Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Das Bundeskabinett hat heute den Klimaschutzbericht 2017 beschlossen. Sie wissen, dass wir im Jahr 2007 vereinbart haben, bis 2020 insgesamt 40 Prozent weniger CO 2 auszustoßen als noch 1990, also 500 Millionen Tonnen weniger. Vor vier Jahren war dann sehr klar, dass wir eine Lücke bei der Zielerreichung haben werden. Um sie zu schließen, wurde damals das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 sowie der Nationale Aktionsplan Energieeffizienz beschlossen. Die Maßnahmen sollten zusätzliche Minderungen in einer Größenordnung von 62 Millionen bis 78 Millionen Tonnen CO 2 erbringen. Der Klimaschutzbericht zeigt uns nun, dass wir mit diesen Maßnahmenpaketen maximal 52 Millionen Tonnen CO 2 zusätzlich bis 2020 einsparen werden, also zwei Drittel des ursprünglichen Zielwertes. Gelungen ist uns die Aufholjagd damit leider nicht ganz.
Zusätzlich ist heute auch die Lücke größer, als wir sie ursprünglich 2014 abgeschätzt haben. Das hat wesentliche Gründe, und zwar drei: Erstens haben wir überschätzt, um wie viele Tonnen CO 2 die bisherigen Klimamaßnahmen unseren Ausstoß mindern. Zweitens ist die Wirtschaft deutlich stärker gewachsen als vorhergesagt. Drittens war die Bevölkerungsentwicklung größer als gedacht.
Dank oder – so könnte man auch sagen – trotz des Aktionsprogramms Klimaschutz liegt die Lücke 2020 bei voraussichtlich 8 Prozentpunkten. Ich sage „voraussichtlich“, weil aktuelle Trends wie beispielsweise die Entwicklung des Verkehrs befürchten lassen, dass die Lücke auch größer ausfallen könnte. Wir können aber trotzdem zumindest von einem Teilerfolg sprechen; denn ohne das Aktionsprogramm läge die Lücke bei 12 Prozentpunkten. Wir können also durchaus eine nennenswerte Senkung verzeichnen.
Um das noch einmal ganz klar zu sagen: Das reicht nicht aus, weder für mich als Bundesumweltministerin noch für die gesamte Bundesregierung. Wir müssen unser 40-Prozent-Etappenziel so schnell wie möglich erreichen, weil wir eine weitere Erwärmung des Planeten nicht verantworten können. Die Ziele, die wir uns gesetzt haben, sind nicht willkürlich, sondern sie sind errechnet, damit wir den Klimawandel wenigstens eindämmen können. Man braucht gar nicht auf die Starkregenereignisse am Wochenende zu gucken.
Mich hat eigentlich am meisten ein Gespräch beeindruckt, das ich mit Vertretern der Himalaja-Regionen geführt habe. Für die dortigen Staaten konnten sie mir sehr genau nachweisen, dass eine 2-Grad-Klimaerwärmung bei uns für den Himalaja eine 4-Grad-Klimaerwärmung bedeutet. Die Himalaja-Region ist eines der wichtigsten Ökosysteme der Welt. Sie ist das Quellgebiet von großen Flusssystemen. Rund ein Fünftel der Weltbevölkerung wird aus dieser Region mit Wasser versorgt. Das heißt, wir geraten durch den Klimawandel enorm unter Druck, und es ist überlebenswichtig, dass wir die Wasserversorgung dort hinbekommen, eben weil das Ganze ein enormes Konfliktpotenzial birgt.
Sie wissen, Deutschland wurde vergangene Woche auch deswegen in den UN-Sicherheitsrat gewählt, weil wir uns genau solchen Fragen stärker widmen wollen. Wir stehen hier im Wort. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit, der Verantwortung. Deswegen müssen wir mehr dafür tun, dass wir unsere Ziele wirklich erreichen. Wir sind eine der führenden Industrienationen. Wir sind diejenigen, die Innovationen entwickeln, die immer wieder zeigen, wie etwas funktioniert. Ich denke, wir haben die Verantwortung, jetzt auch zu zeigen, dass wir dazu beitragen können, den CO 2 -Ausstoß zu senken. Mein Eindruck ist, die Industrie, die Menschen in unserem Land sind dazu durchaus bereit, und wir haben das auch in unserem Koalitionsvertrag vereinbart. Wir wollen zusätzliche Minderungsmaßnahmen wirklich beherzt ergreifen. Ich zähle darauf, dass die Koalitionsparteien dazu auch stehen.
Meine Damen und Herren, unser 40-Prozent-Ziel ist auf dem Weg zu einer treibhausgasneutralen Wirtschaft ein ganz wichtiger Meilenstein. Wir müssen aber auch schon heute darauf achten, was eigentlich die nächsten Etappen sind. In 2030 muss Deutschland 55 Prozent weniger CO 2 ausstoßen als 1990. Dazu haben wir uns verpflichtet. Es ist eben auch unsere Verantwortung, wenn nicht zu viele Regionen der Welt unbewohnbar werden sollen.
Damit wir das schaffen, bereitet mein Haus in Zusammenarbeit mit anderen Ressorts ein Maßnahmenprogramm 2030 vor. Ich habe meine Kabinettskolleginnen und -kollegen für Wirtschaft, für Landwirtschaft, Inneres und Verkehr gebeten, neue Vorschläge für zusätzliche Maßnahmen zu machen. Die brauchen wir, damit wir bis Ende des Jahres wissen, mit welchen Maßnahmen in den verschiedenen Sektoren wir unseren verpflichtenden Klimaschutzzielen bis 2030 nachkommen werden. Außerdem wollen wir im nächsten Jahr natürlich unser Klimaschutzgesetz auf den Weg bringen, um damit dafür zu sorgen, dass die vereinbarten 55 Prozent CO 2 -Einsparungen auch wirklich umgesetzt werden. Die Maßnahmen sollen dann verbindlich im Gesetzbuch stehen.
Klimapolitik, das ist Innovationspolitik, das ist Modernisierungspolitik, das ist Politik, die unser Land, die unsere Wirtschaft, die unsere Menschen nach vorne bringt. Deswegen bin ich fest davon überzeugt, dass wir das auch erreichen können. Mein Ziel ist es, Ihnen im nächsten Jahr berichten zu können: Es geht nun wirklich voran mit dem Klimaschutz, und es ist nichts Abstraktes. Es sind nicht einfach nur Ziele, sondern es geht hier um die Zukunft, es geht um unsere Verantwortung für Kinder, für Enkel, für unser Land und auch international. Diese Verantwortung werden wir wahrnehmen mit der Innovationskraft, die wir in diesem Land haben.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Frau Bundesminister. – Damit kommen wir zur Befragung. Wir haben es wie immer so verabredet, dass wir zunächst Fragen zu dem Bericht, der eben gegeben wurde, stellen, danach dann, im zweiten Teil der Befragung, zu anderen Themen der Kabinettssitzung – die Tagesordnung ist übermittelt worden – und zu sonstigen Themen.
Aber jetzt zunächst zu dem Bericht, den Frau Minister Schulze eben gegeben hat: Die erste Frage stellt der Kollege Steffen Kotré, AfD.
Frau Ministerin, vielen Dank für den Bericht. – Die Bundesregierung geht ja davon aus, dass der menschengemachte CO 2 -Ausstoß die Ursache für die Temperaturerhöhung ist. Der Weltklimarat operiert in diesem Zusammenhang mit Klimamodellen. Wir wissen allerdings nicht genau, wie das Klima funktioniert. Es gibt mittlerweile mehr als 500 weltweite Studien, die diesen Zusammenhang nicht herstellen, also den Zusammenhang zwischen menschengemachtem CO 2 -Ausstoß und Temperaturerhöhung. Deshalb meine Frage: Liegen der Bundesregierung wissenschaftlich belastbare Beweise für diesen Zusammenhang vor?
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Sehr geehrter Herr Abgeordneter, es ist in der Forschung vollkommen unumstritten, dass wir es mit einer Erderwärmung zu tun haben. Ich glaube nicht, dass Länder anfangen würden, Evakuierungspläne für Inseln zu erarbeiten, wenn es nicht so wäre, dass der Meeresspiegel steigt
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und dass ganz eindeutig bewiesen ist, dass wir mit den ersten Folgen des Klimawandels jetzt schon leben müssen.
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Die Wissenschaft ist sich einig. Es gibt international ganz wenige, die aus dieser Einigkeit ausscheren.
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Wir werden uns darauf vorbereiten, dass es Klimaveränderungen gibt, dass man sich darauf einstellen muss. Wir werden weiter daran arbeiten, diese Klimaveränderungen möglichst gering zu halten.
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Herr Kollege Braun, mit den Fragen und mit den Antworten ist es so: Jeder macht es so, wie er es für richtig hält.
Die nächste Frage stellt der Kollege Matthias Miersch, SPD.
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– Dann müssten Sie sich wieder melden. Wir haben bisher die Regel, dass es keine Nachfragen gibt.
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Frau Bundesumweltministerin, dass das Kabinett sich heute ehrlich gemacht hat, denke ich, ist ein richtiger, aber auch zugleich ein trauriger Schritt vom Ergebnis her; denn einmal mehr wird deutlich, dass wir das Ziel 2020 so jedenfalls nicht erreichen werden.
Wir haben – davon haben Sie gesprochen – das Klimaschutzgesetz in den Koalitionsvertrag geschrieben. Ende 2019 wollen wir so weit sein. Ich nehme im Moment wahr, dass Sie unterwegs sind, aber die anderen Ressorts – namentlich der Bundeswirtschaftsminister und vor allen Dingen auch der Bundesverkehrsminister – in der Form eigentlich nicht hörbar sind.
Deswegen frage ich Sie: Wir haben jetzt von Ministeriumsseite die Einrichtung der Struktur- oder Kohlekommission. Wir haben aber auch eine Verkehrskommission im Koalitionsvertrag vorgesehen. Ist heute im Kabinett darüber gesprochen worden, diese Kommission endlich auch einzusetzen, oder sind Sie anderweitig im Gespräch? Wie ist da der Stand?
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, es ist sehr wichtig, dass alle Ressorts dazu beitragen, die Klimaschutzziele zu erreichen. Es ist eindeutig so, dass wir Sektorziele festgelegt haben und jedes Ressort zu diesen Sektorzielen jetzt auch beitragen muss. Es war heute im Kabinett nicht im Einzelnen Thema, aber es ist natürlich in unserem Klimaschutzbericht 2017 ein ganz zentrales Thema, welche Ziele die einzelnen Sektoren erreicht haben.
Gerade im Verkehrsbereich ist es so, dass wir von der Erreichung der Ziele noch sehr weit weg sind. Wir haben eher eine Zunahme des CO 2 -Ausstoßes. Deswegen ist auch dem Verkehrsminister vollkommen klar, dass in diesem Bereich etwas passieren muss, dass wir darauf hinwirken müssen, dass die CO 2 -Ausstöße dort geringer werden. Aber es war heute nicht ausdrücklich noch mal Thema, welche Kommissionen dafür auf den Weg gebracht werden.
Danke sehr. – Die nächste Frage hat der Kollege Dr. Lukas Köhler, FDP.
Vielen Dank. – Liebe Frau Ministerin, mein Punkt geht ein bisschen in eine ähnliche Richtung. Auf Seite 108 des Klimaschutzberichtes schreiben Sie – ich zitiere –:
Mit dem Aktionsprogramm Klimaschutz wurde auch beschlossen, für den Zeitraum nach 2020 die Minderung der Emissionen im Verkehrssektor ambitioniert fortzusetzen.
Mich würde interessieren, von welchen Minderungen Sie hier angesichts der von Ihnen gerade getätigten Aussage, aber auch im Vergleich zum Vorjahr sowie zu 1990 ausgehen; denn die Emissionen sind, wie Sie richtig sagen, gestiegen, und sie werden wohl weiter steigen.
Sollten Sie jetzt antworten, dass die Projektionen bis 2020 zeigen, dass wir irgendwelche Minderungen erreichen, dann würde mich interessieren, worauf das basiert und welche Grundlage Sie für Ihre Einschätzung haben.
Frau Bundesminister.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich habe eben schon mal deutlich gemacht, dass die einzelnen Sektorenziele durch die fachlich Verantwortlichen bearbeitet werden. Deswegen würde ich gerne kurz an das Verkehrsministerium abgeben.
Wer spricht für das Verkehrsministerium? – Herr Bilger, bitte sehr.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege, Klimaschutz spielt für uns im Verkehrsministerium natürlich eine sehr große Rolle. Wir leisten viele Beiträge dazu,
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insbesondere durch die Förderung der alternativen Antriebe. Auch die Elektromobilität will ich hier nennen, bei der wir auch wirklich vorankommen. Zum Beispiel hatten sich viele schon von dem Ziel, bis 2020 1 Million Elektrofahrzeuge auf unseren Straßen zu haben, verabschiedet mit der Begründung, es sei nicht mehr erreichbar.
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Mittlerweile ist selbst dieses Ziel in greifbare Nähe gerückt.
Wir haben im Klimaschutzplan der Bundesregierung aufgegeben bekommen, dass der Verkehr seine CO 2 -Emissionen bis 2030 um 40 bis 42 Prozent reduzieren muss. Wir arbeiten mit einem ganzen Maßnahmenbündel daran, unseren Beitrag als Verkehrsressort zu leisten.
Vielen Dank. – Die nächste Frage hat die Kollegin Dr. Anja Weisgerber, CDU/CSU.
Frau Ministerin, Sie haben den Prozess im Zusammenhang mit dem Klimaschutzplan angesprochen und auf die Beiträge verwiesen, die die verschiedenen Sektoren leisten müssen. Mich würde da noch mal der Zeitplan interessieren. Mich würde auch interessieren, was das Umweltministerium selbst, Ihr eigenes Ressort, an Maßnahmen vorschlägt, welche Vorarbeiten von Ihrer Seite diesbezüglich gemacht werden und wie Sie dann in Ihrem Haus diese Maßnahmen, die ja im nächsten Jahr in ein Artikelgesetz münden sollen, auch wieder zusammenführen.
Dann würde mich auch noch interessieren, wie Sie mit anderen Häusern beim Thema „Forschung und Entwicklung“ zusammenarbeiten. Wir brauchen die Umweltinnovationen in verschiedenen Ressorts. Wie werden die Mittel diesbezüglich eingesetzt? Wie begleiten Sie das vonseiten des Umweltministeriums?
Eine letzte Frage: Eine Maßnahme, die wir unbedingt benötigen, ist die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung. Sind Sie da im Austausch mit dem Finanzminister, dass ein entsprechender Vorschlag noch gemacht wird? Und wie ist da die Zusammenarbeit mit den Bundesländern? – Danke schön.
Frau Bundesministerin.
Sehr geehrte Frau Abgeordnete, der Plan sieht vor, dass wir bis Ende des Jahres Maßnahmen sammeln, dass wir dann miteinander prüfen, wie man das in Gesetzesvorhaben umsetzen kann, dass diese Gesetzesvorhaben gebündelt werden und als neues Klimaschutzgesetz in 2019 auf den Weg gebracht werden. Im Einzelnen läuft das so, dass die Minderungswirkung der einzelnen Maßnahmen sehr genau bewertet werden wird. Das federführende Ressort wird also jeweils ein Impact Assessment machen, also sehr genau abschätzen: Welche Folgen hat die Maßnahme, die von dem einzelnen Ressort vorgeschlagen wird? Wir stellen dann sicher, dass die Maßnahmenwirkung nicht überschätzt wird und dass natürlich das Ziel in Summe durch alle Maßnahmen erreicht wird.
Für die einzelnen Sektoren ist jeweils das einzelne Haus zuständig, also das Verkehrsministerium, das Bauministerium, das Landwirtschaftsministerium. Wir werden das als Umweltministerium zusammenführen und eben darauf achten, dass die Ziele, die wir uns gesetzt haben, dann auch wirklich eingehalten werden.
Mit Blick auf die Uhr, glaube ich, kann ich die restlichen Fragen nicht mehr beantworten; das war ja ein Bündel an Fragen. Aber ich kann gerne gleich in einer weiteren Runde darauf eingehen.
Vielen Dank, Frau Bundesministerin. – Die nächste Frage stellt der Kollege Lorenz Gösta Beutin, Fraktion Die Linke.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, vor dem Hintergrund Ihrer Schilderung muss man ja konstatieren, dass dieser Klimaschutzbericht ein Dokument des klimapolitischen Versagens dieser Bundesregierung ist. Nun hat Herr Altmaier im Wirtschaftsausschuss gesagt, wenn wir ihn ständig als klimapolitischen Bremser bezeichnen würden, dann würde er sich liebend gerne auch zum Bremser machen. Ich konstatiere, dass das ironisch gemeint war. Aber tatsächlich ist es so, dass sich Herr Altmaier in den Trilogverhandlungen starkmacht für ein wesentlich weniger ambitioniertes Ziel, nämlich 30 Prozent erneuerbare Energien, als es das EU-Parlament nennt. Herr Flasbarth, Ihr Staatssekretär, hat gesagt, das Bundesumweltministerium sei da nicht einbezogen worden. Ist das Ihrer Kenntnis nach auch so? Und wie bewerten Sie es, dass sich Herr Altmaier für die 30 Prozent und nicht für die 35 Prozent starkmacht?
Frau Bundesminister.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wir haben im Klimaschutz wirklich große Herausforderungen. Vor dem Hintergrund, dass wir gleichzeitig ein Wirtschaftswachstum hatten – was ja eher erfreulich ist –, dass sich das Verhalten der Menschen verändert hat, dass heute viel stärker online bestellt wird und ganz andere Lieferverkehre Realität sind und dass wir eine wachsende Gesellschaft sind, was eigentlich auch etwas Positives ist, bin ich sehr froh, dass es uns mit den Maßnahmen gelungen ist, wenigstens das Klimaschutzziel bis auf 8 Prozentpunkte zu erreichen.
Ja, wir haben noch einen ambitionierten Weg vor uns. Aber diese Regierung ist sich vollkommen klar darüber, dass wir diesen Weg gemeinsam gehen wollen. Der Koalitionsvertrag ist völlig eindeutig. Die Klimaziele von Paris werden von uns erreicht werden. Wir werden da gemeinsam nach vorne gehen.
Ja, auch ich höre das ein oder andere Gerücht. Die Abstimmung innerhalb der Regierung ist aber eindeutig. Wir wollen nicht nur Ziele festlegen, sondern wir wollen auch auf der europäischen Ebene benennen, wie wir diese Ziele erreichen können. Nicht jeder Bericht, der dazu in den Medien war, ist voll und ganz zutreffend.
Danke sehr. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Lisa Badum, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Ministerin, ich kann nicht verstehen, dass Sie so gelassen bleiben; denn Sie haben hier wirklich eine Bankrotterklärung für den Klimaschutz vorgetragen. Wir schauen in das Auge des Orkans der Klimakatastrophe. Sie wollen bis 2030 auf 542 Millionen Tonnen CO 2 -Ausstoß kommen; momentan liegen wir bei 906 Millionen Tonnen. Jetzt würde ich gerne wissen, welche Maßnahmen Sie konkret planen, um dieses Ziel noch zu erreichen.
Ich bitte Sie, in Ihrer Antwort nicht auf Bevölkerungsentwicklung, Wirtschaftswachstum, Kommissionen, die irgendwann mal Ergebnisse vorlegen werden, Maßnahmenpakete oder Gesetze zu verweisen; ansonsten hätte ich wirklich das Gefühl, dass Sie meine Frage ausweichend beantworten. Bitte nennen Sie uns stattdessen konkrete Maßnahmen; denn wir haben keine Zeit mehr.
Frau Bundesministerin.
Frau Abgeordnete, das ist keine Bankrotterklärung, sondern dieser Bericht zeigt sehr deutlich, was wir im Bereich des Klimaschutzes schon erreicht haben. Er macht aber auch deutlich, dass wir noch mehr erreichen müssen. Deswegen haben wir Ziele für die Sektoren festgelegt und werden jetzt ein Klimaschutzgesetz auf den Weg bringen.
Die ersten Maßnahmen sind schon ergriffen. Wir haben eine Strukturwandelkommission ins Leben gerufen, die noch vor den Sommerferien ihre Arbeit aufnehmen wird. Diese Kommission wird ganz klare Ziele für den Ausstieg aus der Kohleverstromung festlegen. Das ist etwas Historisches, was wir in der Bundesrepublik in der Form bisher noch nicht hatten. Die Kommission wird aufzeigen, wie, auf welchem Weg und in welchen Schritten man aus der Kohleverstromung aussteigt. Sie soll außerdem beschreiben, wie wir durch die Maßnahmen, die wir in der Diskussion über den Kohleausstieg miteinander vereinbaren, unserem 2020-Ziel noch näher kommen können. Das sind aus diesem einen Bereich heraus schon ganz konkrete Maßnahmen.
Es werden weitere Maßnahmen im Verkehrsbereich folgen. Wir wollen bei der Gebäudesanierung vorankommen. In den einzelnen Bereichen sind jeweils Maßnahmen vorgesehen.
