Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen in der Tat diese Debatte heute, weil wir die Tagesordnung um zwei Punkte erweitern wollen, nämlich zum einen um die Änderung des Parteiengesetzes und zum anderen um die Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.
In der Geschäftsordnungsdebatte geht es, wie der Name schon sagt, um die Geschäftsordnung und um Fragen der Rechtmäßigkeit. Die Inhalte werden nicht hier, sondern, wie wir vorhin gehört haben, anschließend debattiert.
Nun ist es hier nichts Neues – ich mache diesen Job, den ich für die CDU/CSU-Fraktion machen darf, ja auch schon etwas länger –: Mal gehen Gesetzesvorhaben der Regierung der Opposition zu langsam, mal gehen sie weitaus zu schnell.
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Dann sagt man im Regelfall: Das wird hier alles durchgepeitscht. – Das kennt jeder.
Heute ist der Tag, wo es mal wieder zu schnell geht. Also wundern Sie sich gleich nicht, wenn die anschließenden Rednerinnen und Redner von „überfallartigen Aktionen“ sprechen, von „Durchpeitschen“ und allem, was damit zusammenhängt.
Ich bin ja von Hause aus Notar. Ich habe das ein paar Jahre gemacht. Ich werde das jetzt einmal mit der notwendigen Sorgfalt und Seriosität kurz rechtlich erörtern. Darum geht es nämlich eigentlich.
Die Präsidentin hat dankenswerterweise darauf hingewiesen: Wir haben diesen Antrag – so hat sie es formuliert – „fristgerecht“ gestellt. Da ist schon der erste Punkt rechtlich völlig einwandfrei.
Kommen wir zum zweiten Punkt. Beratungen zu Gesetzentwürfen beginnen laut Geschäftsordnung „frühestens am dritten Tage nach Verteilung der Drucksachen“; so schreibt es § 78 Absatz 5 der Geschäftsordnung vor. Die Drucksache zum Parteiengesetz, um das es hier geht, wurde am Dienstag verteilt. Fristgerecht soll heute die erste Lesung stattfinden. Wir haben den zweiten Punkt: rechtlich einwandfrei, so wie es die Geschäftsordnung vorsieht.
Es findet auch überhaupt nichts geheim statt, ganz im Gegenteil. Wir wollen es ja diskutieren, damit es nicht geheim ist. Dagegen wendet sich jetzt die Opposition. Verstehen kann das nicht jeder, ich vielleicht auch nicht; ich wollte es nur kurz erwähnt haben.
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Jetzt kann ich nur sagen: Wir wollen gleich 38 Minuten diskutieren, damit es öffentlich diskutiert werden soll. Schöne Grüße an die Opposition! Mehr Öffentlichkeit geht nicht. Im Übrigen werden wir auch noch eine öffentliche Anhörung durchführen.
Beim EEG, das ist das zweite Gesetz, gilt die Maßgabe, dass die Beratung „am zweiten Tage nach Verteilung der Beschlussempfehlung“ beginnt, § 81 Absatz 1 der Geschäftsordnung. Die Beschlussempfehlung zum EEG wurde am Mittwoch verteilt. Nun hätten wir das gerne schon gestern beraten; die AfD fand das nicht so gut. Die Gründe kenne ich nicht, aber es ist ja häufig bei der AfD so, dass man nicht weiß, was sie da tut. Es ist mir gerade auch egal.
Sie sehen – das ist das kurze Fazit –: Das, was wir heute machen, läuft alles nach den Regeln unserer Geschäftsordnung und ist völlig unspektakulär, vor allen Dingen rechtlich einwandfrei – vielleicht zu schnell, vielleicht zu langsam; ich warte einmal ab. Nur: Die Geschäftsordnung sieht es genau so vor.
Jetzt freuen Sie sich darauf, wie die Opposition trotz dieser rechtlich völlig einwandfreien Vorgehensweise versuchen wird, einen kleinen Skandal herbeizureden. Viel Spaß dabei.
Vielen Dank fürs Zuhören.
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Vielen Dank, Michael Grosse-Brömer. – Nächster Redner: Thomas Seitz für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Die Fraktion der Alternative für Deutschland tritt der kurzfristigen Aufsetzung der Zusatzpunkte 5 und 6 auf die Tagesordnung entgegen.
Die vorgesehene Redezeit widmen wir dem Gedenken an die in Wiesbaden tot aufgefundene Susanna; sie wurde 14 Jahre alt. Aus der Erde kommst du, und zur Erde wirst du werden.
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Darf ich Sie darauf hinweisen, dass wir gerade zur Geschäftsordnung reden. Ich würde bitten, dass Sie sich an die vorgegebene Tagesordnung und an die Geschäftsordnungsdebatte halten.
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Herr Seitz, haben Sie noch etwas zu sagen? Ansonsten würde ich die nächste Rednerin oder den nächsten Redner aufrufen.
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Da Sie mir nicht antworten, ist damit Ihr Beitrag beendet. Ich fordere Sie auf, das Rednerpult zu verlassen.
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Ich gebe das Wort jetzt Carsten Schneider für die SPD-Fraktion.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestag ist ein Ort der Debatte, aber nicht der politischen Instrumentalisierung von Opfern. Sie sollten sich schämen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir, die SPD-Fraktion und die CDU/CSU-Fraktion, haben beantragt, dass die Tagesordnung des Deutschen Bundestages fristgerecht, wie die Frau Vizepräsidentin Roth gesagt hat, um zwei Punkte erweitert wird.
Der erste Punkt betrifft das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Wir wollen das Erneuerbare-Energien-Gesetz auf Antrag des Bundesrates verändern. Wir wollen es positiver gestalten, damit es keinen Riss in der Förderung der erneuerbaren Energien gibt. Dem hat die AfD widersprochen. Wir setzen das Thema heute auf; denn für uns ist die Erde keine Scheibe, und es gibt einen Klimawandel. Wir werden dagegen vorgehen.
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Der zweite Punkt betrifft das Parteiengesetz. Auch da hat die Kollegin Roth gesagt: Ja, es ist fristgerecht. – Wir haben den Oppositionsfraktionen am Dienstagvormittag angekündigt, dass wir einen Gesetzentwurf zusätzlich auf die Tagesordnung aufsetzen werden. Wir haben Ihnen diesen Gesetzentwurf am Nachmittag nach der Fraktionssitzung, als wir es beschlossen hatten, zugesandt. Wir debattieren diesen Antrag hier heute in der Primetime des Deutschen Bundestages auf unseren Antrag hin um 9 Uhr. Besser und transparenter geht es nicht.
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Ich darf einen kleinen Hinweis zum Umgang im Parlament machen. Die AfD-Fraktion hat in dieser Woche sechs Anträge beschlossen. Sie hat uns diese um 18.53 Uhr am Mittwoch übersandt: 14 Stunden vor Plenarbeginn. Das ist also viel später – einen Tag später –, als wir es gemacht haben. Das ist irreguläres Verhalten. Wenn Sie sich heute hinstellen und in diesem Maße behaupten, dass wir die Regeln des Parlaments nicht einhalten würden, ist das schlichtweg falsch.
({3})
Ich finde, eine Partei, die diesen Bundestag für ihre parteipolitischen Spiele missbraucht und instrumentalisiert, eine Partei,
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die so schäbig mit unserer Demokratie umgeht,
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eine Partei, die sich von russischen Gönnern den Privatjet bezahlen lässt, eine Partei, die für den Wahlkampf Spenden in Millionenhöhe bekommt und sie verschleiert –
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wo Sie es doch sonst mit der Verschleierung nicht so haben –, die sollte hier an diesem Tag schweigen.
({7}) – Lachen bei der AfD)
Wir Sozialdemokraten stellen uns der Debatte. Wir führen sie heute und auch in der nächsten Woche in zweiter und dritter Lesung hier um 9 Uhr im Deutschen Bundestag. Wir nutzen den Bundestag als Debattenort, weil wir die Parteiendemokratie in Deutschland stärken und nicht abschaffen wollen.
Danke sehr.
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Vielen Dank, Carsten Schneider. – Nächster Redner in der Geschäftsordnungsdebatte: Dr. Marco Buschmann für die FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Als Erstes möchte ich mich bei den Angehörigen der Toten dafür entschuldigen, dass dieser Anlass missbraucht wird, um hier parteipolitisch Werbung zu machen. Das hat in mir das Gefühl der Fremdscham ausgelöst.
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In der Sache gibt es zur Geschäftsordnung Folgendes zu sagen: Es liegen ja zwei getrennte Anträge vor. Die Freien Demokraten werden der Aufsetzung des Gesetzentwurfs zum EEG zustimmen; ein Parlament muss auch flexibel und dynamisch agieren können. Das EEG ist ein großer ordnungspolitischer Irrsinn; deshalb werden wir immer wieder hinterherregieren müssen, um die Bürger vor den schlimmsten Auswirkungen bewahren zu können. Das ist in diesem Fall keine perfekte Lösung, aber besser, als wenn es nicht mehr rechtzeitig käme. Deshalb machen wir das mit.
Die zweite Änderung, die Sie hier aufsetzen, nämlich die Änderung des Parteiengesetzes, lieber Michael Grosse-Brömer, ist natürlich nicht nur eine Frage, ob es nach der Geschäftsordnung ginge, das mit Mehrheit hier zu beschließen, sonst müssten wir hier ja gar keinen Mehrheitsbeschluss fassen. Es ist – dies ist dem Parlament nicht verboten – nicht nur über die Frage der Rechtmäßigkeit zu diskutieren, sondern auch darüber, ob es klug ist. Dem Parlament ist Klugheit nicht verboten. Diese Aufsetzung ist überhaupt nicht klug.
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Michael, es ist doch wie folgt: Über Jahrzehnte war es guter Brauch in diesem Haus, Fragen des Parteiengesetzes, die letztendlich Fragen des Wettbewerbsrechts, des Ideenwettbewerbs zwischen den Parteien sind, rechtzeitig und ausreichend vorher in einer gemeinsamen Debatte vorzubereiten, damit nicht der Eindruck entsteht, dass diejenigen Parteien, die hier die Mehrheit haben, das Wettbewerbsrecht nach ihren Interessen ausgestalten, und damit das Parteiengesetz daher überparteiliches Vertrauen und das Vertrauen der Öffentlichkeit genießt.
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Dass wir zum ersten Mal seit Jahrzehnten ein solches Verfahren hier erleben, wo wir kurzfristig darüber informiert werden und das hier sozusagen vorgesetzt bekommen, schadet dem Vertrauen in das Parteiengesetz. Warum? Nicht wegen dieser ersten Lesung.
Ich könnte auch noch damit leben, wenn wir das jetzt aufsetzen und im Herbst die zweite oder dritte Lesung machen würden, dann könnten wir in Ruhe diskutieren; wir könnten unsere Verbesserungsvorschläge vortragen. Aber ihr wollt das direkt im Anschluss, in der kommenden Sitzungswoche, in zweiter und dritter Lesung hier durchdrücken. Deshalb ist das ein durchgedrücktes, gehetztes Verfahren, weil euch in Wahrheit der Inhalt unangenehm ist. Das wird der Sache nicht gerecht.
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Es wird vor allen Dingen nicht nur der Sache nicht gerecht, sondern ihr tut euch auch selber einen Tort an.
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Was wird nämlich die Reaktion der Öffentlichkeit sein? Die Öffentlichkeit wird das als ein Schnellverfahren wahrnehmen, das den Parteien dazu dient, sich die Taschen vollzumachen. Ich kann mich nur an all die Kollegen in der SPD-Fraktion und in der Unionsfraktion wenden: Stimmen auch Sie dieser Aufsetzung nicht zu! Denn wenn Sie im Zug oder im Flugzeug in Ihre Wahlkreise zurückkehren, dann werden Sie dort eine Woche lang erleben, wie man sich lustig macht und wie man über unser Hohes Haus und die Demokratie herziehen wird, weil wir von diesem Verfahren abgewichen sind. Wenn Sie sich das selber antun wollen, dann nehmen Sie wenigstens Rücksicht auf das Ansehen dieses Hauses und kehren Sie – meinetwegen mit denselben Inhalten – zu einem regulären, normalen und über viele Jahrzehnte erprobten Verfahren zurück.
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Das ist keine Frage der Rechtmäßigkeit. Es ist eine Frage der Klugheit, und die ist auch euch nicht verboten.
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Danke, Dr. Buschmann. – Nächster Redner: Friedrich Straetmanns für die Fraktion Die Linke.
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Guten Morgen, liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte, geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Ich kann direkt bei dem anknüpfen, was Herr Buschmann zu Recht ausgeführt hat. Er hat davon gesprochen, Klugheit ist bei diesem Verfahren niemals verboten. Ich finde, es kommt noch etwas Zweites hinzu: Die Einhaltung und Wahrung eines gewissen Stils ist ebenfalls nicht verboten.
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Was dieses Verfahren zur Anhebung der Parteienfinanzierung auszeichnet, ist ein Bruch mit dem, was bisher im Stil und im Umgang zwischen den Parlamentarischen Geschäftsführern und den Fraktionen üblich war.
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Herr Grosse-Brömer, Sie haben sich sehr und ganz formal auf die Verfahrensregelungen bezogen. Ich fand, Herr Buschmann hat darauf sehr klug und sehr fein geantwortet. Ich will Ihnen noch etwas dazu sagen: Wenn man nämlich einmal den Zeitablauf minutiös rekonstruiert, stellt man fest, dass Folgendes passiert ist: In der Parlamentarischen-Geschäftsführer-Runde am Dienstagmorgen wurde ein Gesetzentwurf für Freitag zu dem Thema „Parteienfinanzierung“ – darauf will ich vor allen Dingen abzielen – angekündigt.
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Da ist es üblich – informelle Absprache –, dass man dieser Aufsetzung zustimmt. Der Inhalt war in diesem Moment noch nicht bekannt; auch der Verfahrensablauf war nicht bekannt. Nicht angekündigt war also demzufolge, dass dann erfolgende Hauruckverfahren – Herr Buschmann hat das sehr schön beschrieben – mit einer unüblichen Anpassung der Parteienfinanzierung, die von dem bisher üblichen Verfahren abweicht, also einen massiven Eingriff in das Parteiengesetz darstellt.
Veröffentlicht wurde der Gesetzentwurf und die Absicht im Detail dann erst am Dienstagabend. Gleichzeitig wurde nach außen kommuniziert, das sei so auch mit den Oppositionsparteien abgesprochen. Das hat unseren Parlamentarischen Geschäftsführer zu Recht erbost und aufgeregt; da kann ich mich nur anschließen und sagen: Das gehört sich einfach nicht.
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Wenn Sie auf eine breite Debatte Wert legen würden – Herr Buschmann hat das Verfahren ja aufgezeigt –,
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auf eine Diskussion, die in Ruhe erfolgt, auf eine Anhörung mit Experten, die in Ruhe vorbereitet werden kann und nicht bereits am Montag stattfindet, würde das für eine gewisse Solidität sprechen; es würde für eine Transparenz sprechen, die wir Linke bei diesem Thema schon immer fordern.
Ganz wichtig ist mir: Ich bin heute Morgen mit einem Teil der hart arbeitenden Bevölkerung in einem Taxi gefahren.
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Ich habe mit dem Taxifahrer einmal darüber gesprochen, was hier im Parlament vorgeht. Glauben Sie mir: Die Bevölkerung nimmt das sehr genau wahr, und sie wird auch sehr genau wahrnehmen, mit welchen Verfahrensschritten hier vorgegangen wird.
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Wir werden deshalb diese Praxis so nicht mitmachen, und fordern von der Mehrheit ein anderes Verfahren.
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Präsidentin! Lassen Sie mich eingangs kurz sagen: Ich finde, Sie von der AfD sollten sich schämen
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für diese Inszenierung hier im Plenum und den Missbrauch dieser furchtbar grausamen Tat, die strafrechtlich verfolgt werden muss.
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Man hat ja gesehen, dass Sie selbst noch einen Moment darüber nachdenken mussten, ob das hier angemessen ist;
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denn Herr Gauland und Frau Weidel haben ja eine Weile gebraucht, bis auch sie sich dieser Aktionsform angeschlossen haben.
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Das ist einfach nur ekelhaft, meine Damen und Herren.
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Aber nun zum Verfahren. Meine Damen und Herren, was passiert hier heute eigentlich? Auch die etwas schwachen Reden von Herrn Grosse-Brömer und von Herrn Schneider können nicht darüber hinwegtäuschen,
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dass Ihnen dieses Verfahren selbst unangenehm ist. Wir werden der Aufsetzung des Gesetzentwurfes zum Erneuerbare-Energien-Gesetz zustimmen; denn der Bundesrat wird darüber beraten, und das ist eine wichtige und notwendige Sache. Deshalb haben wir sofort Fristverzicht erteilt. Was ich aber für unsere Fraktion nicht einsehe, ist – was wir in anderen Fällen ganz oft machen –, in der Angelegenheit des Parteiengesetzes Ihrem Aufsetzungswunsch zu entsprechen. Denn diese Art, wie Sie dieses Parteiengesetz beraten wollen, ist einfach nur dreist, und sie schadet allen demokratischen Parteien; das müssten Sie eigentlich wissen.
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Deshalb wollen wir heute dieser Aufsetzung widersprechen.
Meine Damen und Herren, wissen Sie, wie das hier läuft? Am Dienstagmittag wird die Aufsetzung angekündigt. Vorsorgehalber wird schon mal den Journalisten erzählt, das sei zwischen allen Fraktionen dieses Hauses besprochen, auch wenn man wisse, dass die Oppositionsfraktionen wahrscheinlich nicht zustimmen werden. Für diesen Vorgang wäre eigentlich eine Entschuldigung fällig, meine Damen und Herren.
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So etwas an so einer Stelle zu streuen, ist einfach infam.
Wir hatten am Dienstagvormittag wie üblich noch gesagt: Wir prüfen das. Wir glauben, wir haben damit Schwierigkeiten. Wieso eigentlich das Parteiengesetz so kurzfristig aufgesetzt?
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Das ist doch etwas, worüber die Berichterstatter der Fraktionen in der Regel erst einmal im Parlament Gespräche führen. Das alles war ja nicht erfolgt.
Dienstagmittag aber dann, während der Fraktionssitzung, kam schon der Antrag der Unionsfraktion auf Sachverständigenanhörung im Innenausschuss. Der Gesetzentwurf lag noch nicht einmal vor. Es war nichts bekannt. Aber die Anhörung im Innenausschuss für Montag nächster Woche war schon auf den Weg gebracht. Ein paar Stunden später dann, am Dienstagabend um 19.30 Uhr, ging die Vorlage ein, die Drucksache für das Parteiengesetz. Dann, am Mittwochmorgen, wurde gleich mit Mehrheit der Koalitionsfraktionen für Montag eine Sachverständigenanhörung angesetzt. Können Sie mir mal sagen, wer von Ihnen ernsthaft diesen Gesetzentwurf beraten will? Innerhalb von vier Tagen mussten wir eine Sachverständige finden, die für Montag bereit ist. In zwei Stunden sollen sechs Sachverständige vortragen, wie sie diese verfassungsrechtlich schwierige Frage beurteilen. Das ist keine seriöse Beratung.
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Das Fass bringen Sie am Ende noch dadurch zum Überlaufen, dass Sie klargemacht haben, dass Sie beabsichtigen, das Ganze schon in der nächsten Woche in zweiter und dritter Lesung abzuschließen. Das ist doch einfach nur dreist. Wie wollen Sie den Menschen draußen einen positiven Eindruck über Parteien und Politik vermitteln, wenn Sie mit so einer Strategie vorgehen? Wissen Sie, da habe ich ein Déjà-vu. Das Bundesmeldegesetz wurde damals zur EM, zur Europameisterschaft, verabschiedet. Da gab es einen riesigen öffentlichen Aufschrei.
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Jetzt beraten wir an dieser Stelle das Parteiengesetz, und nächste Woche, zum WM-Start, –
Frau Kollegin.
– wird das dann kurz durchgewunken.
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Dieses Hauruckverfahren schadet allen, und das haben Sie zu verantworten.
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Vielen Dank, Britta Haßelmann. – Damit sind wir am Ende der Geschäftsordnungsdebatte und kommen jetzt zu den Abstimmungen.
Wer stimmt für die beantragte Aufsetzung der ersten Beratung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze auf Drucksache 19/2509? –
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Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen gibt es dann keine mehr. Der Aufsetzungsantrag ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU- und SPD-Fraktion, dagegen waren Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, die FDP und die AfD-Fraktion.
Wer stimmt für die beantragte Aufsetzung der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf den Drucksachen 19/1320 und 19/2581? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der Aufsetzungsantrag ist angenommen. Zugestimmt haben – ich mache es jetzt in geografischer Reihenfolge –: Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP. Dagegengestimmt hat die AfD.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Tenor der medialen Berichterstattung zu einem Gesetz, das Parteien mit besseren Finanzmitteln ausstattet, ist gewöhnlich einhellig. Umso bemerkenswerter fand ich einen kurzen Kommentar, der gestern in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ erschienen ist und aus dem offen Sympathie für den vorgelegten Gesetzentwurf sprach. So heißt es dort:
Was sie an ihnen
– den Parteien –
haben, konnten vor allem die Deutschen nie ganz verstehen ... Vielleicht tun sie es, wenn sie beobachten, wie allerorten in Europa „Bewegungen“ im Namen der Antipartei einen plebiszitären Führerkult pflegen.
Um uns den Wert stabiler Parteien vor Augen zu führen, brauchen wir Deutsche den Blick nicht nach außen, sondern wir können ihn auch nach innen richten oder, besser gesagt, in die Vergangenheit. Die erste Demokratie auf deutschem Boden, die Weimarer Republik, ist auch an der enormen Schwäche der demokratischen Parteien zugrunde gegangen. Infolgedessen ist im Grundgesetz die Rolle der Parteien bei der politischen Willensbildung ausdrücklich festgeschrieben worden. Auf der Grundlage dieser Regelung haben wir uns für eine staatliche Teilfinanzierung politischer Parteien entschieden.
Unsere Parteienfinanzierung wahrt eine kluge Balance. Wir haben weder eine totale Staatsfinanzierung noch einen totalen Staatsrückzug, der die Parteien zum Spielball privater Spender und deren Interessen machen würde.
Bei der letzten Festsetzung der staatlichen Mittel für das Jahr 2017 war ein Anspruch aller Parteien von rund 188 Millionen Euro zu kürzen, weil die Gesamtfinanzierungssumme die absolute Obergrenze in Höhe von rund 161 Millionen Euro nicht überschreiten durfte. Diese absolute Obergrenze geht zurück auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1992. Das Bundesverfassungsgericht hat damals richtigerweise ausgeführt, dass der Umfang der Staatsfinanzierung sich auf dasjenige beschränken müsse, was zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Parteien unerlässlich sei. Gleichzeitig hat das Bundesverfassungsgericht in seinem damaligen Urteil klar unterstrichen, dass eine Erhöhung der Obergrenze möglich ist, wenn die bestehenden Verhältnisse eine – Zitat – „einschneidende Veränderung“ erfahren. Diese absolute Obergrenze ist seit 1992 mehrfach und zuletzt durch ein Gesetz aus dem Jahr 2011 angehoben worden. Seit 2013 erfolgt ein Inflationsausgleich gemäß dem Preisindex der für eine Partei typischen Ausgaben. Wenn wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die absolute Obergrenze von derzeit 165 Millionen Euro auf 190 Millionen Euro anheben, werden die Grundsätze der Parteienfinanzierung nicht infrage gestellt. Es gibt keinen Systemwechsel, es bleibt bei der Teilfinanzierung.
Allen in der Opposition, die sich über diese Erhöhung empören, will ich sagen: Gesetze zur Parteienfinanzierung gehören einer ganz besonderen Kategorie an.
({0})
Keine anderen Gesetze lösen bei der Opposition so viel Entrüstung aus
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und finden doch zugleich bei vielen in der Opposition so viel Zustimmung in der Sache.
({2})
Sie haben uns vorgeworfen, diese Debatte sei uns unangenehm. Ich sage Ihnen: Vielen in der Opposition ist der Inhalt unseres Gesetzentwurfs jedenfalls nicht unangenehm.
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Ich folgere dies aus dem Umstand, dass all die Gesetze zur Parteienfinanzierung, die in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder bekämpft wurden, nach Regierungswechseln nie rückgängig gemacht wurden. Ich prognostiziere Ihnen auch heute: Diejenigen Parteien, die sich hier entrüsten, werden dann, wenn sie eines Tages politische Verantwortung in unserem Land übernehmen, das, was der Deutsche Bundestag im Jahr 2018 beschließen wird, nicht rückgängig machen.
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An die Adresse der AfD: Dass Sie kein Interesse an einer staatlichen Teilfinanzierung haben, liegt auf der Hand. Sie lassen Ihren Wahlkampf zu einem nicht unwesentlichen Teil von anonymen Gönnern finanzieren.
({5})
Diese geben Millionen von Euro in einen Verein, der sich – tatsächlich so formuliert – „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheit“ nennt und von dem niemand weiß, welche Interessen dahinterstehen oder welche Ziele er verfolgt. Sie geißeln die staatliche Parteienfinanzierung und kultivieren selbst ein obskures Finanzierungsnetzwerk. Aber auch dem werden wir uns in dieser Legislaturperiode noch widmen.
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Nach unserer Überzeugung rechtfertigen vor allem zwei Entwicklungen eine Anhebung der Obergrenze.
Zum einen betrifft das die Digitalisierung der Kommunikation. In den sozialen Medien hat sich eine Vielzahl neuer Foren entwickelt, in denen die Parteien präsent sein müssen und die hohe Einstiegs- und Betriebsinvestitionen erfordern. Die Dauer der durchschnittlichen täglichen Nutzung sozialer Medien hat sich im letzten Jahrzehnt um rund 50 Prozent erhöht. Die Anzahl der monatlich aktiven Nutzer, etwa bei Facebook, hat sich seit 2011 verdreifacht. Die Anzahl der monatlich aktiven Nutzer bei Twitter hat sich ebenfalls verdreifacht. Der durchschnittliche Upload von Videomaterial pro Minute bei YouTube hat sich im selben Zeitraum verzehnfacht. Ich glaube, die wenigsten von uns hatten im Jahr 2011, als die letzte Reform beschlossen wurde, bereits etwas von Instagram oder Snapchat gehört. Trotz ihrer rasant wachsenden Bedeutung haben das Internet und die sozialen Medien die klassischen Medien und die bewährten Kommunikationsmittel im politischen Informationsfluss nicht verdrängt. Parteien müssen deshalb im Wesentlichen eine kostenintensive Doppelstruktur unterhalten.
Zum anderen treten neue Formen der innerparteilichen Partizipation hinzu: Mitgliederbefragungen, Mitgliederparteitage, Mitgliederforen oder Beteiligungsformate für Bürger, die noch nicht Mitglied einer Partei sind. Die innerparteiliche Willensbildung und die Kommunikation stehen heute auf einer sehr viel breiteren Grundlage als noch vor einem Jahrzehnt.
All dies rechtfertigt in unseren Augen eine maßvolle Anhebung der absoluten Obergrenze. Wir werden zugleich die Staatsleistungen für Wahlkreisbewerber nach dem Bundeswahlgesetz, aber auch für politische Vereinigungen im Rahmen von Europawahlen entsprechend anpassen.
Ich möchte abschließend noch einmal auf jenen eingangs zitierten Kommentar aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zurückkommen. Er endet mit den Worten:
Geld allein wird Parteien nicht besser machen. Aber kein Geld dieser Welt kann sie aufwiegen.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Harbarth. – Nächster Redner: Thomas Seitz für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Die AfD sollte den Antragstellern eigentlich dankbar sein. Denn Union und SPD treiben uns heute jede Menge neue Wähler zu, die sich von Ihnen mit Grausen abwenden. Die Koalition möchte mit diesem Gesetzentwurf die absolute Obergrenze für die staatliche Teilfinanzierung trotz der seit 2013 bewährten Indexierung zusätzlich erhöhen: von 165 Millionen Euro in diesem Jahr auf satte 190 Millionen Euro im Jahre 2019. Die weiteren vorgesehenen Änderungen sind nichts als reine Nebelkerzen.
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Die höchste Veränderungsrate des Parteienindex lag in den letzten fünf Jahren bei 2,28 Prozent. Eine Steigerung um 15 Prozent in einem Jahr ist damit eine durch nichts, aber auch gar nichts zu rechtfertigende Erhöhung um mehr als das 6,5-Fache einer regulären Anpassung an die Preisentwicklung.
({1})
Im Vergleich dazu müsste die IG Metall anstatt der üblichen Forderung von 6 Prozent Lohnerhöhung einmal eine Forderung von fetten 40 Prozent erheben.
(Heiterkeit der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD]
Nur: Einen Gewerkschaftsfunktionär, der so wahnsinnig ist, gibt es in Deutschland einfach nicht.
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Bei der SPD liegen die Dinge anscheinend aber ganz anders. Da sind die Kassen leer. Da gönnt man sich jetzt nicht nur einen großen Schluck aus der sprichwörtlichen Pulle, sondern will auch gleich das ganze Fass klauen.
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Die Begründung für dieses schlichtweg unverschämte Ansinnen ist nur ein schlechter Witz. Da lesen wir: Digitalisierung der Kommunikationswege und Medien, Internetauftritte und Social-Media-Plattformen. Das zählt die Koalition tatsächlich auf, um diesen Griff in den Geldbeutel des Steuerzahlers – dazu gehören auch integrierte Migranten, die hier arbeiten und Steuern zahlen – zu rechtfertigen. Hat man denn in Ihrem Elfenbeinturm der Arroganz und Borniertheit eigentlich schon einmal bemerkt, dass es in der nicht am Subventionstropf des Steuerzahlers hängenden Welt auch Wirtschaftsunternehmen geben soll, die aufgrund der Möglichkeiten der digitalen Welt Kosten einsparen und gerade nicht mehr Geld ausgeben?
Sie jammern weiter darüber, dass im Anspruchsjahr 2017 aufgrund der Auswirkungen der absoluten Obergrenze von rund 162 Millionen Euro die rechnerischen Ansprüche von knapp 189 Millionen Euro nicht erfüllt werden konnten. Die rechnerischen Ansprüche überstiegen die Obergrenze also um knapp 17 Prozent. Was sich nach Handlungsbedarf anhört, ist allerdings nur billige Rosstäuscherei. Werfen Sie zum Beispiel einen Blick in die Unterrichtung des Bundestages durch die Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung auf Drucksache 14/6710 vom 19. Juli 2001.
({4})
Dort können Sie nachlesen, dass die Obergrenze von 1995 bis 1997 sogar um 40 Prozent und in den Jahren ab 1999 immer noch um mehr als ein Drittel überschritten wurde. Dies wurde zwar von den Sachverständigen als intransparent beanstandet, aber nicht etwa mit dem Vorschlag einer Erhöhung der absoluten Obergrenze beantwortet, vielmehr wurde verlangt, die Zuwendungen für die einzelnen erzielten Stimmen herabzusetzen.
Im Parteienfinanzierungsurteil von 1992 – unverändert gültig – hat das Bundesverfassungsgericht die Staatsfreiheit der Parteien verlangt und dazu ausgeführt:
Die Parteien müssen nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich und organisatorisch auf die Zustimmung und Unterstützung der Bürger angewiesen bleiben. Durch öffentliche Mittel darf den einzelnen Parteien daher das Risiko des Fehlschlagens ihrer Bemühungen um eine hinreichende Unterstützung in der Wählerschaft nicht abgenommen werden.
Meine Prognose lautet: Im nächsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird stehen, dass vom Wähler abgestrafte Parteien, wie hier in der „Großkotz“ versammelt, die finanziellen Folgen selber tragen müssen und sich nicht durch eine maßlose Erhöhung der Gesamtmittel auf Kosten des Steuerzahlers sanieren dürfen.
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Liebe Kollegen von Union und SPD hier im Hause, bitte machen Sie sich ehrlich! Sagen Sie den Wählern, worum es wirklich geht! Es geht darum, dass die sogenannte GroKo in Wahrheit eine gar nicht mehr so große Koalition ist. Es geht nicht darum, dass der Kuchen zu klein wäre, sondern darum, dass aufgrund Ihrer schlechten Politik Ihre Stücke vom Kuchen jeden Tag kleiner werden.
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Sie machen Politik gegen das deutsche Volk und wollen ihm dann auch noch das Geld aus der Tasche ziehen, um Ihre Politik auf Facebook und Twitter von überteuerten Mediensöldnern als Wohltat verkaufen zu lassen.
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Die Folge Ihrer Selbstbedienungsmentalität ist aber eine weiter steigende Politikverdrossenheit.
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Nochmals das Bundesverfassungsgericht:
Gewönne der Bürger den Eindruck, die Parteien „bedienten“ sich aus der Staatskasse, so führte dies notwendig zu einer Verminderung ihres Ansehens und würde letztlich ihre Fähigkeit beeinträchtigen, die ihnen von der Verfassung zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen.
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Einer Überweisung dieses Antrags an den Innenausschuss stimmen wir zu. Inhaltlich rufen wir Ihnen jetzt und auch dann, wenn in Russland schon Fußball gespielt wird, aber ganz klar und laut zu: Nein!
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Nächster Redner für die SPD-Fraktion: Mahmut Özdemir.
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Herr Seitz, ich fasse Ihre Rede mal zusammen: Sie haben an der staatlichen Parteienfinanzierung überhaupt kein Interesse, weil die AfD aufgrund von Goldgeschäften und russischen Kofinanzierungen anscheinend zufrieden ist.
({0})
Als Nächstes fordern Sie wahrscheinlich auch noch die Abschaffung der Rechenschaftsberichte hier beim Bundestagspräsidium. Das ist schäbig.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unsere Demokratie lebt davon, dass sich die Menschen im Land in Vereinigungen zusammenschließen und Mehrheiten hinter ihren Forderungen versammeln.
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Das Grundgesetz gibt einer Vereinigung – den politischen Parteien – in seinem Artikel 21 die Aufgabe, bei der Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Es ist zuvörderst die Pflicht der Parteien, ihre Arbeitsweise und öffentlichen Verlautbarungen auf dieses Ziel auszurichten. Folglich ist eine staatliche Beobachtung bis hin zum Verbot, aber auch eine Finanzierung von Parteien durch den Staat zur Erfüllung des Verfassungsauftrages richtig und notwendig.
Zu Recht hat daher das Bundesverfassungsgericht an der hier gegenständlichen Erhöhung der absoluten Grenze hohe Begründungserfordernisse geknüpft. Parteien müssen neue gesellschaftliche Bewegungen aufnehmen.
Die Nachbarschaft, die sich gegen ein Bauvorhaben wenden möchte, braucht eine Partei, die sich ihres Anliegens annimmt. Die Bürgerinitiative, die den Erhalt des Freibades fordert, muss sich in diesem Land einer Partei versichert wissen, die sie dabei unterstützt, anschließend im Stadtrat bei der konkreten Entscheidung die Hand hebt und sich gleichsam im Bundestag für Fördergelder einsetzt, wenn es um den Erhalt der kommunalen Einrichtungen und Infrastrukturen geht. So sehen es das Grundgesetz und unser Parteiengesetz nun mal vor.
Diese vielfältigen gesellschaftlichen Interessen sind für mich und die SPD niemals zu klein oder zu unbedeutend. Jedes Anliegen verdient eine Würdigung und – viel wichtiger – eine Positionierung einer jeden Partei, damit sich die Menschen im Land bei der nächsten Wahl sicher sein können, wer sie vertritt und wer nicht und wer diesen Ort für schäbige Instrumentalisierungen missbraucht.
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Nicht jede gesellschaftliche Bewegung oder Nachbarschaft organisiert sich heutzutage ausschließlich durch Flugblätter oder Zeitungsanzeigen. Im Gegenteil: Die Rahmenbedingungen der Öffentlichkeitsarbeit von Parteien und die Parteienlandschaft haben sich insgesamt verändert. Die Wählerinnen und Wähler erwarten ebenso wie die Mitglieder der Parteien, dass die Parteien die persönlichen Verhaltensweisen der Menschen in Bezug auf Informationsbeschaffung und Meinungsbildung spiegelbildlich in ihre Arbeitsweisen einbringen.
Das Flugblatt auf dem Wochenmarkt muss dabei genauso respektiert werden wie das Angebot der Willensbildung über Twitter, Instagram, Facebook – von WhatsApp-Gruppen, Messenger-Diensten und Apps ganz zu schweigen. Die Parteien sind daher verpflichtet, sich auf diese Begehren im Rahmen der politischen Willensbildung einzulassen. Nicht nur die Umstellung auf die digitale Welt treibt hier die Kosten, sondern auch das Vorhalten paralleler Strukturen, indem man die Druckerei im Keller genauso wie den Newsroom direkt bei der Fraktion vorhalten muss.
Zur Erfüllung dieser Anforderungen ist es unerlässlich, mit dem Anspruch voranzugehen, eine vorbildliche Einhaltung des Datenschutzes zugunsten der Betroffenen sicherzustellen. Dasselbe gilt für den Schutz von Daten vor unberechtigtem Zugriff bei den Parteien. Dies setzt eine angemessene Technik voraus, und eben deren Betrieb und Pflege dürfen keineswegs Kostenzwängen unterworfen werden.
Jüngste Hackerangriffe zeigen uns, dass sich die Feinde der Demokratie schon längst digital formiert haben. Wir müssen die Parteien schnellstens ertüchtigen, diesen Feinden Paroli zu bieten.
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Daneben gibt es eine Fülle von direktdemokratischen Entwicklungen, die zu begrüßen ist. Parteien müssen deshalb in der Lage sein, auch bei diesen Entscheidungen mitzuwirken und sich an den Verfahren zu beteiligen, ohne die Verfahrensführung zu beanspruchen.
Das Begehren von Nichtmitgliedern, auch an der Willensbildung einer Partei teilzuhaben, ist für die Parteien eine große Chance, gleichsam das Vertrauen in die Parteien zu stärken, ohne den Wert ihrer eigenen Mitgliedschaft dabei herabzusetzen.
Alleine diese Aufgaben zu erfüllen und die neuen Schwierigkeiten und Herausforderungen zu meistern, rechtfertigen schon die staatliche Finanzierung von Parteien und folgerichtig erst recht den Mehrbedarf. Dieser Mehrbedarf ist nicht willkürlich, sondern maßvoll begründet. Seit 2011 wurden die Höchstgrenzen schließlich nicht angehoben.
Das Parteiengesetz hat eine mittelbezogene Grenze und eine parteibezogene Grenze. Keiner Partei werden mehr staatliche Mittel gewährt, als sie selber tatsächlich erwirtschaftet hat. Entsprechend dieser Grenze hätten alle Parteien bei Ausschöpfung einen gesetzlichen Anspruch von tatsächlich 188 Millionen Euro gehabt. Dem liegen – bei allen Parteien, wohlgemerkt – 300 Millionen Euro an selbst erwirtschafteten Mitteln zugrunde. Gleichzeitig steht allen Parteien – allen Parteien! – gemeinsam nicht mehr zu, als ihnen die mittelbezogene Grenze absolut gedeckelt gewährt. Diese beträgt für das Jahr 2018 im Übrigen 165 Millionen Euro.
Das heißt – verständlich für alle –: Innerhalb des gesetzlichen Aufbaus übertrifft die relative, parteibezogene Grenze, gemessen an den Beträgen, die absolute Grenze. Umgangssprachlich formuliert bedeutet das: Es ist nicht genug Geld im Topf, um die Ansprüche der Parteien zu bedienen, da sie auch Eigenmittel erwirtschaftet haben. Deshalb wurden allen Parteien in den letzten Jahren die Ansprüche gleich gerecht durch die absolute Grenze gekappt. Folglich wurden seit 2011 jährlich jeweils etwa 30 Millionen Euro nicht zur Auszahlung gebracht. In diesem Aufbau der Parteienfinanzierung sehe ich eine wechselseitige Verantwortungs- und Treuebekundung des deutschen Staates gegenüber den Parteien.
Die SPD-Bundestagsfraktion sieht es daher als verhältnismäßige Lösung an, die absolute Höchstgrenze für alle Parteien im Land vertretbar auf den tatsächlich bestehenden Bedarf von aufgerundet 190 Millionen Euro anzuheben, der den Parteien rechnerisch zusteht.
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Die Selbstfinanzierung der Parteien bleibt davon unberührt.
Parteien haben den verfassungsgemäßen Auftrag, allen Menschen im Land, analog und digital, Stadt und Land, deutscher Staatsbürger oder nicht deutscher Staatsbürger, als Verfassungsorgan und als Chance zu dienen und so Mehrheiten für die Sache zu gewinnen. Deshalb ist aus meiner Sicht jeder Cent, den wir in die Parteienfinanzierung investieren, ein Cent in die Demokratieförderung unseres Landes.
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Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Mahmut Özdemir. – Nächster Redner: Dr. Hermann Otto Solms für die Fraktion der FDP.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Marco Buschmann hat schon darauf hingewiesen, dass dies ein sehr ungewöhnliches Verfahren ist. Ich kann das bestätigen: Ich bin seit 1987 wiederholt Schatzmeister meiner Partei gewesen und bin es auch heute. In dieser Zeit hat es ein solches Verfahren nicht gegeben. Wir haben über eine Änderung des Parteiengesetzes zwischen den Parteien immer vorbereitend gesprochen.
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Der zweite Punkt, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wir als FDP-Fraktion werden der Überweisung in den Ausschuss zustimmen, weil wir immer noch die Hoffnung haben, dass die Koalitionsfraktionen zur Vernunft kommen und sich einer breiteren Diskussion über das Parteiengesetz öffnen; denn das Parteiengesetz braucht eine totale Renovierung und Erneuerung.
Ich möchte nur ein paar Stichworte nennen: Umgang mit Mikrospenden, die heute sehr verwaltungsaufwendig sind; Überprüfung der bestehenden Transparenzregelungen, beispielsweise auch Klarstellung und Veröffentlichung von Sponsoring-Einnahmen der Parteien, die ja sowieso öffentlich sind, oder einfach viele Fragen zur Vereinfachung, mit denen heute die vielfältig ehrenamtlich tätigen Schatzmeister überfordert sind und die auch die Bundestagsverwaltung vor teilweise unlösbare Probleme stellt.
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Eine Änderung ist hier dringend erforderlich. Das bedarf aber auch mehr Zeit. Das geht natürlich nicht, wenn das Gesetz in der nächsten Woche verabschiedet werden soll.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, was ist denn der Sinn der staatlichen Teilfinanzierung? Sie soll die Verankerung der Parteien in der Bevölkerung und die Zustimmung der Wähler für die Parteien zum Ausdruck bringen. Deswegen gibt es einen Zuschlag für jede Wählerstimme, und deswegen gibt es einen Zuschlag für förderungsfähige Spenden und Beiträge an die Parteien.
Das heißt, wenn die Einnahmen aufgrund dieses Gesetzes sinken, dann ist das ein Zeichen, dass die Parteien Vertrauen und Zustimmung in der Bevölkerung verloren haben. Deswegen ist es auch richtig, dass sie dann weniger Geld aus staatlichen Kassen bekommen.
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Sie können sich nicht darüber beklagen, dass Sie jetzt mit Ihrem Geld nicht zurechtkommen. Damit hätten Sie rechnen müssen.
Ich erinnere an das Jahr 2013: Die FDP ist aus dem Bundestag ausgeschieden,
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und wir standen vor tiefgreifenden, auch finanziellen Problemen. Aber wir haben nicht gefragt: „Wer kann uns helfen? Sollte die Gesetzgebung geändert werden?“, sondern wir haben gesagt: Wir schaffen das selber.
Wir haben unsere Ausgaben um 40 Prozent gesenkt. Was aber noch wichtiger ist: Wir haben uns neu aufgestellt. Wir haben eine bessere Politik gemacht und sind bei der letzten Bundestagswahl dafür belohnt worden.
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Und was haben die Koalitionsfraktionen gemacht? Sie sind in der letzten Legislaturperiode im Geld geschwommen. Sie waren sogar Nutznießer des Ausscheidens der FDP, weil sie dadurch höhere Zuschläge bekommen haben. Wie sind sie mit dem Geld umgegangen? Sie sind damit nicht zurechtgekommen, bis heute nicht.
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Das Gleiche, was für die Parteien gilt, gilt ja auch für den staatlichen Umgang mit dem Geld der Steuerzahler.
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Sie haben ungeheure Steuereinnahmen erzielt und diese durch falsche Konsumausgaben verprasst. Deswegen kommen Sie immer wieder mit dem Geld nicht zurecht.
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Machen Sie bessere Politik! Dann bekommen Sie auch wieder mehr Zustimmung, und dann werden Sie Ihre Finanzprobleme lösen. Aber von diesem Zusammenhang dürfen wir auf gar keinen Fall abgehen. Ich kann Ihnen das nur empfehlen. Das ist die einzige Möglichkeit.
Die FDP wird jedenfalls in der Sache der Erhöhung der absoluten Obergrenze nicht zustimmen. Wir sind stark genug, uns selbst zu helfen, und brauchen diese zusätzliche Unterstützung nicht.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Solms. – Nächster Redner: Friedrich Straetmanns für die Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Heute beraten wir den Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD zur Änderung des Parteiengesetzes, der ganz kurzfristig auf der Tagesordnung gelandet ist. Ich verweise auf die Geschäftsordnungsdebatte.
Ich will es ganz deutlich sagen: Das gesamte Verfahren ist eine einzige Provokation.
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Bisher galt der Grundsatz, dass in Angelegenheiten der Parteienfinanzierung in der informellen Runde der Parlamentarischen Geschäftsführung dies in Ruhe vorbesprochen und nach außen transparent beraten werden kann.
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Das Verfahren haben Sie von der CDU/CSU und SPD ohne Not aufgegeben, und Sie agieren hier mit der Arroganz der Macht. Das will ich Ihnen so deutlich sagen.
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Unsere Fraktion und unserem Parlamentarischen Geschäftsführer ist erst nach der sehr späten abendlichen Vorlage des Gesetzentwurfs die volle Tragweite Ihres Vorhabens bekannt geworden.
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– Der getretene Hund bellt. Sie wissen das. – Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass sogenannte Große Koalitionen der Demokratie abträglich sind. Die Macht wird genutzt, um unliebsamen Diskussionen im Vorfeld aus dem Weg zu gehen.
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Bei Ihnen gilt das Prinzip „Wir machen es, weil wir es machen können“. Verantwortung gegenüber der demokratischen Gesellschaft sieht anders aus.
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Haben Sie sich überhaupt Gedanken gemacht, wie das da draußen ankommt? Sie beabsichtigen, den Betrag der staatlichen Parteienfinanzierung von zurzeit 165 Millionen Euro ab 2019 auf 190 Millionen Euro anzuheben. Die Vorredner haben es angesprochen.
Das kritisieren wir, nicht weil wir den grundgesetzlichen Auftrag der staatlichen Unterstützung der Parteien infrage stellen, sondern weil es hier um Steuermittel geht. Da hier das Parlament selbst entscheidet, stehen wir als Abgeordnete bei unseren Wählerinnen und Wählern – auch ich in Bielefeld – immer in der Pflicht der Rechtfertigung und Begründung.
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Bei der Höhe von Sozialleistungen und Altersrenten legen Sie eine enorme Zurückhaltung an den Tag. Da könnte man doch wohl erwarten, dass Sie dies auch bei der Parteienfinanzierung tun.
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Genau das tun Sie aber nicht. Das ist eine politische Unverschämtheit – um das deutlich zu sagen.
Als Grund für die Steigerung nennen Sie die Anforderungen der Digitalisierung. Nach diesem Vorgehen nimmt Ihnen das da draußen doch keiner mehr ab. Man könnte diesen Entwurf auch ein Gesetz zur Steigerung der Politikverdrossenheit nennen.
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Dass Sie mich nicht falsch verstehen: Wenn man über Parteienfinanzierung spricht, müssen auch die Parteispenden auf den Tisch und transparent gemacht werden.
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Nur dann können wir unseren Wählerinnen und Wählern über unser Tun und Handeln hier in Berlin offen und ehrlich Rechenschaft ablegen, ohne uns schämen zu müssen. Ich fühle mich da sehr in der Pflicht. Wir fordern als Partei seit langem nicht nur mehr Transparenz, sondern auch ein Verbot von Firmen- und Verbandsspenden an Parteien.
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Um noch ein paar Dinge deutlich und klar beim Namen zu nennen – Herr Grosse-Brömer, Sie dürfen durchaus aufpassen –: Im Jahr 2016 flossen von den größten sechs Unternehmensspendern 2,4 Millionen Euro an die Parteien, darunter über 300 000 Euro von der Deutschen Vermögensberatung AG und einer ihrer Tochterfirmen. Hauptempfängerin war Ihre CDU, Herr Grosse-Brömer. Ein windiger und undurchsichtiger Strukturvertrieb – wohlgemerkt: die Deutsche Vermögensberatung AG –, der nach der Wende im Osten die Leute ausgenommen hat, teilt hier wahrscheinlich Provisionen aus. Wir, Die Linke, dagegen haben eine klare Beschlusslage, nach der wir solche Spenden nicht annehmen. Damit sind wir unabhängig und handeln gegenüber Konzernen auch deutlich unabhängig.
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Ich möchte nun die Gelegenheit nutzen, noch einmal an Sie zu appellieren: Beenden Sie dieses beschleunigte Verfahren! Lassen Sie Ruhe einkehren! Wir haben hier viele Beiträge gehört. Lassen Sie uns in Ruhe darüber reden! Im Übrigen grüße ich alle Delegierten und Gäste unseres Bundesparteitages in Leipzig.
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Den Gruß können sie wahrscheinlich gebrauchen. Danke, Herr Straetmanns. – Nächste Rednerin: Britta Haßelmann für Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Gerade weil ich eine so überzeugte Parlamentarierin und Demokratin bin und gerade weil ich weiß, dass wir uns in unserer Fraktion – jede und jeder Einzelne von uns – so bemühen, dass das Ansehen von Parteien, dass die Arbeit von Politikerinnen und Politikern nicht so durch den Kakao gezogen wird, sondern dass das Ansehen demokratischer Parteien in dieser lebendigen Demokratie gut und wichtig und richtig ist – dafür streiten wir, jeder Einzelne von uns, in den Wahlkreisen und hier im Parlament –, ärgert es mich so und finde ich es unmöglich, welches Verfahren Sie für dieses Parteiengesetz an den Tag legen.
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Das Verfahren, das Sie hier machen, ist einfach dreist. Sie schaden damit dem Ansehen der Parteien insgesamt und das ist ja das Schlimme.
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Sie beide, CDU/CSU und SPD, tragen die Verantwortung für dieses Verfahren. Aber letztlich trifft die negative Bewertung im Kern alle demokratischen Parteien. Ich bin so sauer auf Sie, weil Sie es eigentlich hätten wissen müssen.
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Sie tun es, weil Sie denken, dass Sie es mit der Mehrheit einer Großen Koalition einfach durchkriegen. So ein Vorgang ist nur in Zeiten einer Großen Koalition möglich, meine Damen und Herren.
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Auch das ist ein Beleg für mich, dass die parlamentarische Zusammensetzung dringend geändert werden muss.
Jetzt zum Kern. Die Botschaft, die hier mitschwingt, lautet: Die Oppositionsfraktionen ruhen sich aus. Wir große Volksparteien müssen die Karre immer aus dem Dreck ziehen. Wir müssen für die Erhöhung kämpfen, und dann profitieren doch alle davon. – Soll ich Ihnen mal was sagen? Mit dieser Nummer kommen Sie hier nicht durch. 2011 hatten wir die Obergrenze und die Dynamisierung beschlossen, meine Damen und Herren. Sie hätten sich vorher einmal ein bisschen erkundigen sollen, Herr Harbarth und der Redner von der SPD. 2011 haben FDP, Union, Grüne und auch die SPD zusammen genau dieses Prinzip der Parteienfinanzierung hier im Deutschen Bundestag beschlossen.
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Wir haben gesagt: Wir stehen dazu nach den verfassungsrechtlichen Entscheidungen, die erfolgt waren. Und das Bundesverfassungsgericht hat genau auf diese Problematik hingewiesen: dass die Gefahr besteht, dass das Ansehen der Parteien schlecht ist, weil der Eindruck entsteht, es passiere etwas nicht Transparentes, Parteien würden sich bedienen. Deshalb waren wir durch den verfassungsrechtlichen Rahmen gehalten, zu sagen: so viel Transparenz wie möglich.
Und das Bundesverfassungsgericht hat genau auf diese Problematik hingewiesen: dass die Gefahr besteht, dass das Ansehen der Parteien schlecht ist, weil der Eindruck entsteht, es passiere etwas nicht Transparentes, Parteien würden sich bedienen. Deshalb waren wir durch den verfassungsrechtlichen Rahmen gehalten, zu sagen: So viel Transparenz wie möglich.
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Damals haben die Fraktionen gemeinsam gesagt: Dann legen wir eine Obergrenze fest; diese Obergrenze ist dynamisch, indem sie an einen Index gekoppelt wird; das heißt, die Summe steigt jährlich – um das auch mal zu sagen. Und sie haben gesagt: Das machen wir gemeinsam, weil wir gemeinsam für die Bedeutung der Parteien in unserer lebendigen Demokratie kämpfen.
Meine Damen und Herren, mit Ihrer Vorgehensweise, mit Ihrer Initiative rahmen Sie das alles ein; und das macht mich so fassungslos.
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Wie weit wollen Sie eigentlich noch runtergehen, verdammt noch mal? Können Sie in so einer Situation nicht einfach mal sagen: „So was beraten wir gemeinsam“?
Das schlägt dem Fass ja den Boden aus, meine Damen und Herren: 2015 haben die Koalitionsfraktionen den Zuwendungsanteil der staatlichen Mittel pro Stimme erhöhen wollen, und zwar um 20 Prozent. Das haben sie ja dann auch mit ihrer Mehrheit getan. Wissen Sie, was die Begründung für die Erhöhung um 20 Prozent war, als es Kritik gab? „Wir haben doch die Obergrenze. Keine Sorge, die Summe steigt nicht.“ Also auch in sich ein wirklich problematischer Vorgang, meine Damen und Herren.
Und dann – das sage ich Ihnen auch noch mal; das nehme ich Ihnen wirklich übel –: Ich habe mit Einzelnen von Ihnen – ich spreche sie jetzt hier nicht persönlich an – in den letzten Wochen geredet, als es nämlich um die skandalösen, dubiosen Finanzierungsvorgänge der AfD ging. Ich habe Einzelne aus Ihren Fraktionen angesprochen und gefragt: Sollen wir nicht als demokratische Parteien wieder grundsätzlich über die vielen Fragen reden, die es bei der Parteienfinanzierung zu regeln gäbe, nämlich dubiose Vereinsfinanzierungen oder Sponsoring-Regelungen, andere Transparenzregeln? Sollen wir nicht mal ins Gespräch kommen? – Kein Wort über diesen Gesetzentwurf! Und jetzt ziehen Sie das hier durch und versuchen, die Nummer aufzumachen: Die anderen profitieren davon, und wir sind hier die großen Parteien, die staatstragend die Position halten.
Denken Sie an Ihre Redezeit.
Mit der Nummer kommen Sie nicht durch. Es ist einfach nur dreist, was Sie sich hier leisten.
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Vielen Dank, Britta Haßelmann. – Der letzte Redner in der Debatte: Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion, Augsburg.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Abschluss der Debatte bitte noch einmal die Sachlage korrekt einordnen.
Zunächst einmal ist zu sagen, dass die Parteien nach Artikel 21 des Grundgesetzes einen verfassungsmäßigen Auftrag haben, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken.
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Aus diesem Auftrag heraus haben wir, wie ich meine, ein sehr kluges System der Parteienfinanzierung etabliert, welches zum einen auf einer staatlichen Teilfinanzierung fußt und zum anderen auf der Beibringung der Mittel durch die Parteien über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Im Rahmen dieser Parteienfinanzierung gibt es übrigens eine doppelte Grenze: Die Zuwendungen der Parteien können staatlicherseits nur so hoch sein, wie die Parteien selbst Eigenmittel erwirtschafteten, und die Gesamtsumme für die Parteien darf eine Obergrenze nicht übersteigen.
Dieses System führt dazu, dass zum einen eine zu starke Abhängigkeit der Parteien von großen Spendern und damit von Monostrukturen verhindert wird, und es wahrt auf der anderen Seite auch die Chancengleichheit der Parteien bei der Wahrnehmung ihres verfassungsgemäßen Auftrags, weil die Parteien Gelder auch entsprechend der Anzahl ihrer jeweiligen Wählerstimmen bekommen.
Wir wollen an diesem bewährten System festhalten, weil es dazu geführt hat, dass wir eine stabile demokratische Kultur haben und sich unsere Parteienlandschaft so etabliert hat, dass wir seit über 70 Jahren eine starke Demokratie haben. Ich glaube, es ist wert, dass wir auch das heute mal betonen.
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Viele andere europäische Staaten, gerade solche mit einem Verhältniswahlrecht, haben wesentlich instabilere Verhältnisse. Viele Menschen in demokratischen Staaten wären froh, wenn sie diese stabilen Verhältnisse hätten. Verhältnisse sind immer auch ein Abbild der jeweiligen Struktur.
Hier geht es um die Frage: Wie gehen wir mit der Struktur der Parteienfinanzierung um, und wie diskutieren wir auch darüber? Ich glaube, es ist nicht in Ordnung, dass Vertreter von Parteien selbst das Ansehen der Parteien beschädigen und sie delegitimieren, indem sie einfach holzschnittartige Kritik anbringen, indem sie so tun, als ob die Parteien die Gierigen wären. Dabei sind wir diejenigen, die die demokratische Kultur in unserem Land voranbringen, sich der Kritik stellen, sich dem Wähler stellen und dafür sorgen, dass parlamentarische Demokratie auch funktionieren kann.
Meine Damen und Herren, es geht jetzt um die Frage, wie wir vor dem Hintergrund sich wandelnder Verhältnisse die Parteifinanzen neu ordnen. Maßstab ist für uns das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1992. Darin fordert das Bundesverfassungsgericht eine sogenannte absolute Obergrenze.
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Es sagt aber auch, dass diese Obergrenze, wenn die bestehenden Verhältnisse einschneidende Veränderungen erfahren, auch verändert werden kann. Ich füge hinzu: Es ist eine Frage der Einschätzung des Gesetzgebers, ob sich die Verhältnisse geändert haben. Es sind in der Tat Verhältnisse angesprochen worden, die eine Neujustierung dieser Grenze notwendig erscheinen lassen.
Es geht einmal um die Frage, wie wir mit der Diskussion mit Bürgern in sozialen Netzwerken umgehen, mit starker Kritik, mit Fake News, mit dem Ansinnen der Parteien, auch direkt mit dem Bürger zu kommunizieren. Das kostet Geld und braucht Ressourcen. Wir müssen über neue Formen der Teilnahme und Partizipation innerhalb der Parteien sprechen:
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Mitgliederentscheide zu fachlichen und zu sachlichen Themen.
Wir müssen auch darüber sprechen, dass die Parteien gerade auch bei Veranstaltungen im öffentlichen Raum wesentlich höhere Kosten haben, gerade auch aufgrund von Auflagen der Ordnungsämter.
All das ist notwendig, und so sage ich: Ja, die Parteien brauchen ein Stück weit mehr Geld, um ihre verfassungsrechtlichen Aufgaben zu erfüllen.
Übrigens geht es um einen Betrag, der den Parteien ohnehin zustehen würde. Wenn man nämlich die Ansprüche der Parteien nach dem Ergebnis der Bundestagswahl 2017 – mit einer höheren Partizipation – addieren würde, lägen die Ansprüche der Parteien ohnehin bereits bei knapp 190 Millionen Euro. Das heißt also, mit diesem Gesetzentwurf wird den Parteien das zugestanden, was sie aufgrund des Wahlergebnisses und ihrer eigenen Bemühungen ohnehin bekommen müssten.
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So muss man also im Endeffekt sagen: Die Kritik ist sehr wohlfeil, sie geht an der Sache vorbei.
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Meine Damen und Herren, wir werden im Parteiengesetz weitere Änderungen vornehmen. Wir werden in der Tat über die Fragen sprechen müssen, wie wir Zuwendungen von dritter Seite, insbesondere in Wahlkämpfen, eindämmen, wie wir die Rechenschaftspflicht gerade auch in Bezug auf die Stückelung von Parteispenden verschärfen.
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Wir werden über Fragen im Zusammenhang mit den Rechenschaftsberichten sprechen müssen.
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Wir werden über die Frage sprechen, wie die Finanzierung von Wahlwerbung
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aus dem Ausland geregelt werden kann,
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weil es nicht sein kann, dass aus dem Ausland Werbung für deutsche Parteien geschaltet wird. Das ist eine unzulässige Beeinflussung der Wahl,
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und da machen wir nicht mit.
Meine Damen und Herren, wir werden nächste Woche im Innenausschuss eine Anhörung zu dem Thema haben
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und es noch mal groß und breit im Deutschen Bundestag diskutieren. Die Kritik bzw. der Vorwurf, es würde hier nicht öffentlich darüber gesprochen, ist also nicht haltbar. Lassen Sie uns gemeinsam über diese Fragen diskutieren.
Vielen Dank.
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Danke, Volker Ullrich. – Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/2509 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt dazu keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben vorhin schon gesagt: Vielleicht sollten wir es einbürgern, bei jedem Tagesordnungspunkt die Redezeit auf drei Minuten zu beschränken; denn wenn man in drei Minuten nicht sagen kann, was man will, dann reichen meist auch zehn Minuten nicht.
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Ich möchte bei der Debatte betonen, dass die Ausschreibungen, die wir im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2016 eingeführt haben, ein großer Erfolg sind. Wir konnten dank dieser Ausschreibungen die Kosten im Bereich von Windenergie an Land bei der letzten Ausschreibung beispielsweise auf 5,73 Cent pro Kilowattstunde senken und im Bereich der Photovoltaik sogar auf 4,33 Cent pro Kilowattstunde, und das ist ein enormer Erfolg mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der Erneuerbaren, gerade wenn man schaut, woher wir da kommen. Wir sehen also insgesamt: Wettbewerb ist nichts Schlechtes.
Es war damals bei der Umsetzung so, dass einige befürchteten, die Bürgerenergie komme bei der Ausschreibung nicht mehr zum Zug. Daraufhin wurden Ausnahmeregelungen geschaffen, beispielsweise die, dass bei Bürgerenergiegesellschaften auf die bundesimmissionsschutzrechtliche Genehmigung bei Teilnahme an der Ausschreibung verzichtet werden kann. Der Vorschlag zu dieser Ausnahmeregelung kam übrigens aus dem Bundeswirtschaftsministerium selbst, und auch die Grünen forderten diese Regelung ein.
Nun hat sich gezeigt, dass es Missbrauch in erheblichem Umfang gegeben hat. Es wurden häufig Zuschläge für Anlagen erteilt, die a) keine Bürgerenergieanlagen waren und b) nach Bezuschlagung doch nicht umgesetzt wurden. Diesen Missbrauch haben wir in der letzten Legislatur schnellstmöglich unterbunden. Die Regelung, dass auch Bürgerenergiegesellschaften eine solche BImSchG-Genehmigung brauchen, lief befristet bis zum Mai dieses Jahres. Wir verlängern diese Regelung jetzt vorerst noch einmal um zwei Jahre bis zum Juni 2020. Somit kann der Zubau im ursprünglichen Korridor weiter erfolgen. Es wird also keinen Fadenriss geben. Das ist ein wichtiges Zeichen auch für die Branche und die damit verbundenen Arbeitsplätze.
Wir werden außerdem schauen, wie wir Bürgerenergiegesellschaften weiterhin innerhalb des Wettbewerbs zielgerichtet fördern können. Wir werden auch das EEG zusammen weiterentwickeln.
Ich bedanke mich jetzt bei allen Fraktionen, die diese Gesetzesinitiative unterstützen, die ja ursprünglich vom Bundesrat kam und jetzt noch mal geändert wurde. Die besondere Eilbedürftigkeit war in diesem Fall gegeben, aber sie soll natürlich nicht zur Gewohnheit werden. Ich hoffe, dass wir im Anschluss an die Debatte den Boten noch rechtzeitig zum Bundesrat losschicken können, unter Umständen auch umweltfreundlich mit dem Fahrrad.
In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. – Danke.
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Vielen Dank, Dr. Lenz. – Nächster Redner: Leif-Erik Holm für die AfD-Fraktion.
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Liebe Bürger! Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es fällt mir schwer, heute zum EEG hier zu sprechen, während ganz Deutschland über den entsetzlichen Mord an Susanna diskutiert. Diese Tat macht uns alle sicherlich sprachlos; sprachlos macht aber auch das eklatante Versagen der Bundesregierung, das exemplarisch in diesem Fall zum Vorschein kommt.
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Es ist wichtig, dass wir in diesem Hohen Hause über diesen Fall und das Versagen noch einmal diskutieren. Dafür wird die AfD-Fraktion sorgen.
