige Finanzierungen aus dem ERP-Programm der KfW mit einem Volumen von 6,75 Milliarden Euro. Betonen möchte ich, dass das Bundeswirtschaftsministerium eine ganze Reihe von Förderinstrumenten aufgelegt hat, die der Bereitstellung von Beteiligungskapital oder von Zuschüssen für innovative Gründungsvorhaben dienen. Die Botschaft lautet also: Damit sollen Unternehmensgründerinnen und -gründer mobilisiert, das Gründungskapital und -klima in Hochschulen und Forschungseinrichtungen verbessert und für mehr Dynamik bei technologieorientierten und wissensbasierten Firmengründungen sowie ein nachhaltiges Wachstum dieser Unternehmen gesorgt werden. So werden Beteiligungs- und Mezzanine-Finanzierungen beihilfefrei sowie in allen Strukturierungsformen und Marktsegmenten ermöglicht und die Beteiligung privater Investoren angeregt. Es wird jetzt entscheidend darauf ankommen, dass die KfW eine wachstums- und innovationsorientierte Struktur schafft. Gerade zur risikogerechten Steuerung dieses Geschäftsfeldes wird es wichtig sein, beteiligungsspezifische Prozesse zu etablieren. Bedanken möchte ich mich für die breite Unterstützung dieses Gesetzentwurfes. Wir haben das in der Großen Koalition, aber auch mit Unterstützung der Grünen- und der Linkenfraktion diskutiert. Der Bundestag wird dazu aufgefordert, dieses Gesetz zu beschließen. Vielen Dank für die konstruktive Diskussion. Ich bitte Sie um Zustimmung. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion: der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten in der Tat das ERP-Wirtschaftsplangesetz 2018, wie es jetzt auch richtigerweise an der Tafel ausgewiesen wird. Kollege Westphal hat schon richtigerweise darauf hingewiesen, dass das ERP, European Recovery Program – diese Mittel wurden einstmals im Rahmen des Marshallplans zur Verfügung gestellt –, eine Erfolgsgeschichte ist. Seit fast 70 Jahren, seit 1948 werden diese Mittel in Deutschland zur Wirtschaftsförderung eingesetzt. Insgesamt sind es über 100 Milliarden Euro, mit denen hier insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen gefördert wurden und mit denen Millionen von Arbeitsplätzen geschaffen und gesichert wurden. Was wird gefördert? Innovationen, Exportleistungen von Unternehmen, Aufbau und Modernisierung bestehender Unternehmen in regionalen Fördergebieten und, was jetzt zukünftig noch mehr im Fokus stehen wird, Existenzgründer, Wachstumsfinanzierungen und vor allem auch Beteiligungskapital für junge, innovative Unternehmen. Im Fokus stehen dabei kleine und mittelständische Unternehmen, die im Vergleich zu Großunternehmen oftmals strukturelle Nachteile bei der Finanzierung haben. Die Förderung erfolgt traditionell durch Kredit. Deutschland ist ja ein Land des Kredits, des Bankkredits, der Fremdkapitalfinanzierung, weil wir über Jahrzehnte hinweg Eigenkapital steuerlich vielleicht nicht immer so behandelt haben, wie wir es hätten tun sollen. Deshalb haben wir in Deutschland traditionell eher eine fremdkapitallastige Finanzierung. Diese Förderung erfolgt insbesondere dort, wo der bisherige Bankkredit nicht aushilft oder nicht ausreichend ist. Die Förderung war in der Vergangenheit besonders dadurch gekennzeichnet, dass Kredite mit besonders günstigen Zinsen zum Zuge kamen: mit langen Laufzeiten, Verzicht auf Tilgungsleistungen, insbesondere in den Anfangsjahren, was gerade für Neugründungen oftmals wichtig und hilfreich war, und gleichzeitig sehr flexibel, dass jederzeit Tilgungen vorgenommen und damit Zins- und Tilgungsbelastungen schnell gemildert werden konnten. So weit, so gut. Bisher haben wir ein jährliches Fördervolumen von rund 6 Milliarden Euro. Aber bekanntlich ist das Bessere der Feind des Guten. Wir sehen, dass durch das niedrige Zinsniveau und das Zinsumfeld diese Zinsvorteile bei Krediten in den letzten Jahren nicht mehr der allergrößte Renner sind. Deshalb weist uns der Bundesrechnungshof zu Recht darauf hin, dass der Mittelabfluss gar nicht mehr so vollumfänglich erfolgt, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Dies ist im Übrigen auch ein Zeichen dafür, dass die Finanzierungssituation im klassischen unternehmerischen Bereich funktioniert, auch jetzt in der Hochkonjunktur und in der Aufschwungsphase. Wer weiß, was die Zukunft bringt. Deshalb müssen wir dort auch weiterhin am Ball bleiben. Es besteht hier Handlungsbedarf – der Kollege Westphal hat schon darauf hingewiesen –, insbesondere bei innovativen jungen Unternehmen, die schnell wachsen. Diese Unternehmen können sich über den Bankkredit nicht so schnell refinanzieren oder gar Wachstum finanzieren. Hier gereicht es uns zum Nachteil, dass wir aufgrund der Historie in Deutschland bei der Wachstumsfinanzierung im Vergleich zu vielen anderen Ländern nicht so gut aufgestellt sind. Deshalb müssen wir hier jetzt neue Schwerpunkte setzen, dass wir weg vom Kredit hin zur Wachstumsfinanzierung mit kapitalersetzendem Charakter beim Eigenkapital kommen. Das ist der neue Fokus, der in der vergangenen Legislaturperiode hier im Haus große Übereinstimmung gefunden hat. Der Markt für Venture-Finanzierungen in Deutschland hat sich in den letzten Jahren zwar gut entwickelt, von 2013 bis 2015 haben sich die Beträge allein auf 3 Milliarden Euro vervierfacht. Wenn man es aber im internationalen Vergleich sieht, sind wir leider noch übersichtlich unterwegs. In den USA sind es 50 Milliarden Euro im selben Zeitraum. Dort haben sich die Beträge verdoppelt. Deutschland hat, was die Wachstumsfinanzierung in absoluten Zahlen angeht, in Europa Platz drei hinter Großbritannien und Schweden inne. Bezogen auf das BIP ist das Potenzial noch höher. In den eben angeführten USA beträgt der Wachstumsfinanzierungsbereich 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in Israel sogar 0,4 Prozent, während es in Deutschland gerade einmal 0,02 Prozent sind. Das heißt, wir haben mindestens den Faktor 10, den wir hier noch hebeln müssen. Die KfW geht gegenwärtig von einer Angebotslücke in Höhe von 500 bis 600 Millionen Euro jährlich aus. Auch hier – darauf hat der Kollege Westphal schon hingewiesen – haben wir ein Problem mit der Wagniskapitalfinanzierung im Wachstumsbereich bei Dimensionen in Höhe von 5, 10, 15, 20 oder gar 50 Millionen Euro. Das können wir im Moment kaum leisten. Wir haben nicht die entsprechenden Möglichkeiten. Deshalb besteht hier eine fatale Abhängigkeit, dass Dritte es von außen finanzieren. Das wäre noch okay, wenn es in Deutschland stattfindet. Vielmehr besteht aber die Gefahr, dass die Unternehmen entsprechend abwandern, gerade im Hightechbereich haben wir das im Wachstumsfinanzierungsbereich in den letzten Jahren beobachten müssen. Deshalb gibt es den neuen Ansatz mit einer Beteiligungstochter der KfW. Es gibt schon eine ganze Reihe: ERP-Beteiligungsprogramm, ERP/EIF-Mezzanine-Dachfonds, ERP-Venture-Capital-Fondsinvestments, Wachstumsfonds, coparion und andere mehr; ich kann sie hier im Einzelnen nicht erläutern. Hier steht eine Größenordnung von 700 Millionen Euro zur Verfügung. Die Beteiligungsfinanzierung soll auf 500 Millionen Euro erhöht werden. Dies soll außerhalb der KfW mithilfe des Vehikels geschehen, das sich jetzt in der Gründung befindet und das hoffentlich im ersten Quartal des nächsten Jahres operativ anläuft. Es wird dann auf Eigenkapital, also kapitalersetzende Maßnahmen wie Venture Capital Fonds und Venture Debt Fonds, spezialisiert sein. Es ist aber nicht so, dass wir das nur öffentlich managen wollen. Der VEB ist auch bei der Wachstumsfinanzierung nicht die richtige Antwort, sondern die KfW soll dazu verhelfen, dass auch privates Kapital sich entsprechend entwickelt, gehebelt und zunehmend in den Wachstumsmarkt integriert wird. Es erfolgt also kein Crowding-out, sondern ein Crowding-in. Wir denken, dass wir auf einem guten Weg sind. Ich hoffe, dass wir in der 19. Legislaturperiode eine ebenso große Übereinstimmung finden und haben werden, wie wir sie in der 18. Legislaturperiode hatten. Dort hatten wir den ERP-Unterausschuss des Ausschusses für Wirtschaft und Energie. Frau Grotelüschen hat ihm vorgesessen; sie ist heute hier. Dort wurde die wesentliche und wichtige Vorarbeit für den Beschluss geleistet, den wir hier im Hause am 30. März dieses Jahres über alle Fraktionen hinweg gefasst haben. Die Bundesregierung wurde darin aufgefordert, diese Instrumente entsprechend weiterzuentwickeln. Nun liegt der Gesetzentwurf vor. Auch in dieser Übergangsphase, in der wir uns im Moment befinden, zeigen wir uns hier im Deutschen Bundestag handlungsfähig und können dem wichtigen Instrument der Wachstumsfinanzierung neue Impulse geben. Ich hoffe, dass wir sowohl heute bei der ersten Lesung als auch bei den weiteren Beratungen im Ausschuss, in der zweiten und dritten Lesung sowie vor dem Bundesrat die notwendige Unterstützung bekommen, um die PS bei der Wachstumsfinanzierung bereits im ersten Quartal des nächsten Jahres auf die Piste bringen zu können. In diesem Sinne: Herzlichen Dank, und ich hoffe auf breite Unterstützung. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Zu seiner ersten Rede rufe ich jetzt auf Enrico ­Komning von der AfD-Fraktion. ({0})

Enrico Komning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004787, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Liebe Besucher auf den Tribünen! Immer wenn wir über Wirtschaft reden, will uns die Bundesregierung weismachen, alles sei gut: ({0}) geringe Arbeitslosigkeit, immer weiter wachsende Wachstumszahlen, Exportrekorde, und das auch noch bei Haushaltsüberschüssen. Das aber ist nur die halbe Wahrheit; denn das Mantra­ der schwarzen Null hat zu einem massiven Abbau öffentlicher Investitionen geführt, und die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank bedeutet erhebliche Vermögensabschmelzungen. All dies bekommen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland zu spüren. Ein steter Rückgang der Unternehmensgründungen ist die Folge. Bei jährlich immer noch über 20 000 Unternehmensinsolvenzen allein im Mittelstand bleibt das Pleiterisiko nach wie vor hoch. Aber gerade die kleinen und mittleren Unternehmen schaffen die Arbeitsplätze in Deutschland. So sind es wieder einmal die deutschen Arbeitnehmer, die in die Röhre schauen. ({1}) Richtig bleibt daher, gerade diese Unternehmen, die auch und insbesondere in den strukturschwachen und ländlichen Gebieten Arbeitsplätze schaffen, zu fördern und zu unterstützen. Das dem European Recovery Program, das auch als Marshallplan bekannt ist, entstammende ERP-Sondervermögen ist daher von größerer Bedeutung als je zuvor; denn das ERP-Sondervermögen muss für die gravierenden Fehler der Haushalts- und Währungspolitik der Bundesregierung und der EZB in die Bresche springen. Die Bundesregierung will für das Jahr 2018 aus dem ERP-Sondervermögen knapp 790 Millionen Euro bereitstellen. Das klingt erst einmal ganz gut. Wenn man aber einen genaueren Blick darauf wirft, sieht man, dass die Investitionsfinanzierungen um mehr als 11 Millionen Euro abgeschmolzen werden. Das geht hauptsächlich zulasten der Finanzierungshilfen für Unternehmensgründungen. Wo fließen diese Mittel also hin? Nach Ansicht der Bundesregierung soll zum 1. Januar eine weitere Gesellschaft – Herr Dr. Pfeiffer hat schon darauf hingewiesen –, eine KfW-Beteiligungstochter, gegründet werden. Die schon bestehenden Tochtergesellschaften, beispielsweise die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, die KfW IPEX-Bank GmbH und die Finanzierungs- und Beratungsgesellschaft mbH, reichen aus Sicht der Bundesregierung offensichtlich nicht aus. Dabei könnte der postulierte Zweck der neuen Gesellschaft, nämlich das Angebot an Wagniskapital, Venture Capital, für innovative, technologieorientierte Unternehmen zu verbessern, mit Sicherheit auch innerhalb der bestehenden KfW-Strukturen erreicht werden. Der Eindruck, dass hier weitere Versorgungsposten geschaffen werden sollen, drängt sich schlichtweg auf. ({2}) Eine neue KfW-Tochter bedeutet wieder mehr Bürokratie, und die Bewilligungsverfahren werden länger dauern. Auf diese Weise ist den Unternehmensgründern und den kreativen Köpfen in Deutschland mit Sicherheit nicht geholfen. Ich darf an Otto von Bismarck erinnern, der sagte: Die Demokratie ist es, an der wir alle kranken. ({3}) Sparen Sie das Geld für diese Gesellschaft! Wir können damit eine Reihe von Kleinunternehmen mit Fördermitteln ausstatten und Anschubfinanzierungen für Start-ups leisten. Dann haben Sie uns auf Ihrer Seite. Wir werden der Überweisung zustimmen. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ebenfalls zur ersten Rede darf ich nun dem Kollegen Reinhard Houben von der FDP-Fraktion das Wort erteilen. ({0})

Reinhard Houben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid: Ich muss von meinem Redekonzept sofort abweichen, denn das, was Sie, Herr Komning, hier vorne vorgetragen haben, hat mit der Aufgabe der KfW relativ wenig zu tun. Ich glaube, Sie haben eine falsche Vorstellung von der Aufgabe der KfW. Angesichts Ihres Duktus insgesamt möchte ich festhalten: Bei Ihrer inneren Haltung zur internationalen Politik wäre die Bereitstellung von Mitteln wie denen nach dem Marshallplan natürlich niemals zustande gekommen. ({0}) Das sollten Sie bitte zur Kenntnis nehmen. Was Sie gesagt haben, war wirklich sehr merkwürdig. Meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor: Die Welt ändert sich, die wirtschaftlichen Bedingungen ändern sich, und natürlich muss die KfW als Institution darauf reagieren. Wie können wir das machen? Es ist sicherlich sinnvoll, dass wir nun in kleinen Schritten Venture-Capital-Finanzierungsmöglichkeiten bei der KfW schaffen. Aber, meine Damen und Herren, wenn man die Größenordnung der bereitgestellten Mittel betrachtet – es ist von den Kollegen zum Teil dargestellt worden –, erkennt man, dass das doch sehr wenig ist. Diese gut 3 Milliarden Euro entsprechen gerade einmal 10 Prozent dessen, was nur im Silicon Valley jährlich ungefähr in unsichere Geschäfte – das muss man bei diesem Thema einfach sagen – investiert wird. Der Vorstellung der KfW entsprach es früher vor allen Dingen, gut zu besichern, dann eine gewisse Tilgungsfreiheit zu schaffen und das Geld am Ende abstottern zu lassen. So funktioniert das bei neuen Geschäftsmodellen, so wie wir sie heute bei Start-ups kennen oder vielleicht überhaupt noch nicht kennen, natürlich nicht. ({1}) – Ja, genau, hören Sie gut zu. ({2}) Es ist bei den erforderlichen Unternehmensgründungen ein wesentlicher Flaschenhals, dass Investitionsmittel nicht nur nach dem Markteintritt, sondern auch für Expansion, Innovation und Internationalisierung fehlen. Hier scheitert häufig die klassische Bankenfinanzierung für Start-ups, und hier sehen wir weiterhin eine große Lücke. Wir als FDP-Fraktion, meine Damen und Herren, halten es deswegen für ganz entscheidend wichtig, in dieser Legislaturperiode ein Wagniskapitalgesetz einzuführen, um gerade jene Prozesse auch steuerrechtlich zu begleiten, die es jungen Unternehmen und Unternehmungen möglich machen, tatsächlich durchzustarten. Wir brauchen natürlich auch eine andere Behandlung der Absetzbarkeit von Wagniskapitalinvestitionen. ({3}) Meine Damen und Herren, wir als Freie Demokraten im Bundestag sehen den vorgelegten Gesetzentwurf durchaus als richtigen Schritt, wir halten ihn aber nicht für ausreichend. Wir werden in dieser Sache weiterarbeiten, dass wir eine breitere Basis für Wagniskapital in Deutschland schaffen können. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort Thomas Lutze. ({0})

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Rede meines Vorvorredners haben nur noch die Kosten für die Flüchtlinge gefehlt, dann wäre das Ding rund gewesen. ({0}) Aber kommen wir zurück zum Thema, das heute auf der Tagesordnung steht. Wir beraten heute die Fortsetzung der Förderung der deutschen Wirtschaft aus dem ERP-Sondervermögen für das Jahr 2018. Insbesondere der Mittelstand und die freien Berufe sollen mit fast 7 Milliarden Euro in Form von verbilligten Krediten, aber auch zunehmend durch Beteiligungskapital gefördert werden. Das Geld soll den Unternehmen zugutekommen. Das finden wir grundsätzlich richtig, und das findet auch unsere Unterstützung. ({1}) Der Teufel steckt allerdings wie immer im Detail. In der 16. Wahlperiode, also vor meiner Zeit, wurde das ERP-Sondervermögen vom Bundeswirtschaftsministerium an die KfW übertragen. Die Linke hatte damals befürchtet, dass damit der Substanzerhalt und die parlamentarische Kontrolle der Gelder infrage gestellt werden. Das hat sich zum Glück nicht bewahrheitet. Umso unverständlicher ist es für uns, dass sich das Parlament immer noch mit der groben Gliederung von Förderzielen abspeisen lässt. Sinnvoll wäre es doch stattdessen, dass die Gelder konkret nach Förderprogrammen aufgeschlüsselt werden. Transparenz und vor allen Dingen Klarheit dieser Förderung sind für meine Begriffe dringender denn je notwendig. ({2}) Darüber hinaus ist es ebenso unverständlich, dass die Förderung immer noch eine Exportförderung umfasst. Wenn der Europäische Wirtschaftsraum eines sicher nicht benötigt, dann sind das zusätzliche deutsche Exporte. Die deutsche Wirtschaft scheint diese Förderung im Übrigen auch gar nicht mehr zu benötigen. Allein im Zeitraum von 2015 bis 2016 ist das Fördervolumen in diesem Sektor um fast zwei Drittel zurückgegangen. Nutzen wir also die Förderung aus dem ERP-Sondervermögen dafür, wichtige Impulse für die Wirtschaft und damit auch für Beschäftigung zu geben. ({3}) Dazu gehören Binnenabsatz statt Exportförderung, die Förderung wirtschaftlich benachteiligter Regionen im Osten wie im Westen unseres Landes, die energetische Gebäudesanierung oder die dringend notwendige Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, gerade in Ballungszentren. Wir müssen in den nächsten Jahren darüber hinaus darauf aufpassen – vielleicht tagt der Wirtschaftsausschuss bald wieder –, dass vor allen Dingen ganz kleine Unternehmen, Selbstständige, die auch gefördert werden sollen, ebenfalls zu Geld kommen. Sie sind in den Fördersummen nämlich nach wie vor unterdurchschnittlich vertreten. Für eine Wirtschaftsförderung, wie sie heute vorliegt und wie sie vielleicht auch weiterentwickelt werden kann, bekommen Sie hier im Deutschen Bundestag auch die Unterstützung der Linksfraktion. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ebenfalls zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag erteile ich das Wort der Kollegin Claudia Müller vom Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Claudia Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004830, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach den doch mehrheitlich konstruktiven Reden meiner Vorredner wird es Sie nicht überraschen, dass auch ich hier einen eher positiven Ton anschlagen werde. Die Mittel aus dem ERP-Sondervermögen sind Grundlage der Mittelstandsförderung durch die KfW. Der vorliegende Wirtschaftsplan ist eine Fortschreibung dieser Arbeit – mit einer großen Neuerung: der Gründung einer eigenen Beteiligungsgesellschaft der KfW. Nicht nur in der Gründungsphase stehen Unternehmerinnen und Unternehmer regelmäßig vor besonderen Investitionsbedarfen: sei es, um innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und zur Marktreife zu bringen, sei es, um ressourcenschonende Produktionsmittel anzuschaffen oder um die Unternehmensnachfolge zu regeln oder, oder, oder. Dabei haben sie im internationalen Wettbewerb um Finanzmittel einen großen Nachteil: die geringe Eigenkapitalquote. Nicht erst seit Basel II und Basel III werden regelmäßig die fehlenden Eigenkapital- und Mezzanine-Finanzierungsmöglichkeiten für Klein- und Kleinstunternehmen bemängelt. Bei uns werden risikobehaftete Vorhaben weiterhin sehr konservativ bewertet. Risiko wird gerne mit mangelnder Seriosität verwechselt und daher mit entsprechend hohen Zinsen belastet, oder der Zugang zur Kreditfinanzierung wird komplett verweigert. Vor allem Klein- und Kleinst­unternehmen, die ihre innovativen Ideen vorantreiben wollen, werden so Steine in den Weg gelegt. Den Wettbewerb mit den großen Unternehmen verlieren sie – Deutschland damit deren Kreativität und im schlimmsten Fall Arbeitsplätze. Der Beschluss, eine eigene Tochtergesellschaft der KfW zu gründen, ist ein wichtiger Schritt, wenn er auch etwas spät erfolgt. Aber er wird jetzt unternommen, und das ist richtig so. ({0}) Wir dürfen uns allerdings nichts vormachen. Der Erfolg dieser Maßnahmen wird nicht über Nacht kommen, sondern Zeit brauchen, Zeit, die wir uns in den Beratungen jetzt nicht mehr lassen sollten. Zum 1. Januar 2018 startet die Gesellschaft formal. Das operative Geschäft muss schnellstmöglich folgen. Ich will schon jetzt einen Gedanken in die Beratungen im Ausschuss einbringen: Venture-Capital-Investments und Mezzanine-Finanzierungsformen sind immer zeitlich limitiert. Das stellt insbesondere Klein- und Kleinst­unternehmen vor die Herausforderung, eine sichere Anschlussfinanzierung zu finden, fällt sie doch häufig in eine Wachstumsphase, in der sich Fragen nach Produktionserweiterung, Verbreiterung der Produktpalette oder neue Forschungsanstrengungen stellen. In der Vergangenheit hat dies regelmäßig dazu geführt, dass Unternehmen gescheitert sind. Über diese und andere Fragen möchte ich mich gerne mit Ihnen in den kommenden Beratungen austauschen. Ich bin überzeugt, dass die neue Gesellschaft eine wichtige Ergänzung zum bestehenden KfW-Angebot ist. Schnelle Erfolge werden wir aber, wie gesagt, nicht sehen. Geben wir dieser Gesellschaft die nötige Zeit und unser Vertrauen. Wir hingegen sollten uns keine Zeit mehr lassen. Wir sollten alles Notwendige auf den Weg bringen. Ich freue mich auf die Beratungen dazu und auf die Zusammenarbeit hier im Haus. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/164 und 19/196 an den Hauptausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Joana Cotar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004696, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich dachte eigentlich, Sie hätten dazugelernt. Auch als Sie am späten Abend des 30. Juni 2017 über das unsägliche Zensurgesetz, das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz, abgestimmt haben, war kaum noch einer von Ihnen in diesem Hohen Hause anwesend. ({0}) Der Bundestag war eigentlich gar nicht mehr beschlussfähig. Aber das hat Sie nicht allzu sehr gestört. Mit rund 50 Abgeordneten beschlossen Sie die Abschaffung der Meinungsfreiheit in den sozialen Netzwerken. ({1}) Die Betreiber sozialer Netzwerke sind nun verpflichtet, innerhalb kürzester Zeit offensichtlich rechtswidrige Beiträge zu löschen. ({2}) Tun sie das nicht, drohen Geldstrafen in Millionenhöhe. Was „offensichtlich rechtswidrig“ ist, wird dabei nicht definiert. ({3}) Damit wurde das Strafrecht privatisiert. Jetzt entscheiden nicht mehr Richter darüber, was strafbar ist und was nicht. Nein, privatwirtschaftliche Unternehmen und ihre Mitarbeiter werden zu Richtern über die Meinungsfreiheit. ({4}) Die Rechtsprechung wurde ausgerechnet von unserem Justizminister outgesourct. Eines ist sicher: Aus Angst vor den horrenden Geldstrafen werden die Unternehmen lieber einmal zu viel als einmal zu wenig löschen. ({5}) Damit ist das NetzDG nichts anderes als Zensur, und die ist nach Artikel 5 Grundgesetz verboten. ({6}) Zudem mangelt es für von Sperrungen betroffene Nutzer an klaren Einspruchsmöglichkeiten. Unzählige User, darunter angesehene Publizisten, werden ohne Angabe von Gründen gelöscht und gesperrt. Wer sich keinen Anwalt leisten kann, um Einspruch zu erheben, der hat eben Pech gehabt. Herr Maas und seine Kollegen, die dieses unsägliche Gesetz in Kraft gesetzt haben, behaupten, es ginge um Hass und Hetze. Meine Damen und Herren, seien wir doch einmal ehrlich: Mit dem Aufkommen der sozialen Netzwerke im Internet haben sich neben Zeitungen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk weitere Plattformen des Pluralismus und des Meinungsaustausches entwickelt, die zu traditionellen Medien in Konkurrenz treten. Doch im Gegensatz zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der vor allem zu einem Spielplatz der Parteien verkommen ist ({7}) und den die Bürger mit rund 8 Milliarden Euro im Jahr zwangsfinanzieren müssen, sind die sozialen Netzwerke durch finanzielle und politische Unabhängigkeit gekennzeichnet. ({8}) Genau das ist das Problem für Sie: Es geht nicht um das Aufspüren von Straftätern oder Straftaten. Nein, Sie, Herr Maas, wollen die Diskurshoheit zurückgewinnen, die von den parteikontrollierten Medien in die freien sozialen Netzwerke abgewandert ist. ({9}) Sie haben schlicht Angst vor einer freien und ehrlichen Debatte über die wahren Probleme unseres Landes. Sie, Herr Maas, und all die, die diesem Gesetz zugestimmt haben, sind nicht in der Lage, echte Meinungsfreiheit zu akzeptieren. ({10}) Das ist verständlich; denn das ist unter Linken so üblich. Ein Blick in die Geschichte des Sozialismus beweist das eindrücklich. ({11}) Übrigens sind wir von der AfD nicht die Einzigen, die der Meinung sind, dass dieses Gesetz eine Schande für Deutschland ist. ({12}) Die Stellungnahmen zu dem Gesetzentwurf in der Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages am 19. Juni 2017 haben den Verrat am Bürger offengelegt. „Reporter ohne Grenzen“ sprach davon, dass das Gesetz gänzlich ungeeignet sei, um die sogenannte Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte zu unterbinden. Stattdessen griffen die Maßnahmen des NetzDG unverhältnismäßig stark in die Presse- und Meinungsfreiheit ein ({13}) und könnten die Kommunikationsfähigkeit im Internet nachhaltig beschädigen. ({14}) Diese Kritik teilt der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, David Kaye. Ja, selbst die Vereinten Nationen haben sich hier eingeschaltet, weil das Gesetz eine solche Ungeheuerlichkeit ist. ({15}) Auch der Wissenschaftliche Dienst dieses Hauses legt zahlreiche Mängel und handwerkliche Fehler des Gesetzes offen. ({16}) In seiner Ausarbeitung hat er Heiko Maas bescheinigt, dass sein Eingriff in die Meinungsfreiheit verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt sei. ({17}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, all diese Bedenken und Einsprüche haben Sie ignoriert. Sie haben das Gesetz trotz dieser fundierten Kritik verabschiedet. Eines der wichtigsten Elemente unseres Grundgesetzes ist die Meinungsfreiheit, der Meinungsstreit in der öffentlichen Debatte. ({18}) Nur der Austausch verschiedener und damit kontroverser Meinungen gewährleistet und sichert den Pluralismus. Ja, nicht alle Meinungen sind bequem. Aber wir müssen sie trotzdem ertragen. Das ist Demokratie. ({19}) Werte Kollegen, die AfD gibt Ihnen die Gelegenheit, sich weiter zu dieser Demokratie zu bekennen und den Frontalangriff auf die Meinungsfreiheit zurückzunehmen. Die Rechtsdurchsetzung gehört nicht in private Hände, sondern in die öffentlicher Gerichte. ({20}) Wer anerkennt, dass die Freiheit und damit auch die Meinungsfreiheit unser höchstes Gut ist, der kann nur mit uns für die ersatzlose Aufhebung dieses Gesetzes stimmen. Vielen Dank. ({21})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Lisa Winkelmeier-Becker. ({0})