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Ich weiche Ihrer Frage auf gar keinen Fall aus. Uns ist sehr klar, was wir als Industrienation da für eine Verantwortung haben.
Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt der Kollege Karsten Hilse, AfD.
Frau Ministerin, wir als AfD gehen ja davon aus, dass der menschengemachte Anteil an der Temperaturerhöhung, die wir seit der Kleinen Eiszeit erlebt haben, so marginal ist, dass er nicht gemessen werden kann.
Der Klimaschutzbericht zeigt, dass die sogenannten Klimaschutzziele weit verfehlt werden. Die CO 2 -Emissionen bleiben seit 2008 in einem Schwankungsbereich von circa plus/minus 2,3 Prozent etwa gleich. Im selben Zeitraum haben wir aber eine Erhöhung der Stromkosten um 50 Prozent für den Endverbraucher erlebt. Wir wissen alle, dass sich, wenn wir der Ideologie – das tun Sie ja – des IPCC folgen und komplett auf fossile Brennstoffe verzichten würden, die wie auch immer geartete Erdmitteltemperatur um 0,00065 Grad Celsius verringern würde. Wie erklären Sie den Abgabepflichtigen, dass sie für diesen wahnwitzig geringen Wert eine Erhöhung ihrer Stromkosten um 50 Prozent, eine Verspargelung ihrer Kulturlandschaften und Gesundheitsschäden durch Infraschall in der Nähe von Windkraftanlagen akzeptieren müssen?
Frau Bundesministerin.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich weise hier erst einmal deutlich zurück, dass Forscherinnen und Forscher des IPCC ideologiegeleitete Menschen seien. Es sind Forscherinnen und Forscher, die ganz im Sinne der Wissenschaft ihre Forschungen betreiben. Das ist keine Ideologie.
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Die Forschung ist sich vielmehr einig, dass wir einen Klimawandel haben und dass wir etwas gegen diesen Klimawandel unternehmen müssen. Auch die große Mehrheit in der Bevölkerung ist übrigens der gleichen Meinung, dass sich was verändert. Man kann doch zu dem, was man erlebt hat, wenn man am vergangenen Wochenende in der Eifel unterwegs war, nicht sagen, dass es einfach nur Wetterereignisse waren. Das sind vielmehr Wirkungen von Klimaveränderungen, die wir da erleben, das sind Ereignisse, die gehäuft auftreten.
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Deswegen ist es wichtig, dass wir an der Stelle was voranbringen.
Die Frage der Energiekosten haben wir sehr wohl im Blick. Wir wissen, dass wir das Energiesystem verändern müssen, dass wir es nachhaltiger gestalten müssen. Wir achten auch darauf, dass das sozialverträglich ist. Nachhaltigkeit bedeutet immer, dass wir wirtschaftliche, ökologische und soziale Nachhaltigkeit nach vorne bringen.
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Danke sehr. – Jetzt hat die Kollegin Dr. Anja Weisgerber noch einmal eine Frage.
Sehr geehrte Frau Ministerin, ich würde gerne noch mal auf meine letzte Frage aus der ersten Runde zurückkommen. Sie haben gerade angesprochen, dass wir im Bereich der Gebäudesanierung noch viel machen müssen. Eine sehr konkrete Maßnahme, die wirklich ein Anreizinstrument darstellen würde, ist die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung, die vonseiten des Finanzministers angestoßen werden müsste. Wir müssten dann zusammen mit den Bundesländern eine Vorlage erarbeiten, die mehrheitsfähig ist. Da würde mich interessieren, wie Sie dieses Instrument, das das Vorzeigeinstrument ist, als Klimaministerin voranbringen wollen.
Frau Bundesministerin.
Sehr geehrte Frau Abgeordnete, dass wir im Gebäudebestand natürlich weiter nach vorne kommen müssen, dass wir dort Sanierungen voranbringen müssen, ist vollkommen klar. Es reicht nicht, nur im Neubau die besten Standards zu haben, sondern wir brauchen auch im Bestand weitere Vorgehensweisen. Wir, der Bauminister, der Finanzminister und ich, werden gemeinsam ein Paket nach vorne bringen. Der Koalitionsvertrag ist eindeutig. In welchen Schritten wir das jetzt angehen, müssen wir gemeinsam miteinander klären. Vielleicht möchte ein Vertreter aus dem Bau- oder Finanzministerium dazu Stellung nehmen?
Das ist Sache der Bundesregierung,
Genau.
– wie sie die Fragen beantwortet.
Kein Problem. – Es ist eine gemeinsame Initiative, die wir da vorhaben. Wir werden die richtigen Schritte einleiten. Das wird sich in dem Gesamtpaket dann auch wiederfinden.
Die gesamte hier versammelte Bundesregierung ist offenbar hinter Ihrer Aussage fest vereint. – Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Lukas Köhler, FDP.
Frau Ministerin, vielen lieben Dank und auch vielen lieben Dank an den Kollegen aus dem Verkehrsministerium, der gerade sehr blumig ein Maßnahmenpaket, das umgesetzt werden soll, genannt hat, ohne in irgendeiner Weise auf meine Frage zu antworten.
Lassen Sie mich ein bisschen konkreter werden. Es liegt ja auch in Ihrem Interesse, dass Klimaschutz sektorübergreifend funktioniert – das haben Sie mehrfach gesagt –, und ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie daran gemeinsam arbeitet und dass Sie mir dazu ein bisschen was sagen können. Im Verkehrsbereich würde mich interessieren, wie denn dieses umschriebene Maßnahmenpaket mit dem Rebound-Effekt umgeht, den wir jetzt gerade sehen und von dem Sie – das zeigen die von Ihnen vorgelegten Zahlen, die desaströs sind – extrem betroffen sind. Wie wollen Sie verhindern, dass der Rebound-Effekt genau zur gleichen Situation wie heute führt und wir auch in zehn Jahren hier stehen und diese Debatte noch mal führen?
Frau Bundesministerin.
Ich glaube, das Verkehrsministerium möchte direkt antworten.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Bilger, mögen Sie? – Bitte sehr.
Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Kollege, natürlich bin ich nicht der Meinung, dass ich in der einen Minute, die mir zur Verfügung stand, „blumig“ auf Ihre Frage geantwortet hätte. Es ist vielleicht der falsche Moment, eine Fragestunde – im Hinblick auf die kurze Antwortzeit – nutzen zu wollen, um hier das ganze Konzept des Verkehrsministeriums in Sachen Klimaschutz zu hinterfragen. Das können wir gerne mal intensivieren. Sie können es auch in den Unterlagen, die die Bundesregierung vorgelegt hat, nachlesen. Wir als Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur sind ambitioniert.
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Uns geht es darum, dass wir eine Klimaschutzpolitik machen, die die Klimaschutzziele erreicht, die aber auch berücksichtigt, dass es um Arbeitsplätze geht, dass es um Menschen geht, die von A nach B kommen müssen. Wir wollen Mobilität ermöglichen, und das soll nachhaltiger passieren.
Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt der Kollege Lorenz Gösta Beutin, Fraktion Die Linke.
Frau Ministerin, nehmen Sie erstens zur Kenntnis, dass angesichts von 60 000 Elektroautos in 2018 die These des Kollegen aus dem Wirtschaftsministerium, das Ziel von 1 Million Elektroautos 2020 sei in greifbare Nähe gerückt, tatsächlich absurd ist?
Zweitens. Sie sagen immer wieder, dass Bevölkerungswachstum und Wirtschaftswachstum dafür verantwortlich sind, dass die Bundesregierung das Ziel nicht erreicht. Tatsächlich ist aus unserer Sicht politisches Versagen dafür verantwortlich; denn Sie müssten aus unserer Sicht auch zur Kenntnis nehmen – das ist meine Frage –, dass tatsächlich die größten Einsparungen im Vergleich zu 2011 bei den privaten Haushalten, im Handel und im Dienstleistungssektor stattgefunden haben. Verfehlt wird das Ziel in der Energiewirtschaft und im Verkehrssektor. Da liegen die Probleme.
Frau Bundesministerin.
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wir haben hier sehr transparent gemacht, was unsere Ziele sind und wie weit die Abweichungen sind. Ja, im Verkehrsbereich haben wir ein Problem. Wir sind noch nicht da, wohin wir kommen wollen. Deswegen haben wir uns einen klaren Fahrplan gegeben, was wir in dieser Legislaturperiode erreichen wollen. Die Ziele sind eindeutig festgelegt in dem Klimaschutzplan, den wir in der letzten Legislatur beschlossen haben. Wir werden das jetzt mit Maßnahmen untersetzen. Das ist vollkommen klar. Das ist dem Verkehrsministerium klar; das ist aber auch der gesamten Bundesregierung klar.
Dass das nicht einfach ist und dass ein steiniger Weg vor uns liegt, ist wahr. Der Weg muss über mehr Elektrifizierung führen. Wir müssen zum Beispiel in Übergangsphasen auf mehr Hybridantriebe und – ehrlicherweise – auch auf mehr saubere Dieselmotoren setzen. Die Kampagne, die im Moment gegen den Diesel läuft, ist keine, die ich aus Sicht des Umweltschutzes begrüßen würde. Vielmehr brauchen wir in der Übergangsphase neben der Hybridisierung und Elektrifizierung auch den saubereren Diesel, also den neuen Dieselmotor mit Euro-6d-Norm, der wirklich niedrigere Realemissionen hat, um die Verkehrswende erreichen zu können.
Danke sehr. – Die nächste Frage hat die Kollegin Julia Verlinden, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben über ein Thema jetzt noch nicht gesprochen, das leider heute nicht Teil der Kabinettssitzung war, aber genauso zu Ihrem Klimaschutzbericht dazugehört. Es handelt sich um die Frage, inwiefern Sie den verstärkten Ausbau von erneuerbaren Energien jetzt forcieren wollen. Das steht in Ihrem Koalitionsvertrag. Darin stehen Sonderausschreibungen für Wind- und Sonnenenergie, mit Gigawattzahlen hinterlegt.
Diese Sonderausschreibungen hätten dringend vor dieser Sommerpause im Kabinett und vor allen Dingen auch im Parlament beschlossen werden müssen, um die Energiewende entsprechend voranzubringen und um Ihr eigenes Ziel, nämlich 65 Prozent erneuerbare Energien bis 2030 im Stromsektor, erreichen zu können. Wo bleibt dieses Gesetz mit den Sonderausschreibungen? Wann können wir damit rechnen? Können wir überhaupt noch damit rechnen? Woran hakt es? Warum haben Sie das heute nicht beraten können? Wir unterstützen Sie gerne darin. Es wird Zeit.
Frau Bundesministerin.
Sehr geehrte Frau Abgeordnete, herzlichen Dank für diese Frage. – Der Koalitionsvertrag und die Vereinbarung zwischen den Parteien sind da vollkommen klar. Wir wollen die erneuerbaren Energien nach vorne bringen. Gerade die Sonderausschreibungen sind ein wichtiger Beitrag dazu. Da das ein Gesetz des Wirtschaftsministeriums ist, würde ich darum bitten, dass das Wirtschaftsministerium weiter antwortet.
Wer mag für das Wirtschaftsministerium antworten? – Keiner.
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Ich glaube, wir rufen mal die nächste Frage auf.
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– Frau Bundesministerin, mögen Sie noch antworten, oder mögen Sie nicht?
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Das ist ein Gesetz aus dem Bereich des Wirtschaftsministeriums. Das Wirtschaftsministerium ist gerade dabei, es auf den Weg zu bringen. Ich gehe davon aus, dass dieses Gesetz so schnell wie möglich kommt, weil es im Koalitionsvertrag sehr klar vereinbart ist. Deswegen wird es sicherlich sehr schnell auf den Weg gebracht werden.
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Danke sehr. – Ich will daran erinnern, dass es der Deutsche Bundestag war, der darauf bestanden hat, dass bei der Regierungsbefragung immer Kabinettsmitglieder berichten und die Fragen beantworten. Deswegen muss ich die Parlamentarischen Staatssekretäre ein bisschen in Schutz nehmen. Aber das ist nur ein Akt der Fürsorge eines altgedienten Parlamentariers.
Die nächste Frage hat der Kollege Dr. Rainer Kraft, AfD.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Frau Ministerin, für die Schilderung Ihrer Vorhaben und Ihrer Anstrengungen, die Sie unternehmen wollen, um die Klimaziele zu erreichen.
Nun wissen wir seit letztem Herbst, dass der CO 2 -Wert global weder stagniert noch rückläufig ist, sondern ansteigt. Das heißt, er ist nicht im Geringsten von den Anstrengungen – nicht nur der Deutschen, sondern auch der Welt –, den CO 2 -Wert zu reduzieren, beeindruckt.
Da kann man zwei verschiedene Deutungen vornehmen. Zum einen kann man das dahin gehend deuten, dass das Instrumentarium vollkommen unzureichend ist, um das Ziel zu erreichen. Das heißt, dass sämtliche Anstrengungen global von anderen Effekten überlagert werden und die menschlichen Anstrengungen vollkommen ins Leere laufen.
Die andere Erklärung wäre, dass die Anstrengungen noch nicht ambitioniert genug sind und man die eigenen Ambitionen verfünfzigen, verhundertfachen oder verzweihundertfachen müsste und damit eben auch die Kosten in die Höhe treiben würde. In welche Richtung, glauben Sie, wird es sich entwickeln müssen, damit der CO 2 -Wert auf die sehr, sehr teuren Bemühungen, die den Steuerzahler belasten, reagiert?
Frau Bundesministerin.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sind nicht nur dadurch belastet, dass wir etwas dagegen tun, damit der Klimawandel nicht weiter voranschreitet. Vielmehr sind sie auch durch die Folgen, die wir doch jetzt schon sehen, belastet. Deswegen müssen wir engagierter gegen das vorgehen, was wir als globale Erwärmung beschreiben. Ja, wir haben unsere Ziele noch nicht erreicht; die Erderwärmung ist noch nicht gestoppt. Deswegen müssen wir das sehr ambitioniert angehen, um voranzukommen. Das ist eine Verantwortung, die wir für Kinder und Enkelkinder haben; das ist eine Verantwortung, die wir international haben.
Wir sind hier eine Industrienation. Unser Anspruch war doch immer, dass wir die innovativsten Lösungen haben, die wir dann in die Welt hinein exportieren können. Die Wirtschaft ist da sehr weit vorne, und ich bin ganz zuversichtlich, dass wir es mit dem Know-how, das wir hier in Deutschland haben, schaffen werden, auch in der Frage des Klimaschutzes die innovativsten Lösungen zu haben, die besten Autos zu bauen, die dann international nachgefragt werden, die besten Energieanlagen zu haben, die besten Filtertechniken. Wir müssen, glaube ich, zeigen, wie das geht. Wenn das eine Industrienation wie Deutschland nicht kann, wer soll denn das dann können? Und ich glaube, diese internationale Verantwortung ist uns sehr bewusst. Wir sind diejenigen, die wirklich sehr stark exportieren, und diese Vorreiterrolle werden wir halten.
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Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Lukas Köhler, FDP.
Vielen herzlichen Dank – diesmal nicht mehr in Richtung Verkehrsministerium; denn da haben wir die Sprachlosigkeit ja jetzt bemerkt.
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Jetzt meine Frage. Sie schreiben auf Seite 40 zu Recht, die Voraussetzung, dass Minderungspotenziale, die jeweils dort umgesetzt werden, wo diese am kostengünstigsten sind, insbesondere der Emissionshandel bilde. Dann führen Sie aus – das haben Sie eben gesagt –: Zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen fokussierten allerdings nicht, vor allen Dingen außerhalb des ETS, die Minimierung der Klimaschutzkosten. Da die Frage der CO 2 -Einsparung hier aber ganz wichtig ist und Sie herausgestellt haben, dass Wirtschaftswachstum auch eine Rolle spielt, wäre die Frage: Würden Sie dann durch zusätzliche Maßnahmen auch Wachstumseinbußen in Kauf nehmen?
Frau Bundesministerin.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, der ETS-Handel, den Sie ansprechen, ist ein sehr wichtiger Bereich. Wir sehen, dass die Preise dort im Moment ansteigen, dass dieser Marktmechanismus offensichtlich funktioniert, und wir haben gerade im Energiesektor, der ETS-gebunden ist, eine deutliche Reduktion des CO 2 -Ausstoßes. Insofern ist das ein sehr sinnvolles Instrument. Ich bin aber durchaus bereit – das habe ich hier ja auch deutlich gemacht –, über weitere CO 2 -Bepreisungen zu reden, weil ich glaube, dass das eben auf Strecke auch ein Anreiz sein könnte, da weiterzukommen. Also: Wir haben da ambitionierte Ziele, wir kommen da weiter voran. Dass wir hier, in diesem Bericht, sehr offen darlegen, wo es noch hakt, gehört – das ist doch klar – zu einer Demokratie dazu.
Bezüglich Ihrer Frage, ob das auf Kosten des Wirtschaftswachstums geht, würde ich einen Blick in den letzten GreenTech-Report empfehlen. Dort konnten wir zeigen, dass gerade in der GreenTech-Branche die Wachstumsraten enorm sind, und das ist ein ganz wichtiger Bereich. Da geht es darum, wie wir das Bauen von morgen organisieren. In diesem Bereich haben wir inzwischen die meisten Start-ups, die meisten Neugründungen. Da geht es darum, wie wir moderne Filtertechniken nach vorne bringen, wie Antriebstechniken funktionieren. Das modernste Kreuzfahrtschiff ist eine deutsche Entwicklung. Das haben wir hier mit unserer Ingenieurskunst nach vorne gebracht. Also: GreenTech-Wachstum, was sich in diesen Bereichen entwickelt, ist sehr positiv und wird von uns natürlich unterstützt.
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Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Hubertus Zdebel, Fraktion Die Linke.
Danke, Herr Präsident. – Frau Ministerin, ich wollte noch mal konkret nachfragen zu der unabhängigen Expertenkommission zum Fracking-Gesetz. Diese Kommission sollte ja bis Mitte dieses Jahres ihren ersten Bericht vorlegen bezüglich weiterer Erprobungsmaßnahmen im Bereich von Fracking in bestimmten Gesteinsschichten, wie es im Gesetz vorgeschrieben ist. Jetzt haben wir fast Mitte des Jahres, und ich habe festgestellt, dass der Bundesrat in der vergangenen Woche schon zwei Mitglieder dieser unabhängigen Expertenkommission benannt hat.
Wie sieht es mit der Bundesregierung aus? Sie könnten oder müssten ja jetzt noch vier Mitglieder für diese Kommission benennen, und zwar möglichst schnell, damit es überhaupt noch zu schaffen ist, innerhalb der nächsten zwei Wochen einen ersten Bericht vorlegen zu können, wie es im Gesetz vorgeschrieben ist. Deswegen meine konkrete Nachfrage: Wann werden Sie diese vier Mitglieder benennen, und könnten Sie, wenn Sie es schon wissen, mitteilen, welche Mitglieder die Bundesregierung für diese Kommission benennen wird?
Frau Bundesministerin.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, die Beantwortung dieser Frage muss ich Ihnen leider nachliefern. – Ich höre, wir können es doch schon jetzt klären. Der Vertreter des Forschungsministeriums kann die Frage beantworten.
Herr Staatssekretär Meister.
Wenn mir der Herr Präsident die Antwort gestattet?
Er gestattet.
Dann darf ich antworten. – Die Bundesregierung hat von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe Herrn Professor Dr. Thomas Himmelsbach, vom Umweltbundesamt Frau Dr. Lilian Busse, vom Helmholtz- Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum Frau Professor Dr. Charlotte Krawczyk und vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Herrn Professor Dr. Holger Weiß zu Mitgliedern der unabhängigen Expertenkommission nach § 13a Absatz 6 Wasserhaushaltsgesetz bestellt. Der Bundesrat hat beschlossen, Frau Angelika Seidemann vom Landesamt für Bergbau, Geologie und Rohstoffe in Brandenburg und Frau Sabine Rosenbaum vom Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume in Schleswig-Holstein als Mitglieder der unabhängigen Expertenkommission zu benennen.
Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt der Kollege Toni Hofreiter, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Ministerin, erst einmal vorab: Sie haben in Ihrem Bericht selbst eingestanden, dass Sie das 40-Prozent-Ziel um 8 Prozentpunkte verfehlen. 8 Prozentpunkte klingen immer so harmlos, aber de facto ist es eine Verfehlung um ein Fünftel, weil Sie am Ende bloß eine Minderung von 32 Prozent erreichen. Deshalb ist es dringend notwendig, dass Sie handeln.
Ich habe die Bitte, dass Sie die Fragen selbst beantworten. Bis jetzt macht es den Eindruck, dass Sie sich herausreden wollen, sobald es um konkrete Maßnahmen geht, und sich auf andere Ministerien berufen, die entweder nicht antworten können oder wollen. Deshalb meine Frage an Sie: Was haben Sie unternommen, damit die Sonderausschreibungen, die im Koalitionsvertrag verankert sind, wirklich kommen? Was haben Sie unternommen, dass im Verkehrsministerium der Klimaschutz vorangeht, dass zum Beispiel dafür gesorgt wird, dass wir mehr Nullemissionsfahrzeuge auf die Straßen bekommen? Bis jetzt ist in diesen Häusern eher das Gegenteil passiert.
