Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/14/2018

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Nach jahrelangen Diskussionen ist es heute geschafft: Die Musterfeststellungsklage wird Gesetz, und damit gilt der Grundsatz: „Wer recht hat, bekommt recht“, und das schnell und kostengünstig. Ein guter Tag für den Verbraucherschutz in Deutschland. ({0}) Verbraucher können sich zukünftig kostenlos zu Musterverfahren anmelden und so kostenlos die Voraussetzungen ihrer Ansprüche durch Einrichtungen wie die Verbraucherzentrale feststellen lassen. Geht das Musterverfahren zugunsten des Verbrauchers aus, dann kann etwa ein betrogener Autokäufer mit diesem für ihn günstigen Prozessergebnis seinen Schaden einklagen. Oft wird das nicht nötig sein, weil ein Unternehmen, das das Musterverfahren verliert, von sich aus ökonomisch denken und Vergleichsangebote in akzeptabler Höhe machen wird. Aber wenn das nicht der Fall ist, kann er schnell und kostengünstig seinen eigenen Prozess führen; denn er hat ja das für ihn ausgegangene Musterverfahren in der Tasche. Daran sieht man: Das Musterverfahren sorgt dafür, dass insbesondere die betrogenen Autokäufer jetzt schneller zu ihrem Recht kommen. Den guten Gesetzentwurf der Bundesregierung haben wir nur an wenigen Stellen geändert. Wir haben geregelt, dass ein Gericht zuständig ist, und zwar erstinstanzlich das Oberlandesgericht. Den befürchteten Wettlauf der Einrichtungen wird es nicht geben; denn wenn sich mehrere Einrichtungen bewerben, können die Verfahren verbunden werden. Eine weitere, für die Verbraucher wichtige Verbesserung: Angemeldete Verbraucher können noch am Tag der mündlichen Verhandlung vom Musterverfahren zurücktreten und individuell klagen. Weil auch Unternehmen, etwa Handwerksbetriebe, beim Autokauf betrogen wurden, ändern wir die ZPO. Unternehmen können sich zwar nicht im Musterverfahren registrieren lassen, aber sie können zukünftig ohne Zustimmung des beklagten Unternehmens die Aussetzung ihres eigenen Prozesses beantragen. Das ist eine ganz wichtige Neuerung. Das Gesetz wird nun, wie geplant, zum 1. November 2018 in Kraft treten. Die Verbraucherzentrale hat schon angekündigt, dass sie insbesondere für die betrogenen Autokäufer auf Basis unseres Gesetzes – sie werden also unser wichtiges Gesetz nutzen – ein Musterverfahren zur Feststellung der Abgasmanipulation einleiten wird. Ab November können sich die betrogenen Autokäufer verjährungsunterbrechend im Register des Bundesamtes für Justiz eintragen lassen und dann über die Verbraucherzentrale ihre Anspruchsvoraussetzungen feststellen lassen. Ich bedanke mich bei allen, die zum Zustandekommen dieses Gesetzes beigetragen haben. Insbesondere geht der Dank an das Bundesjustizministerium, Ministerin Barley und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich hierfür sehr engagiert haben. Es war in der Tat bis zuletzt ein spannendes Beratungsverfahren, insbesondere gestern. Aber ich glaube, es war gut, dass wir zügig und gründlich dieses Gesetz beraten haben, sodass die drohende Verjährung von Schadensersatzansprüchen der getäuschten Autokäufer zum Jahreswechsel nicht eintreten wird; eine ganz wichtige Maßnahme, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Es geht bei diesem Gesetz nicht nur um Verbraucherschutz, sondern es geht auch darum, das Vertrauen der Verbraucher in den Rechtsstaat zu stärken; denn wenn ein Autokonzern Tausende Autokäufer getäuscht und betrogen hat, dann können wir zwar nicht per Gesetz die Nachrüstung beschließen, wir können auch nicht per Gesetz Schadensersatzzahlungen anordnen, aber wir können – und das machen wir – mit diesem Gesetz dafür sorgen, dass die getäuschten Autofahrer schneller und vor allem ohne Kostenrisiko ihre Schadensersatzansprüche geltend machen. Damit stärken wir durchaus auch das Vertrauen der Verbraucher in unseren Rechtsstaat, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Weil es in der Bevölkerung durchaus Sorgen gab, dass die Datenschutz-Grundverordnung möglicherweise zu erheblichen Risiken in Bezug auf missbräuchliche Abmahnungen führen könnte, werden wir heute zugleich einen Antrag verabschieden, der das ganz klare Ziel hat, missbräuchliche Abmahnungen zu verhindern. Ich glaube, es ist ein wichtiges Signal, dass wir dieses Thema gleich angehen; wir hätten gerne schon im Koalitionsvertrag mehr dazu vereinbart. Wir glauben, dass es wichtig ist, jetzt ein starkes Signal zu senden. Wir sind dankbar, dass Justizministerin Barley schon eine klare Ansage gemacht hat. Wir werden gleich nach der Sommerpause darangehen, Abmahnmissbrauch grundlegend zu verhindern. Wir wollen nicht nur in einem Schnellschuss die Sanktionen etwas hinausschieben, sondern wir wollen grundlegend etwa Anwaltsgebühren deckeln; eine ganz wichtige Maßnahme. Das zeigt, dass wir auch hier die Befürchtungen und Sorgen in der Bevölkerung aufnehmen und handeln, liebe Kolleginnen und Kollegen. Zwei gute Anträge; stimmen wir denen zu. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke schön. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Lothar Maier, AfD-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Lothar Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004812, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Musterfeststellungsklage erscheint uns, wie an dieser Stelle schon mehrfach ausgeführt, ein im Prinzip geeignetes Instrument, um Verbraucherinteressen bei ähnlich gelagerten Fällen durchsetzen zu können, gerade im Bereich der Bagatellschäden. Ein diesbezügliches Gesetz muss aber entsprechend sorgfältig ausgearbeitet werden und darf nicht etwa – auch nicht im Ansatz – auf aktuelle Spezialfälle bezogen sein. In einem Wort: Es muss zukunftsfähig sein. Daran muss es aber bei der vorgelegten Fassung Zweifel geben, die durch die am Montag in dieser Woche erfolgten Anhörungen zu diesem Thema noch verstärkt wurden. Dort haben sich immerhin acht von neun Sachverständigen über diesen Entwurf kritisch bis sehr kritisch geäußert. Hinzu kommt, dass wichtige Stellungnahmen anderer befasster Organe erst Stunden vor der Beschlussfassung vorgelegt wurden und dass das Protokoll der Anhörung bis heute nicht verfügbar ist. Solche extrem kurzen Fristen der Beschlussfassung sind nicht hinnehmbar. ({0}) Dem Parlament muss ausreichend Zeit gegeben werden, die Ergebnisse der Anhörungen und der Stellungnahmen zu berücksichtigen. Es entsteht der Eindruck, dass das Gesetz in Kenntnis seiner Mängel sofort durchgepeitscht werden soll; als Begründung wird das Auslaufen einer Verjährungsfrist betreffend ein einzelnes großes Unternehmen genannt. Aus Kreisen der Linken in meinem Bundesland habe ich gehört, man wolle nun dem VW-Konzern den Garaus machen, so wörtlich. Nach meiner Kenntnis hat die CDU in einem der ostdeutschen Landtage kürzlich erfolgreich geklagt, weil auch dort in einer wichtigen Frage eine Beschlussfassung herbeigeführt wurde, obwohl das Protokoll einer vorausgegangenen Anhörung nicht vorlag. Wir behalten uns vor, in der Frage der durchgepeitschten Beschlussfassung über die Musterfeststellungsklage in gleicher Weise zu verfahren. ({1}) Eine Beschlussfassung kann frühestens in einigen Wochen erfolgen, vorzugsweise nach der Sommerpause. Die Position der AfD zur Musterfeststellungsklage im Prinzip ist, wie gesagt, grundsätzlich positiv. Wir bestehen aber auf einer Reihe von Korrekturen, die ich hier kurz zitieren darf, auch in Anlehnung an die Ergebnisse der Anhörung von Montag dieser Woche. Erstens. Die Anmeldeverfahren müssen vereinfacht werden. Eine juristisch unzulängliche Formulierung der Streitsache durch den klagenden Bürger darf nicht zum Ausschluss aus dem Verfahren führen. ({2}) Es erscheint uns auch nicht erforderlich, dass die Sachstandsbeschreibungen jedes einzelnen Teilnehmers in das Verfahren eingebracht werden. Die Identitätsfeststellung des klagenden Bürgers sollte, wie von den Verbraucherverbänden vorgeschlagen, ausreichen; die individuellen Sachstandsbeschreibungen aber sollten beim klagenden Verband verbleiben. Zweitens. Die Mindestzahl der in einem Verfahren zusammengefassten Klagen sollte nicht 50, sondern höchstens 20 betragen. Je größer die geforderte Mindestanzahl von Teilnehmern, desto stärker dürfte die Sachlage in den einzelnen Fällen differieren und desto eher wird den Beklagten die Möglichkeit gegeben – wegen dieser Unterschiedlichkeit –, die Anwendbarkeit des Feststellungsbeschlusses zu bestreiten. Drittens. Auch kleine und mittlere Unternehmen sollten klagebefugt sein. Der Verbraucherbegriff im Gesetz sollte daher an den der ZPO angeglichen werden. Viertens. Die Zahl der Feststellungsbefunde sollte im Verfahren begrenzt werden, um die Folgeverfahren zu erleichtern. Ein Zwang etwa zur Abarbeitung aller Prospektaussagen sollte nicht bestehen, um einen Abschluss der Verfahren in angemessener Zeit zu ermöglichen. Fünftens. Das Hauptproblem – das ist der Kern der Sache – ist das Fehlen eines konkreten Anspruchs am Ende des Verfahrens. Dafür muss eine Lösung gefunden werden, zum Beispiel die Abtretung von Ansprüchen an klagende Vereine. Sechstens. Es muss sichergestellt sein, dass bei der Durchführung der Kollektivklage die Gesamtdauer des Verfahrens einschließlich des Folgeverfahrens nicht wesentlich länger ist als bei Individualklagen. Wir gehen nun davon aus, dass der Gesetzentwurf aufgrund der besagten Mängel noch nicht ausgereift ist und daher vom Hohen Haus heute abgelehnt werden wird. In diesem Falle werden wir unmittelbar danach einen sorgfältig ausgearbeiteten eigenen Entwurf zur Musterfeststellungsklage vorlegen, der zwar auf dem Entwurf des Bundesministeriums beruht, aber die erwähnten Mängel abstellt. Danke sehr. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Elisabeth ­Winkelmeier-Becker, CDU/CSU. ({0})

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte den Faden, den Kollege Johannes Fechner am Ende seiner Rede gesponnen hat, gleich aufgreifen und möchte zu Beginn meiner Rede sagen, dass wir uns darüber einig sind, gegen Abmahnungen gezielt und auch sehr schnell vorzugehen. Aber wir hätten es auch einfacher haben können. Wir hätten heute in diesem Verfahren schon die erste Soforthilfe gegen unberechtigte Abmahnungen wegen Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung beschließen können. Das wäre ein schneller Akt gewesen, der wirklich geholfen hätte. Darauf haben viele gewartet. ({0}) Da haben wir heute eine Chance vertan. Aber ich will vor allem über den Gesetzentwurf zur Einführung einer Musterfeststellungsklage reden, der heute hier verabschiedet werden soll.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte sehr.

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Sie haben Ihre Rede direkt mit dem Thema Abmahnungen begonnen. Das ist ja eigentlich fachfremd und hat mit der Musterfeststellungsklage nicht wirklich etwas zu tun. Sie haben eben den Entschließungsantrag erwähnt. Damit wollen Sie Regelungen im Zusammenhang mit Abmahnungen bei der Datenschutz-Grundverordnung vorbereiten. Die Frage, die sich zunächst einmal stellt, ist: Brauchen wir nicht Regelungen, die Abmahnungen generell betreffen und die nicht nur im Zusammenhang mit der Datenschutz-Grundverordnung gelten? Und daran anschließend stellt sich die Frage: Was haben Sie denn bei dem Umsetzungsgesetz zur Datenschutz-Grundverordnung getan? Darin hätten Sie das schon regeln können. ({0})

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In der Tat ist ganz klar: Das Thema Abmahnungen geht weit über die Thematik der Datenschutz-Grundverordnung hinaus. Wir wollen das insgesamt angehen. Das haben wir im Koalitionsvertrag auch so vereinbart, und zwar – das sage ich, um falschen Eindrücken vorzubeugen – auf beiderseitige Initiative. Es ist beiden Partnern ein wichtiges Anliegen, das anzugehen; das werden wir in diesem umfassenden Sinne dann nach der Sommerpause sofort aufgreifen. In der Beratung zur Datenschutz-Grundverordnung ist das zu kurz gekommen. Da muss sich die Politik insgesamt an die eigene Nase fassen. Das kann man nicht wegdiskutieren; das gebe ich zu. Ich habe aber auch von Ihnen und von den anderen Fraktionen dazu keinen Antrag gesehen. ({0}) Ich denke, dass es auch in der Wirtschaft, wo sich dieses Problem jetzt deutlich und mit aller Macht zeigt, ein Stück weit zurückgestellt worden ist. Das ist der Befund. Wir können uns jetzt nur für die Zukunft vornehmen – und wir sind wirklich dazu gewillt –, uns dieser Problematik sehr, sehr schnell und sehr effektiv anzunehmen. Im September geht es an der Stelle los. ({1}) Ich komme zum Gesetzentwurf zur Musterfeststellungsklage, den wir heute beschließen, zurück. Es sind diese Fragen: „Welche Ansprüche haben Käufer von Autos mit manipulierter Abgastechnik? Ist es rechtens, wenn ein Unternehmen lukrative Bausparverträge kündigen will?“, und dergleichen mehr, die viele Verbraucher betreffen. Das betrifft Fälle, wo typischerweise auf der anderen Seite ein großes Unternehmen steht, das letztendlich nur auf gerichtlichen Druck agiert. Deshalb muss das dann eben gerichtlich entschieden werden. Dabei sind die Prozessrisiken natürlich ungleich verteilt. Das Prozessrisiko, teure Gutachten, Rechtsanwaltsgebühren über drei Instanzen, all das wiegt für einen privaten Verbraucher natürlich ungleich schwerer als für ein Unternehmen. Selbst wenn man eine Rechtsschutzversicherung hat, stellt sich die Frage, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Verbraucher zu einer Kanzlei findet, die so spezialisiert ist wie die aufseiten des Unternehmens tätige Kanzlei. Es ist klar: Da ist der Verbraucher nicht auf Augenhöhe mit dem Unternehmen. Das Ziel unserer Verbraucherpolitik ist es, diese Augenhöhe herzustellen. Mit der Möglichkeit einer Musterfeststellungsklage – davon sind wir überzeugt – stellen wir im Prozess diese Augenhöhe mit den Unternehmen für die Verbraucher her. Darum geht es hier heute. ({2}) Wir tun das, indem wir dem privaten Verbraucher einen schlagkräftigen Verband an die Seite stellen, der die Expertise mitbringt und der sich auch nicht einschüchtern lässt, wenn sich auf der anderen Seite finanzkräftige Akteure befinden. Aber wir schauen auch auf die andere Seite und fragen: Wie sieht das Ganze von der Warte eines Unternehmens aus, das – vielleicht zu Unrecht – mit einer solchen Klage konfrontiert wird? Insofern war es uns wichtig, dass dieses Instrument sich nicht verselbstständigt und geradezu zum Geschäftsmodell wird. Fehlanreize haben wir konsequent vermieden. Ich glaube, das ist uns wirklich gelungen. Die Musterfeststellungsklage, wie wir sie hier heute vorschlagen und verabschieden werden, taugt nicht zum Geschäftsmodell, bei dem es vor allem darum gehen würde, hohe Honorare zu verdienen. Im Gegenteil: Der Verband geht sogar das Risiko ein, dass er seinerseits Geld verliert, weil er das Prozessrisiko und damit das Kostenrisiko tragen muss. Das muss er vor seinen mindestens 350 Mitgliedern auch rechtfertigen. Dadurch ist gesichert, dass der Verband dieses Risiko nur dort eingeht, wo es ihm ein eigenes Anliegen ist, weil er für seine Verbraucher, die er vertritt, etwas erreichen will. Wir haben jetzt noch den Blick auf einige Regeln zu werfen. Im Gesetzentwurf ist geregelt, dass als Eingangsinstanz das OLG zuständig ist. Das garantiert den schnellen Weg zur verbindlichen Regelung beim BGH. Am Beginn der Verhandlung stehen einige Hinweise des Gerichts, die sicherstellen, dass abseitige Anträge, die keine Chance haben, das Verfahren nicht belasten, so wie es im KapMuG teilweise auch geregelt ist. Das ist fair für die Verbraucher. Sie können eine erste Einschätzung des Gerichts abwarten, bevor sie darüber entscheiden, ob sie auf der Liste bleiben. Das ist fair für die Unternehmen, weil sie wissen: Ab jetzt gilt es für beide Seiten. Beide Seiten sind an die Feststellungen gebunden, auch wenn es für den einen oder anderen eben ungünstig ausgeht. Das ist auch entlastend für die klagenden Verbände; denn eine erste Einschätzung des Gerichts kann manch überzogene Erwartung schon an der Stelle zurechtruckeln und dadurch das Haftungsrisiko des Verbandes ein Stück weit reduzieren. Ich denke, dass wir so insgesamt eine sehr gute Regelung haben, die wir jetzt auch rechtzeitig ins Gesetzblatt bringen. Ein Grund für die Eile, mit der wir dieses Gesetzgebungsverfahren durchgeführt haben und dieses Gesetz heute verabschieden, war, dass wir damit den Dieselkäufern eine gute Grundlage geben, um noch in diesem Jahr ihre Rechte geltend machen zu können. Ich danke für Ihre Zustimmung. Danke schön. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Katharina Kloke, FDP. ({0})

Katharina Kloke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004783, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesjustizministerin hat sich einen Werbespruch, einen Claim, für die Musterfeststellungsklage ausgedacht. „Eine für alle“ lautet der Claim. Tatsächlich klemmt es beim „alle“, und es klemmt beim „eine“. Alle, das sind auf Klägerseite ausschließlich bestimmte Verbände. Die Bedingungen für die Klägerverbände im Inland sind sehr eng, über die EU-Ebene aber sind sie unbeherrschbar weit gefasst. Alle, das ist nicht der einzelne Verbraucher, der sich mit anderen zusammenschließt und einen Anwalt seines Vertrauens beauftragt. Wer mit einem Verband geht, der seine Interessen bestmöglich vertreten soll, schaut bei dessen Fehlern in die Röhre; denn die Verbände wollen nicht so haften, wie es ein Anwalt müsste. Alle, das ist nicht der Handwerker um die Ecke, auch wenn er den gleichen Dieselbulli für sein Geschäft gekauft hat wie der Verbraucher für seine Familie. Daran ändert auch der erst gestern eingebrachte Änderungsantrag nichts. ({0}) Bei der Individualklage des Handwerkers kann das Gericht – muss es aber nicht – das Verfahren anhalten bis zur Entscheidung im Rahmen der MFK. Aber weder hat das Musterurteil eine Bindungswirkung – das Gericht kann also im individuellen Fall abweichend urteilen – noch bringt es den Nichtverbraucher weiter, sollte die MFK in einem Vergleich enden. Am Ende kostet es den Handwerker nur noch mehr Zeit. ({1}) Wäre die Musterfeststellungsklage eine Tanne und die offenen Rechtsfragen Christbaumkugeln, wir hätten den schönsten Weihnachtsbaum: kein Leistungstitel am Ende der MFK-Verfahren, unklare Regeln zu unwahrscheinlichen Vergleichen, untote Verjährungen, wie sie das BGB noch nicht gesehen hat, kein rechtliches Gehör im Verfahren und, und, und. An die Große Koalition: Was ist denn das für ein Pakt für den Rechtsstaat? ({2}) Sie verabreden im Koalitionsvertrag mit Mühe 10 neue Richterstellen, und mit diesem einen Gesetz schaffen Sie Arbeit für 100 Richter extra. ({3}) Heute früh stimmen wir ab nach dem Motto: „Ab 17 Uhr ist WM – Augen zu und durch“. ({4}) Union und SPD prügeln die Musterfeststellungsklage in einem Tempo durch das Gesetzgebungsverfahren, als wär’s ein Euro-Rettungsschirm oder ein Gesetz zur Parteienfinanzierung. ({5}) Alles in allem: Wir Freien Demokraten lehnen diesen Gesetzentwurf ab. Kommen wir zum Antrag der FDP. Seit gut zwei Wochen gilt die DSGVO. Das Gesetz ist neu und kompliziert, Fehler sind schnell passiert. Gerade Vereine und kleine Unternehmen sind unsicher. Groß ist die Sorge, bereits wegen Bagatellverstößen teuer abgemahnt zu werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, Abhilfe zu schaffen. Erstens. Welche Verstöße sind überhaupt abmahnfähig? Zweitens. Die erste Abmahnung wegen kleiner unabsichtlicher Fehler bei der Datenschutzerklärung darf nichts kosten. Das wäre unverhältnismäßig. Eine Verwarnung ohne Abmahngebühren zu Beginn muss reichen. ({6}) Drittens. Wir brauchen eine generelle Lösung gegen missbräuchliche Abmahnungen. Für Kleinunternehmen und Start-ups ist der Abmahnmissbrauch ein massives Problem.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Rößner, Bündnis 90/Die Grünen?

Katharina Kloke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004783, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. – Der Antrag der Regierungsfraktionen ist an Allgemeinheit nicht zu überbieten. Da muss Ihnen doch mehr einfallen. ({0}) Zur Not schreiben Sie einfach mit. Sie müssen endlich das deutsche Datenschutzrecht vollständig anpassen. Die Umsetzungsfrist für das Internet-Datenschutzrecht haben Sie gerissen, die für das Telemediengesetz haben Sie verpennt. Letzter Punkt: Datenschutz im Betrieb. Faktisch jedes Unternehmen mit mindestens zehn Beschäftigten muss einen betrieblichen Datenschutzbeauftragten bestellen; denn heute verarbeitet nahezu jeder Beschäftigte am Smartphone oder am PC personenbezogene Daten. Von den DSGVO-Vorgaben abgesehen, sollte ein Unternehmen nur dann einen betrieblichen Datenschutzbeauftragten haben müssen, wenn eine Datenverarbeitung ein besonderes Risiko für die Betroffenen darstellt. ({1}) Vorschriften wie diese atmen noch den Geist der Zeit, als IT-Fachleute Großrechner mit Lochkarten gefüttert haben. Wir brauchen Regeln für die digitale Zukunft. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Amira Mohamed Ali, Fraktion Die Linke. ({0})

Amira Mohamed Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004823, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Bringen wir es auf den Punkt: Dieser Gesetzentwurf zur Musterfeststellungsklage, den die Regierungsparteien hier im Eilverfahren durch das Parlament jagen, greift zu kurz, er ist verbraucherunfreundlich, und er wird hauptsächlich den Konzernen dabei helfen, für unlautere Geschäftspraktiken nicht zur Verantwortung gezogen zu werden. ({0}) Dabei sollte die Musterfeststellungsklage eine einfache Möglichkeit sein, mit der die vielen vom Dieselabgasskandal betroffenen Menschen zu ihrem Recht kommen, zum Beispiel zu einer Entschädigung für den Wertverlust ihrer Autos. Am Ende dieses Jahres droht hier vielen Betroffenen die Verjährung ihrer Ansprüche. Mit ebendieser drohenden Verjährung begründen Sie, Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, Ihre Eile. Dabei verschärfen Sie mit diesem Entwurf das Problem zum Teil noch. Ein Formfehler bei der Anmeldung zu Ihrer Musterfeststellungsklage reicht aus, um aus dem Verfahren zu fliegen. Die Betroffenen erfahren das aber nicht sofort, sondern gegebenenfalls erst, wenn die Verjährungsfrist abgelaufen ist. Der Betroffene kann dann nicht mehr allein klagen. ({1}) Sie, meine Damen und Herren von der SPD und von der Union, brechen Ihre Wahlversprechen. Sie hatten wirklich mehr als genug Zeit, uns hier einen vernünftigen Entwurf vorzulegen. ({2}) Dass es jetzt so schnell gehen muss, liegt an Ihrem Versäumnis. Aber auch jetzt gilt: Es gibt einen Unterschied zwischen schnellem und vorschnellem Handeln. In diesem Fall geht es zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Linke sagt: Ihr Vorgehen ist unverantwortlich. ({3}) Wir hatten in dieser Woche im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz eine Expertenanhörung zu Ihrem Gesetzentwurf. Alle Sachverständigen haben dort dargelegt, dass der Entwurf dringend nachgebessert werden muss. ({4}) Die formalen Hürden sind viel zu hoch. Das wird viele Betroffene abschrecken, ihre Ansprüche zu verfolgen. Einfache Formfehler können die Möglichkeit, am Verfahren teilzunehmen, abschneiden. ({5}) Die Zeit zur Anmeldung zum Verfahren ist zu kurz. Viele Betroffene werden deswegen nicht daran teilnehmen können. Die Verjährungshemmung, die Ihnen ja angeblich so wichtig ist und die der Grund ist für Ihre Eile, wird nach Ihrem Entwurf nicht effektiv gewährleistet. ({6}) Viele Betroffene werden ihre Ansprüche deswegen verlieren. Warum nehmen Sie das billigend in Kauf? Das ist inakzeptabel. ({7}) Mehrere Sachverständige haben auch darauf hingewiesen, dass es wesentlich besser wäre, die Leistungskomponente in das Verfahren aufzunehmen und eben nicht nur etwas feststellen zu lassen. So wie es jetzt ist, müssen alle Betroffenen nach einer gewonnenen Musterfeststellungsklage noch einmal gesondert auf Leistung klagen, zum Beispiel auf Schadensersatz, jeder für sich, mit vollem Kostenrisiko. Das ist kein effektiver Rechtsschutz. ({8}) Auf all diese Dinge hat die Die Linke bereits letzte Woche, im Rahmen der ersten Lesung, hingewiesen. Wir haben einen Entschließungsantrag dazu eingebracht, der genau diese Punkte benennt. Die Verbraucherschutzverbände stehen nach Ihrem Entwurf vor einem großen Haftungsrisiko, nämlich dann, wenn sie beim Betreiben dieses noch neuen und unnötig komplizierten Verfahrens Fehler machen. Die Gerichte stehen vor einer erheblichen Belastungsprobe. Sie werden das Verfahren, wenn es so bleibt, nicht vernünftig handhaben können. ({9}) Das haben die Experten gesagt, auch die Sachverständigen, die Sie, Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, selbst benannt haben. Und wie gehen Sie mit diesen Hinweisen um? Sie verändern zwei, drei Kleinigkeiten, die nur marginal etwas verbessern, und zwingen uns heute in die Abstimmung über dieses Gesetz. Was soll das? Ich meine: Dass Sie mir es nicht glauben wollten, als ich Ihnen letzte Woche gesagt habe, dass das Gesetz so nicht bleiben kann – ja, geschenkt! Aber glauben Sie doch wenigstens den von Ihnen selbst benannten Sachverständigen. ({10}) Ich habe den Eindruck: Sie wollen gar kein gutes Rechtsmittel schaffen, das den Verbraucherinnen und Verbrauchern wirklich hilft. Ihnen liegen die Interessen der Konzerne, die gegebenenfalls belangt werden könnten, mehr am Herzen. ({11}) Die Linke akzeptiert das nicht, und deshalb lehnen wir Ihren verbraucherunfreundlichen und ineffektiven Entwurf ab. Vielen Dank. ({12})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja nicht so, dass wir irgendwas Neues diskutieren: Seit Juni 2013 gibt es die Empfehlung der Europäischen Kommission, Möglichkeiten des kollektiven Rechtsschutzes einzuführen, meine Damen und Herren. Das heißt ja, es muss vorher schon viele Jahre lang Vorfälle und Mängel gegeben haben, aufgrund derer die EU-Kommission auf die Idee kam, das zu empfehlen. Das Problem ist also nicht erst im September 2015, mit der Abgasmanipulation, bekannt geworden. Wenn ich mir den Zeitablauf angucke, kann ich nur sagen: Setzen, fünf, für den Vorschlag, den Sie heute hier machen! ({0}) Jetzt haben Sie einen Gesetzentwurf; aber – die Kolleginnen vor mir haben es ja auch schon angesprochen – die Sachverständigen aus Wissenschaft und Praxis haben in der Anhörung auf eine Unmenge an Unklarheiten und Mängeln verwiesen, und zwar trotz Ihrer Reparaturen, die Sie jetzt vornehmen. Wenn Sie sich das mal genau angucken, meine Damen und Herren, ist der Mangel – erstens – doch schon, dass die Musterfeststellungsklage quasi Teil einen großen Deals ist. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass alles irgendwie zeitgleich, schnell gemacht werden musste – Asylrecht, Familiennachzug, Parteienfinanzierung, weil offensichtlich bei einigen Geld fehlt –, auch weil man jahrelang verschlampt hat, sich zu den Betroffenen von Dieselgate klar zu äußern, ({1}) klar zu sagen: Nachrüstung auf Kosten der Unternehmen, weil sie schlechte Ware geliefert haben. Und jetzt kommen Sie – zweitens – mit dieser etwas obskuren Konstruktion. Nach unserer Auffassung und der Auffassung vieler Wissenschaftler und sogar Gerichtspräsidenten wäre es am Ende sogar klüger, zu sagen: Wir machen ein Gesetz, das den Eintritt der Verjährung verhindert. – Das ist nicht ohne Beispiel; zum Beispiel kann man das im Kartellrecht bei besonderen Ereignissen längst machen. Meine Damen und Herren, machen wir doch ein verjährungsverhinderndes Gesetz und überlegen uns dann genau, wie eine gute Regelung einer Klage, bei der sich Kunden zusammentun können, aussehen könnte. ({2}) Sie legen Hand an die gute, alte, recht zuverlässige ZPO und behaupten hier wieder wohlklingend etwas, was mich, ehrlich gesagt, an die Mietpreisbremse erinnert. Da standen hier Leute und sagten: Ab sofort wird alles ganz toll, und die Mieten sinken usw. – Wir haben damals schon gesagt, Sie werden nachbessern müssen; wir warten immer noch auf eine gute Nachbesserung, meine Damen und Herren. Dies hier ist genauso ein Etikettenschwindel. Jetzt kommt Frau Barley mit der „Eine-für-alle-Klage“. Das stimmt doch hinten und vorne nicht – eine für alle –, das ist schlicht irreführend. Es ist – erstens – ein Gesetz allein für Verbraucher. Wer ein manipuliertes Dieselfahrzeug als Betriebswagen gekauft hat, wird alleingelassen. Daran ändert auch Ihre Änderung nichts, meine Damen und Herren. ({3}) Es ist weiße Salbe, weil sie gegenüber dem zivilprozessualen Status quo ohne jeden größeren Mehrwert ist. Sie können das Verfahren aussetzen, um auf die Tatsachenfeststellung in dem Verfahren zu warten. Ich verstehe ja, dass Sie glauben, dadurch könnte der Unternehmer was gewinnen. Aber Sie sind als Unternehmer dann auch in der Hand der Verbände, dieses Verfahrens, dieses Gerichts und können möglicherweise noch länger auf eine erstinstanzliche Entscheidung bezüglich Ihres Fahrzeuges warten. Was ist damit gewonnen? Nichts. ({4}) Zweitens. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind nicht mit drin. Drittens. Es ist eine Mogelpackung. Sie sagen: Eine für alle, jetzt geht es endlich los. – Aber im Ergebnis hängt man doch dann an den Verbänden. Zum einen gibt es ein Windhundrennen: Welcher Verband ist der erste und zieht durch, welche Fehler macht er, für die er dann noch haften darf? Zum anderen haben die Verbände in Wahrheit gar kein Geld in ihrem Haushalt, um solche teuren Verfahren durchführen zu können. Das heißt, es schlägt im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages auf, und wir entscheiden, wem wir Geld geben, damit er später klagen kann. Das ist nicht „Eine für alle“, das ist eine Mogelpackung. ({5}) Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass die DUH die Voraussetzung erfüllt und Sie der DUH, die Sie ja dissen wollten, Geld überweisen müssen. Ich frage mich aber, wie vielen EU-Verbänden Sie im europäischen Binnenmarkt entsprechend Geld überweisen wollen. ({6}) Das Ding stimmt hinten und vorne nicht. Mit dieser Meinung sind wir nicht allein. Die Präsidentin des BGH und die Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte haben genau das gesagt, nämlich dass dieser Gesetzentwurf für die Rechtsdurchsetzung von Bagatell- und Streuschäden keine entscheidende Verbesserung bringt. Er ist zum Gutteil Wirtschaftsschutz, er ist zum Gutteil das Eingeständnis, dass Sie, wenn es um VW und Dieselgate geht, lange geschlafen haben. Für die Verbraucher bringt es eigentlich nichts. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Sarah Ryglewski, SPD. ({0})

Sarah Ryglewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschließen hier heute einen Meilenstein in der Verbraucherpolitik. ({0}) Deswegen freue ich mich sehr, dass heute der Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, Klaus Müller, hier dieser Debatte zuhört. ({1}) Mit der „Eine-für-alle-Klage“ können Verbraucherinnen und Verbraucher in Zukunft gemeinsam kostengünstig und ohne großes Risiko ihr Recht gegenüber Unternehmen geltend machen. Was wir mit der Musterfeststellungsklage schaffen, ist ein wirksames Instrument für die Verbraucherinnen und Verbraucher, für die es sich unter anderen Umständen eben nicht lohnen würde, gegen Unternehmen zu klagen, oder die sich eine teure Rechtsschutzversicherung nicht leisten können. Aber Recht und Gesetz dürfen in unserem Land nicht vom Geldbeutel abhängig sein. ({2}) Für alle muss gelten: Wer recht hat, muss auch recht bekommen. Da ist es auch unerheblich, ob die Schadenssumme 20 Euro, 30 Euro oder mehrere 1 000 Euro beträgt. Und deswegen – das betone ich an dieser Stelle ausdrücklich – ist das hier eben keine Lex VW. ({3}) VW war vielleicht der Katalysator für dieses Gesetz und hat dazu geführt, dass auch bei der CDU/CSU die Schwellenangst gegenüber der Musterfeststellungsklage gesunken ist. Aber gerade bei kleinen Schadenssummen ist es doch so, dass die Hürde für die Verbraucherinnen und Verbraucher, individuell zu klagen, sehr hoch ist. Wer klagt denn wegen 30 Euro in einer fehlerhaften Nebenkostenabrechnung? Dieses Problem besteht auch bei den von Ihnen favori­sierten Gruppenverfahren, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Auch das ist sehr teuer. Hier ist in solchen Fällen eine schnelle Klärung möglich, und das ist auch gut so; denn das individuelle Rechtsempfinden wird auch bei diesen Summen verletzt. Außerdem ist es auch so, dass es hier zu einem Schaden für den Rechtsstaat kommt, wenn Fehlverhalten nicht geahndet wird und damit am Ende auch noch Gewinne gemacht werden. Gerade bei diesen kleinen Summen ist das Verfahren über die Verbände, das wir gewählt haben, ein sehr gutes, weil viele Verbraucherinnen und Verbraucher überhaupt erst einmal darauf aufmerksam werden, dass Probleme bestehen und dass sie hier die Möglichkeit hätten, ihr Recht einzuklagen. Das fällt vielen eben nicht auf.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Gestatten Sie sie?

Sarah Ryglewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, wir hatten eben eine sehr emotionale Rede der Kollegin Künast. Ich möchte mich jetzt emotional für die Musterfeststellungklage aussprechen. ({0}) Es ist doch so: Die Verbände, die wir jetzt im Blick haben, kennen sich in dieser Materie gut aus. Ich halte die Verbraucherzentrale Bundesverband für absolut kompetent, um auch in Fällen, in denen der einzelne Verbraucher die Probleme noch gar nicht sieht, solche Verfahren voranzutreiben, Leute gezielt anzusprechen und dafür zu sorgen, dass wir zu einer schnellen Klärung der rechtlichen Situation kommen. Ja, die individuellen Ansprüche müssen im Anschluss im Zweifelsfall alleine eingeklagt werden. Aber glauben Sie denn tatsächlich, dass ein Unternehmen, das sich schon ein Urteil in der Sache abgeholt hat, das Risiko eingeht – insbesondere bei einer entsprechenden medialen Begleitung durch die klagenden Verbände –, sich auch noch eine Klatsche in einer ganzen Reihe von Einzelverfahren abzuholen? ({1}) Das halte ich nicht für ein realistisches Szenario. ({2}) Weil Sie die Aussagen unserer Sachverständigen in der Anhörung so gerne zitiert haben, sage ich: In der Anhörung haben gerade die Sachverständigen, die wir benannt haben, sehr deutlich gesagt, dass sie das für ein taugliches Instrument halten. Natürlich kann man sich immer mehr vorstellen; aber gerade was diesen letzten Punkt, sozusagen die Frage des individuellen Leistungszugangs angeht, waren die Sachverständigen sehr klar: Sie glauben, dass das Thema Schlichtung eine größere Rolle spielt und die meisten Unternehmen dieses Risiko, vor Gericht zu unterliegen, nicht eingehen werden. Ich teile diese Einschätzung. ({3}) Zum Thema Eilbedürftigkeit – damit komme ich dann auch zum Schluss –: Natürlich ist das keine Lex VW; das habe ich vorhin schon gesagt. Das ist aber das prominenteste Beispiel, in dem Verbraucherinnen und Verbraucher massenhaft geschädigt werden. Es wäre doch ehrlich gesagt einfach fahrlässig – das genau würden Sie uns vorwerfen –, wenn wir hier nicht handeln und auf Eile drängen würden. ({4}) Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten fordern die Musterfeststellungsklage seit Jahren. Wir freuen uns, dass wir hier und heute in die Umsetzung einsteigen. Wir glauben, dass wir damit einen Meilenstein in der Verbraucherpolitik erreicht haben. Vielen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Sebastian Steineke, CDU/CSU. ({0})

Sebastian Steineke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004417, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir in der vergangenen Woche hier in erster Lesung den Gesetzentwurf, der eine lange Vorgeschichte hat, beraten haben – wir haben seit 2015 intensiv darüber beraten; das ist also kein Schnellschuss –, können wir ihn heute mit einigen sehr guten Änderungen, die uns die Sachverständigen und der Bundesrat mitgegeben haben, verabschieden. Deswegen ist heute ein guter Tag für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Wir werden mit der Musterfeststellungsklage ein neues Rechtsschutzinstrument in die Zivilprozessordnung einfügen, das gerade den Verbrauchern, die wenig Geld haben oder über keine Rechtsschutzversicherung verfügen, schneller und kostengünstiger zu ihrem Recht verhilft. Gegen die anfängliche Sorge im Zusammenhang mit dem Thema Klagebefugnis, die wir durchaus hatten – das ist unbestreitbar –, haben wir einige wichtige Planken eingeschlagen, die dafür sorgen, dass das Instrument sorgsam angewendet wird. Wir haben gemeinsam nach der Anhörung noch einige wesentliche Verbesserungen eingebracht. Wir haben insbesondere den Instanzenzug verkürzt, was wesentlich ist, um schneller zum Bundesgerichtshof zu kommen, um Grundsatzentscheidungen zu erhalten. Wir haben die Anmeldung in vielerlei Hinsicht erleichtert, und wir haben – auch das ist ganz wichtig – die Zusage vom Bundesministerium der Justiz, dass das in der entsprechenden Rechtsverordnung deutlich konkretisiert wird und die Anmeldebedingungen noch einmal erleichtert werden. Wir haben uns natürlich auch mit dem Windhundprinzip beschäftigt, also mit der Frage: Was passiert, wenn zwei Musterfeststellungsklagen gleichzeitig ankommen? Wir haben eine parallele Zulässigkeit herbeigeführt und § 147 ZPO entsprechend verändert. Ich glaube, auch das ist ganz wesentlich. Darauf haben uns die Sachverständigen explizit hingewiesen. Auch das haben wir angepasst. Wir haben auch intensiv darüber diskutiert – auch darüber ist schon gesprochen worden –, wie wir Unternehmen und Handwerksbetriebe in dieses Gesetz einbeziehen können. Es ist richtig, dass sie nicht explizit im Gesetzentwurf stehen. Das war rechtssystematisch ein sehr schwieriger Prozess. Deswegen haben wir den Weg über § 148 ZPO gewählt: Eine Aussetzung des Verfahrens kann beantragt werden, und zwar auch gegen den Beklagten – das ist ganz wichtig –, um abzuwarten, was der Prozess für ihn bringen könnte. Dann kann, denke ich, auch keine untere Instanz mehr etwas gegen dieses Urteil entscheiden. Ich glaube, das ist ganz wichtig. ({0}) Ich glaube, man muss auch noch mal einige Sätze zum Verfahren sagen, weil das hier ja auch angeklungen ist. Wir haben uns in der Koalition darauf verständigt – das steht ja auch im Koalitionsvertrag –, das Gesetz zum 1. November 2018 in Gang zu bringen. Davor brauchen wir noch einen gewissen Zeitablauf, um das Ganze für die Leute, deren Ansprüche jetzt zu verjähren drohen, so schnell wie möglich wirksam werden zu lassen. Deswegen haben wir die Verpflichtung gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern und auch gegenüber den Verbänden – ich will hier sagen, dass der vzbv diesen Gesetzentwurf auf Drucksache 19/2507 ausdrücklich begrüßt hat –, dass wir dieses Gesetzgebungsverfahren frühzeitig zum Abschluss bringen. Deshalb war es uns wichtig, dass wir das Tempo bei diesem Gesetzgebungsverfahren hochhalten. Wir haben uns auf die vorliegenden Änderungen, die ich beschrieben habe, eingelassen und in diesem Sinne ein, wie ich denke, sehr gutes Gesetz auf den Weg gebracht. Lassen Sie uns deswegen – das ist mein Appell zum Abschluss; das kann sich ja jeder noch mal überlegen – dieses scharfe Schwert für den Verbraucherschutz gemeinsam beschließen und nicht blockieren. Vielen Dank. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Musterfeststellungsklage erleichtern wir die Rechtsdurchsetzung für Verbraucher. Gerade bei Schäden aus typischen Verträgen des täglichen Lebens oder bei komplexen Sachverhalten kann die Situation entstehen, dass sich Verbraucher Unternehmen mit erheblicher Marktmacht gegenübersehen und ihr Recht nicht geltend machen, weil es sich entweder um Kleinbeträge handelt oder weil sie wegen der Komplexität des Verfahrens von einer Klage abgeschreckt werden. Das durchbrechen wir jetzt mit der Musterfeststellungsklage. Sie ist ein neues Instrument zur Feststellung von Sachverhalten und eine Einladung, sein Recht geltend zu machen. Mit der Musterfeststellungsklage setzen wir ein Interesse des Verbrauchers um. Sie können sich ohne größeres Prozesskostenrisiko an der Klärung einer Rechtsfrage beteiligen. Sie ist auch im Interesse von Unternehmen selbst, weil es besser und ökonomischer ist, gleichgelagerte Sachverhalte in einem Musterverfahren klären zu lassen. Außerdem ist sie im Interesse der Zivilrechtspflege, ({0}) weil die Bündelung von Verfahren die Justiz selbst entlastet. ({1}) Das ist also eine sinnvolle und wegweisende Weiterentwicklung der Zivilprozessordnung. Der Musterfeststellungsklage wird entgegengehalten, das sei keine Zahlungsklage, man müsse seinen Betrag ja zusätzlich einklagen. Dem kann man entgegenhalten, dass all diese Einwände die Kraft des Vergleiches unterschätzen. Ein Vergleich schafft Rechtsfrieden und Akzeptanz. Wenn bereits das Rechtsverhältnis und der Sachverhalt feststehen, wird es viel stärker als angenommen auch zu Vergleichen kommen, und selbst wenn es keinen Vergleich gibt: Es ist eine große Erleichterung für den Verbraucher, dass das Rechtsverhältnis und der Sachverhalt rechtssicher festgestellt werden. ({2}) Ich verstehe nicht, weswegen sich FDP und Grüne so vehement gegen dieses Instrumentarium wenden. ({3}) Im Jamaika-Sondierungspapier haben wir uns auf die Musterfeststellungsklage geeinigt. Das ist ein Instrument, das die Verbraucher weiterbringt. Ich darf Ihnen sagen: Wir haben diese Klageart auch nach der Sachverständigenanhörung in einigen Punkten noch verbessert. Die Anmeldung wurde erleichtert; ({4}) sie ist niederschwelliger und einfacher geworden. Durch die erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts verkürzen wir den Instanzenzug und schaffen wir schneller Klarheit. Auch erwarten wir von den klageberechtigten Verbänden eine gute innere Verfasstheit und eine kompetente Verhandlungsführung; auch das haben wir noch mal klargestellt. Gerade für die betroffenen Handwerker und Kleinunternehmer werden wir durch eine Ergänzung der ZPO sicherstellen, dass sie indirekt von Musterfeststellungsverfahren profitieren. ({5}) Das ist ein großer Fortschritt für Handwerksunternehmer, den Sie nicht kleinreden dürfen. ({6}) Wir werden im Rahmen eines Antrages heute auch klar und deutlich machen, dass uns mögliche unverhältnismäßige Abmahnungen im Bereich der Datenschutz-Grundverordnung ein großes Anliegen sind. Wir werden zeitnah darüber sprechen, wie wir das Abmahnunwesen insgesamt eindämmen können, ({7}) zum Beispiel durch die Begrenzung des Streitwerts und auch durch die Deckelung der Abmahnkosten. Damit helfen wir vielen Menschen, die sich dadurch bedroht fühlen. Meine Damen und Herren, ja, diese Musterfeststellungsklage ist vielleicht nicht in allen Punkten perfekt. ({8}) Aber wir haben über viele Monate hinweg einen sehr guten Vergleich ausgearbeitet. Diese Musterfeststellungsklage kann sich sehen lassen, weil sie für viele Millionen Verbraucher die Rechtsdurchsetzung effektiv verbessert. Lassen Sie uns also dieses gute Gesetz heute verabschieden. Vielen Dank. ({9})

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir uns die Ergebnisse des G‑7-Gipfels in Kanada anschauen, dann wird wohl jedem klar, dass sich der amerikanische Präsident Trump von seinen langjährigen Freunden etwas entfernt und damit auch die Grundfesten der westlichen Weltordnung infrage stellt. Vor allem in handelspolitischen Fragen sind wir sehr überrascht über das, was Präsident Trump in den Vereinigten Staaten macht. Denn die Vereinigten Staaten waren in den ­letzten Jahrzehnten eigentlich immer ein Vorkämpfer für ein freies und gerechtes Welthandelssystem, und die ­Amerikaner gehören zu den Architekten der Welthandels­organisation. Insofern sind wir sehr gespannt, wie die weiteren Entwicklungen verlaufen werden. Weil die Amerikaner nun als Partner offensichtlich erst einmal ausfallen, kommt es jetzt genau darauf an, dass die Europäische Union ihre gewachsene Rolle im Weltgefüge auch wahrnehmen kann. Gerade bei der Gestaltung der Handelsbeziehungen in der Welt ist es in unserem ureigenen Sinne – im deutschen wie auch im europäischen Sinne –, dass wir auch weiterhin geordnete Verhältnisse im Welthandel behalten. Deshalb möchte ich die Europäische Kommission von dieser Stelle aus ermuntern, konsequent auf dem eingeschlagenen Weg fortzuschreiten, nämlich die angefangenen Verhandlungen mit den verschiedenen Partnern in der Welt über Wirtschaftspartnerschaftsabkommen bzw. über Freihandelsabkommen fortzusetzen. Wenn man sich die Ergebnisse zum Beispiel des zuletzt geschlossenen Wirtschaftspartnerschaftsabkommens mit Südkorea anschaut, dann muss man sagen, dass es einen unheimlich positiven Impuls auf den Austausch von Waren zwischen Südkorea und der Europäischen Union gegeben hat. Allen Kritikern zum Trotz, die solche Handelsabkommen ständig infrage stellen, kann man sagen: Freihandelsabkommen wirken sich positiv auf beide Seiten aus. Sie befördern den Warenverkehr und sichern Arbeitsplätze auf beiden Seiten. Damals wurde heftig darüber debattiert, ob das Abkommen mit Südkorea günstig für die deutsche Automobilindustrie sei oder ob es ein negatives Abkommen sei. Wenn man sich die Zahlen heute anschaut, dann muss man sagen: Die europäische Automobilindustrie konnte viel nach Südkorea liefern. Genauso konnten die Südkoreaner viel nach Europa bringen. Noch ein Punkt: Vier Jahre lang wurde dieses Abkommen mit Südkorea vorläufig angewendet, ohne dass es irgendwo Probleme gegeben hat. Das ist die Blaupause für die Diskussion, die wir heute führen. Uns liegen drei verschiedene Vorlagen vor. Der von der FDP eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur sofortigen Ratifizierung von CETA gefällt mir wirklich sehr gut. Er umfasst gerade einmal zwei Artikel. Das ist toll. ({0}) Ich wünsche mir, dass viele Gesetzentwürfe derart kurz und gut zu lesen sind. Aber Sie wissen sicherlich, dass Sie mit Ihrem Gesetzentwurf nicht erfolgreich sein können. Das hätte Ihnen spätestens in der Diskussion im Ausschuss klar werden müssen; denn im Koalitionsvertrag ist klar festgelegt, dass wir die Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht abwarten wollen, um dann das Ratifizierungsverfahren betreffend CETA weiter zu befördern. ({1}) Der vorläufigen Anwendung des Handelsabkommens mit Kanada steht nichts im Wege. Liebe Kollegen von der FDP, machen Sie weiter so kurze Gesetze. Aber diesmal war es ein falscher Schuss. Über den Antrag der Linken kann man nur sagen: nichts Neues, wie immer, rigorose Ablehnung, Kampf­rhetorik. – Ich möchte einmal wissen, wann der Zeitpunkt kommt, an dem Sie öffentlich sagen: Ja, wir haben viel kritisiert, aber es hat Fortschritte gegeben. – Dass Sie überhaupt nicht wahrnehmen, dass CETA und das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Japan wesentliche Punkte der Kritik aufgenommen haben, ist schwierig. Deswegen lohnt es sich eigentlich nicht mehr, über Ihre Anträge lange zu diskutieren. In einem Punkt haben Sie allerdings recht: Sie haben geschrieben, das Abkommen mit Japan gehe weit über das Absenken von Zöllen hinaus. Richtig, aber das war doch immer Ihre Forderung. Sie wollten doch alles andere in diesem Wirtschaftspartnerschaftsabkommen ebenfalls geregelt haben. ({2}) Nun wird das geregelt. Aber es passt Ihnen wieder nicht. Sie müssen sich schon einmal für eine Sache entscheiden. Auch im Antrag der Grünen stimmt nicht alles, was dort geschrieben wird. Der Text des Wirtschaftspartnerschaftsabkommens liegt seit dem 17. Dezember 2017 öffentlich vor. Rund sechs Monate hätten Sie also Zeit gehabt, darüber zu debattieren und Anträge zu stellen. Was haben Sie gemacht? Sie haben sich das erst in der letzten Woche angeschaut, wie Sie selber gesagt haben. Sie müssten vielleicht die Prozesse in Ihrer Fraktion beschleunigen und die Unterlagen dann anschauen, wenn sie erscheinen. Noch etwas: Sie beschweren sich nun darüber, dass Sie darüber parlamentarisch nicht diskutieren können. Sie wissen ganz genau, dass nach den Verträgen von Lissabon das EU-Parlament für Handelsfragen zuständig ist. Ich möchte einmal Ihr Gesicht sehen, wenn der Kreistag von Buxtehude sagen würde, dass er erst einmal ausführlich über einen Gesetzentwurf diskutieren will, den die Grünen eingebracht haben, und dass erst nach der Entscheidung des Kreistages von Buxtehude der Bundestag darüber befinden darf, ob der Gesetzentwurf gut oder schlecht ist. Das ist ungefähr die Diskussion, die Sie führen. Dass Sie die demokratische Legitimation des Europäischen Parlamentes in Zweifel ziehen, finde ich schon ein starkes Stück; vielleicht brauchen Sie gelegentlich einmal Nachhilfe in Demokratie oder demokratischen Strukturen. Die geben wir Ihnen gern in einer weiteren Diskussion. Aber das heutige war völlig unnötig. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Hansjörg Müller, AfD. ({0})

Hansjörg Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004831, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Hohes Präsidium! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Die Wirtschaft ist für den Menschen da und nicht der Mensch für die Wirtschaft.“ So lautet die Maxime, und das sollte die Bewertung jeglichen wirtschaftlichen Handelns sein. Auf dieser Basis sehen wir uns jetzt die internationalen Handelsabkommen an. Zuerst zum Gesetzentwurf der FDP zu einem Abkommen zwischen Kanada und der EU, auch CETA genannt. Sehr löblich ist, dass eine Oppositionsfraktion den Gesetzentwurf einbringt, wenn von der Regierung dazu nichts kommt. Weniger löblich ist allerdings, dass sich die geistige Arbeit der FDP beim Formulieren des Gesetzentwurfs auf Copy-and-paste beschränkt hat. Ihr Antragstext ist nämlich eins zu eins die Kopie des Textes der Europäischen Kommission zu CETA. Gar nicht löblich ist, dass CETA seit dem 21. September 2017 vorläufig EU-weit angewandt wird, mit Ausnahme vor allem der umstrittenen Sondergerichte, wo doch bisher nur eine Minderheit der Mitgliedstaaten das Abkommen ratifiziert hat. So viel zur Demokratie in diesen Dingen. ({0}) Verwerflich wäre es gar, wenn diese Sondergerichte über die Annahme des CETA-Gesetzes auf einmal existieren würden. Warum? Weil damit eine Handvoll Großkonzerne und internationale Anwaltskanzleien jede freiheitlich-liberale Wirtschaftsordnung eines jeden Staates aushebeln können, weil eine intransparente Paralleljustiz für ein paar eiskalte Bosse dazu führt, funktionierende rechtsstaatliche Ordnungen zu unterminieren – so viel, Herr Lämmel, zu Ihrem Erzählen über Demokratie; das sind rechtsstaatliche Ordnungen, die Milliarden von Bürgern und Millionen von mittelständischen Unternehmen einen verlässlichen Rechtsraum bieten, weltweiten Investitionsschutz inklusive – und weil damit auch eine Klageindustrie in Gang gesetzt wird, in der Steuerzahler gemolken werden, unter missbräuchlichem Einsatz der Sondergerichte. Die Steuerzahler, die das zu bezahlen haben, sind dann nicht nur Arbeiter und Angestellte, sondern genauso auch mittelständische Unternehmer, weil sie nämlich alle zusammen in einem Boot sitzen. – Es wäre wirklich nett, wenn auch die Abgeordneten in der ersten Reihe vor mir einmal zuhören würden. ({1}) CETA ist in diesem Bereich, was die Schaffung einer Klageindustrie angeht, verantwortungslos ausgerichtet, im Sinne prinzipieller Verantwortungslosigkeit für die Folgen eigenen wirtschaftlichen Handelns auf Kosten anderer, wo doch in der sozialen Marktwirtschaft Freiheit und Verantwortung Hand in Hand gehen sollten. Ich denke, der liberale Parteigründer Thomas Dehler würde sich im Grabe umdrehen, wenn er hören würde, zu welch ordnungspolitischem Unsinn die heutige Lindner-FDP und auch Lambsdorff-FDP fähig ist. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rouenhoff aus der CDU/CSU-Fraktion?

Hansjörg Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004831, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Selbstverständlich.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte, Herr Kollege.

Stefan Rouenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004867, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben von Paralleljustiz gesprochen, die mit CETA durch das Investitionsgerichtssystem etabliert würde. Jetzt haben wir ja vor kurzem im Wirtschaftsausschuss eine Anhörung mit Experten durchgeführt, die zum Thema Paralleljustiz Stellung genommen haben. Was sagen Sie denn dazu, dass die Experten gesagt haben, dass man dann, wenn man das Investitionsgerichtssystem als ­Paralleljustiz bezeichnet, auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als Paralleljustiz bezeichnen müsste? Was sagen Sie dazu? ({0})

Hansjörg Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004831, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Die Frage ist, ob es die Experten so gesagt haben und ob sie, wenn sie es so gesagt haben, nicht vielleicht recht gehabt haben. – Danke. ({0}) Wir hatten gerade festgestellt, dass hier ordnungspolitischer Unsinn im marktwirtschaftlichen Bereich betrieben wird. Am Ende kommt dann eine monopolisierte Feudalwirtschaft nach mittelalterlichem Muster heraus. Warum Feudalwirtschaft? Weil wir dann weltweit nur noch wenige Oligarchen haben werden und ein paar Beamtenapparate wie zum Beispiel in Brüssel, und dann gibt es keinen Platz mehr, weder für freie Bürger noch für freie Unternehmer. Dazu sage ich: Das ist finsterstes Mittelalter 2.0 – made by FDP. ({1}) Damit ist auch die Position der Alternative für Deutschland klar: Wir als freiheitliche Partei positionieren uns im Interesse der Exportnation Deutschland ganz klar und eindeutig für freien Handel und freies Unternehmertum. ({2}) Freier Handel zeichnet sich nämlich durch Folgendes aus: Freier Handel zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht behindert wird, weder durch Zölle noch durch Quoten und auch nicht durch nichttarifäre bürokratische Hemmnisse – das ist die Definition von freiem Handel –

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Müller – –

Hansjörg Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004831, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– gern, ich möchte nur den Satz zu Ende bringen –,

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte.

Hansjörg Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004831, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– wogegen die ermöglichte Ausplünderung von Staaten, Steuerzahlern und Unternehmern durch einen überzogenen Investitionsschutz mit freiem Handel nichts zu tun hat. Das wird immer durcheinandergehauen; darauf muss man hinweisen. ({0}) So, jetzt gern.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte sehr, Herr Kollege Janecek.

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Müller, Sie haben gerade dafür plädiert, dass die AfD sozusagen im Sinne der deutschen Exportindustrie spricht und handelt. Wie passt das denn zusammen mit Ihrer Aussage im Wirtschaftsausschuss, dass Sie Freihandelsabkommen nicht im Rahmen der Europäischen Union verhandeln möchten, sondern nationalstaatlich? Wie passt das zusammen mit der Aussage von Herrn Gauland, der Herrn Trump mit seinem Vorgehen gegenüber der deutschen Exportindustrie gelobt hat? Wie passt das zusammen mit den Aussagen von Frau Dr. ­Weidel, die in ihrer Rede vor einigen Wochen hier den Brexit gelobt hat? Sie hat übrigens fälschlicherweise behauptet, dass in Großbritannien das Wirtschaftswachstum über dem Schnitt der Europäischen Union liegt. Sie hat auch fälschlicherweise behauptet, dass Großbritannien unser erster Handelspartner in der Europäischen Union ist. Das ist aber Frankreich. ({0})

Hansjörg Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004831, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Verehrter Herr Kollege Janecek, das passt sehr gut zusammen. Sehen Sie sich die Zuwachsraten der deutschen Exportwirtschaft an: Als es die EWG, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, noch gab und als es den Euro noch nicht gab, da waren die wesentlich höher als jetzt. ({0}) Das heißt, seitdem es die Europäische Union gibt und seitdem es den Euro gibt, sind die Zuwachsraten der deutschen Exportwirtschaft gesunken ({1}) im Vergleich zu den Wachstumsraten der anderen Exportnationen. ({2}) Das ist ein volkswirtschaftlicher Zusammenhang und eine Tatsache. ({3}) Ich danke für Ihre Frage. ({4}) Aus den genannten Gründen können wir CETA nicht zustimmen. Jetzt eine kurze Analyse des Antrags der Linken, einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung des JEFTA-Abkommens zwischen der EU und Japan abzulehnen. Im JEFTA- ist es wie im CETA-Abkommen. Mächtige Ausschüsse sollen dort geschaffen werden, die nachträgliche Veränderungen zum Vertragstext und auch Anhänge eigenmächtig beschließen können, ohne dass eine demokratische Rückbindung an den zuständigen Gesetzgeber erfolgt. – Das ist das eine. Wenn wir schon über den Wirtschaftsausschuss reden: Gestern haben alle Kollegen der Altparteien laut aufgejault, als ich gesagt habe, dass der EU-Apparat inzwischen ein Eigenleben entwickelt hat, das die gesamte demokratische Legitimation der Europäischen Union infrage stellt. Genau das begründe ich jetzt auch sehr gern für Sie. ({5}) Wie verhält sich die Union, die Europäische? Nach dem Motto „zwei Schritte vor, einen zurück“ usurpiert Brüssel peu à peu die Macht. Diesen einen Schritt zurück geht Brüssel aber immer nur dann, wenn wir die EU dabei erwischen und dagegen opponieren. Lassen wir doch mal den EU-Obermeister Juncker mit seinen eigenen Worten sprechen – ich zitiere –: Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt. Entschuldigen Sie, diese ganzen genannten demokratiefeindlichen Entwicklungen bestätigen uns, die Alternative für Deutschland, darin, dass wir mit unserer Fundamentalkritik an der Europäischen Union total richtigliegen. ({6}) Bei JEFTA ist weiterhin problematisch: Der Anteil genveränderter Lebensmittel und der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft in Japan ist im Vergleich zu Deutschland und Europa viel höher. Da kann ich jedem, der für dieses Abkommen ist, nur sagen: Auch Sie werden das essen müssen, was von dort kommt, und Gesundheit haben wir nur eine, alle zusammen, egal zu welcher Fraktion wir gehören. ({7}) Deswegen lehnen wir JEFTA in dieser Form ab. Zum Antrag der Grünen, JEFTA fair nachzuverhandeln. Es ist korrekt: 1 000 Seiten Vertragstext hätten husch, husch durchgewunken werden sollen, damit wir Bürger nichts davon mitbekommen. So geht es nicht. Insofern unterstützen wir den Antrag, das JEFTA-Abkommen jetzt fair nachzuverhandeln. Sonst bleibt mir nur noch zu sagen: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Regierung Merkel zurücktreten sollte. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Markus Töns, SPD. ({0})

Markus Töns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004921, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu CETA könnte man jetzt noch ganz viel sagen, unter anderem zu dem, was die FDP noch vortragen wird und uns vorgelegt hat. Das haben wir auch schon häufig gemacht. Ich will nur auf zwei Dinge hinweisen. Der EuGH und das Bundesverfassungsgericht haben Beschwerden vorliegen, und wir werden ihre Entscheidungen abwarten, bevor wir eine Entscheidung treffen. Alles andere erübrigt sich zu dieser Zeit. Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie uns über drei Dinge reden – ich glaube das ist ganz spannend heute –: über die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bundestag und Europäischem Parlament, darüber, was die EU in der Handelspolitik dazugelernt hat, und darüber, wie wir Europäer zukünftig Handelspolitik gestalten wollen; das ist nämlich viel wichtiger, gerade nach dem G‑7-Gipfel am letzten Wochenende. Kommen wir erstens zur Zuständigkeitsverteilung. Der Antrag der Linken zeigt hier doch ein großes Unverständnis. Da heißt es, dass der Bundestag das Abkommen mit Japan nicht ratifizieren muss, sei eine weitere Entdemokratisierung der EU-Handelspolitik. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wissen Sie eigentlich nicht, dass das Abkommen vom Europäischen Parlament ratifiziert wird, und halten Sie das Europäische Parlament für nicht demokratisch? ({1}) Das finde ich schon eine sehr bemerkenswerte Sache. Mit dem Vertrag von Lissabon haben wir der EU die Kompetenz für die gemeinsame Handelspolitik übertragen. Das ist jetzt neun Jahre her. Und jetzt kommen Sie und beschweren sich, dass die EU ein Abkommen abschließt, das genau in diese Kompetenz fällt. Ihr Antrag kommt, um das klar zu sagen, neun Jahre zu spät. Die EU tut nichts weiter, als ihre Zuständigkeit wahrzunehmen, und das wissen Sie auch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, sonst hätten Sie ja keine Stellungnahme vorgelegt, sondern eine Subsidiaritätsrüge. Die EU hat sich ihre Zuständigkeit nicht selbst gegeben; sie wurde ihr von den Mitgliedstaaten übertragen. Die neue Architektur von Handelsabkommen ist nichts weiter als die Umsetzung dieser Zuständigkeitsverteilung in die Praxis. Für die gemeinsame Handelspolitik heißt das: Der Bundestag kann sich weiter einbringen. Er kontrolliert die Bundesregierung im Rat und kann ihr Verhalten durch Stellungnahmen beeinflussen. Das Recht zur Ratifikation liegt beim Europäischen Parlament. Deshalb wundert es mich schon, wenn Die Linke hier damit auch den Vertrag von Lissabon infrage stellt. Der zweite Punkt, den ich erwähnen möchte: was die EU in der Handelspolitik dazugelernt hat. Oft hören wir, die EU habe überhaupt nichts dazugelernt. Auch die Grünen machen sich in ihrem Antrag diese Kritik zu eigen. Der Abschluss des Abkommens erfolge zu schnell; das würde die parlamentarische Beratung erschweren. Der Text des Japan-Abkommens ist seit mehr als einem halben Jahr auf der Internetseite der EU-Kommission veröffentlicht. Im Übrigen ist es schon sehr merkwürdig, davon zu sprechen, dass die Zeit für eine parlamentarische Behandlung nicht ausreiche. Liebe Kolleginnen und Kollegen, worüber reden wir denn gerade? Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass die Zeit nicht ausreiche, um eine fundierte Stellungnahme abzugeben. ({2}) Sie selbst haben ja gleich zwei Anträge formuliert; davon haben Sie einen zurückgezogen. Daraus muss ich schließen, dass Sie Ihre eigenen Anträge für nicht fundiert halten. Ich habe den Eindruck, dass Ihre Haltung schon feststand, ({3}) bevor Sie überhaupt einen Blick in die entsprechenden Handelsverträge geworfen haben. Sie hatten da schon eine feste Meinung und wollten das Abkommen am liebsten ablehnen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Töns, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dröge?

Markus Töns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004921, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte, Frau Kollegin.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Töns, da Sie nicht verstanden haben, warum wir einen Antrag zum ordentlichen parlamentarischen Beratungsverfahren eingebracht haben, würde ich Ihnen gerne eine Frage stellen: Ist Ihnen bewusst, dass wir über das Abkommen CETA über ein Jahr im Deutschen Bundestag beraten haben, dass wir Expertenanhörungen in mehreren Ausschüssen durchgeführt haben, dass sogar eine EU-Konsultation zu den Schiedsgerichten stattgefunden hat, die noch mal zu Veränderungen im Abkommen geführt hat? Da wir auf der einen Seite bei CETA auf diese Weise vorgegangen sind und uns auf der anderen Seite das JEFTA-Abkommen im April zur parlamentarischen Beratung im Bundestag zugeleitet wurde, ohne dass wir Expertenanhörungen durchführen können, ohne dass wir eine öffentliche Diskussion mit der Zivilgesellschaft führen können, frage ich mich: Wo ist Ihr Anspruch als Abgeordneter, der doch eigentlich die Aufgabe hat, die Zivilgesellschaft mitzunehmen auf dem Weg zu etwas, von dem Sie glauben, dass es richtig ist? Mein Eindruck in diesem Verfahren ist, dass Sie hinter CETA zurückfallen, dass Sie nichts aus den Debatten der Vergangenheit gelernt haben. Wenn Sie mit uns hätten diskutieren wollen, dann hätten wir beispielsweise auf die Frage eingehen können, ob der Klimaschutz im JEFTA-­Abkommen ausreichend verankert wurde, wie das Vorsorgeprinzip aussieht. ({0}) Mit all diesen Punkten hätten Sie uns überzeugen können, wenn Sie eine gesellschaftliche Mehrheit haben wollten. Unsere Funktion als Parlamentarier ist es eben nicht nur, selber die Texte zu lesen, sondern auch stellvertretend für die Öffentlichkeit ein Forum zu schaffen, in dem man Argumente austauscht, um zu informieren und die Bevölkerung mitzunehmen. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Deswegen ist die Frage an Sie: Was ist eigentlich Ihr Selbstverständnis als Abgeordneter, wenn Sie all diese Instrumente nicht nutzen? ({0})

Markus Töns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004921, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kollegin Dröge, mein Selbstverständnis als Abgeordneter – und übrigens auch als Europäer – ist, zu akzeptieren, dass Handelspolitik seit dem Vertrag von Lissabon auf der europäischen Ebene angesiedelt ist. Wir, die Europäische Kommission und Europa haben aus den langen Debatten über CETA – wobei Sie wissen, dass es ein gemischtes Abkommen ist und deshalb hier im Bundestag ratifiziert werden muss – gelernt, auf europäischer Ebene Handelsverträge als EU-only-Verträge abzuschließen. Wenn es um Investitionsschutz und um die gemischten Teile geht, dann wird der Bundestag mitberaten. ({0}) Sie hatten seit einem halben Jahr die Chance, sich mit diesem Abkommen auseinanderzusetzen. Es gab dazu übrigens auch Drahtberichte. ({1}) – Nicht öffentlich. – Aber wenn Sie jetzt sagen, Sie hätten dazu keine Informationen gehabt, dann ist das schlichtweg falsch. ({2}) Um das deutlich zu sagen: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben es uns nicht leicht gemacht. Wir haben miteinander diskutiert, wir haben um das beste Argument gestritten. Erst dadurch haben wir erreicht, dass die EU-Kommission in allen Investitionsschutzabkommen demnächst auf transparente öffentliche Gerichte anstatt auf private Schiedsgerichte setzt. Für die Menschen macht es sehr wohl einen Unterschied, ob ein Verfahren, an dem ihre Regierung als Beklagte beteiligt ist, öffentlich geführt wird oder nicht. Erst letzte Woche hatten wir eine Expertenanhörung zum Investitionsschutz. Der überwiegende Teil der Experten, übrigens Juristen mit Erfahrung auf dem Gebiet des Völkerrechts, hat gesagt: Ja, ein multilateraler Investitionsgerichtshof ist wesentlich transparenter als private Schiedsgerichte. – Und das soll keine Verbesserung sein? ({3}) Und ist es etwa keine Verbesserung, wenn die Kommission in allen Verhandlungen über Handelsabkommen auf hohe Standards für Umwelt und Arbeitnehmerrechte setzt? Die Kommission verhandelt gerade die letzten Details für die Modernisierung des Globalabkommens mit Mexiko. ({4}) Ich sage das auch an die FDP gerichtet: Man bekommt manchmal den Eindruck bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wüssten nicht, dass es auch noch andere Handelsabkommen außer CETA gibt. ({5}) In der modernisierten Version des Abkommens mit Mexiko wird es jetzt endlich auch ein Kapitel über Handel und nachhaltige Entwicklung geben. Außerdem werden erstmalig verbindliche Bestimmungen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Korruption verankert. Sie sagen, das sei keine Verbesserung? ({6}) Sicherlich kann man sagen: „Das ist alles noch nicht genug“, und sicherlich sollte unser aller Bestreben sein, mehr Nachhaltigkeit, höhere Umweltstandards und Arbeitnehmerrechte zu vereinbaren. ({7}) Ich will Ihnen aber auch etwas verraten. Die Kommission handelt nicht freischwebend. Sie ist an die Mehrheiten im Rat und im Europäischen Parlament gebunden. Wenn man das zugrunde legt, kann man doch sagen, dass die Kommission eine ganze Menge dazugelernt hat, meine Damen und Herren. Wer das verkennt, der verkennt auch die politischen Gegebenheiten, unter denen die Kommission arbeitet. Ein weiterer Punkt, den ich noch erwähnen möchte: Wie sollte zukünftig unsere Handelspolitik gestaltet sein auf europäischer Ebene? Das Handelsabkommen mit Japan kann nicht isoliert betrachtet werden. Die EU hat parallel dazu ein strategisches Partnerschaftsabkommen ausgehandelt, das die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Japan auf eine neue Ebene heben wird. Das Abkommen setzt einen neuen rechtlichen Rahmen, zum Beispiel bei der Bekämpfung des Klimawandels, beim Katastrophenschutz und bei der Energiesicherheit. Die Umsetzung der Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens wurde explizit im Freihandelsabkommen bekräftigt. Meine Damen und Herren, vielleicht noch wichtiger als die Kooperation in jedem einzelnen Bereich ist aber der Wille zum Kompromiss in der Politik. Dass sich hier zwei wirtschaftlich starke Partner bereit erklären, sich einem verbindlichen rechtlichen Regelwerk unterzuordnen, ist keine Selbstverständlichkeit, ist aber nach meiner Meinung in dieser Handelspolitik vor dem Hintergrund des G‑7-Gipfels und der US-Zölle umso notwendiger. Das funktioniert nur, wenn wir bereit sind, auf alle anderen EU-Staaten und unsere Handelspartner einzugehen. Am Ende muss ein Abkommen allen 27 Mitgliedstaaten gerecht werden; das ist im Übrigen die Idee von ­„Europe United“. Eine regelgebundene internationale Ordnung kommt langfristig allen zugute. Mit dem Japan-Abkommen kann die EU ein Zeichen setzen als verlässlicher und stabiler Partner in der internationalen Handelspolitik. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Alexander Graf Lambsdorff, FDP. ({0})

Alexander Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004798, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns hier, glaube ich, alle einig, dass die Welt aus den Fugen geraten ist. Das hat mit dem Verhalten der Vereinigten Staaten von Amerika zu tun: der Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen, der Abschied von dem Rüstungskontrollabkommen mit dem Iran, der Rückzug aus der UNESCO, der Rückzug aus der transpazifischen Partnerschaft. In dieser Situation wende ich mich jetzt an die Kollegen von der CDU/CSU. Es war nämlich richtig, was die Bundeskanzlerin im Bierzelt von Trudering gesagt hat: Europa muss sein Schicksal jetzt ein Stück weit in die eigenen Hände nehmen – heute haben Sie die Chance dazu! Sie können es heute tun, indem wir von hier aus ein starkes Signal setzen für einen regelbasierten Welthandel, für Solidarität mit Kanada und für eine verlässliche und starke Europäische Union als Partner weltweit. ({0}) Ich weiß, dass das manchen hier im Haus schwerfällt. Linke, Grüne, Attac, Verdi haben Kanada ja im Zuge der CETA-Debatte zu einer Bedrohung unserer europäischen Zivilisation verzerrt: ein Land mit 30 Millionen Einwohnern, da spricht man auch Französisch, der Staat zahlt die Medikamente, es gibt eine sozialliberale Regierung mit einem wunderbaren Premierminister, man nimmt großzügig Flüchtlinge auf, die bei Donald Trump vor verschlossenen Türen stehen. Kanada ist eine Bedrohung für unsere Zivilisation? Ein solcher Unsinn! Kommen Sie von dieser Palme runter, liebe Grüne! ({1}) Wir als Freie Demokraten schlagen sogar noch mehr vor als CETA: Warum beteiligen wir Kanada nicht auch an Erasmus+? Warum beteiligen wir Kanada nicht an Forschungsprogrammen der Europäischen Union? Warum etablieren wir nicht eine völlig neue, viel engere Partnerschaft mit Kanada als in der Vergangenheit? Kanada ist einer unserer besten und ältesten Freunde. Wir können sogar noch mehr machen, als nur CETA zu ratifizieren. ({2}) Meine Damen und Herren, wir müssen uns auch die Anträge der Linkspartei und der Grünen angucken: Da geht es nicht nur gegen Kanada, jetzt geht es sogar noch gegen Japan. ({3}) Japan war auch beim G‑7-Gipfel dabei. Japan ist auch von den Strafzöllen der Amerikaner betroffen. Was für ein Signal senden wir von der Bundesrepublik Deutschland denn aus, wenn wir uns einerseits gegen Kanada und andererseits gegen Japan positionieren? Hier muss ich den Grünen noch etwas sagen: Die Linken sind wenigstens konsequent und ehrlich. Sie sagen Nein zu JEFTA. ({4}) – Jawohl: konsequent und ehrlich. Falsch, aber konsequent. ({5}) Die Grünen dagegen machen einen verschwurbelten Antrag über angebliche Verzögerungen, das ist eine verwinkelte Ablehnung, ein wirklich unangenehmer Ansatz. ({6}) Denn auch Japan zählt darauf, dass von Deutschland ein starkes Signal für offenen Welthandel ausgeht. Deswegen: Unterschreiben wir bitte das Abkommen mit Japan so schnell wie möglich. ({7}) Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, Sie stimmen ja heute nicht deswegen gegen den Gesetzentwurf der Fraktion der Freien Demokraten, in dem wir die innerstaatliche Ratifizierung von CETA vorschlagen, weil es in Karlsruhe irgendwie ein Problem gibt. Da gibt es nämlich gar kein Problem. Worüber in Karlsruhe zurzeit verhandelt wird, ist ausschließlich die vorläufige Anwendung. Diese läuft ja schon. Worüber Karlsruhe noch verhandeln möchte – übrigens auf Antrag der Linksfraktion –, ist die Zustimmung des Deutschen Bundestages zu CETA als solches. Dazu hat Karlsruhe gesagt, die Entscheidung in der Hauptsache könne noch nicht getroffen werden, weil es noch an einer hinreichend konkretisierten gesetzlichen Grundlage fehle, die man im Bundesverfassungsgericht prüfen könne. Meine Damen und Herren, genau das legen die Freien Demokraten heute vor: Wir legen genau diese hinreichend konkretisierte gesetzliche Grundlage vor, die kann Karlsruhe dann prüfen. Alle Argumente, was das Bundesverfassungsgericht angeht, lieber Herr Lämmel, sind vorgeschoben. ({8}) Sie stimmen nur deswegen nicht zu, weil der Antrag von den Freien Demokraten aus der Opposition kommt. Ich sage Ihnen eins: In diesen Zeiten wollen die Bürgerinnen und Bürger draußen keine Berliner Spielereien aus dem Regierungsviertel: Man hat einen richtigen Gesetzentwurf, aber er kommt leider von der falschen Fraktion. Die Menschen wollen richtige Entscheidungen des Deutschen Bundestages. ({9}) Deswegen, meine Damen und Herren: Stimmen Sie gegen den Handelskrieg! Stimmen Sie für freien und fairen Handel! Senden wir ein Signal der Verlässlichkeit der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union! Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu! Herzlichen Dank. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich mitteilen, dass die Fraktion der CDU/CSU beantragt hat, nach der Abstimmung zu diesem Tagesordnungspunkt die Sitzung des Deutschen Bundestages zu unterbrechen, zur Durchführung einer Fraktionssitzung. Die Unterbrechung soll dauern bis 13.30 Uhr. Jetzt hat als nächster Redner der Kollege Klaus Ernst, Fraktion Die Linke, das Wort. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Herr Lämmel, ich wollte nur darauf aufmerksam machen: Buxtehude hat überhaupt keinen Kreistag, sondern einen Stadtrat, und was mich fasziniert, Herr Lämmel, ist, dass Sie den nicht vorhandenen Kreistag mit dem Deutschen Bundestag vergleichen. Das ist wirklich daneben. ({0}) Meine Damen und Herren, die FDP möchte, dass wir CETA sofort ratifizieren. Das ist merkwürdig; denn ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen, ist eigentlich Aufgabe der Regierung. Vielleicht haben Sie es noch gar nicht gemerkt: Sie regieren nicht, und daran sind Sie auch selber schuld. Meine Damen und Herren, es stehen noch zwei juristische Entscheidungen aus. Das Bundesverfassungsgericht prüft nämlich – im Gegensatz zu dem, was Herr Lambsdorff gesagt hat, der sich übrigens gerade angeregt unterhält – nicht nur die Frage, die Sie angesprochen haben, sondern die Frage, ob das Freihandelsabkommen CETA überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Der Europäische Gerichtshof prüft, ob die Vereinbarkeit mit dem EU-Recht gegeben ist. Ich halte es schon für ein merkwürdiges Rechtsverständnis, wenn Sie, bevor diese Entscheidungen überhaupt gefallen sind, schon darüber entscheiden wollen, das Abkommen zu ratifizieren. ({1}) Lassen Sie sich doch ein wenig Zeit, Herr Lambsdorff. ({2}) Im Übrigen: Ich weiß gar nicht, wo Ihr Problem ist. Dieses Abkommen ist vorläufig in Kraft. Sie führen hier Scheindebatten, die vollkommen überflüssig sind; aber sie haben trotzdem etwas Positives: Sie geben uns die Gelegenheit auch über das Freihandelsabkommen der EU und Japan zu sprechen. Meine Damen und Herren, ja, für die Handelspolitik ist die Europäische Union zuständig; das wissen auch wir. Aber ist es klug, nationale Parlamente von der Einflussnahme auf die Inhalte der Abkommen auszuschließen? Genau das macht die Europäische Union. Muss da nicht der Eindruck entstehen, dass die Europäische Union über die Köpfe der Bürger hinweg entscheidet? Die Handelspolitik wirkt sich unmittelbar auf die Lebenswirklichkeit der Bürger aus: auf die Qualität der Lebensmittel, beim Arbeitsschutz, beim Datenschutz, bei der Daseinsvorsorge, bei der Wasserversorgung oder dem öffentlichen Gesundheitssystem. Beim Handelsabkommen zwischen der EU und Japan greift die Kommission nun zu einem Trick – Herr Lambsdorff, das wissen Sie genau –: Sie splittet die Abkommen in zwei Teile; ansonsten hätten wir hier nämlich Mitwirkungsmöglichkeiten. Der Hauptteil wird nur noch auf der EU-Ebene abgestimmt. Die Mitwirkung der nationalen Parlamente ist so äußerst begrenzt bis ausgeschlossen. Muss ein solch arrogantes Verhalten der Europäischen Union nicht zwangsläufig die Bürger Europas gegen die Union aufbringen? ({3}) – Doch, das wird sie tun – genauso, wie sie das bei CETA und TTIP hingekriegt hat. ({4}) Meine Damen und Herren, Wirtschaftsminister Altmaier hat sich in der „FAZ“ vom 11. Juni zum Thema Handelspolitik folgendermaßen geäußert – Zitat –: Es geht um eine positive Gestaltung der Globalisierung im 21. Jahrhundert auf der Grundlage gemeinsamer Werte. – Zitat Ende. Welche Werte sind das? Gehört nicht „mehr Demokratie“ zu den Grundprinzipien der Gestaltung des 21. Jahrhunderts? ({5}) Und wenn das so ist: Was ist mit JEFTA geplant, mit dem Abkommen mit Japan? Weniger Demokratie. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir brauchen. Ich möchte Ihnen das erklären: Das gilt zum Beispiel für die regulatorische Kooperation. Normen und Standards, also geltendes Recht, können ohne öffentliche Diskussion und parlamentarische Mitwirkung gegenseitig anerkannt oder harmonisiert und damit verändert werden. Das ist Aufgabe der Parlamente und nicht Aufgabe einer Kommission. ({6}) Das geschieht übrigens auch ohne Einflussnahme des Europäischen Parlaments. Ich sage das, weil Sie das immer so gern gegensätzlich darstellen. Das Europäische Parlament kann dort genauso wenig mitreden wie die nationalen Parlamente. ({7}) Meine Damen und Herren, man denke etwa an die Regelungen des Verbraucherschutzes wie zum Einsatz von Gentechnik oder zu Grenzwerten für Pestizide oder zu Bestimmungen des Arbeitsschutzes. Entschieden wird das von eigens eingesetzten transnationalen Gremien, besetzt mit Bürokraten, die keiner demokratischen Kontrolle unterliegen. ({8}) Das ist das, was Sie wollen, und das ist Abbau von Demokratie, Herr Lambsdorff. ({9}) Der Demokratieabbau gilt auch für die Liberalisierung von Dienstleistungen. Die Daseinsvorsorge, die Sicherung öffentlicher Infrastruktur wie Wasser- oder Energieversorgung oder das Gesundheitswesen wurden eben nicht vollständig ausgenommen bei diesen Verhandlungen. Es ist kaum noch möglich, einmal privatisierte Bereiche wieder zurückzuholen. Ich denke zum Beispiel an die Wasserversorgung in Berlin. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Ernst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Heider, CDU/CSU?

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, bitte.

