Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Bundestagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns heute im Kabinett auch mit der Vorbereitung des G-7-Gipfels befasst. In der letzten Woche hat der G-7-Gipfel der Finanzminister stattgefunden; Freitag und Samstag wird der G-7-Gipfel der Staats- und Regierungschefs stattfinden. Ich glaube, jeder weiß, dass es dort schwierige Diskussionen geben wird; denn grundsätzlich werden bei den G-7-Gipfeln Themen wie Weltwirtschaft, Handel, Klimaschutz, Entwicklungs- und Außenpolitik diskutiert. Der G-7-Gipfel ist ein Format, bei dem sich Staats- und Regierungschefs treffen, die geeint sind durch gemeinsame Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Achtung der Menschenrechte. Das bestimmt die Diskussion, schließt aber nicht aus, dass es auch Meinungsverschiedenheiten geben kann.
Die kanadische Präsidentschaft hat zusätzlich zu den üblichen Themen eines G-7-Gipfels verschiedene Schwerpunkte gesetzt. Dazu gehören „Onlinegewalt gegen Frauen und Mädchen“ – die ganze Geschlechterproblematik wird einen herausragenden Stellenwert in den G-7-Beratungen einnehmen – und das Thema „Bildung von Frauen und Mädchen“. Es geht um die Verteidigung der Demokratie, es geht um künstliche Intelligenz, um Entwicklungsfinanzierung und auch um nachhaltiges und inklusives Wirtschaftswachstum.
Der kanadische Premierminister hat eine sehr umfangreiche Vorbereitung mit uns und den Sherpas durchgeführt. Und es werden neben den G-7-Mitgliedstaaten zu den sogenannten Outreach-Sitzungen, insbesondere zu dem Thema „Verschmutzung der Ozeane“, die Staats- und Regierungschefs folgender Länder als Gäste eingeladen sein: Argentinien – der argentinische Staatspräsident führt ja in diesem Jahr die Gruppe der G 20 an –, dann Jamaika, Haiti, Kenia, die Marshallinseln, Norwegen, Senegal, Seychellen, Ruanda, Bangladesch, Vietnam und Südafrika. Zudem werden Generalsekretäre der multilateralen Organisationen da sein.
Wir werden von deutscher Seite vor allen Dingen darauf achten, dass in den Kommuniqués – so wir solche verabschieden werden; daran wird noch gearbeitet –, die Dinge, zu denen wir uns unter der G-7-Präsidentschaft im letzten Jahr in Italien bekannt haben und die unsere Ergebnisse des G-20-Gipfels betreffen, bezüglich Handel und Klima weiter eingehalten werden und wir nicht dahinter zurückfallen; denn es ist klar, dass es gerade durch das Ausscheiden der Vereinigten Staaten von Amerika aus der Klimarahmenvereinbarung doch einen Dissens in dieser Gruppe gibt – genauso wie durch die Verkündung von Zöllen auf Aluminium und Stahl, die wir für rechtswidrig halten, und auch beim Thema des Iran-Nuklearabkommens, aus dem die Vereinigten Staaten von Amerika ausgeschieden sind.
Es zeigt sich also, dass wir schon ein ernsthaftes Problem mit multilateralen Abkommen haben. Deshalb wird es an dieser Stelle auch zu strittigen Diskussionen kommen.
Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin. – Jetzt eröffne ich die Fragerunde. Die erste Frage hat der Kollege Müller, AfD.
Verehrte Frau Bundeskanzlerin, die G 7 brauchen eine kohärente Strategie zur Wirtschafts- und Außenpolitik, die ich nicht sehe, weil einerseits Sie und US-Präsident Trump für einen aggressiven Kurs gegen Russland stehen, worunter die deutsche Wirtschaft leidet, andererseits aber ihre G-7-Kollegen, Abe aus Japan und Macron aus Frankreich, auf dem St. Petersburg International Economic Forum in diesem Mai waren. In Sankt Petersburg hat ihr G-7-Kollege Macron zwei Dinge gemacht: Er hat sich zuerst bei Präsident Putin für die seit 20 Jahren andauernden NATO-Aggressionen gegen Russland entschuldigt,
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und Herr Macron hat zweitens Investitionsaufträge in Höhe von 1 Milliarde Euro an Land gezogen – für sein Land, Nutzen für die deutsche Wirtschaft: null.
Deswegen möchte ich Sie bitte fragen: Werden Sie jetzt auf dem G-7-Gipfel diesen destruktiven, US-hörigen deutschen Sonderweg weitergehen?
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Oder wollen Sie durch die Tür, die Ihnen Abe und Macron geöffnet haben, in Richtung einer neuen Ostpolitik gehen? – Ich danke Ihnen.
Frau Bundeskanzlerin.
Herr Kollege, es wird Ihnen ja nicht entgangen sein, dass ich wenige Tage vor dem Petersburger Gipfel ein ausführliches bilaterales Gespräch mit dem russischen Präsidenten in Sotschi geführt habe – zu allen anstehenden Fragen, im Übrigen in enger Abstimmung mit dem französischen Präsidenten. Wir haben sowohl zum Iran-Abkommen als auch zu den Fragen der Ukraine und zu den Fragen der Zölle eine sehr einheitliche Meinung – nicht nur mit Frankreich, sondern an dieser Stelle auch mit Japan. Uns liegt sehr an engen strategischen Beziehungen zu Japan. Deshalb gibt es hierbei ein hohes Maß an Gemeinsamkeit.
Ich bin für Gespräche mit Russland, allerdings auch mit Blick auf die Differenzen, die wir haben. Diese werden beim Wort genommen; aber Dialog ist immer wichtig. Deshalb habe ich dieses Gespräch geführt, und deshalb bereiten wir uns gerade mit Frankreich immer gemeinsam auf solche Begegnungen vor.
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Danke. – Die nächste Frage hat der Kollege Achim Post, SPD.
Frau Bundeskanzlerin, im Anschluss an Ihren Bericht zu G 7 und auch im Anschluss an die erste gestellte Frage muss ich doch zu einem Punkt kommen: Das ist ja kein normaler Gipfel so wie alle anderen G-7-Gipfel bisher; Sie haben das angesprochen. Mein Eindruck ist: Die Amerikaner verabschieden sich gerade von G 7, von Europa, vielleicht sogar von der westlichen Staatengemeinschaft, auf jeden Fall von unseren Grundwerten. Das heißt, es kommt mehr denn je auf Europa an.
Deshalb ist meine Frage: Was werden Sie in den nächsten Wochen und Monaten konkret mit welchen Zielen für den Zusammenhalt und die Zukunft Europas innerhalb der G 7, aber auch auf dem nächsten Europäischen Rat in Brüssel Ende des Monats tun?
Auf dem G-7-Gipfel haben wir, glaube ich, nicht so ein dramatisches Problem innerhalb Europas, wenngleich es zu einer ersten Begegnung mit dem neuen italienischen Premierminister Conte kommen wird; ich habe mich schon zu einem bilateralen Gespräch mit ihm verabredet. Ich glaube, dass das Wertefundament der Vereinigten Staaten von Amerika, auch wenn wir ansonsten im Augenblick in der Tat eine Vielzahl von Differenzen haben, natürlich das ist, was auch uns eigen ist. Deshalb glaube ich nicht, dass wir hier so hart urteilen sollten.
Aber: Ich habe letztes Jahr nach dem NATO-Gipfel – ungefähr jetzt vor einem Jahr – sinngemäß gesagt: Ein Stück weit werden wir uns als Europäer mehr um uns selbst kümmern müssen. In diesem Geist sind dann ja auch verschiedene Aktionen erfolgt. Ich glaube, dass wir als Europäer lernen müssen, insbesondere in der Außenpolitik und in der Sicherheits-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik konsistent aufzutreten, um einfach unsere Interessen geschlossen durchzusetzen. Ich muss sagen: Sowohl das Handeln im Fall Skripal im Hinblick auf die Vorkommnisse in Großbritannien als auch die Art, wie wir mit der Kündigung des JCPOA durch die Vereinigten Staaten von Amerika umgehen, hat gezeigt, dass Europa hier ein hohes Maß an Einigkeit aufgebracht hat.
Wir wissen aber auch, dass wir in verschiedenen außenpolitischen Fragen oft auseinanderfallen. Das muss in Zukunft besser werden. Dafür brauchen wir die entsprechenden Strukturen. Ein Punkt, den ich mir zum Beispiel vorgenommen habe, ist, dass wir unsere Sitze – Deutschland wird hoffentlich demnächst, nämlich am Freitag, in den UN-Sicherheitsrat gewählt – europäisieren und zum Beispiel gemeinsam handeln.
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Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin. – Herr Kollege Braun, da Sie gerade auf die Uhr zeigen: Auch der erste Fragesteller aus Ihrer Fraktion hat die Minute überschritten, und da habe ich auch nicht eingegriffen. Also: Erst einmal vor der eigenen Tür kehren, bevor Sie mir Ratschläge geben.
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Die nächste Frage hat der Kollege Alexander Graf Lambsdorff, FDP.
Frau Bundeskanzlerin, ganz herzlichen Dank für Ihren Bericht. Sie fahren ja zum G-7-Gipfel nach Kanada, in ein Land, das einer unserer besten Freunde und engsten Verbündeten ist, mit einem liberalen Premierminister. Das finden wir gut. Wir haben sehr bedauert, dass Kanada im Zuge der CETA-Debatte von Populisten von rechts und links quasi als „Bedrohung unserer europäischen Zivilisation“ so massiv verleumdet worden ist. Das hat das Vertrauen in regelbasierten Freihandel schwer beschädigt. Und jetzt stecken wir dank Präsident Trump in einer wirklich schweren handelspolitischen Krise. Das betrifft nicht nur die Europäische Union, es betrifft auch Kanada und andere befreundete Länder; Sie hatten heute ja auch Japan als Thema im Kabinett. Nach unserer Meinung muss der G-7-Gipfel deswegen ein Handelsgipfel werden. Wird das so sein?
Die zweite Frage bezieht sich auf unser Haus hier. Wir können auch aus Deutschland ein wichtiges Signal für fairen regelbasierten Handel senden. Wann, Frau Bundeskanzlerin, wird Ihre Regierung diesem Haus das CETA-Abkommen zur Ratifizierung vorlegen?
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Erst einmal ist es in der Tat so, dass es sehr viele Missinformationen und auch Falschmeldungen zu dem Thema CETA-Abkommen gab. Ich bin eine absolute Befürworterin. Die Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir das CETA-Abkommen ratifizieren werden. Wir werden Sie zeitnah informieren, welchen Terminplan wir jetzt haben. Aber es kommt zur Ratifizierung.
In der Tat hat Kanada im Augenblick sehr große Schwierigkeiten, weil das NAFTA-Abkommen neu verhandelt wird und man bisher mit Mexiko und Kanada auf der einen Seite und den Vereinigten Staaten von Amerika auf der anderen Seite noch keine gemeinsame Lösung gefunden hat. Kanada ist stärker von den Stahl- und Aluminiumzöllen betroffen. Alle, die wir mit Handelsfragen befasst sind, sollten hier eine gemeinsame Haltung einnehmen.
Heute wird vielleicht manch einem bewusst, wie gut es ist, wenn man auch über bilaterale Handelsabkommen verhandeln kann. Ich zum Beispiel bin offen dafür, das auch mit den Vereinigten Staaten von Amerika zu tun, aber auf der Basis der WTO-Regeln und regelbasiert, wie es im multilateralen Handelssystem festgelegt ist.
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Danke sehr. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Beifallskundgebungen gehen auch von den 60 Minuten ab. – Jetzt hat die Kollegin Dr. Anja Weisgerber das Wort.
Werte Frau Bundeskanzlerin, Sie haben den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen angesprochen. Bereits die Ankündigung dessen hat in der internationalen Klimaschutzpolitik für viel Unruhe gesorgt. Wie gehen aus Ihrer Sicht die anderen sechs G-7-Staaten mit dieser Ankündigung um, und welche Fortschritte erhoffen Sie sich auch vonseiten der Industriestaaten im Bereich Klimaschutz und erneuerbare Energie?
Danke schön. – Wir haben ja schon beim G-20-Gipfel in Hamburg zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika dieses Rahmenwerk des Pariser Abkommens verlassen. Umso mehr sind wir aufgefordert, unsere Ziele auch wirklich zu erreichen. Hier muss man ganz ehrlich sagen, dass auch Deutschland sehr viel zu tun hat, seinen europäischen Beitrag zu erbringen. Darüber geht ja auch die Diskussion; unter anderem geht es um die Einsetzung einer Strukturkommission für Strukturwandel. Wir werden unsere Beiträge leisten. Wir werden, gerade mit Blick auf Entwicklungsländer und auf kleine Inselstaaten, unsere Verpflichtungen, diesen Staaten zu helfen, einhalten, weil es jetzt wirklich darum geht, dieses Abkommen zu retten und weil es eines der wichtigen – ich würde sagen: lebenswichtigen – Abkommen für unseren Planeten ist.
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Deshalb wird uns das eher anspornen, als dass wir zurückstecken.
Die nächste Frage hat der Kollege Fabio De Masi, Fraktion Die Linke.
Frau Bundeskanzlerin, meine Fraktion lehnt CETA und auch ein TTIP light ab. Aber Weltwirtschaft beginnt ja vor der eigenen Haustür. Millionen von Menschen in Deutschland strengen sich jeden Tag hart an, aber ihnen fehlt die Zuversicht. 40 Prozent der Beschäftigten haben heute niedrigere Reallöhne als noch Mitte der 90er-Jahre; Leiharbeit, Befristung boomen. Die Infrastruktur in den Kommunen bröckelt, und wir verkaufen deswegen mehr und billiger an das Ausland, als wir von dort einkaufen. Jetzt hat Herr Trump Strafzölle, unter Umständen auch auf deutsche Autos, angekündigt, eine Ankündigung, die er übrigens bereits 1990 ausgerechnet im „Playboy“ machte.
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Ich frage Sie daher: Was haben Sie konkret vor, um die Lebensverhältnisse für die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland zu verbessern und einen Handelskrieg abzuwenden? Wäre es nicht an der Zeit, sich auch wieder mit Russland an einen Tisch zu setzen,
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wenn wir mit den USA so große Schwierigkeiten haben?
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Herr Kollege, als ich Bundeskanzlerin wurde, hatte Deutschland 5 Millionen Arbeitslose. Jetzt haben wir die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung,
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auch durch die Reformen – ich will das ausdrücklich sagen – meines Vorgängers. Das ist der Weg, den wir gehen müssen. Wir haben inzwischen den Mindestlohn eingeführt. Wir haben eine deutliche Verbesserung für viele Menschen erreicht, und da, wo die Verbesserungen noch nicht angekommen sind, werden wir durch eine Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ in Deutschland darauf achten, dass dies noch geschieht.
Aber ich glaube, die Frage so zu formulieren, dass es Deutschland schlechter geht, ist aus meiner Sicht falsch. Im Übrigen haben die jeweiligen Handelsabkommen auch in Deutschland zu großen Arbeitsplatzgewinnen geführt, weil sie fair und vernünftig ausgehandelt waren. Deshalb werde ich auch weiter dem freien Welthandel auf einer multilateralen Basis das Wort reden. Ich glaube, Ihre Abschottung und Ihr Glaube, alles alleine machen zu können und sich nicht in den internationalen Handel einbringen zu müssen, ist ein Fehlweg.
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Jetzt möchte der Kollege Anton Hofreiter, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die nächste Frage stellen.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, beim G-7-Gipfel wird es ja sicher auch um Handelspolitik und um Klimaschutz gehen. Wir stehen vor der schwierigen Aufgabe, eine vernünftige Antwort auf das Vorgehen von Präsident Trump zu finden, der internationales Recht mit Füßen tritt, sowohl bei der Handelspolitik als auch beim Klimaschutz. Eine gute Möglichkeit wäre, das Pariser Klimaschutzabkommen in Zukunft in internationale Handelsverträge zu integrieren. Präsident Macron, Frankreich, hat genau das vorgeschlagen, nämlich das Pariser Klimaschutzabkommen zu einem substanziellen Bestandteil der zukünftigen Handelsverträge zu machen. Wir wissen: Ihre Regierung hat genau das abgelehnt. Sie haben gerade gesagt, dass es sich um ein lebenswichtiges Abkommen handelt. Das teile ich. Daher möchte ich jetzt von Ihnen wissen, warum Ihre Regierung sich so sehr dagegen wehrt, dass das in die Mandate der Europäischen Union für zukünftige Handelsabkommen hineinkommt; denn es ist nicht konsistent mit Ihrer Politik.
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Ich sehe sehr wohl, dass es wünschenswert ist, auch den Klimaschutz mit in Handelsabkommen hineinzunehmen. Aber daraus zu schlussfolgern, dass es mit den Vereinigten Staaten von Amerika um keinen Preis eine Debatte über reziproke Handelsbeziehungen geben kann, halte ich für falsch. Ich glaube, angesichts der Verletzung der internationalen Regeln, der drohenden Zölle – jetzt auch auf Autos –, sollten wir gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika gesprächsbereit sein und natürlich immer wieder dafür werben, die Klimaschutzvorgaben einzuhalten. Aber alles mit allem zu verbinden und damit jedes Gespräch über Handel unmöglich zu machen, halte ich nicht für den richtigen Weg. Das liegt auch nicht im deutschen Interesse.
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Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Michael Espendiller, AfD.
Danke. – Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, der Streit mit den USA um die Strafzölle überschattet den G-7-Gipfel. Das merken wir auch an dieser Debatte. Es gab ja Forderungen, die USA oder Präsident Trump auszuladen bzw. den Gipfel abzusagen. Ihre Regierung hat verlautbaren lassen, dass das eine schlechte Idee ist, man muss im Gespräch bleiben. Wir stimmen hier ausdrücklich zu.
Jetzt haben wir eine Frage: Würden Sie heute noch sagen, dass es eine gute Entscheidung war, Russland im Zuge der Krim-Krise 2014 aus der Gruppe der G 8 auszuschließen und diesen wichtigen Gesprächsfaden abzubrechen? Wäre es nicht gut, die Gespräche mit Russland in Form eines erneuerten G-8-Gipfels wieder aufzunehmen?