Frau Bundesministerin.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat ein anderes Verständnis davon, wie man mit dem Klimaschutz umgeht. Es ist nicht die Aufgabe der Umweltministerin allein, sondern es ist eine Querschnittsaufgabe, die in allen Bereichen geleistet werden muss.
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Dafür ist die Aufgabe zu groß, um sie nur in einem Ministerium zu erledigen.
Natürlich sind die Sonderausschreibungen, die wir auf den Weg bringen wollen, ein ganz wichtiger Beitrag, um unser Ziel für die erneuerbaren Energien zu erreichen. Deshalb wird der Wirtschaftsminister das auch auf den Weg bringen und dann hier im Bundestag vorstellen. Da bin ich mir ganz sicher.
Auch im Verkehrsbereich ist es so, dass wir uns der Verantwortung, die Deutschland hat, sehr bewusst sind. Ich unterstütze den Verkehrsminister dabei, ambitionierte CO 2 -Ziele auch für diesen Sektor nach vorne zu bringen. Genauso unterstütze ich den Bauminister darin, den Gebäudebestand nach vorne zu bringen. Auch die Landwirtschaftsministerin unterstütze ich, dass sie bei der Landwirtschaft die CO 2 -Minderungspotenziale wirklich nutzt.
Das ist eine gemeinsame Aufgabe, die wir haben. Ich werde das am Ende alles zusammentragen. Wir werden es bewerten, damit die Gesamtsumme dann wirklich stimmt. Aber es ist nicht die Aufgabe einer einzelnen Ministerin, sondern es ist eine Aufgabe, die sich die gesamte Regierung vorgenommen hat.
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Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Dr. Ingrid Nestle, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Ministerin, Sie haben mehrmals über die Verkehrsemissionen gesprochen, die vom Straßenverkehr dominiert werden. Es gibt bisher im Wesentlichen zwei Methoden, die Emissionen zu reduzieren: Entweder gibt es effizientere Fahrzeuge – das kann die Autoindustrie machen –, oder die Menschen fahren weniger oder langsamer. Für den ersten Teil – effizientere Fahrzeuge und die Verantwortung der Industrie – gibt es ein Instrument, das derzeit auf EU-Ebene novelliert wird. Das sind die Flottengrenzwerte. Wenn der Vorschlag der Kommission umgesetzt wird, dann bleibt danach eine Lücke von 45 Millionen Tonnen im Verkehrsbereich. Wenn man die Autofahrerkosten verdoppelt, weil man kein Verbot haben will, dann schließt man damit gerade einmal die Hälfte der Lücke, den Rest muss man mit anderen Maßnahmen ausfüllen.
Meine Frage: Sehen Sie das auch so, dass es nur die beiden Bereiche gibt und man letztlich eine Verdopplung der Autofahrerkosten braucht? Oder haben Sie einen Joker in der Tasche und, wenn ja, welchen? Spielt das eine Rolle in den Gesprächen mit Ihren Kollegen? Wie würden Sie reagieren, wenn wir, vorausgesetzt, dass nach der EU-Einigung nichts wesentlich Besseres herauskommt, plakatieren würden: „Die Bundesregierung hat soeben akzeptiert, dass eine Verdopplung der Autofahrerkosten notwendig wird“?
Frau Bundesministerin.
Sehr geehrte Frau Abgeordnete, ich glaube nicht, dass das auf eine Verdopplung der Kosten für die Autofahrerinnen und Autofahrer hinausläuft, sondern dass es intelligentere Konzepte geben muss. Das eine ist – und das ist wirklich wichtig –, dass die Autos insgesamt sauberer werden, dass sie weniger CO 2 ausstoßen. Und deswegen stimmt es: Die CO 2 -Flottengrenzwerte, die wir im Moment auf der europäischen Ebene verhandeln, sind ein wichtiger Punkt. Die Bundesregierung ist da noch in der internen Abstimmung einer gemeinsamen Position.
Es ist natürlich sehr wichtig, dass wir europaweit wirklich ambitionierte Ziele haben; denn alles, was wir nicht europaweit und gemeinsam für alle Automobilhersteller auf den Weg bringen, müssen wir national lösen.
National können wir uns aber Wege über intelligentere Mobilitätskonzepte vorstellen, eine intelligentere Art und Weise des Funktionierens zum Beispiel der Lieferverkehre. Das Bundesumweltministerium hat gerade erst vor kurzem ein neues Projekt hier in Berlin, ein Modell auf den Weg gebracht, bei dem es darum geht, die letzte Meile in den Lieferverkehren mit Transportlasträdern zu realisieren. Das ist ein sehr innovatives Projekt, das wir sehr genau auswerten werden, um eben zu sehen: Inwiefern können wir damit zu einer CO 2 -Reduktion beitragen? Wir wollen da also nicht nur CO 2 -Flottengrenzwerte, eine stärkere Elektrifizierung und sauberere Autos, sondern eben auch intelligentere Mobilitätskonzepte auf den Weg bringen.
Danke sehr. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben noch vier Fragen zum Thema Klimaschutzbericht. Die würde ich auch gerne noch alle aufrufen. Das heißt, dass wir für sonstige Fragen – da ist der Andrang heute nicht ganz so groß – weniger Zeit zur Verfügung haben. Ich wollte es nur bei der Gelegenheit sagen.
Jetzt hat die nächste Frage der Kollege Steffen Kotré, AfD. Bitte sehr.
Frau Ministerin, ich möchte gern noch mal an meine Eingangsfrage anknüpfen. Natürlich empfinden wir, dass sich die Temperatur erhöht, und natürlich empfinden viele Menschen, dass sich das Klima ändern könnte. Das war aber nicht die Frage. Die Frage war: Liegt der Bundesregierung ein wissenschaftlicher Beweis dafür vor, dass der menschengemachte CO 2 -Ausstoß für die Temperaturerhöhung ursächlich ist? – Mir reicht ein klares Ja oder Nein.
Frau Bundesministerin.
Herr Abgeordneter, die Forschungsseite ist da vollkommen eindeutig: Wir haben einen Klimawandel, und wir müssen jetzt etwas dagegen tun. – Es ist nicht die Frage, wie ich einzelne Forschungsberichte einschätze.
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Der Mensch hat diesen Klimawandel mitverursacht – Sie können das in x wissenschaftlichen Studien nachlesen –, und deswegen muss man jetzt dagegen vorgehen. Mit dem Klimaschutzbericht belegen wir, dass wir da noch mehr tun müssen.
Ich halte es absolut für den richtigen Weg, sich an die Veränderungen, die da kommen, anzupassen und gleichzeitig zu schauen, dass wir mögliche weitere Veränderungen so weit wie möglich eingrenzen. Die 2 Grad, die wir als Grenze für die Zunahme der Erderwärmung im Moment anstreben, sind eigentlich viel zu hoch, wenn Sie sich ansehen, welche Folgen sie haben wird.
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Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Lorenz Gösta Beutin, Fraktion Die Linke.
Frau Ministerin, ich finde, Sie haben allen Respekt dafür verdient, dass Sie, ähnlich wie die Bundeskanzlerin, relativ gut im Nichtbeantworten von Fragen sind. Deswegen will ich an dieser Stelle noch mal nachhaken.
Ihre These war, dass Bevölkerungswachstum und Wirtschaftswachstum für das Nichterreichen der Klimaziele 2020 verantwortlich sind. Tatsächlich haben Sie 2011 eine Prognose vorgelegt. Wenn man diese Prognose für die einzelnen Sektoren von 2011 mit den nicht zu erreichenden Klimazielen 2020 vergleicht, geht daraus hervor, dass vordringlich der Energiesektor und der Verkehrssektor für das Nichterreichen verantwortlich sind, dass aber Einsparungen bei den privaten Haushalten und bei Handel und Dienstleistungen erfolgt sind. Deshalb: Würden Sie Ihre These aufrechterhalten, und woran machen Sie sie fest?
Frau Bundesministerin.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich beantworte hier natürlich alle Fragen gerne und weiche ihnen auch nicht aus.
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Der Bericht ist da sehr klar: Wir haben einfach ein stärkeres Bevölkerungswachstum zu verzeichnen, wir haben gestiegene Verkehre – da ist noch viel zu wenig passiert –, und wir haben ein Wirtschaftswachstum. Das sind die Faktoren, die maßgeblich mit dazu führen, dass wir die Ziele nicht erreichen. Hinzu kommt, dass die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, einfach nicht so wirken, wie wir uns das gewünscht haben. Eine ganze Reihe von Maßnahmen sind sehr erfolgreich; denn ansonsten läge die Abweichung bei 12 Prozent. Aber man sieht ganz genau, dass die Maßnahmen nicht so gegriffen haben und dass wir da noch ambitioniert rangehen müssen. Das werden wir mit dem Klimaschutzgesetz tun.
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Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt der Kollege Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Ministerin, ehrlich gesagt, das Klimaziel 2020 wird nicht etwa knapp, sondern krachend verfehlt. Jetzt höre ich zum wiederholten Male, dass Sie das hier schönreden und sagen, dass es noch viel schlimmer hätte kommen können und dass das Wirtschaftswachstum daran schuld ist. Wenn es Ihnen ehrlich darum ginge, das Klimaschutzziel 2030 zu erreichen, dann würden Sie hier zugeben, dass die Bilanz katastrophal ist. Das tun Sie aber nicht, und es lässt mich befürchten, dass auch das Klimaschutzziel 2030 nicht ehrlich angepackt wird, wenn das jetzige Scheitern schöngeredet wird.
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Ich komme zu meiner Frage. Sie haben eben gesagt: Eine Kampagne gegen den Diesel würde der Umwelt nichts nützen. – Ich möchte Sie fragen: Welche Kampagne gegen den Diesel meinen Sie? Ich kenne nur eine einzige Kampagne, und das ist die Kampagne der Automobilindustrie selber, die durch Tricksen und Betrügen – es gibt wieder aktuelle Fälle – das Vertrauen in diese Technologie restlos zerstört hat.
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Frau Bundesministerin.
Herr Abgeordneter, zu Ihrer ersten Bemerkung: Wir reden hier gar nichts schön. Wir als Bundesregierung haben sehr deutlich offengelegt, wie die Faktenlage ist. Ich habe von Anfang an sehr deutlich gemacht, dass ich überhaupt nicht damit zufrieden bin und dass wir etwas tun werden. Wir reden nichts schön, sondern wir sagen sehr klar, wie die Faktenlage ist und dass wir in diesem Bereich etwas tun wollen.
Beim Diesel haben wir ein riesiges Problem mit den NO X -Ausstößen. Ich habe auch öffentlich sehr deutlich gemacht, wie ich das Vorgehen der Automobilindustrie finde. Es hilft am Ende des Tages nur alles nichts: Wir werden den Diesel im Übergang brauchen. Ich möchte, dass es sauberere Diesel gibt, dass Softwarenachrüstungen durchgeführt werden und dass man dort, wo es möglich ist, auch Hardwarenachrüstungen nach vorne bringt; denn ich bin davon überzeugt, dass wir diese Technik im Übergang brauchen. Das sage ich immer wieder; das halte ich für den richtigen Weg. Wir werden nicht so schnell 100 Prozent Hybrid oder 100 Prozent Elektro auf den Straßen haben, und deswegen ist mir im Übergang sauberer Diesel lieber als nicht so saubere Verbrenner.
Danke sehr. – Die letzte Frage zum Themenbereich Klimaschutzbericht hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, Sie haben vorhin von der Querschnittsaufgabe Klimaschutz gesprochen. Ich erinnere mich gut daran, dass sich Ihre Vorgängerin im Amt bei dieser Querschnittsaufgabe an den Kollegen aus dem Landwirtschaftsministerium, aus dem Verkehrsministerium und teilweise aus dem Wirtschaftsministerium die Zähne ausgebissen hat. Wenn ich die Aussagen oder zum Teil die Nichtaussagen der Staatssekretäre aus den entsprechenden Ministerien höre, habe ich den Eindruck, dass die Querschnittsaufgabe Klimaschutz zumindest in diesen Ministerien noch nicht hoch angesiedelt ist.
Sie haben jetzt einen Klimaschutzplan vorgelegt, der im Kabinett beschlossen worden ist, der das Jahr 2050 zum Ziel hat, der aber auch Ziele bis 2030 beschreibt. Wir alle wissen: Wenn wir die Klimaschutzziele 2030 und auch 2050 erreichen wollen, dann müssen wir sofort anfangen. In der Debatte, als Sie in Ihrer Antrittsrede Ihre Schwerpunkte vorgestellt haben, habe ich Ihnen die Frage gestellt, wer im Kabinett Ihre Bündnispartner beim Klimaschutz sind. Diese Frage konnten Sie damals natürlich noch nicht beantworten. Deswegen möchte ich meine Frage gerne wiederholen: Bei welchen Kabinettskollegen und -kolleginnen aus dem Wirtschaftsministerium, aus dem Verkehrsministerium und aus dem Landwirtschaftsministerium bauen Sie verlässlich auf die Unterstützung, die Ihre Vorgängerin nicht hatte?
Sehr geehrte Frau Abgeordnete, ich weise zunächst deutlich zurück, dass sich Barbara Hendricks die Zähne ausgebissen hat. Nein, sie war eine sehr erfolgreiche Umweltministerin. Sie hat das Paris-Abkommen mit auf den Weg gebracht. Ich zolle ihr großen Respekt für die Leistung, die sie erbracht hat.
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Ich glaube, ohne Frau Hendricks wäre das alles so nicht gelungen. Deswegen muss ich Ihre Äußerung deutlich zurückweisen.
Bündnispartner für die Umweltpolitik sind immer die Menschen im Land, in diesem Fall in vielen Teilen auch die Industrie. Ich hatte gerade ein sehr interessantes Gespräch mit der Stiftung 2°. Man merkt, wie viele Wirtschaftsunternehmen sehr engagiert in diesem Themenfeld unterwegs sind. Ich habe den Koalitionsvertrag im Rücken. Wir sind uns einig: Wir wollen die Paris-Ziele einhalten. Das gesamte Kabinett steht also hinter dem, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben.
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Vielen Dank, Frau Ministerin. – Damit sind wir mit den Fragen durch, die den Teil betreffen, der heute im Vordergrund stand. Wir kommen jetzt zum zweiten Teil der Befragung: weitere Fragen zur Kabinettssitzung und sonstige Fragen.
Als Erster hat das Wort der Abgeordnete Thomas Ehrhorn von der AfD.
Meine Damen und Herren! Nach dem dramatischen Terroranschlag 2016 hier in Berlin auf dem Breitscheidplatz kündigte unsere Kanzlerin eine nationale Kraftanstrengung zur konsequenten Abschiebung abgelehnter Asylbewerber an. Wir alle wissen, dass es eine solche Anstrengung niemals gegeben hat. So leben zum Beispiel allein in meinem Heimatkreis Celle zurzeit 267 ausreisepflichtige Personen, wohingegen lediglich 7 Personen ausgewiesen wurden. Das zeigt einmal mehr das Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit.
Nach unzähligen Vergewaltigungen, Morden, Messerstechereien und Ähnlichem haben wir nun also einen weiteren schrecklichen Mord an der 14-jährigen Susanna – wieder durch einen abgelehnten Asylbewerber – zu beklagen. Und nun frage ich Sie, nachdem unsere Kanzlerin bei „Anne Will“ wiederum medienwirksam schnellere Abschiebungen gefordert hat – wie erbärmlich –: Wie viele weitere Tote braucht es noch, um Ihren Worten endlich Taten folgen zu lassen, und welche konkreten Maßnahmen dürfen wir in Zukunft als Bevölkerung von Ihnen erwarten?
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Wer beantwortet die Frage für die Bundesregierung? – Herr Mayer.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrter Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Es ist nach wie vor erklärtes Ziel nicht nur der Bundeskanzlerin, sondern der gesamten Bundesregierung, dass wir noch effektiver und noch konsequenter als bisher ausreisepflichtige Personen außer Landes bringen.
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Wir haben hier durchaus – das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen – gewisse Verbesserungen in den letzten Monaten erreicht. Wenn man sich die Zahlen des letzten Jahres ansieht, stellt man fest: Wir haben im letzten Jahr über 25 000 Personen zwangsweise außer Landes gebracht, mit Abschiebungen. Sie werden jetzt darauf hinweisen: Das ist doch keine Erhöhung im Vergleich zum Jahr davor. – Dazu muss man aber eben sagen, dass im Jahr 2016 der Großteil der abgeschobenen Personen aus dem Westbalkanbereich gekommen ist. Die Personen, die im letzten Jahr abgeschoben wurden, kamen aus Ländern, in die es nicht ganz so einfach ist, abzuschieben.
Vor dem Hintergrund unternimmt die Bundesregierung auf unterschiedlichen Ebenen nachdrückliche und massive Anstrengungen, insbesondere mit den Herkunftsländern der ausreisepflichtigen Personen besser zu kooperieren. Es gibt mit vielen Ländern sowohl auf dem afrikanischen Kontinent als auch auf dem asiatischen Kontinent intensive Verhandlungen und Gespräche, um die Rücknahmebereitschaft der jeweiligen Länder zu verbessern. Es gibt aber auch auf nationaler Ebene intensive Anstrengungen, die Anzahl der abgeschobenen Personen zu erhöhen.
Ich möchte an der Stelle aber auch darauf hinweisen, dass es originär Aufgabe der Bundesländer ist, die Abschiebungen vorzunehmen. Der Bund unterstützt die Bundesländer bei dieser wichtigen Aufgabe. Das hat Bundesinnenminister Horst Seehofer erst in der vergangenen Woche bei der Innenministerkonferenz in Quedlinburg noch mal deutlich zum Ausdruck gebracht. Der Bundesinnenminister wird die Anstrengungen intensivieren, die Bundesländer insbesondere bei der Passersatzbeschaffung stärker zu unterstützen. Wir werden das Zentrum zur Unterstützung der Rückführung, das ZUR, auch weiter personell besser ausstatten und den Ländern die notwendige Unterstützung zuteilwerden lassen.
Ich kann Ihren Eindruck also in keiner Weise so stehen lassen, dass das zugegebenermaßen richtige Versprechen von Bundeskanzlerin Merkel, hier eine nationale Kraftanstrengung zu unternehmen, in irgendeiner Weise unterminiert wird. Das Gegenteil ist der Fall: Es ist erklärtes Ziel der Bundesregierung, die Anzahl der freiwilligen Rückkehrmaßnahmen, aber auch die Anzahl der abgeschobenen Personen deutlich zu erhöhen.
Die nächste Frage stellt Nicole Westig für die FDP.
Vielen Dank, Herr Präsident. – In der heute im Kabinett verabschiedeten Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Pflegeberufe findet sich im Kompetenzprofil kein eigener Komplex zu digitalen Kompetenzen. Dies wurde bereits im Vorfeld kritisiert, allerdings nicht verändert. Um eine Ausbildung zukunftssicher zu gestalten, ist die Vermittlung von digitalen Kompetenzen zwingend notwendig. Es gilt, nicht nur den Beruf modern und attraktiv zu gestalten und die Chancen des digitalen Wandels zu nutzen, sondern auch die Digitalisierung in der Pflege in rechtlichen und ethischen Hinsichten zu reflektieren. Wie stellt sich die Bundesregierung die Vermittlung digitaler Kompetenzen für Pflegeschülerinnen und -schüler vor?
Frau Ministerin.
Erst einmal bin ich sehr froh, dass wir die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Pflegeberufe heute auf den Weg bringen konnten. Sie ist ein ganz wichtiger Baustein zur Modernisierung dieses Berufes. Wir wollen mehr Menschen motivieren, diese wichtige Aufgabe wahrzunehmen. Deswegen ist es sehr, sehr wichtig, dass wir diese Verordnung auf den Weg gebracht haben.
Zu den Details wird jetzt das Gesundheitsministerium antworten.
Vielen Dank. – In der Tat, Frau Kollegin: Das Thema „Digitalisierung im Pflegebereich“ und vor allem die Frage, wie wir digitale Möglichkeiten nutzen können, um zu helfen und zu entlasten, spielen eine große Rolle. Sie spielen insbesondere eine ganz große Rolle in den Eckpunkten zum „Sofortprogramm Pflege“, das vor kurzem vorgelegt wurde und jetzt im Rahmen eines Gesetzentwurfes, der in Kürze auch den Deutschen Bundestag erreichen wird, umgesetzt wird.
Die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung kam heute ins Kabinett und wurde dort beschlossen. Es wurde vereinbart, dass diese Verordnung zustimmungspflichtig ist. Das heißt, der Deutsche Bundestag wird sich mit dieser Verordnung ebenfalls beschäftigen. Wir haben die Möglichkeit, über all diese Fragen im zuständigen Ausschuss, im Gesundheitsausschuss, intensiv zu diskutieren. Dort können wir diese Details beraten.
Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt Kordula Schulz-Asche für Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Auch meine Frage befasst sich mit der Ausbildungsreform. In der letzten Legislaturperiode ist ja ein Kompromiss im Hinblick auf die Ausbildung im Pflegebereich geschlossen worden. Das ganze Gesetz soll 2020 in Kraft treten. Es ist vorgesehen, dass sechs Jahre später überprüft wird, ob sich die Mehrheit der Auszubildenden für die generalistische Ausbildung oder für eine spezialisierte Ausbildung – darunter auch die Altenpflegeausbildung, so wie sie jetzt vorgesehen ist – entschieden hat. Heute haben Sie im Kabinett die notwendige Ausbildungs- und Prüfungsverordnung vorgelegt und beschlossen, die für die Altenpflegeausbildung allerdings deutlich geringere Anforderungen als für die anderen in dieser Verordnung genannten Pflegeausbildungen vorsieht. Deswegen frage ich die Bundesregierung: Wie wollen Sie sicherstellen, dass junge Menschen, die sich für diese Art der Altenpflegeausbildung entscheiden, 2026 nicht mit einer Ausbildung als Altenpflegefachkräfte dastehen, die gar keinen Wert mehr hat, sondern entwertet wurde?
Frau Ministerin, wer antwortet? Das Gesundheitsministerium?
Ja, das beantwortet das Gesundheitsministerium.
Die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung sieht im Kern vor, dass die ersten beiden Jahre der Ausbildung eine generalistische Ausbildung sind und dass man sich im dritten Jahr entscheiden kann, ob auch das dritte Jahr eine generalistische Ausbildung sein soll oder ob man sich spezialisieren möchte, entweder auf den Bereich der Kinderkrankenpflege oder auf den Bereich der Altenpflege. Wir sind nicht der Meinung, dass diese Neuregelung eine Entwertung der Altenpflege darstellt. Man muss immer im Auge behalten: Auf der einen Seite geht es darum, Standards zu erhalten, auf der anderen Seite aber darum, dass wir auch Hauptschülern in Zukunft ermöglichen wollen und müssen, eine solche Ausbildung zu machen und den Pflegeberuf zu ergreifen.
Danke. – Als Nächster fragt Uwe Kamann für die AfD.
Herr Präsident, herzlichen Dank. – Vorab: Wenn ich die ganzen Papierberge hier im Plenum sehe, dann glaube ich, dass die Digitalisierung bei uns dringend Einzug halten muss.
Eine Frage zur künstlichen Intelligenz. Frau Ministerin, im vergangenen März haben die G-7-Innovations- und Digitalminister vereinbart, insbesondere auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz enger zusammenzuarbeiten. Laut dem G-7-Abschlussstatement über die Zukunft der künstlichen Intelligenz, das bedauerlicherweise von Herrn Trump nicht unterschrieben wurde, aber von unserer Bundeskanzlerin, soll KI unter anderem dazu dienen, Geschlechtergleichheit zu erzielen und inklusive Gesellschaften zu unterstützen.
Meine Frage: Welchen spezifischen Zusammenhang sieht die Bundesregierung zwischen den Themen KI, also künstliche Intelligenz, einerseits und Inklusion und Geschlechtergleichheit andererseits, und werden diese Zusammenhänge auch Schwerpunkte in der angekündigten Enquete-Kommission zur künstlichen Intelligenz sein?
Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Zunächst einmal: Welche Fragestellungen die Enquete-Kommission zur künstlichen Intelligenz behandelt, legt nicht die Bundesregierung, sondern der Deutsche Bundestag fest. Deshalb müssen Sie innerhalb der Reihen des Deutschen Bundestages miteinander besprechen, welchen Einsetzungsauftrag Sie dort festlegen.
Die Bundesregierung wird im Laufe dieses Jahres eine Strategie zum Thema „Künstliche Intelligenz“ erstellen und verabschieden. Im Rahmen dieser Strategie werden wir den nationalen Weg festlegen. Wir werden aber auch mit verschiedenen europäischen Partnern besprechen, wie wir gemeinsame Initiativen zur Stärkung unserer Kompetenz im Bereich „Künstliche Intelligenz“ voranbringen.
In diesem Kontext sehen wir nicht nur einen Schwerpunkt im Bereich der technologischen Entwicklungen, sondern wir müssen uns auch um die rechtlichen und ethischen Fragen kümmern, und die rechtlichen und ethischen Fragen haben sehr wohl Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Deshalb ist diese Fragestellung, die Sie aufwerfen, auch Teil unserer Überlegungen.
Als Nächstes fragt Till Mansmann für die FDP.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Frage geht an die Staatssekretärin aus dem Sozialministerium.
Frau Staatssekretärin, heute soll das staatliche Arbeitsverteilungsgesetz durch das Kabinett gegangen sein; es geht um die sogenannte Brückenteilzeit. Hat die Bundesregierung bestimmte Unternehmensbranchen identifiziert, für die die neuen Regelungen einer Brückenteilzeit besonders relevant sind und eine deutliche Verbesserung der bisherigen Gesetzeslage darstellen oder besondere Probleme aufwerfen?
Frau Staatssekretärin.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, Sie weisen zu Recht darauf hin, dass heute mit dem Gesetzentwurf zur Brückenteilzeit ein wichtiger Gesetzentwurf durch das Kabinett gegangen ist, der demnächst ja auch hier im Bundestag beraten werden wird.
Das Konzept des Brückenteilzeitgesetzes sieht nicht eine Unterscheidung nach verschiedenen Branchen vor, sondern dass diese Brückenteilzeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Unternehmen mit über 45 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden kann. Bei Unternehmen mit einer Spanne von 46 bis 200 Arbeitnehmern soll diese Brückenteilzeit immer pro 15 Arbeitnehmer eine Person in Anspruch nehmen können. Ab 200 Arbeitnehmern soll dies möglichst für alle möglich sein, die es möchten.
Im Gesetzentwurf ist nicht vorgesehen, dass man nach bestimmten Branchen unterscheidet. Deshalb ist das auch nicht Sinn dieses Gesetzentwurfs.
Das Gesetz wird allerdings ganz besonders positiv für Frauen wirken, weil Frauen weitaus mehr in Teilzeit arbeiten und weitaus größere Probleme haben, wieder auf Vollzeit zu gehen, was ja auch ganz große Auswirkungen auf ihre Rentenansprüche und ihre Arbeitsbiografien insgesamt hat. Insofern wird das ein Gesetz sein, das besonders in den Branchen, in denen viele Frauen beschäftigt sind – auch teilzeitbeschäftigt –, positiv für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wirken wird.
Vielen Dank. – Die nächste Frage kommt von Dr. Dirk Spaniel, AfD.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin, wir reden hier ja sehr oft über CO 2 -Ziele und über die Einsparpotenziale, die wir haben. Ich kann mir vorstellen, dass wir in unserem Land natürlich eine Regierung haben, die das alles genau geplant und auch berechnet hat.
Deshalb stelle ich die ganz konkrete Frage: Wie viel CO 2 -Emissionen im Verkehrssektor gedenkt die Bundesregierung mit ihren Plänen zur Förderung der Elektromobilität einzusparen?
Die zweite Frage ist: Mit welchem Strommix wird diese Einsparung tatsächlich berechnet?
Frau Ministerin.
Herr Abgeordneter, wie viel in den einzelnen Sektoren eingespart werden muss, ist im Klimaschutzplan aus der letzten Legislatur ganz eindeutig festgelegt worden. Dort können Sie nachlesen, dass im Verkehrsbereich der CO 2 -Ausstoß 1990 noch 163 Millionen Tonnen betragen hat, dass er 2014 mit 160 Millionen Tonnen etwas abgesunken ist und dass wir 2030 95 bis 98 Millionen Tonnen erreichen wollen. Das ist der Weg, den wir in Etappen vor uns haben. In der Energiewirtschaft sind wir 1990 mit einem CO 2 -Ausstoß von 466 Millionen Tonnen gestartet, 2014 haben wir 358 Millionen Tonnen CO 2 erreicht und wollen in 2030 bei 175 bis 183 Millionen Tonnen sein.
Der Weg dahin, den wir uns als Koalition vorgenommen haben, ist, dass wir jetzt nach dem Klimaschutzplan und diesen klaren Sektorenzielen ein Klimaschutzgesetz auf den Weg bringen wollen, in dem für jeden einzelnen Sektor beschrieben wird, wie wir diese Ziele ganz genau erreichen werden: im Verkehrssektor sicherlich mit einem Mix aus Hybridfahrzeugen, Elektrofahrzeugen und eben Verbrennern. Im Energiebereich haben wir es sehr klar beschrieben: Wir wollen den Ausbau der erneuerbaren Energien voranbringen und haben dafür eben Sonderausschreibungen vorgesehen. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller ist Sven Kindler für die Grünen. – Ich sehe, er ist nicht da. Dann kommt jetzt Oliver Luksic für die FDP.
Ich möchte die Bundesregierung zum Rückruf der Daimler-Fahrzeuge fragen. Wir haben im Ausschuss beantragt, dass der Minister dazu berichtet. Es gab vor zwei Wochen ein erstes Treffen, wo sich Minister Scheuer mit Herrn Zetsche getroffen hat, danach gab es ein weiteres Treffen.
Hier gibt es eine Reihe von Fragen, was die rechtliche Grundlage und die Beanstandungen des KBA angeht, die wir gerne beantwortet haben möchten, zumal anfangs von einer sehr viel größeren Fahrzeugpalette die Rede war. Jetzt wurden verschiedene Fahrzeuge ausgesucht. Insofern gibt es eine Reihe von Fragen zu dem, was dort besprochen wurde.
Wir sind der Meinung, dass diese im Parlament vom Minister ausführlich beantwortet werden müssen, weil das ein durchaus gewichtiger Vorgang ist und hierzu, glaube ich, das Parlament ein dringendes Auskunftsbedürfnis hat, das erfüllt werden muss.
Frau Ministerin, bitte sehr.
Das gebe ich an den Staatssekretär weiter.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Lieber Kollege Oliver Luksic, wir haben nachher um 15 Uhr eine Sondersitzung des Verkehrsausschusses. Je nach Verlauf der Fragestunde können wir uns dort über das Thema noch einmal ausführlich unterhalten.
Es gab bekanntermaßen zwei Treffen des Verkehrsministers mit Daimler-Chef Zetsche. Als Ergebnis des zweiten Treffens am Montag steht der amtliche Rückruf für 238 000 Daimler-Fahrzeuge durch das Kraftfahrt-Bundesamt. Insgesamt sind in Europa 774 000 Daimler-Fahrzeuge betroffen. Jetzt muss das, was bei diesem Treffen vereinbart wurde und was das Kraftfahrt-Bundesamt durch den amtlichen Rückruf angeordnet hat, tatsächlich umgesetzt werden.
Spekulationen, die man zum Teil den Medien entnehmen konnte, über andere Zahlen von betroffenen Fahrzeugen des Autoherstellers Daimler kann ich hier nicht bestätigen.
Eine Zusatzfrage?
Ich habe eine Zusatzfrage und möchte Staatssekretär Bilger fragen, ob er bei dem Treffen bzw. beiden Treffen mit dabei war. Waren Sie bei beiden Treffen dabei und können deswegen genau sagen, was dort besprochen wurde? Können Sie noch einmal erklären, ob es da auch Verhandlungen über die Frage gab, welche Fahrzeuge davon wie betroffen sind?
Ich habe die Zusatzfrage zugelassen, obwohl das nicht üblich ist. Wenn sie gestellt ist, muss sie auch beantwortet werden. Kann das jemand beantworten?
Herr Kollege Luksic, ich war bei den Treffen nicht dabei. Ich hatte am Montag unter anderem den Minister bei anderen Terminen zu vertreten, die für ihn aufgrund der Dauer der Verhandlungen mit Daimler nicht mehr realisierbar waren. Wir haben aber nachher im Ausschuss die Gelegenheit – ich glaube, sogar auf Ihren Antrag hin –, über dieses Thema ausführlich zu sprechen.
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Da werden Fachbegleitung aus dem Ministerium und auch Personen dabei sein, die bei dem Treffen am Montag anwesend waren. Also, wir haben in der Sondersitzung des Verkehrsausschusses nachher alle Zeit der Welt, alle offenen Fragen zu besprechen.
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Nächste Frage für die FDP: Das macht Graf Lambsdorff anstelle von Benjamin Strasser?
Das ist ein Antrag zur Geschäftsordnung . Da der Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur bisher weder im Ausschuss noch im Plenum Rede und Antwort steht, beantragen wir gemäß § 42 unserer Geschäftsordnung die Herbeirufung des Ministers ins Plenum.
Das ist ein Antrag zur Geschäftsordnung, über den ich jetzt abstimmen lasse. Wer ist für diesen Antrag? – Das sind die Stimmen der AfD, der FDP, der Grünen und der Linken.
({0})
Wer ist gegen diesen Antrag? –
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Es kommen gerade sehr viele Leute herein. Deshalb ist es schwierig, den Überblick zu gewinnen.
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Ich wiederhole jetzt die Abstimmung, weil während der Abstimmung noch Leute hereingekommen sind. Es war deshalb schwierig für das Präsidium, einen Überblick zu gewinnen und sich eine Meinung zu bilden.
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– Elektronische Abstimmung haben wir nicht, Frau Kollegin. Vielleicht werden wir die eines Tages bekommen.
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Jetzt frage ich noch einmal: Wer stimmt für den Geschäftsordnungsantrag? – Das sind wiederum die Stimmen der Grünen, der Linken, der FDP und der AfD. Wer stimmt gegen diesen Antrag? –
({5})
Das Zweite war die Mehrheit. Damit ist der Antrag abgelehnt.
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Wir machen jetzt weiter mit der Frage des Kollegen Benjamin Strasser, FDP.
({7})
Es geht jetzt weiter mit der Frage des Kollegen Benjamin Strasser von der FDP.
({8})
Frau Ministerin, da ich befürchte, dass Sie meine Frage nicht beantworten können, ist, glaube ich, eher Staatssekretär Mayer gefordert. Die Innenministerkonferenz hat sich in der vergangenen Woche für eine Stärkung der Zentralstellenfunktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz ausgesprochen. Wörtlich heißt es dazu im Protokoll der Innenministerkonferenz – ich zitiere –:
Sie begrüßt, dass die Funktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz als Zentralstelle in der Struktur des bestehenden Verfassungsschutzverbundes in verschiedenen Handlungsfeldern stärker wahrgenommen werden soll und hält dies für einen wichtigen Beitrag zur Stärkung des Verfassungsschutzverbundes.
Zitat Ende. – Jetzt läuft ja die Diskussion um die föderale Sicherheitsarchitektur. Herr Minister Seehofer hat zu Beginn seines Amtsantritts im Rahmen eines Besuchs des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums erklärt, er sehe keinen Handlungsbedarf für eine Veränderung der Sicherheitsarchitektur.
Da stellen wir uns schon die Frage, was im Rahmen des Beschlusses der Innenministerkonferenz konkret geplant ist. Welche konkreten Maßnahmen sollen hier angegangen werden? Welche Handlungsfelder sind betroffen? Und was heißt das insbesondere für die Existenz kleiner Landesämter für Verfassungsschutz und deren Aufgaben, die diese Landesämter bisher wahrnehmen?
Ich lese den Beschluss der Innenministerkonferenz so, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz bisher seiner Zentralstellenfunktion nicht in ausreichendem Maße nachgekommen ist, und bitte um eine Stellungnahme der Bundesregierung.
Wer antwortet für die Bundesregierung? – Herr Staatssekretär.
Sehr geehrter Herr Kollege Strasser, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung begrüßt diesen Beschluss der Innenministerkonferenz ausdrücklich, das Bundesamt für Verfassungsschutz in seiner Zentralstellenfunktion zu stärken und zu ertüchtigen. Ich möchte Ihrer Lesart insoweit widersprechen, als dass man aus diesem Beschluss meines Erachtens nicht die Konsequenz oder die Schlussfolgerung ziehen kann, dass dieser Aufgabe, dass das BfV die Zentralstellenfunktion im Verfassungsverbund einnimmt, bislang nicht Rechnung getragen worden wäre. Das ist sehr wohl der Fall.
Es gibt – Sie haben die Zusammenarbeit im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum genannt – eine sehr kooperative und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den 16 Landesämtern für Verfassungsschutz und dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat schon bislang eine Zentralstellenfunktion im Verfassungsschutzverbund unseres Landes eingenommen. Wenn die 16 Landesinnenminister nun in Quedlinburg den Beschluss fassen, diese Zentralstellenfunktion zu stärken und zu ertüchtigen, dann ist dies etwas, was wir seitens des Bundesinnenministeriums und seitens der Bundesregierung goutieren. Ich sehe hier durchaus in Zukunft noch stärkere Möglichkeiten seitens des Bundesamtes für Verfassungsschutz, den Landesämtern für Verfassungsschutz unterstützend unter die Arme zu greifen.
Sie haben insbesondere die Existenz kleinerer Landesämter für Verfassungsschutz angesprochen. Sie werden es nicht erleben, dass seitens der Bundesregierung irgendwelche Initiativen gestartet werden mit dem Ziel, dass Landesämter für Verfassungsschutz fusionieren. Aber Sie haben auch mitbekommen, dass es in kleineren Ländern durchaus Überlegungen gibt, die eigenen Landesämter mit anderen Landesämtern für Verfassungsschutz zu fusionieren. Wenn dies der Fall wäre und wenn dies vorangetrieben würde – wie gesagt, nicht auf Initiative der Bundesregierung –, dann würde dies durchaus seitens des Bundesamtes für Verfassungsschutz aufgenommen werden. Es gibt auch Überlegungen, das eine oder andere Landesamt für Verfassungsschutz zur Disposition zu stellen. Auch hier gibt es seitens des Bundes bzw. der Bundesregierung wiederum keine entsprechende Initiative. Wenn aber ein Land für sich autonom diese Entscheidung trifft, dann könnte ich mir durchaus vorstellen, dass in diesem Fall das Bundesamt für Verfassungsschutz in dem entsprechenden Bundesland die Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz übernimmt.
Vor diesem Hintergrund – um das abschließend zu sagen – gibt es großes Verständnis und große Sympathie seitens der Bundesregierung für diesen in Quedlinburg gefassten Beschluss.
Vielen Dank. – Die letzte Frage in der Regierungsbefragung stellt noch einmal die Abgeordnete Nicole Westig für die FDP.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Das von der Bundesregierung angekündigte „Sofortprogramm Pflege“ sieht die Schaffung und die Finanzierung von 13 000 neuen Stellen in der Pflege vor. Bereits jetzt gibt es in der Pflege allerdings über 35 000 unbesetzte Stellen. Der Arbeitsmarkt ist leergefegt. Insofern ist mit keiner zeitnahen Besetzung dieser Stellen zu rechnen. Welches Gesamtkonzept zur Gewinnung von mehr Pflegekräften hat die Bundesregierung, um die 13 000 neu geschaffenen Stellen tatsächlich besetzen zu können?
Wer antwortet? – Herr Staatssekretär Gebhart.
Wir haben vor wenigen Tagen ein Eckpunktepapier zum „Sofortprogramm Pflege“ vorgelegt. Dieses Programm beinhaltet eine ganze Reihe von Maßnahmen sowohl im Bereich der Altenpflege als auch im Bereich der Krankenpflege. Der Kern dieser Maßnahmen besteht darin, dass wir die Pflege attraktiver machen wollen, den Pflegeberuf attraktiver machen wollen. Wir wollen mehr Stellen schaffen im Bereich der Pflege. Die Zahl 13 000, die Sie genannt haben, geht übrigens über das, was im Koalitionsvertrag vereinbart ist, hinaus. Wir haben ausdrücklich gesagt, dass dieses Sofortprogramm ein erster Schritt sein wird, und es werden weitere Schritte folgen.
Wir werden dieses Sofortprogramm jetzt in einen Gesetzentwurf ummünzen. Dieser Gesetzentwurf wird in Kürze hier im Parlament zu beraten und zu entscheiden sein. Aber man muss dieses Sofortprogramm als Ganzes sehen. Es ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen, das darum kreist, die Pflege und den Pflegeberuf attraktiver zu machen. Wir erhoffen uns davon, dass sich Menschen verstärkt entscheiden, in die Pflege zu gehen, dass sich junge Menschen entscheiden, in die Ausbildung zu gehen, dass sich Menschen aber auch entscheiden, sich weiterzuqualifizieren, und dass sich Menschen, die in den letzten Jahren aus der Pflege ausgestiegen sind, entscheiden, in die Pflege zurückzukehren.
Also: Man muss diese Maßnahmen im Zusammenhang sehen. Das, was wir nun vorgelegt haben, ist ein erster Schritt. Das ist ein kraftvoller erster Schritt. Aber es werden weitere folgen.
Vielen Dank. – Damit beende ich die Befragung der Regierung.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung spart jedes Jahr 5 Milliarden Euro beim Kindergeld für Kinder in Hartz-IV-Familien ein. Das hat das Ministerium von Herrn Heil gerade auf meine Anfrage geantwortet. Sie sanieren den Haushalt auf dem Rücken der Ärmsten, und das ist aus unserer Sicht nicht hinnehmbar.