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist schwierig, in fünf Minuten all das aufzugreifen und zu widerlegen, was hier gerade vorgetragen worden ist, nämlich ein Zerrbild des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. ({0}) Sie meinen, in neuer Allianz – auch hier wiederum zusammen mit den Linken – für Meinungsfreiheit und vermeintliche Freiheit auch dann noch kämpfen zu müssen, wenn es längst um strafbare Inhalte und Geschäftsmodelle von großen Plattformen geht, die daran Millionen verdienen. ({1}) Wir nehmen diese Rechte der Schreiber in den sozialen Netzwerken und auch das Geschäftsmodell der Plattformen durchaus ernst, ({2}) aber wir machen uns auch Sorgen um die Betroffenen, die Opfer von Straftaten im Netz, die bei Ihnen überhaupt keine Berücksichtigung finden. Wo kommen die bei Ihnen überhaupt vor? ({3}) Zum Glück gibt diese Debatte, die wir heute in erster Lesung beginnen, Gelegenheit, hier einiges klarzustellen. Sie meinen, dass sich dieses Gesetz gegen die freie Debatte im Internet richtet. Das ist falsch. ({4}) Ich möchte zunächst richtigstellen: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ändert überhaupt nichts an dem materiellen Recht, welche freie Meinung noch geschützt ist, was davon vom Gesetz gedeckt ist und wo eben die Grenze zur Strafbarkeit verläuft. Das ist im Strafgesetzbuch definiert und ändert sich durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in keiner Weise. ({5}) Die Meinungsfreiheit ist in unserer Demokratie ein essenzielles Grundrecht. Deshalb ist sie sehr weit gefasst und deckt auch massive Kritik gegenüber der Regierung und der Politik ab. Sie kann abseitig, absurd und abstrus sein. Wir erleben hier ja auch Beispiele dafür. Es gibt keinen Meinungs-TÜV, und niemand hat eine Zensur oder staatliche Sanktionen zu befürchten. ({6}) Das ist die Meinungsfreiheit in den Grenzen des Grundgesetzes, begrenzt durch allgemeine Gesetze, die Gesetze zum Schutz der persönlichen Ehre und zum Schutz der Jugend. Das sind eben auch allgemeine Gesetze im Strafrecht. Für uns ist aber klar: Wir akzeptieren nicht, dass die großen Plattformen von Unternehmen, wie Facebook, Twitter oder Google, meinen, sie könnten ihre selbstdefinierten Gemeinschaftsstandards an die Stelle unserer demokratisch legitimierten Gesetze stellen. ({7}) Für uns ist klar: Im Netz darf es keinen Freibrief für Beleidigungen und Bedrohungen geben – auch nicht unter dem Schutzmantel der Anonymität. ({8}) Wir brauchen hier Regeln, die diese großen Player der modernen Kommunikation verpflichten, sich an die demokratisch beschlossenen Gesetze zu halten. Was für andere Medien selbstverständlich ist, muss eben auch für die Social Media gelten. Auch die müssen in eigener Verantwortung prüfen. Das ist für Verlage völlig selbstverständlich. Auch die müssen prüfen, ob in ihren Beiträgen oder auch in den Leserbriefen zu ihren Rubriken strafbare Dinge stehen. Wenn sie das zulassen, dann haftet der Herausgeber oder der Redakteur. Das ist also etwas ganz Normales und nichts Neues für die Netzwerke. ({9}) Es geht hier um nicht mehr und nicht weniger als um die Grundsatzfrage – das ist auch eine Machtfrage –, wer rechtlich und tatsächlich die Regeln im Netz bestimmt. Sind das die Facebooks dieser Welt? Das ist anscheinend Ihr Standpunkt, meine Damen und Herren von der AfD. Ich will Ihnen vorlesen, wie Facebook das meint und auch praktiziert. In deren Allgemeinen Geschäftsbedingungen heißt es nämlich: Wir können sämtliche Inhalte und Informationen, die du auf Facebook postest, entfernen, wenn wir der Ansicht sind, dass diese gegen diese Erklärung bzw. unsere Richtlinien verstoßen. Also: Soll das der Maßstab sein, oder sind das unsere Gesetze, die dann auch durchgesetzt werden müssen? ({10}) Das ist unsere Meinung, und das sind das Ziel und der Zweck des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Deshalb verpflichtet es die Plattformen zu drei Dingen: Erstens. Es verpflichtet sie zu einem effektiven Beschwerdemanagement mit qualifizierten Mitarbeitern in ausreichender Zahl. Zweitens. Es müssen eine Kontaktperson und eine erreichbare Adresse öffentlich gemacht werden, damit man überhaupt weiß, wohin man sich als Betroffener oder auch vonseiten der Staatsanwaltschaft und des Gerichts wenden kann. Drittens gibt es die Pflicht, nach einem gerichtlichen Beschluss die Kontaktdaten mitzuteilen, damit man einen anonymen Schreiber überhaupt identifizieren kann – jedenfalls das versuchen kann. Das ist keine Privatisierung des Rechts – da irren Sie –, sondern es ist im Gegenteil die Durchsetzung des Gesetzes, das an die Stelle der privaten, selbstgemachten Standards tritt. ({11}) Auch die Gefahr des Overblockings haben wir im Gesetzgebungsverfahren ausgeräumt. Es droht nämlich kein Bußgeld, wenn man im Einzelfall zu einer anderen Entscheidung kommt. Vielmehr darf ein Bußgeld nur dann verhängt werden, wenn die Pflichten systematisch nicht erfüllt werden, wenn es also grundsätzlich abgelehnt wird, ein Beschwerdemanagement einzurichten, oder grundsätzlich bestimmte Straftaten nicht entsprechend behandelt werden. Es gibt auch eine Exit-Strategie für die Plattformen, die wir ihnen ganz bewusst eingeräumt haben. Sie haben die Möglichkeit, die Fälle, die aus ihrer Sicht nicht klar sind, ob also rechtmäßig oder nicht, völlig ohne Zeitdruck innerhalb von sieben Tagen an ein plural besetztes Gremium zu geben, das dann diese Entscheidung in eigener Verantwortung trifft – völlig ohne Druck, ohne vorgegebenes Ergebnis. Auch das ist ein wichtiger Punkt, den wir gerne noch ausbauen wollen, wenn die Plattformen sich dieser Möglichkeit nicht bedienen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist um.

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie senden das fatale Signal, dass Ihnen die Durchsetzung des Rechts im Internet nicht wichtig ist. Wir sind überzeugt, dass wir diese Regeln brauchen. Und wir scheuen die Debatte nicht. Danke schön. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die SPD hat das Wort Dr. Johannes Fechner. ({0})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Hass und Hetze im Netz, das ist heutzutage leider keine Ausnahmeerscheinung mehr. Wir alle wissen von unseren eigenen Profilen, von Kollegen, von Gesprächen mit Lehrerinnen und Lehrern oder mit der Polizei, mit welcher Wucht und vor allem mit welcher Intensität in strafbarer Weise im Internet gehetzt wird. Da geht es um Volksverhetzungen, um üble Beleidigungen, um Mobbing und um Bedrohungen bis hin zu Mordaufrufen. Weil leider allzu oft solche Worte dann auch zu Gewalttaten führen, mussten wir dagegen vorgehen. Deswegen war es richtig, dass wir gegen Hass und Hetze und gegen Straftaten im Internet dieses Netzwerksdurchsetzungsgesetz beschlossen haben. Das war eines der wichtigsten Gesetze der letzten Legislaturperiode. ({0}) Dank an Justizminister Maas für seine Initiative, ({1}) Dank an die Opposition für wertvolle Anregungen und Dank an alle Abgeordneten der Koalitionsfraktionen der letzten Wahlperiode für dieses Gesetz. Es war richtig, dass wir die sozialen Netzwerke in die Pflicht genommen haben; denn wer Milliarden verdient, wer Milliardenumsätze macht, den trifft auch die Verantwortung dafür, dass es keine Straftaten in seinem Netzwerk gibt. Deswegen war dieses Gesetz wichtig. Damit verhindern wir Einschüchterungen von Bürgerinnen und Bürgern. Damit sichern wir die Meinungsfreiheit, sodass jeder seine Meinung äußern kann, ohne bedroht zu werden. ({2}) Wohlgemerkt: Die Meinungsfreiheit wird durch dieses Gesetz nicht im Ansatz verletzt. ({3}) Nur offensichtlich strafbare Inhalte müssen gelöscht werden. Wenn es Zweifel gibt, ob ein strafbarer Inhalt vorliegt, dann greift die regulierte Selbstregulierung. Das soziale Netzwerk muss dabei auch nicht ständig jeden Inhalt kontrollieren, sondern nur auf Beschwerden reagieren. Und nur eine Behörde kann Bußgelder verhängen, nicht Facebook selbst. Wo kämen wir da hin! Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann von einer Privatisierung des Rechts in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rede sein. ({4}) Das wichtigste Element unseres Gesetzes hat breite Zustimmung erfahren: vom Richterbund über die Polizeibehörden bis hin zur Internet-Community. ({5}) Endlich haben wir in Deutschland die Verpflichtung, dass soziale Netzwerke eine Zustellperson in Deutschland benennen müssen. ({6}) Bürgerinnen und Bürger können ihre Unterlassungsansprüche in Deutschland geltend machen und müssen nicht im Ausland tätig werden, etwa in einem Karibikstaat oder wo auch immer die sozialen Netzwerke angeblich ihren Sitz haben. Staatsanwaltschaften und Ermittlungsbehörden haben einen Ansprechpartner vor Ort. Das war ein Meilenstein dafür, dass Unterlassungsansprüche hier in Deutschland durchgesetzt werden konnten. ({7}) Ihnen von der AfD geht es doch gar nicht darum, die Meinungsfreiheit zu verteidigen. ({8}) Ihnen geht es darum, weiterhin Hass und Hetze im Internet zu ermöglichen, wie wir es von Ihren Leuten hören. ({9}) So hetzte etwa Politikerin Jeanette Ihme, AfD-Landesvorstandsmitglied im Saarland, in Facebook so übel über Zuwanderer, dass sie zu Recht zu 90 Tagessätzen wegen Volksverhetzung verurteilt wurde. ({10}) Genau gegen solche Leute ist dieses Gesetz. Gegen ein solches Verhalten wollen wir vorgehen. Es darf keine Rechtsfreiheit im Internet geben, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Im Übrigen ist Ihr Entwurf so dünn und so schlampig begründet, dass wir ihm schon deswegen nicht zustimmen können. Das mag daran liegen, dass Sie andere Arbeitsprioritäten haben. In der „Bild“-Zeitung war zu lesen, dass Sie für über 10 000 Euro Kuchen und Schnittchen bestellt haben. Ganz offensichtlich beschäftigen Sie sich lieber mit solchen Dingen. Sie verfuttern Steuergelder, statt ordentliche Anträge zu stellen. ({12}) Das zeigt: Sie taugen nicht einmal als Protestpartei. ({13}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Hass und Hetze haben ein beängstigendes Ausmaß erreicht. Noch eine Anmerkung zu den Linken: Ihre Änderungsvorschläge sind so minimal. Wenn man sich vor Augen hält, dass Sie in der letzten Legislaturperiode alle Vorschläge der GroKo abgelehnt haben, dann ist das, glaube ich, ein großes Lob und eine innige Verbeugung vor diesem Gesetzeswerk. In diesem Sinne: Lassen Sie uns zusammenstehen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, lassen Sie eine Frage zu?

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich war gerade fertig. Bitte schön.

Norbert Kleinwächter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004781, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Dr. Fechner, Sie haben gerade ein individuelles potenzielles Fehlverhalten, das mir persönlich nicht bekannt ist, eines Parteimitglieds angesprochen. Glauben Sie, dass das Konzept der Sippenhaft einem modernen Rechtsstaat entspricht? ({0})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Zeiten der Sippenhaft sind leider vorbei. ({0}) – Langsam, langsam. Ein Versprecher darf sein. – Die Zeiten sind vorbei, wobei ich mir genau solche Vorschläge aus Ihrem Munde vorstellen könnte. Das ist eben nicht nur die Spitze des Eisbergs. Wenn man sich Ihre Facebook-Profile ansieht und sieht, was Sie für Meinungen verbreiten, was Sie für Meinungen stehen lassen und mit welchen Organisationen Sie zusammenarbeiten, dann ist es doch eindeutig: Ihnen geht es nicht um Meinungsfreiheit; Sie wollen Hetze und Hass im Netz straffrei lassen. Darum geht es Ihnen. ({1}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wir können Hass und Hetze im Internet so nicht stehen lassen. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam als anständige Demokraten solche dünnen und schlampigen Anträge ablehnen. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag hält die Kollegin Nicola Beer von der FDP-Fraktion. ({0})

Nicola Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004668, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Demokratie lebt vom Diskurs: vom Austausch von Meinungen, Positionen und Vorschlägen, pointiert und auch kontrovers. Ich finde, die Bundesrepublik Deutschland hat in der Vergangenheit eher darunter gelitten, dass wir nicht genug Diskurs hatten denn zu viel. ({0}) – Sie von der AfD sollten sich nicht zu früh freuen. ({1}) Denn wir Freie Demokraten sagen: Die sozialen Netzwerke haben in diesem Zusammenhang eine sehr wichtige Rolle. – Aber anders als Sie, meine Damen und Herren von der AfD, sehen wir soziale Netzwerke nicht als einen rechtsfreien Raum an. ({2}) Anders als Ihnen, meine Damen und Herren, geht es uns nicht um Systemschelte, sondern um Bürgerrechte. Die Freien Demokraten wollen, anders als die AfD, effektiv gegen Menschenfeindlichkeit, Antisemitismus, Diskriminierung und Hasskommentare im Netz vorgehen. ({3}) Doch das, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU/CSU, wollen wir auf einer rechtssicheren Grundlage machen. Das ist der Grund, warum die Freien Demokraten zu dem nächsten Tagesordnungspunkt heute einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt haben, der wieder die richtige Balance zwischen dem Rechtsstaat auf der einen Seite und den Möglichkeiten des Eingriffs auf der anderen Seite herstellt. ({4}) Denn für uns ist klar: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das Sie gerade in einem nochmaligen kurzfristigen Zusammenfinden der Großen Koalition so gefeiert haben, ist ein schlecht gemachtes Gesetz, ({5}) für das es keine Gesetzgebungskompetenz gibt – jedenfalls nicht auf Bundesebene – und das die Meinungsäußerungsfreiheit, die Informationsfreiheit, die Rundfunkfreiheit und die Pressefreiheit verletzt, indem es den Betreibern privater Plattformen weitreichende Entscheidungsbefugnisse gibt. ({6}) – Im Hinblick auf den Eingriff durch Löschen und Sperren, Herr Kollege Fechner. – Das ist eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung, die nichts mehr mit unserem Rechtsstaatsprinzip zu tun hat. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ehrhorn von der AfD?

Nicola Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004668, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Bitte schön.

Thomas Ehrhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004707, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Verehrte Kollegin, sind Sie wirklich der Meinung, dass wir dem Rechtsstaat und der demokratischen Meinungsfreiheit einen Gefallen tun, wenn wir es zulassen, dass juristisch definierte Begriffe wie „Beleidigung“ und „Verleumdung“ ersetzt werden durch völlig undefinierte Begriffe wie „Hate Speech“ und „Fake News“? Sind Sie weiter der Meinung, dass es zu verantworten ist, dass wir eine solche juristische Beurteilung nun tatsächlich Mitarbeitern von Facebook und Twitter übertragen?

Nicola Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004668, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Kollege, genau solche Begriffe werden Sie deswegen in dem heute hier vorliegenden Vorschlag der Freien Demokraten nicht finden. ({0}) Wir setzen am bestehenden Rechtsrahmen an. Wir setzen an der bestehenden Gesetzgebungskompetenz an, die hier zwischen Bund und Ländern gesplittet ist, und wir wollen ein verfassungskonformes System, das trotzdem die Bürgerrechte gegen Beleidigung, gegen Diskriminierung auch im Netz durchsetzt. ({1}) Dazu gehört eben auch – deswegen ist es so wichtig –, heute hier das Netz-DG aufzuheben und durch die von den Freien Demokraten vorgeschlagene Regelung zu ersetzen. Dazu gehört eben auch, dass die Feststellung, ob eine Meinungsäußerung noch Satire ist, ob sie zwar geschmacklos, aber im Sinne unserer Meinungsfreiheit zu ertragen ist oder ob sie, Herr Kollege Fechner, schon die Grenze der Strafbarkeit überschreitet, ob sie eine Beleidigung, eine Verleumdung oder vielleicht sogar Volksverhetzung ist, Privaten nicht zur Entscheidung überlassen wird. ({2}) Das ist allein Sache der dazu berufenen Behörden. Das ist Sache von Polizei und Justiz in unserem Rechtsstaat. Genau dieses System müssen wir wiederherstellen. Dazu werden wir Polizei und Justiz besser ausstatten müssen; denn, ja, es ist schwieriger geworden, hier hinterherzukommen. Ja, in der Zeit der sozialen Netzwerke verbreiten sich solche Äußerungen sehr schnell, sie verbreiten sich sehr weit, und sie halten sich auch hartnäckig. Doch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, sehr geehrte Kollegen von SPD und CDU/CSU, wird dem Anspruch nicht gerecht; es ist sogar gefährlich. Denn mit seiner Kombination aus Löschungsverpflichtung und Bußgeldbedrohung führt es zur Umkehrung des bisherigen Prinzips. Früher hieß es: „Im Zweifel für die Freiheit.“ Reden Sie einmal mit den Plattformbetreibern – mittlerweile heißt es: „Im Zweifel löschen.“ Genau das greift in Bürgerrechte ein. ({3}) Genau deswegen muss dieses Gesetz aufgehoben werden. Wir Freie Demokraten legen Ihnen einen eigenen Vorschlag vor; denn die Lücke, die die AfD schaffen will – da tun Sie uns mit der Debatte, wie Sie sie hier führen, keinen Gefallen –, lehnen wir ab; aber leider ist auch der Gesetzentwurf der Linksfraktion nicht geeignet. Sie wollen Auskunftsansprüche streichen, die wir dringend brauchen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, es gibt den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage. Lassen Sie sie zu?

Nicola Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004668, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich hätte zwar den Gedanken jetzt gern erst zu Ende geführt, aber bitte schön.

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Kollegin, ich wollte Ihnen die Frage stellen, inwiefern sich Ihr Beitrag eigentlich vom Beitrag der AfD-Fraktion unterscheidet. Ich glaube, eins zu eins wurde das hier gerade schon einmal vorgebracht.

Nicola Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004668, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wer aufmerksam zuhört, der hört auch die Unterschiede. Vielleicht legen Sie einfach unseren Gesetzentwurf neben den Ihren; dann sehen Sie die Unterschiede. ({0}) Ich erkläre zum Schluss, dass wir der Meinung sind, dass es die überflüssigen Berichtspflichten, die Sie als Linkspartei festschreiben wollen, in dieser Form nicht braucht. Gleichzeitig fußt das von Ihnen beschriebene Beschwerdeverfahren nicht auf einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Deshalb noch einmal: Wir werden nachher die Gelegenheit haben, den FDP-Vorschlag zu diskutieren. Er ist die richtige Lösung. Er findet die richtige Balance. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag: Anke Domscheit-Berg von der Fraktion Die Linke. ({0})

Anke Domscheit-Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004703, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Als Netzaktivistin habe auch ich große Probleme mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz; dennoch kommen wir als Linksfraktion zu ganz anderen Schlussfolgerungen als AfD und FDP, die die vollständige Abschaffung des Gesetzes fordern. Ich möchte unsere Kritikpunkte kurz ansprechen: Wir sehen immer noch die Gefahr der Privatisierung der Rechtsdurchsetzung; denn auch eine regulierte Selbstregulierung ist kein Bestandteil der deutschen Justiz. Hinsichtlich der behaupteten Neutralität dieses Gremiums würde ich schon gern wissen, wer eigentlich bestimmt, welche Mitglieder darin sitzen, wer sie bezahlt und wer es kontrolliert. ({0}) Wir sehen weiterhin, nach wie vor, auch das Risiko der Einschränkung der Meinungsfreiheit durch die Gefahr des Overblocking. Es ist schlicht auch eine Frage der Größenordnungen. Facebook hat 31 Millionen aktive Nutzer in Deutschland. Als profitorientiertes Unternehmen hat es da genau zwei Möglichkeiten, das Problem von Meldungen zu lösen: Entweder entscheidet Software, eine künstliche Intelligenz, oder es entscheiden schlechtbezahlte Menschen mit minderer juristischer Qualifikation, und zwar im Akkord. Beides muss zwangsläufig zu Overblocking führen, zum Löschen von Inhalten, die überhaupt nicht gemeint waren. Wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz mit seinen schwammigen Formulierungen hat auch der Gesetzentwurf der AfD sehr starke handwerkliche Fehler; denn er fordert die Zurücksetzung des Telemediengesetzes auf den Stand vom 30. September und würde damit durch die Hintertür die Abschaffung der Störerhaftung rückgängig machen. Offene WLANs wären dann wieder von Abmahnungen bedroht, und das will echt keiner. ({1}) Wir halten das Gesetz aber auch für ineffektiv; denn zum Beispiel auf der russischen Plattform VKontakte gibt es schon seit 2013 für den – Selbstbeschreibung – „Fall der Fälle“ eine offizielle Gruppe der AfD, deren User angeben, dass sie wegen Sperrungen auf Facebook dort sind. Bleibt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in seiner Fassung unverändert, wird dort bald sehr viel mehr los sein; denn das Netzwerkdurchsetzungsgesetz greift dort und auf anderen Plattformen nicht. Der Hass zieht einfach um. ({2}) Das Gesetz ist außerdem ein Ablenkungsmanöver; es soll von staatlichem Versagen ablenken. Ich zitiere aus einer Hassnachricht an mich: Du Fischvotze! Lass Dich vom Nigger totficken und Deine Familie gleich mit. Unwertes Leben wie Dich braucht niemand. Ich hatte sie vor über einem Jahr angezeigt – ohne Ergebnis. Als Feministin mit linkem Wertegerüst fühle ich mich als Freiwild, weil Justiz und Ermittlungsbehörden flächendeckend versagen – nicht weil ein Posting nicht schnell genug gelöscht worden ist. Ich vermisse eine Initiative der Bundesregierung zur Aufstockung und Ausbildung von Personal bei Ermittlungsbehörden. An effektiverer Strafverfolgung hat die AfD jedenfalls kein Interesse; sonst stünde dazu etwas in ihrem Gesetzentwurf, und sonst hätte ihr allseits berüchtigter Spitzenpolitiker Höcke nicht in einer internen Mail von 2015 die Legalisierung folgender Straftatbestände gefordert: Volksverhetzung, Aufruf zur Gewalt, Verbreitung von Propagandamitteln verbotener Parteien und das Leugnen der Verbrechen des Nationalsozialismus. Die AfD hängt sich ein liberales Deckmäntelchen um, damit Hass im Netz weiter wirkt. ({3}) Deshalb bitte ich Sie um Ablehnung des Gesetzentwurfs der AfD und um Zustimmung für den alternativen Vorschlag der Linksfraktion, der die schädlichen und ineffektiven Bestandteile des NetzDG wie genaue Löschvorgaben und damit verbundene Bußgelder aufhebt, alle sinnvollen Bestandteile wie Benennung zustellfähiger Ansprechpartner sowie Berichts- und Beschwerdeprozesse aber beibehält, was die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben erleichtert, ohne Grundrechte zu verletzen. Lassen Sie uns zusätzlich demokratische Kräfte und politische Bildung stärken und mit der Zivilgesellschaft nach Lösungen suchen, die dazu beitragen, dem Hass in unserer Gesellschaft den Boden zu entziehen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächste Rednerin ist dann die Kollegin Tabea Rößner von Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren, insbesondere von der AfD! In Ihrem Gesetzentwurf schreiben Sie sich auf die Fahne, den Widerstreit der Meinungen in der öffentlichen Debatte erhalten zu wollen. Das ist von der Zielsetzung her genauso löblich wie bemerkenswert; denn ich kenne keine andere Partei, die in den vergangenen Jahren so häufig vor Gericht gezogen ist, um gegen Meinungsäußerungen vorzugehen, wie die Ihre – übrigens meist erfolglos, und das ist auch gut so. ({0}) Ansonsten entnehme ich weder Ihrem Gesetzentwurf noch Ihrer Rede eine sachliche Auseinandersetzung mit dieser komplexen Materie. Sie sind einfach nur dagegen. Lösungen schlagen Sie nicht vor. Dabei sind Sie doch angetreten, um zu gestalten. Wir haben in der letzten Legislaturperiode in der Tat heftig über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gestritten. Manches an diesem Gesetz ist zu kritisieren: ({1}) das überstürzte Gesetzgebungsverfahren, das Wegschieben umfassender rechtlicher und verfassungsrechtlicher Bedenken. Das alles hat meine Fraktion benannt. Wir haben aber auch darauf hingewiesen, wie eine sinnvolle Regulierung aussehen könnte. Wir wollen die viel zu kurzen Löschfristen, unbestimmten Rechtsbegriffe und fehlende Verfahrensregeln angehen, die Overblocking in Kauf nehmen. Es fehlt ein Put-back-Verfahren zum Wiedereinstellen unrechtmäßig gelöschter Inhalte. Die regulierte Selbstregulierung muss genauer herausgearbeitet werden. Die Staatsferne bei der Aufsicht muss gewährleistet werden. ({2}) Die Linke stellt sich anders auf und bringt einige konstruktive Vorschläge ein. Zumindest werden hier die guten Ansätze des Gesetzes erhalten wie die Bußgelder und der Zustellungsbevollmächtigte, der am Ende zum Glück noch eingeführt wurde. Bei aller Kritik steht doch eines fest: Auf eine Regulierung zu verzichten, bedeutet nicht, Meinungsfreiheit zu erhalten und sachliche Debatten zu fördern. Gegen Verleumdung und Volksverhetzung vorzugehen, ist daher keine Zensur, sondern ein Beitrag zur Zivilisierung des Netzes. ({3}) Sind es nicht gerade Sie, die immer schnell nach Sicherheit und Ordnung rufen? Sie wollen auf gar keinen Fall rechtsfreie Räume entstehen lassen. Aber in digitalen Räumen wollen Sie nicht einmal Mindestvoraussetzungen für die Einhaltung rechtlicher Regeln. Das bedeutet, dass im Netz strafbare Äußerungen weiter kursieren können, dass Posts, in denen zu Gewalt gegen Personen – einschließlich der Veröffentlichung ihrer Adressen – aufgerufen wird, nicht gelöscht werden müssen. Das ist unverantwortlich. ({4}) Als Abgeordnete des Deutschen Bundestags haben wir die Verantwortung, Lösungen für dringende und komplexe Probleme zu finden. Aber mehr als ein bloßes Nein wollen oder können Sie offensichtlich nicht liefern. Da fällt es Ihnen schon leichter, undifferenziert auf das vorgebliche Meinungskartell der öffentlich-rechtlichen Sender und Zeitungsverlage einzuschlagen. Bei aller Kritik, die im Einzelnen an diesen Medien geäußert werden kann, sollte eines nicht vergessen werden: Qualitätsjournalismus ist eines der Bollwerke gegen Irrationalität und Verrohung des öffentlichen Diskurses. Er verdient unsere kritische, aber konstruktive Begleitung. ({5}) Genauso wie der Staat die Erfüllung der Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gewährleisten muss, ist er verpflichtet, die sozialen Netzwerke in die Rechtsordnung des freiheitlichen Rechtsstaates einzubinden. Dieses Feld komplexer Abwägungen taugt übrigens nicht zur populistischen Profilierung durch wen auch immer. Eine Regulierung, die noch überwiegend aus der analogen Welt stammt, muss gut durchdacht in die digitale Welt transformiert werden. Dabei geht es um den Erhalt von Meinungsfreiheit und um Regeln, die einen demokratischen Meinungsbildungsprozess erst ermöglichen. Es geht um eine offene und pluralistische Debatte in unserer Gesellschaft, angetrieben durch Menschen, die auf Augenhöhe und sachlich miteinander kommunizieren. Lügen und strafbare Äußerungen, deren unzähliges Verbreiten und Teilen – das kann Menschen zerstören – müssen bekämpft werden, ohne den Diskurs abzuwürgen. Das ist eine schwierige Aufgabe, die verlangt, Verantwortung für das Ringen um verhältnismäßige Lösungen zu übernehmen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächster Redner ist Thomas Jarzombek von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Jarzombek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004061, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass man nun im Deutschen Bundestag über manches diskutieren kann, was bisher als Mythos und Legende durch die sozialen Medien wabert. Bevor wir das Netzwerkdurchsetzungsgesetz beschlossen haben, haben wir dazu eine Anhörung im Rechtsausschuss durchgeführt. Diese Anhörung im Rechtsausschuss wurde ja heute schon von den Antragstellern erwähnt. Bei dieser Anhörung haben alle Praktiker aus der Justiz – das unterscheidet auch die Gesetzentwürfe, die die FDP und die Linkspartei eingebracht haben, von dem der AfD – deutlich gemacht, dass die Durchsetzung deutschen Rechts gegenüber amerikanischen sozialen Plattformen kaum möglich ist. Warum? Weil diese Unternehmen ihren Sitz nicht in Deutschland haben und es überhaupt keinen Zustellungsbevollmächtigten dieser Unternehmen in Deutschland gibt. Deshalb ist eines der Module des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, dass wir Unternehmen wie Facebook und andere dazu zwingen, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen; denn die Praktiker aus Polizei und Justiz sagen uns: All das, was man bisher an Durchsetzung von deutschem Recht vornehmen möchte, geht nur über ein Rechtshilfeersuchen an Irland ({0}) mit einem unendlichen Papierkrieg und mit monatelangem Gehampel. Was ich interessant finde, ist, dass die Partei, die sich vermeintlich für Recht und Gesetz ausspricht, als einzige Partei im Deutschen Bundestag heute einen Gesetzentwurf vorlegt, laut dem diese Unternehmen keinen inländischen Zustellungsbevollmächtigten mehr haben sollen, damit also nicht mehr deutschem Recht und Gesetz unterliegen würden. Das müssen Sie Ihren Wählern einmal erklären. Ich jedenfalls verstehe es nicht. ({1}) – Nein, das ist nichts anderes. Sie müssen sich überlegen – Sie sind hier nicht in einem Schülerparlament, sondern im Deutschen Bundestag –, was genau Sie hier beantragen. ({2}) Ihr Gesetzentwurf verrät Sie; denn das, was Sie fordern, heißt, dass diejenigen, die möglicherweise mit Ihnen sympathisieren und nicht wissen, wo die Grenzen des Rechtsstaates sind, künftig keinerlei Sanktionen unterliegen und am Ende sich nicht mehr deutschen Gerichten und Staatsanwälten stellen müssen. Das darf nicht passieren. ({3}) In der Sache kann man sehr unterschiedlicher Meinung sein, ob dieses Gesetz richtig oder falsch ist. Das Interessante jedoch ist: Es gilt noch gar nicht; es wird ja erst ab 1. Januar tatsächlich wirken. Und wenn das ganze Gesetz wirkt, dann werden wir einmal schauen, was am Ende daraus wird. Es ist aber auch kein Geheimnis, dass es zwischen der Union und der SPD durchaus unterschiedliche Sichtweisen bei der Verhandlung darüber gab. ({4}) Die SPD wollte, dass am Ende Unternehmen möglichst viel dazu beitragen, dass gelöscht wird. Wir wollten eine Selbstregulierung nach dem Vorbild zum Beispiel von Computerspielen, bei der unabhängige Leute Entscheidungen treffen und nicht die Unternehmen selbst. ({5}) Wir haben uns auf einen Kompromiss verständigt, der Anreize zur regulierten Selbstregulierung beinhaltet. Leider nutzt Facebook nicht die Möglichkeit, sich des Vorwurfes zu erwehren, dass sie selber im Zweifelsfall lieber löschen, als das Prinzip zu akzeptieren, dass auch unbequeme Meinungen gepostet werden. Ich sage deshalb nur, insbesondere an FDP und Grüne gerichtet: Wir hätten hier eine schöne Novelle des Gesetzes machen können. ({6}) Wir hätten zum Beispiel an das anknüpfen können, was in §§ 30 ff. des Rundfunkstaatsvertrages steht, nämlich dass der, der eine besonders große Meinungsmacht hat, auch Vielfalt zulassen muss. Dazu könnte auch ein Rechtsanspruch auf Darstellung gehören. Ich gebe aber die Hoffnung noch nicht auf und freue mich auf die weiteren Diskussionen zum Thema. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Sie bemerkt haben, hat die Sitzungsleitung gewechselt. Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich gerne der Kollegin Petra Nicolaisen aus Schleswig-Holstein zu ihrem heutigen Geburtstag herzlich gratulieren. ({0}) Als Nächstes: Thomas Jarzombek, CDU/CSU. ({1}) – Das ist ja schön; der Kollege vor mir hatte den Namen nicht durchgestrichen. Ich bitte vielmals um Entschuldigung. – Als Nächstes: Dr. Jens Zimmermann, SPD. ({2})