Ich habe in meiner Einführung gesagt, dass sich das G-7- bzw. früher das G-8-Format dadurch auszeichnet, dass man Völkerrecht und Rechtsstaatlichkeit achtet. Die Annexion der Krim ist ein flagranter Bruch des internationalen Völkerrechts gewesen.
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Deshalb ist der Ausschluss Russlands aus dem G-8-Format unvermeidbar gewesen.
Wir haben aber entgegen dem, was Sie immer wieder sagen, die Gesprächsfäden nicht abgebrochen. Es gäbe heute keine einzige Verhandlung über die Frage, wie man die Krise in der Ostukraine lösen kann, wenn wir nicht den Gesprächsfaden gesucht hätten. Ich denke hier an die Minsker Beschlüsse. Es gibt, wie ich schon berichtete, permanente Kontakte. Es gibt Kontakte im G-20-Format. Wir müssen miteinander reden, wenn wir Meinungsverschiedenheiten haben, vielleicht mehr als sonst. Das tun wir. Aber ein Format, das ausdrücklich auf die Achtung des Völkerrechts ausgerichtet ist, ist damit im Augenblick für Russland nicht gangbar.
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Herr Kollege Rolf Mützenich, SPD-Fraktion, hat die nächste Frage.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zu Recht gesagt, dass Fragen der internationalen Ordnung im Mittelpunkt des G-7-Treffens stehen. In Ihrer Antwort auf die Frage meines Kollegen Achim Post haben Sie auf Ihr Interview vom Sonntag hingewiesen. Sie haben diesen Weg bevorzugt, um die deutsche Öffentlichkeit mit Ihren Themen, von denen Sie glauben, sie für Europa gangbar zu machen, zu bereichern. Mich würde interessieren, ob Sie den dort gemachten Vorschlag bezüglich eines europäischen Sicherheitsrats eventuell auch auf dem G-7-Gipfel ansprechen werden und ob dieser aus Ihrer Sicht die internationale Ordnung stärken wird.
Herr Präsident, wenn ich darf, schließe ich eine zweite Frage an: Werden Sie auch die Gelegenheit nutzen, am Rande dieser Konferenz mit dem US-amerikanischen Präsidenten über das Auftreten des amerikanischen Botschafters in Deutschland zu reden?
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Ich glaube, dass alles Notwendige mit Blick auf den Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika durch den Außenminister oder seine Vertreter gesagt wurde. Ansonsten möchte ich das nicht kommentieren. Aber ich werde natürlich versuchen, mit dem amerikanischen Präsidenten über die anliegenden Probleme, die wir insgesamt haben, zu sprechen, insbesondere im Hinblick auf den Iran und auf die Zölle.
Was die Frage der Zukunft der Europäischen Union anbelangt, werden wir am 19. Juni einen deutsch-französischen Ministerrat haben, bei dem alle Überlegungen mit einbezogen werden. Hier muss vor allem auf europäischer Ebene gesprochen werden. Ich kann mir vorstellen, dass dieser Vorschlag eine gewisse Entspannung bringt. Mit Italien zum Beispiel waren wir immer in einer sehr schwierigen Debatte darüber, wer nun einen ständigen Sitz bekommt. Diese UN-Reform kann ja trotzdem noch stattfinden. Aber für die Zeit, in der wir jetzt leben, ist eine Europäisierung der Sitze sehr, sehr hilfreich. Ich könnte mir vorstellen, dass das auch von vielen kleineren Mitgliedstaaten sehr gewürdigt wird. Aber hier müssen Gespräche in Europa stattfinden, vielleicht am Rande des Treffens in Kanada, aber nicht in der G-7-Runde.
Vielen Dank. – Der Kollege Michael Theurer, FDP, stellt die nächste Frage.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, Sie haben die US-Strafzölle auf Stahl und Aluminium bereits angesprochen. Sie könnten dazu führen, dass China noch mehr Produktion nach Europa lenkt, was dann heimische Produzenten gefährdet. Welche Strategie verfolgen Sie in Kanada beim G-7-Gipfel, um das abzuwenden? Und: Können Sie eine abgestimmte Position der Europäer vertreten? Sie waren vor dem G-7-Gipfel auch in China. Halten Sie einen Strategiewechsel der G 7 gegenüber China für erforderlich, das zunehmend expansiv auftritt? Insbesondere im Hinblick auf den Staatskapitalismus in China empfehlen Experten gegebenenfalls einen Strategiewechsel.
Ich sehe im Augenblick keinen Strategiewechsel, aber ich sehe die Notwendigkeit, natürlich auch mit China über Reziprozität des Marktzugangs zu sprechen – das habe ich bei meiner China-Reise auch getan –, zum Beispiel mit Blick auf die Digitalisierung, auch auf die sichere Übermittlung von Daten unserer Investoren. Das ist absolut wichtig.
Wir haben während unserer G‑20-Präsidentschaft im vergangenen Jahr das Global Forum on Steel Excess Capacity, also das Stahlforum, sehr intensiv als Instrument genutzt. Hier haben wir gute Ergebnisse erreicht. Deshalb ist es umso bedauerlicher, dass jetzt noch mal unilateral Zölle erhoben wurden. An diesem Forum würde ich wieder ansetzen. China hat sich hier auch als schwieriger, durchaus hartnäckiger Verhandlungspartner gezeigt, hat sich aber bewegt, und ich setze weiter auf dieses multilaterale Format.
Vielen Dank. – Die nächste Frage hat der Kollege Roderich Kiesewetter, CDU/CSU. – Es gibt dann noch zwei weitere Fragen zu G 7, und dann kommen wir zu anderen Themen.
Danke, Herr Präsident. – Frau Bundeskanzlerin, das G-7-Land Japan steht in seiner Region vor besonderen Herausforderungen, zwei möchte ich nennen: Durch den Rückzug der USA aus der TPP sind die handelspolitischen Ambitionen stark gedämpft worden. Zugleich erhöht China durch seine regionalpolitischen Aktivitäten den Druck, insbesondere mit Blick auf die Sicherheitswahrnehmung Japans.
Meine Frage: Wie kann von den G 7 aus ein Signal der Stärkung der wichtigsten Demokratie in Ostasien ausgehen? Wie können wir von dort ein Zeichen der Solidarität setzen? Und wie schätzen Sie insgesamt die Rolle Japans in dieser Region als Vertreter der G 7 ein? – Danke schön.
Ich schätze die Rolle Japans als sehr konstruktiv ein. Im Grunde ist Japan für uns ein viel engerer Partner, als man wegen der geografischen Distanz denken mag. Denn wir sitzen westlich von Russland, Japan östlich von Russland, und uns verbinden eine Menge gleicher Betrachtungen.
Ich glaube, die Entspannung, die vielleicht jetzt auf der koreanischen Halbinsel eintritt, ist für Japan unter dem Strich eine gute Nachricht. Aber ich verstehe auch, dass Japan hier wirklich harte Ergebnisse einfordert und nicht nur einfach Gespräche.
Wir haben das Freihandelsabkommen mit Japan fertig verhandelt und heute im Kabinett auch die Zustimmung zur Unterzeichnung und vorläufigen Anwendung des Abkommens über eine strategische Partnerschaft zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Japan andererseits verabredet. Ich glaube, diese strategische Partnerschaft gibt uns die Möglichkeit, das, was wir in den letzten Jahren schon gemacht haben, nämlich noch intensiver mit Japan in der gesamten Breite zusammenzuarbeiten, auch wirklich zu praktizieren. Deshalb ist Japan für mich ein wichtiger und sehr geachteter Gesprächspartner der G 7. Ich freue mich auf die bilaterale Begegnung mit Premierminister Abe.
Herr Kollege Enrico Komning, AfD, hat die nächste Frage.
Frau Bundeskanzlerin, welchen Sinn hat ein Gipfeltreffen im Rahmen der G 7, wenn Sie und nahezu alle Mitglieder Ihrer Bundesregierung den amerikanischen Präsidenten fortgesetzt und auf allen öffentlichen Kanälen diskreditieren? Glauben Sie heute angesichts der vor sich hergetragenen Vorurteile an eine gemeinsame und vor allem sinnvolle Abschlusserklärung? Und sind unter diesen Umständen die wieder einmal massiven und wohl auch kostenintensiven Sicherheitsmaßnahmen auf diesem Gipfel gerechtfertigt?
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Sie haben eine hohe Bandbreite an Fragen, die Sie aus Ihrer Fraktion heraus stellen, was das Verhältnis zu den einzelnen Ländern anbelangt. Wir schätzen die Vereinigten Staaten als ein Land der Demokratie, aber wir sind trotzdem der Meinung, dass da, wo Meinungsverschiedenheiten bestehen, diese auch benannt werden müssen.
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Aber gerade in solchen Zeiten ist es eben einfach auch wichtig, immer wieder den Gesprächsfaden zu suchen und Überzeugungsarbeit zu leisten – darauf beruht internationale Diplomatie –, und das tun wir in alle Richtungen.
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Herr Kollege Jürgen Hardt hat die letzte Frage zum Themenbereich G 7.
Frau Bundeskanzlerin, die kanadische Regierung hatte als eines ihrer großen Ziele des Gipfels angegeben, dass sie die Systeme der internationalen Ordnung stärken will – etwas, was möglicherweise die überbordende, große Herausforderung ist. Wie sehen Sie die Chancen, dass wir tatsächlich durch diesen Gipfel auch da ein Stück weit vorankommen, trotz der laufenden Kontroversen etwa im Bereich der Handelspolitik?
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass ich Ihnen das heute noch nicht sagen kann. Ich werde mit gutem Willen darangehen. Aber ich glaube auch nicht, dass wir Ergebnisse, die wir noch im letzten Jahr erreicht haben, zum Beispiel zum Handel – ein grundsätzliches Bekenntnis zum multilateralen, fairen Handel, eine Abkehr von Protektionismus –, verwässern und immer weiter aufweichen dürfen. Deshalb darf es nicht einen Kompromiss einfach um des Kompromisses willen geben. Eine Zusammenfassung des Chairman, also der Gastgeber, ist vielleicht der ehrlichere Weg. Es hat keinen Sinn, Unterschiede beliebig zuzukleistern.
Danke sehr. – Jetzt kommen wir zu den sonstigen Themen. Die erste Frage hat der Kollege Gottfried Curio, AfD.
Frau Bundeskanzlerin, nach Ex-BAMF-Chef Weise war es gar nicht möglich, die von Ihnen 2015 ohne Not losgetretene Migrantenflut auf rechtsstaatliche Weise zu bewältigen, was Ihnen immer klar sein durfte. So waren die BAMF-Mitarbeiter durch eine Politik unerfüllbarer Vorgaben zur Mitwirkung am Rechtsbruch genötigt, degradiert zu Marionetten einer Durchwinkekultur, die im Kanzleramt ihren Ausgang nahm.
Der Verzicht auf Kontrolle einer Millionenflut von Illegalen hat Deutschland schwersten Schaden zugefügt: künftig Hunderte Milliarden Kosten, Asyl- und Sozialbetrug, Import von Islamisten und Gefährdern, unendliches menschliches Leid durch Vergewaltiger und Mörder, Messerstecher und Terroristen.
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All das haben Sie zu verantworten, ein schrecklicher Preis für Ihr freundliches Gesicht. Warum haben Sie nicht rechtzeitig umgesteuert? Wann ziehen Sie endlich auch persönlich die Konsequenz aus dem fortgesetzten Bruch Ihres Amtseids und stellen sich Ihrer Verantwortung? Wann treten Sie zurück?
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Wir hatten im Jahr 2015 – das deutete sich schon 2014 an – eine außergewöhnliche humanitäre Situation, in der Deutschland verantwortlich gehandelt hat. Im Übrigen ist durch den Europäischen Gerichtshof mit seinem Urteil vom Juli 2017 auch bestätigt worden, dass rechtmäßig gehandelt wurde.
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Die politischen Grundentscheidungen waren richtig, und trotzdem haben wir inzwischen eine Vielzahl von Maßnahmen durchgeführt, die deutlich machen, dass es sich um eine Ausnahmesituation gehandelt hat. Ich habe hierzu ausführlich in meiner Regierungserklärung zu Beginn der Legislaturperiode Stellung genommen und sehr deutlich gemacht, dass wir seitdem vieles verändert haben und auch weiter verändern werden.
Ich möchte den BAMF-Mitarbeitern in ihrer großen Mehrheit danken für ihre Arbeit; denn sie haben in einer außergewöhnlich schwierigen Situation
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in einer Behörde gearbeitet, die von etwa 2 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf über 9 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewachsen ist. Das war eine große Leistung.
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Gerade Herr Weise hat hier Ordnung und Steuerung hereingebracht mit seinem Wissen über die Aufstellung der Bundesagentur für Arbeit.
Und deshalb müssen wir weiterarbeiten; aber in der humanitären Ausnahmesituation hat sich Deutschland sehr verantwortlich verhalten, meine Damen und Herren.
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Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Kirsten Lühmann, SPD-Fraktion.
Frau Bundeskanzlerin, in den letzten Jahren haben viele Menschen in unserem Land moderne Dieselfahrzeuge gekauft, weil die Industrie und auch die Politik ihnen gesagt haben, sie entsprechen europäischen Umweltnormen. Jetzt haben diese Menschen Sorge, was den Wiederverkaufswert ihrer Fahrzeuge angeht und ob sie mit diesen Fahrzeugen überall hinkönnen.
Verkehrsminister Scheuer hat gesagt, er rechnet damit, dass in zehn Städten Einfahrverbote oder Durchfahrverbote kommen werden. Sie selber haben sich kritisch zu Fahrverboten geäußert. Regierungssprecher Seibert hat angekündigt, dass es zeitnah eine abgestimmte Meinung der Regierung geben wird. In diesem Zusammenhang frage ich Sie: Werden Sie den Vorstoß der Umweltministerin Svenja Schulze unterstützen, dass es, möglicherweise zeitlich gestaffelt, Hardwareumrüstungen für Dieselfahrzeuge – Euro 5, Euro 6 – geben wird auf Kosten der Wirtschaft?
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Ich sehe noch Gesprächsbedarf innerhalb der Bundesregierung bezüglich des Umgangs mit Hardwarenachrüstungen. Es muss geguckt werden, in welchen zeitlichen Abständen das möglich ist. Es nützt uns ja nichts, wenn wir in ein paar Jahren eine kleine Zahl von Umrüstungen haben. Es muss geschaut werden, ob Investitionen in die Zukunft möglich sind; denn da müssen wir vor allen Dingen bei der Mobilität hin. Die Menschen sollen möglichst wenig betroffen sein von dem, was sie selber nicht verschuldet haben; da stimme ich Ihnen völlig zu.
Ich bin jetzt schon mal froh, dass wir von einer Diskussion über flächendeckende Fahrverbote weggekommen sind hin zu einer Diskussion, wo wir über ausgewählte Städte sprechen. Die Bundesregierung hat hier eine Vielzahl von Maßnahmen beschlossen. Es geht auch nicht um flächendeckende Fahrverbote in diesen Städten, sondern – wie man am Beispiel Hamburg sieht – um punktuelle. Wir werden alles tun, um gemeinsam mit diesen Städten zu versuchen, die Fahrbeschränkungen so klein wie möglich zu halten.
Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Christian Lindner, FDP.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, ich beziehe mich auf den europapolitischen Tagesordnungspunkt Ihrer Kabinettssitzung. Sie haben eine Antwort auf den französischen Präsidenten gegeben, nicht hier im Deutschen Bundestag, aber immerhin hinter der Bezahlschranke einer Sonntagszeitung. Sie haben viel Zustimmenswertes gesagt, etwa über Zusammenarbeit in der Asylpolitik. Sicherlich gäbe es noch weitere Bereiche, in denen es einen europäischen Mehrwert gäbe.
Sie haben den Vorschlag eines Europäischen Währungsfonds unterbreitet, der nicht nur mit objektiver Kompetenz die Regeln überwachen, sondern zukünftig auch Kredite ausgeben soll, kurzlaufende Kredite. Das ist beachtenswert, insbesondere vor dem Hintergrund der innenpolitischen Situation in Italien. Man kann den Eindruck gewinnen: Hier wird ein Dispokredit in der Euro-Zone eingerichtet. Meine Frage ist: In welcher Weise hat Ihre Position in der Kabinettssitzung eine Rolle gespielt? Insbesondere: In welcher Weise wurde die doch sichtbare Verwässerung des Stabilitätskurses unseres Landes diskutiert?
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Herr Kollege Lindner, ich sehe in dem, was ich vorgeschlagen habe, keine Verwässerung in der Kultur dessen, was wir immer gesagt haben: dass es eine Konditionalität gibt und es dafür auch Hilfen geben kann. So sind die langjährigen Laufzeiten der Kredite für die Länder zu verstehen, die Hilfe benötigt haben, insbesondere in der Euro-Krise.
Ich habe mich von dem Chef des Europäischen Stabilitätsmechanismus, Herrn Regling, immerhin jemand, der an der Erarbeitung aller Euro-Grundlagen mitgewirkt hat, überzeugen lassen, dass es kurzfristige Herausforderungen geben kann, zum Beispiel bei Irland mit Blick auf den Austritt Großbritanniens. Und auch das muss mit Konditionalität verbunden sein. Deshalb sehe ich hier überhaupt keine Veränderung unserer Position. Ich glaube, dass es richtig ist, ein Stück Unabhängigkeit vom Internationalen Währungsfonds zu zeigen. Wir wollen eine starke Europäische Union, eine starke Währungsunion sein; aber dazu gehören dann natürlich auch Überwachung, Prävention, und dazu gehören in bestimmten Situationen konditionierte Möglichkeiten, einander zu helfen – mit Rückzahlung des gesamten Geldes innerhalb einer kurzen Zeit. Das ist sehr viel überschaubarer, als wenn ich Kredite mit einer Laufzeit von 30 Jahren ausgebe.
Danke sehr. – Die nächste Frage hat die Kollegin Andrea Lindholz, CDU/CSU.
