Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/18/2018

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Hubertus Heil (Minister:in)

Politiker ID: 11003142

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu den Aufgaben eines Bundesarbeitsministers gehört es – das ist in diesen Zeiten ein großes Vergnügen –, die Arbeitsmarktzahlen aus Nürnberg zu kommentieren und einzuordnen. Die gute Nachricht ist: Noch nie war der deutsche Arbeitsmarkt so stark wie heute. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist mit 32,5 Millionen Menschen auf dem höchsten Stand seit der deutschen Einheit. Wir haben die zweitniedrigste Erwerbslosenquote in der Europäischen Union. Das, meine Damen und Herren, ist Grund für unser Land, für die Unternehmen, für die Beschäftigten, auch für die, die die politischen Rahmenbedingungen in der Vergangenheit gesetzt haben, zu Recht stolz zu sein. ({0}) Aber es ist kein Grund, sich auszuruhen. Ganz im Gegenteil: Wir müssen die gute wirtschaftliche Lage, die gute Lage am Arbeitsmarkt jetzt nutzen, um die großen Herausforderungen anzupacken, vor denen wir nach wie vor stehen. Es sind vier große Herausforderungen, die wir am Arbeitsmarkt zu bewältigen haben. Bei aller Freude über die guten Arbeitsmarktzahlen sagt uns der genauere Blick auf die Statistik, dass wir erhebliche regionale Unterschiede in Deutschland haben. Zwischen der Arbeitslosenquote in Gelsenkirchen mit 13,8 Prozent und in Bad Eichstätt mit 1,3 Prozent haben wir erhebliche Disparitäten am Arbeitsmarkt. Wir haben bei aller Freude darüber, dass die Kurzzeitarbeitslosigkeit und auch die Langzeitarbeitslosigkeit zurückgegangen sind, nach wie vor einen verfestigten Sockel von Langzeitarbeitslosigkeit in diesem Land, den wir aufbrechen müssen. Wir haben zudem, was die wirtschaftliche Lage betrifft, eine außerordentlich gute Konjunktur und eine starke Struktur unserer deutschen Wirtschaft. Aber wir dürfen uns nicht in falschen Sicherheiten wiegen; denn vieles, was in der Konjunktur gut läuft, hat mit Faktoren zu tun, die wir in Deutschland schwer oder kaum beeinflussen können. Wir profitieren natürlich von niedrigen Zinsen in der Europäischen Union. Wir profitieren von einem günstigen Wechselkurs. Wir profitieren von, jedenfalls bisher, niedrigen Ölpreisen. Aber, meine Damen und Herren, es gibt weltwirtschaftliche Unsicherheiten. Die Konjunktur läuft gut; wir wollen nicht schwarzmalen. Aber wir dürfen uns nicht in falschen Sicherheiten wiegen. Und wir dürfen nicht verkennen, dass der veränderte Altersaufbau unserer Gesellschaft auch für den Arbeitsmarkt eine Herausforderung ist, Stichwort: Fachkräftesicherung. Aber vor allen Dingen – das ist der wichtigste Blick in den nächsten Jahren – dürfen wir die Folgen des technologischen Wandels für die Zukunft der Arbeit nicht unterschätzen. Deshalb, meine Damen und Herren – um das einzuordnen –: Wir haben derzeit kein Problem mit konjunkturbedingter Arbeitslosigkeit in Deutschland. Gleichwohl müssen wir für den Fall, dass die Konjunktur irgendwann wieder runtergeht – das ist wie in allen Volkswirtschaften der Welt auch in der deutschen Wirtschaft zyklisch –, Vorsorge treffen. Deshalb will ich an dieser Stelle einen Satz zur Diskussion um die Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung sagen. Die Arbeitslosenversicherung ist aufgrund der guten wirtschaftlichen Entwicklung am Arbeitsmarkt in einer guten Lage. Wir haben Rücklagen. Wir haben die Möglichkeit – und wir werden das tun –, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag um 0,3 Prozentpunkte zu senken, wie es im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Das ist Entlastung, und das ist richtig. Dass wir die Kasse nicht ganz leer machen, hat damit zu tun, dass wir Rücklagen für konjunkturbedingt schwierige Zeiten brauchen. ({1}) Sie erinnern sich alle daran, dass es nach der Finanzkrise 2008/2009 auch die Bundesagentur für Arbeit und der damalige Bundesarbeitsminister und heutige Bundesfinanzminister Olaf Scholz waren, die mit veränderten Regeln zur Kurzarbeit Brücken gebaut haben, die dafür gesorgt haben, dass der Einbruch der Wirtschaftsleistung von minus 5 Prozent kein Tsunami am Arbeitsmarkt wurde. Ich will den Teufel nicht an die Wand malen; aber wir brauchen für solche Zeiten die entsprechenden Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit. Deshalb: Wir senken die Beiträge – aber mit Augenmaß, meine Damen und Herren. ({2}) Und wir haben dafür zu sorgen, dass wir neben der konjunkturell bedingten Arbeitslosigkeit, die, wie gesagt, zurzeit kein Problem ist, für die wir aber Vorsorge zu treffen haben, die strukturelle Arbeitslosigkeit im Bereich der Langzeitarbeitslosen jetzt angehen. Der Koalitionsvertrag hat dafür gute Instrumente vorgeschlagen. Das Instrument des sozialen Arbeitsmarktes werde ich – und zwar noch vor der Sommerpause – umsetzen mit einem Gesetzentwurf, der zum 1. Januar 2019 im Sozialgesetzbuch II Wirklichkeit werden soll. Wir werden 4 Milliarden Euro in die Hand nehmen, um Menschen, die ganz lange aus dem Arbeitsmarkt heraus sind, mit dem sozialen Arbeitsmarkt eine dauerhafte und langfristige Perspektive auf sozialversicherungspflichtige Arbeit zu geben. Das, meine Damen und Herren, ist die richtige Antwort auf den verfestigten Sockel der Langzeitarbeitslosigkeit. Ja, soziale Unterstützung und sozialer Transfer sind notwendig, um ein menschenwürdiges Existenzminimum abzusichern; aber die eigentliche Aufgabe ist es, Menschen, wo immer es realistisch ist und geht, aus dieser Lage wieder herauszuholen – mit begleitendem Coaching, mit einer längerfristigen Perspektive und eben nicht mit kurzatmigen Maßnahmen, die nichts bringen, sondern mit dem sozialen Arbeitsmarkt. ({3}) Neben der konjunkturbedingten Arbeitslosigkeit und neben der Tatsache, dass wir die Langzeitarbeitslosigkeit angehen müssen, haben wir aber noch eine große und größer werdende Aufgabe, die man nicht unterschätzen darf. Der technologische Wandel, vor allen Dingen die Digitalisierung, wird die Welt der Arbeit in den nächsten Jahren rasant verändern. Wir alle wissen und spüren das. Die gute Nachricht ist, dass wir nach den Studien, zum Beispiel des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, bei allen Diskussionen davon ausgehen können: Unserer Gesellschaft wird die Arbeit nicht ausgehen. Es wird andere Arbeit sein; es werden auch Tätigkeiten verschwinden. Und wenn man sich jetzt darauf vorbereiten will, heißt das, vor allen Dingen dafür zu sorgen, dass die Menschen die Chance haben, diesen Wandel positiv für sich zu gestalten, und wir die Chancen der Digitalisierung nutzen, zum Beispiel für die Humanisierung der Arbeitswelt. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass die Beschäftigten in Deutschland den Anschluss nicht verlieren, wenn der Wandel einsetzt. Wir brauchen nicht Sicherheit vor dem Wandel, aber Sicherheit im Wandel, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({4}) Das heißt, dass wir zum Beispiel dafür sorgen, die Bundesagentur für Arbeit zu einer Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung weiterzuentwickeln, damit, wo immer es geht, Arbeitslosigkeit gar nicht erst entsteht. Das erreichen wir, indem wir vorsorgen, indem wir dafür sorgen, dass Menschen beschäftigungsfähig bleiben. Die große Aufgabe ist dabei, für Weiterbildung zu sorgen. Das ist Aufgabe der Betriebe bzw. soll betriebsnah geschehen. Das ist Aufgabe der Tarifvertragsparteien, und es gibt mittlerweile gute Tarifverträge, bei der chemischen Industrie beispielsweise und inzwischen auch bei den Eisenbahnern. Aber wir müssen weitergehen und dafür sorgen, dass Arbeitslosigkeit im technologischen Wandel möglichst gar nicht erst entsteht, sondern dass, wenn neue Tätigkeiten gefragt sind, die entsprechenden Qualifizierungen vorhanden sind. Das, meine Damen und Herren, heißt aber auch, dass wir bei der Bundesagentur für Arbeit neben der Beitragssenkung, die wir durchsetzen werden, und neben den Rücklagen, die wir für konjunkturbedingte Schwankungen brauchen, auch Mittel für Weiterbildung bereitstellen müssen. Deshalb geht mein herzlicher Gruß an alle diejenigen, die sich eine weitere Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages wünschen, weil an anderer Stelle die Beiträge zur Pflegeversicherung steigen werden. Ich sage denjenigen: Lasst uns ruhig darüber reden; aber zuerst müssen wir an Krisenprävention denken und Vorsorge dafür treffen, dass wir die Mittel haben, um Weiterbildung in Deutschland im Interesse dieses Standortes und der Menschen durchzusetzen. ({5}) Wir müssen auch diejenigen jetzt in den Blick nehmen, die es am Arbeitsmarkt besonders schwer haben. Ich meine damit Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Behinderungen. Wir haben in der letzten Legislaturperiode nach intensiven Diskussionen – da bin ich meiner Vorgängerin Andrea Nahles außerordentlich dankbar – ein Bundesteilhabegesetz für Menschen mit Behinderungen beschlossen. Dieses Gesetz ist gut. Es geht in die richtige Richtung; aber wir müssen dieses Gesetz jetzt, in dieser Legislaturperiode, mit Leben erfüllen. Wir werden 1 Milliarde Euro zusätzlich zu den 4 Milliarden Euro für den sozialen Arbeitsmarkt in die Hand nehmen, um über Rehabilitation dafür zu sorgen, dass Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Behinderungen jetzt eine Chance bekommen, auch in Arbeit zu kommen. Denn, meine Damen und Herren, auch schwerbehinderte Menschen müssen eine Chance bekommen. Die Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten ist Gott sei Dank ein Stück weit zurückgegangen, da die Unternehmen bei Nichtbeschäftigung eine Abgabe zahlen müssen. Dies ist eine gute Entwicklung. Aber wir müssen die Chance, die in der guten wirtschaftlichen Entwicklung liegt, jetzt nutzen. Dazu dient das Bundesprogramm „rehapro“. Es ist der richtige Weg, um den Arbeitgebern zu sagen: Ruft nicht nur nach Fachkräften, die ganz schnell die Leiter hochsteigen, sondern gebt auch Menschen mit Beeinträchtigungen eine Chance! Auch sie haben das verdient; sie können etwas und brauchen eine Chance in der Gesellschaft. ({6}) Ich habe es gesagt: Der Gesellschaft wird die Arbeit nicht ausgehen, aber es wird neue Arbeit sein. Gerade in Industrie, Gewerbe und Handwerk werden wir rasante Veränderungen erleben: Plattformökonomie, neue Berufsbilder. Meine Damen und Herren, ich sage noch einmal: Ich sehe vor allen Dingen Chancen in dieser Entwicklung für eine Humanisierung der Arbeitswelt, für eine bessere Arbeitswelt. Aber es gibt auch viele Menschen, die sich Sorgen machen, den Anschluss zu verlieren. Wir müssen ein waches Auge darauf haben, dass Unternehmen Digitalisierung nicht mit Ausbeutung verwechseln. Ein Beispiel aus den letzten Wochen: Angestellte Fahrer eines Bringdienstes in Köln, die sich aufgemacht haben, einen Betriebsrat zu gründen, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern, wurden entlassen, um sogenannte Freelancer einzustellen. Möglich war dies, weil sie sachgrundlos befristete Arbeitsverträge hatten. Das ist nicht Digitalisierung, das ist Ausbeutung. Deshalb werden wir die sachgrundlose Befristung zurückfahren. ({7}) – Das ist richtig. Deswegen gehen wir das auch ganz viel an, liebe Kollegin. Neben den wichtigen Fragen, wie wir uns auf Digitalisierung und auf Weiterbildung einstellen, müssen wir auch über die Frage der Flexibilität in der Arbeitszeit reden. Ein Grund, warum wir die Brückenteilzeit einführen, ist, dass wir dafür sorgen wollen, dass im Erwerbsverlauf die Arbeit zum Leben passt und nicht umgekehrt. Was ist der Wesenskern? Wir haben vor Jahren ein Recht auf Teilzeit geschaffen. Es ist gut, dass viele Menschen die Chance haben, in Teilzeit zu gehen. Aber nach wie vor sind sehr viele Menschen ungewollt in Teilzeit, vor allen Dingen Frauen, mit allen Folgen für die Alterssicherung und die Rente. Deshalb wollen wir denjenigen den Rücken stärken, die in Vollzeit zurückkehren wollen. Wir wollen ihnen eine Chance geben, eine Zeit lang die Arbeitszeit zu reduzieren und in Teilzeit zu arbeiten, um dann wieder in Vollzeit zurückzukehren. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Brückenteilzeit ist im Koalitionsvertrag klar verankert. Wir als Koalition werden das bis zum 1. Januar 2019 umsetzen. Ich kann nur sagen: Alle sind eingeladen, daran konstruktiv mitzuarbeiten. Ich sage noch einmal: Die Arbeit muss zum Leben passen und nicht umgekehrt. ({8}) Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Zeit reicht nicht aus, um ein wichtiges Thema noch ausführlich zu beleuchten, nämlich das System der Alterssicherung. Ich will Ihnen aber deutlich sagen, dass wir einen wachen Blick darauf haben, die Balance zwischen den Generationen zu halten, dass wir dafür sorgen, dass es einen fairen Interessenausgleich zwischen Großeltern, Eltern und Kindern gibt und alle eine Chance haben. Wir müssen das Kernversprechen unseres Sozialstaates, nach einem Leben harter Arbeit eine ordentliche Alterssicherung zu haben, erneuern. Das bezieht sich auf Leistungsverbesserungen, die jetzt möglich sind, zum Beispiel bei der Erwerbsminderungsrente. Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass Kindererziehungszeiten besser berücksichtigt werden. Hier werden wir uns über Finanzierungsfragen zu unterhalten haben. Wir müssen eine Balance zwischen den Generationen herstellen über die sogenannte doppelte Haltelinie: die Stabilisierung des Rentenversicherungsniveaus und des -beitrages. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass die Alterssicherungssysteme langfristig, auch nach 2025, stabil bleiben. Das geht nur, wenn wir zwei Dinge in den Blick nehmen: zum einen den Arbeitsmarkt, der sich verändern wird – wenn viele Menschen zu anständigen Löhnen in Beschäftigung sind, ist das System stabiler –, zum anderen die richtige Weichenstellung im System. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben eine Zeit, in der dieses Land stark ist, auch wenn es nicht allen Menschen gut geht. Wir müssen dafür sorgen, dass es mehr Menschen gut geht. Wir sind vor allen Dingen in einer Situation, in der trotz der guten Lage viele Menschen Furcht vor der Zukunft haben und manche politische Scharlatane versuchen, diese Ängste politisch zu instrumentalisieren, indem sie daraus ein Geschäftsmodell machen. Wir haben das in dieser Woche hier im Parlament erlebt. Unsere Aufgabe als Demokratinnen und Demokraten ist es, dafür zu sorgen, auch mit den Mitteln des Sozialstaates, dass sich die Menschen in Deutschland zu Recht wieder auf morgen freuen können. Dazu will ich meinen Beitrag leisten. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Schielke­Ziesing, AfD. ({0})