Dr. Jens Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004603, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist auf jeden Fall – das kann man, glaube ich, feststellen – eine muntere Debatte. Das ist gut für den Bundestag, weil die Thematik, die wir beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz diskutieren, ja keinesfalls erledigt ist. Es ist eben schon einmal kurz angeklungen – wenn Thomas Jarzombek nochmals vier Minuten gehabt hätte, hätte er dazu vielleicht noch mehr sagen können –, dass wir bisher noch gar keine Erfahrungswerte haben, weil die Übergangsfrist erst am 1. Januar beendet ist. Deswegen ist es wichtig, dass wir sehr genau schauen, wie dieses Gesetz Anwendung findet. Aber die heute hier eingebrachten Gesetzentwürfe zur Abschaffung bzw. Änderung sind an dieser Stelle doch ein bisschen schwierig. Das hat man in der Debatte auch gespürt. Vor allem die Argumente von der rechten Seite waren doch ein bisschen flach. Wenn wir über dieses Gesetz diskutieren, müssen wir auch einmal in die Historie schauen und uns fragen: Was hat den Deutschen Bundestag in der letzten Legislaturperiode eigentlich dazu gebracht, dieses Gesetz genau so zu verabschieden? ({0}) Seinerzeit hatten wir einen ganz großen Vorlauf. Wir haben mit den Unternehmen zusammengesessen. Es gab viele Appelle, freiwillig entsprechend tätig zu werden. Jeder, der sich bei Facebook, Twitter und Co anmeldet, akzeptiert dort auch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Gegen das, was Sie dort alles akzeptieren, ist das, was wir hier von rechtlicher Seite vorgesehen haben, ein Kindergeburtstag; denn dort akzeptieren Sie unter anderem auch ein amerikanisches Weltbild. Noch etwas Weiteres haben wir festgestellt. Bei einer Anhörung im Ausschuss Digitale Agenda war die Vertreterin von Facebook nicht einmal in der Lage bzw. willens, uns, dem Deutschen Bundestag, mitzuteilen, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eigentlich diese Beschwerden bearbeiten. Damit kommen wir auch ein bisschen zu dem Hintergrund der Kritik, die vonseiten der Unternehmen erhoben wird. Es sind große, mittlerweile multinationale amerikanische Konzerne, die vor allem ein Interesse haben: möglichst viel Geld zu verdienen. Wenn sie, wie jetzt, ein vernünftiges Beschwerdemanagement einführen müssen, verringert das zunächst einmal den Gewinn; denn sie müssen Mitarbeiterstellen schaffen. Das ist das Ergebnis dieses Gesetzes. Ich halte das für ein sehr gutes Ergebnis, meine Damen und Herren. ({1}) Außerdem meine ich, dass es gut gewesen wäre, der oder die eine oder andere hätte vor dieser Debatte einmal in das Gesetz geschaut. Das soll ja manchmal helfen. Hier wird viel erzählt, was alles darin stände. Wenn man das Gesetz zur Hand nimmt, stellt man aber fest, dass darin nichts von Hate Speech steht. Für die ganzen unbestimmten Rechtsbegriffe, die hier in die Debatte eingeführt wurden, würde ich gerne einmal die Fundstellen im Gesetz sehen. Man hat sie explizit nicht hineingeschrieben. Das muss man in dieser Debatte auch einmal klarstellen. Denn sonst werden hier Mythen erzeugt, die das Gesetz überhaupt nicht hergibt, meine Damen und Herren. ({2}) Abschließend: Es ist auch für die Bürgerinnen und Bürger wichtig, zu verstehen, dass es sich um ein Durchsetzungsgesetz handelt. Wir haben hier keine neuen Rechtstatbestände dahin gehend geschaffen, was sie online äußern dürfen und was nicht oder was ein rechtswidriger Inhalt ist und was nicht. Daran hat sich überhaupt nichts geändert. Es ist wichtig, das einmal zur Kenntnis zu nehmen. ({3}) Denn hier wird so getan, als hätte der Bundestag in der letzten Legislaturperiode an dieser Stelle etwas beschlossen, was es noch nicht gab. Auf jeden Fall hat jeder – und das sollte sich jeder von uns klarmachen – die Möglichkeit, wenn er Schrott gepostet hat, diesen selbst wieder zu löschen. Wenn ich mich morgens um halb neun in den leeren Bundestag stelle und ein Foto von den leeren Reihen der anderen Fraktionen mache, kann ich dieses Bild, wenn ich es gepostet habe und erkenne, dass das vielleicht doch keine gute Idee war, auch selbst wieder herausnehmen. Das ist doch etwas, was uns alle versöhnen sollte. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Zimmermann. – Als letzter Redner in der Debatte: der Kollege Alexander Hoffmann, CDU/CSU. ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! An Sie von der AfD: Ich fand Ihre Standing Ovations bei der ersten Rede durchaus beeindruckend. Es hat mich beeindruckt, zu sehen, mit was für einem dünnen Sachvortrag man bei Ihnen Begeisterungsstürme auslösen kann. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, dass ich für das ganze Haus spreche, wenn ich sage, dass wir es uns im Sommer 2017 bei den Beratungen zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz beileibe nicht leicht gemacht haben. Gleich die allererste Frage, die wir aufgeworfen haben, war: Gibt es in diesem Bereich Regelungsbedarf? Wir waren uns fraktionsübergreifend einig, dass es uns am liebsten gewesen wäre, wenn diese Regelungen von den Unternehmen, von den Plattformanbietern selbst vorgenommen worden wären. Wir alle waren uns darüber einig, dass es – und das macht das Thema so wahnsinnig schwierig – am Ende um das Auflösen eines Spannungsverhältnisses geht: Auf der einen Seite steht das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung, und auf der anderen Seite stehen andere Grundrechte wie zum Beispiel das Grundrecht auf Persönlichkeitsschutz. Mit Ihrem Entwurf geben Sie heute zu erkennen: Es gibt keinen Regelungsbedarf. Wenn man aber ins Netz schaut, stellt man fest, dass man das auch anders beurteilen kann. – Herr Präsident, Sie gestatten, dass ich dazu einen Dialog zum Besten gebe, wie man ihn auf Facebook findet. – Da schreibt jemand über eine Person des öffentlichen Lebens in Deutschland – ich zitiere –: Warum wird dieses Biest nicht gesteinigt? So eine hat doch null Charakter. Für Geld und Macht verkauft die sich doch zur Not auch selbst. – Ein anderer schreibt: Kann der Alten nicht irgendjemand in den Kopf schießen? Diese Beispiele zeigen sehr deutlich, dass Ihr Entwurf mit drei Denkfehlern behaftet ist. Erstens. Aussagen dieser Art sind nicht vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung umfasst, ({1}) weil dieses Grundrecht eben nicht schrankenlos gewährt ist, sondern es an der Stelle beschränkt wird, wo es Grundrechte anderer tangiert, wie hier das Grundrecht auf Persönlichkeit. Der zweite Denkfehler ist, dass es keine Regulierung durch Facebook und Co gibt, die wir uns sehr wohl gewünscht hätten. Beide Kommentare wurden an Facebook gemeldet. Ich kann Ihnen die Antwort von Facebook vorlesen. Sie lautet: Wir haben den von dir im Hinblick auf Verherrlichung drastischer Gewalt gemeldeten Kommentar geprüft und festgestellt, dass er nicht gegen unsere Gemeinschaftsstandards verstößt. Damit bin ich beim dritten Denkfehler. Bereits heute – es ist schon angeklungen – reguliert und zensiert Facebook nach Maßstäben, die wir nicht kennen, die nicht transparent sind und die in ihren Gemeinschaftsstandards versteckt sind. Ich habe von Ihnen noch an keiner Stelle irgendein kritisches Wort dazu gehört oder dass Sie gesagt haben: Das müssen wir jetzt unterbinden.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Frohnmaier, AfD?

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, aber mit ganz großem Vergnügen. ({0})

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Kollege, machen Sie das eigentlich mit Absicht? Immer wieder wird hier wiederholt, dass die AfD rechtsfreie Räume im Internet will. Das stimmt doch gar nicht. Hätten Sie uns zugehört, dann wäre Ihnen klar geworden, dass wir einfach nur sagen, dass so etwas in Gerichte gehört und nicht an private Unternehmen übertragen werden soll. Das, was Sie hier gerade machen, sind doch Live Fake News. ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie geben mir schon das Stichwort „Fake News“. Dazu wollte ich gleich etwas sagen. Aber jetzt ganz kurz zu Ihnen: Es ist ein Unterschied, ob eine Aussage, die justiziabel ist, in einem Zwiegespräch gemacht wird oder ob diese Aussage oder sogar Bilder ins Netz gestellt werden, wo sie sofort um die ganze Welt eilen. Es gibt ein Beispiel von einer 15-Jährigen, die auf einer Party vergewaltigt worden ist. Das Video ist ins Internet gestellt worden und hat sich über die ganze Welt verteilt. Das Mädchen hat nie wieder einen Fuß auf den Boden bekommen, wurde drogenabhängig und hat sich irgendwann das Leben genommen. Es gibt ein weiteres Beispiel von einem Mädchen, das mit zwölf Jahren Opfer von Cybergrooming geworden ist, das heißt, sie hat sich dazu verleiten lassen, einem fremden Mann Nacktbilder von sich zu schicken. Auch diese Bilder standen dann im Netz. Damit ist sie erpresst worden. ({0}) Drei Jahre später, nach Drogenabhängigkeit, hat sich dieses Mädchen das Leben genommen. Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen, aber das zeigt sehr schön den Unterschied. ({1}) – Das ist doch genau die Antwort. – Es ist wichtig, zu sehen, dass eine Äußerung im Internet, ein Bild, das ins Internet gestellt wird, von den Auswirkungen und von den Dimensionen her eine ganz andere Größenordnung hat als eine Äußerung in einem Zwiegespräch. ({2}) Am Ende wischen Sie das alles – das, was ich zitiert habe, die beiden Beispielsfälle, die ich gebracht habe – weg, und das aus einem einzigen Grund: weil das die Mittel Ihrer politischen Arbeit sind. Sie arbeiten mit Fake News, Sie arbeiten mit alternativen Fakten, und Sie arbeiten mit Agitationen, ({3}) wo es nur um eines geht: die Ängste der Menschen in unserem Land zu schüren. Dieser Agitation steht dieses Gesetz im Weg, und das ist auch gut so. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank. – Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 19/81 und 19/218 an den Hauptausschuss vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das sehe ich nicht. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der erste Gesetzentwurf der Freien Demokraten in dieser 19. Wahlperiode ist nicht zufällig ein Bürgerrechtestärkungs-Gesetz, sondern definiert eines der Kernanliegen der Freien Demokraten, an dem sich nichts geändert hat. Deswegen wollen wir uns mit einem Gesetz zur Stärkung der Bürgerrechte in diesem Hohen Haus nach vierjähriger Abwesenheit zurückmelden. ({0}) Die Sicherheitspolitik der letzten Jahre war geprägt von Angst – Angst vor Terror, Kriminalität, Bedrohung. Die Antwort darauf war viel zu oft: minimale Sicherheitsgewinne gegen maximale Einschränkungen bürgerlicher Rechte. Wir Freien Demokraten wollen eine Trendwende einleiten. Auch wir – auch ich – haben ein Verhältnis zur Sicherheit, aber wir wollen maximale Sicherheitsgewinne bei minimalen Eingriffen in bürgerliche Freiheitsrechte. ({1}) Wir wollen das Minimaxprinzip wieder vom Kopf auf die Füße stellen, und das macht den Unterschied. So sieht unser Gesetzentwurf eine Aufhebung der anlasslosen, flächendeckenden Vorratsdatenspeicherung vor, die eben keinen maximalen Sicherheitsgewinn bringt, sondern nur der Anlass zur Erhebung von mehr Daten bei unbescholtenen Bürgern ist und nur eine Scheinsicherheit auslöst. Im Augenblick stellt das sogar überhaupt keinen Sicherheitsgewinn dar, weil 2010 das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig und 2014 sowie 2016 der EuGH sie für europarechtswidrig erklärt hat und nun, 2017, ein Oberverwaltungsgericht, das OVG Münster, die VDS ausgesetzt hat. Die Bundesregierung nimmt es hin, dass die Vorratsdatenspeicherung unanwendbar bleibt und vermutlich irgendwann einmal, in einigen Jahren, wiederum von Karlsruhe oder vom EuGH wiederholt wird, dass schon irgendein Anlass bestehen muss, um Daten zu erheben und zu speichern. Da wäre es doch klüger und geschickter und ein effektiverer Sicherheitsgewinn, wenn der Gesetzgeber selbst die anlasslose Vorratsdatenspeicherung aufhöbe und den Weg frei machte für eine anlassbezogene Datenspeicherung, und zwar dort, wo echte Gefahr besteht: bei Gefährdern und gefährlichen Straftätern. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Thomae, erlauben Sie mir kurz eine Intervention. – Ich würde dringend darum bitten, dass die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion in der ersten und zweiten Reihe die Gespräche einstellen, während der Redner hier vorne redet. ({0})

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Und mir zuhörten. – Danke schön. Neben der Vorratsdatenspeicherung halten wir auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, ein Gesetz, das mit heißer Nadel gestrickt ist, auf den letzten Metern der 18. Wahlperiode auf den Weg geschoben, regelrecht durchgezogen wurde, für verfassungswidrig und europarechtswidrig. Denn die Regulierung der Telemedien fällt im Wesentlichen nicht in die Gesetzgebung des Bundes, sondern wäre Gegenstand eines Staatsvertrages der Länder. Es gibt zwar durchaus einige Inhalte des NetzDG, die auch wir Liberale teilen, zum Beispiel Auskunftsansprüche Betroffener. Es gibt aber auch Dinge, die wir extrem kritisch sehen, nämlich insbesondere die Verlagerung der schwierigen rechtlichen Frage der Rechtswidrigkeit von Meinungsäußerungen in die Entscheidungszuständigkeit privater Unternehmen. ({0}) Denn wenn private Unternehmen unter Androhung empfindlicher Bußgelder innerhalb enger und starrer Fristen entscheiden müssen, ob ein Inhalt als rechtswidrig einzustufen ist und gelöscht werden soll, dann wird man im Zweifel nicht für die Meinungsfreiheit kämpfen und eintreten, sondern ihn sicherheitshalber einfach löschen. Und das ist bitte schön keine Kleinigkeit, sondern ein empfindlicher Grundrechtseingriff. ({1}) Es gibt aber durchaus einen Punkt, den wir sehr befürworten – Kollege Jarzombek sprach ihn im letzten Tagesordnungspunkt an –, nämlich die Regelung hinsichtlich des Zustellungsbevollmächtigten. Denn das ist eine Frage der ZPO; da sehen wir eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Das ist auch wichtig, weil, wie schon ausgeführt, inländische Betroffene einen inländischen Ansprechpartner brauchen. Für alles andere gibt es noch nicht einmal eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Ja – damit will ich zum Schluss kommen, Herr Präsident –, das Problem einer zunehmenden Verrohung und zuweilen auch Rechtsverachtung im Netz sehen wir wohl. Das muss man angehen. Aber auch dabei muss man sich an die Regeln und die Gesetzgebungskompetenzen halten. Wenn noch nicht einmal eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes besteht, dann halten wir eine Privatisierung von Grundrechtseingriffen wie die Löschung von Meinungsäußerungen für nicht hinnehmbar. Deswegen bitten wir Sie, die Überweisung dieses Gesetzentwurfes zu beschließen. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Thomae. – Als Nächstes für die Fraktion der CDU/CSU: die Kollegin Winkelmeier-Becker. ({0})

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Man hat den Eindruck, dass sich die kleinen Parteien rechts und links der Mitte dieses Hohen Hauses übertrumpfen wollen, was den stärksten Ausschlag angeht. Lieber Kollege Stephan Thomae, man hört ein bisschen heraus, dass es hier vor allem um Symbolik geht ({0}) und dass ihr euch sehr stark selbst unter Druck setzt, hier irgendetwas zu liefern, egal ob es dürftig ist oder inhaltlich etwas bringt. Ihr beginnt den Gesetzentwurf mit der Behauptung, dass Freiheit und Rechte der Bürger zugunsten der Sicherheit unverhältnismäßig eingeschränkt worden seien. Richtig ist sicherlich, dass Sicherheit und Freiheit in einem Spannungsverhältnis stehen. Ein Zuviel an Sicherheit kann auf Kosten der Freiheit gehen. Es gibt aber auch einen anderen Zusammenhang: Freiheit und Sicherheit bedingen sich gegenseitig. Freiheit ohne Sicherheit ist nichts wert. Wenn ich die Freiheit habe, aus dem Haus zu gehen, aber befürchten muss, dass in der Zeit ein Einbruch geschieht oder ich einem Raub zum Opfer falle, dann ist die Freiheit nicht so viel wert. ({1}) Das heißt, es geht um ein ausgewogenes Verhältnis von Freiheit und Sicherheit. ({2}) Ob diese in der Balance sind, wird von der FDP infrage gestellt. Wenn ich im Wahlkreis unterwegs bin, höre ich das eher andersherum. Mir wird eher gesagt, dass die Sicherheit zu kurz kommt. Wenn ich die Bürger frage: „Was liegt euch am Herzen?“, dann höre ich eher die Sorge, dass es Einbruchdiebstähle gibt, dass der Enkeltrick angewendet wird. ({3}) Denn dadurch entstehen Schäden, die weit über den materiellen Verlust hinausgehen. Die Leute sind zutiefst verunsichert und fühlen sich in der eigenen Wohnung nicht mehr sicher. Es gehört zu den ureigenen Aufgaben des Staates, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen, ({4}) natürlich in der Balance mit der Freiheit. Aber hier finde ich es schon bedenklich, dass Sie die Gefahren, die den Bürgern durch Kriminalität, durch Terrorismus drohen, in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nicht erwähnen. Dass Sie ausgerechnet unseren demokratisch legitimierten Rechtsstaat als die größte Gefahr für die Bürger darstellen wollen, geht an der Sache klar vorbei. Liebe Kollegen, Sie formulieren hier – ich weiß nicht, ob bewusst oder unbewusst – sehr missverständlich, sehr ungenau in Ihrem Gesetzentwurf. Da heißt es: Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahren die Sammlung von Informationen über seine Bürgerinnen und Bürger immer mehr ausgeweitet. Hier entsteht ein Bild von großen Speichern im Keller des Innenministeriums – als würde der Staat Daten sammeln. Das ist doch nicht so. Der einzige Gegenstand des Gesetzes ist, dass wir regeln, dass die Daten dort, wo sie anfallen – bei den Anbietern, bei den Providern –, nicht unmittelbar gelöscht werden dürfen, sondern einige Wochen vorgehalten werden, nicht mehr und nicht weniger. Kein Staat geht hin und sammelt diese Daten. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der FDP-Fraktion?

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Bitte.

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, mir ist nicht ganz klar geworden – vielleicht können Sie das aufklären –, wodurch aus Ihrer Sicht bei der Anwendung des Enkeltricks bei älteren Menschen zu Hause die Vorratsdatenspeicherung präventiv oder auch später in der Strafverfolgung wirksam eingreifen kann. ({0}) Das wäre ein wertvoller Hinweis.