Frau Bundeskanzlerin, mich würde interessieren, ob die Situation in Afghanistan und Abschiebungen nach Afghanistan im Kabinett eine Rolle gespielt haben und dort angesprochen wurden.
Ja, Frau Kollegin, das hat eine Rolle gespielt, weil jetzt das Auswärtige Amt den neuen Lagebericht für Afghanistan vorgelegt hat. Ich glaube, er liegt Ihnen auch schon vor. Wir haben diesen Bericht neu erstellt. Es hat sich gezeigt, dass dieser Bericht im Grunde qualitativ ein ähnliches Bild zeigt wie der Bericht, den wir vorher hatten. Auf dieser Grundlage und angesichts der Tatsache, dass die deutsche Botschaft nach dem schweren Anschlag jetzt wieder besser arbeitsfähig ist, haben wir gesagt, dass die Beschränkungen bei Rückführungen nach Afghanistan nicht mehr gelten müssen. Der Bundesinnenminister wird den Ländern dies auch mitteilen, und die Länder werden auf dieser Basis des neuen Berichts ihre Entscheidungen über Rückführungen nach Afghanistan treffen. Aus unserer Sicht sind die Einschränkungen entfallen.
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Die nächste Frage stellt die Kollegin Caren Lay, Fraktion Die Linke.
Frau Bundeskanzlerin, während Ihrer Amtszeit sind die Mieten so stark explodiert wie noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Viele Menschen finden keine Wohnung mehr, werden verdrängt. Unsere Städte sind zu einem Eldorado für internationale Finanzspekulation verkommen. Da frage nicht nur ich mich: Wann wollen Sie diesen Mietenwahnsinn endlich stoppen? Wann sind Sie endlich bereit, etwas dagegen zu tun?
Sie haben in der letzten Legislaturperiode ein Gesetz beschlossen, das nicht funktioniert hat. Sind Sie bereit, das jetzt im Sinne von Frau Barley nachzubessern, oder sagen Sie wie Jan-Marco Luczak aus Ihrer Fraktion: „Wir fassen das nicht an, wir wollen nicht nachbessern“? Mich würde auch interessieren, wann Sie endlich bereit sind, diese skandalöse Privatisierungspraxis der bundeseigenen Immobilienanstalt, BImA, zu stoppen, die in den letzten vier Jahren 36 000 Wohnungen und Grundstücke privatisiert hat. Den Zuschlag erhielten jeweils die Höchstbietenden. Wann sind Sie endlich bereit, diese Spekulationen mit Wohnungen und Grundstücken in Ihrer Bundesbehörde zu unterbinden?
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Das Thema Wohnungen ist mit Recht ein Schwerpunkt unserer Arbeit in der Koalition und auch in der Koalitionsvereinbarung. Wir wollen 1,5 Millionen neue Wohnungen bauen, und zwar Wohnungen zu bezahlbaren Mieten. Dazu wollen wir die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Wir wollen auch die Mieter besser schützen, indem sie mehr Auskunft bekommen. Die Grundlage für alle Arbeiten ist der Koalitionsvertrag. Das gilt für die von Ihnen angesprochene Ministerin genauso wie für Herrn Luczak. Da gibt es auch gar keinen Gesprächsbedarf bei uns.
Jetzt geht es darum, sowohl die Maßnahmen für den sozialen Wohnungsbau als auch die Maßnahmen für den freien Wohnungsbau gerade auch durch das bei der Klausurtagung von den geschäftsführenden Fraktionsvorständen beschlossene Paket schnell umzusetzen. Dazu laufen Gespräche. Wir brauchen mehr Bauland; da kann auch die BImA mithelfen. Aber wir brauchen eben auch schnellere Verfahren, und wir brauchen bessere Auskunftsrechte für die Mieterinnen und Mieter. An allen Stellen werden wir arbeiten und unseren Beitrag leisten. 1,5 Millionen Wohnungen in einer Legislaturperiode, das ist ein ehrgeiziges Ziel. Aber wir werden alles tun, das zu erreichen.
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Die nächste Frage hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Meine Frage bezieht sich auf die Situation im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Ich gehe davon aus, dass die Öffentlichkeit sich dafür interessiert, wie die Qualitätssicherung im Bundesamt stattgefunden hat. Deswegen möchte ich Sie fragen:
Am 18. Juni 2015 hat eine Ministerpräsidentenkonferenz stattgefunden, an der auch Herr Seehofer – damals als Ministerpräsident Bayerns – teilgenommen hat, der heutige Innenminister. In Vorbereitung darauf hat am 11. Juni ein Vortreffen stattgefunden, an dem auch Andrea Nahles teilgenommen hat, vermutlich in ihrer Funktion als Arbeitsministerin. Dort ging es unter anderem darum, wie man eigentlich mit der erheblich steigenden Zahl von vermutlich positiven und negativen Entscheidungen des BAMF und mit einer wachsenden Zahl von Klagen umgehen wolle. Das wurde mit den Ministerpräsidenten besprochen. Damals ging es um 2 000 Neueinstellungen. Ich möchte sie gern fragen: Inwieweit haben Sie damals darüber geredet, wie Rechtssicherheit hergestellt werden kann? Inwieweit haben Sie damals darüber geredet, wie die Qualität sichergestellt werden kann? Und wie beurteilen Sie das in Bezug auf den Brief des Gesamtpersonalrates, der in diesen Tagen bekannt geworden ist?
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Wir haben seit 2014, aber insbesondere seit 2015 gesehen, dass eine qualitativ neue Anforderung an das Bundesamt für Migration gestellt wurde. Deshalb ist Herr Weise dort im September 2015 eingestellt worden; er hat mit seinem Erfahrungsschatz die Arbeiten übernommen. Dann gab es eine Vielzahl von Ministerpräsidentenkonferenzen, Berichten im Kabinett und Berichten in den Ausschüssen über die kontinuierliche Verbesserung der Arbeit und den Personalaufwuchs, wie ich schon gesagt habe – immer mit der Maßgabe, natürlich auch Qualitätssicherung zu betreiben.
Das war damals sehr verbesserungswürdig und ist auch verbessert worden. Deshalb kann ich hier nicht einen Punkt herausgreifen, sondern man muss sehen: Der Weg von 2015 bis heute, die Aufklärung dessen, was in Bremen passiert ist – wovon wir alle erst kürzlich erfahren haben –, ist eine Sache, die Frage „Wie muss das BAMF insgesamt noch besser arbeiten?“ eine andere. Deshalb wird es AnKER-Zentren geben, in denen wir die Arbeiten besser zusammenfassen wollen. Aber es ist ein kontinuierlicher Prozess gewesen. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie wir, wenn Herr Weise die Arbeit nicht auf neue Füße gestellt hätte, die Herausforderung der vielen ankommenden Flüchtlinge hätten bewältigen können.
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Danke sehr. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Beatrix von Storch, AfD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, waren Sie am 7. März 2016 in der türkischen EU-Vertretung in Brüssel, haben Sie sich dort mit den Ministerpräsidenten Rutte und Davutoğlu getroffen, und haben Sie dort eine Vereinbarung mit denen getroffen, über die Robin Alexander schreibt: „Deshalb wird nirgendwo schriftlich fixiert, was nun vereinbart wird: Zwischen 150 000 und 250 000 Flüchtlinge sollen pro Jahr aus der Türkei nach Europa umgesiedelt werden. Merkel, Davutoğlu und Rutte haben sich an diesem Abend“ – das ist der 7. März 2016 – „in der türkischen EU-Vertretung in Brüssel per Gentleman’s Agreement darauf geeinigt“? Gibt es dieses Gentleman’s Agreement, ja oder nein?
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Es gab Gespräche zum Abschluss einer Vereinbarung mit der Türkei, die wir gemeinhin „Türkei-Abkommen“ nennen, die beinhaltet, dass jeder auf dem illegalen Weg über die Ägäis ankommende syrische Bürger in die Türkei zurückgeschickt werden kann und wir im Gegenzug bereit sind, ein gewisses Kontingent an Menschen aufzunehmen, die aus Syrien kommen, aber auf legalem Wege.
Es gab also keinerlei andere Absprachen. Sie kennen den Wortlaut der Vereinbarung mit der Türkei, und das war das, was wir an diesem Abend – am 6. März 2016 – auch vorbesprochen haben.
Vielen Dank. – Die nächste Frage hat der Kollege Martin Rosemann, SPD.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben vorhin zu Recht darauf hingewiesen, dass sich unser Arbeitsmarkt aufgrund mutiger Reformen Ihres Vorgängers und kluger Politik in der letzten Krise, vor allem eines sozialdemokratischen Arbeitsministers,
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in einer sehr guten Verfassung befindet. Wir haben es aber ja heute mit neuen Herausforderungen zu tun, vor allem mit der Digitalisierung. Es werden neue Jobs entstehen, es werden Jobs wegfallen, viele Jobs werden sich verändern, uns wird die Arbeit nicht ausgehen, aber das Gesicht der Arbeit wird sich wandeln – und das immer schneller.
Vor diesem Hintergrund hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in der vergangenen Woche eine wichtige und umfassende Qualifizierungsoffensive vorgeschlagen, und ich möchte Sie fragen, ob Sie ebenso Handlungsbedarf in diesem Bereich sehen und welchen Handlungsbedarf Sie sehen.
Zunächst einmal hat das, was wir erreicht haben, auch mit der herausragenden Oppositionsarbeit der damaligen CDU/CSU-Fraktion und unserem Abstimmungsverhalten im Bundesrat zu tun.
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Manchmal mussten wir Sie sogar retten, damit die guten Reformen überhaupt stattfinden konnten. Aber sei es drum.
Heute haben wir andere Herausforderungen; da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Deshalb unterstütze ich die Qualifizierungsoffensive im Grundsatz. Wir werden natürlich über die Details sprechen, aber wir haben das ja auch so in der Koalitionsvereinbarung verabredet.
Die Fragen der zukünftigen Qualifizierung, auch der Ausbildung im Übrigen und des lebenslangen Lernens werden entscheidend dafür sein, ob wir den Wandel hin zu einer digitalen Gesellschaft schaffen werden. Deshalb müssen wir mit größter Anstrengung an diesen Fragen arbeiten. Ich finde, wir haben gute Einstiege gemacht, zum Beispiel, dass sich Betriebsräte jetzt bei den Weiterbildungsfragen mehr einbringen können und dass die Bundesagentur für Arbeit für die Weiterbildung mit zuständig wird.
Aber der Schwerpunkt muss nach wie vor auch bei der betriebsinternen Weiterbildung liegen. Deshalb müssen wir hier auch mit den Unternehmen sprechen, damit sie sich besser, noch besser auf die Digitalisierung vorbereiten können, die in der Tat einen sehr disruptiven Charakter haben kann.
Danke sehr. – Die nächste Frage stellt jetzt der Kollege Christian Dürr, FDP.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Bundeskanzlerin, meine Frage bezieht sich noch einmal auf das Interview zur Reform in der gemeinsamen Währungszone. Sie kündigen in diesem Interview ja auch eine deutliche Ausweitung von Transferzahlungen an – aus meiner Sicht eine Abkehr von der Politik des ehemaligen Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble.
Meine konkrete Frage ist: Wusste der heutige Bundesfinanzminister Olaf Scholz vorab davon, und könnte das unter Umständen der Grund sein, warum Sie die Frage meines Kollegen Christian Lindner, ob das Gegenstand der heutigen Kabinettssitzung war, vorhin nicht beantwortet haben?
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Es ist Gegenstand meiner Gespräche mit dem Bundesfinanzminister, weil der Bundesfinanzminister wiederum bei dem französischen Finanzminister natürlich auch um gemeinsame Positionen wirbt und mit ihm darüber verhandelt. Es ist auch Gegenstand der Gespräche, die der Finanzminister zum Beispiel mit anderen europäischen Kollegen führt, genauso wie es Gegenstand meiner Gespräche ist.
Auch durch Wiederholung wird es nicht besser. Das Prinzip „Konditionalität gegen Hilfsleistung bei bestimmten Umständen“ wird in keiner Weise infrage gestellt. Das ist in dem ESM verankert. Die nationalen Parlamente behalten ihre Beteiligungsrechte so, wie es vereinbart ist, und ich glaube, das ist für den Bundestag eine ganz wichtige Nachricht. Daran wird überhaupt nicht gerüttelt.
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Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Wolfgang Stefinger, CDU/CSU.
Frau Bundeskanzlerin, wir haben in den letzten Jahren massiv in den Bereich „Bildung und Forschung“ investiert. Allein seit dem Jahr 2005 haben wir den Haushalt mehr als verdoppelt. Wir können sagen, dass wir heute eine der führenden Innovationsnationen und vor allem auch ein beliebter Wissenschaftsstandort sind. Wir sehen aber auch, dass Asien sehr stark aufholt. Sie waren ja vor kurzem in China.
Von daher meine Frage: Was können wir tun, und was beabsichtigen Sie und die Regierung zu tun, damit wir hier unsere Stellung behaupten und insbesondere Innovationen auch in die Breite bringen können?
Wir haben ja heute den Bericht zu Forschung und Innovation im Kabinett behandelt. Wir gehören zu den führenden Ländern. Wir sehen aber, dass unsere Entscheidung im Koalitionsvertrag richtig war, für Forschung und Entwicklung bis 2025 auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu kommen.
Ich glaube, in diesem Punkt ist auch das Vorhaben der steuerlichen Forschungsförderung gerade für mittelständische Unternehmen von großer Bedeutung. Wir werden mit unserer neuen und weiterentwickelten Hightech-Strategie die richtige Anbindung an die Umsetzung unserer Innovationen finden. Wir haben jetzt die Arbeiten zu einer Strategie für die künstliche Intelligenz begonnen – dringend notwendig; das will ich ausdrücklich sagen. Wir werden bezüglich der Fokussierung unserer Mittel auch bei der künstlichen Intelligenz mehr machen müssen; das ist mir klar, wenn ich mir die Welt anschaue.
Wir haben für Forscher aus aller Welt inzwischen ein hohes Maß an Verlässlichkeit, indem wir sagen: Jedes Jahr gibt es 3 Prozent mehr Mittel für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Auch die Universitäten bekommen eine Vielzahl von Unterstützungen, damit auch sie ein attraktiver Forschungsstandort sein können.
Vielen Dank. – Jan Korte, Fraktion Die Linke, stellt die nächste Frage.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, ich möchte Ihnen zwei Zitate von Ihnen kurz vorgetragen, wie man sie, glaube ich, millionenfach finden kann. Zum einen: „Deutschland geht es gut“, zum anderen: „Den Menschen in Deutschland ging es noch nie so gut wie im Augenblick.“
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Das findet man ohne Ende in allen möglichen Varianten von Ihnen.
Da zu Deutschland natürlich alle gehören und Deutschland die Summe aller Menschen ausmacht, die hier leben: Die Leiharbeit ist in Ihrer Amtszeit von 2005 von rund 400 000 Menschen auf nunmehr fast 1 Million Menschen im Jahr 2017 angewachsen. 2,5 Millionen Kinder leben in Armut oder sind von Armut bedroht. Zum Dritten gibt es rund 1,2 Millionen Aufstocker, also Leute, die sich krumm machen und trotzdem auf staatliche Leistungen angewiesen sind.
Daher meine ganz konkrete Frage: Erstens: Glauben Sie, dass es diesen Menschen gut geht? Zweitens: Glauben Sie, dass das irgendetwas mit Ihrer Politik zu tun haben könnte?
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Ich glaube schon, dass wir, wie gesagt, von den 5 Millionen Menschen, die arbeitslos waren, viele in Arbeit gebracht haben, zum Teil in Leiharbeit. Wir haben Missbrauch in der Leiharbeit bekämpft. Aber als Flexibilitätsinstrument ist Leiharbeit richtig und wichtig. Wir wollen, dass möglichst viele Menschen eine dauerhafte Beschäftigung haben; das spiegelt sich auch im Koalitionsvertrag wider.
Wir haben durch die Einführung des Mindestlohns vielen Menschen geholfen, aus einer sehr schwierigen Situation herauszukommen. Wir werden den Kinderzuschlag massiv verändern und verbessern, sodass wegen der Kinder niemand mehr zum Aufstocker werden soll.
Ich glaube, dass es vielen Menschen besser gehen sollte; daran arbeiten wir. Aber wenn wir das nicht auf Pump machen wollen, wenn wir das nicht machen wollen, indem wir uns einfach wieder verschulden, dann brauchen wir eben Menschen, die Arbeit haben und Wertschöpfung generieren. Beides muss in einer Balance sein. Das ist soziale Marktwirtschaft. Diese wird durch die Große Koalition gut umgesetzt.
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– Wie gesagt: Es sollte ihnen besser gehen.
Vielen Dank. – Steffi Lemke, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, stellt die nächste Frage.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben sich beim G-7-Gipfel in Elmau ganz persönlich dafür eingesetzt, die Plastikflut einzudämmen. Das haben Sie eben in Ihren einleitenden Worten noch einmal bestätigt. Seitdem ist die Plastiklast in unseren Flüssen, Seen und Meeren massiv angestiegen. Das heißt, konkret passiert ist bisher nichts.
Deshalb möchte ich Sie konkret fragen, ob Sie sich für zwei Maßnahmen einsetzen werden, und möchte Sie bitten, nicht ausweichend mit Verweis auf die EU-Plastik-Strategie oder internationale Verhandlungen zu antworten, sondern konkret: Werden Sie sich für eine Plastiksteuer einsetzen? Werden Sie sich dafür einsetzen, die steuerliche Bevorteilung der Verwertung von Erdöl in Deutschland in Höhe von rund 780 Millionen Euro bei der stofflichen Nutzung, sprich: der Verwertung zu Plastikprodukten, abzuschaffen; diese Subvention, die das Umweltbundesamt seit Jahren anprangert?
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Also, ich bin von der Plastiksteuer noch nicht überzeugt. Aber ich glaube, dass wir daran arbeiten sollten. Wenn Sie mir die möglichen Auskunftswege verweigern, ist das Antworten keine einfache Sache. Deshalb: Ich werde mich dafür einsetzen, dass weniger Plastik verwendet wird. Deutschland kann und sollte hier mit gutem Beispiel vorangehen, obwohl wir durch unsere Recyclingmechanismen schon einen großen Beitrag geleistet haben – mehr als in anderen Ländern.