Kommen wir zu Ihrem Versagen beim Erneuerbare-Energien-Gesetz: Der Gesetzentwurf zur erneuten Änderung der Änderung des EEG zeigt einmal mehr, wie Ihre Energiewende funktioniert, nämlich gar nicht. Nach nur einem Jahr zeigt sich, dass Ihre fixe Idee der Bürgerenergieanlagen ein famoser Schuss in den Ofen war. Man muss sich das mal vorstellen! Haben Sie ernsthaft geglaubt, dass sich Otto Normalbürger bei solch komplexen Projekten ins Abenteuer stürzt? Natürlich sind es die findigen Ökounternehmer, die es verstehen, den Merkel-Unsinn auszunutzen. Man kann es ihnen nicht verdenken. Wer nimmt nicht gerne Geld geschenkt?
Ihr Plan, mit der Gesetzesänderung von 2017 die Akzeptanz für Windkraftanlagen zu erhöhen, ist damit krachend und zu Recht gescheitert. Die Bürger wollen sich nämlich nicht durch tolle Renditeversprechen ködern und bestechen lassen, sondern sie wollen morgens vor ihre Haustür treten und in eine intakte Natur blicken und nicht auf 200 Meter hohe Windanlagen.
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Sie kommen immer mit der angeblich so tollen Zustimmung in der Bevölkerung. Die Akzeptanz endet aber genau dann, wenn jemandem solche Anlagen vors Fenster gesetzt werden. Machen Sie doch mal eine Umfrage bei mir in der Heimat, in Altentreptow bei Neubrandenburg, oder auf Rügen,
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da sind Sie mittlerweile teilweise umzingelt von Riesenwindparks. Ich kann Ihnen versichern, dass Sie Befürworter für diesen Irrsinn dort mit der Lupe suchen müssen.
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Auch wenn man sich die Kosten anschaut, kann einem ganz schwindlig werden. Seit Einführung der EEG-Umlage sind über 150 Milliarden Euro an die Ökostromerzeuger geflossen. Das ist ein halber Bundeshaushalt. Seit 2007 hat sich die EEG-Umlage versiebenfacht. Ein Ende ist nicht in Sicht. Jeder muss das bezahlen, jeder, natürlich nicht die energieintensive Industrie, aber sonst jeder, auch die arme Seniorin mit Grundrente muss voll blechen. Auch mit Sozialpolitik hat das alles überhaupt nichts zu tun.
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Nur am Rande: Dem Klima helfen Sie mit Ihrer ökopopulistischen Politik auch nicht. Der CO 2 -Ausstoß ist in den letzten Jahren nicht gesunken, sondern gestiegen, und er wird weiter steigen, unter anderem, weil Sie den Leuten die Dieselautos vermiesen, die wesentlich CO 2 -freundlicher als Benziner sind.
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Meine Damen und Herren, Ihr EEG ist Murks. Wir werden Ihre geplante Gesetzesänderung ablehnen, weil das ewige Herumdoktern an einem ohnehin gescheiterten Moloch keinen Sinn macht. Im Übrigen hat die aktuelle Regelung einen Vorteil: Wegen der verlängerten Baufristen für die Bürgeranlagen werden die nächsten Jahre weniger Windräder aufgestellt als geplant und Bürger damit länger verschont. Vielleicht bekommen wir dann 2021 – ich komme zum Schluss – eine vernunftbegabte Regierung, die Schluss macht mit dem Energiesozialismus von Schwarz, Rot, Links und Grün. Das EEG ist und bleibt ein planwirtschaftliches Monster, das keine Probleme löst, sondern immer nur neue schafft, und da machen wir selbstverständlich nicht mit.
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Danke schön. – Nächster Redner: Johann Saathoff für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über eine Bundesratsinitiative zum Thema Bürgerenergie. Es gibt dazu Regeln im § 36g des Erneuerbare-Energien-Gesetzes – das ist etwas für Feinschmecker –, mit denen wir Bürgerenergieanlagen haben regeln und vernünftig behandeln wollen. Die SPD weiß nämlich – damals genauso wie jetzt –, dass die eigentlichen Pioniere und Vordenker der Energiewende die einfachen Bürgerinnen und Bürger sind.
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Die SPD weiß auch, dass die erneuerbaren Energien und die ländlichen Räume untrennbar miteinander verbunden sind, und zwar sowohl, was die Produktion der Anlagen betrifft, als auch, was den Betrieb der Anlagen betrifft, und damit eine enorme Wertschöpfung in die ländlichen Räume gelangt.
Mit dem EEG 2017 und dem Einstieg in das Ausschreibungsregime hat es eine Systemveränderung gegeben, die einen Regelungsbedarf nach sich gezogen hat. Die Bürger konkurrierten plötzlich mit großen Energiekonzernen oder mit großen Unternehmen, die projektieren wollten. Es musste ein Level Playing Field geschaffen werden. Es ging um das, was uns große Unternehmen heute immer wieder sagen: Schafft ein Level Playing Field, sorgt für ausgleichende Gerechtigkeit.
Die Vorteile, die für die Bürgerenergiegesellschaften geschaffen werden sollten, waren längere Realisierungsfristen, weil es einfach schwieriger ist, mit wenig Manpower so etwas umzusetzen, und die Befreiung von der Genehmigung gemäß Bundes-Immissionsschutzgesetz bei der Auktion. Ausgenutzt wurden diese Regelungen von Scheinbürgerenergiegesellschaften, obwohl wir besondere Sicherheiten eingebaut hatten, zum Beispiel, dass so eine Gesellschaft zehn natürliche Personen aus dem Landkreis als Mitglieder haben muss, zum Beispiel, dass es eine Frist gibt zur erneuten Teilnahme an Ausschreibungen, zum Beispiel, dass es ein verpflichtendes Beteiligungsangebot an die Standortgemeinde gibt. Die Regelungen sind trotzdem ausgenutzt und auch ein Stück weit missbraucht worden.
Als § 36g EEG in Kraft getreten ist, hat man sofort bei den ersten Ausschreibungen Erfahrungen gemacht, die – ich sage es mal vorsichtig –, ernüchternd waren. Allen Beteiligten im Deutschen Bundestag in der damaligen Zusammensetzung war klar, dass Handlungsbedarf besteht. Wir haben sehr schnell, auch interfraktionell, entschieden, dass erst einmal die Aussetzung der Befreiung von der BImSchG-Genehmigung für Bürgerenergiegesellschaften erfolgen muss. Das war in den Ausschreibungen sofort wirksam. Wir haben es allerdings zunächst nur bis 2018 gemacht, um einen neuen Paragrafen für Bürgerenergiedefinitionen zu finden. Jetzt werden wir diese Aussetzung um zwei weitere Jahre verlängern. Damit wissen alle Beteiligten, woran sie sind oder, wie es die Freunde des gepflegten ostfriesischen Plattdeutsch sagen würden: So steiht Haak in’t Steel.
Das Gesetzgebungsverfahren ist sehr knapp; das gebe ich zu. Aber wir schaffen das noch. Ich möchte mich an dieser Stelle bei den Linken, bei den Grünen und bei der FDP für das zeitliche Entgegenkommen bedanken. Wir werden neue Regelungen für die Bürgerenergie finden müssen in den zwei Jahren. Für mich bedeutet das kommunale Beteiligung, wie wir das im Koalitionsvertrag schon festgelegt haben. Ich möchte eine Regelung, von der alle Einwohnerinnen und Einwohner einer Gemeinde profitieren, in der zum Beispiel Windenergieanlagen stehen, und nicht nur wenige Mitglieder einer Gesellschaft. Nur so wird es bei den Bürgerinnen und Bürgern Akzeptanz für die Energiewende geben.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Herr Saathoff, Sekunde bitte! Wie immer für Nichtkundige Ihrer Muttersprache bitte die Übersetzung.
Ich dachte, wir hätten keine Zeit. – „So steiht Haak in’t Steel“ heißt so viel wie: So sitzt die Hacke im Stil.
Vielen herzlichen Dank. Wir haben schon damit gerechnet, dass das kommen wird. Danke schön, Herr Saathoff. – Nächste Rednerin: Sandra Weeser für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja hinreichend bekannt, dass die 2017 im EEG eingeführten Privilegien für Bürgerenergiegesellschaften krachend gescheitert sind und deswegen auch zurückgenommen werden mussten. Sie waren zu weit gegriffen. Man konnte ohne BImSchG-Genehmigung und mit einer Verlängerung der Umsetzungsfrist um zwei Jahre an den Ausschreibungen teilnehmen. Das wurde, wie eben schon ausgeführt, entsprechend zweckentfremdet. Profitiert haben vor allem als Bürgerenergiegesellschaft getarnte Großunternehmen und nicht Bürgerenergiegesellschaften in der Form, wie sie eigentlich angedacht waren, also solche, in denen sich Bürger in kleinen Gesellschaften zusammenschließen.
Jetzt stehen wir heute leider wieder hier, allerdings unter Zeitdruck; das wurde eben schon mehrfach bemängelt. Wir überlegen uns: Wie machen wir das jetzt? Denn schon im August 2018 stehen die nächsten Ausschreibungen an, und wir müssen heute hier im Hauruckverfahren darüber entscheiden, wie wir damit umgehen. Die Koalition hat es leider nicht geschafft, dieses Problem eigenständig zu lösen. Nein, man bedient sich jetzt eines Gesetzentwurfs aus dem Bundesrat und eines Änderungsantrags der Koalition.
Ich möchte Ihnen aber schon einmal die Schweißperlen von der Stirn nehmen: Wir werden dem zustimmen, und zwar aus dem ganz einfachen Grund, dass wir nicht wollen, dass diese Privilegien weiter um sich greifen. Deswegen liegt uns an einem Aussetzen dieser Sonderregelungen.
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Mir stellen sich hier allerdings zwei persönliche Fragen.
Erstens. Warum machen wir es in diesem Hauruckverfahren, warum machen wir dieses Eilverfahren?
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Bis jetzt sind EEG-Reformen permanent durch den Bundestag durchgetrieben worden. Das scheint Methode zu haben und zur Gewohnheit zu werden. Das Problem war ja schon lange bekannt. Nordrhein-Westfalen hat doch schon im Januar den Antrag in den Bundesrat eingebracht. Also hätte man schon längst reagieren können.
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Und Ihr Änderungsantrag beweist, wie uneinig Sie sich in der Koalition darüber sind, zu definieren, wie ein weiterer Ausbau erfolgen soll. Wir haben hier auch unterschiedliche Ansichten über den künftigen Ausbaupfad. Es herrscht offensichtlich auch Uneinigkeit über die Definition eines netzsynchronisierten Ausbaus. Sonst hätten Sie es ja anders gelöst. Ich sage Ihnen nur eins: Wenn vor der Sommerpause noch weitere Gesetzentwürfe in diesem Hauruckverfahren durchs Parlament getrieben werden sollen, dann können wir das auf Dauer nicht mittragen; denn so darf eine Regierung nicht mit dem Parlament umgehen.
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Die zweite Frage, die sich mir stellt, bezieht sich auf Ihren Antragstext. Im Juni 2020 wollen Sie eine ausgewogene und dauerhafte Lösung für die Aussetzung schaffen. Meine Frage ist: Warum machen wir das denn nicht sofort? Lassen Sie uns doch diesen Unsinn endlich abschaffen! Wir beschließen hier heute einen kleinen Baustein, ein Mosaiksteinchen in einem großen Mosaik, das Energiewende heißt. Doch die Konturen sind für den Betrachter völlig verzerrt. Niemand kann das mehr nachvollziehen. Wie oft haben wir die Energiewende nachjustiert? Wie oft sind Fehlentscheidungen korrigiert worden?
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Ständiges Herumdoktern führt zu Unsicherheiten auf beiden Seiten. Deswegen plädiere ich dafür: Lassen Sie uns dieses System grundlegend reformieren! Lassen Sie uns endlich aus der Kosten- und Subventionsspirale aussteigen!
Vielen Dank.
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Danke schön, Sandra Weeser. – Nächster Redner für die Fraktion Die Linke: Lorenz Gösta Beutin.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Im Sommer 2016 hat dieses Parlament an dieser Stelle den Paragrafen zur Bürgerenergie im Erneuerbare-Energien-Gesetz mit heißer Nadel gestrickt.
Die Linke hat damals schon auf das Missbrauchsproblem bei der Bürgerenergie hingewiesen; und so ist es dann ja auch tatsächlich gekommen. Über 90 Prozent der Zuschläge für Windenergie an Land gingen an sogenannte Bürgerenergiegesellschaften, die trickreich von Großprojektierern in größerer Anzahl allein für diesen Zweck gegründet worden waren. Damit hat die GroKo die Bürgerenergie letztlich ausgebremst. Die Reform ging damals in die vollkommen falsche Richtung.
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Deswegen stimmen wir zu, dass für alle Windprojekte künftig mit den Geboten eine Bundes-Immissionsschutzgenehmigung vorzulegen ist und dass sie die gleichen Realisierungsfristen wie alle Projekte haben sollten.
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Aber wo wir als Linke keinesfalls zustimmen können, ist erstens beim zu niedrigen Ausschreibungsvolumen. Sie haben ja bereits zugegeben: Die Klimaziele 2020 werden Sie verfehlen. Im Koalitionsvertrag steht jedoch: 2030 werden sie auf jeden Fall erreicht. Aber wie wollen Sie die Ziele 2030 erreichen? Ich erinnere daran, dass in Ihrem Koalitionsvertrag Sonderausschreibungen vorgesehen sind. Möglicherweise liegt es an der Blockade im Bundeswirtschaftsministerium von Herrn Altmaier, dass das nicht zustande kommt. Wie in vielen anderen Fällen drängt sich auch hier der Eindruck auf, dass wir es bei dieser Großen Koalition nur noch mit einer Chaostruppe zu tun haben, die zu zukunftsfähigen Entscheidungen nicht mehr in der Lage ist.
({2})
Kurz und gut: Wir brauchen noch in diesem Jahr den Beschluss zu Sonderausschreibungen. Wenn wir überhaupt annähernd an die Klimaziele 2030 herankommen wollen, wenn wir diese Lücke tatsächlich schließen wollen, müsste man 2018, also noch in diesem Jahr, zusätzliche 5 Gigawatt für Photovoltaik und Windenergie aufsetzen und in den kommenden Jahren weitere zusätzliche 3 Gigawatt. Davon ist bei Ihnen keine Rede. Wir als Linke schlagen aber genau diesen Weg als Alternative vor.
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Zweitens müssen wir den Weg gehen, die echte Bürgerenergie zu retten. Ich weiß nicht, wie es in Ihren Wahlkreisen aussieht, aber auch dort werden Sie wohl konfrontiert mit Zweifeln von Bürgerinnen und Bürgern, die mit dem Bau von Windkraftanlagen zu tun haben. Hier müssen wir doch gucken: Wie können wir die Identifikation mit Windenergie, wie können wir die Identifikation mit den erneuerbaren Energien stärken? Also: Wir brauchen eine Regelung zur Rettung der echten Bürgerenergie, der Identifikation mit der Energiewende und mit den erneuerbaren Energien. Haben Sie endlich den Mut und reißen Sie das Steuer herum!
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Kollege Beutin. – Letzte Rednerin: Ingrid Nestle für Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bemerkenswerteste an dieser Vorlage ist das, was nicht drinsteht. Sie von der Koalition haben die vom Bundesrat gewünschten Sonderausschreibungen sogar aktiv gestrichen. Ich habe die Bundesregierung gefragt: Wann und wie wollen Sie denn mal anfangen, Ihre erneuerbaren Ziele zu erreichen? Die Antwort Anfang dieser Woche lautete – kurz gesagt –: Alles hängt vom Stromnetz ab.
Hängt wirklich alles vom Stromnetz ab? Ich will das mit einer Geschichte illustrieren. Sagen wir mal, die erneuerbaren Energien sind die Kornfelder; da wird die Nahrung produziert. Die brauchen wir für den Klimaschutz; das sind in der Geschichte die Kinder.
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Im Moment haben wir einen Anteil an erneuerbarer Energie in Höhe von 38 Prozent, also brauchen wir 38 Kinder für den Klimaschutz. Wir wissen: Im Jahre 2030 brauchen wir 65 Kinder, sonst können wir die Ziele nicht erreichen, die auch Sie erreichen wollen. Wir brauchen also mehr Kornfelder. Jetzt sagen Sie: Alles hängt an den Netzen. – Das sind in unserer Geschichte die Förderbänder zwischen den Kornfeldern und den Kindern. Ja, da fällt ab und zu was runter. Im Jahr fällt etwa 1 Prozent vom Korn herunter; 1 Prozent des Stromverbrauches wird zurzeit abgeregelt.
Sie könnten viele verschiedene Lösungsansätze wählen. Sie könnten zum Beispiel mehr Korn auf die Förderbänder packen; das nennt man in der Stromwelt Phasenschieber, Smart Grids, Temperaturmonitoring.
Sie könnten sich vor Ort dafür einsetzen, dass die neuen Förderbänder, die wir brauchen, schneller kommen, anstatt hier in Berlin zu beklagen, dass sie nicht da sind. Sie könnten sagen: Wenn auf das Förderband nichts mehr draufpasst, dann machen wir mit dem Korn etwas Nützliches. Wir geben es anderen Kindern – ich nenne sie mal die Wärme- oder Verkehrskinder –, die dringend mehr Klimaschutz brauchen. Hier stehen jede Menge Akteure bereit, die Innovationen machen wollen, zum Beispiel Power to Heat. Wir könnten es in der Industrie verwenden, in den unterschiedlichsten Bereichen. Das alles können Sie machen. Sie können noch viel mehr machen, zum Beispiel weniger Kohle- oder Atomstrom einspeisen.
({1})
All das können Sie machen. Aber eins können Sie nicht machen, nämlich sagen: Ja, dann legen wir eben keine neuen Kornfelder an, dann lassen wir die Klimaschutzkinder eben verhungern. – Das sind nämlich tatsächlich unsere Kinder. Ich finde, da kommen wir wieder in die echte Welt zurück; denn auch die Ernährungssicherheit unserer Kinder hängt vom Klimaschutz ab. – Herr Nüßlein, nur weil Sie Geschichte vielleicht nicht verstehen, müssen Sie nicht darüber lachen.
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Es ist eine sehr, sehr ernste Geschichte.
Deshalb ist wichtig: Legen Sie jetzt nach. Das, was Sie hier auf den Tisch gelegt haben, ist nicht genug. Sie müssen nachlegen und den Ausbau der Erneuerbaren beschleunigen. Schon jetzt müssen Sie ihn verdoppeln, um die Klimaziele zu erreichen. Wenn Sie fünf Jahre warten, müssen Sie ihn vervierfachen. Nicht mal ich glaube ernsthaft, dass das zu erreichen ist.
Im Moment passiert das Gegenteil: Man sieht die Folgen Ihrer ungeplanten Politik, die keine Investitionssicherheit schafft, schon daran, dass bei der letzten Ausschreibung noch nicht mal genug Gebote abgeliefert worden sind. Sie machen den Ausbau der Erneuerbaren kaputt, anstatt ihn voranzubringen. Bitte gehen Sie bei dem mit, was Kanzlerin Merkel gestern gesagt hat: Das Klimaabkommen ist „lebenswichtig“ für diesen Planeten. Deshalb müssen die Erneuerbaren ausgebaut werden. Für das Stromnetz gibt es jede Menge Lösungen.
Herzlichen Dank.
({3})
Vielen Dank, Ingrid Nestle. – Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrats zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/2581, den Gesetzentwurf des Bundesrats auf Drucksache 19/1320 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben SPD, CDU/CSU und FDP, dagegen waren die Fraktion Die Linke und die Fraktion der AfD. Enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und FDP, Gegenstimmen von AfD und der Linken sowie Enthaltungen von Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Einlagensicherung hat mit der Einlagerungssicherung zumindest gemeinsam, Frau Präsidentin, dass es um Risiken geht, die unter Kontrolle gebracht werden müssen. Insofern war unser beider Versprecher vielleicht gar nicht so verkehrt.
Aber zur Sache selbst: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Euro-Krise, die großen Schwierigkeiten vieler Mitgliedsstaaten, sich zu finanzieren, vor allem zwischen 2010 und 2012, hat zu der Erkenntnis geführt, dass man die Währungsunion auch um eine Bankenunion, um ein gemeinsames Regelwerk für die Banken in den Mitgliedstaaten des Euro ergänzen muss.
Hintergrund war der sogenannte Staaten-Banken-Nexus, also die Erkenntnis: Wenn ein Staat pleitegeht, dann reißt er wegen der Staatsanleihen und anderer Faktoren die Banken in seinem Bereich gleich mit sich, die ganze Volkswirtschaft wird schwer geschädigt und kann sich nicht so schnell wieder erholen. Und umgekehrt: Wenn große Banken in die Pleite gehen und der Staat zu teuren Rettungsaktionen auf Steuerzahlerkosten gezwungen wird, kommt er möglicherweise selber in finanzielle Schwierigkeiten.
Der Grundgedanke unserer Bankenunion, wie wir sie heute haben, war es – das will ich zu Beginn dieser Debatte in Erinnerung rufen –, diese Verbindung von Staatsfinanzen und Banken zu durchbrechen und beides unabhängiger voneinander zu machen.
Dabei wurden zwei Maßnahmen getroffen: Unter dem Dach der EZB wurde eine einheitliche Aufsicht mit dem Ziel geschaffen, dass Banken unabhängiger beaufsichtigt werden, dass die Regierung, die vielleicht ein Interesse daran hat, weiterhin Staatsanleihen an Banken auszugeben, diese Banken bei der Aufsicht nicht schonender behandelt. Heute haben wir unter dem Dach der EZB 118 Bankengruppen, die direkt beaufsichtigt werden und 85 Prozent der Bilanzsumme des europäischen Bankensektors in der Europäischen Union ausmachen.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die einheitliche Aufsicht ist keine totale Zentralisierung von Aufsicht. Die kleinen, nicht systemrelevanten Institute werden eben gerade nicht von der EZB überwacht. Bankenunion bedeutet also nicht Zentralisierung von allem und jedem, sondern Zentralisierung von den Dingen, die europäisch gelöst werden müssen.
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So ähnlich ist es auch bei der zweiten Säule, bei der Abwicklung von Banken. Auch da haben wir für die großen, grenzüberschreitenden Gruppen ein zentrales Regime, auch einen Fonds eingerichtet, in den die Banken Beiträge einzahlen, um Abwicklungskosten im Notfall abdecken zu können. Aber auch das ist keine völlige Zentralisierung der Abwicklungskompetenz auf europäischer Ebene, sondern eine sehr differenzierte Lösung, die zwischen großen und kleinen Banken unterscheidet.
Damit komme ich zu den zwei Themen, die auf dem Europäischen Rat am 28. und 29. Juni kontrovers diskutiert werden und die wir in unseren Anträgen, die wir heute einbringen, ansprechen. Das ist – erstens – die Idee einer zentralen Einlagensicherung für die Euro-Zone und – zweitens – die Idee einer sogenannten Letztsicherung, was übersetzt nichts anderes bedeutet, als dass als letzte Stufe auch Steuergelder, Gelder des Europäischen Stabilitätsmechanismus, öffentliche Gelder herangezogen werden können, um die Abwicklung von Banken finanziell zu flankieren.
Die Bundesregierung hat bisher – und wir haben uns das mehrere Monate lang angeschaut – beides nicht explizit ausgeschlossen. Bei der Einlagensicherung spielt sie auf Zeit und sagt: Das dauert noch, bis die Risiken entsprechend reduziert sind.
({1})
Und in Bezug auf die Kredite für die Bankenabwicklung aus öffentlicher Hand, aus dem ESM hat sowohl der Bundesfinanzminister in der Haushaltswoche vor knapp drei Wochen als auch die Bundeskanzlerin einen Tag später hier angekündigt, dass die Bundesregierung bereit ist, einer Bankenabwicklung mithilfe öffentlicher Gelder und dieser Kredite zuzustimmen. Sie gehen damit letzten Endes wieder den Weg dahin zurück, dass der Staat, die Steuerzahler, die öffentliche Hand für Bankrisiken geradestehen müssen. Das halten wir für falsch, und das sagen wir in unserem Antrag mit Blick auf den 28. und 29. Juni auch sehr, sehr klar.
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Wichtig ist aber auch: Die Kanzlerin hat vor einigen Tagen der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ ein sehr langes Interview gegeben und darin vieles gesagt; zur Bankenunion hat sie aber keinen einzigen Vorschlag gemacht. Außer den Ankündigungen zur Letztsicherung von Herrn Scholz und Frau Merkel gab es kein einziges Wort, keinen weiteren Vorschlag, kein eigenes Konzept dazu, wie es mit der Bankenunion weitergeht. Deutschland ist auch hier ein Ausfall. Deshalb muss sich der Bundestag damit befassen und muss einen Beschluss fassen, um der Bundesregierung eine konkrete Position vorzugeben.
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Die zentrale Einlagensicherung ist nicht notwendig; denn die neuen europäischen Abwicklungsregeln sehen gerade für Großbanken eigene Regeln vor. Es ist sehr unwahrscheinlich – sogar extrem unwahrscheinlich –, dass die Einlagensicherung im Krisenfall überhaupt noch eine Rolle spielen wird. Die Einlagensicherung wird weiterhin eine Bedeutung haben, wenn eine kleine Bank in die Insolvenz geht und nicht nach den neuen Regeln abgewickelt wird.
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, läge es gerade in der Logik der Bankenunion, zu sagen: Gerade weil es eigentlich nur kleine Banken betreffen kann, muss das dezentral bleiben. Das ist geradezu die Fortschreibung dessen, was wir zur ersten und zweiten Säule gesagt haben. Beschließen Sie es doch! Sagen Sie es auch der Bundesregierung in der nötigen Klarheit!
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Zahlen werden am Ende für jedes zentrale System natürlich die Bankkunden, und sie bekommen dafür in vielen Teilen der Union schlechte Qualität. Wir haben in Deutschland eine dezentrale Einlagensicherung, die aber für die meisten Bankkunden einen Schutz in unbegrenzter Höhe anbietet. Die Bankkunden bekommen einen höheren Schutz, als das europäische Recht von Deutschland verlangt. Wenn man das zentralisiert, dann bedeutet das nicht nur höhere Kosten, die die Kunden tragen müssen, sondern am Ende wahrscheinlich auch weniger Schutz. Das ist doch ein Ergebnis, das wir nicht befürworten können, das auch den Finanzmarkt in keiner Weise voranbringen wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Was die Kredite für die Bankenabwicklung angeht, sage ich: Kein öffentliches Geld für Risiken des Finanzsektors!
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Wir müssen wieder dazu kommen, dass private Risiken auch privat getragen werden. Je größer der Topf ist und je eher ein Investor weiß: „Am Ende werde ich vielleicht wieder mit öffentlichen Geldern rausgehauen“ – denn davon profitieren ja alle Investoren, nicht nur die Banken –, desto eher wird er das einkalkulieren und wieder Risiken eingehen, die wir nicht wollen. Das heißt: Wenn es diesen großen Topf gibt, den Olaf Scholz und Frau Merkel wollen, dann werden auch die Risiken steigen, weil die Investoren wieder darauf spekulieren werden, dass sie gerettet werden. Genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen, führt zu den falschen Ergebnissen und wird Europa übrigens auch nicht friedlicher, harmonischer und besser machen, sondern die Konflikte, die Auseinandersetzungen, die es gibt, immer weiter fortschreiben.
({7})
Wir wollen, dass der Gedanke der Haftung wieder im Vordergrund steht und dass die Bundesregierung das auch aktiv vertritt. Eigenkapitalunterlegung für Staatsanleihen: Sie reden von Risikoreduzierung, aber das allergrößte Risiko, nämlich die Staatsanleihen in den Beständen der Banken, blenden Sie komplett aus. So wird das nichts mit der Risikoreduzierung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({8})
Wir brauchen mehr Haftung von privaten Investoren, bevor eine Bank abgewickelt wird, bevor möglicherweise auch der Abwicklungsfonds ins Spiel kommt, damit diese wieder Verantwortung für ihre Investitionen tragen. Wir brauchen eine Abwicklungsbehörde mit mehr Durchschlagskraft, mit mehr Biss, die in einfacheren Verfahren schneller entscheiden kann.
Frau Präsidentin, mein letzter Punkt.
Letzter Satz.
Da muss ich aber einen sehr langen Satz machen, Frau Präsidentin.
({0})
Machen Sie nicht.
Ich habe Sie schon verstanden. – Wir brauchen einen echten europäischen Binnenmarkt für Bankdienstleistungen, damit Banken auch ersetzt werden können, damit ein Staat nicht von einigen wenigen Banken abhängig ist, sondern grenzüberschreitendes Bankgeschäft einfacher wird. Das ist die Richtung. Mehr Haftung für Risiko, weniger gemeinsame Töpfe: In diese Richtung sollte die Bundesregierung am 28./29. Juni verhandeln, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Vielen Dank, Herr Toncar. Sie haben Glück, dass Herr Kubicki nicht präsidiert.
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Nächste Rednerin: Antje Tillmann für die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir haben schon im Januar das Thema „Bankenunion und Einlagensicherung“ im Rahmen einer Aktuellen Stunde hier im Bundestag debattiert, und ich hatte Ihnen damals sehr geraten, sich die Beschlüsse des Deutschen Bundestags von 2015 und 2016 anzusehen, als nämlich auf Initiative von CDU/CSU und SPD dieses Thema schon sehr intensiv diskutiert wurde und festgelegt worden ist.
({0})
Ich freue mich, dass Sie meinem Rat gefolgt sind; denn in allen drei Anträgen werden diese Beschlüsse zitiert. Deshalb sage ich auch ganz klar: Nicht alles, was in den drei Anträgen drinsteht, ist falsch. Vieles davon unterstützen wir, nämlich wenn es um die Passagen geht, die Sie aus unseren Anträgen abgeschrieben haben. Die sind immer noch richtig, und wir werden diese Linie nach wie vor beibehalten.
({1})
Ich nenne dazu Beispiele. Sie schreiben, dass das Vertrauen der europäischen Anleger in die Einlagensicherung gestört werden könnte, wenn wir eine europäische Einlagensicherung einführen, bevor die Risiken reduziert werden. Genau das haben wir in unserem damaligen Antrag auch geschrieben. Wir haben gesagt: Der Zeitpunkt ist noch nicht reif für eine europäische Einlagensicherung. – Wir haben ausgeführt, dass die Rückführung von Risiken in den Bankbilanzen auf jeden Fall kommen muss. Auch das haben Sie in Ihren Anträgen übernommen. Das ist nach wie vor richtig, und wir sind auf dem Weg, diese Risiken zu reduzieren.
Sie pochen in Ihrem Antrag darauf, dass die Regelungen zur Abwicklung und zum Bail-in, also zur Gläubigerbeteiligung, eingehalten werden müssen. Auch das stand in unserem damaligen Antrag von 2016: Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass die Gläubigerhaftung durchgesetzt wird. – Auch das wird nach wie vor von uns so gesehen. Der Antrag ist also noch aktuell.
Sie haben außerdem die Bundesregierung aufgefordert, den Vorschlag der Kommission zur europäischen Einlagensicherung abzulehnen. Auch das ist O-Ton ein Satz unseres Antrags. Wir haben damals deutlich gesagt: Die Zeit ist nicht reif, die europäische Einlagensicherung kann noch nicht kommen, und die Bundesregierung soll sich dafür einsetzen, dass sie nicht kommt. – Ich sehe überhaupt nicht, dass nach Wolfgang Schäuble der heutige Finanzminister Scholz von diesem Weg abweicht. Er hat in mehreren Reden deutlich signalisiert, dass er die Risikoreduzierung in den Bankbilanzen für eine zwingende Voraussetzung einer europäischen Einlagensicherung hält. Da sind wir dicht beieinander. Auch dazu bedarf es nicht Ihrer Anträge.
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Ein bisschen anders ist das bei dem Antrag der FDP zum Thema Bankenunion, lieber Herr Toncar. In Ihrem Antrag stehen eine ganze Reihe Punkte, die wir teilen. Ich erwähne hier noch einmal die Gläubigerbeteiligung. Leider konnte auch die Diskussion im Finanzausschuss Sie nicht davon überzeugen, dass es eine Gläubigerbeteiligung von 8 Prozent gibt.
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Bail-in mit mindestens 8 Prozent ist festgelegt. Wir haben diese Gläubigerbeteiligung im Finanzausschuss und übrigens auch gestern bei der Beratung des Gesetzentwurfs zur EU-Prospektverordnung noch einmal sichergestellt.
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Auch da geht Ihr Antrag über die Voraussetzungen hinaus. Wir haben diese Gläubigerbeteiligung, wir müssen sie durchsetzen, und wir werden darauf bestehen.
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Das ist ein Vorgang, der in den nächsten Wochen immer wieder diskutiert wird. Aber die gesetzlichen Grundlagen sind völlig klar. Auch deswegen brauchen wir Ihren Antrag nicht.
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Wir haben noch Probleme damit – das spreche ich ganz offen an –, dass das die beihilferechtliche Bankenmitteilung der Europäischen Union eingeführt wurde, bevor wir die Bankenunion hatten; denn diese Regelungen passen nicht immer mit der Bankenunion zusammen. Ich nenne als Beispiel die vorsorgliche Rekapitalisierung, die in Italien angewandt worden ist. Wir müssen uns dafür starkmachen, dass das Beihilferecht und die Haftungskaskade zusammenpassen. Auf dem Weg sind wir. Auch das haben wir schon im Finanzausschuss besprochen.
Sie sagen, die notleidenden Kredite müssen abgebaut werden. Das ist Beschlusslage seit 2015. Die Europäische Kommission legt regelmäßig Berichte vor, dass diese notleidenden Kredite abgebaut werden müssen. Wir setzen uns darüber hinaus dafür ein, dass es für notleidende Kredite in einer Bankbilanz Benchmarks, also feste Prozentsätze, gibt. Das ist auf dem Weg. Auch dazu brauchen wir Ihren Service nicht, den Sie als Opposition immer anbieten. Das haben wir schon auf den Weg gebracht und machen es auch.
Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsrecht – auch das ist wichtig, um die notleidenden Kredite zu verwerten. Das ist erkannt. Auch da gibt es in der Europäischen Union eine Diskussion. Die Kommission hat einen ersten Entwurf vorgelegt, der uns noch nicht weit genug geht. Aber auch hier sehe ich, dass wir Kompromisse finden werden.
Staatsanleihen mit Eigenkapital zu untersetzen, ist eine weitere Forderung. Dass der nationale Abwicklungsfonds und die nationalen Einlagensicherungssysteme bis 2024 mit 0,8 Prozent der Einlagen abgedeckt werden müssen, ist beschlossen. Wir müssen sicherstellen, dass das auch passiert. Das tun wir. Hier sind wir auf europäischer Seite immer im Gespräch, damit das, was wir beschlossen haben, auch tatsächlich durchgesetzt wird.
Das sind also neun Punkte, die wir für richtig halten, die teilweise in Ihrem Antrag erwähnt werden, die aber alle 2016 schon in diesem Haus beschlossen wurden. Die Beschlüsse des Deutschen Bundestages unterliegen nicht der Diskontinuität. Das heißt, der Antrag ist aktueller denn je. Ich sehe nicht, dass es eines zusätzlichen Antrages bedarf. Ich sehe auch nicht, dass Finanzminister Scholz von diesen Beschlüssen abweicht. Von daher bleiben wir bei den Beschlüssen von damals. Setzen wir sie richtig durch! Forcieren wir in der Europäischen Union, dass die Beschlüsse auch umgesetzt werden! Dann kann eine Europäische Bankenunion auf Dauer gelingen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Tillmann. – Nächster Redner für die AfD-Fraktion: Dr. Bruno Hollnagel.
({0})
Verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal etwas Grundsätzliches sagen: Wer glaubt, die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten außer Kraft setzen zu können, der wird sein absolutes Scheitern erleben.
({0})
Wer eine Nullzinspolitik betreibt und damit Kapitalblasen aufpumpt, der sollte sich nicht wundern, wenn ihm diese Blasen mit lautem Knall um die Ohren fliegen.
({1})
Wer Risiken bei Staatsanleihen nicht sachgerecht bewertet, steuert sein Kapitalschiff direkt auf die Klippen, an denen es zerschellen wird.
({2})
Wer glaubt, Europa stärken zu können, indem er Deutschland schwächt, der wird sich irren. Meine Damen und Herren, wer glaubt,
({3})
dass durch verordnete Haftungsgemeinschaften
({4})
Risiken und ihre Ursachen aus der Welt geschaffen werden, der spielt noch heute im Sandkasten und sollte lieber erwachsen werden.
({5})
Nun wird behauptet, dass es sich bei den europäischen Sicherungsfonds quasi um eine Versicherung handeln würde. Aber jeder von uns weiß doch, dass sich eine Versicherungsprämie an der Höhe der Risiken orientiert, und das ist hier eben nicht der Fall. Das würde nämlich bedeuten, dass griechische Banken eine 20-mal höhere Prämie zahlen müssten als deutsche Banken.
({6})
Ist das geplant? Nein, es ist nicht geplant, und das verstößt gegen die ökonomische Vernunft.
({7})
Denn unabhängig von den tatsächlichen Risiken sollen in der Bankenunion die Banken gleichermaßen, wie wir gehört haben, 0,8 Prozent der gedeckten Spareinlagen in die nationalen Sicherungsfonds einzahlen, die dann in den internationalen Sicherungsfonds übertragen werden. Was bedeutet denn das im Klartext? Das bedeutet im Klartext, dass solides Handeln durch überhöhte Abgaben bestraft wird, während unsolides Handeln subventioniert wird. Das ist gegen jede ökonomische Vernunft. Wir lehnen das ab.
({8})
Kommen wir zur ersten Säule der Bankenunion. Da war doch zu lesen: Erforderlich ist, die Risiken ausreichend abzubauen. – Ja entschuldigen Sie, wenn Sie Risiken ausreichend abgebaut haben, dann brauchen Sie nichts weiter. Das heißt, Sie trauen Ihren eigenen Buchstaben nicht, und Sie trauen Ihren eigenen politischen Kollegen nicht. Sie trauen denen nicht zu, dass die Risiken definitiv abgebaut werden, und sie sind auch nicht ausreichend abgebaut worden. Das ist eines der Probleme.
Kommen wir zur EZB. Die EZB ist das Dach, unter dem die Kontrolle der Banken durchgeführt werden soll. Was ist erforderlich, um eine solche Aufgabe ausfüllen zu können? Sachkompetenz und Unabhängigkeit. Ist denn die EZB unabhängig? Ist die EZB unabhängig dann, wenn sie den Banken Geld gibt und in die Geschäfte involviert ist? Ich bin doch nicht unabhängig, wenn ich in ein Geschäft involviert bin. Deswegen sagen wir: Die EZB hat die Bankenaufsicht nicht zu führen, weil sie nicht unabhängig ist.
({9})
Wenn jemand in ein Geschäft geht und etwas einkauft, dann erhält er ein Produkt oder eine Dienstleistung, für die er bezahlt hat. Niemand käme auf die Idee, dass Sie, wenn Sie in einem Geschäft einkaufen, für die Tätigkeiten des Geschäftsführers haften müssen. Bei der Bank ist das so. Bei der Bank haften nämlich die Kunden mit ihren Bankeinlagen. Meine Damen und Herren, eine Mithaftung der Kunden für die Geschäfte der Banken widerspricht dem Verursacherprinzip und der ökonomischen Vernunft. Selbst wenn es schon Jahrhunderte praktiziert wird, ist es nicht vernünftig, weil die Kunden mithaften, aber nicht gleichermaßen am Gewinn partizipieren, den diese Bank macht. Mit anderen Worten: Es ist ökonomischer Unfug, der da seit vielen, vielen Jahren betrieben worden ist.
({10})
Wir wollen einen 100-prozentigen Schutz der Bankeinlagen durch die Banken selbst, nicht durch den Staat; denn der Staat sind wir selber, und wir können doch nicht für uns selbst haften. Das haut so nicht hin. Wir wollen, dass der Staat voll und ganz, zu 100 Prozent, aus der Haftung herausgenommen wird, genauso wie der Bürger, der die Gelder eingelegt hat. Das ist eine klare Aussage, von der wir nicht abrücken.
({11})
Es ist zwar Aufgabe des Staates, Rahmenbedingungen für eine Bankenabwicklung zu schaffen, es ist aber nicht die Aufgabe des Staates, Banken zu retten. Wer in einem marktwirtschaftlichen System versagt hat, hat verdammt noch mal den Markt zu verlassen, und zwar ohne Konsequenzen für die Einleger oder andere Leute. Raus damit!
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Nun sagen Sie: Ja, aber wir haben doch diese systemrelevanten Institute. Meine Damen und Herren, das ist ja gerade der politische Fehler. In einem marktwirtschaftlichen System ist ein systemrelevantes Unternehmen de facto eigentlich nicht zulässig. Da hat die Politik schon lange vorher versagt. Sie hätte längst eingreifen müssen.
({13})
Das Zweite ist ein demokratisches Problem. Meine Damen und Herren, was passiert denn in Wirklichkeit? Wenn ein einzelnes Unternehmen in der Lage ist, uns Bürger und den Staat zu erpressen, ihm Geld zu geben, wo ist denn dann die Unabhängigkeit des Souveräns? Das ist eine Untergrabung der demokratischen Rechte und eine Untergrabung des Souveräns des deutschen Staates. Das ist abzulehnen.
({14})
Kapitalverflechtungen sind deswegen auf das Notwendigste zu begrenzen.
({15})
Liebe Frau Tillmann, Sie haben das vorhin leider nicht vollständig angegeben. Ich habe das ja aus dem Antrag von 2016. Darin steht nämlich – Große Koalition –, man dürfe es Mitgliedstaaten nicht ermöglichen, Bankenrisiken auf einen gemeinschaftlichen Fonds zu verlagern. Ja, tun Sie es doch! Stehen Sie zu Ihrem Wort! Machen Sie das! Bleiben Sie ein einziges Mal auf Linie, stehen Sie zu Ihrem Wort und sagen Sie: Wir machen diese Sache so nicht mit. – Die Bankenunion ist ein künstliches politisches und ökonomisches Konstrukt.
({16})
Wir müssen die Ketten der Gemeinschaftshaftungen sprengen; sonst werden sie uns in den Abgrund reißen. Das ist der Punkt, den wir beachten müssen.
({17})
Eigenverantwortlichkeit, das ist der Punkt – nicht das, was Macron erzählt.
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit?
Ja. – Macron redet doch vom Budgetfetischismus. Wissen Sie, dieser Mann möchte keine ausgeglichenen Haushalte. Es ist also nicht nachhaltig, was er macht. Wir wollen eine nachhaltige Politik. Deswegen lehnen wir die Bankenunion in der vorliegenden Form ab.
Danke schön.
({0})
Vielen Dank. – Nächster Redner: Metin Hakverdi für die SPD-Fraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wenn in diesem Haus über Europa gesprochen wird, dann häufig mit einem pessimistischen Blick. Ich finde jedoch, wir haben guten Grund zur Zuversicht. Ich jedenfalls bin optimistisch, weil ich den Eindruck habe, dass sich in der Euro-Debatte der Wind gedreht hat. Die Zeit derer, die Sicherungsmaßnahmen für den Euro als Geldpipeline nach Brüssel beschimpft haben, scheint zu Ende zu gehen. Die Kanzlerin hat in ihrem Interview in der „FAS“ eine Wende für die CDU/CSU eingeleitet. Das ist gut und längst überfällig. Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben wir auf diese Wende gedrängt. Wir haben einen neuen Aufbruch für Europa gleich zu Beginn im Koalitionsvertrag verankert. Die Umsetzung des Koalitionsvertrages nimmt nun Gestalt an.
Der Wind hat sich gedreht, Kolleginnen und Kollegen. Dr. Jens Weidmann, der Präsident der Bundesbank, hat zu Beginn der Woche eine, wie ich finde, beachtliche Rede gehalten. Jens Weidmann sagte, dass die Bundesbank per se nicht gegen eine gemeinsame Einlagensicherung sei.
({0})
Er sagte außerdem – das möchte ich hier wörtlich zitieren –:
Im Gegenteil: Eine solche wäre zweifellos ein Beitrag zu einem stabilen Finanzsystem, da das Risiko einer Einlegerpanik sänke.
Er führt weiter aus:
Und auch hier liefert die gemeinsame ... Aufsicht gute Argumente für eine gemeinsame Haftung.
({1})
Das sind doch ganz andere, ganz neue Töne aus Frankfurt. Das müssen auch die Gegner der Einlagensicherung zur Kenntnis nehmen.
Kolleginnen und Kollegen, die Finanzkrise, die vor über zehn Jahren begonnen hat, hat gezeigt, welche Konstruktionsmängel unsere Währungsunion aufweist und welche Probleme vor einer nächsten Krise gelöst sein sollten. Natürlich ist noch längst nicht alles in Butter. Wir müssen in drei Bereichen besser werden. Ich nenne diese drei Bereiche die drei Sicherungspfeiler des Euro.
Der erste Pfeiler betrifft die Haushalts- und Wirtschaftspolitik. Wir haben gelernt, dass ein Währungsraum ohne Koordinierung der Haushalts- und Wirtschaftspolitik der Euro-Mitgliedstaaten nicht funktioniert. Das Europäische Semester ist schon heute ein gutes Instrument. Wir sollten zusätzlich den Fiskalpakt in seinen Kernelementen ins EU-Recht überführen.
({2})
– Danke, Lothar.
Der zweite Stabilitätspfeiler des Euro ist die Unterstützung von Euro-Mitgliedstaaten, die durch makroökonomische bzw. asymmetrische Schocks besonders schwer getroffen werden. Mit dem Europäischen Sicherheitsmechanismus haben wir ein gutes Instrument, das wir zu einem Währungsfonds weiterentwickeln wollen. Er soll Mitgliedstaaten schon dann unterstützen können, wenn diese in die Krise zu schlittern drohen. Das ist der günstigere Weg für alle Mitgliedstaaten.
Der dritte Stabilitätspfeiler des Euro ist schließlich die Banken- und Kapitalmarktunion. Mit der Bankenunion wollen wir verhindern, dass auf den Finanzmärkten ohne Rücksicht auf die Steuerzahler wild spekuliert wird, dass Gewinne privatisiert, Verluste aber dem Steuerzahler auferlegt werden. Daher war es richtig, die systemrelevanten Banken der Euro-Zone mit einer einheitlichen Aufsicht und einer einheitlichen Abwicklung – den ersten beiden Säulen der Bankenunion – an die Leine zu nehmen.
An diese Stelle gehört auch der Verhandlungserfolg unseres Finanzministers Olaf Scholz. Im Ecofin-Rat gab es vor 14 Tagen eine Einigung darauf, dass Banken noch mehr Kapital für den Fall einer Krise vorhalten müssen. Mit diesen Puffern wird die Wahrscheinlichkeit, dass der Steuerzahler einspringen muss, weil Banker sich verspekuliert oder Fehler gemacht haben, signifikant reduziert. Wir hoffen und erwarten, dass diese Einigung auch am Ende des Trilogverfahrens stehen wird.
({3})
Um den Schutz des Steuerzahlers zu erhöhen, brauchen wir noch eine Letztsicherung für den Abwicklungsfonds. Elke König, ehemalige Chefin der BaFin und heute Chefin der europäischen Bankenabwicklungsbehörde in Brüssel, hat dies in dieser Woche im Finanzausschuss eindringlich angemahnt. Wir sind zuversichtlich, dass auch hier noch in diesem Jahr Erfolge erreicht werden können.
Wie die dritte Säule der Bankenunion, die gemeinsame Einlagensicherung, aussehen könnte, sollten wir erst diskutieren, wenn wir zuvor unsere Hausaufgaben gemacht haben. Das bedeutet, dass Risikopositionen aus notleidenden Krediten in den Bilanzen teilnehmender Banken zuvor signifikant abgebaut sein müssen. Das sollte heute der Schwerpunkt unserer Aufmerksamkeit sein. Zu den notwendigen Rahmenbedingungen kann auch die Harmonisierung des Insolvenzrechts in den Mitgliedstaaten gehören.
Die Europäische Kommission hat schon heute Maßnahmen und Instrumente vorgelegt, die den Abbau dieser Non-performing Loans unterstützen sollen. Das steht aktuell im Vordergrund.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Nein, danke.
({0})
Liebe Kollegen von der FDP, vor diesem Hintergrund lehnen wir Ihren Antrag heute natürlich ab. Wie lange wollen Sie noch zögern? Kommen Sie zurück, und lassen Sie uns darüber sprechen, wie wir unser Land stark machen können.
1950 hatte der damalige französische Außenminister Robert Schuman einen ebenso kühnen wie weisen Plan. Ich zitiere den Außenminister Frankreichs:
Die französische Regierung schlägt vor, die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen, in einer Organisation, die den anderen europäischen Ländern zum Beitritt offensteht.
Die deutsche Bundesregierung wurde nur wenige Stunden zuvor über das Vorhaben informiert, stimmte aber – ebenso kühn und weise – zu, und das nur fünf Jahre nach Kriegsende.
Der Rest ist Geschichte: Die Montanunion wurde eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Sie machte wirtschaftlich Sinn und trug zum Wirtschaftswunder bei, sie sicherte den Frieden, indem sie die Grundlagen der Rüstung teilte, und das vielleicht Wichtigste ist: Sie schuf dauerhaft Vertrauen. Aus Feinden wurden Freunde. Die Montanunion legte das Fundament für die europäische Einigung.
Ich frage mich heute manchmal, wie wir alle hier anstelle der deutschen Regierung Robert Schuman damals geantwortet hätten. Wir alle sollten uns diese Frage stellen: Hätten wir den nötigen Mut aufgebracht?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was im 20. Jahrhundert Stahl und Kohle waren, sind heute die Finanzmärkte in ihrer grundlegenden Bedeutung für unsere Wirtschaft. Was damals die Montanunion schaffte, muss im 21. Jahrhundert die Bankenunion leisten.
({1})
Sie wird unseren Wohlstand und Frieden sichern und das Vertrauen schaffen, das wir für eine dauerhafte Stabilität der Europäischen Union brauchen. Seien Sie so kühn und weise wie die Gründungsväter der Europäischen Union!
Vielen Dank.
({2})
Herzlichen Dank, Herr Kollege Hakverdi. – Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, hat die AfD-Fraktion um eine Kurzinvention des Kollegen Boehringer gebeten. – Einen kleinen Moment, bitte, Herr Boehringer.
Ich habe vernommen, dass meine sehr geschätzte Kollegin Claudia Roth Sie gebeten hat, auf Kurzinterventionen möglichst zu verzichten und sich auch mit Zwischenfragen zurückzuhalten. Es hat sich gestern Nacht bewährt, dass wir von den Regelungen des § 35 der Geschäftsordnung Gebrauch gemacht haben, sonst hätten wir bis 3 Uhr getagt. Wir haben es geschafft, die Sitzung vor 2 Uhr zu beenden. Da heute sehr viel auf der Tagesordnung steht, bitte ich tatsächlich alle Beteiligten, sich möglichst zurückzuhalten, was kein Eingriff in die Debattenkultur sein soll.
Ich erteile nunmehr für eine Kurzintervention dem Kollegen Boehringer das Wort.
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Danke, Herr Präsident. – Die Kurzintervention wird in der Tat kurz. Ich spare sogar Zeit, denn ich hätte diese Frage auch schon einmal bei der Frau Kollegin Tillmann stellen können.
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Konkret: Es ist immer der gleiche Textbaustein, der an dieser Stelle kommt: EDIS und die Einlagensicherung.
Wir haben wirklich alles versucht, auf allen parlamentarischen Ebenen, in den Ausschüssen, etwa im EU-Ausschuss und im Unterausschuss Europa, in parlamentarischen Befragungen, von Staatssekretären bis hinauf zum Minister, hier im Plenum,
({1})
um die Frage beantwortet zu bekommen – sie ist immer gleich –: Um wie viel Prozent müssen die sogenannten notleidenden Kredite der Euro-Südländer und deren Banken abgebaut sein, bevor die Bundesregierung und die Koalition den vorliegenden Vorschlag der Kommission aufgreift, die Einlagensicherung zu vergemeinschaften?
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Auch heute kam dies wieder bei Frau Tillmann und eben auch bei dem Kollegen aus Hamburg; hier habe ich eigentlich auf sein Insiderwissen als Hamburger spekuliert, deshalb kommt diese Intervention erst jetzt: Um wie viel Prozent müssen die 800 Milliarden Euro notleidender Kredite reduziert sein, damit in diesem Haus ernsthaft dieses Wahnsinnsvorhaben der Vergemeinschaftung
({3})
dieser bereits abschreibungswürdigen Kredite angegangen wird?
Vielen Dank.
({4})
Herr Kollege Hakverdi, möchten Sie antworten?
Herr Kollege, wenn das die kurze Version Ihrer Kurzintervention war, dann möchte ich nicht die lange Version hören.
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Ganz kurz: Das ist ein Grundproblem. In der öffentlichen Anhörung am Anfang dieser Woche, bei der Sie nicht dabei waren, sonst hätten Sie das gehört – das ist keine Geheiminformation –, haben wir darüber gesprochen, auf welches Niveau diese Kredite fallen müssten. Da war bei allen Sachverständigen die einhellige Meinung, dass es kein formelles Kriterium, nach dem Sie ständig fragen, geben kann.
Es geht nicht darum, ob eine bestimmte Prozentzahl erreicht wird, sondern es geht insgesamt um die ökonomische Situation der kreditausgebenden Institute, die betroffen sind. Es geht nicht nur nach Ländern, sondern auch nach Kreditinstituten. Wir müssen uns sehr viel Mühe geben, uns das alles sehr genau anschauen. Dann muss man am Ende eine sachlich-vernünftige Entscheidung treffen.
Wer heute schon Nein sagt, Njet, egal, was kommt, dem ist es egal, wie sich die Kredite und die Kapitalisierung italienischer Banken entwickeln. Wer aber weise ist und der Meinung der Sachverständigen und der der Fachleute folgt, der wird in Zukunft ganz genau schauen, wie sich der Börsenkurs von verschiedenen Kreditinstituten entwickelt, der wird schauen, wie sich die notleidenden Kredite entwickeln. Er wird am Ende in der Gesamtschau eine verantwortungsvolle Entscheidung treffen müssen, so wie das in den letzten Jahrzehnten in der Europäischen Union der Fall war.
Vielen Dank.
({1})
Herzlichen Dank. – Als Nächstes erteile ich dem Kollegen Jörg Cezanne das Wort für die Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Dimension der Diskussion, die wir heute führen, erhellt sich aus meiner Sicht erst vor dem Hintergrund eines Ereignisses, das jetzt gut zehn Jahre zurückliegt. Am 15. September vor zehn Jahren wurde mit dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers der Höhepunkt der Finanzmarktkrise, einer der tiefsten Wirtschaftskrisen in der Geschichte des Kapitalismus, erreicht.
Diese Finanzmarktkrise hat schonungslos die Unhaltbarkeit des herrschenden Finanzsystems offengelegt. Nach diesem Beinahezusammenbruch wurden Debatten über unterschiedlichste Maßnahmen geführt und darüber, wie man ihm entkommen kann. Eine dieser Maßnahmen ist die Ausweitung der Einlagensicherung auf die europäische Ebene. Damit sollen die Bankkunden in der gesamten EU vor dem Verlust ihrer Spareinnahmen auch dann geschützt werden, wenn die Reserven der jeweiligen nationalen Einlagensicherungssysteme nicht ausreichen. So weit, so gut.
Unser Hauptkritikpunkt ist, dass es durch die europäischen Regierungen und die Europäische Union versäumt wurde, die weiter gehenden Lehren aus dieser Krise umzusetzen. Bis heute gibt es keine Steuer auf Finanztransaktionen, mit der kurzfristige Spekulationen zurückgedrängt werden, ohne langfristige Investitionen zu belasten. Die Gespräche in der Verstärkten Zusammenarbeit müssen vom neuen Bundesfinanzminister dringend wieder angeschoben werden.
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Nach wie vor gibt es keinen Finanz-TÜV, der neue Finanzprodukte vor deren Einführung prüft. Das ist dringend geboten; bei Toastern geht es ja auch.
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Der weitgehend unregulierte Schattenbanksektor wächst mit erhöhtem Tempo weiter: Allein der Vermögensverwalter BlackRock hat seit der Krise sein verwaltetes Vermögen von 1 300 Milliarden US-Dollar auf 6 300 Milliarden US-Dollar fast verfünffacht. Hier muss die Aufsicht ausgeweitet und vertieft werden.
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Im Kern der Finanzkrise von 2007 standen sogenannte Derivate. Das sind, sehr verkürzt ausgedrückt, Finanzprodukte, die aus anderen Geschäften abgeleitet werden. Sie sind häufig schwer durchschaubar und oft hoch spekulativ. Dieser Bereich hat ebenfalls weiter an Umfang zugenommen. Nur um einmal die Größenordnung deutlich zu machen: Während in Deutschland 2015 Aktien im Wert von 9 600 Milliarden Euro gehandelt wurden, erreichten Derivatgeschäfte einen Umfang von 229 000 Milliarden Euro.
Maßnahmen, die eine weitere Aufblähung der Finanzmärkte dämpfen könnten, wie die Wiedererhebung einer Steuer auf große Vermögen, höhere Löhne und Gehälter oder die Stärkung der umlagefinanzierten Renten- und Krankenversicherungen haben nicht oder nur unzureichend stattgefunden. Die Linke wird nicht nachlassen, sich hierfür einzusetzen.
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Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, ist es höchst problematisch, die Einlagensicherung mit neuen Aufgaben zu betrauen. Grundsätzlich ist es natürlich richtig, dass mehr Versicherte gemeinsam größere Risiken schultern können. Das gilt auch für die Europäische Union und für die europäische Ebene. Noch wichtiger aber wäre es, die Risiken, die zum Beinahezusammenbruch des Finanzsystems geführt haben, wirksam zu verringern. Und genau hieran hapert es, nicht nur in anderen Ländern, sondern auch in Deutschland.
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Bei der Einlagensicherung geht es auch um Größenordnungen, und aus unserer Sicht sogar mehr als um die Frage, ob für deutsche oder für ausländische Banken. Die Bilanzsumme einer durchschnittlichen Sparkasse beträgt ungefähr 3 Milliarden Euro, die einer durchschnittlichen Volksbank sogar nur 1 Milliarde Euro. Die Bilanzsumme der Deutschen Bank hingegen betrug 2017 1 500 Milliarden Euro. Das ist annähernd die Hälfte der gesamten Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik Deutschland.
Während das Bankgeschäft der Sparkassen und Volksbanken seriös ist und sich an den Bedürfnissen der Menschen, der Städte und Gemeinden und der Realwirtschaft orientiert, ist das bei börsennotierten Großbanken im Inland wie im Ausland nicht unbedingt immer der Fall. Beide Bankenklassen in einen Topf zu werfen, ist höchst problematisch. Das ist dann kein solidarisches Teilen von Risiken. Dann nutzen globale Finanzkonzerne wie BNP Paribas oder die Banco Santander quasi als Trittbrettfahrer die Stabilität der Sparkassen und Genossenschaftsbanken aus.
Meine Damen und Herren, nicht nur aus unserer Sicht darf es eine Europäisierung der Einlagensicherung zwischen Banken nur für Kreditinstitute mit ähnlichem Risikoprofil und Geschäftsmodell geben, so wie es in Deutschland traditionell gehandhabt wird: Öffentlich-rechtliche Sparkassen, genossenschaftliche Volksbanken und private Geschäftsbanken – die drei Säulen – haben ihre eigenen Einlagensicherungssysteme.
Eine Europäisierung der Einlagensicherung ist prinzipiell sinnvoll und kann helfen. Eine Einlagensicherung, die die ungebremsten Risiken des heutigen Kasino-Kapitalismus für die ganze EU zusammenfassen will, lehnen wir ab.
Ich danke Ihnen.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege Cezanne. – Als Nächstes für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Dr. Franziska Brantner.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die europäische Bankenunion muss endlich auf eine nachhaltige und stabile Grundlage gestellt werden. Mit dieser Forderung stehen wir Grünen nicht allein. Elke König, die deutsche Chefin der europäischen Bankenabwicklungsbehörde, weist immer wieder darauf hin, wie wichtig eine gemeinsame Einlagensicherung für die Finanzstabilität in Europa ist. Sie hat das auch hier im Finanzausschuss getan, und sie ist beileibe keine grüne Radikale.
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Herr Toncar, Sie haben es vorhin selber gesagt: Es ist so gut wie unmöglich, dass die aktuellen Regelungen nicht ausreichen, wenn eine Bank pleitegeht. Aber „so gut wie unmöglich“ ist halt nicht nie. Herr Toncar, für den Fall, dass es doch einmal passieren sollte – wir wünschen uns das alle nicht, keiner von uns, aber Sie haben selber gesagt, ausschließen kann man es nicht –: Was ist darauf Ihre Antwort? Darauf haben Sie in Ihren Anträgen keine Antwort geliefert.
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Das ist das Risiko, das Sie als FDP bereit sind einzugehen, Herr Toncar.
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Wir haben in Deutschland auch erlebt, dass eine Einlagensicherung im Bereich der Privatbanken nicht ausgereicht hat und der Steuerzahler einspringen musste. Auch die so viel gelobte Institutssicherung bei den Sparkassen hat im Fall der Landesbanken nicht ausgereicht. Nur in Irland und Griechenland wurde mehr Steuergeld für die Rettung strauchelnder Banken ausgegeben als in Deutschland. Wenn man die Überforderung nationaler Sicherungssysteme vermeiden will, muss man das Risiko auf mehrere Schultern verteilen. Wir haben europaweit eine Garantie für 100 000 Euro gegeben. Wir haben nun die Kontrolle zwar nicht zentralisiert, wohl aber europäisiert. Wir haben eine Abwicklung mit Gläubigerbeteiligung. Für uns gehören – das ist eines der Prinzipien der marktwirtschaftlichen Ordnung – Kontrolle und Haftung zusammen.
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Das ist ein Prinzip, das die FDP immer wieder propagiert, aber in dieser Debatte komplett ignoriert.
Wenn Kosten und Nutzen, Kontrolle und Haftung nicht beisammen sind, kommt nichts Gutes dabei heraus. Wir müssen uns deswegen weiterhin viel Mühe mit der Bankenaufsicht geben. Wir brauchen weiterhin die gute, europäische Bankenabwicklung, aber am Ende auch eine Einlagensicherung.
Ja, die Europäische Kommission macht auch unserer Meinung nach einen Fehler, indem sie die komplette Vergemeinschaftung der nationalen Einlagensicherungssysteme fordert. Klüger wäre nach unserer Meinung eine europäische Rückversicherung der nationalen Töpfe, die nur im Fall einer nationalen Überforderung greift. Da sind wir bei Ihnen. Wir wollen keine Gesamtversicherung im Sinne des Vorschlags der Kommission, sondern eine Rückversicherung. Eine solche europäische Rückversicherung würde auch den Gestaltungsspielraum bieten, um nationale Sicherungssysteme wie die der Sparkassen und Genossenschaftsbanken zu integrieren und Unterschiedlichkeit zu ermöglichen.
Herr Toncar, ein Satz zu Ihrem Argument zur Letztsicherung. Sie selber haben gesagt, es gehe um Kredite. Es geht also nicht um Geschenke.
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Kredite bedeuten aber, dass man sie zurückzahlt. Das ist auch der große Unterschied. Wir wollen nicht, dass das Geld de facto vom Steuerzahler kommt, sondern dass es einen Kredit gibt, der bitte schön zurückgezahlt wird.
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Herr Toncar, das macht einen wesentlichen Unterschied in der Debatte aus.
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Der Status quo bedeutet: Der Steuerzahler zahlt es.
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Und hier gibt es einen Vorschlag, der sagt: Es gibt Kredite, die zurückgezahlt werden müssen. – Da weiß ich, wo meine Präferenz liegt. Es ist traurig, dass die FDP eine andere hat.
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Herr Toncar, wenn Sie in Ihrem Antrag – wie es Teile der CDU/CSU tun – wenigstens sagen würden: „Wir brauchen noch weitere Risikovermeidung“, dann könnten wir darüber sprechen. Aber in Ihrem Antrag sagen Sie: Selbst wenn es weitere Risikovermeidung gibt, selbst wenn wir da bis an das Ende gehen, wollen wir gar keine Form einer gemeinsamen Einlagensicherung. Diese Totalblockade, Herr Toncar, ist eigentlich Aufgabe der anderen Oppositionsfraktion, die noch weiter rechts sitzt. Uns wundert es, dass Sie sich dieser Totalblockade anschließen.
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Wir können gerne darüber diskutieren, welche weiteren Risikovermeidungen wir brauchen, welche Risikobewertungen bei der Einlagensicherung notwendig sind, wie wir die Rückversicherung ausgestalten, dass es für die Sparkassen klappt. Aber Ihre Argumentation in Ihrem Antrag: „Nie und nimmer eine Einlagensicherung, egal in welcher Form“, das ist keine seriöse Politik und gibt keine Antwort auf die Frage, wie wir uns in einer gemeinsamen Währungsunion stabil und krisenfest aufstellen.
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Und wir haben die Aufgabe, dieses gemeinsame europäische Haus wetterfest zu machen, weil: Ein zweites Haus haben wir nicht.
Ich danke Ihnen und hoffe, dass wir noch weitere gute Gespräche in dieser Legislaturperiode haben und wir das nächste Mal wirklich im Detail über Ausgestaltung diskutieren können und nicht über eine Blockade reden müssen.
Ich danke Ihnen.