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Die Unternehmensgewinne sprudeln. Die großen Einkommen und Vermögen wachsen ständig. Die Quandt-Erben kassierten in diesem Jahr 1,1 Milliarden Euro Dividende, ohne dafür einen einzigen Finger krumm zu machen. Für arme Kinder sind nicht einmal 194 Euro Kindergeld im Monat übrig. Merken Sie nicht, dass hier etwas nicht stimmt? Merken Sie nicht, dass man das Geld von den Reichen und Vermögenden holen müsste? Merken Sie nicht, dass man endlich umverteilen muss?
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Sie machen sich lustig darüber. Aber nur wer den Reichtum antastet, kann auch Armut und insbesondere Kinderarmut bekämpfen. Das wäre der richtige Weg.
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Ihr Koalitionsvertrag verspricht vollmundig: „Wir bekämpfen Kinderarmut“. Nein, genau das tun Sie nicht. Die Anrechnung des Kindergeldes auf Hartz IV ist unsozial.
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Für 1,2 Millionen Familien bedeutet das Armut per Gesetz. Sie versprechen: „Wir unterstützen Familien“. Um 25 Euro soll das Kindergeld steigen. Aber Kinder, deren Eltern Hartz-IV-Bezieherinnen und -bezieher sind, sehen davon keinen Cent. Alle anderen Familien bekommen das Kindergeld zu ihrem Einkommen dazu; und das ist richtig so. Aber ebenso zu Recht fragen Hartz-IV-Beziehende, warum ausgerechnet für die ärmsten Familien etwas anderes gelten soll. Herr Heil hat in einem Interview auf diese Frage geantwortet: Es braucht einen Lohnabstand zwischen Menschen, die Arbeit haben, und denjenigen, die keine Arbeit haben. – Aber hier spielen Sie die Ärmsten gegen die Armen aus, Niedriglohnbeschäftigte gegen Hartz-IV-Beziehende; und das kann es nicht sein.
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Meine Damen und Herren, umgekehrt wird doch ein Schuh daraus. Menschen müssen von ihrem Einkommen leben können.
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Das ist doch der Ausgangspunkt. Das muss sich doch in Deutschland verändern. Die Debatte muss wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden.
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Aber was haben Niedriglohnbeschäftigte davon, wenn es Erwerbslosen noch schlechter geht als ihnen? Das kann ich Ihnen sagen: Angst haben sie, dass es sie genauso treffen könnte, und auf dieser Angst beruht die Arbeitspolitik der Bundesregierung. Das ist nämlich Ihr sogenanntes großes deutsches Jobwunder: Minijobs, Befristungen, tariffreie Zonen, Niedriglohn, Aufstocker, Zweit- und Drittjobber. Und das ist es, was ich Ihnen vorwerfe! Der Niedriglohnsektor in Deutschland muss endlich bekämpft werden.
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Die Beschäftigten spielen dabei nur mit, weil es keine Alternative gibt, weil sie Angst haben, mit ihren Familien wieder in Hartz IV abzurutschen.
Ihre Niedriglohnpolitik, meine Damen und Herren der CDU/CSU, der SPD, hat Millionen Männer und Frauen und Kinder in Armut gestürzt. Liebe Genossinnen und Genossen der SPD, euer Ex-Kanzler Gerhard Schröder ist heute noch stolz auf den größten Niedriglohnsektor, den er in Europa geschaffen hat. Und Sie, meine Damen und Herren der CDU/CSU, brauchen sich gar nicht wegzuducken:
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Sie setzen eine Politik fort, die Armut zulässt. Dass 2,8 Millionen Kinder in ärmlichen Verhältnissen leben müssen, das ist unchristlich und das ist eine Schande für Deutschland.
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Sie müssen dafür sorgen, dass die Löhne in diesem Land kräftig ansteigen.
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Das wäre doch eine gute Familienpolitik. Deshalb fordert Die Linke mehr Allgemeinverbindlichkeit bei den Tarifverträgen. Deshalb fordert Die Linke einen Mindestlohn von 12 Euro die Stunde,
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und deshalb fordert Die Linke eine sanktionsfreie armutsfeste Mindestsicherung. Nur so kann es gehen; das wäre der richtige Weg.
Hören Sie endlich auf, kleine Kinder wie kleine Erwachsene zu behandeln. Die Kinderregelsätze bei Hartz IV sind unseriös berechnet und viel zu niedrig. Fragen Sie mal die Sozial- und Wohlfahrtsverbände; die werden Ihnen das bestätigen. Das Geld reicht hinten und vorne nicht. Es reicht nicht für ein gesundes Essen, für gutes Schuhwerk. Es reicht nicht für Fußballschuhe oder den Musikunterricht, und für einen Familienurlaub reicht es schon gar nicht. Ihre Politik zementiert soziale Ungerechtigkeit, und das muss umgedreht werden.
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Dank Ihrer Politik gibt es in Deutschland Kinder erster, zweiter und dritter Klasse: Die Kinder Wohlhabender profitieren vom Kinderfreibetrag, die Kinder Normalverdienender bekommen das Kindergeld, und die Allerärmsten bekommen nichts. Dieses System kann so nicht funktionieren. Man muss es von Grund auf neu gestalten. Deshalb fordert Die Linke eine Kindergrundsicherung für jedes Kind.
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Jedes Kind ist gleich viel wert. Jedes Kind hat ein Recht darauf, dass seine Existenz gesichert wird. „Soziale Teilhabe“ heißt das Zauberwort – gute Bildung, einfach nur ein wenig glücklich sein.
Danke schön.
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Nächster Redner ist der Abgeordnete Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin immer dankbar, wenn Sie, Frau Zimmermann, das Thema „Kinderarmut bekämpfen“ anmelden, aus drei Gründen: erstens, weil Kinderarmut in Deutschland tatsächlich weiterhin ein Thema ist, zweitens, weil es uns die Möglichkeit eröffnet, hier deutlich zu machen, was wir im Koalitionsvertrag genau zu diesem Thema beschrieben haben, und, drittens – damit möchte ich gerne anfangen –, um Ihnen deutlich zu machen, welchen völlig falschen Weg Sie mit Ihren Forderungen einschlagen.
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Frau Zimmermann, es ärgert mich schon, wenn Sie hier sagen, wir sparten 5 Milliarden Euro ein. Ich sage Ihnen: Nein. Wir investieren 5 Milliarden Euro und noch viel Geld darüber hinaus in gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderarmut. Das ist ein Unterschied zu der Behauptung, wir sparten 5 Milliarden Euro ein.
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Im Übrigen, Frau Zimmermann, ist die Bekämpfung der Kinderarmut sicherlich eine gemeinschaftliche Aufgabe. Hier im Bund machen wir uns Gedanken darüber. Ich werde gleich viele Maßnahmen vorstellen, mit denen die Große Koalition, glaube ich, sehr zielgenau, sehr früh und auch klar steuert. Die Bekämpfung der Kinderarmut ist ein Schwerpunkt im Koalitionsvertrag. Aber ich will Sie daran erinnern, dass auch Sie Verantwortung tragen. Ich finde es sinnvoll, dass wir darüber diskutieren, wie wir die Kinderarmut bekämpfen, und uns nicht nur gegenseitig Vorwürfe machen und sagen, wer was falsch gemacht hat.
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Aber eine Bemerkung muss erlaubt sein: Während im Bund jedes siebte Kind von Hartz IV lebt, ist es in Berlin jedes dritte Kind. Machen Sie sich mal Gedanken über Ihre Politik in den Bundesländern, in denen Sie regieren! Da hat sich nämlich nichts, gar nichts verändert.
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Mir fällt bei Ihren Wortbeiträgen, Frau Zimmermann, immer auf, dass Sie das Thema Kinderarmut auf die materielle Kinderarmut, also rein auf das Thema finanzieller Leistungen bzw. Transferleistungen, begrenzen. Kinderarmut muss gesellschaftspolitisch breiter gesehen werden.
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Es ist auch die Frage – ich werde gleich darauf kommen –, wie wir Kinderarmut mit dem Thema Bildung, mit dem Thema „kulturelle Armut“ zusammenbringen können.
Dann zu Ihren Konzepten. Ich fange mal mit Ihrem Grundkonzept zur Kindergrundsicherung an; in fünf Minuten kann man gar nicht alles widerlegen, was Sie erzählt haben.
Erstens. Das bedeutet ganz klar eine Gefahr der Verfestigung von Transferbezug und Familienarmut, und genau das wollen wir nicht. Wir wollen so schnell wie möglich dafür sorgen, dass Menschen aus der Armut herauskommen.
Zweitens. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit verringert die Gefahr von Kinderarmut deutlich. Übrigens: Die beste familienpolitische Maßnahme, die wir haben, ist der Kinderzuschlag. Durch den Kinderzuschlag – das wurde errechnet – wird das Risiko, in Armut zu fallen, um 16,5 Prozent gesenkt. Deswegen haben wir in der Großen Koalition beschlossen, 1 Milliarde Euro gezielt in den Ausbau des Kinderzuschlags, die Entbürokratisierung, die Verhinderung dieser Abbruchkante zu investieren. Das ist der richtige Weg, auch mit Blick auf das Thema „Steuerung von Erwerbstätigkeit“.
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Der dritte Punkt. Frau Zimmermann, Sie reden so gern über Geld. Herr Müller hat heute in der Ausschussdebatte gesagt: Sie wollen nur Ihre schwarze Null vor sich hertragen. – Wissen Sie, ganz ehrlich: Für alle, die Kinder haben, ist es wichtig, dass dieser Staat unseren Kindern nicht über neue Schulden neue Lasten aufdrückt. Deswegen ist die schwarze Null ein durchaus wichtiger Punkt.
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– Dann kommen wir mal zum Schwachsinn: Für Ihre Kindergrundsicherung rufen Sie 14 bis 15 Milliarden Euro auf. Sie haben noch nie gesagt, wo das Geld herkommen soll.
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Wir können gern bei allen anderen familienpolitischen Leistungen einsparen, um diese 14 bis 15 Milliarden Euro zusammenzubekommen. Das sagt Frau Zimmermann aber nicht. Frau Zimmermann sagt „Kindergrundsicherung“, aber auf die Frage der finanziellen Belastung antworten Sie in keiner Weise.
Wir haben als Große Koalition gesagt: Wir werden versuchen, Eltern wieder in Erwerbstätigkeit zu bringen. Nun muss man auch mal die Wahrheit sagen: Wir haben momentan 44,2 Millionen Beschäftigungsverhältnisse,
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so viele wie noch nie, jedes Jahr fast 1 Million mehr. Übrigens: Die Mehrzahl dieser Beschäftigungsverhältnisse sind sozialversicherungspflichtige Jobs, und sie sind gut bezahlt.
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Um mal auf die Arbeitsverhältnisse einzugehen: Bei den normalen Arbeitsverhältnissen, wie es so schön heißt, also unbefristete Arbeitsplätze mit mehr als 20 Wochenstunden, haben wir aktuell den höchsten Stand seit 1993 erreicht. Wir haben trotzdem noch Kinderarmut, und wir haben trotzdem noch das Ziel, Kinderarmut zu bekämpfen. Man sollte die Dinge wirklich wahrheitsgetreu wiedergeben, so, wie sie wirklich sind.
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Deswegen haben wir gesagt: Erhöhung des Kinderzuschlags. Tatsächlich investieren wir hier 1 Milliarde Euro.
Übrigens: Zum Thema, Eltern in Erwerbstätigkeit zu bringen, haben wir uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt,
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dass wir für soziale Arbeit, soziale Teilhabe 4 Milliarden Euro investieren, weil wir genau diese Zielgruppe in den Fokus nehmen.
Für die Erhöhung des Kinderzuschlags ist 1 Milliarde Euro veranschlagt. Hier geht es darum, die Abbruchkante abzuschaffen, zu entbürokratisieren. Dazu gehört auch der Freibetrag für Vermögen und Einkommen des Kindes.
Dann gibt es einen Bereich, in dem die Große Koalition über 5 Milliarden Euro investieren wird. Das ist der Ausbau der Ganztagsbetreuung, und das ist die Qualität der Kindertagesbetreuung.
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Gerade mit dem Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung im Grundschulalter – 12 Milliarden Euro werden aufgerufen – schaffen wir es doch, eine Vereinbarkeit hinzubekommen und Angebote zu machen, damit die Menschen in den Arbeitsmarkt zurückkehren können. Ich glaube, das ist der richtige Ansatz, wenn es darum geht, zielgenau zu investieren.
Ausbau und Entbürokratisierung des Bildungs- und Teilhabepakets gehören ebenfalls dazu, auch das Schulstarterpaket. All das steht im Koalitionsvertrag.
Wir haben uns in der Großen Koalition vorgenommen, sehr gezielt zu überlegen: Wie können wir mit konkreten Maßnahmen früh, zielgenau
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und bedarfsorientiert investieren? Mit der großen Gießkanne – Sie haben nie belegt, woher die Gelder kommen sollen – wird es nicht funktionieren, die Kinderarmut zu bekämpfen. Wir sollten klug vorgehen, daran denken, dass das die nachfolgende Generation ist,
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und deswegen auch auf eine Neuverschuldung verzichten.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist Martin Reichardt für die AfD.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Linke unternimmt heute wieder einen ihrer zahllosen Versuche, sich als soziale Partei, als Partei für Kinder und Familien, als Partei sozialer Gerechtigkeit zu verkaufen.
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Ich habe hierzu eine Frage. Ich habe auf der Seite der Jugendorganisation „Linksjugend Baden-Württemberg“ Folgendes gelesen:
Kein Gott, kein Staat, kein Vaterland – Schwarz, Rot, Gold wird abgebrannt!
Wann wollen Sie eigentlich die sozialen Wohltaten realisieren, die Sie hier immer verkünden: bevor Ihre Jugendorganisation Deutschland abgebrannt hat oder doch erst danach, wenn Sie das Paradies der Werktätigen hier errichtet haben,
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oder nachdem unsere Sozialsysteme zusammengebrochen sind, weil unter Ihrem Jubel Hunderttausende von Nichtbeitragszahlern aufgenommen worden sind?
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Ich will Ihnen eines sagen: Die von Ihnen zitierten Werktätigen, die Sie viel besungen haben, die Sie auch Proletarier nennen, die werden sich in Deutschland vereinigen, und zwar gegen Sie; und diese Bewegung ist schon lange im Gange.
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Die Familien in Deutschland haben ein Gespür für Sachverstand und soziale Verantwortung. Die Linke hat es nicht.
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Kinderarmut ist immer auch Familienarmut, und keine der zahllosen familienpolitischen Maßnahmen hat die Kinderarmut bisher bekämpfen können; wir wissen das. 21 Prozent liegen Familien mit Kindern im Einkommen unter Familien ohne Kinder. 27 Prozent aller Familien mit mehr als drei Kindern sind von Armut bedroht.
Bevor zu den nachweislich unwirksamen Maßnahmen noch weitere hinzukommen, fordern wir als AfD die Bundesregierung auf, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass die umlagefinanzierte gesetzliche Renten- sowie die Kranken- und Pflegeversicherung kinderlose Menschen zulasten von Familien privilegiert.
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Grundlage der Rechtsprechung ist die Feststellung des Gerichts, dass Familien mit der Erziehung und Versorgung von Kindern einen entscheidenden Beitrag zum Generationenvertrag in unserem umlagefinanzierten Rentensystem erbringen. Eltern – und da beziehen wir als AfD ausdrücklich auch alle Alleinerziehenden mit ein – zahlen Unterhaltsleistungen, Betreuungskosten und nehmen Einkommenseinbußen in Kauf. Das stört den sozialen Frieden und widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz.
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Die Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils würde die Familienarmut und damit die Kinderarmut nachhaltig bekämpfen.
Leider taucht als allgegenwärtige Heilslehre gegen Kinderarmut immer nur das Predigen einer möglichst allumfassenden Integration beider Elternteile ins Berufsleben auf,
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eine Maßnahme, die wohl der Wirtschaft nützt, aber sicherlich nicht die Familien stärkt.
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Euphemistisch heißt das dann „Vereinbarkeit von Familie und Karriere“; auch der Begriff der Emanzipation wird in diesem Zusammenhang gerne missbraucht.
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Tatsächlich ist es aber so, dass gerade in ärmeren Familien beide Elternteile arbeiten müssen, und das oft – dank der Sozialdemokratie – im Prekärlohnbereich.
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Dies als Karriere und Emanzipation zu verkaufen, zeugt von ideologischer Verblendung – die ist ja bei Ihnen allgegenwärtig – oder aber auch von Boshaftigkeit.
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Nun sage ich noch etwas: Ihre intellektuell armselige Umdeutung von Karl Marx in eine naive Weltenrettungsideologie opfert die Interessen deutscher Familien.
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Indem Sie die Öffnung aller Grenzen bejubeln, nehmen Sie in Kauf, dass deutsche Familien mit Kindern
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den Wettbewerb um Wohnungen, Kitaplätze und gute Ausbildung verlieren.
Ihr blinder Dogmatismus, den auch Ihr Geschrei hier wieder zeigt,
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macht ja mittlerweile nicht mal mehr vor Ihrer eigenen Fraktionschefin halt. Mittlerweile wird bereits Frau Wagenknecht von Ihnen mit der Nazikeule bekämpft,
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nur weil sie es einmal gewagt hat, mit der Taschenlampe des Realismus in Ihre dogmatischen Dunkelkammern hineinzuleuchten, meine Damen und Herren.
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Ich sage Ihnen: Lassen Sie das Licht von Frau Wagenknecht leuchten! Dann erkennen Sie vielleicht, dass ohne Masseneinwanderung hinreichend Mittel zur Stärkung unserer Familien vorhanden wären.
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Wir fordern längeren Anspruch von Arbeitslosengeld I für Eltern, individuelle Betreuung der Kinder von Alleinerziehenden und Familien, die in Armut leben, antragsfreie Zahlung von Leistungen zur Teilhabe, wie Schulbus, Schulausstattung, Klassenfahrten. Auch über ein Elterngehalt in nennenswerter Höhe sollte nachgedacht werden, meine Damen und Herren.
Wir, die AfD, stehen für den deutschen Sozialstaat als Solidargemeinschaft der Bürger. Sie, meine Damen und Herren von Die Linke, versprechen den Menschen seit 100 Jahren Paradiese, die bis heute niemand gesehen hat.
Vielen Dank.
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Als nächste Rednerin rufe ich die Parlamentarische Staatssekretärin Caren Marks für die Bundesregierung auf.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich dem Thema „Wie können wir Kinderarmut bekämpfen?“ jetzt wieder sachlich widmen.
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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, jedes Kind, das weniger Chancen hat als andere, weil die Eltern arm sind, ist eines zu viel. Es ist gut, dass wir hier im Parlament immer wieder über dieses wichtige Thema sprechen. Aber um zu bewerten, was die Bundesregierung gegen Kinderarmut tut und wie das wirkt, muss man eine ehrliche Bilanz ziehen und ehrlich hinschauen. Da sieht man Gutes.
Die Zahl der auf Hartz IV angewiesenen Kinder beispielsweise geht seit Jahren kontinuierlich zurück. Der jüngste Anstieg – das wissen auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken – geht allein auf die gewachsene Zahl von Kindern in geflüchteten Familien zurück, die in den letzten Jahren zu uns gekommen sind. Das ist ein normaler Effekt unserer Sozialsysteme und unseres Staates, der nicht für die Behauptung herhalten darf, Kinderarmut in Deutschland wäre grundsätzlich größer geworden.
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Auch der Unterhaltsvorschuss wirkt – den haben wir in der letzten Wahlperiode reformiert –, und er kommt bei den Alleinerziehenden und ihren Kindern an; er wirkt direkt gegen Kinderarmut. Er kommt sogar so gut an, dass wir dafür im Haushalt für dieses Jahr 550 Millionen Euro mehr zur Verfügung stellen als geplant. Es ist ein gutes Signal, dass dieser Unterhaltsvorschuss von den Berechtigten so gut angenommen wird.
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Ohne die staatlichen Sozial- und Familienleistungen, ohne Kindergeld, ohne Kinderzuschlag und auch ohne Unterhaltsvorschuss läge das Armutsrisiko von Kindern in unserem Land doppelt so hoch. Dennoch bleibt Kinderarmut ein nicht hinnehmbarer Missstand; das ist doch ganz klar.
Jedes fünfte Kind lebt mit sogenannten Armutsrisiken; das ist zweifelsohne zu viel. Das bedeutet in Deutschland nicht Obdachlosigkeit oder Hunger, aber Kinder, die Armut erleben, haben häufiger beispielsweise ein geringeres Selbstvertrauen, sie tun sich oft in der Schule schwerer, und sie sind seltener in Vereinen aktiv.
Was ein Kind erreichen kann, ist in unserem Land viel zu sehr vom Elternhaus abhängig. Wir finden uns nicht damit ab, dass Kinder in Deutschland in Armut leben.
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Der Wunsch aller Eltern: „Mein Kind soll einen guten Weg ins Leben finden“, soll in Erfüllung gehen. Wir wollen, dass es jedes Kind packt.