Ulrike Schielke-Ziesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004873, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister Heil! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Bürger! In der ersten Lesung diskutieren wir heute über den umfangreichsten Einzelplan des Haushaltsentwurfes 2018. Der Einzelplan für den Bereich Arbeit und Soziales ist straff geregelt und bietet eigentlich keinen großen Spielraum für Veränderungen: Renten müssen gezahlt werden, Arbeitslosengeld auch, und es eröffnen sich in diesem Bereich nicht viele Variationsmöglichkeiten. Unser Sozialstaat wird in den nächsten Jahren vor große Herausforderungen gestellt. Den Statistiken zur Arbeitsmarktquote nach zu urteilen, ist die Arbeitsmarktsituation derzeit gut – gut geschönt. Immer noch werden viele Arbeitslose in diversen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen versteckt und tauchen in der Arbeitslosenstatistik nicht auf. Knapp 1 Million Menschen sind in den Arbeitslosenstatistiken nicht ausgewiesen. Sie waren in Weiterbildungsmaßnahmen und Eingliederungsmaßnahmen, in geförderten Arbeitsverhältnissen oder 1-Euro-Jobber, gingen zwar einer Beschäftigung nach, für die aber im Endeffekt der Staat aufkommen musste, oder sie waren schlicht zu alt für die Statistik: Ist man älter als 58 Jahre, zählt man dort nicht mehr dazu. ({0}) Diese 1 Million Menschen fallen nur statistisch gesehen aus der Arbeitslosenquote raus, entlasten den Sozialstaat leider nicht und vermitteln ein falsches Bild der Arbeitsmarktsituation in Deutschland. ({1}) Auch werden ältere Arbeitsuchende frühzeitig in Rente geschickt und verschwinden ebenfalls aus der Statistik. Hinzu kommen über 7 Millionen Bürger, die in Minijobs beschäftigt sind – eine Armutsfalle; denn die Rente, die sie später bekommen werden, reicht zum Leben nicht aus. ({2}) Beschämend, meine Damen und Herren, ist auch die Tatsache, dass sich viele Angestellte von ihrem Verdienst immer weniger leisten können und lediglich überleben, anstatt im Deutschland von heute gut und gerne leben zu können. Ein Krankenpfleger verdient in Mecklenburg-Vorpommern im Durchschnitt zwischen 1 700 und 3 400 Euro brutto im Monat, ein Altenpfleger muss sich mit noch weniger zufriedengeben, mit 1 700 bis 2 600 Euro. Und dann wundern Sie sich, warum wir einen Fachkräftemangel im Bereich der Pflege haben. Schätzungsweise 25 000 bis 30 000 offene Stellen werden in Deutschland nicht besetzt. Das Einkommensproblem der Pfleger ist mindestens seit 2014 bekannt. Was hat die Union, was hat die SPD dagegen getan? ({3}) Sie sind stolz auf die tolle Wirtschaftsleistung, die angeblich durch Ihre Politik zustande gekommen ist. Da leben Sie in einer Parallelwelt, liebe Vertreter der Regierungsparteien. Die Realität ist, dass viele Menschen in Arbeitsverhältnissen unser Land in so eine gute Situation gebracht haben und dafür sorgen, dass dies auch so bleibt. Und diese Menschen lassen Sie im Stich. Die Realität ist, dass Friseure in der Regel beim Amt aufstocken müssen, weil der gezahlte Lohn nicht einmal für das Nötigste reicht. ({4}) Die Realität ist, dass ein 30-jähriger Polizeibeamter der Besoldungsgruppe A 4 in Berlin als Alleinverdiener über weniger Nettogehalt verfügt, als ihm mit seiner Familie an Hartz IV zustehen würde. Ist das die Kontinuität, von der Sie am Dienstag sprachen, Herr Rehberg, dass die Polizei kontinuierlich kaputtgespart wird? Mit diesen geringen Einkommen heute wird die Altersarmut von morgen produziert. Wie sollen Menschen mit so einem niedrigen Verdienst in unserem Drei-Säulen-System für ihre Rente vorsorgen? ({5}) Im Koalitionsvertrag wurde beim Thema Rente so einiges geplant, nur findet sich davon nichts bei den mit Prio eins schon in diesem Jahr umzusetzenden Maßnahmen wieder: die Erhöhung der Grundsicherung im Alter, der Härtefallfonds für Ostrentner, die Mütterrente II. Wobei: Bei der Mütterrente II könnte das natürlich auch die Ursache haben, dass man sich hier wieder einmal aus dem Topf der Rentenversicherung bedient. Dann taucht die Mütterrente II natürlich auch nicht im Haushalt des BMAS auf, sondern die Rentenversicherung muss sehen, wie sie das finanziert. ({6}) Womit wir bei der Rentenversicherung wären: ({7}) 94 Milliarden Euro sind im Haushalt als Leistungen an die Rentenversicherung angesetzt, unter anderem 24,9 Milliarden Euro zusätzlicher Zuschuss für die Zahlung versicherungsfremder Leistungen. Das hört sich erst einmal gewaltig an. Dieser zusätzliche Zuschuss wird aber laut § 213 Absatz 3 ff. SGB VI mit einer Formel errechnet, die nichts, aber auch gar nichts mit den Zahlungen zu tun hat, die damit geleistet werden. Was sind versicherungsfremde Leistungen? Das sind Leistungen, die die Rentenversicherung zahlt, für die sie aber keine Versicherungsbeiträge eingenommen hat, ({8}) die also von der Allgemeinheit aus Steuermitteln zu finanzieren wären. Es wird geschätzt, dass 4 von 10 Euro, die die Rentenversicherung ausgibt, eigentlich nicht zu ihren Leistungen gehören. Das ist unter anderem bei der Mütterrente I und zukünftig wahrscheinlich auch bei der Mütterrente II der Fall. Als versicherungsfremde Leistungen sind diese von der Allgemeinheit zu tragen. Daher muss genau diese Position, der zusätzliche Zuschuss, im Haushalt entsprechend erhöht werden. Dazu muss die Bundesregierung aber zunächst einmal feststellen, wie hoch die versicherungsfremden Leistungen überhaupt sind. Auf meine Kleine Anfrage dazu hat die Bundesregierung bisher keine Antwort liefern können. Die Wahlkampfgeschenke sind gemacht und in den Koalitionsvertrag aufgenommen: doppelte Haltelinie, Grundrente über Grundsicherungsniveau, Anhebung der Zurechnungszeiten für Erwerbsunfähigkeitsrente und Mütterrente II. ({9}) Nun wird überlegt, wie das Ganze zu finanzieren ist. Sollte es nicht andersherum sein: Wenn Geld da ist, wird es verteilt? Die Rente soll zukunftsfähig gemacht werden. Das Gespenst des Geburtenknicks und des unbezahlbaren Generationenvertrages schwebt über allem. Nun soll es eine Rentenkommission richten, die sich mit der nachhaltigen Sicherung und Fortentwicklung der gesetzlichen Rente beschäftigt. ({10}) Um einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu erreichen, stünde es dem Ministerium, Herr Minister, sehr gut an, auch die Oppositionsparteien zur Mitarbeit in dieser Kommission einzuladen. ({11}) Rund 42 Prozent des Bundeshaushalts sind mit Renten- und Sozialleistungen verbucht. Teilweise enthalten sind die schier unübersichtlichen Kosten der Flüchtlingskrise, beginnend mit dem Herbst 2015. ({12}) Milton Friedman sagte einmal, man könne einen Sozialstaat haben, man könne auch offene Grenzen haben, aber niemals beides zusammen. ({13}) Diesen Spagat zwischen offenen Grenzen und Sozialstaat versucht die Bundesregierung seit 2015. ({14}) Das Ergebnis haben wir unter anderem im Einzelplan 11 vorliegen. Aber nicht nur auf Bundesebene werden Mittel ausgegeben; auch die Länder und Kommunen werden zusätzlich erheblich belastet. Liebe Kollegen der Regierungsparteien, haben Sie den Mut und weisen Sie die Kosten der Flüchtlingsaufnahme klar und deutlich in allen Posten aus, statt sie hinter unzähligen verschiedenen Titeln im Haushalt zu verstecken. ({15}) Laut Ihren Aussagen in diversen Landtagen und bei Wahlkampfveranstaltungen wurde niemandem durch die Flüchtlingskrise in Deutschland etwas weggenommen, weil Sie so gut gewirtschaftet haben. Also können Sie doch ruhig die Höhe der Kosten bekannt geben. Wie viel bleibt in diesem Haushalt für zukunftsgerichtete Investitionen im Bereich der Digitalisierung übrig? Um es mit den Worten von Frank Thelen auszudrücken: Wann reden wir endlich über die wichtigste Fremdsprache dieser Welt, das Programmieren? Wissen Sie, was Google, Facebook, Twitter und YouTube gemeinsam haben? Vielleicht kommen Sie drauf. – Ganz genau, diese zukunftsorientierten Unternehmen wurden nicht in Deutschland gegründet. Die deutsche Wirtschaft ist dank Ihrer Politik drauf und dran, den Anschluss an die Wirtschaft von morgen komplett zu verpassen, und damit droht auch unser Sozialstaat zu scheitern. ({16}) Die Gestaltung des digitalen Wandels in der Arbeitswelt, die sogenannte Arbeit 4.0, ist der Bundesregierung gerade einmal 1,3 Prozent des Einzelplans Arbeit und Soziales wert. Liebe Regierungsparteien, das ist, gelinde gesagt, ein Witz. Den Wandel können Sie nicht einfach mit ein paar Messen und Kampagnen in den sozialen Medien bewältigen. Dafür müssen Sie eine Kommunikationsinfrastruktur bereitstellen, mit der die Unternehmen und unser Sozialstaat den digitalen Wandel reell umsetzen können. Es wäre auch hilfreich, wenn die Bundesregierung die Verwaltungssoftware, deren Entwicklung sie in Auftrag gegeben und mit Steuergeldern finanziert hat, auch der Allgemeinheit zur Verfügung stellen würde. Auf diese Weise würden Sie vielen mittelständischen Unternehmen den Verwaltungsdruck nehmen und sie schrittweise in die Digitalisierung führen. Wir bleiben gespannt, wie das BMAS die Finanzmittel einsetzen wird und welchen Nutzen Deutschland davon trägt. Vielen Dank. ({17})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Hermann Gröhe, CDU/CSU. ({0})

Hermann Gröhe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002666, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit dem Einzelplan Arbeit und Soziales beraten wir den mit Abstand größten Einzeletat im Bundeshaushalt. Er beträgt fast 140 Milliarden Euro; das sind rund 41 Prozent des Gesamthaushaltes. Das zeigt: Deutschland ist ein starker, ein leistungsfähiger Sozialstaat. Darauf sind wir stolz. ({0}) Aber natürlich zeigt das zugleich, dass trotz guter wirtschaftlicher Lage, trotz einer Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, die sich vielerorts vor allem als Fachkräftemangel darstellt, immer noch viele – ich sage: zu viele – Menschen auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Unser Ziel muss es sein, dass die gute wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes für noch mehr Menschen zu einer Chance auf ein selbstbestimmtes, eigenverantwortliches Leben wird. Deswegen ist Vollbeschäftigung das zentrale Ziel unserer Politik. ({1}) Minister Heil hat die Arbeitsmarktzahlen erwähnt: fast 33 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, 44 Millionen Erwerbstätige. Das zeigt, wir sind auf einem guten Weg. Ich füge ausdrücklich hinzu, dass diese Entwicklung von erfreulich guten Lohnabschlüssen begleitet wird. Auch der jüngst abgeschlossene Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst – ich sage das, weil die Lage der Polizistinnen und Polizisten angesprochen wurde – sieht ausdrücklich Verbesserungen gerade für die unteren und mittleren Einkommensgruppen vor. ({2}) Auf dem Weg zur Vollbeschäftigung sind die letzten Meter besonders anspruchsvoll. Da geht es um die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit, der wir mit möglichst passgenauen Lösungen – passgenau im Hinblick auf regionale Arbeitsmarktsituationen, passgenau im Hinblick auf die unterschiedlichen Gruppen der von Langzeitarbeitslosigkeit betroffenen Menschen – zu Leibe rücken wollen. Wichtig ist uns ein ganzheitlicher Ansatz, der die spezifischen Lebenssituationen von Älteren, Jugendlichen und Heranwachsenden, von Alleinerziehenden, von Bedarfsgemeinschaften in den Blick nimmt. Hubertus Heil sprach über das Instrument „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“, mit dem wir genau dieses Ziel verfolgen. Der Titel sagt schon, worum es geht: Teilhabe durch Arbeit. Arbeit ist sinnstiftend, eröffnet Chancen zur Teilhabe. Deswegen wenden wir uns gegen die Vorstellung von einem bedingungslosen Grundeinkommen, weil das ein Stilllegen durch Alimentation ist, ({3}) anstatt Menschen einzuladen, sie zu befähigen, wo immer es möglich ist, das eigene Leben eigenverantwortlich zu gestalten. ({4}) Wir sind sicher, dass wir mit einer klugen Kombination aus unbürokratisch gestalteten Lohnkostenzuschüssen und einer Verstärkung von Coaching und Begleitung genau dieser Gruppe Chancen eröffnen und für sie eine Brücke in den Arbeitsmarkt bauen. Weil Vollbeschäftigung für uns so wichtig ist, sage ich ausdrücklich, dass es für uns von zentraler Bedeutung ist, Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik als Einheit zu sehen. Noch so gut gemeinte Maßnahmen, die nicht auch dem Ziel dienen, diejenigen zu ermutigen, in Arbeit zu gehen, führen in die Irre. Deswegen erlaube ich mir eine Bemerkung zu den Spielräumen für Beitragssenkungen: Ja, wir haben im Koalitionsvertrag eine Senkung um 0,3 Prozentpunkte verabredet. Ich stimme ausdrücklich zu, dass wir eine Reserve brauchen. Mit Blick auf die Zahlen sage ich aber auch deutlich: Wir können ehrgeiziger sein. ({5}) Ende des Jahres wird die Reserve der BA sicher 20 Milliarden Euro betragen. Damit erreichen wir die Krisenfestigkeit, die wir alle als Ziel vor Augen haben. Wir sollten in der Koalition aber auch darüber reden, ob wir nicht ehrgeizigere Ziele verfolgen sollten, um erstens die Menschen zu entlasten, die von Steuerentlastungen weniger haben, weil sie niedrigere Einkommen haben. Diese Menschen können wir durch die Senkung von Sozialversicherungsbeiträgen unmittelbar entlasten. Zweitens leisten wir damit einen Beitrag zu einer guten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Ich bin überzeugt, da lohnt sich mehr Ehrgeiz. ({6}) Neben dem Kampf gegen die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit ist eine vorbeugende Politik notwendig – auch dazu haben wir im Koalitionsvertrag sehr konkrete Verabredungen getroffen –, um zu vermeiden, dass Umbrüche in der Arbeitswelt zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen. Es geht dabei nicht darum, zu reparieren, sondern darum, jetzt gemeinsam mit der Wirtschaft dafür zu sorgen – Stichwort „Nationale Weiterbildungsstrategie“ –, dass die Menschen durch Weiterbildung befähigt werden.Sie sollen befähigt werden, den gewaltigen Umbrüchen zu begegnen, die die Digitalisierung in der Arbeitswelt herbeiführen wird. ({7}) Dazu wird es eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages geben, die sich mit dem besonderen Aspekt „Berufliche Bildung und Digitalisierung in der Arbeitswelt“ befasst. Als Stichwort nenne ich nur die Weiterbildungsberatung durch die BA. Es geht also darum, diejenigen, die Veränderungen in ihrer Arbeitswelt erleben, rechtzeitig darauf vorzubereiten, damit sie die Chancen der Digitalisierung nutzen können. Das ist wichtig. Studien zeigen, dass dann durchaus Chancen bestehen, Menschen, deren Arbeitsplätze wegfallen, auf gute Weise in andere, neu entstehende Arbeitsplätze zu vermitteln. Ich freue mich auf die Arbeit dieser Enquete-Kommission. Lassen Sie mich schließlich etwas zum Thema Alterssicherung sagen. Der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung macht einen wesentlichen Teil des heute zu beratenden Einzelplans aus. Das Versprechen einer auskömmlichen Alterssicherung einerseits und der Schutz der jungen Generation und der Wirtschaftskraft unseres Landes insgesamt vor Überforderung andererseits miteinander zu verbinden, ist Aufgabe einer Politik, die sich der Generationengerechtigkeit verpflichtet weiß. ({8}) Deswegen ergänzen wir die rentenpolitischen Maßnahmen, die wir kurzfristig im Hinblick auf die Mütterrente, die Erwerbsminderungsrente und eine Grundrente oberhalb des Grundsicherungsniveaus ergreifen werden, durch die Arbeit einer Rentenkommission, die die Frage in den Blick nehmen soll, wie wir die Generationengerechtigkeit ab 2025 in einem guten Sinne sicherstellen können. Aber ich sage schon vor Beginn der Arbeit dieser Kommission: Ich warne davor, dies in der Tonlage eines Kampfes der Generationen gegeneinander zu tun. Mit Verlaub: Wie man daraus, dass wir der jungen Generation eine auskömmliche Alterssicherung versprechen, eine Politik gegen junge Menschen machen kann, erschließt sich mir weiß Gott nicht. ({9}) Es ist richtig, dieses Thema gemeinsam mit den Sozialpartnern und der Wissenschaft anzugehen. Ich glaube, dass wir die große Chance, ja die Verpflichtung haben, im Angesicht großer Herausforderungen an einem nachhaltig wirkenden Rentenkonsens in diesem Land zu arbeiten. Wir wissen nicht, ob dies gelingt; das kann man am Vorabend der Aufnahme der Arbeit der Kommission auch noch nicht sagen. Aber für unsere Seite stelle ich fest: Wir sind davon überzeugt, dass die junge Generation und diejenigen, die für die wirtschaftliche Entwicklung dieses Landes Verantwortung tragen, ein großes Interesse an einer langfristigen Planbarkeit durch einen nachhaltigen Rentenkonsens – so wird dieses Thema nämlich dem wahlterminbezogenen Streit zwischen den Parteien entzogen – haben müssen. Wir jedenfalls sind bereit, genau daran zu arbeiten, weil wir der Überzeugung sind, damit dem Sozialstaat und der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Landes insgesamt einen guten Dienst zu erweisen. Insofern freue ich mich auf die Arbeit in dieser Kommission und jetzt auf die Beratung unseres Einzelplans. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Johannes Vogel, FDP. ({0})