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Herzlichen Dank, Frau Kollegin Dr. Brantner. – Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Alexander Radwan.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute wieder die europäische Einlagensicherung unter verschiedensten Aspekten. Aber lassen Sie mich eins vorwegsagen: Ich habe noch nie einen Redebeitrag in diesem Haus gehört, in dem das Wort „ökonomische Vernunft“ so oft vorkam und dabei gar nicht von selbiger geprägt war.
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Es war ein absolutes Kunststück, dies hier so vorzuführen. Letztendlich ist man der Meinung: Finanzmärkte sind ein nationales, regionales Thema, dem man am besten in den Länderparlamenten begegnen sollte. Da brauche ich gar nicht über die Zukunft Europas zu reden.
Einer der Vorredner hat ja die internationale Finanzkrise angesprochen. Ich denke, Deutschland hat hier hervorragend reagiert; Europa hat hier reagiert und hat auch entsprechende Konsequenzen daraus gezogen.
Aber hier so zu tun, als wenn man durch Nichtstun die internationalen Finanzmärkte beiseiteschieben könnte und die Auswirkungen selbiger auf Deutschland und Europa damit negieren könnte, bringt mich dazu, Ihnen zu sagen: Gehen Sie in Ihr Schneckenhaus zurück! Machen Sie dort Politik! Die Krönung war die Kurzintervention des Kollegen Boehringer, der jetzt die Flucht ergriffen oder Wichtigeres zu tun hat: Ausgerechnet dort, wo es im Finanzausschuss im Zusammenhang mit der europäischen Gesetzgebung um die Risikominimierung in den europäischen Banken ging, erteilt die AfD eine Subsidiaritätsrüge, nach dem Motto: Das geht Europa nichts an. Sie wollen die Risiken in anderen Ländern gar nicht entsprechend minimieren. – Das ist ein wahres Kunststück.
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Die Kanzlerin hat bei ihrer Befragung klipp und klar das Prinzip „Eigenverantwortung und Solidarität“ hervorgehoben. Lassen Sie mich – inzwischen ist ja alles kalkulierbar, zumindest heute – kurz auf die entsprechenden Zeitungsartikel, die immer zitiert werden – ich habe sie dabei –, eingehen.
Die Rechtsgrundlage ist aus unserer Sicht klar: Es muss national bleiben. Wir müssen als nationales Parlament bei der Weiterentwicklung als nationale demokratische Kontrolle weiterhin dabei sein. Den Abbau der NPLs usw. hat die Kollegin Tillmann dargelegt. Herr Hakverdi, ich habe damit gerechnet, dass Sie Herrn Weidmann zitieren werden; ich habe seine Pressemitteilung da. Bis zu einem gewissen Teil besteht zwischen Ihnen anscheinend Konsens. Bloß zum Schluss sagt er:
Vor der Schaffung einer Einlagensicherung müssten die resultierenden staatlichen Ausfallrisiken in den Bankbilanzen ebenso verringert werden wie die notleidenden Kredite.
Also, er hat klipp und klar unsere Position, die der Union, klipp und klar die von Herrn Schäuble und klipp und klar die des Finanzministers Scholz vertreten. Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir darüber reden.
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– Wenn Sie jetzt nicken, nehme ich das freudig zur Kenntnis. Denn teilweise habe ich in den Redebeiträgen einen anderen Eindruck gewonnen. Aber ich nehme einfach mit: Sie nicken, und Sie sagen: Das sind die Voraussetzungen dafür, dass wir über eine Einlagensicherung reden.
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Das ist der richtige Weg: Erst muss abgebaut werden, und dann muss der nächste Schritt gegangen werden.
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Herr Toncar, Sie haben, wie so oft in dieser Woche, die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ zitiert. Ihre Wiedergabe war, soweit ich es verstanden habe: Da war eigentlich gar nichts zur Bankenunion außer diesem einen Punkt. – Vielleicht habe ich einen anderen Teil bekommen. Es stand relativ viel drin. Es gibt einen Punkt, der mir hier in der Diskussion völlig untergeht: Die Kanzlerin hat hier wie auch sonst klipp und klar gesagt – unsere Position ist es auch –: Der ESM muss zukünftig generell – nicht nur bei langfristigen, sondern auch bei kurzfristigen Krediten – schauen, ob die Regeln des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes eingehalten werden.
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Ist das ein wichtiger Beitrag, Herr Toncar, zur Stabilisierung der Finanzmärkte in Europa, oder nicht?
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Wenn es das ist, dann würde ich es gerne mal hier von Ihrer Seite zitiert haben; denn es ist ein wichtiger Beitrag zur Unabhängigkeit von der Kommission. Die Entpolitisierung der Regeln ist ein wichtiger Schritt.
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Wenn in Ihren Anträgen Entsprechendes auftaucht, dann würde ich mir wünschen, dass zum Ausdruck kommt, dass man das will und in diese Richtung geht.
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– Aber es dient der Stabilisierung des Wirtschaftsraumes in diesem Bereich.
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– Ich deute Ihre Äußerung jetzt so, dass Sie diesen Punkt der Kanzlerin ausdrücklich unterstützen.
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Darüber freuen wir uns. Damit kommen wir ein Stück weit voran. Sie wissen ja: So langsam kommen wir damit im Dialog voran. Wichtig ist, wie gesagt, dass wir hier die Ziele erreichen.
Ich möchte noch ganz kurz auf die 8 Prozent eingehen, weil mir das wichtig ist. Die 8 Prozent sind zwar festgeschrieben – das hat Frau König gesagt –, aber wir müssen alles daransetzen, dass die 8 Prozent in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union in diesem Sinne implementiert und eingehalten werden. Dann ist es erst möglich, den nächsten Schritt zu gehen.
Lassen Sie mich noch mal sagen: Finanzminister Scholz hat in der Tradition von Wolfgang Schäuble unsere volle Unterstützung. Ich würde mich freuen, wenn alle hier im Deutschen Bundestag, insbesondere die, die mit ihm regelmäßig reden, ihn dabei unterstützen, so wie es die Unionsfraktion macht. Überbieten Sie uns noch dabei; dann wäre es noch besser.
Besten Dank.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege Radwan. – Als Nächstes für die SPD-Fraktion der Kollege Lothar Binding.
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Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wer Europa, wer die Europäische Union will, der wird in der heutigen Debatte viele Dinge anders beurteilen als jemand, der glaubt, Deutschland käme auf alle Zukunft ganz alleine zurecht. Diesen Unterschied kann man ganz deutlich hören; danach wird alles beurteilt. Ich habe immer gedacht, die Zeit wäre vorbei, in der wir gedacht haben, Deutschland käme alleine zurecht.
({0})
Es ist klug, sich auf die Seite zu schlagen, die sagt: Wir brauchen Europa; es ist klug, sich in diesem Verbund zu bewegen.
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Beide Antragsteller lehnen die europäische Einlagensicherung apodiktisch, also auf alle Ewigkeit und grundsätzlich, ab. Daran merkt man: Da ist wenig Europa drin, da ist aber auch wenig für die Bürger drin. Denn wer glaubt, dass exogene oder asymmetrische Schocks, also Dinge, auf die wir überhaupt keinen Einfluss haben, auf alle Ewigkeit auszuschließen sind, der geht leichtfertig mit unserer Zukunft um.
Die Frage ist: Was passiert eigentlich mit unserem Geld? Wir haben heute von Eigenverantwortung gehört, wenn wir es der Bank geben. Die Antwort ist einfach: Wenn Sie als Zuschauer Ihrer Bank Geld geben, dann haben Sie das Risiko, dass Sie es nicht zurückkriegen – ganz klar. Das fanden wir Politiker aber nicht gut. Deshalb haben wir gesagt: Die Bank hat auch eine Verantwortung für Ihr Geld. – Da das aber nicht so total geht, haben wir gesagt – europäisch einheitlich –: Wenn Sie als Kunde einer Bank bis zu 100 000 Euro geben – 100 000 Euro pro Bank und pro Kunde –, dann sind Ihnen 100 000 Euro sicher; sie werden europäisch abgesichert. Geben Sie der Bank mehr – die meisten von Ihnen haben bestimmt jederzeit mehr als 100 000 Euro abzugeben; wir haben ja viele reiche Leute im Land –, dann ist es nicht mehr ohne Weiteres gesichert. Dann nennen wir es anders: Wir nennen es Wertberichtigung oder Wandlung. Das heißt auf gut Deutsch: Wenn Sie eine Einlage bei Ihrer Bank haben, wird sie in Eigenkapital der Bank gewandelt, das heißt, wenn es der Bank schlecht geht, gehört die Anleihe Ihnen gar nicht mehr – aber nur oberhalb von 100 000 Euro. Jetzt sieht man: Wir geben den Banken Verantwortung, und Sie als Kunden tragen für Beträge oberhalb von 100 000 Euro selbst eine Verantwortung. Bis zu diesem Betrag sichert die Politik ab, dass da nichts passiert.
Diesen Prozess hinzubekommen, dass nichts passiert, wenn eine Bank in Schieflage kommt, ist das große Problem. Was machen Sie als Kunden, wenn eine Bank in Schieflage kommt? Sie lesen davon, Sie hören davon, Sie gehen dahin. Wir nennen es Bank Run. Sie sagen: Ich will dahin und mein Geld zurück. – Es ist aber so: Das Geld, das Sie dort abgegeben haben, hat die Bank ja gar nicht im Tresor. Nur etwa 10 Prozent des Geldes liegt überhaupt dort; alles andere liegt ganz woanders. Wir nennen es Giralgeld. Das ist Geld, das man nicht anfassen kann.
Wenn es jetzt plötzlich – Kollege Hakverdi hat es angedeutet – einen Bank Run in Spanien gibt und der Euro, weil in Spanien etwas passiert, möglicherweise unter Druck gerät, dann sagen wir, weil Deutschland zu Europa gehört: Wir müssen uns um alles kümmern. – Deshalb ist es so wichtig, dass wir den europäischen Blick schärfen, uns breiter aufstellen, um Ihr Geld besser zu schützen, als wenn man einfach für sich bliebe.
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Die Finanzkrise hat uns diese Schlussfolgerung nahegelegt; die Bankenunion wurde geschaffen, um genau solche Schocks abzuwehren, um uns abzusichern.
Es ist ganz einfach: Wenn eine Bank in Schieflage kommt, dann geht es erst mal um die Einlagen, die gewandelt werden; das habe ich schon erzählt. Dann gibt es einen Bankensicherungsfonds, in dem 55 Milliarden Euro drin sein sollen – er ist noch nicht ganz voll –, der dann auch zur Verfügung steht. Und jetzt gibt es etwas, was Backstop heißt, nämlich die letzte Rettung, wenn es ein großes Problem gibt. Da gibt es jetzt den großen Europäischen Stabilitätsmechanismus, und da sind Steuergelder drin. Mit diesen Steuergeldern – das wurde schon erwähnt – wird der Backstop gebildet. Da werden sozusagen die letzten Mittel aktiviert, um das System zu retten. Das Schöne ist: Dieses Geld fließt dann aus dem Bankensystem zurück; das hat Franziska Brantner eben auch erklärt. Es ist ganz wichtig, zu sagen, dass die Banken das zurückzahlen müssen. Diese Kreditlinie der Öffentlichkeit zur Rettung des Systems für die Öffentlichkeit – und das sind wir alle – ist eine ganz gute Idee, die wir verfolgen.
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Und wir müssen aufpassen. Die Experten erklären uns immer viel, aber es ist schon so: Die Krisen haben die Experten gemacht, nicht die Laien; die Laien haben darunter zu leiden gehabt. Deshalb bin ich immer vorsichtig, wenn die Experten mir zu viel erzählen. Ich bin ganz stolz darauf, dass die Aufsicht so gut ist. Natürlich ist das alles – Florian Toncar hat es erwähnt – differenziert und nicht total. Total ist immer schlecht; es muss differenziert und angepasst sein. Die Abwicklung muss europäisch einheitlich angepasst sein.
Last, but not least: Die gemeinsame Einlagensicherung fehlt noch. Natürlich kann man die heute nicht machen, weil die Ausgangsbasis schlecht ist. Die SPD – das wurde schon zitiert – hat sogar zweimal beschlossen, sie jetzt nicht zu machen. Logisch! Im Moment haben wir nicht bediente Kredite im Umfang von ungefähr 700 oder 800 Milliarden Euro im Markt. Es gibt in so einem europäischen Austauschsystem noch ungefähr 700 oder 800 Milliarden Euro, die ein Problem machen. Da merkt man schon: Es gibt noch Probleme im Markt. Wir wollen erst die Probleme lösen und das Ganze dann auf eine seriöse Basis stellen. Auf gut Deutsch: Wir wollen, dass die, die die Probleme gemacht haben, sie lösen, und dann kümmern wir uns gemeinsam um die Zukunft und tragen Sorge, um exogene und sonstige Schocks abzuwehren.
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Insofern: Eine klare Basis, dann eine gute Einlagensicherung für Europa, und dann sind wir für die Zukunft gut aufgestellt.
Deshalb glaube ich: Es ist ganz klug, Ihre noch nicht so gut überlegten Anträge, die aber im Einzelfall mit guten Vorschlägen versehen sind – deshalb müssen wir die auch mitaufnehmen –, abzulehnen. Ich denke, Sie haben nach dem, was Sie heute gehört haben, auch gelernt, dass das klug ist.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege Binding. – Als Nächstes erteile ich für die CDU/CSU-Fraktion das Wort dem Kollegen Sepp Müller.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit Erlaubnis des Präsidenten nutze ich mal dieses Ei als kleines anschauliches Beispiel.
Wenn Sie es nicht schmeißen, ist das in Ordnung.
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Vor allem nicht nach hinten; ich passe auf. – Was hat das Ei aus Mark Zwuschen mit Europa zu tun? Was hat dieses Ei mit der Wirtschafts- und Währungsunion zu tun?
Zu den vorliegenden Anträgen. Ja, Europa ist aktuell so fragil wie ein rohes Ei. Ja, gerade wir in der Politik müssen Europa als ganzes Ei betrachten: mit Schale, mit weißem Bestandteil und gelbem Bestandteil. Übrigens, liebe Opposition: Das Gelbe vom Ei sind Ihre Anträge nicht.
({0})
– Ich freue mich, dass Sie sich darüber freuen. Das Interessante daran ist, dass Ihr Redner, der Ihren Antrag eingebracht hat, gar nicht mehr da ist. Anscheinend interessieren Sie sich nicht mal für Ihre eigenen Anträge. Das ist schon ganz schön traurig.
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Wir müssen uns in diesem Hohen Haus eigentlich die Frage stellen: „Wollen wir überhaupt über diese Anträge reden?“, weil es zwei Fraktionen gibt, die gar nicht miteinander reden wollen. Die einen wollen gleich alles beenden. Ich zitiere aus Ihrem Antrag:
Beendigung der Aufsichtsfunktion der EZB über europäische Großbanken.
Und:
Beendigung des Prinzips gegenseitiger Bankenhaftungen.
Was heißt das? Die AfD fordert die Abschaffung des Sparkassen- und Volksbankensystems in Deutschland, und das werden wir nicht zulassen. Das solidarische Sparkassensystem und das solidarische Volksbankensystem werden wir hier verteidigen, und Sie fordern die Abschaffung mit der Beendigung des Prinzips gegenseitiger Bankenhaftungen.
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Demokratie lebt vom Miteinanderringen um die richtigen Lösungen. Das Besondere daran ist, dass anscheinend die Liberalen besonders mit sich gerungen haben, den Antrag einzubringen; denn erst vor 48 Stunden haben wir den Antrag erhalten. – Das zum Thema, wie man sich auf solche Anträge vorbereitet.
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– Genau.
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Meinen Sie, dass zwei Tage Vorbereitung ausreichend sind, um über die Zukunft von Europa zu beraten?
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Ich meine, wir müssen Europa als ganzes Ei betrachten. Warum? Kennen Sie Wikana? Wikana ist eines der letzten verbliebenen Familienunternehmen im Bereich der Keksherstellung im Osten Deutschlands, in meiner Heimat, aus der Lutherstadt Wittenberg. Mit Wikana sind der Hansa Keks und der Othello Keks jetzt querfeldein durch die ganze Welt unterwegs. Bereits 14 Prozent des Umsatzes werden durch den Export erwirtschaftet, davon 64 Prozent in Frankreich. Warum erzähle ich Ihnen das? Weil Europa 22 Arbeitsplätze in meiner Heimat sichert.
Kennen Sie einen der größten Impfstoffhersteller in Deutschland, ja, in meiner Heimat, in Dessau-Roßlau, das Impfstoffwerk Dessau-Tornau? 42 Prozent der dort erzeugten Produkte werden innerhalb der Europäischen Union verschickt. Jeder zweite Arbeitsplatz dort – es gibt knapp 2 000 gutbezahlte Beschäftigte – profitiert von Europa. Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion ist also ein Segen für uns in Deutschland.
Wenn der Impfstoffhersteller und der Kekshersteller, also die deutsche Wirtschaft, von Europa profitieren, warum soll dann nicht auch die europäische Finanzwirtschaft von unseren Bedingungen profitieren? Es kann eine europäische Einlagensicherung zum aktuellen Zeitpunkt nicht geben, weil die deutschen Prämissen nicht erfüllt sind. Dafür gibt es Anträge, die Anträge gelten, und deswegen lehnen wir die europäische Einlagensicherung ab.
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Ich sage es klar und deutlich: Das Sparkassen- und Volksbankensystem muss weiterhin Berücksichtigung finden, die faulen Kredite müssen auf deutsches Niveau reduziert werden, Staatsanleihen müssen zukünftig aufwachsend mit Eigenkapital hinterlegt werden, und – für uns als Unionsfraktion ist das klar – ein einheitliches europäisches Insolvenzrecht muss geschaffen werden.
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Wir freuen uns, dass der Bundesfinanzminister nicht nur das Geld in der Hand hat, sondern auch – nachhaltig – das Gelbe vom Ei. Wir freuen uns, dass er sich den Ausführungen seines Amtsvorgängers Wolfgang Schäuble, anschließt und genau dieser Argumentation folgt: Es ist Zeit, dass die Risiken reduziert werden. – Dazu stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Wir wollen gemeinsam Europa stark machen, gemeinsam das Ei ganzhalten. Dafür kämpfen wir.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Dafür ergreife ich persönlich für meine Generation Partei. Bis zum letzten Wimpernschlag werde ich hier vorne kämpfen für die Prinzipien von Europa: Frieden, Freiheit und wirtschaftlicher Wohlstand.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege. Die Tatsache, dass Sie das Ei eingesteckt haben, deutet darauf hin, dass es gekocht ist, und nicht roh.
Als Nächstes erteile ich Dr. Frauke Petry, fraktionslose Abgeordnete, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich nehme mir die Freiheit, keine Eierdiskussion zu führen, Herr Müller, sondern eine Sachdiskussion. Die Frage, die Sie den Bürgern beantworten müssen, die die FDP aber leider mal wieder nur halbherzig angeht, lautet: Ist eine europäische Einlagensicherung besser als die, die wir bereits haben? Werden die Einlagen dadurch sicherer, ja oder nein? Die Frage lautet nicht, wie die SPD gerne glauben machen will: „Wollen wir mehr oder weniger Europa?“, sondern: Ist das, was Sie unter mehr Europa verstehen – eigentlich müsste es heißen: mehr Steuern, mehr Abgaben, mehr Zentralisierung, mehr Sozialismus –, für die Bürger wirklich besser? Die klare Antwort von uns von der Blauen Partei
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lautet: Nein, das ist nicht besser; denn die Krisen der vergangenen Jahre zeigen, dass die europäischen Sicherungsmechanismen allesamt versagt haben. Wer hat am Ende gezahlt? Die Bürger, allen voran die Bürger in Deutschland.
CDU und SPD geben es ja zu – Herr Hakverdi hat es gesagt –: Es gibt keine harten Kriterien. 800 Milliarden Euro Kredite europäischer Banken, davon allein 251 Milliarden Euro im krisenbehafteten Italien, sind immer noch nicht Grund genug, um einzusehen, dass die Idee der gemeinsamen Einlagensicherung keine gute war.
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Sie machen es beim Euro und bei der Einlagensicherung genauso wie bei allen anderen Politikfeldern: Sie machen weiter, obwohl die Krise bereits da ist. Sie lernen nicht aus den Erfahrungen, und Sie sind unfähig, vorausschauende Konzepte für die Bürger zu liefern. Das ist schlimm für die Steuerzahler, im Übrigen in ganz Europa, nicht nur in Deutschland.
Zu den Linken und Grünen: Wenn man dem Dogma folgt, dass eine gemeinsame, eine viel breitere Basis grundsätzlich immer besser ist als eigenverantwortliches Handeln, dann sind Ihre Schlussfolgerungen, Frau Brantner, natürlich logisch. Aber machen Sie den Bürgern doch nicht vor, dass diese Kredite, von denen Sie reden, jemals zurückgezahlt würden. Sagen Sie den Bürgern doch, wie Griechenland, um bei einem aktuellen Beispiel zu bleiben, jemals in der Lage sein soll, die gewährten Kredite zurückzuzahlen. Wir wissen, die Griechen können das nicht. Und das ist keine Schuldzuweisung an die Griechen, sondern das zeigt nur, dass Ihr System nicht funktioniert. Am Ende ist der Steuerzahler wieder dran.
Insofern, liebe Kollegen von der FDP, gilt Ihnen ein Dank dafür, dass Sie das Thema auf die Tagesordnung gebracht haben. Aber Sie sind nicht konsequent. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass heute nicht Herr Schäffler hier vorne gestanden hat, der schon vor langer Zeit erkannt hat – und das parteiintern auch gesagt hat –, dass die Zustimmung der FDP und die damit verbundene Entmachtung der Euro-Kritiker in den eigenen Reihen dazu geführt hat, dass Sie heute zwischen den Fronten hin und her lavieren müssen und keine klare Position haben. Deswegen: Machen Sie Ihre Hausaufgaben. Rufen Sie die sozialistischen und zentralistischen Geister zurück, die Sie in der Koalition mit der CDU/CSU seit 2009 gerufen haben, und kommen Sie zu einem proeuropäischen, aber EU-kritischen und Euro-kritischen Kurs zurück.
Danke.
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Vielen Dank, Frau Dr. Petry. – Nun zum Schluss der Kollege Professor Dr. Heribert Hirte – ausgeschlafen, wie ich sehe.
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Guten Morgen, Herr Präsident! Sie hatten eine Stunde weniger Schlaf als ich. Insofern können wir uns vergleichen. Aber ich glaube, wir können uns noch ganz gut sehen lassen.
Ich bin auch jünger als Sie.
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Wir arbeiten ja daran, dass die Debatten ein bisschen beschleunigt werden.
Ich möchte zunächst einmal wissen: Wo ist eigentlich der Kollege Hollnagel? Den sehe ich noch nicht oder nicht mehr.
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Dem wollte ich eigentlich eine Antwort geben auf seine Anmerkung, die Europäische Zentralbank sei nicht unabhängig. Vielleicht geben Sie es ihm weiter. Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank richtet sich nämlich nach europäischem Recht, und der Europäische Gerichtshof hat diese Unabhängigkeit zu beurteilen. Er hat sie in einem ganz zentralen Verfahren bestätigt. Ich glaube, daran müssen wir unsere Unabhängigkeitsdiskussion messen. Wir haben unsere Kriterien in gemeinsamer Überzeugung auf Europa und auf die europäischen Institutionen übertragen.
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Ich bin dann doch etwas überrascht gewesen, mit welcher Radikalität er gesagt hat: Die Banken können pleitegehen; das ist sozusagen ordnungspolitisch richtig; dann müssen eben die Kunden der Banken schauen, wo sie bleiben. – Das ist wirklich eine Ohrfeige für Einleger, für Anleger, für Sparer vor allen Dingen und für die Arbeitnehmer, die Vertrauen in uns und in das Bankensystem haben, dass sie dort, wo sie etwas deponieren, auch abgesichert sind. Diese radikale marktwirtschaftliche These hatte ich in dieser Weise allenfalls vom Wilden Westen her erwartet. Aber dass es von Ihnen kommt, überrascht, ehrlich gesagt, auch nicht mehr.
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Sie von der FDP fordern in Ihrem Antrag, wir müssten zunächst Risikoreduzierung machen, bevor wir zur Risikoteilung kommen. Sie wollen uns glauben machen, Herr Toncar, dass das etwas Neues sei. Nein, das haben wir hier schon – die Kollegin Tillmann hat es mit großer Deutlichkeit gesagt – x-mal beschlossen.
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Und wenn Sie gehört haben, was Herr Hakverdi gesagt hat, was Herr Binding gesagt hat, erkennen Sie: Unser Koalitionspartner sieht das genauso. Schäuble, Scholz – einhellige Meinung: erst Risikoreduzierung und dann Risikoteilung.
Auf der anderen Seite: Dass es ökonomische Gründe für eine gemeinsame Einlagensicherung auf europäischer Ebene gibt, hat Frau Tillmann sehr richtig ausgeführt.
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Worum geht es? Wir machen unsere Hausaufgaben. Wir haben sie zu einem erheblichen Teil schon gemacht. Und wir müssen vor allen Dingen auf das gucken, was passieren muss, bevor wir zu einer Einlagensicherung auf europäischer Ebene kommen. Das bedeutet, wir müssen auf ein funktionierendes Insolvenzrecht achten. Wir wissen, dass die Non-performing Loans, die ausfallenden Kredite, bei uns in Deutschland 3 Prozent betragen; in manchen südeuropäischen Ländern betragen sie über 30 Prozent. Das ist intolerabel mit Blick auf eine gemeinsame Einlagensicherung. Deshalb steht die Angleichung des Insolvenzrechts ganz oben auf der Agenda der Europäischen Union. Auch das Justizministerium unterstützt uns bei diesem Punkt. Wir haben gestern Nacht hier darüber gesprochen, dass in der deutsch-französischen Partnerschaft die Angleichung des Insolvenzrechts, und zwar weit über die europäischen Vorgaben hinaus, eine der zentralen Baustellen ist. Unterstützen Sie uns dabei! Dann kommen wir hier auch weiter.
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Dazu gehört der präventive Restrukturierungsrahmen, über den wir in den nächsten Tagen zu beraten haben werden; denn er wird Insolvenzen zu vermeiden helfen. Auch das ist eine wichtige Baustelle.
Dazu gehört andererseits auch, deutlich zu machen, dass es, wie wir das auf Initiative der Union im Koalitionsvertrag niedergelegt haben, kein Fiskusprivileg, keinen Zugriff des Fiskus bei privaten Insolvenzen geben darf, damit auch an dieser Stelle der Nexus zwischen Staat und Privat, zwischen Staat und Banken durchbrochen wird. Hier können wir gemeinsam weiter voranschreiten.
Ein anderer Punkt, wenn wir über Insolvenzvermeidung reden: Wir brauchen meines Erachtens auf europäischer Ebene keine Arbeitslosenversicherung, die europäisch administriert wird. Was wir aber brauchen, ist europäische Insolvenzgeldvorfinanzierung; denn wir haben in Deutschland gemerkt, dass sie zur Vermeidung von Insolvenzen wichtig ist.
Der zweite große Punkt: die regulatorische Privilegierung von Staatsanleihen. Ja, in der Tat – wir haben es schon mehrfach gehört –: Der Nexus zwischen Banken und Staat muss durchbrochen werden. Deshalb brauchen wir – da sind wir einer Meinung – eine Risikogewichtung von Staatsanleihen und/oder deren Eigenkapitalunterlegung. Zusätzlich brauchen wir den Abbau bzw. das Verbot von Klumpenrisiken. Banken dürfen nicht überproportional in Staatsanleihen, vor allen Dingen in die Anleihen ihres eigenen Staates, investieren.
Der Kollege von den Linken hat das Thema Finanztransaktionsteuer angesprochen. Dazu möchte ich nur sagen: Alle diese Vorschläge passen unter diesem Gesichtspunkt in einem Punkte nicht: Es sind immer die Staaten, die sich hier von der Steuer ausnehmen. Auch das ist eine indirekte Staatsfinanzierung. Ich kann für mich nur sagen: Das würde ich und das werden wir nicht mitmachen.
Vielen Dank.
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Herzlichen Dank, Herr Professor Hirte. – Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 21 a, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/2525 mit dem Titel „Eigenverantwortung von Staaten und Banken stärken – Vergemeinschaftung von Einlagenrisiken verhindern“. Wer stimmt für den Antrag? – Wer stimmt gegen den Antrag? – Wer enthält sich? – Dann ist der Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, SPD, Linke gegen die Stimmen der Freien Demokraten und der Fraktion der AfD abgelehnt.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 21 b und 21 c. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/2527 und 19/2573 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man fragt: „Was macht einen starken Rechtsstaat aus?“, dann bekommt man immer wieder die Antwort: Wer recht hat, soll auch recht bekommen. Das gilt insbesondere für Verbraucherrechte. Wenn sie nur auf dem Papier stehen, dann sind sie nutzlos. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen schnell, unbürokratisch und kostengünstig gegen rechtswidriges Verhalten und Täuschungen, vor allen Dingen von großen Konzernen, vorgehen können.
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Ich denke zum Beispiel an unzulässige Bearbeitungsgebühren bei Kreditinstituten, an unwirksame Preisklauseln von Energie- und Telekommunikationsanbietern oder auch an mangelhafte Produkte.
Ein großes Problem ist, dass bisher jeder und jede Einzelne seine Rechte vor Gericht von Anfang bis Ende allein durchfechten muss. Das kostet viel Geld, das kostet viel Zeit, und es ist in manchen Fällen frustrierend. Selbst dann, wenn eine Vielzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern in gleicher Weise betroffen ist, gibt es bisher wenige Möglichkeiten, Kräfte zu bündeln.
Das bedeutet, dass die Macht derzeit zugunsten der Unternehmen verschoben ist. Sie haben in der Regel ein deutlich höheres Durchhaltevermögen, auch aufgrund der größeren finanziellen Mittel. Das schreckt viele Verbraucherinnen und Verbraucher ab. Manche resignieren und verzichten faktisch auf ihre Rechte. Ich will, dass der Satz „Wer recht hat, soll recht bekommen“ für die Kleinen wie für die Großen gilt.
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Hier setzt unser Gesetzentwurf zu Musterfeststellungsklagen an; ich nenne sie gerne „Eine-für-alle-Klagen“. Statt wie bisher teure und langwierige Einzelverfahren führen zu müssen, können sich Verbraucherinnen und Verbraucher künftig zusammenschließen und müssen die Klage nicht einmal selber führen.
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Anerkannte und besonders qualifizierte Verbraucherverbände können gegenüber einem Unternehmen zentrale Haftungsvoraussetzungen für alle vergleichbar betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher in einem einzigen Gerichtsverfahren verbindlich klären lassen.
Die klagebefugten Verbände müssen dabei strenge Anforderungen erfüllen, unabhängig davon, ob es sich um nationale Verbände oder Verbände aus einem anderen EU-Mitgliedstaat handelt. Das ist wichtig, damit die Musterfeststellungsklage wirklich alleine im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher erhoben wird und nicht zu anderen Zwecken missbraucht wird.
Deshalb haben wir ganz konkret in den Entwurf des Gesetzes geschrieben, dass nur solche Verbände klagebefugt sind, die sich schon jahrelang mit der Vertretung von Verbraucherinteressen beschäftigen, die keine Unternehmenszuwendungen in größerem Umfang erhalten und die eine gewisse Mitgliederstärke hinter sich wissen. Prozessfinanzierer und Kanzleien sollen bewusst nicht Kläger sein können.
Wenn von einem Fall mindestens 50 Verbraucherinnen und Verbraucher in vergleichbarer Weise betroffen sind, dann kann so ein klagebefugter Verband die zentralen Rechts- und Sachfragen, die all diese Verbraucherinnen und Verbraucher in gleichem Maße betreffen, in der neuen „Eine-für-alle-Klage“ gebündelt durch das Gericht verbindlich klären lassen. Individuelle Aspekte, die nur einzelne Klägerinnen und Kläger betreffen, werden bewusst nicht betrachtet, da diese für die anderen Verbraucherinnen und Verbraucher irrelevant sind und das ganze Verfahren in die Länge ziehen und verkomplizieren würden.
Hier liegt auch die Schwäche der Alternativvorschläge – die Sammelklage von Bündnis 90/Die Grünen beispielsweise oder auch der Vorschlag, der jetzt von den Präsidenten und Präsidentinnen der Oberlandesgerichte gemacht wurde –; denn immer da, wo man die einzelnen Aspekte verschiedener Verfahren in eine Klage hineinnimmt, oder da, wo jemand erst mal eine Klage erheben muss, entstehen Kosten und zeitliche Verzögerungen. Nur mit der „Eine-für-alle-Klage“ ist es möglich, dass diese Vorfragen, die ja für den nachher in Rede stehenden Erfolg der eigentlichen Klage entscheidend sind, kostenfrei und schnell geklärt werden können.
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Mit der Anmeldung im Klageregister wird die Verjährung der Ansprüche gehemmt. Das heißt, die Verbraucherinnen und Verbraucher können den Ausgang dieses Musterfeststellungsverfahrens abwarten, ohne in ein Kostenrisiko zu gehen und ohne dass Verjährung droht. Das Ergebnis ist sowohl für die Verbraucherinnen und Verbraucher als auch für die Unternehmen bindend. War die Frage beispielsweise, ob eine Preiserhöhung unwirksam oder der Einbau eines Motors mit Abschalteinrichtung rechtswidrig war, steht das Ergebnis nach dem Musterfeststellungsverfahren für die Klägerinnen und Kläger und das Unternehmen verbindlich fest.
Auf diese Weise weiß der Verbraucher, die Verbraucherin relativ schnell, wie es um die Erfolgsaussichten in dem eigenen Fall steht, und kann dann den individuellen Anspruch gerichtlich oder eben auch außergerichtlich viel leichter durchsetzen. Die „Eine-für-alle-Klage“ ist für alle Beteiligten, für die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch für die Unternehmen und die Gerichte deutlich effizienter und kostengünstiger als unzählige Parallelverfahren.
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Ich habe den Eindruck, dass dieser Charakter teilweise noch nicht richtig verstanden worden ist.
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Es geht im Grunde genommen um eine Art vorgeschaltetes Verfahren. Es sind nicht zwei Klageverfahren, die der eine Verbraucher, die eine Verbraucherin führen muss. Vielmehr kann er sich für dieses Klageregister anmelden und kann ganz in Ruhe, ohne Zeitdruck, ohne eigene Mühen, ohne nervenaufreibende Schriftsätze und vor allen Dingen ohne jegliches Kostenrisiko erst mal abwarten, wie diese Musterfeststellungsklage ausgeht.
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Dann hat er die klagebegründeten Tatsachen und weiß ziemlich genau, ob er mit der individuellen Klage am Ende Erfolg haben wird. Die Frage, ob es sich also überhaupt lohnt, in dieses individuelle Verfahren zu gehen, wird danach ganz klar beantwortet sein.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich setze auf eine zügige und konstruktive parlamentarische Beratung, damit das Gesetz wie geplant zum 1. November 2018 in Kraft treten kann. Ich weiß, die Grünen sind wie immer konstruktiv dabei. Wir wollen die Verjährungen zum Jahresende verhindern. Ich hoffe, da sind wir uns alle einig. Als Justizministerin kann ich keine Nachrüstung und auch keinen Schadensersatz für die Verbraucherinnen und Verbraucher erreichen. Aber ich kann den Verbraucherinnen und Verbrauchern einen Weg eröffnen, dass Gerichte ihre Anliegen schnell, kostengünstig und effizient überprüfen können. Das möchte ich gerne tun. Ich hoffe dabei auf Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
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Frau Ministerin Barley, herzlichen Dank. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Professor Dr. Lothar Maier für die AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag unternimmt heute den ich weiß nicht wievielten Anlauf, um zu entscheiden, ob denn die Kollektivklage für Deutschland reif sein könnte. Diese Frucht, meine Damen und Herren, ist überreif, und sie muss jetzt gepflückt werden, bevor sie in den Zustand der Fäulnis übergeht.
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Es ist kein Ruhmesblatt für den Deutschen Bundestag, dass es so viele Jahre gedauert hat, bis man zu der Erkenntnis kommt – hoffentlich kommen wir heute zu dieser Erkenntnis –, dass die Kollektivklage, so wie sie in vielen Ländern der Welt längst eingeführt ist, unausweichlich ist.
Es ist auch kein Ruhmesblatt für die Regierung, insbesondere für die vorausgegangenen, dass man mit dem Einbringen eines eigenen Gesetzentwurfes so lange gewartet hat, bis die Europäische Union ankündigte, dass sie in Kürze einen eigenen vorlegen wird und man Details dieses Entwurfs auch schon kennt.
Es ist auch nicht so, dass die Individualklage als Regelklage erst jetzt nicht mehr den veränderten Bedingungen entspricht. Wir sprechen schon seit Jahrzehnten von einer bedrohlichen Konzentration von Marktmacht, vor allem im Einzelhandel. Wir sprechen seit nicht so langer Zeit von einem boomenden Onlinehandel, von der Ausweitung der digitalen Kommunikation, von neuartigen Finanzdienstleistungen, die alle dazu tendieren, gleichartige Schäden für viele Verbraucher bis hin zu Massenschäden hervorzurufen. Es ist viel die Rede – das ist vielleicht nicht das beste Beispiel – von dem sogenannten Dieselskandal, bei dem, wenn es in Europa zu Klagen kommen sollte, Hunderttausende betroffen sein könnten.
Tatsächlich resignieren die Verbraucher viel zu oft. Man sagt sich: Wenn ich den Klageweg beschreite, dann habe ich am Ende mehr Kosten zu tragen, und zwar nicht nur an Geld, sondern auch an Zeit, an Ärger und allem, was noch damit zusammenhängt, als ich am Ende, selbst wenn ich das Verfahren gewinnen würde, wieder herausbekommen würde. Die Streitwerte – wir wissen das alle – sind ja oft auch relativ gering. Dieses Verhalten mit der schönen Bezeichnung „rationales Desinteresse“, nämlich Verzicht auf die Durchsetzung der eigenen Interessen, stellt am Ende nichts anderes dar als eine faktische Belohnung für unlautere Geschäftspraktiken.
Obendrein ist die Neigung der Verbraucher, in Gerichtsverfahren einzutreten, immer noch recht gering. Die Scheu, vor Gericht zu stehen – und sei es als Kläger im Zivilprozess –, ist bei vielen Menschen ausgebildet. Die Erfahrungen, auch die internationalen Erfahrungen, zeigen, dass das bei Kollektivklagen viel weniger der Fall ist. Obwohl viele Verbraucher darauf verzichten, auf die Durchsetzung ihrer Ansprüche zu bestehen, ist eine Entlastung der Gerichte nicht zu beobachten, ganz im Gegenteil.
Wir meinen, dass der vorgelegte Gesetzentwurf einige Forderungen erfüllen muss, wenn er wirksam sein soll. Ich möchte vier solcher Forderungen benennen.
Die erste davon – da kann ich mich kurzfassen, weil Frau Ministerin Barley bereits darüber gesprochen hat – ist, dass die Durchsetzung von Interessen wirksam sein und rasch gelingen muss. Es kann nicht sein, dass man bei einer Klage mit geringem Streitwert jahrelang auf die Entscheidung warten muss.
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Es muss – zweitens – eine Entlastung der Gerichte geben, die durch solche Massenschäden schon längst überfordert sind.
Drittens muss man darauf hoffen – das ist vielleicht der schwierigste Aspekt –, dass die Kollektivklage eine disziplinierende Wirkung auf das Anbieterverhalten entwickelt und durch ihr bloßes Vorhandensein abschreckt, unlautere Geschäftspraktiken anzuwenden.
Viertens, meine ich, muss unter allen Umständen verhindert werden – da sehe ich keine großen Meinungsverschiedenheiten hier im Haus –, dass eine Klageindustrie nach amerikanischem Muster bei uns entsteht, die ein Milliardengeschäft darstellt, das viele Unternehmen in existenzielle Schwierigkeiten geführt hat und dessen Kosten die Unternehmen ja gar nicht selber, sondern die Verbraucher über die Preise tragen. Die Klageindustrie ist ein im vollen Sinne sozialschädliches Geschäftsmodell.
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Der vorgelegte Gesetzentwurf scheint uns im Prinzip geeignet, diese Forderungen zu erfüllen. Sie werden vielleicht schockiert sein, das von mir zu hören. Wenn die AfD dem Gesetzentwurf zustimmt, haben Sie ja die Möglichkeit, ihn wieder zurückzuziehen.
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Dann wäre die Frucht vom Reifezustand tatsächlich in die Fäulnis übergegangen.
Aber um seine Wirkung voll zu entfalten – und das ist nicht nur an die Adresse des Hohen Hauses, sondern auch an die Ministerin gerichtet –, bedarf es nach unserer Auffassung noch einiger Korrekturen.
Wir halten die Parallelität von Individualklagen und Musterklagen nicht für wünschenswert. Hier sollte verfahren werden wie beim Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz. Wenn eine Kollektivklage auf dem Weg ist, sollten keine Individualklagen mehr angenommen werden. Das setzt natürlich voraus, dass auch nach Beginn des Verfahrens noch Klagen angenommen werden können. Es sollte ein Wettlauf der Kläger vermieden werden. Diese Forderung erfüllt das Gesetz ganz offensichtlich; denn das zuständige Gericht entscheidet, welcher von den bereitstehenden Klägern derjenige sein soll, der ausgewählt wird.
Für die Feststellung der Klageberechtigung braucht man sich auch nicht viel Neues einfallen zu lassen. Da gibt es die bewährte Liste nach dem Unterlassungsklagengesetz, die auch hier angewendet werden kann. Die Eintragung ins Klageregister ist eine schwieriger zu erfüllende Voraussetzung. Ich weiß aus meiner eigenen Erfahrung als früherer Geschäftsführer einer Verbraucherzentrale, dass sehr viele Verbraucher sich sehr schwertun, präzise zu benennen, was eigentlich ihr rechtliches Anliegen ist, und insbesondere, wie hoch der Schadensersatzanspruch ist, den sie anzumelden hätten. Hier sollte das Bundesministerium entsprechende Hilfen bereitstellen in Form von Formularen mit den entsprechenden Erläuterungen, wie das auszufüllen ist. Es kann nicht dahin kommen, dass man, um diese Formulare auszufüllen, am Ende wieder einen Rechtsanwalt braucht.
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Und schließlich und endlich: Die Meldefristen, die das Gesetz vorsieht, nämlich für die Bekanntmachung der Einleitung einer Musterfeststellungsklage und für die Bekanntmachung von Terminen, sind grotesk gering. 14 Tage für die Bekanntmachung der Klage und eine Woche für die Ansetzung eines Termins: Das sieht ein bisschen so aus, als ob man verhindern wollte, dass zu diesem Termin überhaupt jemand kommt.
Das Fazit insgesamt:
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Das kann ein bedeutender Fortschritt im Interesse der Verbraucher und der Bürger sein, und deswegen werden wir das sehr positiv im Ausschuss behandeln.
Ich danke Ihnen.
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Vielen Dank, Herr Professor Maier. – Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Verbraucher und Verbraucherinnen im Land! Recht haben ist nicht immer gleich recht bekommen. Das gehört zu den ersten Erfahrungen, die man, meistens schon in der Kindheit, macht. Unsere Aufgabe, unser Anliegen ist es heute, das noch deckungsgleicher hinzubekommen. Das ist eine ganz wesentliche, zentrale Aufgabe des Rechtsstaats. Dazu gehören effektive Verfahren. Das ist im Moment unser Dauerthema. Darüber haben wir bis nach Mitternacht noch diskutiert. Da ging es auch um den Zugang zum BGH. Und das nächste Kapitel steht auch auf der Tagesordnung: Wir wollen uns ja auch um die Effizienz der Prozesse im Strafverfahren kümmern. All das gehört zum „Pakt für den Rechtsstaat“, an dem wir insgesamt arbeiten.
Im Zivilprozess wird das vor allem dadurch gewährleistet, dass den Bürgern individueller Zugang zu den Gerichten offensteht, zur Not auch mit Prozesskostenhilfe; das ist aber in aller Regel eben doch auch mit hohem Aufwand, mit eigenem persönlichem Kostenrisiko verbunden. Das führt dazu, dass man sich das gut überlegt. Wenn der Anspruch klein erscheint, das Risiko groß, dann bleibt doch eben auch der eine oder andere Anspruch liegen, der es eigentlich wert gewesen wäre, durchgesetzt zu werden. Da gibt es Fälle, in denen viele Menschen in gleichartiger Art und Weise betroffen sind. Da führt dann jeder seinen eigenen Prozess. Das könnte man deutlich effizienter machen, indem man diese Prozesse zusammenfasst. So wie es jetzt ist, werden viele Kosten verpulvert. Es macht es auch nicht besser, dass dann auch häufig die Ergebnisse noch nicht einmal übereinstimmen und das eine Gericht so entscheidet und ein anderes anders.
Fälle, die dafür gute Beispiele sind, wurden schon genannt: Digitalisierung, Onlinehandel, Massenproduktion, große Schadensereignisse. Das sind typische Fälle, die in Zukunft eher an Bedeutung gewinnen. Das Paradebeispiel, die VW-Fahrer und ‑Käufer, wurde auch schon genannt. Sie exerzieren das im Moment durch. Viele von ihnen führen ihre individuellen Prozesse mit hohem Risiko und vor dem Hintergrund einer sich verfestigenden Rechtsprechung, die ihnen recht gibt. Da muss man sagen: Das hätte VW auch einfacher haben können. Wenn man den berechtigten Ansprüchen früher abgeholfen hätte, dann hätte man dazu noch einen Imagegewinn gehabt und sich einigen Aufwand erspart.
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Nun gehen wir es an. Wir wollen für solche Fälle ein einheitliches gebündeltes Verfahren implementieren, in dem solche Fragen verbindlich geklärt werden können: die kollektive Musterfeststellungsklage in der Form, wie sie die Ministerin vorgestellt hat. Wir versprechen uns davon, dass Ressourcen geschont werden können, dass Kosten gespart werden können. Wenn zunächst einmal zehn Verbraucher zusammenkommen, die ihren Anspruch plausibel machen müssen, und sich dann insgesamt 50 finden, die sich in das Klageregister eintragen lassen, dann soll ein Verbraucherverband berechtigt sein, das Verfahren zu führen. Davon profitieren – darauf ist das Ganze explizit gerichtet; das steht im Mittelpunkt – die Verbraucher, die verbindlich geklärt bekommen, ob sie Rechte haben, ob sie ihren Anspruch nachweisen können und für die vor allem auch, ganz unkompliziert, die Verjährung ihres Anspruchs gehemmt wird. Es nützt aber auch den Unternehmen, wenn sie nicht mehr 10, 50 oder 100 Prozesse führen müssen, sondern sich auf einen konzentrieren können. Dann wird das auch billiger, selbst dann, wenn man unterliegt.
Ob das den Gerichten hilft, muss man noch abwarten. Der Richterbund ist da eher skeptisch. Man muss schauen, ob es mehr Leute dazu bringt, zu klagen, oder ob es den Effekt hat, Verfahren zusammenzuführen und dadurch Aufwand zu sparen.
Wir haben uns vorgenommen, dieses Musterverfahren einzuführen, und zwar so schnell, dass auf jeden Fall auch diejenigen davon profitieren, deren Ansprüche sonst Ende dieses Jahres verjähren würden. Auch davon wären Dieselfahrer und ‑käufer betroffen. Aber es bezieht sich nicht ausschließlich auf sie.
Wir müssen uns aber auch klarmachen, dass ein solches neues Verfahren schon ein scharfes Schwert ist, das gegenüber betroffenen Unternehmen eingesetzt werden kann. Wir dürfen die Diskussion nicht so führen, als sei immer gesetzt, dass das Unternehmen unterliegt, sondern es kann auch mal sein, dass das Unternehmen gewinnt, dass sich eine vermutete Kausalität nicht herausstellt oder die Argumente nicht tragen. Deshalb wollen wir verhindern, dass allein das Verfahren schon zu einer unnötigen Belastung wird. Wir müssen auch betrachten, dass das Prozessrisiko, der Imageverlust, der mit einem solchen Verfahren für das Unternehmen verbunden ist, nicht zur selbstständigen Verhandlungsmasse in Vergleichsverhandlungen, die dann stattfinden, werden darf. Deshalb sind wir uns einig, dass wir nicht ein Verfahren nach US-Vorbild wollen. Wir haben schon einige Bremsen eingezogen, die genau das verhindern. Wir haben im Koalitionsvertrag – das wurde schon gesagt – die sogenannte Klageindustrie ausgeschlossen, bzw. wir haben uns vorgenommen, das Entstehen einer Klageindustrie zu verhindern. Materielle Unterschiede sind da schon mal ganz wesentlich, aber auch die Frage: Wer ist hier klagebefugt?
Diese Klagebefugnis bezieht sich auf eine ganz wesentliche Schaltstelle in diesem Verfahren: Der Verband muss professionell agieren. Er muss zuverlässig sein; denn es stehen die Verbraucherrechte auf dem Spiel. Er darf kein eigenes wirtschaftliches Interesse haben, und er muss auch unabhängig sein. Das ist mir auch ganz wichtig. Die Musterfeststellungsklage darf nicht zu einem Vehikel werden, mit dem ein Konkurrent gegen seinen Gegner am Markt vorgehen kann. Es müssen volle Transparenz und Unabhängigkeit gegeben sein.
({1})
Die ursprünglichen Vorschläge aus dem Justizministerium waren uns in dieser Hinsicht zu weitgehend, zu weit gefasst. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die Klagebefugnis enger gefasst wird. Bestes Modell wäre nach unserer Ansicht die konkrete Beleihung von Verbänden, die diese Voraussetzungen mitbringen. Das, was jetzt im Entwurf vorgeschlagen wird, schafft immerhin höhere Voraussetzungen, die absichern, dass möglichst seriöse Verbände agieren. Wir werden uns in den Beratungen noch einmal genau anschauen, ob wir hier zielgenaue Kriterien formuliert haben.
Es sind noch viele Fragen zu klären. Obwohl die Diskussion schon länger geführt wird, sind noch nicht alle Punkte ausdiskutiert: Welche Anforderungen sind an die Anmeldung zu stellen? Gibt es Regressansprüche? Wird dem Anspruch auf rechtliches Gehör Genüge getan? Soll das Windhundprinzip gelten, oder soll es ein Auswahlermessen geben? Es gibt etliche Punkte, die zu klären sind.
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– Einige Punkte sind jetzt erst von den Fachverbänden genannt worden. Diese werden wir im Zuge der Beratungen bzw. der Sachverständigenanhörung klären.
Ich möchte noch kurz einen Punkt ansprechen. Das Thema Abmahnungen zeigt uns derzeit, dass man sehr gut aufpassen muss, wem man das Prozessrecht in die Hand gibt.
Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Ich komme gleich zum Schluss.
Nein, nicht gleich, sondern sofort.
Das Problem ist, dass nicht immer die Abmahner so mit der Situation umgehen, wie sich das der Gesetzgeber gedacht hat. Ich würde gerne dieses Verfahren hier nutzen, um noch eine Ergänzung einzubringen.
Nein. Bitte, Frau Kollegin, kommen zu Ihrem letzten Satz.
Sie soll ermöglichen, vor allem Abmahnungen im Zusammenhang mit der Datenschutz-Grundverordnung besser zu handhaben bzw. auszuschließen.
Danke schön, Herr Präsident.
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Herzlichen Dank. – Ich weise noch einmal auf § 35 Absatz 3 der Geschäftsordnung hin, zu deren Einhaltung ich verpflichtet bin. Das ist keine Frage von Gnadenakten, die ich hier mache, sondern es geht um Fairness gegenüber allen Rednerinnen und Rednern.
Als Nächstes für die FDP-Fraktion der Kollege Dr. Jürgen Martens.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen meiner Vorrednerin muss ich feststellen: Es ist schon beeindruckend, mit welcher Gelassenheit die Große Koalition hier noch über Verbesserungsvorschläge des ja von ihr vorgelegten Gesetzentwurfes spricht, nachdem es höchste Eisenbahn geworden ist, wie ja auch die Frau Justizministerin feststellen musste. Denn das Gesetz soll seine segensreichen Rechtswirkungen schon zum Ende dieses Jahres entfalten. Und da ist die Gelassenheit, mit der das Ganze hier vonseiten der Großen Koalition passiert, doch erstaunlich.
Zahlenmäßig wird das Musterfeststellungsklagegesetz eine geringe Bedeutung haben, aber in der Rechtswahrnehmung durch die Bürger dürfte sich das umgekehrt verhalten. Die Verfahren nach dem 6. Buch der Zivilprozessordnung werden in der Regel von einer breiten Öffentlichkeit verfolgt. Aus diesem Grund hätte der Gesetzgeber besondere Sorgfalt walten lassen sollen. Das war hier allerdings nur bedingt der Fall, etwa bei der Frage, welche Art von Ansprüchen mit der Musterfeststellungsklage verfolgt werden können.
Das Gesetz lässt als Anspruchsteller nur Verbraucher zu. Verbraucher im Sinne des § 13 BGB wird man aber nur durch Abschluss eines Vertrages, also ist streitig, ob deliktische Ansprüche hier vom Gesetz ausgenommen wurden. Die Antragsteller haben das erkannt. Aber man geht nicht den einfachen Schritt und streicht diese Begrenzung auf Verbraucher, sondern man erfindet einen neuen, gesonderten Verbraucherbegriff nur für den Bereich der Musterfeststellungsklage, nämlich den Musterfeststellungsklageverbraucher nach § 29c ZPO. Das ist weder schlau noch gute Gesetzgebung.
({0})
Auch zweifelhaft ist weiterhin die Rechtsnatur möglicher Kläger; das ist nicht völlig ausgeräumt. Der Kreis der Anspruchsteller wird auf Verbraucher begrenzt; das sind nicht gewerblich Tätige. Aber jetzt meine Frage: Warum diese Beschränkung? Was ist mit dem Malermeister und dem Bäcker, die ein Geschäftsfahrzeug gekauft haben, in das eine unzulässige Abschaltvorrichtung eingebaut wurde? Warum darf dieser Bäcker und warum darf dieser Maler nicht auch an der Musterfeststellungsklage teilnehmen? Diese Frage hat mir von Ihnen bisher noch keiner beantworten können.
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Die Verfahren können an verschiedenen Gerichten geführt werden. Hier brauchen wir eine Bestimmung des Gerichtsstandes. Die Begrenzung auf Verbraucherschutzverbände aus Angst vor einer Klageindustrie ist meiner Ansicht nach auch unnötig. Unser Rechtssystem hat genügend Bremsen gegen eine solche Klageindustrie.
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Wenn dann hier auch noch von einer Beleihung, einer weiteren Begrenzung der Verbraucherschutzverbände gesprochen wird, dann wird das Ganze eher absurd, meine Damen und Herren.
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Schließlich: Die Verfahren sind kompliziert und langwierig. Die Verbraucher brauchen Jahre für die Feststellung, und anschließend dürfen sie noch ein zweites Verfahren führen, um ihre Zahlungen zu erreichen. Da braucht man einen langen Atem.
Die Große Koalition hat ja angekündigt, das Verbot von Abtretungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen regeln zu wollen. Hier wäre der Punkt gewesen, wo man das hätte machen können. Auch hier die Frage: Warum haben Sie es denn nicht getan, wenn Sie es schon in den Koalitionsverhandlungen angekündigt haben? Es wäre jederzeit möglich gewesen, und es wäre ein wirklicher Schritt, den Verbrauchern zu helfen.
Meine Damen und Herren, ob wir mit dem Musterfeststellungsklagegesetz eine sinnvolle und praktikable Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung erhalten, erscheint gegenwärtig zumindest fraglich. Aber: Schnell und unbürokratisch, wie Sie sagen, Frau Dr. Barley, ist dieses Gesetz mit Sicherheit nicht.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege Dr. Martens. – Als Nächstes erteile ich für die Fraktion Die Linke der Kollegin Amira Mohamed Ali das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die Dieselfahrerinnen und Dieselfahrer in Deutschland sind von Fahrverboten bedroht, in Hamburg sogar schon davon betroffen. Fahrverbote erschweren den Alltag, und die Autos verlieren an Wert. Viele setzen ihre Hoffnung nun in die Musterfeststellungsklage, um eine Entschädigung zu bekommen. Sie ist die Antwort der Bundesregierung auf den Dieselskandal.
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Diesen Menschen muss man nun leider sagen: Ihre Rechte mit der Musterfeststellungsklage zu verfolgen, ist ein langer und schwieriger Weg. Zwar kann in diesem Verfahren ein Verband stellvertretend für viele Menschen klagen, und es ist für die Betroffenen kostenlos. Aber es ist unnötig kompliziert und nur eine Zwischenetappe auf dem Weg zu einer Entschädigung.
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Wir als Linke sagen: Verbraucherinnen und Verbraucher sollen möglichst wenig Hemmungen haben, sich an einer solchen Klage zu beteiligen, und sie muss effektiven Rechtsschutz bieten. Beides ist nach Ihrem Gesetzentwurf nicht der Fall. In Bezug auf die geschädigten Dieselbesitzerinnen und -besitzer fordert die Linke außerdem, dass die am Ende dieses Jahres drohende Verjährung der Ansprüche effektiv gehemmt wird. Geschieht das nicht, sind viele Ansprüche am 1. Januar 2019 verloren. Der Gesetzgeber muss die Geschädigten aber schützen.
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Ich möchte einige Schwächen des Gesetzentwurfes etwas ausführlicher darstellen:
Erstens. Die Zeit zur Anmeldung zum Verfahren ist zu kurz. Wie soll das Verfahren ablaufen? Ein Verband reicht zusammen mit zehn Verbraucherinnen und Verbrauchern Klage bei Gericht ein. Innerhalb von nur zwei Monaten müssen sich dann 40 weitere Betroffene mit einem formwirksamen Antrag registrieren. Warum so wenig Zeit? Sie machen es den Verbraucherverbänden und den Geschädigten unnötig schwer.
Dem Verfahren kann man ab dem ersten Tag der mündlichen Verhandlung nicht mehr beitreten. Was ist mit den Betroffenen, die erst während des Verfahrens überhaupt davon erfahren, zum Beispiel aus der Presse? Ich weiß jetzt schon, dass sich viele Betroffene genau das fragen werden. Ich muss ihnen dann sagen: Nein, tut mir leid; da kannst du nicht mehr rein. – Im Falle des Dieselskandals wird man vielen dann auch noch sagen müssen: Und alleine klagen kannst du auch nicht mehr; denn deine Ansprüche sind schon verjährt. – Das ist inakzeptabel. Eine Anmeldung zum Verfahren muss länger möglich sein.
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Zweitens: zu hohe und unnötige Formerfordernisse. Nur ein Beispiel: Die Antragsteller müssen die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Angaben erklären. Das mag erst einmal harmlos klingen. Aber ich kenne es aus meiner Praxis als Rechtsanwältin so, dass Mandanten mir oft allerhand Details schildern, die juristisch nicht so relevant sind, und relevante Dinge von sich aus nicht erzählen, weil sie die Bedeutung falsch einschätzen. Warum sollen hier juristische Laien versichern, alle relevanten Details genannt zu haben? Das verunsichert unnötig, und es schreckt auch ab. Ganz entscheidend bei den Formalien ist aber: Ein Formfehler im Antrag von einem der 50 Antragsteller kann zur Unzulässigkeit der ganzen Klage führen, und ein Formfehler kann nicht geheilt werden. Das ist völlig inakzeptabel. Formfehler müssen natürlich heilbar sein.
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Drittens. Der Zeitpunkt der Verjährungshemmung ist nicht, wie bei anderen Klagen, der Zeitpunkt der Klageerhebung – hier also dann, wenn der Verband die Klage bei Gericht einreicht –, sondern erst, wenn sich alle Antragsteller formfehlerfrei registriert haben. Was heißt das für den Dieselskandal? Das Gesetz soll ja im November dieses Jahres in Kraft treten. Die Betroffenen müssen die Beine in die Hand nehmen, und die Verbände, die klagen, haben genau einen Versuch, und das bei einem neuen Rechtsinstrument, bei dem ein Formfehler die ganze Klage unwirksam machen kann. Ich finde es schier unglaublich, wie schwer Sie es den klagenden Verbänden machen. Das ist nicht akzeptabel.
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Und viertens. Das Konzept als reine Feststellungsklage ist nicht ausreichend. Wenn mich ein Verbraucher jetzt fragt: „Was kommt denn raus bei der Musterfeststellungsklage? Wenn ich gewinne: Bekomme ich dann eine Entschädigung?“, dann muss ich sagen: Nein; denn es wird nur etwas festgestellt. Auf Zahlung muss noch mal geklagt werden – und dann wieder jeder für sich. – Das ist kein effektiver Rechtsschutz, und die Gerichte erwartet eine Flut von Leistungsklagen. Kolleginnen und Kollegen von der Regierung, meinen Sie das mit „Entlastung unserer Gerichte“ oder mit „Vermeidung einer Klageindustrie“? Also, ich bitte Sie! Die Linke fordert, dass die Betroffenen direkt aus dem Verfahren entschädigt werden.
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Das wäre effektiver Rechtsschutz, und nur das wäre eine effektive Entlastung unserer Gerichte.
Im Zusammenhang mit der Musterfeststellungsklage ist immer wieder die Rede davon, dass man keine amerikanischen Verhältnisse schaffen will – mit Referenz auf das teilweise ausufernde Schadensersatzrecht in den USA. Auch wir wollen solche Verhältnisse nicht. Aber in den USA sind die Dieselbesitzer von den Autoherstellern immerhin entschädigt worden. In Deutschland bekommen die Betroffenen die Musterfeststellungsklage.
Kolleginnen und Kollegen von der Regierung, auf Seite 13 Ihres Gesetzentwurfes heißt es, die Musterfeststellungsklage solle ein einfacher Weg der kollektiven Rechtsverfolgung sein. Das ist er, wie gerade erklärt, nicht.
Weiter heißt es dort, dass sie nicht den „berechtigten Interessen der Wirtschaft“ zuwiderlaufen soll. Sie soll die Wirtschaft also nicht unnötig belasten.
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Ich glaube, das ist der springende Punkt. Das ist das eigentliche Ziel dieses Gesetzentwurfes. Sie stellen die Interessen der Wirtschaft wieder einmal über die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher.
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Eigentlich wollte ich Sie an dieser Stelle dazu auffordern, den Gesetzentwurf nachzubessern, damit er seinen eigentlichen Zweck erfüllt; aber dann habe ich erfahren, dass Sie ihn schon in der nächsten Woche in die zweite und dritte Lesung peitschen wollen. Auf mich wirkt das so, als hätten Sie gar nicht mehr vor, Ihren Entwurf noch zu verbessern. Aber genau dafür wird die Linke kämpfen. Wir wollen ein Gesetz, das den Menschen wirklich hilft.
Vielen Dank.
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Herzlichen Dank, Frau Kollegin Mohamed Ali. – Als Nächstes für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Dr. Manuela Rottmann.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin Barley, Sie haben jetzt viel von „recht haben“ und „recht bekommen“ geredet. Sie haben gesagt: Der große Erfolg der Musterfeststellungsklage ist, dass man recht bekommt.
Was Sie übersehen und was das Problem im deutschen Zivilprozessrecht ist: Unrechtserträge bleiben beim Schädiger. Derjenige, der geschädigt ist, hat einen viel zu hohen Aufwand, um sich sein Geld zurückzuholen, und daran ändert Ihre Musterfeststellungsklage überhaupt nichts.
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Wir haben hier auf der einen Seite die einzelnen Autokäufer mit einem Schaden von ein paar 1 000 Euro und auf der anderen Seite einen Weltkonzern, der Himmel, Hölle und Alexander Dobrindt in Bewegung setzen kann, um seine auf Manipulationen beruhenden Gewinne ins Trockene zu bringen.
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Wir haben auf der einen Seite den nach RVG finanzierten Einzelanwalt, der für einen überschaubaren Streitwert einen individuellen Sachverhalt ermitteln und darlegen muss, und auf der anderen Seite Großkanzleien, die sich mit ein und derselben Argumentation gegen eine Vielzahl von Klagen wappnen und dafür hohe Honorare geltend machen können. Schließlich haben wir eine Justiz, die angesichts dieser massenhaften Verfahren in die Knie geht.
Wir Grüne wollen mit der Gruppenklage Bürgern und Gewerbetreibenden, wirklich allen – Sie reden von allen, meinen aber nicht alle –, einen wirksamen und überschaubaren Rechtsschutz ermöglichen.
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Wir wollen den Geschädigten die Möglichkeit eröffnen, sich selbst zusammenzuschließen, wenn sie keinen Verband finden, der sie vertreten will. Wir wollen das Verfahren mit einer starken Rolle für die Gerichte bei der Gestaltung der Verfahren effizienter machen. Wir wollen die Verurteilung auch zur Zahlung im Gruppenverfahren ermöglichen. Denn warum, um Himmels willen, sollte irgendjemand einen Vergleich schließen wollen, wenn er noch nicht einmal damit rechnen muss, dass er einen Titel erhält? Wir wollen ein Instrument schaffen, das auch Reinigungskräfte, die um ihren Lohn geprellt werden, nutzen können, um sich gemeinsam zur Wehr zu setzen, genauso wie geschädigte Patientinnen und Patienten oder Käufer von fehlerhaften Produkten.