Dr. Matthias Heider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004051, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege Ernst, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade wiederholt den Bereich der Daseinsvorsorge angesprochen, der Ihrer Meinung nach von diesen Verträgen in Mitleidenschaft gezogen wird. Ist Ihnen erstens bekannt, dass im Annex II, und zwar ziemlich genau auf der Seite 1 500, des CETA-Abkommens zwischen der EU und Kanada eine Verabredung getroffen wird, wonach alle öffentlichen Dienstleistungen – im EU-Recht spricht man von Dienstleistungen von öffentlichem Interesse – in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gewährleistet sind? Kennen Sie zweitens auch die Protokollerklärung, die die EU und Kanada abgeschlossen haben? Diese lautet – ich zitiere –: Das CETA hindert die Regierungen nicht daran, die Erbringung dieser Dienstleistungen im öffentlichen Interesse zu definieren und zu regulieren. Das CETA wird die Regierungen nicht dazu zwingen, dass sie Dienstleistungen privatisieren, noch hindert es sie daran, die … für die Öffentlichkeit erbrachten Dienstleistungen zu erweitern. Nachdem Sie das gehört haben, frage ich Sie noch einmal: Kennen Sie diese Regelung? Und drittens: Würden Sie der alten, in der Literatur auch geprüften Aussage zustimmen: „Was du schwarz auf weiß besitzt, kannst du getrost nach Hause tragen“?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielleicht darf ich einmal auf unsere Geschäftsordnung hinweisen – ich habe jetzt wiederholt Anlass dazu gehabt –: Zwischenfragen sollen kurz und präzise sein. – Herr Kollege Ernst, bitte, Sie haben das Wort zur Antwort.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. – Herr Heider, recht herzlichen Dank für Ihre Frage. Erstens. Das ist mir natürlich bekannt. Aber der entscheidende Punkt ist doch der: Ist es in dem Abkommen so geregelt, dass das, was bereits privatisiert ist, liberalisiert ist, wieder zurückgeholt werden kann, oder ist es so geregelt, dass bereits privatisierte Bereiche, auch der Daseinsvorsorge, nicht mehr zurückgeholt werden können? Zweitens. Ich habe jetzt gar nicht von CETA gesprochen, sondern von dem Abkommen mit Japan. Wenn ich das richtig sehe, ist es dort durchaus anders geregelt. Und wenn es anders geregelt ist, dann ist genau das, was ich gesagt habe, vollkommen richtig, nämlich dass wir Bereiche in dem Abkommen mit Japan haben, wo die Daseinsvorsorge nicht in der Weise geregelt ist, dass die Bürger vor weiteren Liberalisierungen geschützt werden. ({0}) Meine Damen und Herren, genau das ist der Punkt. Warum ist das europäische Vorsorgeprinzip zum Beispiel nicht im Abkommen verankert? Warum akzeptieren wir eigentlich, dass die international von der ILO, also der Internationalen Arbeitsorganisation, vereinbarten Kernarbeitsnormen nicht Bestandteil dieses Abkommens sind und Japan nach wie vor zwei von diesen Kernarbeitsnormen nicht ratifiziert hat? Meine Damen und Herren, viele Fragen. Ich sage Ihnen: Dort haben wir erheblichen Bedarf, eigentlich andere Entscheidungen zu treffen. Meine Damen und Herren, die Europäische Union und auch Teile des Bundestages tun so, als wäre das, was die EU-Kommission macht, ein mutiges und fortschrittliches Zeichen für fairen und freien Handel. Das ist es nicht. Sie werten es so, als wäre es ein notwendiges Zeichen gegen den Trump’schen Protektionismus. Die Kritiker, wie wir, werden als Protektionisten bezeichnet, und es wird so getan, als wären wir gegen den internationalen Warenaustausch. Meine Damen und Herren, die Wahrheit ist: Sie benutzen systematisch die Politik des Trampels im Weißen Haus, um Ihre Liberalisierungsagenda durchzusetzen. Das halten wir für falsch, meine Damen und Herren. ({1}) Nur weil Trumps Politik noch schlimmer ist, sind Ihre Freihandels- und Investitionsschutzabkommen noch lange nicht gut. Auch wir wollen internationalen Handel, aber fair, im Interesse der Bürgerinnen und Bürger und nicht im Interesse der international tätigen Konzerne. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Katharina Dröge, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben gerade in atemberaubender Geschwindigkeit, dass das, was wir in den letzten Jahren oder Jahrzehnten an internationalen Regeln aufgebaut haben, in sich zusammenfällt. Regeln, die dazu da waren, diese Welt etwas besser und sicherer zu machen, werden geschwächt oder gefährdet, beispielsweise das Pariser Klimaabkommen oder der Iran-Atomdeal. Auch in der Handelspolitik erleben wir zeitgleich eine gefährliche Spirale von Abschottung und Nationalismus. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich finde, es ist unsere Aufgabe als Deutscher Bundestag, auf diese Entwicklung eine Antwort zu geben. ({0}) Heute diskutieren wir den Abschluss von zwei Handelsverträgen: ein Handelsvertrag mit Japan und ein Handelsvertrag mit Kanada. Jetzt haben wir zwei Aufgaben: Die erste Aufgabe ist es, diese Verträge in der Sache zu prüfen, miteinander darüber zu diskutieren: Was regeln sie eigentlich vernünftig, und wo gibt es Probleme? Über die Probleme müssen wir hier miteinander auch sprechen, beispielsweise: wenn Sie schlechte Regelungen in ein Handelsabkommen mit Kanada aufnehmen, wie die hochumstrittenen Investor-Staat-Schiedsgerichte, an denen Sie rein ideologisch, völlig sinnfrei, festhalten, obwohl es massiven Widerstand in der europäischen Bevölkerung gegen diese Regelungen gibt. ({1}) Wenn Sie Abkommen verhandeln, die demokratische Spielräume einschränken, beispielsweise die der Kommunen, wo noch nicht einmal klar ist, ob Sie als SPD das bewusst machen oder ob Sie hier einfach fahrlässig handeln, ({2}) dann müssen wir doch miteinander darüber sprechen. ({3}) Wenn Sie Abkommen verhandeln, die die zentrale Säule des europäischen Verbraucherschutzes, das Vorsorgeprinzip, schwächen, dann müssen wir auch hier im Deutschen Bundestag darüber miteinander diskutieren, dass diese Abkommen so in dieser Form von Ihnen nicht abgeschlossen werden können. ({4}) All diese Probleme haben wir miteinander besprochen. Zu all diesen Problemen haben wir Ihnen Vorschläge gemacht, wie man das Ganze besser regeln könnte. Es war Ihre politische Entscheidung, das nicht zu machen. Wir sollten einmal auf diesen Konflikt, was eigentlich EU-only ist und wer die Handelspolitik gestalten sollte, zu sprechen kommen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Dröge, der Kollege Graf Lambsdorff möchte Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Jetzt habe ich keinen Stift mit. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Gestatten Sie es?

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Klar.

Alexander Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004798, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich mache es auch kurz. Sie brauchen keinen Stift. Erstens: Ist Ihnen klar, dass das ISDS-Verfahren, das Sie hier noch einmal erwähnt haben, in dieser Form in CETA gar nicht mehr steht? Zweitens: Ist Ihnen bewusst, dass das Vorsorgeprinzip dem europäischen Primärrecht angehört und durch ein Handelsabkommen in keiner Weise ausgehebelt werden kann? Der EuGH würde das niemals zulassen.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Lambsdorff, vielen Dank für diese Frage, dann kann ich noch etwas mehr zu den Inhalten des Vertrages sagen. Ich fange einmal mit dem Vorsorgeprinzip an. Wir haben in den State-to-State-Schiedsverfahren der WTO erlebt, wie über Regulierung auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips entschieden wurde, beispielsweise in dem Fall „USA gegen die Europäische Union“, wo es um den Import von Hormonrindfleisch ging. Die Schiedsgerichte haben sich dort beständig auf das WTO-SPS-Kapitel bezogen, das gerade nicht auf dem europäischen Vorsorgegrundsatz basiert, sondern auf dem amerikanischen wissenschaftsbasierten Grundsatz. Wir haben im Deutschen Bundestag, als wir über CETA beraten haben, genau darüber, insbesondere im Umweltausschuss, Anhörungen durchgeführt, wo uns die Experten gesagt haben: Wenn man das europäische Vorsorgeprinzip wirklich rechtssicher so absichern will, dass man sich vor den Schiedsgerichten tatsächlich darauf berufen kann, dann muss man dieses Vorsorgeprinzip als horizontales Prinzip im gesamten Vertragstext verankern. ({0}) Dann kann man es nicht so machen, wie es aktuell in den Verträgen geschieht, dass man das beispielsweise nur in das Nachhaltigkeitskapitel schreibt, aber insbesondere in das Kapitel über sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen eben nicht. Da reden wir über Gentechnikregulierung, da reden wir über Pestizide. Deswegen hat meine Fraktion ein zweites Gutachten in Auftrag gegeben, das CETA genau vor diesem Hintergrund analysiert hat und zu der Aussage gekommen ist, dass man das Vorsorgeprinzip schwächt, wenn man es gerade dort nicht verankert. Da reden wir noch nicht über die Schiedsgerichte; da reden wir nur über die State-to-State-Schiedsverfahren, die wir als grüne Bundestagsfraktion sogar unterstützen, weil wir sagen: Staaten müssen sich auch untereinander verständigen. – Genau deshalb müssen wir das Vorsorgeprinzip in den Verträgen ausreichend verankern. ({1}) Wir haben Vorschläge gemacht, wie das Ganze funktionieren könnte, und Sie könnten sie einfach nur aufnehmen. Das würde die Verträge schon ein Stück besser machen. Dann kommen wir zu den Schiedsgerichten. – Meine Zeit läuft weiter; ich beantworte aber noch die Frage. Es wäre gut, wenn die Uhr noch mal abgestellt würde. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, nein.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, nein, nein. Die Schiedsgerichte habe ich aber noch gar nicht angesprochen. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Das mag sein. Trotzdem läuft Ihre Redezeit, und sie läuft auch in absehbarer Zeit ab.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja gut, dann beantworte ich Teil zwei der Frage nicht mehr, weil ich sonst mit meiner Rede nicht durchkomme. Es tut mir leid; wir müssen es bilateral machen. ({0}) Schade eigentlich; denn es wäre total wichtig gewesen, noch mal länger über die Schiedsgerichte zu sprechen. Wir haben schon darüber gesprochen – etwas ausführlicher zum Vorsorgeprinzip –, was in diesen Verträgen schlecht geregelt ist. Ich finde aber, wir sollten gleichzeitig darüber sprechen – das ist mir ein wichtiges Anliegen in dieser Rede –, ob die Verträge geeignet sind, auf den Nationalismus, auf die Abschottung in der Wirtschaftspolitik eine vernünftige Antwort zu geben. Und da sage ich Ihnen: Sie müssten doch in der Lage sein, gerade mit Ländern wie Kanada und Japan Abkommen zu verhandeln, die zeigen, dass man die Globalisierung gerecht gestalten kann. ({1}) Gerade deshalb ist es so fatal, dass Sie hier die Chance nicht genutzt haben. Wenn wir erleben, was in den USA passiert, was beim Brexit passiert, was hier der rechte Teil des Bundestages erzählt, dann ist es unsere Aufgabe, darüber zu sprechen, dass die Globalisierung – so unreguliert, wie sie verläuft – eben auch Ungerechtigkeiten erzeugt. ({2}) Wenn wir das negieren, dann fehlt im demokratischen Diskurs eine wichtige Stimme. Es ist unser Job, auch darüber zu sprechen; aber es ist dann auch unser Job, bessere Regeln für die Handelsverträge vorzuschlagen. Genau darüber haben wir als grüne Bundestagsfraktion immer gesprochen: Wir wollen fairen Handel. Wir sind fest davon überzeugt, dass internationale Kooperation, auch der Austausch von Waren, besser ist als nationale Abschottung. Aber wir sind gleichzeitig davon überzeugt, dass es unser Job ist, Regeln zu definieren – für die Vorsorge, für den Klimaschutz, für die kommunale Daseinsvorsorge. Das erwarten die Menschen von uns. ({3}) So kann man Verträge auch gestalten, so kann man auch Bündnispartner finden, und so kriegt man dann auch in der Gesellschaft Mehrheiten dafür. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Präsident des Bundestags habe ich eine gewisse Fürsorgepflicht gegenüber den Stenografen. ({0}) Da ich in meiner Jugend einmal einen Schnellsprechwettbewerb gewonnen habe, bitte ich, daran zu denken, dass unsere tüchtigen Mitarbeiter in der Lage sein müssen, es alles gut zu notieren. Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Stefan Rouenhoff, CDU/CSU. ({1})

Stefan Rouenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004867, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Handel und Investitionen sind und bleiben zentrale Voraussetzungen für Wohlstand, Wachstum und Beschäftigung. Deshalb ist und bleibt es das zentrale Ziel der deutschen Außenwirtschafts- und der europäischen Handelspolitik, Handel und Investitionen in diesem Sinne zu fördern. In den letzten Monaten konnten wir jedoch erkennen, dass einer unserer langjährigen Partner – darauf wurde heute ja schon mehrfach hingewiesen –, die USA unter Präsident Trump, von diesem zentralen Grundverständnis abgerückt ist. Spätestens die US-Strafzölle auf Stahl und Aluminium und der Ablauf des G‑7-Gipfels haben uns doch eines sehr deutlich vor Augen geführt: Die USA stellen die bisherige Welthandelsordnung infrage. Und genau deshalb ist es an der Zeit, dass wir in Europa auch in der Handelspolitik, so wie es vorhin schon von Graf Lambsdorff angesprochen wurde, unser Schicksal in die eigene Hand nehmen. ({0}) Wir müssen dem aufkommenden Protektionismus und Isolationismus entschlossen entgegentreten. Wir brauchen ein klares Bekenntnis Deutschlands und der Europäischen Union zu freiem Handel und offenen Märkten. ({1}) Hierfür tritt die CDU/CSU-Fraktion klar, eindeutig und mit Nachdruck ein. Deshalb stehen wir als Fraktion auch voll und ganz hinter CETA. Das vorläufige Inkrafttreten von CETA im September 2017 ist und bleibt ein handelspolitischer Meilenstein. Das Abkommen mit Kanada schafft enorme wirtschaftliche Chancen auf beiden Seiten des Atlantiks, und es gewährt auch hohe Umwelt-, Arbeits- und Sozialstandards, entgegen allen Legenden von Grünen und Linken. Liebe Kollegen von der FDP, ich kann nachvollziehen, dass Sie mit Ihrem Antrag eine zügige CETA-Ratifikation herbeiführen möchten, aber genau das wollen wir als Koalitionsfraktionen auch. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, CETA zeitnah zu ratifizieren, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Wir reden ja nicht nur vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wir reden auch vom Urteil des Europäischen Gerichtshofs über die Zulässigkeit der Ratsentscheidung zu CETA, worüber noch nicht abschließend positiv entschieden ist. So viel Zeit sollten auch Sie aufbringen, wo Sie sich doch so gerne als Rechtsstaatspartei bezeichnen ({2}) und wo Sie doch wissen, dass die allermeisten Teile von CETA längst vorläufig in Kraft getreten sind. ({3}) Bei einer Aussage, die Sie in den letzten Monaten immer wieder vorgebracht haben, möchte ich Ihnen aber doch zur Seite stehen: Freihandelsverhandlungen mit Partnerländern wie Kanada, die unsere Werte teilen, sollten keine acht Jahre dauern. Das ist eindeutig zu lang, vor allem dann, wenn wir Vorreiter beim Setzen hoher internationaler Standards sein wollen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Zeiten wachsender Instabilität der Weltwirtschaftsordnung sollten wir alle, die wir hier im Deutschen Bundestag sitzen, ein originäres Interesse daran haben, die Handelsbeziehungen Deutschlands und der Europäischen Union auf ein breiteres Fundament zu stellen – zum Wohle der Menschen in unserem Land. ({5}) Stattdessen liegen uns heute wieder Anträge von den Grünen und von der Linken vor, in denen die beiden Fraktionen erneut die alte Leier spielen und sich nun gegen das Freihandelsabkommen mit Japan aussprechen. Ich persönlich halte diese Dagegen-Politik wirklich für verantwortungslos. ({6}) Liebe Kollegen von den Grünen, Sie sagen – auch wenn es jetzt nicht mehr im Antrag steht –, es sei nicht ausreichend Zeit gewesen, um sich mit den Inhalten des Freihandelsabkommens EU-Japan zu befassen. Sie hatten mehr als ein halbes Jahr Zeit, in den Text zu schauen. ({7}) – Ich komme noch dazu. – Sie wurden wie alle anderen Abgeordneten vonseiten der Bundesregierung über den Verhandlungsverlauf und über den Stand der Dinge informiert. Sie sagen, Sie haben zu wenig Zeit. ({8}) Aber Sie haben anscheinend doch wieder so viel Zeit gehabt, um Punkte zu finden, die gegen das Abkommen sprechen. Sie merken doch selbst: Da passt irgendetwas nicht zusammen. Wofür brauchen Sie denn mehr Zeit? ({9}) Wollen Sie wieder die populistische Stimmungsmache gegen Handelsabkommen betreiben? Haben Sie in den letzten Jahren auch nur einem Handelsabkommen zugestimmt? Es ist nicht passiert, liebe Kollegen von den Grünen. ({10}) Ich komme zum Inhalt zurück. Wir haben gerade über das Thema Vorsorgeprinzip gesprochen. Das Vorsorgeprinzip ist und bleibt im Primärrecht verankert. Da können Sie hier auch noch so konstatieren, dass das nicht gültig ist: Es wird auch auf andere völkerrechtliche Verträge weiterhin Anwendung finden. Ich möchte noch einen Punkt anführen, der mich doch ein bisschen erstaunt hat. Sie haben die Zustimmung zum Handelsabkommen EU-Japan mit den Inhalten eines noch nicht verhandelten, separaten europäisch-japanischen Investitionsschutzabkommens verknüpft. ({11}) Warum wollen Sie denn Ihre Zustimmung zum Handelsabkommen von einem Investitionsschutzabkommen abhängig machen, wenn über Letzteres doch sowieso hier im Deutschen Bundestag abgestimmt wird? Das erschließt sich mir absolut nicht. ({12}) Ich möchte mich noch einem weiteren Punkt im Antrag der Linken zuwenden. Sie reden davon, dass beim EU-Freihandelsabkommen mit Japan demokratische Entscheidungsprozesse sträflich vernachlässigt werden. Sträflich ist aus meiner Sicht nur eins – das wurde heute schon mehrfach gesagt –, und zwar, dass die Fraktion Die Linke mit einer solchen Aussage die Legitimation des demokratisch gewählten Europäischen Parlaments infrage stellt, und das ist Wasser auf die Mühlen der Populisten und Europagegner. ({13}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit beiden Handelsabkommen stärken wir die Europäische Union.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Rouenhoff, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke? – Sie wollen keine Zwischenfrage mehr gestatten? – Bitte.

Stefan Rouenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004867, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gleich am Ende meiner Rede. ({0}) Lassen Sie uns aus diesem Grund das Freihandelsabkommen mit Japan nicht in den Wind schlagen. Die Welt wartet nicht auf uns, weder auf Deutschland noch auf die Europäische Union. ({1}) Die Standards werden ansonsten ohne uns gesetzt, und das wollen wir nicht zulassen. ({2}) Die CDU/CSU-Fraktion spricht sich deshalb ganz klar und eindeutig für die Intensivierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit Japan aus, mit einem G‑7-Staat, mit dem wir gleiche Werte teilen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Ich erteile das Wort jetzt zu einer Kurzintervention dem Kollegen Pascal Meiser, Fraktion Die Linke. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben danach noch vier Wortmeldungen. Ich weiß, dass sich eine namentliche Abstimmung abzeichnet. Aber ich bitte doch, im Saal die notwendige Ruhe herzustellen. Sonst bin ich gezwungen, die Sitzung zu unterbrechen, und zwar bevor wir zur namentlichen Abstimmung kommen. Jetzt hat der Kollege Pascal Meiser das Wort zu einer Kurzintervention.

Pascal Meiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004819, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Rouenhoff, Ihnen ist ja bekannt, dass auch die deutsche Bundesregierung im Rat über JEFTA zu entscheiden hat. Finden Sie es wirklich so verwerflich und undemokratisch, dass wir hier im Bundestag über diese Entscheidung, über die Haltung und das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung im Rat diskutieren? Wenn die Grünen und wir hier keine Anträge eingebracht hätten, würde der Deutsche Bundestag in seiner Gesamtheit über dieses weitreichende Abkommen nicht diskutieren. Ich muss Ihnen sagen: Das hat überhaupt nichts mit der Kompetenzbeschneidung des Europäischen Parlaments zu tun. Wir wollen nur darüber reden, wie sich unsere Bundesregierung im Rat zu diesem Abkommen verhält. Wenn Sie uns hier die ganze Zeit Populismus und undemokratisches Verhalten vorwerfen, dann frage ich Sie: Sehen Sie das auch so mit Blick auf den Deutschen Gewerkschaftsbund, mit Blick auf den BUND und die vielen anderen Nichtregierungsorganisationen, die fordern, dass der Deutsche Bundestag darüber diskutiert und dieses Abkommen ablehnt? Finden Sie, dass das auch Populisten sind, dass das Antidemokraten sind, Herr Kollege? ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Rouenhoff, wenn Sie mögen, können Sie antworten. – Sie mögen. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Stefan Rouenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004867, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte sagen: Ich finde es nicht verwerflich, dass wir darüber diskutieren. Wir haben die Zeit, und wir haben die Diskussion geführt. Insofern stelle ich das, was Sie gesagt haben, gar nicht infrage.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dann erteile ich jetzt dem Kollegen Johann Saathoff, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss schon sagen: Allein durch die Tatsache, dass wir heute über Handelsabkommen sprechen und darüber, dass sie von der Europäischen Union verhandelt werden, kriegen wir ein Bild davon, was für eine Idee von Europa Vertreter einzelner Fraktionen haben. Ich höre immer wieder, dass die Kritik laut wird, die Idee von Europa sei überbordende Demokratie. Das Gegenteil ist der Fall, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Die Idee von Europa ist für mich Folgendes: Die Idee von Europa ist gemeinsames Wachstum. Die Idee von Europa ist gemeinsames Verständnis füreinander, ist gemeinsames Perspektivenentwickeln für Solidarität und für Wohlstand. Die Idee von Europa ist gemeinsamer Frieden. Das steht über allem und nicht die Bürokratie, meine Damen und Herren. ({1}) Heute setzen wir uns mit sehr gegensätzlichen Anträgen zum Thema Handelsabkommen auseinander. Der FDP geht es nicht schnell genug mit der Ratifizierung von CETA, und die Fraktionen der Grünen und der Linken sehen die bereits ausgearbeiteten Konzepte und Ansätze für ein Handelsabkommen mit Japan kritisch. Lassen Sie mich zunächst zu CETA kommen. Mein Kollege Bernd Westphal hat schon bei der ersten Lesung gesagt, wir sollten uns jetzt, wo das Bundesverfassungsgericht und übrigens auch der Europäische Gerichtshof noch über CETA zu entscheiden haben, nicht mit dem Abkommen befassen. Das gebietet einfach der Respekt unseres Hauses gegenüber dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof. ({2}) Und da sich die zuständigen Institutionen in Brüssel, nämlich das Europäische Parlament, die EU-Kommission und der Rat, bereits für CETA entschieden haben, wird es seit dem 21. September 2017 auch vorläufig angewendet. Daher besteht jetzt erst mal Sicherheit für die Wirtschaft, die die Vorteile nutzen kann, die CETA auch und gerade dem deutschen Mittelstand bietet. Also lassen Sie uns erst mal die Entscheidung der Gerichte abwarten, meine Damen und Herren. ({3}) Dem einen geht das alles mit CETA nicht weit genug, dem anderen geht das alles zu weit. Wenn up beid Sieden Hauhner kakeln, büst up recht Padd. Wir werden sehen, ob die Gerichte den richtigen Weg bestätigen können. Lassen Sie mich nun zu den zwei Oppositionsanträgen zum Wirtschaftspartnerschaftsabkommen der EU mit Japan kommen. Es ist ja richtig, wenn wir grundsätzlich auch mit einem kritischen Auge auf unsere Handelspolitik schauen. Nicht nur in Deutschland und Europa ist in den letzten Jahren die Skepsis gegenüber Handel und Globalisierung gestiegen. Viele Berufsgruppen und zahlreiche Arbeiter und Angestellte haben das Gefühl, dass sie durch die Globalisierung aus ihren Berufen gedrängt werden oder durch den internationalen Wettbewerb in Zukunft ihren Arbeitsplatz verlieren könnten. Ich habe in der Hochphase der TTIP-Diskussion mit vielen Menschen in meiner Heimat darüber gesprochen, und es gab tendenziell – das kann man so sagen – durchaus eine ablehnende Haltung zum Freihandel. Ostfriesland ist eine Region, in der unter anderem ein großer Automobilkonzern der größte Arbeitgeber ist. Noch dazu werden in Emden die produzierten Autos verschifft und in die ganze Welt geliefert. Nicht nur die Sorgen hinsichtlich der möglichen Ausnutzung von Regeln aus unfairen Abkommen belasten die Menschen. Mindestens ebenso belasten sie die Sorgen wegen der Auswirkungen der neuen US-amerikanischen Handelspolitik und des um sich greifenden Protektionismus. ({4}) Strafzölle auf Autos haben nicht nur in Ostfriesland Auswirkungen, sondern in ganz Deutschland. Deutschland profitiert direkt vom Welthandel. Deshalb lehnen wir den Antrag der Linken ab, der das Abkommen ablehnt und für ein Abkommen unmögliche Forderungen aufstellt. Auch wir wollen keinen Freihandel um jeden Preis. Es ist gerade unser Anliegen als SPD, eine nachhaltige und faire Handelspolitik weltweit durchzusetzen. ({5}) Glauben Sie mir: Keine andere Partei als die SPD hat in den letzten Jahren eine so differenzierte Analyse erstellt und einen so intensiven Dialog über das Für und Wider von Handelsabkommen geführt, ({6}) vielleicht – das muss man dabei sagen – nicht immer zum Wohle der Sozialdemokratie. ({7}) Aber gerade dadurch ist es uns in Zusammenarbeit mit unseren sozialdemokratischen Kollegen im Europäischen Parlament in der letzten Legislaturperiode gelungen, deutsche und europäische Standards für Verbraucher, Arbeitnehmerrechte, Umweltschutz und den Schutz der öffentlichen Daseinsvorsorge in Handelsabkommen zu verankern. ({8}) Wir wissen: Die Menschen sind nicht generell gegen freien Handel; sie sind gegen Einschränkungen von gesellschaftlichen Errungenschaften durch unfaire Handelsabkommen. Darauf ist generell unser Augenmerk zu richten. Das gilt natürlich auch für das Abkommen mit Japan, insbesondere mit Blick auf die gesondert zu verhandelnden geplanten Konzernklagerechte. In dieser Zeit, in der ein amerikanischer Präsident seinen Launen über Twitter freien Lauf lässt, müssen wir froh sein, dass wir Partner wie Kanada und Japan an unserer Seite haben. ({9}) Das Desaster des G‑7-Gipfels, der ohne gemeinsames Ergebnis beendet wurde, zeigt doch die Notwendigkeit der Neuorientierung der EU. Japan ist seit langem einer unserer wichtigsten Handelspartner in Asien. Uns verbinden viele gemeinsame Werte. Das ist allemal ein Handelsabkommen wert. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Houben, FDP. ({0})

Reinhard Houben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war ja schon eine interessante Debatte. Ich habe gelernt: Ein Koalitionsvertrag ist wichtiger als unsere internationale Ausrichtung und unsere internationalen Handelsbeziehungen. ({0}) Herr Lämmel hat ausgeführt: Es steht ja leider in unserem Koalitionsvertrag; deswegen können wir jetzt nicht so schnell reagieren. – Herr Rouenhoff hat hier einen Vortrag gehalten, zu dem man sagen muss: Logisch, und die Konsequenz ist, jetzt zuzustimmen. – Aber Sie tun es nicht. Da muss ich fragen: Wessen Interessen werden hier eigentlich vertreten? Wer ist eigentlich der Erfinder von Handelsverträgen? Das ist Deutschland aufgrund unserer besonderen ökonomischen und geografischen Situation. Dass wir ein ganz besonderes Interesse daran haben, dass Handelsverträge abgeschlossen werden, muss doch jedem, der nur für 5 Pfennig ökonomischen Verstand hat, einleuchten. ({1}) – Frau Roth, wenn es Sie beruhigt: Ich hätte auch „5 Cent“ sagen können. ({2}) – Ah, Frau Künast. Ich habe das mit Cent und Pfennig auch gemerkt, aber der Spruch ist halt schon ein bisschen älter. Mit wem sollen wir denn noch Verträge abschließen? Das ist ja zum Glück bei einigen Vorträgen hier angeklungen. Auf wen können wir uns denn noch verlassen? Das sind doch die Freunde in der Europäischen Union, das ist Japan, das ist Kanada. Warum sind wir so zögerlich? Ich kann das nicht verstehen. ({3}) Ich kann Sie nur herzlich bitten: Senden Sie ein klares Signal auch der Solidarität zu unseren kanadischen Freunden, und stimmen Sie unserem Antrag zu! ({4}) Nun ist sozusagen im zweiten Teil der Debatte über den Vertrag mit Japan gesprochen worden. Ich sage Ihnen, Frau Dröge, nach den traurigen Erfahrungen in der TTIP-Diskussion: Ich habe, ehrlich gesagt, kein Interesse, über die Qualität von Fischsoßenimporten aus Japan zu diskutieren. Das ist einfach eine schiefe Schlachtordnung in den Diskussionen, die durch entsprechende Interessenvertreter bei TTIP eingeführt, bei CETA fortgesetzt worden sind und jetzt im Grunde von den Linken dankbar aufgegriffen werden, um solche Handelsverträge zu diskreditieren. Zur Erinnerung, meine Damen und Herren: Deutschland ist mal gezwungen worden, den Begriff „Made in Germany“ auf seine Produkte zu drucken. Wissen Sie, warum? Weil Großbritannien seine Produkte schützen wollte und meinte, wenn auf Produkten „Made in Germany“ stehe, verkauften sie sich schlecht. Es hat sich mit der Zeit gezeigt, dass die Produkte mit dem Aufdruck „Made in Germany“ besonders gut sind. Mit diesem Selbstbewusstsein sollten wir weiterhin antreten, solidarisch mit unseren Freunden, damit es den Menschen in unserem Land weiterhin gut geht. Vielen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Aufmerksamkeit für die beiden letzten Redner in dieser Debatte. – Die vorletzte Rednerin ist die Kollegin Anja Hajduk, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, ich denke, in diesen Zeiten, in denen der internationale Welthandel unter Druck ist, ist es wirklich berechtigt und richtig, dass wir hier heute ausführlich darüber sprechen, wie wir Handelsbeziehungen zukünftig gestalten wollen. Daran wollen wir Grüne uns ausdrücklich inhaltlich und argumentativ beteiligen. Es geht deswegen nicht nur um die Ablehnung von Verträgen, sondern um diesen Gestaltungsanspruch. ({0}) Aber zu diesem Gestaltungsanspruch gehört natürlich auch ein kritischer Blick darauf: Haben wir in diesen Verträgen eigentlich das Nötige geschafft, wenn wir den Ansprüchen des Jahres 2018 genügen wollen? Mit Blick auf JEFTA – hier haben wir unseren Antrag ganz kurzfristig aktualisiert – sind wir zutiefst davon überzeugt, dass wir in entscheidenden Punkten hinter unseren Möglichkeiten zurückbleiben. ({1}) Ich will einen Punkt anführen, der Herrn Lambsdorff vielleicht dazu bringen wird, nachzudenken, anstatt Zwischenrufe zu machen: ({2}) Es ist schon ein Punkt, dass wir den Schutz der kommunalen Daseinsvorsorge insbesondere mit Blick auf das Thema „Wasser- und Abwasserversorgung“ bei JEFTA nicht so gut verankert haben wie bei CETA. Und gerade das Thema Wasserversorgung ist in der öffentlichen Meinung einer der Gründe dafür, warum der Freihandel so unter Beschuss ist. ({3}) Wenn gerade Sie von der FDP etwas für den Freihandel erreichen wollen, dann brauchen Sie mehr Resonanz und mehr Akzeptanz bei der Bevölkerung. Daran sollten Sie arbeiten. Deswegen: Nehmen Sie diese Themen endlich ernst! ({4}) Es gibt einen anderen Punkt, der gar nicht mehr zu verstehen ist. Frankreichs Regierung hat vorgeschlagen: Lassen Sie uns die Pariser Klimaschutzziele nicht nur erwähnen und verankern, sondern lassen Sie sie uns zu einem „essential element“ machen, also zu einem Element von Handelsverträgen, die jetzt durch die EU geschlossen werden und somit verbindlich sind! – Ich kann nicht verstehen, dass sich die Bundesregierung, die international immer für den Klimaschutz eintreten wollte, dagegen ausgesprochen hat, (Widerspruch des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/CSU] die Pariser Klimaschutzziele als „essential elements“ zu verankern. ({5}) Da müssen wir als Oppositionsfraktion Ihnen und der Öffentlichkeit klipp und klar darlegen: Diese Handelsverträge bleiben deutlich hinter den Anforderungen des Jahres 2018 zurück. Manche sagen: Man darf den Freihandel nicht überfrachten. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Hajduk.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich sage Ihnen: Die Freihandelsverträge von heute dürfen den international einstimmig verabschiedeten Klimaschutzzielen und den Nachhaltigkeitszielen nicht offenkundig widersprechen. ({0}) Das führt nämlich zu mangelnder Akzeptanz bei der Bevölkerung. ({1}) Wir machen hier unsere Hausaufgaben allerhöchstens zur Hälfte, und deswegen stimmen wir nicht zu. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich als letztem Redner in dieser Debatte dem Kollegen Bernhard Loos, CDU/CSU, das Wort und bitte darum, dass er genauso viel Aufmerksamkeit erfährt wie alle anderen Redner. – Bitte sehr, Herr Kollege. ({0})

Bernhard Loos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004806, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Staaten haben keine Freunde, nur Interessen“. Dieses Zitat von Charles de Gaulle unterstreicht die Notwendigkeit von internationalen Abkommen. Und Deutschland ist in besonderer Weise als Handelsnation darauf angewiesen, verlässliche Handelsvereinbarungen zu haben. ({0}) Worum geht es in dieser Debatte? Der einen Oppositionsfraktion kommt die Ratifizierung des längst in Anwendung befindlichen CETA-Abkommens zu langsam; den zwei linken Oppositionsfraktionen kommt das JEFTA-Abkommen zu schnell. Jetzt ist aber nicht mehr die Zeit für politische Spielchen. Die Unternehmen und auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land erwarten von uns, ihren Vertretern, eine klare Antwort auf die wirtschaftlichen Unsicherheiten, die der Brexit und vor allem auch Donald Trump ausgelöst haben. Es war bisher kaum vorstellbar, dass ein US-Präsident nachträglich eine G‑7-Abschlusserklärung aufkündigt. Eine wertebasierte Zusammenarbeit der führenden westlichen sieben Wirtschaftsnationen wurde so in den Grundfesten erschüttert. Dies muss für uns alle ein Alarm, ein Weckruf sein. Die Europäer müssen endlich ihr Schicksal außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitisch noch stärker in die eigenen Hände nehmen. Dem dienen diese Freihandelsabkommen. Sie stellen eine verlässliche Absicherung dar. Meine Damen und Herren von der linken Opposition, hätten wir das TTIP-Abkommen abgeschlossen und nicht über nichtexistierende Chlor-Hendl diskutiert, wäre es jetzt für „America first“-Präsident Trump nicht so einfach, Strafzölle auf Stahl, Aluminium und bald wohl auch auf deutsche Autos zu verhängen und damit Wachstum und Arbeitsplätze hier in Deutschland zu gefährden. Zu JEFTA: Die Ergebnisse des JEFTA-Abkommens sind positiv, insbesondere da umfassende Marktöffnungen in Japan durch den Abbau von Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen vereinbart werden konnten, Agrar- und Industriegüterindustrie, Auto-, Medizintechnik und Chemie von dem Freihandelsabkommen mit Japan profitieren und mehr als 200 europäische geografische Ursprungsbezeichnungen nun auch in Japan geschützt sind. 2017 bestand ein Handelsbilanzdefizit der EU gegenüber Japan in Höhe von 8,8 Milliarden Euro. Bezogen auf die Handelsvolumina profitieren 91 Prozent der EU-Ausfuhren nach Japan bereits mit Inkrafttreten des Abkommens von der Zollbefreiung. Am Ende der Übergangszeiten von maximal 15 Jahren werden 99 Prozent aller Ausfuhren nach Japan zollbefreit sein. Im Automobilbereich hat man sich auf sieben Jahre Übergangsfrist bis zur vollständigen Zollliberalisierung geeinigt. Gute Ergebnisse wurden auch im Dienstleistungsbereich erreicht: Die Regeln zu Post-, Kurier- und Telekommunikationsdienstleistungen sichern einheitliche Wettbewerbsbedingungen zwischen Dienstleistern aus der EU und Japan. Gleichzeitig ist es wichtig, dass in einem zweiten Vertrag – in einem gemischten Abkommen – der Investitionsschutz geregelt werden muss. Letztlich ist diese neue Form der Trennung von Verträgen in einen „Nur-EU“-Teil und einen zweiten Teil in Form eines „gemischten Abkommens“ leider eine Reaktion der EU auf die negativen TTIP-Verhandlungserfahrungen, vor allem in Deutschland. Vor diesem Hintergrund sind Ihre heute vorliegenden Anträge auf Ablehnung oder Aussetzung des JEFTA-Abkommens absolut nicht zu verstehen. Sie, Grüne wie Linke, wollen nichts anderes, als JEFTA grundsätzlich zu blockieren, genauso wie schon TTIP. Da helfen auch keine kabarettreifen Reden von diesem Pult aus. Sie haben nichts dazugelernt. Schade! Wir werden diesen Anträgen natürlich nicht zustimmen; denn sie gefährden deutsche Arbeitsplätze und Wohlstand in unserem Land. Zu CETA: CDU und CSU unterstützen das Freihandelsabkommen CETA mit Kanada uneingeschränkt. Durch die Förderung gemeinsamer Regeln und offener Märkte zielt es darauf ab, den Wohlstand der Handelspartner zu sichern und auszubauen, mit fairen und guten Regeln, wichtig gerade in einer fortschreitenden Globalisierung. Eine zügige Ratifizierung von CETA ist auch ein wichtiges politisches Signal gerade jetzt, und es ist auch eine Absicherung für Kanada und Europa gegenüber den USA. Die Union respektiert aber auch die Haltung der SPD, die erst die gegen CETA laufenden Verfassungsklagen entschieden haben möchte, auch wenn dies nicht zwingend notwendig wäre. Die positiven Effekte gehen nicht verloren, da die meisten Bestimmungen von CETA bereits in Kraft getreten sind. Daher bedarf es nicht des Antrags der FDP-Fraktion auf eine sofortige Ratifizierung. Wir halten die Anwendung des CETA-Abkommens für richtig und wichtig und wollen nach rechtlicher Klärung eine möglichst rasche Ratifizierung. Wir unterstützen die Unterzeichnung des JEFTA-Abkommens mit einem zweiten Vertragsteil, über den wir dann hier noch ausführlicher debattieren werden. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Mandat EUNAVFOR MED Operation Sophia wurde ja schon letzte Woche in den Bundestag eingebracht und die Bekämpfung der Schleuser im Mittelmeer ausführlich hier debattiert. Ich möchte Ihnen berichten: Im Juli 2015 besuchte ich gemeinsam mit Staatsminister Michael Roth im Hafen von Augusta in Sizilien die Fregatte „Schleswig-Holstein“, die damals gerade Teil der EUNAVFOR-Mission geworden war. Die Besatzung berichtete uns damals sehr eindrucksvoll von ihren Einsätzen und erläuterte uns die gesamte und durchaus sehr komplizierte Logistik der Maßnahmen, mit denen sie ja auch viele Menschen aus Seenot retten: über 48 000 Menschen, die durch Einsatzkräfte der Operation Sophia in den vergangenen drei Jahren gerettet werden konnten, obwohl das nicht einmal das eigentliche Mandat ist. Das ist – bei aller Kritik auch an Teilen der Ausgestaltung – ein wichtiger Erfolg für Europa. ({0}) Es sind unsere gutausgebildeten Soldatinnen und Soldaten, die die Allerersten sind, die die Schutzsuchenden nach ihrer Flucht und nach ihrer Odyssee auf dem Meer antreffen. Jede Rettungsaktion ist eine logistische und emotionale Herausforderung, die sie zu meistern haben. Die Soldatinnen und Soldaten lässt das auch nicht ganz unberührt, wenn sie beispielsweise ein ganzes Boot voller Kinder aus dem Meer fischen. Der Arzt ist häufig der Erste, der von Gräueltaten auf der Flucht erfährt, insbesondere bei Frauen, die auf ihren lebensgefährlichen Fluchtwegen häufig misshandelt werden oder in den grauenhaften libyschen Lagern, genannt Detention Center, gefangen gehalten wurden. Allen Soldatinnen und Soldaten möchte ich für ihre gesamte beeindruckende Leistung einen riesigen Dank aussprechen. ({1}) Wir haben zuvor, am selben Tag, natürlich auch den städtischen Friedhof Catanias besucht, auf dem eine Gedenkstätte schmerzlich daran erinnert, dass eben nicht alle Menschen das Glück hatten, die Flucht zu überleben. Viele setzen für eine bessere Zukunft alles aufs Spiel, und Tausende Ertrunkene müssen uns immer wieder wachrütteln und mahnen, dass eine ernsthafte Bekämpfung von Fluchtursachen auch hier im Deutschen Bundestag endlich auf die Tagesordnung gehört. Details zur Mission wird meine Kollegin Siemtje Möller gleich ausführen. Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass einige geplante Phasen, nämlich die perspektivische Ausweitung der Befugnisse auf libysche Hoheitsgewässer und das libysche Territorium, vorgesehen sind. Sie wären essenziell, um Schleuserstrukturen nachhaltig aufzubrechen. Aber leider machen weder die Lage im UN-Sicherheitsrat noch der Zustand der libyschen Regierung derzeit Hoffnung, dass diese Phasen zeitnah eintreten werden. Es wurde letzte Woche bereits betont: Eine funktionierende Staatlichkeit in Libyen ist eine Frage von vielen Jahren. Das ist einerseits ernüchternd, andererseits wird diese Staatlichkeit aber auch nicht schneller hergestellt, wenn wir uns in Europa zurückziehen würden und die EUNAVFOR-Mission ad acta legten. Die Operation verdankt ihren Namen übrigens einer hochschwangeren Frau, die wenige Wochen nach unserem Besuch gerettet werden konnte und ihre Tochter an Bord der Fregatte „Schleswig-Holstein“ bekam. Der Name des Kindes Sophia steht seither für die Hoffnung, Schleuser erfolgreich zu bekämpfen und Leben zu erhalten. Eine Verlängerung des Mandats EUNAVFOR MED Operation Sophia zum jetzigen Zeitpunkt ist geboten. Ich möchte Sie um Zustimmung für dieses Mandat bitten. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Özoğuz. – Nächster Redner für die AfD-Fraktion: Jan Nolte. ({0})

Jan Ralf Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004842, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will direkt auf meine Vorrednerin eingehen. Frau Özoğuz, dass Sie ein zielführendes Konzept vielleicht in Aussicht haben, ist noch lange kein Grund, einem sinnlosen Konzept, das nicht zum Erfolg führt, heute zuzustimmen. ({0}) Die AfD-Fraktion wird diesem Mandat heute nicht zustimmen. Wir würden uns die Zerschlagung von Schleusernetzwerken in Libyen durchaus wünschen. Aber wir messen dieses Mandat nicht am Ziel, sondern an der Einsatzrealität. Sich nach Abwägung von Fakten frei eine Meinung bilden zu können, ist übrigens ein Privileg, über das in diesem Hause nur die AfD-Fraktion verfügt und für das ich sehr dankbar bin. ({1}) Die Linke muss alles ablehnen, was nicht die Auflösung der Bundeswehr zur Folge hätte. Die GroKo hat ihre ganz eigene Agenda, für die sie sich die Fakten passend machen muss. Und Anträge von der AfD hat man bei den Altparteien grundsätzlich doof zu finden, auch dann, wenn man eigentlich dieselbe Position vertritt. ({2}) Wir aber konnten hier abwägen und kritisieren, dass sich dieses Mandat für alle Beteiligten negativ auswirkt, außer für die Schleuser. Zunächst einmal ist die Migrationslage in Deutschland ja ohnehin schon prekär. Zu sagen, man würde ihrer kaum noch Herr, wäre euphemistisch. Wir sind sehr erfolglos im Abschieben, die Gewalt auf Straßen, an Schulen und Bahnhöfen nimmt zu, und Deutschland wird islamischer und damit unfreier. ({3}) Von der sich anbahnenden Katastrophe für unsere Sozialsysteme einmal ganz zu schweigen. Dass Sie angesichts dessen seit 2015 fast 50 000 Migranten selbst nach Europa haben bringen lassen, ist deshalb unverantwortlich. ({4}) Ich habe großes Verständnis für die neue italienische Regierung, die sich entschieden hat, durchzugreifen und ihr Volk zu schützen. ({5}) Wenn Sie dieses Mandat heute auf den Weg bringen wollen, dann müssen Sie uns auch einmal sagen, wo die Migranten eigentlich hin sollen, wenn Italien sie in Zukunft nicht mehr aufnehmen wird. Wir müssen verhindern, dass sich die Menschen überhaupt erst auf den Weg machen, und zwar auch um der Migranten willen. Die sitzen wegen uns nämlich nun in viel billigeren und gefährlicheren Booten als vorher. Die Schleuser erzählen ihnen Märchen – auch das ist schon lange bekannt – von Willkommensgeld, Häusern und Autos und bringen sie damit dazu, ihr Hab und Gut zu verkaufen, um sich die Überfahrt leisten zu können. Was Sie heute auf den Weg bringen wollen, ist Symbolpolitik zum Nachteil Deutschlands und zum Nachteil der Migranten. ({6}) Es kann auch nicht sein, dass jeder, der sich in ein Boot setzt und losfährt, uns dadurch dazu zwingen kann, ihn nach Europa zu fahren. ({7}) Wir müssen Migranten, die im Mittelmeer aufgegriffen werden, konsequent nach Afrika zurückbringen. ({8}) Die Schleuser nehmen von ihren Kunden bis zu 10 000 Dollar pro Fahrt. Das zahlt niemand, der damit rechnen muss, von europäischen Schiffen direkt wieder zurückgefahren zu werden. So könnten wir den Schleppermarkt austrocknen. ({9}) Dank uns ist es aber jetzt viel einfacher als vorher, nach Europa zu kommen, und damit natürlich auch attraktiver. Die Schleuserei ist ein 4-Milliarden-Dollar-Geschäft, das europäische Schiffe längst zu seinem Vorteil nutzt. Wir brauchen für Libyen eine nachhaltige Strategie. Die libysche Küstenwache muss weiter gestärkt werden, und die Schlepper müssen an Land weiter bekämpft werden. Helfen wir doch der UN dabei, Aufnahmezentren in Libyen zu errichten, in denen dann menschenwürdige Bedingungen herrschen und zu denen aufgegriffene Migranten zurückgebracht werden können. ({10}) Das momentane Konzept kann den Auftrag von Sophia nicht erfüllen. Es gibt daher überhaupt keine vernünftige Grundlage, hier zuzustimmen. Zum Entschließungsantrag der Linken: Sie wollen ja den NGOs in ihrer Zusammenarbeit mit den Schleppern komplett freie Hand lassen. Da sind wir natürlich auch dagegen. Danke. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön. – Nächster Redner: Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute zum dritten Mal die Verlängerung und Fortsetzung des Mandats für Sophia. Dieses Mandat macht sehr deutlich, mit welch langem Atem wir das Thema „Mittelmeer, Migrations- und Fluchtsteuerung“ angehen müssen. Wir haben innenpolitisch zurzeit spannende Debatten; aber einfache nationale Lösungen lösen das Migrationsproblem von und vor Afrika nicht. ({0}) Sophia hat den Auftrag, Schleuser zu bekämpfen und die libysche Küstenwache auszubilden und zu einer wirksamen Streitkraft zu machen. All das geht nicht über Nacht. Wir brauchen dazu sehr, sehr viele Jahre; wir brauchen den politischen Willen. Dem gegenüber stehen einfache Lösungsvorschläge, die, wenn wir sie genau betrachten, eine ganz schlimme Folge hätten. Ich möchte das einmal genauer herausarbeiten. In Libyen gibt es seit der Beseitigung des Gaddafi-­Regimes 2011 und dem mangelnden Willen der internationalen Gemeinschaft, sich von Anfang an für einen politischen Wiederaufbau einzusetzen, herrschaftsfreie Zonen und einen internationalen Prozess, eine Gemeinschaftsregierung aufzubauen. Dazu gibt es Einflussfaktoren, die auf sehr drastische Art und Weise wirken: Zu den inneren Faktoren zählen Milizen, Stämme, die das Schleppen und Schleusen zum Geschäftsmodell gemacht haben und sich nicht stören lassen wollen, schon gar nicht durch die internationale Gemeinschaft. Dann gibt es zwei Gruppierungen um die Muslimbrüder herum westlich von Tripolis, die von Katar und der Türkei unterstützt werden, und im Osten des Landes – sehr stark unterstützt von Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten – den General Haftar. In der Mitte, in Tripolis, gibt es den Versuch, eine Zentralregierung aufzubauen. Der deutsche Diplomat Kobler hat über Jahre versucht, hier mitzuwirken, in vielen Teilen erfolgreich, aber noch nicht zum Ende gebracht, und der jetzige Sonderbotschafter Salamé schreibt uns einiges ins Stammbuch. Ich habe erst im April in Tunis mit ihm sprechen können und habe ihn mehrfach getroffen. Er bittet uns um eines: strategische Geduld und keine schnellen Lösungen. Und er warnt uns vor zwei großen Bereichen: Der eine Bereich sind die Milizenführer, die Stämme, die ihr Geschäftsmodell durch die UNO in Gefahr sehen. Das andere ist, dass wir diplomatisch einwirken müssen auf die Türkei, auf Katar, die die Islamisten unterstützen, und auf die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und einige andere, die versuchen, eine Autokratie zu etablieren, die auch nicht in unserem Sinne ist, eine Autokratie im Sinne el-Sisis, im Sinne Ägyptens. Dazwischen erarbeiten wir seit zwei, drei Jahren eine Strategie, die sehr anspruchsvoll ist. Sophia ist dabei nur ein Baustein. Wir haben insgesamt gerade einmal vielleicht 250 Schlepper festgenommen; das ist überschaubar. Wir haben einige Hundert Küstenwachleute ausgebildet; das ist überschaubar. Aber gesetzt den Fall, wir würden diese beiden Maßnahmen streichen und nur eine humanitäre Hilfsaktion aus der Mission machen, dann würden wir die Legitimität des Aufbaus eines libyschen verantwortungsbewussten Regierungssystems letztlich verhindern; denn dann zeigen alle, die sich dafür einsetzen, dass Libyen eine verantwortungsvolle und handlungsfähige Regierung bekommt, mit dem Finger nach Europa und sagen: Schaut, es werden nur die Flüchtlinge aufgenommen, aber unsere Stabilisierung ist nicht mehr in deren Sinne und die Bekämpfung der Schleuser auch nicht. ({1}) Alle diejenigen – ich wähle bewusst einen sehr nachdenklichen Ton –, die sagen: „Wir müssen die Flüchtlinge nach Afrika zurückbringen“, verkennen, dass Deutschland sich sehr schwertut, Rückübernahmeabkommen zu schließen, weil wir keine sicheren Herkunftsländer im Maghreb haben. Ich fordere etliche Kollegen auf, auf Ihre Kollegen bei den Grünen und anderen Fraktionen einzuwirken, damit wir im Bundestag diese Lösung erreichen. Der Entschließungsantrag der Grünen ist in 90 Prozent der Punkte sehr, sehr gut; er ist aber in einem Punkt, ich sage mal, romantisch; denn Sie fokussieren sich ausschließlich auf die humanitäre Hilfe. Der andere Punkt ist nämlich: Wer soll die Flüchtlinge denn übernehmen, wenn wir sie nach Afrika zurückbringen? Wenn die UNO in die Souveränität Libyens eingreift, die ja mühsam aufgebaut wird, und eigene Lager einrichtet, ist das ein Zeichen an die Milizionäre, an die anderen Gruppen, dass die Zentralregierung wirkungslos ist.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kiesewetter, erlauben Sie eine Bemerkung oder Zwischenfrage vonseiten der AfD-Fraktion?

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Bitte schön.

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke schön. – Danke, Kollege Kiesewetter. Wir haben, wie Sie es richtig gesagt haben, hier über das Mandat unserer Bundeswehr zu entscheiden. Sie, Herr Kiesewetter, verfügen, wie ich weiß, über jahrelange Erfahrung als Soldat und Offizier. Sie haben zweimal davon gesprochen, dass wir mit diesem Mandat Schleuser bekämpfen. Zeigen Sie mir einen Satz in dem Antrag der Bundesregierung, wo von Bekämpfen der Schleuser gesprochen wird. Nochmals: Wir entscheiden nicht über das, was unsere Alliierten oder Freunde, die in diesem Einsatz sind, machen, sondern wir entscheiden, was wir machen. Ich bitte Sie um eine Antwort.

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Lucassen, der Kernpunkt des Mandats ist Schleuserbekämpfung und Befähigung der libyschen Küstenwache. Daneben geht es um die Verhinderung von Waffenschmuggel. Es geht um humanitäre Hilfe, die aber allen Seemissionen immanent und kein Sonderauftrag von Sophia ist. Das Entscheidende – das hat der Kollege Nolte aus meiner Sicht falsch angesprochen – ist ja, dass wir langfristig auf libysches Festland müssen. Wir sind jetzt in der ersten Phase in internationalen Hoheitsgewässern; dorthin werden die Flüchtlinge gebracht und dort vielfach auch aufgenommen. In der zweiten Phase müssen wir in die libyschen Territorialgewässer. Das geht aber entweder auf Einladung der Zentralregierung, die noch nicht so weit ist, oder durch den Weltsicherheitsrat, der aber durch China und Russland in diesem Fall blockiert ist. Also müssen wir doch politisch alles dafür tun, um die Voraussetzungen für den Prozess, den Salamé leistet, zu schaffen. Das bedeutet, dass im September der Verfassungsprozess abgeschlossen werden muss, damit bis Dezember freie Wahlen in Libyen stattfinden können und eine Regierungsbildung zu Beginn des nächsten Jahres möglich wird, die uns dann einlädt, gemeinsam mit der UNO die Schleuserbekämpfung an Land durchzuführen, wo sie deutlich wirksamer sein wird, als wenn wir sie auf hoher See machen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank.

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist für mich der entscheidende Punkt. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte die Zeit nicht ausdehnen. Ich möchte nur abschließend sagen: Ich werbe für diesen Einsatz. Wir, die CDU/CSU, wissen, dass wir lange Jahre geduldig sein müssen. Aus meiner Sicht wird es uns hier auch noch viele Debatten abringen, wenn wir in die weitere Phase kommen und dann politisch in der Lage sein werden, –

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Diese Debatte führen wir aber bitte nicht jetzt. Sie sind nämlich über der Zeit.

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– als Europäer in den ländlichen Zonen vor Ort zu sein. Ich habe nur 24 Sekunden überzogen, und ich habe nicht gemerkt, dass die Zeit angehalten wurde. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Die Zeit wurde angehalten, Herr Kiesewetter; keine Sorge. ({0}) – Oh! Herr Kiesewetter, das ist ein freundlicher Ton hier. ({1}) – Ich glaube, Sie meinen jemand anderen. Nächster Redner in der Debatte: Christian Sauter für die FDP-Fraktion. ({2})

Christian Sauter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004871, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wieder sprechen wir über den Einsatz der Marine, der relativ gesehen am stärksten beanspruchten Teilstreitkraft unserer Bundeswehr. Die internationalen Verpflichtungen – wichtig, legitim, wie sie sind – lassen unsere Streitkräfte und insbesondere die deutsche Marine am Limit arbeiten. An dieser Stelle möchte ich das deutlich ansprechen, weil ja im Hintergrund auch gerade die Gespräche zum Bundeshaushalt laufen. Aktuell leisten bei EUNAVFOR MED Sophia gut 100 Soldatinnen und Soldaten ihren Einsatz, der Tender „Mosel“ ist vor Ort. Unser Dank gilt an dieser Stelle ihnen für ihre Leistung. ({0}) Von gut 48 000 Menschen sind fast die Hälfte durch unsere Einheiten an Bord genommen worden. Das Verhindern des Menschenschmuggels und des Menschenhandels ist ein zentrales Ziel des Einsatzes laut Mandatstext. Wenn wir diese Aufgabe europäisch koordinieren, dann ist das nur in unserem Sinne. Eine gemeinsame europäische Linie wäre aber auch bei einer anderen Frage wichtig: Was passiert mit den Menschen, die da aus Seenot gerettet werden? Der aktuelle Fall des zivilen Schiffes „Aquarius“ vor Italien wirft Fragen auf. Vom einen Moment auf den nächsten schließt ein Land seine Häfen, und schon stehen die Retter vor einem Problem. Auf Dauer können und dürfen Europa und Deutschland nicht das Ziel sein. Vielmehr brauchen wir eine europäische Lösung der Ursache. Dazu gehört eine gut gesicherte Außengrenze der EU und auch, dass geltendes Recht und europäische Regeln, wie sie bis 2015 gegolten haben, wieder eingehalten werden. ({1}) Was passieren würde, wenn einem deutschen Schiff die Einfahrt in einen italienischen Hafen verwehrt würde, konnte die Bundesregierung bisher nicht beantworten. Ich komme also nicht umhin, diese Antwort einzufordern. Welche Absprachen wird es diesbezüglich mit der neuen Regierung Italiens geben? Der Parlamentarische Staatssekretär hat die Rettung von Menschen aus Seenot in seiner Rede vergangene Woche besonders hervorgehoben. Die Menschen aber geraten auch in Seenot, weil skrupellose Schlepper ihre Hoffnungen ausnutzen. Für sie ist es ein lohnendes Geschäft, Menschen in Boote zu setzen, sie sich selbst zu überlassen, auf dass sie dann hoffentlich gerettet werden. Dieser Aspekt muss im Mittelpunkt bei der Betrachtung des Mandates stehen: eine Bekämpfung der Schleusernetzwerke. Schleusernetzwerke sind eng mit der internationalen Kriminalität verwoben. Gegen sie vorzugehen, ist auch eine polizeiliche Aufgabe. Der Datenaustausch unter den Mitgliedstaaten der EU und Frontex und Europol ist daher meiner Ansicht nach ein wichtiger Bestandteil des Mandats. In diese Institutionen müssen mehr Gelder investiert werden, um eine Sicherung der Außengrenzen sicherzustellen. Russland und gegebenenfalls Libyen werden wahrscheinlich verhindern, dass robustere Maßnahmen gegen Schleuser an Land ergriffen werden. Beim Vorgehen gegen die Schiffe bei Verdacht auf Menschenschmuggel bleiben wir weiterhin in Phase 2i. Die beste, die europäische Option ist es, gemeinsam den Organisationsapparat der Menschenhändler anzugreifen. Sophia muss ein bestens vernetzter Baustein einer umfassenden Strategie im Kampf gegen organisierte Kriminalität sein. Wir können hier auch einen Beitrag leisten, indem wir unsere starken Fähigkeiten bei der Aufklärung und Überwachung teilen. Kurz noch zu den Entschließungsanträgen. Die Grünen fordern zwar richtigerweise eine Verbesserung der polizeilichen Zusammenarbeit bei der Schleuserbekämpfung, jedoch wäre eine Umstellung auf eher zivile Rettungsmissionen die Einladung gerade an Schleuser, noch größere Risiken einzugehen und noch mehr Menschen in Lebensgefahr zu bringen. ({2}) Und zum Antrag der Linken: Mit einem Abzug würden wir uns doch selbst die Handlungsmöglichkeiten nehmen, gegen Menschenhändler vorzugehen. Wir bilden überdies die libysche Küstenwache aus und erhalten im Gegenzug Berichte über die Einsätze. Dieses Monitoring würden wir verlieren. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Fraktion der Freien Demokraten unterstützt EUNAVFOR MED Sophia. Wir unterstützen den Einsatz, mahnen aber auch eine europäische Zusammenarbeit und die Einhaltung geltenden Rechts in der Frage der Migration, der Grenzen an. Vielen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Christian Sauter. – Nächster Redner: Michel Brandt für die Fraktion Die Linke. ({0})

Michel Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004679, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei dem heutigen Theater von CDU und CSU geht es um Abschreckung, Abschottung und Abschiebung. Die Bundesregierung will also in den rechtspopulistischen Wettbewerb um den menschenverachtenden Umgang mit Geflüchteten einsteigen. ({0}) Um nicht viel anderes geht es auch bei EUNAVFOR MED. ({1}) 629 Schutzsuchende harren seit Tagen auf dem Mittelmeer aus, geborgen vom Rettungsschiff „Aquarius“. Italien verweigert die Aufnahme der Menschen. Das ist die Folge der europäischen Abschottungspolitik. ({2}) Allein in diesem Jahr sind über 800 Menschen beim Versuch, über das Mittelmeer nach Europa zu fliehen, ertrunken. Anstatt heute ein Seenotrettungsprogramm zu beschließen, schickt die Bundesregierung wieder bewaffnete deutsche Streitkräfte auf das Mittelmeer, um Flüchtende abzuwehren. Um es klar zu sagen: Das Bundeswehrmandat EUNAVFOR MED ist ein weiterer Baustein Ihrer Festung Europa. Die Linke lehnt das ab. ({3}) Für die Bundesregierung scheint das Retten von Menschen leider nur lästiges Beiwerk zu sein. Anders ist dieser Antrag nicht zu verstehen. Die Zahlen sprechen dabei eine deutliche Sprache. Nur 10 Prozent aller Seenotrettungen auf dem Mittelmeer in den vergangenen Jahren sind militärischen Einsätzen wie EUNAVFOR MED zuzuschreiben. Die zivilen Seenotretter und Seenotretterinnen, die von dieser Bundesregierung so gnadenlos im Stich gelassen werden, haben schätzungsweise über 100 000 Menschen gerettet. Hören Sie also auf mit der Heuchelei, die Bundeswehrmission würde in erster Linie Menschenleben retten. Das stimmt einfach nicht, und das wissen Sie auch ganz genau. ({4}) Über die ohnehin bestehende seerechtliche Rettungspflicht geht dieser Einsatz nämlich nicht hinaus. Tatsächliches Ziel von EUNAVFOR MED ist die militärische Flüchtlingsabwehr. Das zeigt doch die Ausbildung der sogenannten libyschen Küchenwache; „sogenannt“, weil es keine staatlich organisierte Küchenwache in Libyen gibt. Das sind dubiose Milizengruppen, die Sie ausbilden und als Türsteher der Festung Europa nutzen. ({5}) Im Übrigen sind das dieselben, die dafür verantwortlich sind, dass Geflüchtete in libysche Internierungslager gebracht werden, wo sie unter menschenverachtenden Bedingungen eingesperrt, gefoltert, vergewaltigt oder gleich verkauft werden. Da kann man sich fast vorstellen, dass Schutzsuchende lieber von Bord springen, anstatt sich von der sogenannten libyschen Küstenwache aufgreifen zu lassen. Das also sind die Partner und Partnerinnen der Bundesregierung. Da ist zum Beispiel Herr al-Milad, ein Kommandeur der sogenannten libyschen Küchenwache, der unter anderem auf Fluchtboote geschossen haben soll. Der UN-Sicherheitsrat verhängte kürzlich Sanktionen gegen diese kriminellen Milizen. Was machen Sie? Sie wollen diese Milizen weiter ausbilden. Beenden Sie die Zusammenarbeit mit dieser sogenannten libyschen Küchenwache. ({6}) Wir müssen endlich die Gründe für die Flucht angehen, anstatt Menschen auf der Flucht zu bekämpfen. Die eigennützige Politik Deutschlands, der EU und europäischer Konzerne verursacht doch erst den Grund, warum Menschen sich auf diesen Weg machen: durch Ihre Kriegseinsätze, durch Rüstungsexporte und Ihre Handelsabkommen, rücksichtslosen Rohstoffabbau oder Ihre Umweltzerstörung. Die Linke fordert eine solidarische Außen- und Flüchtlingspolitik. ({7}) Wenn Sie wirklich ein Interesse daran haben, dass das Sterben auf dem Mittelmeer aufhört, dann brauchen wir endlich eine staatlich organisierte zivile Seenotrettung. Beschließen wir doch lieber das. ({8}) Solange das nicht passiert, solange Sie dazu nicht bereit sind, sorgen Sie zumindest dafür, dass die zivilen Seenotretter und -retterinnen auf dem Mittelmeer nicht weiter kriminalisiert werden, sondern endlich unterstützt werden! Das ist das Mindeste, was Sie tun müssten. ({9}) Wir, Die Linke, danken den zivilen Seenotrettern und Seenotretterinnen, die seit Jahren unermüdlich auf dem Mittelmeer aktiv sind und Menschen in Not retten. Wir brauchen Solidarität statt militärischen Grenzschutz. Wir sagen: Weg mit Frontex, Schluss mit der Festung Europa. – Werden Sie Ihrer Verantwortung endlich gerecht. Stimmen Sie heute mit Nein zu EUNAVFOR MED. Und: Free Iuventa! ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Michel Brandt. – Nächster Redner: Omid Nouripour für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Namen meiner Fraktion möchte ich den Soldatinnen und Soldaten, die in den letzten Monaten Tausenden von Menschen das Leben gerettet haben, herzlich danken. Das ist eine sehr großartige Tat, die sie vollbracht haben. ({0}) Ich will dennoch erklären, warum wir dem Mandat heute nicht zustimmen werden. Der Kollege Kiesewetter hat vorhin völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass die beiden Hauptaufgaben die Bekämpfung von Schleusern – im Übrigen, Herr Kollege Lucassen, Antwort auf Ihre Frage „Wo steht das?“: auf Seite 6 – und die Ausbildung der Küstenwache sind. Das muss man sich anschauen. Es ist richtig: Wir haben es mit einem zynischen Spiel von Menschenschmugglern mit Menschenleben zu tun. Wir kennen alle die Bilder: mindestens 3 000 Tote, ertrunken im Mittelmeer, allein im Jahr 2017. Wir kennen die grauenvollen Bilder aus Lagern, in denen die Menschen unter unvorstellbaren Bedingungen eingepfercht werden. Wir kennen die Bilder von Sklavenmärkten, auf denen diese Menschen verkauft werden. Es ist notwendig, diesen Leuten, diesen skrupellosen Hintermännern, das Handwerk zu legen. ({1}) Aber diese Hintermänner sind nicht auf den Nussschalen im Mittelmeer; sie sind an Land. Deshalb ist der Ansatz, der gerade genannt worden ist – das Ganze sei dafür da, um Menschenschmuggel und die Menschenschmuggler zu bekämpfen –, an dieser Stelle einfach falsch, und das funktioniert mit dem Mandat, so, wie es beschrieben ist, schlichtweg nicht. ({2}) Es gibt eine gute Nachricht von letzter Woche: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am Donnerstag sechs Personen, die genau dieses Geschäft betreiben, mit Sanktionen belegt. Das ist gut. Einer dieser Leute, einer der sechs skrupellosen Menschenschmuggler, ist Abd al Rahman al-Milad, und er selbst gehört zur Küstenwache. Damit bin ich bei der Frage: Wissen wir, wen wir da ausbilden? Wissen wir eigentlich, was wir dort tun? Wissen wir eigentlich, wem wir die Aufgabe geben, wen wir bestärken, indem wir ihn ausbilden? Wir lassen Geld in die Ausbildung von Menschen fließen, die erwiesenermaßen – von den Vereinten Nationen bestätigt – Menschenschmuggler sind. Ich glaube nicht, dass das Sinn macht, und auch deswegen lehnen wir dieses Mandat ab. ({3}) Die militärische Ausbildung ohne jegliches politisches Konzept ist stets ein großes Risiko; in diesem Fall ist das Risiko weit größer als die Chancen. Wir machen gerade dieselben Fehler wie bei der Ausbildungsmission in Somalia. Es ist offensichtlich, worum es der Bundesregierung hier eigentlich geht: Es geht darum, so schnell wie möglich so viele Menschen wie möglich davon abzuhalten, nach Europa zu kommen – egal wie. Dieses „egal wie“ ist aus unserer Sicht nicht erträglich, weil man so jegliche Konsequenz missachtet. Und noch mal: Eine Küstenwache auszubilden, die von Milizen, von Schleusern betrieben wird, ist schlichtweg fahrlässig. ({4}) Es ist notwendig, die Rettungsarbeit weiter auszubauen und zu unterstützen; wir müssen sie vor den libyschen Milizen schützen – wir dürfen sie nicht ausbilden –, aber auch vor dem, was zurzeit in Italien passiert. Ich bin sehr froh über die Worte des französischen Präsidenten in dieser Angelegenheit. Aber es ist auch festzuhalten, dass die Operation Sophia Teil einer vollkommen verfehlten Libyen- und Migrationspolitik ist, nicht nur der Bundesregierung, sondern auch der EU. ({5}) Es geht hier um Show und nicht um Substanz. Es ist offenkundig: Wenn Europa jedem, der verspricht, Migranten davon abzuhalten, nach Europa zu kommen, einfach den roten Teppich ausrollt, dann destabilisiert das nicht nur Libyen, sondern dann entsteht auch ein Konjunkturprogramm genau für diese Schurken, die wir in den letzten Jahren immer wieder zu sanktionieren versucht haben, deren Menschenrechtspolitik wir immer wieder bekämpft haben, die aber jetzt plötzlich unsere Freunde sein sollen. Man sieht ja am Gipfel in Paris, dass sich dann Gott sei Dank Leute zusammenfinden; das ist auch gut so. Aber dann feiert man die wenigen Erfolge, die am Ende jedoch möglicherweise nicht nachhaltig sind. Wir wissen zum Beispiel nicht einmal, was gewählt werden soll – man hat sich auf Wahlen in Libyen verständigt, aber wir wissen nicht einmal, welche Wahlen gemeint sind. Deshalb gilt es, sich zu überlegen, wie man eine nachhaltige, tragfähige Stabilisierung Libyens vorantreibt. Das, was hier vorliegt, ist kein Beitrag dazu; es ist eher ein Beitrag zur sogenannten Achse Berlin-Wien-Rom. Das hilft vielleicht kurzfristig bei irgendwelchen innerparteilichen Auseinandersetzungen, aber nicht bei der Stabilisierung Libyens. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Omid Nouripour. – Nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion: Elisabeth Motschmann. ({0})

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Tribünen! EUNAVFOR MED Sophia ist eine sehr sinnvolle Operation – das ist mein erster Satz –, und sie zeigt, dass europäische Zusammenarbeit an dieser Stelle sehr gut funktioniert. Herr Brandt, Sie haben eine unglaubliche Unterstellung gemacht: Sie haben behauptet, die Rettung von Menschen sei uns nur lästiges Beiwerk. ({0}) Das ist schon unglaublich und eine große Unverschämtheit. Ich weise das in aller Schärfe zurück. ({1}) Wenn von der AfD diese Operation als sinnloses Konzept bezeichnet wird, dann kann ich nur sagen: Sie wissen nicht, was Sie da sagen. ({2}) Natürlich müssen wir immer wieder prüfen, ob die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an Militärmissionen gerechtfertigt ist oder nicht; das möchte ich ausdrücklich betonen. Niemand macht hier irgendetwas leichtfertig, wenn es um eine solche Mission geht. Deshalb führen wir ja auch diese Diskussion. Wir entscheiden über einen Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten, und wir entscheiden über Menschenleben. Derzeit sind übrigens 103 deutsche Soldaten an der Mission beteiligt. Die Aufgaben des Mandats sind hier genannt worden; ich möchte sie dennoch wiederholen, weil wir sie uns selbst immer wieder vergegenwärtigen müssen. Das ist die Seenotrettung, das ist die Bekämpfung von kriminellen Schleusernetzwerken, das ist die Durchsetzung des Waffenembargos der VN gegenüber Libyen, und das ist die Ausbildung der Küstenwache; es gibt noch mehr, aber das sind die wichtigsten Punkte. Ich finde, wir sollten immer wieder auf die Ergebnisse – vielleicht sagen wir ruhig auch: Erfolge – dieser Mission blicken. Fast 50 000 Menschenleben wurden bisher durch die Operation Sophia gerettet, die Hälfte davon durch unsere deutschen Marinesoldaten. Das bezeichnet die AfD als Symbolpolitik? Es ist doch keine Symbolpolitik, wenn wir Menschenleben retten. ({3}) Jedes Menschenleben – sei es ein Kind, sei es eine Frau, sei es ein Mann – ist wertvoll. Wenn wir es retten können, dann ist das ein gutes Ergebnis und keine negative Auswirkung, wie Sie das bezeichnet haben. – Fast 500 Schlepperboote wurden vernichtet, auch das ist gut. Rund 200 Mitglieder der libyschen Küstenwache wurden durch europäische Soldaten ausgebildet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Mission ist sinnvoll, und wir sollten sie fortführen. Sie wird auch noch länger dauern, weil diese Arbeit mühsam ist und auch in Zukunft mühsam sein wird. Deshalb bitte ich Sie sehr um Zustimmung zur Verlängerung des Mandats. Vielen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Elisabeth Motschmann. – Nächste Rednerin: Siemtje Möller für die SPD-Fraktion. ({0})

Siemtje Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Welt ist in unruhigen Fahrwassern, und deshalb brauchen wir ein Europa, das nicht nur zusammenhält, sondern unter Beweis stellt, dass es gemeinsam handeln kann. ({0}) Die Operation Sophia ist ein praktisches Beispiel dafür, wie europäische Sicherheitszusammenarbeit erfolgreich funktioniert. Selbstverständlich muss Deutschland hier als starkes Land innerhalb von Europa und innerhalb der Europäischen Union seinen Beitrag leisten. Deshalb schadet es sicher nicht, noch einmal zu betonen, dass Deutschland zu seinen europäischen Partnern steht und dies in der Zusammenarbeit bei diesem Einsatz im Mittelmeer weiterhin unter Beweis stellt. ({1}) Die europäische Zusammenarbeit – mag sie auch von einigen hier im Parlament immer wieder beklagt werden – funktioniert bei diesem Mandat sehr gut. Lange haben wir es nicht für möglich gehalten, dass sich auf militärischer Ebene europäisch um ein Anliegen gekümmert wird. Es sind die europäischen zukunftsweisenden Einsätze Atalanta und eben EUNAVFOR MED, die es uns möglich machen, sich vorzustellen, wie europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik einmal aussehen kann. Schiffe unterschiedlicher Nationen unter dem Dach eines europäischen Mandates vereint: Ich finde, das ist zukunftsweisend und sehr begrüßenswert. ({2}) Grundlage des Mandates ist das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen sowie verschiedene Resolutionen und Sanktionen, die wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern beschlossen haben. Aber es ist vor allen Dingen der Wille zur europäischen Zusammenarbeit, der dieses Mandat trägt. Die Bundeswehr sammelt auf hoher See Informationen über Schmuggelrouten, setzt das VN-Waffenembargo gegenüber Libyen um, erkundet Migrationsnetzwerke und verhindert so Menschenschmuggel, und sie erstellt Lagebilder, die anders nicht erstellt werden können als vor Ort auf hoher See. Hinzufügen möchte ich, dass die Operationen der EU und der NATO im Mittelmeer aufeinander abgestimmt sind im Hinblick auf klar voneinander abgegrenzte Aufträge und Einsatzgebiete. Die Operationen Sophia, Sea Guardian und die Standing Maritime Groups arbeiten hier Hand in Hand, um ein gemeinsames Lagebild im Mittelmeer zu schaffen, das keine dieser Missionen für sich alleine bereitstellen könnte. Sicherlich, Verbesserungspotenzial gibt es immer, so auch hier. Beispielsweise könnte der Austausch mit der italienischen Mission Mare Sicuro noch besser werden. Aber seien wir ehrlich: Wir ziehen an einem Strang, wir haben ein gemeinsames Interesse als Europäer, und wir können nur gemeinsam etwas erreichen, indem wir gemeinsam handeln. ({3}) Natürlich ist die öffentliche Wahrnehmung von EUNAVFOR MED Operation Sophia vor allem durch Bilder von Seenotrettungsmaßnahmen und die ganze Diskussion darüber geprägt. Gerne wird in der Öffentlichkeit von einigen so getan, als würden diese sogenannten „Search and Rescue“-Vorkommnisse, also die Seenotrettungsmaßnahmen, die Marine überfordern, und an Bord unserer Schiffe würden unannehmbare Zustände herrschen, die für die Geflüchteten und die Besatzung unzumutbar wären. Wenn ich in meinem Wahlkreis mit den beteiligten Soldatinnen und Soldaten, beispielsweise der Fregatte „Sachsen“, spreche, dann höre ich etwas anderes, dann schwingt Stolz in ihren Schilderungen mit. Sie berichten mir von Seenotrettungen, die von 16 Uhr bis 4 Uhr morgens abliefen. Sie sagen natürlich: Das ist sehr anstrengend, für alle Beteiligten; aber bei einer Rettung kann man sich die Uhrzeit eben nicht aussuchen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass diese Rettung sorgfältig und ohne Panik verläuft. ({4}) Die Soldatinnen und Soldaten berichteten mir von ihren immer wieder trainierten Abläufen, die sie im Einsatz dann mit Ruhe und Geduld durchführen können. So kommt keine Panik auf. So fühlen sich die Aufgenommenen sicher. Denn für richtige Seefahrer ist die Seenotrettung Ehrensache, und ich bin unseren Soldatinnen und Soldaten für diese Arbeit sehr dankbar. ({5}) Ich kann hier also festhalten: Unsere Soldatinnen und Soldaten, unsere Marine macht vor Ort einen hervorragenden Job in einem klar abgegrenzten, rundherum europäischen Mandat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns diesen sinnvollen Einsatz heute verlängern und damit auch die europäische Zusammenarbeit stärken. Vielen Dank. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Siemtje Möller. – Der letzte Redner in der Debatte – ich bitte Sie recht herzlich, den Geräuschpegel zu senken und dem letzten Redner in der Debatte Ihre Aufmerksamkeit zu schenken – ist Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion, Augsburg. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An der Operation EUNAVFOR MED Operation Sophia nehmen fast alle Staaten der Europäischen Union teil, sei es mit Fregatten oder großen Booten oder nur einem einzigen Verbindungsoffizier. Aber das zeigt, dass bei dieser Operation Europa zusammensteht und Europa mit einer Stimme spricht, um die Struktur und die Verhältnisse im Mittelmeer zwischen Sizilien und Libyen einer Lösung zuzuführen und nicht zuzuschauen, wenn im Mittelmeer Menschen ertrinken oder Schleuser ihr zynisches Geschäft betreiben. Das ist eine gute und wichtige Operation. Deswegen sagen wir Dank an alle Soldaten aller europäischen Nationen, die dort beteiligt sind. ({0}) Diese Operation hat im Wesentlichen drei Ziele – alle drei Ziele sind wichtig und richtig –: Zum einen geht es um Seenotrettung. Es geht nicht allein um die Frage des Seerechtsübereinkommens, sondern um eine ganz grundsätzliche menschliche Frage, die unsere Haltung ausdrückt. Immer dort, wo Menschen in Seenot geraten, gleich auf welchem Schiff und gleich aus welchem Grund sie in Seenot geraten sind, müssen diese Menschen gerettet werden. Das ist die Verpflichtung der christlichen Seefahrt und unser humanitärer Imperativ, der Europa gut zu Gesicht steht. Deswegen ist es wichtig und richtig, dass wir hier einen Schwerpunkt haben. ({1}) Zweitens. Wir bekämpfen den Menschenschmuggel. Es ist zynisch und ein schweres Verbrechen, Menschen Geld dafür abzunehmen, dass sie weiter auf ein besseres Leben hoffen können. Menschenschmuggel bedeutet auch eine ganz konkrete Gefährdung von Menschenleben. Deswegen müssen wir alles tun, um den Schleusern das Handwerk zu legen. Klar ist auch, dass wir in diesem Zusammenhang eine europäische Lösung brauchen. Die muss aber auch beinhalten, dass es nicht sein kann, dass am Ende die Schleuser und Schlepper bestimmen, wer den Weg nach Europa findet. Das kann nicht Sinn und Ziel einer geordneten und gesteuerten Migrationsbewegung sein. Deswegen ist es richtig, dass wir sagen: Wir müssen uns auf diesen langen Weg machen, Menschenhandel und Schleusertum um das gesamte Mittelmeer herum auszurotten. Wir haben nämlich im Sinne einer humanen Flüchtlingspolitik die menschliche Verpflichtung, dem einen Riegel vorzuschieben. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Moment! – Kolleginnen und Kollegen, hier redet gerade ein Abgeordneter zu einem wichtigen Thema, nämlich zu einem Mandat, über das Sie gleich namentlich abstimmen sollten. Um verantwortlich abstimmen zu können, wäre es vielleicht sinnvoll, wenn Sie auch dem letzten Redner in dieser Debatte zuhören würden. Sie müssen seine Position nicht teilen, aber der Anstand in diesem Haus gebietet es, dass Sie ihm zuhören. Also weiter, Volker Ullrich. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte abschließend über den dritten Aspekt der Mission sprechen, nämlich über die Ausbildung der Marine bzw. der Küstenwache vor der Küste Libyens und die Stabilisierung dieses Staates. Ja, da kann man einwenden, dass dieser Staat im Augenblick ein gescheiterter Staat ist und wir noch lange große Anstrengungen brauchen, um Libyen zu stabilisieren. Wir müssen uns aber gemeinsam auf den Weg machen; dabei geht es nicht nur darum, zu einer stabilen Ordnung in Libyen zu kommen, sondern diese stabile Ordnung ist auch der Schlüssel für weitere Handlungen. Wir dürfen ja nicht die Augen davor verschließen, dass es sich nicht nur um Libyen handelt. Es geht auch um die Fluchtrouten durch den Tschad, es geht um den Niger, es geht um die Frage, wie wir die Staaten, aus denen die Mehrzahl der Migranten kommt, so unterstützen und auch stabilisieren können, dass ein wichtiger Grundsatz humanitärer Flüchtlingspolitik auch zum Tragen kommt, nämlich alles dafür zu tun, damit sich die Menschen gar nicht erst auf die Flucht machen, sondern Perspektiven bei sich zu Hause haben. ({0}) Wenn uns das gelingt – auch mit diesem Mandat als Baustein –, dann haben wir viel erreicht. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung. Herzlichen Dank. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Volker Ullrich. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an EUNAVFOR MED Operation SOPHIA. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/2668, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 19/2381 anzunehmen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir zu signalisieren, ob die Urnen besetzt sind. – Die Urnen sind besetzt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Darf ich fragen, ob Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme noch nicht abgegeben haben? – Gut, dann warte ich. – Ist noch jemand im Haus, der oder die vergessen hat, seine Stimme abzugeben? – Das ist nicht der Fall. Damit schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen, weil wir zu weiteren Abstimmungen kommen. – Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Zuerst der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/2703. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat Die Linke, dagegen waren SPD, CDU/CSU, FDP und AfD, enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/2708. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat Bündnis 90/Die Grünen, dagegen haben die Fraktion Die Linke, die SPD-Fraktion, die CDU/CSU, die FDP und die AfD gestimmt.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja nicht das erste Mal, dass ein großes Sportereignis in einem autoritären politischen System stattfindet, und trotzdem müssen wir eines auf jeden Fall vermeiden: den Eindruck von business as usual. ({0}) Gerade gestern ist die Meldung öffentlich geworden, dass unsere Bundesregierung einem anerkannten, ausgezeichneten deutschen Journalisten trotz aller FIFA-Regularien zum Thema Pressefreiheit wenigstens während der WM aus Sicherheitsgründen abrät, nach Russland zu fahren. Ein solch hanebüchener Vorgang muss uns doch die Augen dafür öffnen, in was für ein politisches System diese Spiele vergeben worden sind. ({1}) Bei aller Freude über Fußball: Die Menschenrechtsorganisation MEMORIAL zählt 158 politische Gefangene in Russland. Russland ist auf der Rankingliste von Reporter ohne Grenzen zum Thema Pressefreiheit auf Platz 148 von 180. Vor wenigen Tagen ist der Frankreich-Korrespondent einer ukrainischen Nachrichtenagentur, der 2016 während eines privaten Aufenthalts in Moskau festgenommen wurde, zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Merken Sie es noch? Wenn ich meinen Freunden, die Journalisten sind, raten soll, ob sie, privat oder nicht, nach Russland zur WM fahren sollen, dann würde ich sagen: Guckt euch erst einmal an, was ihr in den letzten drei Jahren auf Facebook gepostet habt, damit ihr keine Probleme kriegt. – Das ist doch kein Fußballfest mehr, meine Damen und Herren. ({2}) Die Situation von Minderheiten wie den LGBT-Communities ist ganz schlecht, nicht nur in Tschetschenien, sondern auch im Rest des Landes. Heute wurde ein Aktivist, der mit einem Plakat auf dem Roten Platz auf diese Situation aufmerksam gemacht hat, gleich mit auf die Wache genommen. Die internationale Außenpolitik Russlands mit dem Interventionskrieg in der Ostukraine und dem In-Abrede-Stellen von internationalen Ermittlungsergebnissen wie zum Beispiel dem Absturz von MH17 zielt darauf ab, das, was wir in dieser Weltordnung gemeinsam teilen, zumindest infrage zu stellen. Der Gastgeber dieser WM, Herr Putin und seine Regierung, stellt die Werte, auf denen unsere gemeinsame Weltordnung beruht, offensiv in Abrede. Das müssen wir im Rahmen der WM vor Augen haben. ({3}) Deswegen darf die Bundesregierung nicht einfach business as usual machen. Wenn Politiker reisen, müssen sie ein Rahmenprogramm machen, in dem die Situation der politischen Gefangenen angesprochen und deren Freilassung gefordert wird, Menschenrechte, Pressefreiheit und die Rechte von Minderheiten angesprochen werden und nicht einfach nur mit Infantino und Putin auf den VIP-Tribünen gekuschelt und Sektchen getrunken wird. ({4}) Ich habe den Eindruck, der FIFA geht es schon längst nicht mehr um Fußball. Wer möchte, dass Fußball wieder zurück zu den Fans kommt, der muss sagen: „Zurück zu den Fans heißt Schluss mit Kommerz!“, und gerade in Russland ist diese Veranstaltung auch Kommerz. Und er muss noch etwas mittragen: Die Idee, Fußball sei unpolitisch, gilt höchstens auf dem Platz. Wenn wir sagen: „Über Politik redet man nicht beim Sport“, dann ist das der Anfang vom Ende, und zwar nicht nur vom Sport, sondern auch vom Pluralismus – in Russland wie auch bei uns. Danke sehr. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Manuel Sarrazin. – Nächster Redner: Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, Verzeihung wegen vorhin. Sie hatten recht, und ich werde das beherzigen. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Countdown läuft. In wenigen Stunden wird die Fußballweltmeisterschaft angepfiffen. ({1}) – Ich habe noch den Zeitsprung von heute früh im Kopf. Für mich ist noch Vormittag. Aber Sie haben recht. – Das Entscheidende ist ja, dass die Fußballweltmeisterschaft uns auch die Chance bietet, der russischen Bevölkerung, dem russischen Volk zu sagen: Wir haben Interesse an einem guten Verhältnis mit euch, und wir schätzen eure Kultur und eure Kunst. ({2}) Die Fußballweltmeisterschaft kann Brücken über die Abgründe bauen, die die russische Führung in den letzten Jahren in erheblichem Maß verursacht hat: Skripal, Syrien, Ukraine, Krim. Zugleich ist die Fußballweltmeisterschaft zu Beginn davon überschattet – Manuel Sarrazin hat das angesprochen –, dass wir einem erwiesenermaßen herausragenden und neutralen Journalisten raten müssen, nicht nach Russland zu reisen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bedauert außerordentlich, dass Hajo Seppelt und viele andere nicht frei aus Russland berichten dürfen. Das gilt es auch anzusprechen. ({3}) Deshalb nehme ich gerne den Vorschlag der Grünen auf, über das Ganze strategisch zu sprechen. Wir in der Regierungskoalition sind ja jede Woche von strategischen Debatten, die irgendwo Russland berühren, betroffen, ({4}) und ich danke sehr, dass ich als Außenpolitiker in dieser Debatte mitwirken darf. Entscheidend ist doch, dass die russische Führung gegenwärtig gar kein Interesse an einer Modernisierungspartnerschaft hat, dass auch alle unsere Bemühungen, Russland zu einer modernen Ökonomie zu machen und zu einem demokratisch funktionsfähigen Staat, dort auf überhaupt kein Gegeninteresse stoßen. Es ist vielmehr so, dass sich die russische Führung rekrutiert aus Nachrichtendienstlern, die Putin aus seinem engsten Umfeld mitgebracht hat, dass der russische Staat selbst durch Oligarchien gestützt wird, dass die russische Wirtschaft zu 70 Prozent aus Staatswirtschaft besteht und dass Mittelstand im Grunde genommen kaum vorkommt; es ist nur ein zartes Pflänzchen mit hohen Auflagen. Wir müssen als Bundesrepublik Deutschland, vereint mit anderen Staaten in Europa, zur Kenntnis nehmen, dass Russland vielfach versucht, uns auseinanderzubringen. Die Beispiele sind Legion; darauf gehe ich hier nicht ein. Deshalb sollten wir die Fußballweltmeisterschaft auch für politischen Dialog nutzen und dafür, die Dinge zu benennen. Eine Sache sollten wir in jedem Fall im Kopf haben: Wir können gegenüber Russland auch reagieren und Angebote machen, die der russischen Führung unangenehm sind, beispielsweise Visaerleichterungen für junge Familien, Visaerleichterungen für Studentinnen und Studenten, Visaerleichterungen für die mittelständische private Wirtschaft. Warum? Weil dann junge Menschen oder Menschen, die aktiv im Geschäftsleben stehen, erkennen, wie unsere Gesellschaft funktioniert, wie bei uns Wohlstand und Zusammenhalt einer Gesellschaft zustande kommen, und diese Erkenntnisse können sie mit nach Russland nehmen. Meine Anregung ist, dass wir das nach der Fußballweltmeisterschaft, die wir sehr kritisch beobachten müssen, aufnehmen und darüber hier im Hause debattieren. ({5}) Es gibt aber auch einen sehr nachdenklichen Punkt. Wir sollten aus meiner Sicht auch einmal herausstellen, wie wir Russland entgegengekommen sind. Als Nachfolger der Sowjetunion ist Russland als permanentes Mitglied im Weltsicherheitsrat aufgenommen worden; das war ein internationaler Akt. Russland ist 2012 in die Welthandels­organisation aufgenommen worden. Russland wurde in die G 8 aufgenommen. Der NATO-Russland-Rat wurde belebt. Aber all das hat nicht dazu geführt, dass Russland mit uns über eine gemeinsame ­Sicherheitsarchitektur sprechen will. Russland verweigert vielfach den Dialog in den Bereichen, wo er ihm wehtut. Wir sind offen und reichen die Hand zum Dialog. Für uns gilt die Fußballweltmeisterschaft als Brücke über Abgründe; Manuel Sarrazin hat das ja klar herausgearbeitet. Wir dürfen uns aber nicht alles bieten lassen. Wir alle sollten uns bewusst sein, dass es wichtig ist, den Dialog mit Russland zu suchen, insbesondere über den Nahen und Mittleren Osten, über Syrien. Aber der Sport wird uns nicht vereinen, wenn wir nicht gezielt die Mängel ansprechen, die das deutsch-russische und das europäisch-russische Verhältnis belasten. Sport ist ein Heilmittel, aber kein Allheilmittel. Wir haben noch viel Arbeit vor uns. Herzlichen Dank. ({6})

Jürgen Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004680, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Wenige Minuten vor Anpfiff der Fußball-WM in Russland beglücken uns zwei Fraktionen mit ihren Anträgen dazu. ({0}) Der Lieblingssport der Deutschen ist eben verführerisch für Altparteien im Selbstfindungsmodus. Zweifellos ist die Lage der Menschenrechte in Russland nicht vorbildlich; aber Ihre Kritik kommt reichlich spät. ({1}) Wenige Minuten vor dem Eröffnungsspiel riecht das ja wohl nach Populismus. ({2}) Während die sportlichen Großereignisse immer teurer werden, geht es seit Jahren in Politik und Medien ziemlich billig zu. Spät entdecken die einstigen FIFA-Bejubler moralische Fragen. ({3}) Die von Anfang an suspekte Doppelvergabe an Katar und Russland blieb damals, vor acht Jahren, fast ohne kritisches Echo. ({4}) – Danke, Frau Künast, für Ihre Unterstützung in meine Richtung. – Vieles, was die FDP schreibt, ist gar nicht so falsch. Vieles taugt allerdings auch zur Binsenweisheit des Jahres. Und die Grünen? Auf der nach unten offenen Oliver-Bierhoff-Phrasenskala sind die Grünen mal wieder schwer zu unterbieten. ({5}) Dieser missratene Besinnungsaufsatz für Zwölfjährige ist handwerklich blamabel. Mal gehört Russland zu Europa, kurz vorher aber nicht: Da ist Russland nur ein Nachbar Europas. – Bitte entscheiden Sie sich, liebe Grüninnen und Grüne! ({6}) Das ganz große deutsche Thema kommt aber in beiden Anträgen überhaupt nicht vor: Das deutsche Team steht gar nicht mehr für Freude am Sport. Es steht für kommerzielle Inszenierung und allzu billige Moralparolen – leere Parolen; getan wird das Gegenteil. ({7}) Ausgerechnet dem türkischen Gewaltherrscher Erdogan werfen sich zwei formell deutsche Nationalspieler an den Hals: Özil und Gündogan. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Braun, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Sarrazin?