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie genau zugehört hätten, ({0}) hätten Sie mitbekommen, dass ich dieses Beispiel im Zusammenhang mit dem genannt habe, was den Bürgern auf dem Herzen liegt, und dass es bei der Balance von Freiheit und Sicherheit eher um diese Dinge geht. Denn die Bürger fragen mich: Wann tut der Staat etwas dagegen? Wieso ist der Staat da nicht durchsetzungsfähiger? In diesem Zusammenhang habe ich das gesagt. Wenn Sie das Gesetz lesen, dann sehen Sie, dass der Enkeltrick nicht zu den Straftaten gehört, bei denen auf Vorratsdaten zurückgegriffen werden kann. Das habe ich auch mit keinem Wort behauptet. ({1}) Wir kommen zurück zu den Daten, um die es geht. Es geht um Daten bei Festnetz- und Handynummern, wie sie auch für Rechnungszwecke der Anbieter gespeichert werden. Diese sollen bei den Anbietern für zehn Wochen gespeichert werden. Bei Daten aus Funkzellen – dies bezieht sich auf jeweils die Funkzelle, in der sich ein Mobiltelefon im Moment des Beginns der Verbindung befunden hat – sind es vier Wochen. Es werden keine Namen und keine Inhalte gespeichert. Und dies tut auch nicht der Staat, sondern der Vertragspartner, den sich die Kunden selber aussuchen. Sie wollen nun die Regelungen streichen, in denen den Anbietern die Speicherung vorgeschrieben wird. Sie haben aber nichts dagegen, dass Daten, die zu geschäftlichen Zwecken vorgehalten werden, der strafrechtlichen Verfolgung zugänglich gemacht werden. Das zeigt aus meiner Sicht, dass Sie selber nicht davon ausgehen, dass es um hochsensible Daten geht. Denn für die Bürger ist es doch egal, ob ihr Anbieter dies nun freiwillig oder wegen der Regelung der Mindestspeicherfrist tut. Hier ist der Eingriff in gleicher Weise zu bewerten. Das eine wollen Sie zulassen, das andere nicht. Das ist aus meiner Sicht nicht plausibel. Liebe Kollegen, mich hätte auch interessiert, welchen konkreten Schaden Sie bei Anwendung der Regeln sehen und welchen Missbrauch Sie sich da überhaupt vorstellen. Wir können einmal dahingestellt sein lassen, wie hochsensibel die Daten, um die es hier geht – zwei Telefone, die zu einem bestimmten Zeitpunkt miteinander in Verbindung waren –, eigentlich sind. Aber es ist doch so geregelt, dass niemand an diese Daten herankommt. Die Ausnahme sind die Staatsanwaltschaft und die Gerichte, wenn es um einen Fall schwerer Kriminalität geht. Ein Gericht muss vorher darüber entscheiden, und jeder Betroffene wird hinterher transparent informiert. Ich weiß wirklich nicht, wo an dieser Stelle ein Missbrauch möglich ist oder worin Sie den großen Schaden sehen. Ich glaube eher, viele meinen, bedroht zu sein und beobachtet zu werden, und wissen gar nicht, dass sie im Fall des Falles informiert würden. Im Umkehrschluss heißt das nämlich: Wer nicht darüber informiert wird, dass er betroffen war, der war auch niemals betroffen. Der muss sich damit abfinden, dass seine Daten niemanden interessiert haben. Viele nehmen sich da auch zu wichtig und halten sich für bedroht, obwohl überhaupt niemand ihre Daten haben will. Wir halten diese Mindestspeicherpflichten für erforderlich, weil sie wichtige Hinweise geben, die dabei helfen, Straftaten aufzuklären, Täter- und Bandenstrukturen zurückzuverfolgen oder auch Zeugen zu finden. Dabei steht nicht jeder automatisch selbst in Verdacht, sondern kann einfach derjenige sein, der in Kontakt mit einem Opfer oder einem möglichen Verdächtigen gestanden hat. Liebe FDP, noch ein Wort zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz, über das wir eben gesprochen haben. Ein paar Punkte bedürfen noch der Klarstellung. Wenn im Rahmen der regulierten Selbstregulierung die Fälle an eine Plattform abgegeben werden, dann besteht an dieser Stelle überhaupt kein Zeitdruck. Es geht nur um die Abgabe an die Plattform; diese muss innerhalb von sieben Tagen erfolgen. Aber wenn der entsprechende Fall einmal dort ist, gibt es überhaupt keinen Zeitdruck. Es gibt überhaupt kein Risiko, kein Bußgeld, das die Selbstregulierung nach sich ziehen könnte. Es gibt also an der Stelle auch überhaupt keine Beeinflussung. Es ist im Übrigen auch kein Präjudiz für eine spätere gerichtliche Entscheidung darüber, ob etwas strafbar ist. ({2}) Die Selbstregulierung führt doch nicht zu einer Entscheidung über die Strafbarkeit in dem Sinne, dass strafrechtliche Sanktionen verhängt werden können. Wir sehen durchaus positiv, dass der Gesetzentwurf vorsieht, einige Aspekte des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes zu erhalten. Wir wären an den Stellen für eine sinnvolle Weiterentwicklung offen. Der Richtervorbehalt und die hohen Kosten sind möglicherweise Punkte, die es für die Betroffenen unattraktiv machen, den Auskunftsanspruch geltend zu machen. Wir halten es aber für falsch, dass ihr euch von den Multis der Meinungsindustrie vor den Karren spannen lasst, wenn es darum geht, die Standards zu deregulieren. Wir glauben, es ist besser, dass wir bei dem bisherigen Standard bleiben. Wir lassen es besser, wie es ist. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Winkelmeier-Becker. Bevor ich den Kollegen Dr. Fechner aufrufe, möchte ich eine Unzulänglichkeit gestehen. Die überaus effiziente Bundestagsverwaltung hat mich darauf hingewiesen, dass aufgrund eines Präsidiumsbeschlusses aus dem Jahre 1967 nur runde Geburtstage und Geburtstage über 60 aufgerufen werden. Da vier weitere Personen im Hohen Hause Geburtstag haben – drei von der AfD, einer von der FDP –, gratuliere ich den Personen von hier aus recht herzlich persönlich. Ansonsten wird künftig so verfahren, wie 1967 beschlossen. ({0}) Herr Kollege Dr. Fechner, Sie haben für die SPD das Wort. ({1})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Liebe Geburtstagskinder! Wir haben eben schon intensiv über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz diskutiert. Insofern sei es auch in dieser Debatte, aber nur in Kürze gesagt: Weil es in den sozialen Netzwerken viel zu viel Hass und Hetze gibt, weil dort aufs Übelste beleidigt und bedroht wird – bis hin zum Mordaufruf –, können wir nicht zuschauen, wenn Bürgerinnen und Bürger in sozialen Netzwerken derart heftig und oft auf strafbare Weise angegriffen werden. Hier haben die sozialen Netzwerke eine Verantwortung, und es war richtig, dass wir in der vergangenen Legislaturperiode das Netzwerkdurchsetzungsgesetz beschlossen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dass nun ausgerechnet die FDP, genauso wie die AfD, wesentliche Teile dieses wichtigen Gesetzes abschaffen will, ist bemerkenswert. ({0}) Da befinden Sie sich nicht nur in schlechter Gesellschaft, sondern es verwundert auch, weil Sie ja einmal eine Partei waren, die sich für Bürgerrechte eingesetzt hat. ({1}) – Lang ist es her. – Mit Ihrer Initiative schützen Sie aber nicht die Bürgerrechte, sondern Sie verhindern, dass Bürgerinnen und Bürger vor Bedrohungen, vor Beleidigungen, vor Hetze und vor Hass geschützt werden. ({2}) Den Schutz, den wir gesetzlich normiert haben, wollen Sie abschaffen, und das geht nicht. Wenn soziale Netzwerke Milliardengewinne machen, dann ist es den entsprechenden Konzernen zumutbar, strafbare Inhalte zu löschen, ({3}) anstatt sie einfach stehen zu lassen und so unbehelligten Bürgerinnen und Bürgern zu schaden. Liebe Kollegen und Kolleginnen von der FDP, Sie weisen zu Recht darauf hin, dass die Betreiber von sozialen Netzwerken schon heute zu „Notice and take down“ verpflichtet sind. Das allein hat sich aber nicht als ausreichend erwiesen. Ich verweise auf die Berichte von jugendschutz.net, in denen die Defizite ganz klar benannt werden. Insofern haben wir eine vernünftige Regelung gefunden: Offensichtlich rechtswidrige Inhalte müssen innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden. Gerade weil die Meinungsfreiheit für uns ein so hohes Gut ist und im Zweifel in ihrem Sinne entschieden werden muss, gibt es bei nicht eindeutigen Fällen diese Verpflichtung nicht. Hier greift die regulierte Selbstregulierung. Das von Ihnen befürchtete Overblocking ist also vom Tisch. ({4}) Das wird es mit unserer Regelung gerade nicht geben. Sie wollen diese Regelung allen Ernstes aufgeben. Ich finde, Sie müssen hier Verantwortung übernehmen. Dass Sie hier die Bürger im Stich lassen ({5}) und dieses Im-Stich-Lassen auch noch als Bürgerrechtestärkungs-Gesetz bezeichnen, ist der Scherz der Woche. ({6}) Eines haben wir in der Tat nicht geregelt – da müssen wir noch nachlegen –: Wenn ein soziales Netzwerk einen Inhalt löscht und sich hinterher herausstellt, dass dies zu Unrecht erfolgt ist, dann muss der Nutzer einen Rechtsanspruch darauf haben, dass sein Inhalt wiederhergestellt wird. Die Einführung eines solchen Wiederherstellungsanspruchs müssen wir uns für die kommende Legislaturperiode vornehmen – in welcher Regierungskonstellation auch immer. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Wahlkampf lautete einer der Werbeslogans der FDP: „Die Sicherheit muss besser organisiert sein als das Verbrechen.“ ({7}) Da hätte man meinen können, Sie setzten sich jetzt für die Belange der Polizei ein. Aber weit gefehlt: Gleich mit Ihrem ersten Gesetzentwurf wollen Sie die Vorratsdatenspeicherung abschaffen, obwohl deren Anwendung eine der zentralen Forderungen von Polizei und Ermittlungsbehörden ist. Gerade weil die Polizei, wie ich finde, in ihren technischen Ermittlungsmöglichkeiten auf Augenhöhe mit organisierter Kriminalität agieren muss, sollten wir diese Regelung beibehalten und nicht, wie Sie es fordern, abschaffen. ({8}) In meinem Wahlkreis gab es einen schrecklichen Mord. Der Täter konnte nur deshalb überführt werden, weil sein Handy über die Funkzelle am Tatort zu orten war. Das Telekommunikationsunternehmen wäre nach der heutigen Rechtslage, insbesondere nach der Entscheidung der Bundesnetzagentur infolge der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Münster, nicht verpflichtet gewesen, diese Daten zu speichern. ({9}) Wenn die Daten nicht vorhanden gewesen wären, dann hätte der Mörder wahrscheinlich nicht überführt werden können und wäre heute noch auf freiem Fuß. Ich finde, das ist kein haltbarer Zustand. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Gesetz zu den Höchstspeicherfristen hat Justizminister Maas einen ausgewogenen Vorschlag vorgelegt, der einerseits der Polizei ein wichtiges Ermittlungsinstrument an die Hand gibt und andererseits die Rechte der Bürgerinnen und Bürger wahrt. Wir haben gerade im internationalen Vergleich sehr kurze Speicherfristen, wir speichern nicht die Inhalte, sondern nur die Daten, und das Ganze steht auch noch unter Richtervorbehalt. Wichtig ist, dass der EuGH die Vorratsdatenspeicherung in einer Entscheidung, deren Begründung ich mir, ehrlich gesagt, präziser gefasst gewünscht hätte, für nicht vereinbar mit europäischem Recht gehalten hat. Die estnische Ratspräsidentschaft hat deshalb in der vergangenen Woche einen, wie ich finde, interessanten Vorschlag unterbreitet, wie eine Neuregelung unter Wahrung der Bürgerrechte und unter Beachtung der Hinweise des EuGH möglich ist. Auf europäischer Ebene wird eine Rechtsgrundlage erarbeitet. Solange die Verfassungsgerichtsentscheidungen, die aufgrund entsprechender Klagen anstehen, nicht vorliegen, sollten wir dieses wichtige Instrument nicht vorschnell aus der Hand geben. ({10}) In diesem Sinne können wir Ihrem Vorschlag nicht folgen. Vielen Dank. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Dr. Fechner. – Als Nächster für die AfD mit seiner ersten Rede im Hohen Haus: Kollege Brandner. ({0})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Meine Damen und Herren! Ich musste lange auf diesen Moment warten. Herzlich Willkommen und vielen Dank. Der Gesetzentwurf der FDP zielt einerseits auf die Datenspeicherung ab, andererseits soll das Regelwerk für die sozialen Netzwerke neu gefasst werden. Kurz und knapp vorab: Der vorliegende Gesetzentwurf ist zum einen FDP-typischer, undurchdachter, pseudo-liberaler Murks, ({0}) zum anderen ein Plagiat des AfD-Programms aus dem Bereich „Weg mit den Maas’schen Zensurgesetzen“, wieder einmal nach dem Altparteienmotto „Von der AfD lernen, heißt siegen lernen“. ({1}) Vor allem die ausschließlich von ihrer Vergangenheit zehrende, seit vielen Jahren gänzlich konturlose Digitalisierungs-FDP und Bunt-FDP versucht sich ja fast täglich in dem Bereich „von der AfD lernen, heißt siegen lernen“, allerdings vergeblich, meine Damen und Herren von der FDP. ({2}) Und nun das hier: Was die Datenspeicherung betrifft, beschränkt sich die FDP auf Worthülsen und lebensfremde Annahmen. Sie übersieht zum Beispiel völlig, dass es in angespannten Sicherheitslagen und vor allem im Bereich der schweren Kriminalität selbstverständlich außer Frage stehen muss, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, Daten zulasten von Verbrechern zu speichern und auszuwerten. Ein Beispiel. Frau Merkel – sie glänzt durch Abwesenheit – hat mit ihrer CDU im Gleichschritt mit allen Altparteien die Sicherheit und die Außengrenzen unseres Landes einem nebulösen Multikulti-Unsinn geopfert. Wir wissen nicht, wer kam, wir wissen nicht, wer ging, wir wissen nicht, wer wiederkam, und wir wissen auch nicht, wer noch da ist. ({3}) Hier in den Bereich der Datenspeicherung und -auswertung einzugreifen, wäre fatal, zumal die potenziellen Täter zu Hunderten oder Tausenden bereits im Land sind. Daran sehen wir: Liberalala und Beliebigkeit der FDP schaden uns auch hier. Das wird Anschläge und Terrorismus wahrscheinlicher machen und die Aufklärung von Verbrechen erschweren. Damit klingt bereits die Botschaft, die Sie aussenden, zweifelhaft, und der Botschafter, diese Wackel- und Wende-FDP, ist noch zweifelhafter. Schließlich hat diese Partei einen erheblichen Anteil an der Ausweitung der staatlichen Überwachung, beispielsweise im Jahr 2013. Die Liberalen haben damals massiv für den Ausbau des Überwachungsapparates gestimmt. ({4}) Sie sehen also: In der Partei existiert in dieser Hinsicht nichts anderes als eine gewisse, sagen wir, Verlogenheit. Nicht anders liegt die Sache bei dem Teil des FDP-Gesetzentwurfs, der das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das nichts anderes als ein Netzwerk zer setzungsgesetz ist, betrifft. ({5}) Damit wir uns richtig verstehen: Dieses Gesetz schränkt die Meinungsfreiheit massiv ein. Da hat sich der Staat wesentlich zu viel „angemaast“, wie man so schön sagt. ({6}) Das ist ein klassisches Zensurgesetz. Es steuert die Meinungsverbreitung gänzlich willkürlich, beispielsweise durch Sperrung von engagierten Islamkritikern wie Abdel-Samad oder Imad Karim. Abdel-Samad wurde dafür gesperrt, dass er junge Muslime gebeten hat, nicht zu Selbstmordattentätern zu werden. Das ist das Ergebnis der Maas’schen Zensurpolitik. Herr Maas weiß schon, warum er nicht auf seinem Stuhl sitzt, meine Damen und Herren. ({7}) Das Gesetz steuert die Meinungsverbreitung völlig willkürlich. Die Meinungsverbreitung wird aber immer so gesteuert, dass sie im Sinne der hier Herrschenden ist. Das schwächt den Rechtsstaat. Dieses Gesetz ist mit unserer Werteordnung nicht vereinbar, „eine Schande für Deutschland“, sagte die Kollegin Cotar schon, und eine Schande für den Bundestag, der das hier mit ein paar Handvoll Abgeordneter verabschiedet hat. Deshalb muss dieses Gesetz weg, und Herr Maas muss auch weg. Er ist ja bereits weg, wie ich sehe. ({8}) Meine Damen und Herren, die FDP hat monatelang die von der AfD dominierte Diskussion aufmerksam verfolgt, kreativ schweigend, ({9}) und sich im Wahlkampf auf substanzlosen Klamauk und Bildchen, die wie Werbung für ein Billigparfüm aussehen, beschränkt. ({10}) Das Fotomodell vermisse ich hier heute. – Wo ist das Fotomodell? Haben Sie es nach Hause geschickt? Kurz vor der Wahl entdeckte dann in Ermangelung eigener Themen auch diese ehemals stolze Bürgerrechtspartei das Thema NetzDG. Die FDP übernahm urplötzlich die ganz klare AfD-Forderung nach Abschaffung dieses Schandgesetzes, ({11}) aber nicht etwa in der Absicht, sie umzusetzen, sondern um sie ganz schnell auf dem bunt-schleimigen Altar der sogenannten Sondierungsgespräche zur Schwampel, manche sagen auch Jamaika, zu opfern. ({12}) So viel zur Glaubwürdigkeit der FDP. ({13}) Diese Schwampel ist oder war – man weiß es nicht so genau – Geschichte, Herr Kubicki. Die FDP steht als Verhandlungsversager dar und versucht nun, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen. Dieser Zug heißt nicht „Martin Schulz“, sondern er heißt „AfD“ und läuft wie eine Eins, schnurgerade auf dem Gleis. ({14}) Sie springen mit Ihrem Thema hinter diesen Zug, meine Damen und Herren. ({15}) Nun merkt aber jeder, auch derjenige, der linksextremistisch geprägte Schulpolitik über sich ergehen lassen musste, dass die Drucksache 19/81 viel eher da war als die Drucksache 19/204. Die Drucksache 19/81 ist von uns, von der AfD, und die Drucksache 19/204 ist von Ihnen. ({16})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Brandner, kommen Sie zum Schluss.

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sie verpacken das in den Namen „Bürgerrechtestärkungs-Gesetz“. Immerhin kommt das Wort „Rechte“ darin vor.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Brandner, das ist meine zweite Bitte, zum Schluss zu kommen. Bei der dritten schalte ich das Mikrofon ab.

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, okay. Ich mache Schluss. ({0}) Meine Damen und Herren, am Ende mein Wunsch: Bleiben Sie hier einmal gradlinig. Nehmen Sie Ihren Gesetzentwurf zurück, und stimmen Sie dem ehrlichen, zuerst vorliegenden Gesetzentwurf der AfD zu. Vielen Dank. ({1}) Jetzt übergebe ich das Wort gerne meiner ehemaligen Parteichefin Frauke Petry. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Brandner, bevor die Standing-Ovations-Aktionen Ihrer Fraktion überhandnehmen, möchte ich darauf hinweisen, dass, solange jemand hier oben sitzt, sie oder er anzureden ist mit „Frau Präsidentin“ oder „Herr Präsident“, ({0}) ansonsten gerne mit dem Namen. Als Nächste die fraktionslose Abgeordnete Frau Dr. Frauke Petry mit ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. ({1})

Dr. Frauke Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004851, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Diskussion zum Gesetzentwurf der FDP zeigt genauso wie die Diskussionen zu den vorangegangenen Drucksachen vor allen Dingen eines: Man sucht das Trennende, und man vermeidet, das Gemeinsame zu sehen. Das überrascht nicht. Es ist trotzdem zu begrüßen, dass alle drei Drucksachen das Thema „Bürgerrechte und freie Meinungsäußerung“ thematisieren. Alle drei Entwürfe haben ihre eigenen Mängel, die aber, wenn man wollte, im Ausschuss zu beheben wären. Denjenigen, die das Gesetz verabschiedet haben, allen voran CDU/CSU und SPD, muss man jedoch die Frage stellen, was ihre tatsächliche Motivation für dieses schnell durchgepeitschte Gesetz gewesen ist. War es, wie die SPD sagt, um Hass und Hetze zu bekämpfen, oder war es tatsächlich ein Mittel gegen die Willkür der Betreiber sozialer Medien, wie die CDU es sagt? Festzustellen ist: Wer zur Rechtfertigung eines solchen Gesetzes schwammige Begriffe wie „Hassrede“ und Ähnliches benutzen muss, der nimmt zumindest die Entwicklung hin zu Orwell’schem Neusprech billigend in Kauf. Das sollte in einer Demokratie nicht sein. An die FDP gewandt: Ihr Respekt vor der Rechtsprechung des EuGH in allen Ehren, aber es sollte der Respekt vor den Bürgern und dem Grundgesetz sein, der Sie zu einer solchen Initiative veranlasst. Ich hoffe, das ist mindestens gleichrangig enthalten. Am Ende sind nicht starre Fristen das Problem, sondern es ist die Möglichkeit der privaten Sanktionierung subjektiver Meinungen. Dies sollte in einer kontroversen Demokratie ebenfalls nicht notwendig sein. Sie alle beklagen das Problem der Zustellungsbevollmächtigten. Richtig, es gibt ein Problem, aber Sie haben es selbst herbeigeführt. Denn diese Zustellungsbevollmächtigten sind bis jetzt nichts anderes als eine juristische Hilfskonstruktion, weil eine neue Medienordnung, die Private und Öffentlich-Rechtliche gleichermaßen reguliert, in diesem Land fehlt. Diese haben Sie zu schaffen. Zum Schluss: Sie sollten nicht von einer Stärkung der Bürgerrechte reden. Denn dieser Gesetzentwurf ist nichts weiter als der Versuch, Bürgerrechte wiederherzustellen. Es geht mitnichten darum, sie zu stärken. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Dr. Petry. – Als Nächster für die Fraktion Die Linke der Kollege Movassat. ({0})

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Jahren erleben wir einen rasanten Abbau von Grundrechten. Unter dem Vorwand, den Terror zu bekämpfen, wurde ein sogenanntes Sicherheitsgesetz nach dem anderen verabschiedet. Alle Bundesregierungen der letzten Jahre waren daran beteiligt. Ich habe mir das einmal angeschaut und muss sagen: Es ist ein wahrer Exzess. 2001 ging es mit dem Sicherheitspaket los. Dann kamen Rasterfahndung, Kontodatenabrufe, Terrorabwehrzentren, Luftsicherheitsgesetz, Vorratsdatenspeicherung, BKA-Gesetz, Visawarndatei und Onlinedurchsuchung. Es gibt offenbar kein Halten. Alle sind dafür, Terror und Kriminalität zu bekämpfen. Aber wo, bitte, bleibt die Verhältnismäßigkeit? ({0}) Niemand kann wollen, dass wir in einem Überwachungsstaat leben. Das wäre das Ende der Demokratie. Bei vielen Gesetzen wurden die rechtsstaatlichen Grenzen maßlos überschritten. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht zahlreiche der genannten Gesetze ganz oder teilweise für verfassungswidrig erklärt, darunter auch das erste Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Leider hat sich die Große Koalition davon nicht beirren lassen und die Vorratsdatenspeicherung wieder eingeführt. Heute liegt ein Gesetzentwurf der FDP vor, der sowohl die Vorratsdatenspeicherung als auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz abschaffen will. Für alle, die immer noch denken: „Ich habe ja nichts zu verbergen“, will ich vier Gründe nennen, warum die Vorratsdatenspeicherung in die Tonne gehört: Erstens. Bei der Vorratsdatenspeicherung müssen Telekommunikationsunternehmen personenbezogene Daten, ohne dass irgendein rechtlicher Vorwurf besteht, speichern. Wer mit wem wann telefoniert hat, wird festgehalten. Der gläserne Bürger, der Traum aller Überwachungsfans, rückt einen großen Schritt näher. Die Vorratsdatenspeicherung ist einer der schwersten Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung. Als Demokrat muss man dazu Nein sagen. ({1}) Zweitens. Selbst die Daten von Journalisten und Anwälten werden gespeichert. Gerade Angehörige dieser Berufe arbeiten mit hochsensiblen Informationen. Wie soll denn ein Journalist noch Quellenschutz betreiben können? Wie soll er mit Whistleblowern telefonieren, wenn der Staat seine Telefondaten prüfen kann? Drittens. Die Vorratsdatenspeicherung bringt für die Ermittlungen nichts. Das sagt das Max-Planck-Institut in einem Gutachten. Dort hat man 2011 geprüft, ob ohne Vorratsdatenspeicherung Sicherheitslücken entstehen. Die klare Antwort: Nein. Es liegen – ich zitiere – „keinerlei Hinweise dafür vor, dass auf Vorrat gespeicherte Verkehrsdaten in den letzten Jahren zur Verhinderung eines Terroranschlags geführt hätten“. Die Vorratsdatenspeicherung ist also ermittlungstechnisch sinnlos. Viertens ist die Vorratsdatenspeicherung rechtswidrig. Das sagt das Oberverwaltungsgericht NRW. Es folgt damit dem Europäischen Gerichtshof. Dieser sieht in ihr einen schwerwiegenden Eingriff in den Datenschutz und das Kommunikationsrecht. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes gibt keinen Raum dafür, Daten zu speichern, ohne dass irgendein Verdacht gegen die betroffene Person besteht. Mit diesem Urteil ist die Vorratsdatenspeicherung tot, und das ist gut so. ({2}) Wir als Bundestag sollten diesen grundrechtswidrigen Zustand schnellstmöglich beheben und die Vorratsdatenspeicherung abschaffen. ({3}) Die FDP will auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz abschaffen. Darüber haben wir in der vorigen Debatte ausführlich diskutiert. Wir haben einen eigenen Antrag, der klüger ist, weil er ebenfalls die problematischen Lösch­pflichten von Facebook und Co streicht, aber die sinnvollen Berichtspflichten etc. stehen lässt. Für die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung könnte es hier im Haus eine Mehrheit geben. Insbesondere an die Abgeordneten der SPD appelliere ich – bei Ihnen gab es damals ja viel Unmut beim Thema Vorratsdatenspeicherung; viele haben nur mit größten Bauchschmerzen zugestimmt –: ({4}) Gehen Sie in sich! Wir könnten hier eine Mehrheit dafür haben, die Vorratsdatenspeicherung zu beerdigen und dieses grundrechtswidrige Gesetz in die Tonne zu kloppen. Danke schön. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank. – Jetzt spricht für Bündnis 90/Die Grünen Dr. Konstantin von Notz. ({0})

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Moin, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Moin: Das sagt man im Norden so, zu jeder Tageszeit.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Genau; so viel Brauchtum muss sein. – Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, ich will es an dieser Stelle einmal sagen: Ich freue mich ehrlich, dass Sie wieder hier im Deutschen Bundestag sind – auch, um mit uns für die Bürgerrechte und Freiheitsrechte zu streiten. ({0}) Die Bürgerrechte in Zeiten der Digitalisierung, unser Rechtsstaat vor der Herausforderung des menschenverachtenden Salafismus: All das war hier in den letzten Jahren ständig Thema. Deswegen irritiert mich dann doch etwas die Rhetorik und die mediale Begleitkampagne zu Ihrem etwas großspurig bezeichneten Gesetzentwurf zur Stärkung der Bürgerrechte. Ich habe Share Pix gesehen, wonach die Bürgerrechte vier Jahre lang keinen Anwalt gehabt hätten. Sie waren APO, okay, aber das ist kein Grund für latent abwegige Egozentrik. ({1}) Wir haben hier in den letzten Jahren sowohl zur Vorratsdatenspeicherung als auch zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz unzählige Debatten, Anhörungen und Fachgespräche gehabt. Eine ganze Reihe von hier anwesenden Personen klagt gegen die Vorratsdatenspeicherung, und ich hoffe, mit Erfolg; denn die GroKo scheint in diesem Fall ja wirklich leider resistent gegen jedes Lernen zu sein, und das ist extrem unerfreulich. ({2}) Zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Sehr bewusst haben wir uns in der letzten Wahlperiode dazu enthalten und eine Alternative vorgelegt, weil es geht, Hass und Hetze rechtsstaatlich zu begegnen und die notwendige Rechtsdurchsetzung nicht an Private auszusourcen – und das ohne ein staatliches Wahrheitsministerium und ohne die Meinungsfreiheit einzuschränken. Das ist möglich, und das haben wir auch vorgelegt. Die Berichtspflichten, die Bußgelder, die verbesserten Meldewege, die Verpflichtung, nationale Zustellungsbevollmächtigte zu nennen: All das sind wichtige Punkte, die durchaus erhaltenswert sind. ({3}) Deswegen muss man differenziert auf diese Sachen gucken. Herr Kollege Brandner, so ein Klamauk von Ihnen! Hier ist das ernste Argument und nicht Narzissmus gefragt. ({4}) Was sind die Alternativen für die Alternative für Deutschland, wenn man es einfach abschafft? Da haben Sie nichts gefunden. Die Kollegen der Union haben die unerträglichen Mobbingfälle genannt. Darauf muss man im Jahr 2017 eine Antwort haben. Ich habe dazu nichts von Ihnen gehört. Da wird es bei Ihnen ganz, ganz dünn. ({5}) Meine Damen und Herren – vor allen Dingen der FDP –, Machen ist wie Wollen, nur viel krasser. ({6}) Beides, was Sie hier beantragen, lag bei den Sondierungen doch auf dem Tisch. ({7}) Wir hätten eine grundlegende Reform des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes bekommen und die Vorratsdatenspeicherung abgeschafft, und zwar nicht nur für die Kommunikationsdaten, sondern gleichzeitig auch für die Fluggastdaten ({8}) und auch für das, was sich hinter der anlasslosen Erfassung durch sogenannte intelligente Videoüberwachung verbirgt. ({9}) All das hätten wir hier heute gemeinsam abräumen können. Es wäre ein Meilenstein für die Bürgerrechte in diesem Land gewesen. ({10}) Herr Kollege Thomae, es tut mir leid: Stattdessen gefallen Sie sich hier darin, zahnlose Anträge zu stellen. Ich kann nur sagen: Da hat Frau Leutheusser-Schnarrenberger die richtigen Worte gefunden. Das ist bitter. Das kann man Ihnen leider so kurz nach dem Ende der Gespräche nicht durchgehen lassen. Trotzdem: Lassen Sie uns gemeinsam für die Bürgerrechte kämpfen. Herzlichen Dank. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Dr. von Notz. – Ich darf hier leider nichts sagen. ({0}) Als Nächstes der Kollege Dr. Volker Ullrich von der CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Balance von Freiheit und Sicherheit ist die notwendige Abwägung, die der wehrhafte Rechtsstaat jederzeit vorzunehmen hat. Für uns ist klar: Der Staat hat die Freiheitsrechte der Bürger zu schützen. Aber es gilt auch: Ohne Sicherheit kann es keine Freiheit geben. Freiheit und Sicherheit bedingen sich gegenseitig. Sie schließen sich nicht aus. ({0}) Der Staat hat auch die Aufgabe, Bürger vor schweren Straftaten zu schützen und bei der Aufklärung von allerschwersten Straftaten wie Mord, Terrorismus, Kinderpornografie, Drogenhandel die notwendigen ermittlungstaktischen Maßnahmen zu ergreifen. Aus diesen Abwägungen heraus hat der 18. Deutsche Bundestag nach langen und guten Beratungen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung eingeführt. Dieses Gesetz bewegt sich in dem Rahmen, den das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil aus dem Jahr 2010 vorgegeben hat. Ja, mehr noch: Das Gesetz bleibt hinter den Möglichkeiten dieses Rahmens zurück. ({1}) Die Verbindungsdaten werden für zehn Wochen gespeichert und die Standortdaten für vier Wochen. Der Rechtsstaat darf nur nach richterlichem Beschluss oder im Eilfall nach Antrag der Staatsanwaltschaft darauf zugreifen, wenn eine schwere Straftat vorliegt. Wenn nicht, gibt es in diesem Gesetz Regelungen, dass diese Daten dann rechtssicher zu löschen sind. Im Ergebnis, meine Damen und Herren: Das war ein gutes Gesetz, das die Große Koalition verabschiedet hat. ({2}) Allerdings will ich auch nicht verschweigen, dass dieses Gesetz im doppelten Sinne durch die Rechtsprechung ein Stück weit infrage gestellt worden ist. Beim Oberverwaltungsgericht Münster muss man sich schon die Frage der Reichweite der Gewaltenteilung stellen. ({3}) Bei allem Respekt für die Justiz: Kann es sein, dass der Deutsche Bundestag in namentlicher Abstimmung ein Gesetz verabschiedet und dann dieses Gesetz durch eine einstweilige Entscheidung eines Oberverwaltungsgerichtes in ganz Deutschland nicht angewandt wird? ({4}) Da muss ich mich schon fragen, ob die Bundesnetzagentur in diesem Fall berechtigterweise oder eben nicht berechtigterweise die Anwendung dieses Gesetzes ausgesetzt hat. ({5}) Vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung darf man dahinter zumindest ein Fragezeichen machen. ({6}) In Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes muss darauf hingewiesen werden, dass der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom Dezember 2016, dem sogenannten Tele2-Urteil, auf die EU-Grundrechtecharta abgestellt hat. Inwieweit jetzt hier ein verfassungsrechtlicher Konflikt zwischen der Reichweite der deutschen Grundrechte und der EU-Grundrechtecharta besteht, können wir an anderer Stelle diskutieren. Aber klar ist auch: Wir erwarten, dass die Europäische Union alsbald eine neue Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vorlegt, damit die Reichweite und die Anwendung und die Grenzen der Vorratsdatenspeicherung europaweit rechtssicher definiert werden. Es ist die Aufgabe der Kommission, diese Richtlinie vorzulegen. ({7}) Meine Damen und Herren, wenn wir heute diesen FDP-Gesetzentwurf diskutieren, dann entbehrt das durchaus nicht einer gewissen Pointe. Gerade im Bereich der Vorratsdatenspeicherung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes war es so, dass wir im Zuge der Jamaika-Verhandlungen zu Kompromissen bereit gewesen wären. Es wäre möglich gewesen, über diese beiden Gegenstände zu diskutieren. Sie hätten als FDP den Bundesjustizminister stellen können. Sie haben darauf verzichtet. Deswegen will ich Ihnen zurufen: Ein Kompromiss ist keine Schwäche, und eine Inszenierung ist noch lange keine Stärke. ({8}) Verantwortung zu übernehmen, ist allemal besser als das kurzfristige Hoffen auf Applaus oder als taktische Überlegungen. Wir werden diese Frage weiterhin mit der entsprechenden Verantwortung auch für die notwendige Verbindung zwischen Freiheit und Sicherheit in diesem Hause debattieren. Herzlichen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank. – Der Kollege Höferlin möchte gerne zu einer Kurzintervention das Wort. Ich erteile ihm das Wort.