All das wollen Sie nicht. Sie versprechen den Leuten jetzt eine „Eine-für-alle-Klage“. Ich zitiere noch mal die „FAZ“ von gestern. Frau Justizministerin Barley sagte:
Die Musterfeststellungsklage ist deshalb gerade für kleine Schäden ein gutes Instrument. Denn ich muss mich als Geschädigter nur melden und dafür noch nicht einmal Geld investieren. Ich kann erst einmal gucken, wie meine Erfolgsaussichten sind.
Frau Barley, ich werde mir diesen Text einrahmen; denn das ist der drastischste Fall von irreführender Produktwerbung, den ich in den letzten Jahren gesehen habe.
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Dass die Verjährung von Ansprüchen zum Jahresende 2018 auf jeden Fall verhindert wird, versprechen Sie auch. Was Sie da tun, ist unverantwortlich. Ihre Verjährungsregelung, das Kernstück der ganzen Veranstaltung, versteht kein Mensch. Sie erfinden etwas Neues, einen Zombie, das Wiederaufleben einer bereits verjährten Forderung. Ich bin gespannt, wie viele Instanzen wir brauchen, um allein diese Verjährungsregelung vom BGH klären zu lassen.
Die Voraussetzungen für die Anmeldung sind zu schwierig; das haben wir besprochen. Parallel zur Musterfeststellungsklage kann ich keine Leistungsklage mehr erheben. Diese Möglichkeit ist gesperrt worden. Während die beklagten Unternehmen den Prozess natürlich mit Gewinninteresse, mit viel Geld und mit hochspezialisierten Kanzleien ihrer Wahl weiterhin betreiben dürfen, darf auf Verbraucherseite nur noch ein Verband antreten. Und der muss das aus karitativem Interesse machen oder beim Staat um das Geld für diesen Prozess betteln.
Sie sagen, Sie bekämpfen die Klageindustrie. Wozu führt das? Sie verlagern noch mehr Risiken auf die Betroffenen, auf die Geschädigten. Wenn die Voraussetzungen, die Sie für die Klagebefugnis noch einmal zugespitzt haben, nicht gegeben sind, dann ist die Klage unzulässig, obwohl das mit dem Anspruch des Geschädigten nichts zu tun hat, obwohl er keinen Einfluss darauf hat, welcher Verband überhaupt zum Zuge kommt. Das machen Sie!
Sie senken die Kostenrisiken für die ohnehin übermächtigen Schadensverursacher. Den Aufwand für die Prozessführung soll nämlich der Staat zahlen. Das machen Sie! Also, es wird für VW billiger. Super!
Was mich wirklich fast rührt, ist, dass Sie sagen, Sie wollen ernsthaft professionell aufgestellten Klageanbietern mit hocheffizienter Legal Tech und starken Prozessfinanzierern im Hintergrund mit einem händisch geführten Klageregister und einer rein karitativen Prozessführung entgegentreten. Das rührt mich wirklich. Sie werden das Gegenteil erreichen: Sie werden einen Boom solcher Angebote auslösen.
Einer für alle, das heißt bei Ihnen: einer zu Fuß mit Holzschwert gegen die Kavallerie der Unternehmen in voller Rüstung. Wenn dieser eine Mensch den Kampf gewinnt, dann bekommt er nicht einmal einen Pfennig Geld, sondern er kann mit allen anderen Geschädigten noch einmal von vorne loslegen. Sie richten mit dieser Karikatur kollektiven Rechtsschutzes einen Schaden im Vertrauen der Menschen an, der kaum zu reparieren sein wird.
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Die Präsidenten der Oberlandesgerichte haben in der vergangenen Woche einhellig für kollektiven Rechtsschutz geworben. Ebenso einhellig haben sie vor dieser Musterfeststellungsklage gewarnt. Hören Sie wenigstens einmal auf die Leute, die Ahnung vom Thema haben! Verlängern Sie die Verjährungsfrist für die Geschädigten des Abgasskandals! Machen Sie ein vernünftiges Gesetz!
Zum Schluss. Ja, es geht im Zivilprozess um Geld. Das ist legitim. Es ist aber nicht nur legitim für VW & Co., sondern es ist genauso legitim für die, die von diesen Unternehmen übers Ohr gehauen wurden. Wer das diskreditiert, der muss sich schon fragen lassen, was er von der freien Marktwirtschaft überhaupt noch hält. Ich bitte Sie: Ersparen Sie uns diesen Totalschaden für den Rechtsstaat.
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Frau Kollegin Dr. Rottmann, herzlichen Dank. – Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Sebastian Steineke.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Gesetzentwurf, den wir in erster Lesung beraten, begrüßen wir ausdrücklich. Für uns ist das Glas nicht immer automatisch komplett leer, sondern für uns ist das Glas – ich meine den Gesetzentwurf – schon relativ voll. Ich glaube, das kann man voranstellen.
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– Ja, man kann immer noch über Verbesserungen reden. Das machen wir jederzeit.
Ein Teilaspekt sollte schon hervorgehoben werden. Wir reden über das Thema Musterfeststellungsklage nicht erst seit gestern, sondern schon seit 2015.
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Nachdem wir relativ lange auf Entwürfe gewartet haben, sind wir als Fraktion selber tätig geworden und haben unsere Eckpunkte 2016 vorgestellt.
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– Genau. Herr Kelber weiß, wovon ich rede und wie lange wir gewartet haben.
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– Ja, genau. – Deswegen haben wir das Thema jetzt ins Rollen gebracht. Warum sage ich das? Weil das wichtig ist, um festzustellen, dass die allgemeine Behauptung, die Union wolle das alles gar nicht und wir hätten gar kein Interesse, den Dieselkunden zu helfen, schlichtweg nicht richtig ist. Deswegen kann man das vielleicht voranstellen.
Dass wir das Gesetz aber von Anfang an nur unter bestimmten Voraussetzungen einbringen wollten, war klar. Das haben wir auch deutlich gesagt. Ein wichtiger Punkt – Kollegin Winkelmeier-Becker hat schon darauf hingewiesen – war für uns das Thema Klagebefugnis. Das ist heute schon angeklungen; auch die Ministerin hat darauf hingewiesen.
Der Verbraucherschutz ist uns sehr wichtig. Das sage ich so deutlich. Auf der anderen Seite müssen auch Seriosität und Sachkunde der klagebefugten Verbände gewährleistet werden – das ist eine Selbstverständlichkeit –, um die Unternehmen und letzten Endes auch die Verbraucherschutzverbände selber vor unseriösen Klagen zu schützen.
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– Sie haben selber ein Interesse daran, dass eine ordentliche Klage durchgeführt wird, und deswegen lobt die Verbraucherzentrale diesen Entwurf grundsätzlich. Auch darauf kann man einmal hinweisen. – Es ist auch deswegen für uns ein wichtiger Entwurf, um den sogenannten Abmahnverbänden – wir haben darüber gesprochen – und Anwaltskanzleien kein neues Geschäftsmodell zu liefern.
Wir sollten noch ein paar Punkte zur Klagebefugnis sagen. Die ursprünglichen Überlegungen sahen vor, dass alle Verbände, ob sie im Bundesamt für Justiz oder nach EU-Recht als solche registriert sind, hätten klagen können. Das war für uns in dieser Form nicht machbar, und wir haben deutlich auf die Missbrauchsrisiken hingewiesen. Die einfachsten Beispiele sind die Gründung eines Verbraucherschutzverbandes durch eine größere Kanzlei in einem anderen europäischen Land, das praktisch keinerlei Voraussetzung an die Gründung knüpft, und dieser Verbraucherschutzverband hätte dann auch hier klagen können. Dies wollten wir von Anfang an ausschließen und sind, glaube ich, mit dem vorliegenden Entwurf da einen wesentlichen Schritt weitergekommen.
Was haben wir gemacht? Worauf haben wir hingewirkt? Was war uns wichtig? Wir haben gesagt: Die Verbände brauchen als Mitglieder mindestens 350 natürliche Personen oder mindestens 10 Verbände, die im gleichen Aufgabenbereich tätig sind. Sie müssen seit mindestens vier Jahren in der im Unterlassungsklagengesetz vorgesehenen Liste oder im Verzeichnis der Europäischen Kommission registriert sein, damit die Dauer der Eintragung länger ist als die Regelverjährungsfrist und Ad-hoc-Gründungen verhindert werden.
Der Kollege möchte eine Zwischenfrage stellen, obwohl Präsident Kubicki darum gebeten hatte, das nicht zu tun. Aber ich beantworte sie gerne.
Zunächst einmal muss ich das zulassen, Herr Kollege.
Ich mache es gerne.
Herr Kollege Dr. Martens, Sie wollen eine Zwischenfrage stellen. Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Nur eine Frage: Sie haben die Kriterien aufgezählt, nach denen Klagebefugnis für Verbände erteilt werden soll. Warum soll es nicht möglich sein, solche Kriterien für die Klagebefugnis auch auf Verbände aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union anzuwenden?
Das ist es doch. Das steht doch im Gesetzentwurf drin. Der ursprüngliche Entwurf, Herr Kollege, sah das nicht vor.
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Herr Kollege, es gibt die Möglichkeit einer Zwischenfrage, aber keine des Gesprächs zwischen Ihnen. Die Frage ist beantwortet, und dann darf der Redner weiterreden.
Wir machen das bilateral. – Eine weitere Voraussetzung, die uns wichtig war, ist, dass der Verbraucherverband im Wesentlichen und ganz deutlich im Verbraucherinteresse und nicht gewerbsmäßig tätig ist und deswegen seine Tätigkeit im Wesentlichen in der Beratung von Verbrauchern besteht.
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Die weitere Voraussetzung, die uns wichtig war, ist, dass die Musterfeststellungsklage nicht zum Zweck der Gewinnerzielung betrieben wird. Ich glaube, das ist auch eine Selbstverständlichkeit.
Des Weiteren dürfen Verbände nicht mehr als 5 Prozent ihrer finanziellen Mittel als Zuwendung von Unternehmen beziehen. Das Gericht kann sogar verlangen, dass offengelegt wird, wie die konkrete Finanzierung des Musterverfahrens ist. Ich glaube, dass hiermit die Kollision von Verbraucher- und Unternehmensinteressen deutlich ausgeschlossen wurde. Ich glaube, das ist ein entscheidender Fortschritt gegenüber den ursprünglichen Entwürfen und auch ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem, was die Europäische Union bisher vorgeschlagen hat. Dort ist das nämlich nicht ausgeschlossen. Auch darauf muss man vielleicht mal deutlich hinweisen. Da sind wir aus unserer Sicht deutlich weiter.
Mit diesen ganzen Voraussetzungen haben wir unserer Auffassung nach wesentliche Schritte gemacht, um dem Missbrauch vorzubeugen. Über einzelne Punkte kann man noch weiter reden.
Ein wesentlicher Punkt – darüber ist noch gar nicht in dieser Deutlichkeit geredet worden – ist, dass wir das Prozesskostenrisiko für die Verbraucherinnen und Verbraucher massiv reduzieren. Hierauf hat der ADAC in seiner letzten Stellungnahme deutlich hingewiesen. Er hat eine kleine Musterrechnung gemacht. Wenn wir davon ausgehen, dass beim Dieselskandal zurzeit 2,5 Millionen Fahrzeuge betroffen sind und dass 5 Prozent der Betroffenen bereit wären, ihre Rechte im Individualverfahren einzuklagen, dann würden wir bei einem geschätzten Fahrzeugwert von 30 000 Euro im Falle einer Rückgabe und einem Streitwert von fast 3,75 Milliarden Euro ein entsprechend hohes Prozesskostenrisiko ersparen, und zwar für die Verbraucherinnen und Verbraucher und für die Unternehmen. Ich glaube, das ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber anderen Ideen.
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– Och, Frau Künast, das machen wir gemeinsam.
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– Nein, eben nicht. Bisher musste jeder individuell klagen. Also zahlt jeder seine Kosten selber. Und wenn er keine Rechtsschutzversicherung hat, muss er es selber bezahlen. Und jetzt trägt es der Verbraucherschutzverband.
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Er führt dieses Verfahren für ihn und erspart ihm die Prozesskostenrisiken. Ich glaube, das ist ein deutlicher Fortschritt. Was Sie sagen, Frau Künast, ist schlicht falsch.
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Wir geben damit den durch VW geschädigten Dieselfahrern ein deutlich besseres Prozessinstrument zur Durchsetzung ihrer Rechte an die Hand, gerade wenn sie nicht über die finanziellen Voraussetzungen verfügen. Die zum Jahresende drohende Verjährung kann auch ohne irgendwelche Sonderregelungen, die rechtlich vermutlich gar nicht möglich sind, gehemmt werden. Es gibt sicherlich den einen oder anderen Gesprächsbedarf; darüber haben wir geredet. Man kann über das Thema Befristung reden. Man kann über das Thema Streuschäden reden. Ich glaube, das ist selbstverständlich. Dazu haben wir am Montag auch eine Anhörung, und wir werden den entsprechenden Input mitnehmen. Ich glaube, wir werden am Ende des Tages einen sehr guten Gesetzentwurf in die zweite und dritte Lesung bringen.
Vielen Dank.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstes für die FDP-Fraktion die Kollegin Katharina Kloke.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie sollen die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland zu ihrem Recht kommen? Was braucht es, damit anständige Unternehmen nicht den Glauben an einen fairen Wettbewerb verlieren? Wie verbessern wir das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat und unser Gemeinwesen? Unter anderem, indem wir den Rechtsstaat so handlungs- und durchsetzungsfähig gestalten, dass er sich auch im Alltag der Verbraucherinnen und Verbraucher beweist. Das übergeordnete Ziel der Musterfeststellungsklage steht damit außer Frage. Die Bundesregierung will das Gute, das Richtige. Sie ist stets bemüht. Aber gut gemeint ist nicht gut gemacht.
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Lassen Sie uns mal die Klagebefugnis betrachten. Es ist schon grundsätzlich nicht einzusehen, dass die Bundesregierung Verbänden das Vertrauen schenkt, Verbraucherrechte wahrzunehmen und Dritte vor Gericht zu vertreten, den betroffenen Bürgern selbst aber nicht. Warum darf der selbstbestimmte Verbraucher sich nicht mit anderen zusammentun, einen Anwalt nehmen und eine Musterfeststellungsklage einreichen,
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und das, obwohl er juristisch ganz komplexe Fragen beantworten muss, damit seine Klage überhaupt dabei ist bei der Musterfeststellungsklage? Stichwort ist das „Feststellungsziel“. Warum haben Verbraucher keinerlei Prozessrechte im Musterverfahren? Was ist hier mit dem leichten Zugang zum Recht, der doch Qualitätsmerkmal des deutschen Rechts sein soll?
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Akzeptieren wir für einen Augenblick, dass nur Verbände eine Musterfeststellungsklage führen dürfen. Die nächste Frage: Wer ist da eigentlich dieser Verband? Der Regierungsentwurf geht von schätzungsweise 450 Musterfeststellungsklagen jährlich aus. Wer reicht die alle ein? Alle der vzbv? Ich habe die Bundesregierung schriftlich gefragt, welche Verbände derzeit den Kriterienkatalog im Regierungsentwurf erfüllen. Denn wir alle wollen eine Politik, die in der Praxis funktioniert. Die schriftliche Antwort: Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor.
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Die Musterfeststellungsklage schützt also Verbraucher. Geklärt werden muss noch, durch wen genau. Nicht geschützt werden jedenfalls kleine Handwerker, Dienstleister, Schreinermeister. Dabei sind sie wichtige Stützen unseres Wohlstands. Anbieter Tausender Arbeitsplätze, die können gucken, wo sie jetzt mit ihrem Diesel bleiben. Der rechtspolitische Sprecher der SPD hat via „Spiegel“ schon beigedreht. Lieber Herr Kollege Fechner, bitte nehmen Sie auch Ihren Koalitionspartner mit.
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Es gibt noch weitere Baustellen. Nach dem Regierungsentwurf führt nicht etwa die bestgeeignete, qualifizierte Einrichtung die Klage. Es reicht, die schnellste gewesen zu sein; denn das Gericht darf nur eine einzige Musterfeststellungsklage zulassen. Das hier beschriebene Windhundprinzip hilft weder dem betroffenen Verbraucher noch dem redlichen Unternehmer.
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Besser wäre es, wenn das Gericht innerhalb einer Frist den bestgeeigneten Klageführer unter mehreren auswählen würde. Das wäre ein Beitrag zur Qualitätssicherung im Klageverfahren.
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Frau Kollegin, so leid es mir tut, aber ich muss Sie bitten, zum Schluss zu kommen.
Sie wollen bis zur Sommerpause fertig sein. Der Entwurf ist es noch lange nicht.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Herzlichen Dank, Frau Kollegin Kloke. – Als Nächstes für die SPD-Fraktion der Kollege Dr. Johannes Fechner.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wer recht hat, muss recht bekommen, und das schnell und kostengünstig. Weil dieser Gesetzentwurf – herzlichen Dank an das Bundesjustizministerium und an Frau Ministerin Barley – genau dies vorsieht, ist das heute ein sehr guter Tag für den Verbraucherschutz in Deutschland.
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Nach jahrelangen Diskussionen – Kollege Steineke, aus rechtshistorischen Gründen möchte ich anfügen: aufgrund der Dauerblockade der Union –
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starten wir heute endlich in die Beratung der Einführung einer Musterfeststellungsklage, und das ist gut so; denn Tausende Autokäufer sind in Deutschland von Autokonzernen betrogen worden. Wir als Gesetzgeber stehen hier in der Pflicht, alles dafür zu tun, dass die Opfer von Abgasmanipulationen ihre Schäden ersetzt bekommen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und zwar vom Verursacher.
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Wir können jetzt nicht gesetzlich anordnen, dass Nachrüstungen vorzunehmen sind, und wir können jetzt kein Gesetz verabschieden, das vorsieht, dass die Preise der gekauften Fahrzeuge zwingend zurückzubezahlen sind. Aber wir können dafür sorgen – und das tun wir mit dieser „Einer-für-alle-Klage“ –, dass Autokäufer schnell und ohne Kostenrisiko ihre Schadensersatzansprüche geltend machen können. Damit gilt eben, dass derjenige, der recht hat, auch recht bekommt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Es geht bei diesem Gesetz nicht nur um den Verbraucherschutz – das will ich ausdrücklich sagen –, sondern es geht auch um die Frage, ob unser Rechtsstaat alles dafür tut, dass Bürgerinnen und Bürger zu ihrem Recht kommen. Auch deswegen müssen wir den kollektiven Rechtsschutz in Deutschland, wie wir es hier vorschlagen, ausbauen.
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Nach unserem Konzept der „Einer-für-alle-Klage“ kann sich ein Verbraucher ganz einfach und vor allem kostenlos ins Register eintragen lassen und so über eine Musterklage klären lassen, ob die Voraussetzungen für seinen Anspruch gegeben sind. Das ist der große Vorteil der Musterfeststellungsklage. Ohne Kostenrisiko kann etwa ein getäuschter Autokäufer kostenlos über einen Musterprozess klären lassen, ob die Voraussetzungen für seinen Schadensersatzanspruch gegeben sind, ob also die Abgaswerte seines Autos manipuliert wurden. Wenn das feststeht, dann kann er selber klagen – wobei ich davon ausgehe, dass es gar nicht immer zum Klageverfahren kommen muss, weil ein ökonomisch vernünftiges Unternehmen, das den Musterprozess verloren hat, von sich aus akzeptable Vergleiche schließen wird.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Rottmann?
Ja, na logo.
Frau Dr. Rottmann, Sie haben das Wort.
Sie sind ein bisschen im Vorteil; denn Sie sind Jurist. Ich würde es lieber mit der Herangehensweise eines Laien probieren.
Wie würden Sie als Laie zum Beispiel die geforderte Angabe der Forderungshöhe bei einem durchschnittlich manipulierten Diesel von VW beziffern? Wie ist die Forderungshöhe? Ist es derselbe Lebenssachverhalt? Wie machen Sie das?
Wir haben das Ministerium gefragt, ob es Informationen dazu geben wird, wie man diese Anmeldungen vornimmt. Das Ministerium hat gestern unsere Kleine Anfrage beantwortet und hat gesagt: Das ist Sache der Verbände. Das hat mit uns nichts zu tun. – Also, wie soll der Laie diese Anmeldung ordnungsgemäß ohne Anwalt über die Bühne bringen?
Da sollten wir mehr Vertrauen in unsere Bürgerinnen und Bürger haben, dass sie durchaus in der Lage sind, den Schaden zu beziffern.
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Es gibt den Kaufvertrag. Das wird alles darstellbar sein.
Frau Kollegin Rottmann, wenn ich dazu ergänzend antworten darf: Dass Sie dieses Gesetz als „Zombie“ und „Totalschaden für den Rechtsstaat“ bezeichnet haben,
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obwohl Leute wie Herr Billen, grünes Parteibuch, oder Herr Müller mit einem grünen Parteibuch mitgewirkt haben, obwohl es seit dem Ende der rot-grünen Koalition kaum ein Gesetz gab, auf das so viele Menschen mit grünem Parteibuch Einfluss genommen haben,
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vor allem, obwohl Sie selber die Einführung einer Musterfeststellungsklage im Jamaika-Sondierungspapier, Zeile 986, vorgesehen haben, dass Sie in diesen heftigen und völlig überzogenen Tönen darauf eingehen – „Zombie“ und „Totalschaden“ –, dafür habe ich überhaupt kein Verständnis, Frau Kollegin.
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Der entscheidende Vorteil besteht darin, dass ein Richter nicht in einem Verfahren Tausende von Ansprüchen klären muss, nicht tausendmal individuell klären muss: „Wie hoch ist die Anspruchshöhe?“, sondern dass in einem Verfahren geklärt wird, ob der Anspruch an sich besteht. Dann kann der Verbraucher, wenn er kein vernünftiges Angebot bekommt, ohne Kostenrisiko – denn er weiß ja, dass er gewinnen wird – das Verfahren selber für sich führen. Es ist also eine absolut vernünftige Lösung, die wir hier gefunden haben.
Ich möchte hier auch mit einigen Märchen aufräumen: Wer eine Musterfeststellungsklage führen darf, das ist ganz transparent und nach objektiven Kriterien geregelt. Es ist garantiert, dass nur vertrauenswürdige und dem Verbraucherschutz verpflichtete Einrichtungen klagebefugt sind. Die Einrichtung muss eine gewisse Größe haben: mindestens 10 Mitgliedsverbände oder 350 Mitglieder. Es muss sie seit vier Jahren geben, und zwar eingetragen in eine seit langem beim Bundesamt für Justiz bestehende Liste zum Unterlassungsklagegesetz. Und: Wenn ein Skandal auftaucht, dann kann nicht sofort eine Einrichtung gegründet werden und Musterfeststellungsklagen eingeleitet werden. Schließlich muss die qualifizierte Einrichtung von Unternehmensfinanzierungen unabhängig sein. Auch das ist ein ganz wichtiger Punkt, den wir hier geregelt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir haben also objektive, klare, transparente Kriterien geschaffen, wer klagen darf. Zu sagen, eine handverlesene, industriefreundliche Schar von Einrichtungen dürfe nur klagen, ist also Unsinn. Davon kann überhaupt keine Rede sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Schon gar nicht werden die immer wieder genannten ausländischen Großkanzleien befugt sein. Immer wieder wird ja gesagt: Dann gibt es Klagen wie in den USA. – Ich finde, allzu oft wird das böse Wort der „Klageindustrie“ dazu missbraucht, um Möglichkeiten zur Durchsetzung des Verbraucherschutzes und der Verbraucherrechte kleinzuhalten. Deswegen schließe ich mich dem ausdrücklich nicht an.
Schließlich wird ja auch den Anwaltskanzleien nichts weggenommen. Wir haben in Deutschland gute, spezialisierte Kanzleien, die auch in den VW-Fällen erfolgreich und effektiv tätig waren. Denen nehmen wir nichts weg. Wer es sich leisten kann und will, der soll ruhig gerne weiterhin zu diesen spezialisierten Kanzleien gehen. Aber das führt zu Gerichtskosten und Anwaltsgebühren, und nicht jeder hat eine Rechtsschutzversicherung oder ist prozesskostenhilfeberechtigt. Genau um diese normalen Verbraucher geht es uns. Sie können sich nach diesem Gesetz kostenlos ins Register eintragen lassen, und im Musterverfahren wird dann rechtsverbindlich geklärt, ob ihr Anspruch gegeben ist, und das ist das Ziel. Es ist eine sehr gute Lösung, die wir hier präsentieren.
Und es geht uns um eine zweite Gruppe, nämlich die Verbraucher, die nur geringe Schäden erlitten haben. Diese Schäden sind aber oft besonders ärgerlich, weil sie zum Beispiel durch eine besonders dreiste Täuschung oder durch offensichtlich unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingungen entstanden sind. Wegen einer kleinen Summe wird aber in der Regel nicht geklagt – rationales Desinteresse ist hier der entsprechende Fachbegriff. Wenn es aber dann die Möglichkeit gibt, sich kostenlos in ein Register eintragen zu lassen und dann so über eine Einrichtung die Ansprüche verfolgen zu lassen, dann ist das eine einfache Möglichkeit, auch geringere Ansprüche zeitsparend – ohne großen Zeitaufwand – geltend zu machen. Deshalb ist auch für solche Fälle, in denen es nicht um viel Geld geht, die Musterfeststellungsklage ein sehr geeignetes Mittel des Rechtsschutzes, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich danke dem Justizministerium für die schnelle Erstellung dieses Gesetzentwurfs. Wir sollten ihn gründlich, aber auch zügig diskutieren, damit er verjährungsunterbrechend zum 1. November 2018 in Kraft treten kann. Er ist gut. Dennoch werden wir uns sicherlich noch einige Punkte in der Diskussion vornehmen, etwa die Frage des Windhundprinzips, Haftungsfragen oder in der Tat auch die Frage, ob denn nicht auch Unternehmen an diesem Instrument teilnehmen sollten.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Alles in allem – ich komme zum Schluss – ist es ein guter Tag für den Verbraucherschutz, weil wir hier eine sehr effektive Rechtsschutzmöglichkeit für die Bürger präsentieren.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Fechner. – Als Nächstes erteile ich dem fraktionslosen Abgeordneten Mario Mieruch das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei diesem Thema stehen wir in einem Spannungsverhältnis zwischen Verbraucherschutz und Unternehmensinteressen im Hinblick auf ihren Wettbewerb. Nicht umsonst wird das Thema Sammelklage schon sehr lange diskutiert. Natürlich ist es längst überfällig, dass den Verbrauchern, die – jeder für sich individuell – vom Gleichen geschädigt wurden, eine Möglichkeit erhalten, sich zusammenzuschließen und ihre Rechte gemeinsam geltend zu machen. Die Frage, die jetzt bleibt, ist nur: Wird dem Verbraucher auch wirklich geholfen, wenn lediglich die Feststellung der Rechtsverletzung erfolgt und weitere Schritte erforderlich sind? Die Dieselthematik ist natürlich gerade ein willkommener Aufhänger, um dieses Thema voranzutreiben. Aber wenn das Thema einmal abgeschlossen ist, dann hört das Ganze ja nicht auf, dann wird es ja weitergehen.
Der vorgelegte Entwurf sieht vor, dass die klageberechtigten Organisationen ihre Finanzierung nur zu maximal 5 Prozent von Unternehmen erhalten dürfen. Aber dieser Punkt verhindert mitnichten, dass die Verbände im Sinne dieses Gesetzentwurfes keinerlei wirtschaftliche Interessen verfolgen würden. Denn die Finanzierung solcher Verbände, die auch jetzt teilweise schon klageberechtigt sind oder zum Beispiel ein Verbandsklagerecht haben, erfolgt in höherem Maße zum Beispiel über andere Vereine, über Stiftungen oder sogar auch über die Ministerien. Auf diese Weise können weiterhin sehr wohl wirtschaftliche Interessen verfolgt werden und kann Lobbyarbeit betrieben werden. Die Realität wird daher zeigen, dass das von einigen Großen verursachte Problem dazu führen wird, dass die Unternehmer in Deutschland generell der Gefahr einer Musterfeststellungsklage ausgesetzt sein werden. Und am Ende trifft es natürlich mal wieder die vielen kleinen Unternehmen, insbesondere unseren Mittelstand, die sich keine eigene Rechtsabteilung leisten können.
Ein prima Beispiel dafür liefert die von den Ministerien bestens mit Fördergeldern versorgte Deutsche Umwelthilfe, die ja schon in der Vergangenheit extra ihre Mitarbeiter in die Welt entsandt hat, um nach Verstößen zu fahnden, die sie dann rechtswirksam abmahnen konnte. Wendet man den vorliegenden Entwurf jetzt mal exemplarisch auf diese Organisation an, dann muss sie ihre Mitgliederzahl nur etwas erhöhen, und schon erfüllt sie wieder alle Voraussetzungen, kann weiterarbeiten wie bisher.
Wenn wir den Verbrauchern also wirksame Instrumente an die Hand geben wollen, was selbstverständlich ist, dann braucht es halt klare und verbindliche Regeln, die Missbrauch zum Selbstzweck effektiv verhindern. Da geht der Entwurf einfach nicht weit genug und muss nachgebessert werden. Wie man das in einer Woche hinbekommen will, da bin ich sehr gespannt. Aber ich sehe dem positiv entgegen.
Vielen Dank.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Mieruch. – Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erhält das Wort der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir schaffen mit der zivilprozessualen Musterfeststellungsklage eine neue Verfahrensform in der Zivilprozessordnung. Sie wird die Rechtsdurchsetzung für Verbraucherinnen und Verbraucher erheblich verbessern, weil wir zur Feststellung eines Sachverhalts auf eine neue Form des kollektiven Rechtsschutzes setzen.
Die Frage der kollektiven Rechtsdurchsetzung ist im Übrigen nichts vollkommen Neues. Bereits jetzt gibt es im Unterlassungsklagengesetz die Möglichkeit für anerkannte Verbände, wettbewerbswidrige Gestaltungsmöglichkeiten auf dem Weg der Abmahnung zu beseitigen. Wir wollen heute im Sinne der Verbraucher einen Schritt weitergehen und Rechtssicherheit für Unternehmen und für Verbraucher gleichermaßen schaffen.
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Gerade im alltäglichen Geschäftsverkehr, bei Bankgebühren, Telefongebühren, Medizinprodukten beispielsweise, kann oftmals die Fallkonstellation auftreten, dass aufseiten des Verbrauchers relativ geringe Schäden entstehen, diese Schäden aber durch das tausendfache Wiederholen bei vielen Betroffenen zu erheblichen Gewinnen bei den Unternehmen führen. Aber der Verbraucher fühlt sich durch die Hürden des Zivilprozesses ein Stück weit gehemmt, seine Rechte wahrzunehmen.
Wir wollen durch die Musterfeststellungsklage dem Verbraucher ein weiteres Instrument geben, auf rechtssichere Art und Weise seine Rechte wahrzunehmen. Das kann doch nicht falsch sein, sondern das ist etwas, was notwendig ist.
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Es ist im Übrigen auch nicht vergleichbar mit einer Klageindustrie in den Vereinigten Staaten, weil es nämlich weder ein Erfolgshonorar für Rechtsanwälte gibt noch sogenannte Strafschäden bei der Musterfeststellungsklage festgestellt werden, sondern es geht zunächst einmal nur um die Feststellung eines Sachverhalts. Wer sich mit dem Zivilverfahren auskennt, der stellt fest, dass oftmals die Frage der Feststellung eines Rechtsverhältnisses – was ist denn überhaupt geschuldet, was sind die rechtlichen Parameter? – das ist, was die Verfahren entsprechend in die Länge zieht. Deswegen ist es gut, dass anerkannte Verbände, die wir aus dem Unterlassungsklagengesetz bereits kennen, die eine gewisse organisatorische Verfasstheit haben, die auch die finanziellen Mittel und das juristische Know-how haben, um eine solche Klage stemmen zu können, für die Verbraucher einen Sachverhalt feststellen können.
Ja, es ist richtig, dass durch die Feststellung des Sachverhalts allein noch keine Zahlung an die Verbraucher erfolgt. Das müsste jeder Verbraucher selbst erreichen. Aber Sie dürfen die Dynamik dieses neuen Instruments nicht unterschätzen. Gerade wenn ein Verband eine Musterfeststellungsklage erfolgreich durchficht, wird doch die Vergleichsbereitschaft ziemlich hoch sein, weil das unterlegene Unternehmen nicht neue Prozesse eingehen wird, weil es sicher weiß, dass es verlieren wird. Diese Musterfeststellungsklage wird Schlichtungen und Streitbeilegungen fördern, und deswegen ist das ein gutes Gesetz.
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Wir müssen auch darüber sprechen, dass gerade die sehr niederschwellige Art und Weise der Anmeldung zum Klageregister für die Verbraucher einen großen Fortschritt bedeutet. Genau bei dem Punkt müssen wir im Gesetzgebungsverfahren vielleicht noch ein bisschen nachsteuern. Die Anmeldung zum Klageregister und die Teilnahme an der Klage dürfen nicht so ausgestaltet sein, dass die Hürde für die Verbraucher so hoch ist, dass sie selbst wieder einen Anwalt benötigen.
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Das muss einfach und praktisch gehen.
Wir müssen uns auch über die Frage unterhalten, welches Gericht zuständig ist. Es gibt den Vorschlag des Freistaats Bayern, die Oberlandesgerichte zu beauftragen. Ich glaube, das wäre vor dem Hintergrund der Rechtseinheit ein nachdenkenswerter Vorschlag.
Wir müssen uns auch überlegen: Was passiert, wenn mehrere Musterfeststellungsklagen gleichzeitig eingereicht werden? Ich finde das Windhundprinzip allein nicht ganz glücklich. Vielleicht kann man bei der Reihenfolge und Rangfolge der Klagen noch eine Verbesserung erzielen. Und wir müssen uns auch über die Frage der Haftung des Klageführers gegenüber den Eintragenden unterhalten, weil die reinen gesetzlichen Vorschriften dort möglicherweise nicht ausreichen. – Aber diese Fragen können wir in der Anhörung und in der nächsten Sitzungswoche klären.
Insgesamt ist zu sagen, dass wir damit einen weiteren Schritt gehen in Richtung mehr Rechte für Verbraucher, eine schnellere und günstigere Rechtsdurchsetzung. Ich glaube, dorthin sollten wir uns insgesamt – auch im Interesse eines gütlichen Streitbeilegungsmechanismus – auf den Weg machen.
Vielen Dank.
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Herr Kollege Ullrich, herzlichen Dank. – Damit ist die Aussprache geschlossen.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/2507 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? – Das sehe ich nicht. Dann ist die Überweisung somit beschlossen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Im September 2016 hat der Bundestag die Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens beschlossen, eines völkerrechtsverbindlichen Vertrages. Denen, die damals nicht dabei waren, kann ich verraten: Wir haben das hier einstimmig beschlossen.
Aber was folgt nun daraus? Klimaschutzziele – das klingt so theoretisch. Die sind für viele von Ihnen vielleicht nur ein Stück Papier, aber sie sind überlebensnotwendig, und die Klimakrise ist harte Realität für viele Millionen Menschen.
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Aber für den einen oder anderen von Ihnen ist das offenbar nicht Argument genug, jetzt politische Konsequenzen zu ziehen. Und dieses Zögern von Ihnen ist fatal; denn es ist Insolvenzverschleppung auf Kosten der zukünftigen Generationen.
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Oft diskutieren wir hier im Bundestag über energiepolitische Details und manchmal auch technische Einzelheiten, aber im Grunde geht es um eine Grundsatzentscheidung, zu der die GroKo offenbar nicht bereit ist, nämlich konsequent die alten Energieformen abzulösen durch neue. Deswegen möchte ich heute mal daran erinnern, was eine fossile und atomare Energieversorgung eigentlich ganz real und Tag für Tag bedeutet.
Gefährlicher Atommüll strahlt Millionen Jahre, und wir wissen immer noch nicht, wohin damit. Dazu das Risiko eines atomaren Unfalls oder Flugzeugabsturzes, jederzeit, mitten in Europa und über anderen dicht besiedelten Regionen. – Ich finde es traurig, dass die FDP darüber lachen kann.
Riesige Löcher bis zum Horizont, weggebaggerte Dörfer mitsamt denkmalgeschützten Kirchen und allem Drum und Dran komplett der Braunkohle zum Opfer gefallen – in der Lausitz und im Rheinischen Revier! Führen Sie mit diesen Menschen doch mal einen Diskurs über Heimat!
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Explodierende Ölplattformen im Meer und Tankerunfälle, die ölverschmierte Küsten zurücklassen und dahinsiechende Meerestiere und Vögel! Lukrative Ölquellen, die als Grund genommen werden, Kriege anzuzetteln! Erdbeben und ungeklärte Krankheitshäufungen wie Krebsfälle in den Erdgasregionen in Niedersachsen und auf der ganzen Welt!
Und nachdem Kohle, Öl und Gas aus dem Boden geholt wurden, wenn sie verbrannt werden in den Kraftwerken, in Autos, in Heizungen, dann sind sie mitverantwortlich für Zigtausende Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen allein in Deutschland. Diese dreckigen fossilen Energien, die sind nicht modern, sondern so was von letztes Jahrhundert!
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Die Klimakrise passiert jetzt, auch hier. Letztes Jahr verfaulten die Kartoffeln auf den Äckern. Dieses Jahr ist es viel zu trocken. Die Landwirtschaft spürt die massiven Auswirkungen jetzt. Hören Sie sich mal an, was der weltweit größte Rückversicherer aus München, die Munich Re, zu sagen hat; denn sie muss ja einen Teil der Klimafolgen bezahlen – sofern diese Schäden überhaupt versichert sind –, und sie hat deswegen sehr genau kalkuliert. Die Munich Re sagt, die schweren Unwetter der vergangenen Wochen sind nur Vorboten der Zukunft. Es werde künftig noch häufiger Starkniederschläge und mehr Hitze- und Trockenperioden geben, sagt deren Forschungsleiter für Klimarisiken und Naturgefahren, wie heute im „Tagesspiegel Background“ nachzulesen.
Also: Es gibt viel zu tun. Mit Ihrer GroKo-Entscheidung der letzten Jahre wollen Sie die Zukunftstechnologien der Erneuerbaren begrenzen. Was für eine absurde Entscheidung angesichts der Herausforderung, vor der wir stehen!
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Sie haben mit dieser Entscheidung in der letzten Legislaturperiode eine ganz wichtige Exportindustrie zum Trudeln gebracht, Sie haben zahlreiche Bürgerinnen und Kommunen vor den Kopf gestoßen, Sie haben Investoren abgeschreckt, und Sie haben einen Platz auf dem Treppchen bei der Weltmeisterschaft aufgegeben.
Mit dieser Planwirtschaft, die Sie eingeführt haben, haben Sie sich kräftig verzockt. Das hat die SPD inzwischen erkannt. Deswegen haben Sie im neuen Koalitionsvertrag festgehalten, dass Sie doch noch ein bisschen mehr Erneuerbare wollen. Da versprechen Sie Sonderausschreibungen für Wind- und Solarenergie, die einen Beitrag zum Klimaschutz leisten sollen. Der Anteil der Erneuerbaren soll bis 2030 auf 65 Prozent steigen. Ja, das bedeutet, dass hier in Deutschland Atom- und Kohlekraftwerke abgeschaltet werden müssen, während die Erneuerbaren ausgebaut werden und ins Energiesparen investiert wird.
Die Punkte aus Ihrem Koalitionsvertrag wären Trippelschritte in die richtige Richtung; dennoch bei weitem nicht genug, um die globale Erhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen.
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– Dazu komme ich noch, Carsten. – Unser Planet hat Fieber, und ich finde es eine Unglaublichkeit, dass hier im Bundestag eine Mehrheit sitzt, die das nur schulterzuckend zur Kenntnis nimmt, die Ausflüchte sucht und behauptet, das ginge nun mal alles nicht so schnell, oder, die anderen sollten erst mal anfangen.
Ich glaube, Sie haben echt den Anschluss an die Debatte verpasst. Sie hören gar nicht mehr zu, was die Mehrheit der Menschen fordert, was Wissenschaftler empfehlen und zusätzlich auch eine stetig wachsende Zahl von Vertretern aus der Wirtschaft.
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Denn die Union will sich selbst diesen kleinen Trippelschritten aus dem Koalitionsvertrag verweigern. Wollen Sie sich eigentlich nun auch in der Energie- und Klimapolitik nach rechts außen anbiedern? Fehlt Ihnen nur der Mut oder gar die Kompetenz, eine wirksame Klimapolitik zu machen?
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Wir Grüne haben hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem ein Ausbau der Erneuerbaren geschafft werden soll, der auch nur in Kombination mit zahlreichen weiteren Maßnahmen, insbesondere im Wärme- und Verkehrssektor, gerade eben dazu ausreicht, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Dazu brauchen wir gleichzeitig massive Anstrengungen bei der Energieeinsparung und dabei endlich auch messbare Erfolge. Das können Sie in zahlreichen Energieszenarien lesen, jüngst in denen des BDI und der dena. Die sind es nämlich, die Ihnen inzwischen ausrechnen, wie stark wir in den kommenden Jahren in den Ausbau investieren müssen, die sagen, dass sie mehr von Ihnen erwarten, und die klipp und klar sagen: Versetzung gefährdet, Herr Wirtschaftsminister.
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Statt nur auf den Netzausbau zu warten und in der Zwischenzeit Windenergieanlagen abzuschalten, können wir den Ökostrom auch direkt vor Ort sinnvoll für Anwendung in der Wärme oder Mobilität nutzen. Wir müssen uns endlich darum kümmern, die fossilen Must-run-Kapazitäten zu reduzieren. Unser vorliegender Antrag zum Stromnetz enthält diese und weitere für die Verbesserung der Netzsituation wichtige Punkte.
Wir können die Atomgesetznovelle, die wir hier auch gleich noch diskutieren werden, dazu nutzen, die netzverstopfenden Atomkraftwerke Emsland und Brokdorf im Netzengpassgebiet in Norddeutschland früher abzuschalten und damit Platz für Ökostrom zu schaffen.
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Übernehmen Sie doch endlich Verantwortung! Lassen Sie uns unseren Gesetzentwurf im Ausschuss vernünftig diskutieren und Ihre wahnsinnige GroKo-Vollbremsung bei der Energiewende korrigieren.
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Der nächste Redner ist der Kollege Jens Koeppen, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Verlinden, die immer und immer wieder vorgetragene Forderung nach dem massiven und bedingungslosen und daher nutzlosen Ausbau der erneuerbaren Energien
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bringt die Energiewende nicht voran, sondern schadet ihr.
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Mit dieser ideologischen, weltfremden und realitätsfernen Forderung schütten Sie letztendlich das Kind mit dem Bade aus.
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Für Sie ist der reine Zubau der Erzeugungsanlagen der Maßstab des Erfolges. Es geht Ihnen eben nicht um eine sichere und verlässliche Energieversorgung in Deutschland, sondern für Sie zählen nur – rein theoretische übrigens und auf dem Papier stehende – CO 2 -Einsparungen. Das hat mit dem Klimaschutz nun wirklich sehr wenig zu tun.
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Sie fordern zum Beispiel für das Jahr 2018 zusätzlich 1,5 Gigawatt Wind an Land und 800 MW in PV-Anlagen. 2019 fortfolgend sollen es insgesamt 8 Gigawatt sein. Das ist eine reine Ausbauleistung, ein Weiter-so ohne Bedingung, meine Damen und Herren; das ist ein reiner Zubau, wohl wissend, dass der Großteil davon nicht genutzt werden kann.
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Das Ergebnis: Die Anlagen werden abgeregelt, und trotzdem werden sie vergütet. Wenn sie nicht abgeregelt werden, muss mit Kohlestrom aus dem Süden nachgeregelt werden, um die Netze stabil zu halten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von der Fraktion der Grünen?
Ja.
Vielen Dank, dass ich die Frage stellen darf. – Sie haben gerade gesagt: Wir wissen, dass ein Großteil des erneuerbaren Stroms nicht genutzt werden kann. Jenseits dessen, dass derzeit 1 Prozent des deutschen Stromverbrauches an erneuerbaren Energien abgeregelt wird, haben wir extra, weil dieses Argument immer wieder kommt, den Stromnetzeantrag heute mit in die Debatte eingebracht. Wir haben ein ganzes Portfolio an Möglichkeiten, wie wir dafür sorgen können, dass der Strom genutzt wird: von besserer Nutzung der Bestandnetze über Beschleunigung des Netzausbaus, über Strom nutzen vor dem Netzengpass, Redispatch, fossile Must-run rausnehmen und dadurch Plätze in den Netzen schaffen. Also wirklich eine große Menge an Möglichkeiten.
Haben Sie diesen Antrag zur Kenntnis genommen? Warum meinen Sie, dass diese Maßnahmen nicht wirken können? Oder wie kommen Sie sonst zu der Schlussfolgerung, dieser Strom könne nicht genutzt werden? Er wird zum allergrößten Teil genutzt, und auch den Rest kann man mit einigen Maßnahmen leicht nutzen.
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Sie wissen sehr gut, dass ich dem sehr offen gegenüberstehe und grundsätzlich – das haben wir uns auf der Veranstaltung gegenseitig unterstellt – der Meinung bin, dass das ein richtiger und sinnvoller Weg ist.
Bloß: Wir reden hier über ein Substitut der fossilen Energien. Es geht zunächst einmal in allererster Linie um die Stromversorgung der Industrie und der Haushalte in Deutschland und nicht um die Wasserstoffversorgung von Industrieparks usw. usf.
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Wenn die Stromversorgung wirklich mit einer zuverlässigen Energieversorgung durch erneuerbare Energien gesichert ist, wenn noch überschüssiger Windstrom aus erneuerbarer Energie da ist und wenn
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wir daraus Wasserstoff herstellen können, bin ich natürlich sofort dabei. Aber jetzt geht es erst mal um die Stromversorgung. Wenn Sie gleichzeitig aus dem Atomstrom und dem Kohlestrom aussteigen wollen, ist die Versorgungssicherheit nicht gewährleistet. Nur darum geht es.
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Meine Damen und Herren, ich habe gesagt: Die Anlagen werden abgeregelt, mit fossilen Energien muss gegengesteuert werden, und die Windmüller bekommen trotzdem ihre Vergütung. Das treibt die EEG-Vergütung in die Höhe, und die Stromkunden bezahlen letztendlich das Ticket. Also, es ist wie immer: blinder Zubau, wenig Nutzen, hohe Kosten. Alles das unter dem Deckmantel der CO 2 -Einsparung.
Aber wie viel CO 2 spare ich denn ein, wenn ich blind zubaue, leistungsbezogen zubaue? Ist es denn da nicht klüger, mal über eine arbeitsbezogene Einspeisung – also Kilowattstunden – nachzudenken und all das, was durch den Zähler fließt, zu vergüten?
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Dann kommen wir der Sache doch viel näher.
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Sie nehmen in Kauf, dass fossile Kraftwerke hochgefahren werden müssen, um die Netzstabilität abzusichern, statt dort – das hat Ihre Vorsitzende gerade wieder in einem Interview gesagt – Windanlagen abzuregeln, wo ein Netzproblem aufgrund der sehr hohen Windenergieeinspeisung besteht.
An dieser Stelle kommen Sie immer mit dem Märchen – das finde ich putzig –, dass der böse, böse Kohlestrom die Netze verstopft. Das müssen Sie mal einem Techniker erklären. Das ist völlig absurd.
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Der Kohlestrom sichert doch erst eine Stabilität der Netze ab. Mit jedem zusätzlichen Windrad, das ich im Norden aufstelle, verschärft sich die Netzsituation und somit die Notwendigkeit für das Vorhalten von Kohlestrom.
Wie viel CO 2 sparen Sie damit ein? Null Komma null. Sie streben mit solchen Forderungen gar nicht an, dass die erneuerbaren Energien eine verlässliche Kraft im Energiesystem werden, weil sie jede Anforderung an die System- und Netzdienlichkeit verhindern wollen. Somit können erneuerbare Energien in Ihrer energiepolitischen Traumwelt niemals die Rolle eines zuverlässigen Energieversorgers erfüllen.
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Ist es da nicht besser und klüger, lieber Herr Krischer, mal innezuhalten und – das geht insbesondere an die Adresse unseres Koalitionspartners – den Zubau der Anlagen an klare Kriterien zu knüpfen, anstatt die Menschen immer und immer wieder mit neuen, ungenutzten Anlagen, mit immer höheren Kosten zu beglücken.
({7})
Ich schaue mir den Koalitionsvertrag an. Darin haben wir uns, lieber Herr Saathoff, einiges in die Arbeitsaufträge geschrieben. Erstens – ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag, Seite 72 –: Voraussetzung für den Zubau von Anlagen „ist die Aufnahmefähigkeit der entsprechenden Netze“.
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Das ist so selbstverständlich; aber das mussten wir in den Koalitionsvertrag reinschreiben.
Zweitens: stärkere Marktorientierung und Investitionen in Speichertechnologie. Das sollten wir deutschen Ingenieuren überlassen. Die brauchen keine Härtefallregelungen, die machen das sicher alleine.
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Drittens: Digitalisierung und Netzoptimierung – Seite 72 –, „bundesweit einheitliche Übertragungsnetzentgelte“, das für mich entscheidendste Kriterium – Seite 73 – lese ich vor: Wir werden
… beim weiteren Ausbau der Windenergie an Land einen besseren Interessenausgleich zwischen Erneuerbaren-Branche einerseits und Naturschutz- und Anwohneranliegen andererseits gewährleisten; …
Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Denn, wenn wir die Akzeptanz der Menschen nicht ernst nehmen – damit meine ich alle politisch Handelnden in Bund, Ländern und Kommunen –, dann wird uns unsere wunderschöne Energiewende um die Ohren fliegen.
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Hier müssen wir ein deutliches Zeichen setzen: Wir brauchen wieder eine Länderöffnungsklausel oder etwas Adäquates. Das heißt, wir müssen den Menschen Abstände geben.
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– Das habe ich doch gerade vorgelesen. –
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Die nächste Anlagengeneration wird eine Höhe von annähernd 250 Metern haben. Ich darf darauf hinweisen: Das Restaurant im Berliner Fernsehturm in der Kugel liegt in einer Höhe von 207 Metern. Jetzt stellen Sie sich mal das Szenario vor, dass eine Gemeinde von solchen Türmen umzingelt ist. Ich sage Ihnen: 800 Meter oder 1 000 Meter Abstand sind einfach zu wenig für Wohngebäude. Diese Anlagen gehören dort nicht hin.
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In unserer Planungsgemeinschaft übrigens bekommt der Kranich eine Abstandsregelung mit 3 000 Meter und der Schreiadler mit 5 000 Metern. Hingegen findet Repowering mit Anlagen – auch Bestandsanlagen – in Größen, die ich eben genannt habe, in einer Entfernung von 800 Metern zur Wohnraumbebauung statt. Wie wollen Sie das den Menschen erklären? Ich kann das nicht mehr.
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Meine Damen und Herren, ich sage jedes Mal und immer wieder sehr gerne, dass Windenergieanlagen nicht in den Wald gehören. Der größte CO 2 -Speicher muss unter Ihrem Deckmantel der CO 2 -Einsparung gerodet werden, um dann eine CO 2 -arme Energieform in den Wald zu stellen. Das ist doch völlig absurd. Deswegen gehören auch CO 2 -Energieanlagen nicht in den Wald.
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Zu den Ausgleichsmaßnahmen: Ausgleichsmaßnahmen müssen dort stattfinden – wenn überhaupt –, wo Menschen und Landschaft belastet werden und nirgendwo anders. Sie dürfen nicht in irgendeinem Fonds – wie in Brandenburg – versickern.
Wer nämlich möchte, dass die erneuerbaren Energien eine wachsende Bedeutung bei der Energieversorgung übernehmen, darf sie nicht weiterhin für Netz- und Systemdienste ausnehmen. Innovationen sind für das Gelingen der Energiewende entscheidend und nicht die Anzahl von Anlagen. Wir – damit meine ich uns alle – müssen bei der Überarbeitung des EEG genau hier ansetzen. Blinder Zubau und blinde volatile Einspeisung müssen und, ich glaube, werden in diesem Jahrzehnt ein Ende haben.
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Für die AfD-Fraktion hat das Wort nun der Kollege Steffen Kotré.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine führende Unternehmensberatung untersucht die Energiewende. Sie zieht Bilanz. Sie hat 14 Kriterien zur Zielerreichung der Energiewende formuliert, und sie sagt, dass lediglich fünf Ziele realistisch zu erreichen sind. Sie sagt weiterhin, dass acht von diesen Zielen realistisch nicht zu erreichen sind; das ist mehr als die Hälfte. Zu diesen nicht realistisch zu erreichenden Zielen gehört, dass CO 2 -Ausstoß eingespart wird.
Wir erinnern uns ganz kurz: Warum wurde denn die Energiewende ins Leben gerufen? Genau aus diesem Grund, weil der Ausstoß gemindert werden soll. Es ist also nicht realistisch, dass wir bei ihm einsparen. Wir geben also 30 Milliarden Euro pro Jahr aus – wofür eigentlich?
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Für nichts und wieder nichts.
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30 Milliarden Euro! An dieser Stelle vergegenwärtigen wir uns mal den Bundeshaushalt für Arbeit und Soziales. 30 Milliarden Euro sind davon etwa 20 Prozent. Was könnten wir damit machen? Wir könnten damit Kinderarmut und Altersarmut bekämpfen. Aus meiner Sicht ist das Geld dort viel besser angelegt.
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Betrachten wir einmal die Windenergieanlagen. Sie sind nicht nur ökonomischer Unsinn; sie sind auch ökologischer Unsinn, ja sogar schädlich. Der TÜV hat uns ja jetzt bescheinigt: Ältere Windanlagen sind „tickende Zeitbomben“. Wenn eine Gondel brennt, dann brennt sie; man kann sie nicht löschen. Türme knicken ab. Es ist wohl auch schon vorgekommen, dass sich die Rotorblätter so aufgespalten haben, dass sie die ganze Umgebung verseucht haben, sodass sie für die Landwirtschaft nicht mehr nutzbar war.
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Zu dieser Umweltschädlichkeit gehört auch, dass Rotorblätter schlicht nicht wiederverwendet werden können; sie sind Sondermüll.
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Überhaupt ist der Rückbau nicht geklärt.
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Wir denken an die familienhausgroßen Fundamente, die sich im Erdreich befinden. Wenn eine kleine Betreibergesellschaft insolvent geht: Wer haftet dafür? Richtig! Leider wieder der Steuerzahler.
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– Ja, natürlich muss eine Rückstellung gebildet werden. Das ist aber in den Anfangsjahren nicht gemacht worden; das ist versäumt worden. Da muss wahrscheinlich wieder der Steuerzahler ran.
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Und, wie mein Vorredner schon sagte, der allergrößte Kokolores ist wohl, dass Windenergieanlagen in Wäldern errichtet werden. Es werden also CO 2 -speicherende Bäume abgeholzt, um dort Industrieanlagen zu errichten – mit dem Hinweis, dass man ja CO 2 einsparen möchte. Das ist ein kompletter Schildbürgerstreich.
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Wir haben Windräder, die das Grundwasser beeinträchtigen, wir haben Infraschall – die Problematik kennen Sie –, und natürlich zerstören Windräder die Landschaft in ihrem Erholungswert.
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Aber machen wir weiter mit dem Irrsinn. Aufgrund dieser Politik zahlen wir dafür, dass das Ausland Strom von uns abnimmt. Am 1. Januar 2018 haben wir zum Beispiel 8 Cent pro Kilowattstunde bezahlt, damit unser Strom im Ausland abgenommen wird. 8 Cent pro Kilowattstunde – das ist doppelt so hoch wie der Marktpreis und hat uns an diesem Tag 23 Millionen Euro gekostet.
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Das kann ich nicht verstehen.
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Diejenigen, die diesen Strom von uns bezogen haben, werden sich wahrscheinlich ins Fäustchen gelacht haben über so viel Dummheit hier bei uns.
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Wenn wir uns mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien energiepolitisch demnächst wohl selbst kastriert haben, wenn die Sonne nicht mehr scheint, wenn der Wind ausbleibt, was bleibt uns dann übrig? Atomstrom aus dem Ausland zu importieren.
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Merken Sie an dieser Stelle was, meine Damen und Herren von den Linksgrünen?
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Ökologisch und moralisch ist es natürlich bedenklich, dass Windräder töten. Sie töten Vögel. Greifvögel, Störche und Fledermäuse sind gefährdet. Wollen Sie wirklich den Lebensraum der Vögel weiter einschränken? Wollen Sie das? Also ich will es nicht, und die AfD will es nicht. Die AfD steht hier ganz klar für den Umweltschutz, meine Damen und Herren.
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Wenn wir weiter in die physikalisch-wissenschaftliche Untersuchung von Sonnen- und Windstrom einsteigen, dann sehen wir ganz klar, dass Sonnenenergie und Windenergie natürlich eine viel zu geringe Energiedichte haben. Machen Sie sich an dem Punkt bitte ehrlich! Sagen Sie bitte, dass wir das ökonomisch sinnvoll nur nutzen können, wenn wir Energie im Überfluss haben. Nur dann macht es ökonomisch Sinn. Wind und Sonne – Sie wissen es – erzeugen wetterabhängigen Zufallsstrom. Die Netzstabilität wird unsicherer. Wir müssen ein doppeltes Stromversorgungssystem vorhalten. Wenn also die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, haben wir die konventionellen Kraftwerke, die das abdecken müssen. Aber leider werden diese in ihrer Betriebsfähigkeit eingeschränkt und sind dadurch nicht mehr ökonomisch.
Der Nutzungsgrad von erneuerbaren Energien beträgt 10 bis 20 Prozent. Das ist ökonomisch nicht mehr zu vertreten und spottet jeder ökonomischen Beschreibung.
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Dieser Strom – auch Sie wissen es – ist nicht speicherbar. Auch über den Umweg einer chemischen Speicherung funktioniert das ökonomisch nicht sinnvoll. Das heißt, wenn wir aus Strom Methan produzieren und aus Methan wieder Strom, dann haben wir einen Nutzungsgrad, der unterirdisch ist. Das funktioniert doch nur, wenn wir Energie im Überfluss haben; aber das haben wir eben nicht. Das funktioniert nicht. Das habe ich schon als Student in der ersten Vorlesung Thermodynamik gehört und beigebracht bekommen, dass das so nicht funktionieren kann.
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Wie gesagt, ich habe es schon angedeutet: Erneuerbare vernichten die Wirtschaftlichkeit der konventionellen Kraftwerke. Bestes und prominentestes Beispiel – sicherlich bekannt –: Gaskraftwerk Irsching. Die konventionellen Kraftwerke sollen abgeschaltet oder in der Reserve gehalten werden. Das alles können wir uns aus meiner Sicht so nicht leisten. das alles, woran ich hier anknüpfe, sind Naturgesetze. Es scheint mir, dass es hier Fanatiker der Ökoindustrie gibt,
({18})
die diese Sache quasireligiös angehen. Aber das Problem ist, dass Sie damit die ganze Nation in Haft nehmen. Die Energiewende ist ein riesiges Verlustgeschäft.
({19})
Da stehen Zahlen von 1 Billion, wohl als untere Schwelle, bis 7 Billionen Euro im Raum. Das entzieht sich jeder Logik – meiner jedenfalls –, und das kann ich nicht mehr verstehen. Hier wird Volksvermögen verschwendet. Diese Quasireligiosität, die ich hier gerade so ein bisschen angedeutet habe, kann man auch daran erkennen, dass es kein schlüssiges Konzept für die Energiewende gibt. Es gibt kein schlüssiges Kostenkonzept. Wo, bitte schön, sind Gutachten, dass Windenergieanlagen und Solarenergieanlagen ökonomisch und ökologisch sinnvoll sind? Wo sind diese Gutachten? Wir haben überall diese Gutachten, nur hier nicht.
({20})
Liebe Kollegen von den Linken und den Grünen, ich bitte Sie: Wenn Sie denn an etwas glauben wollen, dann gehen Sie besser in die Kirche. Aber lassen Sie bitte die Finger von Naturwissenschaft und Technik und von unserer Stromversorgung.
Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Johann Saathoff.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts des Antrags der Linken zur Bürgerenergie, den wir hier ja auch debattieren, glaube ich, dass wir in der inhaltlichen Ausgestaltung gar nicht so weit voneinander entfernt sind. Wir sind miteinander gleicher Meinung, dass wir eine bürgergetragene Energiewende brauchen.
({0})
Es ist richtig, dass der bisherige Versuch, die Bürgerenergie zu sichern, ausgenutzt worden ist und dass ein neuer Ansatz gefunden werden muss. Dazu ist Ihr Antrag ein hilfreicher Diskussionsbeitrag. In meinen Augen ist eine Beteiligung der Kommunen dabei unerlässlich. Wir müssen nämlich alle Bürgerinnen und Bürger beteiligen, damit wir Akzeptanz bei fast allen Bürgerinnen und Bürgern erreichen; denn 98 Prozent der Menschen in Deutschland wollen die Energiewende. Nur hier im Haus haben das nicht unbedingt 98 Prozent auch tatsächlich verstanden.
({1})
Dafür haben wir zwei Jahre Zeit, und die werden wir uns nehmen. Uns liegen Anträge der Grünen vor, die sich sehr weit mit meinen und – ich glaube, ich kann auch für meine Fraktion sprechen – mit unseren Ansichten zur Energiewende decken. Wir haben ein gemeinsames Verständnis – das ist erkennbar –, was um uns herum passiert, was der Mensch zum Besseren beeinflussen kann und vor allen Dingen wie die Energiewende sinnvoll organisiert werden kann. Leider müssen wir hier wieder grundsätzlich diskutieren – wir haben das gerade gehört –, ob es überhaupt einen Klimawandel gibt.
({2})
Es gibt tausend sogenannte Fakten, die hier vorgetragen werden, aufgrund derer man die Grundlagen sozusagen einfach negiert. Einige glauben, indem sie persönlich mit fadenscheinigen Belegen und mit alternativen Fakten den Klimawandel ablehnen, habe sich alles schon erledigt.
({3})
Es ist manchmal sehr mühsam, diese Diskussion jedes Mal wieder bei Adam und Eva anfangen zu müssen.
({4})
Eindeutige Fakten, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen vor. Fragen Sie die Landwirte: die Blüte im Schnitt zwölf Tage früher als vor 30 Jahren, viel mehr Frostschäden als noch vor einigen Jahrzehnten, lange Frühjahrstrockenperioden. Das ist nicht gefühlt, sondern das sind echte Fakten, die man aber auch nur erfährt, wenn man einmal mit den Menschen tatsächlich in Kontakt kommt. Als Kind von der Küste darf ich sagen: Es gibt Menschen, die haben Angst vor Hochwasser, die haben Sorge, dass der Küstenschutz nicht gewährleistet ist, die haben Sorge vor einem steigenden Meeresspiegel und vor zunehmenden Stürmen. All diese Menschen lassen Sie alleine, wenn Sie sagen: Wir wollen das EEG abschaffen und einfach so mit Fossilen weiterproduzieren wie bisher.
({5})
Das regt mich schon auf, das muss ich an dieser Stelle sagen – trotz der sonst üblichen ostfriesischen Gelassenheit.
Gut finde ich es, wenn durch die Anträge, die hier vorliegen, ein gemeinsames Verständnis von der Handlungsbedürftigkeit aufgrund des Klimawandels besteht. Ich will gerne mit Ihnen gemeinsam daran arbeiten, dass wir unseren Kindern und Enkelkindern eine bessere Welt hinterlassen, eine Welt, in der die Kinder unsere Rechnungen, die wir mit unserem Stromverbrauch erzeugt haben, nicht noch einmal bezahlen müssen, und in der sich unsere Kinder und Enkelkinder über ungelöste Fragen bezüglich der Altlasten keine Sorgen machen müssen. Das war meine ganz persönliche Motivation, Abgeordneter hier im Hause zu werden.
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Gut, dass wir im Ausschuss darüber debattieren können und eine Anhörung dazu haben werden. Ich hoffe, dass wir es in dieser Anhörung auch schaffen, Fakten von alternativen Fakten und Unwahrheiten zu trennen. Es wird um Akzeptanz gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Strompreise spielen dabei eine entscheidende Rolle. Energie muss trotz Energiewende für alle bezahlbar bleiben.
({7})
Aber bei der Akzeptanz geht es auch noch um mehr. Menschen verstehen auch nicht, wenn beispielsweise Windenergieanlagen errichtet werden, aber stillstehen wegen fehlender Netzkapazitäten. Wir brauchen also einen beschleunigten einfacheren Netzausbau; keine Frage. Aber wir brauchen auch Netzoptimierung. Hier gibt es gute Vorschläge, die uns von den Grünen vorgelegt werden. Aus meiner Sicht reichen sie aber nicht weit genug.