Jürgen Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004680, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Thilo Sarrazin würde ich sofort drannehmen. Manuel Sarrazin, bitte schön, wenn es nicht von meiner Redezeit abgeht.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Na, was jetzt? Manuel Sarrazin – ja?

Jürgen Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004680, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Thilo wäre mir lieber, klar. ({0})

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie haben ja darüber gesprochen, dass sich bestimmte Personen einem türkischen Gewaltherrscher an den Hals geworfen hätten. Ich möchte Sie hiermit fragen, ob Sie es ähnlich bezeichnen, wenn Abgeordnete Ihrer Fraktion sich einem russischen Präsidenten an den Hals werfen, indem sie zum Wahltag in Russland auf die Krim reisen und zu allen möglichen anderen Anlässen dorthin reisen und immer sagen, wie toll das alles ist. ({0}) Ist es nicht genauso unpatriotisch, sich einem russischen Gewaltherrscher an den Hals zu werfen? ({1})

Jürgen Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004680, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Sarrazin, wir, die AfD, werfen uns keinem Gewaltherrscher an den Hals; ({0}) damit das mal klar ist. Wissen Sie, was Sie in Ihrer Partei für Leute haben? Ihre Partei hat jemanden namens Luise Rinser zum Bundespräsidenten vorgeschlagen. Die hat Nordkoreas Kim Il Sung verehrt, wie sie in ihrer Jugend Adolf Hitler verehrt hat. Sie können mir nicht mit so einem dummen Zeug kommen. Das haben wir wirklich nicht nötig, Herr Sarrazin. – Vielen Dank. ({1}) Özil und Gündogan – wir waren gerade dabei, wie sie sich Erdogan an den Hals werfen, um kurz danach mit einer Privataudienz beim Bundespräsidenten belohnt zu werden. Ein anderer deutscher Nationalspieler mit türkischen Wurzeln ({2}) – hören Sie zu, bitte – hat nicht den Kotau vor Erdogan gemacht: Emre Can. Er wurde vom Bundespräsidenten nicht eingeladen. Das ist die Gerechtigkeit in unserem Land. ({3}) Natürlich muss kein Spieler die Nationalhymne mitsingen. Aber ist es nicht das Natürlichste der Welt, wenn ein deutscher Fußballfan genau das von seinen Idolen erwartet? ({4}) Wie glaubwürdig ist der DFB, wie glaubwürdig dieser Bundestrainer? Die Spieler Özil und Gündogan werden von Firmen beraten und betreut, die die Herren Arslan und Sögüt betreiben. Auch Bundestrainer Löw wird von Firmen beraten mit denselben Herren – Arslan und ­Sögüt. Zufall? ({5}) Warum dürfen sich die beiden Fußballer Özil und ­Gündogan alles erlauben? Warum darf sich Joachim Löw nahezu alles erlauben? Warum herrschen beim DFB Cliquen und Klüngel? ({6}) Diese unselige Entwicklung des DFB hat auch einen Namen. ({7}) Sie begann unter dem früheren Präsidenten Theo Zwanziger. Und Theo Zwanziger, dieser irrlichternde Vorkämpfer für schwarz-grüne Bündnisse, der war es auch, der wohlfeile Nebenjobs beim DFB verteilte – ausgerechnet an Claudia Roth. ({8}) Ja, liebe Fußballfans, ihr habt richtig gehört: Mannschaft statt Nationalmannschaft, Koranverse statt Nationalhymne, Marketingsprüche statt Fußball, Multikulti statt Integration in die deutsche Leitkultur.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie an Ihre Redezeit! ({0})

Jürgen Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004680, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Welcher wahre Fußballfan, Frau Roth, kann diesen DFB –

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie an Ihre Redezeit!

Jürgen Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004680, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– noch ernst nehmen? ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ihre Äußerungen bitte ich im nächsten Ältestenrat aufzurufen. ({0}) Wir werden darüber im Ältestenrat diskutieren, keine Sorge. Nächster Redner: Frank Schwabe für die SPD-Fraktion. ({1})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß gar nicht, wie Sie Ihre Rede schreiben, ({0}) Herr Braun, ob Sie einfach 20 Hasswörter nehmen und dann Ihren Mitarbeitern sagen: Fangen Sie was damit an! ({1}) Eines haben Sie vergessen: Sie hätten vielleicht auch eine Bewertung vornehmen können zu deutschen Fußballfans, die ihren Wohnort im Ausland haben. ({2}) Es wäre vielleicht eine spannende Frage, ob die eigentlich auch so richtig mitjubeln dürfen bei dieser WM. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will zu Beginn sagen: Sport macht Spaß, und Sport ist gesund; am besten im Übrigen, wenn man ihn aktiv betreibt und nicht nur passiv mit der Chipstüte vor dem Fernseher. Und: Die Fußball-WM kann Freude machen. Manchmal wird ja gefragt: Darf man sich denn freuen? Natürlich darf man sich auf diese Fußball-WM freuen. Aber: Sport findet genauso wie Kunst und Kultur und anderes in der Gesellschaft nicht im luftleeren Raum statt, sondern hat selbstverständlich eine politische Dimension. Im Übrigen: Auch das Abstreiten einer politischen Dimension hat eine politische Dimension. Deswegen ist es richtig, dass wir darüber reden, und deswegen will ich mich bei den Grünen und der FDP auch bedanken, dass sie uns heute dazu die Gelegenheit geben. Auch das sage ich sehr klar: Niemand fordert einen Boykott dieser Fußball-WM; diese Forderung gibt es nicht; sie wird von niemandem erhoben. Niemand betreibt undifferenziertes Russland-Bashing. Niemand hat im Übrigen gefordert, dass es absolut ausgeschlossen sein muss, dort irgendwie hinzureisen. Aber es muss auch klar sein, dass man sich, wenn man da hinreist, darüber klar sein muss, dass das Ganze in einem politischen Umfeld stattfindet. Ich finde, dass der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Dirk Wiese, es heute eigentlich absolut richtig deutlich gemacht hat: Es ist gut und richtig, auch Besuche stattfinden zu lassen, aber man muss immer wissen, dass es ein Rahmenprogramm für solche Besuche geben muss – ein Rahmenprogramm, in dem hingewiesen wird auf das völkerrechtswidrige Handeln Russlands in der Ukraine und darauf, dass es Einschränkungen der Zivilgesellschaft gibt, die für uns nicht akzeptabel sind. ({4}) Russland ist eine Fußballnation. Es ist vielleicht nicht immer so gut, aber es ist eine Fußballnation; und das ist übrigens der Unterschied zu Katar. Die Vergabe an Katar finde ich auch vor dem Hintergrund dessen, was Katar fußballerisch so tut oder nicht, ziemlich absurd. Deswegen kann man eine Fußballweltmeisterschaft in Russland stattfinden lassen. Es ist richtig, den Dialog mit Russland zu suchen und zu führen, auch im Rahmen dieser WM. Aber es ist eben unerlässlich, darauf hinzuweisen, dass es massive Menschenrechtsverletzungen in Russland gibt, dass die Pressefreiheit massiv eingeschränkt ist. Es ist schon darauf hingewiesen worden: Platz 148 von 180; da ordnet jedenfalls Reporter ohne Grenzen Russland hinsichtlich der Pressefreiheit ein. Deswegen, glaube ich, muss für uns klar sein, dass es vollkommen inakzeptabel ist – das müssen wir im Deutschen Bundestag auch breit deutlich machen –, dass am Ende Hajo Seppelt nicht in dieses Land reisen kann, weil er dort nicht sicher genug ist. Das ist, glaube ich, etwas, was der Deutsche Bundestag gemeinschaftlich zurückweisen muss. ({5}) Die Einschränkungen der Zivilgesellschaft sind ebenfalls indiskutabel. Russland liefert mit dem Gesetz gegen ausländische Agenten geradezu die Blaupause für viele Staaten der Welt, die Zivilgesellschaft zu unterdrücken. Der Umgang mit Homosexuellen und anderen LGBTI-­Personen ist indiskutabel. ({6}) In ganz Russland, aber insbesondere im Nordkaukasus, in Tschetschenien vorneweg, gibt es wirklich absolut unhaltbare Zustände. Wir reden von schwersten Gewaltverbrechen bis hin zu Morden, über die berichtet wird. Der Staat unterstützt das durch Hasskommentare oder durch Wegsehen oder durch Straflosigkeit oder gar noch Verhöhnung der Opfer. Und dass Sport eben nicht unpolitisch ist, kann man daran sehen, dass die ägyptische Nationalmannschaft das Trainingsquartier in Tschetschenien hat. Ich glaube, es ist vollkommen klar, dass das ein Akt ist und dass die Bilder mit Herrn Kadyrow völlig unangemessen sind. Es wäre gut gewesen, wenn die FIFA darauf hingewirkt hätte, dass dieses Trainingsquartier sich nicht dort befindet. ({7}) Russland verweigert die Zusammenarbeit mit vielen Institutionen des Europarats. Russland akzeptiert viele Urteile des Menschenrechtsgerichtshofes nicht, lässt viele Berichterstatter des Europarats nicht einreisen, zum Beispiel auf die Krim oder mich persönlich in den Nordkaukasus; ich bin dort Berichterstatter für den Europarat. Russland verstößt gegen internationales Recht durch die Annexion der Krim und durch das Verhalten in der Ostukraine. Ich will auch darauf eingehen: Wir haben viele Fälle von ukrainischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern, die in Russland im Gefängnis sitzen, mit absurden Vorwürfen und absurden Gerichtsurteilen. Oleg Senzow, der gerade in den Hungerstreik getreten ist, ist ein solcher prominenter Fall. Ich will positiv vermerken, dass die FIFA sich neue Regeln gegeben hat, die sich anlehnen an die Regeln, die auch für multinationale Konzerne gelten sollen. Das ist absolut positiv. Negativ ist, dass davon bisher scheinbar nicht ausreichend Gebrauch gemacht wurde. Den Fall der ägyptischen Nationalmannschaft habe ich schon angesprochen; aber auch der Einsatz von nordkoreanischen Zwangsarbeitern gehört dazu. Auch das sind Themen, die wir ansprechen müssen. Deswegen noch mal: Freude an der Weltmeisterschaft ist gut. Dialog mit Russland ist gut. Aber im Bewusstsein dieser Lage ist es auch richtig, solche Menschenrechtsverletzungen zu thematisieren und von Russland Abhilfe zu fordern. Das ist, glaube ich, ganz im Sinne der Betroffenen. Vielen Dank. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frank Schwabe. – Die nächste Rednerin, die ihre erste Rede im Deutschen Bundestag hält – dazu halten wir Ihnen jetzt die Daumen –, ist Britta Dassler von der FDP-Fraktion. ({0})

Britta Katharina Dassler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004700, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Gerade wurde die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland angepfiffen. Wir alle fiebern mit unserer Mannschaft und hoffen natürlich, dass sie auch die Titelverteidigung schafft. ({0}) Dieses Team repräsentiert das Beste unseres Landes. Es steht für ein weltoffenes, tolerantes, freundliches und modernes Deutschland, das mit Leistungswillen und mit Spaß am Sport die ganze Welt begeistert. ({1}) Wir drücken unserer Nationalelf ganz fest die Daumen ({2}) und freuen uns darauf, die Spiele im Kreise von Freunden, Familie und Kollegen verfolgen zu können. Politisch fällt auf dieses eigentlich doch freudige Ereignis aber ein dunkler Schatten. Diese Spiele finden während einer schweren Menschenrechtskrise in Russland statt. Die russische Regierung schränkt die Meinungsfreiheit ein. Oppositionelle werden ins Gefängnis gesteckt, Blogger wie Ruslan Sokolovsky werden strafrechtlich verfolgt. Hunderte Websites und Portale im Internet wurden abgeschaltet oder blockiert. Russland schränkt auch massiv die Pressefreiheit ein. Der Kreml hat die landesweiten Fernsehsender weitgehend unter seine Kontrolle gebracht, und kritische ­Medien werden drangsaliert. Reporter ohne Grenzen listet Russland nur auf Platz 148 von 180 Staaten auf der Rang­liste der Pressefreiheit. Im Jahr 2017 gab es so viele Demonstrationen in Russland wie nie zuvor, die von der Polizei häufig mit massiver Gewalt aufgelöst wurden. Diese Demonstrationen, meine Damen und Herren, zeigen uns doch deutlich, wie stark der Wunsch der russischen Bevölkerung nach Rechtsstaatlichkeit und Transparenz ist. ({3}) Die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen wird vorsätzlich behindert. Zivilgesellschaftliches und politisches Engagement werden stigmatisiert. Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle werden permanent verfolgt und kriminalisiert. Ich persönlich kenne Menschen, die sich nicht nach Russland trauen. Auch im Vorfeld kam es beim Bau der WM-Stadien zu Menschenrechtsverletzungen. Arbeiter mussten bei eisigen Minustemperaturen schuften, und der Lohn wurde ihnen dann vorenthalten. Human Rights Watch berichtet, dass mindestens 21 Arbeiter auf Baustellen ums Leben gekommen sind. Der Verbleib von vielen nordkoreanischen Arbeitern ist ungeklärt. All das ist die Realität, meine Damen und Herren, mit der russische Bürger schon seit vielen Jahren leben müssen. Präsident Putin jedoch will jetzt die WM nutzen, um von seiner schlechten Bilanz in Bezug auf die Menschenrechte abzulenken. Er versucht, sich selbst in ein rechtes Licht zu rücken. Aber wir müssen den Spieß umdrehen: Nutzen wir doch dieses Licht der internationalen Aufmerksamkeit, um auch die Schattenseiten dieser Weltmeisterschaft und der russischen Regierung zu beleuchten. ({4}) Deswegen haben wir Freie Demokraten heute diesen Antrag gestellt, und deswegen fordern wir Bundesaußenminister Maas und die Bundesregierung auf: Setzen Sie sich ein für die Einhaltung der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit in Russland. Setzen Sie sich ein für die freie und ungehinderte Arbeit von NGOs. Setzen Sie sich ein für die Freiheit von Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexuellen. ({5}) Und setzen Sie sich ein für all die Arbeiter, deren Rechte beim Bau der WM-Infrastruktur verletzt wurden. ({6}) Uns Freien Demokraten geht es darum, den Bürgerinnen und Bürgern in Russland ein Signal zu senden und zu zeigen, dass wir sie nicht vergessen. Uns ist es nicht gleichgültig, wenn ihre Freiheits- und Menschenrechte missachtet, eingeschränkt oder gar abgeschafft werden. Darum bitten wir Sie: Stimmen Sie unserem Antrag heute zu, setzen Sie ein Zeichen, und unterstützen Sie damit all die Menschen, die sich für ein freies und demokratisches Russland einsetzen. Denn: Der Fußball und die Freude am Sport bringen jetzt Menschen aus aller Welt vier Wochen lang in Russland zusammen. Nutzen wir diese Gemeinschaft, und setzen wir uns alle zusammen dafür ein, die Lage der Menschenrechte in Russland auch nach dem Schlusspfiff nachhaltig zu verbessern. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der nächste Redner ist der Kollege André Hahn von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es gleich vorwegzunehmen: Natürlich ist auch meine Fraktion, Die Linke, ohne Wenn und Aber für den Schutz von Menschenrechten und die Einhaltung geschlossener internationaler Verträge wie der Schlussakte von Helsinki oder der Charta von Paris. ({0}) Wir sind für die Stärkung demokratischer Strukturen, für die Freiheit einer unabhängigen medialen Berichterstattung, für die Einhaltung sozialer wie ökologischer Standards. Und wir wenden uns entschieden gegen Rassismus, Antisemitismus und jede Diskriminierung wegen sexueller Orientierung sowie gegen die gerade seitens der FIFA immer weiter vorangetriebene Kommerzialisierung von sportlichen Großereignissen. ({1}) Ich füge aber hinzu: Das gilt für uns nicht nur für Russland, sondern für alle Länder dieser Erde. ({2}) Ich finde es, Kollege Schwabe, schon einigermaßen befremdlich, wenn Anträge wie die heute vorliegenden fast immer nur dann in den Bundestag eingebracht werden, wenn sie sich gegen Russland richten – ({3}) so etwa zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi, nun eben zur Eröffnung der WM. ({4}) Bei anderen Staaten war und ist die Sensibilität in diesem Haus offenbar deutlich weniger ausgeprägt. ({5}) Ich zitiere aus dem „Mannheimer Morgen“ vom 11. Juni 2018: Beispiel Südkorea: … Vor den Sommerspielen 1988 in Seoul wurden mehr als 700 000 Menschen aus ihren Wohnungen gedrängt, auch von Schlägertrupps. … Der soziale Wohnraum schrumpfte um 76 Prozent. Oder Atlanta: Im Jahr vor den Sommerspielen 1996 setzte die Polizei dort 9 000 Menschen fest. Auf den Arrestformularen gab es einen Vordruck: Afro-Amerikaner. Männlich. Obdachlos. ({6}) 2002 fanden die Olympischen Winterspiele in Salt Lake City statt. Just zu dem Zeitpunkt, als die USA Guantanamo eingerichtet haben, wo bis heute Menschen ohne Prozess und ohne Verurteilung festgehalten werden. ({7}) Letztes Beispiel: Auch vor den Olympischen Spielen 2012 in London gab es erhebliche soziale Verwerfungen, wurden Zehntausende Menschen zwangsweise aus ihren angestammten Wohngebieten verdrängt, ({8}) die Sicherheitsmaßnahmen im Umfeld der Sportstätten wurden zum Schutz Zehntausender Zuschauer massiv verstärkt, und es gab dort ebenfalls erhebliche Einschränkungen für öffentliche Versammlungen oder Demonstrationen. ({9}) Zu all diesen Dingen gab es nach meiner Kenntnis im Bundestag, zumindest von Ihnen, keinen Antrag, ({10}) und ich kann mich deshalb des Eindrucks nicht erwehren, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. ({11}) Genau das kritisieren wir als Linke, und ich füge hinzu: ohne dass wir die zweifellos vorhandenen Defizite in Russland irgendwie beschönigen. ({12}) – Ich habe vorhin von Pressefreiheit gesprochen. ({13}) Und ich habe gesagt, das gilt natürlich auch für Russland. Das habe ich ganz klar gesagt. ({14}) Und es ist völlig legitim – auch das will ich sagen –, diese Dinge im Umfeld der Weltmeisterschaft zu thematisieren. Ob man das nun unbedingt am Tag der Eröffnung der WM machen muss, lasse ich mal dahingestellt. ({15}) – Ja, das will ich Ihnen gleich sagen. ({16}) In diesen Anträgen, die uns vorliegen, stehen eine ganze Reihe von vernünftigen und richtigen Dingen; aber die Umstände der heutigen Behandlung nähren Zweifel, dass es den Antragstellern wirklich nur um die Sache geht. ({17}) Seit mindestens einem Vierteljahr ist bekannt, dass der Sportausschuss des Deutschen Bundestags die WM in Russland am 6. Juni diskutiert. Dort hätten die Anträge sachgerecht debattiert werden können, und vielleicht hätten wir sogar einen gemeinsamen Antrag hinbekommen. ({18}) Doch das ist nicht einmal versucht worden. Das wäre der richtige Ort gewesen, sachgerecht zu debattieren.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage vom Kollegen Sarrazin zu?

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, bitte.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Also, zur Sitzung des Sportausschusses wird Frau Lazar gleich etwas sagen können. Aber: Seien Sie doch froh, dass wir Ihre Beiträge in den Ausschussberatungen in unseren Erkenntnisgewinn haben einfließen lassen, bevor wir den Antrag zu Ende geschrieben haben. Ich wollte zu „zweierlei Maß“ etwas fragen: Die Linke ist ja dafür bekannt, dass sie die Erhöhung des Rentenalters in Deutschland ausgesprochen stark kritisiert. Jetzt ist in Ihrer Rede bisher nicht vorgekommen, dass ausgerechnet heute Ministerpräsident Medwedew das Rentenalter in Russland für Frauen um acht Jahre und für Männer um fünf Jahre erhöht hat. Ist das nicht mit zweierlei Maß gemessen, dass Sie das bis jetzt in Ihrer Rede gar nicht erwähnt haben? ({0})

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Sarrazin, auf Ihre Frage will ich gerne zwei Dinge sagen. Erstens. Was den Sportausschuss angeht, geht es uns einfach darum, dass uns dieser Antrag am Dienstagabend zugegangen ist. Keine Fraktion hatte mehr die Möglichkeit, darüber zu reden. ({0}) Die Fraktionssitzungen waren vorbei. ({1}) – Ich antworte dem Kollegen. – Wir haben diese Anträge zu einem Zeitpunkt bekommen, wo eine Beratung in den Fraktionssitzungen objektiv nicht mehr möglich war. Das halte ich für problematisch, und das kritisiere ich. ({2}) Der zweite Punkt. Ich weiß nicht, was die Rente mit der Fußballweltmeisterschaft zu tun hat. Ich finde es schwierig angesichts der Tatsache, dass während Ihrer Regierungszeit, also als die Bündnisgrünen mit in der Regierung waren, die Renten in Deutschland nach oben gesetzt worden sind. Wir stehen nicht für Rentenerhöhung; aber Sie haben es in Deutschland durchgeführt. ({3}) – Richtig, Herr Wendt, ich meinte natürlich das Renteneintrittsalter. – Wenn Sie die Erhöhung des Rentenalters in Russland jetzt kritisieren, teile ich Ihre Kritik daran; ({4}) aber ich kann nicht anders, als Ihnen zurückzugeben, dass Sie das ebenfalls getan haben. ({5}) Auf dieser Grundlage, dass wir die Anträge nicht vorberaten konnten – weder im Ausschuss noch in der Fraktion –, ist eine seriöse Befassung aus meiner Sicht nicht wirklich gewollt, und auch aus diesem Grund lehnen wir die Anträge ab. Was mich zusätzlich ärgert – das war in den Reden etwas anders; das will ich gerne einräumen –, ist der Umstand, dass in beiden Anträgen die Chancen eines solchen Events für politische Entspannung, Völkerverständigung, Begegnung von Menschen weitgehend ausgeblendet werden. Das Fußballteam des FC Bundestag war letzten Freitag zu Gast in Moskau und hat dort gegen eine Mannschaft der russischen Duma gespielt. ({6}) Wir haben zwar knapp verloren, dennoch meine ich, sind und bleiben solche Treffen wichtig. Sie bleiben gerade in Zeiten, wo die Beziehungen schwierig sind, notwendig. Natürlich spricht man dort auch unbequeme Themen an. Vizepräsident Thomas Oppermann hat das getan. In den Gesprächen mit Duma-Vertretern sind Differenzen und kritische Fragen angesprochen worden. Das ist völlig richtig. Trotzdem müssen wir im Interesse der Lösung internationaler Konflikte auch gute Kontakte zu Russland aufrechterhalten. ({7}) Dazu kann der Sport einen wertvollen Beitrag leisten, wie nicht zuletzt die Aktivitäten des DFB um den symbolträchtigen 8. Mai dieses Jahres in Wolgograd gezeigt haben, wo es nicht nur ein U18-Länderspiel gegen Russland gegeben hat, sondern auch gemeinsame Begegnungen und Kranzniederlegungen an den Gedenkstätten für die Opfer der Schlacht um Stalingrad. Ich finde, das sind die Zeichen, die wir dringend brauchen. ({8}) Ein letzter Satz: Es ist ja in den vergangenen ­Wochen immer auch von „Putins Spielen“ die Rede gewesen. ­Darauf finde ich, hat unser Ex-Nationaltorwart Toni Schumacher gestern in der ARD bei „Maischberger“ eine erfreulich klare Antwort gegeben, indem er sagte: Ich habe bei großen Turnieren immer für die Zuschauer gespielt und nicht für irgendwelche Regierungschefs. Die Sportler dürfen nicht instrumentalisiert werden. ({9}) Ich finde, das ist eine richtige Aussage. ({10}) Ich wünsche uns eine spannende und friedliche WM und unserer Mannschaft viel Erfolg in Russland. ({11})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Eberhard Gienger, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eberhard Gienger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit ein paar Minuten läuft die Fußballweltmeisterschaft in Russland, und eines kann man wohl im Voraus positiv konstatieren: Ohne dieses Großsportereignis stünden Russland und die Menschenrechtslage jetzt nicht in einem so hellen und vielleicht sogar kritischen Schlaglicht der Weltöffentlichkeit. Die politische Lage in Russland besorgt uns – vielleicht mit Ausnahme der AfD. Man denke hier nur an die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, die russischen Militäreinsätze in Syrien, die Verwicklung beim mutmaßlichen Abschuss der niederländischen Passagiermaschine, die Ostukraine, das russische Staatsdoping, das Agentengesetz, Pressefreiheit. Das haben wir heute alles schon gehört. Aber ein mehrwöchiges Großsportereignis wie die Fußball-WM verändert über Nacht nicht per se ein politisches System, das von einer „gelenkten Demokratie“ hin zu einem „autoritären Staat“ abzurutschen droht. Dennoch: Aus sportpolitischer Sicht bieten sich auch Chancen, nämlich zur WM positiv Einfluss zu nehmen. Wir werden jetzt nicht müde, Missstände und politische Irrwege anzusprechen, uns für Freiheit und Demokratie einzusetzen oder die universellen Menschenrechte im und durch den Sport zu fördern. Die Sitzung des Sportausschusses am 6. Juni, die schon angesprochen wurde, hat mich insofern etwas positiv gestimmt, als sich die Experten von Human Rights Watch, von Transparency International und vom Deutschen Fußball-Bund derart kraftvoll für die Menschenrechte einsetzen und einen positiven, wenn auch vielleicht etwas auszubauenden Einfluss im Gastgeberland und in den internationalen Sportgremien feststellen. Minky Worden, Direktorin von Human Rights Watch, hat dies in der „FAZ“ am 11. Juni noch einmal tiefgehend ausgeführt und die FIFA für manche Verbesserungen gelobt. Unter anderem hat sie gesagt, dass bis 2010 bei der FIFA „Menschenrechte noch gar kein Thema“ waren. Heute gibt es aber ein Menschenrechtsgremium, das die Beschwerden von Menschenrechtsverteidigern und Journalisten zumindest behandelt. Unsere Nationalmannschaft steht im Übrigen für Integrität, Fair Play und Toleranz. Diese wie auch andere Werte wollen die Fußballer neben den sportlichen Zielen auch auf dem Platz verkörpern. ({0}) Im Vorfeld der WM hat der DFB zudem viele Veranstaltungen besucht und selbst angestoßen. Die Nürnberger Gespräche zur Fußball-Kultur zum Beispiel, die Rede beim Petersburger Dialog, die Einbindung von Thomas Hitzlsperger und Einsetzung von Cacau als Integrationsbeauftragten und zahlreiche Treffen mit Amnesty International, Human Rights Watch, Reporter ohne Grenzen, Brot für die Welt und mit politischen Stiftungen im Auswärtigen Amt stehen für die feste Verankerung des Themas im DFB. Darüber hinaus beabsichtigt der DFB, im Zuge der Bewerbung für die Europameisterschaft 2024 ein Menschenrechtskonzept zu entwickeln und dies auch in seiner Satzung zu verankern. Das, finde ich, macht Hoffnung für die Zukunft. Es ist keine neue Erkenntnis, dass Sport und Politik nicht gänzlich voneinander zu trennen sind. Wie auch? Spitzensport, Freizeit- und Breitensport finden nicht auf einer einsamen Insel statt, sondern sind eingebettet in die jeweiligen Gesellschaften, politischen Systeme und internationalen Beziehungen. Damit werden Sportverbände, national wie international, nicht automatisch zu staatlichen Akteuren oder gar zu den Vereinten Nationen. Ganz im Gegenteil: An vielen Punkten besteht die Gefahr, instrumentalisiert zu werden und zwischen den staatlichen, religiösen und auch ethnischen Fronten zerrieben zu werden. Wie können 211 nationale Verbände zu einem Großsportereignis zusammenkommen, wenn nicht auf dem Spielfeld selbst ausschließlich die sportlichen Regeln gelten? Und doch: Die dem Sport immanenten Werte sind mit den Menschenrechten nicht nur verwandt, sondern auch in den Fundamenten geradezu deckungsgleich. Wie dringlich, schwer und langwierig zugleich die aufgezeigten Wege im diplomatischen Prozess sein können, das wissen wir alle. Großsportereignisse wie die Olympischen Spiele, die Fußballweltmeisterschaft in Russland können zur weiteren Öffnung des Landes beitragen, Brücken bauen zwischen den Menschen sowie festgefahrene Positionen aufbrechen. Die Olympischen Winderspiele in Pyeongchang haben mit der weiteren Annäherung zwischen Nord- und Südkorea die verbindenden Kräfte des Sports eindrucksvoll aufgezeigt. Nur noch eine kurze Bemerkung zum Antrag: Ich glaube, wenn Politiker wie die Kanzlerin oder der Innenminister nach Moskau bzw. nach Russland fahren, muss man ihnen kein Rahmenprogramm mit auf den Weg geben. ({1}) Ich glaube, es ist selbstverständlich, dass sie wichtige Themen im Gespräch mit den politisch Verantwortlichen und demzufolge auch mit denjenigen, die mit Pressefreiheit und Menschenrechten zu tun haben, ansprechen. Dafür hätte man diesen Antrag nicht unbedingt gebraucht. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner hält heute seine erste Rede im Deutschen Bundestag: der Kollege Jörn König von der AfD-Fraktion. ({0})

Jörn König (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004788, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und an den Fernsehbildschirmen! Es ist schade, wirklich schade: In beiden Anträgen sind viele gute Ansätze enthalten, die man in einem Ausschuss hätte diskutieren können. Dort, im Ausschuss, hätte man in einem Kompromiss eine gemeinsame deutsche Position gegenüber Russland erarbeiten können. Dann wäre man auch einig aufgetreten. Diese Zeit haben wir nun nicht mehr. Gerade hat das Eröffnungsspiel angefangen. So ist es eine Nachhilfestunde zum Thema „Was ist ein Schaufensterantrag?“. ({0}) Die Grünen stellen am 24. Mai 2018 eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zur Fußball-WM, warten aber die Antwort nicht ab. Da wird erst mal geschossen – mit einem Antrag. Ist ja logisch: Heute beginnt die Fußball-WM. Da muss man die Gunst der Stunde nutzen, um sich zu profilieren. Fundierte Inhalte oder gar Antworten der Regierung sind da eher lästig. Genauso sieht oberflächliche Schaufensterpolitik aus. ({1}) Kommen wir zum Thema: Menschenrechte während und nach der Fußball-WM in Russland. Der Antrag der Grünen atmet Weltverbesserei kombiniert mit typisch deutscher Großmannssucht in der Tradition des Kaiserreiches: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. ({2}) In 21 Punkten – bleiben Sie doch mal ganz locker – werden Russlands Sportorganisationen und anderen Einrichtungen Vorschriften gemacht, was diese alles zu tun hätten. Werte und Normen werden einfach eins zu eins übertragen. Dass Russland auch eine eigene Meinung und Kultur haben könnte, kommt in Ihrem Denken gar nicht vor. ({3}) Probleme haben die Grünen auch in Erdkunde. Ich zitiere aus dem Antrag: „Klar ist: Russland gehört zu Europa.“ Ich zitiere aus demselben Antrag, zwei Absätze vorher: „Russland … ist Europas direkter Nachbar.“ Ja was denn nun? ({4}) Da sind Sie, liebe Grüne, Opfer Ihrer eigenen Sprachpanscherei geworden. Europa ist kein Synonym für die EU. Sie vergessen offensichtlich, dass Russland das größte und mächtigste Land in Europa ist. ({5}) – Das ist eine Unterstellung, die nicht zutrifft. In den Bewerbungsbedingungen zur Vergabe im Jahr 2010 lag der Schwerpunkt nicht auf Transparenz und Menschenrechten. Es ist daher heute selbstgerecht, von einem 140 Millionen-Volk zu verlangen, Forderungen nachträglich umzusetzen. Wenn Sie, liebe Politiker, etwas dagegen tun wollen, dass immer häufiger Autokraten sportliche Großereignisse ausrichten, dann sollten Sie im Vorfeld Ihre Wünsche und Forderungen an Ausrichter und Sportorganisationen kommunizieren und nicht erst am Eröffnungstag. ({6}) Ich will deutlich klarstellen: Wir sind uns mit Ihnen einig, dass Transparenz und Menschenrechte zu zeitgemäßen Bewerbungsbedingungen für solche Großereignisse gehören. ({7}) Wir haben das auch so im Sportausschuss artikuliert. Für die Fußball-WM 2022 ist noch genügend Zeit. Für das Ausrichterland Katar gilt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte nicht; denn dort wird nur die islamische Kairoer Erklärung der Menschenrechte akzeptiert. Der entscheidende Unterschied: Es werden nur diejenigen Rechte anerkannt, welche im Einklang mit der mittelalterlichen Scharia stehen. Laut „Süddeutscher Zeitung“ vom 6. Mai 2018 werden in Katar zum Tode Verurteilte mit dem Schwert einen Kopf kürzer gemacht. Dafür gibt es dort gut ausgebildete Henkerinnen und Henker. ({8}) Natürlich – nicht in diesem Sinne – freuen wir uns auf Ihre baldigen Anträge und darauf, dass die grüne Partei sich nun kritisch mit der grünen Religion auseinandersetzen wird. Unser Vorschlag: Wir erarbeiten gemeinsam zu Katar 2022 in den Ausschüssen eine deutsche Position. Für heute schlagen wir aber Folgendes vor: Politisieren Sie nicht übermäßig den Sport. Lasst Russland doch einfach mal die Fußball-WM durchführen, und wir alle werden genießen. ({9}) Freuen wir uns auf guten Sport, spannende Spiele und ein fröhliches Fußballfest. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Thomas Oppermann. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fußballweltmeisterschaft beginnt – gutes Timing der Antragsteller von FDP und Grünen. Millionen Menschen in Russland und der ganzen Welt freuen sich auf spannende Fußballspiele, nur bei der AfD kommt keine richtige Freude auf. ({0}) Nach dieser verklemmten Rede, Herr Braun, kann ich mir so richtig vorstellen, wie Sie in den nächsten drei Wochen jeden Abend schlechtgelaunt vor dem Fernseher sitzen und zugucken müssen, wie lauter multiethnische Mannschaften gegeneinander spielen. Das muss ganz furchtbar sein. ({1}) Ich finde, es gibt einen erfreulichen Konsens in dieser Debatte. Wir alle wissen: Fußball und Sport sind politisch, aber wir wollen Sport nicht als politische Waffe einsetzen. Das wäre auch der falsche Weg. Aber es ist völlig in Ordnung, aus Anlass der Fußballweltmeisterschaft über die politische Situation im Gastgeberland Russland eine Debatte zu führen. Die Bundeskanzlerin hat bei ihrem letzten Treffen mit Präsident Putin in Sotschi gesagt, es sei im strategischen Interesse Deutschlands, freundschaftliche Beziehungen zu Russland zu haben. Das ist absolut richtig; denn Russland ist der wichtigste Nachbar der Europäischen Union, um das einmal klarzustellen, das größte Land der Welt. Es ist mit uns Deutschen historisch in vielfältiger Hinsicht verbunden. Die deutsche Wehrmacht hat dieses Land verwüstet und Millionen Menschen getötet. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Russland über vier Jahrzehnte Besatzungsmacht in der DDR. Dann hat Gorbatschow mit Glasnost und Perestroika den Weg dafür freigemacht, dass die deutsche Einheit ohne Gewalt und Blutvergießen erreicht werden konnte. Ich finde, wir haben dafür bis heute allen Grund, den Russen dankbar zu sein. ({2}) Leider haben sich die politischen Beziehungen in den letzten Jahren verschlechtert. Es gibt grundlegende Differenzen mit Russland. Das ist so bei der Annexion der Krim, die das Völkerrecht verletzt. Das ist so bei der militärischen Eskalation in der Ostukraine, bei der Bewertung von Cyberangriffen auf westliche Institutionen, bei der Finanzierung von EU-feindlichen, rechtspopulistischen Parteien in Westeuropa. Nicht zuletzt geht es auch um die Rolle Russlands im syrischen Bürgerkrieg, und wir haben ein grundverschiedenes Verständnis von Demokratie und Menschenrechten. Natürlich wünschen wir uns alle ein demokratisches Russland mit umfassender Versammlungs- und Pressefreiheit – einer Pressefreiheit, die es auch Hajo Seppelt erlaubt, ohne Angst haben zu müssen, als Reporter nach Russland zu fahren und zu recherchieren –, aber eben auch ein stabiles Russland. Denn in einem Land, das über Atomwaffen verfügt – darüber sind wir uns, glaube ich, alle einig –, sollte es nicht drunter und drüber gehen. Ich glaube aber, dass wir an den Verhältnissen in Russland durch Belehrungen von außen nur wenig ändern. ({3}) Deshalb finde ich auch die in den Anträgen formulierte Idee gut, die Weltmeisterschaft zu nutzen, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Ein großer Vorteil für uns ist, dass die Deutschen und Russen einander mögen. In der russischen Zivilgesellschaft gibt es ein riesiges Interesse an Deutschland. Als das Goethe-Institut vor einiger Zeit in Russland ein Jahr der deutschen Sprache und Literatur eröffnete, kamen allein zur Auftaktveranstaltung 18 000 Menschen in den Moskauer Eremitage-Garten. Die jungen Russen schauen auf Europa, und viele verbinden das mit Hoffnungen. In keinem anderen Land studieren so viele junge Russen wie in Deutschland. Deshalb finde ich die Idee des Kollegen Kiesewetter, mit Visaerleichterungen Menschen die Möglichkeit zu geben, nach Deutschland oder Europa zu kommen, ausgesprochen gut. Wir müssen die Kontakte, Beziehungen und Gespräche mit Russland immer so gestalten, dass wir damit die Spielräume der Zivilgesellschaft erweitern. ({4}) Das ist nicht immer einfach. Am Wochenende hatten wir das schon zitierte Fußballspiel des FC Bundestag in Moskau. Wir haben gegen die Duma-Mannschaft zwar 3 : 5 verloren, aber ich glaube, wir haben wirklich auf Augenhöhe gespielt. Wir haben die Situation auch für Gespräche genutzt. Wir haben insgesamt an die vier Stunden debattiert – nicht auf dem Sportplatz, sondern in der Duma. ({5}) Dabei habe ich einen Eindruck gewonnen: Der Vorrat an gemeinsamen Interessen ist relativ groß, aber der Vorrat an gemeinsamen Werten und Wertvorstellungen ist vergleichsweise klein. Das ist die Situation. Trotzdem ist es richtig, den Dialog fortzusetzen; denn in vielen außenpolitischen Fragen kann es ohne Russland keine Lösungen geben. Das gilt für das Minsker Abkommen, das das Blutvergießen in der Ukraine beenden soll, für die Bedrohung Israels durch den Iran, die eingedämmt werden muss, oder für eine stabile Nachkriegsordnung in Syrien. Deshalb sage ich: Auch aus diesem Grund ist es wichtig, daran zu arbeiten, gute, freundschaftliche Beziehungen zu Russland zu haben. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Gyde Jensen von der FDP-Fraktion. ({0})

Gyde Jensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004941, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass Herrn Gauland erst mal erklärt werden musste, was LGBTI bedeutet, sagt, wie ich finde, alles. ({0}) Heute startet die Fußball-WM in Russland. Aus diesem Anlass haben die Fraktionen der Grünen und der Freien Demokraten jeweils einen Antrag zur aktuellen Menschenrechtslage eingebracht. Diese Anträge eint das gemeinsame Grundverständnis darüber, dass gesellschaftliche Werte in den Sport hineinwirken. Der Sport hat aber auch eine Verantwortung, die Verantwortung, gesellschaftliche Werte zu transportieren; und beim Thema Menschenrechte dürfen wir nicht einfach wegschauen. ({1}) Die Fußballweltmeisterschaft ist ein Ereignis der Vielfalt von Menschen und Kulturen, steht aber häufig – und vor allem diesmal – im Schatten von Menschenrechtsverletzungen. Wer in Russland für seine politische Meinung öffentlich mobilisiert, muss mit starken Repressionen rechnen. Viele Journalisten, die investigativ Missstände und Menschenrechtsverletzungen aufdecken wollen, sitzen in Haft oder werden eingesperrt. Der Fall von Oleg Senzow, der heute nur ganz kurz zur Sprache kam, steht beispielhaft für viele weitere Aktivisten, die für die Achtung von demokratischen und individuellen Freiheitsrechten einstehen. Die Einschüchterung findet aber deutlich früher statt. In einer digital vernetzten Welt macht Russland eine Rolle rückwärts in Richtung Big-Data-Diktatur. Das Verbot von Telegram und die Überwachung von Netzbloggern durch das russische Agentengesetz widersprechen jedem freiheitlichen Anspruch. Das Signal von uns muss daher sein: Presse- und Meinungsfreiheit und demokratische Beteiligung dürfen nicht nur Sache von Eliten sein. ({2}) Meine Damen und Herren, ich komme aus Schleswig-Holstein, einem Bundesland, das im europäischen Vergleich Vorbildregion bei der Umsetzung von Minderheitenrechten ist. Für uns bedeutet Vielfalt Stärke. Die sich häufenden Angriffe auf die LGBT-Community ({3}) sind ein Armutszeugnis für die russische Führung, die Gesetze gegen sogenannte homosexuelle Propaganda beschließt, statt aktiv für Toleranz und Akzeptanz von Minderheiten einzustehen. ({4}) Eine aufgeklärte Gesellschaft zeichnet sich auch dadurch aus, dass Minderheitenrechte geschützt werden. Wir müssen die Menschenrechtslage vor einem solchen Großereignis öffentlich in den Blick nehmen, und auch der Bundestag muss sich dazu positionieren, wie er es heute tut. Ein Boykott der WM würde einer Ohrfeige für all diejenigen gleichkommen, die sich in diesem riesigen Land für Pluralismus, für Meinungsfreiheit, für Pressefreiheit und für die Glaubwürdigkeit von Menschenrechten einsetzen. ({5}) Wir dürfen nicht den Fehler machen, Russland und Putin gleichzusetzen. Klar ist aber, dass die Vergabe der Weltmeisterschaft nach Russland und darauffolgend auch nach Katar dem Ansehen des Fußballs zu Recht geschadet hat. ({6}) Wenn wir gesellschaftliche Werte glaubhaft vertreten wollen, dann dürfen wir Großereignisse zukünftig nur an echte Demokratien vergeben. ({7}) Meine Damen und Herren, der Anspruch an so eine WM ist unglaublich hoch. Fußball hat Kraft, löst Faszination aus und verbindet Menschen weltweit. Ich glaube, das darf man auch dem russischen Volk wünschen; denn aus Zusammenhalt kann schließlich auch immer Freiheit entstehen. Für uns gilt: Mit Menschenrechten spielt man nicht. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich erteile das Wort der Kollegin Monika Lazar für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fußball-WM hat endlich begonnen. Normalerweise hätten wir heute Mittag schon über dieses Thema diskutiert, wenn die Unionsfraktionen nicht so großen Beratungsbedarf gehabt hätten. ({0}) So ist es natürlich top platziert während des ersten Spiels. Das Austragungsland Russland – das wurde von einigen Rednerinnen und Rednern schon angesprochen – ist kein ganz unproblematisches Land: Das gilt für die Außenpolitik, die Menschenrechtslage ist prekär, und auch die Pressefreiheit ist stark eingeschränkt. Deshalb war es uns als grüner Fraktion wichtig, darauf explizit hinzuweisen. Und: Der Sofortabstimmung hat auch keine Fraktion widersprochen. Deshalb ist es einfach Unsinn, zu sagen, man hätte darüber auch reden können. Wir hatten das Thema vorab im Sportausschuss behandelt. Deshalb sehe ich das Problem überhaupt nicht. ({1}) Ich bin froh, dass niemand hier im Raum einen Boykott fordert; denn das wäre kontraproduktiv. Ich selber kann mich noch gut an die wechselseitigen Boykotte bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles erinnern. Sie brachten niemandem etwas. Stattdessen sagen wir: Wenn Politikerinnen und Politiker nach Russland zu den Spielen reisen, dann ist es wichtig, dass man Gespräche mit verschiedenen NGOs und Oppositionsgruppen in die Reise einbettet. ({2}) Ich habe von einigen Fraktionen gehört, dass das auf Zustimmung trifft. Es kann sein, dass Abgeordnete oder Ministerinnen und Minister zur WM reisen werden. Daher ist es gut, dass wir mit unserem vorliegenden Antrag dafür sorgen, dass wir über dieses Thema noch einmal reden. Natürlich ist es auch gut, wenn Fußballfans, die nach Russland reisen, Land und Leute kennenlernen, miteinander ins Gespräch kommen. Auch das kann dazu dienen, dass unsere beiden Länder wieder mehr ins Gespräch kommen und zueinanderfinden. ({3}) Wenn wir über die WM reden, müssen wir auch über Doping reden. Zum einen sind da die Enthüllungen über das russische Staatsdopingsystem. Da hätte man sich vom Gastgeber vorab schon mehr Willen zur Aufklärung gewünscht. Die Inhalte des McLaren-Berichts müssen schließlich auch von russischer Seite endlich anerkannt werden. ({4}) Die FIFA ist aber natürlich auch in der Pflicht. Während der Endrunde der WM wird die FIFA selbst Dopingkontrollen durchführen. Also: Der Sport kontrolliert sich selbst. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Auch das hat die Nationale Anti Doping Agentur vor einer Woche kritisiert; auch das müsste anders werden. ({5}) Die WM-Doppelvergabe an Russland und Katar durch die FIFA ist ja schon angesprochen worden. Da gibt es zu Recht massive Korruptionsvorwürfe. Wir Grüne haben in der letzten Wahlperiode in einem umfangreichen Antrag dargelegt, wie wir uns die Reformen hinsichtlich der Vergabe von Sportgroßveranstaltungen vorstellen. Menschenrechtliche, bürgerrechtliche und ökologische Standards müssen bei der Vergabeentscheidung verpflichtend berücksichtigt werden. Damit das Misstrauen gegenüber FIFA und IOC abgebaut wird, sind glaubhafte Reformen sehr wichtig, und Sportgroßereignisse müssen endlich mal wieder an demokratische Gesellschaften vergeben werden. Es hat sich in den letzten Jahren zum Glück etwas getan. Das haben wir auch im Sportausschuss letzte Woche mitbekommen, wo Vertreter von DFB und Transparency International berichtet haben, wie sie bei dem Bewerbungsprozess für die EM 2024 zusammenarbeiten. Jetzt müssen den Worten allerdings Taten folgen. Wir müssen die Sportverbände an den Taten messen. Die Zivilgesellschaft muss beteiligt werden; aber auch wir Politikerinnen und Politiker müssen weiterhin Druck machen, damit die Reformen endlich durchgesetzt werden. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Frank Steffel für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Frank Steffel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Falls es sich bei der Gruppe junger Menschen mit sportlicher Kleidung und „Russia“-Hemden um junge Russen handelt, gratuliere ich herzlich zum ersten Tor bei der WM. Das haben die Russen vor wenigen Minuten geschossen, wie ich gesehen habe. ({0}) Schön, dass Sie oder ihr uns heute zuhört. Als Sport- und Außenpolitiker freut es mich natürlich, dass wir heute nicht nur das Eröffnungsspiel erleben, sondern auch die Gelegenheit nutzen, um erstens über die Situation in Russland und die Verantwortung Russlands in der Welt zu sprechen und uns zweitens mit sportlichen Großereignissen und den Rahmenbedingungen zu beschäftigen. Wenn wir über die Menschenrechte und die Situation in Russland sprechen, dann eint uns weitestgehend – ich hatte den Eindruck, auf der linken und rechten Seite ist das etwas weniger ausgeprägt; aber es eint den Rest des Hauses –, dass wir einen solchen Tag natürlich nutzen – es wäre ja schlimm, wenn wir das in einem demokratisch gewählten Parlament nicht täten –, um darauf hinzuweisen, dass wir mit der Situation in Russland hinsichtlich Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten, Presse- und Versammlungsfreiheit nicht einverstanden sind. Was sollen eigentlich russische Journalisten denken, wenn nicht einmal ein deutscher Journalist ohne Angst einreisen kann, wenn man selbst bei einem deutschen Journalisten die Sorge haben muss, dass er dort verfolgt und weggesperrt wird? Was sollen eigentlich Berichterstatter in Russland denken? Was sollen Zehntausende von Journalisten in den nächsten Wochen schreiben, wenn sie befürchten müssen, von russischen Staatsbehörden, von Organen der Sicherheitskräfte dort möglicherweise eingesperrt oder verhört zu werden? Insofern ist das ein Angriff auf die Pressefreiheit im Rahmen eines solchen Großereignisses. Und wir erwarten von der FIFA sehr, sehr klare Antworten darauf. Wir erwarten, dass sie sehr präzise aufpasst, dass es an dieser Stelle in Russland kein Zurückweichen gibt. Zweitens. Wir kritisieren in diesem Zusammenhang natürlich – übrigens wie auch in Bezug auf Katar –, dass die Rechte der Arbeiter beim Bau der Sportstätten missachtet wurden, dass es dort Verstöße gegen international übliche Arbeitsbedingungen gab und dass das auch während der Fußballweltmeisterschaft in Russland offenbar stattfindet. Auch hier fordern wir von der FIFA, dass sie genau hinschaut und Standards, die wir weltweit einfordern, auch in Russland klar einfordert. ({1}) Das ist ein Recht der demokratischen Parlamente. – Vielen Dank für den Beifall, Frau Roth. Wir haben eines fairerweise zu attestieren – das ist heute noch gar nicht erwähnt worden, obwohl ich einer der letzten Redner zu diesem Tagesordnungspunkt bin –: Die Vergabe an Russland erfolgte 2010. Das heißt, zumindest die außenpolitische Situation war damals eine andere, und die Hoffnung war, dass man vielleicht mit dieser Vergabe Entwicklungen in Russland anstoßen kann. Es gab damals keine Annexion der Krim, es gab keine Auseinandersetzungen um den Donbass, es gab keinen Giftanschlag in Großbritannien, es gab übrigens auch keine Dopingvorwürfe, zumindest nicht in der Größenordnung wie heute, und es gab auch keine Giftgastoten in Syrien. Bei aller Kritik an der FIFA sollten wir das heute zumindest erwähnen. Das lehrt uns aber eines, dass man nämlich im Moment der Vergabe offenkundig präziser formulieren muss, welche Erwartungen man an einen Gastgeber von sportlichen Großereignissen hat. ({2}) Ich will die Zeit nutzen und doch ein paar Worte über sportliche Großereignisse verlieren: Eben hat die Kollegin der FDP gesagt, sie wolle, dass solche Ereignisse nur noch dahin vergeben werden, wo all diese Standards gelten. Liebe Kollegin, uns eint das Ziel. Das führt aber natürlich dazu, dass wir solche Großereignisse weitestgehend nur noch in Europa stattfinden lassen können. ({3}) Ich glaube, das wird und kann nicht unsere politische Antwort sein. Insofern müssen wir dafür sorgen, dass in demokratischen Ländern die Bereitschaft für die Bewerbung um sportliche Großereignisse zunimmt. Das setzt übrigens auch Veränderungen bei der FIFA, bei der UEFA und beim IOC voraus: Transparenz bei der Vergabe, keine Korruption im Rahmen der Bewerbungsvergabe, klar nachvollziehbares Stimmverhalten, entsprechende Rahmenbedingungen dafür, dass die Sportstätten danach keine Ruinen sind – Sotschi und Brasilien lassen grüßen. Die Sportstätten und übrigens auch das, was daneben noch errichtet wird, müssen danach für den Breitensport, den Jugendsport und den Vereinssport im Land zur Verfügung stehen und entsprechend genutzt werden können. Insofern ist auch das etwas, was heute, an einem solchen Tag, zu Recht diskutiert wird. Ich will gar nicht so viel zur AfD sagen. Herr König, ich muss Ihnen sagen – auch wenn Sie als König über das Kaiserreich geredet haben –: Sich hier nur über die Türkei und über die Frage auszulassen, ob Gündogan und Özil sich richtig verhalten haben, zu sagen, Russland habe das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht ein Wort zu Toten in der Ukraine und zu Kindern zu sagen, die durch Giftgasanschläge in Syrien unter russischer Aufsicht sterben, nicht ein Wort darüber zu verlieren, dass Doping nicht in Ordnung ist, nicht ein Wort über die Anschläge von England zu verlieren, zeigt schon, wessen Geistes Kind Sie sind. ({4}) Für Sie mag vieles ein Vogelschiss in der Geschichte sein. Ich sage Ihnen nur eines: Die 300 Menschen, die in der Maschine saßen, die von russischen Raketen vom Himmel über der Ukraine heruntergeschossen wurde, hätten das Eröffnungsspiel heute auch gerne gesehen, und auch darüber sollten Sie wenigstens ein Wort verlieren. ({5}) – Herr Präsident, Sie haben gedrückt, weil es eine Wortmeldung gab. Da ich fast am Ende bin, Herr Präsident, lasse ich die Zwischenfrage nicht mehr zu. Ich möchte mit einem Punkt enden, wenn ich das noch darf, nämlich mit einem Zitat des heute aus der Haft entlassenen russischen Oppositionsführers Alexej Nawalnyj. Er hat auf die Frage, ob er Russland die Daumen drückt, wie ich finde, hervorragend geantwortet. Er hat gesagt: Ja, er drückt Russland die Daumen, weil Russland mehr ist als Putin. – Das ist vielleicht die Hoffnung, die uns an einem solchen Tag alle einen kann. Es wird auch ein Russland nach Putin geben, und vielleicht leistet die Weltmeisterschaft einen Beitrag dazu, dass es ein freundschaftliches, friedliches und demokratisches Russland wird. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Dagmar Freitag für die SPD-Fraktion. ({0})

Dagmar Freitag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002655, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in der Tat sehr verlockend, auf die polemischen Aussagen der AfD einzugehen. Herr Kollege Steffel, Sie haben das hervorragend gemacht. Vielen Dank dafür. ({0}) Ich mache es daher kurz: Wir – und ich denke, da spreche ich für die große Mehrheit in diesem Haus – drücken dem deutschen Team die Daumen und beschimpfen es nicht. ({1}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ja, die WM hat begonnen, allerdings für einen nicht, jedenfalls nicht vor Ort. Hajo Seppelt von der ARD-Dopingredaktion wird nicht vor Ort dabei sein – wegen unkalkulierbarer Risiken für seine Sicherheit, wie es heißt. Was ist das für ein Sportereignis, von dem nicht mehr frei und unabhängig berichtet werden kann? Das ist – ich würde es so formulieren – ein beispielloser Vorgang, geradezu ein Eklat. Hinzu kommt, dass die ARD-Dopingredaktion angefragt hat, ob sie im Umfeld der Dopingkontrollen frei berichten darf. Das ist von der FIFA brüsk abgelehnt worden. Wir beobachten mit großer Sorge, dass internationale Sportgroßveranstaltungen immer häufiger in Länder vergeben werden, in denen Presse- und Meinungsfreiheit sowie Menschenrechte nicht gewahrt, sondern mit Füßen getreten werden. Good Governance scheint da eher ein Fremdwort zu sein. Die hehren Ziele in den Statuten der internationalen Verbände entpuppen sich – das muss man schon sagen – von Mal zu Mal mehr als leeres Geschwätz. Einzig der Internationale Leichtathletik-Verband unter dem neuen Präsidenten Sebastian Coe scheint die richtigen Lehren aus den Affären um den früheren Präsidenten Diack gezogen zu haben, im Übrigen auch auf Initiative des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Klar ist also: Gefordert sind zuallererst die Sportverbände selbst. Schließlich entscheiden sie auf ihren Council-Sitzungen und in ihren Komitees über die Ausrichterländer. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Hinweis kann ich dem organisierten Sport in unserem eigenen Land jetzt nicht ersparen: Gefordert sind auch die deutschen Vertreter in internationalen Gremien des Sports. ({3}) Ein Beispiel: Als es im Jahr 2016 um die Vergabe der European Games ging, stimmte der Vertreter des Deutschen Olympischen Sportbundes nicht etwa gegen die Vergabe an Minsk in Weißrussland, sondern blamierte sich und damit auch uns mit einer schlappen Enthaltung. Auch wenn die Autonomie des Sports zu respektieren ist: Hier sollte die Bundesregierung eine unmissverständliche Erwartungshaltung gegenüber dem organisierten Sport in unserem Land einnehmen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Blick auf die derzeitige Situation fehlt erkennbar die Antwort auf eine entscheidende Frage: Wie kann man demokratische Staaten und ihre Bevölkerung wieder motivieren, sich um die Austragung internationaler Großveranstaltungen im Sport zu bewerben? ({5}) Gerade erst ist in der Schweiz wieder eine Olympiabewerbung krachend gescheitert, und zwar an einem Volksentscheid, so wie auch zweimal in unserem Land. Das zeigt auch, wie verheerend das Image des Internationalen Olympischen Komitees ist. Ein glaubwürdig dargebrachter Wille zu gravierenden Veränderungen ist aus meiner Sicht der Schlüssel, der die Türen zur Bevölkerung in liberalen Demokratien wieder öffnen kann. Auch wenn klar ist, dass der Sport nicht alle Probleme dieser Welt lösen kann: Der Sport hat eine Verantwortung. Aber es gibt durchaus auch Ansatzpunkte für die Politik. Ich verweise hier exemplarisch nur auf die Aktivitäten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zum Thema „Good Governance im Sport“. Ich erwarte, dass sich Deutschland hier aktiv einbringt: zum Wohle der Werte des Sports. In diesem Sinne, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir mit dem Sport gemeinsame Aufgaben. Lassen Sie sie uns angehen. Das sind uns unsere Athletinnen und Athleten hoffentlich wert. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Sebastian Brehm von der CDU/CSU-Fraktion. – Lieber Herr Kollege. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahre 2015 beauftragte der Weltfußballverband FIFA den Verfasser der UN-Leitprinzipien, John Ruggie, mit der Ausarbeitung von Empfehlungen, die Achtung der Menschenrechte in der FIFA-Organisation zu verankern. Dies ist ein Resultat der Diskussion um die Menschenrechte, gerade bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften, insbesondere bei der Vergabe an die jeweiligen Gastgeberländer, auch aufgrund der Erfahrungen mit Russland und Katar, mit China, Aserbaidschan und den anderen genannten Ländern. Im Mai 2017 wurden die Statuten der FIFA mit folgendem Versprechen veröffentlicht: Die FIFA bekennt sich zur Einhaltung aller international anerkannten Menschenrechte und setzt sich für den Schutz dieser Rechte ein. Auch der DFB fördert und begleitet zahlreiche Projekte. Lieber Kollege Gienger, danke für die Nennung von Nürnberg, meiner Heimatstadt, in der eine größere Veranstaltung zum Thema „Fußball und Menschenrechte“ durchgeführt wurde. ({0}) Gerade im Vorfeld der WM versucht der DFB, mit der deutsch-russischen Fußballwoche Brücken zu bauen und einen Austausch mit der Zivilbevölkerung herzustellen. Diese und weitere Programme sind notwendig, um eben eine gute Grundlage für unsere Bestrebung zu schaffen, dass diese WM mehr als nur ein Fußballfest und mehr als nur ein Sportereignis ist. Die FIFA und der DFB sind sich ihrer großen Verantwortung bewusst. Das Spiel geht eben nicht nur 90 Minuten, sondern beginnt weit vor der ersten Halbzeit und endet weit nach der zweiten Halbzeit. Die Fußball-WM ist mit das größte Ereignis in der gesamten Welt. Die Wirkung einer solchen Fußballweltmeisterschaft ist nicht zu unterschätzen. Das zeigen übrigens auch die Reaktionen auf die ungeschickte Verhaltensweise von Gündogan und Özil im Vorfeld dieser WM. Aber wir sollten heute unserer Nationalmannschaft Rückendeckung geben und, lieber Kollege Braun, eben nicht in dieser Art und Weise die deutsche Nationalmannschaft diskreditieren. Wir sind stolz auf unsere Nationalmannschaft. ({1}) Vielmehr ist es die Aufgabe von Fußball, Vorbild zu sein, Völkerverständigung zu fördern und Menschen zu verbinden – egal welcher Religion, egal welcher Herkunft, egal welcher Hautfarbe und egal welcher persönlichen Lebensform. ({2}) Diese Weltmeisterschaft ermöglicht es, in den Austausch zu treten, und bietet auch Chancen für bilaterale Gespräche, wie sie auch der FC Bundestag in der vergangenen Woche geführt hat. Natürlich ist es richtig, dass die Wahrung der Menschenrechte in Russland leider nicht den UN-Standards entspricht. Das geht aus zahlreichen Berichten hervor, auch wenn es hier rechts im Hause oder links im Hause bestritten wird. Menschenrechte bleiben Menschenrechte und sind unverhandelbar. Das gilt für Russland; es gilt aber auch für Katar. ({3}) Die Einschränkung der Pressefreiheit – das zeigt auch die Diskussion um den ARD-Journalisten Hajo Seppelt in den letzten Tagen – bedauern wir ausdrücklich. Die Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung, keine fairen Arbeitsbedingungen beim Stadionbau und keine Toleranz gegenüber den verschiedenen Lebensformen: Das sind leider nur einige wenige Beispiele. Deswegen sollte auch kein Thema im Vorfeld und während der WM tabuisiert werden. Darin sind wir uns, glaube ich, einig. Jetzt kommen wir aber zu dem Punkt, in dem wir uns uneinig sind. Sie, die Grünen, nennen in Ihrem Antrag Voraussetzungen, die eingehalten werden müssen: Die Spiele sind nur dann zu besuchen, wenn ein politisches Rahmenprogramm stattfindet, wenn die Bedingungen frühzeitig angekündigt werden. Den Sportverbänden sollen Vorschriften gemacht werden. Es folgen weitere 18 Forderungen. Wir sagen: Ein Verbot hat hier keinerlei Platz. Wir werden der Bundesregierung, den Verbänden, den Fans und allen anderen Teilnehmern nicht vorschreiben, wie und wann Themen anzusprechen sind. Wichtig ist, dass die Themen angesprochen werden und dass wir die Chancen der Gespräche nutzen. ({4}) Was die aktuelle Debatte um den Austragungsort für die EM 2024 angeht – Sie haben vorhin gesagt, Frau Kollegin Lazar, es müssen Taten folgen; dann sollten Sie bitte auch auf Ihre Partei schauen –, gab es im Münchener Stadtrat eine Diskussion zum Thema „EM 2024 in Deutschland“. Da haben die FDP und die Grünen München und Deutschland als Standort abgelehnt. ({5}) Gerade auch die Diskussion der FDP über die steuerlichen Rahmenbedingungen bei der EM ist schwierig und verhindert eigentlich eine EM im eigenen Lande oder schadet ihr. Der einzige Mitbewerber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist derzeit die Türkei. Da ist es mir lieber, wenn die EM 2024 in unserem eigenen Land stattfindet. ({6}) Deswegen sollte man darauf achten, dass das auch in den anderen Parlamenten eingehalten wird. ({7}) Zum Schluss der Debatte – ich bin ja jetzt der letzte Redner – sollten wir die Gelegenheit nutzen, unserem Team für den bevorstehenden Wettkampf alles Gute und viel Erfolg zu wünschen. ({8}) Fan zu sein, bedeutet aber auch, dass man Fahnen schwenken darf in unserem Land, dass man begeistert ist und dass wir unserer Mannschaft volle Rückendeckung geben. Deshalb wünsche ich von diesem Platz aus alles Gute. Viel Glück und alles Gute bei der Titelverteidigung! Danke schön. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege Brehm. – Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/2667 mit dem Titel „Fußball-WM 2018 – Menschenrechtsverletzer ins Abseits“. Wer stimmt für den Antrag? – Das ist die Fraktion der Grünen. Wer ist gegen diesen Antrag? – Das sind die Fraktionen der AfD, der CDU/CSU, der SPD und der Linken. Enthaltungen? – Bei Enthaltung der FDP ist damit der Antrag der Grünen abgelehnt. Tagesordnungspunkt 6 b. Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/2672 mit dem Titel „Menschenrechtsschutz während und nach der Fußball-WM 2018 in Russland“. Wer ist für diesen Antrag? – FDP. Wer ist dagegen? – AfD, CDU/CSU, SPD und Linke. Enthaltungen? – Die Grünen. Damit ist auch dieser Antrag abgelehnt.

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! G-7-Gipfel sind normalerweise Ereignisse, die uns nicht allzu lange beschäftigen oder die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wenn es nur ein weiterer Tweet des amerikanischen Präsidenten gewesen wäre, der uns verärgert hätte, den wir nicht verstehen, wäre er wahrscheinlich auch noch kein Anlass gewesen, hier darüber zu debattieren. Aber wir erkennen in der Verhaltensweise des amerikanischen Präsidenten, der ein vereinbartes Schlussdokument per Twitter infrage stellt, mittlerweile doch Verhaltensmuster, die der Deutsche Bundestag – deswegen bin ich dankbar, dass alle Fraktionen sich darauf geeinigt haben – auch einmal grundsätzlich diskutieren will. Da gibt es langjährig ausgehandelte Verträge. Ich nenne das Klimaschutzabkommen, eine der größten Errungenschaften der Weltgemeinschaft. Damit ist es uns gelungen, endlich gemeinsam nicht nur die Staaten einzubeziehen, die betroffen sind – das sind Inselstaaten –, sondern auch die Verursacherstaaten. Es ist endlich gelungen, zum Klimaschutz eine gemeinsame internationale Übereinkunft zu erzielen, und der amerikanische Präsident erklärt lax, er wolle sich daran nicht mehr halten und sie interessiere die Vereinigten Staaten von Amerika nicht. Da haben wir das Atomabkommen mit dem Iran, endlich mit großen Anstrengungen auch der deutschen Diplomatie, der europäischen Diplomatie erzielt. Es ist eine Errungenschaft, den Iran zu motivieren, auf eine atomare Bewaffnung zu verzichten. Es ist zumindest eine Chance, in dieser Region Aufrüstung zu verhindern und ein bisschen Frieden und Sicherheit, nicht zuletzt auch für Israel, sicherzustellen, und der amerikanische Präsident verabschiedet sich davon. Auf der anderen Seite gab es nach einem Hin und Her, nach Zusage, Absage, kurzfristiger Vorbereitung ein Zusammentreffen mit einem der grausamsten Diktatoren unserer Zeit, mit dem Diktator von Nordkorea, Kim Jong Un, eine dürftige Erklärung, die in der Substanz eigentlich überhaupt nichts enthält an Sicherheitsgarantien für Südkorea, keinen Zeitplan, keine Garantien, dass Nordkorea Atomwaffen abbaut, und das wird vom amerikanischen Präsidenten als epochales Werk verkauft und mit der Aussage verbunden, seitdem er im Amt sei, sei die Welt sicherer geworden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen – ich werde gleich noch einen Satz zu Amerika insgesamt sagen –, wenn wir so etwas als Verbündete und als Freunde Amerikas in der westlichen Welt durchlassen, desavouieren wir internationale Demokratie, desavouieren wir alle unsere internationalen Ansätze, die wir als Europäer, die wir als Deutsche gemeinsam in der UN, in der NATO, in der Europäischen Union vertreten, und das dürfen wir nicht zulassen. ({0}) Ein Weiteres ist, dass wir auch keine Relativierungen zulassen dürfen. Natürlich ist es sinnvoll, mit jemandem wie dem Diktator von Nordkorea zu sprechen. Natürlich ist es sinnvoll, jede Anstrengung zu unternehmen, mit ihm auch zu einer Vereinbarung zu kommen. Aber jetzt im Nachhinein zu sagen, wie wir es vom amerikanischen Präsidenten lesen, es gebe halt auch andere nicht gute Regime und das sei nur eins von vielen, ist eine Relativierung, die nicht zulässig ist. Es ist auch eine nicht abgestimmte Politik mit engen Partnern, die wir in der Region haben, mit Südkorea, mit Japan. Auch dagegen müssen wir uns zur Wehr setzen. Deswegen möchte ich zweierlei dazu sagen: Erstens. Darauf kann die Antwort auch nur wieder erneut sein: Liebe Freundinnen und Freunde, wenn wir unsere Werte, wenn wir unsere Vorstellungen von internationaler Zusammenarbeit durchsetzen wollen, wenn wir unsere Werte behalten wollen, dann brauchen wir an dieser Stelle ein starkes Europa. Wir müssen die Europäische Union endlich weltpolitikfähig machen, damit wir eine Antwort darauf geben können; dazu sind wir aufgerufen. Zweitens. Natürlich dürfen wir nicht deswegen, weil dieser Präsident uns nicht passt und weil er sich in manchen Verhandlungsschemata nicht an das hält, was wir für richtig halten, die transatlantischen Beziehungen aufs Spiel setzen. Natürlich müssen wir wissen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika eine alte, eine starke Demokratie sind, eine starke Wirtschaftsmacht sind und trotz aller Auseinandersetzungen unsere stärksten militärischen und auch wirtschaftlichen Verbündeten bleiben. Wir bleiben den Vereinigten Staaten von Amerika nicht nur deshalb in Freundschaft verbunden, weil sie uns vom Nationalsozialismus befreit haben, weil sie die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglicht haben, sondern auch mit Blick auf die Zukunft. Wir müssen Freunde Amerikas bleiben. Aber wir müssen auch diejenigen in Amerika, denen daran gelegen ist, dass es so bleibt, dass es in Europa, dass es in Deutschland eine positive Stimmung gibt, auffordern: Auch ihr müsst etwas dafür tun, dass Amerika seine Freunde in Deutschland und in Europa behält. Deswegen: Lassen Sie uns gemeinsam, trotz der Frustration über das Ende dieses Gipfels, dafür kämpfen, dass die Freundschaft zwischen Europa und Amerika fortbesteht! Lassen Sie uns dafür klar eintreten! Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich erteile als nächstem Redner das Wort dem Kollegen Dr. Roland Hartwig für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Roland Hartwig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004738, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt ist es also wirklich passiert: Ein G-7-Gipfel ist ergebnislos zu Ende gegangen. Dass Frau Merkel mit leeren Händen zurückkehrt, ist eigentlich nichts Neues; nur war es selten so offensichtlich. Und was fordert das Regierungslager? Noch mehr Europa! Herr Wadephul, das ist genau die falsche Antwort. ({0}) Wenn nach der inneren Ordnung nun auch noch die äußere Ordnung verloren geht, dann tun Sie doch bitte nicht so, als hätte die deutsche Regierung damit nichts zu tun! Die G-7-Gruppe verstand sich als Wertegemeinschaft für Frieden, Sicherheit und Selbstbestimmung der Völker. Doch was hat die deutsche Außenpolitik daraus gemacht? Sie hat zunächst die Entspannung in Europa zerstört: durch Ausgrenzung und Verhängung von Sanktionen gegen Russland. Die deutsche Politik hat die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten massiv belastet: durch Beleidigungen und Belehrungen des amerikanischen Präsidenten. Und Sie haben die Ausrüstung der Bundeswehr sträflich vernachlässigt, sodass wir heute nicht einmal mehr in der Lage sind, unser eigenes Land zu verteidigen. ({1}) Diese Außenpolitik hat offensichtlich auch keine Probleme mit dem Bruch des Völkerrechts, etwa wenn die Türkei große Teile Syriens besetzt oder die ­Westmächte kraft eigener Ermächtigung Luftschläge gegen Syrien führen. Sie forderten schon früh die Beseitigung des ­Assad-Regimes und trugen damit dazu bei, dass Hundert­tausende ihr Leben lassen mussten. ({2}) Und wo bleibt denn die Selbstbestimmung der Völker? Gerade Deutschland mutet ganz Europa einen historischen Ansturm muslimischer Immigranten zu ({3}) mit der Folge, dass die Völker Europas ihre eigene nationale und kulturelle Identität verlieren werden. ({4}) Diese Politik tut nichts dafür, um die entscheidenden Ursachen für diese Einwanderung zu bekämpfen, nämlich die Magnetwirkung der deutschen Sozialsysteme, sondern greift sogar noch diejenigen an, die sich dagegen zur Wehr setzen. Sie unterstützen die Verfahren der EU-Kommission gegen Polen, Ungarn und Tschechien, ({5}) weil diese Länder die Zusammenarbeit bei der Aufteilung von Flüchtlingen in der EU verweigern. Aber genau diese Politik hat auch Großbritannien aus der EU getrieben. Und Sie erkennen ja nicht einmal die Zeichen der Zeit, wenn Italien mit überwältigender Mehrheit eine europakritische Regierung wählt. Und was die deutsche Politik dem eigenen Volk zumutet, das können wir fast jeden Tag in der Zeitung lesen. Mit welcher Glaubwürdigkeit rufen Sie jetzt noch nach mehr Europa? Nennen Sie diesen gigantischen Scherbenhaufen etwa „erfolgreiche Politik für Frieden, Sicherheit und Selbstbestimmung“? Nein, meine Damen und Herren, diese Politik treibt Deutschland weltweit in die Isolation, ({6}) und sie zerstört Europa – seine Freiheit, seinen Wohlstand und seine Kultur. Wenn Sie wirklich etwas dagegen tun wollen – für unser Land und für das deutsche Volk, wie es draußen an diesem Haus steht –, dann, meine Damen und Herren und besonders die Kollegen von der CDU/CSU, beenden Sie diese unsinnige Politik, und stoppen Sie vor allem Ihre eigene Kanzlerin so schnell wie möglich. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Rolf Mützenich. ({0})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Darbietung des amerikanischen Präsidenten Trump beim G-7-Gipfel mag unverfroren sein, aber sie steht augenfällig auch für den Zustand westlicher Regierungsformate. Nach dem, was man eben hier gehört hat, mag das einige freuen. Aber ich muss Ihnen sagen: Es ist weder im nationalen noch im europäischen Interesse, wenn wir uns darüber freuen, dass eine Weltordnung, von der Deutschland, aber auch Europa profitiert hat, mit einem Präsidenten Trump zu Ende geht. ({0}) Deswegen ist es angemessen, dass wir heute darüber reden und insbesondere hinterfragen, was die Motive von Trump sind. Mein Eindruck ist: Es sind innenpolitische Motive, es geht um die Mobilisierung und den Beifall seiner Anhängerschaft und die Zerstörung der internationalen Ordnung. Ob er erfolgreich sein wird in den nächsten Jahren, hängt nach meinem Dafürhalten von zwei Entwicklungen ab: Eine Entwicklung betrifft die USA selbst. Ich bin durchaus an dem interessiert, was in den USA passiert: Die jungen Menschen versuchen, gegen die Waffengesetze vorzugehen; es gibt eine #MeToo-Bewegung, und es gibt Richterinnen und Richter sowie Medien, die versuchen, den innenpolitischen Zerreißprozess, der mit diesem Präsidenten verbunden ist, aufzuhalten. Die Frage ist: Werden die Demokraten die richtigen Schlussfolgerungen ziehen? Aber es ist nicht nur eine innenpolitische Frage, sondern insbesondere eine Frage an die Partner – und wir wollen weiterhin Partner sein –: ob sie mit Haltung, mit Argumenten und mit Handlungen versuchen, ihn auf dem Weg, der mit dieser Präsidentschaft verbunden ist, so gut wie möglich aufzuhalten. Dazu gehört erstens die Auseinandersetzung um das Thema Handel. Ich glaube, auf der einen Seite Gegenmaßnahmen innerhalb der Europäischen Union zu beschließen und auf den Weg zu bringen, aber auf der anderen Seite für Gespräche weiterhin bereit zu sein, ist der richtige Weg. Der zweite Punkt ist, Provokationen entgegenzutreten. Ich finde, das, was sich der amerikanische Botschafter in Deutschland in der vergangenen Woche hier geleistet hat, ist zu Recht eine Bemerkung aus dem Bundestag, aber genauso aus der Bundesregierung wert. Wir haben die Bundeskanzlerin in der Befragung gefragt, ob nicht möglicherweise eine eigene Bemerkung beim G-7-Gipfel dazu notwendig ist. Aber – an die Bundesregierung und den Gesundheitsminister gerichtet – ein privat deklariertes politisches Techtelmechtel reicht aus meiner Sicht überhaupt nicht aus, dieser Provokation entgegenzutreten, sondern befördert sie eher. ({1}) Der dritte Punkt ist, mit Partnern Differenzen zu lösen. Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung in der Ukraine, aber auch in Russland Vorschläge zu Nord Stream gemacht hat. Aber ich finde genauso richtig: Man darf nicht dem Diktat des Handlungsreisenden Trump in Sachen Flüssiggas und insbesondere Rüstungsindustrie nachkommen. Das gehört genauso zu einer selbstbewussten deutschen, aber auch europäischen Außenpolitik. ({2}) Aber wenn wir über G 7 sprechen, dann geht es um mehr. Es geht darum, dass wir uns darüber klarwerden, dass die internationale Ordnung nicht nur durch Trump, durch Putin, durch Erdogan und durch viele andere herausgefordert wird; das sind im Grunde genommen nur Einzelpersonen. Vielmehr geht es letztlich darum, dass sich die Struktur auf der internationalen Ebene ändert. Ich glaube, es war kein Zufall, dass sich fast parallel zum G-7-Treffen die Schanghai-Kooperation getroffen hat, die Volksrepublik China sozusagen an ihrer Spitze, die im Grunde genommen versucht, die internationale Ordnung in Asien zu konzentrieren und dort ihren Einfluss wirken zu lassen. Asien trägt heute 50 Prozent zum derzeitigen Weltwirtschaftswachstum bei. In zwei Ländern Asiens lebt ein Drittel der Weltbevölkerung. Dass Asien in Zukunft das Zentrum der internationalen Ordnung sein wird, ist vor dem Hintergrund des G-7-Treffens von Bedeutung. Weitere strukturelle Faktoren, die deutlich werden, sind auf der einen Seite die nachholende Entwicklung in einigen Ländern Asiens, teilweise auch in einigen Ländern Lateinamerikas und auf der anderen Seite der Staatszerfall. Das korrespondiert zusätzlich mit dem, was wir auf dem G-7-Gipfel erlebt haben, dass nämlich zu wenig über Klima, über die Frage von Rohstoffverteilung, die Frage von Flucht und der Eingrenzung von Kriegen gesprochen wird. Gleichzeitig sehen wir leider auch, dass es eine Rückkehr von Geopolitik gibt. Deswegen glaube ich: „Die Welt aus den Fugen“ ist die richtige Beschreibung, aber am Ende reicht diese Beschreibung nicht aus. Die Welt ordnet sich neu. Meine Damen und Herren, wir haben gar keine andere Wahl, als uns auf Europa zu konzentrieren; denn wenn wir in dieser neuen internationalen Ordnung vorkommen wollen, können wir es nur mit Partnerinnen und Partnern an unserer Seite tun – mit den Menschen ebenso wie mit den Regierungen der Länder. Den Wohlstand mehren, auch den Wohlstand in Deutschland, heißt, Strukturgefälle in Europa abzubauen. Ich bin dankbar, dass der deutsche Außenminister gestern in einer wirklich beachtenswerten Rede diese unterschiedlichen Facetten des europäischen Weges beschrieben hat. Aber Europa reicht nicht aus. Deutschland hat sich um einen nichtständigen Sitz im Weltsicherheitsrat beworben und ist dort mit einer überwältigenden Mehrheit gewählt worden. Das zeigt: Wir brauchen auf der einen Seite die Gestaltung Europas und müssen auf der anderen Seite die internationale Ordnung auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen, die uns nach dem Zweiten Weltkrieg zumindest hier, in diesem Teil Europas, in dem wir leben, einigermaßen Frieden gesichert hat, schaffen. Das hat viel mit einer internationalen Ordnung zu tun, die auf Regeln, auf Werten und Verlässlichkeit begründet worden ist. Dafür, finde ich, lohnt es sich, mit Europa ebenso wie mit den Vereinten Nationen zusammenzustehen. ({3}) Der Koalitionsvertrag gibt Antworten in der Außen-, Sicherheits-, Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik. Mir persönlich ist noch mal ganz wichtig, daran zu erinnern: Wir haben uns darüber verständigt, dass Abrüstung ein wichtiges Thema der Mitgliedschaft Deutschlands als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat ist. Aber – ich sage das sehr deutlich, auch in Richtung der Bundesregierung – auch bei den Rüstungsexporten haben wir klare Vereinbarungen getroffen, gerade bei den Kleinwaffen. Ich erwarte, dass wir als Parlament gemeinsam das, was wir verabredet haben, mit dieser Regierung verwirklichen, auch mit dem Wirtschaftsminister. ({4}) Der dritte Punkt. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir gegenüber Russland versuchen, nicht nur im Gespräch zu bleiben, sondern auch die Chancen, die sich um Russland herum entwickelt haben – nämlich die regionalen Formate –, schätzen zu lernen, sowohl die Eurasische Wirtschaftsunion als auch die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit. Hier bieten sich Chancen, nicht nur bilateral zusammenzuarbeiten, sondern insbesondere der regionalen Zusammenarbeit zum Durchbruch zu verhelfen – auch im Hinblick auf Asien. Deswegen sage ich: Heute und in den nächsten Wochen und Monaten beweist sich, ob die Demokratie die überlegenere Form ist, um diese internationale Ordnung mitzugestalten und neu zu bauen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Michael Link. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer hätte gedacht, dass sich ein amerikanischer Präsident einmal so aufführt, als sei das G-7-Treffen ein Showdown unter Gegnern, während er sich gleichzeitig mit dem nordkoreanischen Diktator trifft und scheinbar ein Fest unter Freunden feiert. Verrückte Welt, kann man nur sagen. Ja, verrückte Welt, aber ganz im Ernst füge ich hinzu: Gerade als langjähriger und weiterhin überzeugter Transatlantiker kann ich nicht anders, als daraus eines zu folgern: Wir als Europäische Union müssen bereit sein, einem US-Präsidenten mit klarer Kante entgegenzutreten, wenn dieser gemeinsame Regeln bricht, die Wahrheit biegt, Verträge ignoriert, das Recht des Stärkeren predigt und mit Verbündeten redet, als kämen sie aus Schurkenstaaten. ({0}) Kurz: Wenn er mit der Abrissbirne durch das geht, was wir nach 1990 gemeinsam mit den USA in vielen verschiedenen Vertragswerken aufgebaut haben, dann muss das Konsequenzen haben. Gegen die Alleingänge solcher vermeintlich starken Anführer müssen wir umso mehr auf starke Institutionen setzen. Multilaterale Handelsforen und internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen brauchen wir aus einem ganz einfachen Grund: weil in unserer hypervernetzten Welt Alleingänge die Sicherheit aller aufs Spiel setzen. Für die Freien Demokraten steht deshalb fest: Die EU muss gerade nach diesem G-7-minus-1-Gipfel noch viel entschiedener klar sagen, dass die EU sich für die multilaterale Weltordnung einsetzt. Da gibt es drei ganz klare To-dos. Erstens. Die Kräfte bündeln – viele Vorredner haben das heute schon gesagt –; also eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Zweitens. Wir müssen international neue Formate suchen, in denen wir – leider –, wenn nötig auch ohne die USA, Fortschritte machen. Drittens. Wir müssen über den Atlantik hinweg in den USA die Kontakte intensivieren: in den Kongress, in die Bundesstaaten, zu den Gouverneuren, zu all denen, die zu den Verlierern dessen gehören werden, was Trump jetzt macht. Zum ersten Punkt. Auf der Weltbühne brauchen wir für die EU, ganz klar, mehr Durchsetzungskraft. Die gibt es nur mit einer echten gemeinsamen europäischen Außenpolitik. Um dahin zu kommen, müssen wir endlich Mehrheitsentscheidungen in der EU-Außenpolitik einführen und die Stellung und Ausstattung der Hohen Vertreterin stärken. ({1}) So könnten wir schneller und wesentlich häufiger mit einer Stimme sprechen. Einen entsprechenden Antrag dazu haben wir vorgelegt. Lassen Sie uns daran arbeiten. Auch für militärische Krisenfälle müssen wir uns wappnen, um international ein glaubwürdiger und handlungsfähiger Partner zu sein. Gleichzeitig machen wir uns dadurch auch weniger abhängig von den schwankenden Gemütslagen im Weißen Haus. Deshalb unterstützen wir als FDP nachdrücklich den Aufbau und Ausbau der europäischen Verteidigungsunion und der gesamten zivilen Kriseninstrumente der EU. Zweitens. In der Kooperation mit unseren internationalen Partnern müssen wir Neues wagen. Wieso nicht die Gelegenheit nutzen und viel intensiver mit gleichgesinnten Ländern wie Kanada, Mexiko, Japan, Australien und Neuseeland zusammenarbeiten, aber auch mit Lateinamerika, Südafrika, Nigeria, Kenia, Indien und den ASEAN-Staaten? Mit einigen dieser Staaten sind wir als EU gerade im Begriff, Freihandelsabkommen zu verhandeln und abzuschließen. Lassen Sie uns das zügig tun, und haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, bitte den Mut, diese Abkommen dann auch zu ratifizieren. Sie haben heute wieder eine Gelegenheit verstreichen lassen, das zu tun. Es wäre wichtig gewesen, den deutlichen Schulterschluss mit unseren kanadischen Freunden heute zu unterstreichen. Die Haltung, CETA nicht zu ratifizieren, wird nur Trump helfen. ({2}) Zum dritten Punkt. Was können wir in den USA selbst tun? Hier gilt zunächst: Verfallen wir nicht in Antiamerikanismus. Transatlantiker werden gerade jetzt gebraucht; denn die USA sind vielschichtiger, bunter und weltoffener als ihr gegenwärtiger Präsident, und sie haben eine funktionierende Verfassung mit starken Parlamentsrechten und Bundesstaaten. Ich will zum Abschluss darauf zu sprechen kommen, dass gerade jetzt eine Initiative von demokratischen und republikanischen Senatoren vorgebracht wurde, um die Vorrechte des Präsidenten in der Handelspolitik zu unterbinden. Ein wichtiger Schritt, mit dem das amerikanische Parlament Farbe bekennt. Lassen Sie uns auch Farbe bekennen. Die Bundesregierung hat es geschafft – Gratulation! –, in den UN-Sicherheitsrat gewählt zu werden. Eine Zeitlang während der Zeit im UN-Sicherheitsrat wird Deutschland – ganz wichtig – auch die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Wieso nicht den deutschen Sitz in einen tatsächlichen europäischen Sitz einbetten? Wir könnten hier, in enger Abstimmung mit den europäischen Partnern, beispielhaft vorangehen, für mehr Multilateralismus, für die Stärke des Rechts und gegen das Recht des Stärkeren. Vielen herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich rufe den nächsten Redner, Kollege Fabio De Masi, für die Fraktion Die Linke auf. ({0})