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beide Redner der Koalition sind leider erst ganz am Ende ihrer Ausführungen – dann aber doch – auf das Thema Rente zu sprechen gekommen. Ich will und muss dazu in Reaktion etwas sagen. In der Tat: Mehr als ein Viertel des Bundeshaushalts fließt schon heute in den Steuerzuschuss zur Rentenversicherung. Wir geben mehr als viermal so viel für die Rente aus wie zum Beispiel für die Bildung. ({0}) Eines ist doch klar: Daraus entsteht eine besondere Verantwortung für uns Sozialpolitiker, nämlich erstens eine Stabilität der Rentenpolitik, auf die sich alle Bürgerinnen und Bürger verlassen können, sicherzustellen und zweitens eine Politik zu machen, die von einer besonderen Weitsicht geprägt ist. ({1}) Ja, in der Tat – es wurde gesagt –: Alle Generationen – Großeltern, Kinder und Enkel – müssen sich auf die Rentenpolitik verlassen können. Allerdings muss ich sagen: Das, was Sie ausgeführt haben, lieber Herr Minister und lieber Hermann Gröhe, ist ein krasses Beispiel dafür, wie weit Worte und Taten in der Politik auseinanderklaffen können. ({2}) Wir müssen im Hinblick auf die Rente in Jahrzehnten denken, nicht in Legislaturperioden. Leider tun Sie aber das Gegenteil. ({3}) Ich will erklären, was ich damit meine. Sie haben ausweislich Ihres Koalitionsvertrages ein Rentenpaket vorgelegt, dessen Maßnahmen sich in Summe allein bis 2030 auf Ausgaben in Höhe von 130 bis 170 Milliarden Euro addieren. ({4}) Der Großteil dieses Geldes wird nicht zielgerichtet zur Vermeidung von Altersarmut verwendet; das ist ja gerade das Problem. Als wäre das nicht schlimm genug, haben Sie auch noch vor, die Rentenformel zu manipulieren; das muss man so deutlich sagen. Sie wollen den Nachhaltigkeitsfaktor, den die SPD einmal selber eingeführt hat und der Einzahler und Auszahler ins Verhältnis setzt, in den nächsten Jahren aussetzen. Das führt dazu, dass dieser Faktor, der in den letzten Jahren wegen der guten Beschäftigungslage sogar rentensteigernd gewirkt hat, künftige Rentensteigerungen nicht mildern wird, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, das ist so, als würden Sie beim Auto die Bremse ausbauen. Wenn Sie im Auto aber nur noch Gaspedal und keine Bremse mehr haben, dann landen Sie krachend vorm Baum, ({5}) und das ist unverantwortlich in der Rentenpolitik. ({6}) Sie werden jetzt möglicherweise sagen: Ja, das trägt hier die Opposition vor. – Professor Börsch-Supan, ({7}) einer der anerkanntesten Rentenexperten dieses Landes – offensichtlich ja auch in den Augen der Koalition; denn Sie haben ihn zum Mitglied Ihrer Rentenkommission gemacht –, ({8}) hat mal ausgerechnet, was alleine diese eine Maßnahme kosten würde: ({9}) 11 Milliarden Euro alleine im Jahr 2025, 45 Milliarden Euro zusätzlich im Jahre 2030, 80 Milliarden Euro zusätzlich im Jahre 2035. Jedes Jahr! ({10}) Wie wollen Sie das bezahlen? Soll der Rentenbeitragssatz explodieren, was gerade die Jüngeren und insbesondere auch die Menschen mit kleinem Einkommen überfordern würde? Werden alle Bürgerinnen und Bürger bis über 70 arbeiten? Setzen Sie auf wundersame Brotvermehrung im Steuertopf? Oder wollen Sie die Steuern erhöhen? Um das mal zu quantifizieren: Sie müssten die Mehrwertsteuer 2030 um 3 Prozentpunkte und im Jahre 2035 um 6 Prozentpunkte erhöhen. Das sagen nicht wir; das sagt Professor Börsch-Supan. Wie wollen Sie das machen? Diese Frage müssen Sie beantworten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. ({11}) Ich ahne schon, was gleich kommen wird, aber kommen Sie jetzt bitte nicht mit der Aussage: Das bearbeitet ja dann die Rentenkommission, die wir eingesetzt haben. – Ich muss ehrlich sagen: Die rentenpolitische Reihenfolge ist leider ein schlechter Witz. Zunächst wollen Sie dieses Jahr Leistungsausweitungen, die weit über diese Legislaturperiode hinausreichen, verbindlich ins Gesetz schreiben, und dann darf sich die Rentenkommission Gedanken darüber machen, wie das künftig bezahlt werden soll, und zukünftigen Regierungen ein Handlungskonzept aufschreiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU/CSU, das ist so, als würden Sie sich in ein Restaurant setzen, ein Menü bestellen und sich beim Dessert Gedanken darüber machen, wie Sie das überhaupt bezahlen wollen. Das ist in der Rentenpolitik unverantwortlich. ({12}) Lieber Hubertus Heil, sehr verehrter Herr Minister, ich spreche dich ganz direkt an, weil die personelle Besetzung der Rentenkommission den Eindruck zulässt, dass du dir dieser Probleme sehr genau bewusst bist. Deshalb wäre es neues Denken und mutige Politik, die Reihenfolge zu ändern. Niemand zwingt Sie – auch nicht Ihr eigener Koalitionsvertrag – zu dieser rentenpolitischen Reihenfolge. Lassen Sie doch die Kommission erst beraten, entscheiden Sie danach über die Maßnahmen, und peitschen Sie sie dieses Jahr nicht durch das Gesetzgebungsverfahren. Das wäre verantwortungsvolle Politik. ({13}) Oder ändern Sie gleich die ganze Überschrift Ihrer Sozialpolitik! Die gute Lage am Arbeitsmarkt und auch der digitale Wandel der Arbeitswelt geben Ihnen doch die Chance, diese Legislaturperiode zu beweisen, dass sich gute Sozialpolitik eben nicht einfach nur durch hohe Ausgaben, sondern durch die Schaffung moderner Rahmenbedingungen auszeichnet. Schaffen Sie einen flexiblen Renteneintritt! Sorgen Sie für die Gestaltung der digitalen Arbeitswelt! Das sagen nicht nur wir; das empfehlen Ihnen zum Beispiel auch der IWF und die OECD. Konzentrieren Sie sich auf diese Maßnahmen! Das wäre eine moderne Politik. ({14}) Wir haben in dieser Haushaltswoche an vielen Stellen viel dazu gehört – auch zu Recht –, dass die Große Koalition das Geld mit der Gießkanne ausgeben würde. Leider muss man konstatieren: In der Rentenpolitik nehmen Sie gleich den Gartenschlauch. Das wollen wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Vielen Dank. ({15})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Größe des Einzelplans Arbeit und Soziales täuscht; denn von den knapp 139 Milliarden Euro fließen fast 100 Milliarden Euro in die Rente; das wurde hier schon gesagt. Damit bleiben also nur 39 Milliarden Euro für Arbeitsförderung und Soziales übrig. Das ist weniger, als die Bundeswehr bekommt, und das ist doch ein klares Missverhältnis. ({0}) Wir alle wissen doch, dass der innere Friede nicht durch massive Aufrüstung gesichert werden kann. Inneren Frieden gibt es nur, wenn die soziale Spaltung in unserem Land überwunden wird. Ein wichtiger Schritt, um diese Spaltung aufzuheben, wäre endlich eine gerechte und soziale Rente, und zwar sehr schnell und nicht auf die lange Bank geschoben. ({1}) In meine Sprechstunde kam eine Rentnerin und rechnete mir vor, dass sie nach der Rentenerhöhung 10 Euro weniger im Monat hat, weil ihr aufgrund der Rentenerhöhung das Wohngeld von 70 auf 29 Euro gekürzt wurde. Das ist sicher kein Einzelfall. Das schafft Frust und Ärger. Wir müssen auch sehen: Das Armutsrisiko der Neurentner steigt und steigt, von derzeit 16,2 Prozent auf demnächst 20,2 Prozent. In Anbetracht dieser Entwicklung müssen doch wirklich alle Alarmglocken schrillen, und wir dürfen nicht die Jungen gegen die Alten ausspielen, meine Damen und Herren. ({2}) Wenn wir uns einmal anschauen, wen die Bundesregierung sanktioniert und wen nicht, dann können wir ein klares Muster erkennen: Wer schwach und schlecht organisiert ist, der muss mit Sanktionen rechnen. Wer dagegen mächtig und gut organisiert ist, muss keine Sanktionen fürchten. Sie sanktionieren die Schwachen, um in der Gesellschaft als harte Hunde und Beschützer der Steuergelder dazustehen. Aber Demütigungen – und nichts anderes sind Sanktionen für Arbeitslose – schaffen Frust und Hass, und das ist nicht gut für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. ({3}) Wie zahm die Bundesregierung vorgeht, haben wir doch gerade bei der Rede von Minister Heil gehört. Sie haben auf ein Unternehmen geschimpft, haben sich aber nicht einmal getraut, den Namen dieses Unternehmens öffentlich im Bundestag zu nennen. Sagen wir es laut und deutlich: Das Unternehmen heißt Deliveroo. Ich erwarte von einem Minister, dass er das auch so klar sagt. ({4}) Ich kann mich auch nicht erinnern, dass der ehemalige Wirtschaftsminister Gabriel jemals einem Unternehmen mit Sanktionen gedroht hat oder sie gar umgesetzt hätte. Das wäre natürlich auch schlecht für die politische Laufbahn gewesen und auch dafür, hinterher einen guten Posten wie jetzt bei Siemens oder anderen Konzernen zu ergattern. ({5}) Ich nenne dieses Vorgehen nachgelagerte Bestechung, und damit muss Schluss sein. Oder welche Sanktionen gibt es von Frau von der Leyen gegen Rüstungsunternehmen, die Schrott liefern? Ich sage nur A400M und Eurofighter. Wer der Bundeswehr Schrott verkauft, wird mit neuen Aufträgen versorgt. Das darf nicht so weitergehen, meine Damen und Herren. ({6}) Wir als Linke wollen eine solidarische sanktionsfreie Mindestsicherung, und der erste Schritt muss sein, endlich mit diesen schändlichen Sanktionen Schluss zu machen. ({7}) Es ist richtig, Herr Minister Heil, Vollbeschäftigung anzustreben. Allerdings müssen wir auch der Öffentlichkeit die Frage beantworten, zu welchen Bedingungen die Menschen arbeiten sollen. Wie ist denn jetzt die Realität? Armut trotz Arbeit ist keine Einzelerscheinung. Der Arbeitsmarktforscher Gerhard Bosch von der Universität Duisburg-Essen kritisiert, dass gegen den gesetzlichen Mindestlohn besonders oft in prekären Verhältnissen verstoßen wird. Etwa 1,8 Millionen Anspruchsberechtigte erhalten weniger als 8,50 Euro in der Stunde. Das ist doch eine Schande für unser Land. ({8}) – Ja, aber er wird nicht allen gezahlt. Das habe ich ja gerade vorgetragen. Zuhören, gnädiger Herr! ({9}) – Wenn er mich mit „gnädige Frau“ anspricht, kann ich genauso antworten. ({10}) Bei Minijobbern ist der Anteil der Betroffenen, die um ihren Lohn betrogen werden, besonders hoch. Er liegt bei 43,4 Prozent. Herr Heil, Sie müssen etwas dafür tun, dass die Menschen von ihrer Arbeit leben können. Sie müssen die Kontrolle verstärken und Arbeitgeber, die betrügen, sanktionieren. Das wären die richtigen Maßnahmen. ({11}) Einen öffentlichen Beschäftigungssektor zu schaffen, wie es jetzt geplant ist, ist gut. Das ist eine alte Forderung der Linken. Wir müssen dafür allerdings auch genügend Geld einstellen. Wenn der Bundesagentur für Arbeit jetzt schon 1 Milliarde Euro an Personalmitteln fehlen und sie sich diese Mittel an anderer Stelle nimmt, dann fehlt das Geld bei den Arbeitslosen. Wir brauchen einen öffentlichen Beschäftigungssektor. Wir müssen ihn schaffen, und wir müssen ihn gut organisieren. Dafür müssen wir genügend Geld in den Haushalt einstellen. Sonst sind das alles leere Worte. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat die Kollegin Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. ({0})