Ich habe in meiner letzten Rede schon gesagt: Ich glaube, wir brauchen im Herbst unbedingt ein Netzbetriebsoptimierungsgesetz. Warum? Die Ausnutzungsgrade im Übertragungsnetz von durchschnittlich 27 Prozent sprechen Bände. In der Digitalisierung sind wir in dem Punkt, wenn man es einmal euphorisch ausdrücken will, noch nicht weit gekommen. Die Netze könnten viel effizienter betrieben werden. Wir haben die falschen Anreize in der Anreizregulierungsverordnung formuliert. Wir sprechen überall von Industrie 4.0. Wir sollten uns daran gewöhnen, auch einmal von Netz 4.0 zu sprechen. Vor uns liegen Aufgaben, was die Netzthematik angeht. Das letzte Atomkraftwerk wird in vier Jahren vom Netz gehen. Die Strukturwandelkommission wird einen Vorschlag machen. Am Ende wird auf jeden Fall dabei herauskommen, dass weniger fossiler Strom in den Netzen sein wird.
Preise und Netze hängen also direkt mit der Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger zur Energiewende einerseits und der Beteiligung der Gemeinden und damit der Bürgerinnen und Bürger andererseits zusammen. Neue – das will ich an dieser Stelle deutlich sagen –, alte, überkommene Abstandsregelungen für Windenergie, wie sie zum Beispiel in Bayern eingerichtet werden mussten, haben mit Akzeptanz gar nichts zu tun.
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Sie gehören in die politische Mottenkiste. Das sind verhinderungspolitische Elemente, die zu nichts anderem dienen, als die Energiewende zu blockieren. Das will ich an dieser Stelle ganz deutlich sagen.
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Wir brauchen mehr Fläche in Deutschland für die erneuerbaren Energien, nicht weniger. Das ist kontraproduktiv. Wer das fordert, den möchte ich auffordern, zu erklären, wie das 65-Prozent-Ziel bis 2030 tatsächlich erreicht werden soll.
({10})
Das ist nicht im Koalitionsvertrag vereinbart. Deswegen wird es das auch nicht geben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({11})
Im Koalitionsvertrag haben wir den Zubau der Windenergie verstärkt im Süden der Republik vereinbart. Also herzliche Grüße an unsere bayerischen Freunde: Das ist im Koalitionsvertrag verhandelt. Diese Südquote wäre auch netzentlastend, außerdem wäre sie ein Stück verteilungsgerecht, verteilungsgerecht bei der Frage der Veränderung des Landschaftsbildes, aber auch bei der Frage der Möglichkeit der Wertschöpfung. Mancher Landwirt in Norddeutschland hätte ohne diese dritte Ernte aus Windenergie nicht überlebt. Ich frage mich, warum sich beispielsweise bayerische Landwirte dieses Stück wirtschaftliche Sicherheit nehmen lassen, von den Kommunen ganz zu schweigen, die nicht unerhebliche Gewerbesteuereinnahmen aus Windenergie haben, wenn sie diese Anlagen nicht selber betreiben. Es ist also auch enormes Potenzial da, was für die Allgemeinheit wichtig ist und zur Verfügung steht und nicht einfach negiert werden soll.
({12})
Es geht jetzt darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, Verantwortung zu übernehmen, um Akzeptanz herzustellen, aber nicht, nur darüber zu reden. Dazu bedarf es Gestaltungswillen, nicht des Rückzugs auf eine Moderatorenrolle, wie ich es in den letzten Tagen des Öfteren in Besprechungen erlebt habe. Mit Mut zur Gestaltung der Energiewende und mit erkennbar gemeinsamer Stoßrichtung in der Politik gegen den Klimawandel freue ich mich darauf, die Energiewende weiter gestalten zu können. Daar kummt uns nix dwars för’t Buuk.
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Für die FDP-Fraktion spricht als Nächster der Kollege Dr. Martin Neumann.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Verlinden, kommen wir zur Realität zurück. Ich will an verschiedenen Beispielen darstellen, was ich damit meine.
Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf für 2018 eine Sonderausschreibung für 1 500 MW Onshorewind und 800 MW Photovoltaik vorgesehen. Ich will das einmal praktisch beleuchten. Wenn Sie also davon ausgehen, dass wir durchschnittlich 900 Sonnenstunden und circa 1 700 Windstunden im Jahr haben, dann käme mathematisch eine Strommenge zustande, mit der man circa 900 000 Haushalte versorgen könnte. Mathematisch! Aber – und das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich – Strom kann man leider nicht auf Halde parken. Das ist das Problem.
Sie haben auch einen Antrag vorgelegt, der dem sogenannten Stromstau den Kampf ansagt. Leider bezeichnen Sie in diesem Antrag den schleppenden Ausbau der Stromnetze als „schlechte Ausrede“, um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu bremsen. Nein, meine Damen und Herren, wir brauchen dringend und aktuell vor allen Dingen eine technische und wirtschaftliche Integration der heutigen regenerativen Stromspitzen und bis dahin deutlich ein Moratorium für den weiteren Windausbau.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Jens Koeppen [CDU/CSU] – Zuruf der Abg. Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]
– Sicher.
({0})
Wenn Sie die fehlenden Netze, Speicher, aber auch intelligente Netze und die notwendige wirtschaftliche Integration nicht als das wahrnehmen, was sie sind, nämlich ein zentrales Hindernis für das Gelingen der Energiewende, dann werden Sie in Sachen Realitätsverweigerung kaum noch zu übertreffen sein.
({1})
Die Realität der Energiewende ist nach jetzigem Stand vor allem eines: unnötig teuer. Der Grund ist der fehlende Netzausbau,
({2})
den Sie ja auch als schlechte Ausrede abtun. Fakt ist aber: Fehlende Leitungen treiben die Kosten für die Sicherung der Systemstabilität immer weiter in die Höhe. Für 2017 rechnet die Bundesnetzagentur wiederum mit neuen Rekorden bei den Kosten von weit mehr als 1 Milliarde Euro. Diese Kosten tragen in letzter Konsequenz Verbraucher und Unternehmen, von deren Akzeptanz aber das Gelingen der Energiewende abhängt.
({3})
Um sich die Last einmal auf der Zunge zergehen zu lassen: Wenn Sie den Betrag von 1 Milliarde Euro in 10-Euro-Noten aufteilen, dann kommt man auf ein Gewicht von 72 Tonnen. 72 Tonnen! Das entspricht in Deutschland dem Gewicht von zwei Sattelzugmaschinen mit je zwei Doppelachsen. Diese gewaltige Summe verschlingt allein das Management von Netzengpässen, von Redispatch und Abregeln von Alternative-Energie-Anlagen, Tendenz steigend.
Liebe Frau Verlinden, Sie haben sicherlich von der Umfrage im letzten Monat in der „FAZ“ gehört. Jeder fünfte Bundesbürger – das müsste Ihnen zu denken geben – ist bereit, für günstigen Strom das Festhalten an der Atomkraft zu befürworten. Das ist interessant.
({4})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Neumann, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie sprechen hier von Umfragen. Sie haben eine Umfrage aus dem letzten Monat zitiert.
Ja, vom Mai.
Ich kenne auch eine Umfrage vom letzten Monat, die von Emnid durchgeführt wurde. Es wurde gefragt, ob die Menschen in Deutschland bereit wären, die Atomkraftwerke früher abzuschalten, selbst wenn das zu Entschädigungszahlungen führt, die dann natürlich vom Steuerzahler übernommen werden müssen. Und siehe da: Eine Mehrheit der Menschen in Deutschland ist dafür.
Ja, aber Sie haben den Kommentar dazu nicht gelesen. Hinterher war nämlich angeführt, dass die Menschen nur dazu bereit sind, wenn sie die Kosten nicht tragen müssen, nach dem Motto: Der andere kann es bezahlen.
({0})
Frau Kollegin, Sie haben Ihre Frage gestellt.
Laut Eurostat hat Deutschland Dänemark nun überholt, und wir sind jetzt bei den Strompreisen – und das kurz vor der Fußball-WM – Europameister.
Herr Kollege, lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu?
Ja, bitte.
Herr Kollege Neumann, ich war in den 2000er-Jahren in der Tschechischen Republik beschäftigt. Damals versprach man den Bürgerinnen und Bürgern in der Tschechischen Republik: Wenn Temelin erweitert wird, würde der Strompreis um 30 Prozent sinken. Daraufhin war eine Mehrheit dafür. Als dann das Kraftwerk in Betrieb ging, wurden die Strompreise um 25 bis 40 Prozent erhöht mit der Begründung: Weil es so hohe Sicherheitsanforderungen an das Atomkraftwerk gegeben hat, wäre jetzt der Atomstrom teurer. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.
Nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, dass das Atomkraftwerk Hinkley Point C mit 12,6 Cent garantierter Einspeisevergütung für 35 Jahre inklusive Inflationsausgleich bezuschusst werden soll. Das ist ein wesentlich höherer Beitrag als für Windstrom, der zurzeit mit 5 Cent für 20 Jahre ohne Inflationsausgleich auf den Markt kommt. Nehmen Sie also zur Kenntnis: Schon die Fragestellung „Seid ihr dafür, wenn es billiger wird?“ ist falsch, weil Atomstrom gar nicht billiger sein kann. Er ist immer teurer.
Deswegen die Frage an Sie: Weshalb zitieren Sie Aussagen zu Umfragen, die definitiv einen falschen Hintergrund haben?
({0})
Sie beschreiben nur eines, lieber Herr Kollege: dass die Dinge sehr komplex sind und dass es sicherlich darauf ankommt, im Detail hinzusehen. Aber es geht darum – diese Frage bleibt bestehen –, was das für den Bürger letztendlich an Kosten ausmacht. Das ist die Frage, die wir beantworten müssen. Wir haben sie noch nicht zu Ende beantwortet. Ich komme im weiteren Verlauf dann noch auf einige Punkte, die Sie gerade angesprochen haben.
Ich habe vorhin festgestellt, dass wir Europameister bei den Preisen sind, was den Strom betrifft. Ich habe über 20 Jahre beim Verbraucherzentrale Bundesverband gearbeitet, und ich habe in Gesprächen immer wieder mitbekommen, dass es den Leuten tatsächlich darauf ankommt: Was kostet das Ganze?
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Ich frage die Antragsteller ganz besorgt, ob es Ihnen tatsächlich um das Gelingen der Energiewende geht. Geht es wirklich darum, dass Sie die Energiewende erfolgreich durchführen wollen, ober geht es um das potenzielle Zusammenbrechen von Träumen? Meiner Ansicht nach muss es um eine bezahlbare, versorgungssichere und ökologische Energieversorgung gehen,
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die in der Summe die Akzeptanz der Menschen in diesem Land findet.
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Die Akzeptanz der Menschen bekommen Sie aber nur, wenn die Energiewende schlicht darauf ausgelegt ist, dass sie funktioniert – nichts anderes. Laut Experten brauchen Sie, was Ihren Koalitionsvertrag und die Sonderausschreibungen, die Sie nun vehement einfordern, angeht, zwei zusätzliche Nord-Süd-Trassen bis 2030. Ich hoffe, das wissen Sie, und ich hoffe, Sie wissen auch, was das bedeutet.
Ich versuche es einmal mit einem anderen Beispiel: Stellen Sie sich bitte vor, Sie wollen mit Ihrer Familie in eine andere Stadt ziehen, finden aber dort partout keinen bezahlbaren Wohnraum. Jemand baut dann für sehr viel Geld sehr schöne, moderne Wohnungen auf einer grünen Wiese, vielleicht auch im Wald. Die Wohnungen sind bezahlbar, aber das Ganze hat einen Haken: Sie haben keine Straße. Sie kommen also nicht zu dieser Wohnung. Was nutzt das dann? Diese Politik können Sie den Menschen nicht erklären.
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Ökologisch verantwortungsbewusst ist eben nicht nur der Klimaschutz, für den Ihnen offensichtlich alle Mittel heilig sind. Es geht meiner Ansicht nach auch darum, Flora und Fauna vor dem Eingriff des Menschen zu schützen. Auch das ist eine Frage ökologischer Verantwortung.
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So wie die Netzengpässe für Sie nur schlechte Ausreden sind, begreifen Sie möglicherweise analog hierzu die Natur- und Tierschützer als Wutbürger, die gegen Windräder demonstrieren, welche ganze Landstriche zerstören.
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Doch offenbar treten Sie nicht nur Ihre eigenen Überzeugungen mit Füßen, sondern auch die Gesetze der Marktwirtschaft und sämtliche Naturgesetze. Wie bewerten Sie denn die in dieser Woche veröffentlichte Leitstudie der dena, die besagt, dass die Energiewende ohne Netz- und Speicherausbau niemals gelingen wird? Frage: Auch eine schlechte Ausrede? Nein. Denn einfach blind die alternativen Energien auszubauen, reicht eben nicht, wenn der Ausbau von intelligenten Leitungen und Netzen nicht hinterherkommt.
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Unrealistische und ideologiegetriebene Forderungen sind insgesamt nicht nur wenig zielführend, sondern sie lähmen auch die gesamte politische Debatte. Wenn generell ein Einbruch der Zubauzahlen ab 2019 befürchtet wird, so ist dies lediglich das Ergebnis einer verfehlten Korrektur des EEG; Sie haben die Bürgergesellschaften ja vorhin schon erwähnt. Dass der Einbruch in der Realität tatsächlich erfolgt, ist noch nicht gesichert. Wir müssen uns das sicherlich noch einmal genau ansehen. Ich sage zusammenfassend – auch mit Blick auf die Uhr –: Augenmaß ist hier gefordert, nicht Ideologie. Für eine funktionierende Energiewende müssen wir den Wettlauf der Lobbyisten um den besten Platz an der Freibiertheke unterbinden.
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Noch ein Satz zu den Ausschreibungen, um das einmal praktisch zu machen. Die letzte Ausschreibung für Windenergie an Land war erstmalig deutlich unterzeichnet. Das heißt, es gab zu wenige Punkte. Eine starke Ausweitung der Ausschreibungsmengen würde aber dazu führen, dass alle Betreiber nur noch Höchstgebote abgeben würden. Das schadet letztendlich auch dem Gesamtsystem.
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Ich fasse zusammen: Bei der Gestaltung der Energiewende müssen die Ziele lauten: Bezahlbarkeit, Versorgungssicherheit, Ökologie und Akzeptanz. Mein schnelles Vehikel ist dabei die Marktwirtschaft, während Sie zu Fuß durch die Planwirtschaft irren.
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Wir werden der Überweisung zustimmen, weil wir immer noch hoffen, dass die Überzeugung von der Marktverantwortung gewinnen wird.
Herzlichen Dank.
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Der nächste Redner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Lorenz Beutin.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich muss sagen, zumindest bei diesem Tagesordnungspunkt ist es ein wenig ein Trauerspiel, weil wir hier ein Feuerwerk an Phrasen, Populismus und Fake News erleben.
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Das reicht von der AfD über die FDP bis zum Redner der CDU. Es ist erbärmlich.
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Ich habe jetzt an dieser Stelle nicht die Gelegenheit, jegliche dieser Fehlinformationen auszuräumen, und will nur in aller Kürze auf ein Argument eingehen, nämlich auf das Kostenargument. Das wird immer vor sich hergetragen; der Kollege der FDP hat das eben auch gemacht. Es wird gefragt: „Wie viel kostet uns denn die Energiewende?“, und gesagt: Die Verbraucherinnen und Verbraucher werden belastet.
Schauen wir uns das doch mal genau an:
SPD und Union haben sich auf europäischer Ebene gegen Sozialtarife und ein Monitoring von Energiearmut ausgesprochen.
Hinzu kommt: Wir müssen uns alles zusammen angucken. Was bedeutet denn dann Braunkohleverstromung? Braunkohleverstromung bedeutet, dass wir nicht nur Feinstaub, sondern auch Quecksilber, Cadmium, Arsen, Blei, Zink und Schwefeldioxid in unsere Umwelt blasen. Das heißt, all das kommt in unsere Atemluft und in unsere Nahrungskreisläufe.
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Wer wohnt denn in der Nähe von Braunkohlekraftwerken? Das sind nicht die Reichen, sondern häufig die einkommensschwachen Bevölkerungsschichten. Das ist genau wie beim starken Straßenverkehr.
Ich darf hinzufügen: Wer leidet noch darunter? Es sind, global gesehen, die Einkommensschwachen, die Armen dieser Welt. National gesehen gilt das genauso. Durch Überschwemmungen und durch Dürren leiden auch unsere Landwirte darunter. Man muss das doch mal klar sagen.
Diese Energiewende nützt uns allen, der gesamten Menschheit, also auch den Einkommensschwachen. Wir müssen eben etwas gegen Energiearmut tun, aber nicht die Energiewende infrage stellen.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Kraft von der AfD-Fraktion?
Nein. – Wissen Sie, warum ich zu dieser Energiewende stehe und warum ich dafür kämpfe, dass wir sie verteidigen müssen? Das tue ich, weil diese Energiewende im Kern ein demokratisches Projekt ist.
Wir wissen, die Produktion von Kohle- und Atomstrom ist extrem stark subventioniert und – das kommt hinzu – bei den großen Energiekonzernen zentralisiert. Bei der Energiewende ist das etwas anders. Über 40 Prozent der Anlagen für erneuerbare Energien befinden sich in der Hand von Bürgerinnen und Bürgern. Das bedeutet, diese Anlagen werden von Genossenschaften, Kommunen, Landwirten und, ja, auch von Privatpersonen betrieben. Wir Linke sagen: Wir wollen diesen demokratischen Charakter der Energiewende erhalten und ausbauen.
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In Zeiten wachsender Ungleichheit, in denen der Privatisierungswahn immer noch wütet, müssen wir uns doch die Frage stellen: Wem gehören die Windräder, die Solaranlagen und die Biogasanlagen, die wir für die Energiewende benötigen? Wem gehören die Stromnetze und die Stromspeicher? Das und nicht solche Fragen, die hier aufgeworfen wurden, sind die Fragen, die uns hier in Zukunft gemeinsam bewegen werden.
Wir sagen: Die Energieversorgung gehört in die Hand von Bürgerinnen und Bürgern und in die öffentliche Hand.
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Nur das ist demokratisch, sozial und ökologisch gleichermaßen. Wir wissen, Energieversorgung ist genau wie Wohnen, Nahrung und Bildung ein Grundrecht, das wir verteidigen müssen.
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Wir wollen, dass die ökologische Stromerzeugung eine demokratische Stromerzeugung der vielen ist. Deshalb haben wir heute den Antrag mit dem Titel „Bürgerenergie retten“ eingebracht. Herr Saathoff, ich fand es sehr schön, dass Sie gesagt haben, dass das eine gute Grundlage bildet. Auf dieser Grundlage können wir sicher weiter diskutieren. Deswegen müssen wir uns eben diese Eigentumsfrage stellen.
Wir Linke wollen den Niedergang der demokratischen Energiewende aufhalten. Wir Linke wollen eine Energiewende von unten, an der die Menschen und die Kommunen beteiligt sind und die in demokratischer Hand ist.
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Was macht aber die Bundesregierung? Ihr System der Ausschreibung ist für uns ein Verstoß gegen den demokratischen Charakter der Energiewende. Denn wer setzt sich bei marktwirtschaftlichen Ausschreibungen in letzter Konsequenz durch? Die, die am Markt am stärksten sind.
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Nutzen wir die De-minimis-Regelung, die es auf europäischer Ebene gibt, damit kleine Windenergieprojekte von den Ausschreibungen ausgenommen werden, dass die Bürgerinnen und Bürger endlich wieder die Möglichkeit bekommen, sich mit der Energiewende und den erneuerbaren Energien zu identifizieren.
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Ich muss langsam zum Schluss kommen.
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Mit den heutigen Zielvorgaben aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz besteht keinerlei Möglichkeit, die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen. Das ist den politischen Verantwortlichen entweder nicht bewusst oder sie nehmen ein Verletzen der Klimaschutzverpflichtungen bewusst in Kauf ...
Dieser Satz stammt nicht von mir. Ihn hat Volker Quaschning, einer der renommiertesten Professoren, der sich mit der Energiewende in Deutschland beschäftigt, gesagt. Wir stimmen ihm zu.
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Deswegen sagen wir: Kommen Sie in die Hufe! Wir Linke werden Ihnen auf allen Ebenen Druck machen: Wir werden Ihnen im Parlament Druck und wir werden auch auf der Straße Druck machen. Wir Linke werden am 24. Juni dieses Jahres hier in Berlin für einen raschen Kohleausstieg demonstrieren.
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Wir werden im Oktober bei „Ende Gelände“ im Hambacher Forst sein und dort diejenigen unterstützen, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzen; denn das ist unsere Perspektive, nicht das, was wir hier vorher von der Fake-News-Fraktion gehört haben.
Danke schön.
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Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Rainer Kraft, AfD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Beutin, wir haben zur Kenntnis genommen – das finden wir sehr gut –, dass Sie sich Sorgen um die Menschen in den Braunkohlerevieren machen, denen es wirtschaftlich nicht so gut geht. Daher möchten wir Sie fragen: Warum haben Sie als Linke den Antrag gestellt, diese Braunkohlekraftwerke, von denen die Existenz der Menschen und die ihrer Familien in den Revieren abhängt, etwa im Rheinland, in Mitteldeutschland und in der Lausitz, stillzulegen? Damit wird diesen Menschen die wirtschaftliche Existenzgrundlage entzogen.
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Herr Kollege Beutin.
Ich will es kurz machen, ich habe hierzu schon geredet. Ich habe erwähnt, dass wir für diese Regionen einen Strukturwandelfonds in Höhe von 500 Millionen Euro jährlich auflegen wollen.
Sehen wir uns die Altersstruktur der Menschen in der Braunkohle an: 60 Prozent der in der Braunkohle Beschäftigten – wir wollen die 20 dreckigsten Braunkohlekraftwerke dichtmachen – sind über 50 Jahre alt. Das heißt, wir können tatsächlich hier sozialverträgliche Konzepte entwickeln. Was wir selbstverständlich machen müssen, ist, in den Strukturwandel und in Forschungseinrichtungen in den Regionen zu investieren.
Wissen Sie, was? Es ist Ihnen wahrscheinlich noch nicht bekannt; ich bin glücklicherweise etwas besser informiert: In den Regionen haben wir mittlerweile die Situation, dass der Strukturwandel bereits stattfindet,
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dass sich die Zulieferbetriebe umstellen, dass sie nach Alternativen suchen. Genau diese Betriebe müssen wir gemeinsam unterstützen. Wir müssen dorthin und gemeinsam mit diesen Menschen reden.
Wir müssen ihnen reinen Wein einschenken und ihnen sagen: Leute, die Bekämpfung des Klimawandels ist eine Zukunftsfrage. Wir müssen sie jetzt angehen. Wir brauchen einen Kohleausstieg. Aber wir wollen euch dabei mitnehmen. Wir wollen euch soziale Alternativen aufzeigen und diese gemeinsam mit euch diskutieren und verhandeln. Nur so kann es auf demokratischem Wege gehen. – Vielen Dank.
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Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Andreas Lenz.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Grünen fordern in verschiedenen Anträgen einen zusätzlich beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien; ganz nach dem Motto: Viel hilft viel. – Sie fordern noch für dieses Jahr eine Sonderausschreibung und dann jährliche Ausschreibungen in einer Größenordnung von 5 Gigawatt für Windenergieleistung an Land und 3 Gigawatt für Leistungen aus der Photovoltaik.
Dazu muss man betonen, dass uns die genehmigten Projekte hierfür im Moment gar nicht vorliegen. Eine Ausschreibung macht eben nur dann Sinn, wenn tatsächlich ein Wettbewerb vorhanden ist.
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Das verkennen Sie vollkommen. Das ist einfach der Unterschied: Wir machen eine Energiewende mit Verstand.
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Auf der anderen Seite des Parlaments wird eine kopflose Politik vorgeschlagen.
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Sie schreiben außerdem:
Denn nur wenn die erneuerbaren Energien kontinuierlich auf hohem Niveau ausgebaut werden, ist die Einhaltung der Klima- und Energieziele 2030 realistisch.
Auch das ist zu einseitig. Wir haben auch noch andere Möglichkeiten, um CO 2 einzusparen.
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Wir müssen und wir werden auch andere Möglichkeiten, die übrigens oftmals effizienter sind, nutzen.
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Wir wollen technische innovative Lösungen fördern und uns eben nicht nur auf einen Sektor konzentrieren.
Es gilt, zu betonen: Wir können noch so viele Erneuerbare zubauen, aber wir müssen den Strom auch nutzen und abtransportieren können. Ich will jetzt gar keine weiteren Bilder bemühen, aber ich stelle fest, dass auch die Grünen dieses Problem mittlerweile erkennen. Wenn Sie Ihrem Antrag die Überschrift „Stromstau auflösen“ geben, dann erkennen Sie ja, dass es hier zumindest ein Problem gibt.
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Bei den Lösungen sieht es dann schon wieder differenzierter aus. Wenn Sie bei den Redispatchkosten der Bundesregierung vorwerfen, dass diese nicht bereit ist, Deutschland in zwei Strompreiszonen aufzuteilen, dann legen Sie mit dieser Kritik die Axt an den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt an.
Auch die Sektorkopplung ist nicht der einzige Weg, um das Problem zu lösen. Wir brauchen beispielsweise mehr Speicher und wollen diese auch stärker fördern. Das wird auch im Koalitionsvertrag betont. Hier heißt es:
Wir wollen durch eine stärkere Marktorientierung der Erneuerbaren Energien Investitionen in Speichertechnologien und intelligente Vermarktungskonzepte fördern.
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Wir brauchen netzverträgliche und intelligente Lösungen. Deshalb wollen wir zukünftig Innovationsausschreibungen, die beispielsweise unterschiedliche Formen der Erneuerbaren koppeln.
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Wir wollen beispielsweise Arbeit ausschreiben. Wir wollen die Härtefallregelungen angehen, und wir wollen die Netzanbindung insgesamt stärker berücksichtigen. Und wir werden natürlich den Netzausbau beschleunigen. Auch das haben wir im Koalitionsvertrag beschlossen. Der Minister wird sich dafür persönlich einsetzen, und er wird natürlich auch daran gemessen werden.
Wenn Sie auf der einen Seite beim Ausbau der Erneuerbaren die Akzeptanz durch Beteiligungen – auch durch finanzielle Beteiligungen – fördern wollen, dann verstehe ich nicht, warum Sie das beim Leitungsausbau so apodiktisch ausschließen. Das passt auch wieder nicht zusammen.
Die Linke befürchtet das Ende der Bürgerenergie. Sie nennen im Antrag Missbrauchsfälle, übrigens zu Recht. Aber wir haben heute Vormittag genau deshalb die BImSchG-Genehmigungspflicht verlängert. Sie hätten dem zustimmen können.
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Dann hätten wir Ihren Antrag heute Nachmittag gar nicht mehr diskutieren müssen.
Jetzt heißt es immer, der Branche drohe der Zusammenbruch. Es werden Weltuntergangsszenarien gezeichnet. Diese werden und wurden übrigens bei jeder Änderung des EEG aufgezeigt. Aber sie werden nicht eintreten.
Wir werden die Bürgerenergie natürlich weiter unterstützen, im Rahmen des Wettbewerbs. Auch dazu bekennen wir uns im Koalitionsvertrag.
Wir werden die Akteursvielfalt auch künftig sicherstellen. Wir werden die Möglichkeiten einer Projektbeteiligung von Bürgerinnen und Bürgern verbessern, und zwar ohne dass dies insgesamt zu mehr Kosten im System führt.
Und ja, die Koalition arbeitet an der Umsetzung des Koalitionsvertrages. Minister Peter Altmaier hat neulich in einer Runde gesagt: Wir müssen in der Koalition lernen, uns liebzuhaben. – Ganz ehrlich, das haben wir schon die letzten vier Jahre nicht immer ganz geschafft.
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Aber man kann an die SPD gerichtet einmal betonen, wer Ihr Koalitionspartner ist und wer nicht.
Aber wir haben es auch in der letzten Legislatur geschafft, dass am Ende gute Ergebnisse für das Land herausgekommen sind. Das muss uns natürlich auch jetzt wieder gelingen. Wenn es dazu einmal mehr Zeit bedarf, dann ist es eben so. In diesem Sinne: Ihre Anträge helfen uns nicht weiter, und unsere Lösungen kommen demnächst.
Herzlichen Dank.
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Der nächste Redner ist der Kollege Timon Gremmels von der SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein großer Interessenverband hat unlängst berechnet, wie viel Leistung an erneuerbaren Energien wir jährlich zubauen müssten, damit wir die Pariser Klimaschutzziele erreichen. Je nachdem, ob das ein 80- oder 95-Prozent-Ziel ist, wären das pro Jahr 8,5 Gigawatt bis 10 Gigawatt Zubau: Jahr für Jahr bis 2050.
Die Zahlen selbst überraschen einen nicht, wenn man sich damit auskennt. Überrascht hat mich, dass das keine Studie von Greenpeace oder vom Bundesverband Erneuerbare Energien war. Diese Zahlen entstammen der Studie „Klimapfade für Deutschland“, die der Bundesverband der Deutschen Industrie in Auftrag gegeben hat, meine sehr verehrten Damen und Herren. Schauen Sie sich das einmal genau an! Der Verband steht eigentlich den Kolleginnen und Kollegen der CDU und der FDP näher. Dieser Verband schreibt Ihnen einiges ins Stammbuch. Wenn Sie schon nicht uns glauben, dann glauben Sie doch diesem Verband, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Trotz der damit verbundenen Kosten sieht die Studie die Energiewende vor allem als wirtschaftliche Chance. Der BDI sagt: Das ist eine wirtschaftliche Chance für die Volkswirtschaft in Deutschland. – Herr Kollege Dr. Neumann, das entspricht dem, was Sie vorhin über die Marktwirtschaft gesagt haben. Hören Sie also auf den BDI! Dieser sagt: Bei allen durchgerechneten Szenarien im Hinblick auf die Einhaltung der Klimaschutzziele wird für ein höheres Bruttoinlandsprodukt gesorgt. Das ist Wertschöpfung pur, Made in Germany. So werden wir die Energiewende schaffen. Lassen Sie sich das gesagt sein!
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An dieser Stelle haben wir ein paar Verschwörungstheorien der AfD. Aber, ehrlich gesagt, ist mir meine Energie zu schade, um mich mit Ihnen zu beschäftigen. Da habe ich keine Hoffnung, dass wir Sie noch überzeugen. Ich konzentriere mich auf die FDP und die CDU/CSU. Ehrlich gesagt, müssen wir unseren Koalitionspartner im Zusammenhang mit dem Koalitionsvertrag an die Vertragstreue erinnern. Kollege Lenz hat gerade den Minister zitiert, der von Liebe gesprochen hat. Mir würde schon reichen, wenn der Ehevertrag, der Koalitionsvertrag, eingehalten würde. Da steht klar und deutlich drin: Wir wollen Sonderausschreibungen für die Bereiche Photovoltaik und Windkraft. Das muss umgesetzt werden, und zwar zügig. Hier stehen Sie im Wort. Bitte seien Sie da vertragstreu, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU und der CSU!
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Sie reden netzentlastenden Maßnahmen ständig das Wort. Ja, auch wir sind dafür. Im Koalitionsvertrag steht aber auch etwas zur Südquote. Aber ich habe nichts gehört – auch nicht von dem Kollegen der CSU –, was Sie tun, damit Bayern unsere Ziele erreicht. Das wäre aus unserer Sicht sinnvoll. Auch Süddeutschland kann und muss etwas mehr tun im Bereich des Windkraftausbaus. Das größte Hemmnis ist die sogenannte 10H-Regelung, die Länderöffnungsklausel, die wir schon mal hatten. Die hat doch dazu geführt, dass Bayern die Karte gezogen hat und den maximalen Abstand zwischen Windkraftanlagen und Bebauung gewählt hat. Das hat dazu geführt, dass der Windkraftausbau in Bayern nahezu zum Erliegen gekommen ist. Jetzt fordern Sie, Herr Koeppen, das wieder zu machen und ein höheres Abstandsziel festzulegen.
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Da frage ich mich doch: Wie wollen wir unsere Klimaschutzziele und Ausbauziele von 65 Prozent bis 2030 erreichen? Sagen Sie mir, wie das gehen soll? Ich glaube, dass das eine Milchmädchenrechnung ist.
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Natürlich gibt es zahlreiche Studien, die belegen, dass es eben nicht so ist, dass ein höherer Abstand der Windkraft zur Bevölkerung zu mehr Akzeptanz führt. Ich sage Ihnen mal, was wirklich zu mehr Akzeptanz führt. Herr Koeppen, ich lade Sie als meinen Koalitionspartner gern zu mir in den Wahlkreis ein. Wie haben wir das in Kassel gemacht? Bei mir im Wahlkreis haben wir um die 40 Windkraftanlagen.
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– Kommen Sie mal zu mir, Herr Koeppen, und hören Sie jetzt vor allem mal zu! Dann können Sie noch was lernen. – Wir haben diese Anlagen gebaut zusammen mit den städtischen Werken, den Bürgerenergiegenossenschaften, den Kommunen sowie den Bürgerinnen und Bürgern. Wir haben sie einbezogen in die Planung und in die Finanzierung. Sie sind am Gewinn beteiligt. Das führt dazu, dass manche Gemeinden durch zusätzliche Einnahmen das letzte Kindergartenjahr beitragsfrei stellen können. Das ist Sozialpolitik, auch mit der Windkraft. Das führt zu Akzeptanz.
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Ich lebe in einer Wanderregion. Wir wandern sehr viel in Nordhessen. Tolle Landschaft! Kommen Sie mal vorbei! Was hat denn die Wanderschule in Nieste bei mir im Wahlkreis gemacht? Sie hat einen Energielehrpfad angelegt. Sie können mittlerweile durch die Söhre oder durch den Kaufunger Wald wandern und lernen, wie die Energiewende funktioniert und welchen Beitrag die Windkraft dazu leistet. Das führt zu mehr Akzeptanz.
Also: Das wären die richtigen Maßnahmen und nicht irgendwelche Länderöffnungsklauseln, die ein Instrument der Verhinderungsplanung sind. Wir wollen die Energiewende ermöglichen und sie nicht verhindern.
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Herr Koeppen, die Einladung steht. Bringen Sie gleich Herrn Dr. Neumann mit. Sie sind herzlich eingeladen, vorbeizukommen.
Lassen Sie uns konkret darüber diskutieren, wie wir die Energiewende beschleunigen können, anstatt hier solche Scheindebatten zu führen. Wir möchten hier endlich etwas tun. Wir möchten bei der KWK vorankommen; da besteht Handlungsbedarf. Wir wollen möglichst zeitnah die beihilflichen Vorgaben der EU-Kommission umsetzen. Sie stehen da auf der Bremse. Es tut mir leid, dass ich heute meinem Koalitionspartner sagen muss, dass er dort etwas bremst und dass aus dem 100-Tage-Erneuerbare-Energien-Gesetz nichts wird. Ich glaube, das ist klar, wenn man den Zeitplan sieht. Aber ich bin zuversichtlich – die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt –, dass wir wenigstens ein 200-Tage-Erneuerbare-Energien-Gesetz hinbekommen, wenn wir alle das bevorstehende Wochenende nutzen, um zu uns zu kommen, und uns dann auf das verständigen, was im Koalitionsvertrag steht. Wenn wir das konsequent und nachhaltig umsetzen, dann gelingt uns die Energiewende. Und dafür steht die SPD.
Vielen Dank und Glück auf!
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Mario Mieruch.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Skepsis gegenüber der Energiewende ist doch nicht undemokratisch. Wir haben hier gerade gehört, dass von demokratischer Energiewende bzw. demokratischer Bürgerenergie die Rede war. Das suggeriert ja sofort, dass jeder, der da an irgendeiner Stelle Einwände hat, per se undemokratisch sei.
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Das zieht die Diskussion auf ein Niveau, auf das sie eigentlich nicht gehört. Wenn wir das Ganze versachlichen wollen, sollten wir so was vielleicht unterlassen.
Woran hängt es denn jetzt aktuell? Wir haben gehört, dass es beim Netzausbau klemmt. Aber es gibt sicherlich noch drei weitere Ursachen, die ziemlich relevant sind: zum einen den Mangel an geeigneten Standorten, zum Zweiten zunehmenden Widerstand in der Bevölkerung, weil die Leute eben nicht diese Industrieanlagen in ihrer unmittelbaren Umgebung stehen haben wollen. Und ein dritter Punkt, der sehr wesentlich ist, ist die schlichte Unrentabilität für die Betreiber, wenn die Anlagen von alleine laufen sollen und eben nicht über Subventionen gefördert werden.
Wenn hier dargestellt wird, wie an manchen Stellen alle mit einbezogen werden und wie gut das funktioniert und dass die Energiewende den kleinen Bürgern zugutekommt, die ja, wenn sie in der Nähe von Braunkohleanlagen leben, so schwer benachteiligt sind, muss man sich doch fragen: Wer hält denn tatsächlich diese Genossenschaftsanteile? Das ist nicht Lieschen Müller, die vom Hartz-IV-Satz lebt, sondern das sind diejenigen, die es sich leisten können, sich solche Anteile zuzulegen, und die parallel dazu wahrscheinlich gerade einen frischen Holzofen, auch wieder subventioniert, installiert haben, mit dem sie neuen Feinstaub in die Atmosphäre blasen.
Wir können so viel Windenergieleistung ausschreiben, wie wir wollen: Wenn die Technik von alleine nicht wettbewerbsfähig ist, dann gibt es eben einfach keine neuen Investments. Das vorschreiben zu wollen, ist Planwirtschaft, und wir wissen, wo das Ganze endet.
Heute ist auch schon das ganze Thema „Rückbau, Recycling usw.“ angesprochen worden. Das ist ein Riesenthema, und dazu findet keine ehrliche Diskussion statt. Ein Blick in die USA zeigt das ganz deutlich: Da stehen quadratkilometergroße Windparks herum, in denen sich kein einziger Rotor dreht. Die gammeln da vor sich hin. Sie werden nicht mehr betrieben, weil sie unrentabel sind.
Über das Problem mit den Rotorblättern ist vorhin gelacht worden. Aber es ist tatsächlich so: Es gab erst unlängst einen Fall, dass ein Rotorblatt geborsten ist, und man hat die GFK-Splitter, die Glasfaserverbundwerkstoffsplitter, 800 Meter weit entfernt in den Feldern gefunden. Dort werden sie dann eben über die Ernte aufgenommen oder auf der Weide durch Vieh gefressen usw. Das ist nicht so richtig gesund, und da müssen wir einfach ehrlich sein.
Als Blaue Partei setzen wir uns dafür ein, dass diese ganzen Themen offen und sachorientiert besprochen werden; denn gegen eine Energiewende und saubere Energie kann eigentlich keiner was haben.
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Vielen Dank.
Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt der Kollege Carsten Müller für die CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte war bedauerlicherweise von einigen Aufgeregtheiten geprägt. Ich will ganz zu Beginn nur auf die Ausführungen des Kollegen der sogenannten Linkspartei eingehen.
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Es ist schon wirklich ein starkes Stück, dass ausgerechnet Sie hier einen solchen Ton anschlagen, wobei es Ihre Partei war – damals noch unter anderem Namen –, die die übelsten Atomgrotten und Braunkohlegrotten in diesem Land, mit denen wir heute noch schwer belastet sind, zu verantworten hat.
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Ehrlich gesagt, die Leute, die damals das Wort „Demokratie“ ausgesprochen haben, wurden von den Schergen Ihrer Vorgängerpartei eingesperrt. Also, das ist schon eine scharfe Nummer.
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– Das tut ein bisschen weh. Das müssen Sie aushalten.
Meine Damen und Herren, wir haben heute schon an anderer Stelle verschiedene wichtige Aspekte – das Thema Bürgerenergiegesellschaften behandeln wir Gott sei Dank jetzt – geregelt. Die Energiewende ist eben auch ein Prozess des dauernden Nachsteuerns. Es war tatsächlich nicht hinnehmbar, dass etwa 95 Prozent des Zuschlagvolumens insofern nicht realisiert werden kann, jedenfalls nicht kurzfristig realisiert wird, weil die entsprechenden Genehmigungen beim Zuschlag nicht als Voraussetzung angesagt waren. Das haben wir geändert; das ist wichtig. Das trägt zur Akzeptanz bei. Wir haben längere Realisierungsfristen bei den Vorhaben, die dazu führen können, dass womöglich erst nach 2020/2021 der Hauptteil der bezuschlagten Projekte realisiert wird. Das ist durchaus ein Problem; das haben wir jetzt leider nicht mehr lösen können. Wir müssen auch darauf achten, dass der Markt der Windenergiebranche nicht einbricht.
Gleichwohl müssen wir den Ausbau mit Augenmaß erfolgen lassen. Meine Damen und Herren, dazu haben wir eine Reihe von Maßnahmen ergriffen: Wir haben das Privileg der Genehmigungsfreiheit nunmehr bis zum „Geburtstermin“ 1. Juni 2020 ausgesetzt, wir haben die Bedingungen für Bürgerenergiegesellschaften intensiv beobachtet und werden das als Daueraufgabe weiterhin machen müssen, und wir werden Sonderausschreibungen auf den Weg bringen. Es ist kein Geheimnis, dass wir über das genaue Wann und das ganz exakte Wie im Moment intensiv zwischen den Koalitionspartnern sprechen, aber das Thema lohnt es. Wir sind – und das sei in die Richtung des Koalitionspartners gesagt – in jedem Fall vertragstreu, aber wir erwarten Selbiges auch von Ihnen.
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Ich werde dazu mehr ausführen.
Meine Damen und Herren, das Thema der Akzeptanz der Energiewende ist hier heute mehrfach angeführt worden. Es geht uns – das steht genau so im Koalitionsvertrag drin; und das ist eine sehr vernünftige Maßgabe – um die Aufnahmefähigkeit der Netze. Um die Aufnahmefähigkeit dauerhaft zu gewährleisten, geht es uns darum, dass wir vier Maßnahmen einleiten und beherzigen: Bei der Beschleunigung des Netzausbaus geht es uns erstens um die Novelle des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes. Wir müssen zweitens das nationale Planungs- und Genehmigungsrecht auf den Prüfstand stellen. Drittens geht es darum, auch auf EU-Ebene dafür einzustehen, dass es zu einer Reduzierung der Bürokratiebelastungen kommt. Viertens geht es um einen Maßnahmenplan zur Optimierung der Bestandsnetze.
Meine Damen und Herren, ich erspare Ihnen einige technische Details, will allerdings noch einen Punkt hervorheben: Es geht um das Thema Verträglichkeit, und zwar nicht nur um Netzverträglichkeit. Das ist eine wichtige Aufgabe. Ich will die Anträge beispielsweise von den Grünen nicht in Bausch und Bogen verurteilen. Da gibt es interessante Einzelaspekte; aber sie führen eben, so wie sie im Moment vorliegen, nicht dazu, dass der Ausbau tatsächlich verträglich passiert. Wir müssen dazu viel mehr machen.
Erstens. Die Netze müssen die installierte Leistung aufnehmen können. Installierte Leistung ist prima, aber sie nützt wenig, wenn sie nicht in Arbeit umgesetzt wird. Wenn es passiert, dass Leistung nur installiert und nicht in Arbeit umgesetzt wird, führt das zum Gegenteil von Akzeptanz. Deswegen müssen die Netze nachgeführt werden.
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Zum Zweiten geht es natürlich auch darum, Bürgerinnen und Bürger an Raumordnungsverfahren zu beteiligen. Es mag auch darum gehen, Bürgerinnen und Bürger, vielleicht auch Kommunen an den Gesellschaften zu beteiligen. Aber das ist längst nicht alles; es geht auch um die Frage der Wirtschaftlichkeit.
Ich will zum Abschluss zu einem letzten Punkt zurückkommen. Die Akzeptanz in der Öffentlichkeit macht sich sehr stark an der Frage fest, wie nah sich Windkraftanlagen an der Wohnbebauung befinden. Darüber kann man nicht so lax hinweggehen, wie es mein Vorredner der SPD-Fraktion gemacht hat. Ehrlich gesagt, Herr Gremmels – ich habe eben bei Jens Koeppen nachgefragt –: Mit der Zahl von 40 Windkraftanlagen beeindrucken Sie den Kollegen Koeppen nicht; das macht gerade mal 5 Prozent der Anlagen aus, die er in seinem Wahlkreis hat. Meine Damen und Herren, wir müssen da viel Überzeugungsarbeit leisten.
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– Ich komme zu Ihnen in den Wahlkreis. Wissen Sie, wen ich mitbringe? Ich bringe Ihnen den vormaligen Generalsekretär der SPD in Niedersachsen mit,
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der jetzt gerade mal zwei Monate aus dem Amt geschieden ist. Der vormalige Landtagsabgeordnete und Generalsekretär Tanke ließ sich vor zwei Jahren in der SPD-Postille seines Heimatorts auf der ersten Seite mit den Worten feiern: „Bei uns … KEINEN Windpark!“ Da müssen Sie also noch allerhand Überzeugungsarbeit auch im Kreise Ihrer eigenen Funktionäre leisten.
Das Schlimme dabei ist, dass das entsprechende Windparkprojekt von Herrn Tanke vereitelt worden ist. Die Befürchtung, dass es zu einem Geheimnisbruch kam, den er für eigennützige Zwecke ausgenutzt hat, steht im Raum und ist von ihm nicht widerlegt worden. Es ist Gegenstand umfangreicher Beratungen im Niedersächsischen Landtag.
Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns, wir machen das gemeinsam und vertragstreu, aber vor allen Dingen so, dass der Strom von den Netzen aufgenommen und dorthin transportiert werden kann, wohin er gehört, und das Ganze muss wirtschaftlich passieren.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/2108, 19/1006 und 19/2109 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Wenn Sie damit einverstanden sind – das ist der Fall –, dann ist die Überweisung so beschlossen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima hat der Deutsche Bundestag mit einer wirklich überwältigenden Mehrheit den Ausstieg aus der kommerziellen Nutzung der Atomenergie in Deutschland beschlossen. Diese Entscheidung war damals richtig, und sie ist es heute noch mehr. Wenn ich die Debatte des heutigen Tages verfolge, denke ich: Manches ist bei einigen noch nicht angekommen.
Noch Ende 2010 hatte die damalige schwarz-gelbe Koalition geglaubt, die Atomenergie sei als Brückentechnologie unverzichtbar. Mit Stimmen von CDU/CSU und FDP wurden Laufzeitverlängerungen von durchschnittlich zwölf Jahren beschlossen. Mit der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011 erschien die beschlossene Laufzeitverlängerung plötzlich in einem ganz anderen Licht. Für die Zukunft kann man sich nur wünschen, dass es künftig nicht mehr erst solche Unglücke und Katastrophen geben muss, um ein Umdenken zu erreichen.
Heute hat ein Kollege gesagt: Windräder sind tickende Zeitbomben. – Ich empfehle, mal nach Japan zu fahren und zu schauen, was eine echte tickende Zeitbombe ist,
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nach Fukushima zu gehen, wo es ein Sperrgebiet gibt, wo keine Menschen mehr leben können.
({1})
Das müssen Sie dann auch bei uns unseren deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürgern erklären, wenn Sie sich für so was hergeben.
({2})
Im Juli 2011 hat der Deutsche Bundestag daraufhin das Atomgesetz geändert mit dem Ziel, den Atomausstieg zu beschleunigen; die Laufzeitverlängerungen wurden zurückgenommen. Außerdem wurden die Laufzeiten der Atomkraftwerke zeitlich gestaffelt befristet. In breitem gesellschaftlichen Konsens konnte beschlossen werden, dass spätestens bis zum 31. Dezember 2022 die kommerzielle Nutzung der Atomenergie in Deutschland beendet wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich war wie viele von Ihnen auch damals dabei. Es bleibt für mich wirklich eine historische Stunde. Ich sehe Nina Scheer da sitzen; ich kann mich gut erinnern, wie ihr Vater damals noch im Oktober eine Kurzintervention gegen die Laufzeitverlängerungen gemacht hat. Er hat es leider nicht mehr erlebt, als wir das rückgängig gemacht haben.
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Dass für diese Entscheidung bis heute ein Konsens besteht, wird nach wie vor in allen Umfragen bestätigt.
Mehrere Energieversorgungsunternehmen haben gegen den beschleunigten Atomausstieg geklagt. Die Änderung des Atomgesetzes ist jedoch vom Bundesverfassungsgericht im Wesentlichen bestätigt worden. Nachbesserungsbedarf hat das Gericht lediglich in zwei Randbereichen gesehen. Zum einen war eine Ausgleichsregelung nötig für sogenannte frustrierte Investitionen der Energieversorgungsunternehmen. Das betrifft Investitionen im Zeitraum vom 28. Oktober 2010 bis zum 16. März 2011. Zum anderen war eine Ausgleichsregelung notwendig für überschüssige Strommengen von RWE und Vattenfall aus den Atomkraftwerken Brunsbüttel, Krümmel und Mülheim-Kärlich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung sorgt dafür, dass sich die Menschen in Deutschland auf den Atomausstieg verlassen können.
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Wir machen eine glaubwürdige Politik.
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– Zum Stichwort „Realsatire“ kann ich nur sagen: Für die AfD ist die Erde eine Scheibe.
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Die vom Bundesverfassungsgericht geforderten Nachbesserungen werden mit dem vorliegenden Gesetzentwurf umgesetzt. Das bedeutet, der beschleunigte Atomausstieg gilt. Jedes Atomkraftwerk behält sein gesetzlich vorgesehenes Abschaltdatum, und spätestens am 31. Dezember 2022 ist Schluss mit der Atomenergienutzung in Deutschland.
Verlässlichkeit ist ein hohes Gut in der Politik. Beim Atomausstieg haben wir seit 2011 diese Verlässlichkeit, und dabei bleibt es auch mit dem vorliegenden Gesetzentwurf.
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Ich werbe hier für die Unterstützung.
Herzlichen Dank.
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Für die AfD-Fraktion hat der Kollege Dr. Rainer Kraft das Wort.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren – zumindest die, die noch da sind!
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Wir beraten heute über zwei Anträge, die lediglich gemein haben, dass sie sich mit Kernenergie beschäftigen: einen Antrag der Großen Koalition zur Änderung des Atomgesetzes sowie einen Antrag der Fraktion Die Linke zur zwangsweisen Schließung zweier Fabriken in Deutschland. Weit ist es gekommen mit der Arbeiter-und-Bauern-Partei, wenn sie den Werktätigen ihre Arbeit wegnehmen will.
Aber kommen wir zunächst zum Antrag der kleinsten Großen Koalition aller Zeiten. Die Regierung Merkel hat – wir haben es weitestgehend schon gehört – im Jahr 2011, nur fünf Monate, nachdem den Betreibern von Kernkraftwerken eine Laufzeitverlängerung von durchschnittlich zwölf Jahren zugesichert worden war –, den unverzüglichen Ausstieg aus der Kernenergie angekündigt. Das Motiv seinerzeit war klar: Der CDU drohte bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg eine herbe Niederlage. Der angekündigte Atomausstieg war unter dem Eindruck der Fukushima-Hysterie nichts anderes als eine ökopopulistische Wahlkampfhilfe für die Landes-CDU im Südwesten.
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Dennoch wurde diese Landes-CDU von einem grünen Tsunami weggefegt.
Nach der angekündigten Laufzeitverlängerung haben die Kernkraftwerksbetreiber neue Investitionen getätigt – wir haben es gehört –, um die zugesagten Mengen an Strom auch erzeugen zu können, Strom im Übrigen, der nicht nur dann und wann fließt – wie es Mutter Natur gerade beliebt –, sondern in den Mengen und in den Gebieten, in denen er von den Verbrauchern gerade benötigt wird. Das ist Versorgungssicherheit.
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– Damit habe ich kein Problem.
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Für die nach dem Atomausstieg wertlos gewordenen Investitionen sind die betreffenden Energieversorger nun nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu entschädigen. Entschädigungsfähig sind dabei die nachgewiesenen Investitionen in diesem Zeitraum sowie die am 31. Dezember 2022 noch nicht verstromten Kontingente. Bezahlen soll für diese Akte der Regierungswillkür damals – und es war eine schwarz-gelbe Regierung – wieder einmal der Steuerzahler. Als Gegenleistung wird er nichts erhalten außer weiterhin steigende Strompreise, sinkende Versorgungssicherheit und seit neuestem auch die Aussicht, dank sogenannter smarter Technologien bald zum gläsernen Stromkunden zu werden, inklusive einer externen Abschaltmöglichkeit seiner Geräte.
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Für die Opfer des Merkel’schen Kernkraft-Pingpongs von 2011 ist die Sache allerdings nicht gar so einfach, wie sie sich darstellt. Die Investitionen müssen lückenlos nachweisbar sein; und da wünschen wir den Leuten nach über acht Jahren Streit viel Glück. Die Reststrommengen müssen dann auch erst einmal den noch tätigen Kernkraftwerksbetreibern wie sauer Bier angeboten und müssen auf diese übertragen werden, auch wenn sie nicht dem vollen Wertersatz entsprechen und sofern es lediglich ökonomisch zumutbar ist, sie zu überschreiben. Zudem werden die dann noch übrigen Reststrommengen mit einem Preis am Spotmarkt entschädigt, also an einem Markt, der diese Bezeichnung eigentlich nicht mehr verdient, weil er durch die planwirtschaftlichen Eingriffe vollkommen vor die Wand gefahren ist und sogar regelmäßig negative Preise erzielt.
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Genau die Konzerne also, die über Dekaden das Rückgrat der Stromversorgung in unserem Land gestellt haben und am wirtschaftlichen Aufstieg maßgeblich beteiligt waren, dürfen sich nun zum Schaden auch noch den Spott abholen.
Viel besser wäre es für die Steuerzahler, Verbraucher und Stromkunden, wenn statt auf komplizierte und unzureichende Entschädigungsverklausulierungen darauf gedrängt werden würde, dass die Reststrommengen einfach erzeugt und vermarktet, statt nutzenfrei durch öffentliche Mittel abgegolten werden. Machen Sie Zusagen, dass jede einzelne Kilowattstunde, die einmal im Namen der Regierung versprochen worden ist, erzeugt, vermarktet und verbraucht werden kann! So würde Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit in einem sogenannten Rechtsstaat ausschauen.
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Schlussendlich werden wir dann im Jahre 2023, wenn die ersten der sogenannten Erneuerbare-Energien-Anlagen längst aus der Umlage gefallen sind und als Industriebrachen in den Wäldern herumstehen, jede Kilowattstunde bitter nötig haben.
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Zum Abschluss noch zu Ihrem Antrag, Kollegen der Linken: Sie begründen Ihren Antrag unter anderem hochrangig mit dem Schutz des menschlichen Lebens und der menschlichen Gesundheit. Das ist sehr gut. Das begrüße ich; das ist vorbildlich.
Maria Ladenburger, Mia Valentin und Susanna Feldmann, die im Alter von 19, 15 und 14 Jahren von illegalen Einwanderern ermordet wurden, würden heute noch leben, wenn Sie bei der von Ihnen gestützten Politik der illegalen Massenimmigration
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auch einmal an das menschliche Leben und die menschliche Gesundheit dieser deutschen Opfer gedacht hätten.
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Machen Sie endlich Politik für die Bürger unseres Landes, für das deutsche Volk, und hören Sie auf, uns hier mit unsinnigen Anträgen zu langweilen!
Vielen Dank.
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Der Kollege Karsten Möring hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine Angst! Wenn auf der Anzeigetafel „13 Minuten“ steht, liegt das nur daran, dass von der Union nicht noch ein Redner kommt. Wir machen das also nicht allzu lang.
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Ich will mich angesichts der fortgeschrittenen Zeit und des nahen Wochenendes auf ein paar Punkte konzentrieren und nicht alles wiederholen, was sachlich eben schon zur Vorgeschichte gesagt worden ist.
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Vielleicht nur eines, liebe Frau Schwarzelühr-Sutter, zum Rückblick. Man sollte eins nicht übersehen: Die Wende in der Atompolitik, die wir alle getragen haben, ist auch ein Beleg dafür, wie schnell die Politik auf völlig veränderte Rahmenbedingungen reagieren kann.
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Man sollte einfach auch mal zur Kenntnis nehmen, dass es sinnvoll und notwendig ist, so etwas hin und wieder zu tun. Dabei geht es nicht darum, dass man in Deutschland keinen Tsunami zu befürchten hat, sondern dabei geht es darum, wie die Akzeptanz in der Bevölkerung bzw. die Befürchtungen bei der Bevölkerung gegenüber bestimmten Formen der Energieversorgung sind.
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Darauf reagieren wir. Wenn die AfD das populistisch nennt, dann kriege ich einen stillen Lachanfall.
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Jetzt aber zu den Punkten, die wir in diesem Gesetz geregelt haben. Dass die betroffenen Unternehmen das nicht hinnehmen, dazu sind sie im Interesse ihrer Eigentümer verpflichtet. Deswegen haben sie geklagt. Im Bundesverfassungsgerichtsurteil wurde festgestellt, dass das Gesetz im Grundsatz verfassungskonform ist, und hat zur Frage der Entschädigung gefordert: „angemessen“, und gesagt: Es muss nicht um einen vollen Wertausgleich gehen. – Das sind Kriterien, die sich deutlich unterscheiden von einer Enteignung von Rechten und Ähnlichem. Das Gesetz, das wir machen, geht auf dieses Urteil sehr genau und zielgerichtet ein.
In der Praxis ist es nun einmal so, dass von den Belasteten Vattenfall am stärksten belastet ist. Die Sorge, die nicht verstrombaren Reste ökonomisch nicht mehr verwerten zu können, weil es praktisch nur einen Abnehmer, nämlich EON, gibt, ist nachvollziehbar. Aber es ist eine Frage der Verhandlungen. Im Gesetzentwurf steht, dass sie sich bemühen müssen, sie zu vertretbaren Rahmenbedingungen zu vermarkten. Das finde ich auch in Ordnung. Da muss man auch ein Stück Vertrauen in unsere Behörden haben, die im Nachhinein, ex post, feststellen, ob dieses Bemühen ausgereicht hat. Ich gehe einmal davon aus, dass es sich dabei nicht um eine Prüfung handeln wird, die zu willkürlichen Ergebnissen kommt, zumal diese ja auch noch juristisch überprüfbar wäre, wenn man sich darüber streitet. Also, ich denke mal, die Sorge ist nicht berechtigt, dass es hier zu unangemessenen Ausgleichszahlungen kommt.
Was die sogenannten frustrierten Investitionen angeht: Selbst die Beteiligten gehen davon aus, dass angesichts des kurzen Zeitraums, um den es dabei geht, Kosten für frustrierte Investitionen wohl nicht anfallen werden. Der Nachweis, dass darauf ein Anspruch besteht, ist wahrscheinlich sehr schwer zu führen. Zumindest dürfte es sich nicht um nennenswerte Beträge handeln. Also reden wir im Wesentlichen über die Frage: Was ist zu entschädigen für die nicht mehr verstrombaren Mengen?
Wenn das Bemühen erfolgreich war, bleibt trotzdem – nach allen Kalkulationen, die wir haben – ein Rest übrig. Die 86 Terawattstunden, die insgesamt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Raum stehen, werden nicht vollständig übertragen werden können. Das ist keine Frage; es bleibt also ein Rest. Aber es wäre auch fatal und nicht hinnehmbar, würde man einfach sagen: „Okay, verzichtet darauf mal“; denn es handelt sich hier ja auch um einen volkswirtschaftlichen Wert, den wir nutzen sollten, wenn es denn möglich ist.
Über eine Forderung, die auch in der Diskussion ist – das Thema ist heute von Schleswig-Holstein im Bundesrat auf den Weg gebracht worden –, nämlich Übertragungen in Bereiche, wo Netzausbaugebiete betroffen sind, nicht zuzulassen, wird im Nachhinein noch einmal zu reden sein.
Das sind die Dinge, die wir machen.
Dann bleibt ein letzter Aspekt, nämlich die Frage: Was passiert mit dem Investitionsschutzverfahren vor dem internationalen Schiedsgericht, das Vattenfall angestrebt hat? Das Achmea-Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das im Prinzip besagt, bei Streitigkeiten innerhalb der EU ist ausschließlich EU-Recht anzuwenden und der EuGH agiert als letzte Instanz, würde in der Konsequenz bedeuten, dass das internationale Schiedsgericht nicht mehr zuständig ist. Damit regelt nur dieses Atomgesetz, was wir in dieser Form jetzt auf den Weg bringen, abschließend, wie die Entschädigungen durchzuführen sind.
Nun können wir natürlich nicht vorhersehen, wie das Schiedsgericht diese Sache aufnehmen wird. Die Tatsache, dass es sein Urteil bisher noch nicht gesprochen hat, zeigt zumindest, dass dort Bedenken bestehen. Allerdings ist das juristisch wahrscheinlich etwas schwierig; denn das Ganze geht zurück auf die Klimaakte. Davon sind Länder und Unternehmen betroffen, die außerhalb der EU liegen. Also das werden die Juristen klären müssen.
Sei es, wie es will: Sollte das Schiedsgericht zu anderen Ergebnissen kommen als unsere Bewertung hier, haben wir in unserem Atomgesetz eine Vorsorge getroffen. Dann würden nämlich die Leistungen, die wir erbringen, anzurechnen sein. Da nach dieser Regelung erst im Jahr 2023 feststeht, wie viel gezahlt werden muss, und auch dann erst gezahlt wird, wird uns das mögliche Urteil des Schiedsgerichts vorher vorliegen, und wir können entsprechend darauf reagieren. Das ist, wenn man so will, das Sicherheitsnetz, das wir in das Gesetz mit eingebaut haben.
Abschließend will ich sagen, dass wir mit diesem Gesetz das Urteil des Bundesverfassungsgerichts richtig umsetzen, und zwar so umsetzen, dass der Staat nicht mehr als notwendig zahlt; das ist nämlich der entscheidende Punkt dabei. Wir haben nicht das Interesse der Unternehmen zu vertreten, sondern das Interesse des Steuerzahlers. Außerdem machen wir es so, dass die Laufzeiten der Kraftwerke nicht individuell verlängert werden. Das ist auch eine Frage des Vertrauensschutzes. Nachdem wir die Länge der Laufzeiten und die Reststrommengen dieser sechs Kraftwerke, die jetzt noch laufen, und der drei Kraftwerke, die von diesem Verfahren betroffen sind, festgelegt haben, ist auch das sinnvoll. Damit finden wir den bestmöglichen Weg, um aus dieser Situation herauszukommen.
Sagen wir mal so: Das, was wir hier bezahlen werden, sind die Nebenkosten des Atomausstiegs. Den haben wir hier mit breiter Mehrheit getragen. Auch die Konsequenzen sollten wir mit breiter Mehrheit tragen. Das fällt der Opposition vielleicht schwerer als den Koalitionsfraktionen. Wir sollten das jedoch tun.
Weil ich jetzt das Wesentliche gesagt habe und wir in der zweiten und dritten Beratung noch mal darüber sprechen werden, mache ich dieser Runde jetzt ein Geschenk: Ich schenke uns 5 Minuten, 42 Sekunden fürs Wochenende.
Herzlichen Dank fürs Zuhören. Alles Gute.
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Vielen Dank, Herr Kollege Möring, für das Einhalten Ihres Versprechens. Die Kollegen sind dankbar, dass ihr Wochenende dadurch länger wird. – Die nächste Rednerin ist die Kollegin Judith Skudelny von der FDP.
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Sie müssen jetzt aber nicht länger reden.
Herr Kollege Möring, vielen Dank dafür, dass Sie gezeigt haben, wie man hier im Haus fraktionsübergreifenden Applaus bekommt.
Wir sprechen heute – darüber haben Sie als Erster und Einziger, wie ich gehört habe, gesprochen – über die Umsetzung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts, das sich mit dem Atomausstieg aus dem Jahre 2011 beschäftigt. Auch das haben Sie richtig gesagt: Das Urteil besagt, dass der Ausstieg im Wesentlichen verfassungskonform war. Es gibt lediglich zwei Punkte, die der Gesetzgeber regeln muss, die wir heute auch besprechen sollten.
Das betrifft einmal die frustrierten Investitionen. Ich gebe Ihnen vollkommen recht: Der Zeitraum, für den dort entschädigt werden muss, ist vergleichsweise kurz. Die Regelungen im Gesetz sind insoweit in Ordnung. Deswegen ist das ein kleiner Bereich.
Der größere Bereich betrifft die Reststrommengen, die aus dem Jahr 2002 noch vorhanden sind, die bis zum endgültigen Kernenergieausstieg im Jahre 2022 nicht mehr von den Unternehmen genutzt werden können. Es ist da natürlich nur recht und billig, dass hier, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, eine Entschädigung stattfinden muss. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht drei Wege aufgezeigt, die wir dazu nutzen können, um eine entsprechende Ausgleichsregelung zu treffen.
Der erste Weg ist der, die Laufzeiten einfach wieder zu verlängern. Dazu sagt die FDP-Fraktion: Nein, wir haben eine breite Mehrheit nicht nur im Haus, sondern auch in der Gesellschaft. Der Ausstieg 2022 bleibt bestehen.
Die zweite Möglichkeit ist die Sicherstellung der angemessenen Übertragungsmöglichkeiten. Dazu wurde schon viel Richtiges gesagt. Es gibt mehr Reststrommengen, als wir überhaupt nutzen dürfen, und es gibt wenige Menschen, die diese Reststrommengen abnehmen können. Das heißt, es gibt hier keinen echten Markt.
Die dritte Möglichkeit ist, die Entschädigungen für diese Reststrommengen aus Steuergeldern zu zahlen.