Aber wir müssen auch nach Formen suchen, wie wir den Meeren helfen können. Das werden wir durch rein europäische und nationale Maßnahmen leider nicht erreichen. Hier werden wir in Kanada darüber sprechen, wie wir globale Abkommen erreichen; denn das ist an dieser Stelle der wichtigere Weg. Aber das heißt nicht, dass wir nicht mit gutem Beispiel vorangehen.
Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Leif-Erik Holm, AfD.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Bundeskanzlerin, wir stehen vor weiteren schwerwiegenden Problemen in der Euro-Zone. Italien hat eine neue Regierung, die die Austeritätspolitik nicht mehr möchte.
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Sie plant Mehrausgaben in Milliardenhöhe und gleichzeitig Steuersenkungen, und das bei einer schon jetzt bedenklichen Schuldenquote von 130 Prozent des BIP. Wir sehen also hier einmal mehr, dass die Stabilitätskriterien Makulatur sind. Es hält sich kaum noch jemand daran. Und das verdanken wir auch Ihrem Sündenfall in Griechenland, um es klar zu sagen.
Meine Frage: Würden Sie auch in einem Fall Italien das Bailout-Verbot missachten und versuchen, ein weiteres Land auf Kosten der Steuerzahler und kommender Generationen zu retten? Wie viel Geld wären Sie dann bereit auszugeben?
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Sie kennen die Verfassungsgerichtsentscheidungen, die immer wieder, auch zum Griechenland-Programm, auch zum ESM, getroffen wurden. Alle Entscheidungen haben zwar die parlamentarischen Möglichkeiten der Kontrolle gestärkt, die Maßnahmen sind aber als richtig und verfassungsrechtlich akzeptabel bewertet worden. Ich bitte, das in Ihre Betrachtungen mit einzubeziehen.
Bei Griechenland haben wir harte, sehr harte Verhandlungen gehabt. Aber wir sind zum Schluss zu einem guten Ergebnis gekommen.
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Deshalb gehe ich auch auf die neue italienische Regierung so zu, dass wir miteinander sprechen, dass wir sagen: Eine Europäische Union beruht darauf, dass alle sich an die Regeln halten. In diesem Geist werde ich dann berichten, was erreicht worden ist.
Danke sehr. – Jetzt hat der Kollege Karamba Diaby, SPD, die nächste Frage.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, die SPD-Bundestagsfraktion hat sich seit Jahren das Ziel gesetzt, ein neues Einwanderungsgesetz zu schaffen, und zwar auch mit der Begründung, dass die Unternehmen in unserem Land an uns immer wieder appellieren, dass wir zur Deckung des Fachkräftebedarfs in unserem Land ein neues Einwanderungsgesetz brauchen. Deshalb haben wir das auch im Koalitionsvertrag fest vereinbart. Ich frage Sie, Frau Bundeskanzlerin: Wann beginnen die Vorarbeiten für diesen Gesetzentwurf, und wann in der nächsten Zeit können wir mit einem entsprechenden Gesetzentwurf rechnen?
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Wir haben in der Tat vereinbart, ein Fachkräftezuwanderungsgesetz zu verabschieden. Wenn ich recht informiert bin, haben heute am Rande der Kabinettssitzung oder nach der Kabinettssitzung die Minister, die dafür zuständig sind – der Innenminister, der Arbeitsminister –, schon ein erstes Abstimmungsgespräch geführt. Sie werden Verständnis haben, dass wir etwa 100 Tage nach Beginn dieser Regierung, der Großen Koalition noch nicht mit dieser Arbeit fertig sind. Das ist ein anspruchsvolles Vorhaben. Aber es wird nicht auf die lange Bank geschoben, sondern die Arbeiten an diesem Gesetzentwurf beginnen jetzt. Es gibt eine hohe Dringlichkeit. Dies wird erkennbar, wenn wir uns informieren, wie viele Unternehmer Fachkräfte suchen. Wir haben heute schon die Möglichkeit der Bluecard durch die Europäische Union. Aber gerade im Bereich der geringer bezahlten Tätigkeiten ist es ganz wichtig, dass wir neben der europäischen Freizügigkeit, durch die jährlich Hunderttausende nach Deutschland kommen und hier Arbeit finden, dieses Fachkräftezuwanderungsgesetz aufgreifen. Wir werden es mit Nachdruck und Hochdruck bearbeiten.
Danke sehr. – Die nächste Frage hat der Kollege Stephan Thomae, FDP.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Bundeskanzlerin, im Zusammenhang mit den Vorgängen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und dessen Außenstelle Bremen war der Presse dieser Tage zu entnehmen, dass der ehemalige BAMF-Präsident Frank-Jürgen Weise Sie in zwei persönlichen Gesprächen im Jahr 2017 auf die dortigen Vorgänge und Schwierigkeiten hingewiesen habe. Meine Frage ist, ob in diesen Gesprächen Herr Weise Sie auch über die gravierenden strukturellen Probleme im BAMF in Kenntnis gesetzt hat.
Herr Thomae, schauen Sie: Herr Weise wäre überhaupt nicht ins BAMF gekommen, wenn es dort nicht gravierende strukturelle Probleme gegeben hätte.
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Das war im Jahr 2015. Ich habe von Stund’ an in unzähligen Gesprächen mit Herrn Weise – entweder direkt im Kabinett oder in den Ministerpräsidentenkonferenzen – über diese strukturellen Probleme gesprochen und war sehr dankbar, dass er mit seinem Erfahrungsschatz an der Lösung dieser strukturellen Probleme arbeiten konnte. Deshalb: Da geht manches durcheinander.
Im Übrigen sind die beiden Daten von mir noch einmal gecheckt worden. Das Märzdatum betrifft das Abschiedsessen für Herrn Weise in seiner Eigenschaft als Chef der Bundesagentur für Arbeit; das war ein Mittagessen. Bei diesem Mittagessen waren alle die vertreten, die mit ihm in der Bundesagentur für Arbeit zusammengearbeitet haben. Den Maitermin kann ich nach meinem Terminplan nicht bestätigen. Aber das tut überhaupt nichts zur Sache. Ich habe ihn unzählige Male gesprochen und habe ihn immer wieder ermuntert, uns alle Missstände, alle Unzulänglichkeiten zu sagen. Nur dadurch haben wir das geschafft, was wir dann geschafft haben. Und da bleibt noch immer viel zu tun.
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Danke sehr. – Die nächste Frage hat die Kollegin Elisabeth Motschmann, CDU/CSU.
Frau Bundeskanzlerin, wir haben gestern den 65. Geburtstag der Deutschen Welle gefeiert. Sie war heute auch Thema im Kabinett. Die Deutsche Welle will sich ausweiten auf die Türkei, den arabischen Raum, Russland und Osteuropa. Das wird Putin und Erdogan eher nicht freuen. Ich frage Sie: Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund diese Ausweitung? Ist sie für Sie Hilfe oder eine Erschwernis im Verhältnis zu diesen Ländern?
Wir haben uns in der Tat die Aufgabenplanung der Deutschen Welle angeschaut. Wir halten diese Aufgabenplanung für sehr sinnvoll. Die Deutsche Welle ist heute schon im Baltikum und in anderem russischsprachigen Raum unterwegs, aber auch im arabischen Raum. Sie wird das zum Teil verstärken, auch in Richtung Türkei. Vielleicht wird sie auch in internationaler Zusammenarbeit tätig werden.
Das hilft den Menschen nach unserer festen Überzeugung, weil die Deutsche Welle genauso wie die Bundesregierung von den Grundwerten der Demokratie und der Menschenrechte und der Menschenwürde geleitet ist. Deshalb unterstützen wir das. Ich bin dem Deutschen Bundestag sehr dankbar, dass er seine Unterstützung immer wieder auch in höheren Zahlungen für die Deutsche Welle ausgedrückt hat. Ich hoffe, es geht in diese Richtung weiter. Die Deutsche Welle ist ein wichtiger Teil dessen, was die Kenntnis über unser Land im Ausland ausmacht. Auch die freie Information und die Pressefreiheit sind elementare Bestandteile der Demokratie.
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Danke sehr. – Jetzt hat die Kollegin Sevim Dağdelen, Fraktion Die Linke, die nächste Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Bundeskanzlerin Merkel, warum wollen Sie gemeinsam mit dem US-Präsidenten, Donald Trump, das Bündnis NATO weiter aufrüsten? Sie halten an dem 2-Prozent-Ziel zur Aufrüstung der NATO fest. Sie wollen beispielsweise die Ausgaben für Rüstung und Militär in Deutschland in den nächsten Jahren um 30 Milliarden Euro pro Jahr auf rund 70 Milliarden Euro erhöhen, obwohl deutlich ist, dass die Rüstungsausgaben der NATO – im Verhältnis zu denen Russlands mit 66 Milliarden US-Dollar – 900 Milliarden US-Dollar betragen, während sich andererseits Ihr US-Partner mit Strafzöllen gegen die Europäische Union und dem Bruch eines völkerrechtlichen Abkommens mit dem Iran profiliert. Finden Sie, dass diese Aufrüstung letztendlich ein Beitrag für eine friedliche Außenpolitik ist?
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Ich glaube, es ist eine vornehme Aufgabe jeder Regierung und auch jedes Parlaments, dafür zu sorgen, dass wir in Sicherheit leben. Dazu gehört eine Bundeswehr, und dazu gehört auch eine Kooperation im Rahmen der NATO. Wir haben dem eine Strukturierte Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigungspolitik innerhalb der Europäischen Union hinzugefügt.
Ja, wir stehen zu der von uns eingegangenen Verpflichtung, den entsprechenden Etat in Richtung 2 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Wir können sagen, dass wir jetzt sozusagen als politisches Bekenntnis bis 2025 1,5 Prozent erreichen können und dass wir vor allen Dingen auch in neue Waffensysteme investieren. Wenn Sie sich den Zustand der Bundeswehr anschauen und auch die Berichte des Wehrbeauftragten lesen, wissen Sie, dass es eine Vielzahl von notwendigen Investitionen gibt, um auf die Herausforderungen unserer Zeit adäquat reagieren zu können. Ich glaube, es ist meine Pflicht als Bundeskanzlerin, dafür zu sorgen, dass unsere Sicherheit auch im Blick auf die äußeren Herausforderungen gewährleistet ist.
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Vielen Dank. – Die nächste Frage hat die Kollegin Katja Dörner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Bundeskanzlerin, ich möchte Sie auf den geringen Frauenanteil im Deutschen Bundestag ansprechen. Darüber ist ja in vielen Beiträgen und Artikeln in letzter Zeit intensiv berichtet worden. Wir wissen alle, dass die Erhöhung des Frauenanteils in erster Linie und vorrangig eine Aufgabe der Parteien ist.
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Ich möchte sagen, dass links von mir, also rechts von Ihnen, da vielleicht noch ein bisschen mehr Nachholbedarf besteht als auf dieser Seite des Hauses.
Ich glaube, es wird immer offensichtlicher, dass reine Freiwilligkeit uns hier nicht zum Ziel führt. Deshalb möchte ich Sie ganz persönlich fragen: Wann sagen Sie, dass auch aus Ihrer Sicht der Moment gekommen ist, dass man mit gesetzlichen Maßnahmen die Parteien hier auf das richtige Gleis setzt?
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Ich will ausdrücklich sagen, dass ich sehr bedauere, dass der Anteil der Frauen in unserer Bundestagsfraktion zurückgegangen ist; ich glaube, die Männer bedauern das auch.
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Aber uns unterscheidet von Ihnen, ohne dass ich das jetzt vorwurfsvoll sage, dass wir Direktwahlkreise gewinnen und die Quotierung auf einer Liste uns deshalb nicht weiterhilft. Die haben wir schon; wir sagen: Da sichern wir Frauen ab. – Aber wenn die Liste nicht zieht, müssen wir andere Maßnahmen treffen, und da sind wir im Augenblick in einer sehr intensiven Diskussion. Einfach in den Wahlkreisen vorzuschreiben, wer die Kandidatin sein wird, ohne dass man dort die demokratischen Grundprinzipien beachtet, das dürfte auch nicht der Weg sein. Aber ich bin gerne bereit, in einem parteiübergreifenden Gespräch zu hören, ob Sie gute Vorschläge haben, wie man das bei Direktwahlkreisen auch hinbekommen kann.
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Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten jetzt, auch unter Berücksichtigung des einleitenden kurzen Berichts der Frau Bundeskanzlerin, etwas mehr als 60 Minuten Regierungsbefragung.
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– Herr Kollege Buschmann, ich habe genau gerechnet: Wir haben 30 Fragen in 60 Minuten mit 30 Antworten behandelt, und nach den Vereinbarungen ist die Regierungsbefragung jetzt zu Ende.
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So schade das ist; es ist halt zu Ende. Ich komme ja wieder.
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Frau Bundeskanzlerin, es ist Sache der Bundesregierung, in jeder Sitzungswoche zu entscheiden, welches Mitglied des Kabinetts in der Regierungsbefragung zur Verfügung steht. Für heute danke ich Ihnen.
Ich schließe die Regierungsbefragung.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tatsächlich war die Lage am Arbeitsmarkt im vereinten Deutschland noch nie so gut wie heute. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland hat mit 32,7 Millionen einen weiteren Höchststand erreicht. Was besonders erfreulich ist: Wir haben es innerhalb weniger Jahre geschafft, die Arbeitslosigkeit in Deutschland nahezu zu halbieren. Sie liegt bei 5,1 Prozent, das ist der zweitniedrigste Wert in der Europäischen Union.
Diese ausgezeichnete Bilanz ist das Ergebnis einer guten wirtschaftlichen Entwicklung und einer guten konjunkturellen Lage, aber auch von vernünftigen politischen Rahmenbedingungen und einer starken sozialen Marktwirtschaft. Anders gesagt: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutschland, aber auch unser Sozialstaat und unser Gemeinwesen, unser Land können auf dieses Ergebnis richtig stolz sein.
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Die Lage ist also gut, aber der Erfolg kommt noch nicht bei allen Menschen an. Das sehen wir vor allen Dingen an der Tatsache, dass wir bei aller erfreulichen Entwicklung, die Sie auch einmal zur Kenntnis nehmen könnten, feststellen müssen, dass wir zwar die Massenarbeitslosigkeit überwunden, aber die Langzeitarbeitslosigkeit noch nicht im Griff haben. Es gibt nach wie vor viel zu viele Menschen in diesem Land, die sehr lange aus dem Arbeitsmarkt draußen sind. Auch hier hat sich einiges getan, aber richtig ist: Wir haben einen verfestigten Sockel von Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland. Nachdem wir die Massenarbeitslosigkeit, die in den 90er-Jahren gerade in Ostdeutschland ein großes Thema war, überwunden haben, müssen wir die Chance ergreifen und den verfestigten Sockel von Langzeitarbeitslosigkeit aufbrechen.
Die Menschen, die ich meine, habe ich in der letzten Woche getroffen, als ich ein Beschäftigungsprojekt in Hennigsdorf besucht habe. Dort habe ich Menschen kennengelernt, die viele Jahre draußen waren, die begleitende Hilfen und Unterstützung brauchen. Sie brauchen keine kurzatmigen Maßnahmen, sondern dauerhafte Brücken in sozialversicherungspflichtige, sinnvolle Arbeit. Ich sage Ihnen: Für diese Menschen ist Arbeit mehr als Broterwerb. Arbeit ermöglicht die Teilnahme am gesellschaftlichen und sozialen Leben in Deutschland. Deshalb ist der soziale Arbeitsmarkt, den diese Bundesregierung mit den entsprechenden Maßnahmen stärken wird, die richtige Antwort. Wir wollen sozialversicherungspflichtige Arbeit für diese Menschen, damit sie im Leben eine Chance haben. Wir schreiben sie nicht ab. Das ist ein wichtiges Signal, das wir geben.
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Die Situation ist – das ist in dieser Woche Teil der Beratungen im Haushaltsausschuss, aber auch Teil der Beratungen im Ausschuss für Arbeit und Soziales –, dass derzeit konjunkturbedingte Arbeitslosigkeit aufgrund der guten wirtschaftlichen Lage nicht das Problem der Bundesrepublik Deutschland ist. Gleichwohl müssen wir uns angesichts vieler Risiken, die es weltwirtschaftlich gibt, auch für schwierige konjunkturelle Zeiten immer so wappnen, dass wir bei einem Einbruch der Wirtschaftsleistung, der im Moment nicht zu erwarten ist, im Zweifelsfall mit Instrumenten der Arbeitsmarktpolitik reagieren können, damit aus einem wirtschaftlichen Einbruch kein Tsunami am deutschen Arbeitsmarkt wird.
Wir erinnern uns alle an die Zeit 2008/2009, als wir in Deutschland nach der Krise von Lehman Brothers, nach der Weltwirtschafts- und Finanzkrise einen Einbruch der wirtschaftlichen Leistung von minus 5 Prozent zu verzeichnen hatten. Gleichwohl gab es keinen Tsunami am Arbeitsmarkt. Das ist auch das Verdienst einer klugen und vorsorgenden Arbeitsmarktpolitik gewesen, die mein Amtsvorgänger Olaf Scholz damals zum Beispiel mit den veränderten Regeln zur Kurzarbeit auf den Weg gebracht hat.
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Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung sagen wir: Es ist sinnvoll, dass die Bundesagentur für Arbeit bei guter Kassenlage, die zurzeit zweifelsohne vorhanden ist, Rücklagen bildet, die notwendig sind, um für solche Eventualfälle gerüstet zu sein. Wenn beispielsweise die Handelspolitik der Vereinigten Staaten von Amerika, wenn internationale sicherheitspolitische Krisen oder wenn das Verhalten einzelner Mitgliedstaaten der Europäischen Union uns wirtschaftlichen Schaden zufügen, dann müssen wir auch in diesem guten und reichen Land gewappnet sein, um mit Mitteln der Arbeitsmarktpolitik Beschäftigung zu sichern. Deshalb hat die Bundesagentur für Arbeit Krisenrücklagen. Ende dieses Jahres werden sie über 20 Milliarden Euro betragen, was richtig und vernünftig ist. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat ermittelt, dass wir ungefähr 0,65 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt als Krisenrücklage brauchen, um wirtschaftliche Krisenzeiten unbeschadet überstehen zu können – mit diesen Mitteln, die ich beschrieben habe.