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach dem G-7-Gipfel in Kanada lief US-Präsident Donald Trump Amok. Er kündigte die Vereinbarungen der mächtigen Industrienationen via Twitter auf und drohte erneut mit einem Handelskrieg. So weit, so schlecht. Die Bundeskanzlerin verkündete, Europa müsse sein Schicksal zukünftig selbst in die Hand nehmen. Meine Fraktion begrüßt ausdrücklich eine gegenüber den USA unabhängigere Wirtschafts- und Außenpolitik Europas. ({0}) Aber was heißt das konkret? Wird ab jetzt zurückgetwittert? Meinen Sie wirklich, dass sich der Spaßvogel in Washington durch Strafzölle auf Motorräder von Harley-Davidson, Levi’s Jeans oder Whiskey beeindrucken lässt? Die Einzigen, die das juckt, sind vielleicht die Hells Angels. Die Zeiten, in denen der große Bruder USA mit Dollars um sich geworfen hat, um deutsche Maschinen oder Autos zu kaufen, sind vorbei. Dies bedeutet aber auch: Die Zeiten, in denen Deutschland durch gute Ingenieure, durch zu schwache Löhne oder aber auch Abgastricks die Weltmärkte erobert hat, sind ebenso vorbei. Strafzölle auf Autos könnten das Waterloo der deutschen Wirtschaft werden; denn der Anteil der Automobilindustrie inklusive Zulieferer liegt bei etwa 8 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts. Meine Fraktion hat immer wieder gewarnt: Deutschland verkauft durch seine unzureichenden Löhne und durch seine unzureichenden öffentlichen Investitionen immer mehr ins Ausland, als es von dort einkauft. Ich wiederhole es gerne: Die USA sind nicht Griechenland. Es macht einen Unterschied, ob ein Schäferhund, ein Hamster oder ein Pitbull beißt. ({1}) Trump macht manchmal, was er sagt. Ich zitiere: I’d throw a tax on every Mercedes-Benz rolling into this country … Oder kürzer: No more BMW on Fifth Avenue. Dieses Wirtschaftsprogramm verkündete Trump bereits 1990 im „Playboy“-Magazin. Ich weiß, dass es regelmäßig die Fantasie männlicher Kollegen beflügelt – wie bei der Befragung der Bundeskanzlerin –, wenn ich aus dem „Playboy“ zitiere. Allerdings war ich 1990 zehn Jahre alt und hatte andere Interessen. Die Bundeskanzlerin verkündet Ihre Europapolitik ja neuerdings auch in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Viel mehr Substanz als der „Playboy“ hat das Europaprogramm der Kanzlerin aber auch nicht. ({2}) Ein Kolumnist der „Financial Times“ schrieb kürzlich zum G-7-Fiasko, die Bundeskanzlerin habe keine Anstalten gemacht, die hohen Exportüberschüsse Deutschlands abzubauen. Dies sei eine der tieferen Ursachen für den Kollaps des regelbasierten Handelssystems und für die Probleme der Euro-Zone. Es ist daher auch naiv, zu glauben, Frankreich oder Italien würden so freundlich sein, durch eine Senkung von Zöllen auf US-Autos Deutschland aus der Schusslinie Trumps zu nehmen, nachdem die Bundesregierung ihnen über Jahre erklärt hat, dass Europa deutsch spreche, und sie gedemütigt hat. Die beste Antwort, die Deutschland daher auf Trump geben kann, lautet: ein Mindestlohn von 12 Euro gegen Armutsrenten, ({3}) das Hartz-IV-System überwinden, ein Verbot von sachgrundloser Befristung und ausufernder Leiharbeit und mehr öffentliche Investitionen in Universitäten oder digitale Infrastruktur. ({4}) Das würde die Lebensverhältnisse vieler hart arbeitender Menschen schlagartig verbessern, das würde die Binnenwirtschaft stärken, die Exportüberschüsse kontrolliert verringern und Europa einen. So geht „Europe United“. ({5}) Die Bundeskanzlerin hat eine Rückkehr Russlands in das G-8-Format unter Verweis auf Völkerrechtsbrüche Russlands auf der Krim ausgeschlossen. Meine Fraktion kritisiert den Bruch des Völkerrechts – auch gegenüber Russland. ({6}) Dies gilt unbeschadet der Fehler der EU in der Ukraine und der zunehmenden Einkreisung Russlands durch die NATO. Aber: Eine wertegeleitete Außenpolitik könnte in der Bibel fündig werden. In der Bergpredigt Jesu heißt es: Was siehst du aber den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken aber in deinem Auge bemerkst du nicht? ({7}) Haben die USA nicht unzählige Völkerrechtsbrüche zu verantworten? Was ist mit dem Irakkrieg, den die Bundeskanzlerin einst befürwortete? Was ist mit der Kündigung des Atomabkommens mit dem Iran durch die USA? Was ist mit den US-Bombardements in Syrien, welche die Bundesregierung begrüßte, noch bevor UN-Ermittler ihre Untersuchung zum potenziellen Einsatz von Giftgas durchführen konnten? Wenn das Völkerrecht der Maßstab der G 7 ist, müsste sich das Gremium bald in G 1 oder G 0 umbenennen, und auch die Kanzlerin dürfte nicht mehr fahren. Ich möchte daher zum Schluss die Frage aufwerfen, ob die G 7 nicht längst überholt sind. ({8}) Die Weltwirtschaft lässt sich nicht mehr ohne Länder wie China, Russland oder Brasilien erfolgreich gestalten. Wir brauchen daher eine Stärkung der Vereinten Nationen und eine neue Entspannungs- und Ostpolitik gegenüber Russland. ({9}) Die USA wenden sich ab. Es ist daher im europäischen Interesse, die Sanktionen gegenüber Russland aufzuheben und zu einer Politik der guten Nachbarschaft zurückzukehren. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben alle, wie ein US-Präsident mit einem Tweet einen schwierig ausgehandelten und eh bereits dünnen Kompromiss in die Tonne tritt. Wir erleben, wie ein US-Präsident sich nicht im Geringsten für bedeutende internationale Abkommen wie zum Beispiel das Iran-Abkommen interessiert. Natürlich ist dieses Abkommen nicht perfekt, aber es ist das Beste, was wir in dem Bereich haben. Die USA interessieren sich nicht dafür. ({0}) Wir erleben, wie ein US-Präsident einen der bedeutendsten völkerrechtlichen Verträge der letzten Jahrzehnte, das Pariser Klimaschutzabkommen, einfach aufkündigt. In dieser dramatischen Lage haben eigentlich alle vernünftigen Kräfte – in Deutschland, in Europa – verlangt, dass die Europäische Union stärker zusammenarbeiten muss, dass Europa gestärkt werden muss. ({1}) Dafür gibt es eine ganze Reihe guter Gründe. Die Herausforderungen sind für einzelne Länder innerhalb Europas, die im Verhältnis zu solchen Mächten wie China, Indien oder auch den USA sehr, sehr klein sind, zu groß. Um diesen großen Herausforderungen zu begegnen, braucht es die Zusammenarbeit. Um das alleine anzugehen, dafür ist auch das im Verhältnis mächtige und bedeutende Deutschland deutlich zu klein. Und deshalb – unter anderem deshalb – brauchen wir eine deutlich stärkere Europäische Union und eine engere Zusammenarbeit. ({2}) Man hätte erwarten können, dass die Regierung daraus Konsequenzen zieht. Wir haben gesehen, wie die Bundesregierung – Frau Merkel und Herr Altmaier – angesichts der drohenden Zölle, als die EU-Kommission einen Vorschlag gemacht hat, versucht hat, auf eigene Rechnung hinter dem Rücken der EU-Kommission und der europäischen Partner einen Deal mit den USA auszuhandeln. Wir haben gesehen, wie die Bundesregierung verhindert hat, dass das Pariser Klimaschutzabkommen ein wesentlicher Bestandteil des nächsten Mandats für die Verhandlungen über die Handelsabkommen mit Australien und Neuseeland wird, so wie der französische Präsident das wollte. Man hätte eigentlich erwarten können, dass nach all den Schwierigkeiten auf dem G‑7-Gipfel damit jetzt endlich Schluss ist. Aber was haben wir heute erlebt? Wir haben heute erlebt, dass eine CDU/CSU-Bundestagsfraktion, insbesondere der CSU-Teil, nicht davor zurückschreckt, aus billigen Wahlkampfgründen, aus billigsten Wahlkampfgründen die Stabilität der Regierung, damit die Stabilität Deutschlands und damit die Stabilität der Europäischen Union zu gefährden. Das ist mehr als hochproblematisch. ({3}) Ich erwarte von den Regierungsfraktionen, und zwar insbesondere von der CDU/CSU, dass sie endlich zu vernünftigem Handeln zurückkehren. Wir sehen doch, dass um uns herum die Welt in Aufruhr ist, dass wir in größten Schwierigkeiten stecken. Und Sie führen hier ein solches Schmierentheater auf. Wo ist denn Ihre Verantwortung geblieben? ({4}) Was ist denn angesichts von Trump, von Erdogan, angesichts des Aufstiegs von China, einem mächtigen, autokratischen Regime, eigentlich nötig? Was wir bräuchten, um den Multikul – – den Multilateralismus zu retten – – ({5}) – Dass Sie nicht verstehen, was internationale Zusammenarbeit ist, ({6}) ist offensichtlich. Ich verstehe, ehrlich gesagt, angesichts Ihrer Gesinnung, dass Sie lachen und sich lustig machen über die großen Probleme in dieser Welt, ({7}) aber Sie sollten sich schämen für Ihr Verhalten. ({8}) Sie sind ein Problem für dieses Land, und Sie sind ein Problem für die internationale Zusammenarbeit. Überall, wo solche wie Sie an der Macht sind, geht es den Menschen schlecht, ({9}) haben wir international Probleme und werden die Schwierigkeiten nur größer. Es ist bezeichnend, dass Sie sich darüber freuen. ({10}) Was brauchen wir, um die multilaterale Zusammenarbeit zu stärken? Wir brauchen eine engere Zusammenarbeit in Europa. Man muss sich darum kümmern, dass sich die südeuropäischen Staaten nicht weiter ausgegrenzt und abgehängt fühlen. Da braucht es Investitionen und ein Ende der Austerität. ({11}) Aber man muss sich auch um die osteuropäischen Staaten kümmern. ({12}) Eines der größten Probleme für Polen zum Beispiel – eine nicht einfache Regierung – ist das Festhalten Deutschlands an Nord Stream 2. ({13}) Warum geben Sie nicht endlich Nord Stream 2 auf? Es würde viele Probleme innerhalb der Europäischen Union lösen. ({14}) Wenn die Europäische Union stärker zusammenarbeiten würde, dann hätten wir auch Chancen, viele Probleme anzugehen. Selbstverständlich braucht es strategische Zusammenarbeit auch mit schwierigen Regimen, wenn es um die Rettung des Iran-Abkommens geht. Es braucht auch die Zusammenarbeit mit China. Aber was wir insbesondere brauchen, ist eine vertiefte Zusammenarbeit mit allen demokratischen Staaten, damit sich die demokratischen, an Multilateralismus und Klimaschutz interessierten Staaten nicht weiter von Trump rumschubsen lassen. Das ist das, was wir bräuchten. Dafür bräuchten wir eine handlungsfähige Bundesregierung. Deshalb erinnern Sie sich an Ihre Verantwortung, und beenden Sie dieses Schmierentheater! Vielen Dank. ({15})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte dem Kollegen Hofreiter gegenüber meine Verwunderung zum Ausdruck bringen, dass der Repräsentant der Partei, die für den streitbaren Dialog in der Politik steht, ein Problem damit hat, dass Abgeordnete in ihren entsprechenden Gruppen über schwierige und wichtige politische Fragen intensiv diskutieren. ({0}) Das braucht man hier nicht als Schmierentheater zu diffamieren. Es ist schlicht und einfach lächerlich, dass die Grünen das als Schmierentheater bezeichnen. ({1}) Sie bringen hier ein Politikverständnis zum Ausdruck, das diametral dem entgegensteht, mit dem Sie groß geworden sind und mit dem Sie angetreten sind. ({2}) Ich möchte ergänzend zu dem, was eine Reihe von Vorrednern bereits gesagt hat, zwei Aspekte zur Diskussion über die Schlussfolgerungen aus dem G-7-Gipfel in Kanada beisteuern. Ich fand, es war ein Affront des amerikanischen Präsidenten, per Twitter im Flugzeug die Unterschrift zurückzuziehen. Aber was mich noch mehr beunruhigt hat, sind die Worte, die er gewählt hat: erst gegenüber Justin Trudeau – „dishonest & weak“; ich nehme den kanadischen Premierminister ausdrücklich in Schutz vor dieser Bezeichnung – und dann, wenig später, gegenüber Kim Jong Un, dem Diktator Nordkoreas, der Blut an den Händen hat, der seinen Halbbruder hat umbringen lassen, der einen General hat hinrichten lassen, weil er sich mit über 70 Jahren erlaubt hat, in einer Konferenz mit dem Präsidenten einzuschlafen. In Nordkorea sitzen Hunderte, Tausende, Zehntausende Menschen in Hungerlagern, nur weil sie zufälligerweise irgendwann mal an der falschen Stelle nicht den richtigen Besen geschwungen haben oder sich eine andere Nachlässigkeit, ein Versäumnis haben zuschulden kommen lassen. Den als jemanden zu bezeichnen, der „wundervolle Sachen für sein Land“ vorhat, finde ich, offen gesagt, hart an der Grenze dessen, was man noch irgendwie nachvollziehen kann. Das müssen wir auch sagen. ({3}) Ich finde, auch das, was der amerikanische Präsident zum Thema Handelspolitik vorträgt, ist schlicht falsch und intellektuell nicht nachvollziehbar. Wir haben zwischen der Europäischen Union und Nordamerika, den USA, einen Handelsüberschuss, aber wir haben eine ausgeglichene Leistungsbilanz; denn den Handelsströmen von Gütern in Richtung USA, zum Beispiel deutsche Autos oder deutsche Maschinen, stehen zu einem Drittel Dienstleistungen – wir alle nutzen amerikanische Dienstleistungen in Massen, gerade im Bereich der Software und der IT – und zu zwei Dritteln Gewinne entgegen, die Amerikaner in Europa machen und nach Amerika transferieren; sonst würde das mit dem Wechselkurs zwischen Euro und Dollar auch nicht hinhauen. Wenn der amerikanische Präsident jetzt sagt: „Die amerikanischen Bürger werden mit deutschen Autos überschwemmt“, so stelle ich nüchtern fest: Derjenige, der in Amerika ein deutsches Auto kauft, kauft ein Auto am oberen Ende der Preisskala. Er kauft es nicht, weil es billig ist, sondern weil er es gut findet, schick findet, weil es gut fährt – wie wir wissen, stimmt das. Der amerikanische Präsident beschreitet mit seiner Politik einen Weg, der dahin führt, dass der amerikanische Bürger für schlechtere Qualität mehr zahlen muss. Ob es dies ist, was seine Wähler von ihm wollten, wage ich zu bezweifeln. Auch die Industrie wird in Schwierigkeiten kommen. Ein Vertreter eines amerikanischen international tätigen Unternehmens hat mir gesagt: Wir kaufen unseren Stahl in Südkorea. Wir kaufen ihn aber nicht in Südkorea, weil er der billigste ist, sondern weil die Qualität, die Liefersicherheit und die ganzen Dinge stimmen, die eine Rolle spielen, wenn man eine Maschine herstellt und pünktlich liefern muss. – Ich vermute, dass die amerikanische Stahlindustrie überhaupt nicht in der Lage wäre, die Importe aus Europa oder aus China durch Produkte mit gleicher Qualität und Lieferverlässlichkeit zu ersetzen, mit dem Ergebnis, dass zum Beispiel amerikanische Maschinenbauer, die in Amerika Maschinen bauen, im Zweifel mehr für ihren Stahl zahlen müssen als heute. Das schwächt Amerika, und wir müssen mit unseren Kollegen eine Diskussion darüber führen. Was die Zölle angeht, haben wir die höchsten Zölle zwischen Europa und den USA im Bereich der Spirituosen: 82 Prozent auf schottischen Whiskey, Schwarzwälder Obstbrand und Elsässer Obstbrand. Ich kann also auch in der Zollliste die Dinge herauspicken, auf die die Amerikaner besonders hohe Zölle erheben. Aber wenn man es gewichtet vergleicht, liegt das Niveau der Zölle der USA auf europäische Industriegüter bei 2,82 Prozent und das Niveau der Zölle der EU auf US-Produkte bei 2,79 Prozent. Es ist also praktisch komplett ausgeglichen. Wir müssen bei unseren Terminen und Besuchen auf dem Hill, bei Kollegen im US-Kongress, immer wieder vortragen – dazu kann ich alle Fraktionen herzlich auffordern –, dass der Präsident schlicht und einfach Unsinn erzählt, wenn er die Handelssituation zwischen den USA und Europa beschreibt. Danke schön. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die AfD-Fraktion hat das Wort der Kollege Enrico Komning. ({0})

Enrico Komning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004787, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Liebe Bürger! Die heute aus wohl nachvollziehbaren Gründen nicht anwesende Bundeskanzlerin hat auf dem G‑7-Gipfel in der vergangenen Woche einmal mehr grandios versagt. Eine gemeinsame Abschlusserklärung hat sie am Ende nicht erreicht, kein politisches Ziel hat sie umgesetzt, und das, Kollege Hardt, lag doch nicht nur an Trudeau. Das fortgesetzte Brüskieren Donald Trumps ist der falsche und insbesondere wirtschaftspolitisch der falsche Weg. ({0}) Es wird immer so getan, als sei es der amerikanische Präsident, der alle getroffenen Vereinbarungen einseitig aufkündigt. Das ist schlicht nicht wahr. Schließlich war es die EU auf Druck von Frankreich und Deutschland, die den TTIP-Prozess einseitig gestoppt hat. Sie haben doch den Gesprächsfaden abreißen lassen. Statt konspirative Lobbyverhandlungen für Großkonzerne geheimnistuerisch in Hinterzimmern zu führen, hätten Sie besser Ihre Antipathie im Schrank verschließen und ein transparentes Abkommen für die europäischen Bürger verhandeln sollen. ({1}) Es gab dazu die Möglichkeit; Sie haben es verpatzt und die heutige, von Misstrauen geprägte Situation heraufbeschworen. Ihr Bekenntnis zum freien Welthandel, gerade auch in der Beziehung zu den Vereinigten Staaten, ist unehrlich. Laut der Zolldatenbank des ifo-Instituts – Herr Hardt, ich weiß nicht, wo Sie Ihre Zahlen herhaben – liegt der Durchschnittszoll der EU auf US-Produkte bei 5,2 Prozent, während der US-Zoll auf EU-Produkte im Schnitt bei nur 3,5 Prozent, also wesentlich niedriger, liegt. ({2}) In den wichtigen Bereichen Auto und Agrarprodukte legt die EU den amerikanischen Unternehmen derart hohe Hürden in den Weg, dass der Zugang zum EU-Markt trotz Wettbewerbsfähigkeit praktisch verbaut ist. ({3}) Und deshalb ist es doch nachvollziehbar, dass Trump von diesem offensichtlich bestehenden Ungleichgewicht wegkommen will und die eigene Industrie stärken möchte. Heute hat die EU dem Vorschlag der Kommission zur Verhängung von Strafzöllen zugestimmt. Mit Ihren Strafzöllen, meine Damen und Herren, wollen Sie doch Trump in Wahrheit nur einen reinwürgen; denn Stahl, Textilien und Getreide sind alles Produkte, die vornehmlich im Mittleren Westen, also in Trump-Staaten, hergestellt werden. Glauben Sie ernsthaft, so den amerikanischen Präsidenten kleinzukriegen? Der freie Welthandel ist Ihnen doch völlig egal. Ansonsten hätte doch Deutschland größtes Interesse an einer längst überfälligen Normalisierung der Beziehungen zu Russland – einem Markt mit 142 Millionen Menschen. Wir wollen einen freien Welthandel, gerade auch im Rohstoff- und Technologiebereich. Das ist in unserem ureigensten deutschen Interesse. Wir als Hochtechnologiestandort sind nämlich auf die Zuliefererindustrie aus dem Ausland angewiesen. Zölle sind dabei nur hinderlich, auch weil wir Rohstoffe fast gänzlich einführen müssen. ({4}) Deshalb ist es erst einmal nicht an Trump, Zölle zu senken, sondern an uns Europäern; sonst riskieren Sie nämlich auch, dass die deutsche Automobilindustrie vollends versenkt wird. Schauen Sie einmal nach China! Die konnten sich mit den Amerikanern einigen, und wir kriegen das nicht hin. Mit Ihren Strafmaßnahmen werden Sie nichts erreichen. Manchmal ist es richtig, Feuer mit Feuer zu bekämpfen, Sie hingegen riskieren einen Flächenbrand, den Sie dann nicht mehr unter Kontrolle haben. ({5}) Herr Trump macht genau den Job, den Sie seit Monaten und Jahren trotz Ihres Eides bewusst nicht mehr machen, liebe Bundesregierung: Er kümmert sich nämlich um sein Land und seine Leute. Ich sage Ihnen schon jetzt: Wenn Sie darauf bauen, dass Trump in zweieinhalb Jahren abtreten wird, dass Sie ihn nur noch zweieinhalb Jahre ertragen müssen, dann werden Sie ein böses Erwachen erleben; denn Politiker, die sich um ihr Volk kümmern, werden wiedergewählt, meine Damen und Herren. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Falko Mohrs für die SPD-Fraktion. ({0})

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in der Tat einen dramatischen Gipfel erleben müssen. Jetzt, im Nachgang, heißt es, den Gipfel nüchtern, ohne Panik und mit der gebotenen Klarheit zu betrachten und zu analysieren. Wir müssen feststellen, dass Trump mit seinem Verhalten an der Weltordnung, so, wie wir sie kennen und wie wir sie wollen, rüttelt. Wir brauchen – das muss man dem Milliardär Trump offensichtlich sagen – vielmehr den ehrbaren Kaufmann statt den Twitterkönig. Wir brauchen jemanden, der Verantwortung für diese Welt übernimmt, und niemanden, der seine Handelspolitik von Tweet zu Tweet lebt. ({0}) Wir brauchen Augenmaß. Es heißt jetzt, eine Spirale zu verhindern, damit wir eben nicht in einen Handelskrieg, wie er von einigen heraufbeschworen wird, hineingeraten. Deswegen war es auch wichtig, dass sich die Europäische Union Mitte Mai auf den Weg nach Sofia gemacht hat und den USA eine positive Handelsagenda angeboten hat. Leider – das mussten wir erleben – völlig ohne Resonanz. Fakt ist, dass über 50 Prozent des Handels zwischen der Europäischen Union und den USA ohne Zölle ablaufen. Herr Komning, vielleicht liegt es daran, dass Ihnen Ihre Reden aufgeschrieben werden, vielleicht liegt es daran, dass Sie die Statistiken, die Sie zitieren, nicht zu Ende lesen oder nicht verstehen; ich kann Ihnen das nicht beantworten. Wenn Sie dem Kollegen Hardt zugehört hätten, dann wüssten Sie, dass er von gewichteten Zöllen gesprochen hat. Gewichtete Zölle sind die Maßgabe, wenn man über internationale Handelspolitik spricht. Vielleicht lesen Sie einmal nach oder fragen denjenigen, der Ihre Rede geschrieben hat, dann wissen Sie auch, worüber wir eigentlich sprechen. ({1}) – Richtig, genau, Sie haben das ifo-Institut zitiert. Wenn Sie weiterlesen, was das ifo-Institut geschrieben hat – tun Sie es einfach mal –, ({2}) dann werden Sie das auch verstehen. Wir erleben, dass der freie, faire und regelbasierte Handel, wie wir ihn wollen und brauchen, infrage gestellt wird. Dabei ist es gerade dieser faire Handel, der unseren Wohlstand sichert, und das in beiden Volkswirtschaften. Knapp 4 000 Tochterunternehmen von deutschen Unternehmen schaffen in den USA rund 700 000 Arbeitsplätze. Das Handelsvolumen im transatlantischen Wirtschaftsraum beträgt gut 2 Milliarden Euro, wodurch – das ist übrigens die Schätzung des amerikanischen Commerce Center – rund 15 Millionen Arbeitsplätze gesichert werden. Wir haben erlebt – vor allen Dingen die USA mussten das erleben –, dass die Einführung von Strafzöllen 2002 zulasten von Arbeitsplätzen ging. Als der damalige amerikanische Präsident George W. Bush Strafzölle eingeführt hat, wurden, so die Schätzungen, rund 200 000 Arbeitsplätze vernichtet. Genau das gilt es durch Politik mit Augenmaß zu verhindern. ({3}) Deswegen ist es unser großes Interesse, für ein geeintes und starkes Europa Politik zu machen. Wenn Trump „America first!“ ausruft, dann müssen wir dem ein starkes, einheitliches Europa entgegensetzen. ({4}) Herr Hartwig, Sie sollten verstehen, dass Populisten und Spalter wie Sie Länder wie Großbritannien aus der Europäischen Union herausdrängen – sowohl bei uns wie auch dort. Das gefährdet unseren Wohlstand, weil das die Europäische Union schwächt. ({5}) Mit der Europäischen Union haben wir einen Wirtschaftsraum mit über 512 Millionen Einwohnern. In diesem Binnenmarkt schaffen wir im handelspolitischen Bereich, im digitalpolitischen Bereich und wenn es um die Freiheit des Reiseverkehrs sowie des Kapital- und Warenverkehrs geht, einen fairen, auf Spielregeln basierenden Wettbewerb in Europa. Das hat uns nicht nur ein immenses Friedensprojekt und gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt gebracht, nein, das ist auch in Zukunft unser Garant dafür, dass Europa ein weltpolitisches Gewicht hat. Dieses Gewicht, dieses Europa, diese historische Leistung, die dürfen wir uns nicht kaputtmachen lassen, weder von jemandem aus diesem Haus noch von jemandem von außerhalb. Es gilt, für Europa zu kämpfen. Dafür wird diese Bundesregierung eine verantwortungsvolle Politik machen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sandra Weeser für die FDP-Fraktion. ({0})

Sandra Weeser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004929, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Während der ganzen Debatte haben wir öfter gehört: Trump ist nicht zu trauen, er ist unberechenbar. – Ich habe mir aber auch die Frage gestellt: Kann er uns überhaupt glauben? Wir halten hier ergreifende Reden über die Bedeutung eines regelbasierten Welthandels, und jeder hat sich hier für ein starkes Europa ausgesprochen; aber heute Morgen ist mit großer Mehrheit die CETA-Ratifizierung hier im Plenum abgelehnt worden. ({0}) – Leider applaudieren Sie. – Einige haben ihr Bedauern darüber ausgesprochen. Trotzdem kann ich zu meinem großen Bedauern jetzt offenbar nur für die Freien Demokraten sprechen, wenn ich sage: Wir wollen weniger Zölle, und wir wollen weniger Handelshemmnisse. Wir wollen klare, demokratisch beschlossene und verlässliche Regeln im Welthandel. Wir würden deshalb lieber heute als morgen in zukunftsweisende Verhandlungen mit den USA eintreten. Nach meiner Überzeugung hat auch der Korea-Gipfel diese Woche eines eindeutig gezeigt: Trump lebt in Bildern und in Inszenierungen. Wir müssen doch mal schauen: Was für Inszenierungen und Bilder bieten wir denn? Theresa May fährt alleine nach Washington, Emmanuel Macron fährt alleine nach Washington, Kanzlerin Merkel fährt alleine nach Washington. Alle zusammen kommen zu einem G-7-Gipfel, bei dem die EU, die alleine zuständige Institution, wenn es um Zölle und Handelsabkommen geht, völlig am Rand steht. Und dann soll Trump uns glauben? Wir haben zwar gute sachliche Argumente: Ja, US-Strafzölle sind nicht WTO-konform; ja, die Begründung mit Sicherheitsinteressen ist gegenüber NATO-Verbünden absolut absurd; ja, die EU insgesamt hat ein Leistungsbilanzdefizit gegenüber den USA, und ja, es ist ökonomisch in einem Binnenmarkt völlig unsinnig, allein den Handelsbilanzüberschuss von Deutschland gegenüber den USA herauszupicken. Das ist genauso, als wenn sich die EU über ihr Dienstleistungshandelsdefizit gegenüber Kalifornien aufregen würde. Aber wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass die Argumente, die wir liefern, überhaupt nicht zu Trump durchdringen, weder zu ihm noch zur amerikanischen Gesellschaft. Und wir können doch beim besten Willen nicht so tun, als ob in Deutschland nur glühende Verfechter des Freihandels leben würden. Wer Freihandel will, der darf nicht nur Worte machen, sondern der muss jetzt langsam auch mal handeln. Und wir müssen dem Prinzip Freihandel ein Gesicht geben. ({1}) Michael Link, du hast eben gesagt: Wir müssen Neues wagen. – Ich habe einen konkreten Vorschlag: Wie wäre es denn, wenn beim nächsten G-7-Gipfel alle vier EU-Teilnehmer, Merkel, Macron, May, Conte – wenn sie dann noch alle da sind –, bei allen Themen, die in den originären Zuständigkeitsbereich der EU fallen, ausschließlich dem Kommissionspräsidenten das Wort überlassen würden? Das wäre doch mal ein innovativer Ansatz. Wenn Sie diesen Gedanken absurd finden, dann sollten Sie sich wirklich fragen, warum wir von Präsident Trump mehr erwarten als von uns selbst. Multilateralismus beginnt vor der Haustür. Und deshalb: Lassen Sie uns mit einem starken Europa starten. Danke schön. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Norbert Röttgen für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Phänomen Trump ist auch in dieser Debatte intensiv beschrieben worden. Ich möchte meine fünf Minuten darauf verwenden, fünf Schlussfolgerungen vorzustellen, von denen ich meine, dass wir sie aus diesem Phänomen ziehen sollten. Die erste Schlussfolgerung ist, dass wir nach meiner Meinung aufhören sollten, von diesem Phänomen überrascht zu sein. Ich glaube, wir sollten inzwischen wissen, wer und wie Trump ist. Nebenbei bemerkt: Es wird noch mehr kommen. Das nächste Datum ist der NATO-Gipfel. Es wird noch mehr vom Gleichen von Trump geben. Was ist dieses Phänomen? Ich glaube, es ist, wenn man es ganz kurz fassen will, die Ersetzung von Politik durch die Person. Es ist nicht nur die Innenpolitik, die alles dominiert, und auch die Außenpolitik. Ich glaube, es ist noch weitgehender: Es ist gewissermaßen die Abwesenheit von Politik und die Ersetzung von Politik durch die Person. Das ist einerseits extrem weitgehend, und nur aus diesem Ansatz heraus ist das Verhalten von Trump gegenüber dem kanadischen Premierminister, dem nordkoreanischen Diktator und einem jahrzehntelangen Verbündeten wie Südkorea überhaupt verstehbar. Das passt in keine politische Kategorie, sondern ist sozusagen nur aus der Persönlichkeit, den persönlichen Bedürfnissen, der Biografie zu erklären. Wir haben es also an der mächtigsten Stelle der Welt mit einer sehr weitgehenden Entpolitisierung zu tun. Andererseits – so sehe ich das – ist es aber auch ein individuelles Verhaltensmuster; es ist nicht systemisch, es ist auch nicht amerikanisch. Für dieses Verhalten, über das wir heute sprechen, wird man im Kongress keine Unterstützer finden. Es ist wichtig, zu sehen, dass es nicht amerikanisch-systemisch, sondern sehr individuell, aber trotzdem natürlich besorgniserregend ist. Zweite Schlussfolgerung. Wir stehen zu dem, was wir für Errungenschaften halten, was wir für verteidigungswürdig und wertvoll halten. Das ist die G 7, das ist das Nuklearabkommen mit dem Iran, das sind freier und fairer Handel, und das sind die transatlantischen Beziehungen. Wir bleiben bei den Errungenschaften der Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir stehen und verteidigen das, was wir für Errungenschaften halten. ({0}) Drittens schlage ich vor, dass wir einstweilen und solange es geht eine Politik der Schadensbegrenzung machen, dass wir also nicht eskalieren und dass wir uns nirgendwo – weder beim Handel noch bei der Migration – auch nur andeutungsweise auf das Denken von Donald Trump einlassen und gewissermaßen sagen: Auge um Auge, Zahn um Zahn, dann zahlen wir es heim. – Nein, wir sollten eine Politik der Schadensbegrenzung machen. Meine Erfahrung aus allen Gesprächen, auch mit Unterstützern von Donald Trump im Senat der USA, ist: Dort bezweifelt keiner, dass die Europäer auch heute noch die besten Verbündeten und Freunde der Amerikaner sind. Wir bezweifeln auch nicht, dass die USA unser bester Verbündeter außerhalb Europas ist. Darum sollten wir Schaden begrenzen und nicht eskalieren und Schaden maximieren. ({1}) Viertens. Wenn wir politisch werden, wenn wir gestalten und Einfluss nehmen wollen, dann müssen wir uns auch einmal nüchtern und realistisch mit deutschen Schwächen beschäftigen und unsere Schwächen beseitigen. Vielleicht stimmen wir nicht darin überein, was die Schwächen sind, aber wir müssen mal bilanzieren: Haben wir auch Schwächen, die wir beseitigen müssen? Ich meine, ja. Ich glaube, wir haben kein Erkenntnisdefizit und auch kein Beschreibungsdefizit, aber wir haben ein deutsches und europäisches Handlungsdefizit; das ist keine Frage. Wir betonen immer die regelbasierte Ordnung, die Bedeutung der Regeln und der Verlässlichkeit. Wir haben in der NATO die Regel vereinbart, uns auf das Ziel, 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, zuzubewegen. Wir erfüllen diese Regel bislang nicht, noch nicht einmal bis zur zweiten Stelle hinter dem Komma. Darum hat der Bundesaußenminister recht, wenn er sagt: Es geht hier nicht um Aufrüstung, sondern es geht darum, dass wir Lücken schließen. – Das ist eine Schwäche, die wir beseitigen sollten. ({2}) Ich nenne eine zweite Schwäche. Meine Meinung zu Nord Stream 2 ist bekannt. Man kann das in der Sache anders sehen; aber eines kann man nicht bestreiten: Wir sagen immer: Wir müssen Europa stärken, wir müssen die europäische Einigkeit stärken. – Die bisherige deutsche Politik gegenüber diesem Projekt hat zur Uneinigkeit, ich würde sogar fast sagen: zur Spaltung in einer wichtigen Frage Europas beigetragen. Das ist der Preis, den man einkalkulieren muss. Wir müssen konsistenter werden. Wenn Europa überragend wichtig ist, dann muss auch Deutschland Solidarität erbringen. Es darf nicht zur Uneinigkeit in Europa beitragen, weil es für uns überragend ist, dass Europa zusammenhält und wieder zusammenfindet. Fünftens. Wir müssen – ich habe leider keine Redezeit mehr; ich kann den Punkt nur kurz benennen – europäische Stärken entwickeln und konkret machen. Die europäische Interventionsinitiative wird begrüßt. Der europäische Sicherheitsrat soll kommen. Ein europäisches Asylrecht kann kommen. Ein Europäischer Währungsfonds kann kommen, und eine europäische Strategie gegenüber dem mittleren Osten und China ist notwendig. Das heißt, es ist Konkretes möglich. Wir müssen Europa stärken. Transatlantisch bleiben, europäischer werden – das ist das richtige Motto und der Imperativ des Koalitionsvertrages. Danke sehr. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Christian Schmidt von der CDU/CSU. ({0})

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn will ich mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, zitieren: Wir kamen zusammen, weil wir gemeinsame Auffassungen hegen und gemeinsame Verantwortung tragen. So steht es in der G-6-Erklärung von Rambouillet, dem ersten Gipfel mit dem Ziel, die wertegebundene Stabilisierung des Handels im damaligen Westen, aber auch den Welthandel insgesamt voranzubringen. Der G-7-Gipfel in Kanada hat ein respektables Kommuniqué erarbeitet. Übrigens stimmt es überhaupt nicht, dass dort keine Themen offensiv angegangen worden wären. Es ist ein Genuss, dieses Kommuniqué zu lesen. Vielleicht hilft die eine oder andere nachträgliche Lektüre angesichts der Interessenlage von Herrn Trump, das Spontangezwitscher nicht zur letzten Entscheidung zu machen. Als Beispiel für einen Erfolg möchte ich ein Thema nennen, das mich und Hermann Gröhe besonders betrifft. Wir hatten im Zusammenhang mit der Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes den „One Health“-Ansatz bei unserer G‑7-Präsidentschaft eingebracht. Wir stellen mit Freude fest, dass er von den Kanadiern ausgebaut, erweitert und fortgeführt wird. Es ist also nicht so, dass nichts zustande gekommen wäre. Ich habe die Hoffnung, dass sich gerade deswegen auch die USA an manche Vereinbarung dieses Gipfels, wenn nicht alle, nicht nur erinnern, sondern sie auch mittragen werden. Nun stehen wir in der Tat vor der schwierigen Situation, dass wir eigentlich das voranbringen wollten, was in der Rambouillet-Erklärung stand, aber über das Thema „Zölle und nichttarifäre Handelshemmnisse“ viel zu wenig geredet wird. Bei Zöllen lässt sich die Höhe anhand von Zahlen einigermaßen gewichten. Die Frage, ob man bei Vergaben von öffentlichen Aufträgen in amerikanischen Bundesstaaten als Europäer überhaupt eine Chance hat, ist ein weiteres Thema, das wir auf einer solchen Ebene behandeln können und müssen. Ich gehe davon aus, dass wir über das Thema „freier Handel“ – das ist angesprochen worden –, aber auch über den an unseren Wertvorstellungen orientierten Handel und die entsprechenden Bedingungen dafür wieder zu TTIP zurückkommen werden. Übrigens kann ich nur sagen: Man kann ja über TPP, das transpazifische Abkommen, NAFTA und TTIP alles Mögliche sagen; aber dass Herr Trump ein Freund solcher Abkommen wäre, das konnte ich bisher noch nicht feststellen. Vielleicht mag helfen, dass sein bisheriger Handelsbeauftragter und Berater Gary Cohn heute in der „Washington Post“ schreibt, dass mit dem Verzicht auf G 7, auf Welthandelsabkommen und regionale Abkommen der ganze Vorteil, den sich Herr Trump mit seiner Steuerreform in den USA erhofft, wieder aufgehoben werden könnte. Das zeigt, dass wir mit unserem Vorgehen auf einem richtigen Weg sind. Es gibt noch einen weiteren Punkt. Norbert Röttgen hat mit den fünf Punkten, die er genannt hat, ganz wichtige nationale und europäische Fragen angesprochen. Wir dürfen nicht übersehen, dass sich zeitgleich in Schanghai ganz andere, nach anderen Werten, nicht nach Demokratie und Menschenrechten ausgerichtete Gruppierungen getroffen haben, die im Welthandel wesentlich mit das Sagen haben. Wenn es denn eines Hinweises bedürfte, dass wir – wir alle, die bei G 7 dabei sind – uns verpflichtet sehen müssen, dieses Format fortzusetzen und weiterzuentwickeln, ja auch in den Welthandel der WTO unter Weiterentwicklung von regional gewichteten modernen Handelsbeziehungen hineinzugehen, dann ist das das beredte Beispiel. Uns fehlt eines: Uns fehlt eine Strategie. Wir haben nicht erreicht, was Sie bei China besichtigen können: In jedem Land, in dem auch wir präsent sind, stellen Sie fest, dass Infrastruktur mit erheblichen chinesischen Investitionen getätigt wird. Sie ist zwar oft nicht sehr nachhaltig, aber es steckt doch eine sehr starke Strategie dahinter. Wo ist das, was wir in Europa und in einer Interessenlage gemeinsam mit den USA und mit Kanada erreichen könnten, gegeben? Hier müssen wir auf die Grundsätze der persönlichen, politischen und wirtschaftlichen Freiheit zurückkommen, die Amerika und uns groß gemacht haben. Deswegen ist Gezwitscher nicht das Ende unserer Beziehungen, sondern es gibt uns den Auftrag, aufzubauen, neue Kontakte zu suchen und ja, auf dem Hill in Washington zu reden, aber nicht nur da, sondern auch in der breiten gesellschaftlichen Debatte mit den amerikanischen Bürgerinnen und Bürgern zu sagen: Handel ist Wandel, der förderlich ist, auch für das eigene Land. – Das muss die Schlussfolgerung sein, die aus G 7 heraus für den amerikanischen Präsidenten eigentlich ein ganz guter Ansatz für zu Hause wäre. Es gibt in der Tat sehr viel zu tun und sehr viel zu diskutieren. Wir müssen uns darauf verständigen. Danke. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Damit sind wir am Ende der Vereinbarten Debatte über den G‑7-Gipfel. Ich schließe die Aussprache.

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Seit 1978 besteht die UNO-Mission UNIFIL zur Sicherung der Sicherheit von Libanon und auch der Grenze zu Israel. Es ist damit eine der ältesten friedenssichernden Missionen, die die Vereinten Nationen unterhalten. Seit 2006 ist die Bundesrepublik Deutschland mit eigenen Einsatzkräften daran beteiligt, und etwa zum zwölften Mal verlängern wir heute das Mandat der Bundeswehrsoldaten für diesen Einsatz. Wir mögen also der Meinung sein, das sei reine Routine und wir müssten uns dieses Themas eigentlich nicht mehr annehmen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist eben keine Routine. Der Libanon ist ein durchaus fragiles Staatswesen, in dem die verschiedenen Bevölkerungsgruppen und die verschiedenen Menschen mit verschiedenen Religionszugehörigkeiten immer wieder miteinander austarieren müssen, wie denn das Zusammenleben gelingt. Und ja, es gelingt immer, wenn auch häufig unter Schwierigkeiten und manchmal mit Verzögerungen und Irritationen. Aber ja, es gelingt immer. Deswegen haben wir auch eine besondere Verantwortung für diejenigen zu übernehmen, die, obwohl sie in dieser schwierigen fragilen Situation leben – es sind 6 Millionen Bürgerinnen und Bürger des Staates Libanon –, rund 1,3 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen haben. Wir sehen, welche Bedeutung das hat und wie das in Relation zu dem steht, was uns schon belastet. 6 Millionen zu 1,3 Millionen: Daran wird die Verantwortung deutlich, die wir gerade gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern des Libanon haben und natürlich auch gegenüber denjenigen, die dort Zuflucht gefunden haben. ({0}) Ja, wir helfen, die Herausforderungen zu bewältigen und zu bestehen. Auch der finanzielle Einsatz, den wir dort leisten, ist im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit um ein Vielfaches höher als im Bereich des militärischen Einsatzes, der natürlich auch nicht kostenfrei zu haben ist. Das, was wir dort im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit leisten, geht ganz besonders in Richtung Bildung – auch, aber nicht ausschließlich für die Geflüchteten –, Wasserversorgung, regelmäßige Versorgung mit Wasser in den Flüchtlingslagern, aber auch darüber hinaus und Stärkung der kommunalen Infrastruktur, weil die Kommunen die Last zu tragen haben. Das machen wir selbstverständlich auch zugunsten der ansässigen Bevölkerung sowie der Bürgerinnen und Bürger. Sicherheit zu vermitteln, bleibt gleichwohl notwendig. Wir haben zurzeit dort etwa 130 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Maximal können wir 300 Soldatinnen und Soldaten auf Basis des vorliegenden Mandats entsenden. Wie gesagt, sind es momentan 130. In diesem Zusammenhang möchte ich herzlich den Soldatinnen und Soldaten für deren Einsatz danken. ({1}) Die Notwendigkeit von UNIFIL ist klar. UNIFIL verhindert eine Ausweitung des Krieges in Syrien und sichert so auch Israel. UNIFIL ist Garant des Waffenstillstands zwischen Israel und dem Libanon. UNIFIL bietet eine Plattform für direkten Dialog zwischen dem Libanon und Israel durch die Vermittlung der internationalen Gemeinschaft. ({2}) Unser Beitrag zu UNIFIL ist auch ein klares Bekenntnis zu den Vereinten Nationen. Gerade in Zeiten, in denen die internationalen Institutionen unter Druck geraten, ist es wichtiger denn je, dass wir als internationale Gemeinschaft zusammenhalten. ({3}) Es liegt in unserer Verantwortung, den Libanon zu unterstützen. Ich bin mir sicher, dass der Deutsche Bundestag seiner Verantwortung gerecht werden wird. Herzlichen Dank. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Petr Bystron für die AfD. ({0})

Petr Bystron (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004692, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Bevor ich anfange, wurde ich gebeten, eine technische Durchsage zu machen. Die russische Nationalmannschaft hat das Eröffnungsspiel 5 : 0 gewonnen. Wir gratulieren ganz herzlich. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir entscheiden heute über die Verlängerung der UNIFIL-Mission im Libanon. Die AfD lehnt diesen Einsatz der Bundeswehr ab. Wir haben dazu schon in den vorangegangenen Gremien Gründe genannt. Die drei Gründe, die die Regierung für diesen Einsatz angeführt hat, sind hinfällig. Erstens. Die Sicherung des Friedens in der Region hat nicht funktioniert. Zweitens. Den Waffenschmuggel auf dem Seeweg zu unterbinden, geht nicht. Die Waffen werden auf dem Landweg über Syrien geschmuggelt. Drittens. Die Sicherung der libanesischen Grenze ist vollkommen überflüssig. Das hat die Regierung selbst in ihrem Antrag angeführt: Beide Parteien haben an einer Eskalation kein Interesse. Das heißt, es gibt keinen Grund mehr, deutsche Soldaten in diesen Einsatz zu schicken. ({1}) Trotz dieser Fakten möchten Sie diesen Einsatz weiter verlängern. Für die Auslandseinsätze der Bundeswehr gelten besonders hohe Hürden. Wir sollen jedes Jahr neu beraten, ob die Gründe noch immer vorliegen. Da bitte ich Sie alle über die Fraktionsgrenzen hinweg, wirklich darüber nachzudenken: Ist es noch sinnvoll, deutsche Soldaten in diese Mission zu schicken? Die Kollegin Hendricks von der SPD hat das wunderbar ausgeführt. Diese Mission wird seit 40 Jahren betrieben. Die Mission heißt United Nations Interim Force in Lebanon. Das heißt – für diejenigen, die nicht wissen, was „Interim“ bedeutet –: vorübergehend. Seit 40 Jahren wird da etwas vorübergehend gerettet. Ehrlich gesagt: Was hat dieser Einsatz in den 40 Jahren gebracht? Weil Sie unsere Argumente nicht so mögen, zitiere ich lieber aus der „Welt“ aus dem Jahr 2014: Mit drei Schnellbooten helfen die Deutschen auf dem Mittelmeer bei der Suche nach Schmugglern, die ... die Hisbollah mit Waffen versorgen. ... Das Ergebnis dieser Kontrollen in acht Jahren ...: Null. „Null“, liebe Freunde. Und warum? Begegnet ihnen ein verdächtiges Boot, zücken sie ihre schärfste Waffe: das Funkgerät. ... Das verdächtige Boot, so sieht es das UN-Mandat vor, dürfen die Deutschen auch im Verdachtsfall nicht betreten. Stattdessen geben sie eine Meldung an die libanesischen Partner durch. Was die draus machen, ist ihre Sache. ({2}) Darüber wird nicht Buch geführt. Damit ist klar: Wir werden nicht gebraucht, und der Einsatz hat nichts gebracht. ({3}) Vor 40 Jahren als „vorübergehend“ aufgesetzt: Ziehen Sie mit uns einen Schlussstrich drunter! ({4}) Zum Schluss. Liebe Kollegen von der CDU/CSU, erlauben Sie mir eine Anmerkung wegen der aktuellen Diskussion. Heute wurde das Plenum für vier Stunden unterbrochen, weil jetzt auch die CDU/CSU endlich darüber diskutiert, dass man die Grenzen schützt – nach mittlerweile drei Jahren, in denen viele Menschen in Deutschland und in Europa vergewaltigt und ermordet wurden durch Täter, die gar nicht hier wären, wenn Sie vor drei Jahren die Grenzen geschützt hätten. ({5}) – Was das damit zu tun hat, sage ich Ihnen gleich: Es ist den deutschen Bürgern nicht vermittelbar, dass wir Soldaten entsenden – 3 500 Kilometer Luftlinie entfernt –, um irgendwelche Grenzen zu schützen, und unsere eigene Grenze nicht beschützen. ({6}) Meine liebe Kollegen, ich möchte versöhnlich schließen. ({7}) Das ist doch eine Chance. Lassen Sie uns über die Fraktionsgrenzen hinweg dafür eintreten, dass unsere Soldaten aus dem Libanon abgezogen werden. Sie machen damit Horst Seehofer glücklich, weil er dann seine Grenze schützen kann. Sie machen damit Angela Merkel glücklich, weil das ein Schritt hin zu einer europäischen Lösung ist. Lassen Sie uns die Grenzen beschützen, die wir beschützen müssen, und zwar unsere Grenze, die europäische Grenze auf dem Mittelmeer, gemeinsam mit den Italienern. Vielen, vielen Dank. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Für die Fraktion der CDU/CSU spricht als Nächster Jürgen Hardt.

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn kurz darauf hinweisen, dass mein Vorredner aus einem UN-Mandat zitiert hat. Ich glaube, er hat den letzten Satz selbst erfunden und hinzugefügt. Ich würde schon darauf achten wollen, dass hinterher im Protokoll klargestellt ist, was Zitat aus dem UN-Mandat ist und was eine kreative Wortschöpfung meines Vorredners ist. Nur damit da nichts in die falschen Bahnen gerät. Der Auftrag ist, dass wir die libanesischen Kräfte in die Lage versetzen, die Aufgaben speziell des Küstenschutzes und des Grenzschutzes im Seebereich selbst sicherzustellen. Das tun wir mit diesem UNIFIL-Mandat im Auftrag der Vereinten Nationen mit ganz vielen anderen Nationen zusammen. Im März sind in Rom über 40 Nationen zusammengekommen, die sich zu diesem Ziel, der Stabilisierung der Regierung des Libanon, bekannt haben. Wir tun dies im Übrigen unter dem Kommando eines brasilianischen Admirals; das finde ich auch sehr bemerkenswert. Die Bundeswehr ist hier als europäische Marine also nicht so weit entfernt im Einsatz. Wenn sogar die Südamerikaner bei einem solchen Einsatz mitmachen, unterstreicht das, wie wichtig das Anliegen ist. Wir arbeiten auch nachhaltig: Wir haben eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Kräften im Libanon. Wir schaffen es, tiefer in die Ausbildung zu gehen, sie intensiver zu machen, und wir liefern auch Material. Eines der Küstenwachboote, die dort eingesetzt sind, hat einmal unter dem Kommando unseres lieben Kollegen Ingo Gädechens gestanden. ({0}) Wir haben im Libanon die Situation, dass dort vor wenigen Wochen freie Wahlen durchgeführt wurden und sich vermutlich auch zukünftig wieder eine Regierung auf eine Mehrheit auf der Basis dieser freien Wahlen stützen kann. Zumindest hoffen wir auf weiterhin stabile Verhältnisse in dem Land. Der Libanon hat nach neun Jahren erstmals wieder freie Wahlen durchgeführt, die nach Bewertung auswärtiger Beobachter als frei und fair betrachtet werden dürfen. Das, finde ich, ist im Nahen und Mittleren Osten keine Selbstverständlichkeit. Der Libanon – das ist etwas, was wir nicht hoch genug schätzen können – leistet Enormes im Bereich der Flüchtlingsaufnahme. Die Flüchtlinge im Libanon werden auch durch UN-Hilfe versorgt; aber es ist schon eine enorme Leistung für ein Land mit rund 5 Millionen Einwohnern, knapp 1,5 Millionen Flüchtlinge aufzunehmen. Man muss sich diese Zahl immer wieder vor Augen führen, wenn man über das Flüchtlingsproblem in Europa redet. Es sind fast 70 Millionen Menschen in dieser Welt auf der Flucht. Natürlich sind auch einige bei uns in Europa; aber der weitaus überwiegende Teil ist in Ländern wie Jordanien oder dem Libanon, im Norden des Irak oder auch in den Staaten an der nordafrikanischen Küste. Die Situation in diesen Ländern ist ökonomisch und politisch natürlich eine ganz andere als in unserem reichen und großen Mitteleuropa. Ich wünsche mir, dass der Einsatz fortgesetzt wird. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird dem zustimmen. Ich wünsche den Soldatinnen und Soldaten an Bord der Korvette „Braunschweig“, die als Teil der Mission gegenwärtig Dienst tut, dass sie alle mit dem entsprechenden Soldatenglück wieder heil aus dem Einsatz nach Hause kommen, dass sie bei diesen Witterungsbedingungen eine gute und funktionierende Klimaanlage haben, was, glaube ich, auf den neuen Korvetten gewährleistet ist. Das ist im Mittelmeer in einer solchen Blechbüchse, wie es ein Kriegsschiff ist, ansonsten eine ziemliche Plage. Ich wünsche mir, dass dieser Einsatz nicht nur zur Stabilisierung der libanesischen regulären Streitkräfte, der Küstenwache in diesem Fall, beiträgt, sondern auch einen Beitrag zur weiteren Entspannung und Befriedung des Verhältnisses zwischen Israel und dem Libanon leistet. Israel schätzt diesen Einsatz. Israel weiß, dass wir hier einen wichtigen Beitrag auch zur Sicherung Israels etwa vor terroristischen Übergriffen, die ja auch auf dem Seeweg stattfinden könnten, leisten. In diesem Sinne haben die Soldaten und die Bundesregierung die volle Unterstützung für die Fortsetzung dieses Einsatzes. Herzlichen Dank. ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner für die FDP ist der Kollege Djir-Sarai. ({0})

Bijan Djir-Sarai (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004029, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Libanon ist ein kleines Land, wesentlich kleiner noch als die Region Berlin/Brandenburg. Dieser kleine Staat steht vor massiven Herausforderungen: Korruption, rivalisierende Religionsgemeinschaften, syrische und palästinensische Flüchtlinge, eine hohe Arbeitslosigkeit und ein mangelhaftes Sozialsystem – um hier nur ein paar Beispiele zu erwähnen. Auch außenpolitisch steht der Libanon unter enormem Druck: Der Konflikt mit Israel, der Krieg in Syrien und die wachsenden Spannungen zwischen Iran und Saudi-Arabien stellen das Land vor eine Zerreißprobe. Die Bezeichnung „Pulverfass“ bringt die Gesamtsituation gut auf den Punkt. Auf der anderen Seite weist der Libanon eine für den Nahen Osten verhältnismäßig freie Wirtschaft auf. Es gibt sogar eine blühende Gründerszene. Die unterschiedlichen Religionsgemeinschaften leben mehr oder weniger friedlich auf engem Raum zusammen, und nicht zuletzt gilt die Hauptstadt Beirut als weltoffene Metropole mit einem kulturellen Leben. Das sind in dieser Region keine Selbstverständlichkeiten. Kurz: Der Libanon bietet im Vergleich zu seinen Nachbarstaaten derzeit auch ein gewisses Maß an Stabilität. Um dieses Maß an Stabilität zumindest zu erhalten, müssen neben einem Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsystem auch einsatzfähige libanesische Streitkräfte geschaffen werden. Und dazu leisten unsere Soldatinnen und Soldaten im Rahmen von UNIFIL einen wesentlichen und wichtigen Beitrag. ({0}) Auch setzt das Mandat die geforderte Sicherung der seeseitigen Grenzen um; illegaler Waffenschmuggel wird hier erfolgreich bekämpft. Das Ziel muss dabei sein, dass der Libanon in den nächsten Jahren seine staatlichen Strukturen verfestigt und keine Räume für demokratiefeindliche oder gar terroristische Akteure offenlässt. In diesem Zusammenhang muss auch über die Rolle der Hisbollah gesprochen werden. Diese bis an die Zähne bewaffnete Schiitenmiliz, bestehend aus sogenanntem politischem und militärischem Flügel, bildet im Libanon einen Staat im Staat. Gerade im Südlibanon setzt sie eine zunehmend radikalislamische Gesellschaftsform durch. Hinzu kommen die aggressive Rhetorik gegenüber Israel und das Engagement an der Seite des Irans und des ­Assad-Regimes in Syrien. Die libanesischen Streitkräfte sind zum einen nicht in der Lage, militärisch gegen die Milizen vorzugehen. Zum anderen müssen wir aber auch die Frage stellen, inwieweit eine Einmischung der Streitkräfte überhaupt vonseiten der Regierung gewünscht ist. Die Hisbollah ist nicht nur eine bewaffnete Miliz; nein, sie tritt auch als Partei erfolgreich zur Parlamentswahl im Libanon an. Sowohl vor diesem Hintergrund als auch vor dem Hintergrund der extrem instabilen Lage im gesamten Nahen und Mittleren Osten muss die Bundesregierung Antworten auf verschiedene Fragen geben können: Wie zum Beispiel würde man aktuell mit einer direkten Konfrontation zwischen dem Libanon und Israel umgehen? Wie steht es um die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten, sollte der Syrien-Krieg auf den Libanon übergreifen? Was würde eine Ausweitung des iranischen Einflusses im Libanon für das UNIFIL-Mandat bedeuten? Alles Fragen, auf die die Bundesregierung derzeit keine Antworten hat. Wenn Deutschland mit der Beteiligung an dem UNIFIL-Mandat einen kleinen Beitrag zur Stabilität in diesem noch nicht gescheiterten Staat des Nahen und Mittleren Ostens leistet, dann ist das aus meiner Sicht, meine Damen und Herren, eine gute Sache. ({1}) Lassen Sie mich noch einmal auf das eingangs genannte Thema Flüchtlinge zurückkommen. Dieses Land – an dieser Stelle wiederhole ich mich –, das wesentlich kleiner ist als die Region Berlin-Brandenburg, hat im Laufe des Syrien-Krieges fast genauso viele Flüchtlinge aufgenommen wie die gesamte Europäische Union. Das muss man sich für eine Sekunde auf der Zunge zergehen lassen. ({2}) Hinzu kommen mehr als 450 000 registrierte palästinensische Flüchtlinge, die seit Jahrzehnten in isolierten Camps leben. Diese Dimensionen sollten in dieser Debatte nicht unter den Tisch fallen. Vor diesem Hintergrund wäre es außerordentlich problematisch für Europa, wenn ein solcher Staat eines Tages scheitern würde. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Als Nächster spricht für die Fraktion Die Linke Matthias Höhn. ({0})

Matthias Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bewaffnete deutsche Soldaten haben im Nahen Osten nichts zu suchen. Das war unsere Position, und das bleibt unsere Position. ({0}) Ja, es ist richtig: Beim UNIFIL-Einsatz ist die völkerrechtliche Legitimation zweifellos gegeben. Leider ist das nicht der Regelfall, und deswegen sollte es auch betont werden, gerade in dieser Region. Leider ist es auch nicht, wie bekannt, die Regel für die Bundesregierung, Völkerrechtsbrüche auch als Völkerrechtsbrüche zu bezeichnen. ({1}) Donald Trump hat das Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt. Eine militärische Eskalation zwischen dem Iran auf der einen und Israel sowie den USA auf der anderen Seite kann niemand ausschließen. Daraus sind bisher keine Konsequenzen gezogen worden. Die aktuelle schwierige Situation in der Region ist von mehreren schon angesprochen worden. Sie bleibt im neuen Mandat nahezu unberücksichtigt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses routinemäßige Fortschreiben von Mandatstexten mag Ihnen ausreichen für eine Zustimmung; uns reicht es mit Sicherheit nicht. ({2}) Der Libanon ist ein Pulverfass – wie die gesamte Region, in der sich der Kampf um die Vormacht zwischen dem Iran und Saudi-Arabien abspielt. Libanons Ministerpräsident Hariri tauchte im November unvermittelt in Saudi-Arabien auf – wir erinnern uns – und erklärte seinen Rücktritt mit Verweis auf die Hisbollah. Schuldzuweisungen zwischen Riad und Teheran folgten. Ende Mai erklärte der französische Präsident Macron – ich zitiere mit der Erlaubnis des Präsidenten –: Wenn Frankreich nicht da gewesen wäre, dann wäre es möglich, dass heute in dem Moment, wo wir jetzt sprechen, im Libanon Krieg herrscht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Nahen Osten, wo ein Streichholz genügt, um die Region endgültig in Brand zu setzen, hat die Bundeswehr nichts verloren. ({3}) Die Hisbollah, einer der ärgsten Feinde Israels, ist stärker denn je – jüngst Wahlsieger im Libanon – und auch dank des Waffenschmuggels aus dem Iran bis in die Zehenspitzen bewaffnet. In der Vergangenheit sind viele dieser Waffen über den Seeweg in den Libanon gekommen. 77 000 Schiffe sind im Rahmen von UNIFIL identifiziert und abgefragt worden. Dennoch funktioniert der Waffenschmuggel weiter. Ähnlich sieht es auf dem Landweg aus. Französische Soldaten haben dieses Jahr sogar davon berichtet, dass die libanesische Armee im Agieren gegen die Hisbollah hinderlich sei. Das Ergebnis all dessen ist ernüchternd: 120 000 Raketen stehen im Südlibanon gegen Israel bereit, keine Effektivität des Mandats, eine Stärkung der Hisbollah, eine zugespitzte Sicherheitslage in der Region, und Sie wollen einfach so weitermachen, statt konkret zu sagen, wann Schluss ist. ({4}) Die Andeutung im Mandat, das Ziel sei erreicht, wenn – Zitat – „die libanesische Marine ausreichend ausgestattet und ausgebildet ist“, muss nach so vielen Jahren Einsatz und Unterstützung aus Deutschland und anderen Ländern konkreter ausfallen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) 313 Soldaten haben seit Beginn der UNIFIL-Einsätze 1978 ihr Leben verloren. Ich bin deshalb sehr froh, dass die Korvette „Magdeburg“ am Freitag nach 13 Monaten Einsatz zurückgekehrt ist. Den Soldaten und ihren Familien sind Sie es schuldig, sie nicht weiter in Einsätze zu schicken, die Soldaten einem hohen Risiko aussetzen, einen kaum messbaren Beitrag für Sicherheit und Stabilität leisten und kein Ende finden. Wir werden dem Mandat nicht zustimmen. Herzlichen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner ist Dr. Tobias Lindner für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Heute soll das Mandat UNIFIL um ein Jahr verlängert werden. Aber ich finde, das ist alles andere als Routine, wenn man sich die Situation in dieser Region anschaut. Als 1978 – Frau Kollegin Hendricks, Sie haben es erwähnt – die ersten Blauhelmsoldaten eingesetzt wurden, um Frieden zwischen Libanon und Israel zu gewährleisten, war ich beispielsweise noch gar nicht auf der Welt. Wir haben es mit einer der ältesten friedens­erhaltenden Missionen der Vereinten Nationen zu tun. Ich erwähne das nicht, um hier eine Geschichtsstunde zu halten. Denn: So lang einem dieser Zeitraum erscheinen mag – 40 Jahre –, so vergleichbar kurz ist er doch, wenn man sich den Zeitraum des gesamten Nahostkonflikts betrachtet, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das Mandat wurde 2006 ergänzt. Es geht jetzt darum, die Ausbildung der libanesischen Marine zu gewährleisten und den Libanon dabei zu unterstützen, eigenverantwortlich seine Seegrenze sichern und kontrollieren zu können. Das war 2006 notwendig, um einen Krieg zwischen Israel und dem Libanon zu beenden. Ich füge hinzu, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das ist auch heute noch notwendig. ({0}) Bei allen Fragen, die wir haben, wie man Frieden dauerhaft und nachhaltig in dieser Region gewährleisten kann, bei aller Ratlosigkeit, die ich auch selbst habe, ({1}) müssen wir uns doch eine entscheidende Frage heute hier bei dieser Abstimmung stellen: Wäre die Situation im Nahen Osten, wäre die Situation im Grenzgebiet zwischen Libanon und Israel sicherer mit oder ohne UNIFIL in den kommenden zwölf Monaten? ({2}) Ich sage für meine Fraktion ganz deutlich: Sie ist sicherer mit diesem Mandat. Deswegen werden wir es unterstützen. ({3}) Es gilt: Beide Konfliktparteien befürworten diese Mission. Die Lage im Grenzgebiet ist weiterhin fragil; Kolleginnen und Kollegen haben es erwähnt. Glücklicherweise fand nach Jahren wieder eine Parlamentswahl statt; ja, das ist richtig. Aber wenn man sich beispielsweise das Verhalten der Hisbollah als relevanter Akteur in der Region gegenüber Israel betrachtet, wenn man den Konflikt in Syrien sieht, meine Damen und Herren, dann muss einem doch klar sein: Die Gefahr einer erneuten militärischen Eskalation in dieser Region besteht von Tag zu Tag. Deshalb bin ich froh und dankbar, dass UNIFIL einen Beitrag dazu leistet, diese Gefahr einzudämmen. ({4}) Bei der Unterstützung der libanesischen Armee muss man eines feststellen: Wir haben es mit einem multireligiösen Land zu tun, mit einer Gesellschaft, die sich einerseits durch eine faszinierende Pluralität auszeichnet, die andererseits voller Konflikte ist. Dabei ist die libanesische Armee eine der wenigen konfessionsübergreifenden Institutionen in diesem konfessionell tief unterschiedlichen Land. Daher ist es auch richtig, gerade die Armee zu unterstützen, dass sie selbst ihre Grenzen kontrollieren und Waffenschmuggel unterbinden kann. Vor diesem Hintergrund – ich verstehe ja, Herr Höhn, wenn man sich bei der x-ten Mandatsverlängerung fragt: ist das Routine, oder ist das keine Routine? – stellen wir Grüne fest: Es ist ein Beitrag für die Sicherheit in der Region. Es ist nicht die Lösung aller Probleme. ({5}) Es ist ein Beitrag für die Sicherheit in dieser Regionen auf einer festen völkerrechtlichen Grundlage, wenn sich Deutschland auch in den kommenden zwölf Monaten an UNIFIL beteiligt. Ich möchte im Namen meiner Fraktion – und ich denke, im Namen vieler Kolleginnen und Kollegen – unseren Soldatinnen und Soldaten für ihren Dienst in diesem Einsatz danken. Herzlichen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner für die Fraktion der SPD ist Thomas Hitschler. ({0})

Thomas Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004303, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anfang März durfte ich gemeinsam mit dem Kollegen Jens Zimmermann unsere UNIFIL-Soldatinnen und -Soldaten im UN-Hauptquartier in Naqura im Libanon besuchen. Zum Programm gehörte auch eine Fahrt zur Blauen Linie, also der Demarkationslinie und aktuellen De-facto-Grenze zwischen Libanon und Israel. Stellen Sie sich folgende Szene vor: Auf Höhe der Stenografenbank verläuft die Demarkationslinie, die durch einen Zaun gesichert wird. Wo das Präsidium ist, befindet sich eine israelische Stellung. Unsere Gruppe steht bei der Hammelsprungtür. Der Maßstab ist natürlich nicht 1 : 1, aber alles spielt sich in unmittelbarer Sichtweite ab. Einen Monat vor unserem Besuch hatte Israel damit begonnen, von der Küste bei Rosch Hanikra aus eine 11 Kilometer lange Mauer entlang der Blauen Linie zu bauen. Diese Bautrupps rollten genau während unseres Besuchs an. Die libanesischen Soldaten zückten sofort ihre Kameras und dokumentierten das Geschehen. Daraufhin bewegten die israelischen Einheiten ihre Zeigefinger in Richtung der Abzüge ihrer Waffe, und die libanesischen Einheiten taten es ihnen gleich. Innerhalb kürzester Zeit drohte eine angespannte, aber an der Blauen Linie nicht völlig unübliche Situation zu eskalieren. Es waren Blauhelme der Vereinten Nationen, die diese Lage wieder beruhigen konnten. Sie stellten sich zwischen die libanesischen und israelischen Einheiten und beruhigten so die Situation. Kolleginnen und Kollegen, diese kleine Anekdote fasst in meinen Augen sehr gut zusammen, worum es bei UNIFIL geht und warum dieser Einsatz so wichtig für uns ist. Wir stehen nämlich vor dem sprichwörtlichen Pulverfass, und – viele Kollegen vor mir haben das schon beschrieben – in der Nähe werden immer mehr Funken geschlagen. Die internationale Gemeinschaft achtet darauf, dass die Lunte nicht anfängt zu glühen und alles in die Luft fliegt. Wer, wie unsere Truppe, in einer solch angespannten Lage Frieden und Stabilität sichert, ob an Land oder auf der See, der hat unser aller Unterstützung verdient. ({0}) Außerdem bekämpfen wir mit UNIFIL Fluchtursachen. Wir haben die Situation vorhin beschrieben bekommen: multireligiöser Staat, hochgradig instabil – es ist eigentlich ein Wunder, dass es diesen Staat in der Form in der jetzigen Situation immer noch gibt –, 6 Millionen Einwohner, 2 Millionen Geflüchtete und überall die Gefahr, dass die Lage eskaliert und die Menschen sich auf die Flucht und auf den Weg machen, übrigens nach Europa, Kolleginnen und Kollegen. Eine humanitäre Flüchtlingspolitik minimiert dabei Fluchtursachen. Nationale Abschottung schafft neue Fluchtursachen. Ich glaube, wir können festhalten: Unser Beitrag zu UNIFIL ist in unserem eigenen deutschen Interesse. Unser Beitrag zu UNIFIL ist im Interesse des Libanon. Unser Beitrag zu UNIFIL ist im Interesse Israels. Es gibt aber immer noch Verbesserungspotenzial, gerade im Bereich der persönlichen Ausrüstung unserer Einsatzkräfte: Die Uniformen sollten an die klimatischen Bedingungen angepasst werden; die Einsatzkisten mit den Teilen der Uniformen, Helmen und ABC-Taschen sollten nicht deutlich länger ins Lager brauchen als die normalen Postzustellungen. Das läuft bei vielen unserer Partnernationen deutlich besser. Zudem zahlen die Vereinten Nationen die Zulagen innerhalb eines Monats, wobei unsere Soldatinnen und Soldaten über zwei Monate warten müssen, bis der Auslandsverwendungszuschlag kommt. Das sind kleine, aber konkrete praktische Anliegen, die wir beide von unserem Besuch bei den Einsatzkräften mitgenommen haben. Aber vor Ort stellt sich uns und auch den Einsatzkräften eigentlich eine große, eine politische Frage, nämlich die Frage, warum der deutsche Einsatz und der deutsche Anteil nicht ein Stück weit größer ausfallen. Als das UN-Mandat vor 12 Jahren auf die Grenzsicherung zur See ausgeweitet wurde, lag die deutsche Personalobergrenze bei 2 400. Heute verlängern wir das Mandat mit einer Personalobergrenze von 300. Im tatsächlichen Einsatz erreicht die Bundeswehr davon im Schnitt etwa die Hälfte. Im UN-Hauptquartier im Libanon sind acht Deutsche stationiert. Das sind weniger, als hier heute Redebeiträge zu dem Einsatz gehalten haben. Angesichts von 10 500 UNIFIL-Blauhelmen insgesamt hinterlassen wir mit dieser geringen Personalstärke keinen nachhaltigen Fußabdruck. Ich glaube, dadurch dass unser Land bei der UN-Vollversammlung mit einem sehr guten Ergebnis in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gewählt wurde, haben wir einen enormen Vertrauensbeweis bekommen. Ich glaube, dass es eine Verpflichtung ist, Kolleginnen und Kollegen, künftig mehr Verantwortung zu übernehmen und bei UN-Friedensmissionen mit größeren Personalstärken und Einsatzkontingenten dabei zu sein. Verlängern wir heute dieses Mandat, Kolleginnen und Kollegen! Unterstützen wir den Libanon! Unterstützen wir die Stabilität dieses Landes! Vielen Dank. ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner ist der Abgeordnete Dr. Andreas Nick für die CDU/CSU. ({0})

Dr. Andreas Nick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004362, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bis in die Mitte der 70er-Jahre galt der Libanon als die Schweiz des Orients, Beirut wurde auch als das Paris des Nahen Ostens bezeichnet. Seitdem erschütterten immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen das Land, allzu oft getrieben vom Zusammenspiel interner und externer Akteure, die den Libanon als Plattform insbesondere für den Konflikt mit Israel missbrauchten: zunächst die PLO, dann vor allem die Hisbollah – dahinter die Einflussnahme von Syrien und insbesondere dem Iran. Unser Fraktionsvorsitzende Volker Kauder hat im Anschluss an seine Orientreise vor zwei Jahren betont – ich zitiere –: Trotz aller Probleme in der Vergangenheit und auch in der Gegenwart ist der Libanon ein Beispiel eines Staates, in dem die Angehörigen der verschiedenen Religionen friedlich zusammenleben. Der Libanon ist ähnlich wie Jordanien ein Vorbild, das die internationale Gemeinschaft noch stärker würdigen sollte. Für uns in Deutschland sind die Stabilisierung des Libanons, seine Einheit und Souveränität eine langfristige Priorität im Nahen Osten. Und gemeinsam mit der Türkei und Jordanien trägt der Libanon die Hauptlast der Folgen des syrischen Bürgerkriegs. Es ist schon angesprochen worden: Der Libanon hat bei knapp 5 Millionen eigenen Einwohnern über 1 Million Flüchtlinge aufgenommen. Die Bundesrepublik unterstützt den Libanon daher in besonderem Maße bei der Bewältigung der Herausforderungen im Bereich von Flucht und Migration. Wir haben dazu seit 2012 insgesamt über 1,1 Milliarden Euro bereitgestellt. In der Umsetzung arbeiten wir eng mit UNICEF, UNHCR, dem World Food Programme und UNDP zusammen. Und nach innen gerichtet hat die Bundesregierung allein im vergangenen Jahr mit 2,9 Millionen Euro Projekte in den Bereichen Dialog, Mediation und Rechtsstaatsförderung zur Konfliktprävention gefördert. Die Mission UNIFIL besteht seit 1978. Sie ist damit eine der ältesten Missionen der Vereinten Nationen. Es wurde schon angesprochen: Im Jahr 2006 wurde das Mandat um die Überwachung der seeseitigen Grenzen erweitert. Erstmals wurden auch Marineeinheiten einer UN-Mission unterstellt, und seitdem ist Deutschland in diesem Mandat engagiert. Unsere derzeit 119 deutschen Einsatzkräfte leisten wertvolle Arbeit in den Bereich Konfliktprävention und Kapazitätsaufbau. Sie kontrollieren Ladung und Personen an Bord von Schiffen auf dem Weg in den Libanon. Die Bekämpfung des Waffenschmuggels auf dem Seeweg schafft Sicherheit für die gesamte Region. Im Rahmen der Ertüchtigungsinitiative tragen die deutschen Soldatinnen und Soldaten mit großem Erfolg zur Ausbildung und zu besserer Ausrüstung der libanesischen Marine bei. Sie stellen außerdem den Zugang humanitärer Hilfe zur Zivilbevölkerung sicher und übernehmen logistische und sanitätsdienstliche Aufgaben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir danken unseren Soldatinnen und Soldaten sehr herzlich für ihren wichtigen Einsatz an Land und auch zur See! Lassen Sie mich noch zwei Punkte ansprechen. Die Entwicklungen im Libanon werden die Vereinten Nationen weiterhin beschäftigen. Mit den Öl- und Gasvorkommen im Levante-Becken, die von Israel und dem Libanon gleichermaßen für die Förderung beansprucht werden, zeichnet sich weiteres Konfliktpotenzial ab. Ich darf daran erinnern: Die von UNIFIL vermittelten Drei-Parteien-Gespräche sind derzeit der einzige funktionierende Gesprächskanal zwischen Israel und dem Libanon. Unsere Beteiligung an UNIFIL unterstreicht das deutsche Engagement für die Vereinten Nationen. Wir werden unsere Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat in den kommenden zwei Jahren auch dazu nutzen, uns aktiv in die Diskussion über die Zukunft dieser Mission einzubringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion wird die Fortsetzung der Beteiligung an der Mission UNIFIL unterstützen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Abgeordnete Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Andreas Nick hat es gerade erwähnt: 119 Soldatinnen und Soldaten sind im Moment bei ­UNIFIL im Einsatz. Man kann sich die Frage stellen: Lohnt sich so ein Kleineinsatz überhaupt? In Afghanistan und in Mali haben wir jeweils mehr als zehnmal so viele Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Ich meine: Ja. UNIFIL ist zwar ein kleiner Einsatz, aber ein Einsatz mit einer großen Wirkung. Weil Bilder manchmal mehr sagen als tausend Worte, habe ich Ihnen einmal zwei Bilder, die ich heute zufällig gefunden habe und die die praktische Wirkung des Einsatzes von UNIFIL zeigen, mitgebracht. ({0}) Das erste Bild zeigt einen relativ schmucklosen Computerraum, vorne ein deutscher Soldat, dahinter libanesische Soldaten in mehreren Reihen vor großen Computerbildschirmen. Dieser Schulungsraum ist an der Marineschule in Jounieh. Die Kadetten lernen dort an einem Navigationssimulator das richtige Verhalten an Bord. Sie werden angeleitet von einem deutschen Ausbilder. ({1}) Das zweite Bild, das ich Ihnen mitgebracht habe, zeigt zwei deutsche Soldaten in einem kleinen, sehr engen Maschinenraum eines etwas älteren Bootes. Dieses Boot war früher bekannt unter dem Namen „Bergen“. Es fuhr bis 2008 auf der Ostsee als Wachboot. Seit 2008 hat es ein zweites Leben, einen neuen Auftrag und einen arabischen Namen. Es heißt jetzt „Tabarja“ und überwacht die libanesischen Hoheitsgewässer. Unsere Soldaten übernehmen dort Wartungsarbeiten. Sie haben vor kurzem das Schiff generalüberholt, es wieder flottgemacht, und so ist es im Moment auch unterwegs. Kleine Maßnahmen, große Wirkung. Meine Damen und Herren, wir haben aber im Moment auch ein großes Schiff im Einsatz, nämlich die Korvette „Braunschweig“. Sie übernimmt die Seeraumüberwachung und leistet damit einen Beitrag zur Bekämpfung des Waffenschmuggels. Was heißt das konkret? Die Besatzung schaut sich auf dem Radar und über Funk die verschiedenen Schiffsbewegungen an – seit dem Beginn des Einsatzes wurden übrigens 80 000 Schiffe auf diese Art und Weise kontrolliert –, und wenn ihr etwas verdächtig vorkommt, dann gibt sie es an die libanesischen Behörden weiter. Diese entscheiden dann, ob sie eine Inspektion durchführen oder nicht. Seit Beginn des Einsatzes wurden ungefähr 10 000 solcher Meldungen an die Libanesen weitergegeben. Damit sie dann auch richtig inspizieren können, ist einer unserer Schwerpunkte neben der Bereitstellung des Schiffes, wie eben auf den Bildern gesehen, die Ausbildung der libanesischen Küstenwache. Das geschieht durch die Ausbilder, das geschieht durch Simulatoren, das geschieht aber zum Beispiel auch durch Ausrüstungsmaßnahmen. Wir haben dort Radargeräte finanziert, wir haben Elektronikwerkstätten eingerichtet usw., alles für das eine große Ziel, nämlich eine schlagkräftige, kompakte libanesische Marine aufzubauen, die in der Lage ist, selber die Küste vor Ort, vor ihrem Hoheitsgebiet, zu überwachen. Meine Damen und Herren, das ist wichtig, weil der Libanon ein kleines Land ist, aber einen großen Konflikt, den zwischen ihm und Syrien, direkt vor seiner Haustür hat. UNIFIL ist in dieser Region der zentrale Stabilitätsanker. ({2}) UNIFIL kann in dieser Region den Unterschied machen. Der Unterschied ist in dem Fall der Unterschied zwischen Krieg und Frieden. Wir leisten dazu einen kleinen Beitrag, im Moment mit 119 Soldatinnen und Soldaten. Wir sollten diesen Beitrag weiter leisten. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Mandat. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Weitere Redner sind nicht vorgesehen. Ich schließe deshalb die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der „United Nations Interim Force in Lebanon“ (UNIFIL). Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/2669, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 19/2383 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Es fehlt noch ein Schriftführer der Opposition auf der rechten Seite. Sind die Urnen an der Lobby besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Dann frage ich: Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Ich sehe jetzt, dass überall keine Aktivität mehr ist. Dann schließe ich jetzt die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir werden das Ergebnis der Abstimmung später mitteilen. Ich bitte diejenigen, die ihre Abstimmungsarbeit getan haben, jetzt ihre Plätze einzunehmen, die Gespräche zu beenden oder vor der Tür fortzusetzen.