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Heil, es ist in der Tat richtig: Wir reden über den größten Einzeletat. Der Großteil der darin enthaltenen Mittel ist gesetzlich gebunden. Die Spielräume sind gering, und gleichzeitig sind es sehr große, verantwortungsvolle Themen, die wir hier bearbeiten. Ich will mich auf zwei Themen konzentrieren. Das erste Thema ist die Arbeitsmarktpolitik. Sie haben in Ihrer Rede, Herr Minister, auch über die Optimierung der Arbeitsmarktförderung geredet. Das ist wichtig. Wenn man sich aber anschaut, was Sie machen, ist man sehr enttäuscht über Ihre Vorschläge. Ich will das am Beispiel der Jobcenter konkretisieren. Nachdem der ganze Konfettiregen an großen Finanzversprechungen der GroKo sich irgendwie gelegt hat, stellt man fest: Der sozialdemokratische Arbeitsminister lässt die Jobcenter im Regen stehen. Sie führen das fort, was in den vergangenen Jahren immer zu den gleichen Fehlern geführt hat. 2009 wurde die Jobcenterfinanzierung gedeckelt; das war eine politische Entscheidung. Damit hat die strukturelle Unterfinanzierung angefangen. Seitdem hat auch die Sozialdemokratie Jahr für Jahr zugeschaut, wie Mittel aus dem Eingliederungstitel, wo es um Arbeitsmarktförderung geht, permanent auf die Verwaltungstitel übertragen werden mussten. Die Leidtragenden des Ganzen waren die Arbeitslosen, die auf Förderung angewiesen waren. Sie haben zugeschaut! Der sozialdemokratische Finanzminister ignoriert das einfach. Der sozialdemokratische Arbeitsminister unternimmt nichts, um das zu verändern. Wir reden inzwischen über ein Defizit von 1 Milliarde Euro in diesem Bereich. ({0}) An dieser Stelle fordere ich von Ihnen etwas mehr sozialdemokratisches Gewissen. Die Bundesagentur für Arbeit, Mitwisser in diesem Spiel, fordert nun mehr Geld. Das ist eigentlich viel zu spät. Aber was wir hier hören, ist ein Hilfeschrei. Wenn wir wollen, dass das Kerngeschäft der Arbeitsförderung läuft, müssen wir hier Geld in die Hand nehmen. ({1}) Ein weiterer Punkt im Bereich der Arbeitsmarktförderung war bislang ein Tabu, das nun gefallen ist; das ist gut. Das ist der soziale Arbeitsmarkt. Wir Grüne haben dazu über viele Jahre sehr viele Anträge und gute Vorschläge eingebracht. Jetzt sind Sie endlich auch auf den Trichter gekommen, dass da etwas geschehen muss. Erkenntnisgewinn ist zunächst einmal ganz gut. Aber Ihr Konzept fehlt. Sie machen Willensbekundungen. Aber dafür, wie das finanziert werden soll, sind Sie gerade auch uns Haushältern ein Konzept schuldig. Wie ich erfahren habe, gibt es in der SPD mehrere Konzepte. Finanzieren können wir nur eines davon. Aber wir sind gerne bereit, Sie bei den Beratungen zu unterstützen. Sie sollten nur auch bald ein Konzept vorlegen, wenn schon in diesem Herbst Mittel fließen sollen, und es nicht bei verbal geäußerten Ideen belassen. ({2}) Sie werden irgendwann ein Konzept vorlegen. Dann wird das Ganze starten. Sie reden von 4 Milliarden Euro. Ein Blick in den Haushalt zeigt aber: Weil das Ganze so spät startet, werden Sie vermutlich nur 3,2 Milliarden Euro in dieser Wahlperiode ausgeben. Dann bleibt Geld übrig. Sie könnten die Chance ergreifen und mit dem übriggebliebenen Geld den Eingliederungstitel stärken. Das machen Sie aber nicht. Was machen Sie denn eigentlich mit dem Geld? Warum investieren Sie es nicht dort, wo es am meisten benötigt wird? Was wird mit diesem Geld passieren? Gehen Sie dorthin, wo Sie Verantwortung haben, und schauen Sie nicht weg! ({3}) Das zweite große Thema ist die Rente; das haben meine Vorredner zu Recht angesprochen. Ich würde gerne mit Ihnen über ein Rentenkapitel beraten – als Haushälterin kann ich Ihnen jede Ziffer aufzählen –, wenn es nur etwas zu beraten gäbe. Es gibt aber nichts zu beraten. Sie reden von einer doppelten Haltelinie bis zum Ende dieser Legislaturperiode als riesengroßen Erfolg. Sorry, aber bis zum Ende dieser Legislaturperiode brauche ich keine doppelte Haltelinie. Das belegen die Zahlenprognosen. Sie verändern überhaupt nichts. Am Ende der Legislaturperiode fangen die Probleme aber erst an. ({4}) Dann beginnen die Kostensteigerungen. Dann werden wir die Marke von 100 Milliarden Euro bei den Bundeszuschüssen zum ersten Mal überschreiten. Dann werden wir sehr wohl über Generationengerechtigkeit diskutieren müssen und darüber, wie wir das Ganze finanzieren. Ehrlich gesagt, Sie von der CSU, die Sie sich permanent im Wahlkampf befinden und sich auf Symbolpolitik versteifen, helfen mit Ihrer Mütterrente in der Sache nicht weiter. Sie stellen hier einen offenen Scheck auf die Zukunft aus, ohne zu sagen, wie das alles finanziert werden soll, es sei denn, dass die Beitragszahler wieder die Leidtragenden sind. ({5}) Wie Sie das unter diesem Gesichtspunkt rechtfertigen wollen, verstehe ich bislang überhaupt nicht. Im Übrigen werden die meisten der kostenintensiven Koalitionsversprechungen erst 2021/22 so richtig auf den Haushalt durchschlagen. Aber finanzieren sollen das bis dahin andere. Ja, das ist eine Herausforderung. Aber die Grünen hätten Ideen, wie diese Probleme zu lösen sind. Jetzt haben wir noch die Rentenkommission. Diese soll erst in zwei Jahren einen Bericht vorlegen; darauf bin ich gespannt. Ich würde auch gerne an die versprochene Grundrente glauben. Aber irgendwie fehlt mir das Vertrauen. Es gab schon einmal das große Projekt einer Lebensleistungsrente. Das ist irgendwie verpufft. Davon hört man irgendwann gar nichts mehr. Daher: Verzeihen Sie mir, aber an Ihre Grundrente glaube ich nicht. Da glaube ich eher an meine Fraktion. ({6}) Herr Minister Heil, Ihr Etat ist wichtig für den Zusammenhalt in dieser Gesellschaft. Wenn wir Sie kritisieren, dann ist das Unterstützung für Sie; denn Sie müssen sich durchsetzen bei Ihrem Finanzminister, ja, auch mit guten Ideen. Aber an erster Stelle müssen Sie auch Ideen äußern. Darauf warten wir. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Kerstin Tack, SPD. ({0})

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ist für die Bundesrepublik und für die Menschen in Deutschland eines der Kernanliegen, wenn es um Stabilität und den sozialen Zusammenhalt geht. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass dieser Etat nicht nur der größte Einzeletat ist, sondern dass wir im Koalitionsvertrag auch weitestgehende Maßnahmen im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik miteinander vereinbart haben; schließlich ist es für uns eines der Kernthemen im Hinblick auf die Weiterentwicklung in Deutschland. ({0}) Auch deshalb haben wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, den Blick sehr weit auf alle Generationen in diesem Land zu richten. Wir werden in Kita und Schule endlich auch mit Bundesmitteln massiv investieren, weil wir wissen, dass gut aufgestellte Bildung für den weiteren Lebensweg existenziell ist. Deshalb ist es gut, dass wir an dieser Stelle jetzt endlich auch seitens des Bundes tätig werden. Wir haben uns in dieser Koalition vorgenommen, beim Kampf gegen Kinderarmut einen sehr deutlichen Schritt voranzukommen. Wir haben uns gerade mit Blick auf junge Menschen, die sich in Ausbildung befinden, vorgenommen, dass wir mit der Mindestausbildungsvergütung hier klare Schritte hin zu einer guten und auskömmlichen Finanzsituation machen. ({1}) Für die Frauen haben wir gerade mit der Brückenteilzeit, die eine so wichtige Funktion hat, die Möglichkeit geschaffen, die gewünschte Arbeitszeit in Realität umzusetzen und damit für die eigene spätere Rentenanwartschaft vernünftig aufgestellt zu sein. Wir ermöglichen es mit der Brückenteilzeit endlich auch vielen Männern, zeitweilig in Teilzeit zu gehen, weil sie sich ebenfalls vornehmen, ihren Anteil an der Erziehung, an Familie, an Unterstützung zu leisten, unabhängig von Eltern- und Pflegezeiten. Das ist gut für Deutschland. Wir wissen, dass es einen Bedarf an individualisierter Arbeit gibt, auch an individualisierter Arbeitszeit und Dauer der Arbeit, der viel größer ist als das, was wir heute möglich machen. Deshalb ist dieses Gesetz gut und richtig. ({2}) Natürlich gehen wir auch die Frage des sozialen Arbeitsmarktes und der Langzeitarbeitslosigkeit ganz besonders an. Das ist gut, richtig und wichtig, und wir wissen, dass das auch hier in diesem Parlament breit getragen wird. Gleichwohl sehen wir, dass wir mit der Langzeitarbeitslosigkeit nicht nur den sozialen Arbeitsmarkt in den Blick nehmen müssen, sondern dass Langzeitarbeitslosigkeit immer auch eine Anforderung an Qualifizierung, an Fort- und Weiterbildung, an gute Vermittlung und vor allen Dingen auch an Prävention bedeutet, sodass Langzeitarbeitslosigkeit erst gar nicht entsteht. ({3}) Insofern ist es vor allen Dingen wichtig, dass die Jobcenter in die Lage versetzt werden, auch diesen Teil neben der Umsetzung eines sozialen Arbeitsmarktes gut, kompetent und arbeitsfähig auszugestalten. Ja, es ist richtig, dass die Umschichtung vom Eingliederungstitel in den Verwaltungstitel umfangreich ist. Deshalb müssen wir uns auch damit beschäftigen. Insbesondere müssen wir dafür sorgen, dass durch richtige Tarifsteigerungen weitere Umschichtungen in diesem Bereich verhindert werden. Das wollen wir in den nächsten Wochen miteinander, auch im Haushaltsausschuss, beraten. Ich freue mich auf die anstehenden Beratungen. Herzlichen Dank für Ihr Zuhören. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege René Springer, AfD. ({0})

René Springer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004900, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Haushaltsentwurf des Sozialministers ist in Zahlen gegossenes Politikversagen. Das kann man nicht anders nennen. Nehmen wir hier an erster Stelle die Ausgaben für die Hartz-IV-Leistungen – Sie kennen Sie alle –: Rund 37 Milliarden Euro werden hier für 6 Millionen Leistungsempfänger eingeplant. ({0}) 2 Millionen dieser Leistungsempfänger sind Ausländer, ({1}) 1 Million davon sind sogenannte Flüchtlinge. ({2}) – Dass Sie darüber nicht reden wollen, ist mir klar. ({3}) Der gesinnungsethische Größenwahn der Kanzlerin hat unseren Sozialstaat inzwischen tief ins Mark getroffen, und die Kosten dafür tragen nicht die Entscheidungsträger, sondern die Leistungsträger in unserer Gesellschaft. ({4}) Wurden sie gefragt? Nein, sie wurden nicht gefragt. Im Gegenteil: Man hat sie sogar belogen; denn um das ungeheure Ausmaß der unkontrollierten Zuwanderung zu verschleiern, wurde schon kurz nach der Grenzöffnung der Mythos der Fachkräftezuwanderung zu einer der Leitlügen der Altparteien. ({5}) Wie sagte die damalige Arbeits- und Sozialministerin Nahles? Es ist bezeichnend, dass sie nicht da ist. Sie sagte: Angesichts des Fachkräftemangels können wir uns glücklich schätzen, dass wir diese nicht geplante Zuwanderung haben. Inzwischen wissen wir jedoch, dass mehr als 70 Prozent der Flüchtlinge keinen in Deutschland verwertbaren Berufsabschluss haben. ({6}) Der Chef der Bundesagentur für Arbeit schätzt, dass es zehn Jahre dauern wird, bis gerade mal 60 Prozent von ihnen in den Arbeitsmarkt integriert sein werden – zehn Jahre! ({7}) Aber selbst wenn sie dann eine Arbeit aufnehmen, wird es eine einfache Arbeit sein, und damit werden sie zu einer existenziellen Konkurrenz für die Beschäftigten im Niedriglohnsektor, also in den einfachen Dienstleistungen – ({8}) ausgerechnet in dem Beschäftigungssektor, wo es keinen Arbeitskräftemangel gibt, sondern einen Arbeitskräfteüberschuss. Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf wird die Bundesregierung diesen Konkurrenzkampf noch weiter verschärfen. 47 Millionen Euro will Sozialminister Heil für die berufliche Integration von Zuwanderern ausgeben ({9}) – ich hoffe, Sie haben mitbekommen, Herr Präsident, dass er mich gerade als Nazi bezeichnet hat –, über 60 Millionen Euro für die Heranführung von Flüchtlingen an den Arbeitsmarkt und weitere 470 Millionen Euro für die berufsbezogene Deutschsprachförderung von Migranten. Diese Pläne als sozial zu bezeichnen, ist an Zynismus kaum zu überbieten. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege, darf ich Sie einen Moment unterbrechen.

René Springer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004900, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Der Schriftführer bestätigt, dass aus der Fraktion Die Linke der Zwischenruf „Nazi!“ kam. ({0}) Den muss ich rügen.