Wenn wir jetzt gleichzeitig Spielraum haben, um die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken – im Koalitionsvertrag ist eine Senkung um 0,3 Prozentpunkte vereinbart –, dann ist das ein Grund zur Freude. Das entspricht einer Entlastung um insgesamt 3,5 Milliarden Euro für Beschäftigte und Arbeitgeber in diesem Land. Wir werden das gemeinsam umsetzen.
Nun wissen wir alle, dass es den Wunsch nach mehr gibt; wir haben auch in diesem Haus darüber debattiert. Ich sage: Darüber kann und sollte man reden. Im Koalitionsvertrag steht aber eine Senkung um 0,3 Prozentpunkte. Das gilt erst mal, weil wir eine weitere Aufgabe vor der Nase haben, die wir nicht unterschätzen dürfen: Wir haben nicht nur die Aufgabe, Langzeitarbeitslosen zu helfen und für Krisenaufgaben gewappnet zu sein, sondern wir müssen – dazu wurde die Arbeitslosenversicherung von Sozialpartnern und vom Gesetzgeber beauftragt – auch Beschäftigten Versicherungsschutz bieten. Es geht um Schutz und Chancen im Wandel. Es geht vor allem um Schutz und Chancen im technologischen und digitalen Wandel unserer Arbeitsgesellschaft.
Wenn das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und die OECD uns ins Stammbuch schreiben, dass wir uns nicht ausruhen dürfen, dass der technologische Wandel eine Riesenchance ist, er aber auch dazu führt, dass sich die Arbeitswelt verändert, dann müssen wir uns um diese Frage kümmern. Die gute Nachricht ist: Nach allem, was wir wissen, nach allen plausiblen Studien, die wir haben, wird der Bundesrepublik Deutschland bis 2030 und darüber hinaus auch im Angesicht des rasanten, aber erfreulichen technologischen Wandels durch die Digitalisierung die Arbeit nicht ausgehen. Aber – und das ist die anstrengende Nachricht – es wird in vielerlei Hinsicht andere Arbeit sein.
Wenn das, was die OECD geschrieben hat, stimmt, dann wird jeder vierte Arbeitnehmer, jede vierte Arbeitnehmerin in Deutschland mit dem Thema Automatisierung zu tun haben. Wenn richtig ist, was das IAB ermittelt hat, dann werden sich viele Tätigkeitsfelder in den Berufen und damit auch Berufsbilder verändern. Wenn man dann in Rechnung stellt, dass die meisten Menschen, die 2030 dem Arbeitsmarkt in Deutschland zur Verfügung stehen, ihre Ausbildung schon jetzt hinter sich haben, dann ist klar, dass wir diese Menschen in den Bereichen Schule, Berufsschule und Hochschule, also im Bereich der Erstausbildung, nicht erreichen. Das zeigt, dass wir auf Qualifizierung und Weiterbildung setzen müssen.
Deshalb verbinde ich mit dieser Debatte und dem Gesetzentwurf, den ich zur Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages auf den Weg bringen werde, zwei konkrete Vorschläge:
Ein Vorschlag ist, den Schutz für Kurzzeitbeschäftigte in den Blick zu nehmen. Wir haben aufgrund des technologischen Fortschritts immer mehr Menschen, die kurzzeitig beschäftigt sind, zum Beispiel in IT-Projekten. Während dieser Beschäftigungszeit zahlen sie in die Arbeitslosenversicherung ein, aufgrund ihrer sehr kurzen Anwartschaftszeiten und der begrenzten Rahmenfrist können sie aber oftmals keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten. Unser Vorschlag ist, die Anwartschaftszeiten von zwölf auf zehn Monate zu verkürzen und die Rahmenfrist von zwei auf drei Jahre zu erhöhen. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit, aber auch eine Frage der Vernunft, um Schutz im Wandel zu schaffen. Es geht nicht um Schutz vor dem Wandel, meine Damen und Herren.
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Mein zweiter Vorschlag: Wir müssen das Thema Qualifizierung auf den Weg bringen. Ja, ordnungspolitisch gesehen ist es in allererster Linie Aufgabe der Unternehmen in Deutschland, für Weiterbildung und Qualifizierung zu sorgen, weil das im Interesse des wirtschaftlichen Erfolgs des Unternehmens ist. Und es ist Aufgabe der Beschäftigten, sich selbst um Weiterbildung und Qualifizierung zu kümmern. Wir wollen Unternehmen und Beschäftigte dabei unterstützen. Gerade kleine und mittlere Unternehmen brauchen Unterstützung. Auch die Beschäftigten in kleinen und mittleren Unternehmen sowie die Beschäftigten in großen Unternehmen, die zum Teil gar nicht gering, sondern sehr gut qualifiziert sind, werden Weiterbildung und Qualifizierung brauchen.
Es geht um Schutz und Chancen im Wandel. Es geht um Beschäftigungsfähigkeit, auch um die Möglichkeit, beruflich aufzusteigen. Deshalb ist es richtig, dass wir das Programm WeGebAU, das bisher auf Geringqualifizierte und Ältere ausgerichtet ist, so weiterentwickeln, dass auch Menschen, die eine gute Qualifikation haben – aufgrund einer beruflichen Ausbildung, aber auch aufgrund einer akademischen Ausbildung –, den Anschluss an die neuen Technologien nicht verlieren.
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Trends wie künstliche Intelligenz und Blockchain, die große Themen sein werden, sehe ich als Chance für eine Humanisierung der Arbeitswelt, für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und in allererster Linie für die Beschäftigten. Aber wir müssen aufpassen, dass sie keine Angst-und-Sorgen-Themen werden. Deshalb setzen wir auf Schutz und Chancen im Wandel. Das heißt, dass wir auf eine präventive, eine vorsorgende Arbeitsmarktpolitik setzen, damit wir das Ziel der Vollbeschäftigung in Deutschland in guter Arbeit erreichen können.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Der nächste Redner ist für die AfD-Fraktion der Kollege Uwe Witt.
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Herr Präsident! Werte Kollegen! Liebe Gäste des Hauses! „Soziale Gerechtigkeit“ war das Motto des Bundestagswahlkampfes der SPD. Das hat nicht geklappt. Die Wähler haben der SPD offenbar nicht abgenommen, dass sie die erforderliche Kompetenz hat. Jetzt haben Sie einen Gang höhergeschaltet: Sie sitzen nach einigen Irrungen und Wirrungen wieder am Hebel der Macht und versuchen nun, zulasten der Steuerzahler Ihr angekratztes Image wieder aufzumöbeln, sozusagen „Soziale Gerechtigkeit reloaded“. Natürlich ist Ihr alter Weggefährte, die CDU, hocherfreut, weiterregieren zu dürfen. Ob der Wähler von dieser für unser Land unseligen Allianz das auch ist, lassen wir einmal offen.
Der Titel dieser Aktuellen Stunde lautet: „Auf dem Weg zur Vollbeschäftigung – Beste Arbeitsmarktlage seit der Wiedervereinigung ...“. Von den „Herausforderungen für die Zukunft“ will ich hier gar nicht reden. Denn wie will sich jemand zielführend mit den Herausforderungen der Zukunft befassen, der nicht einmal zu einer realistischen Einschätzung des Status quo in der Lage ist?
Vielen Arbeitnehmern geht es heute nicht mehr so gut wie vor 20 Jahren. Unzählige Familien sind heute darauf angewiesen, zwei Einkommen verdienen zu müssen, um überhaupt noch über die Runden zu kommen. Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten ist von 2003 bis heute von 4 Millionen auf fantastische 17 Millionen angestiegen, wobei nur 20 Prozent der Männer, aber 60 Prozent der Frauen in Teilzeit arbeiten.
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21,5 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland arbeiten heute im Niedriglohnsektor. Der Anstieg des Niedriglohnsektors in Deutschland ist vor dem Hintergrund Ihrer massiven Reformen zur Flexibilisierung und Deregulierung des Arbeitsmarktes zu sehen, die im Vergleich mit anderen europäischen Ländern beispiellos negativ sind.
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Die Zahl der Arbeitslosen ist nach wie vor viel zu hoch. Daran ändern auch die geschönten Arbeitslosenquoten nichts. Wenn aktuell von 2,3 Millionen Arbeitslosen die Rede ist – was auch noch saisonbedingt wenig ist –, dann ist das vielleicht wählerfreundlich, hat aber nichts damit zu tun, wie viele Menschen im erwerbsfähigen Alter in Deutschland arbeitsuchend sind. Da können Sie diese Zahl nämlich verdoppeln; das können Sie in Ihren eigenen Statistiken nachlesen. Da reden wir nämlich von 4,6 Millionen. Wenn man sich dann noch die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in der Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II – ansieht, nämlich 4,2 Millionen, dann kommen einem die Tränen.
In dieser Situation, aufbauend auf einer um 50 Prozent geschönten Anzahl von Arbeitsuchenden, reden Sie tatsächlich von Vollbeschäftigung. Arbeitsminister Hubertus Heil plant, mit einem angeblich ganzheitlichen Ansatz die Qualifizierung, Vermittlung und Reintegration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt voranzutreiben. Das Hauptinstrument seines Konzeptes soll ein langfristiger Lohnkostenzuschuss für Arbeitgeber über einen Zeitraum von fünf Jahren sein, der in den ersten beiden Jahren 100 Prozent des vereinbarten Lohnes betragen soll, wenn die Langzeitarbeitslosen mindestens sechs Jahre ohne Beschäftigung waren. Für Arbeitslose, die mindestens zwei Jahre ohne Arbeit waren, soll der Lohnkostenzuschuss zwei Jahre gezahlt werden, und zwar zu 75 und 50 Prozent. Da scheint sich Herr Heil auf Kosten des Steuerzahlers ein Denkmal setzen zu wollen.
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Allerdings ist bereits jetzt absehbar, dass der Schuss nach hinten losgeht.
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Die fünfjährige Förderung von Arbeitsplätzen, die in direkter Konkurrenz zum freien Arbeitsmarkt stehen, wird dazu führen, dass sich die Anzahl der Arbeitslosen nicht verändert. Hier werden zulasten des Steuerzahlers Wettbewerbsverzerrungen vorgenommen, die den kleinen und mittelständischen Unternehmen massiven Schaden zufügen. Offensichtlich scheint das Ziel der SPD zu sein, die soziale Marktwirtschaft weiter auszuhebeln.
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Langzeitarbeitslose werden zu Versuchskaninchen eines geltungsbedürftigen Arbeitsministers gemacht, der versucht, mit wirtschaftsschädigenden Maßnahmen seine eigene Reputation aufzupolieren.
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Die Krönung des Ganzen ist, dass es eine Nachbeschäftigungspflicht von nur sechs Monaten geben soll. Das, Herr Arbeitsminister – auch wenn er nicht zugegen ist –, führt zu beförderten Rotationsarbeitsplätzen.
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– Ach, er ist noch da. Entschuldigung. – Dies alles geschieht nur, um den Merkel’schen Versprechen von Vollbeschäftigung durch Augenwischerei Rechnung zu tragen. Hier soll der Wähler mit einem Potemkinschen Dorf geblendet werden, damit später die nächsten Landtagswahlergebnisse für die CDU und die SPD besser werden.
Werte Mitglieder der Regierung, tun Sie endlich das, wofür man Sie gewählt hat. Schaffen Sie einen tragfähigen Rahmen für kleine und mittelständische Unternehmen, damit diese wieder in der Lage sind, Mitarbeiter einzustellen und diese so zu bezahlen, dass sie ohne Not und Nebenbeschäftigung in unserem Deutschland leben können.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Peter Weiß von der CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! „Der Arbeitsmarkt ist von der Sonne beschienen. Wir haben Glück.“ – Mit diesen Worten hat heute Vormittag der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, seinen Vortrag in der Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales begonnen. Deswegen habe ich mir jetzt erlaubt, das zu zitieren. Das hat er an dem Datum festgemacht, worüber wir jetzt in dieser Aktuellen Stunde miteinander diskutieren: Die Arbeitslosigkeit in Deutschland hat den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung erreicht.
Wir nutzen Aktuelle Stunden oft dafür, Probleme aufzuwerfen und zu diskutieren.
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Ich finde, es ist gerechtfertigt, auch einmal ein gutes Datum in Deutschland mit einer Aktuellen Stunde zu würdigen, und das sollten wir heute tun.
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Die Prognosen zeigen, dass sich dieser Aufwärtstrend am Arbeitsmarkt auch in den kommenden Jahren voraussichtlich fortsetzen wird.
Es gehört natürlich zu dem parlamentarischen Spiel, dass die Opposition auch ein paar kritische Dinge finden muss.
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– Doch, danach muss die Opposition lange suchen. – Dazu gehört natürlich, davon zu sprechen, da gebe es ja verschiedene Arbeitsmarktmaßnahmen. Es seien Leute in unterschiedlichster Art und Weise gar nicht voll im Arbeitsmarkt integriert.
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Kurzum wird gesagt – so ist der Fachbegriff –, wir hätten einen großen Anteil an Unterbeschäftigung.
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Der Punkt ist nur der: Auch dieses Oppositionsargument stimmt nicht mehr.
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Die Unterbeschäftigung ist vom vergangenen auf dieses Jahr um 6,6 Prozent gesunken, sie ist also stärker gesunken als die Arbeitslosigkeit. Das zeigt: Auch beim Thema Unterbeschäftigung haben wir eine deutliche Reduktion. Wir haben einen wirklichen, echten und nachhaltigen Aufschwung am Arbeitsmarkt.
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Natürlich ist das alles keine Selbstverständlichkeit. Dass sich der Arbeitsmarkt so gut entwickelt, hat auch seine Gründe. Der Bundesminister Heil hat einige genannt.
Ich will noch mal wiederholen, dass ich glaube, dass wir in Deutschland ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Flexibilität und Sicherheit am Arbeitsmarkt gefunden haben. Das ist anderswo nicht unbedingt so. Wenn ich schaue, was gerade die kleinen und mittelständischen Betriebe in meinem Wahlkreis tun, die allesamt eine hohe Exportquote haben, dann muss ich sagen: Die Wirtschaft in unserem Land boomt auch deswegen, weil wir den Europäischen Binnenmarkt, den Euro und einen fairen internationalen Handel haben.
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Wer Protektionismus und Abschottung predigt, der macht diesen guten Arbeitsmarkt wieder kaputt. Deswegen ein Ja zum Binnenmarkt, zum Euro und zu einem fairen internationalen Handel.
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Das Wichtigste sind sicher die hohe Qualität und Präzision bei den Produkten, die in unserem Land durch unsere Unternehmen – durch die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber – produziert werden, und bei den Dienstleistungen. Nicht Billigheimer, sondern höchste Qualität und Präzision sind also gefragt. Auch das macht den Erfolg des deutschen Arbeitsmarktes aus.
Man sollte in einer solchen Debatte festhalten: Viele denken, das gehe jetzt alles automatisch so weiter. – Das ist aber keine Selbstverständlichkeit, sondern dafür müssen wir etwas tun, das heißt, genau an den von mir genannten Kriterien einer wachstums- und beschäftigungsfreundlichen Politik auch für die Zukunft festhalten. Das nutzt dem deutschen Arbeitsmarkt. Das nutzt übrigens auch dem europäischen Arbeitsmarkt; denn auch in der Euro-Zone hat die Arbeitslosigkeit den niedrigsten Wert seit 2002 erreicht. Das zeigt: Wir sind mit unserer Politik auf dem richtigen Weg.
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Aber gleichzeitig ist dies auch eine Situation, in der wir endlich an ein Problem herangehen können, das bisher nur wenig beleuchtet worden ist. Das ist die Langzeitarbeitslosigkeit. Übrigens finden auch die Langzeitarbeitslosen zum Teil schnell wieder einen Job. Aber diejenigen, die fünf oder noch mehr Jahre arbeitslos waren, finden nicht automatisch einen Job. Es ist schon menschenverachtend, sich hierhinzustellen und zu sagen, wir machten für die gar nichts.
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Nein. Unsere Gesellschaft steht jetzt vor der Herausforderung, dafür zu sorgen, dass den Menschen, die aus dem Arbeitsmarkt schon lange raus sind und die es verdammt schwer haben, wieder hineinzufinden, ein Angebot gemacht wird. Für das Wichtigste halte ich es dabei, sie zu begleiten. Deswegen gibt es die Idee, den Arbeitslosen einen Coach an die Seite zu stellen,
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ihnen mit Lohnkostenzuschüssen überhaupt den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen und ihnen Qualifizierung anzubieten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Chef der Landesarbeitsagentur hat von „Sonnenschein“ gesprochen. Unser Ziel muss jetzt sein, auch für diejenigen die Sonne scheinen zu lassen, die bislang in Deutschland davon wenig gemerkt haben. Das ist das Ziel, das wir in dieser Großen Koalition angehen wollen.
Vielen Dank.
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Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Johannes Vogel.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist die Lage am deutschen Arbeitsmarkt sehr erfreulich. Ich glaube, wir alle freuen uns darüber, weil es ganz konkret um Einstiegs- und Aufstiegschancen für viele Menschen geht.
Aber man kann sich natürlich trotzdem die Frage stellen, warum die Koalition gerade in dieser Woche, nachdem es viele Monate erfreulicherweise immer wieder Rekordzahlen zur Lage am Arbeitsmarkt gab, eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, lieber Peter Weiß, Stichwort „Probleme als Thema von Aktuellen Stunden“. Es könnte damit zu tun haben, dass Sie vielleicht über das Thema „Fahrverbote in deutschen Städten“ nicht diskutieren wollten und so dafür gesorgt haben, dass es zu einer Aktuellen Stunde zu diesem Thema in dieser Woche nicht kommt.