Das Gesetz sieht ein gestaffeltes Vorgehen vor. Erst mal müssen die Betreiber versuchen, eine angemessene Vergütung auf dem freien Markt zu erlangen. Schaffen sie das nicht, springt der Steuerzahler ein, und die entsprechende Entschädigung wird aus Staatsgeldern gezahlt. Das ist im Grundsatz richtig. Wir brauchen teilweise die Reststrommengen, um das Stromsystem in Deutschland zu stabilisieren. Die Übertragung der Reststrommengen führt dazu, dass der Steuerzahler entlastet wird. Deswegen ist der Gedanke, das hintereinander zu schalten, durchaus nachvollziehbar und korrekt.
Die Frage ist nur: Wie machen wir das so, dass das auch verfassungskonform erfolgt? Dahinter steht für unsere Fraktion ein kleineres, vielleicht sogar ein größeres Fragezeichen. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, es muss verfassungsgemäß angemessen vergütet werden. Das Gesetz sagt aber überhaupt nichts darüber, was eigentlich angemessen ist. Deswegen besteht hier ein großes Risiko, dass weitere Gerichtsverfahren folgen können.
Es gibt noch zwei, drei andere Punkte, über die wir im Laufe des Verfahrens reden müssen. Dazu wird es eine Expertenanhörung geben. Dabei geht es nicht um die Ziele des Gesetzes – da stimmen wir vollkommen überein –, sondern um die technische Umsetzung und die Frage: Wie machen wir das, was wir hier vorhaben, eigentlich rechtssicher?
Einen Punkt möchte ich noch erwähnen, der mir in dem Gesetz tatsächlich vollumfänglich fehlt, und zwar die Überlegung, dass eine rechtlich und wirtschaftlich so komplexe Materie eigentlich am besten in Verhandlungen mit den Beteiligten geregelt werden könnte. Die Idee dahinter ist – das wurde schon vielfach in der Öffentlichkeit bzw. in diesem Hause praktiziert –, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit den Betreibergesellschaften, mit den weiteren Beteiligten zu schließen, um so schnell, rechtssicher und einvernehmlich den Atomausstieg 2022 zu finalisieren. Diese Möglichkeit muss jedoch im Gesetzestext miteinbezogen werden. Deswegen meine Bitte an die Große Koalition, die ja hier der wesentliche Entscheidungsträger ist: Überlegen Sie, ob Sie diesen Teil noch mit reinnehmen können. Vielleicht gelangen wir so schneller, günstiger und intelligenter zu einer guten Lösung für uns alle.
Danke.
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Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege Hubertus Zdebel.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Dass jetzt der Bundestag eine Entschädigung von bis zu 1 Milliarde Euro für RWE und Vattenfall im Atomgesetz gesetzlich regeln muss, ist juristisch Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2016.
Aber warum – daran muss meines Erachtens nach immer wieder erinnert werden – ist es überhaupt zu diesem Urteil gekommen? Weil die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung 2010 den Atomausstieg zurückgenommen und gleichzeitig bei der Einführung der Brennelementesteuer massiv geschlampt hat und diesen Dilettantismus wenige Monate später beim Atommoratorium 2011 nach dem Super-GAU in Fukushima wiederholte. Dabei wurden Schadensersatzrisiken bewusst ignoriert, und das, obwohl schon damals nahezu alle Tageszeitungen über die rechtlichen Risiken der Stilllegungen berichtet hatten.
Bevor in dieser Frage Nebelkerzen geworfen werden, lesen Sie dazu noch mal den abweichenden Bericht der Fraktionen von SPD und Linken zum Biblis-Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag – das liest sich wie ein Krimi –, dann kommen Sie dahinter, was damals tatsächlich passiert ist. Anstatt heute nur Krokodilstränen über juristische Sachzwänge zu vergießen, sollte dieser Zusammenhang nicht vergessen werden.
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Es ist nämlich in der Tat eine bittere Pille, dass Unternehmen für den Atomirrsinn der Vorvorgängerregierung aus CDU/CSU und FDP entschädigt werden müssen und die Steuerzahler dafür letztlich die Zeche zahlen.
Ich möchte anerkennen – jetzt komme ich zu dem vorliegenden Gesetzentwurf –, dass die Fraktionen von CDU/CSU und SPD bei der Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nun immerhin der Versuchung widerstehen, die Atomkonzerne mit Laufzeitverlängerungen zu entschädigen. Ich weiß, dass das auch in der Diskussion war und dass das in der Koalition lange strittig war. Ich finde es erst mal richtig, eben nicht auf die Laufzeitverlängerung zu setzen, sondern einen anderen Weg zu gehen.
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Das erkenne ich für unsere Fraktion ausdrücklich an.
Es bleiben aber natürlich noch einige andere Fragen offen, nicht nur die, die Frau Skudelny gerade aufgeworfen hat, sondern es geht auch um andere Regelungen im Gesetzentwurf, wo meines Erachtens zumindest die Chance bestünde, den Atomausstieg zu beschleunigen und so die Risiken eines Super-GAUs zu minimieren und den anfallenden Atommüll zu reduzieren.
Zum Beispiel geht es um die Übertragung von Strommengen auf Atommeiler in den Netzausbaugebieten für Brokdorf und Emsland. Sie hätten diese untersagen können; denn in diesen Gebieten blockieren die AKWs weiterhin die erneuerbaren Energien. Die Stromkunden müssen dafür letztlich die Rechnung zahlen.
Wenn die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler erneut 1 Milliarde Euro an die Konzerne RWE und Vattenfall zahlen sollen, dann wäre es für Stromkundinnen und Stromkunden allemal gerecht, wenn künftig wenigstens die Ausgleichszahlungen für abgeschaltete Windanlagen entfallen. Das könnte man zum Beispiel regeln, und ich finde es relativ logisch, darüber auch noch mal bei der Anhörung nächste Woche zu diskutieren. Möglicherweise gibt es da ja Ihrerseits noch Bewegungsspielraum.
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Anträge, die diskutiert werden, gibt es ja auch schon im Bundesrat. Ich denke, es wäre eine spannende Diskussion, in der man möglicherweise noch den einen oder anderen Weg finden könnte für das, was jetzt notwendigerweise geregelt werden muss.
Gleiches gilt – das habe ich diese Woche schon in der Fragestunde angesprochen – für die Neuregelung der Brennelementesteuer; denn diese wird leider nicht erneut ins Auge gefasst. Ich finde es eigentlich ernüchternd, dass auch die SPD, die sich ja in der Vergangenheit auch immer für die verfassungskonforme Einführung der Brennelementesteuer ausgesprochen hat, das bisher nicht ins Auge fasst und diese Sache hier so durchlaufen lässt. Es wird immer gefährlicher. Das gilt gerade für die letzten Jahre, in denen die Atomkraftwerke am Netz sind. Ich denke, auch da wäre es nötig, die Konzerne – notfalls auch mit einer steuerlichen und gesetzlichen Regelung – in die Verantwortung zu nehmen, damit nichts passiert.
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Zu guter Letzt: Ich glaube, wir haben noch eine ganze Reihe Fragen zu diskutieren. Ich freue mich auf die Auseinandersetzung mit den Sachverständigen in der Anhörung und auf die weiteren Beratungen im Ausschuss.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Die nächste Rednerin ist die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Umweltministerin Schulze bezeichnete das Urteil im Umweltausschuss ein unerfreuliches Urteil. Ich musste ihr da ein bisschen widersprechen; denn angesichts der Dimension der Klagen der Konzerne war das Urteil am Ende tatsächlich erfreulich. Woran es lag, dass die Klagen überhaupt möglich waren, ist hier schon ein paarmal erwähnt worden: schwarz-gelbe Bundesregierung 2010/2011.
Die Optionen, die das Bundesverfassungsgericht in den Raum gestellt hat, hat Frau Skudelny benannt. Das Bundesumweltministerium hat sich für die Option drei entschieden und gesagt: Unsere Leitlinie ist ein möglichst schneller Atomausstieg. Das heißt: keine Strommengenübertragung, sondern finanzielle Entschädigung. Das haben wir Grüne für völlig richtig gehalten.
Der Gesetzentwurf sagt nun allerdings: Strommengen werden entschädigt, wenn sie „trotz ernsthaften Bemühens nicht auf ein anderes Kraftwerk übertragen werden konnten“. – Angesichts dieses Textes, Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter, müssen Sie mir die Leitlinie „möglichst schneller Atomausstieg“ vielleicht noch einmal erklären.
Zusätzlich steht der geplante Geschäftsfeldtausch von EON und RWE an. Kurz gesagt: EON bekommt die Netze von RWE; RWE bekommt Kohle- und Atomkraftwerke von EON. EON ist das Unternehmen mit der Strommengenlücke. RWE ist das Unternehmen mit dem gigantischen Strommengenüberschuss. Ohne Brennelementesteuer lohnt sich der Betrieb von Atomkraftwerken durchaus wieder. Das heißt, RWE wird sich vermutlich dafür entscheiden, auf Entschädigungen zu verzichten, und die Strommengen vollständig auf die von EON an RWE übergegangenen Kraftwerke übertragen. Diese Kraftwerke werden dann vermutlich bis zum letzten möglichen Tag am Netz sein. Das heißt, es braucht die Wiedereinführung der Brennelementesteuer, um genau das zu verhindern.
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Ihre Sorge, Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter, dass das Bundesumweltministerium überlastet sein könnte, wenn es sich auch noch um die Brennelementesteuer kümmern müsste, kann man Ihnen nehmen; denn für die Brennelementesteuer ist ja nicht das Ministerium, in dem Sie Staatssekretärin sind, zuständig, sondern das Finanzministerium. Es braucht also einen Appell an den Partei- und Kabinettskollegen Olaf Scholz und einen Anstoß, damit das im Kabinett mehrheitsfähig wird.
Die Brennelementesteuer hilft auch dem Netzausbaugebiet. Der Atomstrom von Brokdorf und Emsland verstopft die Netze. Wir finden, dass die 16. AtG-Novelle – der Bundesrat hat ja eine entsprechende Forderung beschlossen – genau der richtige Ort wäre, um das zu regeln. Auch der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein möchte das durchaus. Von der Union kommt ja immer ein bisschen Widerstand. Heute habe ich von Ihnen nichts Derartiges gehört, Herr Möring, sondern vielmehr Offenheit für die Idee, die Strommengenübertragung zu beenden. Machen Sie das. Das ist sinnvoll in Sachen Energiewende und auch in Sachen schnellstmöglicher Atomausstieg.
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Die Sorge, die ich immer wieder aus Kreisen der Bundesregierung höre, man könnte den Atomkonzernen oder den Energiekonzernen das Leben vielleicht doch ein bisschen zu schwer machen, ist, glaube ich, inzwischen doch ziemlich übertrieben. Wenn wir uns zum Beispiel die Trittbrettfahrerei von EON anschauen – EON spekuliert darauf, im Zuge der Klage von Vattenfall in Washington vor ICSID selbst rund 2 Milliarden Euro zu erhalten; insgesamt werden ja 5,7 Milliarden Euro gefordert –, dann zeigt uns das ziemlich deutlich, dass angesichts der Klage gegen die Brennelementesteuer, die den Konzernen 7,3 Milliarden Euro einbringt, Nachsicht hier nicht angebracht ist. Übrigens: Obwohl der Bundestag im Rahmen des KFK-Gesetzes gefordert hatte, dass die Konzerne alle atomrelevanten Klagen zurückziehen, ist das nicht passiert. Wir sind eventuell mit ziemlich massiven Zahlungen konfrontiert, falls die Klage in Washington doch Erfolg hat.
Ich würde sagen, das alles lässt nur den Schluss zu: Der Kampf der Konzerne gegen die Politik des Bundes ist noch lange nicht zu Ende. Passen Sie von der Koalition und von der Bundesregierung auf, dass Sie in diesem Kampf auf der richtigen Seite stehen. Beenden Sie die Strommengenübertragung auf Brokdorf und Emsland in der 16. AtG-Novelle. Führen Sie die Brennelementesteuer wieder ein. Dann kann das was werden.
Vielen Dank.
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Die Kollegin Nina Scheer ist für die SPD-Fraktion die letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir sollten noch einmal ganz kurz bei der Frage ansetzen, warum die Regelung, mit der wir uns heute beschäftigen, erforderlich wurde. Es ist in der Tat das heute auch schon benannte Wiedereinstiegsszenario in die Atomenergienutzung mit anschließendem Wiederausstiegsszenario.
Auch wenn der Ausstieg von Frau Skudelny hier heute schon als ein richtiger Weg benannt wurde, habe ich leider aus Ihren Reihen auch vernehmen müssen, dass man nicht so richtig davon überzeugt ist, dass man sich von der Atomenergie verabschieden sollte. Ich möchte das an dieser Stelle nur noch einmal aufgreifen, weil wir da möglicherweise noch Klärungsbedarf haben. Wir sollten das hier im Haus schnellstens klären. Es ist ein Faktum, dass bei der jahrzehntelangen Nutzung der Atomenergie immer sträflich vernachlässigt wurde, die tatsächlichen volkswirtschaftlichen Kosten einzupreisen. Das sage ich auch in Richtung AfD.
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Sie verleugnen einfach die massiven volkswirtschaftlichen Kosten, die durch verschiedenste Studien – zuletzt noch einmal vom FÖS wiederholt – auf 10 Cent extra pro Kilowattstunde beziffert werden. Das heißt: Mit allen externen Kosten, die bei der Stromproduktion mit fossilen und atomaren Energieträgern entstehen, kämen noch einmal 33 Prozent auf den Preis pro Kilowattstunde obendrauf, den wir als Stromkunden ohnehin schon zu zahlen haben. Deshalb ist es einfach falsch, wenn immer wieder behauptet wird, dass Atom- und Kohlestrom bzw. fossile Energieträger insgesamt billiger wären. Es ist einfach falsch, das den Menschen immer wieder zu erklären.
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Zurück zu der Frage, die wir heute hier zu klären haben. Es geht in der Tat um die Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, was die hier schon benannten Ausgleichsmöglichkeiten angeht. Es ist schon genannt worden: Es geht darum, unter den gegebenen Möglichkeiten eine auszuwählen. Ich denke, es ist richtig, dass mit dem vorliegenden Entwurf die Option gewählt wurde, dass man hier an einen angemessenen finanziellen Ausgleich denkt und nicht eine Laufzeitverlängerung in Betracht zieht. Das ist, glaube ich, auch Konsens, und es ist richtig, dass der Entwurf das so vorsieht.
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In der Tat hat der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts die Handschrift dieses Entwurfs bestimmt. Insofern kann man diesem Entwurf nicht ankreiden, dass er darüber Hinausgehendes nicht enthält. Aber wir Parlamentarier können sehr wohl in den jetzt anstehenden Beratungen, auch wenn wir bis zum 30. Juni nur wenig Zeit haben, überlegen, ob man nicht doch Ergänzungen hineinbringen könnte. Die müssen natürlich verfassungsgemäß sein. Es muss verfassungsfest sein. Man muss das in der verbleibenden Zeit prüfen können.
Aber wir müssen auch überlegen, ob wir nicht Zielkonflikte haben. Wir haben nämlich das Bestreben, die erneuerbaren Energien auszubauen. Wir haben heute schon sogenannte Netzausbaugebiete, in denen es zur Abregelung von Windenergie kommt, weil unterstellt wird, dass wir zu wenige Netze haben. Man kann das natürlich auch durch mehr Speicher auffangen. Aber de facto haben wir zurzeit diese Reglementierung. Wenn wir zugleich sehenden Auges Reststromübertragungen von Atomstrom in diese sogenannten Netzausbaugebiete/Netzengpassgebiete zulassen, dann lassen wir auch zu, dass dort noch mehr Abregelungen stattfinden könnten und so möglicherweise noch mehr Redispatch-Kosten für die Stromkunden anfallen. Genau an dem Punkt haben wir Prüfungsbedarf und müssen schauen, ob wir die Stromkunden entlasten können,
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indem wir tatsächlich diese Übertragung von Reststrommengen überdenken.
Letzter Punkt – ich bin schon ein paar Sekunden über meiner Redezeit –: Brennelementesteuer. An uns, der SPD-Fraktion, soll es nicht liegen. Es mag jetzt nicht im Koalitionsvertrag stehen, aber an uns soll es nicht liegen, diese Gerechtigkeitslücke zu schließen, die darin besteht, dass man heute keine Besteuerung von solch schädlichen Stoffen hat. Es wäre ein marktwirtschaftliches Instrument, die anfallenden externen Kosten tatsächlich einzupreisen. An uns soll es nicht liegen. An dieser Stelle mache ich einen Punkt, weil ich über der Zeit bin.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/2508 und 19/2520 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der übergriffige Haushalt Brüssels setzt sich im Wesentlichen aus drei Teilen zusammen.
Erstens: traditionelle Eigenmittel. Sie stehen schon in den Römischen Verträgen von 1958, als man sich noch auf Handels- und Agrarfragen beschränkte und die ersten Dauersubventionen schuf. Das Geld dafür kam aus den abgetretenen Zöllen und Zuckerabgaben. Diese machen noch circa 10 Prozent des heutigen EU-Haushalts aus.
Zweitens: ein Mehrwertsteueranteil, der uns seit 1970 abgepresst wird. Damals hatte man sich den Haushalt sozusagen mal eben verdoppelt. Auch heute sind das noch gut 10 Prozent des EU-Haushalts.
Drittens: die Bruttonationaleinkommenseigenmittel, die 1988 dazu kamen. Die sind seither der quantitativ dickste Klops mit an die 75 bis 80 Prozent des gegenwärtigen Haushalts. Der Deal war, dass dominant diese Mitgliedsbeiträge auf Basis des Bruttonationaleinkommens als Finanzquelle herhalten sollten und dass damit weitere eigene EU-Steuern definitiv vom Tisch sein sollten. Die werden uns heute nun wieder frisch aufgetischt. Dass diese Frechheit nicht empört von allen deutschen Parteien zurückgewiesen wird, darf niemanden wundern; denn außer der AfD sind alle für die regelmäßig vielversprechende und regelmäßig fast nichts davon einhaltende Ausgabenausweitung Brüssels.
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Dass die EU die alten Aufgaben schon schlecht oder gar nicht erfüllte, stört offenbar keinen.
Jetzt soll ausgerechnet ein Wegdelegieren nationaler Aufgaben das Versagen zu Hause überdecken. Es soll gemeinsam geregelt werden, was diverse Mitgliedstaaten schon bei sich zu Hause nicht hinkriegen wollen oder können. Aber Grenzschutz und Rechts- und Sozialstaat werden entweder national garantiert oder gar nicht.
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Frontex und all die anderen Nichtgrenzschutzpapiertiger sind im Grunde alles Sicherheitsjobs, die von NATO-Armeeteilen oder von nationalen Polizeien erledigt werden sollten und nicht von EU-Frontex, das ohnehin eher als internationalisierte Schlepperorganisation agiert.
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All das sind die alten unerledigten Aufgaben einer angeblich effizienten EU. Und merke: All das wird teils als offizielle Brexit-Begründung geäußert. Der Wahnsinnslogik,
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dass weniger Mitglieder im Pippi-Langstrumpf-Europa dann höhere Beiträge für den Rest bedeuten müssten, kommt man mit den Grundrechenarten allein freilich nicht auf die Schliche. Und die deutsche Nichtverhandlungsstrategie beim MFR bedeutet eben, dass man schon vorab den Geldbeutel öffnet, wenn einem nur neue Versprechen gemacht und neue Einhörner verkauft werden. Das nennt man dann nebulös „europäischen Mehrwert“.
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– Ja, darüber kann man lachen und beherzt aufs deutsche Steuergeld zugreifen.
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Aber trotz Pippi Langstrumpf hat das schwedische Parlament hier Nein gesagt, übrigens auch Dänemark, die Niederlande und Österreich. Nur in Deutschland verkauft das Triumvirat Merkel, Scholz und Oettinger innerhalb weniger Monate eine Kostensteigerung für die deutsche Staatskasse von 4 Milliarden Euro auf 12 Milliarden Euro – Zusatzmilliarden wohlgemerkt! – per annum als die ganz große Strategie, und das alles für noch mehr heiße Luft aus, in und für Brüssel.
Welchem Wahlvolk verkaufen Sie das eigentlich? Vermutlich dem Wahlvolk, dem vor Wahlen immer mal wieder ein Leckerli vor die Nase gehalten wird. Welchem sonst?
Diesen Mittwoch hörten wir im EU-Ausschuss vom MFR-Sonderbeauftragten des Auswärtigen Amtes, Herrn Ossowski, dass man zumindest den Mehrwertsteueranteil gerne ganz streichen würde. Warum macht man das eigentlich nicht? Mit Leisetreterei wird es wohl kaum klappen. Stattdessen kommt man jetzt mit eigenen EU-Steuern daher, hübsch verpackt in die zeitgeistige Dauerrhetorik von Plastik und Umweltrettung.
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Hören Sie auf mit Ihrer Plastik- und Luftpolitik! Setzen Sie einfach sinnvolle rechtliche und ökonomische Rahmenbedingungen für Produktion, Konsum und Recycling. Das reicht völlig aus. Dazu braucht man keine fiskalische Geldschneiderei, kein weiteres Aufblasen von Institutionen, die vorher schon nicht funktionierten. Aber genau das ist ja die Hidden Agenda
({7})
bei all dem Weltrettungsgetöse, wo sich ein potenziell starker Nationalstaat wie Deutschland auf den Rücken legt wie eine verrückte Schildkröte, die ausgerechnet von ihren Fressfeinden erwartet, dass diese sie wieder auf die eigenen Füße stellen.
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Diese Art von Multilateralismus ist nichts als eine Ausrede und eine perfide Flucht vor der Eigenverantwortung, vor der Verantwortung gegenüber den Bürgern und Wählern und damit gegenüber dem eigenen Staatsvolk.
Ich danke diesem Staatsvolk.
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Der nächste Redner ist der Kollege Uwe Feiler, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute über den Antrag einer Fraktion, die dafür bekannt ist, gerne Ängste zu schüren und Halbwahrheiten zu verbreiten.
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Diese Angst findet sich auch im vorliegenden Antrag an vielen Stellen wieder.
Sie haben zum Beispiel Angst, dass der künftige mehrjährige Finanzrahmen der Europäischen Union dazu führt, dass die Zustimmung bzw. die Akzeptanz gegenüber der EU sinkt; ein Ziel, das Sie, wie man eben hören konnte, durchaus verfolgen. Sie haben auch Angst, dass die Gelder nicht im Sinne der Bürgerinnen und Bürger eingesetzt werden. Sie haben Angst, dass beim Agrarbudget und bei den Kohäsionsfonds nicht genügend gekürzt wird. Meine Damen und Herren, Angst ist kein guter Ratgeber, und gute Politiker wirken Ängsten entgegen.
Ich kann Sie beruhigen: Die Wirklichkeit ist eine andere. Die Zustimmung zur EU steigt von Jahr zu Jahr. Bei einer Abstimmung über die EU-Mitgliedschaft Deutschlands würden laut neuester Umfrage aus dem Mai dieses Jahres 70 Prozent der jungen Menschen für die Europäische Union votieren. Nur 12 Prozent lehnen die EU gänzlich ab.
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Es geht also darum, diese hohe Zustimmung auch bei allen anderen Altersgruppen weiter auszubauen und den europäischen Gedanken zu stärken.
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Meine Damen und Herren, die größten Kostenblöcke sind tatsächlich die Bereiche Agrar und Kohäsion. Im aktuellen Vorschlag der EU-Kommission ist hier bereits eine Kürzung von 5 bis 7 Prozent vorgesehen. Beide Punkte sollen künftig nur noch 60 Prozent des künftigen Etats ausmachen. Weitergehende Kürzungen halte ich im Sinne Deutschlands auch für schwer vermittelbar. Die bereits geplanten Kürzungen haben Auswirkungen auf die bestehenden Agrarunternehmen in unserem Land. Manche bezweifeln bei den Direktzahlungen an unsere Landwirte einen europäischen Mehrwert. Nach ihm soll sich der EU-Haushalt ja künftig ausrichten.
Für mich liegen qualitativ hochwertige Agrarprodukte, eine sichere Versorgung der Bevölkerung und dadurch auch ein gestärkter ländlicher Raum im Interesse der Europäischen Union, ja im Interesse Deutschlands. Jeder Abgeordnete eines ländlich geprägten Wahlkreises wird Ihnen das bestätigen können. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass dieser Abgeordnete außerhalb der Sitzungswochen auch in seinem Wahlkreis unterwegs ist und mit den Menschen seines Wahlkreises redet.
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Meine Damen und Herren, ein Punkt, der uns als Unionsfraktion immer wichtig war, ist eine weitere Möglichkeit der Förderung aller Regionen. Erfreulicherweise ist dies im Vorschlag der EU-Kommission auch so verankert. Ohne die europäischen Struktur- und Investitionsfonds sähe es gerade in Ostdeutschland ganz anders aus. Die Erfolge kann man nicht nur bei uns sehen. Die neuen EU-Staaten haben sich wirtschaftlich sehr erfreulich entwickelt. Das muss auch weiterhin möglich sein.
Neben den Reformen des bestehenden Systems werden auch immer weitere neue Aufgaben Richtung EU hinzukommen. Sicherheit ist für viele Menschen das Thema Nummer eins. Da kann ich den geplanten Ausbau des europäischen Grenz- und Küstenschutzes nur befürworten. Unsere EU-Küsten, meine Damen und Herren, haben eine Länge von knapp 65 000 Kilometern, und die Landgrenze misst circa 13 000 Kilometer. Obwohl wir also viel mehr zu schützen haben als beispielsweise die USA, geben wir nur einen Bruchteil für diesen Schutz aus. Trotz der nun geplanten 3,5 Milliarden Euro jährlich für diese notwendigen Maßnahmen liegen wir immer noch weiter unter den Ausgaben der USA. Auch dieser Posten hat einen wichtigen europäischen Mehrwert; er dient letztlich der Sicherheit aller Menschen in der EU und ist nationalstaatlich nicht zu lösen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben ein gut funktionierendes Eigenmittelsystem. Neue Aufgaben kommen hinzu, und wir kürzen wesentlich an anderer Stelle. Neue EU-Steuern sind derzeit nicht nötig und schwer vermittelbar.
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Im Hinblick auf eine gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage und eine EU-weite Finanztransaktionsteuer, wie sie Wolfgang Schäuble vorgeschlagen hat, sollten wir aber weiter gesprächsbereit bleiben. Das angebliche Entreißen deutscher Haushaltssouveränität, wie es in Ihrem Antrag so schön beschrieben ist, ist aus meiner Sicht reine Panikmache, entspricht nicht der Realität und ist Teil kruder Verschwörungstheorien.
Deutschland muss und wird an dieser Stelle zu seiner finanziellen Verantwortung für Europa stehen. Ich persönlich halte 1 Prozent des Steueraufkommens des Bundes – im Übrigen ganz ohne Angst – für gerechtfertigt, um ein sicheres und soziales Europa in Frieden, Freiheit und Wohlstand zu gewährleisten.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Der nächste Redner ist der Kollege Gerald Ullrich von der FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Heute Morgen leistete sich die AfD einen moralischen Fauxpas; wir waren alle dabei.
({0})
Nun erfolgte der inhaltliche Fauxpas.
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Der Finanzrahmen der EU besteht aus Dutzenden von Rechtsakten und aus Tausenden von Seiten. Die Antwort der AfD darauf sind diese zwölf Zeilen, die hier geschrieben stehen.
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Das ist alles, was die AfD zum Mehrjährigen Finanzrahmen zu sagen hat.
({3})
Die AfD betitelt ihren Antrag mit „Sparsamkeit“. Tatsächlich versucht die AfD aber einzig und allein, ihre ideologische, europafeindliche und nationalistische Agenda voranzutreiben.
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Der AfD-Antrag fordert – Zitat –:
Neue Aufgaben der EU, die weitere Kosten verursachen, dürfen nur dann aufgenommen werden, wenn diese Kosten durch Umverteilung an anderer Stelle des EU-Haushalts eingespart wurden.
({5})
Die AfD ignoriert absichtlich, dass Deutschland in höchstem Maße davon profitiert, dass Aufgaben von der EU ausgeführt werden, die Deutschland alleine nicht oder nur schlecht oder nur teurer selbst ausführen könnte.
({6})
Das nennt man europäischen Mehrwert.
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Werte AfD-Kollegen, finden Sie es denn nicht wirklich besser, sich zum Beispiel mit Frankreich auf einem Gipfeltreffen über die Agrarsubventionen als auf dem Schlachtfeld über Elsass-Lothringen zu streiten, wie das früher war?
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Der erste Mehrwert der EU ist also der Frieden.
Der zweite Mehrwert der EU ist das Wirtschaftswachstum. Laut einer Studie ist das Bruttoinlandsprodukt der EU dank des Binnenmarktes heute um 2 Prozent höher, als es das sonst gewesen wäre.
({9})
Diese 2 Prozent sind ungefähr das Doppelte des EU-Haushalts.
Entschuldigen Sie, Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung von Herrn Weyel?
Das kann gerne am Schluss gesammelt gemacht werden.
Gut, also nicht.
Der dritte Mehrwert der EU sind die Exportchancen für die deutsche Wirtschaft, die von Ihnen offensichtlich völlig verkannt werden.
({0})
Der vierte Mehrwert der EU ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit, von der wir alle profitieren.
Der fünfte Mehrwert der EU sind die Möglichkeiten deutscher Studenten, dank Erasmus an europäischen Universitäten – auch Eliteuniversitäten – zu studieren.
Der sechste Mehrwert der EU ist das außenpolitische Gewicht, das bei einer Gemeinschaft von 27 Nationen wesentlich größer als das von Deutschland alleine ist. Vergessen Sie das bitte nicht.
Der siebte Mehrwert der EU ist der EU-Verbraucherschutz, von dem wir alle, die wir hier sitzen, und alle dort draußen deutlich profitieren.
Der achte Mehrwert der EU ist die Zeitersparnis beim Überqueren von Binnengrenzen ohne Schlagbaum dank Schengen.
Werte AfD, wer immer eine Mauer baut, wird immer hinter und niemals vor dieser Mauer leben.
({1})
Glauben Sie mir: Wer hinter der Mauer lebt, verliert immer an Freiheit. Das kann ich Ihnen aus meiner Historie bestätigen.
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Der neunte Mehrwert der EU ist die Ersparnis von Verwaltungskosten in den Fällen, in denen die EU mit einem einzigen Rechtsakt die Arbeit von 28 Mitgliedstaaten übernimmt.
({3})
Diese Liste könnte ich immer weiterführen.
({4})
Die AfD behauptet, die EU-Steuern entreißen dem Bundestag die Haushaltssouveränität. Das ist völliger Quatsch. Sowohl der MFR der EU als auch der Eigenmittelbeschluss der EU bedürfen der Zustimmung des Bundestages. Daran ändert sich nichts.
Gerne möchte ich die AfD auch noch auf die inhaltlichen Schwächen ihres Antrages aufmerksam machen:
({5})
Es geht nicht um den Finanzrahmen ab 2020, sondern ab 2021.
({6})
– Das steht darin. – Es geht nicht um das Bruttonationalprodukt, sondern um das Bruttonationaleinkommen. Bei Gelegenheit können wir gerne mal über den Unterschied diskutieren.
({7})
Die jährliche Erhöhung um 2 Prozent, die buchhalterisch berücksichtigt ist, ist der Inflationsausgleich, und wir alle dürfen nicht damit rechnen, dass wir nach 2021 auch noch eine Nullzinspolitik haben.
Herr Ullrich, kommen Sie bitte zum Ende.
({0})
Die Freien Demokraten fordern deshalb, den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen strikt am Erbringen von europäischem Mehrwert auszurichten. Dagegen hat die GroKo im Koalitionsvertrag blind höhere Zahlungen Deutschlands versprochen und so leider auch die Verhandlungsposition von Deutschland geschwächt. Das war ein Fehler.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Gerald Ullrich. – Das Wort zu einer Kurzintervention – ich betone: „kurz“ – hat Harald Weyel.
({0})
Herr Ullrich, vor ein paar Wochen haben wir bei dem ehemaligen italienischen Botschafter so schön miteinander geredet, und ich dachte: Mensch, der Herr Ullrich ist ein Mann der Tatsachen und nicht der Verdrehung von Tatsachen. Jetzt haben Sie mich eines Besseren belehrt.
({0})
Zur Aussage, dass die EU ein Friedensprojekt ist: Können Sie sich mit der Erkenntnis anfreunden, dass es sich hier um einen Anachronismus handeln könnte? Über Krieg und Frieden in Europa wurde nämlich nach 1945 bestimmt nicht in Bonn und nach 1990 bestimmt nicht in Berlin und eigentlich auch noch nicht mal in Paris oder London entschieden – und in Brüssel schon gar nicht. Über Krieg und Frieden nicht nur in Europa, sondern weltweit, wurde in Moskau und Washington verhandelt oder eben nicht verhandelt.
({1})
Das Friedensprojekt in Europa hat sein wahres Gesicht gezeigt, als die Interessen auf dem Balkan 1990 in einer Konstellation zusammenprallten, wie es eigentlich sonst ab 1914 der Fall war.
({2})
Auch der italienische Berufspolitiker, dessen Namen ich vergessen habe, merkte das damals an.
({3})
Wenn Sie sich meine 9,5 Thesen zur EU, die ich der Öffentlichkeit 2017, also im Lutherjahr, vermacht habe, zu Gemüte führen, dann stellt sich die Frage: Wer tut der EU und dem europäischen Projekt einen größeren Gefallen? Diejenigen, die mit falschen Versprechungen und mit viel Geld den Charakter verderben und die Ehrlichkeit mit Füßen treten, die die jungen Leute anfüttern, damit sie ins Ausland gehen – Stichwort „Erasmus“ mit etwa 300 Euro monatlich für ein Jahr, was ein zusätzlicher Anreiz und für viele vielleicht der Hauptanreiz ist? Das sind einfach ein Anachronismus und ein falsches Denken.
({4})
Sind nicht vielmehr die Menschen die Freunde Europas, die Europa und Deutschland und ihr Verhältnis zueinander ehrlich machen wollen, die für vernünftige Investitionen, für ein vernünftiges Import-Export-Verhältnis und einen vernünftigen Kultur- und Wissenschaftsaustausch stehen?
So. Kommen Sie jetzt bitte zum Ende. Die zwei Minuten sind um.
Ich bitte darum, zu bedenken, –
Das waren zwei Minuten. Ich habe hier eine Uhr.
– dass sie die größeren Europafreunde sein können als diejenigen, die mit falschen Versprechungen locken.
({0})
So. Jetzt Herr Ullrich. Auch Sie haben maximal zwei Minuten Redezeit.
Es freut mich außerordentlich, dass meine Ausführungen Sie zu so einer aufgeregten Stellungnahme angeregt haben. Das zeigt, wie sehr Sie getroffen sind. Das freut mich.
({0})
Zu dem Thema Krieg und Frieden kann ich Ihnen nur sagen: Seit ich lebe, hatten wir keinen Krieg mehr auf deutschem Boden und auch nicht in Europa. Wir haben seit 70 Jahren keinen Krieg mehr in Europa gehabt.
({1})
Ich weiß nicht, wo Sie die ganzen Jahre waren; keine Ahnung.
Ich finde, wir leben in sehr friedlichen Zeiten. Das schreibe ich ganz besonders der Tatsache zu, dass wir ein starkes Europa haben.
({2})
Wenn es nach mir und meiner Fraktion geht, möchten wir dieses starke Europa als Friedensnation weiterhin erhalten.
Danke schön.
Vielen Dank, Herr Ullrich. – Nächster Redner: Markus Töns für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Weyel, Sie haben schon eine ziemlich krude ideologische Sicht von der Welt, dem Frieden und den Beziehungen Deutschlands in Europa, gerade zu unseren Freunden in Frankreich. Das ist schon sehr merkwürdig; das muss ich Ihnen an dieser Stelle mal sagen.
({0})
Vielleicht noch einmal für die AfD zur Klarstellung, weil das in Ihrem Antrag etwas undurchsichtig ist. Wir sprechen hier über den mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027. Die von Ihnen erwähnte Monti-Gruppe wurde auch nicht erst nach der Entscheidung für den Brexit gegründet. Diese Gruppe wurde 2014 gegründet, um neue Eigenmittel für die EU zu finden, damit die Institutionen auf europäischer Ebene unabhängiger von den Zahlungen der Mitgliedstaaten werden. Ich empfehle Ihnen, den Bericht genau zu lesen. Dann wird Ihnen deutlich, dass Eigenmittel nicht mit irgendwelchen EU-Steuern gleichzusetzen sind. Auch das ist eine falsche Behauptung.
Wir als SPD-Fraktion haben unlängst klargestellt, dass eine Fiskalkapazität auf EU-Ebene jeweils aus mitgliedstaatlich verwalteten neuen Finanzierungsquellen gespeist werden sollte. Ihr Vorwurf, dass die Budgethoheit der Parlamente verletzt wird, ist also völlig verfehlt.
Dann tun Sie in Ihrem Antrag so, als würden uns Kürzungen im Agrarbudget nicht treffen und als könne man Kürzungen im Bereich des EU-Strukturfonds auf den Kohäsionsfonds beschränken. Beides ist realitätsfremd. Ich empfehle Ihnen: Sprechen Sie mal mit Ihren Bürgermeistern, Landwirten oder innovativen Unternehmen vor Ort. Diese werden Ihnen ganz genau berichten können: Die deutschen Landwirte erhalten zwischen 2014 und 2020 5 Milliarden Euro Direktzahlungen. Dieses Geld wollen also Sie von der AfD den deutschen Landwirten streitig machen?
({1})
Interessante These. – Wir können ja gerne darüber streiten, ob man dieses Geld nicht lieber nach einem anderen Schlüssel verteilen sollte.
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Die SPD hat sich dafür ausgesprochen, weniger Direktzahlungen vorzunehmen und stattdessen die Leistungen der Landwirte stärker zu fördern.
Ein anderes Beispiel aus anderen Fonds, dem für regionale Entwicklung und dem Sozialfonds. Aus ihnen bezieht Deutschland weitere 20 Milliarden Euro. Dieses Geld bekommen nicht wir hier im Bundestag, sondern die Menschen vor Ort, die Gemeinden für die Stadterneuerung, die vielen kleinen Träger für ihre Programme zur Förderung von Arbeit und Integration.
Es mag ja sein, dass die AfD auf dieses Geld verzichten kann.
({3})
Die Menschen in Deutschland können es nicht.
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Und dann kommen Sie mir noch damit, dass neue Aufgaben besser von den Mitgliedstaaten gelöst werden können.
({5})
Meine Damen und Herren, ich will zur Klarstellung kurz etwas vorausschicken: Die traditionellen Aufgabenbereiche der EU sind erstens Agrarpolitik, zweitens Kohäsionspolitik, drittens Forschungspolitik und viertens Bildung und Jugend. Es gibt neue Prioritäten; das sind Migration, Grenzmanagement und Sicherheit, Außenbeziehungen und Verteidigung. Und das wollen Sie rein nationalstaatlich lösen?
Schauen wir uns doch einmal die neuen Aufgaben der Außengrenzsicherung an. Ich habe es für Sie einmal zusammengerechnet. Vielleicht verstehen Sie es dann.
({6})
Wenn alle Mitgliedstaaten ihre eigenen Grenzen selber schützen wollen, dann müssen sie circa 32 000 Kilometer Grenze schützen. Da sind die Küstengrenzen noch nicht einmal mit eingerechnet. Wenn wir die gemeinsame europäische Außengrenze schützen wollen, sind das nur 14 000 Kilometer.
({7})
Das ist noch nicht einmal die Hälfte, meine Damen und Herren. Es liegt doch auf der Hand, wenn man ein bisschen rechnen kann – damit sollten Sie einmal anfangen –, dass man solche Aufgaben in der EU gemeinsam macht.
Oder ein anderes Beispiel: Sie schreiben in Ihrer Antragsbegründung – ich zitiere –: „Der Kohäsionsfonds trägt wenig zum Zusammenhalt Europas bei.“ Meine Damen und Herren, wie doof ist das denn?
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Gerade die Kohäsionsmittel sind eine Erfolgsgeschichte auf europäischer Ebene.
({9})
Fragen Sie doch einmal den Ausschuss der Regionen! Vielleicht kennen Sie ihn gar nicht.
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Die Vertreter der Regionen Europas können Ihnen sehr dezidiert erklären, dass das Geld sehr wohl bei den Menschen vor Ort ankommt. Da spüren die Menschen den Mehrwert Europas sehr deutlich.
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Alleine meine Region, das Ruhrgebiet, und meine Heimatstadt Gelsenkirchen sind ein Beweis dafür. Das Ruhrgebiet ist weltweit die Region, die den Strukturwandel erfolgreich meistert. Ohne Mittel aus dem Kohäsionsfonds wäre dies nie gelungen. Ich glaube, Sie haben schlichtweg nichts verstanden.
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Meine Damen und Herren, wir sollten uns vielleicht noch einmal die Größe des vorgeschlagenen Budgets vor Augen führen. Die Kommission schlägt Ausgaben in Höhe von 1 135 Milliarden Euro für sieben Jahre vor. Das sind etwa 162 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist sicherlich viel Geld, aber noch nicht einmal die Hälfte der Ausgaben des deutschen Bundeshaushaltes 2017. Er umfasste 329 Milliarden Euro.
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162 Milliarden Euro für 27 Mitgliedsländer und gut 500 Millionen Bürger: Wenn wir da immer weiter kürzen, erreichen wir irgendwann niemanden mehr.
Meine Damen und Herren, ich fasse gerne noch einmal für Sie zusammen: Wenn Sie auf der EU-Ebene kürzen, kommt bei den Menschen nichts mehr an. Nicht jedes Mal, wenn Sie eine Aufgabe selber machen, ist das günstiger für uns. Deshalb bin ich froh, dass nicht Sie in Brüssel verhandeln, sondern das Auswärtige Amt.
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Für uns ist wichtig – und das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart –, dass die EU auch nach dem Ausscheiden Großbritanniens handlungsfähig bleibt. Dafür sind wir dann auch bereit, im nächsten Finanzrahmen mehr für die Finanzierung zur Verfügung zu stellen.
Das gibt es keinesfalls ohne Bedingungen. Die Bundesregierung hat gefordert, dass weiterhin alle Regionen in Europa förderfähig bleiben, dass die Strukturfonds auch für Deutschland erhalten bleiben. Nur wenn alle Regionen einen Mehrwert haben, wird Europa vor Ort erfahrbar bleiben.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. – Aber vielleicht ist genau das Ihr Ziel: Europa zu schwächen. Sie streuen Europa Sand in die Augen.
({0})
Damit schaden Sie der Europäischen Union und damit auch Deutschland. Sie haben die Interessen Deutschlands definitiv nicht im Sinn.
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Ich will das zum Abschluss noch sagen.
Nein, bitte kommen Sie jetzt zum Schluss.
Mein letzter Satz, Frau Präsidentin. – Zukünftig darf es in einer Debatte über Eigenmittel für die Europäische Union keine Denkverbote und auch kein Tabu geben.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Töns. – Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, sich an die Redezeiten zu halten, sonst werde ich ein bisschen rigoroser.
Thomas Lutze ist der Nächste für die Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich gibt es viele Gründe zur Kritik am EU-Haushalt und den entsprechenden Vorschlägen der Kommission. Als Erstes wäre hier ein Hauptproblem zu nennen: die schwache demokratische Kontrolle.
Die wichtigste Reform wäre daher eine echte Stärkung des Parlaments durch Initiativrecht mit echten Kontrollmöglichkeiten gegenüber der EU-Kommission und vor allen Dingen durch eine vollumfängliche Haushaltskontrolle. Solange das nicht gewährleistet ist, ist das Thema Eigenmittel zumindest sehr schwierig.
Nichtsdestotrotz ist unbestreitbar, dass die EU gerade vor großen Herausforderungen steht, deren Bewältigung nicht ohne entsprechende Finanzmittel zu haben ist. Ohne öffentliche Investitionen der EU wird sich die Währungsunion nicht stabilisieren lassen. Ohne finanzielle Unterstützung werden strukturschwache Regionen nur weiter abgehängt. Ohne Investitionen in erneuerbare Energien lässt sich kein Beitrag für den Klimaschutz leisten, und ohne ein EU-Budget ist auch kein gemeinsamer Grenzschutz möglich, verehrte Kolleginnen und Kollegen der sogenannten AfD. Angesichts dieser und anderer Herausforderungen und der Lücke, die der Brexit im Haushalt hinterlässt, ist es vollkommen unvernünftig, sich einfach pauschal gegen zusätzliche EU-Mittel auszusprechen, weil man gegen Europa ist und meint, dass Deutschland allein alles viel besser kann.
Ihr Nettozahlerdiskurs ist doch vollkommener Humbug. Bei den Agrarmitteln können Sie noch ausrechnen, wer etwas einzahlt und wer etwas herausbekommt. Aber bei den gemeinsamen Ausgaben wie zum Beispiel beim Grenzschutz, bei Forschungsinvestitionen oder in der Entwicklungshilfe lässt sich das überhaupt nicht mehr abgrenzen. Außerdem wird da nie berücksichtigt, dass kaum eine andere Volkswirtschaft wie die deutsche so sehr vom EU-Binnenmarkt profitiert. Im Übrigen sind die vorgeschlagenen EU-Steuern nicht nur sinnvoll, weil die EU-Politik finanziert werden muss, immer unter der Voraussetzung, dass die Mittelverwendung anständig demokratisch kontrolliert wird. Sie sind auch von der Art her sinnvoll. Während wir in Deutschland jede Menge Steuern erheben, bei denen man sich fragen muss, ob die noch sein müssen – zum Beispiel gibt es nach wie vor eine Salzsteuer und eine Tanzsteuer –, zeichnen sich die Vorschläge zu EU-Steuern durch eine sinnvolle Lenkungswirkung aus. Im Zentrum der Debatte steht gerade die Plastiksteuer. EU-Kritik hin oder her, Gott sei Dank tut sich jetzt endlich etwas auf diesem Gebiet. Die Recyclingquote liegt gerade einmal bei 9 Prozent. Eine UN-Untersuchung hat gezeigt, dass wir nach dem aktuellen Trend 2050 mehr Plastik als Fische in den Meeren haben. Glauben Sie, dass wir das mit nationalen Alleingängen in den Griff bekommen? Wohl kaum!
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Auch andere Vorschläge für EU-Steuern sind nach ihrer Art sinnvoll und im nationalen Rahmen schwer umzusetzen, beispielsweise eine Digitalsteuer, durch die auch transnationale Onlineunternehmen ihren Beitrag zur Finanzierung des öffentlichen Lebens leisten sollen. Weiter zu nennen wäre die Harmonisierung der Körperschaftsteuer, damit große Unternehmen Staaten nicht gegeneinander ausspielen können. Oder: Die gute, alte Finanztransaktionsteuer sollte wieder auf den Tisch,
({1})
vor allen Dingen wenn mit Großbritannien der größte Blockierer raus ist. Die Besteuerung spekulativer Finanzmarktgeschäfte muss in der EU vorangetrieben werden. Auch bei der Bekämpfung von Steuerflucht und Steuerhinterziehung müssen wir endlich mehr auf europäischer Ebene machen. Die kleine, konsequenzlose Steueroasenliste der Kommission ist doch ein Witz. Wir dulden sogar Steueroasen in der EU. Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass Steuerflucht entschieden und europäisch koordiniert bekämpft wird. Steuerflüchtlinge sind mit Abstand die teuersten Flüchtlinge in unserer Gesellschaft.
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Fazit: Wir brauchen ausreichende Mittel auf EU-Ebene. Wir brauchen einheitliche Steuern mit einer funktionierenden Lenkungswirkung. Und wir brauchen ein EU-Parlament mit echten und demokratischen Kontrollfunktionen.
Glück auf!
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Vielen Dank, Herr Kollege Lutze. – Nächste Rednerin: Dr. Franziska Brantner für Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die AfD hat drei kurze Punkte hingeschmiert.
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Dafür gibt es drei Erklärungen. Der erste Punkt ist: Sie sind gegen EU-Steuern mit der Begründung, diese unterliefen das nationale Budgetrecht. Zur Sachlage: EU-Steuern – korrekterweise EU-Eigenmittel – können nur im Rahmen des Eigenmittelbeschlusses der EU eingeführt werden. Dieser muss nach dem Beschluss im Rat von uns hier im Bundestag ratifiziert werden. Deshalb ist die Aussage zur Aushöhlung der Budgethoheit des Bundestages nicht richtig.
({1})
Wir müssen da der Bundesregierung auch nichts vorschreiben; denn wir entscheiden darüber am Ende selber. Also, Ihr erster Punkt ist hinfällig bei Kenntnis der Sachlage.
Zweitens. Sie wollen die Brexit-Lücke nicht schließen, sondern beim Kohäsionsfonds kürzen. Herr Weyel, ich habe mal geschaut, wo Ihr Wahlkreis ist: Rheinisch-Bergischer Kreis. Ich habe übrigens festgestellt, dass Sie kein Wahlkreisbüro haben. Also, dieser Kreis bekommt in dieser Förderperiode fast 5 Millionen Euro aus diesem Fonds. Der Ehrlichkeit halber – Herr Weyel, jetzt hören Sie zu – sollten Sie mal bei der Caritas vorbeigehen und Ihren Wunsch verkünden, dass Sie ihnen die Gelder wegnehmen möchten, genauso wie dem Rheinisch-Bergischen TechnologieZentrum. Diesen Mut müssten Sie haben.
({2})
Sie bitten außerdem die Bundesregierung, dafür Sorge zu tragen, dass die Mittel auf festgelegte Ziele hin evaluiert werden. Das passiert längst: Haushaltskontrollausschuss, Europäischer Rechnungshof, OLAF – das ist die europäische Antibetrugsbehörde –, Europäisches Semester; bald kommt die Europäische Staatsanwaltschaft. Auch hier: Bei Kenntnis der Sachlage hinfällig.
({3})
Apropos Europäische Staatsanwaltschaft: Sie haben in der Begründung Ihres Antrags Ihre Forderung nach Kürzung der Mittel mit möglicher Korruption begründet. Die EU hat jetzt eine eigene Staatsanwaltschaft gegründet, deren zentrale Aufgabe die Bekämpfung von Korruption bei der EU-Geldervergabe ist. Interessant ist dabei, dass Ihre Freunde Orban und Kaczynski dabei nicht mitmachen. Die wollen sich nämlich nicht in ihre korrupten Taschen schauen lassen.
({4})
Wir haben da die klare Forderung: Wer bei der EU-Staatsanwaltschaft nicht mitmacht, der soll auch keine EU-Gelder verwalten dürfen.
({5})
Drittens: Noch mal Ihr Leitthema „Mir gäbet nix“ in der Variante „Neue Aufgaben dürfen nur aufgenommen werden, wenn diese Kosten durch Umverteilung an anderer Stelle eingespart wurden“. Sie sagen nicht, welche neuen Aufgaben Sie wollen, und vor allem sagen Sie nicht, wo gekürzt werden soll. Wissen Sie, das ist einfach unseriös. Das ist einfach nur populistisch.
({6})
Wir Grünen sind offen für einen effizienteren Einsatz der Gelder; aber man kann nicht einfach wegdiskutieren, dass sich der Anspruch an die EU auch geändert hat. Da sind wir bei dem grundsätzlichen Dissens: Die Idee, dass man mit weniger Geld mehr bewältigen kann, ist einfach absurd. Für uns Grüne ist da ganz klar: Gemeinschaftliche Aufgaben gehören gemeinsam finanziert, weil wir auch gemeinsam davon profitieren.
({7})
Dazu gehören für uns Klimaschutz, gemeinsame Eisenbahnnetze, Digitalisierung, gemeinsame Außenpolitik, europäische Grenzkontrolle, Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Das ist eine lange Latte. Da haben wir viel gemeinsam zu tun und gemeinsam zu erreichen.
({8})
Weil Sie hier so tun, als ob das unglaubliche Summen wären, ein Vergleich: Der EU-Haushalt entspricht dem Haushalt von Belgien und gilt für 27 Mitgliedstaaten.
Abschließend noch mal ganz klar, warum wir das wollen: Das Verkriechen im Nationalstaat ist in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung zum Scheitern verurteilt. Souveränität gibt es nur europäisch, und das ist uns sehr viel wert.
({9})
Vielen Dank, Franziska Brantner. – Jetzt begrüße ich ganz besonders im Namen des Hauses – oder vieler in diesem Haus – Dr. Christoph Ploß, der gleich seine erste Rede halten wird.
({0})
Herzlichen Dank, für die freundliche Begrüßung. – Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Für die CDU/CSU-Fraktion ist vollkommen klar, dass ein geeintes und starkes Europa im Interesse Deutschlands liegt. Unser Land ist auf eine handlungsfähige Europäische Union gerade in diesen Zeiten dringend angewiesen. Warum ist das so? Warum setzt sich die CDU/CSU-Fraktion so leidenschaftlich für eine handlungsfähige Europäische Union ein?
Wenn wir uns in der Welt umschauen, dann können wir feststellen, dass China und Indien als Einzelstaaten, gemessen an der Bevölkerungszahl, heute schon deutlich größer als die Europäische Union sind. Länder wie Indonesien und Brasilien wachsen rasant. Allein der afrikanische Staat Nigeria wird im Jahr 2060 größer sein als die Europäische Union. Wir stellen momentan noch 7 Prozent der Weltbevölkerung. Diese Zahl wird immer geringer werden. In den nächsten Jahrzehnten wird der Anteil auf unter 5 Prozent sinken. Daraus folgt: Jeder einzelne europäische Staat ist einfach zu klein, um bei den wichtigen weltpolitischen Fragen alleine eine Rolle zu spielen,
({0})
außenpolitisch beim Syrien-Konflikt, bei Flüchtlingsbewegungen oder den aktuellen Handelsfragen. Nur gemeinsam werden wir Europäer hier erfolgreich sein.
Meine Damen und Herren, wir brauchen eine stärkere Europäische Union auch in anderen Feldern, beispielsweise bei größeren Forschungsvorhaben, beim Megathema künstliche Intelligenz oder auch bei der Entwicklung von Batteriezellen der neuesten Generation zum Ausbau von Elektromobilität. Wir brauchen die Europäische Union für jugendpolitische Initiativen wie Erasmus+. Sie sind einmalig in der Welt und nur durch die Zusammenarbeit der europäischen Staaten überhaupt möglich.
({1})
Und wir brauchen die Europäische Union für die Sicherung der europäischen Außengrenzen und die Bekämpfung von Terrorismus.
({2})
Für jeden europäischen Staat ist es am Ende teurer und ineffizienter, diese Aufgaben alleine zu bewältigen. Wenn wir im Zuge des mehrjährigen Finanzrahmens der Europäischen Union in diese Themen investieren, dann wird am Ende nicht nur Europa, sondern dann werden auch wir Deutsche davon massiv profitieren.
Meine Damen und Herren, pro 100 verdienten Euro zahlen wir EU-Bürger im Schnitt 50 Euro an Steuern und Abgaben.
({3})
Aber nur 1 Euro davon fließt in die Finanzierung des EU-Haushalts. Diesen Euro, meine Damen und Herren, sollte uns ein bedarfsgerechter Haushalt der Europäischen Union wert sein.
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Wenn wir uns in dem Zusammenhang fragen, was bedarfsgerecht ist, dann ist entscheidend, welche Probleme wir am besten europäisch und welche wir am besten national oder in den Kommunen lösen. Deswegen sage ich auch für die CDU/CSU-Fraktion: Wir müssen nicht kommunale Projekte wie die Radwege im Berliner Tiergarten oder den Bau von Marktplätzen über die europäischen Finanztöpfe finanzieren. Solche Aufgaben sind bei den Kommunen oder Nationalstaaten besser aufgehoben. Deswegen ist es für uns auch kein Automatismus, der Europäischen Union einfach mehr Gelder zur Verfügung zu stellen. Deswegen ist es auch richtig, genau zu schauen, wo man beim mehrjährigen Finanzrahmen Einsparungen vornehmen kann. Unser Leitgedanke muss sein: Wie können wir die Europäische Union schlanker aufstellen, gerade nach dem Brexit? Deswegen unterstützen wir auch die Initiativen der EU-Kommission, bei den großen Finanztöpfen die Ausgaben zu reduzieren.
Lassen Sie mich zum Abschluss zusammenfassend sagen: Wir brauchen eine Europäische Union, die auf der einen Seite bei den europäischen Kernthemen – Außen- und Verteidigungspolitik, Asyl- und Entwicklungspolitik oder Forschungsförderung – handlungsfähig ist. Wir brauchen auf der anderen Seite aber auch eine EU, die schlanker und effizienter wird.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen herzlichen Dank, Christoph Ploß. – Nächster Redner: Christian Petry für die SPD-Fraktion.
({0})
Das wird jetzt eine kurze Rede.
Ja. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
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Mal wieder geht es um einen Antrag der AfD, der unter dem Motto gestellt worden ist: Fakten tun nichts zur Sache. – Wenn Sie uns dann zuhören, sagen Sie: Das sind ja alles nur Argumente. – Das kann man doch wohl nicht ernst nehmen, was Sie hier fabrizieren.
({1})
Es ist fachlich so schlecht. Das gibt uns allerdings die Gelegenheit, unseren Standpunkt zu wiederholen.
Wir wollen die Agrarmittel, wir wollen die Regionalmittel, wir wollen die Sozialfonds, wir wollen Erasmus+ als Bildungsprogramm aufwerten, wir wollen Horizon 2020, und wir wollen einen stärkeren Außenschutz. – Das alles wollen wir.
Wenn ich den österreichischen Kanzler – mit seinem Vizekanzler Strache – heute richtig verstanden habe, dann will er in Europa 10 000 Menschen im Grenzbereich einsetzen. Er sagt aber, er will nicht mehr Geld dafür ausgeben. Das ist die Quadratur des Kreises; das kommt schon Ihrer Philosophie näher.
Wir wollen all die Dinge, die anstehen, erledigen; denn Europa ist das fantastischste Modell, das wir in unserem Gebiet haben.
({2})
Wir haben ein Friedensprojekt. Sie sind eine antieuropäische Partei,
({3})
und damit sind Sie eine antideutsche Partei und sonst überhaupt nichts. Sie versündigen sich am deutschen Volk und vor allem an der deutschen Jugend. Das muss man Ihnen entgegenrufen; denn Sie haben keinen Plan und führen ins Unheil.
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Wir wollen die Mitte Europas stärken. Wir wollen die Ziele ausbauen. Wir wollen ein friedliches, ein souveränes Europa. Dazu dient der mehrjährige Finanzrahmen, der seriös aufgestellt ist. Ich finde den Vergleich Klasse. Was mit diesem einen Euro alles gemacht wird, das ist fantastisch. Das müssen wir unterstützen. Das heißt nicht, dass wir nicht hart in der Sache verhandeln werden, dass wir unsere Position nicht einbringen werden.
In diesem Sinne freue ich mich auf spannende und konstruktive Diskussionen hier in diesem Haus und auf europäischer Ebene.
In diesem Sinne: Glück auf!
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Vielen Dank, Christian Petry. – Der letzte Redner in der Debatte: Alois Rainer für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der EU-Haushalt ist ein öffentlicher Haushalt, deshalb müssen wir für den EU-Haushalt dieselben Gebote anwenden wie für jeden anderen öffentlichen Haushalt auch. Dies ist zum einen das Gebot der Sparsamkeit. Wir schulden es jedem einzelnen Steuerzahler, mit seinem hart verdienten Geld sparsam umzugehen. So wie wir als Bundeshaushälter wollen, dass unser Bundeshaushalt am Gebot der Sparsamkeit gemessen wird, so wollen wir auch den mehrjährigen Finanzrahmen der EU daran messen.
Ich verkenne aber dabei nicht, wie wichtig es ist, im Haushalt gleichzeitig Zukunftsinvestitionen zu ermöglichen. Sie sind die Grundlage unseres fortbestehenden Wohlstands. Zukunftsinvestitionen sind insofern ein weiteres, praktisch gleichrangiges Gebot verantwortungsvoller Haushaltspolitik.
Europa kann nur stark sein, wenn es ausreichend in seine Zukunft investiert. Die CSU im Bundestag hat sich in Seeon für ein schlankes Europa der Stärke ausgesprochen. Was heißt das nun konkret für den mehrjährigen Finanzrahmen?
Die Europäische Union war insofern immer relativ gut, als ihre reinen Verwaltungsausgaben vergleichsweise gering sind, auch wenn gern vom Brüsseler Wasserkopf gesprochen wird. Fakt ist: Rund 94 Prozent der Ausgaben des EU-Haushalts kommen direkt den Menschen in den Ländern, den Regionen, den Kommunen zugute; dies muss auch einmal so gesagt werden, meine Damen und Herren.
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Klar ist auch: Das Subsidiaritätsprinzip muss unser oberster Maßstab in allen EU-Fragen sein.
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Es gibt Themen, die zu Recht einheitlich auf einer zentralen obersten Ebene geregelt werden müssen. Auch das Thema Plastik werden wir nicht in einem Land regeln können; es muss meines Erachtens auf alle Fälle europäisch geregelt werden. Es gibt aber auch Themen, die besser bürgernäher geregelt werden, sei es auf nationaler Ebene oder auf der Ebene der Bundesländer oder auch auf der Ebene der Kommunen.
Meine Damen und Herren, was ich auch beim besten Willen im Vorschlag der Kommission nicht erkennen kann, ist die Absicht einer neuen EU-Steuer – egal was uns der Titel des AfD-Antrags suggeriert. Ich kann sehen, dass der Vorschlag einen nationalen Beitrag vorsehen würde, der anhand der in jedem Mitgliedstaat anfallenden nicht verwertbaren Verpackungsabfälle aus Kunststoff berechnet wird. Dies ist aber beileibe keine EU-Steuer, und es ist beileibe auch noch nicht in trockenen Tüchern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sehe auch bei weitem nicht, dass in den Vorschlägen der Kommission das nationale Budgetrecht eingeschränkt wird. Gerade wir alle legen großen Wert auf das Budgetrecht der nationalen Parlamente.
Lieber Herr Kollege Ullrich, mit großer Aufmerksamkeit habe ich Ihre Mehrwerte der Europäischen Union verfolgt. Ich stimme Ihnen vollumfänglich zu. Das sehe ich auch so.
Wenn wir aus dem Antrag herauslesen sollen, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen der AfD, dass Sie nicht nur beim Kohäsionsfonds, sondern auch bei der Agrarpolitik kürzen wollen, dann sagen Sie das unseren Landwirten. Dann sagen Sie es auch den Bürgermeistern. Die profitieren von der zweiten Säule bei den Dorferneuerungsmaßnahmen.
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Seien Sie ehrlich, und sagen Sie es diesen Leuten.
Danke schön.
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Vielen Dank, Herr Kollege Rainer. – Wir sind damit am Ende der Debatte. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/2572 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ausstieg von US-Präsident Donald Trump aus dem Atomabkommen mit dem Iran ist aus unserer Sicht ein gefährlicher Bruch des Völkerrechts durch die USA. In der Folge droht nämlich eine weitere Destabilisierung einer ganzen Region mit ungeheuerlichen Folgen. Und als Blaupause für diese brutale Regime-Change-Politik der USA scheinen die Kriegslügen im Vorfeld des Irak-Krieges zu dienen. Offenbar setzen Trump und Co in ihrer Administration darauf, dass die Öffentlichkeit vergessen hat, dass die Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein, die ja als Kriegsgrund herhalten mussten, im Irak bis heute nicht gefunden wurden.
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Die Linke sagt deshalb: Unsere Pflicht ist es jetzt, gegen diese dreisten Kriegslügen auch im Falle des Iran aufzustehen.
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Die Internationale Atomenergieorganisation hat nämlich alle – alle! – vorgebrachten Begründungen Trumps für den Bruch dieses Abkommens zurückgewiesen. Aber das ficht ja den US-Präsidenten gar nicht an, und deshalb war es auch richtig, dass die Bundeskanzlerin erklärt hat, an dem Atomabkommen mit dem Iran festhalten zu wollen. Obwohl wir das für richtig halten, fragen wir uns natürlich: Warum hat die Bundesregierung das Vorgehen Trumps nicht auch klar als Völkerrechtsbruch verurteilt?
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Es ist gut, dass man jetzt gemeinsam mit China, Russland und auch den europäischen Partnern berät, wie dieses Abkommen zu halten ist. Wenn man sich allerdings anschaut, was die Bundesregierung denn konkret unternimmt, um dieses Abkommen zu retten, muss man mehr als besorgt sein. Deshalb fragen wir Sie: Warum wurde nichts unternommen, um beispielsweise einen Schutzschirm über deutsche Unternehmen zu spannen, die im Iran tätig sind?
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Warum gibt es keinen Plan für Maßnahmen gegen US-Unternehmen, falls deutsche Unternehmen in den USA wegen ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten im Iran verklagt werden?
Das Zeichen, das Sie im Moment gegenüber dem Iran aussenden, ist, dass die Bundesregierung nicht willens bzw. nicht bereit ist, gegenüber den US-Sanktionen Flagge zu zeigen. Wer allerdings für den Frieden in der Region eintritt, der muss auch klare Kante gegenüber einem US-Präsidenten, der eine Regime-Change-Politik verfolgt, und den Sanktionen gegen europäische Unternehmen zeigen.