René Springer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004900, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Die Bundesregierung zieht den Beschäftigten im Niedriglohnsektor heute quasi die Steuern aus der Tasche, um deren direkte Konkurrenz von morgen zu finanzieren. Wer solche Pläne hat, verdient nicht die Bezeichnung „Sozialminister“; viel treffender wäre die Bezeichnung „sozialer Unruhestifter“. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß, CDU/CSU. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Zunächst will ich bekennen: Ich finde, in solchen Zeiten wie diesen macht Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik richtig Freude und Spaß. Das lasse ich mir auch von der Opposition nicht kaputtreden. ({0}) Der Zusammenhang ist einfach der: Unsere deutsche Wirtschaft boomt. Es ist kein Ende dieses Booms abzusehen. Der Arbeitsmarkt entwickelt sich hervorragend. Das Entscheidende ist: Jeden Monat – das seit Jahren – haben wir wieder mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, also Männer und Frauen, die mit ihrem Verdienst zu unserem Steueraufkommen beitragen und Sozialversicherungsbeiträge leisten. Das ist die Grundlage dafür, dass man überhaupt gute Sozialpolitik machen kann. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, man kann natürlich alle Probleme, die wir haben, beschreiben – die soll man auch nicht vertuschen –; ({1}) aber das Entscheidende ist: Jeden Monat kommen mehr Menschen aus der Notwendigkeit heraus, staatliche Sozialleistungen zu beantragen. Auch die Zahl derer, die aus der sogenannten Unterbeschäftigung herauskommen, nimmt zu. Diese positive Nachricht kann man mit dem, was die Opposition hier vorgetragen hat, schlichtweg nicht kaputtmachen. ({2}) Im Übrigen hätte ich mir gewünscht, dass man in diesem Zusammenhang einfach auch mal die Grundlage, die man nicht wegdiskutieren kann, bedenkt: Eine gute Wirtschaftspolitik ist die Grundvoraussetzung für eine gute Sozialpolitik, und die wollen wir machen. ({3}) Deshalb ist dieser Bundeshaushalt ein Ausdruck dessen, dass wir aufgrund der guten wirtschaftlichen Lage, aufgrund der guten Einkommenssituation, aufgrund der guten Finanzausstattung unserer Sozialversicherungen jetzt an Problemstellungen herangehen, an die man sich in früheren Jahren gar nicht herangemacht hat, ({4}) ja, gar nicht heranmachen konnte. Eines der Kernanliegen dieser Koalition ist dabei: Wir wollen endlich verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit aufbrechen, Menschen, die zum Teil schon seit Jahren arbeitslos sind, eine Chance geben, in Arbeit und Teilhabe zurückzukehren, ({5}) damit es nicht dazu kommt, dass in der nächsten Krise auf den Sockel verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit noch einmal eine Schicht zusätzlicher Langzeitarbeitslosigkeit aufgesattelt wird. Uns als Union geht es dabei nicht darum, einfach nur Beschäftigung zu schaffen, sondern wir wollen mit den neuen Instrumenten, die wir schaffen – vor allem durch die Begleitung durch einen Coach, der dabei hilft, Probleme, die man in seinem persönlichen Umfeld hat, anzupacken, auch durch Qualifizierungsmaßnahmen –, Langzeitarbeitslosen eine Chance geben, im ersten Arbeitsmarkt zu landen, um künftig von eigenem Einkommen gut leben zu können. Das ist unser Ziel. ({6}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich finde, in einer solchen Debatte über Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sollte man nicht nur von denen reden, die Probleme haben, die man lösen will, sondern auch von den normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unserem Land, die jeden Tag arbeiten gehen. Das Versprechen der sozialen Marktwirtschaft, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am wirtschaftlichen Erfolg angemessen teilhaben, wird gerade in diesem Jahr durch die Tarifabschlüsse sehr konkret eingelöst. Ich finde, dass man zu den Tarifabschlüssen, die in der Metallindustrie vereinbart worden sind, die im öffentlichen Dienst vereinbart worden sind, sagen kann: Jawohl, mit diesen Tarifabschlüssen findet tatsächlich wieder angemessene Teilhabe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Wirtschaftserfolg statt, und das ist großartig. ({7}) Das hat wiederum Auswirkungen auf andere, zum Beispiel auf die Rentnerinnen und Rentner. Mit der Rentenerhöhung am 1. Juli dieses Jahres wird nicht nur die Rente um 3,2 Prozent im Westen und 3,4 Prozent im Osten erhöht, sondern zum ersten Mal seit Jahren wird auch erreicht, dass das Rentenniveau wieder steigt. Wir haben jahrelang über das sinkende Rentenniveau diskutiert. In diesem Jahr steigt das Rentenniveau. Das zeigt: Auch bei den Rentnerinnen und Rentnern kommt der wirtschaftliche Erfolg unseres Landes an. ({8}) Jetzt kann man sich so, wie der Kollege Vogel, große Sorgen um die Zukunft der Rente machen. ({9}) Aber, Kollege Vogel, die Basis ist zunächst einmal folgende: Wir haben – gerade um dem Mantra der FDP entgegenzukommen, jede mögliche Beitragssatzsenkung bei den Sozialversicherungen muss realisiert werden – in diesem Jahr mit 18,6 Prozent den niedrigsten Rentenversicherungsbeitrag seit 23 Jahren in Deutschland. Ich finde, das ist ein großartiger Erfolg, von dem die Wirtschaft profitiert, von dem auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer profitieren. ({10}) Zugleich, Herr Kollege Vogel, soll dieser niedrige Beitragssatz eigentlich dazu beitragen – das ist ja der Sinn –, dass die Rücklage der Rentenversicherung geringer wird. ({11}) Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, es ist aber so: Die Rücklage der Rentenversicherung steigt. Sie ist vom letzten Monat auf diesen Monat noch einmal gestiegen ({12}) und liegt jetzt bei knapp 33 Milliarden Euro. Also niedrigster Beitragssatz seit 23 Jahren und gleichzeitig eine Rücklage in Höhe von 33 Milliarden Euro – das hat es in dieser Kombination noch nie gegeben. ({13}) Genauso verhält es sich bei der Arbeitslosenversicherung. Auch wenn wir – gemäß der Koalitionsvereinbarung und wie vom Herrn Bundesminister angekündigt – den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 0,3 Prozentpunkte senken und damit wiederum den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Stück finanzieller Entlastung gewähren, wird nach den Vorausberechnungen im nächsten und in den kommenden Jahren dennoch die Rücklage der Arbeitslosenversicherung größer werden. Das heißt, die Absenkung um 0,3 Prozent führt nicht zu einer Begrenzung des Aufwuchses an Rücklagen der Arbeitslosenversicherung, sondern diese wachsen weiter. Das zeigt, dass zusätzliche Spielräume vorhanden sind, die man bei Gelegenheit nutzen muss; denn ich finde, der wirtschaftliche Erfolg, gerade auch bei den Sozialversicherungen, muss irgendwann bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommen. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, mit dem Bundeshaushalt 2018 nimmt übrigens auch die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes richtig Fahrt auf. Durch das Bundesteilhabegesetz hat eine neue Ära der Politik mit und für Menschen mit Behinderungen begonnen. Das wird im Haushalt dadurch deutlich, dass wir für die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes einen eigenen Posten mit einem Etat in Höhe von 76,5 Millionen Euro ausweisen, der im vergangenen Jahr noch 14 Millionen Euro betrug. In erster Linie ist in diesem Zusammenhang das neue Instrument der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung zu nennen, das mit Mitteln in Höhe von 58 Millionen Euro ausgestattet ist. 470 Projekte sind in den letzten Monaten bereits bewilligt worden; im Laufe des Jahres werden es noch circa 500 Projekte werden. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, in unserem Land wurde ein neues Angebot für Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige selten in einem solchen Tempo umgesetzt wie dieses neue Instrument, das in diesem Haushalt konkret verankert ist. Das ist eine großartige Leistung für die Menschen, die ganz besonders unserer Hilfe und Unterstützung bedürfen. ({14}) Zusammengefasst: Der Bundeshaushalt 2018 in Höhe von 341 Milliarden Euro weist eine Sozialleistungsquote von 51 Prozent aus. ({15}) Ich finde, wenn ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland in einem solchen Rekordhaushalt in Höhe von 341 Milliarden Euro 51 Prozent der Mittel für Soziales bereitstellt, dann ist das kein Land sozialer Kälte, sondern ein Land, das seine soziale Verantwortung wahrnimmt. ({16}) Ich finde, in solchen Zeiten macht Sozial- und Arbeitsmarktpolitik Spaß und Freude, weil wir denen, die wirklich Hilfe benötigen, jetzt helfen können. Vielen Dank. ({17})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke, FDP. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Weiß, dass Ihnen die Arbeit Spaß macht, ist nett, wenn man im Hier und Jetzt lebt, aber das, worum es eigentlich geht, ist, sich Gedanken über die Zukunft zu machen. Das haben Sie völlig außer Acht gelassen. ({0}) Es gibt ein wunderbares Sprichwort, das da lautet: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. ({1}) Wenn man die Reden der Kollegen aus der Koalition angehört hat, wird man feststellen, dass man keine Überlegung dazu gehört hat, nach acht, neun Jahren guten Wachstums etwas zurückzulegen, weil die Situation irgendwann auch mal wieder schlecht wird. Nein, im Gegenteil: Der Kollege Weiß hat es auf den Punkt gebracht: Es macht Spaß, weil man mehr Geld hat, das man ausgeben kann. ({2}) Das ist keine verantwortungsvolle Haushaltspolitik und keine verantwortungsvolle Politik für den Bürger. Kommen wir zur Sozialleistungsquote, die Sie, Herr Weiß, angesprochen haben. 51,6 Prozent sind es, wenn ich es richtig sehe. ({3}) Wenn Sie daran eine gute Sozialpolitik festmachen wollen, wenn Sie daran festmachen wollen, was einen Sozialstaat ausmacht, müssen Sie sich folgende Frage stellen: Haben Sie sich einmal überlegt, wann wir die höchste Sozialleistungsquote in der Bundesrepublik Deutschland hatten? Nein? 2010; damals gab es eine schwarz-gelbe Regierung. Jetzt werden Sie, Herr Weiß, überrascht sein und sagen: Schwarz-Gelb war die sozialste Regierung aller Zeiten. ({4}) Das stimmt an bestimmten Stellen sogar. Ich erkläre Ihnen, wo der Fehler liegt, wenn man nur die Zahlen der Sozialleistungsquoten betrachtet. Warum war sie damals so hoch? Wir befanden uns damals in einer Krise und haben verantwortungsvoll sozialstaatliche Leistungen hochgefahren und verantwortungsvoll das, was an Rücklagen durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer gebildet worden war, genutzt, um eine Brücke zu bauen. Jetzt komme ich zum Unterschied zu Ihrer Politik: Wir leben seit mehreren Jahren in einer sehr guten Zeit. Und was machen Sie? Sie fahren nicht die Sozialleistungsquote runter, um die Wirtschaft zu stärken und weitere Arbeitsplätze zu schaffen. Sie fahren sie seit 2014 Jahr für Jahr nach oben. Jetzt kann man sagen: „Das ist schön und hört sich gut an“, aber ich muss an die Sozialdemokraten gerichtet sagen: Sie müssten sich eigentlich immer noch daran erinnern, was das letzte Mal passiert ist, als man sozialstaatliche Leistungen immer weiter hochgefahren hat. Der Nachhaltigkeitsfaktor bei der Rente wurde eben angesprochen. Bundeskanzler Schröder ist mit diesem Thema 1998 in den Wahlkampf gezogen und hat ihn unter anderem damit gewonnen, dass er es an dieser Stelle für die Rentner besser machen wollte. Dann hat er irgendwann festgestellt, dass die Rechnung mathematisch nicht aufgeht. ({5}) Er hat die Sozialleistungsquote hochgefahren mit dem Ergebnis, dass die stolze SPD durch das tiefste Tal der Tränen gehen musste, weil sie über Jahre überzogen hat. Wollen Sie dasselbe wieder machen? Wollen Sie bei der nächsten Krise wieder erleben, ({6}) dass Sie am Ende korrigieren müssen, was Sie jetzt vollmundig versprechen? Da muss ich sagen: Das ist für mich eine völlig falsche Sozialpolitik. Sie – da liegt der Unterschied, Kollege Gröhe – versprechen heute leichtfertig, wie morgen alles gut ist, aber, wie Kollege Vogel richtig gesagt hat: Wer Versprechungen für morgen macht, die er übermorgen wieder zurücknehmen muss, der macht eine Sozialpolitik, die beim Bürger nur noch zu Kopfschütteln führt. Das können und werden wir als Liberale nicht zulassen. ({7}) Meine Damen und Herren, ich will noch auf einen Punkt eingehen, der für mich als Haushälter wichtig ist und den wir nur am Rande besprochen haben, nämlich die Frage: Wie schaffen wir es eigentlich, dass dieser Haushalt insgesamt so stark ist? Wir schaffen es dadurch, dass wir Arbeitsplätze schaffen. Wir schaffen es dadurch, dass Arbeitgeber sagen: Ich bin bereit, Arbeitsplätze zu schaffen. Ja, einige wollen das wieder über den zweiten Arbeitsmarkt erreichen. Ich sage Ihnen: Es wird der 125. Versuch sein, der am Ende genauso kläglich scheitern wird wie alle Versuche zuvor. Zum Thema Brückenteilzeit sage ich: Ja, es ist gut, wenn man eine gewisse Sicherheit hat, dass man wieder zu Vollzeit zurückkehren kann. Aber was wird das Ergebnis für viele Arbeitgeber sein? Es wird dazu führen, dass sie sagen: Ich riskiere es nicht, einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen, sondern ich werde schauen, dass ich das notfalls erst einmal mit Überstunden kompensiere; denn es kann ja sein, dass jemand wieder zu Vollzeit zurückkehren will, und das muss ich ihm garantieren. ({8}) Ich bin sehr gespannt auf die CDU/CSU. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Die Verantwortung liegt jetzt bei Ihnen. ({9}) Ich habe es eigentlich so verstanden, Herr Minister, dass der Gesetzentwurf am kommenden Mittwoch dem Kabinett vorgelegt wird. Wenn ich den Kollegen Linnemann und andere höre, dann habe ich noch eine gewisse Hoffnung, dass es wirtschaftliche Vernunft in der CDU/CSU gibt und der Gesetzentwurf am Mittwoch dem Kabinett nicht vorgelegt wird. Wir werden sehen, wohin diese Große Koalition in diesem Bereich geht. Wir befürchten: Es wird weiter nach links gehen, wie schon in den letzten vier Jahren mit dieser großen sozialdemokratischen Koalition. ({10}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Die Haushaltsberatungen an dieser Stelle mit diesem sehr großen Einzelplan werden sicherlich unter der Hauptberichterstatterin Deligöz sehr ordentlich und stringent geführt werden. Darauf freue ich mich. Aber wir müssen eines erkennen: Es sind enorme Belastungen für die Zukunft, die wir zu verantworten haben. Gehen wir in das Jahr 2013 und von dort sieben Jahre zurück. Von 2006 bis 2013 ist der Zuschuss in die Rentenversicherung um 4 Milliarden Euro gestiegen. Von 2013 bis 2020 – das könnte man meinen – führen Demografie und andere Faktoren dazu, dass er vielleicht nicht um 4 Milliarden Euro, auch nicht um 6 Milliarden Euro, sondern vielleicht um 8 Milliarden Euro steigt. ({11}) Wissen Sie, um wie viel er laut Finanzplanung steigen wird? Um 18 Milliarden Euro. So viel zu der Frage, wie sich diese Koalition mit der Zukunft beschäftigt. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Kollege Matthias Birkwald, Fraktion Die Linke. ({0})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister Heil, das Motto des gestern zu Ende gegangenen Kongresses des Sozialverbandes VdK lautete: „Die soziale Spaltung stoppen!“ Sorry, aber dazu findet sich in Ihrem Haushalt so gut wie nichts. ({0}) Immer noch ist fast jeder zweite Langzeiterwerbslose länger als vier Jahre arbeitslos; und nur 5 von 100 Betroffenen werden überhaupt in Arbeit vermittelt. Das ist beschämend und zeigt: Hartz IV ist gescheitert. ({1}) In Deutschland sind 850 000 Menschen langzeiterwerbslos; das ist die offizielle Zahl. In Wirklichkeit sind es viel mehr. Sehr geehrter Herr Bundesminister, für den Kampf gegen Langzeitarbeitslosigkeit wollen Sie gerade einmal zusätzliche 300 Millionen Euro ausgeben – für Lohnzuschüsse für 20 000 Menschen. Das betrifft nur 20 000 von über 850 000 Langzeitarbeitslosen in Deutschland. Nein, Herr Heil, damit haben Sie die erste Chance verpasst, ein echtes, ein deutliches und vor allem ein glaubwürdiges Signal im Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit zu setzen. ({2}) Ja, ich weiß – Sie haben es gerade gesagt –, dass Sie in den kommenden Jahren 4 Milliarden Euro für circa 150 000 Menschen bereitstellen wollen. Das ist nicht besonders ehrgeizig; denn wir brauchen 300 000 voll sozialversicherungspflichtige und aus öffentlichen Mitteln finanzierte Arbeitsplätze, die die Existenz sichern. ({3}) Das heißt, die Menschen müssen von ihrem Lohn leben können. ({4}) Darum muss der gesetzliche Mindestlohn auf ein existenzsicherndes Niveau angehoben werden – das hat der Deutsche Gewerkschaftsbund übrigens vorgestern auf seinem Bundeskongress so beschlossen –, und das sind derzeit gut 12 Euro pro Stunde, Herr Minister. ({5}) Ihr Ministerium hat uns bestätigt: Nur ein Stundenlohn von aktuell 12,63 Euro brutto verhindert im Alter den Gang zum Sozialamt. Im Übrigen: Sie planen die öffentlich geförderten Jobs nur für Menschen, die seit acht Jahren oder länger im Hartz-IV-Bezug stecken. Da sage ich: Das ist keine gute Idee. Die Stellen im sozialen Arbeitsmarkt müssen allen Erwerbslosen, die seit einem Jahr oder länger arbeitslos sind, freiwillig offenstehen. ({6}) Kommen wir zu Hartz IV! Herr Heil, Sie haben in der „FAZ“ geschrieben – ich zitiere –: Ich bin davon überzeugt, dass es Aufgabe des Sozialstaates ist, allen Bürgerinnen und Bürgern ein Leben in Würde zu garantieren. Sehr richtig! Und darum dürfen Sie Arbeitsuchende und arme Rentner nicht mit einem Regelsatz von 416 Euro im Monat abspeisen. ({7}) Stichwort „Monitor“ gestern Abend: Hören Sie damit auf, die Grundbedürfnisse armer Menschen kleinzurechnen! Das ist entwürdigend. Schluss damit! ({8}) Hartz-IV-Betroffene müssen sich auch einmal einen Kaffee oder einen Theaterbesuch leisten können. Arme Kinder, Rentnerinnen und Rentner, Erwerbslose und Asylbewerber – sie alle brauchen mehr Geld. ({9}) Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, fordere ich Sie auf: Sorgen Sie dafür, dass die Miet- und Heizkosten vollständig übernommen werden, und heben Sie endlich für Menschen im Hartz-IV-Bezug und für jene, die im Alter und bei Erwerbsminderung von Grundsicherung leben müssen, den Regelsatz an – so wie es der Paritätische Wohlfahrtsverband vorgeschlagen hat: auf 570 Euro im Monat. ({10}) Meine Damen und Herren, in aller Kürze zu einem Rententhema, der Mütterrente: Kindererziehung geht uns alle an, auch die Beamten, die Politikerinnen und Politiker und vor allem die Reichen. Deshalb muss Ihre sogenannte Mütterrente II – wie auch immer sie dann ausgestaltet sein wird – aus Steuern finanziert werden. Das fordert die Deutsche Rentenversicherung, das fordern alle Gewerkschaften, alle Sozialverbände, die Arbeitgeber, die Grünen und Die Linke. Also tun Sie es einfach! ({11}) Wenn Sie, Herr Heil, die Steuerfinanzierung der Mütterrente II nicht gegen Ihren Genossen Finanzminister durchsetzen, werden Jahr für Jahr knapp 10 Milliarden Euro aus der Rentenkasse verschwinden. 10 Milliarden Euro! Damit könnten Sie die Ostrenten sofort den West­renten angleichen, Ihren geplanten Härtefallfonds für benachteiligte ostdeutsche Rentnerinnen und Rentner auf den Weg bringen und die Renten von Erwerbsminderungsrentnerinnen und ‑rentnern deutlich anheben. Und wenn Sie bei Herrn Scholz abblitzen sollten, dann gehen Sie bitte zur Verteidigungsministerin. ({12}) 1,5 bis 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung auszugeben, hieße, statt 38,5 Milliarden Euro mit bis zu 70 Milliarden Euro Rüstung und Militär zu finanzieren. ({13}) Dazu sage ich: Was für ein Irrsinn! No 2 Percent! Frieden geht anders. Mehr Rente statt mehr Panzer! Danke schön. ({14})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Kollege Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor rund anderthalb Jahren habe ich in meiner Rede zum Haushalt 2017 den Zustand der damaligen Großen Koalition beschrieben und gesagt: Die Regierungsfraktionen haben … in etwa die Dynamik einer Herde satter Wasserbüffel: Bräsig stehen Sie im Brackwasser Ihrer unambitionierten Vorhaben. ({0}) Jetzt beraten wir den Haushalt 2018, und man kann vergleichend feststellen: Die Büffel sind magerer geworden, aber wirklich vorangekommen sind Sie nicht. ({1}) Dabei verfügen Sie über hervorragende ökonomische und damit auch finanzielle Rahmenbedingungen. Und trotzdem verschleppen Sie Strukturvorhaben, trotzdem wiederholen Sie – Beispiel Mütterrente – Fehler der Vergangenheit. Geradezu exemplarisch für diese Selbstzufriedenheit, mit der Sie sich bewegen, ist hier der Auftritt des ansonsten von mir geschätzten Kollegen Peter Weiß von der Union gewesen, der die niedrigen Beitragssätze in der Rentenversicherung bejubelt und vollkommen unter den Tisch fallen lässt, dass wir in einer demografisch und ökonomisch absoluten Schönwetterphase leben und eine Menge Zukunftsfragen zu klären hätten. ({2}) Diese Form von Selbstgefälligkeit, muss man fast schon sagen, ist wirklich dramatisch. Das ist hochgradig fahrlässig. Die falsche Finanzierung der Mütterrente – lassen Sie mich das noch sagen – ist keine Sache, die wir nur als akademische Fingerübung vorrechnen und bei der wir eine Steuerfinanzierung nur aus Gründen irgendeiner abstrakten Systematik einfordern. Das ist auch eine ganz konkrete Verteilungsfrage; denn einen Teil des Spielraums, den Sie durch die Steuereinnahmen haben, wollen Sie ja für Steuersenkungen verwenden. Aber die alleinerziehende Friseurin, die gar keine Steuern zahlt, muss mit ihren Sozialbeiträgen über die falsch finanzierte Mütterrente die Steuersenkungen für Besserverdienende quasi mittragen. Das ist der Kern des Problems, den Sie immer vergessen. ({3}) Herr Gröhe, das Wort „Generationsgerechtigkeit“ – das habe ich der Union schon vor vier Jahren bei der Diskussion um die Mütterrente I zugerufen – dürfen Sie von der Union gar nicht in den Mund nehmen. ({4}) Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass Sie an der einen oder anderen Stelle versuchen, die Zukunftsfragen zu lösen. Aber es bleibt immer Stückwerk. Ein Beispiel etwa ist die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, die Sie eben nicht hinbekommen. Da machen Sie jetzt einen Vorschlag mit einer Schwellenwertgrenze, der mutmaßlich aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken gar nicht tragfähig ist. ({5}) – Sie haben nicht mit der FDP verhandelt und mit ihr zu tun gehabt. ({6}) – Machen Sie doch einmal einen richtigen Schritt, Martin Rosemann, und schaffen Sie die sachgrundlose Befristung ab. ({7}) Das Beispiel der Deutschen Post dieser Tage zeigt doch, dass sie eine geradezu gemeinwohlschädliche und gesundheitsgefährdende Verlängerung der Probezeit darstellt; ({8}) ein exemplarisches Beispiel dafür, dass diese Regelungen einfach nicht zum Leben der Menschen passen. Da müssen Sie rangehen. ({9}) Wir Grüne haben eine Vision: Wir wollen durch Befähigung, Anreize und soziale Garantien jedem Individuum eine selbstbestimmte, positiv gestaltbare Lebenschance eröffnen. Eine leistungsfähige soziale Infrastruktur ist auch die Grundlage dafür, dass wir wieder Vertrauen in im Grundsatz bewährte Sozialversicherungssysteme aufbauen können. Wenn uns das nicht gelingen sollte, dann stehen wir vor dem Risiko, dass Scharlatane mit falschen Heilslehren die Oberhand gewinnen, dass im schlechtesten Fall der Sozialstaat unter Vorgabe eines falschen Etiketts entkernt wird. Das wollen wir Grüne ausdrücklich nicht riskieren. Deswegen arbeiten wir auch in Zukunft an einem Leitbild emanzipativer Sozialpolitik. Wenn Sie sich davon wenigstens eine kleine Scheibe abschneiden würden, zum Beispiel die Abschaffung der besonderen Sanktionen für unter 25-Jährige – das wäre ein kleiner Schritt –, dann würden wir Ihnen das wirklich gönnen. Vielen Dank. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Kollege Peter Aumer, CDU/CSU. ({0})