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Das passt sogar ganz gut, weil das Thema Fahrverbote zeigt: Wenn man zu kurzfristig denkt und nicht rechtzeitig handelt, dann gibt es irgendwann ein böses Erwachen. Ein Beispiel: Menschen, die sich darauf verlassen haben, dass sie ihr Auto weiterhin benutzen können, dürfen nicht mehr in jede Straße in der Innenstadt fahren. Das charakterisiert leider ein Stück weit Teile der Sozialpolitik dieser Koalition.
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Wer zu kurzfristig denkt, dem droht ein böses Erwachen.
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Ich weiß, dass Sie es nicht mehr hören können. Aber wir werden es Ihnen in dieser Legislaturperiode in keiner sozialpolitischen Debatte ersparen: Was Sie in der Rentenpolitik vorhaben, ist unverantwortlich; denn alle Generationen – Großväter, Kinder und Enkel – müssen sich darauf verlassen können, dass Sie in der Rentenpolitik in Jahrzehnten denken, nicht in Legislaturperioden. Das tun Sie nicht. Da gehen Sie den ganz falschen Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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– Das ist zumindest ein mich schmunzeln machender Zwischenruf.
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Kommen wir – erster Punkt – zum Arbeitsmarkt, lieber Kollege Matthias Zimmer. In der Tat, die Lage am Arbeitsmarkt ist gut. Die Frage ist: Was tun Sie eigentlich, damit das so bleibt? Lieber Peter Weiß, du hast eben so schön gesagt, es sei auch wichtig, die richtige Balance zwischen Flexibilität und Sicherheit zu finden. Das ist richtig. Man kann mit einem Blick auf internationale Arbeitsmärkte sehen: Es geht darum, das richtige Maß zu finden.
Allerdings muss man schon sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen und auch sehr verehrter Herr Bundesminister: Wenn Sie jetzt in dieser Legislaturperiode, nachdem Sie in der letzten Legislaturperiode schon die Zeitarbeit über Gebühr reguliert haben,
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auch noch das Thema Befristungen angehen wollen, anstatt die echten Probleme zu lösen, nämlich zum Beispiel den Anteil der befristet Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung, insbesondere bei Ihnen in der Bundesregierung, zu reduzieren, und ausgerechnet ein erfolgreiches Flexibilitätsinstrument weiter kaputtmachen wollen, dann tragen Sie Verantwortung dafür, wenn die Situation am Arbeitsmarkt in der nächsten Krise nicht mehr so gut ist. Das ist der falsche Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Der zweite Punkt, auf den ich gerne eingehen möchte, ist die Frage: Tun wir in dieser Legislaturperiode genug, um den Arbeitsmarkt für die Entwicklung fit zu machen, die wir in den nächsten 15 oder 20 Jahren vor uns haben? Zu Recht hast du, lieber Hubertus Heil, haben Sie, verehrter Herr Minister, das Thema Digitalisierung angesprochen. Ja, uns eint zumindest größtenteils die Auffassung, dass Weiterbildung und Qualifikation hier eine zentrale Rolle spielen. Wir müssen in der Tat allen Menschen in diesem Land das Versprechen geben, dass sie im digitalen Wandel mithalten können. Nur, ehrlich gesagt, erwarte ich dann von der Bundesregierung etwas mehr als das, was uns in der letzten Woche vorgelegt wurde. Erstens haben Sie, Herr Minister, ein Paket vorgelegt, das im Rahmen eines Potpourris von Maßnahmen – typisch SPD – wieder die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes vorsieht. Immer wenn Sie sich Gedanken über Weiterbildung und Qualifikation machen, landen Sie am Ende bei Vorschlägen zur Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes.
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Insgesamt handelt es sich um Vorschläge, die sich eher als Detailfrickelei in Paragrafen bezeichnen lassen. Ich hatte von einer Bundesregierung, die eine Weiterbildungsstrategie angekündigt hat, schon erwartet, dass wir eine echte Strategie bekommen und nicht Vorschläge eines Bundesministers in der monatlichen Arbeitslosenkonferenz, die dann am Tag danach vom Koalitionspartner gegenüber dpa zerpflückt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, bei diesem zentralen Thema für die nächste Dekade muss mehr kommen. Da erwarten wir eine echte Strategie für digitales Lernen im heutigen Zeitalter.
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– Wir legen gerne eigene Vorschläge vor. Wir können dann schauen, ob Sie denen dann folgen.
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Das Letzte, was ich gerne ansprechen möchte, ist: Machen Sie sich ausreichend Gedanken darüber, welche Veränderungen die Digitalisierung auch in der Arbeitswelt und im Arbeitsalltag auslöst. Da besteht eine riesige Chance für mehr Selbstbestimmung. Aber dazu finden wir im Koalitionsvertrag leider wenig. Da kündigen Sie Experimentierräume an, als ob die Zukunft etwas besonders Giftiges wäre, wofür man Schutzräume einrichten müsste, anstatt konkret und mutig zu handeln. Vorschläge zum Beispiel für eine Modernisierung des Arbeitszeitgesetzes liegen auf dem Tisch. Sie können die nächsten Wochen nutzen, um diesen zuzustimmen und bei der Gestaltung der Digitalisierung ernsthaft voranzukommen. Das würde uns mehr bringen, als in einer Aktuellen Stunde Meinungen auszutauschen. Wir würden uns freuen, wenn wir diesen Weg gehen könnten.
Vielen Dank.
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Zu ihrer ersten Rede bitte ich ans Rednerpult die Kollegin Jessica Tatti.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister Heil, wenn man Ihnen zuhört, dann könnte man fast meinen, dass die Aktuelle Stunde von der Koalition nur aufgesetzt wurde, um sich gegenseitig kräftig auf die Schultern zu klopfen.
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Meine Fraktion und ich finden: Dafür gibt es keinen Anlass.
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Sie sagen, wir hätten die beste Arbeitsmarktlage seit der Wiedervereinigung. In der Tat haben wir offiziell den niedrigsten Stand der Arbeitslosigkeit seit 1991 und den höchsten Stand der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zu verzeichnen. Fakt ist: Die Arbeitslosenzahlen werden schöngerechnet.
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Viele werden in der Arbeitslosenstatistik überhaupt nicht erfasst: Arbeitslose, die krank gemeldet sind, Arbeitslose, die einen 1-Euro-Job machen oder an Weiterbildungen teilnehmen, viele der Arbeitslosen, die älter sind als 58 Jahre. Sobald private Arbeitsvermittler tätig werden, tauchen die Arbeitslosen nicht mehr in der Statistik auf, obwohl sie alle noch immer arbeitslos sind. Rechnet man diese Menschen wieder dazu, dann stellt man fest, dass wir im Mai 2018 statt bei offiziell 2,3 Millionen bei einer tatsächlichen Arbeitslosigkeit von fast 3,3 Millionen Menschen liegen, also fast 50 Prozent mehr.
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Herr Heil, führen Sie endlich eine ehrliche Statistik ein!
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Hören Sie auf, die Probleme vieler Menschen auf dem Arbeitsmarkt mit einer hübschen Statistik unter den Teppich zu kehren.
Fakt ist, dass die Zunahme der abhängigen Beschäftigung, die Sie hier bejubeln, zu einem satten Teil auf einer ungerechten Verteilung von Arbeit beruht. Das Arbeitsvolumen ist seit der Wiedervereinigung, also im Vergleich zu 1991, sogar geschrumpft. Seit 2000 hat die Beschäftigung in Vollzeit um 3 Prozent abgenommen, während sich die Teilzeitbeschäftigung mehr als verdoppelt hat. Das hängt maßgeblich mit den tiefen Einschnitten der Agenda 2010 und ihrem Kernelement Hartz IV zusammen, die Menschen unter Androhung von Sanktionen in miese Jobs zwingen, in unfreiwillige Teilzeit, in den riesigen Niedriglohnsektor, in dem heute über 20 Prozent der Beschäftigten arbeiten, in sachgrundlose Befristungen – fast jede zweite Neueinstellung wird heute befristet – und in die Leiharbeit, die ihren historischen Höchststand erreicht hat. Dass Sie vor diesem Hintergrund von der besten Arbeitsmarktlage reden, das ist der blanke Hohn und Spott für viele,
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die unter schlechten Arbeitsbedingungen und Löhnen leiden und genauso unter der schlechten Perspektive für ihre Renten.
Das Ziel der Vollzeitbeschäftigung ist richtig. Aber Vollzeitbeschäftigung alleine reicht nicht aus; denn Vollzeitbeschäftigung sagt noch nichts über die Qualität von Arbeit aus und darüber, ob man davon leben kann. In den letzten zehn Jahren hat sich die Anzahl der Menschen, die trotz Arbeit arm sind, verdoppelt. Die Ungleichheit der Einkommen wächst. Worüber wir hier doch endlich reden müssten, das sind die Bedingungen, unter denen die Menschen in diesem Land arbeiten,
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über die Paketzustellerin, deren Arbeitstag kein Ende findet, mit einer Arbeitsbelastung, die auf Dauer krankmacht, über die Verkäuferin in Teilzeit, die nicht weiß, wie lange sie sich ihre Wohnung noch leisten kann, über den Lehrer, der sich von Befristung zu Befristung hangelt und oftmals nur mit Hartz IV über den Sommer kommt.
Jährlich leisten Beschäftigte in Deutschland über 1,7 Milliarden Überstunden, fast 1 Milliarde davon unbezahlt. Das bedeutet eine ungeheuerliche Entwertung von geleisteter Arbeit und eine Enteignung der Beschäftigten, mit der endlich Schluss sein muss.
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Deshalb: Erhöhen Sie endlich den Mindestlohn auf 12 Euro, und schaffen Sie die Ausnahmen ab.
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Stoppen Sie den Missbrauch bei der Leiharbeit. Beenden Sie den Befristungswahn, und lassen Sie uns endlich über Konzepte zur gerechteren Verteilung von Arbeit sprechen, gerade vor dem Hintergrund der Digitalisierung.
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Dann können Sie nämlich nicht nur schöne Zahlen präsentieren, sondern auch die reale Situation der Menschen tatsächlich und spürbar verbessern.
Vielen Dank.
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Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Minister! Der Titel der Aktuellen Stunde lautet: „Auf dem Weg zur Vollbeschäftigung – Beste Arbeitsmarktlage seit der Wiedervereinigung ...“ Welch ein Unsinn!
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„Auf dem Weg zur Vollbeschäftigung“: Wenn man sich die Arbeitslosenstatistik anguckt, dann stellt man fest: Wir haben zurzeit 2,3 Millionen registrierte Arbeitslose. Es gibt aber ungefähr 1 Million Arbeitslose zusätzlich, die darin nicht enthalten sind. Das heißt, in Wahrheit haben wir deutlich über 3 Millionen Arbeitslose in Deutschland. Wir sind von der Vollbeschäftigung sehr weit entfernt.
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Richtig ist, dass die Unterbeschäftigung und die Arbeitslosigkeit gesunken sind – der Kollege Weiß hat das richtig gesagt – und tatsächlich auf einem niedrigen Stand sind. Aber das hat mit dem Handeln der Großen Koalition, weder dieser noch der letzten, irgendetwas zu tun, sondern das hat mit guten ökonomischen Rahmenbedingungen zu tun, die eher ungewöhnlicher Natur sind, weil sie mit der europäischen Situation zu tun haben, und es hat mit einer guten demografischen Entwicklung zu tun; denn die ganzen Babyboomer, die in fünf bis zehn Jahren in Rente gehen, sind jetzt alle erwerbstätig. Zum Beispiel mein Jahrgang, 1964, und all die umliegenden Jahrgänge sind am Schaffen. Deswegen sind die Sozialversicherungskassen gut gefüllt; deswegen haben wir hohe Steuereinnahmen. Das hat nichts mit der Bundesregierung zu tun. Deswegen sind die Arbeitsmarktbedingungen und die ökonomischen Bedingungen gut; aber das ist der Rahmen. Wenn man dann genau hinguckt, sieht es eben nicht mehr gut aus.
Wenn man die Arbeitslosen betrachtet, dann stellt man fest, dass wir in Deutschland im europäischen Vergleich an der Spitze sind, was die Langzeitarbeitslosigkeit angeht. Wir haben die höchste Langzeitarbeitslosigkeit aller europäischen Länder, und das auch schon lange. Das ist eine strukturelle Frage, an die die Bundesregierung in den letzten Jahren überhaupt nicht herangegangen ist. Das haben Sie völlig vernachlässigt. Da muss man aber endlich herangehen.
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Der zweite Punkt, wo wir in der Europäischen Union an der Spitze sind, ist die Armut der Arbeitslosen. Es ist in den anderen Ländern nicht so, dass jemand, der arbeitslos ist, automatisch arm ist. In Deutschland ist es aber so. Da sind wir an der Spitze. Eurostat hat Anfang des Jahres eine Statistik veröffentlicht, wonach die Armutsquote bei den Arbeitslosen bei 70 Prozent liegt. Kurz dahinter ist Estland mit 60 Prozent, und dann kommt mit weitem Abstand erst mal gar nichts. Auch das ist ein Skandal, dass bei uns Arbeitslosigkeit Armut bedeutet.
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Deswegen brauchen wir eine vernünftige Absicherung und eine vernünftige Grundsicherung.
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Aber die Armut trägt sich auch noch weiter. Es sind nicht nur die Arbeitslosen, die arm sind, sondern es sind zunehmend Erwerbstätige, die in Deutschland arm sind. Die Kollegin Tatti hat das eben schon gesagt. Die Armut trotz Erwerbstätigkeit hat sich in den letzten Jahren verdoppelt. Es sind mittlerweile 3,5 bis 4 Millionen Menschen, die erwerbstätig sind und arm. Das geht überhaupt nicht.
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Da muss man unbedingt etwas machen und dafür sorgen, dass Menschen, die arbeiten, über die Armutsschwelle kommen.
Dann gibt es zusätzlich noch jede Menge prekäre Beschäftigung. Es gibt insbesondere viele Frauen, zum Teil aber auch Männer, die prekär beschäftigt sind und nur deswegen nicht unter die Armutsgrenze fallen, weil sie eine Partnerin oder einen Partner haben. Das heißt, wir haben über 3 Millionen Arbeitslose, wir haben über 3,5 Millionen erwerbstätige Arme, wir haben zusätzlich noch weitere prekäre Beschäftigung. Da kann man wirklich nicht von der besten Arbeitsmarktlage seit der Wiedervereinigung sprechen, sondern es ist eine schlechte Arbeitsmarktlage.
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Dagegen muss man etwas tun. Da muss man die gute ökonomische Situation endlich mal ausnutzen und da wirklich etwas machen.
Ich habe jetzt noch eine Minute für die Zukunftsherausforderungen, die in dem Titel der Aktuellen Stunde auch enthalten sind. Man muss, glaube ich, viel grundlegender darangehen, als das die Bundesregierung macht. Es ist nicht nur die Digitalisierung, die in den nächsten zehn Jahren eine Herausforderung ist; wir haben die demografische Entwicklung, wir haben aber auch den Klimaschutz, der zu einem enormen Umbau der Wirtschaft führen wird und für den wir neue Qualifikationen der Beschäftigten brauchen. Wir haben die weltweiten Migrationsbewegungen, die auf dem Arbeitsmarkt auch noch mit zu berücksichtigen sind. Alles weist darauf hin, dass wir bei der Weiterbildung deutlich mehr machen müssen. Da bin ich sehr einig mit dem Minister. Aber das, was die Bundesregierung bisher vorgelegt hat, ist viel zu wenig. Wir brauchen eine echte Arbeitsversicherung für alle Erwerbstätigen, die Angebote schafft für Selbstständige und abhängig Beschäftigte, die eine Absicherung schafft bei Arbeitslosigkeit, die aber auch Weiterbildung ermöglicht.
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Wir müssen die Sozialversicherung insgesamt neu aufstellen. Wir brauchen eine viel universellere Sozialversicherung vor dem Hintergrund der Veränderungen, die wir haben. Das Prinzip „Bürgerversicherung“ muss für Gesundheit, Pflege und vor allen Dingen auch für die Rente gelten. Wir brauchen Bürgerversicherung für die Sozialversicherung.
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Last, but not least – ich habe die Armutszahlen trotz guter ökonomischer Situation eben genannt –: Wir haben 8 Millionen Menschen, die Grundsicherungsleistungen beziehen. Wir haben verdeckte Arme in der Größenordnung von 4 bis 5 Millionen. Das heißt, wir haben in diesem Land 12 bis 13 Millionen Menschen, die auf Hartz-IV-Niveau leben. Das heißt, wir brauchen auch da neue Wege. Wir brauchen eine Alternative zu Hartz IV. Hartz IV muss überwunden werden.
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Herr Kollege, Ihre Zeit ist abgelaufen.
Wir Grünen denken dabei auch über so etwas wie das Grundeinkommen nach. Ich glaube, dass das eine wichtige gesellschaftspolitische Debatte ist, die wir führen müssen. Wir brauchen grundlegende Veränderungen, um die Zukunftsherausforderungen tatsächlich zu meistern. Nutzen Sie die gute ökonomische Lage, die wir jetzt haben,
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und gehen Sie die echten Probleme an! Hören Sie auf, die Welt schönzureden!
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Tack für die SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass wir gerade eben gehört haben, dass es für Deutschland gut ist, dass wir diese Bundesregierung haben; denn wir haben weder von links noch von rechts noch von der FDP auch nur eine einzige konkrete Maßnahme gehört,
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sondern nur die Beschreibung einer Situation, die aus einer sehr individuellen Sichtweise so oder so zu bewerten ist.
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Ja, die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist gut. Aber das ist weder gottgegeben noch Naturgesetz, schon gar nicht hat das eine Ewigkeitsgarantie. Deshalb sind die Herausforderungen, vor denen wir stehen, vielfältiger Natur.
Der Minister hat ein Thema angesprochen, und das ist die digitale Herausforderung. Ich will eine weitere ansprechen, von der ich glaube, dass hier zwingend Maßnahmen auch dieser Regierung erforderlich sind, um den Arbeitsmarkt stabil zu halten, und das ist die Herausforderung des Fachkräftemangels. Fachkräftemangel haben wir in diesem Land schon heute, und er setzt sich in der Zukunft, branchenspezifisch natürlich unterschiedlich, massiv fort.