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, Sie und auch Ihr Vorredner, der Kollege von Notz, haben so schön aus Sondierungsgesprächen, die die Parteien miteinander geführt haben, berichtet. Wir tagen hier im Deutschen Bundestag als Abgeordnete zusammen und besprechen, ob wir Gesetzgebungsverfahren voranbringen wollen oder ein Gesetz beschließen bzw. aufheben wollen. Würden Sie nicht auch sagen, dass wir als Abgeordnete das Selbstbewusstsein haben sollten, als Gesetzgeber den Mut zu haben, Gesetze, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit sogar verfassungswidrig sind, mit Verantwortung zurückzunehmen und das nicht auf Verhandlungen zwischen Parteien zur Regierungsbildung abzuschieben? Ich finde, das ist eine Frage des Selbstbewusstseins, das wir als Abgeordnete in diesem Hohen Hause haben sollten. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Dr. Ullrich, Sie haben das Recht zur Erwiderung.

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst einmal, Herr Kollege, möchte ich Ihnen antworten, dass Ihre Aussage, dieses Gesetz sei mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig, zumindest zweifelhaft ist. Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Eilentscheidungen dieses Gesetz für verfassungsgemäß gehalten. Zum anderen habe ich Ihnen bereits deutlich gemacht, dass wir in der Umsetzung des Gesetzes hinter dem Beschluss des Jahres 2010 zurückbleiben und damit den verfassungsrechtlichen Rahmen des Bundesverfassungsgerichts nicht ausgeschöpft haben. Im Übrigen möchte ich zum Thema „Aufgaben der Abgeordneten“ anmerken: Unser Grundgesetz besagt, dass es die erste Aufgabe des neugewählten Bundestages ist, eine Regierung zu bilden, und zwar durch die Kanzlerwahl. Eine Kanzlerwahl setzt eine absolute Mehrheit voraus. Sie haben durch Ihre Inszenierung die Möglichkeit einer Kanzlerwahl konterkariert, indem Sie nicht bereit waren, Verantwortung zu übernehmen. Deswegen würde ich an diesem Punkt lieber schweigen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat die Kollegin Saskia Esken für die SPD das Wort. ({0})

Saskia Esken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004267, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf zum Thema zurückkehren: Diese Vergangenheitsbewältigung ist schon erstaunlich. Unter der Unterschrift „Stärkung der Bürgerrechte“ verlangt die FDP das Ende der Vorratsdatenspeicherung, der VDS, und das Ende des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, des NetzDG. ({0}) Eines haben die beiden Gesetze gemeinsam: Sie hatten noch gar keinen Anfang. Ihr Ende zu verlangen, ist also einigermaßen unlogisch. Deutliche Unterschiede gibt es aber in der Frage des Eingriffs in die Bürgerrechte. Insofern ist es fast noch befremdlicher, die beiden Gesetze unter dieser Unterschrift zusammenzufassen. ({1}) Die Vorratsdatenspeicherung würde Kommunikationsunternehmen dazu verpflichten, anlasslos und flächendeckend die Verbindungsdaten aller Bürgerinnen und Bürger zu speichern. Es ist kein Geheimnis, dass die Netzpolitiker der SPD dies für einen zu weit reichenden Eingriff in die Bürgerrechte halten und deshalb dagegengestimmt haben. Die Verpflichtung, potenziell rechtswidrige Inhalte bei Kenntnis zu löschen – das Prinzip „Notice and take down“ – ist dagegen nicht neu, auch nicht für soziale Netzwerke. Auch werden die Grenzen der Meinungsfreiheit durch das NetzDG nicht neu vermessen: Volksverhetzung, üble Verleumdung oder Androhung von Straftaten sind und bleiben verboten, und Zensur übrigens auch. Nur am Rande: Wer glaubt, Facebook und Co. stünden für die Meinungsfreiheit und für Vielfalt der Meinungen, der hat das Geschäftsmodell nicht verstanden. ({2}) Ich muss mich deshalb wundern, dass die FDP in ihrem Gesetzentwurf die VDS und das NetzDG in einen Sack steckt. Der Kollege Lindner hat dies bei anderer Gelegenheit auch mit dem Bundestrojaner gemacht. Das geht nun wirklich an der Sache vorbei. Ein bisschen präziser müssen wir schon sein, wenn es um so eine wichtige Sache wie die Bürgerrechte geht. ({3}) Der EuGH hat befunden, eine anlasslose flächendeckende VDS sei mit europäischen Grundrechten nicht vereinbar, und auch das OVG Münster hält die VDS für europarechtswidrig. Die Bundesnetzagentur hat die VDS deshalb bis zur Klärung durch das Bundesverfassungsgericht faktisch ausgesetzt. Auf europäischer Ebene wird derzeit – wir haben es gehört – eine räumlich und zeitlich begrenzte VDS diskutiert, also eben keine anlasslose und keine flächendeckende VDS. In dieser Situation halten wir es für angebracht – unabhängig davon, ob man nun dafür oder dagegen ist –, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten, die Entwicklung des europäischen Vorschlags zu begleiten und dann tätig zu werden – und nicht heute, ohne jede Wirkung, außer natürlich für die Öffentlichkeit. ({4}) Auch das NetzDG wirkt noch gar nicht; dennoch glauben viele, man könne heute schon vorhersagen, wie es wirken werde, oder man könne schon in die Vergangenheit blicken und sagen, es habe gewirkt. ({5}) Sehr lustig! Die grundsätzliche Kritik der FDP lautet, das NetzDG privatisiere die Rechtsdurchsetzung. Richtig ist: Das NetzDG ermöglicht die Rechtsdurchsetzung. Auch Sie und wir, wir alle mit unseren privaten kleinen Websites müssen bei Kenntnis rechtswidriger Inhalte aktiv werden, damit sie nicht weiterverbreitet werden. Außerdem müssen wir mit den Ermittlungsbehörden zusammenarbeiten, um eine Strafverfolgung zu ermöglichen; das ist vollkommen selbstverständlich. Wir finden, den sozialen Netzwerken kann man das auch abverlangen. ({6}) Gleichzeitig bleiben Strafverfolgung und Rechtsprechung selbstverständlich Angelegenheit der Justiz. Wer beleidigt, bedroht oder hetzt, der muss sich vor Gericht verantworten. Dass die Strafverfolgung auch in der Fläche und in der Masse möglich ist, dafür sorgt das NetzDG.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Darf ich Sie bitten, zum Schluss zu kommen, Frau Kollegin?

Saskia Esken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004267, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte?

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Darf ich Sie bitten, zum Schluss zu kommen?

Saskia Esken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004267, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. – Die Sorge, dass die Netzwerke aus Angst vor Bußgeldern mehr löschen könnten als notwendig, teilen wir. Deswegen hat die SPD eine Klarstellung dahin gehend erreicht, dass nicht etwa die einzelne Falscheinschätzung oder Nichtlöschung bußgeldbewehrt ist, sondern erst das strukturelle Versagen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Meine Bitte, jetzt zum Schluss zu kommen, wiederhole ich, Frau Kollegin.

Saskia Esken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004267, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. Ich habe es verstanden.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nein, das meine ich jetzt wirklich ernst. Kommen Sie zum Schluss. Sie sind eine Minute über Ihre Redezeit.

Saskia Esken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004267, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. ({0}) Das hat der Kollege Fechner für mich eingespart; aber es scheint nicht zu zählen. Wir werden die Wirkungen des NetzDG ganz klar von Anfang an, das heißt ab 1. Januar 2018, kritisch begleiten und dann mit Ihnen gemeinsam die Evaluation begleiten, und wir werden überlegen, wie es dann weitergeht. Vielen Dank fürs Zuhören. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, auch der Kollege Fechner war über seine Redezeit; aber lassen wir es einmal dabei bewenden. Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/204 an den Hauptausschuss vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das erkenne ich nicht. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben den Gesetzentwurf heute aufgesetzt, weil es aktuelle Anlässe gibt. Wir sehen ganz deutlich: Konzerne brauchen keine handlungsfähige Regierung. Was kurz vor Weihnachten passiert, ist wirklich unfassbar: nach dem Desaster von Air Berlin mit den verheerenden Folgen für viele Beschäftigte nun die sogenannten Umstrukturierungen bei Siemens. Diese Umstrukturierungen sind hammerharter Stellenabbau und Betriebsschließungen in Görlitz, in Leipzig, in Offenbach, in Berlin, in Erfurt, in Mülheim. Weltweit sollen 7 000 Entlassungen vorgenommen werden. Der Skandal ist, dass gleichzeitig die Dividende der Siemens-Aktionäre erhöht werden soll. Für einige gibt es zu Weihnachten Dividendengeschenke und für andere Existenzängste. Das ist rücksichtslos und unverantwortlich. ({0}) Der Umsatz von Siemens ist von 79 Milliarden Euro auf 83 Milliarden Euro gestiegen. Der Gewinn 2017 ist auf 7,2 Milliarden Euro gestiegen, nach 5,5 Milliarden Euro im Vorjahr. Ich will einmal Siemens-Chef Kaeser zitieren. Er sagte: Ich würde mir wünschen, dass die Beschäftigten in Zeiten, in denen das Unternehmen hohe Gewinne erwirtschaftet, selbst auch stärker davon partizipieren. Offensichtlich ist das ein schlechter Scherz gewesen. Es ist unfassbar, was da geschieht. ({1}) Was kann, was soll die Politik machen? Ich will daran erinnern, dass Siemens erhebliche Profite mit öffentlichen Aufträgen macht. Die „Wirtschaftswoche“ hat vor Jahren sogar getitelt: „Siemens will Staatsdiener Nummer Eins werden“. Die Bundesregierung rollt diesem Unternehmen rote Teppiche aus. In jeder Wirtschaftsdelegation ist Siemens vertreten. Frau Merkel, sagen Sie bei der nächsten Wirtschaftsdelegation in Ihrem Flieger Herrn Kaeser doch mal Bescheid! Wir haben die Bundesregierung gefragt: In den letzten 20 Jahren erhielt der Siemens-Konzern für mehr als 1,5 Milliarden Euro Fördermittel aus dem Bundeshaushalt und Aufträge des Bundes. Frau Merkel, reden Sie mal mit Herrn Kaeser Klartext, wenn Sie ihn zum Plätzchenessen ins Kanzleramt einladen! ({2}) Hier stehen die Konzernführung wie die Bundesregierung in der Verantwortung, und zwar den Mitarbeitern sowie den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern gegenüber. Was kann, was muss die Politik tun? Wir haben an Beispielen doch gesehen, dass es mit dem Einfluss geht. Wir haben das bei Tengelmann gesehen. Da hat der damalige Wirtschaftsminister, auch mit unserer Unterstützung, dafür gesorgt, dass Arbeitsplätze gerettet worden sind. Das ist doch vernünftig. Warum denn nicht hier? Weil das im Osten ist? Ist das vielleicht die Begründung? Streichungspläne ausgerechnet in strukturschwachen Regionen? Man nehme ein Beispiel: Görlitz. Da ist nicht nur Siemens betroffen; das hat weitgehende Folgen. Auch die Beschäftigten von Bombardier stehen unter Druck. Auch hier drohen Kündigungen. Die Förder- und Ansiedlungspolitik der Bundesregierung hat hier vollständig versagt. Ganze Regionen drohen abgehängt zu werden. Die Deindustrialisierung geht in diesen Regionen weiter, meine Damen und Herren. ({3}) Der Verlierer von Görlitz, der Ex-Kollege von der CDU, wird morgen Ministerpräsident in Sachsen. Er wird bestätigen, dass die Situation dort auch mit der verfehlten Wirtschaftspolitik der Union zu tun hat. ({4}) Siemens muss zum Handeln gebracht werden, und zwar auch von der Bundesregierung. Ich hätte erwartet, dass gestern, als Frau Zypries mit Länderministern und Vertretern von Siemens geredet hat, der Herr Kaeser wenigstens da gewesen wäre und bei so einer relevanten Entscheidung nicht nur der Pförtner gekommen wäre. ({5}) Ich will ihn noch mal zitieren. Er sagt: Mich treibt nicht das Geld. Mir ist wichtig, was die Menschen einmal über meine Amtszeit sagen. Ich kann Ihnen sagen: Die werden über Sie nichts Gutes sagen, Herr Kaeser. ({6}) Wir als Linke unterstützen den Kampf der Gewerkschaften und der Arbeitnehmer gegen den Arbeitsplatzabbau an allen Standorten, meine Damen und Herren. Die Unternehmensführung hat jahrelang den Anschluss an den gesellschaftlichen Wandel in zentralen Bereichen verpasst. Das soll jetzt nicht zulasten der Beschäftigten gehen. Deshalb legen wir hier einen Gesetzentwurf vor, der Massenentlassungen in profitablen Unternehmen verbietet, meine Damen und Herren, ({7}) der die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte bei Kündigungen oder Betriebsänderungen verbessert und der die Rechte der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat von Aktiengesellschaften stärkt. Wir lassen die Beschäftigten nicht allein. Es geht auch um die Frage der Demokratie. Herzlichen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Bartsch. – Als Nächstes der Kollege Dr. Carsten Linnemann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Carsten Linnemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Interessant ist, Herr Bartsch, dass Sie immer bei den großen Unternehmen mit Gesetzentwürfen kommen. Ich würde mir wünschen, dass wir insgesamt über die allgemeine Gemengelage reden, übrigens auch über Insolvenzen von kleineren Unternehmen – ({0}) das sind übrigens 58 am Tag; darüber wird viel zu wenig gesprochen –, die wir aus unseren Wahlkreisen kennen, bei denen betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu uns kommen und mit uns reden ({1}) und wir spüren, dass es nicht nur um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geht, sondern auch um Familien, um ganze Regionen. Erst gestern noch habe ich mit Stanislaw Tillich gesprochen. Er hat mir natürlich die Auswirkungen auf die Situation in Görlitz skizziert; dabei ging es nicht nur um die drohende Schließung des Werkes, sondern natürlich auch um die Auswirkungen auf die Zulieferindustrie. Aber in dieser Situation trotzdem bitte kühlen Kopf bewahren! Ihr Gesetzentwurf entspricht dem nicht. „Kühlen Kopf bewahren“ heißt, dass wir Politik und Wirtschaft trennen, ({2}) dass wir als Politiker für die politischen Entscheidungen zuständig sind, dass es diesem Land auch in 10, 15 Jahren noch gut geht, ({3}) und dass die Wirtschaft betriebswirtschaftlich entscheidet. ({4}) Nehmen Sie nur mal das Beispiel der Digitalisierung und Disruption! Bedenken Sie, was wir da für Veränderungen haben – im Bereich des Verlagswesens, im Bereich des Anlagenbaus, im Maschinenbau bis hin zum Bereich Elektro! Da werden ganze Geschäftsmodelle infrage gestellt, und die Unternehmer müssen entscheiden: Wie sieht das Geschäftsmodell der Zukunft aus? Das sind unternehmerische, betriebliche Entscheidungen. Da hat sich die Politik nicht einzumischen. Aber genau das machen Sie. Sie mischen sich ein. Allein die Debatte darüber ist nicht gut für den Investitionsstandort Deutschland. ({5}) Im Mittelstand und in energieintensiven Bereichen wird heute schon mehr abgeschrieben als investiert. Daher ist das, was Sie machen, falsch. Im Kern sorgt Ihr Gesetz dafür, dass nicht die Konzerne, sondern die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Leidtragenden sind. Wenn Sie sich so einmischen, werden nicht nur Werke geschlossen, sondern ganze Unternehmen ins Ausland verlegt. Dann sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wirklich die Leidtragenden. Das sollten sie aber nicht sein. Lassen Sie mich einen ganz anderen Punkt ansprechen, der in der sozialen Marktwirtschaft wichtiger denn je ist. Das ist die Verantwortung der Unternehmer gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern jenseits unternehmerischer Entscheidungen. Natürlich hat die Wirtschaft auch eine gesellschaftliche Verantwortung. ({6}) Es ist sicherlich zu kritisieren – auch dafür ist dieses Haus da –, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erst nach Tagen oder sogar Wochen aus Berichten in Medien erfahren, wie es um ihre Zukunft bestellt ist. Das ist nicht der Weg, den die soziale Marktwirtschaft vorsieht. Vielmehr muss es um Gemeinsamkeit gehen. Auch bei schwierigen Entscheidungen müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mitgenommen werden. Das ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil die Wirtschaft, wie im Corporate Governance Kodex festgelegt – ich bin froh, dass es in diesem Land einen Konsens dazu gibt –, eine gesellschaftliche Verantwortung gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat. Sie muss also bei schwierigen Entscheidungen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitnehmen. Nicht zuletzt das ist es, worauf es ankommt. Meines Erachtens hat Siemens nun die Chance, das Gespräch zu suchen. Wir als Politiker können flankieren, moderieren und viele Gespräche führen. Aber am Ende dürfen wir uns nicht in unternehmerische Entscheidungen einmischen. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Linnemann, jetzt haben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst verpasst. ({0}) – Sie können jederzeit eine Kurzintervention machen, wenn Sie das möchten. – Dann machen Sie es. ({1})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Linnemann, ich habe den Eindruck, dass Sie unseren Gesetzentwurf gar nicht gelesen haben. ({0}) Denn Sie sagen, dass die Unternehmen, wenn das kommt, was wir in unserem Gesetzentwurf fordern, noch mehr Arbeitsplätze ins Ausland verlagern als bisher. Aber genau da wirkt unser Gesetz. Wir schlagen vor, dass der Interessenausgleich, über den nach dem geltenden Betriebsverfassungsgesetz zwischen Unternehmen und Betriebsrat verhandelt werden muss, in den Fällen, in denen Kündigungen im Inland erforderlich werden, keine Verhandlungssache mehr ist, sondern einigungsstellenfähig. Das bedeutet, dass die Rechte der Arbeitnehmer bei anstehenden Entlassungen – egal aus welchem Grund – gestärkt werden. Ich verstehe also überhaupt nicht, wie Sie zu der vollkommen irrigen Auffassung kommen, dass das, was wir hier fordern, Kündigungen letztendlich erleichtert. Das ist der erste Punkt. Zweitens. Wir schlagen in unserem Gesetzentwurf vor, das Aktienrecht so zu ändern, dass die Arbeitnehmerseite in den Aufsichtsräten nicht nur reden darf, sondern auch nicht mehr von der Arbeitgeberseite überstimmt werden kann. Wie Sie wissen, muss der Vorsitzende bislang immer von der Arbeitgeberseite kommen. Er hat nach dem Aktienrecht in Zweifelsfällen ein Doppelstimmrecht. Wir wollen – im Gegensatz zu Ihrer Auffassung, dass wir Entlassungen befördern –, dass die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat ein besonderes Recht bei anstehenden Entlassungen bekommt und mehr Einfluss als bisher nehmen kann. Ich habe den Eindruck, dass Sie unseren Gesetzentwurf gar nicht gelesen oder nicht verstanden haben. Ich kann Ihnen das auch bilateral erklären. ({1}) Unser Gesetzentwurf zielt genau darauf ab, die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den beschriebenen Fällen zu stärken und genau das, was Sie angesprochen haben, zu verhindern. Wenn Sie also das, was Sie angesprochen haben, nicht wollen, dann müssten Sie eigentlich unseren Gesetzentwurf unterstützen. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Linnemann, wollen Sie antworten? – Dann haben Sie jetzt Gelegenheit dazu.

Dr. Carsten Linnemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Ernst, ich wundere mich, dass Sie so lange reden. Ihr Anliegen hätte man auch zusammenfassen können. Sie möchten gerne, dass in der Wirtschaft dann, wenn Gewinne gemacht werden, keine strukturellen Maßnahmen für die Zukunft vorgenommen werden. ({0}) – Oder dass Entlassungen vorgenommen werden; das gehört auch dazu. – Ein Konzern wie Siemens stellt Zehntausende Arbeitsplätze in Deutschland zur Verfügung. ({1}) Auch der muss sich heute die Frage stellen: Welche Geschäftsmodelle muss ich wie organisieren, damit ich auch in 10 oder 15 Jahren noch erfolgreich bin? – Das heißt mit anderen Worten: Im Zuge der Energiewende oder der Digitalisierung wird Siemens morgen nicht mit den Produkten von heute oder gar gestern noch erfolgreich sein. Im Unterschied dazu wollen Sie ein Konzept, das wir nicht nur auf diesem Kontinent, sondern auch global vielfach erlebt haben. Das nennt man Planwirtschaft. ({2}) Und dieses Konzept ist immer mit Pauken und Trompeten gescheitert. Herzlichen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank. – Als Nächster in der Debatte hat das Wort der Kollege Bernd Rützel für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands. ({0})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Planwirtschaft wollen wir nicht, aber wir haben die soziale Marktwirtschaft. ({0}) Ich erwarte schon, dass sich die Politik am Ende des Tages – am Ende des Tages, nicht vorher! – einmischt. Hätten wir das nicht gemacht, hätten wir heute noch keinen Mindestlohn, über den wir zum Beispiel morgen hier an dieser Stelle auch wieder sprechen. Kolleginnen und Kollegen, der Unternehmer Robert Bosch hat einmal gesagt: Immer habe ich nach dem Grundsatz gehandelt, lieber Geld verlieren als Vertrauen. Die Unantastbarkeit meiner Versprechungen, der Glaube an den Wert meiner Ware und an mein Wort standen mir höher als ein vorübergehender Gewinn. Ich glaube, das ist der Kern dessen, was wir gerade im Moment diskutieren. Es geht um Vertrauen, gegenseitiges Vertrauen der Unternehmen in ihre Belegschaft, aber auch der Belegschaft in ihr Unternehmen. Dieses Vertrauen wird immer häufiger erschüttert. Wenn ein Unternehmen, wie wir gehört haben, Milliardengewinne macht, aber quasi im gleichen Atemzug ankündigt, Stellen zu streichen, und zwar in merklichen Größenordnungen, zerbricht dieses Vertrauen. Und die Rekordgewinne, die es verbuchen kann, wurden von den Beschäftigten erwirtschaftet, von den Menschen, die jeden Tag dort zur Arbeit gehen. Aber die müssen jetzt vor Weihnachten um ihre Arbeitsplätze fürchten. Das ist nicht nur schlimm und eine Katastrophe für die Beschäftigten. Nein, das ist vielmehr auch eine Katastrophe für unseren ganzen Wirtschaftsstandort. ({1}) Ein großes Unternehmen muss in der Lage sein, seine gut ausgebildeten und qualifizierten Kolleginnen und Kollegen – ich bin überzeugt, dass es sie auch braucht – im Unternehmen weiterzuqualifizieren, weiterzubilden und dann auch in neuen Branchen, die zukunftsträchtig sind, einzusetzen. ({2}) Ich habe es an dieser Stelle des Öfteren gesagt und tue es jetzt auch noch einmal, weil es immer wieder wichtig ist. Die Unternehmen wie auch die Beschäftigten konnten sich immer auf ein sehr hohes Augenmaß ihrer Interessenvertretungen und insbesondere der Betriebsräte verlassen. Betriebsräte sind oftmals solche Mitarbeiter, die schon länger in einem Unternehmen sind und ein Unternehmen besser kennen als mancher, der kurzfristig die Geschicke lenkt. Diese haben uns auch durch die Finanzkrise gebracht. Also vielen Dank an alle, die als Betriebsrätin oder Betriebsrat oder in den Gewerkschaften Verantwortung tragen. ({3}) Dies hat auch Gerhard Cromme, der Aufsichtsratsvorsitzende von thyssenkrupp und von Siemens gewesen ist, noch einmal verdeutlicht, als er 2012 sagte: Die Mitbestimmung in Deutschland hat in der Krise enorm geholfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Rekordgewinne waren möglich, weil die Menschen sich einsetzten. Auch deshalb ist der jetzt erfolgte Vertrauensbruch so problematisch. Er ist ein falsches Signal an die restliche Belegschaft. Er ist ein falsches Signal an die Jugend, die nachkommt, die vielleicht in einem solchen Unternehmen arbeiten will. Ich höre immer wieder, dass wir Nachwuchsprobleme haben und Menschen brauchen. Deshalb kann ich das nicht verstehen. Ich will auch dem Kollegen Bartsch recht geben: Kurzarbeit und was sonst noch alles haben wir den Unternehmen ermöglicht. – Deshalb ist es immer falsch, zu sagen: Trennt das! – Das kann man tun. Dann muss man es aber konsequent tun. Man darf nicht auf der einen Seite nach dem Motto „Haltet euch raus“ argumentieren, während man auf der anderen Seite bei allen Reisen des Wirtschaftsministers mitgenommen werden will, Förderungen bekommen möchte usw. Es darf also keine Einbahnstraße sein. Ich würde mich freuen, wenn man das öfters berücksichtigte. ({4}) Über euren Gesetzentwurf, liebe Linken, können und werden wir in den Ausschüssen diskutieren und debattieren. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank. – Als Nächster erhält für die Fraktion der AfD der Kollege Steffen Kotré das Wort zu seiner ersten Rede. ({0})

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist wieder ein Beispiel für „gut gemeint, aber schlecht gemacht“. ({0}) Massenentlassungen müssen verhindert werden. Ja, das wollen wir auch. Das ist doch völlig klar. Die Mittel, die in diesem Gesetzentwurf stehen, sind aber falsch, untauglich und schädlich. Sie sind untauglich, weil es zahlreiche Möglichkeiten geben würde, die Bestimmungen zu umgehen, und schädlich, weil notwendige Anpassungsprozesse in Unternehmen dadurch verzögert würden. Die Arbeitnehmer würden in einer trügerischen Sicherheit gewiegt, langfristig sichere Arbeitsplätze zu haben. Ein Verbot würde nur zur Kreativität verführen, Bilanzen anders darzustellen, als sie sind. Der Jahresabschluss lässt sich nun einmal verändern und manipulieren. Der Gewinn lässt sich drücken – je nachdem, wie man es braucht. Denken Sie bitte an die Bewertungsmethoden, die Abschreibungssystematik und ähnliche Dinge. Massenentlassungen sind schon jetzt mit sehr hohen Hürden belegt: Sie müssen angekündigt werden, sie müssen mit dem Betriebsrat diskutiert werden, eventuell ist ein Sozialplan zu erstellen, und sie sind bei der Agentur für Arbeit genehmigungspflichtig. Es gibt also einige Instrumente, die die sozialen Folgen ein wenig abmildern. Dirigistische Maßnahmen haben noch niemals geholfen. ({1}) Der Gesetzentwurf ist mit heißer Nadel gestrickt. ({2}) Das sieht man zum Beispiel daran, dass er erst gestern Abend vorlag. ({3}) Wann, bitte sehr, ist die Auftragslage so, dass nicht mehr gekündigt werden darf? Was, bitte schön, ist eine anhaltend positive Ertragssituation? Wer befindet denn darüber? Woran ist das festzumachen? Und wie wird klar, dass eine Kündigung zur Gewinnmaximierung dient? Sie wollen eine „die unternehmensinterne Entscheidungsfindung begleitende Untersuchung“ der Arbeitsmarktfolgen. Sie wollen allen Ernstes ein privatrechtliches Unternehmen zu volkswirtschaftlichen Untersuchungen zwingen. An dieser Stelle sage ich: Herzlich willkommen in der Planwirtschaft! ({4}) Dieser Gesetzentwurf atmet insgesamt den Geist einer sozialistischen, staatsdirigistischen Planwirtschaft. ({5}) Die hatten wir schon einmal und wollen wir nicht noch einmal haben. ({6}) Wir wollen genau wie Sie, Die Linke, Massenentlassungen vermeiden. ({7}) Doch eine gesetzliche Einschränkung setzt an den Symptomen an, nicht bei den Ursachen. – Zu dem „Wie denn?“ komme ich gleich. Wie kommt es zu Massenentlassungen? Entweder macht das Management Fehler, oder die Unternehmen sind unseren schlechten Rahmenbedingungen ausgesetzt. Jetzt komme ich zu dem, was wir tun können, damit Massenentlassungen in der Zukunft der Vergangenheit angehören. Jahrelang ist die Bürokratie aufgebaut worden. Das ist ein Problem. Die Dokumentations- und Auskunftspflichten sind ausgeufert. Da haben wir Stellschrauben. Die schädliche Energiewende entzieht der Volkswirtschaft Milliarden von Euro. ({8}) Auch zum Beispiel in der Automobilindustrie finden staatsdirigistische Eingriffe statt. Die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft lässt stark zu wünschen übrig. Im Steuersystem können wir auch noch mehr machen, damit Wagniskapital bereitgestellt wird. ({9}) Wir haben Fachkräftemangel, weil viele Bundesländer ihr Bildungssystem nicht mehr leistungsorientiert aufbauen und die Finanzierung mangelhaft ist. ({10}) An diesen Stellschrauben müssen wir drehen. Nach meinem Eindruck hat sich hier mittlerweile stellenweise eine Verbots- und Alarmismuskultur entwickelt. An der Klimadiskussion sehen wir, wie wenig Sie sich bei der strategischen Ausrichtung der Wirtschaftspolitik an wissenschaftlich überprüfbare Kriterien halten. Da liegt der Hase im Pfeffer. ({11}) Weil Siemens heute schon angesprochen worden ist: Ich kann mir kein Urteil über das Management von Siemens erlauben, aber eines weiß ich: Die Kraftwerkssparte war mal prosperierend. Warum ist sie das nicht mehr? Wegen der schädlichen Energiewende. ({12}) Das sind staatsdirigistische Eingriffe, die dazu geführt haben, dass wir das Risiko der Massenentlassung haben. Das ist die Wahrheit.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie zum Schluss, Herr Kollege.