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Es ist immer schön, wenn eine Rede, schon bevor sie beginnt, so eine Unruhe hervorruft, meine Damen und Herren. – Es geht um die exakte Erfassung von Straftaten unter Zuhilfenahme des Tatmittels Messer in der amtlichen Polizeistatistik – ({0}) zu später Stunde ein ernstes Thema, auf das ich bereits vor etwa sechs Monaten mit einer Kunstaktion, in die Geschichte eingegangen als „Macheten-Tweet“ – obwohl es gar keine Machete war –, aufmerksam machte. Das Thema hat mich aber vor der Kunstaktion auch schon beschäftigt, nämlich im Thüringer Landtag seit etwa Mitte 2017, woran Sie sehen, meine Damen und Herren: Auch in dieser Sache waren wir von der AfD Ihnen von den Altparteien meilenweit voraus. ({1}) Hätte man auf uns gehört, hätte viel Leid verhindert werden können. Wieder einmal kam von allen Altparteien, deren Wahrnehmungsvermögen durch die größenwahnsinnige und realitätsfremde Merkel’sche Bunt- und Chaospolitik vernebelt war und ist, ({2}) die Einsicht viel zu spät. ({3}) Gott sei Dank verzieht sich aber zumindest nun bei den C-Parteien, wobei dieses C inzwischen nur noch für Chaos steht, ({4}) der infantile Vielfaltsnebel und offenbart den Blick auf eine Kanzlerin, die ihr Volk, vor dem sie den Amtseid abgelegt hat, verraten und verkauft hat, ({5}) eine Kanzlerin, meine Damen und Herren, die für völliges politisches Versagen und Scheitern steht, eine Kanzlerin, meine Damen und Herren, die nicht mehr Kanzlerin sein sollte und auf ihrem Platz auch nicht mehr Platz nehmen sollte. ({6}) Aber daran haben die Kollegen der C-Parteien, der Chaosparteien, ja heute Nachmittag – wir haben es mitbekommen – schon stundenlang herumgemerkelt und -gewerkelt. Meine Damen und Herren, „nach gefühlt täglich erscheinenden Meldungen über Messerangriffe“ soll künftig für ganz Deutschland erfasst werden, wie oft Messer als Tatwaffe eingesetzt werden, um diesem Phänomen auf den Grund gehen zu können. „Ein aussagekräftiges Lagebild wäre angesichts der jüngsten schockierenden Taten … dringend notwendig“, damit Politik und Sicherheitsbehörden reagieren können. – Ganz wichtig: Diese Aussagen stammen nicht etwa von mir oder von Verschwörungstheoretikern; ({7}) es sind Stellungnahmen der beiden deutschen Polizeigewerkschaften. ({8}) Und wem sollte man eher Glauben schenken als denen, die Tag für Tag mit diesen Straftaten zu tun haben, nämlich unserer Polizei, die immer und überall für uns den Kopf hinhält und unseren Staat und dessen Autorität verteidigt, wenn auch aufgrund des Versagens der Regierungspolitik leider in abnehmendem Maße? Von dieser Stelle aus vielen Dank an die deutsche Polizei! ({9}) Hinter uns liegen blutige Monate, meine Damen und Herren. 2018 erscheint als der traurige Höhepunkt einer schier endlosen Serie von Angriffen, Körperverletzungen und Morden, auffällig viele davon begangen mit Messern und alle begangen nach der Merkel’schen Grenzöffnung. ({10}) Aus der von Frau Merkel und der CDU initiierten und gewollten und von Seehofer und der CSU nicht etwa verhinderten Masseneinwanderung wurde eine blutige, häufig tödliche Messerstechereinwanderung, meine Damen und Herren. ({11}) – Das ist keine „Sauerei“, das ist die Wahrheit. Gehen Sie mit offenen Augen durch die Welt! Das ist die Wahrheit, und der müssen Sie ins Auge gucken. – Fast alle Opfer könnten noch leben und ein unversehrtes Leben führen, hätte die von allen Altparteien verantwortete Politik der offenen Grenzen nicht stattgefunden. ({12}) Obwohl eine flächendeckende Erfassung von Straftaten, die unter Verwendung eines Messers durchgeführt werden, in Deutschland inzwischen wohl bewusst nicht durchgeführt wird, liegen Erkenntnisse aus einzelnen Bundesländern vor. So konnten wir sogar dem öffentlich-rechtlichen Staatsfunk, hier der ARD-Sendung „Kontraste“ vom 5. April, entnehmen, ({13}) dass die Kriminalstatistiken von Berlin, Brandenburg und Hessen seit 2014 erschreckende Steigerungsraten aufweisen. ({14}) Die Steigerungen sind also keine Sauerei, werte Frau Kollegin von vorne links, die Steigerungen sind reell. Sie sind weder suggeriert noch eingebildet noch erfunden. Die Zahlen und die Grausamkeit der Taten sind alarmierend. Es besteht ganz heftiger Handlungsbedarf. ({15}) Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag gehen wir einen ersten Schritt. Kosten gehen mit dem Antrag übrigens nicht einher. Eine solche Erfassung löst – das muss man ehrlich einräumen – das von den Altparteien unter der Führung von Frau Merkel verschuldete Problem nicht, aber unser Antrag ist die Grundlage dafür, dass zielgerichtet präventive und letztendlich möglicherweise repressive Maßnahmen getroffen werden können, um viele weitere Menschen davor zu bewahren, Opfer einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Politik zu werden, so wie es beispielsweise Mia und Julia geworden sind. ({16}) Ich bitte Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen. Vielen Dank. ({17})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner ist der Kollege Axel Müller von der CDU/CSU. ({0})

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich mich dem Antrag der AfD näher zuwende, möchte ich mit Ihnen einen Blick auf die Sicherheitslage in Deutschland werfen, und zwar so, wie sie wirklich ist, ({0}) und nicht so, wie sie Herr Brandner durch ein düsteres Bild zu zeichnen versucht hat. ({1}): Er lebt in einer Parallelwelt!) Da gibt es nämlich gute Nachrichten zu verkünden. Die Anzahl der Straftaten, soweit sie von der polizeilichen Kriminalstatistik erfasst werden, geht weiter zurück. ({2}) In 2016 waren es 6,37 Millionen Taten, in 2017 noch 5,76 Millionen Taten, über 600 000 Taten weniger, was einem Rückgang von 9,6 Prozent entspricht. Rückläufig waren vor allen Dingen Gewaltdelikte wie Mord, Totschlag, Vergewaltigung und auch Körperverletzung, und nicht nur die einfache, sondern auch gerade die gefährliche Körperverletzung, worunter man die Körperverletzungen versteht, bei denen unter anderem ein Messer zum Einsatz kommt oder Baseballschläger, wie sie gewisse Kreise zu verwenden pflegen, auch der abgebrochene Stuhlfuß, wie man ihn gerne bei Saalschlachten verwendet, oder die mit Quarzsand gefüllten Handschuhe, die einige zum Training mit Andersdenkenden und politisch Andersgläubigen einzusetzen pflegen. In meinem ländlichen Wahlkreis gibt es zum Teil auch noch die Mistgabel. – Das alles fällt unter gefährliche Körperverletzung. Aber fast noch wichtiger ist – und das haben Sie hervorgehoben, Herr Brandner –, dass die Aufklärungsquote kontinuierlich steigt. Über 96 Prozent aller Morde, über 80 Prozent aller Sexualdelikte, fast mehr als die Hälfte der Raubdelikte und vor allen Dingen auch mehr als 80 Prozent aller Körperverletzungen werden aufgeklärt. ({3}) – Ja, das ist eine tolle Statistik, und dafür danke ich an dieser Stelle den Strafverfolgungsbehörden, der Justiz, der Polizei, die hervorragende Arbeit leisten. Ihnen gebührt Anerkennung. ({4}) – Frau Weidel, auf Sie komme ich noch zu sprechen. Daraus ergeben sich drei Botschaften. Erstens. Wer solche Straftaten begeht, muss ernsthaft damit rechnen, dass er zur Rechenschaft gezogen wird; das schreckt Nachahmer ab. Zweitens. Das Leid der Opfer wird gesühnt. Drittens. Der deutsche Staat schützt erfolgreich seine Bevölkerung. ({5}) Sie wollen nun die polizeiliche Kriminalstatistik weiter untergliedern, indem die „Verwendung des Tatmittels Messer“ erfasst wird, so wie es beim Gebrauch von Schusswaffen schon der Fall ist. Hierfür wollen Sie die Richtlinien für die Polizeiliche Kriminalstatistik entsprechend ändern. Hintergrund sind die von Ihnen erwähnten zunehmenden Meldungen in den Medien über Messereinsatz, aufsehenerregende Taten wie beispielsweise die Attacke auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker durch einen sicherlich fremdenfeindlich eingestellten Mann, ({6}) die gegen den Bürgermeister von Altena durch einen arbeitslosen, psychisch kranken Täter, ({7}) dem die Unterbringung von Asylbewerbern ein Dorn im Auge war. ({8}) Diese Meldungen unterstreichen den Eindruck, dass Messertaten vermehrt zunehmen, ({9}) ebenso wie die Messerattacke – das will ich nicht verschweigen – eines arabischen Asylbewerbers in einem Hamburger Einkaufszentrum. Das Magazin „Kontraste“ vermeldete Entsprechendes und berief sich auf die Zahlen der 16 Bundesländer. In der Tat, die Berliner Kriminalstatistik weist einen Anstieg um 14 Prozent, die Brandenburger einen Anstieg um 32 Prozent und die in Hessen einen Anstieg um 29 Prozent auf. Allerdings vermeldet die Polizei Berlin, dass gerade bei Mord und Totschlag ein rapider Rückgang ({10}) der Fälle mit Messereinsatz zu verzeichnen ist; das Niveau bewegt sich auf dem des Jahres 2008. Bei Raubdelikten – das will ich nicht verschweigen – nehmen die Fälle mit Messereinsatz zu. Der Senatsvorsitzende beim Bundesgerichtshof Dr. Thomas Fischer ({11}) hat seine Kolumne so überschrieben: Die Messerangst in Mitteleuropa – oder: Warum die Kriminalstatistik nur dann nützlich ist, wenn man sie versteht ({12}) Zum besseren Verständnis könnte Ihr Antrag durchaus Sinn machen. Notwendig ist er nicht; denn die Innenministerkonferenz hat am 8. Juni 2018 genau das beschlossen, eine bundesweite, einheitliche und vergleichbare Erfassung von Messerangriffen. Deshalb kann man nur sagen, meine Damen und Herren von der AfD ({13}) – das ist ein altes Sprichwort, ein alter Satz –: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. ({14}) Ihr Antrag ist völlig überflüssig. ({15}) Sie werden ihn natürlich nicht zurücknehmen, weil es Ihnen nur um eines geht; ({16}) das ist in der Rede von Herrn Brandner deutlich geworden. ({17}) Frau Weidel, jetzt komme ich auf Sie zu sprechen. Sie haben es doch in Ihrer Rede vom 16. Mai 2018 zum Ausdruck gebracht. ({18}) Es geht Ihnen um die „alimentierten Messermänner“. ({19}) Die wollen Sie hier an den Pranger stellen. ({20}) Darum allein geht es Ihnen. Genau darum. Sie wollen – und das hat Ihr Kollege Berg im Landtag von Baden-Württemberg mit einem gleichlautenden Antrag zum Ausdruck gebracht – Menschen selektieren. Genau dieses Wort hat er verwendet. ({21}) Dieses Wort auf deutschem Boden – selektieren – ist – das muss ich Ihnen sagen – nicht mehr erträglich. ({22})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. ({0})

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. – Sie wollen in der Bevölkerung eine ablehnende Haltung schüren. Ihr Kollege Hess hat dazu sogar eine Statistik gefälscht. ({0}) Das kommt in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zum Ausdruck. ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Sie müssen jetzt Ihren Schlusssatz sprechen, Herr Kollege.

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich sage es mit Winston Churchill: Traue keiner Statistik außer der, die du selbst gefälscht hast. Wir sagen – zum Schluss –: Statistik zur Grundlage kriminologischer Forschung ja, für Propagandazwecke aber nein. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Als Nächster spricht der Kollege Konstantin Kuhle für die Fraktion der FDP. ({0})

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden über Kriminalstatistik, und wenn hier im Haus über Kriminalstatistik gesprochen wird, dann wird über objektive und über subjektive Sicherheit gesprochen. Lieber Kollege Müller, kein Opfer von Kriminalität und auch niemand, der in seiner Familie ein Opfer von Kriminalität hat, lässt sich von einer positiven Statistik in seinem Sicherheitsgefühl wieder bestärken; denn das ist ein Thema, das ihn möglicherweise ein Leben lang begleiten wird. ({0}) Aber, lieber Kollege Brandner, welchem Staatsanwalt, welchem Polizisten, welchem Bürgermeister hilft es eigentlich, wenn ich vor der Veränderung einer objektiven Statistik die politische Schlussfolgerung schon genau kenne, wenn ich schon genau weiß, welche Gruppe ich in den Blick nehmen will? Wenn ich schon vor der Erhebung weiß, was ich am Ende haben will, dann ist eine objektive Kriminalitätsstatistik das Gegenteil von dem, was unsere Sicherheitsbehörden brauchen. Sie brauchen eine überarbeitete Kriminalitätsstatistik, eine Erfassung, gerne auch vom Tatmittel Messer, aber nicht mit vorweggenommenen politischen Schlussfolgerungen, ({1}) die am Ende nur zu Schaum vor dem Mund führen und dazu, dass wir die Sicherheitsbehörden nicht vernünftig ausstatten, sondern unsere Bewertung als Politiker an die Stelle der Bewertung der Fachleute setzen, und das darf hier im Hohen Haus nicht passieren. Das ist eine Frage, die von den Sicherheitsbehörden geklärt werden muss. ({2}) Meine Damen und Herren, wenn es um subjektive Sicherheit geht, dann haben wir Politiker eben auch eine Verantwortung; denn genau wie objektive Sicherheit kann subjektives Sicherheitsempfinden das tägliche Leben von Menschen verändern. Es ist schlichtweg nicht hinzunehmen, wenn Menschen sich nicht mehr trauen, den öffentlichen Personennahverkehr zu nutzen und zu bestimmten Tag- und Nachtzeiten an bestimmten Orten unterwegs zu sein. Wenn also ein subjektives Gefühl dazu führt, dass ich mein Verhalten ändere, dann ist das auch ein Angriff auf Freiheit, dem wir auf den Grund gehen und zu dem wir sagen müssen: Da bedarf es möglicherweise einer Überarbeitung der Statistik. Nun ist es so, dass die Innenministerkonferenz richtigerweise beschlossen hat, dass in der Polizeilichen Kriminalstatistik künftig Messer als Tatmittel aufgeführt werden sollen. Es kommt aber möglicherweise gar nicht darauf an, dass diese Entscheidung auf Bundesebene getroffen wird, sondern es kommt vielmehr darauf an, dass die Statistiken in den Ländern einheitlich geführt werden. Es ist doch schlichtweg nicht vermittelbar, dass sich die Berichtsbögen unterscheiden, dass die statistischen Ansätze in den verschiedenen Ländern so unterschiedlich sind, dass eine Übersichtsstatistik wie die Polizeiliche Kriminalstatistik nicht geführt werden kann. Deswegen gehört zu diesem Beschluss der IMK, dass die Länder ihre statistischen Erhebungen jetzt anpassen und verbessern. ({3}) Ein zweiter Grund, warum ich glaube, dass dieser Antrag der AfD an dieser Stelle überflüssig ist, ist die Frage, die sich aus der Vorstellung der letzten Polizeilichen Kriminalstatistik ergeben hat. Wir haben damals sehr intensiv darüber diskutiert, welche Straftaten eigentlich in die Polizeiliche Kriminalstatistik einfließen. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Ausgangsstatistik. Straftaten werden also erst dann erfasst, wenn sie an die Staatsanwaltschaft weitergegeben werden. Daneben haben wir darüber diskutiert, welche Straftaten in die Statistik über politisch motivierte Kriminalität kommen, und ausgerechnet bei der handelt es sich um eine Eingangsstatistik. Das heißt, wir haben Konstellationen, in denen Rechtsextreme möglicherweise Angriffe auf Flüchtlingsheime unternehmen, und am Anfang wird prima facie davon ausgegangen, das sei gar keine rechtsextreme Straftat. Wer einen Komplettüberblick über Straftaten und Kriminalität haben möchte, der muss eine Angleichung dieser Zeitpunkte aus der Polizeilichen Kriminalstatistik und aus der Statistik über politisch motivierte Kriminalität hinkriegen, und dazu steht nichts im Antrag. Deswegen geht er an dieser Stelle nicht in die richtige Richtung. ({4}) Meine Damen und Herren, ein dritter Punkt, an dem wir die Kriminalstatistik dringend reformieren müssen, betrifft das Dunkelfeld; denn alle Statistiken über Kriminalität, die wir heute haben und benutzen, knüpfen an das Anzeigeverhalten und an die Kenntnis der Sicherheitsbehörden an. Was nicht zur Anzeige und nicht in den Kenntnisbereich der Sicherheitsbehörden gelangt, gelangt auch nicht in die Statistik. Deswegen gibt es kluge Ansätze aus dem BKA. Ich nenne hier den periodischen Sicherheitsbericht und den Viktimisierungssurvey des BKA. Das sind kluge Ansätze, um den Hellfeld- und den Dunkelfeldbereich gleichermaßen zu berücksichtigen. Wir brauchen an dieser Stelle eine Reform der Kriminalitätsstatistik unter Berücksichtigung der Frage Hellfeld/Dunkelfeld, unter Berücksichtigung politisch motivierter Kriminalität und unter Berücksichtigung der Technik der Statistik. Das wäre mal ein Reformvorschlag für die Kriminalitätsstatistik. Mit diesen beiden Spiegelstrichen ist es aber leider nicht getan. Vielen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächste Rednerin für die Fraktion der SPD ist die Abgeordnete Susanne Mittag. ({0})

Susanne Mittag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004355, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei einer Erweiterung der Polizeilichen Kriminalstatistik stellt sich natürlich erst mal die Frage, um was genau wir erweitern. Stellt sich tatsächlich ein Problem anhand von Fakten, oder sind das gefühlte Werte? So etwas wird ja auch sehr oft diskutiert. Zu welchem Zweck wollen wir die Statistik erweitern? Was machen wir am Ende mit dem Ergebnis? Man muss ja auch nach vorne gucken und sich fragen, wo wir eigentlich hinwollen. Ein medial befeuertes Thema muss nicht ein wirkliches Problem sein. Ob es zu den dringenden Herausforderungen gehört, wie im Antrag gelesen, möchte ich doch mal ganz stark bezweifeln. ({0}) Trotzdem sind es Aspekte, um die Notwendigkeit einer detaillierten Erfassung zu prüfen. Jetzt aber erst mal einige Fakten – einiges ist auch schon erwähnt worden; wir haben die Kriminalstatistik von 2017 vorliegen –: Es gibt einen Sachstand zu den Bereichen, in denen ein Messer ein entscheidendes Tatmittel sein kann. Das sind im Rahmen der Gewaltkriminalität, wie schon erwähnt, Mord, Totschlag, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, schwere und gefährliche Körperverletzung. Im Bereich der Raubdelikte sind das schwerer Diebstahl und Diebstahl mit Waffen. Man muss sagen: Mit Ausnahme der Sexualdelikte sind überall sinkende Fallzahlen zu beobachten. Auch bei der einfachen Körperverletzung, Straßenkriminalität, Nötigung, Bedrohung: Überall kann ein Messer dabei sein. Es ist nicht klar, ob es das ist, aber überall sinken die Fallzahlen. Bei den Straftaten gegen das Waffengesetz steigen die Fallzahlen hingegen. Es ist aber überhaupt nicht heraus, welche Waffen das sind und wie viele Messer eigentlich dabei sind. Auch die Anzahl der Tatverdächtigen bei Gewaltkriminalität ist gesunken, und die Aufklärungsquote ist angestiegen. Wenn Zahlen sinken, auch auf niedrigem Niveau, es aber auf polizeilicher oder auch auf öffentlicher Ebene Erkenntnisse oder eine Vermutung gibt, dass die Zahl der Vorfälle unter Nutzung eines Messers als Tatmittel unter Umständen gestiegen sein könnte, dann ist doch erst einmal Folgendes zu klären: Geht es eigentlich um die Messer, die unter das Waffengesetz fallen, wie Butterflymesser, beidseitig geschliffene Messer mit bestimmten Klingenlängen – das ist alles schon festgeschrieben –, oder geht es um allgemein zugängliche Messer, die für den Hausgebrauch oder um die, die man ohne Einschränkung kaufen kann? Geht es um den öffentlichen Raum oder um den Beziehungsbereich? Wo wird ein Messer eigentlich angewandt? Welche Folgen können diese Pro­blemstellungen verbessern? Mehr Prävention, mehr Kontrollen oder die Aufnahme einer größeren Anzahl von Messern ins Waffenrecht? Insofern passt der IMK-Beschluss von der letzten Woche, der auch schon erwähnt worden ist, sehr gut. Darin wird eine bundesweit einheitliche und vergleichbare statistische Erfassung von Messerangriffen als Grundlage für eine valide und verbesserte Darstellung begrüßt. Dabei geht es um Fakten und nicht um gefühlte Werte, um die Kriminalitätslage und die daraus resultierenden Handlungserfordernisse. Man muss doch einfach gucken: Was mache ich denn am Ende mit den Zahlen? Die IMK beauftragt den Arbeitskreis II, Innere Sicherheit – dazu gehören im Innenressort Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums und Mitarbeiter aus den Ministerien der Länder –, bis Herbst 2018 – das ist nun nicht so weit entfernt – einen Bericht zur fachlichen Prüfung und Umsetzungsmöglichkeiten vorzulegen; denn eine realistische Grundlage, um mit geeigneten Maßnahmen für erhöhte Sicherheit zu sorgen, wäre hilfreich. Wenig hilfreich ist es, wie geschehen, Handlungserfordernisse durch die Auswertung von Presseartikeln zu deklarieren oder ein örtlich erhöhtes Aufkommen auf das ganze Land zu übertragen, Altdaten und neue Daten miteinander zu vergleichen, obwohl man gar nicht weiß, wie die Altdaten überhaupt zustande gekommen sind. Das Thema ist ja nicht wirklich neu. Die Polizei hat sich darauf schon eingestellt, zumindest in Niedersachsen und auch bei der Bundespolizei mit der Ausrüstung von schnitt- und stichfesten Handschuhen. Das ist leider noch nicht überall der Fall. Da könnten einige Länder noch nacharbeiten. Aber jeder Polizeibeamte weiß und kalkuliert bei der Durchsuchung von Personen und Taschen, dass es dort offene Messer geben könnte, inzwischen allerdings auch offene Spritzen. Aber auch Scheren, angeschliffene Schraubendreher oder Stechbeitel sind Waffen. Das sind Hieb- und Stichwaffen. Da ist die Frage: Muss man sie miteinbeziehen? Auch diese werden genutzt. Aber derartige Übergriffe müssen nicht nur im öffentlichen Raum betrachtet werden, sondern auch im öffentlichen Betrieb, wie der Arbeitsplatz in Ämtern. Da gibt es in der PKS – Seite 93, falls es jemanden interessiert – den Titel: „Gewalt am Arbeitsplatz“. Es gibt erste Präventionskonzepte für öffentliche Einrichtungen und Kommunen. Da ist die Zahl der Gewaltübergriffe erheblich gestiegen. Valide Zahlen liegen da aber überhaupt nicht vor. Auch die Problematik bei Gewalt- und Raubdelikten ist ein Thema, etwa das Nachtreten auf wichtige Körperteile wie Kopf und Rumpf. Auch Mittäter oder bisher Unbeteiligte beteiligen sich an diesen Taten. Das wird richtigerweise immer wieder öffentlich dargestellt. Ist das auch ein Problem? Muss so etwas vielleicht auch extra erfasst werden? Insofern passt der zweite Beschluss der IMK in Sachen Tatmittel Messer recht gut. Es geht um den besseren Schutz vor Messerangriffen im öffentlichen Raum durch bundesweit zu prüfende Waffenverbotszonen. Hier soll eine Arbeitsgruppe eingerichtet werden, die eine Analyse von Straftaten mit Messern vornimmt, eine Strategie zum Umgang mit den Erkenntnissen entwickelt und gegebenenfalls die Einrichtung von Waffenverbotszonen empfiehlt, unabhängig von Kriminalitätsschwerpunkten. Das kann man nämlich jetzt schon machen, aber eben unabhängig davon. Ein ganz wichtiger Punkt zum Schluss sollte nicht außer Acht gelassen werden: das Gewaltpotenzial im rein häuslichen Bereich. Auch hier wird nicht erfasst, welche Tatmittel zur Gewaltanwendung genutzt werden. Bei häuslicher Gewalt ist das Dunkelfeld besonders groß. Diese Taten ereignen sich schon seit Jahrzehnten. In welchem Rahmen findet dort ein Messereinsatz statt – das ist genauso unklar wie die gesamte Polizeiliche Kriminalstatistik –, im Rahmen eines Angriffs oder einer Verteidigung? Der Zugriff auf Messer im häuslichen Bereich ist besonders einfach. Da kann man nur sagen: Die mögliche Eskalation in der Küche birgt ein besonderes Gefährdungspotenzial. Ich denke, das Thema muss erst einmal richtig, faktenfest und nachvollziehbar vorbereitet werden. Da ist die IMK schon auf einem guten Weg. Daher sollten wir bei Vorlage eines Ergebnisses der Innenministerkonferenz im Herbst über die weiteren Schritte erneut diskutieren, beraten und gegebenenfalls beschließen, wenn die IMK das nicht schon selber macht. Die Umsetzung in der Polizeilichen Kriminalstatistik wäre sowieso erst zum 1. Januar 2019 machbar. Bis dahin haben wir ja noch ein bisschen Zeit. Herzlichen Dank. ({1})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte findet heute auch vor dem Hintergrund des Mordes an Susanna und ähnlichen Bluttaten statt. Das sind entsetzliche Verbrechen. Und an die AfD: Ganz unabhängig davon, welchen Pass oder welchen Glauben Täter oder Opfer hatten – es ist einfach unerträglich, wie Sie hier solche Dinge instrumentalisieren, um Ihre rassistische Hetze immer wieder zum Besten zu geben. Ich kann einfach nur sagen: Es ist widerwärtig. ({0}) Meine Damen und Herren, im vorliegenden Antrag fordert die AfD eine separate Erfassung von Straftaten unter Zuhilfenahme des Tatmittels Messer in der Polizeilichen Kriminalstatistik. ({1}) Auf eine bundesweite Erfassung von Messerattacken, wie auch von der Gewerkschaft der Polizei gefordert, hat sich – das haben wir eben schon gehört – die Innenministerkonferenz vergangene Woche bereits verständigt. Das finden wir auch richtig. Der AfD-Antrag könnte damit einfach in den Papierkorb wandern. Doch die AfD fragt gar nicht erst nur nach Messerattacken. Sie will generell Straftaten unter Zuhilfenahme des Tatmittels Messer erfassen lassen. ({2}) In der Statistik würden dann auch Messer, die zum Aufbrechen einer Wohnung oder eines Autos verwendet wurden, oder das Mitführen von illegalen Springmessern auftauchen. Das wäre unserer Meinung nach nicht zielführend, es sei denn, man will einen dramatischen Anstieg von Straftaten mit Messern suggerieren, wie es im AfD-Antrag behauptet wird. ({3}) Wenn Herr Curio zum Beispiel unter Berufung auf eine Anfrage in der Öffentlichkeit im Abgeordnetenhaus in Berlin von sieben Messerattacken pro Tag in Berlin spricht, ist das einfach schlicht falsch und gelogen. ({4}) Denn ein Messer wird in Berlin auch dann polizeilich erfasst, wenn es gar nicht zum Einsatz gekommen ist, sondern nur mitgeführt wurde. ({5}) Wer so mit Statistiken umgeht, meine Damen und Herren von der AfD, der hat nur Angstmache und Panikmache im Sinn. Nichts anderes tun Sie auch heute wieder. ({6}) Von einem dramatischen Anstieg von Messerattacken – das haben wir heute auch schon gehört – oder einer Messerepidemie kann nicht die Rede sein. Gucken Sie einmal in den Faktencheck des gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv: ({7}) Kürzlich wurde nachgewiesen, dass das überhaupt nicht wahr ist. Soweit Statistiken einzelner Bundesländer vorliegen, lassen diese ebenfalls einen geringen Anstieg von Straftaten mit Messern erkennen. ({8}) Aber es gibt auch Gegenden, wo zum Beispiel die Zahl der Straftaten mit Messer 2017 zurückgegangen sind. Nehmen Sie doch einfach einmal zur Kenntnis: Seit Jahrzehnten gibt es einen kontinuierlichen Rückgang bei den schweren Gewalttaten. Das wollen Sie hier nicht hören. Der Kriminologe Christian Pfeiffer ({9}) beklagt im Übrigen eine wachsende Diskrepanz zwischen der gefühlten Kriminalitätstemperatur und der Realität der Zahlen. ({10}) Pfeiffer sagt – ich zitiere ihn –: Das hängt auch mit den Medien zusammen, ({11}) die lieber schlechte Nachrichten senden als gute. … Brutale Nachrichten, die Angst machen, halten die Einschaltquoten hoch. Ich füge hinzu: Das hängt auch mit Politikern zusammen wie hier auf der rechten Seite, ({12}) die dieses Klima der Angst schüren, um darin ihr Süppchen zu kochen. Das ist wirklich widerwärtig. ({13}) Meine Damen und Herren, immer wieder behauptet die AfD einen Zusammenhang zwischen Flüchtlingen und Gewaltkriminalität. Ich will hier einmal ganz deutlich sagen: Es gibt ein Problem vor allem mit jungen Männern. ({14}) Das können Sie aus der Kriminalitätsstatistik herausanalysieren. Wenn man ernsthaft etwas gegen Kriminalität machen will – daran knüpft die Linke an –, dann muss man ({15}) vor allen Dingen bei Menschen, die hierher geflüchtet sind, mit sicherer Bleibeperspektive, mit Sprach- und Bildungsangeboten, mit dem Recht auf Arbeit und Familienzusammenführung reagieren; ({16}) denn öffentliche Sicherheit erfordert gute Sozial- und Integrationspolitik ({17}) und nicht Panikmache und Verschärfung, wie Sie es der Öffentlichkeit immer wieder weismachen wollen. ({18})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Canan Bayram für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Canan Bayram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004665, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man stellt sich, wenn man den sehr kurzen Antragstext der AfD liest, wirklich die Frage, was sie damit eigentlich bezweckt. Wenn man dann noch weiß, dass sich das eigentlich durch den Beschluss der Innenministerkonferenz schon erledigt hat, war man sehr gespannt auf die Rede der AfD ({0}) und auf Ausführungen dazu, warum sie heute eigentlich über dieses Thema debattieren will. Es fing an mit der ewigen Leier von dem, was Frau Merkel angerichtet hätte. ({1}) Wir dürfen uns, wie ich meine, ja nicht daran gewöhnen, dass Herr Brandner seine Reden hier hält, wie er sie nun einmal hält. Manchmal könnte man denken: Wo lebt der Mann eigentlich? Kennt der sich überhaupt nicht aus? ({2}) Dann wird einem aber klar: Der ist auch noch Vorsitzender des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages. Da hätten Sie sich doch einmal die Mühe machen können, Herr Kollege Brandner, über das Thema zu reden. Sie haben sich weder Mühe mit dem Antrag gemacht, noch haben Sie bei Ihrer Rede versucht, über das zu diskutieren, was Sie vorgeblich nach der Überschrift Ihres Antrags diskutieren wollen. ({3}) Insofern fragt man sich tatsächlich: Warum interessiert sich die AfD für Morde an Frauen, sogenannte Femizide? Wenn man dann auch noch sieht, wie Sie von der AfD sich hier verhalten: Da sitzt eine Frau vorne in Ihren Reihen – hinten eine weitere, eine dritte habe ich jetzt auch gesehen –, die feixt hier und lacht sich einen während der Rede der anderen. Da frage ich mich: Warum freuen Sie sich eigentlich so? ({4}) Weil Ihr Plan aufgegangen ist, dass Sie den Tod von jungen Frauen, von Mädchen instrumentalisieren, um Ihre schäbige und letztlich verfassungsfeindliche Gesinnung in dieses Haus zu tragen! ({5}) Da sage ich Ihnen ganz klar: Das machen wir hier nicht mit. Wir stellen uns dem entgegen – überall, wo es uns begegnet. ({6}) Ich sage Ihnen auch noch einmal: Das ist so mies und schäbig, dass wir immer wieder deutlich machen müssen: Jeder der Kollegen hier hat Mitgefühl für die Angehörigen der ermordeten Mädchen. Aber keiner hat Verständnis dafür, wie Sie damit umgehen wollen. ({7}) Ehrlich gesagt – jetzt mal ganz entspannt –, ({8}) wenn Sie über Polizeistatistik und über Kriminalstatistik reden wollen, dann können Sie das demnächst machen, weil wir einen Gesetzentwurf eingebracht haben, mit dem wir einen Periodischen Sicherheitsbericht fordern. ({9}) – Ja, nicht Ihre Periode, Frau Weidel. ({10}) Das heißt, wir wollen in regelmäßigen Abständen deutlich machen, dass wir die Kriminalitätsstatistik und die Statistik hinsichtlich der Strafverfahren so zusammenführen, dass wir ein Gesamtbild über die Kriminalitätslage bekommen und daraus sozusagen die Maßnahmen ableiten, die erforderlich sind. Denn das – da sind wir uns alle einig – schulden wir den Menschen, die natürlich erwarten, dass nicht nur Polizei und Staatsanwaltschaft, sondern auch der Gesetzgeber sich darum kümmert, dass alle Menschen hier in Deutschland sicher leben können. Dazu habe ich von Ihnen keinen Beitrag gehört. ({11})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner ist der Abgeordnete Marian Wendt für die CDU/CSU. ({0})

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Messer entwickelt sich zu der meistbenutzten Waffe der Gewaltkriminalität. Entsetzliche Verbrechen werden mit Messern begangen, und zwar sowohl von In- als auch von Ausländern. Die Hemmschwelle, ein Messer einzusetzen oder damit zu bedrohen, wird immer geringer. Die Messerdelikte nehmen stark zu. Allein in Berlin erfasste die Polizei im Jahr 2017  2 700 Straftaten mit einem Messer; zehn Jahre zuvor war es etwa nur die Hälfte. In Hessen wurden 2013 noch 895 Körperverletzungs- und Tötungsdelikte mit einem Messer gezählt; vergangenes Jahr waren es circa 300 mehr. Genau deswegen, weil die Zahlen besorgniserregend sind, hat die Innenministerkonferenz unter Führung des CDU-Ministers Stahlknecht gehandelt und vor wenigen Tagen beschlossen, in der PKS, in der Polizeilichen Kriminalstatistik, das Tatmittel Messer gesondert aufzuführen. Ich finde das sehr, sehr richtig, und es verdient unsere Unterstützung. ({0}) Denn wir brauchen diese Informationen, eine exakte, ordentliche polizeiliche Erfassung der Taten, nicht nur, damit wir das Nötige wissen, sondern auch, damit wir konsequent handeln und vor allen Dingen die richtigen kriminalpolitischen Konsequenzen ziehen. Diesen Vorschlag hat bereits die Deutsche Polizeigewerkschaft ausdrücklich unterstützt. Wir sollten die Polizeigewerkschaft dahin gehend unterstützen, grundsätzlich jeden Messerangriff als versuchtes Tötungsdelikt einzustufen. ({1}) Des Weiteren braucht es ein umfassendes Konzept, das möglichst viele Menschen davon abhält, Messer bei sich zu tragen. Dabei ist beispielsweise ein umfassendes, teilweise bereits bestehendes Waffenverbot an Kindergärten, Schulen, Bahnhöfen und bestimmten öffentlichen Einrichtungen ein erster Schritt. Ein darauffolgender Schritt, eine logische Konsequenz, sind gezielte Kontrollen und Durchsetzung; das ist ganz klar notwendig. Dafür braucht es natürlich mehr Polizei; die Finanzierung dafür werden wir schon mit diesem und dem nächsten Bundeshaushalt zur Verfügung stellen. Aber kommen wir vielleicht noch einmal kurz zur antragstellenden Fraktion. Die AfD möchte dieses Thema wieder einmal politisch ausbeuten, obwohl es wenig auszubeuten gibt; denn das Thema ihres Antrages ist abgeräumt. ({2}) Sie glauben nur an selbstgefälschte Statistiken. ({3}) Gerade Sie sind ja das Problem. Sie schwingen sich auf als Partei von Recht und Gesetz, als Hüterin der öffentlichen Ordnung. Dies ist aus meiner Sicht eine Provokation; denn Sie sind mit verantwortlich für die Verrohung der Gesellschaft und die Senkung der Hemmschwelle zur Gewaltanwendung. ({4}) Sie kommen hier mit dem erhobenen Zeigefinger. Dabei ist auch Ihre Partei in Deutschland verantwortlich für einen starken Anteil an Straftaten. Sie sind die Partei in Deutschland, die die meisten Abgeordneten mit laufenden Strafverfahren stellt. ({5}) 22 Abgeordnete im Bund und in den Ländern gibt es aktuell – nur aktuell –, gegen die 24 Verfahren bei Gerichten und Staatsanwaltschaften anhängig sind. ({6}) So viele strafbewehrte Mandatsträger haben alle im Bundestag vertretenen Parteien in Bund und Land nicht zusammen. Sie sollten also zuerst bei sich kehren und aufhören, mit dem erhobenen Zeigefinger zu kommen. ({7}) Ich möchte das gern auch kurz begründen. ({8}) – Nein, Herr Brandner, ich lasse die Frage nicht zu. Für Ihre ungehörigen persönlichen Diffamierungen der Kollegin Bayram haben Sie einen Wortbeitrag nicht verdient. ({9}) Ein Landtagsabgeordneter aus Brandenburg hat eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten wegen Steuerhinterziehung zu verbüßen. Ein Kollege von Ihnen aus Sachsen-Anhalt bietet eine breite Auswahl an relevanten Rechtsverstößen: Verkehrsdelikte, sexuelle Übergriffe, Nötigung bis hin zu Vergewaltigung. Gegen einen AfD-Abgeordneten aus dem Saarland wurde wegen Trunkenheit im Verkehr ein Strafbefehl erlassen. ({10}) Ich denke mal, das Thema Volksverhetzung brauchen wir gar nicht anzusprechen; das ist in Ihrer Partei quasi im Dauerangebot. Wer die dunkelste Zeit der deutschen Geschichte einen „Vogelschiss“ nennt, dürfte kaum die erste Reihe in diesem Hohen Hause besetzen; ({11}) dem kaufe ich seine „Recht und Ordnung“-Rhetorik erst gar nicht ab. Meine Damen und Herren, wir werden den Antrag deshalb ablehnen. Vielen Dank. ({12})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Der Kollege Brandner erhält das Wort für eine Kurzintervention von maximal zwei Minuten. ({0})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich bin wesentlich schneller fertig. ({0}) Es geht eigentlich nur um eine Frage an den verehrten Kollegen. Er hat Zahlen genannt zu angeblichen strafbewehrten Sachen, die bei uns in der Fraktion gelaufen sind. Sie haben 22 Ermittlungsverfahren erwähnt. Da würde mich mal interessieren, welche Ermittlungsverfahren Sie da konkret meinen. Und wenn Sie mit der Beantwortung dieses ersten Teils der Frage fertig sind, ({1}) können Sie ja noch Auskünfte dazu geben – wir leben in einem Rechtsstaat, in dem die Unschuldsvermutung gilt; der Ausdruck dürfte Ihnen was sagen –, ({2}) am besten belastbare Auskünfte, wer von uns in der Fraktion rechtskräftig verurteilt worden sein soll. Herr Wendt, ich bin gespannt auf Ihre Antwort. Vielen Dank. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Wendt. ({0})

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Kollege Brandner, natürlich habe ich vor dieser Rede exakt recherchiert. Wir haben zahlreiche Quellen, öffentlich zugängliche wie natürlich auch verschiedene andere Quellen, genutzt, um diese Vorwürfe zu prüfen. Wir sind bei dieser exakten Prüfung – 22 Kollegen von Ihnen aus Bund und Land; 24 Verfahren insgesamt – auf diese Ergebnisse gestoßen. ({0}) Diese sind belegbar. Diese Liste können Sie gern in meinem Büro einsehen. ({1}) Ich habe davon gesprochen – wenn Sie meine Rede genau verfolgt haben, wissen Sie das –: Das sind Verfahren, die anhängig sind bei Gerichten oder Staatsanwaltschaften. Damit habe ich nicht gesagt, dass die Betroffenen verurteilt wurden. ({2}) Natürlich gilt die Unschuldsvermutung. Der Kollege Brandner ist jedoch Vorsitzender des Rechtsausschusses. ({3}) Bevor eine Staatsanwaltschaft in Deutschland den Bundestag bittet, die Immunität eines Abgeordneten aufzuheben, bzw. korrekterweise, muss ich sagen, um die Durchführung eines Strafverfahrens bittet – die Immunität wird ja nicht per se aufgehoben –, ({4}) macht sie sich sehr viele Gedanken. Da werden sehr viele Indizien und Beweise vorher geprüft, um zu sehen, ob dieses Strafverfahren Aussicht auf Erfolg hat. Auch die Kolleginnen und Kollegen im Bundestag folgen ja dann dieser Empfehlung, nachdem sie sich sehr dezidiert damit auseinandergesetzt haben. Also fragen Sie lieber erst mal Ihre Kolleginnen und Kollegen, die Strafverfahren begangen haben, warum sie die begangen haben, ({5}) und dann können Sie hier wieder als Recht- und Gesetzpartei auftreten. Vielen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Das Wort erhält die Abgeordnete Dr. Frauke Petry, fraktionslos. ({0}) – Wir sind jetzt schon bei der nächsten Rednerin. Deshalb bitte ich, ihr die nötige Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Frau Petry, Sie haben das Wort.

Dr. Frauke Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004851, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Danke. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich versuche mal, zum Thema zurückzukommen. Es ist schade, an diversen Stellen, auch bei Ihnen, Herr Wendt, dass Sie nicht bei dem Thema bleiben, ({0}) bei dem Sie punkten könnten, indem Sie sagen, dass die Innenministerkonferenz genau das beschlossen hat, was offenbar nötig war, ({1}) nämlich die statistische Situation in der Frage von Messerattacken und Attacken mit anderen Stichwaffen zu verbessern. Das haben mehrere Redner hier thematisiert. Es zeigt die Notwendigkeit dieser Vorgehensweise. In der Tat: Die beiden Polizeigewerkschaften – nicht nur eine; selten sind sie sich so einig – fordern eine bundesweite Erfassung, um ein besseres Lagebild zu erhalten. Dass von linker Seite des Parlamentes dagegen polemisiert wird, ist nicht verwunderlich, auch nicht schlimm. Ich freue mich, dass Sie von der FDP, Herr Kuhle, zumindest konstatiert haben, dass es nötig ist, eine bessere Statistik zu haben. Die Vorschläge können wir dann im Innenausschuss gemeinsam diskutieren. Ich bin gespannt, ob am Ende ein runder Antrag oder eine runde Vorgehensweise dabei herauskommt. ({2}) Frau Mittag, Sie wissen sicherlich genauso gut wie ich, dass Ihre Kollegen aus Nordrhein-Westfalen, dem größten Landesverband, einen ähnlichen, nicht gleichlautenden, aber in eine ähnliche Richtung gehenden Antrag in dieser Legislatur gestellt haben, um auch in Nordrhein-Westfalen die statistische Situation zu verbessern. Insofern kann ich im ganzen Haus eine breite Basis, abseits von Ideologien, für verbesserte Statistiken sehen. Es fragt sich nur, warum Sie wieder einmal aufeinander losgehen, anstatt einfach festzustellen, dass es im Sinne aller Bürger ist, dass wir statistische Sicherheit darüber gewinnen, wie es mit Attacken mit Messern und anderen Stichwaffen in diesem Land aussieht. Da müssten Sie sich untereinander gar nicht in die Haare bekommen, und dann wäre dieser Antrag vielleicht tatsächlich überflüssig. ({3}) Herzlichen Dank.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster und letzter Redner in der Debatte ist für die CDU/CSU Michael Kuffer. ({0})

Michael Kuffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004795, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Messer­angriffe sind in ihrer Rohheit und in der körperlichen Brutalität, die damit verbunden ist, kaum zu übertreffen. Sie richten nicht nur lebensgefährlichen, ja oft tödlichen Schaden an, sondern sie sind in ihrer Anwendung stets bestialisch. Gleichzeitig – das macht die Sache so schwierig – kommen einem Messer angesichts seiner Einfachheit besondere Eigenschaften als Tatwaffe zu: Es ist jederzeit und für jeden frei verfügbar, es ist ein Alltagsgegenstand. So trivial das klingt, so schwierig macht es den Umgang mit diesem Tatmittel. Die Frage der Beschaffungskriminalität stellt sich nicht. Damit gibt es natürlich auch ein hohes Dunkelfeld. Es gibt Schwierigkeiten für die Sicherheits- und Ermittlungsbehörden, derartige Taten im Vorfeld über den Beschaffungsweg zu identifizieren und im Vorfeld einzuschreiten. Es ist auch vergleichsweise leicht, ein Messer unauffällig oder sogar völlig unentdeckt im öffentlichen Raum bei sich zu tragen, was letztlich auch zu einem maximalen Überraschungseffekt führt. All diese Faktoren machen das Messer zu einem besonders kritischen Tatmittel. Ihre kriminalistische Erfassung ist deshalb richtig und wichtig. Jetzt habe ich noch 2 Minuten, 23 Sekunden. Die könnte ich jetzt einfach darauf verwenden, die Debatte noch einmal zusammenzufassen. Ich versuche das einmal ganz einfach: Wir wissen, dass die Messer in der Kriminalitätsstatistik erfasst gehören. Die Innenministerkonferenz hat genau das beschlossen. Die AfD hat wieder einmal 38 Minuten Debatte beantragt, damit wir uns 38 Minuten lang gegenseitig versichern, dass das, was die Innenministerkonferenz bereits auf den Weg gebracht hat, richtig und wichtig ist; und so gehen wir wieder auseinander. Es ist wie immer heute Abend. ({0}) Der Unterschied zwischen der Innenministerkonferenz und Ihrem Schaufensterantrag ist lediglich der, dass die Innenministerkonferenz eine fachliche Prüfung in den Antrag eingebaut hat. ({1}) Ich weiß, das ist Ihnen natürlich vollkommen fremd. Insofern gibt es gewisse Unterschiede zwischen dem, was die Innenministerkonferenz beschlossen hat, und dem, mit dem Sie uns heute hier beglücken. Aber letzten Endes ist der Mehrwert wieder mal gleich null. ({2}) Was soll man dazu noch sagen? ({3}) Wir sind hier, um mit konkreten Lösungen die Probleme anzupacken; Sie bleiben weiterhin bei dem, was Sie am besten können, nämlich große Reden schwingen ({4}) und sich an der fachlichen Debatte nicht beteiligen. So macht heute jeder wieder das, was er am besten kann. Die Rollen sind verteilt wie immer. Ich bedanke mich fürs Zuhören. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die 2 Minuten 23 Sekunden nicht ganz ausgeschöpft haben. Das hilft uns, früher fertig zu werden. Es gibt auch keinen Zwang, die Redezeit vollständig auszuschöpfen. ({0}) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/2731 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Gabi Weber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004438, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Der Einsatz im Kosovo ist eines der am längsten laufenden Mandate der Bundeswehr und gleichzeitig ein gutes Beispiel, wie es gehen kann. Der Einsatz begann 1999 mit allein etwa 6 000 deutschen Soldaten und Soldatinnen. Der Auftrag der NATO-geführten KFOR-Mission war anfangs die Verhinderung von weiteren Kampfhandlungen zwischen serbischen und kosovarischen Kräften. Das wurde erreicht, obwohl es zwischenzeitlich Rückschläge gab. Nach nunmehr 20 Jahren ist es gelungen, ein stabiles und sicheres Umfeld zu schaffen und das Kosovo auch politisch und wirtschaftlich zu stabilisieren, nicht zuletzt unter Einsatz von beträchtlichen Mitteln aus dem Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. ({0}) Allen, die in diesen Jahren in dieser Mission und in den zivilen Zusammenhängen beteiligt waren, gilt mein herzlichster Dank. ({1}) Die im Rahmen von KFOR entsandten Bundeswehr­einheiten nehmen schon lange keine Kampfaufgaben mehr wahr. Im Mandat wird zwar weiterhin erlaubt, abschreckend zu wirken; deshalb belassen wir auch die Personalobergrenze bei 800 Personen. Zurzeit sind aber nur noch 400 deutsche Soldaten und Soldatinnen im Einsatz. Für die Zukunft bedeutet dies, dass wir nicht mehr selbst eingreifen, sondern aufklären und beraten. Liebe Kollegen und Kolleginnen, man kann feststellen: Die Lage ist dort zunehmend entspannt. Dies führte mittlerweile dazu, dass wir Ende 2017 das Einsatzlazarett in Prizren an zivile kosovarische Institutionen übergeben konnten, dass diesen Monat die Schnelle Eingreiftruppe aufgehoben wird, die vor sechs Jahren zum letzten Mal eingesetzt wurde, dass bis Ende dieses Jahres das deutsche Feldlager in Prizren aufgegeben wird – über die zivile Nachnutzung laufen derzeit Gespräche –, ({2}) und dass ab nächstem Jahr die Zahl der deutschen Kräfte weiter auf circa 80 Soldaten gesenkt werden kann und diese dann ausschließlich in Pristina, im NATO-Hauptquartier, konzentriert werden. Wenn man das sieht, wird klar: Die militärischen Aufgaben im Kosovo sind im Rahmen dieses Mandates abgearbeitet. Doch zugleich ächzt das Kosovo weiterhin unter einer hohen Korruptionsrate und hoher Kriminalität. Dem ist militärisch natürlich nicht beizukommen, sondern nur durch entsprechend gut ausgebildete Polizei und einen effektiven Justizsektor, also mit zivilen Mitteln. ({3}) Deshalb ist es gut, dass das Mandat EULEX Kosovo, also die Rechtsstaatlichkeitsmission der EU, letzte Woche um zwei weitere Jahre verlängert wurde. Die Mission wird weiterhin die kosovarischen rechtsstaatlichen Institutionen überwachen und beraten und so zu einer weiteren Stärkung der zivilen Sicherheitskräfte beitragen. ({4}) Liebe Kollegen und Kolleginnen, ein wichtiger Baustein ist dabei auch eine Gesetzgebung, die das im Krieg erlittene Leid der Menschen nicht ignoriert. Dass das kosovarische Parlament ein Gesetz verabschiedet hat, das den Frauen, die Opfer von sexualisierter Gewalt geworden sind, eine finanzielle Entschädigung zugesteht, ist beispielgebend für den ganzen Balkan und kann auch darüber hinaus ausstrahlen. ({5}) Unser Beitrag zum gesamten Aufbauprozess in der Region sind demnach nicht nur Truppen und Gerätschaften für KFOR. Entscheidend ist auch eine politische Begleitung der Konfliktlösung auf vielen Ebenen. Diese konsequent fortzusetzen, ist die wichtigste Unterstützung, die dem KFOR-Mandat zuteilwerden kann. Sehr freuen würde es nicht nur mich, wenn das Land absehbar sogar die EU-Beitrittskriterien erfüllt und damit eine echte Perspektive erhalten würde. Aus all diesen Gründen: Es ist positiv gelaufen. Es ist ein wirklich gutes Beispiel, wie eine Mission ablaufen kann. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung für dieses Mandat. Vielen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Anton Friesen von der Fraktion der AfD. ({0})

Dr. Anton Friesen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004720, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Geehrte Zuhörer! Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hat sich der Kosovo-Einsatz der Bundeswehr zum zweittödlichsten entwickelt: 27 unserer Soldaten ließen auf dem Amselfeld ({0}) ihr Leben. Ihnen allen gebühren unser Dank und unsere Anerkennung. ({1}) Die Regierung und das Parlament haben sie in einen Einsatz geschickt, ohne dass dieser den politischen Zweck erfüllen konnte, das Kosovo zu stabilisieren. Dabei wusste schon Clausewitz, dass eine erfolgreiche Strategie sich stets die Frage stellen muss, ob mit den eingesetzten militärischen Mitteln die politischen Ziele auch erreicht werden können. Für uns ist die Antwort klar: Eine Stabilisierung des Kosovo ist bei einer bloßen Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes unmöglich. ({2}) Ein Weiter-so auf unbestimmte Zeit ohne eine Exit-Strategie wird es mit der AfD nicht geben. ({3}) 19 Jahre nach Ende des Krieges ist das Kosovo ein gescheiterter Staat: bei der Korruption auf Platz 85, top einzig und alleine bei der Jugendarbeitslosigkeit und bei der Anzahl der IS-Kämpfer. 300 Kosovaren bei insgesamt 1,8 Millionen Einwohnern haben sich dem „Islamischen Staat“ angeschlossen, und das alles wohlgemerkt unter den Augen der EU und der NATO. Der Aufbau einer multikulturellen Gesellschaft in diesem EU-Protektorat ist krachend gescheitert. ({4}) Über 90 Prozent der Serben im Nordkosovo glauben – ({5}) – ich weiß es vielleicht besser als Sie –, ({6}) dass die Entwicklung nicht in die richtige Richtung geht. Jeder Zweite ist der Meinung, dass das Leben der Serben im Kosovo in drei Jahren schlechter sein wird als heute. Der Exodus der Serben und der anderen Minderheiten wird anhalten und weitergehen. Wer hier noch meint, wir würden zur Stabilität beitragen, indem wir auf unbestimmte Zeit und ohne klare politische Vorstellung zur Zukunft des Kosovo vor Ort bleiben, der meint vielleicht auch, dass unsere Soldaten am besten bis in alle Ewigkeit am Hindukusch stationiert werden sollten. ({7}) Eine Lösung des Kosovokonflikts ist nicht einfach. Zu viel wurde durch die moralisierenden rot-grünen Kriegs­pazifisten zerstört, zu wenig wurde durch die deutsche politische Elite über Alternativen nachgedacht. Dabei gab es und gibt es diese durchaus. Noch 2001 erschien in der Fachzeitschrift „Internationale Politik“ der mit Steuermitteln geförderten Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ein Aufsatz, in dem es heißt – ich zitiere –: Letzten Endes wird man Kosovo die Unabhängigkeit oder etwas Gleichartiges nicht verwehren können, möglicherweise um den Preis einer Abtrennung von Mitrovica. Also einer von Serben bewohnten Stadt. – Eine Teilung des Kosovo, wonach der Norden zu Serbien und der Süden womöglich zu Albanien kämen, wurde also schon damals vorgedacht. Auch wenn es schwer werden wird, das wäre zumindest eine nachhaltige Lösung statt des ewigen Durchwurschtelns dieser Bundesregierung. Vielen Dank. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege Nikolas Löbel. ({0})

Nikolas Löbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004805, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das KFOR-Mandat ist ein besonderes Mandat. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Diskussion im Jahr 1999. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass in meinem Land, in Deutschland, wieder über Krieg und Frieden diskutiert wurde. ({0}) Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder nicht von Krieg sprach, sondern sagte: Es ist eine Teilnahme zur Sicherung gegenseitiger kollektiver Sicherheit. – Es war kein Angriffskrieg, der uns durch das Grundgesetz untersagt ist. Es war eine humanitäre Intervention. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es war schon Krieg. Heute ist der KFOR-Einsatz das am längsten bestehende Mandat der Bundeswehr, und es ist nach wie vor das schwierigste. Damals ging es um das Beenden von systematischem Völkermord; heute geht es um die Sicherung eines politischen und gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses. Insoweit stellt der Kosovo-Einsatz exemplarisch den Wandel der Herausforderung dar, vor der die Bundeswehr immer wieder steht: von der humanitären Intervention bis hin zu einer militärischen Sicherung eines politischen Prozesses. Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 13. Juni 1999, also fast auf den Tag genau vor 19 Jahren, um kurz vor 18 Uhr schoss ein deutscher Soldat zum ersten Mal nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf einen Menschen. ({1}) Es war Selbstverteidigung. Das führt uns aber auch die historische Bedeutung dieses Einsatzes vor Augen. Heute können wir sagen: Die Lage im Kosovo ist grundsätzlich ruhig und stabil. Es bleibt aber ein Konflikt und ein Eskalationspotenzial, vor allen Dingen im Norden des Landes. Es geht seit vielen Jahren um ein langsames Ausgleiten des Einsatzes, wie es die Bundesverteidigungsministerin einmal nannte. Einst waren es 6 000 deutsche Soldaten, heute sind es 450 Soldatinnen und Soldaten. Die Obergrenze liegt bei 800. Schon lange geht es nicht mehr nur um eine militärische Verantwortung Deutschlands; es geht auch um die politische Begleitung einer Konfliktlösung; denn im Kosovo findet zwischen Albanern und Serben ein Normalisierungsdialog statt. Dabei steht es uns nicht zu, auf der Landkarte einen Trennstrich zu ziehen. Serbien, Albanien, Kosovo – es ist das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes, sich zu entscheiden, in welchem Land es leben will. Der Kosovo hat sich vor zehn Jahren für die Unabhängigkeit entschieden, und es ist eben nicht unsere Aufgabe, den Blick in die Vergangenheit zu werfen, sondern für eine sichere Zukunft zu sorgen. Die Präsenz der Bundeswehr ist unser deutscher Beitrag zur Stabilisierung auf dem westlichen Balkan. Der Kosovo ist kein gescheiterter Staat, wie es manche Vertreter der AfD hier behaupten. Der Kosovo ist der zweitjüngste Staat auf der Welt; er ist der jüngste Staat in Europa. Der Kosovo braucht unsere Hilfe: militärisch, wirtschaftlich, finanziell, politisch. Seit 1999 sind 570 Millionen Euro in die wirtschaftliche Aufbauhilfe des Landes geflossen. ({2}) Das ist noch nicht genug. Angesichts von 50 Prozent Arbeitslosigkeit und 80 Prozent Jugendarbeitslosigkeit gibt es im Kosovo viel zu tun. Es geht aber vor allen Dingen darum, dem Kosovo eine europäische Perspektive zu geben. Der Kosovo ist der jüngste Staat Europas, habe ich gesagt. Es liegt im deutschen, im europäischen geopolitischen Interesse, dass wir dort aktiv bleiben. Wie meine ich das? Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, und diese Definition ist untrennbar mit dem System der kollektiven Sicherheit verbunden. Auslandseinsätze der Bundeswehr sind dabei auch keine Auslaufmodelle, liebe Kolleginnen und Kollegen. Auslandseinsätze sind der Ausdruck deutscher Verantwortung in der internationalen Gemeinschaft. ({3}) Natürlich spielen auch geopolitische Überlegungen eine Rolle. ({4}) Die USA, Russland, China, ja sogar Saudi-Arabien mischen auf dem Balkan, mischen im Kosovo mit. ({5}) Es geht um strategischen, politischen, wirtschaftlichen Einfluss. Sichern wir den Einfluss Europas auf dem Westbalkan, im Kosovo, durch einen deutschen Beitrag! Europa endet nicht an der europäischen Außengrenze. Europa ist mehr. Europa bedeutet Verantwortung; Verantwortung für unsere Nachbarn und für die Länder wie den Kosovo, die sich eine europäische Perspektive und eine deutsche Unterstützung wünschen. Stimmen wir also heute für die Mandatsverlängerung! Führen wir das längste und vielleicht auch das schwierigste Mandat in der Geschichte der Bundeswehr zu einem erfolgreichen Ende! Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Nikolas Löbel. – Schönen guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen von mir an Sie. Einen noch langen schönen Abend wünsche ich Ihnen und uns. Nächste Rednerin für die FDP-Fraktion: Kollegin Renata Alt. ({0})

Renata Alt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004654, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Januar dieses Jahres wurde Oliver ­Ivanovic, der prominenteste serbische Politiker im ­Kosovo, auf offener Straße erschossen. Im März dieses Jahres wurde Marko Djuric, der Beauftragte der serbischen Regierung für die Verhandlungen mit dem Kosovo, bei einem brutalen Polizeieinsatz festgenommen. Der Frieden im Kosovo ist fragil; da muss ich Ihnen, Herr Löbel, widersprechen. Die Situation ist nicht so sicher und nicht so einfach, wie Sie es beschrieben haben. ({0}) Das Verhältnis zwischen Belgrad und Pristina hat sich seit diesen Vorfällen deutlich verschlechtert. Besonders der Norden des Landes birgt Konflikt- und Eskalationspotenzial. Korruption, Vetternwirtschaft, organisierte Kriminalität sind strukturelle Probleme, die bis heute nicht gelöst wurden. Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, besonders bei der Jugend, ist eine zusätzliche Herausforderung. Nun könnte man argumentieren, dass man dieses langjährige Engagement einstellen sollte. Das wäre zu einfach. ({1}) – Nein, klatschen Sie nicht zu früh. – Stellen Sie sich vor, wir würden die Truppen abziehen. Es wäre ein verheerendes Signal für die Sicherheit Europas und für die Stabilität in Europa. Der Balkan hat schon einmal gebrannt. Sie haben, Herr Löbel, ganz genau die Völkermorde beschrieben, und es sind Bilder, die wir sicher noch alle in Erinnerung haben. Wir waren in Europa eigentlich erst nach der Unterstützung der USA in der Lage, für eine Stabilisierung dieser Region und des Kontinents zu sorgen. Das KFOR-Mandat war von Anfang an ein unverzichtbarer Beitrag zu Frieden, Stabilität und Transformation in der Region. So war es gedacht. Der Westbalkan ist ein wunder Punkt in Europa. Der Westbalkan ist globalen und geopolitischen Interessen ausgesetzt. Wir Deutsche und Europäer können es jedoch nicht zulassen und uns nicht leisten, dass sich der Kosovo destabilisiert. ({2}) Der Einsatz darf jedoch keine Dauerlösung sein. Das erste KFOR-Mandat wurde 1999 verabschiedet. Kaum einer hätte gedacht, dass die Bundeswehr so lange im Kosovo bleiben würde. Das Mandat zeigt jedoch, dass Deutschland bereit und in der Lage ist, dort, wo es nötig ist, außen- und sicherheitspolitische Verantwortung zu übernehmen. KFOR muss sich verstärkt auf Aufklärung und Beratung konzentrieren. Parallel muss aber die Bundesregierung den Kosovo auffordern, die eigenen Sicherheitsstrukturen und Sicherheitskräfte zu stärken. ({3}) Denn KFOR kann nur ein Sicherheitsinstrument sein. Wir stabilisieren den Kosovo, wir verlangen aber auch gleichzeitig rasche strukturelle Reformen. Mein Appell an die Länder des Westbalkans: Richtet den Blick nach Europa; denn ihr gehört zu Europa. Aber entscheidet euch im Inneren für Europa, für Frieden, für Demokratie und für die Rechtsstaatlichkeit. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Renata Alt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004654, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Unser Ziel ist dauerhafter Frieden auf dem Balkan und in Europa. Solange der Frieden nicht stabil ist, bleibt KFOR, bleiben wir in der europäischen Verantwortung, und deshalb werden wir Freie Demokraten diesem Bundeswehreinsatz zustimmen. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Renata Alt. – Nächste Rednerin: Zaklin Nastic für die Fraktion Die Linke. ({0})

Zaklin Nastic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004837, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Unterstützung und Entwicklung eines stabilen, demokratischen, multiethnischen und friedlichen Kosovo soll KFOR dienen. – So lautet ihr Auftrag. Nach 19 Jahren sind zwar Milliarden an Wirtschaftshilfe hier versackt, ist unser Militär dort noch immer stationiert, aber es herrschen weder Frieden noch Stabilität. ({0}) Dies hier war das Haus der Familie Maksimovic im Kosovo. ({1}) Und das hier ist das Haus der Familie Maksimovic im Kosovo im Jahre 2009, niedergebrannt im Kosovo, das Sie zu einem sicheren Herkunftsland erklärt haben. Die Mutter erlebte zwei Vergewaltigungsversuche. Der Vater musste zusehen, wie seine Mutter grausam von der UCK ermordet wurde. Ich habe noch weitere solcher Belege. Die Maksimovics leben heute seit Jahren in Kettenduldung in Hamburg, haben keinen Anspruch auf einen Sprachkurs. Sie dürfen auch nicht arbeiten. Das ist Ihre Art der Integration, meine Damen und Herren. ({2}) Vor zehn Jahren gab es die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo. Aber dieser künstlich geschaffene Staat ist der wirtschaftlich abhängigste in Europa. Entsprechend der UN-Sicherheitsratsresolution 1244, die in ihrer Präambel die territoriale Integrität Jugoslawiens bestätigt und die bis heute gilt, erkennen zu Recht über 80 Länder der Vereinten Nationen das Kosovo nicht an. Die extreme Armut wurde nicht weniger. Die Arbeitslosigkeit beträgt 50 Prozent, ({3}) die Jugendarbeitslosigkeit über 80 Prozent. Besonders betroffen sind davon Minderheiten wie Roma, Ashkali, Balkantürken oder Ägypter. Mindestens 230 000 Serben und Roma mussten seit dem Jugoslawienkrieg aus ihrer Heimat, dem Kosovo und Metochien, flüchten, überwiegend nach Zentralserbien. ({4}) Dabei gab es doch vollmundige Versprechungen mit KFOR und der Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX, vor mächtigen Kriegsverbrechern und organisierter Korruption würden sie nicht zurückweichen. ({5}) Dabei wurde EULEX selbst zu einem Hort der Korruption. ({6}) UCK-Kriegsverbrecher sind zur politischen Elite aufgestiegen. Mit ihnen wurde und wird bis heute gekungelt. Die Rechtsstaatlichkeitsmission wurde zu einem weiteren Wortmissbrauch der Kriegspropaganda, so wie einst unter den Grünen Joseph Fischer schon Auschwitz missbraucht hatte, ({7}) um die Luftwaffe loszuschicken. Und dann ließ man die Menschen in Belgrad in dieselben Luftschutzkeller jagen, in denen sie schon einmal unter deutschen Waffen und Bombern gesessen hatten. ({8}) Es war ein deutscher Angriffskrieg. Er war ein Bruch des Grundgesetzes, ({9}) und er war ein brutaler Bruch des Völkerrechts durch Deutschland und die NATO. Wann begreifen Sie endlich, dass man Menschenrechte nicht herbeibomben kann, meine Damen und Herren? ({10}) Gerhard Schröder gibt das heute wenigstens zu. Aber Sie von der SPD verkaufen den Jugoslawienkrieg immer noch als eine Erfolgsgeschichte. ({11}) Ich sage Ihnen – das wird Ihnen keine Werbeagentur heute aufschreiben oder bescheinigen – etwas zu Ihrem heutigen Umfragetief von 17 Prozent gegenüber den damals stolzen 47 Prozent unter einem Kanzler des Warschauer Kniefalls: Ihre Wahlniederlagen von heute, Ihr Mitgliederschwund von heute, das ist auch dieser Krieg von damals. ({12}) Sie sollten Willy Brandt nicht länger verraten, sondern wieder beherzigen: „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen.“ ({13}) Die Linke lehnt auch diese Mandatsverlängerung ab. ({14})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. – Nächste Rednerin: Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für alle, die sich seit Jahren fragen, wie lange es mit dem KFOR-Mandat noch weitergehen soll, gleich eine gute Nachricht zu Beginn. Dieses Mandat ist trotz der unveränderten Obergrenze von 800 Soldaten erstmals tatsächlich ganz wesentlich ein Abzugsmandat. Ich habe mich bei meiner Reise kürzlich davon überzeugen können, dass das Feldlager Prizren bis zum Jahresende geräumt sein wird. Die dort stationierten 300 Bundeswehrsoldaten werden abgezogen und das Reservebataillon, für das bislang im Mandat weitere 400 zusätzliche Soldaten vorgesehen waren, wird aufgelöst. Es verbleiben im nächsten Jahr noch 70 Bundeswehrsoldaten in der Hauptstadt Pristina. Ich gehe also fest davon aus, dass die Mandatsgrenze im nächsten Jahr, zum 20. Jahrestag, nicht höher als 100 sein wird. Das macht uns die Zustimmung zu diesem Mandat in diesem Jahr leichter als bisher. Weil vonseiten der Linken in diesem Zusammenhang noch mal die völkerrechtlichen Fragen aufgeworfen werden, will ich ganz klar sagen: KFOR ist eben nicht mit dem NATO-Einsatz gegen Serbien 1999 gleichzusetzen. Ja, der Angriff auf Serbien erfolgte damals ohne völkerrechtliche Grundlage. ({0}) Die Stationierung der KFOR-Truppen im Anschluss an den Krieg erfolgte aber mit Mandat des UN-Sicherheitsrates und damit im Einvernehmen mit der internationalen Gemeinschaft und auch im Einvernehmen mit Serbien. ({1}) Das allein löst natürlich noch nicht alle rechtlichen Probleme im Zusammenhang mit der Staatswerdung des Kosovo, und das liegt nicht nur an der mangelnden Anerkennung durch einige EU-Staaten. Aufgrund der Neu­tralität der UNO vertritt beispielsweise UNMIK, also die UN-Verwaltung, nach wie vor juristisch das frühere sozialistische Staatseigentum. Die Privatisierung durch die Treuhand hängt fest, und viele Eigentumsfragen bleiben ungeklärt. Die mangelnde Rechtssicherheit ist für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes die größte Hürde. Da man Geschichte nicht zurückdrehen kann, müssen wir Perspektiven für die Zukunft finden, und das kann nur die Einigung von Serbien und Kosovo im Rahmen einer europäischen Perspektive sein. ({2}) Dazu müssen beide Seiten noch einige Aufgaben erledigen. Eine ganz wichtige Aufgabe aufseiten des Kosovo wird dabei die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen der UCK durch das im letzten Jahr eingerichtete Sondertribunal in Den Haag sein. Derzeit laufen dort die Ermittlungen, und man wartet gespannt auf die ersten Anklagen. Für Polizei und Justiz im Kosovo wird es zum großen Test werden, wenn es darum geht, auch eigene Regierungsmitglieder im Falle einer Anklage oder gegebenenfalls auch eines Haftbefehls nach Den Haag zu überführen, und das, nachdem die größte zivile Rechtsstaatsmission der EU aller Zeiten im Abzug begriffen ist. Die letzten EULEX-Richter und -Staatsanwälte werden noch in diesem Monat das Land verlassen, und das Mandat von EULEX wurde nicht nur der Größe, sondern auch der Qualität nach grundlegend zu einem reinen Beratungsmandat verändert. Einzig die EULEX Police steht noch als sogenannter Second Responder mit exekutiven Befugnissen zur Verfügung. Die KFOR kam in der Rolle eines sogenannten Third Responder schon seit 2012 nicht mehr zum Einsatz. Es gibt also trotz aller Schwierigkeiten nachweisbare Fortschritte im Land. ({3}) Trotzdem ein letztes kritisches Wort zum künftigen KFOR-Mandat. Mich hat erstaunt, dass die internationale Gemeinschaft es inzwischen offenbar widerspruchslos akzeptiert, dass die Kosovo Security Forces, bisher eine Art leichtbewaffnetes technisches Hilfswerk, zu regulären Streitkräften aufwachsen sollen. Bei meinem letzten Besuch vor acht Jahren war man bei dieser Forderung Thacis noch wesentlich zurückhaltender. Alte UCK-Kämpfer gibt es zwar inzwischen nur noch in der Generalität, weil in den unteren Führungsebenen eine neue Generation heranwächst; trotzdem ist die Zeit für eine eigene Armee meines Erachtens noch nicht gekommen. Neben der erforderlichen Zweidrittelmehrheit und der Verfassungsänderung wäre aus meiner Sicht weitere Voraussetzung, dass die anstehende Aufarbeitung der Kriegsverbrechen gelingt, und letztlich auch, dass der Status des Kosovo durch eine Einigung mit Serbien und Aufnahme in die EU abschließend geklärt ist. Wenn einige NATO-Staaten inzwischen selbst die Verfassungsänderung für überflüssig halten, die eine Zustimmung der serbischen Minderheit bedeutet, kann ich nur dringend davor warnen, hier leichtfertig zu agieren.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie an Ihre Redezeit.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Letzter Satz. – Streitkräfte sind kein Mittel eines Normalisierungsprozesses; sie stehen allenfalls am Ende desselben. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Katja Keul. – Nächster Redner für die SPD-Fraktion: Josip Juratovic. ({0})

Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003782, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren von der AfD, gerade am Zerfall Ex-Jugoslawiens sieht man am deutlichsten, wohin Ihre Politik „Wir zuerst“ führt. Dort erleben wir seit den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts, was nationale Egoismen und Separatismen anrichten. Auf dem Kosovo findet heute keine bewaffnete Auseinandersetzung statt, und doch ist der Frieden dort – so kann man es fast täglich den Zeitungen entnehmen – sehr brüchig, nicht zuletzt, weil eine unselige Verbindung aus Kriegsprofiteuren unterschiedlichster Art, allesamt vollmundige Patrioten, das Land in Geiselhaft hält und immer wieder für Konflikte mit den Nachbarn sorgt – rein um des Machterhalts willen. Das führt dazu, dass viele Menschen das Land in der Hoffnung verlassen, woanders eine bessere Zukunft zu finden. Auf der anderen Seite kämpfen täglich viele Menschen für ein besseres Kosovo, ein europäisches Kosovo im Vertrauen auf unser Versprechen, dass ihr Land eine EU-Perspektive hat. Auch sind viele Kräfte aus Europa vor Ort, die mit den Einheimischen solidarisch gegen Korruption und Nepotismus, gegen die Separatisten und die Nationalisten kämpfen. Kolleginnen und Kollegen, wenn wir glaubwürdig für ein Europa der demokratischen Werte stehen, dann brauchen all diese Menschen unsere Unterstützung und unsere Solidarität. ({0}) Auf dem Kosovo findet nicht die Schlacht zwischen Serben und Kosovo-Albanern statt; diese ist schon längst geklärt. Auf dem Kosovo findet eine Schlacht zwischen Demokraten und Autokraten unterschiedlichster Art statt. Auf dem Westbalkan und insbesondere auf dem Kosovo wird ein Kräftemessen ausgetragen zwischen dem Europa der demokratischen Werte auf der einen Seite und einem Europa der Separatismen und nationalen Egoismen auf der anderen Seite. Aber auf dem Westbalkan und insbesondere auf dem Kosovo steht auch die Glaubwürdigkeit des demokratischen Europas auf dem Spiel. Kolleginnen und Kollegen, ich bin mir bewusst, es ist hierzulande nicht populär, sich mit dem europäischen Ausland zu befassen, wenn wir Probleme im eigenen Haus haben. Doch das ist zu kurz gegriffen; denn das Kosovo ist direkt vor unserer Haustür, und was dort passiert hat natürlich direkten Einfluss auf unsere Sicherheit. Deshalb brauchen wir eine Abkehr vom halbherzigen Umgang mit dem Kosovo. Vielmehr brauchen wir Haltung und Mut, wenn wir die Zukunft Europas und somit auch unsere eigene Zukunft sichern wollen. Wir brauchen aber auch viele mutige Frauen und Männer, die für ein besseres Europa kämpfen, dort, wo es am schwersten ist. Doch diese Frauen und Männer haben nur eine Chance, wenn sie von mutigen Soldatinnen und Soldaten geschützt sind. KFOR ist Schutz für die Menschen, die im Kosovo mühsam für unsere Werte kämpfen. Dafür möchte ich unseren Soldatinnen und Soldaten meinen Respekt und Dank aussprechen. Nur mit ihnen ist eine wehrhafte Demokratie auch wirklich wehrhaft. ({1}) Kolleginnen und Kollegen, der Westbalkan, und somit auch das Kosovo, ist der Innenhof der Europäischen Union, also unser Innenhof, in dem sich leider alle möglichen Schurken dieser Welt tummeln. Um diesen unseren Innenhof für uns alle sicher zu machen, brauchen wir weder das populistische „Wir zuerst“ der AfD noch die einseitige Geschichtsbelehrung der Linken. Was wir brauchen, sind konkrete Maßnahmen zur Demokratisierung des Kosovo, ganz nach dem Motto „Wir gemeinsam statt wir zuerst.“ ({2}) Dazu brauchen wir ziviles und politisches Engagement der Demokraten vor Ort: in den Parlamenten, in den NGOs, in den Betrieben und auf den Straßen. Dazu braucht es funktionierende Institutionen, zum Beispiel Polizei und Justiz, und dazu brauchen die Menschen im Kosovo unsere Unterstützung und den militärischen Schutz durch KFOR. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung zur Mandatsverlängerung der KFOR. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Josip Juratovic. – Nächster Redner in der Debatte: Thomas Erndl für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir sind heute hier, um erneut über die Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Sicherheitspräsenz im Kosovo abzustimmen. Manche meinen, diese Beteiligung sei mittlerweile nicht mehr notwendig, der Einsatz der KFOR sei überflüssig geworden. Andere lehnten ihn von Anfang an ab. Kritik von links, von rechts, aber Lösungen? Traurigerweise keine. Dabei ist unübersehbar, dass nur durch KFOR das sichere und friedliche Umfeld geschaffen wurde, das die notwendige politische Entwicklung ermöglicht hat. Dass es im Kosovo noch viel Schatten und wenig Licht gibt, habe ich bereits letzte Woche zum Ausdruck gebracht, andere Redner auch. Gerade in den Bereichen Korruption und organisierte Kriminalität liegt im Kosovo noch einiges im Argen. Einige haben schon die Idee vor Augen, auch den Kosovo in die EU aufzunehmen. Aber klar ist hier, so wie bei allen Ländern auf dem Westbalkan: Erst müssen wir grundlegende Fragen auf serbischer und auch auf kosovarischer Seite klären, und dann müssen die notwendigen Fortschritte vor allem bei Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung sichtbar sein. Ein Zieldatum kann es da sicher nicht geben.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Sekunde, einen Moment, bitte. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind in einer Bundestagsdebatte. Ich bitte Sie – das richtet sich an diesen Kreis hier –, Ihre Gespräche draußen zu führen oder sich hinzusetzen und dem Kollegen zuzuhören. Das gilt für alle. – Jetzt, Herr Erndl, haben Sie wieder das Wort.