Natürlich brauchen wir dazu internationale Maßnahmen wie ein gutes und gelingendes Einwanderungsgesetz.
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Wir brauchen eine gute Ausgestaltung der europäischen Freizügigkeit. Aber wir stehen vor allen Dingen auch vor der Herausforderung, das Potenzial, das wir hier in Deutschland haben, fit zu machen, stark zu machen und die Zugänge zum Arbeitsmarkt gelingend zu gestalten.
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Da haben wir ein Riesenpotenzial von Frauen, die gerne mehr – oder überhaupt – arbeiten möchten, als sie es heute tun; ihr Wunsch nach Mehrarbeit ist bedeutend größer als ihre reale Arbeitszeit. Ganz häufig ist der dahinterliegende Grund, dass sie aufgrund ihrer Familiensituation irgendwann ihre Vollzeitstelle reduziert haben, um sich um die Familie, um die Pflege Angehöriger zu kümmern, und nun nicht die Chance haben, ihre Arbeitszeit wieder anwachsen zu lassen. Denn wir haben in Deutschland zwar einen Rechtsanspruch auf Teilzeit, aber keinen Rechtsanspruch, aus der Teilzeit wieder in Vollzeit zu kommen. Deshalb ist es gut, dass diese Bundesregierung genau dieses Thema anpackt:
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weil wir die Frauen brauchen, weil die Frauen das wollen und weil sie – das ist etwas, was den Kollegen Vogel massiv umtreibt – auch den Zugang zu einer guten Rente brauchen. Deshalb brauchen wir die Frauen nach ihren eigenen Wünschen am Arbeitsplatz.
Wir haben auch ein großes Potenzial von Menschen mit Beeinträchtigungen. Menschen mit Behinderungen sind doppelt so häufig von Arbeitslosigkeit betroffen wie Menschen ohne Behinderungen – obwohl sie eine Ausbildung haben, obwohl sie häufig auch einen akademischen Abschluss haben. Dieses Potenzial müssen wir in Deutschland nutzen. Deshalb ist es gut, dass diese Bundesregierung sich dies zum Ziel gesetzt hat und es angehen wird. Sie wird hier sehr deutlich die Zugänge verbessern, weil wir diese Menschen brauchen, weil wir sie nicht abschieben wollen und weil wir wollen, dass es in diesem Land auch für Menschen mit Behinderungen ganz reguläre Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt. Das ist unsere Aufgabe; dafür sind wir angetreten.
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Die Situation ist ökonomisch, aber auch, was die Arbeitslosenzahlen insgesamt angeht, gut. Aber weil das keine Ewigkeitsgarantie hat und sich die Arbeitsgesellschaft verändert, müssen wir heute dafür Sorge tragen, dass diejenigen, die einen Arbeitsplatz haben, der sich in der Zukunft verändern wird – weil die Anforderungen anders werden, weil mehr digitalisiert wird –, die Möglichkeit haben, sich weiterzubilden, sich zu qualifizieren. Diese Möglichkeit darf nicht erst in der Phase der Arbeitslosigkeit einsetzen, sondern muss schon während der Phase der Erwerbstätigkeit bestehen. Viele Arbeitgeber können diese Prozesse begleiten, weil sie groß und stark sind und sich entsprechend gerüstet haben. Viele kleine und mittlere Unternehmen können das aber aus eigener Kraft nicht. Deshalb möchten wir die Bundesagentur für Arbeit fit machen, diese Prozesse schon sehr frühzeitig mitzugestalten und den Unternehmen hier unter die Arme zu greifen. Denn es ist richtig und wichtig, dafür zu sorgen, dass Menschen ihre Arbeitsplätze nicht dadurch verlieren, dass sie den künftigen Anforderungen nicht mehr gewachsen sind.
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Und weil wir das wichtig finden, ist es auch gut und richtig, dass der Bundesminister hier Vorschläge vorgelegt hat, wie wir dies im künftigen Verfahren besser organisieren können, wie wir mehr Zugänge schaffen können für die Beschäftigten in Deutschland. Auch weil der Arbeitsmarkt gut ist, werden wir den sozialen Arbeitsmarkt einführen, damit wir genau an der Stelle einsetzen können, wo wir heute noch wenige Zugänge in den allgemeinen Arbeitsmarkt haben. Deswegen schaffen wir sozialversicherungspflichtige Beschäftigung für Menschen, die lange in Arbeitslosigkeit waren. Das ist richtig, wichtig und gut für Deutschland, und es ist gut für die Arbeitsmarktsituation der Zukunft.
Ich würde mich freuen, wenn wir dieses Thema gemeinsam angehen könnten.
Danke schön.
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Für die AfD-Fraktion hat das Wort der Kollege Enrico Komning. Bitte schön.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne! Lieber Bundesminister Heil, wissen Sie eigentlich, warum Sie im September die Wahl verloren haben? Nicht weil Sie mit Frau Merkel kuscheln; nein, Ihre Politik besteht ausschließlich darin, die Augen vor den wahren Problemen zu verschließen und die Wahrheit zu verschleiern, damit bloß keiner auf die Idee kommt, Sie hätten keine Antworten und wenn, dann die falschen.
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Über eine solche Antwort reden wir heute; falsch sowohl sozialpolitisch, aber insbesondere auch arbeits- und wirtschaftspolitisch. Ihr Plan, den Sie in perfektem Twitter-Deutsch – ohne Leerzeichen – „MitArbeit“ nennen, ist ein weiteres Beispiel dafür. Mit dieser geplanten Gesetzesänderung erreichen Sie nur eines, und das ist mit Sicherheit keine Vollbeschäftigung. Die damit geförderten Langzeitarbeitslosen verschwinden aus Ihrer Arbeitslosenstatistik, sonst nichts. Keinem ist wirklich geholfen. Dieses Programm ist nach alter DDR-Manier gestrickt, wo es bekanntlich auch keine Arbeitslosen gab – nicht, weil es so viel Arbeit gab, sondern weil der Staat die Löhne gezahlt hat.
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Und wie das geendet hat, dürfte selbst Ihnen noch im Gedächtnis sein.
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Gut, auf eines können wir uns einigen: Es gibt gegenwärtig 850 000 Langzeitarbeitslose, und damit eindeutig zu viel. Das Ziel, diese Zahl zu reduzieren, ist richtig. Aber muss man in Zeiten, in denen Arbeitskräfte Mangelware und Unternehmer bereit sind, für gute Arbeit gutes Geld zu zahlen, hier noch Steuergelder hinterherschmeißen? Das, Herr Minister, ist, mit Verlaub, politischer Schwachsinn.
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Nein, die Arbeitslosen müssen so weit wie möglich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen – durch Ausbildung. Dann braucht der Staat sie auch nicht zu alimentieren.
Was Sie hier tun, ist eine weitere Abkehr von der sozialen Marktwirtschaft. Es ist eine Wettbewerbsverzerrung zum Nachteil der Unternehmer und der Arbeitnehmer. Arbeitgeber können sich – vom Staat unterstützt – Kostenvorteile gegenüber anderen verschaffen, und leistungsbereite und leistungsfähige Arbeitnehmer bekommen eine Konkurrenz vor die Nase gesetzt, gegen die sie nicht gewinnen können.
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Diese Gesetzesänderung hat zwei gleichermaßen nicht erstrebenswerte mögliche Folgen. Entweder ein Arbeitgeber nimmt einen Langzeitarbeitslosen zusätzlich auf, weil er ja nichts kostet – dann ist das nichts anderes als eine sehr teure Verschleierung tatsächlich bestehender Arbeitslosigkeit –, oder er tauscht ihn gegen einen bestehenden Beschäftigten aus, weil er damit seine Kosten senken kann – dann haben Sie zwar einen Langzeitarbeitslosen weniger, dafür einen Arbeitslosen mehr. – Sehr teuer, aber kein Erfolg.
Mit der Novelle des SGB II schmeißen Sie, Herr Minister, das Geld zum Fenster raus. Sie erreichen nichts außer der Pflege Ihrer gebeutelten Sozi-Seele.
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Ich sage Ihnen was: Sparen Sie das Geld und verwenden Sie es lieber dafür, die Menschen, die Sie mit diesem Programm überhaupt erreichen, für den Arbeitsmarkt fitzumachen. Den Rest geben Sie denjenigen wieder, denen das Geld gehört, nämlich den Steuerzahlern.
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Außerdem ersparen Sie den Unternehmern jede Menge Bürokratie, Ärger und Nerven, die dieses Programm mit Sicherheit kosten wird. Sie befriedigen hier wieder nur Ihren Förderfetisch des Gießkannenprinzips. Aber was soll’s: Das Geld ist dank vieler hart arbeitender und viel zu viel Steuern zahlender Bürger in diesem Land ja da, und es gehört nicht Ihnen. Da kann man auch schon mal etwas großzügiger sein.
Dieses Programm dient nicht den Langzeitarbeitslosen. Dieses Programm dient allein der vermeintlichen Schönheit Ihrer Arbeitslosenstatistik. Und ganz nebenbei bekommen Sie noch sagenhafte Quoten bezüglich der in den Arbeitsmarkt integrierten Flüchtlinge.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich muss der Staat mit Lohnzuschüssen eingreifen können, aber bitte schön doch gezielt dort, wo es notwendig ist:
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in den ländlichen Räumen zum Beispiel, um wieder Strukturen zu schaffen, was die Abwanderung in die Ballungszentren stoppt; nicht aber nach dem Ihnen so lieben Gießkannenprinzip.
Vollbeschäftigung, meine Damen und Herren, erreicht man, indem man Unternehmen dazu animiert, Menschen Jobs zu geben. Das erreicht man durch niedrige Steuern, weniger Bürokratie, eine gute Ausbildung und eine gute Infrastruktur.
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Keinesfalls erreicht man Vollbeschäftigung durch sozialistische, planwirtschaftliche und dirigistische Maßnahmen.
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Sie machen Politik gegen das deutsche Volk. Sie verraten Ihre eigenen Leute.
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17 Prozent – habe ich in den sonntäglichen Meinungsumfragen gelesen – der Befragten wollen noch die SPD wählen. Wenn das so weitergeht, freue ich mich schon auf den 20. Bundestag ohne SPD-Beteiligung, dafür mit einer erstarkten AfD als neue soziale Kraft.
Vielen Dank.
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Der nächste Redner ist der Kollege Kai Whittaker für die CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Werte Kollegen! Kollege Peter Weiß und andere Vorredner haben es schon gesagt: Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist hervorragend. Frau Kollegin Tatti, deshalb möchte ich auch Ihren Vorwurf zurückweisen, dass wir die Arbeitslosenzahlen schönrechnen würden. Als ob wir uns jeden Tag neue Tricks einfallen würden, um die Arbeitslosenzahlen niedrigzurechnen. Das tun wir nicht. Wir können zwar – in einer speziellen Debatte – über die Berechnungsweise durchaus streiten; aber die Statistik ist seit Jahren dieselbe, und die Tendenz ist sinkend. Deshalb kann man sehr wohl sagen, dass die Lage auf dem Arbeitsmarkt von Tag zu Tag besser wird.
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Herr Kollege Witt von der AfD, Sie haben gesagt, dass Menschen, die in Teilzeit beschäftigt sind, quasi unfreiwillig gefangen sind. Auch da – das muss ich sagen – haben Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Im Jahr 2005, als wir die Regierungsverantwortung übernommen haben, lag der Anteil der unfreiwillig Teilzeitbeschäftigten bei 23 Prozent – jeder Vierte hat quasi weniger arbeiten müssen, als er es wollte –, heute ist es nur noch jeder Zehnte. Daran kann man sehen, dass der Arbeitsmarkt weiter gesundet und an Kraft gewinnt.
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In meinem Wahlkreis, wie in einigen anderen Wahlkreisen auch, herrscht fast Vollbeschäftigung. Viele Unternehmen suchen händeringend Fachkräfte. Natürlich werden wir ein Fachkräftesicherungsgesetz brauchen, um auch Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen. Aber wir werden die Akzeptanz in Deutschland nur dann gewinnen, wenn wir gleichzeitig auch für die Menschen in diesem Lande etwas tun, die arbeiten wollen und für die momentan keine oder nur wenige Chancen angeboten werden. In der Tat rücken da die Langzeitarbeitslosen verstärkt in den Fokus. Es gibt in Deutschland 1,1 Millionen Menschen, die arbeitslos sind und keinen Berufsabschluss haben. Gerade wenn man keinen Berufsabschluss hat, ist die Gefahr, langzeitarbeitslos zu werden, besonders groß. Eine ähnliche Situation haben wir in Bezug auf Sprachqualifikationen: Fast die Hälfte der Langzeitarbeitslosen können nur mangelhaft Deutsch.
Ein letzter Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft den Betreuungsschlüssel in den Jobcentern. Ein Jobcentermitarbeiter ist im Schnitt – das ist die offizielle Statistik – mit 131 Arbeitslosen beschäftigt. Das bedeutet bei einem Achtstundentag, dass diesem Mitarbeiter pro Arbeitslosen im Schnitt 80 Minuten im Monat zur Verfügung stehen. Davon geht die Hälfte davon drauf, die Leistungen zu berechnen. Nur 40 Minuten verbleiben tatsächlich, diesen Menschen zu beraten, zu qualifizieren und in den ersten Arbeitsmarkt zu begleiten. Das ist mir zu wenig.
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Deshalb ist der soziale Arbeitsmarkt, den wir jetzt schaffen wollen, ein erster, wichtiger Schritt, aber – das richte ich an Minister Heil und sein Ministerium –: Der Lohnkostenzuschuss allein wird es, glaube ich, nicht richten. Das hat auch Herr Scheele heute Morgen im Ausschuss ganz klar gesagt: Er ist ein wichtiges Mittel; aber er ist nicht das Mittel der Wahl. Vielmehr geht es um einen ganzheitlichen Betreuungsansatz und darum, gerade Familien und den Betreuungsschlüssel in den Blick zu nehmen. Langzeitarbeitslose sind ja nicht deshalb langzeitarbeitslos, weil sie zu teuer sind, um im ersten Arbeitsmarkt unterzukommen, sondern sie haben strukturelle Probleme, die sie alleine nicht überwinden können. Deshalb brauchen sie unsere Unterstützung. Wir werden nur dann eine Chance haben, sie in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen, wenn wir aus diesen Menschen Fachkräfte machen und eben keine Hilfskräfte.
Deshalb mein Appell an Minister Heil und das Bundesministerium: Wir müssen uns in der Diskussion, die wir um das Thema Langzeitarbeitslosigkeit führen, dafür einsetzen, dass das Geld, das wir im Haushalt aufbringen, auch dafür genutzt wird, Ausbildung und Qualifikationen zu ermöglichen, Sprachkenntnisse weiterzuentwickeln und insbesondere den Betreuungsschlüssel deutlich zu verbessern. Lassen wir auch den Jobcentern die Freiheiten, die sie brauchen, um vor Ort entscheiden zu können, was notwendig ist. De facto brauchen wir so etwas wie das Programm „Perspektive 50plus“ – das erfolgreichste Beschäftigungspaket, das wir je hatten –, aber nicht für Arbeitslose über 50, sondern für diejenigen, die langzeitarbeitslos sind. Ich glaube, das wäre die richtige Antwort und eine gute Kombination, um den sozialen Arbeitsmarkt nach vorne zu bringen.
Danke schön.
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Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dr. Martin Rosemann.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass jetzt auch der Koalitionspartner das Thema „Ganzheitliche Betreuung“ und „Verbesserung des Betreuungsschlüssels in den Jobcentern“ entdeckt hat. Ich freue mich über die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion, die ich daran erkenne, dass wir den Verwaltungstitel für die Jobcenter angemessen ausstatten werden. Schade ist nur, dass Ihnen das erst jetzt einfällt, nachdem Sie nicht mehr den Finanzminister stellen.
({0}): Oh, oh! – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Umso größer ist der Gestaltungspielraum der SPD! – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Mal schauen, ob ihr das hinkriegt!)
Meine Damen und Herren, die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt ist ja hinlänglich beschrieben worden. Mit 33 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten haben wir den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung. Seit 2005 ist die Arbeitslosenquote halbiert worden. Auch wenn man die korrigierte Arbeitslosenquote, korrigiert um die Zahl der Menschen in Maßnahmen, zugrunde legt, stellt man fest, dass die Arbeitslosigkeit deutlich rückläufig und ebenfalls auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung ist. Natürlich ist das ein Erfolg. Es ist ein Erfolg, den wir dem europäischen Binnenmarkt und auch ein paar politischen Weichenstellungen in Deutschland verdanken, aber es ist vor allem ein Erfolg von Millionen von fleißigen Beschäftigten und mutigen Unternehmerinnen und Unternehmern in diesem Land.
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Meine Damen und Herren, deswegen meine ich, dass es jetzt an der Zeit ist, Beschäftigten und Arbeitgebern auch etwas zurückzugeben. Deswegen haben wir als Koalition verabredet, den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung zu senken. Gleichzeitig geht es darum, dass wir uns jetzt nicht in dieser guten Lage ausruhen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Arbeitsmarktentwicklung positiv bleibt und wir Vollbeschäftigung tatsächlich erreichen. Deswegen geht es darum, zu investieren: in die Mobilität der Zukunft, in Medizintechnik und Gesundheitswirtschaft, in die Energiewende, in die Infrastruktur, vor allem in die digitale Infrastruktur und in die Köpfe. In die Menschen müssen wir investieren; denn wir stehen vor neuen Herausforderungen durch die Digitalisierung.
Veränderungen vollziehen sich immer schneller, die Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten verändern sich immer häufiger. Die Menschen werden die Tätigkeiten und Arbeitsplätze immer häufiger wechseln. Die Arbeit wird uns nicht ausgehen, aber das Gesicht der Arbeit wird im Jahr 2030, im Jahr 2040 ein anderes sein als heute. Es werden Tätigkeiten wegfallen und völlig neue entstehen. Gleichzeitig werden sich bestehende Tätigkeiten verändern – und das immer schneller. Das betrifft Millionen von Beschäftigten, die sich zu Recht Sorgen und Gedanken um ihre Zukunft und die Sicherheit ihrer Familien machen.