Es gibt drei Ansatzpunkte gegen Kinderarmut, und alle drei gehen wir konsequent an: Das ist Bildung, das ist Geld, und das ist die Vereinbarkeit.
Das erste Gesetz aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird das Gute-Kita-Gesetz sein. Gute Kita, das heißt: mehr Qualität, mehr Förderung und weniger Gebühren in Kindertagesbetreuung und Kindertagespflege. 3,5 Milliarden Euro stehen dafür bereit. Mit weiteren 2 Milliarden Euro werden wir das Ganztagsschulangebot ausbauen. Gute Bildung, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, kommt allen Kindern zugute, nicht nur den Kindern in Familien mit wenig Geld. Aber starke und gute Bildungseinrichtungen bieten eben auch die Chance, den Bildungserfolg der Kinder vom Bildungsgrad und dem Geldbeutel ihrer Eltern abzukoppeln. Das ist notwendig;
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denn dann vererbt sich Armut nicht mehr.
Der zweite Ansatzpunkt gegen Kinderarmut ist Geld. Den reformierten Unterhaltsvorschuss habe ich bereits genannt. Der nächste Schritt ist die Erhöhung des Kinderzuschlags; Herr Weinberg hat dazu schon einiges ausgeführt. Wir wollen damit mehr Kinder erreichen und den Kinderzuschlag vereinfachen. Dazu kommen die Erhöhung des Kindergeldes und ein verbessertes Bildungs- und Teilhabepaket: Das Schulstarterpaket wird aufgestockt, die Eigenanteile für die Mittagsverpflegung und die Fahrkarte werden ganz entfallen, und die Abrechnung der Leistungen wird einfacher.
Der dritte Ansatz gegen Kinderarmut ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die Eltern; denn wenn Eltern erwerbstätig sind, ist das Armutsrisiko für Kinder am geringsten. Deshalb sorgen wir beim Kinderzuschlag dafür, dass sich Arbeit für Eltern, die ihn beziehen, immer lohnt. Ein höheres Einkommen wird ihnen nicht gleich wieder vollständig vom Kinderzuschlag abgezogen. Außerdem – ich denke, das ist insbesondere heute auch noch einmal ein ganz aktuelles Thema – kommt die Brückenteilzeit.
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Das Recht auf befristete Teilzeit schützt die Menschen, vor allem Frauen, vor der sogenannten Teilzeitfalle, die gleichzeitig eine Armutsfalle ist. Gute Kinderbetreuung schließlich wirkt doppelt gegen Kinderarmut: durch bessere Bildungschancen für die Kinder und durch eine bessere Vereinbarkeit für die Eltern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir nehmen Familienförderung ernst, und wir nehmen die Bekämpfung der Kinderarmut sehr ernst. Wir wollen, dass es jedes Kind packt! Wir machen es uns dabei nicht einfach.
Vielen Dank.
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Der nächste Redner ist der Kollege Grigorios Aggelidis für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Zimmermann, wenn Sie so über diese niedrigen Einkommen klagen: Wie wäre es denn mit einer deutlichen Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, einer deutlichen Entlastung für Arbeitseinkommen? Lieber Herr Weinberg, es ist sehr schön, dass Sie gerade das Thema Entbürokratisierung ansprechen und versprechen. Wir werden Sie beim Wort nehmen, und zwar schon 2019.
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– Wir werden sehen. – Es ist richtig: Kinderarmut in Deutschland ist ein Problem, dem sich die GroKo bisher nicht ausreichend und nicht dynamisch genug angenommen hat. Wir werden sehen, ob sie es in Zukunft tut. Nur: Die Anrechnung des Kindergelds ist hier eben nicht das zentrale Problem; meine Vorredner haben es schon angesprochen.
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Der Staat garantiert – wohlgemerkt in einem zu komplizierten Verfahren –, dass die existenzielle Grundversorgung in der Regel gewährleistet ist, so die Bertelsmann-Stiftung in einer Studie zur Kinderarmut. Das allein reicht aber nicht. Kinder brauchen ein starkes familiäres Umfeld, und wir müssen vor allem die gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe unserer Kinder und der Familien ermöglichen. Das ist zentral.
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Beides ist elementar für die Familienförderung und eröffnet Kindern ausreichend Chancen für ihr Leben.
Leider, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ist Ihre Argumentation das genaue Gegenteil. Ein schlecht funktionierendes System wollen Sie mit nicht finanzierbaren Ideen auch noch verteuern.
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Aus Ihrer Sicht scheint das Geld an den Bäumen zu wachsen, oder Sie glauben – wie manche scherzhaft sagen –, es liegt bei Frau Merkel im Keller.
Nun aber zum Kern des Problems „Familienförderung ernst nehmen und Kinderarmut bekämpfen“. Die Lösung zur Reduzierung der dauerhaften und wiederkehrenden Armutslagen von Kindern ist – egal mit welchem Experten aus der Praxis Sie sprechen –, die familienpolitischen Leistungen zu bündeln, zu vereinfachen und für eine lebensnahe und wirkungsvolle Teilhabe zu sorgen. Das hilft unbürokratisch.
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Das hilft vor allen Dingen armen Kindern unbürokratisch.
Welche Familie steigt schon bei 150 familienpolitischen und dazugehörigen kinderbezogenen Leistungen, die sich teilweise sogar ausschließen oder in ihrer Wirkung aufheben, durch? Zusätzlich sind auch noch unterschiedliche Akteure im Spiel, die für die Auszahlung zuständig sind. Kindergeld und Kinderzuschlag: Familienkasse; das Wohngeld: die Kommune; für das Sozialgeld sowie den Unterhaltsvorschuss ist das Jobcenter zuständig. Für die Leistungen im Bereich Bildung und Teilhabe ist sogar, je nachdem, wer den Anspruch hat, entweder die Familienkasse oder das Jobcenter zuständig. Mittlerweile steigen da die damit beschäftigten Akteure nicht mehr durch.
Im Gespräch mit der Bundesagentur für Arbeit und den Jobcentern wurde mir bestätigt, dass wir dringend eine Reform des nicht nur diffusen, sondern dysfunktionalen Systems brauchen. In diesem Bereich brauchen wir endlich eine Anlaufstelle für alle Familienleistungen, damit Eltern nicht mehr von Pontius zu Pilatus laufen müssen und damit Kinder die Leistungen bekommen, die sie benötigen.
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Die Komplexität endet aber nicht bei den Anlaufstellen, sondern geht auch noch bei den zahllosen zu kompliziert formulierten Anträgen und Formularen weiter. Diese sind viel zu kompliziert; das attestieren sogar die Behörden selbst. Teilweise widersprechen sich die Altersgrenzen in den unterschiedlichen Sozialgesetzbüchern. Ich würde doch darum bitten, dass wir dafür sehr zügig gemeinsam einfache Lösungen finden.
Auch deshalb brauchen wir eine einfache und damit einhergehend digitale Verwaltung, damit Eltern und junge Menschen ihre Ansprüche kennen und einfach und – wie ich heute im Ausschuss gehört habe – hoffentlich bald online beantragen können.
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Ein wirklich zukunftsfähiges Konzept müsste genau an diesen Punkten ansetzen. Unser Vorschlag für ein vernetztes Kindergeld 2.0 ist ein gutes Beispiel für ein ganzheitliches Konzept, da es einfach ist, eine einkommensabhängige Komponente hat und gleichzeitig Leistungen vor allem bei Bildung und Teilhabe wirkungsvoll bündelt. Ohne eine solche Reform bleibt leider alles in größten Teilen so, wie es ist.
Im Kern müssen wir aber an die Ursachen ran. Schließlich ist belegt, dass Kinderarmut zumeist dann existiert, wenn die Eltern nicht berufstätig sind. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass sich die Aufnahme von Erwerbstätigkeit für Eltern lohnt. Das erreichen wir durch großzügige und einfach ausgestaltete Zuverdienstmöglichkeiten und -grenzen für Hartz-IV-Empfänger – wir sind gespannt, wie schnell, sinnvoll und wirkungsvoll Ihre Vorschläge sein werden –; so wird Familien schrittweise ein Weg aus der Grundsicherung ermöglicht.
Jeder dieser Schritte reduziert Kinderarmut. Langfristig wollen wir jedem in unserer Gesellschaft ein selbstbestimmtes Leben durch Bildung, Ausbildung, Qualifikation und Teilhabe ermöglichen. Das ist die wichtigste Grundlage für die Armutsbekämpfung. Damit stärken wir unsere Familien und langfristig die Zukunft unserer Kinder.
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Herr Kollege, denken Sie an Ihre Zeit.
Letzter Satz. – Starke Familien, die auf eigenen Beinen stehen, sind damit die richtige Basis für eine chancenreiche Kindheit von starken Kindern und für uns alle.
Vielen Dank.
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Die nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Dörner von Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Reichardt, Sie spucken in den Plenardebatten ja immer große Töne. Wir haben heute im Familienausschuss ganz konkret den Etat des Familienministeriums beraten. Was hat die AfD beantragt, um Kinderarmut zu bekämpfen? 0 Euro! In Worten: Null Euro! Ich würde Ihnen einfach anraten, hier mal ganz, ganz kleine Brötchen zu backen.
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Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich bin froh, dass es heute diese Aktuelle Stunde gibt; denn Kinderarmut kann gar nicht häufig genug thematisiert und in den Fokus gerückt werden. Rund 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind arm oder von Armut bedroht, und an dieser Zahl ändert sich eben seit sehr, sehr vielen Jahren so gut wie nichts – trotz einer guten wirtschaftlichen Lage und obwohl ja eine ganze Reihe von Maßnahmen in den letzten Jahren getroffen worden sind.
Man muss nun wirklich keine Prophetin sein, sondern eigentlich nur einen Blick in den Koalitionsvertrag werfen, um zu wissen: Da werden leider auch in den kommenden Jahren keine Weichen gestellt, um aus der Kinderarmut herauszukommen.
Herr Weinberg, es reicht eben nicht, Kinderarmut ganz vorne in den Koalitionsvertrag zu schreiben, wenn man die Webfehler im System der Kinder- und Familienförderung nicht angeht, und das hat diese Koalition leider weiterhin nicht vor.
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Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, was meine ich mit Webfehlern? Das ist vor allem das Matthäus-Prinzip in der Familienförderung nach dem Motto „Wer hat, dem wird gegeben“. Selbstverständlich freuen wir uns für jede Familie, die ab kommendem Jahr mehr Kindergeld bekommt. Aber die Kindergelderhöhung ist eben gerade kein Mittel zur Bekämpfung von Kinderarmut. Wir haben das schon gehört: Jeder Cent wird auf die Leistungen nach dem SGB II angerechnet. 50 Milliarden Euro wurden daher in den letzten Jahren nicht an Familien im ALG-II-Bezug ausgezahlt. Ich bin der Meinung: Dieser Mechanismus muss ein Ende haben. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, und sie sind vor allem keine kleinen Erwerbslosen. Wir müssen uns überlegen, wie wir das außerhalb des SGB II regeln können.
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Wenn ich Matthäus-Prinzip sage, dann meine ich auch die Erhöhung der Freibeträge. Wer profitiert von der Erhöhung der Freibeträge? Das sind Leute mit einem hohen Einkommen, ich beispielsweise oder andere hier im Raum. Ich spare heute schon über den Freibetrag bei den Steuern im Monat mehr Geld, als meine Sachbearbeiterin an Kindergeld bekommt. Ich finde, das ist einfach zutiefst ungerecht, und deshalb müssen wir von diesem Matthäus-Prinzip weg.
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Wir müssen die Förderung von Kindern und Familien in diesem Land vom Kopf auf die Füße stellen. Deshalb plädiere ich sehr stark für die Einführung einer Kindergrundsicherung. Die wäre hier ein ganz entscheidender Hebel.
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Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Schnittstellenproblematik, der ganze Anrechnungswirrwarr, das sind aus unserer Sicht massive Webfehler in der Kinder- und Familienförderung, die wir dringend auflösen müssen. Das zeigt zum einen die Anrechnung des Kindergeldes auf den Regelsatz, aber das zeigt zum anderen auch die Tatsache, dass ein Teil der Alleinerziehenden nach der Reform des Unterhaltsvorschussgesetzes aufgrund der Anrechnungsmodalitäten mit Kinderzuschlag, mit Wohngeld, mit dem Bildungs- und Teilhabepaket weniger in der Tasche haben als vor der Reform. Wir haben den Unterhaltsvorschuss ausgeweitet. Das war eine sehr gute Entscheidung. Aber dass ein Teil der Alleinerziehenden jetzt gar nicht profitiert, sondern weniger in der Tasche hat, ist aus meiner Sicht absolut absurd und kontraproduktiv. Die Bundesregierung hat in der Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion gesagt, sie will jetzt prüfen, was man dagegen machen kann. Mein Eindruck ist leider: Prüfen ist hier die kleine Schwester von Aussitzen. Das werden wir auf keinen Fall so durchgehen lassen, liebe Freundinnen und Freunde.
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Auch dieser Anrechnungswirrwarr ist ein sehr gutes Argument für eine Kindergrundsicherung, für eine Leistung aus einer Hand, damit die Förderung auch ankommt und Kinder nicht in Armut aufwachsen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung plant offensichtlich nicht einmal einen ersten wichtigen Schritt, um Kinderarmut wirksam anzugehen. Ich meine die geplante Reform des Kinderzuschlags. Auch die bleibt nämlich leider halbherzig. Die Summe soll zwar aufgestockt werden – das ist gut –, aber das Grundproblem, dass nur 30 Prozent der Familien, die eigentlich einen Anspruch auf den Kinderzuschlag haben, diesen auch wirklich in Anspruch nehmen, gehen Sie gerade nicht an. Das heißt faktisch, dass weiter Zehntausende Familien in verdeckter Armut leben. Das müsste nicht sein, wenn der Kinderzuschlag automatisch ausgezahlt würde. Ich sage Ihnen: Das ist eine teure Maßnahme, und hier sieht man, dass Sie nicht bereit sind, für diese Maßnahme wirklich Geld in die Hand zu nehmen. Insofern bleibt es dabei: Das GroKöchen setzt die falschen Prioritäten, und deshalb ist Ihr angeblicher Kampf gegen Kinderarmut aus unserer Sicht unglaubwürdig.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Maik Beermann, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass Kinderarmut zu einer Gesellschaft wie der, in der wir hier bei uns in Deutschland leben, einfach nicht passt. Da gibt es auch gar nichts schönzureden. Das wollen wir nicht. Es gilt, daran zu arbeiten, dass dies anders wird. In unterschiedlichen Wortbeiträgen haben wir ja schon wahrnehmen können, wie wir das machen wollen und dass es da unterschiedliche Interessen oder unterschiedliche Herangehensweisen gibt. Das ist ja auch nachvollziehbar und richtig.
Aber, Frau Zimmermann, für mich persönlich ist dieses Thema schon ein sensibeles.
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Es kommt auch immer darauf an, wie man sich hier an das Rednerpult stellt und gewisse Dinge verkauft. Aber es so darzustellen, als ob wir in einem so schwierigen und schlechten Land leben und nicht alles im Blick haben, stimmt so doch gar nicht.
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– Moment, nein. Wir reden nichts schön. Wir wollen diese Probleme lösen. Da lohnt sich auch einmal ein intensiver Blick in den Koalitionsvertrag. Wenn Sie das getan hätten, dann wären einige Dinge schon erledigt.
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– Danke schön. – Ich gebe Ihnen auch recht, dass die immerhin 20 Prozent aller Kinder, die sich dauerhaft oder allgegenwärtig wiederkehrend in einer gewissen Armutslage befinden, eine Größenordnung ist, die wir alle nicht wollen und nicht gutheißen können. Aber zur Wahrheit gehört auch – das sage ich in Richtung von Frau Dörner –, dass eine der größten Errungenschaften in unserem Land – das vergessen wir immer – der Sozialstaat ist. Dieser Sozialstaat sorgt dafür, dass es niemandem an der Grundversorgung mangelt. Das gehört zur Wahrheit in dieser ganzen Debatte dazu.
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– Man kann das natürlich so darstellen wie Sie. Ich kann Ihnen aber auch Beispiele geben, dass unsere Familienpolitik im Land wirkt.
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– Schauen auch Sie sich einmal die Zahlen an. – Unsere Familienpolitik wirkt auch dahin gehend. Seitdem Frau von der Leyen das Elterngeld eingeführt hat, haben wir Gott sei Dank wieder steigende Geburtenraten. Das heißt, auch die Menschen in unserem Land sind wieder bereit, Kinder zu bekommen, weil sie wissen, dass sie eine vernünftige Unterstützung seitens des Staates bekommen. Wir haben einen Rechtsanspruch auf Krippenbetreuung geschaffen usw. Das gehört doch einfach zur Wahrheit dazu. Warum blenden Sie das immer aus? Das hat nichts mit Schönreden zu tun, sondern das sind klare Zahlen, die man belegen kann. Auch das ist eine Errungenschaft unseres Staates, auf die man einfach stolz sein darf.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Armut bedeutet auch Bildungsarmut. Aber Bildung und Teilhabe sind für die Persönlichkeitsentwicklung wichtig und von grundlegender Bedeutung für Kinder. Es ist schon angeklungen, dass wir das Bildungs- und Teilhabepaket definitiv nicht abschaffen wollen – wie es die Grünen in ihrem Wahlprogramm geschrieben haben –, sondern wir wollen es verändern, wir wollen es entbürokratisieren. Wir wollen natürlich, dass mehr Menschen – in diesem Fall mehr Kinder – darauf zugreifen können. Ich finde es gut, dass wir gemeinsam mit der SPD vernünftige Lösungen im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Dort wird klar gesagt: Das Geld, das wir dafür zur Verfügung stellen, soll ausgegeben werden. Wir wollen es gar nicht horten. Es wird nicht komplett abgerufen, also verändern wir etwas in diesem Bereich. Wir entbürokratisieren es, digitalisieren es. Damit führen wir Verbesserungen herbei.
Herr Reichardt, ich bin nicht derjenige, der immer nur basht. Ich möchte auf einige Dinge eingehen und versuchen, diese sachlich anzusprechen. Sie haben durchaus recht mit dem, was Sie sagen: dass Arbeit, Arbeit, Arbeit nicht immer nur der richtige Weg sein kann. Ich bin einmal ganz ehrlich: Ich persönlich kann mich damit anfreunden und eine Diskussion darüber führen, ob es richtig ist, ein Elterngehalt einzuführen. Aber nichtsdestotrotz gibt es in unserem Land eine Wahlmöglichkeit. Diese Wahlmöglichkeit sollte auch erhalten bleiben, und zwar deswegen, damit sich Eltern bewusst entscheiden können, arbeiten zu gehen. Deswegen ist arbeiten zu gehen eine Art der Armutsbekämpfung. Das dürfen wir nicht vergessen. Deswegen gehört es in diesen großen Blumenstrauß der familienpolitischen Leistungen, dafür zu sorgen, Eltern in Arbeit zu bringen, dass sie Beschäftigung haben, dass sie ein vernünftiges Gehalt bekommen. Das trägt nicht nur dazu bei, Armut abzuschaffen. Es trägt zu etwas anderem bei – das ist viel wichtiger –: Es hat eine Vorbildfunktion, wenn Kinder sehen und erfahren, dass es Leistung braucht, um gewisse Dinge zu erreichen, dass Eltern arbeiten gehen müssen, um den Kindern etwas zu ermöglichen.
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Zum Schluss, Frau Dörner, etwas zu dem, was Sie am Schluss Ihrer Rede gesagt haben. Sie haben wieder das angesprochen, was Sie vor einigen Wochen in Ihrem Antrag zum Kinderzuschlag gefordert haben. Auf den Kinderzuschlag möchte ich nicht eingehen, sondern ich möchte etwas zum Kinderfreibetrag sagen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie sprechen im Zusammenhang mit dem Kinderfreibetrag immer von der Förderung von Spitzenverdienern. Das ist jedes Mal so, wenn man davon hört. Diese Diktion ist einfach nicht richtig. Hierzu kann ich nur sagen, dass es vielmehr richtig ist, dass der Kinderfreibetrag dafür sorgt, dass das Existenzminimum von Kindern nicht besteuert wird; das sagt sogar das Bundesverfassungsgericht.
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Deswegen ist der Kinderfreibetrag ein gutes und vernünftiges Instrument zum Einsparen von Steuern.
Wir haben viel erreicht; wir haben auch noch einiges zu tun. Wir werden in der Großen Koalition dafür sorgen, dass wir einen guten Maßnahmenplan auf den Weg bringen, und versuchen, die Kinderarmut bis zum Ende dieser Legislatur auszurotten.
Vielen Dank.
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Thomas Ehrhorn ist der nächste Redner für die AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute über Kinderarmut sprechen wollen, müssen wir sicherlich vornehmlich auch über die Ursachen von Kinderarmut sprechen. Eine entscheidende Frage ist zum Beispiel: Ist das Problem tatsächlich zu wenig Sozialstaat? Da ich weiß, wie Sie von der Linken und von den Grünen diese Frage beantworten werden, nämlich mit einem klaren Ja, möchte ich einmal mit ein paar Zahlen aufwarten, die vielleicht zu einer gewissen Erhellung führen können.