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt für Arbeit und Soziales, den wir beraten, zeigt die Handschrift der Großen Koalition. Er zeigt sehr klar, wo CDU/CSU und SPD ihre Schwerpunkte setzen. Dieser Haushalt zeigt: Wir investieren in den Zusammenhalt und in die Zukunft unseres Landes. Jeden Tag zeigen die Debatten in unserem Land, wie wichtig es ist, den Zusammenhalt unserer Gesellschaft in den Mittelpunkt unserer Arbeit zu stellen. Abstrakte Debatten, Herr Kollege Fricke, wie Sie das vorhin in Ihrer Rede vorgeführt haben, bringen uns da nicht sehr viel weiter. ({0}) Diesen Zusammenhalt unserer Gesellschaft garantieren unser Sozialstaat und die soziale Marktwirtschaft. Sie sind die Klammern, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales bringt dies sehr deutlich zum Ausdruck. Ziele sind vor allem, die Sicherheit des Einzelnen zu gewährleisten, aber auch den sozialen Frieden in unserem Land. Es ist daher konsequent, dass der Sozialetat von 2019 bis 2022 um über 100 Milliarden Euro ansteigen wird – mit dem Ziel, langfristig und verlässlich unseren Sozialstaat zu sichern. Unsere Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird es sein, dafür zu sorgen, dass sich die Menschen zum Ersten auf den Sozialstaat verlassen können, dass zum Zweiten möglichst viele Menschen in unserem Land einen Arbeitsplatz haben und unter fairen Arbeitsbedingungen arbeiten können und dass wir zum Dritten die Weichen für die Zukunft klug und verantwortungsbewusst stellen. Lassen Sie mich auf diese drei Punkte eingehen. Erstens. Die Menschen müssen sich auf unseren Sozialstaat verlassen können. Zwei Aspekte gehören dabei aus meiner Sicht dazu: Gerechtigkeit und Zukunft. Hier steht die Rente im Mittelpunkt. Wir haben in der Debatte schon gehört: Zur Gerechtigkeit gehört auch die Mütterrente, liebe Kolleginnen und Kollegen – auch der Grünen und der FDP. ({1}) Selbstverständlich ist die Generationengerechtigkeit ein wichtiger Aspekt, aber es gehört auch dazu, denjenigen, die dazu beigetragen haben, die Generationen in die Zukunft zu tragen, an der Rente partizipieren zu lassen. Zum zweiten Aspekt: Zukunft. Wir wollen die Debatte, wie die Rente nach 2025 aussehen muss, verantwortungsbewusst führen. Wir wollen konstruktiv arbeiten, damit jeder verlässlich seine Rente bekommt und davon auch gut leben kann. ({2}) Lieber Herr Kollege Fricke und lieber Herr Kollege Vogel, diejenigen, die gesagt haben: „Wir wollen lieber nicht regieren“, und sich jetzt hinstellen und sagen: „Wir wissen alles besser“, ({3}) sollten sich mit ihrer Kritik ein bisschen zurückhalten. Vielmehr sollten sie Vorschläge machen, wie es denn besser gehen würde und wie wir diese große gesellschaftspolitische Aufgabe auch in Zukunft lösen können. Zweitens. Möglichst viele Menschen in unserem Land sollen einen Arbeitsplatz haben. Der Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit steht im Mittelpunkt unserer Arbeitsmarktpolitik. Wir wollen Menschen, die lange arbeitslos sind, Perspektiven bieten. Unser Anspruch ist, Vollbeschäftigung in unserem Land zu erreichen. Wir wollen, dass durch Teilhabe und Integration der erste Arbeitsmarkt das Ziel für alle wird. Unser Sozialstaatsprinzip ist klar: Wir setzen Anreize für Arbeit, nicht für Arbeitslosigkeit. Drittens. Wir, meine lieben Kollegen, wollen Weichen für die Zukunft stellen. Wir dürfen dabei die Leistungsträger unserer Gesellschaft nicht vergessen, die mit ihrer Arbeit unseren Staat am Laufen halten. Sie werden mit zunehmender Unsicherheit und immer schnellerem Strukturwandel konfrontiert. Das ist Nährboden für Populismus. Um dagegen anzukommen, müssen wir die Weichen richtig stellen. Wir müssen die Leistungsträger unserer Gesellschaft entlasten. Das wird auch Aufgabe der Steuerpolitik sein. Wir müssen aber die Maßnahmen zur Verbesserung der Chancen auf dem Arbeitsmarkt auch an den kommenden Herausforderungen ausrichten. Dazu gilt es, wie es unser stellvertretender Fraktionsvorsitzender vorhin angesprochen hat, durch Bildung, Ausbildung, Fortbildung und Weiterbildung auf diesen globalen Strukturwandel zu reagieren. Am Schluss meiner Rede möchte ich noch ganz kurz auf Europa eingehen. Wir diskutieren in der Europäischen Union im Moment sehr stark darüber, wie das Europa der Zukunft aussehen soll. Dazu gehört auch eine Debatte, die unseren Bereich, den Arbeits- und Sozialbereich, betrifft, über die neue europäische Säule sozialer Rechte. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sozialpolitik ist vor allem Politik der Mitgliedstaaten. Dort gehört sie auch hin. Denn wo sonst könnte man am besten auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen als in dem Land, in dem sie leben? ({4}) Europa muss vor allen Dingen koordinieren. Es kann nicht sein, dass man, wenn man nach europäischer Sozialpolitik sucht, sofort auf Meldungen zum Thema Hartz-IV- und Kindergeldbetrug stößt. Es ist Aufgabe der Europäischen Union, zu koordinieren, dafür zu sorgen, dass solchen Dingen Einhalt geboten wird. Das schafft europäische Solidarität; das schafft ein europäisches Miteinander. Meine lieben Kollegen, Zusammenhalt ist das, was diesen Haushalt ausmacht, aber auch das, wofür wir in den nächsten Jahren arbeiten müssen: Zusammenhalt in Europa, damit wir in der Weltgemeinschaft ernstgenommen werden; Zusammenhalt in unserem Land, damit wir in eine gute Zukunft gehen können. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist Michael Groß, SPD-Fraktion. ({0})

Michael Groß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004045, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war die Rede von „Wasserbüffeln“, von „Angst vor der Zukunft“ und davon, dass wir uns Sorgen machen müssen. Ich kann Ihnen nur versprechen – ich habe meinem Minister sehr gut zugehört –: Wir müssen nicht glauben – ich glaube an Gott –, sondern wir müssen zusammenarbeiten, um in dieser Gesellschaft für Gerechtigkeit, Zusammenhalt und soziale Teilhabe zu sorgen. Meine Fraktion wird das in den nächsten vier Jahren tun. ({0}) Wir werden die Dinge umsetzen, die wir im Koalitionsvertrag formuliert haben. Es ist schon viel darüber geredet worden, dass wir eine gute Zeit haben. Vollbeschäftigung ist unser Ziel. Die Arbeitslosigkeit nimmt ab. Hubertus Heil hat richtigerweise darauf hingewiesen, dass es zwei große Dinge gibt, auf die wir achten müssen: Das eine ist die demografische Entwicklung, und das andere ist die Frage: Wie werden sich unser Arbeitsmarkt, unsere Wirtschaft durch Automatisierung, durch digitale Arbeitsplätze und durch digitalisierte Zusammenarbeit revolutionieren? Er hat darauf hingewiesen, dass wir im Bereich der Weiterbildung sehr viel tun wollen. Darüber steht viel im Koalitionsvertrag. Das müssen wir in den nächsten Jahren umsetzen. Wir wollen ein Initiativrecht für Betriebsräte zum Thema Weiterbildung. Wir wollen diejenigen, die sich weiterbilden lassen, finanziell anreizen. Wir wollen im Ministerium – das hat Hubertus Heil angekündigt – eine Denkfabrik zu diesem Thema einrichten. Zu einem weiteren großen Bereich: Wie gehen wir mit den Langzeitarbeitslosen um? Ich komme aus einer Region, in der dieses Thema eine große Rolle spielt. Ich möchte, weil immer die Rede von Leistungsträgern ist, betonen: Es gibt viele Leistungsträger in dieser Gesellschaft, aber auch Langzeitarbeitslose waren Leistungsträger. Wir haben die Verantwortung, für sie einen Schutzschirm aufzuspannen, sie mitzunehmen, dafür zu sorgen, dass die nächste Generation nicht in die gleiche Situation kommt. Deswegen bin ich äußerst dankbar, dass wir es diesmal geschafft haben, für den sozialen Arbeitsmarkt 4 Milliarden Euro zu etatisieren und dafür zu sorgen, dass er ein Regelinstrument wird und nicht nur ein Programm ist. ({1}) Ich glaube, das ist ein wichtiges Zeichen für die Zukunft. Lassen Sie mich zum Schluss etwas zum Thema Rente sagen. Ich halte es aufgrund von Diskussionen mit jungen Menschen, mit Schülerinnen und Schülern für völlig falsch, hier einen Widerspruch aufzubauen, die Generationen gegeneinanderzuhetzen. ({2}) Ich weiß nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass alle, die ich bisher gesprochen habe – Neid spielt hier keine Rolle – sagen: Wir wollen nicht, dass die ältere Generation jetzt verarmt. Wir wollen den Generationenvertrag weiterführen. Wir wollen eine Absicherung der Rente auch in der Zukunft. ({3}) Dafür müssen wir arbeiten. Ich gratuliere der neuen Präsidentin des VdK. Sie hat darauf hingewiesen, dass private Vorsorge richtig und wichtig ist. Noch besser ist tarifliche Absicherung. ({4}) Am besten ist, dass wir als Gesetzgeber eine umlagefinanzierte Rente bauen, die das Fundament und das Haus ist. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Axel Fischer, CDU/CSU. ({0})