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Trump hat in seiner Rede zur Aufkündigung des Abkommens auch nicht mit irgendwelchen, ja – Orwell’schen Drohungen gegenüber dem Iran gespart. Ich frage mich, warum man sich hier eigentlich wegduckt. Ich will Ihnen ein drastisches Beispiel seiner Orwell’schen Drohungen zeigen: Trump beschuldigte den schiitisch geprägten Iran der Unterstützung islamistischer Terrorbanden, die sich beispielsweise als ultraradikale Sunniten gebärden wie die al-Qaida.
Das ist aus zweierlei Gründen wirklich mehr als perfide: zum einen weil die al-Qaida gegen den Iran und dessen Einfluss in der Region brutalstmöglich kämpft, zum anderen weil die USA selbst im Syrien-Krieg gegen Assad islamistische Terrormilizen unterstützten. Wer so redet wie der US-Präsident, zerstört jedes Vertrauen in die internationalen Beziehungen. Wenn die Bundesregierung ihrem NATO-Partner nicht ein wirklich klares, eindeutiges Stoppzeichen setzt, ist sie mitverantwortlich für einen drohenden neuen Krieg im Nahen und Mittleren Osten mit vielen, vielen Toten.
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Wir wollen das verhindern. Deshalb bitten wir Sie und fordern wir Sie auf: Setzen Sie ein Zeichen! Ergreifen Sie die Initiative für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten, um die sich zuspitzenden Konflikte in der Region diplomatisch zu lösen und zu einer Vereinbarung über einen Nahen Osten ohne Massenvernichtungswaffen zu kommen. Ich finde, es würde der Sicherheit der Bevölkerung in Deutschland, aber auch in Europa helfen, wenn man an diesem Atomabkommen festhält.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Sevim Dağdelen. – Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion: Markus Koob.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA, oder, wie wir es vielleicht der Einfachheit halber nennen, das Iran-Abkommen, ist in der politischen Debatte. Es ist ein Abkommen, das über Monate intensiv vorbereitet wurde mit zähen Verhandlungen und vielen intensiven Beratungen, die sich aber gelohnt haben. Denn die Internationale Atomenergiebehörde hat festgestellt, dass der Iran sich an die Auflagen, die ihm gegeben worden sind, hält.
Zugegebenermaßen: Dieses Abkommen hat keineswegs alle Probleme der Region gelöst, und es gibt auch weitere Punkte, die wir sehr kritisch betrachten müssen, unter anderem und vor allem die iranische Destabilisierungs- und Hegemonialpolitik, die wir unter anderem in Syrien und auch im Jemen leider jeden Tag beobachten können, aber auch die offenen Aggressionen gegen Israel, zu denen ich später in meiner Rede noch einmal komme.
Außerdem hat dieses Abkommen in der Tat Defizite, die ja auch von den amerikanischen Partnern angesprochen worden sind: unter anderem das Fehlen von Vorgaben zum iranischen Ballistikprogramm, aber auch die Sunset Clause.
Auch wenn ich mich trotz dieser Punkte für weitergehende Verhandlungen mit dem Iran ausspreche, möchte ich an den Realitätssinn appellieren. Ich sehe nicht, dass wir ein Abkommen bekommen werden, das diese kritischen Punkte lösen wird. Wir werden kein besseres Abkommen als dieses, das uns heute vorliegt, bekommen.
Trotz aller Bedenken, die viele Menschen aufgrund dieser Punkte teilen, ist dieses Abkommen eine bedeutende Wegmarke eines mehrstufigen Problemlösungsprozesses, was zumindest die Urananreicherung und das nukleare Gefährdungspotenzial des Iran einhegen und kontrollieren sollte. Gerade weil es einen international getragenen Konsens gab, wurde dieses Abkommen durch den UN-Sicherheitsrat gebilligt. Das war nicht nur ein echtes multilaterales Ergebnis, sondern in der Tat auch ein diplomatisches Erfolgserlebnis. Es unterstrich einmal mehr die Bedeutung dieses Abkommens als wichtiges Sicherheitselement in einem ohnehin von fortdauernder Unsicherheit geprägten Nahen Osten. Deswegen bekennen sich die europäischen Staaten ungeachtet des US-amerikanischen Rückzugs weiterhin zu diesem Abkommen.
Es zeigt sich in den Anträgen der FDP und auch der Linken, dass das Bekenntnis zum JCPOA auch in diesem Haus von einer breiten Allianz getragen wird. Wir freuen uns über diese Unterstützung und auch darüber, dass in diesem Bereich die Haltung der Bundesregierung unterstützt wird. Insbesondere der FDP-Antrag erwähnt tatsächlich unterstützenswerte Ziele, zum Beispiel die Begrenzung des Nuklearprogramms auf zivile Nutzung, den Erhalt umfassender IAEA-Inspektionen und die Verhinderung der nuklearen Weiterverbreitung im Nahen Osten. Das sind die obersten Ziele, die auch dem entsprechen, was die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen sich zum Ziel gesetzt haben.
Aber trotz der herausgehobenen Bedeutung dieses Vertrags für die internationale Sicherheit muss man auch offen Unbehagen adressieren können. Mich besorgt und befremdet sehr, dass der Iran dieser Tage eine Serie von unerträglichen Provokationen zu verantworten hat. Das betrifft nicht nur die Ankündigung, den Bau leistungsstarker Zentrifugen vorzubereiten. Das religiöse Oberhaupt des Iran hat vor wenigen Tagen via Twitter Israel als „bösartiges Krebsgeschwür“ bezeichnet, das entfernt und ausgelöscht werden muss. In einem deutschen Parlament müssen wir das mit Nachdruck verurteilen.
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Wir akzeptieren solche Ausfälle nicht. Es gilt, wozu sich dieses Haus im Beschluss zu dem Antrag „70 Jahre Gründung des Staates Israel“ bekannt hat: Israels Existenzrecht und Sicherheit sind für uns nicht verhandelbar.
Noch etwas besorgt mich sehr: der offene Konflikt mit unserem Partner USA in dieser Frage. Es ist ausgesprochen bedauerlich, dass die Vereinigten Staaten sich aus diesem internationalen Abkommen, das sich in sehr seltener Einigkeit internationaler Akteure entwickelt hat, zurückziehen. Einmal mehr werden der Wert und die Notwendigkeit internationaler Abkommen zur Lösung von Konflikten nicht erkannt und stattdessen durch nationale Alleingänge ersetzt. Ich halte diesen Weg für einen Irrweg, erst recht dann, wenn die an dem Abkommen festhaltenden Partner durch Sanktionsdrohungen unter Druck gesetzt werden sollen.
Das verdeutlicht auch der gemeinsame Brief an die USA, der von deutschen Regierungsmitgliedern unterzeichnet wurde und Ausnahmen für EU-Unternehmen von den Sanktionen gegen den Iran fordert. Deshalb halte ich die von der EU-Kommission bekanntgegebene Reaktivierung des sogenannten Blocking Statutes, einem Gesetz zur Abwehr der US-Sanktionen, für konsequent; denn wir dürfen uns nicht erpressen lassen. Dies sage ich nicht auf dem Fundament eines weit verbreiteten Antiamerikanismus, sondern als glühender Transatlantiker, der auch weiterhin für eine stabile und vitale Partnerschaft mit den USA kämpfen wird.
Was wir dieser Tage im Nahen Osten erleben, die Transformation von vorsichtiger Annäherung zurück zu Konfrontation, schürt die Angst in der Region und in der Welt, dass verbales Wettrüsten in bewaffneten Auseinandersetzungen mündet.
Wir Europäer müssen hier weiter mit allen Mitteln der Diplomatie Einfluss nehmen – mit Besonnenheit, aber auch mit einer Stimme, die unsere Interessen selbstbewusst formuliert. Diesen Weg sollten wir als Deutscher Bundestag gemeinsam gehen.
Herzlichen Dank.
({1})
Vielen Dank, Markus Koob. – Nächster Redner: Dr. Anton Friesen für die AfD-Fraktion.
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Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Zuhörer! Stellen Sie sich vor, Sie sind Mieter in einem Haus und haben einen Streit mit Ihrem Vermieter. Die äußeren Rahmenbedingungen sind allerdings so, dass Sie nur schwer eine andere Wohnung finden würden. Sie haben also theoretisch zwei Möglichkeiten: entweder die Wohnung kündigen und eine andere suchen – auf unbestimmte Zeit und mit unbestimmtem Ausgang – oder versuchen, den Streit beizulegen und wohnen zu bleiben. Wofür entscheiden Sie sich? Genau das ist die Situation mit dem Atomabkommen.
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Sicherlich gibt es berechtigte Kritik an der iranischen Politik: an der Förderung von Terrororganisationen, an dem Streben nach regionaler Vormachtstellung, an der Bedrohung Israels. Aber trägt die Kündigung des Iran-Atomabkommens irgendetwas dazu bei, diese Problemfelder zu beseitigen? Und was ist die Alternative zum Fortbestand des Atomabkommens? Wäre diese etwa für die Interessen Deutschlands, der Vereinigten Staaten und unserer Verbündeten förderlicher? Sie haben sicherlich gemerkt, dass dies rhetorische Fragen sind.
Die Kündigung des Iran-Atomabkommens führt dazu, dass die Vereinigten Staaten sich selbst isolieren. Sowohl die Mächte der Europäischen Union als auch China und Russland wollen das Atomabkommen aufrechterhalten. Das iranische Regime kann sich derweil ins Fäustchen lachen und mal wieder die Vereinigten Staaten als Bedrohung für den Weltfrieden darstellen.
Aus iranischer Sicht bietet sich übrigens auch die Möglichkeit, die Europäer zu erpressen. Ein Beispiel hierfür sind Khameneis Forderungen, dass die EU garantieren müsse, iranische Raketen und iranische Regionalpolitik nicht zu Verhandlungsthemen zu machen.
Aber hat jemand außerhalb des Weißen Hauses ernsthaft gedacht, dass der Iran sich wirklich auf Nachverhandlungen einlässt, wenn man aus dem Atomabkommen aussteigt? Das wäre ja genauso sinnig, wie die Ehescheidung einzureichen, um dann einen neuen, verbesserten Ehevertrag eingehen zu wollen.
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Die Deutschen und unsere europäischen Verbündeten sind in der Tat die Dummen. Trump kann zumindest über die Erfüllung eines zentralen Wahlversprechens jubeln. Die iranischen Hardliner können sich in ihrem Kampf gegen das reformorientierte Lager um Präsident Rohani bestärkt fühlen. Die deutschen Unternehmen dagegen zahlen die Zechen. US-Sekundärsanktionen treffen gerade die kleinen und die mittelständischen Unternehmen, die sich eben keine großen Rechtsabteilungen leisten können.
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Unterm Strich bleibt: Trump pokert, die iranischen Hardliner lachen, und die Deutschen zahlen.
Die AfD fordert die Bundesregierung daher auf, das Atomabkommen fortzuführen und die Einberufung einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten zur Lösung der regionalen Konflikte zu unterstützen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Friesen. – Nächster Redner: Dr. Karl-Heinz Brunner für die SPD-Fraktion.
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Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wenn die Welt nur so einfach wäre und es reichen würde, dass wir Konferenzen einberufen, wir den Teilnehmern der Konferenzen die Ergebnisse nennen oder wir die Welt in schwarz oder weiß – wie die Kollegin Dağdelen es tut – einteilen, dann wäre dies hier alles ganz schön. Doch die Welt ist nicht schwarz, die Welt ist nicht weiß, sie ist nicht gut, sie ist nicht böse, sie ist nicht friedlich, sie ist nicht zerstörerisch – sie ist so, wie sie ist. Meine Großmutter hat mir als Lebensweisheit mitgegeben: Rede mit den Menschen, die da sind. Es gibt keine anderen Menschen, mit denen wir sprechen können.
Deshalb sage ich an dieser Stelle ganz deutlich: Es ist gut und richtig, dass der Joint Comprehensive Plan of Action verhandelt, ratifiziert und von uns Europäern und der Bundesrepublik Deutschland als so wichtige vertragliche Vereinbarung zu einer Tür zu Sicherheit im Mittleren und Nahen Osten vereinbart wurde. Er ist die Tür, die der Öffnung dient, um weitere Abrüstungsmaßnahmen zu ergreifen und Sicherheit für die Menschen in dieser Region zu schaffen.
Wir haben mit der Entscheidung des amerikanischen Präsidenten, einseitig von diesen Vereinbarungen zurückzutreten, festgestellt, dass der alte Grundsatz „Pacta sunt servanda“ auf einmal nicht mehr gelten soll. Verträge einzuhalten, soll nicht mehr gelten. Deshalb war es an dieser Stelle wichtig und gut, zu sehen, dass die drei europäischen Länder, die Bundesrepublik Deutschland, das Vereinigte Königreich und Frankreich, gemeinsam mit der Hohen Vertreterin klar zum Ausdruck brachten: Wir wollen uns an diesen völkerrechtlichen Vertrag halten und den Iran als einen der wesentlichen Akteure dieser Region in seiner Verantwortung halten und auch zu seiner Verantwortung stehen lassen.
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Das ist gut, und das ist richtig. Ich danke herzlich denen, die dazu beigetragen haben. Denn ohne das gemeinsame Zusammenstehen dieser drei Länder und der Hohen Vertreterin wären aufgrund einer Kündigung, eines Rücktritts von einem Vertrag Erosionen mit unabsehbaren Folgen eingetreten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, die hier am Freitagnachmittag noch auf den Rängen sind, was würde geschehen, wenn wir völkerrechtliche Vereinbarungen nach dem Motto „hire and fire“ sofort beenden und neue verlangen würden? Wer würde noch ernsthaft Vereinbarungen schließen, wenn diese Vereinbarungen nicht über Regierungswechsel, Wahlen und Ähnliches hinaus gelten würden? Ich sage ganz deutlich, dass diese Vereinbarung – das sogenannte Iran-Abkommen, der Joint Comprehensive Plan of Action – kein Vertrag ist, der alle Sicherheitsfragen des Nahen und Mittleren Ostens endgültig regelt. Vielmehr ist er eine Tür – das sagte ich eingangs –, durch die wir zu Gesprächen über weitere Abrüstungs- und Sicherheitsfragen gehen. Ich bin mir sicher: Die Bundesrepublik Deutschland ist mit ihrem Außenminister Heiko Maas auf dem richtigen Weg, in Abstimmung mit den europäischen Partnern vom Iran zweifelsohne zu verlangen, in diesem Abkommen zu verbleiben.
Es darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass mit der einseitigen Kündigung der Vereinbarung durch die Vereinigten Staaten unabsehbare wirtschaftliche Folgen auch für deutsche Unternehmen eintreten können, weil – das wissen wir – das internationale Finanzsystem überwiegend auf dem Dollar basiert. Deshalb ist es gut und richtig, dass Deutschland versucht, für seine Unternehmen Regelungen zu finden, die den Finanz- und Kapitalverkehr weiterhin leiten – ohne einen staatlichen Schutzschirm zu spannen –, um gute und sinnvolle Investitionen für deutsche Unternehmen und die iranische Bevölkerung zu ermöglichen. Denn gute Politik – da erinnere ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, an die Politik Willy Brandts – beginnt auch mit einer Politik des Gesprächs und der Annäherung.
Im Iran leben nicht nur der geistige Führer Khamenei, nicht nur Präsident Rohani, sondern viele Millionen Menschen, die darauf warten, wieder in die Weltgemeinschaft aufgenommen zu werden und ein freies Leben zu führen. Diese Menschen im Iran sind es wert, den Fuß in der Tür zu belassen und als Europäer im Iran präsent zu bleiben und nicht nur mit wirtschaftlichem, sondern vor allen Dingen auch mit kulturellem und weltanschaulichem Auftreten in diesem Land Einfluss zu nehmen. Die Menschen brauchen und erwarten unsere Unterstützung, um Demokratisierungsprozesse und Menschenrechtsprozesse zu ermöglichen; denn Menschenrechte, meine sehr verehrten Damen und Herren, kommen in dieser Region immer zu kurz.
Wir sprechen sehr wohl davon – und das ist richtig so –, dass der Iran das Selbstbestimmungsrecht Israels garantieren muss. Das ist nicht nur deutsche Staatsdoktrin, sondern das ist auch für den Frieden in der Welt erforderlich. Wir dürfen deshalb nicht den Sprachgebrauch übernehmen, den der amerikanische Präsident gewählt hat, als er bei Waffenlieferungen an das Königreich Saudi-Arabien von beispielsweise „beautiful weapons“ sprach und gleichzeitig gegenüber dem Iran „sanctions“ ankündigte, die eine historische Größenordnung haben. Beide Länder verletzen Menschenrechte aufs Schwerste und befinden sich im Wettlauf der meisten Todesurteile und der meisten Hinrichtungen in dieser Region. Sie sollten nicht mit zweierlei Maß gemessen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, versuchen wir, die Diskussion etwas ruhiger zu führen, die Rhetorik etwas zurückzunehmen und auf alle Gesprächspartner, insbesondere auf den Iran, einzuwirken, aggressive Meldungen und aggressive Töne zu vermeiden.
Was ist zu tun? Wir brauchen weiterhin eine enge Abstimmung der E3 und der Hohen Vertreterin, eine sachgerechte und vernünftige Rhetorik, um wieder zu guten und vernünftigen Gesprächen zu kommen. Wir müssen den Erhalt des Joint Comprehensive Plan of Action festigen, die Tür für weitere Verifikationen offenhalten und vor allen Dingen das Augenmerk auf die Abrüstung der ballistischen Systeme und die Stabilisierung der Region richten.
Mit der Politik, die die Bundesregierung und das Auswärtige Amt als Teil der Bundesregierung in diesem Bereich einbringt, sind wir – da bin ich mir sicher – auf dem richtigen Weg, den wir auch mit den beiden Anträgen, die heute vorliegen, und mit der Unterstützung des Parlaments, dieses Hohen Hauses, gehen werden.
Herzlichen Dank und ein schönes Wochenende.
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Vielen Dank, Karl-Heinz Brunner. – Nächster Redner: Dr. Marcus Faber für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vergangene Woche war ich zusammen mit dem Kollegen Gnodtke in Israel und habe mir dort ein Bild von der Sicherheitssituation vor Ort gemacht. Vor allem das Abkommen mit dem Iran war dort ein ständiges Thema.
Ich muss Ihnen sagen: Vor Ort kann man die Bedenken gegen das Atomabkommen gut nachvollziehen. Die Bedrohung Israels ist allgegenwärtig. Die aggressive Außenpolitik des Iran konterkariert die getroffenen Vereinbarungen. Der Iran hat in der Vergangenheit die Existenz Israels infrage gestellt und mit der Vernichtung gedroht. Israel – das sagt auch die Bundeskanzlerin – ist deutsche Staatsräson. Deshalb ist der Schutz Israels keine Aufgabe, die ausschließlich Israel selbst bewältigen muss. Es ist vielmehr die Aufgabe aller demokratischen Staaten und insbesondere Deutschlands. Das Atomabkommen mit dem Iran war ein wichtiger internationaler Erfolg zum Schutz Israels und gegen das Wettrüsten in der Region.
Meine Damen und Herren, das Abkommen hat zur Stabilität internationaler Politik beigetragen, indem es die Nuklearisierung des Mittleren und Nahen Ostens eingeschränkt hat. Die internationale Atomenergiebehörde hat kontinuierlich Inspektionen durchgeführt und kam zu dem Ergebnis, dass der Iran sich an die Vereinbarungen hielt. Der Rückzug der USA stellt diese Entwicklung jetzt infrage. Der Schritt, aus dem Atomabkommen auszusteigen, gefährdet die weltweite Sicherheitsarchitektur und macht deutlich, in welchem schweren Fahrwasser sich Außenpolitik derzeit befindet. Vor allem stellt sich deshalb jetzt eine Frage: Was folgt nun? Hier sind es vor allem zwei Dinge, die entscheidend sind:
Erstens. Das Atomabkommen muss grundsätzlich am Leben gehalten werden.
Zweitens. Man muss in einigen Punkten nachverhandeln. Das hat mir letzte Woche auch der Vorsitzende des israelischen Verteidigungsausschusses, Avi Dichter, in Jerusalem noch einmal nachdrücklich bestätigt.
Für den ersten Punkt kommt es darauf an, dass die Partner des Abkommens sich weiter mit dem Iran zusammensetzen und verständigen. Von sechs Staaten ist jetzt einer ausgetreten. Das heißt, es verbleiben fünf Staaten in diesem Abkommen, die natürlich auch ein eigenes Gewicht mitbringen. Das Ziel „atomare Abrüstung in der Welt“ gilt es daher auch an dieser Stelle zu bewahren. Unser Antrag unterstützt entsprechend die europäische Initiative für atomare Abrüstung. Es muss im Dialog mit allen Vertragsparteien über die Möglichkeiten eines ergänzenden Abkommens gesprochen werden. Dabei gilt es insbesondere, auf eine Verlängerung der Vertragslaufzeiten hinzuwirken. Nur so können wir eine erneute atomare Rüstungsspirale in der Region, die sich ab 2025 einstellen würde, verhindern.
Der zweite wichtige Punkt bei Nachverhandlungen: Wir brauchen einen Dialog mit allen Vertragsparteien für ein unabhängiges Abkommen zu den ballistischen Raketen. Dieses Abkommen wäre mindestens genauso wichtig wie das jetzt zur Debatte stehende Atomabkommen. Dafür müssen wir eine Gesamtstrategie entwickeln. Hier ist es wichtig, gemeinsam daran zu arbeiten, die Region zu stabilisieren.
({0})
Meine Damen und Herren, wir brauchen einen neuen diplomatischen Anlauf für Rüstungskontrolle und Abrüstung. Die demokratische Staatengemeinschaft muss hier entschlossen vorangehen. Daher möchte ich Sie bitten, unserem Antrag, der hier auch schon von der Union so gelobt wurde, dem Antrag der Freien Demokraten, zuzustimmen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Faber. – Nächster Redner für Bündnis 90/Die Grünen: Omid Nouripour.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 8. Mai hat der amerikanische Präsident beschlossen, das funktionierende Regelwerk zur Kontrolle des iranischen Atomprogramms zu zerstören. Mit einem Handstreich hat er sich aufgemacht, einen diplomatischen Erfolg wegzufegen, der das Ergebnis jahrelanger gemeinsamer Bemühungen der internationalen Gemeinschaft war. Ohne Grund hat er diejenigen im Iran in die Ecke gedrängt, die für Öffnung, Dialog und Wandel kämpfen. Diese Leute haben es auch so schon sehr schwer. Sie haben es mit einem repressiven Regime zu tun. Wir wissen um die Menschenrechtslage im Land, die dramatisch ist, um die zunehmenden sozialen Verwerfungen. Wir wissen aber auch, wie aggressiv der Iran in der Region agiert. Man sieht das täglich in Syrien, man sieht es im Libanon, man sieht es im Irak, und man sieht es – Kollege Koob hat darauf hingewiesen – an der hochaggressiven Rhetorik dem Staat Israel gegenüber. Das alles zusammengezählt führt aber dennoch zu einer eindeutigen Gleichung: Es ist besser, einen Iran ohne Atomwaffen zu haben, als einen Iran mit Atomwaffen.
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Der amerikanische Präsident hat diese Entscheidung getroffen gegen den Rat eines Großteils seiner eigenen Administration, gegen viele Stimmen der iranischen Zivilgesellschaft, gegen große Teile des israelischen Sicherheitsestablishments und vor allem gegen alle seine europäischen Partnerstaaten. Der amerikanische Präsident hat die europäische Sicherheit für seine kurzfristigen und kurzsichtigen politischen Interessen aufs Spiel gesetzt. Das ist ein Vorgang, den wir schlicht nicht akzeptieren können.
({1})
Es drängt sich selbstverständlich der Vergleich mit dem Irakkrieg auf, nur dass der Irakkrieg am Ende nicht zu einer Nuklearisierung geführt hat – bei allem Desaster, das wir heute erleben. Was jetzt passiert ist, ist eine vollständige Verachtung europäischer Sichtweisen und Interessen und eine Verkennung der Tatsache, dass das kein Deal eines Vorgängerpräsidenten mit dem iranischen Regime war, sondern ein Deal der Weltgemeinschaft, in den wir Europäer zwölf Jahre Zeit und Kraft investiert haben.
Die Antworten, die wir geben müssen, sind schwierig, aber sie sind möglich. Gegen US-Sanktionen brauchen wir Antworten. Wir brauchen natürlich Wege, die es weiter ermöglichen, dass es überhaupt noch eine Zusammenarbeit mit dem Iran gibt. Es gibt Bereiche, wie zum Beispiel den Wassersektor, bei denen man überlegen muss, ob man dort nicht besser und intensiver zusammenarbeitet. Darüber hinaus müssen wir europäische Gegeninstrumente erarbeiten. Das ist alles überhaupt keine Frage, auch deswegen, weil wir es mit einem Bruch in den transatlantischen Beziehungen zu tun haben. Das ist nicht nur ein Testfall für Europa, das ist extrem ernst. Es droht Proliferation. Wenn der Iran die Zentrifugen wieder laufen lässt, dann kann man davon ausgehen, dass es eine Proliferationsspirale geben wird. Es wird ein Wettrüsten, ein Wettrennen um die Atombombe geben, das möglicherweise nicht nur bis nach Saudi-Arabien reicht, und das in unserer unmittelbaren Nachbarschaft.
Deshalb ist es umso wichtiger, die Europäische Union zusammenzuhalten. Es gibt einiges, was die Europäische Union machen kann, und es gibt einiges, was die Bundesregierung besser machen könnte. Das sieht man beispielsweise auch an den Angeboten, die gerade aus Frankreich kommen und die es ermöglichen und einfacher machen würden, die EU zusammenzuhalten. Da wünschte ich mir etwas mehr Emphase seitens der Bundesregierung. Man sieht es aber auch an Nord Stream 2. Das ist ein Projekt, das die Spaltung Europas vorantreibt, was man auch bei diesem Thema derzeit zu spüren bekommt, wenn man mit Warschau spricht.
Die Antwort muss selbstbewusst europäisch sein. Es gibt 500 Parlamentarierinnen und Parlamentarier – auch zahlreiche aus diesem Parlament –, die das vorgemacht haben. Sie haben einen gemeinsamen Brief an unsere Kolleginnen und Kollegen in den Vereinigten Staaten geschrieben. Denn wir in Europa leben derzeit die transatlantischen Werte. Wir haben sehr viele Partnerinnen und Partner auf der anderen Seite des Teiches, die auf uns warten, darauf, dass wir auch die Stimme erheben, um unsere Interessen und die transatlantischen Werte zu verteidigen.
Lassen sie uns diese Herausforderung offensiv annehmen; denn es steht nichts weniger als die Sicherheit der Menschen auf dem Spiel – in Europa und im Nahen Osten.
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Vielen Dank, Omid Nouripour. – Nächster Redner: Christian Schmidt für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sind sehr wichtige und richtige Sätze in der Bewertung der letzten Wochen, insbesondere der Entscheidung des amerikanischen Präsidenten über den Ausstieg aus dem Atomabkommen, gesagt worden. Ich will wiederholen: Dieses Abkommen ist ein großer diplomatischer Erfolg gewesen. Es war mühselig und hat nach vielen Jahren auch kein komplett 100 Prozent erfolgreiches Ergebnis in dem Sinne gebracht, dass alle Fragen beantwortet wären. Aber auch wenn es kein Idealfall einer umfassenden Einigung ist: Es ist ein taugliches Werkstück für eine Risikominderung gegen die Gefahr eines atomaren Infernos in dieser Weltregion. Das muss uns bewegen. Der Ausstieg der USA aus der Vereinbarung und die Wiederaufnahme der Wirtschaftssanktionen führen uns hingegen in die andere, potenziell sehr gefährliche Richtung.
Es ist deswegen grundsätzlich richtig – es ist gesagt worden –, dass wir an diesem Atomabkommen festhalten. Ich will aber deutlich unterstreichen, lieber Kollege Nouripour, dass wir eine Offensive der Diplomatie, ein offensives Kümmern um diese Vereinbarung brauchen und dass wir auch die in den USA und in Israel ermutigen müssen, die einen nüchternen, kritischen Blick auf die Optionen werfen. Ich freue mich, dass die US-amerikanische NATO-Botschafterin, unsere langjährige Kollegin im US-Senat, Kay Hutchison, heute früh im Deutschlandfunkt unterstrichen hat, dass Einigkeit über das gemeinsame Ziel besteht, dass verhindert werden muss, dass der Iran sich nuklear bewaffnet. Ja, das ist unser gemeinsames Ziel. Und ja, das muss der Punkt sein, der Abholpunkt, wo wir uns auch mit gemeinsamen Initiativen entwickeln. Natürlich wissen wir alle, dass die Möglichkeit, solche gemeinsamen Initiativen über die E3 hinaus zu erreichen, gegenwärtig eher theoretisch ist. Aber ich bin gerade angesichts der Dynamik und der Unterschiedlichkeit des einen oder anderen Twitteraccounts und der Meldungen darin durchaus nicht unoptimistisch, dass die Dinge hier auch wieder in Bewegung kommen können.
Sicherlich wird der kommende Dienstag, der 12. Juni, mit dem anderen Nukleardossier, dem nordkoreanischen Nukleardossier, eine gewisse Möglichkeit bieten, sich danach zusammenzusetzen. Ich hoffe und wünsche jenseits aller Rhetorik, dass hier auch Erfolge erzielt werden, die substanziell sind, so wie wir Erfolge erzielt hatten, was den Iran betrifft.
Eine Frage müssen wir uns gemeinsam mit den USA, Russland und China stellen: Was tun wir, wenn der Iran in anderen Bereichen unsere und insbesondere – das ist gesagt worden – die Sicherheit Israels berührt und so aggressiv weitermacht wie bisher? Die jüngsten Aussagen von Ali Khamenei sind nicht gerade geeignet, um Besorgnisse zu zerstreuen. Rohani gibt ein Signal der Vertragstreue, ja, aber von einer veränderten politischen Grundausrichtung im Hinblick auf Frieden und gute Nachbarschaft ist nichts zu hören. Das ist gefährlich. Denn machen wir uns nichts vor: Beim Iran geht es bei weitem nicht nur um das Atomprogramm und um die wirtschaftliche Kooperation, sondern es geht um die Zukunft der gesamten Nahostregion. Hier betreibt der Iran eine knallharte Machtpolitik, der wir uns diplomatisch und auch mit Entschlossenheit entgegenstellen müssen.
Wir benötigen also eine Doppelstrategie: Festhalten am Atomabkommen, Offenhalten der Gesprächskanäle, eine proaktive, dynamische Auseinandersetzung mit Ergänzungen und einer Reaktivierung, aber auch ein klares Signal an den Iran.
Bitte denken Sie an Ihre Redezeit.
Frau Präsidentin, nur noch den berühmten kurzen Satz zum Schluss.
Aber nur kurz, sonst ziehe ich die Zeit ab.
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So müssen wir mit dem Iran umgehen. Die Destabilisierung jedenfalls ist eine zu große Gefahr.
Lassen Sie uns aktiv und proaktiv mit den USA gemeinsam versuchen, einen Weg mit dem Iran zu finden.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Christian Schmidt. – Ich bitte Sie wirklich, sich an die Redezeit zu halten. – Nächste Rednerin: Dr. Frauke Petry.
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 8. Mai kündigte Präsident Trump den Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran an. Für die einen ist das ein Vertrag mit unantastbarem Inhalt, für die anderen einer, der nur leichter Nachjustierungen bedurfte. Für Trump ist er ein durch und durch schlechter Deal, für den es nur einen Platz gibt: den Papierkorb.
Nun denken viele von Ihnen: Typisch Trump, das ist der Elefant im diplomatischen Porzellanladen. Man kann es aber auch anders sehen: Trump kann diesen Vertrag nur deswegen aufkündigen, weil sein Vorgänger Barack Obama ihn ebenso rücksichtslos am US-Kongress vorbeigehievt hat. Man nennt das „political commitment“, man könnte es auch nennen: den politischen Alleingang eines Präsidenten.
Trump stellt die demokratische Ordnung wieder vom Kopf auf die Füße, wenn er der Mehrheitsmeinung des amerikanischen Kongresses, also der gewählten Vertretung der amerikanischen Bürger, zum Recht verhilft. Dieser Vertrag hätte demnach nie zustande kommen dürfen, aber nicht nur aus rechtlichen Erwägungen, sondern erst recht wegen seiner Inhalte. Er beruht nämlich auf dem guten Willen des iranischen Regimes, und wie viel davon zu halten ist, das wissen wir hier.
24 Tage Warnzeit bekommt Teheran, bevor internationale Inspekteure Zugang zu zivilen und militärischen Einrichtungen bekommen. Der israelische Ministerpräsident Netanjahu brachte dies auf den Punkt: Das wäre etwa so, als kündigte die Polizei ihre Hausdurchsuchung bei einem Drogenbaron an, der dadurch genug Zeit hat, das Koks die Toilette hinunterzuspülen.
Schärfere Rüstungskontrollen werden dieses Abkommen nicht retten. Das vertagt die Probleme nur, anstatt sie zu lösen. Dem Iran wird verboten, in den nächsten zwölf Jahren waffenfähiges Material anzureichern. Und dann? Was kommt danach? Dürfen diejenigen, die das Existenzrecht Israels bis heute bestreiten, dann ungehemmt Atombomben bauen?
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir hier den 70. Geburtstag Israels gefeiert haben. Der Tenor war eindeutig: Wir haben eine historische Verantwortung gegenüber diesem Land. Aber unser Auftrag ist nicht allein, der in Deutschland ermordeten Juden zu gedenken, sondern wir müssen uns auch heute um das Leben von bedrohten Juden kümmern, hier, aber auch in Israel.
Meine Damen und Herren, dieser Verrat an Israel – letztlich auch das Nachgeben gegenüber dem Iran – war ein offener Bündnisbruch; seien wir doch mal ehrlich. Wir können nicht zugleich der Freund Israels und des Iran sein. Das ist die einfache geopolitische Formel, die wir endlich lernen sollten. Wir von der Blauen Partei entscheiden uns, wenn wir uns entscheiden müssen, für die Freundschaft mit Israel und den USA.
Danke schön.
Letzte Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Anita Schäfer für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst Folgendes klarstellen: Das Atomabkommen mit dem Iran ist nicht perfekt, aber auch ein solches Abkommen ist besser als keines. Es ist unser Weg, die nuklearen Ambitionen des Iran einzudämmen. Sowohl der vorliegende Antrag der FDP als auch der von der Linkspartei rufen nun die Bundesregierung auf, am Atomabkommen mit dem Iran in unveränderter Form festzuhalten. Aber genau dazu hat sich die Bundesregierung schon seit Monaten bekannt, sowohl vor als auch nach der Entscheidung Trumps, aus dem Abkommen auszusteigen. Erst vor drei Wochen hat die Bundeskanzlerin hier im Plenum erneut unmissverständlich betont, wie wichtig das Abkommen aus Sicht der Bundesregierung ist und wie wichtig der Dialog mit dem Iran ist, nicht die Konfrontation. Immer wieder hat die Bundesregierung auch nach außen hin klargemacht, dass sie die Entscheidung der US-Regierung für falsch hält.
Besonders die Linkspartei ergeht sich im Wiederholen von bereits Gesagtem.
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Denn dass die EU und damit die Bundesrepublik weiter zur Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran als Teil des Abkommens stehen, hatte die EU-Außenbeauftragte Mogherini viele Tage vor Ihrem Antrag erklärt. Dass Gegenmaßnahmen auf der EU-Ebene als Antwort auf mögliche US-Sanktionen gegen europäische Unternehmen bereits in der Ausarbeitung waren, war zu dem Zeitpunkt auch schon bekannt. Ich habe den Eindruck, das alles haben Sie nicht mitbekommen.
In ihrem Antrag fordert die Linkspartei zudem, sämtliche Waffenlieferungen an Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sofort zu unterbinden.
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Ganz passend dazu hat die Linkspartei
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im Verteidigungsausschuss einen Antrag eingebracht, der fordert, die Beschaffung von Verteidigungssystemen für Israel zu streichen. Damit positionieren Sie sich klar gegen Israel und für den Iran.
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Sind Sie es denn nicht leid, sich immer wieder an der Seite der unfreien Staaten dieser Welt zu finden?
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Immerhin erwähnen Sie vorsichtig, Teheran habe mehrfach die Sicherheit Israels infrage gestellt. Aber das ist eine maßlose Verharmlosung. Der Iran will Israel vernichten, und das auch unter dem vermeintlich moderaten Präsidenten Rohani. Nicht umsonst hat der politische und religiöse Führer des Iran, Ajatollah Khamenei, am 3. Juni Israel als Krebsgeschwür bezeichnet, das ausgemerzt werden muss.
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– Das ist wirklich unerträglich, diese Stimmung hier.
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Angesichts solcher Äußerungen die deutsche Hilfe für israelische Verteidigungssysteme streichen zu wollen, ist ein Skandal. Wir sind stolz auf unsere hervorragenden Beziehungen zu Israel und werden auch die militärische Kooperation weiter fortsetzen.
Glücklicherweise ist der Antrag der FDP, was die Bedrohung durch den Iran angeht, sehr viel differenzierter. Aber auch er wiederholt weitestgehend nur das, was die Bundesregierung bereits klargestellt hat.
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Somit bleiben die Anträge von FDP und Linken eine Fata Morgana. Sie sehen aus der Ferne nach Substanz aus, entpuppen sich beim Näherkommen aber doch nur als Täuschung. Fata-Morgana-Politik mag für die Oppositionsbank reichen. Verantwortung wird man in unserem Land mit Märchen aus „Tausendundeiner Nacht“ aber nicht übernehmen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Anita Schäfer. – Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/2131 und 19/2529 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, schön, dass Sie da sind.
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– Es ist in einer Aktuellen Stunde ja nicht immer so, dass die Ministerin oder der Minister kommt.
Zu dem Vorschlag der Europäischen Kommission – ich will es gleich ganz direkt sagen, und ich ahne schon, dass wir etwas unterschiedlicher Meinung sind –: Wir finden diesen Vorschlag zur GAP-Reform, zur Agrarreform, enttäuschend, weil das, was sich in den letzten Jahren bewegt hat, wie weggeblasen scheint. Man muss im wahrsten Sinne des Wortes sagen: Das ist nicht nur wie weggeblasen, sondern das ist eigentlich ein Rückschritt auf der ganzen Linie. Der Vorschlag missachtet eigentlich alles, wozu wir uns bei Klimaschutz, bei Tierschutz und bei Artenvielfalt verpflichtet haben. Er folgt nur kurzfristigen Interessen.
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Man könnte meinen, das sei im Labor entwickelt worden. Da wir uns gerade mit der Landwirtschaft beschäftigen, würde ich sagen: Das wurde im Silo entwickelt – ohne Beachtung dessen, was draußen drumherum passiert.
Wenn wir uns mal die Ernährungssituation weltweit ansehen und das herunterbrechen, dann wissen wir: Auf der einen Seite hungern 815 Millionen Menschen, auf der anderen Seite leben wir im Überfluss, und wir müssen uns sogar mit der Frage „Food Waste“ beschäftigen – also damit, dass Lebensmittel weggeworfen werden – und Gegenstrategien haben.
14 bis 18 Prozent der Treibhausgasemissionen kommen aus dem Bereich „Landwirtschaft und Ernährung“. Wenn wir die ganze Kette genauer berücksichtigen, den Transport, die Entwaldung, die Produktionsverfahren, Food Waste usw., dann sehen wir, dass 40 bis 50 Prozent der Treibhausgasemissionen allein aus diesem Bereich kommen.
Was bietet uns die Kommission als Lösung an? Etwas, was quasi im Silo entwickelt wurde. Das ist wahrscheinlich das Klein-Klein der Vorschläge der Agrarminister, die sie in Brüssel vorgebracht haben. Am Ende zählt nur die Produktion, das Ziel, immer mehr zu produzieren. Aber wir haben auf UN-Ebene auch Nachhaltigkeitsziele unterschrieben.
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Wo ist dann das Klimaziel? Wo geht es denn um die Themen Wasser, Biodiversität, Ökosysteme oder menschliche Gesundheit? Das alles ist hier schon diskutiert worden.
40 Prozent des EU-Haushaltes werden für den Agrarbereich ausgegeben. Und was gestalten wir damit? Das passt überhaupt nicht zu den politischen Zielen, die wir uns gesetzt haben.
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Es macht sich auch niemand die Mühe, sich mal damit auseinanderzusetzen, wie denn die Zukunft in den einzelnen Segmenten dieses Bereiches aussehen wird.
120 Prozent des Bedarfs an Schweinefleisch produzieren wir. Ich weiß nicht, wer das alles essen soll.
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Ich weiß auch gar nicht, wo die Zukunft von Cloppenburg/Vechta liegt.
Wenn Sie die Bauern noch weiter auf einen Exportkurs treiben, dann müssen Sie sie eigentlich auch bei der Hand nehmen und ihnen helfen, wenn dieser Weltmarkt zusammenbricht. Dann dürfen Sie sie nicht alleinlassen. Also lassen Sie es gleich mit dem Exportkurs!
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Beim Thema Fleisch wird quasi ein neuer Naturkreislauf auf der Welt entwickelt, indem erst mal Wälder gerodet werden. Dort werden dann Tiere gehalten, danach wird dort Futtersoja angebaut. Futtersoja wird nach Europa transportiert und kommt vorne ins Tier rein. Hinten kommt Gülle raus. Danach suchen wir den Ort, an dem wir diese Gülle loswerden. Es entsteht ein Gülletourismus. Die Wasserwerke müssen Wasser nachpumpen, und diesen Aufwand bezahlen die Kunden. Das ist eine Art neuer Naturkreislauf, den wir hier mit 40 Prozent des europäischen Haushaltes schaffen. Das ist Wahnsinn, und es geht in die falsche Richtung.
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Wenn ich das aus dem Silo-Blickwinkel sehe: Die Finanzierungsquellen für Agrarumweltmaßnahmen – auch die in benachteiligten Gebieten – sollen im Wesentlichen trockengelegt werden, kann man sagen. Für die Direktzahlung gilt das nur ein kleines bisschen. Das ist eine Nationalisierung, eine Renationalisierung von Umweltleistungen. Wir alle wissen, was dieses Signal bedeutet: Die Mitgliedstaaten werden in einer Art Dumpingwettbewerb miteinander darum kämpfen, dass möglichst wenige Regeln aufgestellt werden. Es ist das Gegenteil vom Pariser Klimaabkommen, wenn wir auf der einen Seite Abkommen unterzeichnen und uns feiern und auf der anderen Seite mit dem Geld und den bestehenden Strukturen genau das Gegenteil bewirken.
Meine Damen und Herren, Frau Ministerin und auch die Bundesregierung, ich kann Ihnen nur eins sagen: Wir müssen an dieser Stelle mit der Vorlage der Kommission so umgehen, dass wir unser Ziel erreichen, die CO 2 -Emissionen im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu senken. Dazu bietet dieser Vorschlag gar nichts. Meines Erachtens kann man deshalb dazu nur Nein sagen.
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Ihr Wissenschaftlicher Beirat hat das übrigens auch getan. Ich habe mir die Stellungnahme angesehen. Dort steht, das ganze System werde den Herausforderungen nicht gerecht – in keinem Bereich, meine Damen und Herren. Der Beirat kritisiert: Verteilungspolitisch ist das durch nichts zu rechtfertigen. Man müsste eher bei den gesellschaftlichen und Umweltfunktionen andocken, die die Landwirtschaft hat.
In dem Gutachten heißt es sehr konkret: Die Ziele der GAP sind neu auszurichten, man muss eine Gesamtarchitektur mit anderen Fonds machen. Man muss die Direktzahlungen innerhalb von zehn Jahren abbauen und Gelder für Gemeinwohlleistungen geben, meine Damen und Herren.
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit?
Ja. – In diesem Zusammenhang will ich eins sagen: Natürlich erklärt Ihr Wissenschaftlicher Beirat auch, dass man dazu Mut braucht. Ich glaube, genau das ist der Punkt. Das ist das, was ich heute erbitte. Denken Sie daran, dass wir mit 40 Prozent der EU-Mittel die Ziele, zu denen wir uns verpflichtet haben, realisieren müssen.
Deshalb bitten wir Sie: Haben Sie Zivilcourage! Haben Sie Mut! Lassen Sie sich nicht von den alten Lobbys über den Tisch ziehen. Sagen Sie zu dieser Vorlage Nein.
Redezeit, bitte.
Lassen Sie uns etwas Positives für die Zukunft erarbeiten.
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Ich bitte Sie noch einmal alle, auf die Redezeit zu achten.
Vielen Dank, Renate Künast. – Die nächste Rednerin für die Bundesregierung: Julia Klöckner.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte, Frau Künast, das gleich aufnehmen. Sie sagten, man müsse Mut haben. Aber Mut alleine reicht nicht. Eine gewisse Klugheit gehört auch dazu. Sie hatten damals als Ministerin den Mut, sich mit Ihrem Wissenschaftlichen Beirat wegen des Inhalts eines Gutachtens dermaßen anzulegen, dass er geschlossen zurückgetreten ist. So viel zu Ihrem Umgang mit Wissenschaftlichen Beiräten.
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Ich habe die Klugheit, mich mit diesen Vorschlägen auseinanderzusetzen, was ich bereits getan habe. Ich darf eine E-Mail von Professor Grethe, der in den Medien falsch wiedergegeben worden ist, mit seiner Zustimmung an den Ausschuss weiterleiten. Aber ich will noch einmal sagen: Ich löse keine Beiräte auf, nur weil mir ihre Ergebnisse nicht passen, so wie Sie das damals getan haben.
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Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gäbe es die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik nicht, dann müssten wir sie heute erfinden; denn die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik hat eine enorme Bedeutung für die europäische Integration, aber auch für die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Europa, und das seit 50 Jahren.
Wenn wir in anderen Politikbereichen ab und zu einmal sprachlos sind: Die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik ist und bleibt eine der ganz wichtigen Klammern Europas. Es ist gut – darüber bin ich froh –, dass daran nicht gerüttelt wird. Die Vorschläge von Kommissar Hogan sind – bei allem, worüber man debattieren kann – als Allererstes ein Bekenntnis zu diesem gemeinsamen Politikansatz. Das ist auch gut so.
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Auf dieser Basis, liebe Kolleginnen und Kollegen, lässt sich dann im Detail streiten, diskutieren und ringen; das ist auch gut so in einem Parlament.
Aber wir sollten uns auch immer vergewissern, dass es nicht um das Ob, sondern um eine Gemeinsame Europäische Agrarpolitik an sich geht. Es geht um die Ausgestaltung dieser Politik. Der Agrar- und Ernährungssektor sorgen dafür, dass wir in Europa, aber auch weltweit mit hochqualitativen Lebensmitteln versorgt sind. Dieser gemeinsame Markt ist wichtig. Er liefert uns Lebensmittel zu erschwinglichen Preisen. Und die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik sorgt auch dafür, dass Landwirte für das, was sie über ihre betriebswirtschaftlichen Interessen hinaus tun, entlohnt werden, weil es eine Leistung für die gesamte Gesellschaft ist.
Welche Landwirtschaft wollen wir? Eine flächendeckende, eine bäuerliche, eine moderne, eine nachhaltige Landwirtschaft. Sie stärkt die ländlichen Regionen. Sie hilft auch gegen eine Polarisierung und gegen das Auseinanderdriften in den ländlichen Regionen, wenn wir es richtig angehen. Deshalb sage ich: Stirbt die Landwirtschaft, dann stirbt auch der ländliche Raum.
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Deshalb sage ich: Ja, es ist viel Geld, das in der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik steckt, und deshalb gibt es auch viele Befindlichkeiten, Begehrlichkeiten und Emotionen. Aber ich meine, wir sollten die Vorschläge, die Licht und Schatten haben – wie das immer so ist –, unideologisch betrachten und vor allen Dingen immer die im Blick haben, nämlich die Bauernfamilien, bei denen es darum geht, wie ihre zukünftige Existenz und die ihrer Kinder und Kindeskinder aussehen wird.
Ja, es sind viele Vorschläge aus Deutschland aufgenommen worden. Aber es gibt auch neue Fragen und leider auch neue Bürokratie. Das sehen wir sehr kritisch. Über vieles wird zu reden sein. Ich werde im Juli mit meinen Kollegen aus den Bundesländern bei Kommissar Hogan und Kommissar Oettinger in Brüssel sein. Wir werden diese Debatten auf verschiedenen Ebenen führen. Wir sollten die Debatte – und ich meine, wir werden es auch tun – sehr beherzt führen, aber wir sollten sie auch immer respektvoll führen, auch in Anerkennung der Arbeit unserer vielen Bauernfamilien bei uns in Deutschland.
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Weniger Bürokratie und mehr Effizienz für eine marktfähige, flächendeckende bäuerliche Landwirtschaft: Dieses Ziel haben wir in der Koalition fixiert, und ich möchte, dass unsere Bauern auch spürbar von Bürokratie entlastet werden; denn gute Produkte werden nicht am Schreibtisch gemacht. Ich bin auch nicht der Meinung, dass wir sie immer stärker mit Dokumentationen belasten sollten. Denn am Ende blickt der kleine Landwirt nicht mehr durch. Am Ende machen wir es denen leicht, die groß sind. Ich bin der Meinung, wir sollten eine flächendeckende bäuerliche Landwirtschaft unterstützen.
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Ich sage ganz klar – anders als Kollegin Künast –, dass sich das Zwei-Säulen-Modell mit seiner Struktur bewährt hat. Ich halte es für richtig, und es haben fast alle Mitgliedstaaten gefordert. Übrigens hat auch die Kommission ein wissenschaftliches Gutachten vorgelegt. Ich will das noch mal konkretisieren, Frau Künast: Ihr Wissenschaftlicher Beirat ist damals wegen unüberbrückbarer Differenzen geschlossen zurückgetreten,
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und dazu sage ich: Wissenschaft ist wichtig. Wissenschaft ist ein Teilbereich, und politisch müssen am Ende wir entscheiden.
Ich unterstütze Kommissar Hogans Vorschläge zur Beibehaltung, Marktausrichtung und Verstärkung, auch die stärkere Förderung der Umwelt- und Klimaleistungen in der Landwirtschaft. Aber ich sage auch deutlich: Wir brauchen eine starke zweite Säule. Auch stellt sich die Frage nach der umweltschonenden Bewirtschaftung und danach, was in der ersten Säule die Basisabsicherung ist. Es hat ja alles einen Grund, warum wir das haben. Wenn wir eine flächendeckende Landwirtschaft haben wollen – auch mit der Einkommenssicherung der Landwirte –, dann dürfen wir nicht dort die Axt ansetzen, wo wir den Landwirten auch in der ersten Säule eine verlässliche Politik schuldig sind.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, es wird neue Herausforderungen geben. Das bisherige Greening fällt als solches weg. Man kann sagen: Cross Compliance gilt jetzt für alles, also auch zu 100 Prozent für die erste Säule. Es kommen neue Auflagen dazu. Es kommen zusätzliche Auflagen dazu. Das wird für die Landwirte nicht einfach sein, und da werden wir noch über das eine oder andere reden müssen; denn das muss auch leistbar und umsetzbar sein. Denn die Landwirtschaft in Europa konkurriert weltweit, und wenn sie weltweit konkurriert, dann müssen wir auch die Standards miteinander vergleichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was haben wir vor, wie geht es weiter? Es ist meiner Meinung nach positiv, dass es Möglichkeiten gibt, kleinere Betriebe noch besser zu fördern. Das sind gute Ansätze bei den Vorschlägen. Das sollten wir nutzen.
Ich sehe eine verpflichtende Kappung bei 100 000 Euro als hochproblematisch an. Warum? Man muss sich die Vorschläge genauer anschauen.
Zum einen: Es gibt mehr Familienbetriebe, die nach außen hin groß wirken, aber es sind mehrere Familien, die davon leben. Gleichzeitig sollen die Arbeitskosten angerechnet werden. So würden in Deutschland fast keine Betriebe darunterfallen. Faktisch wäre das, wie gesagt, wirkungslos. Aber umgekehrt würden die bürokratischen Auflagen bei der Erfassung der Lohnkosten einen enormen Verwaltungs- und Bürokratieaufwand bedeuten.
Wenn wir über die Akzeptanz Europas reden, müssen wir auch immer darüber nachdenken, was die Vorschläge, die wir machen, bei den Menschen auslösen, die jeden Tag arbeiten, um ihre Familie zu ernähren und ordentliche Produkte in die Regale zu bringen, und ob das die Akzeptanz Europas erhöht oder nicht. Ich sage Ihnen: Je mehr Bürokratie wir haben, je mehr Europa reinredet und je weniger Spielräume wir haben, was die Regionen betrifft, umso stärker wird die Akzeptanz Europas leiden. Wir sind auch dafür verantwortlich, in der Debatte eine gute Balance zu finden.
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Das heißt, Umsetzungsmodelle dürfen nicht zu kompliziert sein. Aber bei all dem gibt es eine ganz zentrale Frage. Ich verstehe das und bin dankbar, dass wir, das Umweltministerium und das Landwirtschaftsministerium, um unsere Positionen, die wir im Umweltschutz, im Klimaschutz und in der Landwirtschaft – Stichwort „Biodiversität“ – zu vertreten haben, konstruktiv miteinander ringen, genauso wie darum, was wünschenswert ist, was machbar ist und ob die Zielerreichung am Ende dort steht, wo wir sie haben möchten. Da geht es um das Geld. Das ist eine der zentralen Fragen: Wie viel Geld sollen wir für die Erfüllung der Wünsche, die auch aus dem Parlament kommen, ausgeben? Das ist noch nicht zu Ende entschieden.
Aber ich kann Ihnen für uns Koalitionäre sagen: Wir haben uns im Koalitionsvertrag ganz klar dafür ausgesprochen, dass wir ein GAP-Budget im bisherigen Volumen anstreben. In diesem Sinne werde ich weiter verhandeln. In diesem Sinne bitte ich um Ihre Unterstützung. In diesem Sinne werden wir auch nationale Maßnahmen ergreifen, wenn in der zweiten Säule Geld wegfallen wird für die ländlichen Regionen, sei es im Rahmen der GAK oder sei es mit weiteren Budgets und Mitteln, die ich auf europäischer Ebene sehe, zum Beispiel für den Klimaschutz. Da die Landwirtschaft in enormem Maße zum Klimaschutz beitragen kann, sollte sie auch an dem Geld partizipieren.
Alles in allem: Ich denke, Umweltschutz, europäische Integration, Zukunft für unsere Landwirte und für den Verbraucher, Angebote, die bezahlbar sind – das alles ist miteinander vereinbar, aber bitte ohne ideologische Scheuklappen.
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Vielen Dank, Julia Klöckner. – Nächste Rednerin: Franziska Gminder für die Fraktion der AfD.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kollegen, die noch übrig geblieben sind, weil der Stalldrang sie noch nicht nach Hause gerufen hat! Wir als AfD stehen für den Schutz von Natur und Artenvielfalt. Dazu zählt für uns insbesondere der Arten- und Insektenschutz.
Der Rückgang bei den Insekten ist beängstigend. In jüngster Zeit hat eine große Lebensmittelkette alle Produkte aus ihren Regalen entfernt, zu deren Entstehung die Bestäubung durch Insekten unentbehrlich ist. Das betraf 60 Prozent. Ist das nicht erschreckend? Wer von uns war nicht begeistert über die von Kornblumen, Klatschmohn und Kamille buntgefärbten Getreidefelder der neuen Bundesländer nach der Wende? Pestizide haben der ganzen Pracht den Garaus gemacht und das fortschreitende Insekten- und Bienensterben gefördert. Das muss uns allen eine Warnung sein.
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Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die Anwendung von Pestiziden allgemein reduziert wird. Ein Fortschritt ist möglicherweise das Verbot der Neonikotinoide im Freiland, sofern dies konsequent durchgehalten wird. In den Siedlungsgebieten sollten die öffentlichen Grünflächen insektenfreundlich angelegt und gepflegt werden. Auch die Vielfalt von Blühpflanzen in unseren Privatgärten trägt wesentlich zur Ernährung der Insekten und Bienen bei. Forsythien und Alleen mit japanischen Zierkirschen, wie man sie hier in Berlin oft sieht, sind zwar eine farbliche Augenweide. Aber eine Insektenweide sind sie nicht.
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Die Aufgabe der Landwirte ist es, Lebensmittel zu erzeugen. Seit über 60 Jahren leiden wir in Europa keinen Hunger mehr. Das verdanken wir unseren Bauern. Jetzt ist es an der Zeit, neue Natur- und Artenschutzprobleme aufzugreifen. Obwohl die GAP Anbaudiversifizierung auf ihre Fahnen schreibt, subventioniert sie Monokulturen. Das ist ein Witz. Bei Anbauflächen bis 30 Hektar müssen zwei Hauptkulturen angebaut werden, von denen die größere nicht mehr als 75 Prozent umfassen darf. Und was ist dann? Eine Vermaisung letztendlich! Denn nur 25 Prozent verbleiben für die zweite Kultursorte. Ist das nicht auch erschreckend? Da haben wir dann die Monokulturen. Bei Betrieben über 30 Hektar – nach oben offen – müssen drei Kulturen angebaut werden. Das klingt beruhigend. Bei diesen drei Kulturen dürfen zwei Kulturen nicht mehr als 95 Prozent umfassen. So verbleiben für die dritte nur noch 5 Prozent. Diversität? – Ich lach mich kaputt.
Unsere konkreten Vorschläge sind:
Erstens. Wir möchten eine Steigerung des ökologischen Landbaus.
Zweitens: eine deutliche Erhöhung des Anteils ökologischer Vorrangflächen. Auf diesem Gebiet fordert die GAP nur 5 Prozent für Betriebe ab 15 Hektar. Das ist weiß Gott nicht viel.
Drittens plädieren wir für vielgliedrige Fruchtfolgen, Leguminosenanbau, wechselnde Sorten und mechanische Pflegemaßnahmen. Diese sind wichtige Bestandteile des naturnahen Pflanzenschutzes und fördern die Bodenfruchtbarkeit.
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Die Sortenvielfalt erscheint mir bedroht durch den jetzt genehmigten Aufkauf von Monsanto durch Bayer. Wird das nicht zu einer Normierung des Saatgutes führen? Wo bleiben die alten Sorten und die Unabhängigkeit in der Sortenwahl unserer Landwirte?
Viertens: Weiterbildung und Beratung für Landwirte zu den Themen Biodiversität und Insektenschutz. Schweden und Dänemark haben dies beispielhaft vorgemacht. Beide Länder haben eine 50-prozentige Pestizidreduktion erzielt durch die Prinzipien Fordern und Fördern. Gefördert wird eine fachliche Beratung – die wünschen wir uns auch –, und finanziert wird sie über eine Pestizidabgabe.
Fünftens. Die neue Düngeverordnung ist ein wichtiger Schritt, um überhöhte Nährstoffeinträge in Luft, Boden und Wasser zu senken. Überdüngte Flächen sehen wir als weiteren Faktor für den Artenverlust an. Wir wollen keinen Gülleimport aus den Niederlanden, der auf unseren Flächen zu erhöhten Nitratgehalten im Grundwasser geführt hat.
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Nicht umsonst hat uns dieses Thema ein Strafverfahren bei der EU eingebracht.
Sechstens. Wir setzen uns für eine flächengebundene Tierhaltung in kleinen und mittleren Betrieben ein.
Gesunde Landschaften sind für alle Menschen wichtige Erholungsräume. Das Heimatgefühl vieler Menschen macht sich an den Dörfern und Landschaften ihrer Kindheit fest. Wir müssen jetzt handeln. Unsere Agrarpolitik wird auf EU-Ebene, wie ich meine, unbefriedigend verwaltet. Für die Landwirte sind sowohl die Anträge auf Fördergelder als auch die Umsetzung der Maßnahmen mittlerweile zu kompliziert. Teilweise nehmen sie aus diesen Gründen an den Fördermaßnahmen gar nicht mehr teil.
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit?
Die Unterstützung der Landwirte und der Umweltschutz sind heute zwei Ziele, für die es jetzt die Weichen zu stellen gilt. Die Pressemitteilung der EU-Kommission vom 1. Juni spricht zwar von mehr Subsidiarität der Mitgliedstaaten, allerdings kann ich das nicht erkennen.
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Das ganze System muss dringend verändert werden. Vorschläge dafür habe ich genannt.
Würden Sie bitte an Ihre Redezeit denken?
Ja, mache ich sofort. Letzter Satz.
Nein, Sie sind jetzt fertig.
Aha. – Wir hoffen, dass Sie und Ihr Ministerium sich in Brüssel dafür einsetzen, dass Deutschland nicht schäbig behandelt wird und die Kürzungen nicht auf dem Rücken unserer Bauern ausgetragen werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich sage es noch mal: Die Redezeiten sind fünf Minuten. Das war deutlich überzogen. Ich bitte Sie herzlich, sich daran zu halten. Ich habe bisher nicht den Ton abgeschaltet; aber ich werde es ab jetzt tun.
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Rita Schwarzelühr-Sutter für die Bundesregierung ist die nächste Rednerin.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist immerhin ein Vorteil, dass alle in der Zwischenzeit erkennen, in welchem Zustand unsere biologische Vielfalt ist, dass dieser Zustand besorgniserregend ist und dass wir unser Augenmerk vor allem auf unsere Agrarlandschaft legen sollten.
Wir sehen ein dramatisches Insektensterben mit fatalen Konsequenzen auch für die Landwirtschaft. Alleine Wild- und Honigbienen sichern mit ihrer Bestäubungsleistung jährlich Lebensmittel im Wert von immerhin 500 Milliarden Euro weltweit. Vermutlich sind das die am meisten unterschätzten Tiere. Darum arbeiten wir jetzt zum Beispiel an der Abstimmung der Eckpunkte zum „Aktionsprogramm Insektenschutz“. Bundesumweltministerium und Bundeslandwirtschaftsministerium haben auch das Thema Ackergifte im Visier, Stichwort „Glyphosatausstieg“. Noch wichtiger sind in diesem Zusammenhang die Gemeinsame Agrarpolitik in der EU, kurz: GAP, und die Frage, wie sie nach 2020 aussehen wird. Allerdings kann ich Ihnen sagen: Wir im BMU sind nicht so besonders glücklich bzw. wir sehen schon, dass da noch ein großer Verbesserungsbedarf besteht.
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Die Kommission ist ursprünglich mit einem wirklich guten Vorsatz ins Rennen gegangen. Sie wollte deutlich machen, dass öffentliche Gelder einen gesellschaftlichen Mehrwert erbringen müssen. Das Ergebnis selber ist, wie gesagt, verbesserungsbedürftig. Es darf jetzt nicht die Chance vertan werden, dafür zu sorgen, dass sich umweltgerechtes Wirtschaften für die Landwirtinnen und Landwirte lohnt. Von Deutschland wird jetzt erwartet, dass wir uns in den GAP-Verhandlungen für mehr Umwelt- und Klimaschutz starkmachen – ich sage es ausdrücklich –, nicht allein aus Umwelt- und Klimaschutzgründen, sondern vor allem auch zugunsten unserer Bäuerinnen und Bauern.
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Die Gemeinsame Agrarpolitik muss zwei Dinge leisten:
Erstens muss sie dafür sorgen, dass Landwirtinnen und Landwirte ein auskömmliches Einkommen haben. Und natürlich muss gelten: öffentliches Geld für öffentliche Leistungen. Anders lässt sich der Einsatz von Steuermitteln nicht rechtfertigen. Da bedarf es auch Pflichten und sinnvoller Anreize für die Empfänger der Mittel.
Zweitens muss staatliche Förderpolitik dafür sorgen, dass ausreichende Finanzmittel für öffentliche Güter bereitgestellt werden. Aus diesem Grund plädiert das Bundesumweltministerium schon seit langem für einen eigenen EU-Naturschutzfonds. Dem ist die Kommission leider nicht gefolgt. Das bedeutet, dass die Naturschutzfinanzierung nun weiterhin aus den Finanztöpfen einzelner Sektoren kommt, insbesondere aus der GAP.
Die aktuellen Vorschläge der Kommission sehen leider weder die richtige Mischung aus Pflichten und Anreizen für ökologische Leistungen vor, noch sehen sie ausreichende Mittel vor. Schon die Vorlage des mehrjährigen Finanzrahmens Anfang Mai war eigentlich eine Enttäuschung; denn ambitionierten Umwelt-, Natur- und Klimaschutz kann es nicht mit weniger Mitteln geben.
Die erste Säule mit ihren Direktzahlungen bleibt quasi ungeschoren, obwohl sie ineffektiv und ineffizient ausgestattet ist. Das sage nicht nur ich; das sagen vor allem auch der Europäische Rechnungshof und der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik des Bundeslandwirtschaftsministeriums.
Vollkommen unverständlich ist für uns, dass der Rotstift ausgerechnet bei der zweiten Säule angesetzt wurde, über die Umwelt- und Naturschutzmaßnahmen gezielt gefördert werden. Das ist so eigentlich nicht zustimmungsfähig.
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Die zweite Säule ist unser zentrales Finanzinstrument im Bereich der biologischen Vielfalt. Hier brauchen wir mehr und nicht weniger Mittel.