1980 war der Anteil der Sozialleistungen am gesamten Bundeshaushalt 16 Prozent. 30 Jahre später, im Jahre 2010, lag er bereits bei 50 Prozent, und heute liegt er etwa bei 57 Prozent. Und was sagt uns das? Das sagt uns, dass wir diesen Sozialstaat in den letzten 40 Jahren in einer Art und Weise ausgebaut haben, die nicht mehr zu toppen ist.
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Im gleichen Zeitraum hat sich allerdings die Kinderarmut zumindest statistisch verdoppelt. Und was sagt uns das nun wieder? Es sagt uns, dass das linke Allheilmittel für fast jedes gesellschaftliche Problem, nämlich immer mehr Transferleistungen und immer mehr Umverteilung, möglicherweise hier nicht zum Ziel führt.
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Diese Diskussion ist nämlich leider etwas zu einfach und zu undifferenziert, und das Undifferenzierte beginnt schon damit, dass wir hier völlig falsche und in die Irre leitende Begrifflichkeiten einführen. „Kinderarmut“ – ich bitte Sie: Was soll denn das sein? Haben Kinder denn inzwischen, ohne dass ich das bemerkt hätte, ihr eigenes Girokonto? Was ist denn das für ein Unsinn?
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Kinder sind deswegen arm, weil die Eltern arm sind. Das ist hier der Punkt.
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Und warum sind Eltern denn arm? Da gibt es natürlich eine ganze Palette von Möglichkeiten. Es können Schicksalsschläge sein. Sie haben durchaus recht: Manchmal hat es etwas mit den Niedriglöhnen zu tun, mit prekären Arbeitsverhältnissen. Wir brauchen gar nicht so weit zu schauen, um so etwas zu finden, meine Damen und Herren: Die Fahrer des Deutschen Bundestages, die Sie jeden Tag in der schwarzen Limousine von A nach B fahren, werden in einer Art und Weise ausgebeutet, die nicht mehr zu verantworten ist.
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Das wäre doch mal ein schönes Gemeinschaftsprojekt, sich hier zu engagieren. Es scheint aber, ehrlich gesagt, nicht sehr viele Kollegen zu interessieren. Ja, Sie haben recht: Es kann nicht sein, dass jemand, der den ganzen Monat hart abbuckelt, am Ende des Monats in der Lohntüte so wenig vorfindet, dass er davon seine Familie nicht sattkriegt. Das kann so nicht sein. Arbeit muss sich wieder lohnen in diesem Land.
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Es gibt da aber leider einen zweiten Aspekt, die Medaille hat eine zweite Seite, die allerdings in Ihrem linken, sozialromantischen Weltbild leider nicht vorkommt – trotzdem gibt es sie. Sie kommen darauf, wenn Sie sich mal vor Augen führen, dass wir trotz mehrerer Millionen Arbeitsloser nicht in der Lage sind, 770 000 offene Stellen zu besetzen. Das könnte vielleicht damit zu tun haben, dass es in unserem Land Menschen gibt, die schon in der zweiten und dritten Generation von der Stütze leben, gar nichts anderes wollen und das auch völlig in Ordnung finden, meine Damen und Herren.
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Stellenweise haben wir es hier tatsächlich mit regelrechten Hartz-IV-Dynastien zu tun. Ja, die Kinder dieser Eltern sind bedauerlicherweise arm. Aber das Problem dieser Kinder sind nicht der Staat und nicht die Gesellschaft, sondern das Problem dieser Kinder sind bedauerlicherweise – so muss man es sagen – ihre eigenen Eltern.
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Das ist nicht nur deswegen schlimm, weil diese Kinder arm sind, sondern es ist auch deswegen schlimm, weil diese Eltern eine katastrophale Vorbildfunktion abgeben.
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Der Ausweg kann nur sein – das haben Sie durchaus richtig erkannt –: Bildung und Arbeit. Die Lösung, die dorthin führt, ist, dass wir endlich einmal richtige Anreize setzen müssen, um die Langzeitarbeitslosigkeit zu überwinden,
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zum Beispiel ein aktivierendes Grundeinkommen für diejenigen, die arbeiten wollen – so wie Sie es zum Beispiel in unserem Parteiprogramm finden werden, wenn Sie mal nachschlagen würden –, aber mit Sicherheit liegt die Lösung nicht in einer sanktionsfreien Alimentierung derer, die erkennbar nicht arbeiten wollen.
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Meine Damen und Herren, wenn wir über sozialstaatliche Leistungen reden, müssen wir auch über Finanzierbarkeit reden. In diesem Zusammenhang möchte ich kurz auf den Parteitag der Linken zu sprechen kommen.
Aber sehr kurz, bitte.
Dort hat sich offenkundig die Überzeugung von Frau Kipping durchgesetzt, man möge doch offene Grenzen für die laut UNHCR 60 Millionen Flüchtlinge haben, die Sie in unsere Sozialsysteme aufnehmen wollen.
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Man kann selbst einem zehnjährigen Schüler einer Förderschule erklären, dass das niemals funktionieren kann.
Danke schön.
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Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Stefan Schwartze.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten setzen uns dafür ein, dass alle Kinder einen guten Start ins Leben bekommen. Wir wollen ihnen unabhängig von ihrer Herkunft und unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern ein gutes Aufwachsen ermöglichen und entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Wie unsere Familienministerin Franziska Giffey es treffend formuliert: Unser Ziel muss sein, dass es jedes Kind packt.
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Bei der Verhinderung von Kinderarmut gibt es nicht die eine Antwort bzw. die eine Maßnahme.
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Seit langem ist bekannt, dass das Armutsrisiko von Kindern natürlich von der Erwerbsbeteiligung ihrer Eltern abhängt. Wir wollen, dass Menschen gute Arbeit haben, von der sie selbst und ihre Kinder leben können. Daher ist uns der Mindestlohn und seine zukünftige Höhe so wichtig. Daher muss die Bekämpfung von prekärer Beschäftigung weiter vorangehen. Daher streiten wir so sehr für das Recht auf Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit; ich bin froh über die Brückenteilzeit, die heute auf den Weg gebracht wurde.
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Daher setzen wir uns als Sozialdemokraten seit Jahren dafür ein, den Ausbau der Betreuungs- und der Bildungsinfrastruktur qualitativ und quantitativ voranzubringen. Ich könnte an vielen Punkten ergänzen.
Ein weiterer ganz wichtiger Baustein bei der Bekämpfung der Kinderarmut war in der letzten Wahlperiode die Reform des Unterhaltsvorschusses, die wir auf den Weg gebracht haben. Dass wir in diesem Bereich mehr finanzielle Mittel aufwenden – Caren Marks hat das eben ausgeführt –, zeigt ganz deutlich, dass wir mit der jetzigen Form des Unterhaltszuschusses ein wirkungsvolles Unterstützungsinstrument für die Alleinerziehenden und ihre Kinder haben, das dafür sorgt, dass die Unterstützung auch zielgenau ankommt.
Auch in der aktuellen Legislaturperiode lassen wir nicht nach, auch nicht gegenüber unserem Koalitionspartner. Wir haben ein umfassendes Paket zur Bekämpfung von Kinderarmut im Koalitionsvertrag durchgesetzt. Zu diesem Paket gehören verschiedene Bausteine. Die wichtigsten sind für mich: mehr und gute Kitaplätze, der Einstieg in Gebührenfreiheit, der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder,
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eine bessere Ausstattung der Schulen, die Verbesserung des Bildungs- und Teilhabepakets
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und ganz besonders die geplante Erhöhung und leichtere Beantragung des Kinderzuschlags für einkommensschwache Familien.
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Speziell auf den Kinderzuschlag möchte ich noch einmal eingehen: Mit dem Kinderzuschlag unterstützen wir Eltern, die arbeiten, aber trotzdem nur ein geringes Einkommen haben. Im Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern und in Gesprächen mit Behördenvertretern stelle ich immer wieder fest, dass der Antragsweg für viele viel zu kompliziert ist, um an diese wichtige Leistung zu kommen, ja, teilweise wissen sie gar nicht, dass sie einen Anspruch auf diese Leistung haben. Für mich ist klar, dass die Beantragung des Kinderzuschlags entbürokratisiert werden muss. Wir werden auch prüfen, wie Kinderzuschlag, Wohngeld, Kindesunterhalt und Unterhaltsvorschuss besser aufeinander abgestimmt werden können. Ein weiteres Problem beim Kinderzuschlag ist, dass er ab einer individuellen Einkommensgrenze schlagartig wegfällt. In den Koalitionsverhandlungen haben wir durchgesetzt, dass diese harte Abbruchkante abgeschafft wird.
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Wichtig ist für mich, dass wir dafür sorgen, dass alle Anspruchsberechtigten erreicht werden. Insbesondere denke ich dabei an Alleinerziehende und an die kinderreichen Familien. Zusammen mit dem Kindergeld muss der Mindestbedarf, das sächliche Existenzminimum, gedeckt werden. Trotzdem bleibt unser Ziel – auf der langen Linie – die Einführung einer Kindergrundsicherung.
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Ich freue mich auf die Diskussionen und möchte allen noch einmal in Erinnerung rufen: Jeder Euro, den wir in die Zukunft unserer Kinder investieren, ist ein gut investierter Euro.
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Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Für die Fraktion Die Linke hat das Wort nun der Kollege Norbert Müller.
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Noch wird bei der Sozialdemokratie gelacht. – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte Gäste! Wir führen hier ja nicht die erste Debatte über die grassierende Kinderarmut in Deutschland. Ich bin natürlich ganz angetan und euphorisch, dass die Koalition, wie die Kollegen Beermann und Weinberg von der CDU sowie Frau Marks und Herr Schwartze von der SPD es dargestellt haben, nach jahrelangen Debatten endlich erkannt hat und anerkennt: Es gibt Kinderarmut in Deutschland, und man muss etwas dagegen tun. Herzlichen Glückwunsch und guten Morgen!
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Aber ich bin auch ein bisschen enttäuscht von Ihren Beiträgen. Sie haben nämlich zwei entscheidende Dinge, wie immer, ausgelassen:
Erstens. Den einen Aspekt beschreibt Thomas Krüger, der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks, in einer heute veröffentlichten Erklärung. Ich kann das mit meinen Worten gar nicht so gut beschreiben wie er. Es geht nicht nur um die 5 Milliarden Euro, die Sie beim Kindergeld sparen; es geht um 25 Milliarden Euro, die Sie den Menschen, die im Sozialbezug sind, die Hartz IV beziehen, jedes Jahr vorenthalten. Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten:
Gerade durch die politische Kleinrechnung der Regelsätze wird armen Menschen in Deutschland das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben in vielen Fällen vorenthalten. Sozialexperten haben unlängst ermittelt, dass die Bundesregierung durch das Herunterrechnen der Hartz-IV-Sätze jährlich 25 Milliarden Euro spart.
Weiter sagt er: „Es hilft also nicht ein Herumdoktern an Sonderbedarfen oder minimale Erhöhungen“ hier und dort, sondern da muss man rangehen. Da leben die 2 Millionen armen Kinder, um die es hier häufig geht. Diese Kinder sind im Regelbedarf, sie leben in Hartz-IV-Haushalten, und in genau diesen Haushalten sparen Sie jedes Jahr 25 Milliarden Euro ein, indem Sie die Regelbedarfssätze politisch herunterrechnen. Das muss aufhören.
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Zweitens – und da bestehen Sie den Realititätscheck schlichtweg nicht – : Sie können sich doch nicht ernsthaft hinstellen und immer wieder sagen: Die Menschen müssen nur arbeiten gehen, dann sind die Kinder nicht arm. – Von den 2 Millionen armen Kindern leben 1 Million Kinder in Haushalten von Alleinerziehenden; die Mehrheit von denen geht arbeiten. Und von den Kindern, die nicht bei Alleinerziehenden leben, leben Hunderttausende Kinder in Aufstockerhaushalten. Das heißt, es geht hier um Hunderttausende Kinder. Ein großer Anteil der armen Kinder lebt in Haushalten, wo einer oder beide Elternteile arbeiten gehen, und trotzdem sind sie arm. Darüber muss man reden. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, die Elternteile in Arbeit zu bringen. Das rettet sie nicht.
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Ich möchte das Schlaglicht auf Armut, auf Kinderarmut und auf Jugendarmut werfen. Es gibt verschiedene Arten von Armut. Wir wissen, dass Kinderarmut häufig dadurch entsteht, dass Kinder in arme Familien hineingeboren werden, dass viele dieser Kinder ihr Leben lang arm bleiben und am Ende auch arme Alte sind.
Aber es gibt auch Menschen, die in bestimmten Lebenslagen arm werden. Das gilt gerade für Alleinerziehende; das habe ich angesprochen. Das gilt aber auch für Familien, in denen das dritte oder vierte Kind erwartet wird. Diese Familien werden arm, weil sie sich als Vielkindfamilien die Miete nicht mehr ohne Weiteres leisten können, weil das Leben in den Städten für sie teurer wird. Diese Familien geraten durch ihre Kinder in Armut.
Außerdem gibt es Menschen, die in bestimmten Alterslagen arm werden. Ich möchte insbesondere über die Jugendarmut reden. Denn – die Zahl ist gefallen – es sind zwar 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen arm, aber es sind auch 25 Prozent der 18- bis 25-Jährigen arm. Dabei handelt es sich zu einem großen Teil um ehemals arme Kinder, die, wenn sie volljährig werden, natürlich nicht auf einmal zu Reichtum und guten Verdiensten kommen, sondern dann arme junge Heranwachsende bzw. arme junge Erwachsene sind. Es gibt auch viele Menschen, die in dem Moment arm werden, in dem sie volljährig werden und das Elternhaus verlassen. Wir Linke fordern – der DGB hat sich dem angeschlossen – eine Mindestausbildungsvergütung von 80 Prozent der durchschnittlichen Ausbildungsvergütungen.
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Warum ist das so? Weil junge Menschen, die in Ausbildung sind, häufig so wenig verdienen, dass sie dann, wenn sie das Elternhaus verlassen – diese Flexibilität wird ja mitunter gefordert und ist möglicherweise auch notwendig –, arm sind, weil die Ausbildungsvergütung oder das BAföG nicht reicht. Über das BAföG ist viel geredet worden. Das BAföG ist so niedrig, dass jeder junge Mensch, der davon leben muss, arm ist, weil es unterhalb der Grenze liegt, die die finanzielle Existenz eines Menschen sichern soll. Das BAföG ist zu niedrig. Wir Linke fordern: Das BAföG muss armutsfest werden.
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Natürlich beziehen auch 18- bis 25-Jährige häufig noch Kindergeld, wenn sie in Ausbildung sind. Niemandem ist zu erklären – Katja Dörner hat das angesprochen –, warum das Kindergeld für den durchschnittlichen Bezieher 100 Euro niedriger ist als die maximale steuerliche Entlastung aus dem Kinderfreibetrag zum Beispiel für Kinder von Bundestagsabgeordneten. Deswegen sagen wir Linke: Das Kindergeld muss so hoch sein wie die maximale steuerliche Entlastung von Spitzenverdienern.
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Klar ist aber auch, dass es insbesondere für die Jugendlichen bzw. jungen Leute, die sozusagen den Start ins Leben wagen, heute komplizierter ist als vor 10, 20, 30 Jahren bzw. als vor zwei oder drei Generationen. Die Schwächsten in dieser Altersgruppe quält man sogar am meisten. Es kann doch nicht sein, dass 2017 236 000 Sanktionen gegen unter 25-Jährige verhängt worden sind, davon allein 19 000 Sanktionen, und zwar Vollsanktionen, weil ein Termin nicht eingehalten wurde. Das trifft genau jene jungen Leute, die aus armen Familien kommen und es besonders schwer haben. Sie wurden am häufigsten sanktioniert. Das heißt für uns Linke: Sie muss man besonders stärken. Folgen Sie unseren Vorschlägen – übrigens auch denen der Kinderkommission aus der letzten Wahlperiode –, die Hartz-IV-Sanktionen abzuschaffen!
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Letzter Satz, Herr Präsident. Ja, wir brauchen gerade für diese jungen Menschen eine gut ausgebaute Kinder- und Jugendhilfe, die auch Hilfe für junge Volljährige leistet. Denn es kann doch nicht sein, dass ich für meine Kinder, wenn sie volljährig sind, immer noch gut sorgen und sie durchbringen kann, dass aber Kinder, die in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe oder in Heimen leben, dort herausfliegen, wenn sie 18 Jahre alt sind, und dann häufig in die Obdachlosigkeit rutschen. Auch um sie müssen wir uns kümmern. Auch da spielt die Jugendarmut eine viel zu große Rolle. Dazu habe ich vonseiten der Bundesregierung nichts gehört und übrigens auch im Koalitionsvertrag nichts gelesen. Hier müssen wir ansetzen.
Vielen Dank.
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Der Kollege Michael Kießling ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man diese Debatte verfolgt, stellt man fest, dass teilweise ein Zerrbild des Sozialstaates in Deutschland gezeichnet wird: einmal von der AfD, die ihn vereinfacht darstellt und falsche Schlussfolgerungen zieht, und einmal von den Linken, die ihn als katastrophal beurteilen. Meine Damen, meine Herren, so ist es nicht in Deutschland.
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– Darüber, dass jedes Kind, das in Armut lebt, eines zu viel ist, brauchen wir nicht zu diskutieren;
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ich glaube, da sind wir uns in diesem Hause alle einig. Die Frage ist: Was können wir dagegen tun?
Die Familie ist der Halt unserer Gesellschaft und auch der Halt für die Kinder. Wenn ich mir die Politik, die CDU und CSU gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner machen, vor Augen führe, muss ich sagen: Wir stellen im Koalitionsvertrag etwas auf die Beine, das sich durchaus sehen lassen kann und das in den nächsten Jahren umgesetzt wird. Wir wissen, dass sich Kinder nicht selbst aus der Armut befreien können. Deshalb ist – das war so, ist so und wird auch in Zukunft so sein – die Förderung und Entlastung der Familie ein Kernanliegen von CDU und CSU. Dadurch schaffen wir es, die Kinderarmut zu bekämpfen.
Aufgrund der vielfältigen Ursachen gibt es kein Einheitsrezept, wie wir vorgehen müssen. Wir brauchen ein Maßnahmenbündel; das zeigt auch der Koalitionsvertrag. Teilweise spiegelt sich das im Familienhaushalt, teilweise auch in anderen Haushalten wider. Ich denke, dass wir Maßnahmen sowohl für Eltern als auch für Kinder brauchen.
Ein wesentlicher Punkt ist schon genannt worden, nämlich die Bildung. Wir müssen verstärkt schauen, dass Kinder Zugang zu Bildung bekommen, entsprechende Zukunftschancen haben und sich entwickeln können. Wir müssen aber auch schauen, dass die Eltern ihre Vorbildfunktion auch wahrnehmen und die Kinder aus dieser Armut herausbegleiten. Dazu gehören eben auch – so wie es halt ist – Arbeit und Leistung.
Es gibt natürlich auch Familien, bei denen das nicht möglich ist, die keine Chance auf Arbeit haben, und da müssen wir etwas genauer hinschauen.
Ich denke, die Einführung des Elterngeldes, die Erhöhung der Zahl der Betreuungsplätze, die Regelungen zum Kinderzuschlag und die Erhöhung des Kinderfreibetrages sind markante Leistungen, die für Stärkung, Schutz und Prävention von Kinderarmut sorgen. Zudem setzen wir, wie gesagt, darauf, dass Bildung der Schlüssel zur Vorbeugung gegen Armut ist.
CDU und CSU wollen auch weiterhin die finanzielle Situation der Familien spürbar verbessern.
Es gibt auch Themen, die präventiv zur Bekämpfung der Kinderarmut beitragen. Diese müssen wir auch sehen. Wir haben gefragt: Wie können wir Kinderarmut bekämpfen? Wir müssen aber auch schauen: Wie können wir sie verhindern? Dazu gehören Kinderfreibeträge, wir wollen das Niveau des Kinderfreibetrags in zwei Schritten auf das Niveau des Erwachsenenfreibetrages anheben, und wir wollen das Kindergeld um 300 Euro jährlich erhöhen. Dazu gehört aber auch, dass wir die Familien beim Erwerb von Wohneigentum unterstützen, um Armut zu verhindern
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– na ja, das gehört dazu; wenn ich Eigentum habe, dann bin ich auch in Zukunft gegen Armut abgesichert; ich rede jetzt von Prävention und nicht davon, die Kinder aus der Armut zu holen –,
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und dazu gehören auch – diese Themen haben wir mit der SPD heute auch im Ausschuss für Bauen behandelt – Mietwohnungsbau und sozialer Wohnungsbau. Auch das sind Kostenfaktoren, von denen ich die Familien letztendlich entlasten kann.