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön. – Meine Damen und Herren, wir dürfen nie wieder zulassen, dass Krieg und Gewalt in dieser Dimension vor unserer Haustüre stattfinden. Ich danke allen Soldatinnen und Soldaten, die über fast 20 Jahre ihren Beitrag auf dem Balkan geleistet haben, um das zu verhindern. ({0}) Meine Damen und Herren, ich finde es befremdlich, dass die Fraktion Die Linke in einer Kleinen Anfrage schreibt, dass sich der Kosovo – ich zitiere – „unter den Augen von KFOR … zum islamistischen Terrorzentrum in der Region entwickelt“ hat. Die Entwicklung gefällt uns sicher nicht; aber zu suggerieren, dass unsere Soldaten dafür Verantwortung tragen, ist nicht akzeptabel. ({1}) Es ist doch genau deshalb notwendig, weiter hinzuschauen und den Kosovo nicht einfach seinem Schicksal zu überlassen. Die Region braucht weiterhin unsere Unterstützung bei der Schaffung von innerer Stabilität und Sicherheit. Meine Damen und Herren, das Feldlager in Prizren zeigt den Weg – Frau Keul hat es angesprochen –: Aus dem Feldlager entsteht ein kosovarisch-deutscher Innovationspark. Das sind doch die Themen, mit denen wir uns beschäftigen müssen: Perspektiven, Chancen, wirtschaftliche Entwicklung. Nationalisten, ob im Kosovo, ob in Serbien oder auch in diesem Hause, die in der Vergangenheit verhaftet sind, die helfen nicht, jungen Menschen Perspektiven zu bieten. Damit im Kosovo weiter über Chancen und Perspektiven geredet werden kann, braucht es ein sicheres Umfeld, braucht es Unterstützung in vielen Bereichen, so wie wir das mit unserem vernetzten Ansatz machen. KFOR leistet dazu nach wie vor einen wichtigen Beitrag. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung zur Verlängerung dieses Mandates. Herzlichen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Thomas Erndl. – Darf ich die Herren da hinten noch mal bitten, sich hinzusetzen? Wir sind noch nicht am Ende der Tagesordnung angekommen. ({0}) Das gilt auch für die Kollegen der FDP ({1}) rund um den Vizepräsidenten Herrn Kubicki. – Danke schön. Jetzt hat ein Kollege zum allerersten Mal im Deutschen Bundestag das Wort. Zu seiner ersten Rede begrüße ich Eckhard Gnodtke für die CDU/CSU-Fraktion. – Sie haben das Wort. ({2})

Eckhard Gnodtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004729, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dazu, dass der KFOR-Einsatz in den letzten Jahren als großer Erfolg gewertet werden kann und verlängert werden sollte, ist durch viele Redner – wir haben es gehört – schon alles gesagt worden. KFOR als stabilisierendes Rückgrat – neben den kosovarischen Polizeikräften und der europäischen Rechtsstaatsmission – steht aber nicht allein im Raum. Ich möchte Ihnen in Kürze einige Beispiele deutschen Engagements im zivilen Bereich aufzeigen – das haben Sie, Frau Kollegin Weber schon fast vollständig getan; ich ergänze das –: ({0}) Seit 1999 arbeitet die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH, GIZ, im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Kosovo. Derzeit sind 17 entsandte Mitarbeiter sowie 104 lokale Mitarbeiter und 8 CIM-Fachkräfte in Kosovo tätig. CIM ist das Centrum für internationale Migration und Entwicklung. Es handelt sich dabei um eine Arbeitsgemeinschaft der GIZ und der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Agentur für Arbeit, ZAV; die ist also auch mit dabei. Man hat Programme gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit mit auf den Weg gebracht und leistet Hilfe dabei, das Bildungssystem zu verbessern. Ich nenne hier beispielhaft das Programm „YES“ – Youth, Employment and Skills in Kosovo –, Dauer: Januar 2017 bis Dezember 2020. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

So, jetzt sage ich es noch einmal – das gilt auch für die Damen der Grünen da hinten –: Ich bitte, sich hinzusetzen. ({0}) Das gilt für die Herren genauso. Der Kollege Gnodtke hat seine erste Rede im Deutschen Bundestag. Es gebietet mindestens der Anstand, ihm jetzt zuzuhören. ({1})

Eckhard Gnodtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004729, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme gut durch, danke. – Hier unterstützt das BMZ das kosovarische Erziehungsministerium bzw. das kosovarische Arbeitsministerium finanziell und organisatorisch. Zur Information: Allein im ersten Jahr wurden laut GIZ über Informationskampagnen zur beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie zu Studien und Studienpraktika rund 250 000 junge Menschen erreicht; 1 600 junge Menschen profitierten 2017 direkt von Trainingsmaßnahmen und Praktika im Textil-, Metall-, im holzverarbeitenden sowie im IT-Bereich. ({0}) Ein großes Thema ist die Verbesserung der Grundbildung im Kosovo, in die wir uns nachhaltig einbringen. Bis Oktober 2017 erreichten die Aktivitäten von Lerncentern in den Schulen und in den Gemeinden mehr als 5 000 direkte Nutznießer – übrigens mit einer bedeutenden Anzahl an Rückkehrern aus Deutschland, die davon profitierten. Die direkte langfristige Umsetzung erfolgt in 25 Lernzentren in 12 Gemeinden. Dadurch haben sich die Lebens- und Berufsperspektiven dieser Schülerinnen und Schüler erhöht. Bei der – ich zitiere – „Kampagne für eine bessere Bildung in Kosovo“ wurden circa 4 500 Lehrkräfte über Trainingsmodule fortgebildet. 1 000 Schulleitungen und Seniorlehrkräfte verbesserten ihre Fähigkeiten in der Bildungsplanung und -umsetzung. Die Startchancen von über 11 000 Kindern und Jugendlichen sowie deren Eltern – Stand: April 2018 – wurden durch umfangreiche Unterstützungs-, Beratungs- und Freizeitangebote verbessert. ({1}) Lieber Kollege Erndl, Sie haben schon alles zur weiteren zivilen Nutzung des Feldlagers in Prizren gesagt; das muss ich hier nicht noch mal aufzählen. Meine Damen und Herren, die Bildungsmaßnahmen, die ich gerade aufgezählt habe, hängen natürlich nicht alle direkt mit KFOR zusammen, aber ohne KFOR als stabilisierendes Element wären dieses zivilgesellschaftliche Engagement und diese Hilfe nicht möglich gewesen. ({2}) In Zukunft wird dies vermutlich nicht mehr möglich sein, wenn wir nicht eine Fortsetzung des KFOR-Einsatzes beschließen. Ich danke den Soldatinnen und Soldaten und bitte um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Eckhard Gnodtke. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 19/2670 zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo (KFOR). Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 19/2384 anzunehmen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre vorgesehenen Plätze einzunehmen und uns hier oben zu signalisieren, ob die Plätze besetzt sind. – Das ist der Fall. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Gibt es noch Kolleginnen und Kollegen, die ihre Stimme nicht abgegeben haben? – Bitte hören Sie zu: Bei der letzten namentlichen Abstimmung gab es ein Problem. Wir lassen nicht mehr zu, dass die Stimme abgegeben wird, wenn der Wahlgang geschlossen ist. Meine Frage daher noch einmal: Gibt es noch einen Kollegen oder eine Kollegin, der oder die die Stimme noch nicht abgegeben hat? – Ich höre kein Nein. Dann ist die Abstimmung geschlossen. Ich bedanke mich bei den Schriftführerinnen und Schriftführern, die jetzt mit der Auszählung beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben. Jetzt bitte ich Sie, sich zu konzentrieren, weil wir mitten in einer Abstimmung sind. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/2704. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Dann gibt es wahrscheinlich keine Enthaltung? – Keine Enthaltung. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Die Fraktion Die Linke hat zugestimmt, dagegen waren SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU-, FDP- und AfD-Fraktion.

Kerstin Griese (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003440

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir abschließend ein Gesetz, das noch die geschäftsführende Bundesregierung auf den Weg gebracht hat. Das war wichtig, weil Fristen auszulaufen drohten, die wichtige Instrumente der Arbeits- und Ausbildungsförderung beendet hätten. Es war auch wichtig, weil wir eine EU-Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen pünktlich in nationales Recht umsetzen wollen und auch müssen. Beides drängte, weil die Regierungsbildung etwas länger gedauert hat. Im Bereich des Arbeitsförderungsrechts gibt es für uns wichtige Punkte. Erster Punkt: Die Maßnahmen der Assistierten Ausbildung können nach jetziger Rechtslage nur noch bis zum 30. September 2018 begonnen werden. Dieses Instrument verlängern wir um zwei Ausbildungsjahrgänge. Das schafft auch Zeit, um die Zukunft der Assistierten Ausbildung besser planen zu können. Denn Assistierte Ausbildung hat sich als eine gute Maßnahme erwiesen, um junge Menschen und Arbeitgeber bei der Ausbildung zu unterstützen, und das wollen wir fortsetzen. ({0}) Ein weiterer Punkt: Mit dem Integrationsgesetz haben wir beschlossen, dass auch Flüchtlinge, die humanitäre Aufenthaltstitel haben, Gestattete oder Geduldete erstmals oder früher unterstützt werden können, um in Arbeit oder Ausbildung zu kommen. Auch diese Regelungen würden Ende dieses Jahres auslaufen. Sie werden jetzt um ein Jahr verlängert. Damit schaffen wir auch Raum für eine gründliche Debatte, um, wie im Koalitionsvertrag festgelegt, diese Regelung des Integrationsgesetzes zu entfristen. ({1}) Noch ein wichtiger Punkt: Die Sonderregelung zum Saison-Kurzarbeitergeld im Gerüstbauerhandwerk ist schon zum 31. März 2018 ausgelaufen. Wir wollen sie um drei Jahre verlängern, damit sie in der nächsten Schlechtwetterzeit, die uns ja wahrscheinlich ab November droht, wieder zur Verfügung steht. ({2}) Sie sehen, es geht im wahrsten Sinne des Wortes darum, niemanden im Regen stehen zu lassen. Wir schaffen Zeit, um die weitere Ausgestaltung dieser Regelungen in dieser Legislaturperiode ordentlich zu beraten. ({3}) Besonders wichtig ist in dem Artikelgesetz die Umsetzung der EU-Richtlinie. Sie muss nicht nur bis zum 23. September 2018 umgesetzt und daher heute abschließend von uns beraten werden, auch die Länder müssen dazu noch Gesetze verabschieden. Gerade deshalb hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bereits frühzeitig im Jahr 2017 den Dialog mit den betroffenen Akteuren aus den Verbänden für Menschen mit Behinderung geführt. Dazu gab es Bund-Länder-Besprechungen. Die Verbände wurden in den Expertenkreis zur Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung eingeladen und angehört. Auch die zuständige Fachabteilung stand im regen Austausch mit den Verbänden. Dadurch sind schon wesentliche Verbesserungen in den Gesetzentwurf eingeflossen. Die rechtzeitige Umsetzung ist nicht nur zeitlich wichtig. Sie ist auch inhaltlich ein wichtiger Schritt vorwärts für mehr Barrierefreiheit im Internet und im Intranet. Alle öffentlichen Stellen des Bundes werden nämlich jetzt verpflichtet, Webinhalte barrierefrei zu gestalten und dabei nicht mehr zwischen Internet und Intranet zu unterscheiden. Die Fristen werden klarer geregelt als bisher. Ausnahmen davon gibt es nur noch bei unverhältnismäßig großen Belastungen und mit eindeutiger Begründung. ({4}) Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, erweitern wir das Behindertengleichstellungsgesetz um wichtige Regelungen für Menschen mit Behinderungen in Deutschland, damit alle Menschen die Möglichkeit haben, digital barrierefrei mit öffentlichen Stellen des Bundes zu kommunizieren, egal ob es um das Bestellen einer Fahrkarte bei der Bahn oder um die Untertitelung von Videos auf der Homepage und in den sozialen Medien des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales geht. Das ist schon teilweise barrierefrei, aber jetzt muss die Barrierefreiheit überall umgesetzt werden, und das ist gut so. Vielen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kerstin Griese. – Nächster Redner: Martin Sichert für die AfD-Fraktion. ({0})

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Werte Damen und Herren! Wertes Präsidium! Dieser Gesetzentwurf ist eine willkürliche Mischung verschiedenster Themen. Neben Maßnahmen zur Barrierefreiheit wollen Sie die Arbeitsförderung von Asylbewerbern im laufenden Asylverfahren und abgelehnten Asylbewerbern um ein Jahr verlängern. Selbst wenn es um anerkannte Asylbewerber ginge, die arbeiten dürfen, wäre eine solche Förderung zweifelhaft. Denn nicht einmal 4 Prozent finden einen Job als Fachkraft. Über 96 Prozent finden nur billige Hilfsjobs oder leben gar von Hartz IV. Die Masseneinwanderung von Unqualifizierten macht unseren Sozialstaat nicht zukunftsfähig, wie Sie immer behaupten, sondern im Gegenteil: Sie ruiniert uns. ({0}) Millionen Deutsche sind arbeitslos. Die Zahl der Obdachlosen steigt. Rentner sammeln Flaschen. Und Ihnen fällt nichts Schwachsinnigeres ein als Arbeitsförderungsmaßnahmen für Leute, die gar nicht arbeiten dürfen. Sind Sie sich eigentlich bewusst, dass dieser Gesetzentwurf auch die Bankrotterklärung Ihrer Innenpolitik ist? ({1}) Denn wenn die Asylverfahren in einer halbwegs vernünftigen Zeit abgearbeitet würden, bräuchten wir über solche Fördermaßnahmen gar nicht zu diskutieren. ({2}) Sie aber geben mit diesem Gesetzentwurf zu, dass das BAMF heillos überfordert ist. Obwohl Deutschland heillos überfordert ist, stellt sich Horst Seehofer letzte Woche hier hin und fordert, den Familiennachzug, der ohnehin schon Hunderttausende jedes Jahr beträgt, um weitere 1 000 pro Monat zu erhöhen. Da hilft Ihnen auch die aktuell inszenierte Schaumschlägerei um angebliche Zurückweisungen nichts. ({3}) Denn dafür brauchte es echte Grenzkontrollen, wie wir von der AfD sie gefordert haben. Vor drei Monaten hat hier in diesem Hohen Haus jeder Abgeordnete der CSU gegen Grenzkontrollen gestimmt, und heute wollen Sie angeblich an der Grenze zurückweisen. Wie wollen Sie das denn machen ohne flächendeckende Grenzkontrollen? ({4}) Ja, Ihnen fehlt sogar das Rückgrat, nur die schlichte Umsetzung bestehender Gesetze zu fordern. § 18 Asylgesetz behandelt die Zurückweisung. Da steht: Jeder, der aus einem sicheren Drittstaat einreist und Asyl begehrt, ist zurückzuweisen. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Darf ich Sie darauf hinweisen, Herr Kollege, dass wir zum Arbeitsförderungsrecht sprechen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie zur Sache reden würden. ({0})

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich rede auch zur Sache; ({0}) denn das hängt miteinander zusammen, wenn man tatsächlich Asylbewerber, die sich im laufenden Verfahren befinden und nicht arbeiten dürfen, fördern möchte. All unsere Nachbarländer sind sicher. Nach geltendem Recht dürfte niemand, der über den Landweg einreist, Asyl beantragen. ({1}) Wenn geltendes Recht umgesetzt würde, würde also auf einen Schlag die massenhafte Einwanderung von Armutsmigranten in sich zusammenbrechen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich fordere Sie noch einmal auf, zur Sache zu reden.

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Das tue ich doch, Frau Roth. ({0})) Dann müssten wir nicht über die Förderung von Asylbewerbern im laufenden Verfahren reden. Also tun Sie nicht nur uns von der AfD, sondern auch unserem Land einen Gefallen. Verschonen Sie uns mit solchem Schwachsinn wie diesen Fördermaßnahmen für Asylbewerber! Stellen Sie den einzig vernünftigen Antrag für die Zukunft unseres Sozialstaats, nämlich auf flächendeckende Grenzkontrollen und die Umsetzung bestehender Gesetze. ({1})

Albert Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004439, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe Verständnis für den Kollegen Sichert. Auch ich habe heute Abend zwei Reden zu halten. Da kann es schon einmal passieren, dass man sich die falsche Vorlage zurechtlegt. ({0}) Ich habe Verständnis dafür, Herr Sichert. Das kann passieren. Das will ich nicht verteufeln. Deshalb habe ich vorhin noch einmal auf mein Manuskript geschaut, um sicherzugehen, dass ich das richtige habe. Nach langer Regierungsbildung nimmt dieses Parlament zügig Fahrt auf, und das ist auch gut so, auch wenn die Opposition etwas Schwierigkeiten hat, dem Tempo zu folgen. Wir beschließen heute, Herr Sichert, das erste Gesetzesvorhaben im Bereich Arbeit und Soziales in dieser Legislaturperiode. Das Gesetz ist das Ergebnis einer konstruktiven und zielorientierten Zusammenarbeit mit unserem Koalitionspartner. Wir haben am Montag dieser Woche in einer öffentlichen Anhörung wichtige Sachverständige angehört und gewürdigt. Ich möchte an dieser Stelle all denen danken, die an diesem Gesetz beteiligt waren und mit uns gut zusammengearbeitet haben, auch dem Koalitionspartner. Ich freue mich, wenn das weiterhin so reibungslos funktioniert wie bei diesem Gesetz. Vielen Dank. Der vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet wichtige Verlängerungen der Geltungsdauer befristeter Regelungen im Arbeitsförderungsrecht einerseits und andererseits den wichtigen Punkt des barrierefreien Zugangs zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen. Das darf nicht länger aufgeschoben werden. Jetzt noch mal der Appell: Es ist wichtig, Herr Sichert, dass wir daran arbeiten. – Ich hoffe, dass Sie Ihre Rede wiederfinden. ({1}) Wir verlängern die Assistierte Ausbildung um zwei Ausbildungsjahrgänge, um dieses Instrument anschließend besser evaluieren zu können. Wir verlängern die Sonderregelung zur Eingliederung von Gestatteten und für die Ausbildungsförderung von Ausländerinnen und Ausländern. Wir verlängern Sonderregelungen zum Saison-Kurzarbeitergeld für den Bereich des Gerüstbauerhandwerks, und wir verlängern Sonderregelungen zur verkürzten Anwartschaftszeit für das Arbeitslosengeld für überwiegend kurzzeitig befristet Beschäftigte. Meine Damen und Herren, die öffentliche Anhörung hat verdeutlicht, dass grundsätzlich alle Befragten der Verlängerung der befristeten Regelungen im Arbeitsförderungsrecht zustimmen. Insgesamt 32 000 Menschen sind in dieses Instrument eingetreten. Dies ist im Vergleich ein sehr guter Start. Die Assistierte Ausbildung ist ein wichtiges Instrument und soll weiter gestärkt werden, auch bei Geflüchteten mit hohen Bleibechancen. Eine Verlängerung ist zudem sinnvoll, um für eine Bewertung der Instrumente Zeit zu gewinnen. Allerdings ist langfristig eine Synchronisierung aller Instrumente in der Ausbildungsförderung anzustreben. Dies wollen wir auch in dieser Legislaturperiode beherzigen und umsetzen. Noch mal Dank denen, die an der Anhörung teilgenommen haben. Neben den Fristverlängerungen im SGB III setzen wir den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen um. Hier hat die öffentliche Anhörung zu einer Verbesserung des ersten Gesetzentwurfes geführt. Wir sind auf dem richtigen Weg, auch die digitale Welt barrierefrei zu gestalten. ({2}) Meine Damen und Herren, aus unserer Sicht beinhaltet der vorliegende Gesetzentwurf notwendige Verlängerungen, die einen reibungslosen Ablauf gewährleisten. Gleichzeitig müssen wir einen barrierefreien Zugang zu den Websites und den mobilen Anwendungen für alle Menschen sicherstellen. Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung, damit wir bei diesem wichtigen Thema schnell und gut vorankommen. Ich danke Ihnen. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Albert Weiler. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Jens Beeck. ({0})

Jens Beeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Hochverehrte Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Das ist nun heute das vorläufige Ende eines relativ unwürdigen Schnellverfahrens zur Beratung dieses Gesetzentwurfes. ({0}) Es geht neben relativ unstreitigen Bereichen im SGB III, beispielsweise zur Verlängerung der Maßnahmen für Assistierte Ausbildung oder dem Saison-Kurzarbeitergeld für Gerüstbauer, um nichts weniger als etwa um den Zugang sehbehinderter Menschen, von Menschen mit motorischen und kognitiven Störungen zu Websites, zur digitalen Infrastruktur und damit um nichts anderes als um ihren Zugang in die Welt von heute und morgen. Die Regierung, Herr Dr. Bartke, hat an dieser Stelle bei Menschen mit Behinderungen viel Vertrauen verspielt. Die Richtlinie ist nicht plötzlich vom Himmel gefallen; das Umsetzungsdatum ist seit 2016 bekannt. Dann ist es schon eine Zumutung, wenn die Verbände und die Sachverständigen für die Anhörung am Montag dieser Woche, auf die Sie hingewiesen haben, eine Woche Zeit haben für ihre Stellungnahmen, und heute machen wir weiter, indem wir dieses Verfahren nach erster Befassung im Ausschuss vor acht Tagen, bei der wir nicht einmal Zeit hatten, zu beraten, nach der Anhörung am Montag dieser Woche und der abschließenden Beratung im Ausschuss gestern in zweiter und dritter Lesung heute beenden. All das, was die gemeinsamen Lehren gewesen sind aus der großen Partizipation der Verbände, der Angehörigen, der Betroffenen im Bereich des Bundesteilhabegesetzes in der vergangenen Wahlperiode, ist hier missachtet worden, und das verursacht einen großen Schaden bei den Betroffenen und ihren Angehörigen. ({1}) Es verwundert auch nicht, dass dann im Ergebnis relativ wenig herauskommt. Der zunächst, Frau Staatssekretärin, vorgelegte Entwurf der Regierung war insgesamt untauglich. Das ist ja durch die Änderungsanträge, die auch von den regierungstragenden Fraktionen jetzt vorgebracht worden sind, deutlich geworden. Ich will, damit ich das nicht alleine vortragen muss, die Sachverständige Frau Dr. Arnade zitieren, die das Gesetz bewertet mit: Dieses Gesetz ist kleinmütig und rückwärtsgewandt. Ohne Not wird hier eine Zwei-Klassen-Digitalisierung realisiert … Ganze Bevölkerungsgruppen würden erst einmal von der Teilnahme am digitalen Fortschritt ausgeschlossen. – Das ist die Bewertung noch nach den Änderungsanträgen. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der große Wurf im Bereich der Digitalisierung, im Bereich der Barrierefreiheit ist das nicht. ({2}) – Das ist die gleiche Meinung, die ich auch habe, Frau Kollegin Tack. ({3}) – Ja, an dieser Stelle durchaus. Wäre der Regierungsentwurf angenommen worden – auch das kann man nicht vermeiden zu betonen –, hätte es nicht nur keine Verbesserungen, sondern sogar Verschlechterungen gegeben. Beispielsweise waren im Regierungsentwurf die grafischen Programmoberflächen überhaupt nicht benannt. ({4}) Es hätte, wenn es darum geht, sich als öffentliche Stelle im Netz barrierefrei zu präsentieren, weitestgehende Ausnahmetatbestände gegeben – ohne große Begründungspflicht. Der Regierungsentwurf war deswegen nicht zustimmungsfähig. Deswegen gab es nach der Anhörung auch gemeinsame Änderungsanträge. In der Sache sind die sechs Änderungsvorschläge, die die Freien Demokraten dazu eingebracht haben, durchgekommen. ({5}) Deswegen haben wir heute einen Entwurf, der zustimmungsfähig ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Ich will noch mal darauf hinweisen: Beispielsweise bei Elster, bei der AusweisApp, bei der elektronischen Gesundheitskarte wäre der Wegfall der grafischen Programmoberflächen zu einer Katastrophe geraten. Was die Einbeziehung der bundeseigenen Unternehmen angeht, hat Frau Staatssekretärin Griese zu unserer Freude erklärt, die Bundesregierung – das BMAS – habe ihre sechs Wochen alte Auffassung, die Deutsche Bahn AG sei nicht umfasst, noch geändert, ({7}) sodass wir an dieser Stelle jetzt auch einer Auffassung sind. Damit bleiben aber noch einige Wünsche offen: Begründungspflicht beispielsweise für Befreiungstatbestände; wenn barrierefreie Informationen nicht zur Verfügung stehen, diese auf anderem Weg zur Verfügung stellen; insbesondere ein stärkerer Blick auf barrierefreie Arbeitsplätze bei den öffentlichen Stellen. Aber im Ergebnis werden die Freien Demokraten heute trotzdem zustimmen. ({8}) Wir erkennen die positiven Aspekte insbesondere im Bereich des SGB III, bei der Assistierten Ausbildung, bei den Gerüstbauern. Geschätzter Kollege Oellers, geschätzter Kollege Bartke, wir nehmen Ihre Aussage ernst, dass Sie die Wirkung dieses Gesetzes beobachten und gegebenenfalls nachsteuern werden. Wir wünschen uns sehr – ich komme zum Ende, Frau Präsidentin –, dass wir beim kommenden Verfahren auch die Befindlichkeiten und die Wünsche der Betroffenen, ihrer Angehörigen und der Verbände wieder ernst nehmen können. Dann sind wir gemeinsam auf einem guten Weg. Herzlichen Dank. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Jens Beeck. – Nächster Redner: Sören Pellmann für die Fraktion Die Linke. ({0})

Sören Pellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen wunderschönen guten Abend! Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. So steht es in den Artikeln 1 und 3 unseres Grundgesetzes, was für uns alle Verpflichtung sein sollte. ({0}) Die Umsetzung der EU-Richtlinie hätte ein großer Wurf für die digitale Barrierefreiheit werden können; jedoch haben Regierung und Koalitionsfraktionen nicht den Willen, hier als Vorbild voranzugehen. Sie sehen selbst für öffentliche Stellen zahlreiche Ausnahmeregelungen erneut vor – und das trotz zahlreicher kritischer Stellungnahmen in der öffentlichen Anhörung am Montag dieser Woche. Mit dem neuen § 12a Absatz 6 des BGG bleiben Sie weit hinter dem geltenden Recht zurück. Ebenso ist die fehlende umfassende Verpflichtung zu barrierefreien Programmoberflächen ein fataler Rückschritt. ({1}) Das kann man schon als Skandal bezeichnen. Beides kann auch Ihr Änderungsantrag nicht korrigieren. Wenn Sie sich nach der Anhörung und Ihren Änderungsanträgen – Herr Beeck hat es schon zitiert – die Stellungnahme des Blinden- und Sehbehindertenverbands anschauen, werden Sie genau das zur Kenntnis nehmen. In weiteren zwei Punkten bleiben Sie hinter den Anforderungen der EU-Richtlinie deutlich zurück. Sie sollten besser den Betroffenen zuhören. ({2}) Wie lief denn die Beteiligung bei der Erstellung Ihres Gesetzentwurfs ab, liebe Regierungsfraktionen? Sie sagen, Sie hätten die Verbände umfänglich beteiligt. Dies bewerten insbesondere die Verbände und Selbsthilfeorganisationen völlig anders. Eine Woche ist bei weitem nicht ausreichend und auch nicht angemessen. ({3}) Genau eine Woche hatten die Interessenvertretungen Zeit, auf diesen Gesetzentwurf zu reagieren. Das ist nach Auffassung der Linken deutlich zu wenig. Diese Verfahrensweise kann nur als Pseudobeteiligung bezeichnet werden. ({4}) Bei dieser Sachlage bekomme ich Zweifel: Sind die Artikel 1 und 3 des Grundgesetzes überall bekannt, und werden sie auch entsprechend angewandt? Eine inklusive Gesellschaft ist nach Auffassung der Linken das Ziel unseres Rechtsstaats. Demnach wird kein Mensch strukturell benachteiligt oder ausgeschlossen. Daher: Sorgen wir gemeinsam dafür, dass auch im privaten Leben keine Barrieren vorhanden sind! ({5}) Ihr Ansatz, die private Wirtschaft freiwillig zur Umsetzung der Barrierefreiheit zu bewegen, ist ganz offensichtlich gescheitert. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, stellen Sie sich vor, Sie hätten eine Behinderung und wollten mit Freunden ins Kino oder ins Restaurant gehen, könnten das aber nicht, weil Sie nicht dort hineinkommen; denn dort warten unüberwindliche Barrieren. Wie würde es sich anfühlen, wenn Ihr Arzt für Sie nicht erreichbar wäre, weil man an ihn nicht herankommt? Oder Sie laufen an einem Bäcker vorbei und riechen zwar die leckeren Brötchen, können sie sich aber nicht kaufen, weil Sie nicht hinkommen. Einsamkeit, Würdelosigkeit, Wut und Hilflosigkeit sind einige der Gefühle, die mir Betroffene, als wir über diesen Gesetzentwurf gesprochen haben, geschildert haben. Es ist unsere Pflicht, diesen Menschen zu helfen. Die Linke will einen weiteren Schritt in Richtung barrierefreie und inklusive Gesellschaft gehen. ({6}) Da sich die Privatwirtschaft nicht freiwillig bewegt, müssen wir den Druck erhöhen. Wir wollen die Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit verpflichten. ({7}) Menschenrechte dürfen nicht auf dem Altar der Profitinteressen geopfert werden. Der Staat muss die Rahmenbedingungen zur Umsetzung der Barrierefreiheit schaffen. Die Linke will auch ein Verbandsklagerecht im AGG verankert wissen. Nur mit wirksamen Werkzeugen wie genau diesem für die entsprechenden Verbände kann der notwendige Druck auf die Privatwirtschaft erzeugt werden. ({8}) In Ihrem Koalitionsvertrag – ich will noch mal reinschauen; ich weiß ja nicht, wie lange er noch gilt – wollen Sie – ich zitiere – „prüfen, wie Private … angemessene Vorkehrungen umsetzen können“. Das ist bei weitem nicht ausreichend. ({9}) Genau deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bringt meine Fraktion heute unseren Antrag zur Abstimmung. Den vorliegenden Gesetzentwurf, der die Betroffenen keinen einzigen Schritt weiterbringt, lehnen wir als Fraktion ab. Herzlichen Dank. ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Sören Pellmann. – Nächste Rednerin: Corinna Rüffer für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Einen schönen guten Abend an alle! Wieder einmal ein Hinweis an die AfD: Herr Sichert, Sie haben vielleicht Ihr Manuskript verwechselt und zum falschen Thema geredet. Was man sich in einer behindertenpolitischen Debatte nicht leisten darf, ist, zweimal den Begriff „schwachsinnig“ zu verwenden. Das ist ein absolutes No-Go. ({0}) Damit haben Sie sich sozusagen jedes Rederecht in so einer Debatte verwirkt. ({1}) Aber jetzt zum Thema. Weil der Titel der Debatte etwas sperrig wirkt, will ich versuchen, das Thema ein bisschen zu illustrieren.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Rüffer, bevor Sie das tun: Erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Herrn Sichert?

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, danke; das ist nett. Ich will also versuchen, das Thema etwas zu illustrieren und deutlich zu machen, dass es richtig viele Menschen hier in diesem Land betrifft. Wir hatten vor kurzem ein Gespräch mit einer blinden Frau, die für ihren Großvater – war es, glaube ich – die passende Rehaklinik gesucht hat. Das macht man in diesen Tagen üblicherweise über eine Recherche im Internet. Sie hat dann ganz schnell festgestellt, dass diese Seiten nicht barrierefrei waren. Es handelt sich hier um klassische Sozialleistungserbringer. Es ist eine Katastrophe, dass an solchen Ecken unserer Gesellschaft keine Barrierefreiheit herrscht. Wir hätten hier heute einen Beitrag dazu leisten können, dass dieser Zustand beendet wird. Die Richtlinie gibt Hinweise darauf, wie wir in den Bereichen Gesundheit, Soziales und öffentliche Daseinsvorsorge einen großen Schritt hätten weiterkommen können. ({0}) Aber selbst da, wo Barrierefreiheit heute schon verpflichtend ist, hapert es oft. Neulich ist mir ein besonders peinliches Beispiel untergekommen: die Website der Bundesregierung. Kurz nachdem der Koalitionsvertrag geschlossen war, haben sich die ersten blinden und sehbehinderten Menschen gemeldet und gesagt: Wir haben keinen barrierefreien Zugang zu diesem Koalitionsvertrag. – Erst Tage, Wochen später ist dann eine barrierefreie PDF ins Internet gestellt worden. Das ist natürlich absolut peinlich und zeigt, wie sehr wir am Anfang stehen. Ich stelle die Frage: Ist das die gleichberechtigte Teilhabe, von der hier zumindest sonntags immer alle reden? ({1}) Liebe Union und liebe SPD, es wäre wirklich eine Chance gewesen, die Richtlinie an dieser Stelle umfassend und vielleicht deutlicher umzusetzen als nur durch Dienst nach Vorschrift. Man muss dazusagen – das haben meine Vorredner schon gesagt –, dass die Umsetzung tatsächlich an bestimmten Stellen sogar hinter der Richtlinie zurückbleibt, und das geht natürlich überhaupt nicht. Das ist dann richtig peinlich. ({2}) Die umfangreichen Ausnahmemöglichkeiten sind ein Punkt, aber auch die Zugänglichmachung von Information, die eben nicht barrierefrei zugänglich sind. Der eigentliche Elefant im Raum – darüber diskutieren wir schon seit Jahren – ist das Thema der Verpflichtung zur Barrierefreiheit der Privaten. Ich glaube, wir kommen nicht umhin, uns diesem Thema endlich zu nähern, weil das Leben von Menschen mit Behinderung nicht in erster Linie in Bundesbehörden oder auf deren Websites stattfindet, sondern dort, wo das Leben aller anderen auch stattfindet. Diesen Satz, glaube ich, müssen wir hier so lange wiederholen, bis er überall angekommen ist. ({3}) Wir wissen doch auch: Es gibt Wirtschaftsunternehmen, es gibt Unternehmer, es gibt Anbieter, die sich Mühe geben, die in diesem Bereich voranschreiten, aber es betrifft nicht die Breite. Wir müssen endlich Vorgaben machen und den Mut haben, dem zu folgen, was in anderen Ländern mittlerweile seit Jahrzehnten Standard ist – ich nenne die USA, Österreich und andere Länder. Auch das ist wirklich peinlich. ({4}) Ich hätte jetzt gerne noch ganz viel gesagt, Herr Bartke, unter anderem zu Ihrer Bemerkung, dass Schlichtungsverfahren weiterhin freiwillig sein sollten. Ich empfehle Ihnen Seite 37 im Jahresbericht der Schlichtungsstelle. Dort wird gut ausgeführt, warum das nicht ausreicht. Zudem hätte ich gerne noch einiges zum anderen Teil des Gesetzentwurfs und zum Verfahren gesagt.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das wird aber nichts mehr. ({0})

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das wird jetzt leider nichts mehr. Das Motto ist und bleibt: Nach dem Gesetz ist vor dem Gesetz. Das Motto lautet ebenso: Nichts über uns ohne uns. Die Hoffnung bleibt, dass am Ende irgendwann doch noch einiges besser wird. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Corinna Rüffer. – Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, hat Martin Sichert das Wort zu einer Kurzintervention. Maximal zwei Minuten.

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Werte Kollegin Rüffer, Sie haben gerade behauptet, ich hätte die Regelungen zur Barrierefreiheit als „Schwachsinn“ bezeichnet, was ich definitiv nicht getan habe. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nein, hat sie nicht gesagt. ({0})

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Haben Sie mir zugehört und realisiert, dass dieser Antrag ein wildes Potpourri verschiedenster Regelungen beinhaltet – auch Maßnahmen zur Arbeitsförderung – und dass ich es explizit als Schwachsinn bezeichnet habe, zu sagen, wir wollen Arbeitsförderung von Asylbewerbern mit Aufenthaltsgestattung – also im laufenden Asylverfahren – und von abgelehnten Asylbewerbern erreichen, ({0}) und dass ich es als Schwachsinn bezeichnet habe, zu sagen, wir wollen Arbeitsförderungsmaßnahmen für Menschen, die in diesem Lande nicht mal rechtlich arbeiten dürfen? ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nein, er soll stehen bleiben, weil jetzt Frau Rüffer das Wort hat.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Sichert, ich hatte Ihnen schon zugetraut, dass Sie zuhören, ({0}) dass Sie an einer Stelle zuhören, wo Sie namentlich angesprochen werden, und hier nicht wild die Unwahrheit sagen. Vielleicht haben Sie nicht richtig zugehört, oder Sie sagen bewusst die Unwahrheit. Ich habe nicht behauptet, dass Sie die Barrierefreiheitsrichtlinie als schwachsinnig bezeichnet hätten, sondern ich habe gesagt, dass Sie in einer behindertenpolitischen Debatte, in die Sie sich anscheinend verirrt haben, weil Sie zu einem vollkommen anderen Thema geredet haben, ({1}) zweimal das Wort „schwachsinnig“ verwendet haben. ({2}) Es ist überall in dieser Gesellschaft nicht in Ordnung, ein absolutes No-Go, diesen Begriff zu verwenden, weil er absolut behindertenfeindlich ist ({3}) und weil er zeigt, dass Sie nicht verstanden haben, worum es hier geht: um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung in dieser Gesellschaft. Sie haben eine riesige Gruppe von Menschen verletzt, aber das scheint die Art zu sein, wie die AfD in diesem Land Politik macht. Und es kotzt mich an! ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nächster Redner in der Debatte: Dr. Matthias Bartke für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Matthias Bartke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass der heutige Tag nicht nur von dem Geschwisterstreit zwischen CDU und CSU geprägt ist, sondern dass wir auch noch ein ganz wunderbares Gesetz zur Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderung auf den Weg bringen. ({0}) Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, jeder von Ihnen hat es heute schon einmal gemacht. Wir kommunizieren ständig online. Die Digitalisierung macht das möglich. Für viele Menschen macht sie die Dinge einfacher. Auch Menschen mit Behinderung profitieren ganz massiv von der Digitalisierung. Kürzlich hat ein gehörloser Autor beschrieben, wie das Internet für ihn lange der Inbegriff der Barrierefreiheit gewesen ist. Ich zitiere: Chat-Nachrichten, Foren – plötzlich war mühelose Kommunikation per Text möglich. Kein anstrengendes Lippenlesen mehr, Videos gab es sowieso keine, und wenn, dann hängte sich der Player auf. In diesem kurzen Zitat steckt schon das ganze Dilemma: Die Digitalisierung birgt riesige Chancen, aber sie hat auch das Potenzial für neue Barrieren. Videos beispielsweise hängen sich inzwischen nicht mehr auf, dafür sind sie auf Social-Media-Kanälen aber gang und gäbe geworden. Für Gehörlose sind sie allerdings nur nachvollziehbar, wenn sie auch Untertitel haben. Wir wollen Menschen mit Behinderungen in unserer digitalisierten Wert teilhaben lassen, dann müssen wir aber auch dafür sorgen, dass bestehende digitale Barrieren verschwinden und neue gar nicht erst entstehen. ({1}) Das gibt uns allein die UN-Behindertenrechtskonvention vor, meine Damen und Herren. Ich finde es daher großartig, dass wir mit dem Gesetzentwurf gleich eine ganze Reihe von Verbesserungen in diesem Bereich auf den Weg bringen. Das fängt damit an, dass wir den Anwendungsbereich für digitale Barrierefreiheit von Trägern öffentlicher Gewalt auf öffentliche Stellen des Bundes ausweiten. In Zukunft sind beispielsweise also auch das Goethe-Institut, das Deutsche Rote Kreuz und – Herr Beeck – auch die Deutsche Bahn verpflichtet. Ist das nicht wunderbar? Bisher war es so, dass digitale Barrierefreiheit schrittweise umgesetzt werden sollte. Nur, wie groß diese Schritte sein sollten und bis wann sie gemacht werden sollten, das war eben nicht definiert. Dem setzen wir ein Ende, meine Damen und Herren. Von nun an gelten klare Fristen, bis wann Webseiten und mobile Anwendungen barrierefrei sein müssen. Das hat uns die Richtlinie so vorgegeben. In unserem Änderungsantrag haben wir darüber hinaus auch eine konkrete Frist für elektronisch unterstützte Verwaltungsabläufe eingeführt. Wir haben auch klargestellt, dass die grafischen Programmoberflächen weiterhin von der barrierefreien Gestaltung umfasst sind – Herr Pellmann, Sie hätten es lesen können – und – soweit möglich – auch die Angebote auf Webseiten Dritter. Das war ein wesentliches Ergebnis der Verbändeanhörung vom Montag; also auch das Video, das öffentliche Stellen auf Facebook einstellen, muss barrierefrei sein, wenn Facebook die Möglichkeit dazu bietet. ({2}) Das Gute an diesem Gesetzentwurf ist übrigens, dass wir nicht nur neue Verpflichtungen schaffen. Gleichzeitig haben wir auch ein ganzes Paket mit Maßnahmen zur Durchsetzung der digitalen Barrierefreiheit geschnürt. Alle öffentlichen Stellen des Bundes müssen zukünftig eine Erklärung zur Barrierefreiheit ihrer Webseiten und Apps veröffentlichen. Sie müssen darin begründen, wenn sie – ganz wichtig – ausnahmsweise keine vollständige barrierefreie Gestaltung gewährleisten. Außerdem wird es einen Feedback-Mechanismus geben. Damit können Nutzerinnen und Nutzer zurückmelden, wenn immer noch Barrieren bestehen. Diese Möglichkeit ist von allergrößtem Wert; denn die Beratungspraxis der Fachstelle für Barrierefreiheit hat schließlich gezeigt, dass es in den seltensten Fällen am Unwillen liegt, dass Webseiten nicht barrierefrei sind. Es fehlt meistens einfach nur an Wissen. Da werden die Rückmeldungen der Betroffenen in Zukunft ein ganz anderes Bewusstsein schaffen. Einen ähnlichen Effekt wird auch die neu eingerichtete Überwachungsstelle haben. Sie wird innerhalb weniger Jahre nahezu jede öffentliche Stelle des Bundes in der einen oder anderen Weise getestet haben. Das wird Missstände aufdecken, wo es sie noch gibt, und die barrierefreie Gestaltung kräftig voranbringen. Zu guter Letzt stärken wir das Schlichtungsverfahren, durch das Einzelne wie auch Verbände ihre Rechte geltend machen können. Die SPD-Fraktion hat hier noch eine wesentliche Verbesserung erreicht: Zukünftig wird ein Schlichtungsverfahren die Klagefrist unterbrechen. Das ist ein großer Vorteil für die Betroffenen; denn Klagen müssen dann nicht mehr parallel zur Schlichtung eingereicht werden, und die Schlichtung muss nicht unter Zeitdruck erfolgen. Meine Damen und Herren, mit dem Gesetzentwurf und unserem Änderungsantrag machen wir die öffentlichen Stellen zu den Taktgebern für digitale Barrierefreiheit. Ich danke Ihnen. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Bartke. – Der nächste Redner in der Debatte: Uwe Witt für die AfD-Fraktion. ({0})

Uwe Witt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004937, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste des Hohen Hauses! Die Schaffung einer barrierefreien Umgebung ist eine Grundvoraussetzung, um die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. ({0}) Das wollen wir, und das ist für uns selbstverständlich. Lassen Sie uns gern darüber reden, was man tun kann, um die Entwicklung einer barrierefreien Gesellschaft zu beschleunigen, um etwa der Freiwilligkeit einen zusätzlichen Anreiz zu geben. Aber muss man gleich mit der Keule ausholen, ({1}) um zu erzwingen, was noch nicht aus Freiwilligkeit geschehen ist und was vielleicht deshalb noch nicht geschehen ist, weil die Entwicklung hin zu einer wirklich barrierefreien Gesellschaft eine Generationenaufgabe ist? Wenn Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der Linken, aber die Versagung von Barrierefreiheit als Benachteiligung im Sinne des AGG und BGG sehen und festschreiben wollen und jedermann zur Herstellung von Barrierefreiheit zwingen wollen, koste es, was es wolle, wenn Sie gar ein Verbandsklagerecht gegen private Dienstleister und kleine Unternehmen möglich machen wollen, selbst wenn es gar keine individuell Betroffenen gibt, dann wird der willkürlichen Durchsetzung einer barrierefreien Umgebung Tür und Tor geöffnet – auch da, wo es dann nicht mehr verhältnismäßig ist. ({2}) Wenn wir von Teilhabe reden, wozu Barrierefreiheit gehört, dann reden wir auch von einem Miteinander. Zwei Gruppen, nämlich Menschen mit und ohne Behinderung, sollen gleichberechtigt und zufrieden miteinander leben können und zu einer Gruppe werden, zu einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft, in der alle gleichberechtigt miteinander leben können. Darum muss man den Gemeinschaftsgedanken fördern. ({3}) Ich meine es ehrlich: Wir wollen das fördern und verbessern; das ist uns ein persönliches Anliegen. Aber man kann, nein: man darf es nicht erzwingen wollen; denn in dem Moment, in dem Sie das tun, in dem Antidiskriminierungsverbände anfangen, kleine Selbstständige und Dienstleister mit Verbandsklagen zu überziehen, riskieren Sie den guten Willen einer tragenden Säule unserer Gesellschaft, einer Gesellschaft, die grundsätzlich offen ist für Teilhabe. Das machen wir nicht mit, und das ist auch nicht im Sinne derjenigen, um die es geht. Daher müssen wir Ihren Antrag leider ablehnen. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Uwe Witt. – Nächster Redner: Wilfried Oellers für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Wilfried Oellers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004365, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Meine sehr geehrten Gäste, insbesondere aus meinem Wahlkreis! Wenn ich richtig informiert bin, müssten Sie noch da sein. ({0}) Wir beraten heute, wie bereits gesagt, ein Gesetzespaket zum Arbeitsförderungsrecht und – dazu möchte ich Stellung nehmen – zur barrierefreien Gestaltung von Internetseiten der öffentlichen Stellen. Es geht dabei um die Umsetzung einer europäischen Richtlinie. Das ist schon erwähnt worden. Ich möchte zunächst auf den Vorwurf des kurzen zeitlichen Ablaufs eingehen. Ja, wir haben es hier mit einem Schnellläufergesetz zu tun. Die Gründe dafür sind auch schon von Staatssekretärin Griese erwähnt worden. Sicherlich ist das ein sehr kurzfristiges Verfahren. Das hätten wir uns alle anders gewünscht. Aber wir sind durch die Regierungsbildung etwas verzögert an die Arbeit gekommen. Aber auch wenn vielleicht Fristen für bestimmte Stellungnahmen etwas kurz waren, sind alle Verbände gehört worden. Ich darf insbesondere darauf hinweisen, dass natürlich neben der öffentlichen Anhörung noch viele Einzelgespräche stattgefunden haben. Ich denke, dass die Themen auch dort entsprechend platziert werden konnten. Wenn nun ein Gesetzentwurf mit bestimmten Änderungsanträgen, auf die ich noch eingehe, vorliegt, dann, denke ich, ist es auch richtig, fristgerecht darüber abzustimmen und das Gesetzgebungsverfahren nicht zu verzögern. Ich würde gerne die Diskussion hören, die wir hätten, wenn wir die Frist nicht einhalten würden. Wir würden dann vielleicht noch eine ganz andere Diskussion führen. ({1}) Zum Inhaltlichen: Mein Kollege Bartke und die Staatssekretärin Griese haben den Gesetzentwurf inhaltlich schon weitestgehend vorgestellt. Ich möchte hier noch einiges ergänzen. Im Rahmen der öffentlichen Anhörung der Verbände kam natürlich insbesondere das Thema der grafischen Programmoberflächen zur Sprache. Es ist sehr kritisiert worden, dass diese nicht namentlich erwähnt worden sind. Man muss auch ganz ehrlich sagen: Da sie im alten Gesetz standen, müssen sie natürlich auch im neuen Gesetz stehen; denn sonst könnten bei Gesetzesauslegungen sicherlich Argumente dafür gefunden werden, dass sie jetzt nicht mehr vom Gesetzgeber einbezogen werden. Das geht natürlich insbesondere deshalb nicht, damit die entsprechende Barrierefreiheit nicht abgebaut wird. Es gibt diese Mechanismen ja jetzt schon. Deswegen geht der Änderungsantrag, den wir eingebracht haben, auch noch einmal ausdrücklich darauf ein, dass diese grafischen Programmoberflächen aufgenommen werden. Eine Klarstellung ist erfolgt. Ich möchte zu den Ausnahmeregelungen noch ein paar Worte verlieren. Wir haben im Rahmen der Ausnahmeregelungen in § 12a Absatz 5 und Absatz 6 insbesondere im Absatz 6 formulierungstechnisch den Fokus darauf gelegt, dass wir von einer Ausnahmeregelung sprechen, die eng zu fassen ist. Ich betone das hier noch einmal, damit auch das öffentlich gesagt wird. Es sollen enge Ausnahmeregelungen sein mit entsprechendem Charakter. Das Gleiche gilt auch für den Absatz 5, in dem wir keine Änderungen an der Formulierung vorgenommen haben. Aber ich möchte ausdrücklich betonen, dass damit insbesondere Fälle gemeint sein sollen, um das mal ein bisschen plakativ zu machen, bei denen es um zeitlich befristete Förderprojekte oder Forschungsprojekte geht und die ausnahmsweise – das muss man im Einzelfall natürlich wieder sehr intensiv prüfen – von einer entsprechenden barrierefreien Gestaltung ausgenommen werden können, aber auch nur dann, wenn es sich um Forschungsergebnisse handelt, die so hochspeziell sind, dass sie nur für bestimmte Adressaten in einem sehr fachspezifischen Bereich, für Unternehmen oder für die weitere Entwicklung relevant sind. Diese Ausnahmeregelungen werden auch von der EU-Verordnung zugelassen. Herr Kollege Beeck hat mich ja schon zitiert, ich will es aber gerne wiederholen: Das behalten wir natürlich ganz genau im Auge. Wenn wir merken, dass in der Praxis die Umsetzung weiter erfolgt, als wir uns das als Gesetzgeber eigentlich vorgestellt haben, dann gehört diese Regelung wieder auf die Tagesordnung, und dann müssen wir sie uns als Gesetzgeber natürlich genau anschauen. Letzter Punkt zu den Änderungsanträgen. Da möchte ich noch mal auf die Schlichtungsstellen eingehen. Insbesondere durch die Aufnahme der Unterbrechung von Klagefristen bzw. auch das Ruhendstellen von außergerichtlichen Verfahren, wenn ein Schlichtungsverfahren eingeleitet wird, legen wir den besonderen Fokus auf die Schlichtungsstellen, damit Schlichtungsverfahren entsprechend durchgeführt werden können, ohne dass die Betroffenen Angst haben müssen, dass Fristen ablaufen und sie nachher rechtskräftige Bescheide bekommen, mit denen sie dann auskommen müssen. Das kann so nicht sein. Deswegen ist es, denke ich, gut, dass wir den Schlichtungsstellen sozusagen noch eine Stärkung mit auf den Weg gegeben haben. Ich komme zum Ende. Wir haben mit diesem Gesetz sicherlich Verbesserungen vorgenommen. Ich will damit nicht sagen, dass wir damit am Ende der Verbesserungen angekommen sind. Wir müssen das Thema weiterhin auf der Tagesordnung behalten. Zum Schluss richte ich noch einen schönen Gruß an meinen Wahlkreis. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Oellers. – Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, tue ich nun Thomas Hitschler einen kleinen Gefallen; denn hier im Raum befindet sich seine Besuchergruppe vom Trifels-Gymnasium aus Annweiler. Er weiß aber nicht, wo sie ist. Irgendwo wird sie schon sein. – Sie sind also doch noch hier. Wir waren uns nicht sicher. Ihnen allen auch einen schönen Abend von uns aus. ({0}) – Manche verbringen halt so die Abende. ({1}) Letzter Redner in der Debatte: Peter Aumer für die CDU/CSU-Fraktion. ({2})

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren zwei Punkte: zum einen wie schon öfter gehört die Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu Websites im öffentlichen Bereich und zum anderen die Verlängerung befristeter Regelungen zur Arbeitsförderung. Alle Felder dieses Gesetzes, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, berühren den Wesenskern der sozialen Marktwirtschaft, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Genau das tun wir auch mit diesem Gesetz. Wir verlängern befristete Regelungen des SGB III, beispielsweise die Assistierte Ausbildung. Die Assistierte Ausbildung, meine sehr geehrten Damen und Herren, unterstützt Auszubildende, die lernbeeinträchtigt oder sozial benachteiligt sind, während der gesamten Ausbildungszeit. Lieber Herr Kollege Sichert, was mir vor allem bei Ihrer Rede aufgefallen ist und was mich wirklich gestört hat, ist, wie Sie die Menschen bezeichnet haben, die in dieser Assistierten Ausbildung ihren Lebensweg in die Zukunft gehen. Ich finde das wirklich schlecht. Wenn Sie das Protokoll lesen, dann werden Sie sehen, wie Sie diese Menschen bezeichnet haben. In meinem Wahlkreis sind das 75 junge Menschen, die dieses Angebot in Anspruch nehmen. Ich lade Sie gern einmal ein, mitzukommen und zu schauen, welche Menschen das sind. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, manchmal ist es vielleicht auch ein Weg der Erkenntnis, wenn man sieht, dass Menschen die Hilfe des Staates brauchen. Gerade im Bereich der Sprach- und Bildungsdefizite haben wir viel zu tun. Hier können wir Menschen eine Zukunft geben. Deswegen ist es gut, dass wir dieses Angebot verlängern. Bei mir in Regensburg haben von 2017 auf 2018  30 Prozent mehr junge Menschen diese Ausbildungsinitiative ergriffen. Deswegen ist es wichtig und wertvoll, dass diese Initiative verlängert wird. ({1}) Eine weitere Maßnahme ist die Verlängerung des Saison-Kurzarbeitergeldes bis zur Anpassung einer entsprechenden tariflichen Regelung. Der große Punkt dieses Gesetzes, meine lieben Kollegen, ist die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit bei Internetseiten und mobilen Anwendungen von öffentlichen Stellen. Gerade die digitale Welt eröffnet vielen Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen eine viel größere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und am politischen Diskurs. Einen uneingeschränkten Zugang zu den Angeboten der öffentlichen Stellen im Netz zu ermöglichen, ist deshalb eine wichtige Aufgabe einer demokratischen und inklusiven Gesellschaft. § 12a des Behindertengleichstellungsgesetzes ist dynamisch und zukunftsweisend gestaltet. Der Fokus auf die Darstellung von Onlineinhalten auf mobilen Endgeräten ist wichtig und notwendig. Wichtig ist vor allem auch, dass Ausnahmeregelungen für unverhältnismäßige Belastungen geschaffen wurden. Diese Ausnahmeregelungen darf man aber nicht isoliert betrachten, sondern muss sie im Kanon der Berichterstattungen des Monitorings und der Schlichtungsstelle sehen. Öffentliche Stellen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, müssen ihrer Vorbildfunktion in Sachen Barrierefreiheit online gerecht werden. Das zeigt auch der Wirtschaft neue Perspektiven und Wege auf. Deswegen ist Zwangsverpflichtung, meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken, aus unserer Sicht nicht der richtige Weg. Der Gesetzentwurf, der uns heute vorliegt, enthält mehr als das, was die Europäische Union mit ihrer Richtlinie verlangt. Er öffnet Türen für Menschen mit Beeinträchtigungen. Wir dürfen gespannt sein, welche Chancen und Ideen dadurch noch entstehen werden. Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, bitte ich Sie, diesem Gesetz zuzustimmen. Herzlichen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen herzlichen Dank, Peter Aumer. – Ich schließe damit die Aussprache. Tagesordnungspunkt 10 a. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Verlängerung befristeter Regelungen im Arbeitsförderungsrecht und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/2102 über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/2728, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 19/2072 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben SPD, CDU/CSU und FDP. Dagegen waren Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und die AfD. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben die SPD, die CDU/CSU und die FDP. Dagegen waren die Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und die AfD. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/2733. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion der Linken. Dagegen waren die SPD, die CDU/CSU, die FDP und die AfD. Tagesordnungspunkt 10 b. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 19/2728 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/1342 mit dem Titel „Menschenrecht auf Barrierefreiheit umsetzen – Privatwirtschaft zu Barrierefreiheit verpflichten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die SPD, die CDU/CSU, die FDP und die AfD, dagegen waren die Fraktion der Linken und Bündnis 90/Die Grünen.

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Antrag der Linken gibt uns noch einmal die Gelegenheit, die Vorteile der Beschaffung von Drohnen und die Argumente dafür darzustellen. Gestern haben wir uns im Verteidigungs- und im Haushaltsausschuss mit großer demokratischer Mehrheit für bewaffnungsfähige Drohnen entschieden, und sie dienen dem Schutz der Soldatinnen und Soldaten und damit der Sicherheit. Da wundert man sich schon und fragt sich, warum die Linken das noch an einem Donnerstagabend auf die Tagesordnung bringen wollen, ist es doch demokratisch schon entschieden und dient es doch der Sicherheit unserer Soldaten. ({0}) Die Sicherheitslage hat sich verschärft. Die Bundeswehr leistet einen wesentlichen Beitrag in den Krisengebieten, auch zur Bündnisverteidigung. Es ist dann unsere Verantwortung, den Soldatinnen und Soldaten die bestmögliche Ausrüstung zu geben. Soldatinnen und Soldaten sind nicht, wie Sie es sagen, irgendwelche Zielbilder, die Sie nutzen, um Argumentation und Ideologie zu verbreiten, sondern es sind Familienväter und Familienmütter, die für unser Land im Einsatz sind, die bereit sind, Leib und Leben zu geben, und die die Möglichkeit haben müssen, sich zu wehren, wenn sie denn angegriffen werden. Wir haben die Verantwortung, den Soldatinnen und Soldaten entsprechende Möglichkeiten zu geben. ({1}) Eine bewaffnungsfähige Drohne dient der Aufklärung, dient dazu, ein Lagebild zu bekommen. Beispielsweise müssen die Soldaten in Mali nicht mehr rausfahren, sondern es gibt eine – – ({2}) – „Eine Kamera“? Ach, mit einer Kamera wollen Sie 800 Kilometer weit gucken? Sie wollen den Soldaten in Mali zumuten, rauszufahren und sich Gefahren auszusetzen. Damit haben Sie doch gezeigt, dass Sie in Zwischenrufen gut sind, aber nicht in Sachargumenten. ({3}) Es geht darum, dass wir gestern beschlossen haben, die Heron TP zu leasen – als Übergangslösung –, mit besserer Aufklärungsmöglichkeit und – das sage ich sehr deutlich – einer Bewaffnungsfähigkeit. Dazu wollen wir eine parlamentarische Debatte führen. Wir müssen das mandatieren; es gelten die üblichen Regeln. Aber am Ende des Tages können wir das unseren Soldaten nicht verwehren. Ich will Ihnen auch sagen, warum: Wenn von einer Drohne beobachtet wird, dass eine Sprengfalle aufgebaut wird, oder wenn die Soldaten aus einem Hinterhalt angegriffen werden und man gucken kann, wer hinter der Mauer schießt, dann muss man gezielt wirken können, um den Angriff zu beenden, das heißt schießen und den Angreifer auch töten können. Das ist notwendig, um die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten zu gewährleisten, wenn sie denn angegriffen werden. Ich will sagen, dass eine solche Drohne die Möglichkeit bietet, Aufklärung zu betreiben. Das bietet die Möglichkeit, die Schutzkomponente zu erhöhen, ähnlich wie ein Gewehr, wie ein Panzer, wie ein Flugzeug, aber diesmal durch eine Drohne. Damit kann man auch – um Sie aufzuklären – wie ein ferngesteuertes Flugzeug agieren, allerdings mit dem Piloten auf der Erde, der die Möglichkeit hat, sich mit seinem Nebenmann abzustimmen und alte Lagebilder hinzuzuziehen, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Wir haben schon in der letzten Legislaturperiode darüber debattiert und deutlich gemacht, dass wir eine solche Drohne beschaffen wollen. Wir haben dazu eine Anhörung durchgeführt. Im Koalitionsvertrag haben wir deutlich gesagt: Wir wollen eine solche Drohne beschaffen, weil sie wichtig ist, um eine Übergangslösung zu gewährleisten. Am Ende des Tages setzen wir uns für die Entwicklung einer europäischen Drohne ein, um deutlich zu machen: Wir brauchen in Europa selbst diese Fähigkeit, wenn wir eigenständig und nicht von anderen Partnern oder anderen Ländern abhängig sein wollen. Das erhöht die Souveränität. Meine Damen und Herren, wir müssen die Sicherheitslage betrachten. Über Jahre hinweg musste die Bundeswehr einen Beitrag zur Konsolidierung des Haushaltes leisten. Jetzt geht es darum, unsere Bundeswehr wieder auszurüsten, zum Beispiel mit persönlicher Schutzausrüstung, mit Großgerät, auch mit Munition, damit sie ihren Auftrag erfüllen kann und die Soldatinnen und Soldaten sicher und geschützt aus den Einsätzen zurückkehren können. ({4}) Die CDU/CSU setzt sich für eine bewaffnungsfähige Drohe ein. Die Linken sind eher für betäubungsfähige Drogen. Das ist der Unterschied. ({5}) Die CDU/CSU steht für die Bundeswehr und für die Sicherheit unseres Landes ein. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Otte. – Erlauben Sie mir eine Bemerkung: Die Tatsache, dass wir um 22.36 Uhr dieses Thema diskutieren, ist nicht auf einen Wunsch der Linken zurückzuführen, sondern es hatte heute tatsächlich andere Gründe, dass wir fünf Stunden Verspätung haben. ({0}) Nächster Redner in der Debatte: Rüdiger Lucassen für die AfD-Fraktion. ({1})

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Geben Sie mir bitte 30 Sekunden extra für eine Klarstellung zur Tagesordnung.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nein, das fangen wir jetzt gar nicht an. Ich bitte Sie, zur Sache zu reden und sofort zu beginnen.

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Dann nehme ich das in meine Rede hinein. – Kollege Otte hat über bewaffnungsfähige Drohnen gesprochen. So steht es auch auf der Medientafel. Aber das ist der falsche Tagesordnungspunkt. Wir reden über den Antrag der Linken „Keine Beschaffung von bewaffneten Drohnen – Rüstungsbegrenzung stärken“. Da werden Sie mir sicherlich recht geben. Ich will zum Thema, wie es in der Tagesordnung steht, kommen. Der Antrag der Linken, meine sehr geehrten Kollegen und Kolleginnen, beginnt schon mit einer unwahren Behauptung. Sie sagen, es bestünden „völkerrechtliche und ethische Einwände gegen bewaffnete Drohnen“. Das ist falsch. ({0}) Eine Drohne, also ein unbemanntes fliegendes Waffensystem, ist ein konventionelles Waffensystem, nicht anders zu bewerten als ein Kampfflugzeug, ein Jagd-U-Boot oder ein Kampfpanzer. Diese linke Hysterie bei neuer Technik basiert wie immer auf Unkenntnis. ({1}) Das geht schon mit dem Namen los; denn der Begriff „Drohne“ ist auch falsch. Die Bienenpartei weiß das natürlich. ({2}) Allen anderen will ich es erklären. Eine Drohne ist eine männliche Biene. Ihre einzige Aufgabe ist die Befruchtung der Königin. ({3}) Für uns Männer klingt das fremdbestimmt, ist es aber nicht. Drohnen haben ein Nervensystem und ein Gehirn. Das bedeutet, dass sie selbst entscheiden, ob sie nach links oder nach rechts fliegen, ob sie landen oder abheben. Sie tun das autonom. Auf die Waffensysteme, über die wir heute auf Antrag der Linken reden, trifft das alles nicht zu. Sie sind nicht autonom. Das Gehirn eines unbemannten bewaffneten Luftfahrzeugs wird ein deutscher Luftwaffenoffizier sein, in Recht und Ethik geschult und mit einem Auftrag ausgestattet, den der Deutsche Bundestag, also Sie, verabschiedet hat. ({4}) Der Linkspartei mache ich keinen Vorwurf. Sie wollen am liebsten die gesamte NATO abschaffen und die Bundeswehr dazu. ({5}) Dieser Logik folgend wollen Sie auch keine unbemannten Luftfahrzeuge. Warum unterhalten Sie sich eigentlich dauernd darüber? Den Vorwurf richte ich an die Regierungsparteien. Sie verzögern und verteuern seit Jahren ein notwendiges Waffensystem, das unseren Soldaten im Einsatz Stärke und Schutz bietet. ({6}) Sie schicken unsere Soldaten nach Afghanistan, nach Mali und in den Irak. Aber ein System, das 24 Stunden über einer Patrouille im Kampfgebiet wachen kann, ausgestattet mit Kameras und Waffen, das wollen Sie nicht. Das haben Sie auch bisher der Truppe nicht geben wollen. Und warum nicht? Weil Sie angeblich offene ethische Fragen noch klären müssen. Ihre ethische Verzögerung müssen Soldaten im Einsatz mit zusätzlichem Risiko bezahlen. ({7}) Um das Kind nicht beim Namen nennen zu müssen, haben sich CDU/CSU und SPD jetzt auf die Formel „bewaffnungsfähige Drohne“ verständigt. Wen wollen Sie mit diesem Wortkonstrukt eigentlich für dumm verkaufen? Ihre politische Feigheit, die Dinge beim Namen zu nennen, heißt, dass die Waffen separat und damit teuer gekauft werden. Das ist der falsche Beschaffungsweg. Kaufen Sie eine bewaffnete Drohne, und stehen Sie dazu! ({8}) Die CDU/CSU will das ja im Grunde. Sie kann sich aber gegen ihren Koalitionspartner wieder einmal nicht durchsetzen, wie beim Verteidigungshaushalt. Und die SPD hebt zwar bei jedem neuen Auslandseinsatz brav die Hand, will aber das Wort „Kampf“ oder „Waffe“ nicht in den Mund nehmen. Die SPD will auch noch offene ethische Fragen klären. Was genau ist denn noch ethisch zu klären? Wo liegt für Sie der Unterschied zwischen einem Tornadopiloten, der eine Rakete auf ein Ziel schießt, und einem Drohnenpiloten? Ja, es gibt einen kleinen Unterschied: Der Drohnenpilot sitzt in seiner Bodenkontrollstation außerhalb der Gefahrenzone. Das ist Schutz für unsere Soldaten. Warum stellt sich die SPD dem entgegen? Wollen Sie unsere Soldaten der Gefahr aussetzen? ({9}) Die SPD sagt, sie will noch eine Debatte zur Praxis des Einsatzes von Drohnen. Im Ausschuss sagte sie jedoch dazu, dass diese Debatte jetzt nicht geführt wird. Um das mal klarzustellen: Die SPD legt nicht fest, wann in Deutschland Debatten geführt werden, schon lange nicht mehr. Überschätzen Sie sich nicht! ({10}) Meine Damen und Herren, befreundete Streitkräfte bringen Drohnen bereits seit 20 Jahren in den Einsatz. Das Waffensystem ist notwendig. Hören Sie auf Ihre militärische Führung, und vertrauen Sie ihr! Und an die CDU/CSU gerichtet: Bringen Sie Ihren Koalitionspartner endlich auf Spur, und beschaffen Sie eine bewaffnete Drohne! Danke schön. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte: Gabi Weber für die SPD-Fraktion. ({0})

Gabi Weber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004438, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die Fraktion Die Linke stellt den Antrag, keine bewaffnete Drohnen zu beschaffen. ({0}) Insofern ist das, was auf der Medienwand steht, irreführend. Zu dem, was vonseiten der AfD dazu gesagt worden ist, kann man stehen, wie man will; aber zu behaupten, es wäre notwendig, jetzt unmittelbar bewaffnete Drohnen zu beschaffen, weil unsere Soldaten und Soldatinnen ungeschützt sind, das ist einfach eine Lüge. ({1}) Wir haben bisher das, was möglich ist, für unsere Soldaten und Soldatinnen, die im Einsatz sind, getan. ({2}) Zu dem Antrag selbst muss ich allerdings sagen: Ich hege gewisse Sympathien für diesen Antrag; ({3}) denn ein Einsatz von bewaffneten Drohnen würde ja bedeuten, dass andere Maßnahmen – zivile und diplomatische Maßnahmen – nicht gefruchtet haben oder dass mit anderen Mitteln – Hubschraubern, Kampfflugzeugen – ein entsprechender Schutz vor Angriffen nicht gewährleistet werden kann. Das stimmt allerdings nicht. Das haben wir bisher für unsere Soldaten und Soldatinnen gewährleisten können. Aber, meine Damen und Herren, die Frage nach einer Bewaffnung von unbemannten Luftfahrzeugen steht derzeit ja gar nicht an. Eine Ausbildung an einer Waffe wird nicht durchgeführt, und Munition für den Einsatz wird nicht beschafft. Insofern wollen Sie hier eine Spiegelfechterei veranstalten. ({4}) Wir haben gestern im Verteidigungsausschuss und im Haushaltsausschuss die Beschaffung bewaffnungsfähiger, aber unbewaffneter Aufklärungsdrohnen beschlossen, ({5}) die auch nicht gekauft werden, meine Herren von der AfD, sondern geleast. ({6}) Die Heron TP ist als Aufklärungsdrohne lediglich ein Ersatz für ein System, mit dem wir seit langer Zeit gute Erfahrungen gemacht haben, nämlich mit der Heron 1. Ob und wann die Heron TP zukünftig bewaffnet werden soll, entscheidet der Bundestag erst dann – ich bin ganz froh, dass wir diesen Koalitionsvertrag so gemacht haben –, wenn eine angemessene rechtliche, völkerrechtliche und ethische Würdigung stattgefunden hat und die Ergebnisse hier im Parlament beraten wurden, und da gehört es auch hin. ({7}) Nichts anderes hat der Haushaltsausschuss mit dem Maßgabebeschluss gestern so beschlossen. Dass wir die Heron TP überhaupt beschaffen, liegt daran, dass die bisher genutzte Heron 1 in die Jahre gekommen ist und die gewachsenen Ansprüche an Stabilität, Einsatzdauer und Tragfähigkeit nicht mehr erfüllen kann. Andere vergleichbare Drohnen dieser Leistungsklasse gibt es schlicht nicht ohne Bewaffnungsfähigkeit, und ob dann der Betrieb günstiger wäre, ist nicht nachgewiesen. Sie von der Linken machen es sich ja generell leicht, was Einsätze der Bundeswehr angeht, und lehnen einfach alles in Bausch und Bogen ab – selbst die Vernichtung von syrischem Giftgas. Aber wenn wir unsere Soldatinnen und Soldaten schon in Einsätze schicken, dann wollen wir ihnen dazu auch das bestmögliche Material zur Verfügung stellen. ({8}) Natürlich machen wir uns bei der SPD Gedanken darüber, welche Konsequenzen es hätte, wenn ein solches unbemanntes System zusätzlich noch bewaffnet wäre. Bereits letztes Jahr stand die Entscheidung über die Heron TP an, aber im vertraglichen Umfang deutlich über der jetzigen Vorlage liegend. Damals ging es im Grunde genommen bereits darum, die Ausbildung durchzuführen und alle Voraussetzungen für die Bewaffnung zu schaffen. Das haben wir damals nicht mitgetragen, ({9}) und wir sind froh, dass wir jetzt diese zeitliche Trennung zwischen der Beschaffung bzw. dem Leasen der bewaffnungsfähigen Drohnen und der Beantwortung der Fragen haben, die damals einfach offengeblieben sind. ({10}) Offengeblieben ist damals, wann diese Drohnen überhaupt eingesetzt werden sollen und wofür und in welchen Szenarien die Verteidigungsministerin diese entsprechend einsetzen möchte. ({11}) Diese offenen Fragen werden aber geklärt und beantwortet, bis die Bewaffnung tatsächlich zur Entscheidung ansteht; da bin ich mir sicher. Dann werden wir uns als SPD-Fraktion entsprechend positionieren. Dass diese Frage so kritisch ist, hat einfach damit zu tun, dass in unserer Bevölkerung immer wieder die Erinnerung zurückkehrt, wie bewaffnete Drohnen auch vonseiten der USA eingesetzt werden. An vielen Stellen machen wir ein Fragezeichen dahinter, ob das, was da geschieht, völkerrechtlich einwandfrei ist. ({12}) Ich mache für mich dieses Fragezeichen dahinter ganz groß. Das ist eine der Fragen, die wir auch in der Anhörung vor einigen Jahren nicht wirklich geklärt haben, sondern genau diese Frage ist offengeblieben: Wie wird das bewertet? Ist möglicherweise der Punkt erreicht, an dem es um ein Angriffsziel geht, wenn jemand sozusagen am Boden den Befehl gibt, etwas abzuschießen? Um diese Frage dürfen wir uns auch hier nicht herummogeln. ({13}) Es ist uns wichtig, im Zusammenhang mit diesem Antrag noch einmal auf die Frage zu gucken, wie sich die Autonomie dieser Waffen entwickeln wird. Die Autonomie von Waffensystem entwickelt sich generell und nicht nur bei der Drohne. Völkerrechtlich entscheidend ist bei einem Waffeneinsatz, wer Handelnder ist, wer also einen entsprechenden Befehl gegeben hat. Denkbar wäre, dass der Computer einer bewaffneten Drohne mit zu bekämpfenden Zielen programmiert wäre und diese nicht nur beobachtet, sondern selbstständig auswählt und bekämpft, ohne dass darüber noch ein Mensch die Kontrolle hat. Damit habe ich ein Problem. Diese Entwicklung halten wir von der SPD für grundfalsch und lehnen wir ab. Es ist klar, dass eine menschliche Kontrolle über diese Systeme jederzeit gewährleistet sein muss. ({14}) Aus den genannten Gründen setzen sich unser Außenminister Heiko Maas und das Auswärtige Amt seit Jahren aktiv dafür ein, dass autonome Waffensysteme in internationale Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträge einbezogen und völkerrechtlich verboten werden. Besonders tun wir das in den Verhandlungen bei den Vereinten Nationen im Rahmen des Übereinkommens über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen. Dabei soll ein möglichst weitgehendes und so viele Staaten wie möglich einbindendes Abkommen zur Ächtung entsprechender Systeme erreicht werden. Für uns hat die Passage im aktuellen Koalitionsvertrag zentrale Bedeutung, in der es heißt: Autonome Waffensysteme, die der Verfügung des Menschen entzogen sind, lehnen wir ab. Wir wollen sie weltweit ächten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand in diesem Hause dazu eine andere Position hat. ({15}) Selbst Angehörige der Bundeswehr äußern immer wieder, dass sie einen solchen Grad von Autonomie ablehnen, bei dem die menschliche Verfügungsgewalt nicht mehr gewährleistet ist. Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Position in den CCW-Verhandlungen könnte noch mehr Überzeugungskraft haben. Notwendig sind dazu eine Klärung der konzeptionellen Fragen des bewaffneten Einsatzes, die ich vorhin schon einmal angesprochen habe, und eine schriftliche Positionierung, welcher Grad von Autonomie in Waffensystemen für rechtlich einwandfrei gehalten wird. Wenn die heutige Debatte am späten Abend zumindest dazu einen konstruktiven Beitrag leistet, dann war Ihr Antrag hilfreich. Zustimmen können wir dennoch nicht. ({16})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Gabi Weber. – Nächster Redner in der Debatte: Dr. Marcus Faber für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Marcus Faber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004712, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am liebsten hätte ich heute auch eine Drohne gehabt; eine Drohne, die über dem Luschniki-Stadion in Moskau kreist und mir die besten Bilder von der Eröffnungsfeier der WM macht. Diese hatte ich leider nicht. ({0}) – Humor ist nicht bei jedem zu Hause, ich weiß. ({1}) Diese menschliche Regung hat sich, glaube ich, im Sozialismus leider nicht durchgesetzt. ({2}) Dass jetzt zu Ihrer Humorlosigkeit allerdings auch noch Erinnerungslücken treten, ist wirklich bedenklich. ({3}) Sie tun hier so, als wäre das, was wir hier anschafften, etwas Neues. Sie schwingen hier die große Moralkeule der Betroffenheit. ({4}) Lassen Sie sich eins gesagt sein: Wir reden hier über den Erwerb und das Leasing von unbemannten Luftfahrzeugen, Drohnen; das wurde schon erwähnt. Es geht hier nicht um den Kauf vom Todesstern. Was ist an Drohnen neu? Die Bundeswehr nutzt bereits Drohnen, und zwar seit einigen Jahren. In diesen sitzt niemand. Das ist richtig. Deswegen sagen Sie jetzt hier: Oho, das ist moralisch verwerflich, der Tod von oben. Was machen wir da? Wer kontrolliert das? – Ich will Ihnen einmal sagen: Ihre Argumentation hat mit der Realität in der Bundeswehr so rein gar nichts zu tun. Erster Punkt. Versetzen Sie sich doch mal in einen Soldaten, der in seiner Panzerhaubitze sitzt, auch ein Waffensystem, das wir schon länger nutzen. Er bekommt Koordinaten übermittelt, drückt einen Knopf, und die Munition schlägt 30 Kilometer weiter ein. Dieser Soldat hat seinen Gegner nie gesehen. Erklären Sie mir da einmal den Unterschied zu den Piloten in der Bodenstation. Zweiter Punkt. Wir reden nicht von einem autonomen Waffensystem. Es gibt hier nach wie vor einen Piloten – im Endeffekt gibt es sogar drei Leute, die die Drohne bedienen –, der aber weiter entfernt sitzt. Er sitzt nicht in der Drohne – logischerweise –, sondern in der Bodenstation und ist deshalb besser geschützt. Das ist doch das, was wir wollen. Dritter Punkt. Sie vermischen in Ihrem Antrag die ganze Zeit bewaffnungsfähige und bewaffnete Drohnen. Die Drohnen, die wir haben, und all die Systeme, über die wir diese Woche debattiert haben, sind nicht bewaffnet. Wenn wir sie bewaffnen wollten, dann bräuchten wir ein neues parlamentarisches Verfahren, in dem Sie Ihre Argumente wieder vorbringen können. Mit Ihrem Antrag versuchen Sie, eine solche Debatte von vornherein auszuschließen. Das finde ich unehrlich. ({5}) Wir müssen uns heute darüber im Klaren sein, dass Kriege sich verändert haben. Man marschiert nicht mehr in Reih und Glied auf ein Schlachtfeld und schaut am Ende, wer als Letztes noch steht; sondern wir haben neue Kriege, wir haben terroristische Attacken, wir haben Guerillaaktionen, und darauf müssen wir den Einsatz unserer Streitkräfte einstellen. Unsere Streitkräfte haben Verhaltensregeln. Sie haben auch einen Moralkodex, und das blenden Sie hier komplett aus. ({6}) Wir haben den Ansatz, unseren Truppen im Einsatz den bestmöglichen Schutz mitzugeben. Wir hatten heute hier drei Debatten zu Auslandseinsätzen. Jedes Mal diskutieren wir darüber, wie viele Truppen wir entsenden, welches technische Material mitgegeben werden geben soll und wie der Auftrag ausgestaltet ist. Das ist der richtige Ansatz, und das tun wir – mit oder ohne Drohne – jedes Mal in diesem Parlament mit voller Verantwortung. Was die Soldaten schützt, müssen wir entsprechend tun. ({7}) Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. – Wir als Freie Demokraten wollen die beste Ausstattung für unsere Truppe. Dazu gehört auch die Drohne. Sie als Linkspartei wollen unsere Bundeswehr lähmen. Da machen wir nicht mit. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. Vielen Dank. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Faber. – Nächster Redner: Tobias Pflüger für die Fraktion Die Linke. ({0})

Tobias Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004852, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben als Linke den Antrag gestellt, keine bewaffneten Drohnen zu beschaffen. Konkret bezieht sich das auf die gestrige mehrheitliche Entscheidung im Verteidigungsausschuss und im Haushaltsausschuss, bewaffnungsfähige Drohnen vom Typ Heron TP zu leasen. Wir können inzwischen lesen, dass 50 Millionen Euro für die technische Bewaffnungsfähigkeit der Heron TP ausgegeben werden. Das ist ein Schritt hin zur Bewaffnung. ({0}) Diese bewaffnungsfähige Drohne ist schussfähig, sie ist schussbereit, und das Einzige, was fehlt, sind die Munition und die konkrete Ausbildung der deutschen Soldaten an diesen Kampfdrohnen. ({1}) Es geht um Kampfdrohnen. ({2}) Deshalb ist unser Antrag richtig. Und deshalb haben wir ihn gestellt und sagen: Wir wollen keine Beschaffung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr. ({3}) Deshalb, werte Koalition aus CDU/CSU und SPD – solange es sie noch gibt –: Täuschen Sie nicht die Öffentlichkeit! ({4}) Es geht um Kampfdrohnen, und es fehlt einfach nur die Munition. Und es geht um einen Dreischritt. Gestern wurde die Beschaffung der bewaffnungsfähigen Drohnen beschlossen. Der zweite Schritt soll dann die Bewaffnung sein. Und als dritter Schritt ist die Anschaffung einer eigenen Kampfdrohne, nämlich der Eurodrohne, ab 2027 geplant. Wir halten alle drei Schritte für falsch. ({5}) Wir wollen keine Kampfdrohnen für die Bundeswehr. Im Übrigen ist das heute die letzte Gelegenheit, sie zu verhindern, indem unserem Antrag zugestimmt wird. ({6}) Die SPD bzw. Herr Oppermann als damaliger Fraktionsvorsitzender hat immer wieder davon gesprochen, es sei notwendig, eine breitangelegte gesellschaftliche Debatte zu führen. Ja, liebe SPD, wo ist denn diese Debatte gewesen? ({7}) Gestern gab es die Entscheidung im Verteidigungsausschuss und im Haushaltsausschuss. Wo ist denn diese Debatte gewesen? Sie haben dieser Vorlage zugestimmt, und es gab diese Debatte nicht. Das ist ziemlich blöd, um das mal sehr deutlich zu sagen. ({8}) Wir wissen, wie sich die Kriegsführung durch Drohnenkriegsführung verändert. ({9}) – „Woher denn?“ Sie werden auch die Berichte über die Drohnenkriegsführung der USA gesehen haben, zum Beispiel in Afghanistan, zum Beispiel im Jemen, zum Beispiel in Somalia. Das ist eine Drohnenkriegsführung, die erstens völkerrechtswidrig ist und zweitens ständig Menschen gezielt tötet und dabei eine Reihe von Kollateralschäden verursacht, nämlich Zivilistinnen und Zivilisten umbringt. Diese Drohnenkriegsführung wollen wir niemals haben; wir wollen nicht, dass die Bundeswehr sie durchführt. ({10}) Wer bewaffnete Drohnen anschafft, der geht genau diesen Weg dahin. ({11}) Das wollen wir und sehr viele in der Bevölkerung nicht. Wir wollen keine bewaffnungsfähigen Drohnen. Ich sage Ihnen noch einmal klipp und klar: Die SPD hat am Ende der letzten Legislaturperiode mit der gleichen Argumentation gesagt: Nein, wir wollen das jetzt noch nicht. – Nun haben Sie einen neuen Koalitionsvertrag, und jetzt plötzlich geht es. ({12}) – Vielen Dank, Herr Felgentreu, dass Sie das bestätigen. – Wir halten es trotzdem nach wie vor für falsch, weil das klipp und klar der erste Schritt hin zu einer Kampfdrohne ist. Kampfdrohnen werden die Kriegsführung grundlegend verändern. Das ist – da hat die Kollegin Weber im Übrigen recht – mit einer Reihe ethischer Fragen verbunden. Genau das ist der Grund, warum wir sagen: Wir wollen nicht die Anschaffung bewaffnungsfähiger Drohnen, dieser Kampfdrohnen. ({13}) Stimmen Sie unserem Antrag zu. Es ist die letzte Gelegenheit, um eine solche Anschaffung zu verhindern. Vielen Dank. ({14})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege. – Es gibt gleich einen Wechsel im Präsidium. Jetzt kommt erst einmal die nächste Rednerin dran, und die nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen ist Katja Keul. ({0})

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion teilt die Auffassung, dass wir auf die Anschaffung bewaffnungsfähiger Drohnen verzichten sollten, und wir werden dem Antrag der Linken daher zustimmen. ({0}) Nutzen und Risiken stehen bei diesem Waffensystem außer Verhältnis. Ich kenne bislang keinen Fall, wo ein Soldat konkret nicht zu Schaden gekommen wäre, wenn wir eine solche Bewaffnung gehabt hätten. Dabei soll das angeblich der Grund für die Anschaffung sein. In der Realität werden bewaffnete Drohnen weltweit ganz überwiegend illegal eingesetzt, außerhalb von bewaffneten Konflikten, zur Hinrichtung von Verdächtigen ohne Gerichtsverfahren. Sie werden mehr von Geheimdiensten eingesetzt als von regulären Streitkräften. Sie wollen das alles natürlich nicht; ich weiß. ({1}) Die Realität zeigt uns aber ein Weiteres: Verfügbarkeit bestimmter Mittel führt in Versuchung. ({2}) Als Israel 2000 erstmals bewaffnete Drohnen einsetzte, hat die US-Administration dies kritisiert und als völkerrechtswidrig eingestuft. Als die USA dann selbst über diese Fähigkeit verfügten, änderte man eben seine Rechtsauffassung. ({3}) In ihrem sogenannten Krieg gegen den Terror verstoßen die USA seitdem mit gezielten Tötungen in Pakistan, Jemen und Somalia gegen das Völkerrecht. ({4}) Inzwischen verfügt auch der Iran über diese Waffen. Auch China beliefert Staaten wie Nigeria, Pakistan und Irak mit bewaffneten Drohnen. Diesem Rüstungswettlauf muss Einhalt geboten werden. ({5}) Kampfdrohnen treiben eine Entgrenzung der Kriegsführung voran. Sie senken die Hemmschwelle zum Einsatz militärischer Gewalt und verändern die Kriegsführung grundlegend. Hinzu kommt die hohe Zahl an zivilen Opfern, die uns zeigen, dass es keinen technisch sauberen Krieg gibt. Wir Grüne fordern daher internationale Regelungen zur Begrenzung von bewaffneten, unbemannten Systemen. ({6}) Die SPD, die noch vor der Bundestagswahl die Anschaffung gestoppt hatte, behauptet jetzt gegenüber ihren Fraktionären, es gebe keine moderne Aufklärungsdrohne, die nicht bewaffnungsfähig sei. Das ist schlicht falsch. ({7}) Gerade die Heron TP wird in Israel auch als nicht bewaffnungsfähiges System betrieben. Man erkennt das darüber hinaus schon daran, dass in der Vorlage extra 50 Millionen Euro für die Herstellung der technischen Bewaffnungsfähigkeit enthalten sind. Wenn die SPD jetzt meint, das sei in Ordnung, wenn die Drohne nur bewaffnungsfähig und nicht bewaffnungsfertig sei, so ist das wenig überzeugend, weil dazu nur noch die Beschaffung der Munition gehört. ({8}) Da wäre es ehrlicher, zugleich zuzugeben, dass man die Position bei den Koalitionsverhandlungen für etwas anderes eingetauscht hat. Auch die Union erklärt in der Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses, dass der Antrag der Linken ins Leere laufe, da man ohnehin nur eine Aufklärungsdrohne anschaffe, die irgendwann einmal bewaffnet werden könne. Bis dahin verbleibe ausreichend Zeit für eine fundierte, ausführliche gesellschaftliche Debatte über diese Thematik. Aber das ist wirklich Augenwischerei; denn die ausführliche Debatte läuft schon, solange ich zurückdenken kann. Da kann ich auch dem Darstellungs- und Feststellungsteil des Antrags der Linken nicht ganz folgen. Das Technikfolgengutachten wurde bereits 2007 vom Verteidigungsausschuss in Auftrag gegeben. Von 2009 bis 2013 lief eine breite Debatte, in die sich die Kirchen stark eingebracht hatten. 2014 gab es eine Anhörung dazu im Verteidigungsausschuss. Die Debatte läuft und läuft immer weiter. Sie hat aber bisher nicht das von Ihnen gewünschte Ergebnis gebracht. Die Menschen wollen dieses Waffensystem nicht, ({9}) weder die christlichen noch die sozialdemokratischen Wählerinnen und Wähler. Sie schaden sich also dabei nur selbst. Am Ende ist es wieder ein Riesengeschäft für EADS, deren Tochter sich in diesem Fall ADAS nennt. Der Hersteller hat sich exklusiv an ADAS gebunden; daher komme bei einer Entscheidung für das System ausschließlich ADAS als Auftragnehmer infrage. Der vom Ministerium durchgeführte Wahrscheinlichkeitsvergleich hat ergeben, dass das Leasen über den betrachteten Zeitraum von neun Jahren wirtschaftlicher sei als die Kauflösung. Ja wer soll das denn eigentlich noch glauben?