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vor diesem Hintergrund sollten wir die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft mehr ausspielen. ({0}) Wir sollten mehr soziale Marktwirtschaft wagen. Da müssen wir hinkommen, da liegt der Hase im Pfeffer. Vielen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als Nächstes für die Fraktion der Freien Demokraten der Kollege Michael Theurer, ebenfalls mit seiner ersten Rede in diesem Hohen Hause. ({0})

Michael Theurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004914, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde die Äußerungen des Kollegen von der AfD schon bemerkenswert: ({0}) bemerkenswert genau deshalb, weil die Menschen, die in Görlitz in Sorge um ihren Arbeitsplatz demonstriert haben, sofort von Politikern der vereinten Linken unterstützt wurden. Dabei drängte sich dann auch ein Politiker aufs Bild: Bernd Höcke mit einem Schirm seiner Partei. Dabei ist es doch gerade Ihre Partei, die mit Abschottungspolitik, ({1}) mit einer klaren Absage an den Freihandel, mit einer klaren Absage an Weltoffenheit unseren Standort gefährdet, meine Damen und Herren. Es sind doch Sie, die die Arbeitsplätze hier in Deutschland gefährden. ({2}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen, die um ihren Arbeitsplatz in Sorge sind, verstehen wir; wir teilen diese Sorge. Die Frage ist: Was ist die richtige Antwort? Die Linkspartei hat hier einen Gesetzentwurf eingebracht, um etwas für den Erhalt von Arbeitsplätzen zu tun. Sie gaukelt der Öffentlichkeit vor, dass mit den Maßnahmen in diesem Gesetzentwurf Arbeitsplätze gesichert werden können. Aber wenn man einmal genauer hinschaut, stellt man fest, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Dort heißt es – Zitat –: Eine Kündigung, die bei anhaltend positiver Ertragssituation lediglich der Gewinnsteigerung dient, ist sozial ungerechtfertigt. ({3}) Das sind alles unbestimmte Rechtsbegriffe. Sie tun nichts für den Erhalt von Arbeitsplätzen – oder doch: Das ist ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Rechtsanwälte. ({4}) Das wird die Arbeitsgerichte beschäftigen und sonst niemanden, meine Damen und Herren. Deshalb ist – auch nach den Ankündigungen des Siemens-Managements – manches erstaunlich, und man muss natürlich das eine oder andere infrage stellen: Warum ist Görlitz betroffen? Kann man das nicht anders machen, nachdem dieser Region bereits Bombardier und die Braunkohleindustrie durch eine überhastete Energiewende weggenommen werden? Wir sind der Meinung, das Management von Siemens muss einmal überprüfen, ob an diesem Standort nicht doch Arbeitsplätze erhalten werden können. Generell kann man hier – Kollege Linnemann hat es ausgeführt – einem international im Wettbewerb stehenden Konzern aber nicht vorwerfen, dass er sich an veränderte Bedingungen anpasst. ({5}) Dieser Konzern, Siemens, stellt in Deutschland immer noch mehr Menschen ein, als er an anderer Stelle entlässt. Wenn ein solcher Konzern unrentable Geschäftsbereiche durch Quersubventionen aufrechterhält, dann gefährdet er die Zukunftsfähigkeit des gesamten Unternehmens. Das wäre kontraproduktiv, meine Damen und Herren. ({6}) Spannend ist, dass mit diesem Gesetzentwurf den Betriebsräten faktisch ein Vetorecht eingeräumt wird. Ja, die Betriebsräte sprechen bei den Entlassungen doch mit – und zwar die örtlichen Betriebsräte genauso wie der Konzernbetriebsrat. Deshalb meine Frage: Wie entscheiden sich denn die Vertreterinnen und Vertreter der IG Metall, wenn es um die Frage geht: „Görlitz oder Mülheim an der Ruhr?“? Da bin ich gespannt, meine Damen und Herren. Zurück zur Ordnungspolitik. Wir wollen eine marktwirtschaftliche Ordnung, in der es keine „Lex Siemens“ gibt, sondern in der wir Rahmenbedingungen für die Wirtschaft schaffen, in der Arbeitsplätze entstehen können. Heute wurde das Hohelied auf die Familienunternehmen gesungen. Aber dann muss hier im Deutschen Bundestag auch etwas dafür gemacht werden, damit diese Familienunternehmen bessere Rahmenbedingungen bekommen. ({7}) Ja, es ist richtig: Zwischen 2006 und 2014 haben die Familienunternehmen ein Plus an Arbeitsplätzen in Höhe von 19 Prozent geschaffen, während die nicht familienkontrollierten DAX-Konzerne nur 2 Prozent mehr Arbeitsplätze geschaffen haben. Meine Damen und Herren, wir als Freie Demokraten wollen bessere Rahmenbedingungen für Familienunternehmen und eine bessere steuerliche Forschungsförderung schaffen. Wir wollen die arbeitende Mitte und die Familienunternehmen entlasten, auch bei der Bürokratie. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Theurer, erlauben Sie eine Zwischenfrage vonseiten der AfD?

Michael Theurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004914, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn es sein muss.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Die Frage war an Sie gerichtet, ob Sie das erlauben.

Michael Theurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004914, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gerne.

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Kollege Theurer, stimmen Sie den Anmerkungen Ihres Vorredners zu, dass, während Sie in der Regierungsverantwortung waren, nach Fukushima der gesamte Anlagenbau durch die Energiewende in Deutschland plattgemacht worden ist und dass Siemens heute aus genau diesen Gründen Leute entlassen muss, weil aufgrund der Entscheidungen aus Ihrer Regierungszeit weder für Kohle-, Gas- noch andere Kraftwerke eine Zukunft existiert?

Michael Theurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004914, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Kollege, nein, ich stimme dieser Einschätzung nicht zu. ({0}) Wir haben als Freie Demokraten für eine vernünftige Energiewende gekämpft und kämpfen dafür auch weiterhin, weil wir meinen, dass Ökonomie und Ökologie verbunden werden können. Sehr geehrte Damen und Herren, ich sage an dieser Stelle: Wir beteiligen uns nicht an einer Politik der Extreme von links und rechts, die den Menschen Sand in die Augen streut. ({1}) Das ist Sandmännchenpolitik. Am Ende ist der Wirtschaftsstandort dann an einem Punkt, wo wir nur noch sagen können: Gute Nacht! ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Theurer, ich gehe davon aus, dass Sie jetzt zum Schluss kommen. Sonst muss ich Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Michael Theurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004914, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja. – Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, dass die soziale Marktwirtschaft revitalisiert werden muss. Wir sind für ein Volk der Eigentümer und nicht für Volkseigentum. Der Überweisung in den Hauptausschuss stimmen wir zu. Im Interesse der Beschäftigten werden wir aber diesem Gesetzentwurf mit Sicherheit nicht zustimmen. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Als Nächstes für Bündnis 90/Die Grünen: die Kollegin Katharina Dröge. ({0})

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir reden hier heute über unternehmerische Verantwortung, über Arbeitnehmerrechte und über Jobsicherheit. Es ist auch gut so, dass wir das tun. Wir reden hier auch zum ersten Mal seit langem wieder über das Thema „Verantwortung des Staates für einen vernünftigen Rahmen in diesem wirtschaftlichen Prozess“. Denn das, was wir in den letzten Jahren in den Debatten erlebt haben, war, sage ich mal, ein wechselseitiges Schulterzucken aufseiten von Union und SPD: bei der Union Schulterzucken angesichts des unverantwortlichen Verhaltens von Unternehmen nach dem Motto „Das ist die Marktwirtschaft, da können wir nichts tun“ und bei der SPD große Empörung angesichts des unverantwortlichen Verhaltens von Unternehmen, aber dann auch Schulterzucken nach dem Motto „Da können wir nichts tun“. ({0}) Deswegen ist es richtig, dass wir hier heute über Lösungsansätze miteinander diskutieren. Allerdings muss ich auch sagen: Außer der Ablehnung des Gesetzentwurfes der Linken habe ich ansonsten hier im Plenum nur allgemeine Ratlosigkeit erlebt. Das ist Teil des Problems in dieser Debatte. ({1}) Es ist auch richtig, über einzelne Unternehmen zu sprechen. Es ist richtig, über Siemens zu sprechen, auch wenn wir das zweite Mal über Siemens sprechen und mir schon auffällt, dass wir über andere Unternehmen wie beispielsweise Air Berlin hier im Plenum nicht gesprochen haben. Das war auch politische Absicht, weil das eine deutlich schwierigere Rolle für CDU und SPD in dieser Debatte bedeutet hätte. Aber auch hier gehen viele Jobs verloren. ({2}) Es ist trotzdem richtig, über Siemens zu sprechen, über 3 000 Mitarbeiter, die ihren Job verlieren, über einen Standort, an dem es wenig berufliche Perspektiven für diese Mitarbeiter gibt. Es ist auch über unternehmerische Verantwortung zu sprechen, wenn ein Unternehmen auf der einen Seite Milliardengewinne macht und auf der anderen Seite perspektivlos einen Standort schließt. Es ist richtig, darüber zu sprechen, und es ist auch richtig, dass Sie als Linke das adressieren. Allerdings muss ich sagen: Ihr Lösungsansatz hilft am Ende nicht, und das ist ein Problem. Insofern müssen wir weiter miteinander darüber sprechen. Sie verkennen auf der einen Seite, dass es unternehmerische Entscheidungen geben muss und bestimmte Dinge Umstrukturierungen erfordern. Auf der anderen Seite legen Sie, weil Sie das, glaube ich, wissen, einen Gesetzentwurf vor, der so vage in den einzelnen Begriffen ist, dass es, wenn ich Unternehmer wäre, mir ein Leichtes wäre, überall eine Hintertür, einen Ausweg zu finden. Das ist dann wiederum auch keine verantwortungsvolle Politik; denn damit sagen Sie den Menschen, dass Sie Probleme lösen können, die Sie am Ende nicht lösen können. Das finde ich nicht richtig. Wir müssen schon ehrlich sein, indem wir sagen, was wir machen können, und diese Wege auch gehen, statt so zu tun, als könnten wir Dinge regeln, die wir am Ende nicht regeln können, wie es mit so einem Ansatz der Fall wäre. ({3}) Jetzt reden wir einmal darüber, was wir machen können. Ein Thema ist der Transformationsprozess. Die Debatte darüber finde ich ein Stück weit absurd. Sie reden über die Energiewende als großes Problem. Dabei sagt selbst Siemens, dass die Energiewende die wirtschaftliche Chance für dieses Unternehmen ist. ({4}) Das Problem, das wir haben, ist, dass wir als Politik bestimmten Transformationsprozessen zu lange zuschauen. Dasselbe haben wir bei der Debatte um den Kohleausstieg. Sie suggerieren den Mitarbeitern: Es wird den Kohleausstieg irgendwann in ganz ferner Zukunft geben, aber wir werden das als Union und SPD weit hinausschieben. Solange müssen wir uns über die Transformation keine Gedanken machen. – Das ist genau der falsche Ansatz. Das ist nicht verantwortungsvolle Politik. ({5}) Verantwortungsvolle Politik heißt, klare Rahmenbedingungen zu setzen, auch durchaus klare Daten, wann es mit einer Technologie zu Ende ist, beispielsweise beim Thema Kohleausstieg. Auch über das Thema Verbrennungsmotor ist zu reden. Sonst vermittelt man eine scheinbare Sicherheit, die es für die Beschäftigten nicht gibt. Die Politik zieht sich aus der Verantwortung, über die Transformationsprozesse zu sprechen, frühzeitig darüber zu sprechen, was man mit solchen Standorten wie Görlitz macht und was man den Mitarbeitern in der Automobilindustrie als Alternative anbietet, wenn man den Wechsel vom Verbrennungsmotor zum Elektromotor macht. ({6}) Diese Transformationsprozesse zu regeln, ist Teil des Jobs, den wir haben. Das erreicht man nicht, wenn man den Kopf in den Sand steckt und so tut, als gäbe es die gesellschaftlichen Transformationen nicht, sondern man muss als Politik den Mut haben, auch politische Leitentscheidungen zu setzen. ({7}) Wir können auch über andere Unternehmen reden. Wir können über die Fusion von thyssenkrupp und Tata reden. Dann müssen wir über das Thema Wettbewerbsrecht reden. Dann müssen wir darüber reden: Wie antworten wir auf das Hochfusionieren auf anderen Märkten? Wir müssen über das Thema Handelsabkommen, über Produktionsstandards in Handelsabkommen reden und nicht einfach nur ein Weiter-so in der neoliberalen Handelspolitik betreiben. Das sind Gestaltungsinstrumente, die wir haben, über die wir in der letzten Legislaturperiode geredet haben. Von der Union und von der SPD kam dazu nichts. ({8}) In Richtung SPD muss ich sagen, weil Sie in der letzten Sitzungswoche einen Antrag zu Siemens gestellt haben: Sie haben vier Jahre lang den Wirtschaftsminister gestellt. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie zum Schluss, Frau Kollegin.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie hätten an diesen entscheidenden Stellschrauben Veränderungsprozesse einleiten können. Vielleicht schaffen wir das miteinander in dieser Legislaturperiode. Ich würde mich freuen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ich bedanke mich herzlich. – Als Nächster der Kollege Dr. Albert Weiler, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Albert Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004439, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wollen, dass unsere Firmen den wirtschaftlichen Wandel unter den neuen digitalen Voraussetzungen erfolgreich meistern. Managemententscheidungen sollen deshalb erreichen, dass Unternehmen fit für die Zukunft gemacht werden und so langfristig Arbeitsplätze gerade am Standort Deutschland sichern. Es kann aber nicht sein, dass Manager und Anteilseigner den Gewinn allein unter sich ausmachen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Verlierer dastehen. Aber ich möchte an dieser Stelle klarstellen, dass die Politik Rahmenbedingungen festlegt und nicht in die Entscheidungen einzelner Unternehmen eingreifen soll. Wir leben in einer sozialen Marktwirtschaft und nicht in einer sozialistischen Diktatur. ({0}) Meine lieben Damen und Herren von der Linken, die DDR ist Geschichte, und das ist auch gut so. ({1}) Unsere Politik sorgt für gute Rahmenbedingungen, um Arbeitsplätze zu schaffen, und auch das ist gut so. Die unionsgeführte Bundesregierung hat den Wirtschaftsstandort Deutschland in der Vergangenheit nachhaltig gestärkt, zum Beispiel durch steuerfinanzierte Milliardeninvestitionen in unsere Infrastruktur und in unser Bildungssystem, das kontinuierlich hochqualifizierte Fachkräfte hervorbringt. Wir haben die richtigen Weichen für gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen in Deutschland gestellt. Davon profitieren die Unternehmen im Land. Dafür erwarte ich aber auch von den Unternehmen, dass sie Verantwortung übernehmen: für ihre Mitarbeiter und für die Standorte, damit nicht ganze Regionen zugrunde gehen, weil auf einen Schlag Werke vollständig geschlossen werden und Zulieferbetriebe und weitere Dienstleister vor Ort mitbetroffen sind. Angesichts eines Rekordarbeitsmarktes, der niedrigsten Arbeitslosenzahl und großer Unternehmensgewinne scheinen Massenentlassungen gegenwärtig paradox. Sie erinnern an große Wirtschaftskrisen und unsichere Zeiten. Dabei beneiden uns andere Länder für unsere aktuelle sehr gute wirtschaftliche Stärke. Aus meiner Sicht können Entlassungen nur das allerletzte Mittel sein, um aus Krisen herauszukommen. Ich bin davon überzeugt, dass Unternehmen gut ausgebildete Fachkräfte, in deren Ausbildung und Qualifizierung viel investiert wurde, auch weiterhin beschäftigen möchten. Alternative Maßnahmen wie Weiterbildung, Arbeitsplatzwechsel oder Altersteilzeit sind zunächst der sinnvollere Weg. Ich verstehe die Angst davor, entlassen zu werden. Der Verlust eines Arbeitsplatzes ist eine existenzielle Bedrohung. Er bedeutet nicht nur den Wegfall des Einkommens, sondern oft auch eine Krise in den Familien. Bei schwierigen Unternehmensentscheidungen setze ich vor allem auf die bewährte Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmerschaft und Management. Hier sind Gewerkschaften und Arbeitgebervertretungen in einer Verantwortung, die sie nicht auf die Politik abwälzen dürfen, meine Damen und Herren. ({2}) – Danke schön. Die Sozialpartnerschaft ist der Schlüssel zum Erfolg, kein Gesetz, das die Handlungsfähigkeit des Managements und der Arbeitnehmervertretungen, also beider Seiten, erheblich belastet. Wir müssen also an der Stärkung der Tarifbindung arbeiten. ({3}) So können betriebliche Vereinbarungen sozialverträglich umgesetzt werden. Das setzt natürlich voraus, dass Abmachungen zwischen den Tarifpartnern eingehalten werden. Das setzt aber auch voraus, dass sich die Gewerkschaften nicht – wie beim Mindestlohn – aus der Verantwortung stehlen. ({4}) Den Mindestlohn haben nämlich wir gemacht, nicht die Gewerkschaften. ({5}) Arbeitnehmerschaft und Arbeitgeber kennen ihre Unternehmen besser als wir. Im konstruktiven Interessenausgleich können Lösungen in Krisenzeiten am besten gefunden werden. Meine Damen und Herren, wir helfen sehr gerne und vermitteln leidenschaftlich. Eine gesetzliche Regelung halte ich aber für den falschen Weg. An der Stelle wünsche ich Ihnen eine gesegnete Weihnacht und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Danke schön. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Weiler. Dafür ist es vielleicht noch ein bisschen früh. – Als Nächstes kommt der Kollege Michael Gerdes für die SPD. ({0})

Michael Gerdes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004039, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe durchaus Sympathien für die Idee und das Ansinnen der Fraktion Die Linke, die gesetzlichen Hürden für Massen­entlassungen zu erhöhen, ({0}) vor allem dann, wenn große Konzerne weltweit Gewinne erzielen und eben nicht in der Insolvenz stecken. Jüngstes Beispiel: General Electric. Hier geht es einmal mehr um kurzfristige Rendite und nicht um verantwortungsbewusste Standortpolitik. ({1}) Auf Kosten der Beschäftigten sollen kurzfristig Gewinne gesteigert werden. Das, meine Damen und Herren, hat mit sozialer Marktwirtschaft nichts zu tun. ({2}) Ob die Form des staatlichen Eingriffs, wie im Gesetzentwurf der Linksfraktion gefordert wird, verhältnismäßig und vor allem verfassungskonform ist, müssen wir uns im Detail ansehen. Es werden Änderungen im Betriebsverfassungsgesetz, beim Kündigungsschutzgesetz und auch im Aktiengesetz vorgeschlagen. Das sind keine Kleinigkeiten, die wir im Vorbeigehen entscheiden sollten. Die Diskussionen führen wir in den Ausschüssen weiter. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Balance zwischen Mitbestimmung und unternehmerischer Freiheit muss stimmen. Unternehmer sollten allerdings auch keine Angst vor Mitbestimmung haben. Als ehemaliger Betriebsrat weiß ich, wie sehr sich Beschäftigte mit ihrem Konzern identifizieren und wie sehr sie sich um gute Lösungsvorschläge, auch um Kompromisse bemühen. Das schadet der Unternehmensentwicklung eher selten. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, oftmals kommen mir Wirtschaftsnachrichten – egal aus welcher Branche – wie ein Automatismus vor, eben weil die Antwort auf Strukturwandel meistens Personalabbau und Standortschließung lautet. Muss das wirklich immer die Konsequenz sein, oder geht es auch anders? Gerade Großkonzerne, die verschiedene Geschäftsfelder bedienen und finanziell solide aufgestellt sind, müssen doch in der Lage sein, ihr Personal auf neue Aufgaben vorzubereiten, um Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit zu vermeiden. ({5}) Ich wünsche mir an vielen Stellen mehr Unternehmerverantwortung, vor allem im Sinne der Belegschaft. ({6}) Zum Unternehmertum gehört es, Märkte zu beobachten und Produkte weiterzuentwickeln, Menschen in Arbeit zu halten. Je nach Unternehmensgröße sind ganze Regionen von unternehmerischen Entscheidungen abhängig. Das ernsthafte Bemühen um bestehende Standorte fehlt mir oftmals. Viel zu schnell ziehen große Unternehmen weiter, weil anderswo günstiger produziert werden kann, weil Steuern gespart oder Subventionen eingestrichen werden können. In meinem Wahlkreis, am Standort Bottrop, und beim Kollegen Spiering in Dissen schließen die Feinkosthersteller Nadler und Homann aus der Unternehmensgruppe Theo Müller ihre Produktionsstätten, um, mit EU-Subventionen gefördert, nahe der deutsch-tschechischen Grenze ein neues Werk zu eröffnen. ({7}) Hier werden Arbeitsplätze vernichtet, dort werden neue zu anderen Konditionen geschaffen. Das ist absurd. ({8}) Meine Damen und Herren in den Konzernvorständen, zeigen Sie mehr Mut bei betriebsinternen Ausbildungen und Umschulungen. Zeigen Sie mehr Mut, Ihre Betriebsstätten zu verändern, anstatt sie zu schließen. Innovationen sind nicht nur im Produktbereich möglich. Es könnte doch auch mal soziale Innovationen in der Personalpolitik geben. ({9}) Es ist nicht nachvollziehbar: Einerseits beklagen wir den Fachkräftemangel, andererseits werden Arbeitsplätze abgebaut, ohne die Potenziale der eigenen Belegschaft aufzudecken, ohne zu überlegen, was sich in der Region an Alternativen entwickeln könnte. Als Politik sind wir jederzeit zu Gesprächen bereit. Standortschließungen müssen vermieden werden. Ich hoffe, dass die Sozialpartner aufeinander zugehen und in fairem Dialog Chancen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufzeigen. Das gilt für Siemens, General Electric, Bombardier genauso wie für Air Berlin und die Müller-Homann-Gruppe. Herzlichen Dank und Glück auf. Ich wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest und ein hoffentlich erfolgreiches und friedliches neues Jahr. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank. – Als letzter Redner: Kollege Peter Weiß von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zum Schluss einer solchen Debatte stellt sich die Frage: Hat jemand, der bei Siemens, bei General Electric, bei Air Berlin oder irgendwo anders arbeitet und Angst haben muss, morgen seinen Arbeitsplatz zu verlieren, wirklich etwas aus einer solchen Debatte gewonnen? Da sehe ich große Fragezeichen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir als Politikerinnen und Politiker sollten uns angewöhnen, in politischen Debatten nichts zu versprechen, was wir schlichtweg nicht halten können. ({0}) Denn die Unternehmensentscheidungen werden nicht durch eine Debatte im Deutschen Bundestag oder durch eine Entscheidung der Bundesregierung umgedreht. ({1}) Aber es gilt sehr wohl: Das Erfolgsrezept der Bundesrepublik Deutschland ist die soziale Marktwirtschaft, und zur sozialen Marktwirtschaft gehört eben nicht nur, dass Unternehmen in ihren Entscheidungen nicht durch den Staat gegängelt werden, sondern dazu gehört genauso, dass unternehmerische Entscheidungen, besonders solche, die die materielle Existenz von Menschen betreffen, aus dem Kontext sozialer Verantwortung heraus zu treffen sind. Das gilt verschärft dann, wenn es sich um Unternehmen wie Siemens handelt, in die staatliche Förderung in Millionenhöhe geflossen ist, staatliche Förderung, die letztendlich die Steuergroschen fleißig arbeitender Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind. Bei den Unternehmensentscheidungen, die anstehen, stellt sich in der Tat die Frage: Wo bleibt das Zusammenspiel von Freiheit der Entscheidung und Wahrnehmung sozialer Verantwortung? Wir können von den Unternehmensführungen in Deutschland zu Recht einfordern, ihrer sozialen Verantwortung gegenüber ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei allen ihren unternehmerischen Entscheidungen auch wirklich gerecht zu werden. ({2}) Das gilt insbesondere dann, wenn einzelne Standorte so betroffen sind, dass sich vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Region vor Ort die Frage stellt: Gibt es überhaupt eine Alternative? Diese Frage muss oftmals eher mit Nein beantwortet werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir erwarten, dass soziale Verantwortung so wahrgenommen wird, dass von den Unternehmen selbst Vorschläge auf den Tisch gelegt werden, wie es an den betroffenen Standorten weitergehen soll, welche Perspektiven für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eröffnet werden können. Bei Siemens handelt es sich um ein Unternehmen, das wächst, wo also Arbeitsplätze aufgebaut werden. Dann wird man Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei einem notwendigen strukturellen Umbau doch auch Alternativen anbieten und eröffnen können. Das ist die Erwartung, die wir an Siemens haben. ({3}) Es gibt in der Tat etwas, das wir als Politik beitragen können. Wir haben schließlich ein breites Instrumentarium, zum Beispiel über die Weiterbildungs- und Qualifizierungsangebote der Bundesagentur für Arbeit. Dazu stehen wir bereit. Oder im Fall von Air Berlin hatte der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Karl-Josef Laumann zu Recht vorgeschlagen, die Einrichtung einer Transfergesellschaft zu erwägen, eine Möglichkeit, die allerdings nicht ergriffen worden ist. Meine sehr geehrten Damen und Herren, soziale Verantwortung gehört zur sozialen Marktwirtschaft. Für uns als Politiker gilt, insbesondere für die Bundesregierung und die betroffenen Landesregierungen: Wir sind bereit, das, was wir an Förderinstrumentarien zur Weiterbildung und Qualifizierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zur Verfügung haben, vor allem seitens der Bundesagentur für Arbeit, aktiv in diesen Umstrukturierungsprozess einzubringen. Zur Freiheit gehört auch immer Verantwortung. Wir als Bundestag wollen diese Verantwortung wahrnehmen. Auch die Unternehmensführung sollte ihre Verantwortung wahrnehmen. Dann eröffnen sich, so hoffe ich, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den betroffenen Sektoren Chancen und Möglichkeiten im Sinne neuer beruflicher Perspektiven. Darum sollte es uns gehen. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Weiß. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/217 an den Hauptausschuss vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist erkennbar nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Heute hat die Europäische Kommission ihre Entscheidung zur Wiederzulassung von Glyphosat bekannt gegeben, zu deren Zustandekommen der geschäftsführende Minister Schmidt unrühmlich beigetragen hat. ({0}) Damit ist die historische Chance vertan, Glyphosat europaweit vom Tisch zu bekommen. Dafür tragen Sie, Herr Schmidt, die Verantwortung. ({1}) Heute geht es nicht mehr um die Details dieser Zulassung. Heute geht es um Schadensbegrenzung auf der nationalen Ebene. Es bleibt dabei: Etwas erst auf europäischer Ebene zuzulassen und es dann auf nationaler Ebene zu verbieten, das ist bei Pestiziden genauso Quatsch wie bei der Gentechnik. ({2}) Da hat Minister Schmidt nämlich versprochen: Wir regeln das. – In der ganzen letzten Wahlperiode – das gilt bis heute fort – hat er aber kein entsprechendes Gesetz zustande gebracht. Das darf sich nicht wiederholen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Der Minister verteidigt sich heute in einem offenbar notwendigen Brief an seine Fraktion, er habe mit seinem Alleingang immerhin für höhere Auflagen gesorgt. Darin steht – ich zitiere –: Die Mitgliedstaaten widmen dem Risiko für die Diversität besondere Aufmerksamkeit. ({4}) Von einer Widmung hat die Natur überhaupt gar nichts. Wir brauchen Instrumente und wirksame Beschränkungen, und zwar jetzt. ({5}) Was wir von der Bundesregierung erwarten, haben wir in unserem Antrag kurz und knapp formuliert. Und – um auch das zu sagen –: Die Anträge der Linken und der SPD tragen hier konstruktiv zur Ergänzung bei. Den Glyphosat-Ausstieg auf europäischer Ebene hat der geschäftsführende Minister Schmidt mit seinem Regelverstoß verhindert. Diesen Regelverstoß hat der Minister nicht nur bewusst vorgenommen, sondern er hat ihn mit seinem Haus sogar monatelang systematisch vorbereitet. Das ist der eigentliche Skandal, finde ich. ({6}) Herr Schmidt, Sie berufen sich dabei auf die Wissenschaft. Die Wissenschaft kennt hier aber zwei Wahrheiten: die öffentliche Wahrheit der freien Wissenschaft und die geheime Wahrheit der Industriestudien. Sie berufen sich ebenso wie die Zulassungsbehörden auf die geheime Wahrheit. Das ist zwar bequem für die Industrie, aber schlecht für die Transparenz. ({7}) Damit alles beim Alten bleibt, wollten Sie sogar Monsanto vor Gericht bei der Klage gegen die Pflicht zur Veröffentlichung dieser Geheimstudien unterstützen. Auch das war systematisch vorbereitet. Ich sage Ihnen eines: Wer ständig den Eindruck erweckt, dass gegen eigene Regeln verstoßen und gegen eigene Regeln Interessen eines Industriezweiges durchgedrückt werden sollen, der beschädigt das gesamte System der parlamentarischen Demokratie und das Vertrauen in dieses System. ({8}) Deshalb müssen hier Konsequenzen folgen. Ich sage Ihnen: Nicht nur der Minister muss gehen. Er hat auch seinem Ressort einen Bärendienst erwiesen. Zu Recht fragt man sich, ob die Zuständigkeit für die Pestizidzulassung in diesem Haus noch richtig angesiedelt ist. ({9}) Man fragt sich auch, wo heute noch die Existenzberechtigung eines solchen Hauses ist. ({10}) Jetzt muss ich noch etwas zum dramatischen Insekten- und Vogelsterben sagen. Wir brauchen hier wirklich schnelle und wirkungsvolle Antworten. Im Stakkato erscheinen immer neue Studien, die einen Zusammenhang zwischen dem Insektensterben und dem Einsatz von Neonikotinoiden belegen. Die Europäische Kommission hat das jetzt erkannt und einen Vorschlag vorgelegt, um drei dieser Wirkstoffe auf europäischer Ebene zu verbieten. Das reicht zwar nicht aus – auch der Natur nicht –, aber das ist ein wichtiger erster Schritt, den wir gehen müssen. Deshalb verlangen wir, dass Deutschland hier zustimmt. ({11}) Das wäre – ich komme zum Schluss – die letzte Chance für Herrn Schmidt, zu zeigen, dass er wenigstens einmal etwas für Bienen tut. Mit Ihrer Zustimmung zu unserem heute vorgelegten Antrag können Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, dafür sorgen, dass Minister Schmidt verpflichtet wird, diesem Vorschlag in Brüssel zuzustimmen. Alles, was er dann tun muss, ist, sich auch daran zu halten. Danke schön. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Ebner. – Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Hermann Färber. ({0})