Wir als Politik müssen diesen Wandel gestalten, anstatt gestaltet zu werden. Es liegt an uns, dass aus technischem Fortschritt sozialer Fortschritt für alle wird.
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Unser Anspruch muss sein, die Digitalisierung von Wirtschaft und Arbeit in eine Entwicklung zu lenken, die allen nützt und nicht nur wenigen.
Bildung ist dabei der Schlüssel. Es geht um digitale Bildung von Anfang an; aber auch die Arbeitsmarktpolitik ist gefragt. Sie ist gefordert, Beschäftigte bei den Veränderungen zu begleiten, zu beraten und zu unterstützen. Dafür brauchen wir eine vorausschauende Arbeitsmarktpolitik, die Trends erkennt, die bei Weiterbildungsbedarfen berät und in Weiterbildung investiert; denn „Weiterbildung“ – so heißt es ja auch im Koalitionsvertrag – „ist der Schlüssel“. Deswegen, meine Damen und Herren: Der Rechtsanspruch auf Weiterbildungsberatung kommt; das steht im Koalitionsvertrag.
Wir haben im Koalitionsvertrag außerdem vereinbart, dass wir auch neue Formen der Finanzierung außerbetrieblicher Weiterbildung erproben wollen, dass wir Menschen, die arbeitslos werden, frühzeitig durch Qualifizierung unterstützen. Aber ich meine, wir sollten weiter sgehen. Deshalb begrüßen wir die Vorschläge, die Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in der vergangenen Woche unter der Überschrift „Qualifizierungsoffensive“ gemacht hat. Wir begrüßen insbesondere den Vorschlag, Zugänge in die Förderung von Weiterbildung für alle Beschäftigten zu öffnen; denn unser Ziel ist es, die Agentur für Arbeit zu einer Agentur für Arbeit und Qualifizierung weiterzuentwickeln, die richtig aufgestellt ist für die Herausforderungen der Zukunft.
Es geht, meine Damen und Herren, um Prävention gegen Arbeitslosigkeit, Verhinderung von Arbeitslosigkeit, um Unterstützung, bevor Arbeitslosigkeit überhaupt entsteht. Es geht uns darum, Qualifizierung statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, damit Schutz und Sicherheit im Wandel für alle Beschäftigten in diesem Land sichergestellt werden können.
Ich danke Ihnen.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Peter Aumer.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir heute darüber reden, was in unserem Land gut läuft. Es ist gut, dass wir heute über den deutschen Arbeitsmarkt reden. Das tun wir nicht, weil wir irgendwelche anderen Aktuellen Stunden verhindern wollen, sondern weil es uns um das Thema geht.
Lieber Herr Vogel, Sie haben viel kritisiert, aber nicht über die Zukunft gesprochen.
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Die Herausforderungen, den zweiten Teil des Titels der Aktuellen Stunde, haben Sie vollkommen ignoriert. Ich denke, die große Herausforderung ist, dass wir, auch wenn wir stolz sind auf das Erreichte, natürlich auch in die Zukunft schauen und Lösungen anbieten müssen, damit die Arbeitsmarktsituation, die so gut ist wie seit der deutschen Einheit nicht mehr, auch in Zukunft so bleibt,
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und das, meine sehr geehrten Damen und Herren, in einem nicht ganz so einfachen Umfeld, im Zeitalter der Globalisierung, in Zeiten des demografischen Wandels und in einem Europa, das vor einem Scheideweg steht und in den letzten Jahren einige Krisen durchgemacht hat. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise, der Wirtschaftskrise und vieler anderer Punkte kann man, glaube ich, stolz sein, dass die deutsche Wirtschaft sich so positiv entwickelt hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Deutsche Bundestag hat damals die Weichen in einer gemeinsamen Kraftanstrengung klug gestellt. Dieser Erfolg hat seine Wurzeln nicht nur in den politischen Entscheidungen, sondern beruht auch auf dem Fleiß, der Innovationskraft und dem Verantwortungsgefühl der Menschen in unserem Land, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch der Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen. Meine lieben Kollegen, an der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen kann man auch sehen, dass unsere soziale Marktwirtschaft funktioniert. Die arbeitsmarkpolitischen Maßnahmen beruhen auf Eigenverantwortung, auf dem Grundprinzip des Forderns und Förderns, auf dem Eingehen auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeber, aber auch auf der Tatsache, dass Arbeit Würde und Anerkennung für den einzelnen Arbeitnehmer bietet. Ich denke, dass wir diese Grundstrukturen nicht aus dem Auge verlieren dürfen.
Meine Damen und Herren, soziale Marktwirtschaft bedeutet aber auch, dass man in die Zukunft schaut und dass man die Herausforderungen der Zukunft heute angeht. Nur so kann es gelingen, dass wir das Ziel, das wir im Wahlkampf, aber auch im Koalitionsvertrag verankert haben, bis 2025 Vollbeschäftigung in unserem Land zu erreichen, auch verwirklichen. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann nur gelingen, wenn man Lösungen anbietet. Die Kanzlerin hat bei ihrer Rede beim DGB-Kongress in der letzten Sitzungswoche die Herausforderungen angesprochen. Wir brauchen eine nationale Weiterbildungsstrategie, einen digitalen Bildungspakt, aber wir müssen natürlich auch mit dem Fachkräftemangel richtig umgehen; denn er wird die größte Herausforderung in unserem Land sein.
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Dazu gehört Ausbildung, dazu gehört die Sensibilisierung der jungen Menschen,
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aber dazu gehört selbstverständlich auch die Zuwanderung. Auch da hat die Bundesregierung die Aufgabe, einen Gesetzentwurf für ein Fachkräftezuwanderungsgesetz vorzulegen und Antworten für die Zukunft zu geben.
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Meine lieben Kollegen, um das Ziel „Vollbeschäftigung bis 2025“ zu erreichen, braucht es auch mehr Anstrengungen – der Minister hat es gesagt – beim Thema Langzeitarbeitslose. Gerade für Langzeitarbeitslose braucht es Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Für diejenigen, die länger nicht gearbeitet haben, muss der Staat Voraussetzungen, Strukturen schaffen, damit sie wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Deswegen ist aus meiner Sicht der soziale Arbeitsmarkt ein probates Mittel, wieder in den ersten Arbeitsmarkt einzusteigen. Mein lieber Herr Kollege der AfD – auch wenn er gerade nicht aufpasst –, angesichts all der Verschwörungstheorien, die Sie zu dem Thema aufgezählt haben, sage ich: Man muss sehr sensibel mit den Menschen umgehen, die langzeitarbeitslos sind.
Ich war vor kurzem bei einer sozialen Initiative bei mir im Wahlkreis – auch das ist Abgeordnetenarbeit –, einer Zeitung, die „Donaustrudl“ heißt. Ich habe mich mit einigen langzeitarbeitslosen Menschen unterhalten. Dieses Instrument ist gerade richtig, um auf die Erfordernisse und die Bedürfnisse langzeitarbeitsloser Menschen eingehen zu können. Ich glaube, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind und dass die Bundesregierung ein Mittel schafft, auch Langzeitarbeitslosen Chancen zu geben, in den ersten Arbeitsmarkt einzusteigen.
Liebe Kollegen, die Herausforderungen eines Arbeitsmarktes sind vielfältig, gerade auch für die Zukunft. Wir wollen nicht nur das Ziel Vollbeschäftigung bis 2025 erreichen, sondern wir wollen diese Vollbeschäftigung auch darüber hinaus erhalten. Da gilt es, die Herausforderungen der Zukunft anzugehen – das ist angesprochen worden –: Digitalisierung und künstliche Intelligenz. All diese Dinge müssen in neuen Arbeits- und Berufsfeldern aufgezeigt werden. Nur so können wir den Arbeitsmarkt, der in den letzten Jahren unser Land getragen hat und für Wohlstand in unserem Land sorgt, erfolgreich in die Zukunft tragen. Deswegen bitte ich Sie, dass wir gemeinsam in die Zukunft gehen, dass wir Anstrengungen für die Menschen unternehmen, um weiterhin Arbeitsplätze zu sichern und Arbeitsplätze zu schaffen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner: der Kollege Ralf Kapschack für die SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer! Wir haben eine gute Beschäftigungslage – das stimmt. Diese Lage ist auch gut für die Renten. Es ist ein Thema, das viele Menschen in diesem Land umtreibt. Jeder sozialversicherungspflichtig Beschäftigte bringt Geld in die Rentenkasse. Das Niveau der gesetzlichen Rente ist wegen der guten Beschäftigung heute deutlich höher als vor Jahren prognostiziert. Beschäftigungspolitik ist deshalb eine zentrale Stellschraube der Rentenpolitik.
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Und die Rente ist ein Spiegelbild des Erwerbslebens. Das gilt allgemein, das gilt aber auch für jeden Einzelnen.
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Ein hoher Beschäftigungsstand, gute Löhne, Tarifverträge und möglichst lange Beschäftigungsdauer sichern in der Regel eine ordentliche Rente. Das zeigt aber auch, wo es Handlungsbedarf gibt: lange Beschäftigung, möglichst in Vollzeit. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit sinnvoll und gut.
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Ein anderer Punkt. Wenn im Schnitt nur noch jedes zweite Unternehmen einem Tarifvertrag unterliegt, dann hat das Auswirkungen auf Löhne. Deshalb ist es notwendig, diese Tarifflucht zu stoppen und Tarifverträge leichter für allgemeinverbindlich erklären zu können.
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Tarifverträge bieten auch die Chance, als Ergänzung zur gesetzlichen Rente betriebliche Altersversorgung zu organisieren. Digitalisierung und neue Arbeitsformen – ich nenne einmal das Stichwort „Plattformökonomie“ – werden auch Auswirkungen auf die Beitragszahlung in die Rentenkasse haben. Es kann nicht sein, dass sich die Betreiber solcher Plattformen als Arbeitgeber aus der Verantwortung stehlen.
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Sicher hat auch der Niedriglohnsektor Konsequenzen für die Rente. Hier gibt es einiges zu tun. Der Mindestlohn war ein erster wichtiger Schritt, eine Grenze nach unten. Aber der Mindestlohn ist ja kein guter Lohn, das behauptet niemand. Allein damit gibt es im Alter keine Rente, die reicht. Das ist völlig klar.
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Wir wollen – Herr Vogel, nun bleiben Sie entspannt und hören einmal zu –, dass Frauen und Männer, die lange gearbeitet haben, im Alter eine Rente bekommen, die vor Armut schützt. Das hat mit Würde und mit Anerkennung von Lebensleistung zu tun.
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Ohne Geld aus der Staatskasse wird das nicht gehen. Das stimmt. Nichtstun kostet aber auch Geld und Glaubwürdigkeit.
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Glaubwürdigkeit und Vertrauen in den Sozialstaat, in eine ausreichende Absicherung im Alter, ist ein zentrales Versprechen des Sozialstaates. Trotz guter Wirtschaftslage haben viele Menschen Angst vor Altersarmut. Das zeigen Umfragen und sicherlich auch viele persönliche Gespräche. Deshalb müssen wir etwas tun und werden wir etwas tun. Nächstes Jahr setzen wir die Grundrente auf die Schiene. Sie wird denen, die lange gearbeitet haben, einen Rentenanspruch deutlich oberhalb der Grundsicherung verschaffen.
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Und wir werden das Rentenniveau und die Beiträge stabilisieren; denn wenn das Rentenniveau weiter absinkt – die Möglichkeit besteht –, würde sich nicht nur der Abstand zwischen Löhnen und Renten vergrößern, sondern es würde auch die Legitimation des Systems der Alterssicherung massiv infrage stellen und die Verunsicherung, die es in unserem Land gibt, noch größer machen. Denn Ängste, die es in der Bevölkerung gibt, werden von denjenigen bewusst geschürt und instrumentalisiert, die auf konkrete Fragen keine Antwort haben.
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– Warten wir doch einmal ab.
Ich war vor ein paar Wochen mit einigen anderen – Kollege Vogel war auch dabei – bei einer Podiumsdiskussion. Dort saß Herr Meuthen. Es ging um das Thema Renten. Herr Meuthen hat gesagt: Uns gibt es erst fünf Jahre. Wir haben noch kein Rentenkonzept. –
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Ich bin gespannt, wann Sie so weit sind.
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Einige von Ihnen nutzen diese Gelegenheit auch ganz bewusst, um Deutsche gegen Nichtdeutsche auszuspielen.
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Das konnte man diese Woche auch aus Thüringen hören. Damit das ganz klar ist: Wer eine Rente nur für Deutsche zum Ziel hat, ist ein Rassist,
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und wer sich davon nicht distanziert, läuft Gefahr, auch so genannt zu werden.
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Andererseits werden auch immer wieder Horrorzahlen in die Welt gesetzt, die den Eindruck erwecken, eine ordentliche Rente sei auf Dauer gar nicht zu finanzieren. Natürlich müssen Rentenausgaben erwirtschaftet werden – das ist ja auch eine Binsenweisheit. Aber während sich die Rentenausgaben in den vergangenen 25 Jahren verdoppelt haben, ist ihr Anteil am Bruttosozialprodukt fast gleich geblieben. Auch das gehört zu einer seriösen Betrachtung dazu.
Das heißt, es gibt einiges zu tun, aber keinen Grund für Schwarzmalerei. Das heißt eben auch, mit einer guten Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik wird die Basis für eine vernünftige Altersversorgung gelegt. Das ist gut für Männer und Frauen, die kurz vor der Rente stehen. Das ist erst recht gut für die künftige Generation, die sich auch auf dieses zentrale Versprechen des Sozialstaats verlassen kann.
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Und es ist gut für den Zusammenhalt in unserem Land.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Der letzte Redner in der Aktuellen Stunde: der Kollege Professor Matthias Zimmer für die CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu der Debatte drei Anmerkungen machen:
Die erste Anmerkung. Das deutsche Beschäftigungswunder hat auch damit zu tun, dass wir in der globalisierten Welt gut aufgestellt sind. Wir sind gut im Export, nicht nur, weil in Deutschland gute Produkte hergestellt werden, sondern auch, weil wir von einem freien und fairen Handel profitieren, weil wir die Internationalität leben. Daraus folgt für mich zuvörderst das Bekenntnis zu einem freien und fairen Handel. Protektionismus verträgt sich nicht mit Vollbeschäftigung.
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Meine Damen und Herren, am Freihandel kann man sicherlich das eine oder andere kritisieren oder verbessern, aber er ist allemal und grundsätzlich besser als eine Welt des Protektionismus und der Handelskriege.
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Deswegen wollen wir weiter eine faire und gerechte Freihandelswelt, sie ist in unserem ureigenen Interesse.
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Wir können die Globalisierung, ja wir müssen die Globalisierung mitgestalten, und diese Mitgestaltung ist notwendiger denn je. Wir brauchen robuste internationale Regeln, einen Ordnungsrahmen der globalisierten Wirtschaft, am liebsten in der Form einer internationalen sozialen Marktwirtschaft. Nur so können wir sicherstellen, dass es unter fairen Arbeitsbedingungen gerecht zugeht in der Globalisierung. Deswegen lassen Sie uns darüber reden, wie wir dies erreichen können, etwa durch eine Stärkung der internationalen Organisationen wie der ILO oder durch eine Sensibilisierung der Wirtschaft für Menschenrechte, wie sie in den Leitprinzipien der Vereinten Nationen vorgeschlagen worden ist und im Nationalen Aktionsplan auch umgesetzt wird.
All das, meine Damen und Herren, nützt aber nichts, wenn wir uns geistig abschotten. Wer glaubt, politischer Nationalismus vertrage sich mit Freihandel, der irrt. Wer glaubt, Ausgrenzung, Hass auf Minderheiten und Intoleranz vertrügen sich mit Vollbeschäftigung in einer globalisierten Wirtschaft, der irrt.
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Zweite Anmerkung. Vielleicht ist es ja gerade dies, was einige wollen: den Menschen die Hoffnung nehmen, um das Geschäft des Populismus zu befördern. Ich glaube schon: Extremismus gedeiht auf dem Nährboden der Zukunftsangst. Aber Zukunftsangst hat derjenige nicht, der einen sicheren Arbeitsplatz und berechenbare Perspektiven hat.
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Der gründet auch eine Familie, der beheimatet sich. Deswegen ist unsere Wirtschaftspolitik auch eine Politik gegen jegliche Form des Extremismus.
Es ist im Übrigen kein Zufall, was die Konrad-Adenauer-Stiftung kürzlich herausgefunden hat: Wähler der Union schauen der Zukunft positiv entgegen, Wähler der AfD sind von Zukunftsangst getrieben – und wenn ich mir diese Truppe anschaue, völlig zu Recht.
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Dritte Anmerkung. Schon in den 50er-Jahren sprach Alfred Müller-Armack von einer zweiten Phase der sozialen Marktwirtschaft. Er sprach unter anderem von der Notwendigkeit, die Expansion harmonisch ergänzender Umweltformen zu betreiben. Gerade in der Vollbeschäftigung – oder auf dem Weg dorthin – dürfen wir nicht den Blick darauf verlieren, wie sehr wir auf die Erde als Wirtschaftsgrundlage angewiesen sind.
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Meine Damen und Herren, es gibt keine Vollbeschäftigung in der ökologischen Katastrophe, jedenfalls keine sinnvolle. Und Ludwig Erhard hat hinsichtlich der zweiten Phase der sozialen Marktwirtschaft sekundiert: Es bedürfe einer Korrektur der Wirtschaftspolitik dahin gehend, dass man nicht in der fortdauernden Expansion des Materiellen länger das Heil erblicken solle. Auch ein solcher Gedanke hat an Aktualität nichts verloren. Vollbeschäftigung ist vielleicht eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Wohlstand und Lebensqualität. Aber sie lässt uns die Fragen in den Blick nehmen, die das Leben lebenswert machen, und diese Chance sollten wir auf dem Weg in die Vollbeschäftigung nutzen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 7. Juni 2018, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche einen schönen Abend.
(Schluss: 16.56 Uhr)