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zumal ich eines garantiere – letzter Satz –: Eine Eurodrohne wird die Industrie auch bis 2027 nicht fertighaben. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Keul. – Als nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Anita Schäfer. ({0})

Anita Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003216, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich höre von verschiedenen Seiten immer wieder – das ist ja auch einer der Kernpunkte, den die Fraktion Die Linke in ihrem Antrag anspricht –, dass es keine ausführliche gesellschaftliche Debatte über die Konsequenzen der Beschaffung von bewaffneten und bewaffnungsfähigen Drohnen gegeben habe. Gelinde gesagt, verwundert mich das schon. 2013 veranstaltet die Heinrich-Böll-Stiftung eine Konferenz zu Hightechkriegen und Drohnen. Am 13. Juni 2013 debattiert der Deutsche Bundestag die Haltung der Bundesregierung zum Erwerb und Einsatz von Kampfdrohnen. Im Folgejahr findet im Verteidigungsausschuss eine öffentliche Anhörung zu verschiedenen Fragen bezüglich unbemannter Luftfahrzeuge statt. Im Wintersemester 2014/15 bietet die Humboldt-Universität zu Berlin ein Seminar zu Drohnenkriegen an – ein Thema, zu dem nicht nur Professor Herfried Münkler, sondern auch zahlreiche andere deutsche Wissenschaftler forschen und regelmäßig publizieren. Mit anderen Worten: Seit Jahren wird in unserem Land von der Küste bis in die Alpen ausgiebig über Drohnen diskutiert. ({0}) Also, hören Sie endlich auf, zu behaupten, es gebe keine ausführliche gesellschaftliche Debatte dazu; denn das ist nicht wahr. ({1}) – Das haben nicht wir geschrieben; das kam von der SPD im Verteidigungsausschuss. ({2}) Auch die völkerrechtlichen und ethischen Bedenken bezüglich des Einsatzes von Drohnen bewerte ich vor dem Hintergrund des Sachstandes, über den wir hier reden, anders. Wir sprechen heute über das Leasingverfahren für die Heron TP und die zu projektierende Eurodrohne. Für beide hat die Bundesregierung sehr deutlich gemacht, dass sie vorrangig zu Aufklärungszwecken beschafft werden sollen. ({3}) Die Bewaffnung der Heron TP ist daher ausdrücklich nicht in der im Haushaltsausschuss eingereichten Vorlage vorgesehen. Es geht weder um autonome Killerroboter noch um außergerichtliche Tötungen. Die Bundesregierung setzt sich in Bezug auf bewaffnete Kampfdrohnen für Verantwortlichkeit und die Schaffung internationaler Standards ein. Im Übrigen hat der Europarat im Dezember 2015 festgestellt, dass aus seiner Sicht bewaffnete Drohnen als solche keine illegalen Waffen darstellen und dass der Einsatz von Kampfdrohnen dem geltenden Völkerrecht und internationalen Menschenrechtsbestimmungen nicht grundsätzlich entgegensteht. Unabhängig davon sei noch einmal klar und deutlich gesagt, dass es sich bei German Heron TP und Eurodrohne um Aufklärungs- und eben nicht um Kampfdrohnen handelt. ({4}) Aufklärungsdrohnen haben sich in den bisherigen Auslandseinsätzen bewährt und dienen dem Schutz von Leib und Leben unserer Soldaten. Daher ist es von sicherheitspolitischer Bedeutung, nach dem Ende des Leasingvertrages für die Heron 1 einen Leasingvertrag über deren Nachfolgemodell, die Heron TP, abzuschließen. In der Zwischenzeit werden Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland bis voraussichtlich 2025 eine eigene europäische Aufklärungsdrohne entwickeln und diese Fähigkeitslücke schließen. Wenn das nicht geschieht, drohen wir technologisch uneinholbar hinter die USA, China und Israel zurückzufallen ({5}) und damit unsere Sicherheit noch abhängiger von nichteuropäischen Mächten zu machen. Das kann keiner von uns wollen. Sehr geehrte Damen und Herren, die deutsche Drohnendebatte wird heute nicht enden. Ich würde mich aber freuen, wenn wir zumindest hier im Parlament die Diskussion sachlich und faktenbasiert führen. ({6}) – Im Gegensatz zu Ihnen habe ich sie vielleicht gelesen. Und hätten Sie sie gelesen, dann hätten Sie auch festgestellt, dass das nicht stimmt, was hier steht.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Anita Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003216, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. Herr Präsident, ich war beim Schluss. Ich möchte nur den Satz zu Ende führen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, ich komme gleich zu den Spielregeln, nach denen wir hier in den nächsten zwei Stunden verfahren werden. Aber kommen Sie bitte zu Ihrem letzten Satz, und dann rufe ich den letzten Redner auf.

Anita Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003216, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wiederhole: ({0}) Ich würde mich aber freuen, wenn zumindest wir hier im Parlament die Diskussion sachlich und faktenbasiert führen und dies auch so in die Gesellschaft hinaustragen würden. Danke für die Aufmerksamkeit. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem letzten Redner, dem Kollegen Florian Hahn, das Wort erteile, zu den Spielregeln für die nächsten zwei Stunden: Ich werde keine Kurzinterventionen zulassen, und ich werde darauf achten, dass die Redezeiten eingehalten werden. § 35 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung weist ausdrücklich darauf hin: Überschreitet ein Redner die Redezeit, dann ist ihm nach der ersten Mahnung des Präsidenten das Wort zu entziehen. – Ich werde die erste Mahnung immer aussprechen – „Sie haben einen letzten Satz“ –, und wenn der Satz dann zu einem zweiten Satz wird, werde ich das Mikrofon abschalten, damit wir zum Ende kommen. Wir haben eine Fürsorgepflicht auch gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung und der gastronomischen Betriebe. ({0}) Es wäre schön, wenn diejenigen, die Fragebedarf haben, sich mit Zwischenfragen zu vorgerückter Stunde gegebenenfalls etwas zurückhalten könnten. Aber das werden wir im Zweifel entscheiden, wenn es zu viel wird. Herr Kollege Hahn, Sie haben das Wort. ({1})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! ({0}) – Der Präsident hat selbst auch ein bisschen länger gesprochen. Aber lassen wir das. – Die Bundeswehr braucht und gebraucht Drohnen im Einsatz. Drohnen verbessern die Aufklärungsfähigkeiten unserer Einsatzkräfte dramatisch. Damit können diese ihre Aufträge besser erfüllen und sind entsprechend im Einsatz auch besser geschützt. Wir nutzen im Moment Heron 1, das, was die Fähigkeiten angeht, an Grenzen kommt und auch nicht mehr produziert wird, was uns dauerhaft in Probleme bringt, was Ersatzteile angeht. Deswegen haben wir uns in dieser Woche für Heron TP als Zwischenlösung entschieden, bis Europa und wir über eigene Fähigkeiten im Bereich der MALE-Drohne verfügen, damit wir die entsprechenden Fähigkeiten aufrechterhalten können. Das war eine richtige Entscheidung. Nach den Reden, die ich heute von AfD und FDP gehört habe – an dieser Stelle sei übrigens mein Freund Jimmy Schulz, der gerade im Krankenhaus liegt und zuschaut, gegrüßt –, hat es mich ein bisschen gewundert, dass Sie im Ausschuss nicht für die Beschaffung der Drohnen gestimmt haben. Aber widmen wir uns kurz dem Antrag der Linken. Ich kann nur sagen: Der Antrag der Linken ist nicht in Unkenntnis geschrieben, sondern eher in einer Art Scheinheiligkeit; denn seitdem ich im Deutschen Bundestag bin, seit jetzt über acht Jahren, haben die Linken noch nie einem Beschaffungsvorhaben für die Bundeswehr zugestimmt. ({1}) Ihre Argumente sind nicht glaubwürdig, weil es Ihnen gar nicht darum geht, über ein bestimmtes Beschaffungsvorhaben zu diskutieren, Pro und Kontra abzuwägen, sondern Ihnen geht es schlicht darum, die Bundeswehr, weil Sie die Armee ablehnen, weil Sie die Bundeswehr ablehnen, nicht mehr auszustatten. Sie sollten einfach mal so ehrlich sein und das in diesem Hohen Hause auch klar zugeben. ({2}) Besonders übel finde ich, in welchem Licht Sie bei Ihren Äußerungen über solche Dinge die Bundeswehr erscheinen lassen. Ich habe mir mal eine Presseerklärung von der Kollegin Buchholz vom 31. März 2015 herausgesucht. Darin schreibt sie: DIE LINKE lehnt Killerdrohnen ab. … Militärsatelliten und Kampfdrohnen sollen die Bundeswehr in die Lage versetzen, in Zukunft von Deutschland aus per Knopfdruck Menschen in Ländern wie Afghanistan zu töten. ({3}) Nächste Presseerklärung vom Juni 2017: DIE LINKE lehnt grundsätzlich den Einstieg in eine Technologie ab, die vornehmlich dazu dient, per Fernbedienung Menschen in fernen Ländern ohne Anklage hinzurichten. ({4}) Sehr geehrte Damen und Herren, Die Linke suggeriert damit, dass unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz vorwiegend morden und hinrichten sollen. ({5}) Ich finde das wirklich skandalös. Sie sollten sich schämen; das ist unanständig. Sie sollten sich an dieser Stelle mal bei unseren Soldatinnen und Soldaten entschuldigen. ({6}) Kolleginnen und Kollegen, wir sollten insgesamt aufpassen, wenn wir in Zukunft über eine mögliche Bewaffnung von Drohnen diskutieren. Es ist nicht die Waffe, die das Völkerrecht bricht, sondern es ist der Mensch, der sie bedient, bzw. die Instanz, die sie befiehlt. ({7}) Mit Blick auf die Bundeswehr, mit Blick auf unser demokratisches System, mit Blick auch auf den Parlamentsvorbehalt habe ich das feste Vertrauen und keinen Zweifel, dass die Bundeswehr sich auch in Zukunft an geltendes Recht und an das Völkerrecht halten wird. Deswegen befürworte ich, in Zukunft auch bewaffnete Drohnen einzusetzen. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege. Vorbildlich! – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Keine Beschaffung von bewaffneten Drohnen – Rüstungsbegrenzung stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/2582, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/1831 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – ({0}) – Ich glaube, die Mehrheitsverhältnisse waren ziemlich eindeutig. – Damit ist gegen die Stimmen von Linke und Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD die Beschlussempfehlung angenommen.

Dr. Anton Friesen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004720, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Geehrte Zuhörer! Passend zur WM haben wir einen echten Volltreffer für Aussiedler im Programm. Wir wollen die systematische Benachteiligung und Schlechterstellung der Aussiedler im deutschen Rentensystem beseitigen. Wir wollen gegen Altersarmut und für Gerechtigkeit kämpfen. Und wir wollen endlich Ernst machen mit dem, was die CDU/CSU zwar lange angekündigt, aber nie umgesetzt hat: die Nachteile deutscher Spätaussiedler in der Rentenversicherung, die sich durch Änderungen des Rentenrechts ergeben haben, beseitigen. – Jetzt könnten Sie mal klatschen, liebe Kollegen von der Unionsfraktion; denn das war ein Zitat aus Ihrem Regierungsprogramm 2017 – 2021. ({0}) – Wir haben das bessere Programm; da können Sie sicher sein. Aussiedler sind genauso wie Vertriebene ein Bestandteil des deutschen Volkes. Sie sind bestens integriert, sie sind patriotisch, sie sind leistungsbereit, und sie sind auch stolz darauf, Teil dieses wunderbaren Landes und Volkes zu sein. Nur 4 Prozent der Aussiedler sind arbeitslos. Damit ist der Arbeitslosenanteil bei ihnen genauso niedrig wie in der Gesamtbevölkerung. Dafür sind die Aussiedler deutlich jünger. Fast 78 Prozent sind jünger als 45 Jahre. Aussiedler zahlen somit viel mehr in die Rentenkasse sein, als sie rausbekommen. ({1}) Im Jahr 2016 betrug der geschätzte Überschuss in Ihrer Rentenbilanz 942 Millionen Euro. Woran liegt das? Es liegt daran, dass Sie, die CDU/CSU und die FDP, 1996 das Rentenniveau der Aussiedler per Gesetz auf 60 Prozent abgesenkt haben. Im Klartext: Armut per Gesetz für Aussiedler ist das Werk der CDU/CSU, die sich bis heute als Vertreterin der Aussiedlerinteressen darstellt. Aber jetzt gibt es dank der AfD die Chance, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. ({2}) Ich will Ihnen mal ein paar Zahlen nennen, was die Rentenauszahlungsbeträge bei Aussiedlern angeht. Diese belaufen sich zurzeit auf nicht einmal 670 Euro. Zum Vergleich: In den neuen Bundesländern liegt die durchschnittlich ausgezahlte Rente bei 1 076 Euro für Männer und 838 Euro für Frauen. ({3}) Wir sagen: Der junge Aussiedler zahlt immer noch viel mehr ein, als der alte rausbekommt. Wo bleibt denn da die Generationengerechtigkeit? Kommen Sie jetzt nicht mit den üblichen Einwänden. Sagen Sie jetzt nicht, es wäre nicht finanzierbar. Fakt ist: Die Aussiedler erwirtschaften einen riesigen Überschuss für die deutsche Rentenkasse. Hingegen müssen unqualifizierte Zuwanderer nach Professor Raffelhüschen bis zu ihrem 80. Lebensjahr arbeiten, um überhaupt eine Rente oberhalb des Sozialhilfeniveaus zu bekommen. ({4}) Doch während wir unqualifizierte Zuwanderer dank Ihrer Politik millionenfach geschenkt bekommen, warten ebenso millionenfach Aussiedler auf verdiente und nicht geschenkte Gleichstellung. Setzen Sie sich also mit uns für Gerechtigkeit ein! Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank. – Als nächster Redner der Kollege Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Für die vielen Menschen, die vor Generationen in die Länder Russlands und später der ehemaligen Sowjetunion ausgewandert sind, die sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte zur deutschen Sprache, zur deutschen Kultur und auch zu ihrer Religion bekannt haben und die dann von Stalin für die Verbrechen der Hitler-Diktatur in Geiselhaft genommen wurden, verschleppt wurden, in die sogenannte Arbeitsarmee gezwungen wurden, haben wir zu Recht die Möglichkeit geschaffen, als stolze Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zu uns zu kommen. ({0}) Wir haben außerdem mit dem sogenannten Fremdrentenrecht die Möglichkeit geschaffen, dass diese Menschen, die ja nie in das deutsche Rentensystem haben einzahlen können, trotzdem, gemessen an ihrer Arbeitsleistung, ihrer Lebensleistung, von der Deutschen Rentenversicherung eine Rente erhalten. Das ist etwas ganz Besonderes, was es sonst nirgendwo im Rentenrecht gibt. ({1}) In dem Antrag der AfD ist eigentlich alles falsch, vor allem die Grundbehauptung, man müsse diese sogenannten Spätaussiedler den Deutschen, die schon immer hier gelebt haben, die hier geboren wurden, gleichstellen. Wenn man beide Gruppen gleichstellen würde, hieße das: Wer nicht eingezahlt hat, bekommt auch keine Rente. – Dann hätten die Spätaussiedler überhaupt gar keine Rente. ({2}) Das Fremdrentenrecht ist also eine Privilegierung der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler, indem wir gesagt haben: Dem Lebensschicksal dieser Menschen wollen wir dadurch gerecht werden, dass wir ihnen eine Rente geben, obwohl sie gar keine Beiträge einzahlen konnten. Ich finde, das ist eine großartige soziale Leistung unseres Staates. ({3}) Nun hat vor allen Dingen nach der Wiedervereinigung bei uns in Deutschland nicht nur an den Stammtischen, sondern auch in den Parlamenten, in vielen Veranstaltungen eine durchaus heftige Diskussion darüber begonnen: Besteht nicht zwischen dieser Rente, die fiktiv berechnet ist, und zum Beispiel der Rente eines Mitbürgers der neuen Bundesländer, der in das Rentensystem eingezahlt hat, ein Ungleichgewicht? Es gab die Forderung, das Fremdrentenrecht gänzlich abzuschaffen. Wenn man damals eine Umfrage in Deutschland gemacht hätte, hätte es vermutlich eine große Mehrheit für die Abschaffung des Fremdrentenrechts gegeben. Das war letztlich Anlass für den Deutschen Bundestag, zu beschließen: Wir wollen diese Fremdrenten, die ja nicht auf Beiträgen basieren, sondern die wir zusätzlich geben, der Höhe nach deckeln. Ich muss sagen, meine sehr geehrten Damen und Herren: Das war richtig; wir als Union bekennen uns dazu. Wir haben das Fremdrentenrecht nicht abgeschafft. Wir haben es so modifiziert, dass für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland klar wurde, dass wir ein gerechtes Maß finden wollen, damit nicht der eine gegen den anderen ausgespielt wird und sich der eine gegenüber dem anderen nicht benachteiligt oder bevorzugt fühlt. Das war der Grund für die Reform des Fremdrentenrechts. Dieser Grund ist bis zum heutigen Tage richtig und hat letztlich dazu geführt, dass das Fremdrentenrecht weiterhin Akzeptanz bei uns in Deutschland findet. ({4}) Was wir allerdings nicht gewollt haben, ist, dass dadurch die Mitbürgerinnen und Mitbürger, die als Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler zu uns gekommen sind, in die Situation geraten, dass die Fremdrente oder ihre Rente insgesamt gar nicht zum Leben ausreicht. ({5}) Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag miteinander vereinbart, dass wir uns genau diese Situation anschauen und dafür eine sachgerechte Lösung anbieten wollen, sprich: nicht hohe Renten, die nicht gerechtfertigt sind im Vergleich zu dem, was andere, die eingezahlt haben, an Rente bekommen, aber eine Armutssicherung nach unten. Das ist unser Ziel, das wir umsetzen wollen. Wir bekennen uns zur Leistung der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler. Wir sind weiterhin der Auffassung, dass sie eine Fremdrente erhalten sollten, obwohl sie keine Beiträge zahlen konnten und gezahlt haben. Wir halten es für richtig, dass die Rente nach oben gedeckelt wird –,

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– aber wir wollen dafür sorgen, dass niemand Not leiden muss, sondern dass es eine gerechte Absicherung gibt, die das Leben von dieser Rente auch in Zukunft ermöglicht. Das ist unser Ziel. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Als Nächstes für die Freien Demokraten der Kollege Johannes Vogel. ({0})

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich im Ergebnis dem Kollegen Weiß anschließen: Ihr Antrag, liebe Kollegen von der AfD, ist nicht überzeugend. Erstens. Sie scheinen ein Grundprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland nicht verstanden zu haben, nämlich dass die Rente darauf beruht, was jemand individuell geleistet hat, und nicht darauf, ob er zu einer vermeintlichen oder tatsächlichen Gruppe gehört. Das scheinen Sie nicht verstanden zu haben. ({0}) Zweitens – es geht fachlich weiter –: Wie kommen Sie eigentlich darauf, irgendwelche Rentenwerte in Ihrem Antrag – ({1}) – ich lasse keine Zwischenfragen zu – auf der Grundlage von Statistiken zur Erwerbstätigkeit zu berechnen? In der gesetzlichen Rente ist nicht Erwerbstätigkeit entscheidend, sondern sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Das zweite Grundmissverständnis der Systematik unserer Rentenpolitik! ({2}) Drittens. Ihr Vorschlag – das kann man im Antrag klar nachlesen –, die Renten der Aussiedler anhand durchschnittlicher Beitragszahlung zu berechnen, zeigt wiederum ein klares Unverständnis der Rechengrundlagen, weil es den Einzelfall völlig außer Acht lässt. Das sind drei grobe fachliche Schnitzer in Ihrem Antrag. Wir können in der Sache streiten; aber legen Sie bitte wenigstens substanzielle Anträge vor, wenn Sie darüber streiten wollen. ({3}) Besonders bemerkenswert fand ich einen Satz in der Begründung in diesem wirklich zusammengeschusterten Antrag. Sie insinuieren nämlich in der Begründung, dass Ihr Anliegen gerechtfertigt sei, weil ja die betroffene Gruppe einen besonders niedrigen Altersdurchschnitt hätte. Wollen wir das mal zu Ende denken? Was heißt das denn bezogen auf andere Gruppen? Was heißt das denn – wenn Sie schon versuchen, das Rentensystem in Abstammungsgruppen zu denken – bezogen auf andere Deutsche mit ausländischen Wurzeln, mit Herkunft aus einer bestimmten Region, aus einem bestimmten Land, die vielleicht auch einen sehr niedrigen Altersdurchschnitt haben, weil sie viele Kinder haben? Sollen die dann auch höhere Renten bekommen, oder nicht, liebe Kollegen von der AfD, weil das dann nicht in Ihr Weltbild passt, ({4}) weil es vielleicht Menschen aus Regionen sind, die Sie hier nicht haben wollen? ({5}) Das zeigt Ihr Denken, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, aber, ich glaube, es ist nicht der Ansatz der weit überwiegenden Mehrheit in diesem Haus. Wir wollen weiterhin ein Rentensystem, das auf die individuelle Biografie schaut. Ich finde ja richtig, dass Sie in Ihrem Antrag auch ansprechen, dass es für die Finanzierung unserer Sozialsysteme nötig ist, dass wir Menschen aus dem Ausland hierherholen, dass wir Einwanderung brauchen. ({6}) Ja, wir wollen ein modernes Einwanderungsgesetz, ({7}) das Deutschland endlich besser macht im Wettbewerb um die klugen Köpfe auf der ganzen Welt. Aber dann müssen Sie sich von Ihrem Weltbild verabschieden, dass hier die Abstammung oder die Religion irgendeine Rolle spielt. Dann darf nämlich nur Qualifikation eine Rolle spielen. ({8}) Wir wollen eine Gesellschaft, in der nicht zählt, woher jemand kommt oder woran er glaubt, sondern in der zählt, was er leistet, was er tun will, wie qualifiziert er ist. Ein solches System müssen wir schaffen, wenn wir vernünftige Einwanderungspolitik und auch eine vernünftige Rentenpolitik machen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({9}) Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis will ich die letzten 30 Sekunden meiner Redezeit dafür nutzen, Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, eines nicht zu ersparen, weil ich mir vorgenommen habe, es Ihnen in keiner rentenpolitischen Debatte zu ersparen. Wir reden heute über einen absurden, einen schlechten Antrag der AfD. Aber wir werden in den nächsten Wochen noch häufig über Rentenpolitik reden. Was Sie in der Rentenpolitik vorhaben, ist unbezahlbar, und deshalb ist es unverantwortlich. Wenn Sie es ernst meinen und eine Rente wollen, die für Großeltern, Kinder und Enkel richtig ist, ({10}) dann lassen Sie uns erst darüber reden, wo wir mit der gesetzlichen Rentenversicherung hinwollen, warten Sie erst die Ergebnisse Ihrer eigenen Rentenkommission ab, bevor Sie in den nächsten Wochen teure Leistungsausweitungen durchs Parlament peitschen, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kollege Vogel, Ihr letzter Satz, bitte.

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– die Zusatzausgaben für Jahrzehnte bedeuten und deshalb ein Hohn gegenüber der Generationengerechtigkeit sind. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Glück gehabt. – Als Nächstes für die SPD-Fraktion der Kollege Kapschack. ({0})

Ralf Kapschack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004321, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuschauer sind nicht mehr da. Herr Präsident – natürlich! ({0}) – Er ist da; das stimmt. – Der Kollege Vogel hat sich ein Beispiel an dem alten Cato genommen und wird jetzt bei jeder Rede „ceterum censeo“ sagen. ({1}) Wir werden das aushalten, und wir werden Ihnen auch hoffentlich noch beibringen, dass Sie falsch liegen. Aber heute reden wir über den Antrag der AfD. Ich nehme Sie einmal mit in das Jahr 1992. Damals war ich als journalistischer Begleiter mit dem damaligen nordrhein-westfälischen Sozialminister Hermann Heinemann in Staaten der ehemaligen Sowjetunion unterwegs. Der Grund für die damalige Reise lag auf der Hand. Es gab die Prognose, dass ungefähr 2 Millionen deutschstämmige Menschen auf gepackten Koffern sitzen und in die Bundesrepublik ausreisen wollen. Bei vielen, mit denen wir damals gesprochen haben, war das Hauptargument für die Ausreise nicht Diskriminierung oder Ähnliches. Das Hauptargument war: Unseren Kindern soll es einmal besser gehen. – Sie waren bereit, alles, was sie sich aufgebaut hatten, aufzugeben und in eine neue ungewisse Zukunft zu starten. Die Aussicht, monatelang in Übergangsheimen oder Turnhallen zu leben, hat sie nicht abgeschreckt. Viele sind dann tatsächlich gekommen; einige sind auch wieder zurückgekehrt. Über die Rente haben sich damals wahrscheinlich die wenigsten Gedanken gemacht. Sicher gibt es eine Reihe von ihnen, die jetzt eine geringe Rente bekommen; das ist keine Frage. Dabei allerdings von Diskriminierung zu reden, ist schlichtweg falsch. ({2}) Ganz im Gegenteil – es ist schon gesagt worden –: Die Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler wird vielmehr im Vergleich zu gebürtigen Deutschen und zu allen anderen zugewanderten Personen rentenrechtlich besser behandelt; denn grundsätzlich werden Renten bei uns nur gezahlt, wenn auch Beiträge in die Rentenversicherung entrichtet worden sind. Als einziger Gruppe wird Vertriebenen und Aussiedlern eine gesetzliche Rente ermöglicht, obwohl dieser Rente keine eigenen Beiträge gegenüberstehen. Das ist das Gegenteil von Diskriminierung, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Seit 1959 erhalten Vertriebene und Spätaussiedler über das Fremdrentengesetz eine gesetzliche Rente. Damit sollten im Herkunftsland verlorengegangene Rentenansprüche ausgeglichen werden. Diese Sonderstellung war aufgrund der historischen Verantwortung Deutschlands für die Folgen des Zweiten Weltkriegs und der Verbindung zu im Ausland lebenden deutschen Volksgruppen politisch gewollt, und das stellt hier auch niemand ernsthaft infrage. Vertriebene und Aussiedler – auch das ist schon geschildert worden – wurden rentenrechtlich so gestellt, als hätten sie ihr gesamtes Erwerbsleben in der Bundesrepublik verbracht. Ihre Versicherungszeiten im Ausland wurden dabei mit einem Verdienst bei einer vergleichbaren Beschäftigung in der Bundesrepublik berücksichtigt. Der tatsächliche Verdienst spielte keine Rolle. Die so berechneten Renten befanden sich lange auf einem hohen Niveau. Peter Weiß hat es schon angesprochen: Mit der Überwindung der deutschen und der europäischen Teilung hat sich die Ausgangssituation grundlegend verändert. Mit der deutschen Wiedervereinigung stand die Rentenversicherung zudem vor neuen Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund hat die Regierung Kohl damals Abschläge auf Renten nach dem Fremdrentengesetz beschlossen. Damit sollte unter anderem die Besserstellung gegenüber Beziehern von kleinen Renten vor allem in strukturschwachen Regionen verhindert werden. Um das noch einmal deutlich zu machen: Der Versuch, Gerechtigkeit herzustellen zwischen Beitragszahlern und Rentnern nach dem Fremdrentengesetz, ist heute genauso wichtig wie damals; ({4}) denn die Leistungen für die Spätaussiedler beruhen nicht auf geleisteten Beiträgen, sondern auf der Solidarität der Versichertengemeinschaft. Jede Erweiterung dieser Leistung muss deshalb gegenüber den Beitragszahlern gerechtfertigt werden. ({5}) Wenn im Antrag mit durchschnittlichen Zahlbeträgen argumentiert wird, ist das nur die halbe Wahrheit. Die Altersrente für weibliche Spätaussiedler ist deutlich höher als die Altersrente für Frauen in den alten Bundesländern. ({6}) Aber keine Frage: Es gibt viele Frauen und Männer, die von niedrigen Renten leben müssen. Das trifft allerdings nicht nur Spätaussiedler. Deshalb sehen wir es als zentrale Aufgabe an, alle Versicherten gegen Altersarmut abzusichern und angemessene Renten zu zahlen. ({7}) Da ist in den vergangenen Jahren ja auch schon einiges umgesetzt worden: Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente, die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren, die bessere Anerkennung von Erziehungszeiten in der Mütterrente. Das reicht uns noch nicht, aber wir haben ja auch noch einiges vor: ({8}) die weitere Verbesserung der Erwerbsminderungsrente, weitere Verbesserung bei der Mütterrente, die verpflichtende Altersabsicherung von Selbstständigen, vor allem aber die Einführung einer Grundrente. ({9}) – Darüber reden wir dann, wenn es so weit ist, Kollege Strengmann-Kuhn. – Sie soll denen, die lange gearbeitet haben, einen Rentenanspruch deutlich oberhalb der Grundsicherung ermöglichen. Das ist ein ganz konkreter und wichtiger Schritt zur Vermeidung von Altersarmut. Und wir stabilisieren Beiträge und das Rentenniveau. Das löst nicht alle Probleme – stimmt –, aber die Stabilisierung des Rentenniveaus ist wichtig, um Renten und Löhne nicht weiter auseinanderdriften zu lassen, und das ist ein wichtiger Schritt – das kann man nicht oft genug sagen, finde ich –, um die Legitimation der gesetzlichen Rente und des Sozialstaats insgesamt zu erhalten. ({10}) Das ist das Gegenteil von dem, was Sie wollen. Sie operieren mit Katastrophenszenarien, um Menschen zu verunsichern und um daraus politisch Kapital zu schlagen. Die vermeintliche demografische Katastrophe, von der Sie in Ihrem Antrag sprechen, passt Ihnen da gut ins Konzept. ({11}) – Die findet auch gar nicht statt. – Ganz abgesehen davon, dass die demografische Entwicklung nicht das Ende der Zeit bedeutet: Sie erfordert politische Konzepte und Antworten. So etwas sucht man bei Ihnen allerdings nach wie vor vergebens. ({12}) Bis auf die unsäglichen Vorschläge Ihres Parteifreundes Höcke gibt es da nur: Fehlanzeige. ({13}) Jetzt kommen Sie mit einer Argumentation, die einer ziemlich schrägen Logik folgt; das ist hier auch schon angesprochen worden. Sie schreiben, die jungen Aussiedler seien erwerbstätig und würden die Rente für ihre Eltern erwirtschaften. Deshalb stehe den Spätaussiedlern auch die volle Rente zu, nicht nur ein Teil davon. Nach dieser Logik müsste ja die Rente der Eltern jeweils nach der Erwerbstätigkeit ihrer Kinder erhöht oder auch gekürzt werden. Das kann ja nicht Ihr Ernst sein. ({14}) Sie haben die Idee der umlagefinanzierten Rente nicht verstanden, oder Sie wollen sie bewusst missverstehen. Da zahlen eben nicht Volksgruppen oder Nationalitäten ein, sondern Beitragszahler, ({15}) in einen Topf, für alle nach gleichen Regeln. ({16}) Deshalb sind wir dafür, die gesetzliche Rente insgesamt zu stärken. Das hilft grundsätzlich auch den Spätaussiedlern. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. Vielen Dank. ({17})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Kapschack. – Als Nächstes für die Fraktion Die Linke der Kollege Matthias Birkwald. ({0})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke steht seit Jahren an der Seite der Russlanddeutschen. Meine Fraktionskollegin, unsere Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, unterstützt die Aussiedlerinnen und Aussiedler aus der Sowjetunion und den GUS-Staaten mit besonders viel Engagement. Danke dafür! ({0}) Deswegen haben wir Linken bereits im Mai 2017 auf Petra Paus Initiative hin ein Gespräch mit einer Delegation der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland geführt, an dem neben dem damaligen Sprecher der Landsmannschaft, Waldemar Eisenbraun, auch unser Fraktionsvorsitzender Dr. Dietmar Bartsch, meine Kollegen Andrej Hunko, Sigrid Hupach und ich selbst teilgenommen haben. Das Ergebnis: Die Linke setzt sich für höhere Renten für Aussiedler und Aussiedlerinnen ein. ({1}) Hier unsere kleine Anfrage vom Mai 2017 und unsere Interviews aus der „Russkaja Germanija“. ({2}) Meine Damen und Herren, Altersrenten erhalten diejenigen, die in die Rentenkasse eingezahlt haben, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Von diesem Prinzip wurde vor 1989 bei zwei Gruppen von Migrantinnen und Migranten, Kollege Kapschack, aus guten Gründen abgewichen: erstens bei Menschen, die vor 1989 aus der DDR in den Westen geflüchtet oder übergesiedelt sind, und zweitens bei Aussiedlerinnen und Spätaussiedlern aus den Ländern der Sowjetunion und den GUS-Staaten. Viele dieser Menschen wurden in ihren Herkunftsländern schlecht behandelt. Deshalb wurde beiden Gruppen als Ausgleich versprochen, dass sie mit ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik exakt so behandelt werden würden, als hätten sie ihr bisheriges Arbeitsleben nicht in der DDR oder in der Sowjetunion, sondern in Westdeutschland verbracht. Damit wurde ihr Rentenniveau vom Herkunftsland auf das höhere westdeutsche Niveau angehoben. Beide Versprechen aber, meine Damen und Herren, wurden von Union, FDP und SPD nach 1989 gebrochen, und das ist schlecht. ({3}) Seit 1993 werden aus der DDR Geflüchtete nicht mehr so behandelt, als hätten sie in Westdeutschland gearbeitet, und sie wurden gegen ihren Willen zu DDR-Bürgern mit entsprechenden Renteneinbußen gemacht. Mit dem schwarz-gelben Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz von 1996 wurden die Renten von Aussiedlerinnen und Aussiedlern aus den Staaten Mittel- und Osteuropas so weit gekürzt, dass ihr Lebensunterhalt im Alter nicht mehr gesichert ist. Mit diesem Gesetz, meine Damen und Herren, wurden die versprochenen Rentenansprüche von Aussiedlern erst um 30 und dann sogar um 40 Prozent gekürzt. Das ist unglaublich und in dieser Form ungerecht. ({4}) Obendrein wurden ihre Ansprüche nach dem Fremdrentengesetz auch noch auf höchstens 25 Entgeltpunkte begrenzt, also auf 800 Euro brutto. Für Ehepaare gibt es höchstens 40 Entgeltpunkte, das sind höchstens 1 281 Euro brutto. Viele Aussiedler haben keine weiteren Alterseinkommen. Das ist Altersarmut per Gesetz, und das darf so nicht bleiben. ({5}) Die Ergebnisse unserer Kleinen Anfrage sind erschreckend: Die 402 000 von der Kürzung der sogenannten Fremdrente betroffenen Russlanddeutschen erhielten im Jahr 2015 durchschnittlich gerade einmal eine Nettorente von 668 Euro. Sie liegen damit knapp 365 Euro unter der offiziellen EU-Armutsschwelle und mehr als 135 Euro unter der durchschnittlichen Grundsicherung im Alter, dem Rentner-Hartz IV. Das ist falsch, das ist schlecht, und das darf nicht so bleiben. ({6}) Genau deshalb fordere ich von Ihnen, liebe Koalition: Machen Sie erstens diese Kürzungen rückgängig! Schließen Sie zweitens endlich ein Sozialversicherungsabkommen mit Russland ab, dann würde die wechselseitige Zahlung von Renten und die Anerkennung rentenrechtlicher Zeiten endlich auf eine solide Grundlage gestellt! Und drittens fordert Die Linke als einzige im Bundestag vertretene Partei eine Solidarische Mindestrente in Höhe von 1 050 Euro netto.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, Ihr letzter Satz.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Niemand soll im Alter in Armut leben müssen. Herr Präsident, ich komme zum Schluss.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

So ist es. Ich habe Ihnen jetzt das Mikrofon abgeschaltet. Ich bitte Sie, jetzt das Rednerpult zu verlassen.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich wollte diesen einen Satz aber auch noch sagen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Sie waren schon bei dem einen Satz. ({0}) Als Nächstes für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Markus Kurth. ({1})

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Ich nehme mir die zu dieser Stunde sicherlich auch angemessene Unbarmherzigkeit beim Überwachen der Redezeit zu Herzen und werde sehen, dass mir das nicht passiert. ({0}) Ich will vorweg sagen: Das Problem der Altersarmut bei Spätaussiedlern ist laut einer Studie aus dem Jahr 2016 vom Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften durchaus klar bekannt. Wir wollen das auch angehen. Dazu später mehr. Die Frage ist allerdings: Ist es tatsächlich das Ziel der AfD und des AfD-Antrags, sich sachgerecht mit dieser Problematik auseinanderzusetzen? Ich finde, dass in Ihrer Rede sehr deutlich geworden ist, dass das nicht ihr Ziel ist; ({1}) denn sie haben wieder einmal Gruppen gegeneinander ausgespielt. Sie konnten wieder nicht der Versuchung widerstehen, sogenannte unkontrollierte massenhafte Zuwanderung ins Verhältnis zu setzen zu einem realen sozialpolitischen Problem einer Gruppe. Damit haben sie die Gruppe der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler wieder instrumentalisiert. ({2}) Sie haben wieder das Gefühl des Zu-kurz-gekommen-Seins schüren wollen. Sie nutzen einfach diese Gruppe und diesen Antrag auf schäbigste Art und Weise, um Unfrieden und Spaltung in dieses Land zu tragen. ({3}) Das ist Ihre wahre Zielsetzung. Das tut mir sehr leid für Aussiedlerinnen und Aussiedler, die, besonders wenn sie den Geburtsjahrgängen der 50er- und 60er-Jahre angehören, tatsächlich mit dem Problem der Altersarmut zu kämpfen haben. Wir als Bündnis 90/Die Grünen schlagen schon lange vor, mit einer Garantierente, die Zeiten der Kindererziehung, des Arbeitens, aber auch der Arbeitslosigkeit anerkennt, eine Absicherung zu schaffen, die deutlich oberhalb der Grundsicherung liegt. ({4}) Das ist eine Lösung, die sich in das Beitragssystem der Sozialversicherung, der Rentenversicherung, einfügt. Die meisten meiner Vorredner – deswegen kann ich mich an dieser Stelle kurzfassen – haben sehr treffend angemerkt, dass natürlich nicht die ethnische Zugehörigkeit, die Nationalität, das Deutschsein Kriterien für Ansprüche in der Rentenversicherung darstellen. Wenn Sie noch nicht einmal das kleine Einmaleins der Rentenversicherung beherrschen, dann ersparen Sie uns solche Anträge! ({5}) Im Übrigen haben Sie grundsätzlich keinerlei Konzept oder Idee, wie man mit der Alterssicherung und der Rentenversicherung umgehen soll. Ich finde, das muss man hier noch einmal deutlich machen. Ich habe vor einigen Wochen mit Herrn Meuthen auf einem Podium gesessen; Herr Kapschack war auch dabei. Da hat Herr Meuthen der Zerschlagung der umlagefinanzierten Rente das Wort geredet. ({6}) Sein Vorbild war Chile, wo die Rentenversicherung abgeschafft ist und es die allergrößte Altersarmutsproblematik gibt. ({7}) Solange Sie da völlig blank sind und überhaupt keine Vorstellung haben, wie Alterssicherung vorgenommen wird, brauchen Sie hier nicht Anträge zu stellen, mit denen Sie Gruppen instrumentalisieren, sie schamlos ausnutzen und diesen Personen, die ein echtes Armutsproblem haben, im Ergebnis überhaupt kein Stück weit helfen, sondern nur Hass, Missgunst und Misogynie verbreiten. Danke. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Kurth. – Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. h. c. Albert Weiler. ({0})

Albert Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004439, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Da oben auf der Tribüne sind nur noch vier Herren. – Ich habe heute Abend wieder was gelernt: Die Linken haben sich schon immer für die Spätaussiedler eingesetzt. – Dann habe ich gelernt, dass die FDP hellseherische Fähigkeiten hat; denn sie weiß schon, was bei der Rentenkommission hinten rauskommt. ({0}) Man lernt also um diese Zeit – fast zwölf Uhr Mitternacht – noch viel dazu. Die Menschen, um die es hier geht, wurden aus ihren Dörfern und Städten vertrieben und zwangsumgesiedelt. Es ist kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass diese deutschstämmige Gruppe nicht in allen Teilen Deutschlands mit offenen Armen empfangen wurde. Ich selbst habe einige Jahre im Süden Bayerns, in Geretsried, gewohnt und dort viele Spätaussiedler als fleißige, kluge und freundliche Menschen erlebt. Sie haben hier einen eigentlich nicht vorhandenen Ort zum Leben erweckt und mit ihren innovativen Ideen zu einer blühenden und wirtschaftlich gut dastehenden Stadt entwickelt. Diese Menschen hatten es damals nicht leicht, und jetzt, wo viele im Rentenalter sind, merkt man natürlich auch finanzielle Defizite durch niedrige Renten. Der CDU/CSU und natürlich auch mir selbst, der aktiv an den Koalitionsverhandlungen teilgenommen hat, war es wichtig, in den Koalitionsvertrag eine Regelung einzumeißeln, die uns die Verpflichtung auferlegt, gerade diesen fleißigen und innovativen Menschen zu helfen. Der Prüfauftrag im Koalitionsvertrag ist nicht nur eine Floskel, sondern wir sind sehr aktiv dabei, Lösungen zu finden, auch für die Menschen, die vordergründig eben keinen Rechtsanspruch haben. Die Härtefallregelung muss im Haushalt Niederschlag finden, damit wir gerade für benachteiligte Gruppen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, jetzt aber am Existenzminimum leben müssen, einen Weg aus der Grundsicherung finden. Da ich mich schon sehr lange mit dem Thema beschäftige, weiß ich, dass der zu gehende Weg nicht einfach ist. Aber wenn er einfach wäre, wäre er schon lange gegangen worden bzw. andere würden sich darum drängen, ihn zu gehen. Wer meine Vita kennt, der weiß, dass ich steinige und bergige Wege nicht scheue und stets darum werbe – glücklicherweise auch mit Erfolg –, dass Kolleginnen und Kollegen und viele Menschen diese nicht einfachen Wege mitgehen. So werde ich auch diesen Bergweg nicht scheuen, da ich davon überzeugt bin, dass Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, und gerade die Nachkriegsgeneration, die es gewiss schwieriger im Leben hatte als alle darauffolgenden Generationen in Deutschland, an unserer guten wirtschaftlichen Situation teilnehmen können. Nach vielen Gesprächen mit unserem Koalitionspartner bin ich sehr guter Dinge, dass der Härtefallfonds einen Weg aufweisen wird, Menschen zu helfen. Dass wir hier aktiv und zielorientiert im Hintergrund planen und arbeiten, hat nun auch die AfD mitbekommen. Sie möchte durch die Hintertür dieses sehr wichtige Thema für sich zum Alleinthema machen. Strategisch finde ich das sicherlich akzeptabel, aber es ist an dieser Stelle weder hilfreich noch zielführend. Man hat mit einer schnellen Feder vier Vorschläge gemacht, die weder fachlich noch kostenmäßig ausreichend begründet werden, was aus meiner Sicht auch logisch und nachvollziehbar ist, wenn man sich heute schnell, schnell einen ausgefallenen Tagesordnungspunkt zunutze machen will. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass dieses wichtige Thema nicht an den Abgrund des Populismus gestellt wird, sondern durch vernünftige und durchdachte Vorschläge – glauben Sie mir, ich bin für jeden ordentlichen Vorschlag dankbar – eine gerechte und akzeptable Lösung herbeigeführt wird; denn die vielen fleißigen und ehrwürdigen Menschen haben es nicht verdient, als sogenanntes Stimmvieh ausgenutzt zu werden. Sie haben es verdient, dass wir uns geordnet mit ihren Sorgen und Nöten befassen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege.

Albert Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004439, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aus diesem Grund kann ich Ihrem Antrag leider nicht zustimmen. Ich freue mich aber –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, bitte!

Albert Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004439, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– über jeden konstruktiven Vorschlag. Danke schön. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Wunderbar. – Als nächster und letzter Redner für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Max Straubinger. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Die Fraktion der AfD glaubt, mit ihrem Antrag eine Ungerechtigkeit aufnehmen zu müssen, also der angeblichen Diskriminierung von Spätaussiedlern entgegenzuwirken und ihnen eine bessere Stellung zu verschaffen. Als Unionsabgeordneter und als CSU-Abgeordneter möchte ich zunächst darauf hinweisen: Wir begrüßen es, dass es viele Spätaussiedler in unserem Land gibt. Warum gibt es sie? Sie gibt es deshalb, weil Helmut Kohl eine großartige Politik betrieben hat, ({0}) die Teilung, Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl in Europa überwunden hat und deshalb überhaupt Spätaussiedler nach Westdeutschland bzw. nach Gesamtdeutschland kommen konnten. Die große Errungenschaft für diese Menschengruppe ist, dass sie nicht mehr in den ehemaligen Republiken der Sowjetunion, zum Beispiel in Kasachstan oder sonst wo, leben müssen. Vielmehr können sie bei uns in wirtschaftlicher und sozialer Absicherung ein großartiges und selbstbestimmtes Leben führen. ({1}) Ich habe dazugelernt, dass zum Beispiel Die Linke – Kollege Birkwald hat es ausgeführt – sozusagen an der Seite der Aussiedler steht. ({2}) Wenn es nach Ihrer Politik gegangen wäre, gäbe es gar keine Aussiedler; denn Sie wollten die deutsche Einheit nicht. ({3}) Das muss man doch auch sehen. ({4}) Es ist schon bemerkenswert, welche Schlüsse heute gezogen werden. Zur angeblichen Diskriminierung. Rentenleistungen gibt es grundsätzlich – das wurde schon ausgeführt – aufgrund von Beitragszahlungen in die Deutsche Rentenversicherung. Hier gibt es ein großes Missverständnis vonseiten der AfD-Fraktion. Sie stellt Menschen, die keine Beitragszahlungen in die Deutsche Rentenversicherung geleistet haben, gleich mit denen, die grundsätzlich Beiträge in die Deutsche Rentenversicherung einbezahlt haben. Es ist eine großartige Leistung – wir stehen dazu, der Kollege Kapschack hat es ausgeführt –, dass wir 1959 ein sogenanntes Fremdrentenrecht eingeführt haben. Das bedeutet, dass die Menschen, die seinerzeit unter erschwerten Bedingungen und unter Gefahr für Leib und Leben zu uns nach Deutschland gekommen sind, keine Nachteile im Rentenalter haben sollen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kollege Straubinger, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Friesen?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich führe es aus. – Das Entscheidende ist, dass wir damit diesen Menschen eine großartige soziale Leistung, vom Steuerzahler finanziert, gewähren. Dazu stehen wir. Wenn es in einzelnen Fällen berechtigte Wünsche gibt, dann sind wir als Union, als die Partei, die am besten an der Seite der Spätaussiedler steht, bereit, darüber zu reden und sachgerechte Lösungen herbeizuführen. Aber wir wollen nicht, dass ein Spaltpilz hineingetrieben wird, nach dem Motto: Die Spätaussiedler werden diskriminiert und sind benachteiligt. Im Gegenteil: Der deutsche Steuerzahler, die Bürgerinnen und Bürger stehen zu den Spätaussiedlern, stehen auch zum Fremdrentenrecht; aber sie sind gegen Überversorgungen. ({0}) Und wenn nach 45 Jahren Fremdrentenrecht, ohne dass eine Beitragszahlung erfolgt ist, eine Rente von 864 Euro herauskommt, so ist das eine großartige Leistung. Zuerst einmal muss man auch feststellen: Grundsätzlich muss die Rente dort beantragt werden, wo eingezahlt worden ist. Sie haben so großartige Verbindungen in die Sowjetunion.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da können Sie einen Beitrag leisten, dass die Spätaussiedler ihre Rente dann in Russland beantragen können und die bürokratischen Hemmnisse abgebaut werden. ({0}) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/2730 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere Gesellschaft wäre ohne Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, nicht lebenswert. Sie engagieren sich in der Betreuung von Flüchtlingen, setzen sich für alte Menschen ein, für Umwelt- und Tierschutz, oberhalb und unterhalb der Wasseroberfläche, engagieren sich in Feuerwehren, in Kirchen, in Gewerkschaften, in Sportvereinen und nicht zuletzt auch ehrenamtlich in der Politik. Unsere Gesellschaft lebt von diesem Engagement. Es ist deswegen richtig, dass der Gesetzgeber Organisationen, die das Gemeinwohl fördern, steuerlich begünstigt. In diesem Bereich ist in den vergangenen Jahren aber eine ganze Industrie von Trittbrettfahrern entstanden, die ausdrücklich nicht dem Gemeinwohl förderlich sind. ({0}) Wenn Tierrechtsorganisationen jede Form der Nutztierhaltung ablehnen und pauschal als Sklaverei bezeichnen, und zwar jeden Reiterhof, die Nutzung von Nutztieren, von Weidetieren, jeden Zoo, jeden Zirkus und nicht zuletzt übrigens auch jeden Blindenhund, der seinem Besitzer das Leben und den Alltag ein bisschen leichter machen soll, dann empfinden viele in unserer Gesellschaft das nicht als gemeinwohlförderlich, sondern einfach als absurd. ({1}) Wenn ein Affe, verehrte Frau Kollegin Künast, mit einer Fotokamera versehentlich ein Selfie schießt und eine Tierrechtsorganisation in einem jahrelangen Prozess dafür streitet, dass diesem Makaken die Urheberrechte an diesem Foto übertragen werden, ({2}) dann ist das eine irre Posse, die nicht zuletzt viel Geld kostet und das Justizsystem belastet. Das hat mit Gemeinwohl nichts, aber auch gar nichts zu tun, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({3}) Und wenn dieselbe Organisation immer wieder Anglervereine, Jäger und Reiter mit Anzeigen überzieht, dann steht das in krassem Widerspruch zu dem ehrenamtlichen Engagement von Millionen ehrenamtlichen Naturschützerinnen und Naturschützern, ({4}) von denen jeder Einzelne übrigens eine Prüfung als Nachweis seiner Sachkunde abgelegt hat und daher viel mehr Kenntnisse über ökologische Zusammenhänge besitzt als all die selbsternannten Tierrechtler da draußen zusammen. ({5}) All dies lässt sich in einem Rechtsstaat kaum verbieten; denn zu einer Demokratie gehört auch das Recht auf absurde Meinungen. ({6}) Aber gerade in einer demokratischen Gesellschaft, in einer wehrhaften Demokratie muss es auch rote Linien geben. Wenn führende Repräsentanten, also nicht einfache Mitglieder, solche Organisationen dazu aufrufen, Gesetze zu brechen, oder glauben, Gesetzesbrüche im Nachhinein rechtfertigen zu können, dann dürfen sie nicht gleichzeitig in den Genuss von exklusiven steuerlichen Erleichterungen kommen. Das passt unserer Meinung nach nicht zueinander. ({7}) Ich sage das ganz konkret: Wer auffordert, in Ställe einzusteigen, wobei Aufnahmen entstehen, übrigens fast immer manipuliert, nach Wochen oder Monaten an Fernsehsender verhökert werden, um dort dann gezeigt zu werden, der hat kein Interesse daran, irgendwelchen Tieren zu helfen, sondern der hat aus der Unwissenheit und der Naivität vieler in unserer Gesellschaft ein perfides Geschäftsmodell entwickelt. Wir als Gesetzgeber sollten keinen einzigen Grund erkennen, ein derartiges perfides Geschäftsmodell zusätzlich noch steuerlich zu befördern. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Hocker. – Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Uwe Feiler. ({0})

Uwe Feiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004271, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die meisten von uns werden bei ihrer Arbeit in den Wahlkreisen nicht nur täglich mit dem vielfältigen Engagement von ehrenamtlich getragenen Vereinen konfrontiert, sondern nehmen oft als Mitglieder am Vereinsleben teil oder wirken in Vorständen mit. Knapp 15 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland ehrenamtlich und erbringen Leistungen zum Beispiel im Bereich des Sports, der Nachbarschaftshilfe, im Tier- und Naturschutz, in der Seniorenarbeit oder in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Sie erfüllen damit Aufgaben, zu denen der Staat niemals in der Lage wäre, und sorgen so maßgeblich für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an all diese Ehrenamtlichen! ({0}) Besonders erfreulich finde ich den Umstand, dass die Zahl engagierter Menschen in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen hat. Im Jahre 2012 lag die Zahl noch bei 12,2 Millionen Ehrenamtlichen. Der Fiskus unterstützt das Vereinsleben durch zahlreiche Steuererleichterungen, sofern die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit erfüllt sind. Diesen steuerlichen Vorteilen – sei es bei den Ertragsteuern, der Grund-, Erbschaft- oder Schenkungsteuer, der Kapitalverkehrsteuer oder durch die Abzugsfähigkeit von Mitgliedsbeiträgen, Spenden und Aufwandsentschädigungen – stehen aber auch Pflichten gegenüber, die bei den Verantwortlichen leider oftmals etwas in den Hintergrund treten. Die Abgabenordnung beschreibt sehr genau, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um als Verein den Status der Gemeinnützigkeit zu erhalten. Diese von vielen Funktionsträgern in den Vereinen oft als Korsett empfundenen Rahmen stellen jedoch sicher, dass die Tätigkeit darauf gerichtet ist, „die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet entsprechend selbstlos“ zu fördern. So ist es in § 52 der Abgabenordnung legal definiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei einigen Vereinen stelle auch ich mir die Frage, wie das praktische Handeln von Verantwortungsträgern und Mitgliedern mit den von mir beschriebenen gesetzlichen Bestimmungen und satzungsgemäßen Zwecken in Einklang zu bringen sein soll. Die Kolleginnen und Kollegen von der FDP wollen mit ihrem Antrag sichergestellt wissen, dass die Verübung von Straftaten nicht mit dem Gemeinnützigkeitsstatus vereinbar ist. Dabei wird anhand des Einzelfalls der Tierrechtsorganisation PETA sehr plastisch illustriert, mit welch fragwürdigen Mitteln Vereine und Institutionen meinen, auf sich und ihre Ziele aufmerksam machen zu müssen. Viele von Ihnen haben in den vergangenen Tagen und Wochen Zuschriften von Landwirten und Angelvereinen erhalten, die sich durch das Wirken von PETA in ihrer Arbeit pauschal herabgewürdigt sehen. Ich bin selbst leidenschaftlicher Angler und weiß, dass diese genauso wie Landwirte oder Jäger einen wichtigen Beitrag zum Erhalt unserer Natur leisten und ihre Aufgabe sehr verantwortungsvoll wahrnehmen. ({1}) Während bei äußerst wohlwollender Betrachtung die generelle Verunglimpfung des Angelns als vermeintliche Tierquälerei vielleicht als grenzwertige, aber noch zulässige Form der inhaltlichen Auseinandersetzung eingestuft werden kann, sind für mich PETA-Aktionen wie der „Holocaust auf Ihrem Teller“ aus dem Jahre 2004 oder die Abschussliste mit Politikerfotos, die man erledigt hat, aus diesem Jahr nicht mehr hinnehmbare Grenzüberschreitungen. ({2}) Wenn das Ganze dann auch noch mit der Androhung bzw. der Durchführung von Stalleinbrüchen garniert wird, stellt sich mir die Frage, inwiefern hier noch förderungswürdige Ziele verfolgt werden. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei aller Empörung in der Sache muss uns allen hier aber bewusst sein, dass wir als Gesetzgeber eben gerade nicht Einzelfälle entscheiden, sondern generell-abstrakte Rechtsnormen erlassen, die von der Verwaltung im Einzelfall umgesetzt werden müssen. Dass das nicht immer leicht ist, scheint aber auch der FDP bewusst geworden zu sein, sonst hätte sie ihren Antrag nicht geändert. Während in der Urfassung für den Entzug der Gemeinnützigkeit noch ausschließlich auf die Körperschaft abgehoben wurde, die gegen Strafgesetze verstößt oder zum Rechtsbruch aufruft, konnte ich der neuen Version entnehmen, dass nun auch die Repräsentanten der Körperschaften miteinbezogen werden sollen. Genau das ist der entscheidende Punkt, meine Damen und Herren: Körperschaften selbst sind nicht handlungsfähig, sondern benötigen immer natürliche Personen, die für sie tätig werden. Diese Handlungen müssen dann aber auch noch dem jeweiligen Verein zugerechnet werden. Das kann neben der Handlung durch den Vereinsvorstand selbst zum Beispiel bereits durch die Duldung von Aktionen im Namen des Vereins durch Mitglieder und durch das Unterlassen entsprechender Maßnahmen geschehen. Losgelöst von dieser Maßnahme hat die Finanzverwaltung bereits heute die notwendigen Instrumente an der Hand, um tätig werden zu können. Der BFH hat bereits 1978 zu den Anforderungen an die tatsächliche Geschäftsführung eines Vereins entschieden, dass die Einhaltung der verfassungsgemäßen Ordnung Grundvoraussetzung für die Gewährung der Gemeinnützigkeit ist. Das geht sogar so weit, dass bereits, von Gesetzesverstößen abgesehen, die Nichtbefolgung von polizeilichen Anordnungen einen Verstoß in dem oben genannten Sinne darstellt. Der Anwendungserlass zu § 52 der Abgabenordnung hat diesen Punkt ebenfalls aufgenommen und ist für die Finanzverwaltung bei der Ausübung ihrer Ermessens­entscheidung bindend. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner gesonderten Aufforderung an die Bundesregierung, hier tätig zu werden, sondern vielmehr des entschlossenen Handelns in den Finanzämtern vor Ort, die bei Kenntnis von Straftaten, die Vereinen zuzurechnen sind, die Gemeinnützigkeit entziehen können, in meinen Augen entziehen müssen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Feiler. – Als Nächstes für die AfD-Fraktion der Kollege Jens Maier. ({0})

Jens Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004811, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Überschrift des FDP-Antrages liest sich wie eine Selbstverständlichkeit. Ja, Straftaten und Gemeinnützigkeit schließen sich aus. Jemand, der Straftaten begeht, missachtet die gesellschaftlichen Normen, deren Beachtung zwingende Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben ist. ({0}) Er richtet sich mit seinem Verhalten gerade gegen die geschützten Rechte privater Personen oder gegen die des Staates. Durch dieses Verhalten stört er das friedliche Zusammenleben. Der Antrag der FDP hebt die PETA-Kampagne „Holocaust auf Ihrem Teller“ hervor. Ich habe hierzu recherchiert. Tatsächlich stammt der Beitrag auf sueddeutsche.de vom Mai 2010 und nimmt Bezug auf einen Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ vom März 2004. Ein anderer Artikel ist von 2012. Ganz so aktuell ist die Plakatkampagne, die den Hintergrund für den Antrag bildet, nun also nicht. ({1}) Aber egal: Der FDP-Antrag gibt trotzdem Anlass, einmal Grundsätzliches anzusprechen. Eine Körperschaft ist ein Zusammenschluss von Personen mit dem Zweck der Zusammenarbeit auf ein gemeinsames, nicht individuell auf einen Einzelnen abgestelltes Ziel hin. Ein Beispiel für eine Körperschaft ist ein Verein. Wenn Mitglieder eines Vereins tatsächlich Straftaten begehen und dies systematisch mit Wissen und Wollen der Mitglieder dieses Vereins, sehe ich in der Tat keinen Grund darin, diese Vereinigung auch noch als vermeintlich gemeinnützig über die §§ 52 und 53 Abgabenordnung steuerlich zu privilegieren. Dies gilt auch dann, wenn der Zweck der Vereinigung grundsätzlich als positiv zu bewerten ist, wie dies bei Tierschutzorganisationen zweifelsohne der Fall ist; denn der Zweck heiligt eben nicht die Mittel. ({2}) Das Beispiel der Plakatkampagne von PETA zeigt aber auch, wie schwierig es ist, festzustellen, ob Straftaten gezielt durch einen Verein begangen werden; denn es gab keine rechtskräftige Verurteilung. Der stellvertretende Vorsitzende des Vereins PETA ist nicht rechtskräftig verurteilt worden, ({3}) sondern das Verfahren gegen ihn wegen Volksverhetzung wurde in der Berufungsinstanz gegen die Auflage einer Geldzahlung eingestellt. Soll das Finanzamt nun selbst beurteilen, ob eine Straftat vorliegt oder nicht, auch wenn kein rechtskräftiger Schuldspruch vorliegt? Ähnliche Probleme stellen sich, wenn nicht geklärt werden kann, ob tatsächlich begangene Straftaten von Vereinsmitgliedern dem Verein zugerechnet werden können. ({4}) Die Frage, ob tatsächlich eine Straftat begangen wurde oder nicht, kann also eigentlich kein taugliches Mittel sein, dem Verein die steuerrechtlichen Vorteile der Gemeinnützigkeit zu entziehen. Es muss nach anderen Anknüpfungspunkten gesucht werden. Trotzdem geht der Vorstoß der FDP-Fraktion in die richtige Richtung. Ich denke hier vor allem an den Wildwuchs von Verein und Stiftung, die sich als Kämpfer gegen rechts verstehen und denen man auch Gemeinnützigkeit zuerkannt hat. Bei diesen staatlich geförderten Vereinigungen handelt es sich im Wesentlichen um linke oder linksextreme Projekte, die personell hauptsächlich mit Geschwätzwissenschaftlern bzw. der akademischen Unterschicht besetzt sind ({5}) und die ihre Hauptaufgabe darin sehen, die Bürger unseres Landes zu beobachten, zu denunzieren und Hassbotschaften unter die Leute zu bringen. Ebenso versuchen diese Vereine, sich als Sprachpolizei aufzuspielen. ({6}) Das in dieser Hinsicht wohl instruktivste Beispiel ist die Amadeu-Antonio-Stiftung. Auf ihrer Webseite verweist diese stolz darauf, dass sie durch Bescheid des Finanzamtes Weinheim vom September 2016 die Gemeinnützigkeit zuerkannt bekam. Und nicht nur das: Die weitverzweigte Amadeu-Antonio-Stiftung wurde im Zeitraum von 2010 bis 2016 ({7}) mit einer Gesamtsumme von 1,8 Millionen Euro auf Bundesebene gefördert. Mit diesen Geldern werden nicht nur unter anderem Internetspitzeleien finanziert, sondern auch Hassschriften zum Beispiel gegen die AfD. Sinnbild dieser Stiftung ist Anetta Kahane, eine ehemalige Mitarbeiterin der Stasi, die die damals erworbene Fähigkeit nun auf das gesamte Bundesgebiet anwendet. ({8}) Frau Kahane und den Zwischenrufern hier, die das wirklich glauben, sage ich von dieser Stelle aus: Sie haben schon damals die DDR mit diesen Methoden nicht retten können. Sie werden auch jetzt nichts erreichen. ({9}) Mit der AfD ist eine Kraft in diesem Land aufgewacht, die weder Sie noch irgendein anderer aufhalten kann. ({10}) Wir haben heute gesehen: Die Regierung Merkel ist am Ende. ({11}) Und es muss Schluss sein mit der Förderung des Linksextremismus, in welcher Form auch immer. Vielen Dank. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Maier. – Frau Kollegin Haßelmann, ich kann Ihren Zwischenruf – die rhetorische Frage „Sind Sie schon verurteilt?“ – zwar nicht rügen, aber ich glaube nicht, dass es angemessen ist, in dieser Form mit einem Kollegen umzugehen, weil viele Menschen in ihrem Leben erleben werden, dass sie Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens werden können, ohne dass daraus etwas folgt. ({0}) – Ich sage es nur. Ich halte es für unangemessen, und Sie können damit machen, was Sie wollen. Aber wenn ich es richtig in Erinnerung habe, traf es auch mal Mitglieder Ihrer Fraktion. Deswegen wäre ich sehr vorsichtig mit solchen rhetorischen Zwischenfragen. ({1}) – Sie wissen, was ich meine. ({2}) Herzlichen Dank. ({3}) Dann können wir fortfahren. Als nächster Redner hat der Kollege Michael Schrodi von der SPD das Wort. ({4})

Michael Schrodi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004884, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Man kann wie die AfD immer am Thema vorbeireden und das Thema verfehlen oder dazu sprechen. Ich spreche dazu und zu dem Antrag der FDP, der zunächst eingebracht, dann wieder zurückgezogen und durch den Antrag zum Thema Nachzahlungszinsen – auf ihn freue ich mich auch schon – ersetzt wurde. Dann folgte wieder die Rolle rückwärts. ({0}) Wieso? Weil es ein Schaufensterantrag der FDP ist, in sich widersprüchlich und in den Teilen auch peinlich. Das hat man auch gemerkt. ({1}) Sie fordern nämlich die Bundesregierung auf, „darauf hinzuwirken, dass Körperschaften, deren Repräsentanten bei der Verfolgung des gemeinnützigen Zwecks der Körperschaft gegen die geltenden Strafgesetze verstoßen oder zu einem solchen Rechtsbruch aufrufen, grundsätzlich nicht mehr in den Genuss der Steuerbegünstigung der Gemeinnützigkeit kommen dürfen“. ({2}) Das ist so, als würde man die FDP auffordern müssen, Klientelpolitik für Superreiche zu machen, sehr geehrte Damen und Herren von der FDP. ({3}) Denn diese Aufforderung ist völlig unnötig. Denn alles ist in der Abgabenordnung oder im Anwendungserlass bereits geregelt. Die Anerkennung der Gemeinnützigkeit einer Körperschaft hat sich nach § 52 der Abgabenordnung an deren Tätigkeit auszurichten; sollte sie gegen Strafgesetze verstoßen, zu Rechtsbruch aufrufen oder ihn rechtfertigen, ist die Zuerkennung der Gemeinnützigkeit bereits nach geltendem Recht ausgeschlossen, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({4}) Zu den Repräsentanten ist der Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 63 Nummer  5 zu zitieren: Die tatsächliche Geschäftsführung muss sich im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung halten, da die Rechtsordnung als selbstverständlich das gesetzestreue Verhalten aller Rechtsunterworfenen voraussetzt. Es ist ein Schaufensterantrag, und alles ist schon geregelt, meine sehr geehrten Damen und Herren von der FDP. ({5}) Das gilt auch für den zweiten Teil Ihres Antrags. In Ihrem Antrag beziehen Sie sich auf zwei Dinge, olle Kamellen. Das eine ist eine PETA-Kampagne aus dem Jahr 2004, ({6}) die widerlich ist und die Grenzen des guten Geschmacks überschreitet. ({7}) Den zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch hat das Landgericht Berlin in seiner Entscheidung am 22. April 2004 gestützt, aber keinen Straftatbestand festgestellt. Zum anderen wird PETA die Legitimation von Gesetzesbrüchen in Bezug auf Stalleinbrüche vorgeworfen. Man muss festhalten: Rechtlich sind Stalleinbrüche in Deutschland tatsächlich derzeit nicht unbedingt in jedem Fall per se strafbar, so ein Urteil des OLG Naumburg vom 22. Februar 2018. Hier greift noch immer die Gewaltenteilung. Da haben die Gerichte entschieden, meine sehr geehrten Damen und Herren von der FDP. ({8}) Letztendlich steckt etwas ganz anderes hinter diesem Antrag. ({9}) Das Ansinnen der Landwirtschaftspolitiker Ihrer Partei ist, PETA die Flügel zu stutzen und einzuschüchtern. Als Hebel dafür fungiert die Gemeinnützigkeit. Ich frage mich: Was ist eigentlich aus der alten Bürgerrechtspartei FDP geworden, ({10}) und das in Zeiten, in denen andere Organisationen ebenfalls unter Druck stehen, wie Attac oder BUND, weil sie sich politisch einmischen? ({11}) Das belegt zum Beispiel die Studie „Engagiert euch – nicht!“ des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement. Gemeinnützigen Organisationen ist eine Beeinflussung der politischen Meinungsbildung durchaus erlaubt. ({12}) Das zeigt beispielsweise das Urteil des hessischen Finanzgerichtshofs vom 6. April 2017, in dem festgehalten wird: Die Anknüpfung an tagespolitische Ereignisse sei oft nicht zu vermeiden. Ich sage: Sie ist nicht nur nicht zu vermeiden. Politische Meinungsbildung ist vielmehr Teil einer demokratischen Gesellschaft und einer pluralistischen Debatte, auch wenn sie einem nicht immer schmecken mag. ({13})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, Ihr letzter Satz jetzt, bitte.

Michael Schrodi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004884, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich hätte von der FDP einen Debattenbeitrag erwartet, ob bzw. wie wir gemeinsam das Recht der Gemeinnützigkeit so ausgestalten und stärken, dass Zwecke wie die Förderung der Menschenrechte sowie Engagement für Demokratie und Grundrechte enthalten sind. Aber dass Sie gemeinnützige Organisationen als Trittbrettfahrer beurteilen, zeigt das ganze Ausmaß Ihres Antrags. Danke schön. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank. – Als nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke die Kollegin Amira Mohamed Ali. ({0}) Frau Kollegin, es wäre schön, Sie würden beginnen. Wir wollen den Austausch im Haus nicht befördern.

Amira Mohamed Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004823, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die FDP will, dass Vereinen die Gemeinnützigkeit entzogen wird, wenn deren Repräsentanten gegen Strafgesetze verstoßen oder zum Rechtsbruch aufrufen. Das betrifft alle Vereine, vom Fußballverein bis zum Tierschutzverein. ({0}) Der Verlust der Gemeinnützigkeit hat zur Folge, dass der jeweilige Verein seine Steuerbegünstigung verliert. Für viele bedeutet das den finanziellen Ruin. ({1}) In ihrer Begründung bezieht sich die FDP dann ausschließlich auf die Tierrechtsorganisation PETA, die wohl bekannteste der Welt. Denn darum geht es ihnen wirklich: Sie wollen den Tierschutzorganisationen das Wasser abgraben. Sie betreiben Klientelpolitik für die Intensivtierhalter und nehmen dafür sogar in Kauf, die gesamte Vereinslandschaft in Deutschland zu gefährden. Unglaublich! ({2}) Die Linke stellt sich Ihnen hier entschieden entgegen. In Ihrem Antrag behaupten Sie, es gebe eine heftige öffentliche Debatte darüber, ob PETA die Gemeinnützigkeit entzogen werden soll. Also, ich kann diese Debatte, ehrlich gesagt, nicht erkennen. ({3}) Ich weiß aber wohl, dass die Landwirtschaftsministerin Frau Otte-Kinast in Niedersachsen, wo ich lebe, jüngst vergeblich versucht hat, eine solche Debatte zu entfachen. Das geschah im Zusammenhang mit den schockierenden Bildern, die heimlich von Aktivisten in Tierställen aufgenommen wurden und auf denen unerträgliches Tierleid zu sehen ist. Frau Otte-Kinast hat als Reaktion darauf gefordert, die Gemeinnützigkeit von Tierschutz­organisationen prüfen zu lassen; das war die Reaktion darauf. Anstatt gegen die Missstände in den Ställen vorzugehen, will sie gegen die Tierschützer vorgehen. ({4}) Ich möchte klarstellen: Die Linke lehnt Straftaten ab. ({5}) – Beruhigen Sie sich mal wieder, Kollegen. ({6}) – Kollegen, ich setze meine Rede jetzt fort. – Danke. ({7}) Es gab allerdings jüngst mehrere Gerichtsurteile, nach denen Tierschützer, die in Ställe eingebrochen sind, um dort Missstände zu dokumentieren, nicht wegen Hausfriedensbruchs verurteilt worden sind. ({8}) Die Gerichte haben eine Notstandssituation festgestellt, die das Eindringen in die Tierställe rechtfertigt; ({9}) denn die Behörden sind trotz Aufforderung der Tierschützer nicht aktiv geworden. Sie forderten handfeste Beweise. Die Tierschützer haben in diesem konkreten Fall also keine andere Wahl, und der Tierschutz ist nach Artikel 20a unseres Grundgesetzes ein Staatsziel. ({10}) Die Linke fordert: Es muss sichergestellt werden, dass gegen das Tierschutzgesetz nicht verstoßen wird. Die Behörden müssen mit den notwendigen Befugnissen und Mitteln ausgestattet werden, um regelmäßige und ausreichende Kontrollen durchzuführen. Es ist doch alarmierend, dass unsere Gerichte einen Tierrechtsnotstand erkennen. Den müssen wir beseitigen, und wir dürfen nicht die Tierschutzorganisationen entrechten und Tierschützer pauschal kriminalisieren. ({11}) Aber genau das tun Sie mit Ihrem Antrag. Sie nennen den Leiter der Rechtsabteilung von PETA, Dr. Haferbeck, namentlich. Sie behaupten, er habe dazu aufgerufen, in Ställe einzubrechen. ({12}) Als Quelle geben Sie eine Internetseite an, auf der das steht. Ich habe Dr. Haferbeck heute dazu angerufen, und er hat mir gesagt, dass er das nie gesagt hat ({13}) und die PETA habe auch nie zur Begehung von Straftaten aufgerufen. Sie behaupten hier einfach etwas, erklären es zur Wahrheit. Das ist indiskutabel und unseriös. ({14}) Ich möchte klarstellen: Sollte ein Verein nach seiner Satzung oder seinem Rechenschaftsbericht zu Straftaten aufrufen, dann wird ihm natürlich die Gemeinnützigkeit aberkannt. Das ist bereits jetzt so. Aber was Sie möchten, ist, dass die Vereine für ihre Mitglieder in Mithaft genommen werden. Kolleginnen und Kollegen von der FDP, haben Sie sich mal gefragt, was das eigentlich für unsere Fußballvereine bedeuten würde? Die Fans zünden Bengalos. Es kommt manchmal auch zu Körperverletzungen in der Fankurve. Soll dann dem ganzen Verein die Gemeinnützigkeit entzogen werden? ({15}) Das ist doch absurd. ({16}) Stellen Sie sich das einmal vor! Konzentrieren wir uns auf die Beseitigung der Missstände! Achten und schätzen wir die Arbeit der vielen ehrenamtlich engagierten Menschen in unseren Vereinen, anstatt ihre Existenz zu bedrohen durch solche infamen Forderungen. Vielen Dank. ({17})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als Nächste spricht zu uns die Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Ihr Antrag hat ein Geschmäckle, weil er irgendwie der plumpe Versuch ist, finde ich, doch noch massenhaft Tierquälerei zu verteidigen. ({0}) – Ja. – Das Filmen der Ställe ist Ihr Anlass, und es ist irgendwie wie eine Trotzreaktion auf grausame Bilder, die Sie am liebsten nicht gesendet wissen wollen; ({1}) aber diese Bilder sind Realität. ({2}) – Ich habe ja nicht gesagt: zu 100 Prozent in jedem Stall. ({3}) Aber diese Bilder sind ja nicht falsch. ({4}) – Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Das ist nicht die Realität! Das ist es ja gerade!) – Können Sie mal aufhören zu brüllen. Ich habe so wenig Zeit. Sie hätten sich doch mal um was ganz anderes bemühen können. Wenn es Ihnen wirklich ums Gemeinwohl, um Gemeinnützigkeit gehen würde, dann hätten Sie doch nicht den Überbringer der Nachricht mundtot zu machen versucht, sondern dann sollten Sie einen Antrag einbringen, der ungefähr so lautet: Schluss mit den engen Ställen – raus ins Grüne! ({5}) Aber das haben Sie nicht gebracht. ({6}) Das, was Sie da bringen, ist ein bisschen, würde ich sagen, ein Angriff auf die demokratische Gesellschaft, auf Aktivitäten der Zivilgesellschaft. Denn in der Breite, wie Sie es darstellen, würde es ja viele andere Dinge, die am Ende doch faktisch gemeinnützig sind, mit kriminalisieren. ({7}) Also, die friedlichen Sitzblockaden gegen Naziaufmärsche – wollen Sie dem Verein, der die durchführt, oder den einzelnen Mitgliedern die Gemeinnützigkeit aberkennen? ({8}) Besetzungen von lange leerstehenden, ungenutzten Häusern angesichts von Obdachlosigkeit und Wohnungsnot – ({9}) wollen Sie den einzelnen Besetzern – – ({10}) – Ja, das glaube ich sofort. ({11}) Sie haben Angst um Ihre Wohnungen. ({12}) Oder: Widerstand gegen Rodungen im Hambacher Forst. Meine Damen und Herren, dieses Land sähe gar nicht so aus, wenn es nicht diesen zivilen Widerstand und den Mut an verschiedenen Stellen gegeben hätte; ({13}) dann wären wir wahrscheinlich noch in den 50er-Jahren. ({14}) – Sagen Sie mal, Herr Hocker, haben Sie noch alle beieinander? „In Ihrem Schlafzimmer“? ({15}) Ich meine, es ist ja spät, aber ein bisschen Contenance für eine angeblich bürgerliche Partei wäre auch nicht schlecht, oder? ({16}) Ich sage gerade den Kollegen von der CSU, falls sie nicht mit anderen Dingen beschäftigt sind: Herr und Frau Stoiber waren diejenigen, die mit dafür gesorgt haben, dass es die drei Worte „und die Tiere“ in Artikel 20a Grundgesetz gibt. Damit gehört das mit zur staatlichen Schutzzielbestimmung. Also, bewegen Sie sich doch, und geben Sie mal richtig einen Push dafür, dass wir etwas für die Mitgeschöpfe, für die Tiere tun, ({17}) und fangen Sie nicht an, die, die das Ungemach thematisieren, zu kriminalisieren! – Wenn einer am Thema vorbeiredet, das sind es doch Sie. ({18}) Wo war denn Ihre große Stimme, als der ADAC Irrungen und Wirrungen hatte? Da haben Sie auch nicht gesagt, man solle dem die Gemeinnützigkeit aberkennen. ({19}) Sie haben doch wahrscheinlich nur Angst um drei Spendengeber oder Mitglieder, die genau solche Ställe haben und Angst haben, gefilmt zu werden. Das Ganze dann auch noch ungetrübt von jeder Rechtskenntnis! Ich frage mich bei solchen Sachen immer, was Herr Baum eigentlich gerade denkt. Meist weiß ich es: Er denkt nichts Gutes. Die Gemeinnützigkeit. Wenn Sie mal die Rechtslage betrachten, erkennen Sie: Sie könnten heute schon eingreifen. Heute schon können Vereine verboten werden. ({20}) Heute gilt, dass man die Rechtsordnung anerkennen muss. Meine Damen und Herren, damit haben Sie gar nichts gewonnen. Ein letzter Satz. – Sie haben auch noch gesagt, laut Koalitionsvertrag, Sie wollten Tierstalleinbrüche demnächst extra strafbar machen. ({21}) Da würde der Tierstall rechtlich gleichgestellt mit der Wohnung. Das ist auch nicht klug, meine Damen und Herren.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, das waren jetzt drei Sätze.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Also: Machen wir doch eines: Sorgen wir dafür, dass die Tiere raus ins Grüne kommen, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Genau.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– dass es keine Missstände in Ställen gibt, und lehnen wir diesen Antrag ab! ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Sebastian Brehm. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Großmutter hat immer gesagt: Immer wenn es laut wird, fehlen die sachlichen Argumente. ({0}) Wir sind nicht in einer Tierrechtsdebatte, sondern wir sind in einer steuerrechtlichen Debatte um Gemeinnützigkeit und um die Abgabenordnung. ({1}) Es ist ja schön, dass wir um diese Zeit – vielleicht kann man das als Fortbildungsveranstaltung absetzen –, ({2}) um 0.30 Uhr, über die Abgabenordnung und über das Steuerrecht reden. Kommen wir zu einer sachlichen Debatte zurück, und diskutieren wir über die Fragen, die in diesem Zusammenhang zu diskutieren sind! Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Deutschland gibt es unglaublich viele Vereine: 22 000 freiwillige Feuerwehren mit über 1 Million Mitgliedern, 90 000 Sportvereine, 14 000 Schützenvereine, unzählige Kultur- und Heimatvereine, Karnevals- und Naturschutzvereine, ({3}) Nachbarschaftsvereine, übrigens auch Tierschutzvereine, die eine hervorragende Arbeit leisten, zum Beispiel diejenigen Tierschutzvereine, die auch Tierheime betreiben und den Tierschutz aktiv vorantreiben, ({4}) natürlich auch zahlreiche andere ehrenamtliche Vereine. Allgemein von Trittbrettfahrern zu sprechen, ist, glaube ich, etwas schwierig. ({5}) Wir sind auch Mitglieder von dem einen oder anderen Verein. Ich denke, wir sollten zurückkommen auf die wirkliche Kernfragestellung der Gemeinnützigkeit und der Strafbarkeit bei der Gemeinnützigkeit. Die Vereine leben von den Ehrenamtlichen und von den begeisterten Mitgliedern. Wir sollten von dieser Debatte das Signal aussenden, dass wir stolz sind auf alle Ehrenamtlichen in unserem Land und diese natürlich im Rahmen der Besteuerung und der Abgabenordnung auch vollständig unterstützen. Jeder, der ehrenamtliche Vereinsarbeit leistet, leistet eine tolle Arbeit für unser Gemeinwohl und leistet eine tolle Arbeit für unser Land, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Die Frage der Gemeinnützigkeit von Vereinen ist genau geregelt. § 52 Abgabenordnung besagt: Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Übrigens, die politische Meinungsbildung, Herr Kollege Schrodi, gehört gerade nicht dazu. Sie ist bei der Gemeinnützigkeit nicht mit umfasst. ({7}) Die Anerkennung der Gemeinnützigkeit nach § 52 Abgabenordnung bringt natürlich einige Vorteile: die Möglichkeit der Einwerbung von Spenden, das damit zusammenhängende Ausstellen von steuerabzugsfähigen Spendenquittungen und die Steuerfreiheit in vielen Bereichen. Nimmt ein gemeinnütziger Verein Spenden oder Mitgliedsbeiträge im ideellen Betrieb ein, sind diese Einnahmen grundsätzlich steuerbefreit. Betreibt ein Verein Geschäfte, die den Vereinszweck erfüllen – da kommen wir jetzt zum Punkt –, zum Beispiel das Betreiben einer Diakoniestation durch einen kirchlichen Träger, dann ist der Gewinn im Rahmen dieses steuerlichen Zweckbetriebs ebenfalls steuerbefreit. Nun stellt sich die Frage, ob diese Gemeinnützigkeit und die damit verbundenen Vorteile bei Straftaten zurückgenommen werden können oder nicht. Die Folge wäre natürlich die volle Steuerpflicht in allen Bereichen, was zu erheblichen Belastungen für die Vereine führen würde. Hierzu gibt der Anwendungserlass zur Abgabenordnung zehn Beispiele, wann und unter welchen Voraussetzungen die Gemeinnützigkeit aberkannt werden kann: Der Vorstand verstößt gegen die Vereinssatzung, unerlaubte Zuwendungen an Mitglieder, überhöhte Vergütungen, keine Unmittelbarkeit, keine zeitnahe Mittelverwendung, Dauerverluste im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb oder zu großer wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb, Verstoß gegen die Vermögensbindung und eben auch – das ist richtigerweise erwähnt worden – Gesetzesverstöße. Frau Kollegin Künast, Sie haben vom Rechtsverständnis gesprochen. Nach meinem Rechtsverständnis gehören Straftaten eben nicht zur demokratischen Willensbildung, sondern sind klar gegen unser Gesetz und gegen unseren Rechtsstaat. ({8}) Übrigens gehört auch die Hausbesetzung dazu. Ich glaube, es ist unser aller Bemühen, dass wir bei Vereinen, die so etwas vornehmen, die Gemeinnützigkeit aberkennen müssen. Aber jetzt kommt der zweite Aspekt: Wer hat die Straftat begangen? ({9}) Ist es ein ganz normales Mitglied des Vereins, oder ist die Straftat willentlich und wissentlich von den Organen des Vereins, also vom Vorstand, durchgeführt oder unterstützt worden? Das ist der springende Punkt. Deswegen haben Sie das in Ihrem Antrag auch noch mal geändert. Wird die Straftat von einem normalen Vereinsmitglied begangen, zum Beispiel der eben erwähnte Einbruch in einen Stall, dann stellt dieser Einbruch per se noch keine Gefährdung der Gemeinnützigkeit des gesamten Vereins dar. Ist dies aber durch Vorstandsbeschluss erfolgt oder mit Billigung des Vorstandes ({10}) oder wird es im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit, zum Beispiel auf den Internetseiten oder in Pressemeldungen, seitens der Vereinsführung begrüßt, so liegt ein eindeutiger Verstoß gegen die Gemeinnützigkeitsregeln vor, und die Gemeinnützigkeit ist in diesem Fall abzuerkennen. ({11}) Dazu brauchen wir aber kein neues Gesetz. Dazu brauchen wir auch keinen Hinweis an die Bundesregierung. Deswegen lehnen wir den Antrag ab. Denn letztlich trifft die Frage der Erteilung und des Widerrufs der Gemeinnützigkeit das zuständige Finanzamt, und dies wird in den Bundesländern leider – da haben Sie recht – unterschiedlich geregelt. Deswegen wäre eine klarstellende Regelung mit Handlungsanweisungen für die Behörden in Bayern und in anderen Bundesländern sicherlich richtig. Wir müssen wirklich schauen, dass die Vereine, die die Gemeinnützigkeit missbrauchen, diese wirklich aberkannt kriegen. Dafür gibt es ganz klare Spielregeln, und die müssen wir im Rechtsstaat auch durchsetzen. Herzlichen Dank. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Brehm. – Als letzter Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin Ingrid Arndt-­Brauer für die Sozialdemokratie. ({0})