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Prall gefüllte Staatskassen: Deutschland geht es gut. Den meisten Menschen in Deutschland geht es gut. Die Wirtschaft brummt. Der Arbeitsmarkt ist robust, und die Steuerquellen sprudeln. Bei aller Kritik der Opposition: Seit 2010 haben wir ein gesundes Wirtschaftswachstum. Auch in diesem und im nächsten Jahr können wir mit weiterem Wachstum rechnen. Die Zahl der Erwerbstätigen liegt in diesem Jahr auf einem erneuten Rekordhoch von 44,4 Millionen. Die Bundesregierung hat den Ansatz für die Hartz-IV-Ausgaben wegen dieser guten Entwicklung sogar um 300 Millionen Euro absenken können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Koalition ist sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst. ({0}) Die Entwicklung der Sozialausgaben im Bundeshaushalt zeigt dies auch deutlich. Lagen diese im Jahr 2014 noch bei 149 Milliarden Euro, sollen sie im Jahr 2018 auf 174 Milliarden Euro steigen. Das sind 25 Milliarden Euro oder 17 Prozent mehr als noch vor vier Jahren. Diese Steigerungen sind im Wesentlichen auf vielfältige zusätzliche Leistungen im Bereich der Rentenversicherung zurückzuführen, wie zum Beispiel Rente mit 63, Mütterrente, verbesserte Erwerbsunfähigkeitsrente oder die Erhöhung des Rehabudgets. Diese waren wichtig und richtig, führen aber natürlich – und auch das müssen wir hier ansprechen – zu einer massiven Erhöhung der Sozialausgaben beim Bund. So sind im Regierungsentwurf für den Haushalt für Arbeit und Soziales für das kommende Jahr knapp 140 Milliarden Euro vorgesehen. Zum Vergleich: Vor vier Jahren waren es knapp 123 Milliarden Euro. Meine Damen und Herren, die Zuschüsse zur Rentenversicherung sowie die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung stellen mit über 100 Milliarden Euro – es wurde schon angesprochen – den größten Block im Bundeshaushalt 2018 dar. Das ist knapp ein Drittel der gesamten Ausgaben des Bundes, über 5 Milliarden Euro mehr als noch 2016. Die Konjunktur ist gut, und so werden auch in diesem Jahr die Renten zum 1. Juli um über 3 Prozent steigen. Hier zeigt es sich: Das Wohl unserer Senioren liegt dieser Bundesregierung am Herzen. Aber nicht nur Mütterrente und Rente mit 63 verursachen eine gewisse Ausgabendynamik, sodass wir auch zukünftig stark wachsende Ausgaben haben werden und den Betrag von 100 Milliarden Euro weiter überschreiten werden. Angesichts der demografischen Entwicklung dürfte sich ohne größere soziale Einschnitte hieran in den kommenden Jahren auch nicht viel ändern. Die Zuschüsse werden absehbar auf immer neue Rekordniveaus anwachsen. Ab 2022 gehen die sogenannten starken Jahrgänge zunehmend in den Ruhestand. Das heißt, von da an wird die Zahl der anspruchsberechtigten Rentenempfänger mehr als ein Jahrzehnt lang Jahr für Jahr überproportional steigen, und darauf müssen wir vorbereitet sein. Daher ist es richtig und wichtig, meine Damen und Herren, dass die Bundesregierung aktuell eine Kommission mit dem Namen „Verlässlicher Generationenvertrag“ eingesetzt hat. Ich hoffe und gehe davon aus, dass sich diese Kommission ihrer wichtigen Aufgabe gewachsen zeigt. Denn in einer freien Gesellschaft ist das Vertrauen der Leistungserbringer in die Gerechtigkeit, Fairness und Belastbarkeit des Generationenvertrags untrennbar mit dessen Bestand verbunden. ({1}) Vertrauen ist das, was letztlich unsere Gesellschaft zusammenhält, Vertrauen insbesondere auch in unsere gesellschaftlichen Institutionen. Es ist überhaupt ein Bärendienst am Vertrauen der Leistungsträger in die Fairness unserer Systeme sozialer Sicherung, wenn Bestrebungen von politischer Seite erfolgreich sind, überfällige Senkungen von Sozialversicherungsbeiträgen durch Schaffung oder Ausdehnung kostenintensiver Aufgaben systematisch zu verhindern. ({2}) Denn die vielfältige Umverteilung über das System sozialer Sicherung – von Jungen zu Alten, von Männern zu Frauen, von Westen nach Osten – soll von den Leistungserbringern dauerhaft akzeptiert und von den Versicherten bejaht werden. Der Sozialbeirat hat in seinem aktuellen Gutachten zum Rentenversicherungsbericht 2017 der Bundesregierung Folgendes ins Stammbuch geschrieben – ich zitiere –: Gerade angesichts der sich abzeichnenden demografischen Herausforderungen und der sich nach geltendem Recht abzeichnenden ungünstigen Entwicklung von Rentenniveau und Beitragssatz drängt der Sozialbeirat darauf, dass Leistungen, für die keine Beiträge gezahlt wurden, in vollem Umfang aus Steuermitteln aufzubringen sind. ({3}) Das gilt für neue Leistungen genauso wie für bereits laufende Leistungen. ({4}) Der Sozialbeirat erinnert in diesem Zusammenhang an seine Forderung, die mit dem Rentenpaket 2014 eingeführten zusätzlichen Mütterrenten aus Steuermitteln zu finanzieren … ({5}) Meine Damen und Herren, das betrifft die Finanzierung zusätzlicher staatlicher Versorgungsleistungen für Senioren jenseits beitragsgedeckter Rentenansprüche. Diese gesamtgesellschaftlichen Aufgaben sind nicht nur von den Arbeitnehmern, sondern von uns allen, das heißt von den Selbstständigen, von Beamten, von Freiberuflern, auch von uns Bundestagsabgeordneten, über Steuern zu finanzieren. ({6}) Schön wäre es, wenn die Bundesregierung dazu eine transparente Übersicht als Diskussionsgrundlage vorlegen könnte. ({7}) Meine Damen und Herren, die Integration der Menschen, die bei uns bleiben dürfen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die bislang nicht zulasten der Arbeitslosen und der Schwächsten unserer Gesellschaft ging und auch zukünftig nicht gehen darf. ({8}) Allerdings beherrschen viele negative Meldungen die Diskussion über die aktuelle Zuwanderung: Berichte über Kriminelle aus Nordafrika, Islamisten aus Afghanistan, organisierte Kriminalität in unseren großen Städten, organisierte Einbrecherbanden aus Osteuropa, rechtsfreie Räume. Kurz: Fortgesetztes Staatsversagen bei der inneren Sicherheit und bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung prägen den Eindruck vieler. ({9}) Worüber deutlich seltener berichtet wird, das sind die Chancen für unsere gealterte und weiter alternde Gesellschaft, die der Zuwachs an vergleichsweise jungen und relativ fortpflanzungsfreudigen Menschen mit sich bringt. Bekannte Stichworte sind beispielsweise Fachkräftemangel, Mangel an Pflegepersonal, lange Wartezeiten im Handwerk und Mangel an Service-, Küchen- und sonstigem Dienstleistungspersonal. ({10}) In Berlin gibt es laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit derzeit zwar 160 000 Arbeitsuchende, aber Sie finden gleichzeitig quer durch die Stadt an Tankstellen, Bäckereien, Einzelhandelsgeschäften und Gaststätten zuhauf Zettel, auf denen steht, dass Arbeitskräfte gesucht werden, und vielfach werden Vollzeitkräfte und keine Aushilfen gesucht. Meine Damen und Herren, geringe Sprachkenntnisse sowie fehlende formale Berufsabschlüsse erschweren oftmals die schnelle Integration Zugewanderter in unseren Arbeitsmarkt und in unsere Gesellschaft. Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass die Bundesregierung für Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen und für die berufsbezogene Deutschsprachförderung nach SGB II und SGB III mehr als 530 Millionen Euro zur Verfügung stellen wird. ({11}) Sie sehen: Wir werden mit Sicherheit interessante und lebhafte Haushaltsdiskussionen führen, auf die ich mich sehr freue. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Weitere Wortmeldungen zum Einzelplan 11 liegen mir nicht vor.

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist Freitagvormittag und wir debattieren über den letzten Einzeletat, über den Etat für Gesundheit. Das Beste kommt also zum Schluss. ({0}) Im Einzelplan Gesundheit geht es um das größte Versprechen, das wir uns innerhalb der Gesellschaft selbst geben. Neben dem Versprechen, über das gerade diskutiert worden ist, nämlich des jederzeit gewährleisteten Existenzminimums, neben dem Versprechen von Sicherheit sowie Zugang zu Bildung, ist das Versprechen, eine für jeden 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag zugängliche, flächendeckende Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, eines der größten Versprechen, die sich eine Gesellschaft geben kann. Dieses umfängliche Versprechen gibt es in vielen Ländern der Welt so nicht. Die Erfüllung dieses großen Versprechens, das uns als Gesellschaft so wichtig ist, ist nicht billig. Der größte Teil der Mittel dafür findet sich nicht im Haushalt des Gesundheitsministeriums wieder, sondern in den Haushalten der Sozialversicherungen, der Krankenkassen und der Pflegekassen. Man darf auch nicht vergessen, dass es die Bürgerinnen und Bürger sind, die für dieses große Versprechen bezahlen. Deshalb ist es gar nicht so schlecht, dass uns gestern im Bereich der Pflegefinanzen noch einmal vor Augen geführt worden ist, dass Zusätzliches eben auch zusätzlich kostet; denn dass sich ein Defizit in den Pflegekassen abzeichnet, liegt daran, dass Pflegebedürftige und deren Angehörige von der Gesellschaft mehr unterstützt werden als bisher, und das war so gewollt. Das ist die Folge von zwei wichtigen Pflegereformen in der letzten Legislatur, in denen es darum ging, vor allem im ambulanten Bereich mehr Unterstützung zu gewährleisten und insbesondere Menschen mit Demenz, mit zusätzlichem Betreuungsbedarf, und auch ihre pflegenden Angehörigen zu unterstützen. Die Nachfrage nach diesen neuen Leistungen ist aber unterschätzt worden. Es ist unterschätzt worden, wie viele Menschen diese Möglichkeit zur Verbesserung ihrer Situation in Anspruch nehmen können. Die Auswertung der ersten vier Monate des Jahres 2018 hat ergeben, dass das Defizit in den Pflegekassen voraussichtlich um die 3 Milliarden Euro betragen wird und damit dreimal so hoch ausfallen wird wie ursprünglich angenommen. Deshalb habe ich bei uns im Ministerium veranlasst, dass wir uns mit den Vertretern der Pflegekassen zusammensetzen und intensiv schauen, was zu dieser unerwarteten Entwicklung in den letzten Monaten geführt hat. Wir werden eine gründliche Bewertung vornehmen, einen Kassensturz machen und dann unter Berücksichtigung der Maßnahmen, die wir als Koalition als zusätzliche Verbesserungen in den nächsten Jahren geplant haben, eine Gesamtschau der Finanzlage der Pflegeversicherung in den nächsten Jahren erstellen. Eines zeichnet sich jetzt schon ab – ich finde, so ehrlich muss man in einer solchen Debatte über die Finanzen sein –: Der Pflegeversicherungsbeitrag wird erhöht werden müssen, spätestens ab dem nächsten Jahr. Dabei geht es auch um die Frage, was wir uns als Gesellschaft im Bereich der sozialen Sicherung leisten wollen. Wir Deutschen wollen – das ist auch in anderen Debatten, auch in der Debatte über den Sozialetat deutlich geworden – grundsätzlich einen hohen Sozialstandard. Das ist völlig in Ordnung; aber dann muss man auch kommunizieren – das ist ein wichtiger Punkt in Haushaltsdebatten –, dass man dafür eine faire, gute, aber auch nachhaltige Finanzierung braucht. Sozialaufbau kostet Geld, auch in der Pflegeversicherung. Das Gute ist, dass wir heute eine andere Situation in den sozialen Sicherungssystemen haben als vor 10, 15 Jahren. Ich – das sage ich als Gesundheitsminister, aber auch als Mitglied des Deutschen Bundestages, das schon ein paar Jahre Gesundheits- und Pflegepolitik macht – habe lieber Streit darüber, wie wir mit Rücklagen und Überschüssen umgehen, als Streit darüber, wie wir Defizite – solche hatten wir bei hoher Arbeitslosigkeit vor 15 Jahren in Milliardenhöhe – bekämpfen können. Deswegen muss man sagen: Wir haben eine gute Ausgangslage. Das ist in der ganzen Woche deutlich geworden. Wir reden über Rekordbeschäftigung, steigende Löhne und Renten, grundsätzlich gut gefüllte Sozialkassen, einen soliden Staatshaushalt und Überschüsse bei Bund und Ländern. Das zeigt: Wir können uns tatsächlich mehr leisten. Das ist eine gute Ausgangssituation für die Sozialpolitik, für die Gesundheitspolitik und für die Pflegepolitik. Das ist eine gute Perspektive für die nächsten Jahre. ({1}) Es geht aber nicht nur darum, auf die nächsten ein, zwei Jahre zu schauen. ({2}) Wir müssen auch gemeinsam im Blick behalten, dass steigende Sozialausgaben zu einer Überforderung künftiger Generationen führen können, wenn das insgesamt falsch gemacht wird. Nicht umsonst haben wir im Bereich der Rentenversicherung eine Kommission eingesetzt, die sich die demografische Entwicklung in Deutschland über die Jahre 2025, 2030 hinaus anschauen soll; denn – das wird in manchen Diskussionen vergessen – die eigentliche demografische Veränderung steht uns noch bevor. In den 2030er-Jahren werden jedes Jahr doppelt so viele Menschen in Rente gehen, aus dem Erwerbsleben ausscheiden, als aus den Schulen in die Arbeitswelt nachrücken. Das führt zu großen Herausforderungen für den Bereich der Krankenversicherung hinsichtlich der Finanzierung, aber auch hinsichtlich der Leistungen. In vielen Diskussionen in den vergangenen Monaten und Jahren habe ich den Eindruck gewonnen, dass allen Generationen klar ist, dass gerade im Bereich der Pflege dringender Handlungsbedarf besteht. Ich habe den Eindruck, dass eine grundsätzliche Bereitschaft vorhanden ist, höhere Beiträge zu zahlen. Wir haben uns für diese Legislatur viel vorgenommen. Es geht darum, den Pflegeberuf attraktiver zu machen. Es geht auch darum, ausgebildete Pflegekräfte, die den Beruf aus welchen Gründen auch immer – Familie, Frust – verlassen haben, zurückzugewinnen. Dazu sind Vorschläge aller Art willkommen; die wird man sich in Ruhe anschauen. Es geht darum, die Abwärtsspirale, die wir in den letzten Jahren in den Bereichen Kranken- und Altenpflege gesehen haben, umzukehren. Wir müssen deutlich machen: Wir haben wahrgenommen, wie schwierig die Situation im Alltag für viele Pflegekräfte ist. Wir wollen Schritt für Schritt – das geht nicht in zwei Wochen –, Maßnahme für Maßnahme Verbesserungen erreichen. Dazu gehören die neue Pflegeausbildung ab dem 1. Januar 2020 und die Perspektive, die sich damit in diesem Beruf ergibt, sowie unser geplantes Sofortprogramm für Pflegestellen. Mein Vorschlag ist, den Krankenhäusern zu sagen, dass jede neue Stelle, die geschaffen und besetzt wird, in der nächsten Zeit auch finanziert wird, und gleichzeitig im Bereich der Altenpflege deutlich zu machen, dass bei jeder der 13 000 stationären Pflegeeinrichtungen in Deutschland zusätzliche Pflegekräfte ankommen sollen, zu 100 Prozent aus der Sozialversicherung finanziert. Denn nur solch konkrete, einfache, aber solide untermauerte und finanzierte Maßnahmen machen es am Ende möglich, Vertrauen zurückzugewinnen. Ich denke, dafür sind diese klaren Botschaften wichtig. ({3}) Begleitet wird dies von der Debatte – wir werden sie natürlich führen –, wie wir die Pflegefinanzierung in den Krankenhäusern aus den Fallpauschalen ausgliedern und sicherstellen, dass das Geld, das den Krankenhäusern für die Pflege gezahlt wird, auch tatsächlich für Pflege und Pflegekräfte eingesetzt wird. Es geht um Pflegepersonal­untergrenzen, auch über die pflegesensitiven Abteilungen und Bereiche hinaus, und um eine Tariffinanzierung im Hinblick auf die Pflege in den Krankenhäusern. Dies wollen wir verknüpfen mit der „Konzertierten Aktion Pflege“, die sich neben der Schaffung und Finanzierung von Stellen vor allem mit der Frage beschäftigen soll, wie wir diese Stellen anschließend besetzen und den Pflegeberuf – von der Ausbildung über die Rückgewinnung von Pflegekräften bis in viele andere Bereiche hinein – attraktiver machen können: durch Wertschätzung, eine angemessene Bezahlung und mehr Zeit für Patienten und Pflegebedürftige. Im Bundeshaushalt finden sich auch Mittel, die notwendig sind, um diesen Prozess zu begleiten, und zwar mit Informationen und Kampagnen rund um das Thema Pflege. Aber entscheidend ist, dass erst einmal die Inhalte und die Maßnahmen stimmen. Anschließend kann und sollte man sie natürlich mit einer Kampagne begleiten, damit die Botschaft ankommt, dass diese Gesellschaft, diese Bundesregierung und die Politik insgesamt das, was jeden Tag von Hunderttausenden Pflegekräften in Deutschland geleistet wird, wertschätzen, dass wir wahrgenommen haben, wie schwierig die Situation an vielen Stellen ist, und vor allem, dass wir jetzt sehr zügig und ganz konkret helfen und den Alltag der Pflegekräfte verbessern werden. ({4}) Darüber hinaus geht es um die Veränderung von Strukturen in diesen guten Zeiten. Wir werden uns über die sektorübergreifende Versorgung und über die Frage unterhalten, wie wir den Zustand bei den Wartezeiten – es geht unfair bei der Vergabe von Terminen zu – verbessern können. Parallel dazu führen wir eine Debatte im Hinblick auf die Krankenversicherungen. Dort haben wir Überschüsse und Rücklagen in Höhe von fast 30 Milliarden Euro. Durch die Wiederherstellung der paritätischen Beitragsfinanzierung, die wir in Angriff nehmen werden, wollen wir die Arbeitnehmer entlasten. Ich glaube, es besteht darüber hinaus auch Spielraum für Beitragssatzsenkungen – das ist am Ende auch fair gegenüber denjenigen, die das alles finanzieren –, insbesondere bei den Kassen, die sehr hohe Rücklagen haben. Wir wollen Leistungsverbesserungen, und wir wollen, dass sie sauber und mit Blick auf die Zukunft finanziert werden. Wir wollen aber auch, dass diejenigen, die jeden Morgen aufstehen, arbeiten gehen und mit ihrer Tatkraft am Ende all das, was wir leisten, finanzieren, nicht übermäßig belastet werden. Wenn wir das zusammen in den Blick nehmen, wird das, glaube ich, eine runde Sache. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Axel Gehrke, AfD. ({0})