Hermann Färber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema Glyphosat wird beherrscht von Emotionen, Verunglimpfungen, Angst und Panik; wir haben das alles soeben erlebt. ({0}) Um Ihre zahlreichen Anträge, die gestern eingegangen sind, sachgerecht beurteilen zu können, müssen wir uns deshalb heute mit vier Tatsachen auseinandersetzen: Da ist zum Ersten das Zulassungsverfahren. Fakt ist nun einmal, dass jedes Pflanzenschutzmittel vor seiner Zulassung bzw. vor der Verlängerung seiner Zulassung wissenschaftlich genau begutachtet wird. Dafür gibt es ein aufwendiges Prüf- und Zulassungsverfahren, das in den einschlägigen EU-Verordnungen klar geregelt und definiert ist. Es wird auf einer rein rechtlichen und wissenschaftlichen Grundlage entschieden, ob eine Zulassung erteilt wird oder nicht. Das ist keine politische Ermessensentscheidung. ({1}) Wenn wir heute über den Ausstieg aus Glyphosat sprechen, werden daher nicht nur unsere eigenen Behörden und Wissenschaftler in ihrer fachlichen Qualität und Arbeit, sondern auch rechtliche Grundlagen insgesamt infrage gestellt. Punkt zwei: Wie gefährlich ist Glyphosat? Der Wirkstoff Glyphosat wirkt auf Enzyme, die ausschließlich bei Pflanzen vorkommen, also weder bei Menschen noch bei Tieren. Sein Einsatz ist in Deutschland seit langem sehr streng geregelt. Glyphosat weist eine geringe Mobilität auf. Das heißt, es verbreitet sich nicht selbstständig. Es bindet schnell am Boden, kann also nicht ausgewaschen werden, und wird von Bodenbakterien biologisch rasch abgebaut. Glyphosat ist das am besten untersuchte Pflanzenschutzmittel weltweit. Es gibt dazu rund 1 000 Studien, so viele wie sonst zu keinem anderen Wirkstoff. ({2}) Es galt als unbedenklich, bis die Internationale Agentur für Krebsforschung, die IARC, im Jahre 2015 zu der Bewertung kam, dass Glyphosat wahrscheinlich krebserregend sei. Damit kommen wir zu Punkt drei, nämlich zur Bewertung durch die IARC. Meine Damen und Herren, die IARC ist die einzige Organisation überhaupt, die zu diesem abweichenden Urteil kam. Weltweit kamen staatliche Behörden zum gegenteiligen Bewertungsurteil. Ich nenne einige: das gemeinsame Gremium der WHO und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, die Umweltschutzbehörde der Vereinigten Staaten, die kanadische Bewertungsbehörde für Schädlingsbekämpfungsmittel, das kanadische Gesundheitsministerium, die japanische Behörde für Lebensmittelsicherheit, die neuseeländische Umweltschutzbehörde und die australische Regierungsbehörde für Pflanzenschutzmittel und Tiermedizin. Auch und vor allem die europäischen Behörden, nämlich die EFSA und die ECHA, die Behörde für Lebensmittelsicherheit und die Chemikalienagentur, bestätigten die Bewertung, dass Glyphosat nicht krebserregend ist.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Färber, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Künast?

Hermann Färber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das machen wir nachher. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Okay.

Hermann Färber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Trotz der Einschätzung der IARC ist Glyphosat nicht gefährlicher als Wein, als Bratwürste, als Frittiertes, als Haarfärbemittel, als Schichtarbeit oder sogar als Matetee. All dies ist nämlich als wahrscheinlich krebserregend klassifiziert, aber niemand verzichtet darauf oder verbietet es gesetzlich. Denn grundsätzlich sagt eine Klassifizierung nichts darüber aus, ob tatsächlich eine Krebserkrankung ausgelöst wird oder nicht. ({0}) Damit komme ich zum Punkt vier meiner Rede, nämlich zu den möglichen Alternativen zum Glyphosat: Es gibt kein biologisches und auch kein anderes chemisches Pflanzenschutzmittel, das die positiven Eigenschaften von Glyphosat aufweist. Für die nahe Zukunft ist es fraglich, ob sich ein neues Herbizid entwickeln lässt. Selbst dann würde es bei den heutigen Zulassungsverfahren und vor allem ihrer langen Dauer ewig dauern, bis es uns zur Verfügung stehen würde. Insofern stimmen wir dem Antrag der FDP zumindest in einigen Punkten zu: Wir müssen nämlich die Zulassungsverfahren und die Verfahrensabläufe dringend optimieren. ({1}) Pflügen und Eggen werden oft als Alternativen genannt. Aber wir müssen schon ehrlich und fair sein und die Alternativen anhand der gleichen Kriterien wie Glyphosat bewerten. Der Eingriff in die Biodiversität ist beim Pflügen nämlich erheblich größer als der Eingriff durch Glyphosat. ({2}) Wer sein Feld zwischen den Fruchtfolgen umgräbt, der schadet den Mikroorganismen und den Regenwürmern. Die Bodenfeuchtigkeit nimmt ab, und Erosionen sind die Folge. Von der Umweltbelastung durch Dieselabgase haben wir noch gar nicht geredet. ({3}) Wir hätten dann ein Mehrfaches an Dieselabgasausstoß. Ich fahre selber seit 40 Jahren den Pflug. Glauben Sie mir; ich kann das beurteilen. ({4}) Es käme zu mehr Dieselabgasausstoß als beim Einsatz von Glyphosat, ({5}) und wie Sie selber auch wissen: Dieselabgase sind sicher krebserregend. Die Anträge der SPD, der Grünen und der Linken verweisen darauf, dass der Einsatz von Glyphosat der Biodiversität schade. Selbst wenn man Unkraut von Hand ausrupfen würde, hätte es die gleiche Auswirkung. ({6}) Ja, wir müssen etwas für die Biodiversität und für den Erhalt von Insekten und Vögeln tun. Hier sind wir ja beieinander. ({7}) Das können wir aber nicht mit dem Verbot eines Pflanzenschutzmittels tun, das nur in geregelten Fällen zum Einsatz kommt, sondern hier müssen wir schon selber proaktiv tätig werden. Aus diesem Grund hat Landwirtschaftsminister Christian Schmidt gleichzeitig mit der Zustimmung Deutschlands zu einer Verlängerung der Zulassung von Glyphosat wichtige Verbesserungen für die Pflanzen- und Tierwelt durchgesetzt, wie eben die Wiederaufnahme der Biodiversitätsklausel. Damit hat Bundesminister Schmidt erreicht, dass die in Ihren Anträgen geforderten Maßnahmen überhaupt erst in Erwägung gezogen werden können. All dies hätten wir bei einer Verweigerungshaltung nicht erreicht. Die Kommission hätte die Zulassung für den Wirkstoff dann nämlich ohne diese Bedingungen verlängert. Sie sollten dem Minister also dankbar sein und ihn nicht attackieren. Herzlichen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Färber. – Die Kollegin Künast bittet um eine Kurzintervention, die ihr gewährt werden soll.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Färber, da Sie keine Zwischenfrage zugelassen haben, muss ich in einer Kurzintervention eines sagen: Ich finde es schon ein beachtliches Stück, dass Sie hier einfach die EFSA, das BfR, die EPA, die US-Behörde, und andere hinsichtlich ihrer inhaltlichen Prüfung zum Glyphosat und bei anderen Pestizid-Zulassungen einfach mit der Internationalen Agentur für Krebsforschung gleichsetzen, ohne ins Detail zu gehen. Ich will auch sagen, warum. Sie haben nämlich ein anderes Prüfschema. Sie wissen genau, dass die EFSA, das BfR und andere nur die eingereichten Studien des Antragstellers – hier: Monsanto – bewerten und gucken, was die machen. Diese Studien sind übrigens nicht öffentlich. Ich frage Sie einmal: In welchem Jahrhundert leben wir eigentlich, dass man hier Anträge zu Gesundheitsgefahren stellt, während die Gutachten nicht einmal offengelegt werden müssen? Wir wissen gar nicht, was da drinsteht. ({0}) Sie vergleichen das mit den anderen Studien. Die IARC hat ja etwas anderes gemacht. Diese Internationale Agentur für Krebsforschung hat im Auftrag der WHO auch chemische Cocktails geprüft, also die Mischung, der wir ausgesetzt sind, Herr Färber. Dazu haben Sie gar kein Wort gesagt. Es geht nämlich nicht nur um das Ausbringen, sondern darum, dass Glyphosat in der Umwelt mittlerweile überall vorhanden ist. Sie haben dann von der Pestizid- und FAO-Agentur gesprochen, ohne hier zu sagen, dass in den Vorständen dieser Pestizid-Agenturen Vertreter der Lobbyverbände der chemischen Industrie sitzen. Diese Agenturen können Sie doch nicht alle gleichsetzen. ({1}) Der Gipfel, finde ich, ist, dass Sie uns noch erklären wollen, dass der Dieselruß, der hinten aus dem Trecker herauskommt, wenn der Bauer damit über den Acker fährt, für Natur und Gesundheit noch gefährlicher als Glyphosat ist. Das spricht, ehrlich gesagt, für sich selbst. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Färber, Sie haben die Möglichkeit, zu antworten.

Hermann Färber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin Künast, ich hätte natürlich sehr gerne noch auf diese ganzen Einzelheiten eingehen können. ({0}) Aber dafür hat mir leider die Zeit nicht zur Verfügung gestanden. ({1}) Ich möchte Sie aber daran erinnern, dass Sie selbst damals als Bundesministerin vor 15 Jahren der Verlängerung der Zulassung von Glyphosat zugestimmt haben. ({2}) Ich möchte Sie auch daran erinnern, dass ein wesentlicher Teil in diesem Verfahren, nämlich das Bundesinstitut für Risikobewertung, seinerzeit von Ihnen mit der Maßgabe gegründet wurde, für politische oder wirtschaftliche Einflussnahme eben nicht anfällig zu sein. ({3}) Aber es ist auch nicht für Kampagnen von NGOs anfällig. Darüber bin ich recht froh. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich vertraue unseren deutschen Behörden erheblich mehr als der IARC, insbesondere vor dem Hintergrund, dass bekannt geworden ist, dass der Chefberater der IARC von Kanzleien Beraterverträge und Honorare bekommen hat und damit in einen Interessenkonflikt geraten ist, den er zur der Zeit, als er von Ihnen hier im Hause als Ikone herumgereicht wurde, total verschwiegen hat. ({4}) Diese Tatsache ist erst durch das Europäische Parlament aufgedeckt worden. Herzlichen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Als Nächster für die Sozialdemokraten der Kollege Dr. Karl Lauterbach. ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich versuche in der kurzen Zeit, die Lage so neutral wie möglich darzustellen. Ich bin selbst von der Ausbildung her Epidemiologe. Das heißt, ich beschäftige mich mit den Ursachen von Krebsentstehung. Ich trage die Entscheidung der IARC, dass glyphosathaltige Substanzen in Herbiziden krebserregend sind, klar mit. Ich will das hier kurz begründen. ({0}) Der erste Punkt ist ganz klar: Es ist zwar richtig, dass die Synthetase im Menschen gehemmt wird und in den Wirbelsäulentieren nicht vorkommt, aber deren Abbauprodukte sehr wohl. Diese finden wir im menschlichen Gewebe, und der Stoffwechsel wird beeinflusst. Das heißt, auch wenn das Enzym nicht da ist, wirkt es im Körper. Wir können es im Blut nachweisen. Wir sehen es im Weizen, in Sojaprodukten. Wir sehen es im Bier. Die Verstoffwechselung findet statt. Der zweite Punkt: Es ist auch so, dass die Kombination mit Produkten, mit denen Glyphosat verwendet wird – es wird so gut wie nie alleine verwendet, sondern immer mit Anhaftungsmitteln oder Mitteln, die es in die Zelle bringen –, die Krebserregung hervorruft. Diese Kombination ist es. Das ist auch der Unterschied zu ECHA und EFSA: Die IARC hat auf der Grundlage von wissenschaftlichen Studien, im Wesentlichen der Uni-Institute, diese Kombinationen, die im Einsatz sind, untersucht und nicht das Glyphosat alleine. Das Glyphosat alleine ist von ECHA und EFSA untersucht worden. Aber es kommt ja alleine nie zum Einsatz. Es kommt nur in der Kombination mit den Mitteln zum Einsatz, die es überhaupt wirksam machen. Somit muss ich mich hier ehrlich machen: In der Art, wie es immer eingesetzt wird, ist es krebserregend. ({1}) Ein weiterer Punkt ist: Wir wissen mittlerweile auch, wie es wirkt. Ich selbst habe sehr viel darüber publiziert. Wir wissen Gott sei Dank mittlerweile, wie Krebs entsteht. Wir kennen die Schritte zur Krebsentstehung. Das sind im Wesentlichen die Schritte, in denen, sagen wir mal, genetische Zellmechanismen beschädigt oder aufgehalten werden. Dadurch wird das Wachstum von Tumoren aufgehalten, oder ihr Wachstum wird beschleunigt. Diese Zellmechanismen werden zweifelsfrei – zweifelsfrei! das ist im Tierexperiment, im Menschenexperiment und im Zellexperiment nachgewiesen – angeregt. Das heißt, es wäre eine Überraschung gewesen, wenn wir auf dieser Grundlage nicht auch bei denjenigen, die Glyphosat viel anwenden, mehr Krebserkrankungen gesehen hätten. Das wäre eine Überraschung gewesen. Leider gab es diese Überraschung nicht. Wir wissen, dass diejenigen, die viel Glyphosat einsetzen, vermehrt Non-Hodgkin-Lymphome, also schwer behandelbare Krebserkrankungen, die wir kaum in den Griff bekommen, bekommen. Die Studien von der IARC, aber auch von der WHO selbst, die dazu vorliegen – auch nach 2015 wurden neuere Studien publiziert –, sind einschlägig. Wir müssen uns ehrlich machen. Ich wünschte übrigens, es wäre anders; denn Sie haben ja recht, dass es schwer zu ersetzen ist. Aber es ist eine Lüge und eine Verharmlosung, zu sagen, dass dieser Stoff ungefährlich ist. Er ist sehr gefährlich. Wenn ich bedenke, wie viel davon eingesetzt wird: Auf jeden in Deutschland hochgerechnet – vom Kind bis zum Greis – setzen wir pro Tag 60 Gramm Glyphosat ein. Das kann ich nicht mit Weinkonsum oder ähnlichen Schwänken abtun. Das wird dem Ernst dieser Debatte in keiner Weise gerecht. ({2}) Selbst wenn nur 1 Prozent der Krebserkrankungen dadurch bedingt wäre, dann wären das 5 000 bis 6 000 zusätzliche Krebserkrankungen in Deutschland. Wer von uns will das verantworten? Ich nicht. ({3}) Daher finde ich es bestürzend, dass der Landwirtschaftsminister das über unsere Köpfe hinweg entschieden hat, ohne dass er jemals den fachlichen Rat der Gesundheitspolitiker auch nur gesucht hätte. ({4}) Er hat uns nie angesprochen. Er hat uns nie eingeladen. Er ist über uns hinweggegangen. Das halte ich für falsch. Ehrlich gesagt zeigen Ihre nicht übermäßig komplexen Einlassungen zum Thema auch, dass das Thema aus meiner Sicht breiter aufgestellt werden muss. Es muss auch ein Bestandteil der Gesundheitspolitik sein. ({5}) Daher ist der Antrag, den wir heute stellen, ohne Wenn und Aber richtig. Alles andere wäre verantwortungslos. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Als Nächster für die Fraktion der AfD Stephan Protschka. Es ist seine erste Rede im Hohen Hause. ({0})

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Habe die Ehre, Herr Präsident! Servus, liebe Kolleginnen und Kollegen und Gäste im Deutschen Bundestag! ({0}) Die Debatte um die Zulassung glyphosathaltiger Breitbandherbizide hat in den letzten Monaten wieder richtig Fahrt aufgenommen. Vermutlich hat der eine oder andere Minister etwas damit zu tun. Sicherlich auch durch die fragwürdigen Machenschaften mancher globalen Saatgut­riesen bzw. die undurchsichtigen Zulassungsverfahren der US-amerikanischen und europäischen Zulassungsbehörden ist das Wort „Glyphosat“ mittlerweile auch außerhalb der Agrarwissenschaft allgemein bekannt. Aber über der aufgeheizten Debatte darf man nicht darüber hinwegschauen, dass seit Jahren das als krebserregend verdächtige Glyphosat auf deutschen Äckern versprüht wird, und das in zunehmendem Maße. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, seien wir einmal ehrlich: Dagegen haben weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot als Koalition im Kanzleramt jemals etwas unternommen. Jetzt ist das Thema groß in den Medien, jetzt ist es populär, und jetzt fällt jedem ein, dass man einen Antrag stellen könnte, um es zu verbieten. ({1}) Aber ganz im Gegenteil, meine Damen und Herren: Noch vor Wochen, als Jamaika bei ganz vielen Leuten hier im Saal karibische Glückseligkeit im Herzen ausgelöst hat, spielte die Verlängerung und Zulassung gerade bei der sonst so umweltbewegten Grünenfraktion keine große Rolle. ({2}) Bloß nicht den brüchigen Frieden mit der profitmaximierenden FDP brechen! Dafür opfert man ja nicht nur die Kohlekraftwerke, ({3}) sondern auch das ökologische Gewissen der Grünen. ({4}) Jetzt, wo sich die Hoffnungen der Grünen auf eine Regierungsbeteiligung und auf große Dienstwagen in Luft aufgelöst haben, erwacht wieder die grüne Seele. Jeder Schmetterling muss jetzt wissen, welche Partei plötzlich wieder sein Leben retten will, meine Damen und Herren. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Künast? – Bitte, Frau Künast.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, würden Sie bereit sein, zur Kenntnis zu nehmen, dass in den Sondierungsgesprächen nichts zum Thema „Zustimmung zu Glyphosat“ vereinbart wurde? Vielmehr war die Vereinbarung, abzuwarten, was sich in Brüssel tut, wie am Ende die Kommission entscheidet, und für den Fall, dass die Kommission eine Verlängerung des Einsatzes von Glyphosat entscheidet, Einschränkungs- und Beschränkungsmaßnahmen vorzunehmen. Darüber wurde intern lange diskutiert. Haben Sie das nirgendwo gelesen?

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Doch, in der Presse. ({0}) Es sind ja viele Inhalte der Sondierungsgespräche nach außen gegangen. Herr Lindner hat dazu ein Interview gegeben und gesagt, dass die Grünen ihre Forderung nach einem Glyphosat-Verbot aufgeben wollen zugunsten der Aufnahme einer größeren Anzahl an Flüchtlingen. ({1}) Das hat mit echter Politik oder mit Verantwortungsbewusstsein nichts zu tun. Das ist hektischer Aktionismus. ({2}) Es hat aber nichts mit vernünftiger Politik zu tun. ({3}) Wer Glyphosat schnell vom Acker schaffen will – da muss ich jetzt dem Kollegen von der SPD recht geben; auch wir wollen, dass Glyphosat aus Deutschland verschwindet; darüber brauchen wir überhaupt nicht zu streiten –, der darf dabei nicht die Existenzgrundlage der deutschen Landwirte vernichten. ({4}) Wenn man Glyphosat von heute auf morgen abschafft, vernichtet man die Grundlage der deutschen Landwirtschaft. ({5}) Wenn man ehrlich ist, muss man feststellen: Im Moment ist dieses Mittel aus der konventionellen Landwirtschaft nicht wegzudenken. Ein Verbot kann nur schrittweise erfolgen. ({6}) Wenn man das Höfesterben nicht dramatisch verstärken will, muss man den Einsatz von Glyphosat langsam und vernünftig einschränken. ({7}) Wer solche Anträge stellt wie die Grünen – was Populismus angeht, folgt die SPD kurz dahinter – – ({8}) – Ich finde es schade, dass meine Kollegin aus Niederbayern nicht geredet hat. Sie hat vielleicht vor den niederbayerischen Landwirten Angst, sich hier zu outen. ({9}) Wer Glyphosat abschaffen will, der muss Alternativen bieten. ({10}) Aber die Forschung zu Alternativen stockt ja schon seit Jahren, weil die Förderung dieser Forschung von der Bundesregierung und von allen hier anwesenden Altparteien sträflichst vernachlässigt worden ist. ({11}) Gleichgültig ob die grüne Bundestagsfraktion groß oder klein war: In Wahrheit verhält es sich mit unseren Kollegen von der früheren Ökopartei wie mit einer Melone: Nach außen gibt man sich immer grün; aber im Inneren schlägt ein tiefrotes Herz. Denen war die Umwelt in der Regel schon immer scheißegal. ({12}) Aber damit kann man natürlich keine verantwortungsbewusste Agrarpolitik machen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Wenn ich es richtig gehört habe, haben Sie „scheißegal“ gesagt. Das ist ein nichtparlamentarischer Ausdruck, jedenfalls zu Zeiten, wo die Kinder noch fernsehen. ({0})

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Dann möchte ich mich für den Ausdruck entschuldigen; aber meine Kinder schauen auch noch fern.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Göring-Eckardt? – Frau Göring-Eckardt hat das Wort zu einer Zwischenfrage.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Protschka, ich frage Sie, ob Sie zur Kenntnis nehmen, dass das, was Sie angeblich über Sondierungsergebnisse gelesen haben, und Ihr eigentümlicher Melonenvergleich das ist, was man normalerweise als Fake News bezeichnet, und dass es nichts mit irgendwelchen Argumenten zu tun hat, nichts mit Sachlichkeit zu tun hat und nichts damit zu tun hat, was irgendwo verhandelt worden ist. Es hat übrigens noch nicht einmal etwas damit zu tun, was auf Twitter oder in irgendeiner Zeitung gestanden hat. Das, was Sie über Herrn Lindner sagen, ist Quatsch. Das, was Sie über Informationen, die Sie haben, sagen, ist so dreimal durch den Wolf gedreht, dass es nichts mit dem zu tun hat, was Wirklichkeit ist. ({0})

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Es war eine sehr gute Frage. – Also, die Grünen ersetzen ja mittlerweile die FDP; denn die FDP war die Partei, die über die längste Zeit in der Regierung saß, weil sie von Rot nach Schwarz gewechselt hat. Mittlerweile haben diese Position die Grünen übernommen. Man kann in die Länder schauen, man kann in den Bundestag schauen: Sie reden mittlerweile mit jedem und verraten damit ihre ökologischen Prinzipien, meine Dame. ({0}) Aber danke schön für die Frage. Wie wir das in Zukunft besser machen können, können Sie gern bei uns abschauen. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Protschka, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Noch zwei Sätze. – Ich lade Sie dazu natürlich recht herzlich ein; dann können Sie bei uns einmal staunend zuschauen, wie man vernünftig arbeitet. Die AfD stimmt der Überweisung an den Hauptausschuss zu. Dort können wir mitarbeiten, und da finden wir mit Sicherheit eine vernünftige Lösung für die Verbraucher und für die Landwirte. Danke, meine Damen und Herren. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Einen kleinen Moment bitte! – Vielleicht darf ich die Kolleginnen und Kollegen der AfD darauf hinweisen, dass die Begeisterung von den Abgeordneten natürlich zum Ausdruck gebracht werden kann, aber das permanente Aufstehen nach Redebeiträgen doch unterlassen werden sollte, auch wenn es – Aufstehen ist ja gesundheitsfördernd – der Gesundheit dient. ({0}) Als Nächstes hat der Kollege Frank Sitta von der FDP das Wort. ({1})

Frank Sitta (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir atmen alle mal tief durch! Ich glaube, es ist sinnvoll, wenn die Debatte wieder ein bisschen sachlicher wird. ({0}) Ganz unabhängig vom Zustandekommen des deutschen Abstimmungsverhaltens in Brüssel – hierzu haben wir eine gesonderte Kleine Anfrage gestellt – tragen wir die Entscheidung in der Sache mit. Ich finde es übrigens ausgesprochen schade, dass die geschäftsführende Bundesumweltministerin, die sich ja bei dem Thema sehr entschieden gezeigt hat, heute leider verhindert ist. ({1}) – Ich weiß, dass sie in Paris ist. Deswegen sage ich ja: Ich bedaure es, dass sie leider verhindert ist. Ich werfe es ihr explizit nicht vor. Glyphosat, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird seit Jahrzehnten in der Landwirtschaft eingesetzt und ist ausgesprochen gut erforscht. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, das Bundesinstitut für Risikobewertung, das Julius-Kühn-Institut und das Umweltbundesamt waren in die Bewertung des Wirkstoffs eingebunden – wahrscheinlich das, was Kollege Ebner „die geheime Wahrheit“ nennen würde. Sie sind nach intensiver und sorgfältiger fachlicher Prüfung der aktuellen wissenschaftlichen Forschung zu der Auffassung gelangt, dass bei sachgerechter Anwendung von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier zu erwarten sind. Die Bedenken, die das Umweltbundesamt zu den – wohlgemerkt: indirekten – Auswirkungen von Glyphosat auf die Biodiversität hat, sind wissenschaftlich nicht wirklich abgesichert. ({2}) Zu Ende gedacht wären dann im Übrigen sämtliche Techniken, die zur Bekämpfung von Unkräutern eingesetzt werden könnten, verdächtig; dazu gehören auch mechanische Techniken wie Jäten oder Pflügen. ({3}) Hier plädieren wir dafür, trotz allem die Sorgen in der Bevölkerung ernst zu nehmen, das Ganze wissenschaftlich intensiver zu klären und dabei nicht den Eindruck zu erwecken, dass hier heute ein Glyphosatverbot die Lösung wäre. Bewertungsbehörden weltweit kommen ebenso zu dem Ergebnis, dass Glyphosat nach derzeitigem Stand des Wissens nicht als krebserregend einzustufen ist. ({4}) Entsprechend sind die deutschen Behörden zu der Einschätzung gelangt, dass die Anforderungen des EU-Rechts für die Genehmigung von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen erfüllt sind. Wenn das der Fall ist, gab es, eben rein sachlich betrachtet, auch nur eine folgerichtige Entscheidung, die in Brüssel bezüglich der weiteren Zulassung als Wirkstoff getroffen werden konnte, und das ist die Verlängerung, so wie die deutsche Vertretung das auch mitgetragen hat. Die zuständigen Behörden in Deutschland haben ebenfalls keine Bedenken gegen die Genehmigung von Glyphosat für die beantragten Anwendungen als Pflanzenschutzmittel, wofür die nationale Ebene ja zuständig ist. Auch die Bienenvölker sind demnach bei sachgerechter Anwendung und verantwortungsvollem Umgang nicht gefährdet. Insofern sehe ich auch hier keinerlei Anlass, ein ordentliches Genehmigungsverfahren politisch zu instrumentalisieren. ({5}) Genau dagegen wendet sich unser Antrag. Das Vertrauen der Bevölkerung in jegliche staatliche Zulassungsverfahren sollten wir nicht leichtfertig untergraben. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für die Expertise und Glaubwürdigkeit der zuständigen Zulassungsbehörden und ihres Personals. Andererseits erkennen wir aber auch das gestiegene Informationsbedürfnis der Bevölkerung an. Wir brauchen deshalb definitiv mehr Transparenz in den Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Sitta, würden Sie freundlicherweise eine Zwischenfrage des Kollegen Ebner zulassen?