Zusammenfassend denke ich: Klar, jedes Kind in Armut ist eines zu viel. Wir dürfen bloß nicht zu kurz springen und müssen uns das gesamte Paket, wo wir helfen und entlasten können, anschauen. Ich bin zuversichtlich dass wir zusammen mit unserem Koalitionspartner, der SPD, und auch in der Diskussion in unseren Ausschüssen gute Lösungen dafür finden, wie wir das in Zukunft angehen werden.
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Zur Statistik – die Frau Staatssekretärin hat es ja angesprochen –: In Bezug auf die Kinderarmut sind wir in Europa auf einem guten Posten, das heißt, wir sind nicht die Schlechtesten.
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Wir wissen auch, dass sich die Probleme durch die Zuwanderung in der letzten Zeit erhöht haben. Wenn arme Eltern mit armen Kindern kommen, dann können sie natürlich nicht von heute auf morgen nicht mehr arm sein. Das schafft auch unser leistungsstarker Sozialstaat nicht. Ich denke, hier müssen wir ansetzen.
Bei den Kindern, die in Deutschland geboren wurden – ob mit oder ohne Migrationshintergrund –, stagnierten die Zahlen. Durch die Zuwanderung sind sie wieder gestiegen. Wir sind auf einem guten Weg, aber wir sind noch nicht da, wo wir eigentlich sein wollen.
Ich denke, hieran sollten wir in Zukunft arbeiten. Lassen Sie unsere Ausschüsse vernünftig über die Themen diskutieren und nicht zu stark nach zu einfachen Lösungen greifen, die uns nicht weiterbringen.
Herzlichen Dank.
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Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Dagmar Schmidt, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der amerikanische Philosoph John Rawls machte ein Gedankenspiel, das er den „Schleier des Nichtwissens“ nannte. Er fragte: Was würde man für gerecht halten, wenn man nicht wüsste, welchen sozialen Status man hat, wenn man nicht wüsste, welches Geschlecht, welche Nationalität, welche Herkunft, welches Aussehen, welche Intelligenz, welche Talente, welche Einschränkungen, welchen Charakter und was für Eigenschaften man hat? Wenn man das alles nicht wüsste: Was wären dann faire Regeln für das Zusammenleben? Was wäre dann gerecht?
Ich glaube, die wenigsten würden hinter dem Schleier des Nichtwissens auf die Idee kommen, dass es gerecht ist, wenn die Herkunft und nicht Fleiß und Talent, Charakter und soziales Verhalten über die Chancen und Möglichkeiten entscheidet, wenn Nachteile nicht ausgeglichen und Hindernisse nicht aus dem Weg geräumt würden. Aber immer noch entscheiden das Elternhaus, Einkommen, Bildungsstand und sozialer Stand der Eltern über die Bildung, die Chancen und die Möglichkeiten der Kinder.
Ich zitiere dazu mit Erlaubnis des Präsidenten einen der Autoren einer entsprechenden Studie: Sebastian Braun, Arbeitsmarktforscher am Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Er sagt:
Selbst nach vier Generationen konnten wir immer noch einen Zusammenhang zwischen dem eigenen sozialen Status und dem der Vorfahren messen.
Konkret heißt das:
Je geringer der soziale Status der Urgroßeltern, desto geringer der Status der Urenkel heute.
Auch unser Sozialstaat betrachtet die Kinder in Abhängigkeit von ihren Eltern. Reiche Eltern erhalten für ihre Kinder einen Steuervorteil, der über dem Kindergeld in Höhe von 194 Euro liegt. Das Kindergeld erhalten durchschnittlich verdienende Eltern. Kinder von Eltern, die wenig verdienen, erhalten dazu den Kinderzuschlag von bis zu 170 Euro und das Bildungs- und Teilhabepaket, das je nach Bedarf und Beantragung variiert. Kinder aus dem Hartz-IV-Bezug erhalten zusätzlich zum Regelsatz von durchschnittlich etwa 280 Euro das Bildungs- und Teilhabepaket.
Auch wenn wir schon Ausgleichsmechanismen wie den Kinderzuschlag haben: Wer schon viel Geld hat, der bekommt für seine Kinder mehr als diejenigen, die wenig oder gar nichts haben.
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– Das ist ungerecht. – Ich glaube, hinter dem „Schleier des Nichtwissens“, wenn man nicht wüsste, in welcher Lage man sein Kind großzieht oder wo und wie man selber aufwächst, würde man das als nicht gerecht empfinden. Was man gerecht finden würde, wäre echte Chancengleichheit, der Ausgleich von Nachteilen, die Würdigung von Anstrengung, solidarisches Verhalten und Fleiß. Gerecht wäre, die Ausgangs- und Rahmenbedingungen für alle so aufzustellen, dass alle die Chance haben, ihren Weg selbstbestimmt zu gehen, um glücklich zu werden.
Um auch armen Kindern den gleichberechtigten Zugang zu Bildung, Sport, Musik und Kultur zu gewähren, musste Frau von der Leyen 2011 auf Druck des Bundesverfassungsgerichts das Bildungs- und Teilhabepaket einführen. Das ist kompliziert, bürokratisch und erreicht deswegen lange nicht alle. Aber es ist besser als nichts. Viele haben sich damit arrangiert, und für viele garantiert es Teilhabe und Chancen. Deswegen wollen wir das Bildungs- und Teilhabepaket entbürokratisieren, den Zugang einfacher machen und die Leistungen verbessern.
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Wir wollen das Schulstarterpaket aufstocken und den Eigenanteil am Mittagessen in den Schulen und Kitas und für die Schülerbeförderung streichen. Wir wollen die Lernförderung verbessern. In der letzten Legislatur war das leider noch nicht möglich. Da war es noch so, dass nur Kinder, die von Abstieg bedroht sind, unterstützt werden konnten. Wir haben erreicht: Auch diejenigen, die sich in der Schule verbessern wollen und den Aufstieg angehen, bekommen unsere Unterstützung. Das ist eine richtig gute Sache.
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Wir brauchen perspektivisch aber mehr als das. Echte Chancengleichheit braucht einen kostenfreien Zugang zu allen Bildungseinrichtungen und Lehrmittelfreiheit. Sie braucht gemeinsames Aufwachsen trotz unterschiedlicher sozialer Herkunft. Sie braucht aber vor allem einen Paradigmenwechsel in unserer Sicht auf die Kinder.
Kinder haben eigene Rechte. Sie können ihre soziale Lage nicht aus sich heraus ändern. Deswegen tragen wir als Gesellschaft eine ganz besondere Verantwortung für sie. Deswegen muss uns jedes Kind gleich viel wert sein. Niemand darf wegen seiner Kinder arm werden. Wir brauchen für jedes Kind eine eigenständige Absicherung, die Teilhabe und gleiche Möglichkeiten garantiert.
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Wir brauchen perspektivisch eine Kindergrundsicherung, mit der alle Kinder gleich unterstützt werden, die aber dem Steuersatz der Eltern unterworfen ist. Damit kehren wir die Logik um: Wer wenig hat, bekommt mehr als derjenige oder diejenige, der oder die schon viel hat.
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Wichtige Schritte sind bereits gegangen worden, weitere Schritte werden wir in dieser Legislaturperiode gehen. Am Ende aber müssen wir mutig sein, die großen Räder in der Sozial- und Bildungspolitik zu drehen, wenn wir wirklich Chancengleichheit und ein gutes Leben für alle Kinder wollen.
Um es mit den Worten der Heldin Pippi Langstrumpf zu sagen: „Das haben wir noch nie probiert, also geht es sicher gut.“
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Der nächste Redner ist der Kollege Martin Patzelt, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste, schön, dass Sie da sind! Armut ist ein schillernder und relativer Begriff, genau wie Reichtum. Wenn ich mich mit Bill Gates vergleiche, dann bin ich ein armer Schluckspecht. Ich möchte einmal meine Kolleginnen und Kollegen hier im Plenum fragen, wer sich von Ihnen als reich empfindet. Ich empfinde mich als außerordentlich reich. Ich habe viel mehr, als ich zum Leben brauche.
Das Bundesverfassungsgericht bestimmt und wacht immer sehr genau darüber, was zum Leben notwendig ist, und zwingt uns als Parlament – manchmal sind wir da widerwillig – zu den tatsächlich nötigen Anpassungen.
Und dies gilt: Was die Armen bekommen, die kein eigenes ausreichendes Einkommen haben, soll den Mindestbedarf für ein menschenwürdiges Leben sichern. Was ist menschenwürdig? Darüber entscheiden dann Kommissionen, die sich durchaus nicht über die Bedürfnisse von Menschen hinwegsetzen und die in das Paket an Hartz-IV-Leistungen, an Mindestbedarfssicherung, an Grundsicherung sehr wohl auch kulturelle Bedürfnisse von Menschen implizieren.
Wenn wir immer von den Leistungen für Hartz-IV-Empfänger oder deren Kinder reden, dann muss man auch dazusagen, dass mit dem Teilhabepaket für alle Schulausflüge die tatsächlichen Kosten übernommen werden, dass für den Schulbedarf 100 Euro jährlich gezahlt werden, dass für Beförderung und Lernförderung die tatsächlichen Kosten übernommen und für Mittagsverpflegung ein Zuschuss gezahlt wird, obwohl das Essen schon in der Grundversorgung enthalten ist. Für Vereine oder die Musikschule gibt es 10 Euro im Monat.
Das alles muss man dazurechnen, ebenso wie die weit über 100 Ferienheime für bedürftige Familien, die mit einer erheblichen Förderung in allen Bundesländern in den wunderschönsten Gegenden Deutschlands sozial Schwächeren mit ihren Kindern einen Urlaub ermöglichen. Das sind alles Leistungen und Angebote – und ich könnte mir noch viel mehr ausdenken –, die ich in unserem gesellschaftlichen Gebaren ablese und die man dazurechnen muss, wenn man über dieses Thema redet.
Armut ist also sehr relativ. Ich stamme aus einer armen Familie. Meine Mutter hat mir die zweite Tasse Milch immer vorgerechnet und gesagt: Denk an deine Geschwister! – Meine Frau und ich haben unsere Kinder bewusst bescheiden erzogen, weil wir uns nie vorstellen konnten, dass der Reichtum dieser Gesellschaft, den wir im Westen absehen konnten, so anhalten wird. Wir werden uns noch alle wundern. Wenn es uns dann nicht gelingt, uns in unserem eigenen Leben mit dem, was wir für nötig erachten und was das Leben auch etwas schöner machen kann, zu begnügen und damit auszukommen, dann werden wir immer in der Schraube stehen, dass wir uns als die Ärmeren fühlen, weil Armut immer eine Frage von Vergleich ist.
Wenn wir die Armutsbiografien ansehen – darauf haben viele Vorredner hingewiesen –, dann ist es immer so, dass Armut vererbbar ist, zwar nicht wie ein reich gefülltes Konto, das man verschleudern könnte, aber in der Weise, dass Eltern, die nicht in der Lage sind, mit dem, was ihnen zur Verfügung steht, vernünftig auszukommen, tatsächlich arm sind an Lebensbewältigung. Sie sind nicht in der Lage, ihr Leben so zu gestalten, dass sie sagen: Auch wenn ich weniger Geld habe als andere, versuche ich, mit diesem Geld mein Leben zu bewältigen. – Das erleben Kinder schon sehr früh.
Es geht auch um Primärsozialisation. Gehen Sie bitte in die Arbeitsämter und Jobcenter – ich habe das gemacht –: Was sind denn die wesentlichen Hemmnisse bei der Eingliederung von Arbeitslosen? Dass sie nicht einmal über die Primärqualifikation für eine ordentliche Arbeit verfügen – also Ausdauer-, Fleiß- und Anstrengungsbereitschaft und die ganz einfachen Tugenden von Höflichkeit, Ordnung und Pünktlichkeit –, macht sie auf dem Arbeitsmarkt ärmer, sodass Arbeitgeber sagen – das haben mir viele versichert –: Wenn die mit einem Schein vom Arbeitsamt zu mir kommen, dann kann ich sie nicht einstellen; ich kann sie einfach nicht gebrauchen. Das tut mir leid.
Wer dann in der Arbeitslosigkeit verbleibt, sind Menschen, die nicht über diese Kompetenzen, geschweige über daraufaufbauende Bildungskompetenzen, verfügen. Das ist sehr bedauerlich, aber eine solche Debatte wie diese eignet sich nicht, um Klassenkampf zu führen und die Verhältnisse der Reichsten und der Ärmsten zu vergleichen und zu sagen: Daraus machen wir mal den Durchschnitt, und dann funktioniert das alles. – Das funktioniert nicht. Es funktioniert auch nicht, mit Schaum vor dem Mund die anderen Parteien zu beschimpfen und ihnen etwas vorzuwerfen.
Es gibt auch nicht das Allheilmittel einer Familie, wie sie sich in der Vergangenheit abgebildet hat, weil Menschen nicht mehr so leben wollen und wir in unseren Demokratien das nicht vorschreiben wollen. Das hat mein Kollege auch sehr gut ausgeführt.
Wir sollten in der immer wieder andauernden Armutsdebatte einen Schritt weiterkommen und versuchen, der multifunktionalen Situation und den multifaktoriellen Bedingungen von Armut in einem ordentlichen Gespräch nachzugehen, statt uns hier immer Zahlen um die Ohren zu hauen. Das bringt uns einfach nicht weiter.
Erziehung, Bildung, Qualifikation und dann Arbeit: Das ist die Reihenfolge, in der Armut bekämpft werden kann. Die CDU hat hier sehr viel getan und sehr viele Menschen in Arbeit gebracht. Das ist der richtige Weg. Wir müssen überlegen, warum die Menschen, die heute ihr Einkommen nicht durch Arbeit erwirtschaften können, keine Arbeit finden. Was müssen wir tun? Da gibt es viele Programme. Ich bin sehr froh, dass auch unser Familienministerium wiederum die Töpfe für frühe Hilfen, für Patenschaften und für Begleitung von Familien pflegt,
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allerdings aus meiner Sicht immer noch zu wenig. Wir pflegen sie und halten sie, weil wir neben Geldleistungen – diese sind immer notwendig; das will ich nicht bestreiten – denjenigen, die ihre Kinder nicht ausreichend sozialisieren können, die aus unterschiedlichen Gründen die Kraft dazu nicht haben – auch weil wir manchmal Familien durch unsere Maßnahmen zerstören –, Hilfe geben wollen.
Ich wünsche mir, dass wir weiterkommen und Armut differenzierter betrachten, damit wir sie erfolgreich bekämpfen können.
Danke schön.
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Der letzte Redner in der Aktuellen Stunde ist der Kollege Michael Schrodi für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor zwei Tagen fand in München eine Veranstaltung der Freien Wohlfahrtspflege Landesarbeitsgemeinschaft Bayern – dazu gehören unter anderem die Arbeiterwohlfahrt, das Rote Kreuz und die Caritas – unter dem Titel „Armut im reichen Bayern. Lebenswirklichkeit statt Schönfärberei“ statt. Der BR berichtete über diese Armutskonferenz in Bayern und unter anderem darüber, dass auch im reichen Bayern 1,2 Millionen Menschen von Armut bedroht sind und die Quote seit Jahren steigt.
Dabei wurde natürlich auch das drängendste Problem angesprochen: die Kinderarmut. Ich begrüße es deshalb immer, wenn wir über das Thema Kinderarmut sprechen. Das ist nicht nur im reichen Bayern, sondern auch in der ganzen Bundesrepublik ein drängendes Problem. Wir Sozialdemokraten haben uns deshalb zum Ziel gesetzt, gemeinsam mit unserem Koalitionspartner Kinderarmut zu bekämpfen und dafür ein Maßnahmenpaket zu schnüren. Klar ist, dass man zuerst einmal von den Ursachen der Kinderarmut ausgehen muss, um dann gezielt Maßnahmen zu ergreifen. Was sind Ursachen für Kinderarmut?
Zu nennen ist zuerst die Arbeitslosigkeit. Es war übrigens bezeichnend – das zeigt das wahre Gesicht dieser Partei –, mit welchem Zynismus die AfD heute über arbeitslose Menschen gesprochen hat, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Wir wollen Menschen in Arbeit bringen, zum Beispiel mit einem sozialen Arbeitsmarkt, den wir auf den Weg bringen.
Eine zweite Ursache sind atypische Beschäftigungsverhältnisse. Gerade da ist die erwähnte Brückenteilzeit wichtig; die hilft, Frauen in Arbeit zu bringen, von der Teilzeit in die Vollzeit. Das ist ganz wichtig, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Eine weitere Ursache, die immer wieder genannt wird, sind fehlende Betreuungsmöglichkeiten. Gerade Alleinerziehende können oft nicht von Teilzeit in Vollzeit gehen, weil sie keine Betreuungsmöglichkeiten haben. Der Kollege Kießling war – er ist leider nicht mehr anwesend – Bürgermeister in meinem Nachbarwahlkreis in Bayern. Ich bin seit 15 Jahren Kommunalpolitiker und habe schon vor 15 Jahren als Gemeinderat in der Gemeinde Gröbenzell, westlich von München, den Antrag gestellt, eine Kinderkrippe einzurichten. Das wurde damals von der schwarzen Bürgermeisterin und der schwarzen Mehrheit im Gemeinderat noch als sozialistisches Teufelszeug abgetan. Natürlich hat man auch in Bayern Probleme mit der Betreuungssituation. Ich denke, dass in Bayern nach den Wahlen im Oktober für die nächste Staatsregierung weniger Symbolpolitik und Kreuzerlässe handelsleitend sein sollten, sondern vielmehr Investitionen in Bildung, von der Kita bis zur Hochschule. Das wäre eine richtige Maßnahme, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Auch hier handeln wir auf Bundesebene. Mit dem Programm zur Förderung des Ganztagsschulangebots, mit der Einführung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter oder mit dem Gute-Kita-Gesetz tun auch wir etwas für Bildung. Das ist auch wichtig für die Bekämpfung von Kinderarmut.
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Wir übernehmen Verantwortung und tun konkret etwas für Kinder und Familien.
Als Finanzpolitiker freut es mich natürlich besonders, dass unser Bundesfinanzminister Olaf Scholz nun den Entwurf eines Familienentlastungsgesetzes vorgelegt hat. Normalerweise freut man sich als Finanzpolitiker natürlich nicht, wenn man Mindereinnahmen oder Mehrausgaben zu verzeichnen hat. Insgesamt summiert sich das für den Bund auf 4,6 Milliarden Euro. Aber hier ist das Geld begründet und auch sehr gut angelegt. Unter anderem erhöhen wir das Kindergeld zum 1. Juli 2019 um 10 Euro und noch einmal 2021 um weitere 15 Euro und in dem Zuge natürlich auch den Kinderfreibetrag um jeweils 192 Euro.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, weil Sie das gerade kritisiert haben: Ich habe mir das Sondierungspapier zu den Jamaika-Verhandlungen angeschaut. Da steht unter „Vorstellungen konkret“:
… Erhöhung Kindergeld, entsprechende Erhöhung Freibetrag …
Bitte kritisieren Sie doch nicht etwas, was Sie schon in den Sondierungsgesprächen abgenickt hatten. Das ist unredlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen.
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Mit Blick auf unser sozialdemokratisches Wahlprogramm und auch auf den Koalitionsvertrag kann man festhalten: Schrittweiser Abbau von Kitagebühren steht darin – machen wir. Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung – wollen wir umsetzen. Aber auch so etwas wie die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für untere und mittlere Einkommen oder eben mehr Geld für öffentlichen Wohnungsbau helfen den Familien. Das ist konkrete Politik für die Menschen. All das sind wichtige Bausteine, um Kindern und Familien zu helfen, und das werden wir in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten angehen.
Zuletzt noch: Das kostet uns viel Geld; aber es ist uns das wert. Die Frage der Finanzierung ist angesprochen worden: Ja, ich bin ein Freund davon, zu sagen, dass wir uns über die Finanzierung unterhalten müssen. – Interessant ist da aber die Haltung der AfD: einerseits keinerlei Maßnahmen gegen Kinderarmut zu beantragen, aber andererseits im Finanzausschuss zu fordern: Abschaffung der Erbschaftsteuer, die 10 Prozent, die am meisten Solidaritätszuschlag zahlen, auch entlasten. Letztens hat man auch gefordert, die Grundsteuer abzuschaffen. Die Vermögensteuer will man auch nicht haben. Wie, bitte schön, wollen Sie von der AfD irgendwas finanzieren? Sie haben keine Antworten auf die drängenden Fragen und auch nicht auf die Kinderarmut. Das ist auch in diesen Debatten wieder klar geworden.
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Insofern kann ich mich gut mit der Forderung anfreunden, die auch auf der Konferenz der Wohlfahrtsverbände vor zwei Tagen gestellt wurde: Einführung einer Kindergrundsicherung. Ich glaube, das ist der nächste notwendige Schritt, über den wir nachdenken müssen und den wir begleiten müssen. Machen wir uns an die Arbeit! Wir als SPD arbeiten daran in der Koalition.
Danke schön.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 14. Juni 2018, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen und erholsamen Abend.
(Schluss: 17.06 Uhr)