Ingrid Arndt-Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der in Sachen Gemeinnützigkeit etwas sinnfreie Antrag der FDP wurde von meinem Kollegen Schrodi als Schaufensterantrag bezeichnet. So war er wahrscheinlich auch beabsichtigt: ins Schaufenster gestellt zu werden. Das hat wegen der Kollegen der CDU/CSU-Fraktion und ihrer Taten heute nicht geklappt; denn 0.33 Uhr reicht höchstens für einen Spätkauf. Von daher wird die Welt nicht wahrnehmen, was Sie uns heute hier zugemutet haben. ({0}) Aber ich als Frühaufsteherin empfinde es schon als Zumutung, um diese Uhrzeit zu solch überflüssigen Dingen zu reden. ({1}) – Nein, ein paar Sachen kann ich nicht unwidersprochen lassen. Das geht auch nicht. Also, Tierrechtsorganisationen als „Industrie von Trittbrettfahrern“ zu bezeichnen, das ist Populismus, verbunden mit Unterstellungen. Das finde ich schon ziemlich absurd, und das muss hier auch nicht sein. ({2}) Gemeinnützigkeit steht in Ihrem Antrag nicht im Vordergrund. Ich möchte mich aber dem Kollegen Feiler anschließen und erst einmal den Ehrenamtlichen, denen die Gemeinnützigkeit wirklich zu Recht zuerkannt wird, für ihre Arbeit danken. Ich finde, man darf diese Dinge, die Sie hier vermischt haben, nicht vermischen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch kurz die AfD erwähnen. Eine sogenannte akademische Unterschicht, die Sie heute erfunden haben, zu kriminalisieren, finde ich sehr abstrus. Auch das muss nicht sein. ({3}) Mein Kollege Schrodi hat erklärt – ich finde, er hat das gut dargelegt –, dass Stalleinbrüche natürlich nicht per se wünschenswert sind, aber sie sind auch nicht automatisch strafbar. Manchmal führen die Ergebnisse, die dabei herauskommen, dazu, dass NRW-Landwirtschaftsministerinnen zurücktreten müssen, was hoffentlich dazu führt, dass in solchen Ställen Tiere nicht mehr misshandelt werden. Ich denke, das muss das Ziel sein. ({4}) – Nein, Moment, ich habe gesagt, dass es dazu führt, dass in Ställen Tiere nicht misshandelt werden. Wenn das das Ergebnis von solchen Einbrüchen und von solchen Fotografien ist, dann ist das ein gutes Ergebnis. ({5}) Natürlich ist es wünschenswert, wenn Behörden stärker kontrollieren und es dazu gar nicht kommt. Aber wir sind hier nicht bei einer Tierschutzdebatte. Ich möchte zum Gemeinnützigkeitsrecht zurückkommen. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass natürlich, wie in vielen Bereichen unserer Gesellschaft, auch hier gilt: Nicht alles, was anstößig oder geschmacklos ist, ist direkt verboten. Aber in einer freien Gesellschaft müssen wir manchmal auch mit provokativen Aktionen auf solche Missstände hinweisen. Das muss möglich sein; und das ist es auch. Das gilt gerade hier. Gemeinnützige Vereine sind eine wichtige Stütze unserer Gesellschaft; dabei bleiben wir. Gemeinnützigkeitsrecht ist was Sinnvolles. Das wollen wir weiterhin erhalten und gerne auch ausbauen, aber nicht in dem Sinne, den Sie angeregt haben, sondern in dem Sinne, den Kollege Schrodi angeregt hat. Ich denke, daran werden wir weiterhin arbeiten. Ansonsten wünsche ich Ihnen jetzt eine gute Nacht. Danke schön. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. Wir gehen davon aus, dass Sie heute dem Haus noch länger erhalten bleiben, wie wir alle. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/2580 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Nach Rücksprache mit der FDP-Fraktion kann ich Ihnen sagen, dass die Federführung beim Finanzausschuss liegen soll. Somit erübrigt sich eine strittige Abstimmung. ({0}) Wir haben damit wieder etwas Zeit aufgeholt.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen denke ich oft an eine Veranstaltung, an der ich im Jahr 2007 teilgenommen habe: an die Hannah-Arendt-Tage in Hannover. Es ging damals um die Krise der repräsentativen Demokratie. Ich warnte damals: Demokratieverdruss spielt Rechtspopulisten in die Hände. ({0}) Und ich sagte damals: Gegen Demokratieverdruss hilft letztlich nur mehr Demokratie, mehr direkte Demokratie, also auch Volksabstimmungen auf Bundesebene. ({1}) Genau darauf zielt der aktuelle Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke, für den ich hier heute werbe. Nun haben wir dieses Thema hier in diesem Hause schon öfter debattiert. Gleichwohl ist nicht immer klar, welche Position die einzelnen Parteien dazu grundsätzlich einnehmen. Ich will das hier an zwei Beispielen illustrieren. 2004 lag der Entwurf einer Verfassung der Europäischen Union vor. Dazu gab es Volksabstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden – in der Bundesrepublik Deutschland nicht. ({2}) Die Linke hatte das damals gefordert und erhielt umgehend prominente Absagen: Außenminister Joseph Fischer, Bündnis 90/Die Grünen, meinte, er lasse sich sein schönes Werk nicht vom Volk zerreden, und Bundeskanzler Gerhard Schröder, SPD, gab forsch kund, das Grundgesetz verbiete Volksabstimmungen. ({3}) Das stimmte natürlich nicht, wie ein Blick in Artikel 20 Grundgesetz zeigt. ({4}) Zitat: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ... ausgeübt. ({5}) Volksabstimmungen sind also im Grundgesetz angelegt. Die Linke will, dass sie vom Bundestag freigeschaltet werden. Nun zur CDU/CSU, die Volksabstimmungen bislang ablehnt, allerdings nicht durchgängig. Im Land Berlin hatten SPD und Linke Volksabstimmungen erleichtert gegen den harschen Protest der CDU. Doch kaum waren die Quoren abgesenkt, kaum haben wir mehr Mitwirkungsmöglichkeiten geschaffen, schon flitzten die Berliner Mitglieder der CDU auf die Straßen, um fleißig Unterschriften für das von ihnen gewünschte Votum zu sammeln. Offenbar hatte die Lust an direkter Demokratie den Frust dagegen überrannt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Sie haben es ja heute nicht so leicht: So einen Lustgewinn wünsche ich auch Ihnen, Ihrer Fraktion und Ihrem Vorsitzenden Volker Kauder. ({6}) Schließlich, die rechtlichen Details zu dem Gesetzentwurf werden wir in den Fachausschüssen beraten. Grundsätzlich wollen wir im Sinne von Willy Brandt mehr Demokratie wagen – übrigens auch für Jüngere und für langjährige Mitbürgerinnen und Mitbürger ohne deutschen Pass. ({7}) All das geht. Wagen Sie es mit uns gemeinsam! ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Liebe Kollegin Pau, ganz herzlichen Dank. – Als Nächstes spricht für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Philipp Amthor. ({0})

Philipp Amthor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004656, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch zu fortgeschrittener Stunde können wir uns bei dieser Debatte jetzt vorkommen wie in einem Hollywoodfilm, nämlich wie in dem Hollywoodfilm „… und täglich grüßt das Murmeltier“. Der tägliche Gruß ist Ihr Antrag zur Demokratie. Sie sind das Murmeltier, und ich bin heute Bill Murray. ({0}) Das bin nicht nur ich heute, das waren schon viele Kollegen vor mir. Liebe Frau Pau, Sie haben gesagt, dieser Antrag wurde schon oft eingebracht – in der Tat: 13-mal hier im Deutschen Bundestag seit dem letzten Jahrtausend, seit Ende der 90er-Jahre. Ich sage Ihnen:  Durch häufigeres Einbringen werden Anträge nicht besser. ({1}) Und der Bundestag ist nicht der richtige Ort für eine parteipolitische Therapiesitzung. Ihr Vorschlag enthält ein Potpourri aus verschiedenen Grundgesetzänderungen. Meine Redezeit reicht gar nicht aus, um das alles zu widerlegen, ({2}) deswegen nenne ich drei Punkte, bei denen es nicht passt. Zum einen die Schwellen. Schauen wir sie uns an: Ab 100 000 Wahlberechtigten wollen Sie schon ermöglichen, eine Volksinitiative einzubringen. Das ist eine offensichtlich zu geringe Schwelle. Außerdem frage ich mich: Welches Vertrauen haben Sie denn eigentlich in die Bürger? Sie sagen in Ihrem Gesetzentwurf, Volksinitiativen, Volksabstimmungen sollen vorab durch das Bundesverfassungsgericht geprüft werden können. Das gilt im Übrigen für Ihre parlamentarischen Initiativen nicht; also halten Sie sich scheinbar für schlauer als die Bürger. ({3}) Hinzu kommt noch: Wenn das Bundesverfassungsgericht Ihren Gesetzentwurf vorab prüfen würde, würde es feststellen, dass Ihr Gesetzentwurf nicht verfassungskonform ist, und das aus einem ganz einfachen Grund: In Artikel 79 Absatz 3 sieht unser Grundgesetz eine Ewigkeitsgarantie vor, unter anderem für die grundsätzliche Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung. Der Bundesrat wird durch Ihren Gesetzentwurf faktisch von der Gesetzgebung ausgeschlossen, und das mit einer ganz lapidaren Formulierung. Sie schreiben: Bei Volksentscheiden soll das Ergebnis der Abstimmung in einem Bundesland als Abgabe seiner Bundesratsstimme gelten. Ich sage Ihnen eins: Das ist ein Schulbeispiel für verfassungswidriges Verfassungsrecht. Das können Sie in jedem guten Grundgesetzkommentar nachlesen. ({4}) Meine Damen und Herren, der Hammer kommt aber zum Schluss, unabhängig dieser handwerklichen Fehler. Frau Pau, Sie haben das zum Abschluss so en passant erwähnt. Ich kann Ihnen nur sagen: Besonders bemerkenswert und besonders ärgerlich ist der Vorschlag – liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen –, dass die Linken wollen, dass nicht nur Deutsche, sondern auch Ausländer, die länger als fünf Jahre in unserem Land leben, das Wahlrecht auf Bundesebene erhalten sollen. ({5}) Es zieht einem echt die Schuhe aus, wenn man sich anschaut, wie Sie das begründen. Sie schreiben – und ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: Dem Grundgesetz wohnt der Gedanke inne, dass der Souverän die Bevölkerung ist. Ich sage Ihnen: Das ist völliger Unsinn. Der Souverän ist nicht die Bevölkerung, Wer der Souverän ist, können Sie vielmehr sehen, wenn Sie morgens hierher zur Arbeit fahren. Sie müssen einfach mal die Augen aufmachen. ({6}) Hier am Bundestag steht nicht: „Denen, die hier schon länger leben“, sondern: „Dem deutschen Volke“. ({7}) Der Souverän ist das deutsche Volk, meine Damen und Herren. Deswegen kann ich Ihnen nur sagen – dafür brauchen Sie nicht mal ein Seminar in Staatsrecht –: Schauen Sie einfach mal in Artikel 20 nach; dort steht: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Gemeint ist dort das deutsche Staatsvolk. Das deutsche Staatsvolk ist Ausgangspunkt unserer staatlichen Gewalt. Es ist das Subjekt unserer Politik. Das deutsche Staatsvolk sind die deutschen Staatsangehörigen; das ist und bleibt so. ({8}) – Das kann man anders sehen, aber ich sage Ihnen: Lesen Sie einfach mal in einem soliden Grundgesetzkommentar nach und nicht in der „Roten Hilfe“ oder der „Jungen Welt“. Dann finden Sie auch richtige Antworten. ({9}) Wir wehren uns entschieden gegen solche kosmopolitischen Phantastereien. ({10}) Ich sage Ihnen zum Abschluss ganz konkret: Für uns bedeutet Staatsbürgerschaft eine Korrelation zwischen Rechten und Pflichten. Wir wollen trennen zwischen einer politischen Schicksalsgemeinschaft und einer Verantwortungsgemeinschaft. Auch Ausländer haben natürlich Rechte bei uns; sie sind Teil unserer Verantwortungsgemeinschaft, aber sie sind nicht Teil unserer politischen Schicksalsgemeinschaft. Deswegen sagen wir: Wir werden Ihren Gesetzentwurf ablehnen. Ich hoffe, „… und täglich grüßt das Murmeltier“ ersparen Sie uns in der nächsten Legislaturperiode. Herzlichen Dank. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Amthor. – Bei aller Erregung, Herr Kollege Kraft, Sie wissen, dass der von Ihnen im Zuruf verwendete Begriff – ich will ihn jetzt nicht wiederholen – unparlamentarisch ist. Auch der Zwischenruf vorhin aus der Unionsfraktion – ein Zwischenruf mit dem Anfangsbuchstaben „A“ – ist einfach unparlamentarisch. ({0}) – Nein, nicht Amthor. – Wir sollten uns trotz später Stunde an die Gepflogenheiten halten. Als Nächster hat der Kollege Dr. Christian Wirth für die AfD-Fraktion das Wort. ({1})

Dr. Christian Wirth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004936, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Werte Kollegen! Vorab: Ich bin begeistert, Herr Amthor, dass Sie offensichtlich eine ganz andere Auffassung haben, was das Staatsvolk ist, als Ihre Kanzlerin. Ich bin begeistert. ({0}) Die Linke legt einen Gesetzentwurf zur Stärkung der direkten Demokratie im Grundgesetz vor. Sie verweist zu Recht darauf, dass Volksentscheide ein probates Mittel sind, das Volk als Souverän dieses Landes an der demokratischen Entscheidungsfindung stärker teilnehmen zu lassen, als dies durch Wahlen alleine möglich ist. Auch der AfD ist die direkte Demokratie ein Grundanliegen. Gerade deswegen haben wir im April die Einsetzung einer Enquete-Kommission vorgeschlagen, um die Grundlagen der Volksentscheide fraktionsübergreifend zu erarbeiten. Hiermit ist die Gemeinsamkeit aber auch schon beendet; denn wer den Antrag der Linken in Gänze liest, merkt schnell, dass es den Linken nicht um die Stärkung der direkten Demokratie geht, sondern dass das Gegenteil der Fall ist. Die Linke will mit ihrem Antrag nichts anderes, als dem deutschen Volk das Recht auf die eigene Souveränität, die eigene Nation und somit die eigene Identität zu nehmen. ({1}) Es ist ja nichts Neues, dass das linke Spektrum schon seit langem ein Auge auf das Potenzial der Nichtdeutschen als Wähler geworfen hat, um ihre schwindenden Wählerreihen aufzufüllen und ihre antideutsche Politik durchzusetzen. ({2}) Die Vorstöße zielten bislang auf das Wahlrecht auf kommunaler Ebene und auf Volksabstimmungen. So ist es nicht verwunderlich, wenn die Linke in ihrem Gesetzentwurf den Kreis der Wahlberechtigten für Volksentscheide auf alle Menschen ausdehnen möchte, die das 16. Lebensjahr vollendet haben und unabhängig von der deutschen Staatsbürgerschaft seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben. ({3}) Aber nicht nur das: Mit dem Vorstoß der Linken zur Änderung des Artikels 38 Absatz 2 Grundgesetz soll dies auch für die Wahlen zum Deutschen Bundestag gelten. Meine Damen und Herren, das Grundgesetz legt eindeutig fest, wer in Deutschland wahlberechtigt ist und wer nicht. In Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz heißt es: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Und Artikel 116 Grundgesetz bestimmt, dass Deutscher ist, „wer die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt“. Diese Rechtslage wird durch die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, was Sie stören mag, und alle ernstzunehmenden Staatsrechtler gestützt. Seit geraumer Zeit gibt es jedoch linke Kräfte, die in Artikel 116 Grundgesetz, der nicht wie Artikel 20 Grundgesetz der Ewigkeitsgarantie unterliegt, eine Hintertür sehen, um den Volksbegriff in Artikel 20 Grundgesetz zu ändern, da die Schöpfer des Grundgesetzes dort dem Begriff „Volke“ nicht das Adjektiv „deutsch“ hinzugefügt haben. Patin dieser unsäglichen Bewegung ist die Noch-Bundeskanzlerin Merkel, die mit dem Satz „Das Volk ist jeder, der in diesem Land lebt“ ihre Politik, wie übrigens auch bei der Grenzöffnung, nicht nur auf Recht und Gesetz gründet, sondern auf eine moralisierende Ebene verschiebt. ({4}) Man könnte glauben, Houellebecqs dystopischer Roman „Unterwerfung“ ist die Regieanweisung für diese Politik. ({5}) Die Einbürgerung in unser Land ist mittlerweile ziemlich leicht möglich. Hierzu sind nicht einmal mehr größere Sprachkenntnisse vonnöten. Somit kann im Prinzip jeder, auch aus Nicht-EU-Ländern, deutscher Staatsbürger werden, und das ist auch gut so. ({6}) Wer das nicht möchte, der kann dann aber auch konsequenterweise die Volksvertretung nicht mitbestimmen; denn wer nicht deutscher Staatsbürger werden möchte, der möchte auch sicher nicht deutsche Werte und deutsche Interessen vertreten und sich auch ganz sicher nicht in unsere kulturell-abendländische Gesellschaft integrieren. ({7}) Wer unsere Werte und Traditionen respektiert und verinnerlicht hat, der soll auch das Recht haben, an der politischen Willensbildung teilzuhaben. Dafür reicht es nicht aus, fünf Jahre in diesem Land abzusitzen und zu warten, und schon gar nicht, illegal einzureisen, abzutauchen und/oder zu klagen, um dann diese Rechte in Anspruch nehmen zu können. ({8}) Nach dem Integrationsbericht von 2015 – vor der Grenzöffnung – gehörten 3,2 Millionen der damals insgesamt 4,7 Millionen Muslime nicht zum Wahlvolk. Insgesamt stammten 8 Millionen Bürger aus Nicht-EU-Ländern, immerhin 12 Prozent des erwachsenen Wahlvolkes. Diese Zahlen sind durch die Grenzöffnung drastisch gestiegen und steigen weiter. Wenn man sich beispielsweise vor Augen führt, dass 2016 nach einer Emnid-Umfrage 47 Prozent der in Deutschland lebenden Türken religiöse Gesetze für wichtiger als die weltlichen Regelungen unseres Landes hielten und sich 62 Prozent der ersten Einwanderungsgeneration als stark religiös bezeichneten, aber schon 72 Prozent der zweiten, dann sieht man, wohin die Reise beim Wahlrecht für alle geht. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Christian Wirth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004936, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja. – Wenn die Altparteien glauben, eine neue Wähler- und Mitgliederschicht rekrutieren zu können, werden sie ein böses Erwachen erleiden. Der Blick in die Niederlande zeigt, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Sie haben jetzt noch einen Satz.

Dr. Christian Wirth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004936, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– dass eher eine Migrantenpartei entsteht, die aus dem Stand in den Bundestag einzieht. Ich komme zum Schluss.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Sie sind jetzt am Schluss. Sie waren 30 Sekunden über die Zeit. ({0}) Als Nächstes für die SPD-Fraktion der Kollege Dr. Lars Castellucci. ({1})

Prof. Dr. Lars Castellucci (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es lohnt sich, für die Demokratie zu streiten, auch zu vorgerückter Stunde, und es lohnt sich auch, hier in diesem Haus wiederholt Anträge einzubringen. Das ist für mich ein Zeichen von Beharrlichkeit. Das ist eigentlich eine politische Tugend, und ich danke dafür, dass dieser Antrag heute vorgelegt wird. ({0}) Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen für mehr Demokratie, und wir stehen dem Anliegen, das Volk direkt entscheiden zu lassen, sehr offen gegenüber. Uns ist aber eines wichtig, nämlich nicht das Volk und diejenigen, die das Volk repräsentieren – wir hier in diesem Haus –, ({1}) gegeneinander auflaufen zu lassen, sondern die Demokratie insgesamt zu stärken. Das muss unser gemeinsames Anliegen sein, die Demokratie insgesamt zu stärken. ({2}) Denn das Volk und diejenigen, die das Volk repräsentieren, gegeneinanderzustellen, das ist das Werk der Populisten; das haben wir in dem Beitrag, der vor meinem stattgefunden hat, wieder einmal gemerkt. ({3}) Das Volk und uns, die das Volk repräsentieren, näher zusammenzubringen, ist für mich auch das zentrale Argument für die Einführung von direkter Demokratie. Ich glaube einfach, wenn das Volk am Ende eine Entscheidung treffen kann, sind wir in diesem Raum automatisch in der Situation, sehr viel intensiver mit der Bevölkerung in Kontakt zu sein, für unsere Anliegen zu werben, zu hören, was die Bürgerinnen und Bürger dazu zu sagen haben. Es bringt uns näher zusammen. Diese Nähe und dieses Miteinander – Demokratie lebt vom Mitmachen – wollen wir fördern. Darauf kommt es an, wenn wir die Demokratie in unserem Land erhalten wollen. ({4}) An dieser Stelle, liebe Frau Pau, haben wir einen Unterschied in dem Antrag, den die SPD immer dann vorlegt, wenn Sie einen zu diesem Thema vorlegen, und dem, den Sie vorgelegt haben. Wir sagen nämlich: Wenn ein Volksbegehren erfolgreich war und es zu einem Volksentscheid kommen soll, dann kann das Parlament Vertreter entsenden, und auch diejenigen, die das Volksbegehren angestrengt haben, können Vertreter entsenden. Beide können dann miteinander verhandeln und vielleicht einen Kompromiss aushandeln. Dann wird dieser Kompromiss entweder direkt umgesetzt oder zur Abstimmung gestellt. Ich finde, das ist Demokratie, dass wir die Bevölkerung im Ringen um Kompromisse mitnehmen; denn der Kompromiss ist der Kern von Demokratie. ({5}) Ich möchte auf den Punkt eingehen, der hier schon kritisch erwähnt worden ist. Wie ist es mit dem Wahlrecht für Menschen, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben? Ich mache mir diesen Punkt, den Sie hier vorgeschlagen haben, nämlich alle Menschen, die in Deutschland leben, bei der direkten Demokratie einzubeziehen, nicht zu eigen. Aber ich verweise darauf, dass die SPD dafür ist, dass wir auf kommunaler Ebene anfangen und sagen: Auf kommunaler Ebene sollen alle Menschen, die in Deutschland regelmäßig leben, das Wahlrecht haben. Das gewährt ihnen Teilhabe, und die steht ihnen auch zu. ({6}) Ich habe Ihnen das letzte Mal geantwortet, dass die Staatsangehörigkeit der Schlüssel ist. Wir sollten also dafür werben, dass Menschen, die dauerhaft in diesem Lande sind, die Staatsbürgerschaft annehmen und über diese Staatsbürgerschaft dann natürlich auch das Recht haben, an Wahlen oder der direkten Demokratie teilzuhaben. Wenn man Ihren Gedanken nimmt und sagt, auch diejenigen, die die deutsche Staatsbürgerschaft nicht haben, sollen wählen dürfen, dann könnte man umgekehrt sagen, dann sollen sie aber nicht mehr da wählen dürfen, woher sie ursprünglich kommen. Es beschäftigt uns ja auch, dass Menschen in diesem Land sind und auch anderswo wählen. Dass Wahlkämpfe aus anderen Ländern in Deutschland geführt werden, stört uns häufig. Freilich, das können wir in diesem Land nicht entscheiden, aber es zeigt, dass es sich lohnt, über diese Konstruktion nachzudenken. ({7}) Ich denke, da, wo man lebt, wo man Steuern zahlt, wo man arbeitet, sollte man voll teilhaben können.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.

Prof. Dr. Lars Castellucci (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dafür werben wir auf kommunaler Ebene. Über die Fragen von direkter Demokratie werden wir in der Expertenkommission, die die Koalition im Koalitionsvertrag beschlossen hat, miteinander sprechen. Ich wünsche Ihnen einen guten Abend. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Als Nächstes für die FDP-Fraktion der Kollege Manuel Höferlin. ({0})

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Guten Morgen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bei der direkten Demokratie herrscht Nachholbedarf. Ich glaube, viele Menschen wollen sich jenseits von Wahlen engagieren. Sie wollen Politik unmittelbar mitgestalten. Wenn es um ihr direktes Lebensumfeld geht, sind sie auch extrem aktiv dafür. Ansonsten wird es bei uns in Deutschland schwierig. Wir sollten das, denken wir, fördern. Wir Freien Demokraten haben das in der Vergangenheit immer wieder unterstützt. ({0}) Deswegen freut es mich, dass wir heute auch zu dieser Stunde über das Thema „direkte Demokratie“ diskutieren können. Wir selbst haben immer wieder Initiativen auch hier in diesem Haus eingebracht, um direkte Demokratie zu stärken. Man kann das übrigens auch – ich habe das an anderer Stelle schon mal gesagt – ganz direkt tun, zum Beispiel hier in diesem Haus, indem wir einen Unterschied machen, ob es im Petitionsverfahren geschieht oder ob wir eine Bürgerplenarstunde einführen. Wir könnten also jenseits von großen Änderungen in der Verfassung auch hier in diesem Haus direkte Demokratie einführen und viel einfacher gestalten. Wir sollten das auch in Zukunft schneller angehen. ({1}) Wir sollten aber repräsentative Demokratie und direkte Demokratie nie gegeneinander ausspielen. Es sind ergänzende Mittel des Mitgestaltens am Staat. In Ihrem Antrag, liebe Freunde der Grünen, ({2}) – entschuldigen Sie: der Linken natürlich; zu dieser Stunde musste ich mich einmal versprechen –, haben Sie das ein bisschen gegeneinander ausgespielt. Das System der repräsentativen Demokratie kann und sollte man auf keinen Fall dagegen ausspielen. Wir selbst haben vorgeschlagen – das haben wir in einem Antrag hier gemacht –, für Volksinitiativen ein Quorum von 400 000 Wahlberechtigten vorzusehen. Wir haben auch ein Volksbegehren und einen Volksentscheid vorgeschlagen. Allerdings haben wir im Unterschied zu Ihnen keine absoluten Zahlen festgelegt, sondern einen bestimmten Anteil der Wahlberechtigten in Prozent. Ich glaube, das ist ein adäquates Kriterium. Man sollte nicht einfach feste Zahlen zugrunde legen. Das ist mit Sicherheit einer der Punkte, die wir besprechen müssen. Wir haben damals gesagt, 15 Prozent der Wahlberechtigten sollten zustimmen, um einem Volksentscheid zum Erfolg zu verhelfen. Ich glaube, das ist ein angemessenes Kriterium. Sie schlagen vor, dass 1 Million Wahlberechtigte – mal ganz abgesehen davon, dass Sie Wahlberechtigte anders definieren – ausreichen sollten, um einem Volksentscheid zum Erfolg zu verhelfen. Ich glaube, das ist für etwas, was letztlich das Äquivalent zu einem Gesetz hier im Deutschen Bundestag ist, keine geeignete Messlatte, gerade auch, wenn man sich vor Augen führt, wie hoch die Zahl der Wahlberechtigten ist, die einer Mehrheit im Bundestag entspricht. Wir sind nach wie vor der Meinung und unterstützen die grundsätzliche Auffassung, dass wir mehr direkte Demokratie brauchen. Ich teile die Auffassung, die hier vertreten wurde, dass es dazugehört, die Bürger, die Menschen ernst zu nehmen, wenn sie sich im Rahmen der direkten Demokratie einbringen. Ich glaube aber, Sie haben Ihrem Antrag keinen Gefallen getan, indem Sie die Stärkung der direkten Demokratie mit Veränderungen beim Kreis der Wahlberechtigten verbunden haben. Damit erweisen Sie Ihrem Anliegen einen Bärendienst, weil dadurch eine zweite Debatte ausgelöst wird. Sie sollten darüber nachdenken, ob Sie das nicht im weiteren Verfahren ändern wollen. Liebe Freunde von der SPD, ein letztes Wort zum Thema „Bürger ernst nehmen“; ich glaube, das ist ein guter Punkt. Wenn SPD, Grüne und Linke heute über das Anliegen des Volksentscheids zum Flughafen Tegel so entschieden haben, wie sie es getan haben, leisten Sie Volksentscheiden und direkter Demokratie in Wahrheit einen Bärendienst. Wenn ein Volksentscheid in Berlin mit einer solchen Mehrheit für die Offenhaltung eines Flughafens plädiert und Sie mit einer solchen Ignoranz im Parlament dagegen abstimmen, dann tun Sie damit genau das Gegenteil von dem, was Sie heute hier gesagt haben. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächste Rednerin: Canan Bayram, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Canan Bayram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004665, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir unterstützen das Anliegen bzw. das Ziel der Gesetzes- und der Verfassungsänderung, die Die Linke hier heute eingebracht hat, mehr direkte Demokratie neben dem bestehenden System der repräsentativen Demokratie einzuführen. ({0}) Aber das genügt noch nicht: Neben der direkten Demokratie ist uns, Bündnis 90/Die Grünen, besonders wichtig, mehr Bürgerbeteiligung einzuführen, und das könnten wir auch ohne eine Verfassungsänderung machen. ({1}) In dem Entwurf – das haben meine Vorredner schon gesagt – gibt es verschiedene Aspekte, die man nicht alle abschließend darstellen kann. Deswegen will ich mich auf einige beschränken. Der Schutz der Minderheiten, der immer in Gefahr ist – das ist Teil der Debatte zur direkten Demokratie –, muss gewährleistet werden. Jetzt wurde hier kritisiert, dass Die Linke vorschlägt, dass es im Vorfeld eine Kontrolle geben soll, die zum Gegenstand hat, Minderheiten zu schützen, damit keine Vorlagen zur Abstimmung gestellt werden, deren Annahme zur Folge hätte, dass Rechtsgrundsätze wie der Schutz der Minderheiten über Bord geworfen werden. Dass eine solche Vorkontrolle durchgeführt wird, ist ein Anliegen, das wir ausdrücklich unterstützen. Das soll davor schützen, dass mit der Einführung der direkten Demokratie die Grundordnung unserer Verfasstheit infrage gestellt wird. ({2}) Auch beim Wahlrecht für Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger sind wir vom Bündnis 90/Die Grünen der Ansicht: Es muss mehr gemacht werden. Wir haben aktuell eine Diskriminierung im Wahlrecht. Menschen, die teilweise ihr ganzes Leben in diesem Land verbringen, werden bei Entscheidungen, von denen sie betroffen sind, nicht gefragt. Sie können nicht mitgestalten. ({3}) Das ist ein Zustand, der uns alle besorgt machen sollte und den wir verändern wollen. Auch da haben Sie die Unterstützung meiner Fraktion. ({4}) Ich komme zu einer abschließenden Bewertung. Wir haben seit vielen Jahren ähnliche Anträge eingebracht. Man muss sich schon ein Stück weit fragen: Haben wir eine verfassungsändernde Mehrheit, oder wie gehen wir sozusagen auf das Ziel zu, tatsächlich mehr direkte Demokratie und Verbesserungen im Wahlrecht zu erreichen? Da muss man sagen: Der Antrag für sich genommen – das kann ich schon prognostizieren – wird wahrscheinlich mit der Mehrheit dieses Hauses abgelehnt werden. Aber damit wollen wir uns nicht begnügen. Wir sagen: Wir sind bereit, mit allen, die dazu willens sind, eine Debatte zu führen über die Wege, wie wir tatsächlich zu mehr Demokratie im Sinne von zusätzlicher repräsentativer und direkter Demokratie kommen. ({5}) Wir wollen unsere Demokratie lebendiger gestalten. Aber ich glaube nicht, dass es mit diesem Antrag getan ist. Vielmehr brauchen wir eine Debatte im ganzen Haus darüber, ob es tatsächlich mit einer Kommission gelingen kann. ({6}) Wir sind gerne bereit, die entsprechenden Debatten zu führen, aber es muss klar sein, dass wir mit Blick auf das Ziel „mehr direkte Demokratie“ nicht zu dem Ergebnis kommen dürfen, dass dadurch mehr Ausgrenzung passiert. Das ist der Grund, warum wir seinerzeit den AfD-Antrag hier eher ablehnend behandelt haben. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Mario Mieruch. – Ich sehe ihn nicht. Ist er im Saal? – Das ist nicht der Fall. Er hatte seine Chance. Dann ist der nächste Redner Michael Kuffer von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Kuffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004795, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Das Anliegen der Linken hinsichtlich mehr direkter Demokratie halte ich für richtig. Ich habe die Sorge, dass im Verhältnis zwischen den Bürgerinnen und Bürgern auf der einen Seite und der Politik auf der anderen Seite, gelinde gesagt, der Funke nicht mehr überspringt. Ich glaube, diesen Befund kann man nicht wegdiskutieren, auch nicht den, dass beide Seiten über weite Strecken ganz unterschiedliche Sprachen zu sprechen scheinen. Wenn man sich die Wahlbeteiligungen anschaut, wenn man sich einzelne Wahlen anschaut, bei denen die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent liegt, also mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten die Veranstaltung boykottiert, dann glaube ich auch, dass es nicht ausreicht, dass wir uns alle Jubeljahre zu den Wahlen treffen, und ansonsten war es das gewesen. Ich bin auch der Meinung, dass wir – passt auch zur Uhrzeit – eine Art Weckruf brauchen, ({0}) der beide Seiten dazu zwingt, sich stärker miteinander zu beschäftigen. ({1}) Die Parlamentarier wären stärker gezwungen, ihre Politik zu erklären, auch zwischen den Wahlen. Aber ich will dazu sagen: Auch die Menschen draußen im Land wären stärker gezwungen, sich mit den Dingen zu beschäftigen, mit denen wir uns hier beschäftigen und an denen teilgenommen werden sollte. Die direkte Demokratie ist eine Bringschuld in dem Sinne, dass man sich mit den Dingen auseinandersetzt. ({2}) Für diesen Weg, Kolleginnen und Kollegen, tritt im Ziel die CSU auch konsequent ein. ({3}) Wenn Sie sich den Bayernplan anschauen: Dort haben wir die Beteiligungsgarantie festgeschrieben. Wir haben den Bürgerinnen und Bürgern unser Wort gegeben, dass wir für den weiteren Ausbau der Partizipationsmöglichkeiten eintreten. Wir sind in Bayern mit einer ganzen Reihe von Beteiligungsmöglichkeiten auf Landesebene und auf kommunaler Ebene gut gefahren; ich glaube, das haben wir eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Sprechen Sie mit den Leuten draußen im Land darüber. Uns sagen die Menschen: Es ist zu einer Beschleunigung gekommen, und es ist zu einer Befriedung gekommen. Voraussetzung dafür ist aber, dass das gut gemacht ist. Damit komme ich zu dem Punkt, dass wir Erfahrungen auf Landes- und Bundesebene nicht über einen Kamm scheren können. Es gibt Anlass, sich auf Bundesebene sehr viel feiner damit auseinanderzusetzen, sich ausführlich mit der Frage zu beschäftigen, welche Instrumente hilfreich sind und welche eher kontraproduktiv sind. Wir haben auf Bundesebene nun mal Auseinandersetzungen, die sehr viel grundsätzlicher strukturiert sind. Ich glaube, dass wir Schiffbruch erleiden würden, wenn beispielsweise politische Parteien über die Hintertür plebiszitärer Elemente außerparlamentarische Opposition machen könnten. Ich glaube auch, dass komplexe Materien es nicht erlauben, dass es, heruntergebrochen auf eine einzelne Fragestellung, Verflachungen gibt. Teilweise sind auch einfach Erfindungen unterwegs. Wenn ich mir die Debatten über das bayerische Polizeiaufgabengesetz in den letzten Wochen anschaue, dann wird mir himmelangst bei der Vorstellung, dass man auf eine solche Stimmung am Ende Beteiligungen aufbauen soll, obwohl in weiten Teilen keine Bereitschaft da ist, sich mit den Details zu beschäftigen. ({4}) Damit schließt sich der Kreis: Es ärgert mich, dass Sie dieses an sich wichtige Thema durch Ihren Entwurf verflachen. Sie verknüpfen wahllos politische Vorhaben, die in keinem Zusammenhang miteinander stehen, und Sie gehen wieder in die ideologische Falle der urlinken Träumereien, indem Sie versuchen, die Abstimmungsberechtigung von der Staatsbürgerschaft zu entkoppeln. Ich sage Ihnen: Das weisen wir entschieden zurück. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Kommen Sie bitte zum Ende.

Michael Kuffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004795, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ein letztes Wort noch zum Vorwurf der Diskriminierung: Man kann ja wohl wirklich nicht von Diskriminierung sprechen. Wenn jemand, so wie Sie es ausdrücken, ein ganzes Leben lang in diesem Land lebt, dann hat er ohne Weiteres die Möglichkeit, die Staatsbürgerschaft zu erwerben, damit seine Bindung zu diesem Staat auszudrücken, sich zu bekennen und sich dann auch an den Abstimmungen zu beteiligen. Sie greifen völlig daneben. Schade, dass Sie dieses Thema verflachen und letzten Endes zerstreuen. ({0}) Ich wünsche mir eine sinnvolle Debatte, eine ausführliche Debatte in diesem Haus.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Kommen Sie jetzt bitte zum Ende.

Michael Kuffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004795, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Helge Lindh von der SPD-Fraktion. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weiterhin gilt: Demokratie ist und bleibt keine Zuschauerveranstaltung. Wir alle hier, drinnen und draußen, stehen auf der Bühne, und wir spielen tagtäglich um unser freiheitliches Leben in dieser Demokratie, sei es mit Instrumenten der indirekten, sei es mit Instrumenten der direkten Demokratie. Weiterhin gilt auch, dass jede ernsthafte Debatte über die Stärkung der Demokratie per se eine gute Debatte ist. Holen wir uns – das meine ich jetzt sehr ernst – diese Demokratie zurück. Ich habe den Eindruck, dass wir in den letzten Jahren, in den letzten Monaten, in den letzten Wochen manchmal den Diskurs und das Agendasetting allzu sehr denen überlassen haben, auch hier im Parlament, die mit den Mitteln der Demokratie ebendiese Demokratie infrage stellen, und das darf nicht sein. ({0}) Das ist die entscheidende Frage einer wehrhaften Demokratie. Wir – ich spreche jetzt im Namen der Liebhaberinnen und Liebhaber der Demokratie – müssen viel lauter sein. Wir müssen endlich viel lauter sein als die Gegner der Demokratie. ({1}) Erlauben Sie mir an dieser Stelle einmal sozialdemokratisches Selbstlob. Das ist sicherlich gestattet; denn man kann Sozialdemokraten so manches vorwerfen, aber sicher nicht einen Mangel an Selbstkritik und ein Übermaß an Selbstlob. ({2}) Wir haben das Dreiklassenwahlrecht abgeschafft, wir haben für das Frauenwahlrecht gekämpft, für das Wahlrecht ab 18 Jahren, und wir haben – mein Kollege Castellucci erwähnte es schon – fast genau vor fünf Jahren zwei noch detailliertere Gesetzentwürfe zur direkten Demokratie eingebracht. Wir haben diese Vorarbeit geleistet, und das war notwendig. Gleichwohl sehen wir auch, dass mit der direkten Demokratie auch eine Janusköpfigkeit verbunden ist. Das liegt nicht an dem Instrument der direkten Demokratie als solcher, sondern an den Fragen ihrer Instrumentalisierung und an den Überzeugungen sowie der Haltung, die damit verbunden sind. Um es deutlich zu sagen: Wenn Plebiszite populistisch missbraucht werden, um damit die repräsentative Demokratie verächtlich zu machen und Minderheitenschutz sowie Grundrechte zu schleifen, dann stärkt diese Form falscher direkter Demokratie alles Mögliche, aber nicht die Demokratie. ({3}) Deshalb kommt es – ich wiederhole mich – ({4}) auf das Setting, die politische Bildung im Vorfeld und die Haltung an. Das wurde mir besonders vor ein paar Wochen durch einen Schüler einer Besuchergruppe deutlich. Er saß eine Stunde oben auf der Tribüne, schaute sich unser Spektakel an und äußerte Folgendes: Hier sitzen ja nur lauter Weißköpfe. – Er war arabischstämmig und wies darauf hin, dass ein Teil der Bevölkerung dieses Landes nicht hinreichend repräsentiert ist, und er hatte recht. Das ist aber keine Aufgabe im Zusammenhang mit der direkten Demokratie, sondern das ist eine Aufgabe für uns, im Zusammenhang mit der repräsentativen Demokratie. ({5}) Ich gehe noch weiter – vorhin kam ja die Vorlage, und ich muss sie aufgreifen –: Hier, in diesem Hohen Hause, finden wir ein Kunstwerk von Hans Haacke. Da steht: „Der Bevölkerung“. ({6}) Wer ist denn die Bevölkerung? ({7}) Was ist mit denen, die vor Generationen gekommen sind? Was ist mit denen, die vor vielen Jahren, vor einigen Jahren oder jetzt gekommen sind? ({8}) Wir verbringen sehr viel Zeit damit, zu erklären, wer in dieses Land darf oder nicht darf. Was ist aber mit denen, die hier schon sind, die hier leben? Welche Vorstellung haben wir von ihrem Verhältnis zur Demokratie, von ihren Zugängen zu politischer Bildung? Ich habe in den letzten Jahren unzählige Stunden damit verbracht, über vermeintliche und tatsächliche No-go-Areas zu diskutieren. Ich glaube, es wäre auch mal an der Zeit, dass wir über die No-vote-Areas dieses Landes sprechen. ({9}) Es gibt ganze Stadtteile, in denen demokratische Willensbildung nicht mehr stattfindet. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn wir sie uns angucken, dann sehen wir, dass diese vermeintlichen oder tatsächlichen No-go-Areas und die No-vote-Areas häufig deckungsgleich sind.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn uns diese Demokratie und ihre Grundwerte kostbar sind, Herr Präsident, und wenn wir dieses Land lieben, was ich tue – und Sie, denke ich, auch –, dann ist es, glaube ich, unser aller Aufgabe, im Ringen um Demokratie – mit direkter und indirekter Demokratie – dafür zu kämpfen, dass diese No-vote-Areas endlich von der Landkarte verschwinden. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Axel Müller für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland finden sich nur wenige Elemente der direkten Demokratie. Ausschließlich Artikel 29 Grundgesetz sagt dazu etwas aus. Bei einer Neugliederung des Bundesgebietes gibt es nämlich ein Bundesgesetz, das dann durch einen Volksentscheid bestätigt werden soll. Auch wir von der Regierungskoalition sind daher zu der Überzeugung gekommen, dass wir mit Blick auf eine geforderte erhöhte Akzeptanz in der Bevölkerung Überlegungen anstellen müssen, wie wir mehr direkte Demokratie in das Grundgesetz aufnehmen können, wie es einzelne Landesverfassungen ja auch vorsehen. Daher werden wir – das ist heute von einem der Vorredner schon gesagt worden – eine Expertenkommission einsetzen, die Vorschläge erarbeiten soll, ob und in welcher Form unsere bewährte – ich betone: bewährte – parlamentarisch-repräsentative Demokratie durch weitere Elemente der Bürgerbeteiligung noch gestärkt werden kann. Ihr Antrag, meine Damen und Herren von den Linken, geht jedoch zu weit. Er sprengt den Rahmen unseres Grundgesetzes. Mal ganz abgesehen davon, dass er ein sehr kompliziertes Verfahren von Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid und Volksabstimmung vorsieht, das doch ganz sperrig und bürgerunfreundlich daherkommt, beinhaltet er auch noch Wahlmänner bzw. Vertrauensleute, die doch mit einer etwas merkwürdigen und nicht besonders hohen demokratischen Legitimation ausgestattet sind. Ja, es geht Ihnen in Wirklichkeit um etwas ganz anderes – das wurde von Vorrednern bereits betont –: Sie wollen sich ein neues Wahlvolk zusammenstellen. Um es frei nach Bertolt Brecht zu sagen: Sie wollen das Volk gleich selbst zusammenstellen und aussuchen. – Dazu wollen Sie den Kreis der Wahlberechtigten, wie ihn Artikel 38 Grundgesetz vorsieht, dahin gehend abändern, dass bei solchen Volksabstimmungen künftig nicht nur deutsche Staatsangehörige, sondern auch ausländische Staatsangehörige wahlberechtigt sein sollen. Dies gilt dann, wenn sie seit fünf Jahren in der Bundesrepublik Deutschland eine Wohnung haben oder ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht besitzen. Das heißt, es reicht schon aus, wenn ich eine Wohnung mein Eigentum nenne, unabhängig davon, ob ich hier wirklich lebe. ({0}) Das reicht nach Ihrem Antrag aus. Da muss man schon sagen: Wenn man keine Steuern zahlt, wenn man sich in dieser Bundesrepublik Deutschland nicht in den Arbeitsprozess einbringt und am gesellschaftlichen Leben teilnimmt, aber seit über fünf Jahren über ein Immobilieneigentum verfügt, ist man abstimmungsberechtigt. ({1}) Damit ignorieren Sie natürlich auch die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach eben nur der deutsche Staatsangehörige wahlberechtigt ist, weil das Volk im Sinne des Artikels 20 Absatz 2 Grundgesetz das deutsche Staatsvolk ist, das in Artikel 116 Grundgesetz abgebildet ist. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, so wie es der Kollege Amthor gesagt hat: Das deutsche Volk als verfassungsgebende Gewalt hat sich das Grundgesetz gegeben, so wie es im Grundgesetz in der Präambel festgeschrieben ist. Ihre bisherige Antragspraxis, meine Damen und Herren von den Linken, unterstreicht meine Behauptung; denn in Ihren Anträgen aus der 14., 15., 16. und 17.  Wahlperiode haben Sie diese Ausweitung nicht vorgenommen. Jetzt auf einmal, wo Ihnen offenbar die Mehrheiten nicht ausreichen, kommen Sie auf diese Idee. Ich komme gleich zum Schluss, möchte aber noch eins hinzufügen: Nach Ihren Ausführungen könnte sogar ein Nichtunionsbürger über den Verbleib Deutschlands in der Europäischen Union abstimmen; denn mit der von Ihnen vorgeschlagenen Änderung des Artikels 38 Absatz 2 – ihn nennen Sie in Ihrem Antrag ausdrücklich – wollen Sie erreichen, dass ausländische Staatsangehörige über einen Verbleib in überstaatlichen Einrichtungen abstimmen können. Überspitzt formuliert könnte der englische Brexit-Befürworter, der seit fünf Jahren in Deutschland Immobilieneigentum hat, über den Verbleib Deutschlands in der Europäischen Union abstimmen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es bleibt mir nur, einen Appell, wenngleich er angesichts der fortgeschrittenen Zeit verhallen mag, an die Wählerinnen und Wähler zu richten: Wenn Sie bei der letzten Bundestagswahl für Die Linke gestimmt haben, meine Damen und Herren, dann suchen Sie sich jetzt andere Repräsentanten. ({0}) Danke schön. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/16 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor knapp einem Jahr haben wir hier im Deutschen Bundestag die Ehe für alle verabschiedet, eine Sternstunde der parlamentarischen Demokratie. ({0}) Viele Menschen in diesem Land haben sich mit den Lesben und Schwulen darüber gefreut, dass ihnen für ihre Liebe endlich die gleiche Anerkennung zuteilwird wie heterosexuellen Paaren. Auch deshalb sind wir hier seit acht Monaten um etliche glückliche Ehepaare reicher. Ich kann nur sagen: Das ist doch wunderbar. ({1}) Aber nicht alle rechtlichen Nachteile hat die Ehe für alle beseitigt. Vor allem die Regenbogenfamilien – in 95 Prozent lesbische Paare mit Kindern – sind von diesen Nachteilen betroffen. Die aktuelle Rechtslage stellt Kinder, die in gleichgeschlechtliche Ehen oder Partnerschaften hineingeboren wurden, schlechter. Ihnen fehlt die Rechtssicherheit durch zwei Elternteile. Lesbischen Paaren wird die Möglichkeit verwehrt, von der Geburt des Kindes an gemeinsam die Sorge zu übernehmen. Das wollen wir ändern. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Fakt ist: Wenn ein Kind in eine heterosexuelle Ehe geboren wird, hat es automatisch zwei rechtliche Elternteile. Es ist damit doppelt abgesichert, auch bei Trennung oder Tod eines Elternteils. Und der Ehemann ist automatisch der rechtliche Vater des Kindes, wobei keine Rolle spielt, ob er tatsächlich der biologische Vater ist. Wenn ein Kind hingegen in eine gleichgeschlechtliche Ehe hineingeboren wird, hat das Kind automatisch nur einen rechtlichen Elternteil: die leibliche Mutter. Die Ehefrau kann nicht als zweiter rechtlicher Elternteil alle Sorgen und Pflichten für das Kind von Anfang an übernehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Regelung widerspricht dem Kindeswohl. Sie widerspricht auch dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus Artikel 3 Grundgesetz. ({3}) Und sie ist ungerecht für alle Kinder, die in eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft hineingeboren wurden. Diese Diskriminierung wollen wir beenden. ({4}) Die Stiefkindadoption ist die bislang einzige Möglichkeit, durch die Kinder in einer gleichgeschlechtlichen Ehe zwei rechtliche Elternteile bekommen können. Aber sie ist aufwendig und ein oft sehr langwieriger Prozess. Und was die wenigsten wissen: Lesbische Ehepaare, die gemeinsam Verantwortung und Sorge für ein Kind übernehmen wollen, müssen sich zuvor gegenüber dem Jugendamt offenbaren: über ihren Gesundheitszustand, ihre Vermögensverhältnisse, ihren polizeilichen Leumund etc. pp. Und das belastet Regenbogenfamilien enorm. ({5}) Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen: Eltern, egal in welcher Konstellation, wünschen sich Sicherheit für ihr Kind. Und die wollen wir ermöglichen. Darum geht es hier. ({6}) Wir Grünen sind mit unserem Vorschlag zur Anpassung des Abstammungsrechts nicht allein. Der Deutsche Juristentag empfiehlt dies seit 2016. Der Arbeitskreis Abstammungsrecht im Justizministerium hat dies ebenfalls empfohlen. Und die Länder haben dazu letzte Woche auf der Konferenz der Justizminister einen ersten Vorstoß gemacht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Familienkonstellationen in unserem Land sind bunt. Dazu passt kein Familienrecht, das nur Schwarz-Weiß bereithält. ({7}) Jede dritte Familie, in denen Minderjährige leben, ist nichtehelich: eine alleinerziehende Person mit Kind, eine Patchworkfamilie oder eine Regenbogenfamilie. Es ist an der Zeit, das Familienrecht zu modernisieren, ({8}) und zwar so, dass es zu den tatsächlichen Bedürfnissen von modernen, vielfältigen Familien passt. Wenn Kinder Eltern haben, die verbindlich Sorge und Verantwortung übernehmen, dann ist das gut. Soziale Eltern, elterliche Mitverantwortung und Regenbogenväter stärken und besserstellen: Das muss der nächste Schritt sein. ({9}) Ein Staat, der nicht vorschreibt, wie Menschen Familie leben, sondern ihnen das Leben leicht macht, das ist unsere Perspektive. Ich freue mich auf die Beratungen und wünsche noch eine angenehme Nacht. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Mechthild Heil, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Guten Morgen erst einmal! ({0}) Für Eltern muss gesetzlich klar geregelt sein, welche Rechte und Pflichten sie in Bezug auf ihre Kinder haben, und zwar für alle Eltern: für die traditionellen Familien genauso wie für die in gleichgeschlechtlichen Ehen und auch in allen Fällen, in denen die Kinder nicht auf natürlichem Wege gezeugt wurden. Das muss der Gesetzgeber im 21. Jahrhundert leisten können. Genau deshalb haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart – ich zitiere –: Im Hinblick auf die zunehmenden Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin und Veränderungen in der Gesellschaft werden wir Anpassungen des Abstammungsrechts … prüfen. Die Grünen bringen nun sehr kurzfristig einen Gesetzentwurf ein, der sich gesondert mit einem einzigen Teilbereich dieser schwierigen Thematik befasst. Die Problemstellung ist nachvollziehbar, und sie wird auch im Gesetzentwurf zutreffend geschildert. Bei zwei – so sagen Sie – miteinander verheirateten Frauen hat die Partnerin, die das Kind nicht geboren hat, keine rechtliche Elternschaft, solange kein Adoptionsverfahren erfolgreich durchgeführt wurde. Der Gesetzentwurf weist darauf hin, dass diese klassischen Adoptionsverfahren einen großen Aufwand darstellen und dass dabei Unterlagen verlangt und Prüfungen durchgeführt werden, die für eine Ehe zwischen zwei Partnerinnen weder angemessen noch notwendig seien. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich kann diese Punkte wirklich sehr gut nachvollziehen. ({1}) Umso erstaunter bin ich aber darüber, in welcher Form Sie diese Thematik jetzt einbringen. Das erweckt bei mir den Verdacht, dass es sich mehr um einen Schaufenstergesetzentwurf handelt. ({2}) Ich begründe Ihnen das auch sehr gerne. Sie greifen ausschließlich die Problematik zweier miteinander verheirateter Frauen und deren Kinder heraus. ({3}) Was ist denn mit den verheirateten Männern? ({4}) Was ist mit den Themen Mehrelternschaft und Elternschaftsvereinbarung? Wie wollen Sie die Fragen, die sich aus der Reproduktionsmedizin sonst noch ergeben, lösen? Das alles sind Themen, die die Grünen in der Vergangenheit auch bewegt haben. In Ihrer Gesetzesbegründung schreiben Sie dann selber, dass es im Familienrecht insgesamt in dieser Hinsicht einiges zu klären gibt, behaupten aber, dass dieses eine Thema besonders vordringlich sei. ({5}) Nur eine schlüssige Begründung, warum das so sein soll, bleiben Sie in Ihrem Gesetzentwurf schuldig. ({6}) Ich bin der Überzeugung, dass das im Koalitionsvertrag Vereinbarte richtig ist. ({7}) Ja, wir müssen Anpassungen im Abstammungsrecht und weitere Alternativen sorgfältig prüfen, damit wir mit der Entwicklung in Deutschland Schritt halten können und jede Eltern-Kind-Beziehung rechtlich klar geregelt ist. Eine singuläre Gesetzesänderung bringt vielleicht schnellen Applaus bei den einzelnen Interessengruppen, kann aber für die Sache insgesamt sogar eher schädlich sein. Ich finde, das ist der langen Arbeit der Grünen auf diesem Gebiet nicht würdig. ({8}) Auch in der Sache wirkt Ihr Gesetzentwurf ein wenig wie mit der heißen Nadel gestrickt. Sie übertragen im Wesentlichen alle Regelungen, die bisher für das Abstammungsrecht bei einer Ehe zwischen Mann und Frau gelten, nahezu wortgleich auf eine Ehe zwischen zwei Frauen. Okay, das klingt im ersten Augenblick nach fairer Gleichbehandlung, ({9}) offenbart aber bei genauerem Hinsehen erhebliche Schwierigkeiten, die das Potenzial haben, neue Ungerechtigkeiten zu schaffen. Wenn Sie Biologie und Genetik als Basis des Abstammungsrechtes teilweise verlassen wollen, wenn also in Ihrem Fall eine Frau automatisch mit der Geburt Elternteil, also zweite Mutter, werden soll, die genetisch mit dem Kind gar nicht verwandt ist, ({10}) dann müssen Sie schon sehr genau hinschauen, damit das angemessen juristisch lösbar ist und nicht zu Merkwürdigkeiten führt, falls es sich auf dem Wege des Abstammungsrechts überhaupt sinnvoll lösen lässt, was zu prüfen wäre. ({11}) Ich möchte nur ein Beispiel der sich aus Ihrem Gesetzentwurf ergebenden neuen Ungleichheiten herausgreifen. Sie wollen demnach der Frau, die nach Ihrem Gesetzentwurf mit der Geburt des Kindes automatisch auch Mutter wird, weil sie mit der biologischen Mutter verheiratet ist, das Recht geben, diese Mutterschaft innerhalb von sechs Monaten anzufechten. Bei einem Ehemann ist ein Recht auf Anfechtung der Vaterschaft deshalb begründet, weil der Verdacht bestehen kann, dass es sich gegebenenfalls bei ihm doch nicht um den biologischen Vater des Kindes handelt. Denn weil das Gesetz davon ausgeht, dass der Ehemann im Allgemeinen der biologische Vater ist, wird er automatisch mit der Geburt der rechtliche Vater. Mit der Anfechtung erhält er die Möglichkeit, diese Vermutung des Gesetzes zu widerlegen. Die Ehefrau in einer gleichgeschlechtlichen Ehe ist aber keinesfalls mit dem Kind biologisch verwandt. Wenn Sie diese Ehefrau mit Ihrem Gesetzentwurf nun automatisch zur zweiten Mutter machen wollen, dann kann es kein Anfechtungsrecht gleicher Art wie bei einem Ehemann geben; denn es kann keinen Zweifel an einer biologischen Verwandtschaft geben, der ein Anfechtungsgrund sein könnte. Für Väter und Mütter einer klassischen Ehe ist übrigens das Anfechtungsrecht bei Samenspenden schon heute gesetzlich sogar ausdrücklich ausgeschlossen, weil der Anfechtungsgrund einer Unklarheit in diesem Fall entfällt. Dass Sie vor diesem Hintergrund an Ihrer Lösung selber Zweifel haben, zeigt Ihre Gesetzesbegründung. ({12}) Sie wollen darin begründen, warum der zweiten Mutter nur eine Anfechtungsfrist von sechs Monaten zustehen soll, während Väter eine Anfechtungsfrist von zwei Jahren haben, nachdem sie von Umständen erfahren, die gegen ihre Vaterschaft sprechen. Sie stellen in Ihrer Gesetzesbegründung aber einfach nur fest, dass eine Anfechtungsfrist von sechs Monaten eingeräumt wird, und dann wörtlich: „Eine längere Überlegungsfrist ist nicht notwendig.“ Das ist doch keine Begründung, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Warum ein Anfechtungsrecht für einen an seiner Vaterschaft zweifelnden Ehemann und, wenn schon, warum dann mit deutlich kürzerer Anfechtungsfrist als für einen Ehemann? Sie drücken sich damit um die Begründung für etwas, was sich aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten schwer begründen lässt.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne. – Im Endeffekt wissen Sie doch auch – deshalb haben Sie vielleicht ein schlechtes Gewissen –, dass Sie mit diesem schwer zu begründenden Anfechtungsrecht für die zweite Mutter ein optionales Wahlrecht schaffen würden, ob sie qua Geburt Mutter des Kindes ihrer Partnerin sein möchte oder vielleicht auch nicht. Deswegen freue ich mich mit Ihnen zusammen, dass wir das in den Ausschüssen weiter beraten können. Ich hoffe, dass wir da zu einer besseren Lösung kommen, als wir sie mit Ihrem Vorschlag vorliegen haben. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Stephan Brandner, AfD-Fraktion. ({0})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht; aber ich kann mir nur wenige Orte vorstellen, an denen ich mich wohler fühlen würde als jetzt an diesem Rednerpult. – Ich wünsche einen schönen guten Morgen am 15. Juni 2018 um 1.36 Uhr. Aber das war es jetzt auch schon mit der Harmonie. Meine Damen und Herren, dass wir zu dieser frühen Stunde wieder mal über eine verschrobene grüne Idee reden müssen, verdanken wir den C-Parteien, also den Chaos-Parteien, hier auf der halbrechten Seite und einer Bundeskanzlerin, die mit ihrem Innenminister zankt und die auch kurz vor ihrem politischen Ende steht. Diese Beteiligten haben uns, den gesamten Bundestag, am gestrigen Tag stundenlang in Geiselhaft genommen, um ihre Querelen auszudebattieren. Warum, frage ich mich, haben Sie Ihre Fraktionssitzung nicht einfach nach der Bundestagssitzung durchgeführt, sondern mittendrin? Dann hätten wir alle schön nach Hause gehen können, und Sie hätten streiten können. ({0}) Dazu kam auch noch der seltsam agierende Bundestagspräsident, der meines Erachtens ohne Rechtsgrundlage mehrfach die Unterbrechung der Sitzung verlängert hat. Aber sei’s drum. Wir wollen ja zum Thema reden. Meine Damen und Herren, die AfD-Fraktion lehnt diesen grünen Gesetzentwurf ab. Er verdeutlicht nämlich wieder einmal den Markenkern der Grünen, der da ist: unsinnige Ideen und verschrobene Klientelpolitik. ({1}) Und wir werden auch nach der zu befürchtenden Ausschussüberweisung nicht zustimmen. Jetzt fragen Sie sich gespannt – ich sehe es Ihnen an –: Warum macht die AfD das? ({2}) Das sage ich Ihnen: Weil wir eine, weil wir die Rechtsstaatspartei sind und weil für uns im großen Unterschied zu den Altparteien, die hier sitzen, das Grundgesetz bindend ist. ({3}) Aber dieser Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben, stützt sich auf ein greifbar verfassungswidriges Gesetz aus der letzten Legislaturperiode. Wir erinnern uns mit Grausen: Kurz vor der parlamentarischen Sommerpause 2017 wurde hopplahopp nach einem Versprecher von Frau Merkel – ich glaube, es war im Fernsehen – und unter Verstoß gegen Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz versucht, die gleichgeschlechtliche Ehe einfachgesetzlich zu regeln. Wer hat nicht noch die peinlichen, albernen Bilder einiger sehr spät pubertierender Grüner vor Augen, die hier im Plenarsaal, der doch angeblich so heilig ist und den wir respektieren wollen, mit bunten Konfettikanonen in die Luft schossen und sich wie zugedröhnte Jugendliche verhielten? ({4}) Das war billiger Klamauk in Reinform: das Bejubeln eines verfassungswidrigen Handelns. ({5}) Denn unser Grundgesetz formuliert was? In Artikel 6 Absatz 1 ist formuliert – ich zitiere –: Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Dabei waren alle, und zwar alle Väter und Mütter des Grundgesetzes, davon ausgegangen, dass eine Ehe eine dauerhafte Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau ist. ({6}) Damit steht Folgendes fest: ({7}) Wer nämlich unter dem besonderen Schutz steht, kann und darf nicht der Beliebigkeit geopfert werden, und das kann auch nicht – das ist entscheidend – einfachgesetzlich geändert werden. Daran sehen Sie: Die Gründe für unsere Ablehnung sind nicht, wie Sie wahrscheinlich erhofft haben, etwa homophob motiviert, sondern sie fußen auf unserem Respekt vor unserem Grundgesetz. ({8}) Es erlaubt freilich jedem Menschen, sich mit wem und wie vielen auch immer einzulassen und sich auch dauerhaft zu verbinden. Es schreibt aber vor, dass nur dann eine Ehe eine Ehe ist, wenn sie aus einem Mann und einer Frau besteht; ansonsten ist es irgendetwas anderes, jedenfalls keine Ehe. ({9}) Wenn also Sie von den bunten Fraktionen – ich schließe da mal in den Farbkreis ausnahmsweise auch die Schwarzen ein, die inzwischen alle ihre ehemals vorhanden gewesenen konservativen Werte ihrer gescheiterten Kanzlerin geopfert haben –, ({10}) wenn also Sie alle von den Altparteien jede Beziehung, egal wer mit wem und mit wie vielen, zukünftig als Ehe bezeichnen wollen, dann müssen Sie was machen. Haben Sie aufgepasst? Sie müssen das Grundgesetz ändern. ({11}) Das müssen Sie tun. Einfachgesetzlich funktioniert das nicht. Aber genau das haben Sie bewusst nicht getan, weil Sie Angst haben. Sie haben Angst vor einer offenen gesellschaftlichen Debatte darüber, und Sie wissen genau, dass Sie nie und nimmer für Ihre kruden Ideen in der Beziehung eine Mehrheit für die Änderung des Grundgesetzes bekommen werden. ({12}) Weil Sie so feige sind – wenn ich Sie angucke, fühle ich mich bestätigt in dieser Annahme –, weil Sie so feige sind, meine Damen von den Grünen – es sind überwiegend Damen hier; ich weiß nicht, wie die Herren sich gerade fühlen –, ({13}) versuchen Sie es einfachgesetzlich. Um Ihnen die Blamage, mit Ihren merkwürdigen Ideen vor dem Bundesverfassungsgericht zu scheitern, zu ersparen, raten wir von der AfD Ihnen tatsächlich: Nehmen Sie Ihren unmöglichen Gesetzentwurf einfach zurück, und kommen Sie zum Status quo ante, also auf den Boden des Grundgesetzes, zurück! ({14}) Eine grundlegende Möglichkeit, Ihre Verirrung in der Angelegenheit in Kürze zu relativieren oder auszugleichen, wird die AfD Ihnen dadurch bieten, dass wir einen ausgefeilten Gesetzentwurf zur Beendigung der Ehe für alle in Kürze vorlegen werden. ({15}) So, ich wünsche Ihnen noch einen frühen schönen Morgen, freue mich auf die Nachredner und wünsche danach uns allen eine gemütliche Nachtruhe. Danke schön. ({16})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Karl-Heinz Brunner für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Man könnte jetzt sagen „in diesen frühen Morgenstunden“ oder „in diesen späten Abendstunden“, aber, ich glaube, es ist auch gerade zu dieser Zeit notwendig, den Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen in Ernsthaftigkeit zu diskutieren, aber auch in aller Ernsthaftigkeit festzustellen, dass im vergangenen Jahr glücklicherweise der Deutsche Bundestag in namentlicher Abstimmung mit großer Mehrheit entschieden hat, die Ehe für alle einzuführen. Das war gut, das war richtig – als Zeichen der gesellschaftlichen Entwicklung. ({0}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich sage an dieser Stelle auch, dass ich glücklich bin, in einem Rechtsstaat zu leben, in dem das Bundesverfassungsgericht und die Verfassungsorgane darüber entscheiden, wie an die gesellschaftliche Entwicklung angepasst wird, und nicht krude Einzelmeinungen der einen oder anderen politischen Kraft. ({1}) Mit der Einführung der Ehe für alle waren wir uns alle im Klaren, dass Anpassungen in unterschiedlichsten Rechtsgebieten erforderlich sind. ({2}) Es haben sich Ungerechtigkeiten entwickelt, Situationen entwickelt, indem nicht jede einzelne Rechtsvorschrift angepasst wurde. Deshalb hat die Koalition im Koalitionsvertrag zu Recht festgelegt, einmal einen Prüfungsauftrag zu geben und zum anderen ein Anpassungsgesetz zu erarbeiten. Der erste Schritt ist jetzt der derzeit in der Abstimmung befindliche Referentenentwurf vom Bundesministerium der Justiz. Ich sage herzlichen Dank an die Ministerin, hier vertreten durch die Staatssekretärin, dass es so schnell so weit ist, dass an diesem Anpassungsgesetz gearbeitet wird. Mit diesem Anpassungsgesetz werden die wesentlichen Vorschriften in die unterschiedlichen Gesetze eingearbeitet, sei es im BGB, im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche, im Abstammungsrecht usw. Ich finde es gut, dass die Grünen auf die Ungerechtigkeit, die sich hier ergeben hat, hingewiesen haben. Aber ich sage ganz offen: Der Gesetzentwurf, der uns vorliegt, ist in meinen Augen – ich glaube, die Kollegin Heil hat das fast mit den gleichen Worten gesagt – mit heißer Nadel gestrickt und wird der Komplexität der Frage nicht gerecht. Was haben wir in diesem Land? Wir haben unterschiedliche Konstellationen von Familie. Wir haben Kinder in gleichgeschlechtlichen Ehen, die durch künstliche Befruchtung gezeugt worden sind. Dort wollen wir das Abstammungsrecht erhalten. Wir haben in diesem Land Kinder, die von Vätern erzogen werden, die mit der Mutter, die in gleichgeschlechtlicher Beziehung lebt und verheiratet ist, gezeugt sind, aber ihre Vaterschaft nicht aufgeben wollen – zu Recht nicht aufgeben wollen, weil sie als Vater in einer Mehrfachehe, in einer Mehrfachfamilie, in der Patchworkfamilie ihre Verantwortung übernehmen wollen. Bündnis 90/Die Grünen unterliegen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, so glaube ich, auch einem Irrtum, nämlich dem Irrtum, mit der Fiktion der §§ 1591 ff. BGB eine eigentlich heute schon obsolete Regelung zu übernehmen. Denn für was waren §§ 1591 ff. gedacht? Das stammt aus einer Zeit, als wir die Nichtehelichkeit der Kinder vermeiden und jedem Kind einen ehelichen Vater verschaffen wollten. Ich glaube, diese Regelung als solche ist zu überprüfen, zu bedenken und in diesem Hause zu diskutieren, statt die alte Regelung zu nehmen und Vater durch Mutter zu ersetzen. ({3}) Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, freue ich mich auf die Diskussion in den Fachausschüssen. Ich freue mich auch darauf, wie die Sachverständigen dazu sprechen, und bin gespannt, ob dadurch tatsächlich eine Ungerechtigkeit beseitigt wird. Ich freue mich, dass wir in den Wochen und Monaten nach der Sommerpause entsprechend das Anpassungsgesetz beraten, beschließen und ordnungsgemäß diskutieren dürfen. Vielen Dank. Einen schönen Abend, guten Morgen und gute Nacht – denn ein paar Stunden möchte ich auch noch schlafen. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Dr. Jens Brandenburg. ({0})

Dr. Jens Brandenburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte eigentlich Herrn Brandner auf seine Rede ansprechen; aber er ist direkt vor seiner Rede hereingekommen und anscheinend direkt danach wieder weg. ({0}) – Dann grüße ich ihn sehr herzlich. Vielleicht können Sie ihm ja ausrichten: Ich bin doch sehr erstaunt, wie man es schafft, hier fünf Minuten ohne ein einziges Argument zur Sache zu füllen. ({1}) Vielleicht können Sie ihm auch mal empfehlen, beim nächsten Mal, wenn er zu einem Gesetzentwurf spricht, nicht nur den Titel zu lesen und zu glauben, es gehe um einen Antrag zur Ehe für alle, sondern auch mal ein paar Seiten weiterzulesen. Dann hätte er nämlich gemerkt, dass die Regelungen, die von den Grünen vorgeschlagen worden sind, auch für eingetragene Lebenspartnerschaften gelten sollen. So weit sollte man bitte lesen. ({2}) Und wenn er durch andere, parallele Termine verhindert sein sollte, ({3}) kann er das nächste Mal vielleicht Frau Weidel schicken. Die hat zur Sache sicher auch einiges zu sagen. ({4}) Aber jetzt zum eigentlichen Thema. Familie ist doch eigentlich ein Ort, wo Menschen dauerhaft Verantwortung füreinander übernehmen. ({5}) Familie gibt Kindern Liebe, Geborgenheit und ein sicheres Zuhause, übrigens unabhängig vom Geschlecht der Eltern. Das Familienbild ändert sich. Wir haben eben schon gehört: Schon heute passen über 30 Prozent der Familien gar nicht mehr in das enge Korsett, das speziell ein Redner heute hier propagiert hat. Ein gutes Familienrecht gängelt Familien nicht; es presst sie nicht in klassische Schablonen, sondern ein gutes Familienrecht gibt sowohl Kindern als auch Eltern Selbstbestimmung, Schutz und rechtliche Sicherheit. Genau deshalb muss sich das Familienrecht an die vielfältige Lebenswirklichkeit der Menschen anpassen und nicht umgekehrt. ({6}) Der Gesetzentwurf der Grünen beklagt zu Recht, dass die Lebenspartnerin einer leiblichen Mutter nur über eine Stiefkindadoption überhaupt erst als Co-Mutter für das Kind anerkannt werden kann. Diese Verfahren sind langwierig, demütigend und belasten die Familie. Das spürt natürlich auch das Kind. Das Kind leidet möglicherweise dann auch unter mangelnder rechtlicher Absicherung, zum Beispiel wenn die leibliche Mutter stirbt, bevor das Stiefkindadoptionsverfahren beendet ist. Eine automatische Co-Mutterschaft muss also möglich sein, wenn ein lesbisches Paar zum Beispiel über eine Spermienspende aus einer Samenbank ein Kind empfängt oder wenn der leibliche Vater explizit sein Einverständnis erklärt hat. In den meisten Fällen ist das genau so. Dafür kämpfen wir. ({7}) Die große Vielfalt von Regenbogenfamilien jenseits solcher Zweimütterfamilien, liebe Grünen, blendet ihr in eurem Antrag – wir haben eben kurz darüber gesprochen – jedoch leider aus. Wenn ihr die rechtliche Definition einer Mutter in § 1591 BGB schon anpackt, wieso zementiert ihr dabei das binäre Geschlechtsbild und schließt so auch weiterhin intergeschlechtliche Eltern völlig aus? ({8}) In der Begründung des Antrags verweist ihr zu Recht auf die zunehmende Anzahl von Mehrelternfamilien, also beispielsweise einem lesbischen und einem schwulen Paar, die gemeinsam Verantwortung für ein Kind übernehmen wollen. Warum schließt ihr im Antrag explizit auch die rechtliche Anerkennung solcher Mehrelternschaften aus? ({9}) Selbst wenn sich die künftigen Eltern einig sind, dass zum Beispiel der leibliche Vater auch der rechtliche Vater sein soll, müsste er seine Vaterschaft nach eurem Modell – sollte man das eins zu eins so beschließen – erst vor Gericht erkämpfen. Da sind doch Spannungen und Konflikte in der Familie vorprogrammiert. ({10}) Genau das ist eigentlich die Schikane, die ihr bei der Stiefkindadoption kritisiert. Ihr kennt ja die hochemotionalen Diskussionen in der Community um das lange Ringen um eine wirklich ausgewogene Lösung. ({11}) – Ja, die AfD hadert noch mit Englisch; ich übersetze das gerne gleich noch mal. – Aber wir sollten hier sehr deutlich machen, dass wir nicht auf eine einseitige Lösung setzen, die lesbische Mütter und schwule Väter gegeneinander ausspielt, sondern wirklich eine Lösung für alle suchen. Ein paar Vorschläge haben wir gemacht. Wichtig als Ergänzung an der Stelle ist die Möglichkeit einer Elternschaftsvereinbarung bereits vor der Zeugung, sodass man rechtliche Klarheit schaffen kann und ein stabiles Umfeld für das Kind ermöglicht. ({12}) Wir Freie Demokraten setzen auf Vielfalt und Selbstbestimmung. Das Familienrecht – ich habe es eben gesagt – muss der Lebenswirklichkeit der Menschen gerecht werden und nicht umgekehrt. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für Die Linke spricht als Nächstes Gökay Akbulut. ({0})

Gökay Akbulut (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004653, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2009 heißt es: Es ist verfassungsrechtlich nicht begründbar, aus dem besonderen Schutz der Ehe abzuleiten, dass andere Lebensgemeinschaften im Abstand zur Ehe auszugestalten und mit geringeren Rechten zu versehen sind. Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag hat nach diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ganze acht Jahre gebraucht, um das Recht auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts möglich zu machen und somit die Ehe für alle endlich auf den Weg zu bringen. ({0}) Viel zu lange haben die Vertreterinnen und Vertreter konservativer Vorstellungen – so wie auch heute – mit sich selber gerungen, ({1}) bis Lesben und Schwulen die gleichen Rechte wie allen anderen Menschen zugesprochen wurden. Der Gesetzentwurf der Fraktion der Grünen ist ein notwendiger Folgeschritt, um das möglich zu machen, was der Bundestag ohnehin vergangenes Jahr beschlossen hat. Die Angleichung des Abstammungsrechtes ist dringend notwendig. ({2}) Die Anzahl der Regenbogenfamilien und ihrer Kinder steigt in Deutschland. Unterschiedliche Familienkon­stellationen, wie Co-Parenting, erfordern eine rechtliche Öffnung und Veränderungen, die wir als Linke fordern und unterstützen. Es kann nicht sein, dass in einer lesbischen Ehe die Partnerin nicht als zweites Elternteil rechtlich anerkannt wird. ({3}) Bei heterosexuellen Ehen ist der Mann automatisch der zweite rechtliche Elternteil des Kindes, unabhängig davon, ob er der biologische Vater ist oder nicht. Bei gleichgeschlechtlichen Ehen müssen sich Elternteil und Kind mit einem komplizierten und langjährigen Adoptivverfahren auseinandersetzen. Wir stimmen hier den Grünen zu, die eine Diskriminierung der betroffenen Kinder und Eltern sehen. Ausgehend vom Wohl und Bedürfnis der Kinder wollen wir das System der Wahlverwandtschaft stärken. ({4}) Kinder sollen in behüteten Verhältnissen aufwachsen. Insofern haben Sie bei diesem Anliegen unsere Unterstützung, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. ({5}) Die Gleichstellung ist damit allerdings nicht getan. Wir müssen einen Schritt weitergehen und die Privilegien der Ehe abschaffen. Nur so können wir tatsächlich die Nichtdiskriminierung von allen anderen Lebenspartnerschaften möglich machen. ({6}) Mit Steuermodellen wie dem Ehegattensplitting werden nicht nur rückwärtsgewandte Rollenverteilungen in der Familie gefördert, es werden auch wirtschaftliche Nachteile für Lebenspartnerschaften manifestiert, die sich bewusst gegen das Modell der Ehe entscheiden. Die Ehe jedoch darf keine Privilegien gegenüber anderen Formen der Partnerschaften enthalten. ({7}) Wir fordern deshalb die Abschaffung des Ehegattensplittings und die rechtliche Gleichstellung der vielfältigen Formen der Lebenspartnerschaften, die nun mal Realität in unserer Gesellschaft sind. ({8}) Mit der Einführung der Ehe für alle ist das Problem der Ungleichbehandlung in diesem Land noch lange nicht gelöst. Dieses werden wir vermutlich nicht alleine mit Gesetzen lösen können. Es braucht einen Prozess des Umdenkens in der Gesellschaft, aber auch in der Politik. Alle Lebens- und Liebensformen sind gleich viel wert und erfordern eine Gleichstellung und Gleichbehandlung vor dem Gesetz. ({9}) Wir als Linke unterstützen weiterhin die Forderungen der Regenbogenfamilien und ihrer Kinder. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die CDU/CSU-Fraktion ist der nächste Redner Dr. Volker Ullrich. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, in der Tat, vor einem Jahr hat der Deutsche Bundestag nach einer intensiven und emotionalen Debatte das Recht der Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts geöffnet. Ich möchte betonen, dass sich viele Kollegen vor einem Jahr in diesem Haus die Entscheidung nicht leicht gemacht haben. Auch heute muss gelten, dass diejenigen, die aus guten und hörbaren Gründen mit Ja gestimmt haben, genauso Respekt verdient haben wie diejenigen, die sich nicht zur Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf durchringen konnten. Ich glaube, dass vor allen Dingen der Umgang miteinander im Nachgang zu dieser Entscheidung dazu beigetragen hat, auch eine befriedende Wirkung in der Gesellschaft zu erzielen. Das war auch ganz wichtig, weil es um eines geht: um die Lebensentwürfe von Menschen, um Schicksale und höchstpersönliche Einstellungen. ({0}) Deswegen sollten wir mit hohem Respekt und großer Sorgfalt über dieses Thema sprechen. ({1}) Die Debatte heute zeigt aber auch, dass Kollegen, die vor einem Jahr darauf hingewiesen haben, dass aus juristischen und verfassungsrechtlichen Gründen der enge Zeitplan vielleicht auch Unwägbarkeiten mit sich bringt, nicht ganz unrecht hatten; denn, in der Tat, ein Jahr nach der Entscheidung vom 30. Juni 2017 sind immer noch Fragen im Personenstands- und im Abstammungsrecht offen, die einer Lösung zugeführt werden müssen. Sosehr das Anliegen damals von vielen als berechtigt vorgetragen worden ist, so sehr müssen wir feststellen: Dieser Gesetzentwurf war unvollständig. Wir werden ihn in den nächsten Wochen und Monaten vervollständigen, weil wir es den Menschen auch schuldig sind, einen entsprechenden Rechtsrahmen zu präsentieren. ({2}) Was den Gesetzentwurf der Grünen anbetrifft: Er betrifft eine Besonderheit im Personenstandsrecht, nämlich die Frage nach der gesetzlichen Elternschaft. Es ist in der Tat so, dass im Augenblick vermutet wird, dass der Ehemann der Mutter der Vater des geborenen Kindes ist. Dieser Rechtsgedanke soll jetzt übertragen werden auf eine Ehe zwischen zwei Müttern, sodass die Ehefrau der Mutter automatisch auch gesetzlich Mutterschaft für das geborene Kind erwirbt. Ich verstehe auch den Hintergrund: Man möchte einem Kind, das sich ohnehin bereits in einer Familie befindet und Teil der Familie ist, den Prozess der sogenannten Stiefkindadoption ersparen, weil die Stiefkindadoption natürlich ein ziemlich langer und schwerwiegender Prozess ist. ({3}) Das Problem ist nur, dass bei den in der Ehe geborenen Kindern einer verschiedengeschlechtlichen Ehe zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Vater auch der biologische Vater ist. ({4}) Bei einer Ehe zwischen zwei Frauen ist es aus bekannten Gründen so, dass das Kind genetisch natürlich nicht von beiden Müttern abstammen kann, sodass tatsächlich rechtlich gegebenenfalls noch ein Vater im Spiel ist. Darin liegt die Schwäche des Gesetzentwurfs: Wir müssen regeln, welches Verhältnis der Vater, der auch noch im Spiel sein könnte, zu den beiden Müttern hat, die dann rechtlich die Eltern des Kindes werden. Ich glaube, wir sollten zumindest im Interesse des Kindes vermeiden, dass das Kind drei Elternteile hat. Das wäre nämlich ziemlich kompliziert. ({5}) Ich möchte auch darüber sprechen, dass wir natürlich über die Aspekte der sozialen Elternschaft diskutieren müssen und können; aber, ich glaube, das muss klüger gehen, vor allen Dingen diskriminierungsfreier, weil der Gesetzentwurf nur auf eine Ehe, die zwischen zwei Frauen geschlossen wurde, abstellt. Ich glaube, dass ein Kind, das in eine Lebensverantwortung hineingeboren wird, die aus zwei Männern besteht, natürlich auch nicht die Stiefkindadoption durchlaufen muss. Da gibt es im Gesetzentwurf noch eine gewisse Diskriminierung, weil Sie hier einseitig Ehen zwischen zwei Frauen bevorzugen. ({6}) Lassen Sie uns doch vielmehr über die Frage sprechen, wie wir gerade in solchen Fällen der gemeinsamen Verantwortung die Stiefkindadoption erleichtern können. Lassen Sie uns darüber sprechen, wie wir nicht neue Diskriminierungsformen aufmachen zwischen Ehen, die zwischen zwei Männern geschlossen wurden, und Ehen, die zwischen zwei Frauen geschlossen wurden. Lassen Sie uns Unwägbarkeiten mit drei Elternteilen tatsächlich vermeiden; denn das wäre für das Kindeswohl nicht das Beste. Lassen Sie uns im Ausschuss über diese Frage offen und ehrlich diskutieren; im Mittelpunkt müssen dabei das Kindeswohl und eine Bereinigung der abstammungs- und personenstandsrechtlichen Vorschriften im Nachgang zum Gesetz von vor einem Jahr stehen. Es geht um Familien. Es geht um die Frage, wie wir für die verschiedenen Lebenslagen von Familien das geeignete und beste Abstammungsrecht auf den Weg bringen. In diesem Sinne: Lassen Sie uns uns auf den Weg machen! Ich wünsche allen eine gute Nacht. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die letzte Rednerin ist die Kollegin Esther Dilcher, SPD-Fraktion. ({0})

Esther Dilcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Nachteulen! Ich darf Sie jetzt aus dem Saal kehren. Es ist ja eigentlich schon fast alles gesagt – nur noch nicht von mir. ({0}) Wir fragen uns: Wem ist ein Kind rechtlich zuzuordnen? Der Kollege hat es eben schon eingeworfen: Ich kann bei einer Adoption, zum Beispiel bei einer Volljährigenadoption, auch mehr als zwei Elternteile haben. Hier gibt es fast nichts, was nicht ausgeschlossen ist. Die Beantwortung dieser Frage beeinflusst aber das Leben vieler Kinder, zum Beispiel wenn es darum geht, mit wem es seinen Alltag verbringt, wer Verantwortung übernehmen oder Entscheidungen treffen darf oder muss, wer den Unterhalt zahlt oder auch wen das Kind einmal beerbt. Es sind viele, viele Fragen, die daran hängen, und Antworten auf diese Fragen findet man in dem engen Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen nicht. Auch nicht geklärt ist die Elternschaft von Trans- und Intersexuellen, die es eben nun einmal gibt und – die Kollegin Heil hat es schon angesprochen – der Fall der zulässigen Embryonenspende. Mit der Ehe für alle wurde die Ungleichbehandlung lesbischer und schwuler Paare im Eherecht beseitigt. Unstrittig ist – da gebe ich Ihnen vollkommen recht –, dass weitere Ungleichbehandlungen, die noch vorhanden sind, zum Beispiel im Abstammungsrecht, beseitigt bzw. angeglichen werden müssen. Das ist unser Ziel; das ist politisch gewollt und steht auch so im Koalitionsvertrag. ({1}) Daher befindet sich bereits ein entsprechender Gesetzentwurf unserer Ministerin Katarina Barley in der Pipeline und ist sogar schon in der Ressortabstimmung. Dieser Entwurf will eine viel umfassendere Angleichung an das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts und für deren Folgen vornehmen. Der vorgelegte Gesetzentwurf geht uns also nicht weit genug, und da wir schon in Vorbereitung für einen eigenen Gesetzentwurf sind, werden sich möglicherweise viele Punkte aus diesem Gesetzentwurf in unserem Gesetzentwurf wiederfinden. Sie werden sich aber nicht in dieser engen Form wiederfinden. Vielmehr wollen wir ihn weiter fassen. Deswegen wollen wir Ihrem Antrag – wie Ihrerseits ja zu befürchten war – nicht zustimmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin, wie gesagt, die letzte Rednerin, die Sie aus dem Saal kehren darf. Ich werde Ihnen und mir diese letzte Minute jetzt schenken und wünsche Ihnen eine gute Nacht. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das war eine sehr gute Idee – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/2665 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf heute, Freitag, den 15. Juni 2018, pünktlich 9 Uhr, ein Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 2.03 Uhr)