Frank Sitta (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich würde es gern zu Ende ausführen; danach dann, gegebenenfalls gern als Kurzintervention. Wir haben wenig Zeit. Ich habe wenig Zeit. Die Uhr läuft. ({0}) Ebenso sollten Art und Umfang, wie glyphosathaltige Herbizide in Landwirtschaft und Gartenbau eingesetzt werden, regelmäßig überprüft werden. Womöglich lassen sich bessere Alternativen finden, natürlich nur, wenn das wissenschaftlich fundiert geschieht ({1}) und nicht aus ideologischen Gründen unmöglich gemacht wird. ({2}) Die Grünen wollen – darüber sollte politisch entschieden werden – eine völlig andere Landwirtschaft. Das ist auch legitim. Die Grünen werben damit in ihren Wahlkämpfen. Aber es ist verfehlt und nicht legitim, blindlings nach einem Hebel zu suchen, der es ermöglicht, die eigenen Forderungen quasi durch die Hintertür durchzusetzen. Das lehnen wir als Freie Demokraten ab. ({3}) Ich danke Ihnen und bitte im Namen meiner Fraktion um Überweisung der vorliegenden Anträge an den Hauptausschuss. Herzlichen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Sitta. – Erlauben Sie mir, bevor ich der Bitte von Bündnis 90/Die Grünen nach einer Kurzintervention nachkomme, drei Hinweise. Der erste Hinweis lautet: Dass die Grünen zu Freien Demokraten mutieren, glaubt in diesem Hause – bis auf wenige Ausnahmen – keiner, Frau Kollegin Göring-Eckardt. ({0}) Zweitens. Es war die erste Rede des Kollegen Sitta. Es ist im Hause unüblich, bei der ersten Rede eine Zwischenfrage zu stellen. ({1}) Drittens. Der Kollege Sitta hat sich bereit erklärt, die Kurzintervention hinzunehmen. Deshalb haben Sie, Herr Kollege Ebner, das Wort.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, sehr geehrter Herr Präsident. – An dieser Stelle möchte ich mich entschuldigen, Herr Sitta, dass ein kurzer Break in Ihrer Rede zustande kam. Aber Sie haben das so professionell gemacht, dass Sie darüber wunderbar hinweggekommen sind. ({0}) Ich möchte Sie Folgendes fragen: Sie haben gesagt, der Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Glyphosat und gewissen Diversitätsproblemen, also dem Artenrückgang auf den Äckern, sei gar nicht belegt. Beziehen Sie tatsächlich die Position, dass die verschiedenen Formen der Bodenbearbeitung, der Fruchtfolge und der Unkrautbekämpfung – auch mechanischer Art –, unabhängig von Effizienz und Schlagkraft im Hinblick auf Hektar und Leistung, keinen Unterschied bei der Biodiversität auf dem Acker machen? Sind Sie der Meinung, dass sich auf den Äckern genauso viele Beikräuter, Unkräuter und sonstige Pflanzen befinden wie vor dem Einsatz von Glyphosat? Meines Wissens gab es vor diesem Einsatz 40 Beikräuter pro Quadratmeter. Heutzutage ist es maximal noch ein Beikraut. Mich interessiert, wie Sie dazu stehen und angesichts dessen begründen wollen, dass kein Zusammenhang mit der Biodiversität besteht?

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Sitta, Sie haben die Möglichkeit, zu antworten.

Frank Sitta (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Ebner, vielen Dank für das Lob. Beim nächsten Mal werde ich gerne eine Zwischenfrage erlauben. In dem Moment meiner Rede hielte ich es für unangebracht. Ihre Frage, die ich mir in ihrer Komplexität gar nicht merken konnte – das ist nichts Schlimmes –, beweist eigentlich, warum wir zu Recht für eine Überweisung an den Hauptausschuss plädieren. Wir freuen uns auf die Fachausschüsse; denn das, was hier zur Rede steht, sollte nicht im Plenum, sondern in einem Fachausschuss geklärt werden. Das ist eine Frage der parlamentarischen Gepflogenheiten. Wir können darüber gerne im Hauptausschuss bzw. hoffentlich in einem bald eingesetzten Fachausschuss diskutieren. Dann kann jeder seine Studien mitbringen. Offensichtlich liegen unterschiedliche vor. Dann können wir das im Rahmen des Fachausschusses klären. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Sitta. – Als Nächste für die Fraktion Die Linke: Frau Dr. Kirsten Tackmann. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich finde schon, dass das Ja des geschäftsführenden Bundesagrarministers Schmidt zu Glyphosat in Brüssel eine Posse aus Absurdistan war. Ausgerechnet er als Ex-Staatssekretär im Verteidigungsministerium verweigert den Befehl, wie Olli Welke es in der „heute-show“ ausdrückte. ({0}) Ich finde, dass sich hier moralische Abgründe auftun. Angesichts der Tragweite dieser Entscheidung und, wie ich finde, dieser Amtsanmaßung ist das öffentliche „Du, du!“ der Kanzlerin wirklich ein Witz. ({1}) „Wegtreten!“ hätte das Urteil lauten müssen, damit sich so etwas nicht wiederholt. ({2}) Was ist eigentlich aus dem guten alten Amtseid geworden? Minister Schmidt versteht ihn wohl als verbindliche Freiwilligkeit, eine Wortschöpfung, auf die er ja besonders stolz ist und mit der er schon die Debatten zum Tierschutz so geprägt hat, dass sie in Slow Motion, also in Zeitlupe, abliefen. Ich will ihn an der Stelle einmal zitieren: „So isser, der Schmidt.“ ({3}) Als Linke frage ich auch: Wieso ist eigentlich ausgerechnet er jetzt plötzlich so mutig geworden und so verwegen? Denn in der Bilanz des Bundesagrarministers sehen wir keine Heldentaten, im Gegenteil. In seine Amtszeit fällt einer der schwersten Milchpreiskrisen. Monatelang hat die Milch nicht einmal die Hälfte dessen erbracht, was ihre Produktion gekostet hat. Wie reagiert der Minister darauf? Er trifft sich mit Lobbyisten von Molkerei- und Handelskonzernen zum Tee. Ich finde, das ist unverantwortlich. Er trifft sich damit ausgerechnet mit denen, die genau von diesem System profitieren, das Menschen ausbeutet, Natur ausbeutet, Tiere ausbeutet. ({4}) Auch bei Themen wie „Bodenspekulation“ oder „Schutz von Weidetieren vor dem Wolf“ hat sich der Minister weggeduckt. Da sage ich wieder: So isser, der Schmidt. ({5}) Aber im Abendrot seiner Zuständigkeit wird er plötzlich mutig. Er pfeift auf alle demokratischen Regeln und lässt für weitere fünf Jahre Glyphosatnutzung zu. Hört sich harmlos an, ist es aber nicht; denn Glyphosat steht für ein weltweites System, mit dem alle Pflanzen auf dem Feld totgespritzt werden, damit dort nur noch eine Kulturpflanze wächst. Ich finde, das ist ein makabres Reinheitsgebot für das Erntegut, und ich finde das nicht richtig. ({6}) Auch wenn man mit Glyphosat mehr Klimaschutz durch pfluglose Bodenbearbeitung erreichen kann oder dadurch die Bodenerosion reduziert wird, ist der Preis dafür, wie ich finde, einfach zu hoch. Dafür brauchen wir ganz klar andere Lösungen als Glyphosat. ({7}) Denn viele Hinweise auf Gefahren und Risiken durch Glyphosat für Gesundheit und Natur sind eben nicht entkräftet. Es sind ja schon einige hier genannt worden; ich möchte ein weiteres Beispiel ergänzen: Das in Deutschland zuständige Bundesinstitut für Risikobewertung gibt ja deswegen Entwarnung, weil in Europa der Kontakt zu Glyphosat so selten wäre. Aber selbst in zwei kleinen Studien ist doch nachgewiesen worden, dass Glyphosat relativ häufig im Urin gefunden wird. Das ist auch gar nicht unlogisch; denn wir finden ja auch in Lebensmittel wie Backwaren, Bier und Speiseeis Glyphosatspuren. Im Mai 2016 habe ich deswegen die Bundesregierung gefragt, welche Studien sie denn beauftragt hat, um zu klären, wie häufig die Normalbevölkerung tatsächlich Kontakt zu Glyphosat hat und welche Risikofaktoren dabei eine Rolle spielen. Die Antwort war: kein Handlungsbedarf. – So isser, der Schmidt. ({8}) Aber als Minister ist er doch dem Gemeinwohl verpflichtet und nicht dem Wohl von Monsanto und Bayer. ({9}) Leider hat Minister Schmidt damit auch der Landwirtschaft einen Bärendienst erwiesen, vor allem den Betrieben, die sich längst auf den Weg zu anderen Ufern gemacht haben. Deshalb muss nach diesem bösen Foul tatsächlich konsequent im Sinne des Vorsorgeprinzips gehandelt werden. ({10}) Im Bundesrat hat Thüringen bereits eine Initiative gestartet. Hier im Bundestag liegen mehrere Anträge vor, die sehr ähnlich sind. Die Linke sagt: Erstens. Wir brauchen ein Zulassungsverfahren, das verhindert, dass gefährliche Wirkstoffe tatsächlich zugelassen werden. Es muss transparent und unabhängig sein. Zweitens. Wir wollen ein unverzügliches Verbot von Glyphosat. Drittens müssen wir endlich Sofortmaßnahmen treffen, die das Risiko wirklich minimieren. Dazu gehört das Verbot der Vorerntebehandlung, das Verbot des Verkaufs an Privat und das Verbot der Anwendung auf kommunalen Flächen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie zum Schluss, Frau Kollegin.

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, das ist der letzte Satz. – Ich sage hier auch eins: Die Zeit zwischen den Koalitionen könnte doch zur Sternstunde des Parlaments werden. Also lassen Sie uns hier sinnhafte und kluge Entscheidungen fällen. In diesem Sinne: Danke für die Aufmerksamkeit. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Als vorletzte Rednerin für die CDU/CSU Frau Marlene Mortler. ({0})

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Politik ohne Emotionen, ohne Gefühle, ohne Leidenschaft ist einseitig, ja sie ist langweilig. Das macht die aktuelle Debatte deutlich. Aber wenn Politik nur noch nach Gefühlslage und ohne Faktencheck gemacht wird, dann wird es kritisch. ({0}) Ich bin schon sehr erstaunt über die Einlassungen von Frau Kollegin Tackmann von der Linken, die wider besseres Wissen hier als Wissenschaftlerin geredet hat. ({1}) Auch über Ihre Einlassungen bin ich sehr erstaunt, lieber Herr Dr. Lauterbach. Ich habe Sie in dieser Debatte noch nie reden hören. Sie sollten aber wissen, dass sogenannte Beistoffe in glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln wie Tallowamine längst verboten sind. Die Zulassung ist ausgelaufen, ({2}) weil die Bewertung lautet: gefährlicher als das eigentliche Glyphosat. Sie sollten auch wissen, dass – egal durch welches Ministerium Pflanzenschutzmittel zugelassen werden, ob durch das BMEL, in diesem Fall das BVL, oder durch das BMG – die Unabhängigkeit gilt, also das Ganze unbestechlich bewertet werden muss. Das ist der Maßstab. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Lauterbach zu?

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte gerne weitermachen, ({0}) aber anschließend gerne. Meine Damen, meine Herren, der Wirkstoff Glyphosat ist zum Feindbild, zum Symbol, zum Kampfbegriff für das Böse geworden. Zeitgeist! Einige Medien haben sich immerhin um Sachlichkeit bemüht. Danke! Auf der anderen Seite verdienen inzwischen professionelle Kampagnenorganisationen leichtes und schnelleres Geld mit der Landwirtschaft, als man in der nachhaltigen Landwirtschaft je verdienen kann. Das sollte uns zu denken geben. ({1}) Wissenschaft zählt nicht. Studien werden grundsätzlich infrage gestellt, wenn einem die Ergebnisse nicht passen. ({2}) Worauf soll sich der Landwirt oder der Verbraucher noch verlassen können, wenn wissenschaftliche Beratung und Bewertung untergraben werden, wenn gegen wesentliche Grundlagen unserer Demokratie und unseres Gemeinwesens gefährlich Stimmung gemacht wird? ({3}) Für uns, die Union, ist und bleibt wissenschaftliche Evidenz Leitprinzip für politische Entscheidungen. ({4}) Das Leitprinzip der Panikmache, Ihr Leitprinzip, ({5}) hat dazu geführt, dass unser Bundesminister Schmidt und seine Familie inzwischen Morddrohungen erhielten und erhalten. Als Drogenbeauftragte der Bundesregierung kenne ich diese Form der einseitigen Auseinandersetzung nur zu gut. Trotzdem: Christian Schmidt hat Mut bewiesen. ({6}) Er hat sich etwas getraut, vor dem sich viele gedrückt haben. ({7}) Er hat mutig Ja gesagt und endlich ein falsches Spiel beendet. Er hat der EU-Kommission ihre Entscheidung abgenommen. ({8}) Er hat mit seinem Ja mehr erreicht als mit einer Enthaltung. ({9}) Das Einzige, was man ihm vorwerfen kann, ist, dass er gegen die gängige Praxis – ohne weitere Abstimmung mit Bundesministerin Hendricks – „verstoßen“ hat. ({10}) Davon steht zwar nicht einmal etwas in der Geschäftsordnung. Es ist aber gängige Praxis. Das gebe ich gerne zu. ({11}) Wie schon erwähnt, hat er dafür persönlich einen hohen Preis bezahlt. ({12}) Auf der anderen Seite hat er allerdings für weitere Anwendungsbeschränkungen und Auflagen, mehr Transparenz und Übersicht beim Zulassungsverfahren ({13}) und die Berücksichtigung der Belange der Artenvielfalt und der Umweltauswirkungen gesorgt sowie die Grundlage für ein Verbot der Privatanwendung geschaffen. ({14}) Vor allem aber hat er für mehr Planungssicherheit und Rechtssicherheit für Landwirte gesorgt. ({15}) Er hat also viel mehr erreicht. Das ist doch eine gute Nachricht.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ebner?

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen, meine Herren, ich komme zum Schluss. Zur Verunsicherung hat sicherlich die IARC, die Internationale Agentur für Krebsforschung, die der WHO angegliedert ist, beigetragen. Und so viel Zeit muss sein: Frau Künast, Sie haben von der FAO gesprochen. Wir reden von der WHO, die übrigens auch Wurst und Schinken als wahrscheinlich krebserregend eingestuft hat. Wenn man über Bewertung spricht, muss man wissen, dass im ersten Schritt immer die Gefahr benannt wird, also die Gefahrenidentifizierung, und erst im zweiten Schritt das eigentliche Risiko, also das gesundheitliche Risiko, bewertet wird. Ein gesundheitliches Risiko bei der Anwendung von Glyphosat bei bestimmungsgemäßem Gebrauch und sachgerechter Anwendung gibt es nicht, sagen alle seriösen Experten und Institute. ({0}) Selbst Frau Krautzberger, Präsidentin des UBA, hat noch 2014 in einem Expertengespräch Folgendes gesagt – – ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, Sie wollten zum Schluss kommen.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Für mich ist Glyphosat das harmloseste Pflanzenschutzmittel im Vergleich. – Sie befürwortet kein Verbot; denn im Vergleich zu den zur Verfügung stehenden Mitteln ist es akzeptabel. – Herr Präsident, das wollte ich noch gesagt haben. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Aber das rechtfertigt keine Zeitüberschreitung, Frau Kollegin.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wer am lautesten schreit, wird gehört – das ist Ihre Devise. Sie reklamieren damit die Mehrheit für sich, meine Damen, meine Herren. Unser Ziel ist es, gesunde Lebensmittel nachhaltig zu produzieren.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, bitte.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jetzt aber wirklich der letzte Satz. ({0}) Weltweit betrachtet würden ohne Pflanzenschutzmittel noch mehr Menschen an Hunger leiden.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, jetzt aber bitte. Auch in Bayern ist ein Satz ein Satz und nicht zehn Sätze.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deshalb: Gesunde Pflanzen durch gute Versorgung. Danke schön. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ich bedanke mich herzlich. – Es sind zwei Kurzinterventionen angemeldet. Sie werden noch Gelegenheit haben, darauf zu antworten. Die erste Kurzintervention ist die des Kollegen Dr. Karl Lauterbach.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Ich bin direkt angesprochen worden und will hier etwas korrigieren. Es ist eben vorgetragen worden, dass die Kommission Tallowamin als Beimittel für Glyphosat verboten habe. Das ist nicht richtig. Sie hat lediglich das Verbot empfohlen. ({0}) Die Länder sind aber frei, das umzusetzen. Der Punkt, auf den ich hinauswill, ist: Dies bedeutet, dass weitere 300 in der Verwendung befindliche Beimengungsstoffe nicht verboten sind und auch nicht für ein Verbot empfohlen worden sind. Die meisten Stoffe, auf die sich die IARC-Studien beziehen, sind nicht nur nicht verboten, sondern nie für das Verbot empfohlen worden. Der Grund dafür ist, dass in den ECHA- und den EFSA-Studien diese Beistoffe nie untersucht wurden; es wurde nur die reine Glyphosat-Wirkung untersucht. Nur die IARC hat auf der Grundlage der Uni-Studien alle Beimengungen, die sie bekommen konnte, untersucht. Viele sind übrigens Handelsgeheimnisse der Unternehmen, die es herstellen, und daher gar nicht untersuchbar. Somit ist an Gefahr überhaupt nichts gebannt worden; die Gefahr ist genauso wie beschrieben. Ich würde mich freuen, wenn es anders wäre – damit wir uns nicht falsch verstehen –, aber die Gefahr ist schlicht und ergreifend die: Die gefährlichen Beistoffe, von denen wir wissen, dass sie krebserregend sind, sind nie untersucht worden, außer von der IARC, in deren Studien die wahrscheinliche Krebserregung belegt worden ist. Deshalb sind die Beistoffe auch nicht verboten. Die Gefahr ist also in keiner Weise so zu verharmlosen, wie Sie es hier getan haben. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin Mortler, Sie haben Gelegenheit, direkt zu antworten.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Lauterbach, Ihre Wortmeldung zeigt mir, dass Sie nicht aktuell informiert sind. ({0}) Die Europäische Kommission hat den Mitgliedstaaten einen Entscheidungsspielraum gegeben, ob sie diese sogenannten Beistoffe bei glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln verbieten. Das hat Deutschland getan. Genauso habe ich es in meiner Wortmeldung dargestellt. ({1}) Zum Thema IARC. Auch das hatte ich erklärt: Es gibt eine Prozesskette, wie man Risiken beurteilt und bewertet. Die IARC sagt in erster Linie: kann Gefahr bedeuten, also: Wurstverzehr – wahrscheinlich krebserregend. Genauso war die Aussage zu Glyphosat. Das ist wie beim Autofahren: Wenn ich Auto fahre, ist die Gefahr, dass ich verunglücke, größer, als wenn das Auto auf dem Parkplatz steht. Wenn ich einmal Schmerzmittel nehme, gibt es keine Gefahr der Abhängigkeit, wenn ich sie regelmäßig nehme, dann schon. Aber das Entscheidende ist doch: Das BfR und andere glaubhafte, seriöse Institute kommen bei ihren Bewertungen alle zu dem Ergebnis, dass es keine gesundheitlichen Schäden bei bestimmungsgemäßem Gebrauch und sachgerechter Anwendung gibt. Ich wiederhole das gerne noch fünfmal, aber das ist Fakt. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Frau Mortler. – Als weiterem Redner gebe ich dem Kollegen Ebner das Wort zu einer Kurzintervention.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. – Liebe Kollegin Mortler, Sie haben gerade die Beistoffe angesprochen und gesagt: Deutschland hat diesen Spielraum genutzt. – Deutschland hat aber auch neue Beistoffe zugelassen. Deshalb möchte ich Sie erstens fragen, ob Sie denn etwas darüber wissen, ob diese neuen Beistoffe auch risikogeprüft sind und in welchem Umfang das stattgefunden hat. ({0}) Zweitens möchte ich Sie fragen, ob Sie bei Ihrer Rede den Sprechzettel des Ministers, der gestern verschickt wurde, vorgelesen haben. Ich weiß nicht, ob die SPD den auch hat. Da stehen nämlich all diese Argumente, all diese Punkte drin, zum Beispiel die Geschichte, dass ohne Gift die Welt verhungert. Das macht es aber nicht wahrer. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht den TAB-Bericht dieses Hauses zum Welthunger zur Kenntnis genommen haben, der besagt, dass wir nach wie vor Lebensmittelverluste von 40 bis 60 Prozent haben und dass wir leider immer noch nicht weit genug gekommen sind, um an diesem wichtigen Punkt etwas gegen den Hunger auf der Welt zu tun. Letzter Punkt. Um der Legendenbildung entgegenzuwirken: Sie haben gesagt, der Minister habe erreicht, dass Transparenz in das Zulassungsverfahren kommt. Ich habe hier eine Meldung der Europäischen Kommission von heute, 12. Dezember 2017, ungefähr 15 Uhr. Da steht: Kommission reagiert auf die Europäische Bürgerinitiative zu Glyphosat und kündigt mehr Transparenz bei der wissenschaftlichen Bewertung an … Vielleicht haben Sie eine Antwort darauf, ob Minister Schmidt bei der Europäischen Bürgerinitiative auch mitgemacht hat. Dann könnte er sich das vielleicht auf die Fahnen schreiben. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank. – Frau Kollegin Mortler, wollen Sie antworten? – Bitte.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich beantworte die Fragen nicht der Reihe nach, sondern so, wie Sie mir jetzt gerade einfallen. Erstens, zum Thema Lebensmittelverschwendung. Als Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft weiß ich Gott sei Dank noch, wie man mit Ressourcen umgeht, zum Beispiel dass es gut ist, wenn der Kühlschrank ab und zu leer ist. Dann schätzt man wieder, wenn etwas Frisches drin ist. Ich begrüße ausdrücklich die Kampagne „Zu gut für die Tonne!“, die unser Minister bzw. seine Vorgängerin Ilse Aigner ins Leben gerufen hat. Ich stehe voll dahinter. Ich habe auch die Zu-gut-für-die-Tonne-App. Sie auch? – Sehen Sie. Diese App zeigt uns nämlich, wie wir mit Lebensmittelresten sinnvoll umgehen, um sie nicht wegzuwerfen. Ganz ehrlich, wir wissen doch: In Deutschland werden Lebensmittel am Ende der Kette weggeworfen. 40 Prozent der Lebensmittel werden von privaten Haushalten weggeschmissen – immer noch. Deshalb wollen wir weiter aufklären. Zum anderen wissen wir, dass gerade in den Entwicklungsländern am Anfang der Kette, also beim Aussäen, bei der Saat, bei der Ernte, beim Transport, beim Lagern schon die ersten Probleme entstehen. Deshalb ist es so wichtig, dass unser Entwicklungshilfeminister Gerd Müller, der hier einen super Job macht, das Thema zusammen mit Christian Schmidt auf seine Agenda geschrieben hat, damit sich durch mehr Aufklärung, durch mehr Hilfe zur Selbsthilfe die Situation in diesen Ländern entsprechend verbessert. ({0}) – Wer am lautesten schreit, hat nicht immer recht. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Sie haben noch eine Minute, Frau Kollegin.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Für mich ist das Thema sehr ernst, weil es mir persönlich sehr am Herzen liegt. Wir wissen, es fängt im Haushalt an. Die Dosis macht das Gift. Wenn Pflanzenschutzmittel ordnungsgemäß ausgebracht sind, dann gibt es keine Probleme, aber eben nur unter dieser Bedingung. Hier trägt der Landwirt Verantwortung. Zu der Frage nach den Beistoffen. Ich würde an deiner Stelle das BVL fragen, ({0}) das Bundesamt, das jetzt und hoffentlich auch in Zukunft für die Zulassung zuständig ist. Wir wissen, die Analysemethoden werden immer mehr verfeinert, die Risikoabwägungen sind immer kritischer; das ist ja auch in unserem Sinne.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen, Frau Kollegin. Die drei Minuten sind um.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Damit bin ich fertig. Danke. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, herzlichen Dank. – Ich sehe, dass die Fragesteller mit den Antworten nicht zufrieden sind. Ich empfehle, dass man die Fragen „Wer weiß was?“ oder „Wer hat was?“ dann bilateral klärt. Am Ende dieser sehr munteren Debatte hat die Kollegin Rita Hagl-Kehl für die Sozialdemokraten das Wort. ({0})

Rita Hagl-Kehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004287, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Glyphosat ist in aller Munde, auf der einen Seite durch die Aufnahme mit der Nahrung, auf der anderen Seite im übertragenen Sinn durch den Herrn Minister Schmidt, ({0}) der dafür gesorgt hat, dass ganz Deutschland über Glyphosat Bescheid weiß. Ich musste mit Erstaunen vernehmen, dass es jetzt Mut heißt, wenn man sich nicht an Regeln hält, ({1}) wenn man Absprachen, die getroffen worden sind, einfach bricht, wenn man politisches Vertrauen, das aufgebaut werden sollte, einfach so zerstört. ({2}) Es ist interessant, dass man das mit Mut übersetzen kann, wie es die Kollegin Mortler getan hat. Die Position der SPD-Bundestagsfraktion ist dem Herrn Minister schon seit langem bekannt. Wir haben immer gesagt: Wir wollen ein Verbot im Haus- und Kleingartenbereich, weil Herbizide nicht in die Hand von Ungeschulten gehören, weil da der größte Missbrauch entsteht. Wir wollen ein Verbot im öffentlichen Bereich, weil wir nicht wollen, dass unsere Kinder auf den Spielplätzen und auf den Schulhöfen mit Glyphosat in Kontakt geraten. Und wir wollen ein Verbot der Sikkation, weil die sogenannte Sikkation, die Vorerntebehandlung des Getreides, erstens unnötig ist und zweitens genau die Wirkung hat, dass der Mensch es direkt aufnimmt. ({3}) Wenn das fast reife Getreide behandelt wird, dann haben wir den Eintrag in Brot und Bier, und davor kann man sich nicht schützen. Das ist für die Menschen ein Problem. Es wurde als Beispiel Schinken genannt. Wenn ich Schinken oder Wurst esse, dann weiß ich, dass es ein gewisses Risiko gibt. Aber wenn ich Brot für meine Kinder kaufe, dann will ich nicht, dass es mit einem Risiko behaftet ist. ({4}) Wir wollen den schnellstmöglichen Ausstieg aus der Anwendung. Wir wollen, dass die Zulassung von glyphosathaltigen Mitteln nur noch erlaubt wird, wenn die unmittelbaren Auswirkungen auf die biologische Vielfalt gesichert ausgeschlossen werden, ({5}) damit die Pflanzenschutzmittel, die die Artenvielfalt gefährden – sie sind eine Hauptursache für das Sterben der Bienen –, mit der Zeit vom Markt genommen werden. Zudem fordern wir Förderprogramme. Durch Wissensvermittlung über ackerbauliche Maßnahmen soll die Entwicklung biologischer Maßnahmen und die Entwicklung von Vermeidungstechniken gefördert werden; auch Alternativen für die Deutsche Bahn sollen gefunden werden. Grundsätzlich sind wir für eine nachhaltige Landwirtschaft. ({6}) Das wollen auch unsere Bürgerinnen und Bürger. Sehen Sie sich einmal die Forsa-Studien zu Glyphosat an! Das Vertrauen der Menschen in unserem Land liegt auf uns, und wir haben dieses Vertrauen zu rechtfertigen. Vertrauen – ich sagte es schon am Anfang – schafft man aber nicht dadurch, dass man etwas geheim hält, Herr Minister, ({7}) wie es zum Beispiel bei der Akteneinsicht zu den Beratungen von Juli bis November 2017 geschehen ist. Was steht in diesen Akten, und warum werden sie geheim gehalten? ({8}) Sie, Herr Minister, könnten unser Vertrauen zurückgewinnen. Unterstützen Sie den Glyphosat-Ausstieg zumindest in Deutschland, und unterstützen Sie es auch, wenn es morgen in der EU-Kommission darum geht, die Neonikotinoide zu verbieten. ({9}) Unterstützen Sie hier den Vorschlag der Kommission, und handeln Sie jetzt nicht wieder so, wie Sie beim letzten Mal gehandelt haben, als Sie unser Vertrauen missbraucht und unsere Absprachen in der Regierung verletzt haben. Ich danke Ihnen. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Mit den letzten Worten schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/230, 19/216, 19/226, 19/232 und 19/231 an den Hauptausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so der Fall, dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Auch wenn einige Kolleginnen und Kollegen Ihnen und uns schon frohe Weihnachten gewünscht haben, will ich darauf hinweisen, dass wir morgen weitertagen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 13. Dezember 2017, 11 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen und uns noch einen wunderschönen Abend. Damit ist die Sitzung geschlossen. (Schluss: 18.01 Uhr)