Und noch ein grundsätzlicher Kritikpunkt an den Vorschlägen der Kommission: Sie möchte die konkrete Ausgestaltung ihrer Förderpolitik weitgehend den Mitgliedstaaten überlassen, gibt aber dabei keine ambitionierten Standards vor. Das führt am Ende unweigerlich zu Umweltdumping: Wer die geringsten Umweltstandards hat, der hat den größten Wettbewerbsvorteil. Das kann eigentlich keine nachhaltige Landwirtschaft sein.
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Ein umweltpolitischer Unterbietungswettbewerb ist wirklich das Letzte, was wir und auch die Landwirtinnen und Landwirte brauchen, schon gar nicht hier in Deutschland.
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Denken wir zum Beispiel an die jetzt in der ersten Säule eingeführten freiwilligen Umweltmaßnahmen, die sogenannten Eco-Schemes. Für diese sind weder ein Mindestbudget noch inhaltliche Vorgaben vorgesehen, und es steht den Mitgliedstaaten frei, zu entscheiden, ob sie sich beim Naturschutz ernsthaft anstrengen wollen oder nicht.
Ähnlich problematisch sieht es beim Greening aus. Bisher erhalten Landwirte 30 Prozent ihrer Direktzahlungen dann, wenn sie konkrete zusätzliche Umweltleistungen erbringen, also zum Beispiel für den Erhalt von Wiesen und Weiden oder den Anbau vielfältiger Feldfrüchte. Ich glaube, das ist gerade in Regionen wie Baden-Württemberg, die topografisch manchmal recht schwierig sind, ein wichtiger Bestandteil des Einkommens. Die Greening-Mittel in Höhe von 30 Prozent der Direktzahlungen sollen nach den Plänen der Kommission wegfallen und durch strenge Umweltanforderungen für 100 Prozent der Direktzahlungen ersetzt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da muss man wirklich gucken: Wie sehen diese strengen Umweltanforderungen aus? Wie werden sie künftig von den einzelnen Mitgliedstaaten selbst definiert? Auch hier droht ein Unterbietungswettbewerb. Das ist sicherlich nicht förderlich für den Zusammenhalt in Europa und für eine höhere Akzeptanz in diesem Bereich.
Glücklicherweise gibt es hierzu eine Alternative: Erhalten wir lieber den bisherigen Anteil der Greening-Mittel von 30 Prozent in der ersten Säule. Damit könnten wir in Zukunft freiwillige Umweltmaßnahmen der Landwirte finanzieren.
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– Frau Künast, unsere beiden Häuser haben ihre Positionen. Ich habe diese Woche schon mal bei einer Veranstaltung gesagt: Ich bin zuversichtlich, dass die Frauen untereinander einen guten Dialog pflegen und am Ende des Tages versuchen, eine gute Lösung hinzukriegen, um gemeinsam auf EU-Ebene wirklich was zu erreichen.
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Am Ende zählt das, was wir in Brüssel erreichen.
Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben im Koalitionsvertrag verabredet, dass wir uns in der EU für mehr Mittel für den Naturschutz einsetzen. Ich gehe jetzt davon aus, dass das, wenn wir als beteiligte Ressorts miteinander verhandeln, wenn wir uns abstimmen, auch das Ziel ist. Ich weiß, dass auch das Bundeslandwirtschaftsministerium für eine stärkere Honorierung der Umwelt- und Klimaleistungen in der GAP ist. Wie gesagt, wir haben eine sehr heterogene Landwirtschaft in Deutschland, und wir haben den Ansatz einer nachhaltigen Landwirtschaft. Da gehört das einfach mit dazu, und genau für das werden wir jetzt kämpfen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Frau Schwarzelühr-Sutter. – Nächste Rednerin: Carina Konrad für die FDP-Fraktion.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Ministerin, liebe Staatssekretärin, vielen Dank, dass Sie beide heute hier sind. Das zeigt, dass wir den ernsthaften Versuch unternehmen, über dieses wirklich komplexe und auch wichtige Thema für die Zukunft der ländlichen Räume und der Landwirtschaft in Deutschland miteinander zu reden und nicht übereinander. Dafür bedanke ich mich ausdrücklich.
Es ist deutlich geworden: Niemand ist überglücklich über die vorliegenden Vorschläge der EU-Kommission. Auch ich bin enttäuscht darüber, dass ausgerechnet in der zweiten Säule so stark gekürzt werden soll; denn effizienter Umwelt- und Naturschutz und auch Klimaschutz – darum soll es heute in der Aktuellen Stunde, die Sie beantragt haben, gehen – sieht in der Magdeburger Börde anders aus als zum Beispiel bei uns im Mittelgebirge in Rheinland-Pfalz. Das hängt an Betriebs- und Flächenstrukturen. Deshalb brauchen die Länder einen eigenen Spielraum und kein starres Konzept.
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Frau Ministerin, Sie haben in der Presse von Licht und Schatten in dieser Diskussion gesprochen. Ich will einen neuen Aspekt hineinbringen. Wir Freie Demokraten sehen auch Chancen in den vorliegenden Vorschlägen. Allerdings muss man schon sagen: Gesetze und Auflagen und auch Vorgaben haben wir bereits genug. Der Bürokratieaufwuchs, der zu befürchten ist, ist für viele Landwirte ein großes Problem.
In dem Wort „Landwirtschaft“ steckt ein ganz entscheidendes Wort, nämlich „Wirtschaft“. Landwirte haben auch Sorgen und Nöte und müssen von ihrer Hände Arbeit leben können. Landwirte sind übrigens wie alle Naturbewirtschafter für mich der Schlüssel für die Umsetzung von Naturschutz, aber auch für die Ernährungssicherung; das wird in der Debatte ganz gern vergessen.
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Wir müssen das in Einklang bringen: auf der einen Seite die Ernährungssicherung, auf der anderen Seite den Ressourcenschutz.
Einkommenssicherung der Bauern ist schon jetzt mit Umweltauflagen verbunden: vielfältige Fruchtfolgen, Leguminosen, Erhalt von Dauergrünland, Blühstreifen und vieles mehr; Sie kennen das alles. Doch viel zu oft ist die starre Bürokratie dafür verantwortlich, dass die Freiheit der Landwirte bei der Umsetzung eingeschränkt wird. Wenn ich als Landwirt wegen Lappalien Sanktionen befürchten muss, dann entscheide ich mich als Praktiker besser für den sichereren Weg, und das ist schade; denn das ist nicht immer der nachhaltigere. Deshalb denke ich: Wir brauchen mehr Freiheit bei der Umsetzung von einzelnen Maßnahmen und müssen auch standortgerechte Maßnahmen entwickeln.
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Die Vielfalt, die fehlt mir ganz oft auch in der aktuellen Debatte; denn wir reden über einen großen Komplex. Wenn wir über Biodiversität reden, reden wir nämlich nicht nur über Schlagworte wie Ihren Insektenschutz, sondern wir reden auch über Boden, über das Leben im Boden, in der Luft, im Wasser, unter der Wasseroberfläche.
Die Intensität und die Härte, mit der hier manchmal diskutiert wird und mit der auch unter dem Schlagwort „Insektensterben“ diskutiert wird, hat ganz fatale Folgen. Wenn Kinder in der Schule gemobbt werden, weil ihre Eltern Landwirte sind, ist das inakzeptabel. Wenn Berufsschüler, die Landwirtschaft lernen, in Berufsschulen dafür kritisiert werden, dass sie diesen wunderbaren Beruf erlernen, dann erleben wir eine Verrohung der Debatte, die wir nicht mehr hinnehmen können.
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Das führt dazu, dass sich Hoftore für immer schließen. Wenn ein Landwirt keinen Nachfolger mehr findet, dann ist das eine Form von Artensterben, die wir verdammt ernst nehmen müssen.
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Was ich heute vermisst habe, auch gerade vonseiten der Grünen – das fand ich wirklich schade –, sind Vorschläge, wie wir dieses Dilemma auflösen können, wie wir mehr Leistungen erbringen und Ökonomie und Ökologie – darum geht es schließlich – in Einklang bringen können. Ich will ein paar Vorschläge machen, wie das gelingen kann.
In meinen Augen sind gerade junge Landwirte der Ideenmotor. Sie sind gut ausgebildet. Deshalb ist es mir besonders wichtig, dass wir diese Gruppe fokussieren.
Neue Technologien – davon werden wir nachher bestimmt noch viel hören – können gerade zum Umwelt- und Naturschutz einen großen Beitrag leisten. Denken Sie nur an moderne Pflanzenschutzspritzen, die Unkraut in Zukunft sensorgesteuert zielgenau dort behandeln können, wo es steht. Dafür brauchen wir die politischen Voraussetzungen; das ist uns allen bewusst.
Der Zulassungsstau bei Pflanzenschutzmitteln muss aufgelöst werden; denn wir brauchen neue und innovative Produkte. Und um den kooperativen Natur- und Umweltschutz und auch den Schutz der Insekten, den Schutz vieler Arten voranzubringen, braucht es vor allen Dingen Geld. Das ist nicht wegzudiskutieren. Ziel muss nämlich sein, dass sich die Leistungen, die Landwirte erbringen, für sie auch lohnen.
Was es in meinen Augen ganz zentral braucht – und damit komme ich auch zum Ende, Frau Präsidentin –, ist, die Akteure, die auf vielen Ebenen unterwegs sind – die Landwirte, die Wissenschaft, die Praxis und die vielen guten Initiativen –, zusammenzubringen und zu vernetzen. Dazu gehört auch, die Politik in Ländern, wo gute Dinge stattfinden, mit anderen zu vernetzen, sodass wir insgesamt voneinander profitieren können; denn unser Ziel muss es sein, das Thema voranzubringen und es nicht immer in den Debatten klein- und schlechtzureden.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin: Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Frau Ministerin, ich finde es durchaus wichtig, jetzt über die Vorschläge zur EU-Agrarpolitik nach 2020 zu diskutieren, auch wenn ich, ehrlich gesagt, denke: Viele Dinge kann man gar nicht abschließend bewerten; denn da ist so viel Spielraum. Aber viele Landwirtschaftsbetriebe und Dörfer brauchen dringend bessere Unterstützung. Ihre Lage ist so ernst, dass ich sage: Es geht eben nicht nur um Umsteuern und Nachsteuern, sondern tatsächlich darum, Landwirtschaft neu zu denken.
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Aus Sicht der Linken ist die EU-Agrarpolitik nämlich sowohl sozial als auch ökologisch regelrecht gescheitert, und vor allem ortsansässige Landwirtschaftsbetriebe, die Dörfer und die Natur müssen das ausbaden, und ich finde, das geht so nicht.
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Ja, das Ziel der Lebensmittelversorgung wird erfüllt, oft sogar weit über den Bedarf hinaus. Zusätzlich werden erneuerbare Energien von der Landwirtschaft produziert. Das Problem ist aber, dass sie damit immer mehr zur möglichst billigen Rohstofflieferantin degradiert wird. Sie wird fit gemacht für einen Weltagrarmarkt, für den soziale und ökologische Leistungen nur Kostenfaktoren sind. Die Profite gehen an übermächtige Schlachthof-, Molkerei- und Supermarktkonzerne, während immer weniger von landwirtschaftlicher Arbeit wirklich leben können. Derweil zieht landwirtschaftsfremdes Kapital längst auf der Suche nach den Opfern dieses Dumpingwettbewerbs durchs Land und macht fette Beute.
Unter diesen Bedingungen wird übrigens auch die Junglandwirteförderung schnell zur Farce. Deshalb geht es eben nicht nur um Symptomlinderung durch bessere Agrarfördersysteme, sondern um ein krankes System, aus dem wir dringend aussteigen müssen.
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Deshalb wollen wir die Landwirtschaft strategisch wieder am Gemeinwohl orientieren. Linker Maßstab ist: Man muss von landwirtschaftlicher Arbeit auch dann leben können, wenn man Mensch und Natur mit Respekt behandelt.
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Diesem Anspruch werden die Vorschläge der EU-Kommission leider nicht gerecht; dabei geht es doch wirklich um Weichenstellungen für das nächste Jahrzehnt.
Aber auch der Titel der Aktuellen Stunde der Grünen heute ist durchaus „unterkomplex“, um es vorsichtig zu sagen. Natürlich wollte und will Die Linke, dass mehr Arten-, Natur- und Insektenschutz Voraussetzung für die Förderungen ist. Das leistet der Kommissionsvorschlag nur bedingt. Außerdem gibt es sehr viele kryptische Formulierungen und Entscheidungsspielräume, die eine Bewertung relativ schwer machen. Dass der Klimaschutz in Ihrem Titel gar nicht vorkommt, ist schon ein bisschen verwunderlich, dass er aber die soziale Frage in der Agrarpolitik völlig ausblendet, lässt dann doch tief blicken.
Leider ist dieses Thema auch in der europäischen und deutschen Agrarpolitik unterbelichtet. Deswegen wird Die Linke zum Beispiel weiter für eine Weidetierprämie kämpfen. Ja, das wäre eine Ausnahme von dem Dogma, Fördergelder nicht mehr an die Produktion zu koppeln. Aber sie ist berechtigt. Andere Mitgliedstaaten nutzen diese Option. Wir verlieren gerade viele Schäfereien, die aufgrund der prekären sozialen Situation aufgeben müssen oder keinen Nachfolger finden, wodurch ihr unverzichtbarer Beitrag zum Grünlanderhalt, zum Deich- und Naturschutz oder zur Kulturlandschaftspflege gefährdet ist. Ich finde, das können wir nicht zulassen.
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Der Verweis auf die sogenannte zweite Fördersäule ist hier aus meiner Sicht nicht angebracht; denn sie erreicht nicht alle, und außerdem ist sie nur eine Aufwandsentschädigung. Hier wird aber zusätzliche Hilfe gebraucht, und deswegen muss sie schnell kommen.
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Berechtigt kritisiert wird auch, dass Fördergelder oft gar nicht in den Landwirtschaftsbetrieben bleiben, sondern zum Beispiel über explodierende Bodenpreise in andere Taschen umgeleitet werden. Ja, das ist inakzeptabel. Aber dagegen hilft eben nicht die pauschale Kritik an ostdeutschen Agrarbetrieben. Wer das ändern will, muss den Bodenmarkt besser regulieren. Landwirtschaftsfremdes Kapital muss vom Bodenerwerb ausgeschlossen werden, aber eben auch von der Agrarförderung. Warum sollen wir Heuschrecken mit Steuergeldern füttern, die ohne Verankerung vor Ort sind, auf Kosten von Menschen und Natur leben und weiterziehen, wenn ihre Renditeerwartungen nicht erfüllt werden?
Auch bei den Geldern für die Agrarpolitik müssen die Dörfer viel mehr in den Blick genommen werden. Wenn Dorf und Landwirtschaft wieder gemeinsam gedacht werden, profitieren doch beide. Das muss endlich besser gelingen. Dass ausgerechnet hier die Mittel drastisch gekürzt werden sollen, ist absolut inakzeptabel. Der erhebliche Handlungsbedarf ist offensichtlich. Es steht im Grundgesetz, dass wir gleichwertige Lebensbedingungen sichern müssen; die Ministerin hat darauf verwiesen. Wir müssen das ernst nehmen. Es ist Chefinnensache – davon gehe ich aus –, und die anderen Ressorts müssen helfen.
Eine letzte Hausaufgabe von uns Linken: Agrargelder dürfen nicht länger nur in den Taschen von Männern landen.
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Wir brauchen endlich eine geschlechtergerechte Agrarpolitik.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Tackmann. – Nächster Redner in der Debatte: Hermann Färber für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Direktzahlungen der Gemeinsamen Agrarpolitik machen circa 40 Prozent des Einkommens landwirtschaftlicher Betriebe aus; auch das muss einmal gesagt werden. Damit erhalten rund 4 Millionen Landwirte in 18 Mitgliedstaaten eine finanzielle Unterstützung für ihre Arbeit, nämlich zum einen für die Herstellung gesunder und sicherer Lebensmittel, zum anderen aber auch für Leistungen, die über den Preis für Lebensmittel nicht abgegolten werden: die Erhaltung der Kulturlandschaft, die Offenhaltung der Landschaft und so auch die Erhaltung unserer geliebten Heimat. Dafür bekommen sie dieses Grundeinkommen, ohne das ein Landwirt kaum überleben könnte.
Die Direktzahlungen sind eine Einkommensunterstützung. Wofür sie aber nicht gedacht sind, ist eine ausschließlich Finanzierung von Umweltpolitik. Bereits heute sind 30 Prozent der Zahlungen an sehr strenge Auflagen gekoppelt, die zur Biodiversität beitragen und dem Umweltschutz dienen. Diese Zahlungen werden gekürzt, wenn gegen die Auflagen verstoßen wird. Das beste Beispiel ist der Blühstreifen am Ackerrand: Wenn er zu schmal, aber auch wenn er zu breit ist, wird der Landwirt mit Abzügen bestraft.
Für die Zukunft sehen die Pläne der Kommission vor, dass die Direktzahlungen zu 100 Prozent an die Erfüllung von Umweltmaßnahmen gebunden sind, und auch die Naturschutzauflagen sollen weit über den jetzigen Standards liegen.
Gleichzeitig – das muss man an dieser Stelle dazusagen – werden aber die GAP-Mittel gekürzt. Allein für Deutschland stehen künftig rund 380 Millionen Euro weniger zur Verfügung. Keine Frage: Landwirte tragen im Umgang mit der Natur eine besondere Verantwortung. Sie sind auch gerne bereit, Maßnahmen zu ergreifen, um die Ziele der EU zum Schutz des Klimas, der Natur und der Artenvielfalt zu erreichen.
Allerdings müssen diese Leistungen dann auch bezahlt werden. Jährlich geben allein in Deutschland 7 000 Landwirte ihre Höfe auf. Sie geben nicht deshalb auf, weil sie nicht genügend für die ökologische Vielfalt tun wollten, sondern, weil dieser Beruf – Frau Tackmann hat es schon angeführt am Beispiel der Wanderschäfer – oftmals keine Perspektive mehr bietet. Zum einen stehen die Landwirte immer mehr am öffentlichen Pranger, zum anderen haben sie aber auch erhebliche finanzielle Probleme.
Ich nenne Ihnen ein paar Beispiele. Wenn man hört, dass beim Landwirt für 1 Kilo Brot gerade einmal 18 Cent ankommen, für ein Schweinekotelett von 200 Gramm gerade einmal 21 Cent, für ein Glas Milch 0,09 Cent und für eine Kartoffel 0,02 Cent, dann wird vielleicht nachvollziehbar, dass mit diesem Geld die Lebensmittel allein nicht produziert werden können und dass andere Finanzierungsquellen erforderlich sind.
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Ich möchte noch einmal betonen: Die Landwirtschaft ist bereit, die Natur zu schützen. Es hat kein Landwirt ein Problem damit, wenn Beikräuter, wenn Wildblumen in seinem Acker stehen. Aber wenn er dann den Weizen nach der Ernte in die Mühle bringt und der Müller ihm einen Haufen Geld abzieht, weil er gerade diese Wildblumen nicht in dem Mehl haben will, weil der Verbraucher diese Stoffe von diesen Blumen nachher nicht im Brot haben will, dann hat der Landwirt ein Problem.
Ein anderes Beispiel aus meinem Wahlkreis: Wir haben Landwirte, die sehr viele Flächen mit FFH-Wiesen – Flora-Fauna-Habitat-Wiesen – bewirtschaften und jetzt nach rund zehn Jahren der Bewirtschaftung vor der Situation stehen, dass sie einen Anteil von 16 Prozent Herbstzeitlosen im Futter haben. Sie dürfen dieses Futter aufgrund der hohen Giftigkeit der Herbstzeitlosen gar nicht mehr an ihre Tiere verfüttern, sondern müssen das Heu im Müllheizkraftwerk entsorgen. Frau Schwarzelühr-Sutter, ich lade Sie gerne mal in meinen Wahlkreis ein. Wir müssen den Landwirten eine Antwort geben können; die können wir in dieser Situation nicht alleinlassen.
({1})
Wir dürfen im Zusammenhang mit den Agrarzahlungen nicht allein auf die Landwirte schauen, sondern müssen die ganze Kette in die Verantwortung nehmen – vom Landwirt über den Verwerter, den Verarbeiter, den Handel bis zum Verbraucher. Jeder kann und muss in seine Pflicht genommen werden.
Meine Damen und Herren, ich sehe, dass sich meine Redezeit dem Ende neigt.
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Genau.
Mein Wunsch wäre, dass sich all jene, die mittlerweile mit irgendwelchen Methoden versuchen, in die Töpfe der Agrarhaushalte zu greifen, selber Gedanken darüber machen, was sie beitragen können. Ich würde mir wünschen, dass die Umweltorganisationen aller Art, die sich an der Diskussion beteiligen, sich selber Gedanken machen, ob sie den Landwirten nicht von sich aus etwas anbieten können, zum Beispiel kooperative Verträge zum Schutz der Vielfalt.
Herr Färber.
Ich bin sofort fertig. – Ich hätte mir sehr gewünscht, dass anstelle der Veröffentlichung von Bauernregeln das Umweltministerium vermehrt die Kooperation mit den Landwirten gesucht hätte.
Vielen Dank.
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Nächster Redner: Kay Gottschalk für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stehen zu den Kleinbauern und den mittleren bäuerlichen Betrieben in Deutschland.
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Was Sie hier heute alles beklagen, haben Sie in den letzten 20 Jahren durch Ihre Politik zu verschulden. Insofern ist das ein Riesenkatzenjammer, den Sie hier vom Zaune brechen, meine Damen und Herren.
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Frau Gminder hat es auf den Punkt gebracht: Fördern und Fordern. Wir brauchen diesen ganzen EU-Überstaat nicht und die Bandbreiten von irgendwelchen Grünstreifen. Egal ob Bauern, Ärzte, Apotheker – sie können alle Berufsgruppen in Deutschland nehmen –: Mit Ihrem EU-Wahnsinn treiben Sie alles auf die Spitze.
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Für die wahren Populisten hier im Saal schaue ich Herrn Hofreiter und seine Kollegen an. Sie haben beschrieben, dass das Klima schon so sehr vergiftet ist, dass Bauern sich rechtfertigen müssen. Das rührt vielleicht auch daher, dass Sie die Fakten leugnen. Herr Hofreiter, für Sie wäre die Welt doch wahrscheinlich noch eine Scheibe, wenn dies Ihr grünes ideologisches Weltbild rechtfertigt.
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Kommen wir aber zu den Fakten. Nun eröffnen wir mal das Öko-Bullshit-Bingo der Grünen, meine Damen und Herren, und ihrer angeschlossenen Propagandaabteilung der Deutschen Umwelthilfe und stark besetzter Teile des Umweltbundesamtes. Das ist das neue Mantra. Das haben Sie – da können Sie abwinken – in dem Thema der Aktuellen Stunde schon genannt. Die neue Knebelungsoffensive, die Sie gerade starten und die wahrscheinlich Landwirte und weite Teile der deutschen Wirtschaft bezahlen dürfen, ist das sogenannte Insektensterben. Angeblich gehen 75 Prozent der Biomasse verloren.
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Ja, wir können sehen, dass Insekten zurückgehen, aber die Studien, meine Damen und Herren von den Grünen, auf die Sie sich dort stützen, die sind hoch fragwürdig und werden von vielen Wissenschaftlern infrage gestellt. Der Schuldige in Ihrem grünen Quiz – das hat die grüne Hochjury schon festgestellt – ist die Landwirtschaft. Unverständlich dabei ist, dass die Grünen nicht sofort auf ihrer offenen Hofreiter-Propagandaskala den Klimawandeljoker ziehen,
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wobei ja nur 2,23 Prozent der Kohlendioxidstoffe aus Deutschland stammen. Retten wir also das Weltklima mit diesem Anteil.
Und weiter im grünen Umweltlotto. Es hätte vielleicht auch der Feinstaub und der damit verbundene Individualverkehr sein können; Schiffe und LKWs zählen ja für alle hier im Hause von den anderen Parteien anscheinend gar nicht mehr mit rein. Aber diesen Joker haben Sie wahrscheinlich deshalb nicht gezogen, weil Ihre Propaganda hier schon so gut wirkt, dass Medien wie auch die GroKo
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in weiten Teilen auf das Diesel-Bashing eingestiegen sind.
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– Da können Sie hier auch meckern.
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Dies basiert wohlgemerkt darauf, dass Sie sich auf eine hochgradig unseriöse Studie stützen, deren wissenschaftliche Validität von vielen Wissenschaftlern – ich meine die „Krefelder Studie“ – abgelehnt wird.
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Nun muss man sich tatsächlich fragen, warum man den Münchhausens der Grünen überhaupt noch Glauben schenkt. Ihre Glaubwürdigkeit ist doch schon seit den 80er-Jahren diskreditiert, als Sie das sogenannte Waldsterben zum Mantra erhoben haben.
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Da haben auch große Teile des „Spiegels“ mitgemacht, ich kann mich noch daran erinnern, wie dort die Propaganda lief. Sie haben Hügel des Schwarzwalds gezeigt, entlaubt und ohne Bäume und behauptet, Deutschland würde im Jahre 2000 eine Wüste sein. Wir sehen eine Wüste in Deutschland. Wir sehen, wie die Wälder und auch die Robben gestorben sind. Diese linke Propaganda hat Methode, nehmen wir „GLOBAL 2000 – Der Bericht an den Präsidenten“.
Kommen wir zu den eigentlichen Fakten.
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– Sie lachen über sich selbst. Das ist insoweit sehr verräterisch.
Subventionen sind immer ein massiver Eingriff in die Landwirtschaft. Man könnte auch sagen, sie sind eine Art negativer Zoll. Definitiv sind sie aber sicher von hochgradigem Protektionismus geprägt
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und ein Grund, der vielleicht – ich persönlich hoffe es nicht – auch zu einem Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten führt. Eines verursachen Subventionen auf jeden Fall – das haben wir heute gehört –: Abhängigkeiten. Ebenso müssen Subventionen auch kritisch vor dem Hintergrund der Überproduktion und einer Förderung der großen industriellen Agrarbetriebe gesehen werden. Auch da haben Sie alle mitgemacht, und die sind hauptsächlich – das klang in der Rede der Kollegin von der Linken an – verantwortlich für das, was passiert. Denn diese Überproduktion schwappt dann in den afrikanischen Kontinent, führt dort zum Zusammenbruch landwirtschaftlicher Strukturen und raubt den betroffenen Ländern dort die Fähigkeit zur Eigenversorgung. Das ist leider auch eine unangenehme Seite Ihrer immer so abgefeierten EU.
Meine Damen und Herren, wenn Sie sich schon zu EU-Subventionen bekennen, dann lassen Sie uns bitte gemeinsam die kleinen und mittelgroßen Betriebe fördern. Wir wollen Bauern und keine Großfabriken. Anders als die Grünen wollen wir es auch nicht unter falsche Auflagen und Vorbehalte stellen. Lassen Sie die Bauern vor Ort durch Fördern und Fordern – wie es Frau Gminder hier dargestellt hat – eigenverantwortlich mit ihrer Scholle umgehen; denn die kleinen Betriebe vor Ort, die dort verwurzelt sind, werden dies leisten.
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Alles andere ist grüner Verteilungssozialismus, und den, meine Damen und Herren, lehnen wir ab.
Danke schön. – Ich war auch in der Zeit.
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Nächster Redner: Rainer Spiering für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Phil Hogan hat einen Vorschlag gemacht, wie sich die zukünftige EU-Agrarpolitik ausgestalten soll. Das war noch nicht das Wort zum Sonntag; deswegen würde ich auch einmal mit den Emotionen ein bisschen runterkommen. Das heißt, wir haben jetzt Zeit, über diese ganze Frage zu diskutieren. Diese Zeit sollten wir auch nutzen. Eine der Fragen, die er genannt hat, war: Wie wollen wir im Rahmen des Wirtschaftens mit Boden, Luft und Wasser umgehen? Ich finde, das ist eine gute Frage, und der sollten wir uns doch auch stellen wollen.
Heute Morgen war ich mit Kolleginnen und Kollegen bei der Leibniz-Gemeinschaft. Dort fand eine Veranstaltung zum Thema „Ressource Boden“ statt. Es ging – von der Leibniz-Gemeinschaft sehr gut organisiert – um die „Blackbox Boden“, und es wurde die Frage diskutiert: Was ist im Boden drin? Wir haben erfahren, dass die Mikrobiologie des Bodens deutlich vielfältiger ist als das, was darüber ist. Ich fand das ausgesprochen spannend. Es hat mich aber auch betroffen gemacht. Als ein praktizierender Landwirt sagte: „Wir müssen den Boden in Ruhe lassen“, war ich wirklich irritiert. Ich finde, dieser Frage müssen wir uns stellen, und zwar – das sage ich mit aller Betroffenheit und auch mit aller Vorsicht – jenseits eigener Betroffenheit. Geschätzte Kollegin Konrad, ich kann Ihre Emotionen an dieser Stelle verstehen, aber manchmal sind sie ein schlechter Ratgeber dafür, was man in der Politik tun sollte.
Entscheidend bei der GAP-Reform – und das sollten wir auch nicht kleinmachen – ist der Versuch von Hogan, in die Finanzierung der Fläche einzusteigen. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Belohnung von Eigentum in der Geschichte jemals etwas Sinnvolles ergeben hätte.
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Sehen Sie das bitte einmal unter dem folgenden Aspekt: Wie kann sich etwas fortentwickeln, wenn etwas belohnt wird, was schon da ist? Das ergibt irgendwie keinen Sinn.
Im Rahmen der Direktzahlungen werden ungefähr 400 Euro pro Hektar Land gezahlt, und die sind an die Fläche gebunden. Lieber Hermann, du hast gesagt, das wäre ein Teil des Einkommens in der Landwirtschaft. Der aktiven Landwirte? Ich habe mir das bei uns zu Hause bei allen Betroffenen angeguckt. Ich kenne sie alle, und ich weiß, wer von ihnen Land pachtet und wer Landeigentum hat. Derjenige, der am meisten bekommt, pachtet am meisten. Das heißt, er führt an andere ab. Damit wird also nicht der aktive Landwirt belohnt, sondern der Landwirt, der sich zurückgezogen hat und seinen Grund und Boden als Reserve für sein Einkommen sieht. Ich finde, damit sollten wir uns einmal nüchtern auseinandersetzen.
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Wir sollten das vor allen Dingen auch unter dem Aspekt betrachten, dass die EU aktive Landwirtschaft unterstützen möchte. Das tun wir definitiv nicht. Wir belohnen mit dem Geld Grund und Boden.
Wenn ich das einmal tief auf mich wirken lasse, stelle ich fest: Ich bekomme als Landwirt Geld für meinen Grund und Boden. Das ist in Ordnung so; so wollen wir das per Grundgesetz. Aber wo steht in der europäischen Gesetzgebung geschrieben, dass nicht nur die Pacht gezahlt wird, sondern dass der Staat oder eine große Leistungsgemeinschaft darauf noch eine Verzinsung zahlt. Wo soll das hinführen? Wenn ich die letzten 40 Jahre der europäischen Agrarpolitik ein bisschen Revue passieren lasse, dann kann ich nicht erkennen, dass eine große Innovation dadurch entstanden ist.
Ich finde, es lohnt sich, zu lesen, was Hogan möchte: Forschung, Technologie, Digitalisierung – Kollegin Konrad –, Klimaschutz, Ressourcenschonung – Wasser, Böden, Luft –, Biodiversität und – ganz, ganz wichtig – Beschäftigung, Wachstum, soziale Inklusion, sichere, nahrhafte, nachhaltige Lebensmittel. Bei aller strittigen Diskussion, die wir hier auch aus dem ökologischen Zentrum gehört haben, müssen wir einmal einen Schritt zurückgehen und uns das anhören: Es geht auch um soziale Inklusion und die Frage der Anerkennung von Landwirtschaft.
Wenn wir unserer Landwirtschaft eine faire Chance geben wollen, würde ich das BMEL dringend dazu auffordern, das, was an wissenschaftlichen Erkenntnissen bis jetzt geliefert worden ist, einmal aufzunehmen. Alles, wovon ich bisher gehört habe, ob das von der Leibniz-Gemeinschaft oder vom Thünen-Institut usw. kommt, muss alles durch einen Bottleneck, also einen Flaschenhals, des Ministeriums und rutscht da leider nicht durch. Das können wir uns auf Dauer mit der deutschen Wissenschaft und der deutschen Landwirtschaft nicht leisten, Kolleginnen und Kollegen.
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Hermann hat gemerkt, dass ich da Betroffenheit empfinde. Wir sind ein starker Wissenschaftsstandort. Wir können was. Wir müssen dann aber auch mit unserem Wissen die Landwirtschaft dahin bringen, dass sie im Sinne von Boden, Luft und Wasser leistet, was sie leisten kann und auch leisten will, und im Rahmen von sozialer Inklusion wieder ihren Stellenwert in der Gesellschaft bekommt. Das gönne ich ihr von Herzen.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
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Vielen herzlichen Dank, Rainer Spiering. – Nächste Rednerin: Steffi Lemke für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erlebe in dieser Debatte etwas, was ich nicht erwartet hatte, und zwar, dass sich die Parlamentarier aus den unterschiedlichen Fraktionen offensichtlich stärker einig sind als das Landwirtschafts- und das Umweltministerium.
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Das will ich erst einmal konstatieren.
Ich will als naturschutzpolitische Sprecherin meiner Fraktion noch einmal mit ein paar Zahlen anfangen. Wir haben europaweit in den letzten Jahrzehnten 600 Millionen Vögel verloren. 42 Prozent der Insekten auf der Roten Liste sind gefährdet bis ausgestorben. Auf den Quatsch, den die AfD hier erzählt hat, will ich nicht eingehen, sondern nur so viel sagen: Das sind Zahlen des Bundesamtes für Naturschutz, das heißt regierungsamtliche Zahlen, die bestätigt sind und die auch von Wissenschaftlern nicht bestritten werden.
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Wir haben bis zu 75 Prozent der Insektenbiomasse, also nicht der Arten, sondern der Menge an Insekten, verloren. Ich weiß nicht, wie es Ihnen in den Wahlkreisen geht. Mir erzählen die Menschen jedenfalls immer: Ja, das stimmt; ich merke es an der Windschutzscheibe.
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Das mag sehr subjektiv sein. Aber das Bundesumweltministerium hat das, was die Bürger, die Menschen in ihrem Umfeld ganz subjektiv wahrnehmen, inzwischen auch durch Zahlen bestätigt.
93 Prozent der Flüsse sind in keinem guten ökologischen Zustand, und bei 18 Prozent der Grundwassermessstellen werden die Nitratgrenzwerte nicht eingehalten.
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Diesen Teil der Agrarreform hat Frau Klöckner, die jetzt leider nicht mehr hier ist, in ihrer Rede komplett ausgeblendet. Wenn wir uns nicht mit diesen Zahlen und diesen Fakten auseinandersetzen müssten, könnte ich die Rede der Agrarministerin vielleicht akzeptieren, obwohl dann das Höfesterben, das Schrumpfen der Zahl der Bauern, die sozialen Belange der Bauern immer noch nicht angesprochen gewesen wären, weil das ja auch Folge Ihrer Agrarpolitik ist.
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Ich will die Kollegen der CDU schon noch einmal darauf hinweisen: Sie regieren seit 16 Jahren in diesem Land. Das ist Ihre Politik, über die wir hier heute reden. Wir sollten nicht so tun, als ob diese Agrarpolitik bisher irgendwie toll gewesen wäre. Sie hat bisher keinen der Effekte, die wir alle hier gemeinsam in unseren Reden beschworen haben, erbracht. Auch der grundgesetzliche Auftrag der Bundesregierung, unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, ist durch die bisherige Agrarpolitik nicht gewährleistet. Das ist nicht der Fall. Durch die Reformvorschläge, die jetzt vorliegen, werden weder die Situation der Natur und Umwelt noch die Situation der Bäuerinnen und Bauern noch die Situation bei der Gewinnerwirtschaftung oder die Qualität unserer Lebensmittel verbessert werden. Das wissen Sie, glaube ich, auch in der CDU/CSU-Fraktion sehr genau. Deshalb kann ich Sie nur auffordern, sich dafür einzusetzen, dass der Vorschlag, der auf dem Tisch liegt, nicht das letzte Wort bleibt. Das kann nicht sein.
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Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesagrarministerin hat ihr selber ins Stammbuch geschrieben, dass wir mit den Reformvorschlägen von EU-Kommissar Hogan keines der Ziele, die wir als Parlamentarier – auch die EU-Kommission – verbal für uns beanspruchen, erreichen werden. Das sagt jetzt im Vorfeld der Wissenschaftliche Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Ich weiß ja, dass Frau Klöckner schöne Reden halten kann, und auch, dass sie schöne Fotos machen kann. Aber jetzt geht es ans Handeln, liebe Kolleginnen und Kollegen. Jetzt geht es um Ergebnisse.
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An dieser Stelle, Frau Bär, möchte ich Sie gerne ansprechen. Sie sind hier im Moment die einzige Vertreterin des Kanzleramtes. Wir haben gerade einen riesengroßen Zwiespalt in den Reden der Bundesagrarministerin und der Staatssekretärin aus dem Umweltministerium bemerkt. Die Bundeskanzlerin hat sich hier vor zwei Wochen in ihrer Rede zum Haushalt selbst zu den Bienen bekannt, nicht nur zu den Bienen – das wäre ein bisschen zu kurz gesprungen –, sondern auch zu ihrer ganz persönlichen Verantwortung als Bundeskanzlerin, gegen das Artensterben etwas zu unternehmen. Das Bundesumweltministerium wird niemals alleine die notwendigen Maßnahmen durchkämpfen können. Deshalb erwarte ich von der Bundeskanzlerin, dass sie persönlich in die Debatte um die zukünftige Agrarreform einsteigt.
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Das Insektenschutzprogramm, das dankenswerterweise jetzt diskutiert wird und das wir auch hier im Parlament diskutieren werden, wird kein Insektenschutzprogramm werden, wenn Sie nicht die Agrarreform angehen. Sie können diese 60 Milliarden Euro, die gegenwärtig Jahr für Jahr mit schädlichen Effekten ausgegeben werden und die nicht der Zielerreichung dienen – dafür gibt es hinreichend Studien –, durch das Aufhängen von Bienenhotels nicht kompensieren. Das geht nicht.
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Das Aufhängen von Bienenhotels ist eine tolle Sache. Aber von der Bundeskanzlerin, von den Ministern und von einem Kabinett erwarte ich etwas mehr.
Deshalb will ich noch zu einem letzten Punkt kommen, der Weidetierprämie.
Bitte denken Sie an die Redezeit.
Heute hat die Umweltministerkonferenz einstimmig – es passiert nicht so oft, dass dort Einigkeit über ein solches Thema hergestellt wird – die Bundesregierung aufgefordert, eine Weidetierprämie einzuführen.
Ich möchte ankündigen – nehmen Sie das bitte mit in das Landwirtschaftsministerium zu Ihrer Ministerin –: Es wird der Lackmustest sein, ob Sie irgendetwas ernst meinen bezüglich Natur- und Insektenschutz sowie etwas gegen das Vogelsterben unternehmen. An dieser Weidetierprämie hängen 300 000 Hektar wertvollsten Grünlandes, das von der Wanderschäferei mit tollen Leistungen für Natur und Umwelt bewirtschaftet und erhalten wird.
Redezeit.
Wenn Sie es nicht schaffen, die Wanderschäferei und dieses Grünland zu erhalten, –
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Redezeit. – Das mache ich alles schon selber. Ich passe schon selber auf. Dazu brauche ich Sie nicht.
({0})
– dann sind das alles Lippenbekenntnisse und wir können sie nicht ernst nehmen.
Danke.
({0})
Ich brauche Sie nicht zur Sitzungsleitung, damit das klar ist.
Danke, Steffi Lemke. – Nächste Rednerin: Marlene Mortler von der CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der letzte Redebeitrag hat mir richtig wehgetan. Wenn man genau zugehört hat, dann kam man zu dem Schluss, dass in der Landwirtschaft nur schwarze Schafe und am Ende vielleicht nur Kriminelle unterwegs sind.
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Das Gegenteil ist der Fall. Natürlich sind Menschen und Medien für Aufreger dankbar, weil sie Aufmerksamkeit erzeugen. Aber ich bin zutiefst überzeugt: Bauern und Bienen wollen Lösungen.
({1})
Ich plädiere an dieser Stelle für Maß und Mitte.
({2})
Hier sind einerseits Krokodilstränen geweint worden, andererseits sind zuletzt Keulen verteilt worden. Aber wenn wir wissen, dass erst seit einer Woche die Vorschläge der Kommission zur Gemeinsamen Agrarpolitik auf dem Tisch liegen, meine Damen, meine Herren, dann ist es ziemlich unseriös, wenn wir jetzt schon sagen können, welche Auswirkungen diese Vorschläge auf Arten-, auf Natur-, auf Insektenschutz haben.
Aber mich wundert schon, dass sich bei diesen Wortbeiträgen keiner um die Bauern und Bäuerinnen sorgt. Welche Auswirkungen haben diese Vorschläge auf unsere Bauern und Bäuerinnen?
({3})
Lassen Sie bitte einmal Frau Mortler reden.
In diesem Sinne danke ich den Bäuerinnen und Bauern, dass sie jeden Tag ihr Bestes geben und dafür sorgen, dass unser Tisch jeden Tag so vielfältig gedeckt ist
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und dass wir dank Europa höhere, einheitliche Standards bei unseren Betrieben haben, auf dem Feld, bei unseren Lebensmitteln. Das ist nicht selbstverständlich. Auch hier ein dickes Dankeschön.
({1})
Die Ministerin sagte, die Gemeinsame Agrarpolitik sei quasi die Klammer. Bauern und Bäuerinnen wissen längst, wie Europa tickt. Bauern und Bäuerinnen wissen aber auch, dass Europa nicht an allem schuld ist, sondern die Lösung. Wir wissen, was wir an Europa haben.
Wenn ich zurückblende: TTIP. Ich erinnere mich noch an die Demos und Aufregungen, als man gerufen und geschrien hat: Wir wollen unsere hohen Standards in unserem Land und in Europa erhalten, gegen TTIP. – Das hat deutlich gemacht, dass es mit unseren Standards doch nicht so schlecht ist und Bauern und Bäuerinnen sorgsam mit Tier, Natur und Umwelt umgehen. Es macht auch deutlich, dass wir nicht bei null beginnen, schon längst nicht mit diesen Vorschlägen. Deutsche Qualitätsprodukte sind im Ausland gefragt, und im Inland toben wir uns aus. Während Milliarden Menschen weltweit einfach nur satt werden wollen, definieren wir uns in unserem Land nach unserem Lebensstil. Wir leisten es uns, vom Schwein nur die besten Teile zu essen, der Rest ist Abfall oder kommt in die Länder, in denen man sagt: Wir können aus jedem Stück vom Schwein etwas machen, jeweils eine Delikatesse.
({2})
In diesem Kontext geht es also nicht nur um Landwirtschaft, Umwelt- und Naturschutz, sondern es geht auch um unser persönliches Ernährungsverhalten und unser persönliches Einkaufsverhalten. Es ist mir zu billig, wenn immer nur gesagt wird – und Bäuerinnen und Bauern bestätigen mir das fast jeden Tag –: Ihr Politiker macht es euch einfach. Wenn ihr keine Lösung habt, dann heißt es: Ja, die Bauern sind schuld.
Ich frage an dieser Stelle: Was haben die Bundesländer in den Bereichen Umwelt- und Naturschutz und Biodiversität in den letzten Jahren geleistet? Ich komme aus einem Bundesland, in dem man nicht nur redet, sondern handelt. Als Beispiel nenne ich das Bayerische Kulturlandschaftsprogramm, das einzigartig ist in seinen Maßnahmen. Es ist eine Erfolgsgeschichte. Es gilt: Freiwilligkeit vor Ordnungsrecht. Über 55 000 Betriebe beteiligen sich auf über 1 Million Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche.
Auch der Bund – so haben wir heute von Ministerin Klöckner gehört – leistet seinen Beitrag mit der Ackerbaustrategie und dem Aktionsprogramm Insektenschutz. Das sind nicht nur Schlagworte. Wir haben gemerkt: Die Ministerin brennt für weitere Verbesserungen.
Frau Mortler, Redezeit.
Sie brennt aber auch dafür, dass das Image der Bäuerinnen und Bauern verbessert wird.
In diesem Sinne kämpfen wir gemeinsam im Rahmen der GAP, dass es in Zukunft nicht nur den Bienen, sondern auch den Bauern wieder besser geht.
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen.
({0})
Vielen Dank, Marlene Mortler. – Nächste Rednerin: Susanne Mittag für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Tierschutzbeauftragte der SPD-Fraktion kümmere ich mich ganz gerne um ganz kleine Tiere, zum Beispiel um Insekten und Hautflügler. Wenn die netten schwarz-gelb gestreiften Mädels – das sind nämlich alles Arbeiterinnen – sich nicht so nützlich machen würden bei der Bestäubung und der Honigherstellung, also uns direkt als Menschen nutzen, dann wäre das Thema Insektenschutz wahrscheinlich nicht so präsent; denn ginge es nur um Mücken und Motten, dann wäre die Betrübnis geringer. Es ist schon erwähnt worden: Den meisten fällt es auf, dass es weniger Insekten gibt, wenn die Autoscheibe nach einer langen Fahrt noch einigermaßen sauber ist.
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– Ganz entspannt.
Von 8 000 Arten in Deutschland sind mindestens 40 Prozent entweder bestandsgefährdet oder gar nicht mehr da. Das fällt nicht sonderlich auf; denn das ist das Ergebnis eines langsamen, stillen Todes durch pflegeleichte Gärten und Parks – es geht nicht nur um Landwirtschaft –, aber auch durch sortenreine Äcker. Auch der Kampf gegen Unkraut spielt eine Rolle. Wer definiert eigentlich Unkraut? Das ist Wachstum, das man nicht haben will. Es wird beseitigt durch Gift spritzen, hacken, umbrechen und brennen. 40 000 Tonnen Pflanzenschutzmittel werden pro Jahr eingesetzt, und davon sind ein Drittel Unkrautgifte. Wie gesagt, das ist für Pflanzen, die stören. Das führt zu Insektenvernichtung und Pflanzenvernichtung. Leider haben nur noch 11 Prozent der Flächen einen sehr hohen Naturwert, die anderen haben einen geringeren oder so gut wie gar keinen mehr.
Die weitere Folge: In den letzten zwölf Jahren hat sich die Zahl der Vogelbrutpaare um 13 Millionen verringert – das fällt dann doch ein bisschen mehr auf –, von weiteren Tieren einmal abgesehen, die inzwischen fehlen, weil auch sie von Insekten leben; die Nahrungskette geht ja noch ein Stückchen weiter. Das zeigt, dass Insekten, die auch nicht so schönen, auch die, die manchmal nerven, wichtig für die Tier- und Pflanzenwelt sind. Zumindest in diesem Punkt könnten wir uns doch alle einig sein.
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Jetzt kommen wir zum Handeln. Mit einer Aktion Blühstreifen, so ehrenwert das ist, ist es längst nicht getan. Das Handlungserfordernis haben wir im Koalitionsvertrag in Anbetracht der EU-Verhandlungen und der neuen GAP festgeschrieben.
Das Schlechte zuerst: Für die nächste Periode gibt es leider weniger Geld, 3 Milliarden Euro weniger. Somit stehen der deutschen Landwirtschaft in den nächsten Jahren 41 Milliarden Euro zu Verfügung. Positiv ist – wir müssen positiv herangehen –, dass es zum Beispiel flexiblere und einfachere Fördermöglichkeiten für die Mitgliedstaaten gibt. Wir erhalten so die Gelegenheit, selber mehr mitzugestalten.
Wir sind uns alle mit Frau Klöckner einig – sie ist nicht mehr da –, dass wir eine bessere Förderung kleiner und mittelständischer Betriebe und nicht unbedingt große und intensive Betriebe unterstützen wollen. Junglandwirte – sie sind schon erwähnt worden –, aktive Landwirte, die eigenes Land bewirtschaften, und innovative Landwirte können wir extra fördern. Das ist doch schon einmal ein guter Einstieg. Das zeigt, was wir da individuell machen können.
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Es geht nur mit einer Deckelung der Höchstförderung. Da muss man vielleicht auch einmal an die Solidarität untereinander appellieren; denn wir haben nur zwei Säulen. Alle Zahlungen sind an die Einhaltung von Umweltauflagen geknüpft. Das war nicht immer so. Auch das können die Länder forcieren. Da gibt es noch eine Möglichkeit.
Wie gesagt, neu ist eine weitere Umschichtung von der ersten in die zweite Säule. Wenn die erste Umschichtung 15 Prozent beträgt, dann muss das Land sozusagen zuzahlen. Die zweite Umschichtung ist möglich, ohne dass der Bund zuzahlen muss. Das ist eine ganz tolle Möglichkeit, von flächengebundener Förderung in projektbezogene Förderung einzusteigen. Das wären noch einmal 750 Millionen Euro.
Wir reden gerade über die Erstellung eines Tierwohllabels. Es soll ganz besonders mittelständische und kleine Betriebe unterstützen. Damit möglichst viele bei diesem Tierwohllabel mitmachen können, ist auch eine Unterstützung unsererseits notwendig. Es wäre doch ein Supereinstieg, wenn wir die Umschichtung aus der zweiten Säule dafür nutzen würden. Hier hoffe ich auf eine ordentliche Unterstützung.
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Es ist jetzt möglich, in diesem Verfahren große Schritte in Sachen Umweltschutz – ich erwähne die Bienen; das betrifft aber auch andere –, Tierwohl und Lebensmittelqualität – das gehört nämlich genauso dazu – zu machen. Es geht um öffentliches Geld – das ist hier schon gesagt worden – für Leistungen, die für uns alle gut sind. Das ist langfristig nachhaltig angelegtes Steuergeld. Es liegt an uns allen gemeinsam, ob wir diese Chancen und Gestaltungsmöglichkeiten – das ist ja noch nicht ganz ausverhandelt – nutzen, auch im Rahmen unserer Entscheidungsmöglichkeiten hier im Land. Wir dürfen nicht immer nur am Althergebrachten festhalten. Neuerungen und Veränderungen sollen nämlich immer die anderen machen; das wird von anderen erwartet. Aber den eigenen Status will man auf gar keinen Fall aufgeben.
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Ich will nicht unbedingt von einem Systemwechsel sprechen – das werden unsere Verhandlungen zeigen –, aber eine Systemänderung ist noch drin, um die massive Vernichtung von Tieren und Pflanzen zu stoppen. Wir sind alle dafür verantwortlich, und wir nehmen diese Verantwortung gerne wahr. Ich hoffe, wir werden dabei ordentlich unterstützt. Ich hoffe natürlich besonders mit Blick auf unseren politischen Lebensabschnittsgefährten, dass er unseren Anregungen folgen wird. Ich bin gespannt auf die folgenden Verhandlungen.
Schönen Dank.
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Vielen Dank, Susanne Mittag. – Der nächste Redner: Dr. Klaus-Peter Schulze für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Es ist immer gut, wenn man am Ende der Debatte reden kann. Dann kann man nämlich den einen oder anderen Hinweis geben, was Falsches gesagt wurde bzw. was nicht ausreichend beschrieben wurde.
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Richtig ist, dass 600 Millionen Vögel in den letzten 30 Jahren verschwunden sind; Frau Lemke hat es angesprochen. Aber man muss an dieser Stelle sagen: Das hat nicht nur mit den Bedingungen in der Landwirtschaft zu tun, sondern auch bzw. vornehmlich damit, dass in Südeuropa – in Malta, Italien, Spanien, auf Zypern, in Griechenland – im Herbst Tausende mit Flinten unterwegs sind und die Zugvögel abschießen. Es ist ein ganz wichtiger Punkt, dass das einmal angesprochen wird.
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Das setzt sich dann in Nordafrika, wo in den Rastgebieten gewisse Größenordnungen weggefangen werden, fort.
Der nächste Punkt. Wir haben in Deutschland 33 000 Insektenarten. 7 800 von ihnen sind in den Roten Listen aufgeführt. Davon – das ist das Erschreckende – sind ungefähr 40 Prozent mindestens bestandsgefährdet oder in einer höheren Kategorie untergebracht. Bei den Bienen ist es noch schlimmer. Da sind fast 50 Prozent der 547 Arten, die wir in Deutschland haben, bestandsgefährdet. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.
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Deshalb haben wir uns in den Koalitionsverhandlungen entschieden, auf diesem Gebiet mehr zu tun als in den vergangenen Jahren. Ich bin froh, dass unsere Ministerin – ich meine die Umweltministerin – dieses Thema in der letzten Ausschusssitzung angesprochen hat.
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– Richtig.
Meine Damen und Herren, ich hatte in der letzten Debatte zum Thema Insektensterben schon darauf hingewiesen, dass mit Sicherheit nicht nur der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln für das Insektensterben verantwortlich ist, sondern dass es noch viele weitere Ursachen gibt. Ich will noch mal daran erinnern, dass die Ausräumung unserer Landschaft eine solche Ursache ist, und ich erinnere an die großen Monokulturen, die hier zu Beginn der Debatte – Frau Künast hat darauf hingewiesen – auch schon eine Rolle gespielt haben.
In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern: Als das EEG, mit dem die Förderung von Bioenergie in großem Umfang vorangetrieben wurde, im Jahre 2000 auf den Weg gebracht wurde, war eine entsprechende Untersuchung, welche Auswirkungen das auf die Biodiversität haben wird, nicht vorgesehen.
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Zumindest sagte mir das der Wissenschaftliche Dienst unseres Bundestages. Ich kann an dieser Stelle nur sagen: Bei zukünftigen Entscheidungen sollten wir diese Themen ganz einfach berücksichtigen.
Auch wenn Blühstreifen und andere ökologische Maßnahmen dieses Problem mit Sicherheit nicht lösen werden, können sie es zumindest abmindern. Deshalb fände ich es sehr gut, wenn es gelingen würde, mit der nächsten Förderperiode hier Langfristigkeiten zu bekommen. Dafür sollte man nicht nur einzelne Maßnahmen ergreifen – solche Betriebe kann man sich in Deutschland angucken –, sondern das sollte man flächendeckend auf den Weg bringen.
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Ich sehe bei den Landwirten eine große Bereitschaft, hier mitzumachen. Das muss natürlich finanziert werden.
Frau Dr. Tackmann, es ist richtig, dass der ländliche Raum gestärkt werden muss. Deshalb ist es für mich verwunderlich, dass in dem Bundesland, in dem Sie politische und Regierungsverantwortung tragen, in Brandenburg, die Bauern monatelang darauf warten müssen, ihr Geld zu bekommen, wenn sie Leistungen entsprechend dem KULAP erbracht haben. Das ist kein Beitrag für die Stärkung des ländlichen Raums.
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– Ja, es gibt aber einen Finanzminister von den Linken.
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Aber auch wenn wir uns die Förderung der jetzt schon möglichen ökologischen Maßnahmen anschauen, müssen wir feststellen, dass es zwischen den Bundesländern ganz erhebliche Unterschiede gibt. Auch wenn Frau Mortler Bayern besonders benannt hat, kann ich Ihnen sagen,
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dass die Nordrhein-Westfalen mit 1 200 Euro pro Hektar die höchste Förderung in Deutschland zahlen, und das finde ich gut.
Was ich nicht gut finde, ist, dass das einzige Flächenbundesland, das keine Förderung zahlt, das Land ist, aus dem ich komme, nämlich Brandenburg. Aber wahrscheinlich brauchen wir das Geld für den BER.
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Dass er acht Jahre lang nicht in Betrieb gegangen ist, hat aber auch Vorteile. Dort gibt es jetzt große Ödlandflächen, und auf diesen Ödlandflächen sind Lebensräume für Insekten entstanden.
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Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende, und lassen Sie den Rasenmäher in der Garage; denn wir können auch durch die Unterhaltung unseres Hausgartens etwas für die Insekten machen.
Danke.
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Vielen Dank, Dr. Schulze. – Nächster Redner für die SPD-Fraktion: Uwe Schmidt.
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Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Kollege Schulze, es ist nicht immer von Vorteil, wenn man relativ spät in der Debatte redet, weil dann schon viele Dinge von mehreren Menschen mehrfach gesagt und wiederholt worden sind.
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Was sagen uns diese Entwicklungen? Jede Zeit braucht ihre Lösungen. Deswegen war ich eben ein bisschen überrascht; denn es reicht als Legitimation aus meiner Sicht nicht mehr aus, die Ernährungssicherung als einzigen Grund für den größten EU-Einzelhaushalt darzustellen, wie das der Bauernverband und die Union hin und wieder ganz gerne mal tun.
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Die Vorschläge von EU-Agrarkommissar Hogan gehen im Ansatz in die richtige Richtung. Meine Kollegin Mittag hat das eben ja schon gesagt.
So ist das Ziel, die Landwirtschaft stärker an Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen ausrichten zu wollen, eindeutig zu begrüßen.
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Vor allem die im Vorschlag eröffneten Möglichkeiten, von den Direktzahlungen zu den Programmen der zweiten Säule umzuschichten, sind durchaus interessant und werden von uns aufgenommen. Auch die stärkere Unterstützung kleiner und mittlerer Betriebe sowie die Förderung der Junglandwirte schaffen Perspektiven für den Erhalt einer flächendeckenden Landwirtschaft.
Zum Degressions- und Kappungsvorschlag: Es ist auch eine Frage der Gerechtigkeit, die Höchstförderung der Betriebe zu begrenzen und gleichzeitig Subventionen stärker an den landwirtschaftlichen Arbeitsplätzen und nicht nur an der Fläche auszurichten.
Allerdings hat sein Vorgänger Ciolos aus klima- und umweltpolitischer Sicht noch bessere Vorschläge als Hogan gemacht, die leider durch verschiedene Lobbygruppen massiv verwässert wurden. Ich glaube, es darf nicht noch einmal passieren, dass dort so massiv Einfluss genommen wird. Vielmehr müssen wir uns für eine starke Reform der GAP und konkret der Direktzahlungen einsetzen und die zweite Säule mehr berücksichtigen.
Wenn die Landwirtschaft als größter europäischer Landnutzer finanzielle Unterstützung bekommen möchte, dann ist es nur recht und billig, wenn die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler diese Mittel an Bedingungen knüpfen. So sollten sich die Subventionen am Allgemeinwohl und an den Wünschen der Verbraucherinnen und Verbraucher nach gesunder Ernährung, umweltfreundlichem Anbau und artgerechter Tierhaltung orientieren. Die Landwirtschaft ist hierfür der geborene Partner und soll und muss für diese öffentlichen zusätzlichen Leistungen ausreichend honoriert werden; ohne Frage.
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Aber auch der Lebensmitteleinzelhandel muss seiner Verantwortung nachkommen und endlich aufhören, sich über Preiskämpfe zu definieren, und zwar zulasten der Landwirte.
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Diese Art des Wirtschaftens sichert weder die Existenz der Betriebe, noch ist sie wirtschaftlich, ökologisch und schon gar nicht sozial. Nachhaltigkeit muss gleichermaßen für den Ökolandbau und die konventionelle Landwirtschaft die oberste Maxime sein. Dazu hat die Ministerin gesagt, dass sie das fördern will.
Schließlich kann es nur im Interesse aller sein, unsere natürlichen Ressourcen zu schonen und der heutigen sowie den kommenden Generationen ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen. Die Voraussetzungen dafür müssen wir jetzt schaffen. Kleine und mittlere landwirtschaftliche Betriebe sowie Junglandwirte müssen gezielter unterstützt, aber auch befähigt werden, von ihrer eigenen Produktion zu leben. Umwelt- und Klimaleistungen der Landwirtschaft müssen stärker honoriert und ein stärkerer Fokus auf Forschung und Innovation gelegt werden.
Auch über eine Reform der Ausbildung der Landwirte in Form der Einführung von Ökolandbau als Prüfungsfach müssen wir, glaube ich, langsam nachdenken. Schließlich ist das Wissen um alternative Anbaumethoden Grundvoraussetzung für eine nachhaltige und effiziente Bewirtschaftung der Flächen. Hogans Vorschläge können daher nur einen Anfang darstellen. Die weiteren Beratungen werden wir mit unseren Vorschlägen tatkräftig begleiten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen – eine insektenfreie Zeit, hätte ich beinahe gesagt – ein schönes Wochenende.
Danke.
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Das wollten Sie sicherlich nicht sagen. Vielen herzlichen Dank, lieber Kollege Schmidt. – Der letzte Redner in dieser Aktuellen Stunde und nach einem sehr langen Tag ist Alois Gerig für die CDU/CSU-Fraktion. Herr Gerig, bitte.
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Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich bin offensichtlich der letzte Redner in dieser langen und teilweise auch aufreibenden Sitzungswoche.
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Da kann man ein bisschen zusammenfassen. Ich muss sagen: Das rhetorische Wunsch- und Gedankenkonzert, das hier einige Kollegen abgeliefert haben, ist beeindruckend. Deswegen will ich nüchtern einfach ein paar Dinge nennen,
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über die wir bei allen Verhandlungen über die GAP, über die wir ja nicht alleine entscheiden können, nachdenken.
Fakt ist: Die EU-Fördermittel waren und sind auch noch in absehbarer Zeit für die landwirtschaftlichen Betriebe existenziell wichtig. 40 bis gar 70 Prozent haben sie im Durchschnitt der letzten Jahre zum Einkommen der Landwirtschaft beigetragen. Trotzdem liegt der Lohn der Landwirte weit hinter dem gewerblichen Vergleichslohn. Vorredner haben schon gesagt: Der Strukturwandel ist nach wie vor ungebremst. Das ist eine Situation, die wir alle nicht wollen. Es könnte eine Landwirtschaft entstehen, die wir alle nicht verantworten wollen.
Lieber Kollege Rainer Spiering – ich sehe, er ist schon weg –,
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er hat gesagt, die Eigentümer würden gestärkt. – Nein, ein Großteil der Landwirte in Deutschland ist Pächter. Es gibt für die bewirtschafteten Flächen die Ausgleichsleistungen, nicht fürs Eigentum.
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Eine klare Ansage von mir – davon bin ich fest überzeugt –: Die Landwirtschaft ist nicht vordergründig das Problem, sondern sie ist ein wichtiger Teil der Lösung für die Probleme der Welt, die auch angesprochen worden sind:
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für den Hunger in der Welt, für die Umweltprobleme oder auch für den Erhalt der Biodiversität.
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Wichtig ist, dass wir die richtigen Weichenstellungen vornehmen. Klar können wir als Gegenleistung für diese Subventionen eine Ökologisierung einfordern. Vieles ist schon auf dem richtigen Weg, und vieles ist auch schon gemacht worden.
Wichtig ist mir jetzt bei der Neuausrichtung, dass das Handling entsprechend praktikabel bleibt, damit die Landwirte nicht vor noch mehr und noch kompliziertere bürokratische Hindernisse gestellt werden.
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Wichtig ist mir auch, dass die Fördermittel in der Landwirtschaft bleiben. Dort werden sie gebraucht. Ich habe es schon gesagt. Zumindest muss man auch einmal hinterfragen können, ob es okay ist, wenn Naturschutzorganisationen in Deutschland viele Tausend Hektar Landeigentum besitzen und dafür jährlich Millionen von Euro aus dem EU-Fördertopf erhalten.
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Ja, meine Damen und Herren, das Rad muss nicht neu erfunden werden. Vieles im Bereich der Ökologisierung ist seither schon ganz ordentlich und richtig gelaufen. Diese Skandalisierung, liebe Kollegin Lemke, brauchen wir wirklich nicht. Das ist ungerechtfertigt. Die Nitratwerte im Grundwasser sind beispielsweise in meinem Bundesland Baden-Württemberg seit Jahren rückläufig.
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Und meine Autoscheiben sind wieder sehr viel mehr mit Insekten behaftet als in den letzten zwei Jahren. Also, es läuft etwas.
In Baden-Württemberg haben wir eine fünfgliedrige Fruchtfolge, die in hohem Maße von den Landwirten angenommen wird. Es werden Blühmischungen und Blühstreifen ausgesät.
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Ich kann Ihnen sagen – wenn Sie es nicht weiterverraten, damit die Steuerfahndung nicht kommt –: Mein Sohn bekommt von seinen Imker jährlich ein Glas Honig dafür, dass er ebendiese Nahrungskette für die Bienen nach der Blüte der Linde durchgängig über den Sommer erhält.
Lassen Sie uns doch da einfach mit Vernunft weitermachen. Geben wir den Insekten, den Vögeln, aber auch den Landwirten eine gute Zukunftschance!
Ich bin auch nicht mit allen Vorschlägen aus Brüssel zufrieden. Dafür müssen wir jetzt gemeinsam kämpfen. Lassen Sie uns das durchaus gemeinsam mit Vernunft und Augenmaß statt mit Diffamierungen und Verboten machen. Dann haben wir eine Chance auf ein gut ausgestattetes – und letztlich geht es immer wieder ums Geld – GAP-Budget.
In diesem Sinne allen ein schönes, kurzes Wochenende! Wir sehen uns ab Montag wieder hier.
Danke schön.
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Vielen Dank, lieber Kollege Alois Gerig. – Damit ist die sehr muntere Aktuelle Stunde beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 13. Juni 2018, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
(Schluss: 17.53 Uhr)