Prof. Dr. Axel Gehrke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004725, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Volksmund heißt es: „Neue Besen kehren gut.“ Insofern haben wir Ihre engagiert vorgetragenen Ausführungen, Herr Spahn, mit großem Interesse verfolgt. Aber trotz allem: Zeichen eines bedeutsamen Wechsels in der Gesundheitspolitik haben wir leider nicht erkennen können. Ganze 0,3 Prozent Steigerung und 0,15 Prozent jährlichen Zuwachs bis 2022 haben Sie für Ihren Haushalt herausgeholt. ({0}) Im Bereich der Gesundheit sollte doch verhandelt werden, bis es quietscht. Jetzt gibt es sechs priorisierte Ziele. Das Wort „Gesundheit“ kommt darin gar nicht mehr vor. Entsprechend der Verbannung aus der Prioritätenliste mangelt es in Ihrem Ressortplan an vollfinanzierten Neuinvestitionen. Selbst bei den zugestandenen sogenannten Spielräumen wurde Ihr größter Spielraum, die Asylrücklage, schon verbraucht, wie wir gestern erfahren haben. Nein, Herr Spahn, das ist kein neuer Besen, das ist bestenfalls ein alter Besen mit neuen Borsten. ({1}) Welche Botschaften vermitteln uns nun die Koalitionäre? Sie, Herr Professor Lauterbach, wurden kürzlich mit den Worten zitiert: Es gibt wenige Bereiche, die so betrugsanfällig sind wie das Gesundheitswesen. Das ist der Geist der vergangenen zwölf Jahre: ({2}) Missgunst, Misstrauen und Verdächtigungen. ({3}) Und so spiegelt auch dieser Haushaltsplan das typische kostenintensive Verhalten einer zunehmenden Planwirtschaft wider, eines Systems, in dem einer dem anderen misstraut und deswegen immer mehr Kontrollen eingebaut werden müssen. Mit zunehmender Regulierungswut steigen die administrativen Aufgaben, die Leistungserbringung sinkt. ({4}) Wir haben einen anderen Ansatz. Uns ist ein kooperatives Miteinander wichtiger als ein misstrauendes Gegeneinander, und so werden wir die Positionen im Haushalt auch gewichten. Fragen Sie doch mal in Ihrem Wahlkreis. Sie werden kaum Menschen finden, die nicht Zweifel haben, ob ihr eingezahltes Geld wirklich nur für Gesundheit ausgegeben wird. Und recht haben diese! ({5}) Knapp 20 Prozent der Gesamtausgaben der GKV werden für sogenannte versicherungsfremde Leistungen abgezweigt. Die OECD sieht im deutschen Gesundheitssystem allein durch den Rückbau ausufernder Bürokratie ein Einsparpotenzial von noch mal 20 Prozent – bei gleichbleibender Leistung selbstverständlich. ({6}) Entsprechend werden wir vorschlagen, im vorliegenden Haushaltsplan alle Bereiche zu schwächen, die die Bürokratie unnötig aufblähen, um dafür in fördernswerte Positionen zu investieren. Das sind für uns die Pflege, die flächendeckende Versorgung und vor allem der Rückbau des menschenverachtenden DRG-Systems im Krankenhaus. ({7}) Genauso wichtig ist uns aber eine verbesserte Vor- und Nachsorge. In der Prävention vermissen wir Positionen zur Unterstützung von Patientenselbsthilfegruppen sowie Maßnahmen, um dem dramatischen Verfall der Gesundheitskompetenz entgegenzuwirken und Bildungsferne und Sozialschwache viel stärker als bisher in die Gesundheitsförderung einzubeziehen. Prävention bedeutet auch arbeitsmedizinische Vorsorge sowie Förderung körperlicher und mentaler Aktivität im Altenheim. Es ist nie zu spät – auch nicht für Senioren. Das Gleiche gilt für die Rehabilitation. Wir vermissen Positionen, mit denen die diesbezügliche Forschung an den Universitäten gestärkt wird. Wir wollen die Frührehabilitation direkt an Schwerpunktkliniken anbinden, damit sogenannte blutige Verlegungen endlich der Vergangenheit angehören. Und noch ein Beispiel für die Schieflagen dieses Systems: Letztens hat ein Bürger mit der Bitte an den Gesundheitsausschuss geschrieben, ihm zu helfen, eine Brille zu bekommen. Wieso schreibt man dafür an den Bundestag? Ich habe mir daraufhin einmal die Krankenkassenregelung durchgelesen. Eine Brille bekommt nach den GKV-Richtlinien nur, wer zum Beispiel auf einem Auge blind ist und auf dem anderen maximal 30 Prozent sehen kann. Ein Zyniker würde sagen: Dafür, dass man fast blind ist, bekommt man in diesem Gesundheitssystem eine Brille dazu. Meine Damen und Herren, die Techniker Krankenkasse hat allein 2017  561 Millionen Euro Gewinn erzielt. Das Geschäft lohnt sich offenbar. Wir haben gehört: Mit Gewinn und Gesundheitsfonds sitzen die Kassen derzeit auf 28 Milliarden Euro. ({8}) 2017 hatten wir einen Steuerüberschuss in Höhe von 15 Milliarden Euro. Der IWF bezeichnet das deutsche Subventionssystem als „völlig aus dem Ruder gelaufen“. Wir sind Hochsteuerland Nummer zwei der Welt. Deutschland erstickt im bei seinen Bürgern abgeschöpften Überfluss. In dieser Situation bieten wir diesen Bürgern ein Gesundheitssystem, in dem selbst für dringend notwendige Medikamente zugezahlt werden muss, Vorsorgeleistungen nicht bezahlt werden, selbst für billigsten Zahnersatz lediglich ein Festzuschuss von 60 Prozent bewilligt wird, Schwerstkranke sich mit MDK-Gutachten und Sozialgerichten herumschlagen müssen, es mehr Kassenmitarbeiter als niedergelassene Ärzte gibt, zurzeit ernsthaft diskutiert wird, bestimmte Krebsmedikamente nicht mehr zu bezahlen, weil sie das Leben im Schnitt nur um drei bis sechs Monate verlängern, die Beiträge zur Pflegekasse, wie wir gerade gehört haben, auch noch steigen und Versicherte fast blind werden müssen, bevor sie eine Brille bekommen. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ganz klar: Dieses Gesundheitssystem hat fertig. ({9}) Medizin muss wieder menschlich werden. Die Ökonomie gehört hinter die Medizin und nicht umgekehrt. In diesem Sinne werden wir einen Haushaltsentwurf vorlegen. Sie werden ihn ablehnen, wie Sie als überzeugte Demokraten alles von der AfD ablehnen. Aber Sie werden sich später daran messen lassen müssen, und wir sind ganz sicher, dass die Messlatte zu unseren Gunsten ausfallen wird. Vielen Dank. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Karl Lauterbach, SPD. ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur zwei ganz kurze Korrekturen, sodass das nicht so stehen bleibt. Die Techniker Krankenkasse kann wie jede andere gesetzliche Krankenkasse keine Gewinne machen, sondern nur Überschüsse. ({0}) Gewinne können nur private Krankenversicherungen machen. Zu deren Abschaffung habe ich von Ihnen noch nie etwas gehört. ({1}) Der zweite Punkt ist: In Deutschland – das ist ein Unterschied zu jedem anderen europäischen Land – kann kein Krebsmedikament vom Markt genommen werden, auch nicht vom Gesundheitsminister und nicht von uns; es sei denn, es schadet mehr, als es nutzt. Wir sind das einzige Land, das jedes neue Krebsmedikament automatisch erstattet. Über den Preis kann verhandelt werden, aber wir haben kein System, das Krebsmedikamente vom Markt drängt. Darauf können wir stolz sein. ({2}) Wir sind das einzige Land, welches sich dies leistet, und ich finde das richtig. Von daher ist das, was Sie gesagt haben, schlicht falsch. Wir haben hier Schwerpunkte zu setzen. Die Schwerpunkte sind: Pflege, Finanzierung und Qualität. In der Altenpflege, der Pflege älterer Menschen, haben wir die Situation, dass die Beitragssätze steigen werden, weil wir die Pflegeversicherung verbessert haben. Wir werden die Demenzkranken besser versorgen, als wir es bisher gemacht haben. Aber das ist nur ein Zwischenschritt. Es fehlen uns in der Altenpflege wahrscheinlich zwischen 50 000 und 100 000 Pflegekräfte – bereits jetzt und bei steigendem Bedarf. Das heißt, unsere Aufgabe muss es sein, hier einen Neustart zu machen: Wie bekommen wir die Menschen in die Pflege, die wir benötigen? Denn wenn wir es nicht schaffen, dann wird eine ganze Generation – das ist die Generation, die das Land nach dem Krieg aufgebaut hat – im Alter von uns alleingelassen sein, und die Kinder dieser Generation auch. Das können wir uns nicht leisten. ({3}) Die Investition in die Pflege muss ein Schwerpunkt dieser Koalition sein. ({4}) Wir haben dazu ganz konkrete Vorschläge. Minister Spahn hat einige angesprochen. Ich will das ergänzen und ein bisschen konkretisieren. Wir werden in der Pflege auch entbürokratisieren. Pflegepläne, die nie ernsthaft kontrolliert und umgesetzt werden, aber eine wahnsinnige Dokumentation am Pflegebett bedeuten, gehören entschlackt, ja dort womöglich sogar abgeschafft. Das ist eine Riesenbürokratie. Es ist eine Misstrauenskultur, die wir uns nicht länger leisten können. Das demotiviert Menschen, die in der Pflege arbeiten. Die Entbürokratisierung in der Altenpflege muss eine Priorität in dieser Legislaturperiode sein. ({5}) Der nächste Punkt ist: Aus der Pflege sind viele Menschen ausgestiegen. Wir brauchen eine Initiative zur Rückkehr in die Pflege und auch zur Rückkehr in Vollzeit aus Teilzeit. Daher habe ich es gerne gehört, dass Minister Spahn diesen Punkt aufgegriffen hat. Ich hoffe, dass wir dann auch am gleichen Strang ziehen, wenn die Blockaden, die es derzeit in unseren Regierungsverhandlungen noch gibt, aufgelöst werden, und das Rückkehrrecht in Vollzeit aus Teilzeit endlich umgesetzt werden kann. ({6}) Wir müssen es schaffen, dass wir diejenigen, die ausgestiegen sind, wieder gewinnen. Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung hat den Vorschlag gemacht, dass wir dort auch Prämien nutzen. Ich finde diesen Vorschlag innovativ und richtig. Wir sollten tatsächlich darüber nachdenken, wie wir für diejenigen, die in der Pflege bleiben, und diejenigen, die in die Pflege zurückkehren, Anreize setzen können. Das dürfen aber keine Einmalanreize allein sein. Wir müssen die Bezahlung nach Tarif umsetzen. Da gibt es großen Bedarf. Die Hälfte der Pflegeeinrichtungen ist derzeit nicht tarifgebunden. Das ist eine unhaltbare Situation. Daher müssen die Tarifbindung und die Bezahlung nach Tarif einschließlich Anreizen für die Rückkehr in die Pflege ebenfalls sofort erreicht werden. In der Krankenpflege ist das Kernproblem, dass die Fallpauschalen dazu beigetragen haben, dass die Krankenpflege – ich entschuldige mich für meine Ausdrucksweise beim Präsidenten; aber es ist tatsächlich so – kaputtgespart wurde. Wir haben in einer Zeit, in der wir eigentlich mehr Krankenpflegekräfte benötigt hätten, 30 000 abgebaut. Das Geld ist in die Investitionen geflossen, die eigentlich die Länder hätten bezahlen müssen, und ist an Ärzte gegangen, die zum Teil eingestellt wurden mit dem Ziel, mehr Fälle abzurechnen und Gewinne – diese können dort tatsächlich entstehen – zu machen. Das ist falsch. Daher benötigen wir eine Totaloperation an der Fallpauschale. Wir werden die Krankenpflege aus dem System der Fallpauschalen komplett herausnehmen. Wir werden zu einem System zurückkommen, wo die nachgewiesenen Krankenpflegekosten den Krankenhäusern eins zu eins erstattet werden; dort muss es eine Kostendeckung geben. Dann wird jedes Krankenhaus, welches in die Pflege investiert, keine Verluste machen und die Qualität seiner Versorgung verbessern können. Das schulden wir den Pflegekräften; das schulden wir den Patienten; das schulden wir dem System. ({7}) Eine Rückkehr zur Kostendeckung in der Pflege – weg von den Fallpauschalen – erfordert eine Totaloperation; diese müssen wir dringend vornehmen. ({8}) Ich sage ganz klar: Das wird Geld kosten. Dafür benötigen wir die Parität. Die Parität werden wir umsetzen. Es kann nicht sein, dass diese massive Investition allein von den Arbeitnehmern durch Zusatzbeiträge getragen wird. Daher werden wir die Parität für den gesamten Krankenkassenbeitrag einführen. Ich muss auch offen sagen: Ich sehe keinen Spielraum für Beitragssatzsenkungen. ({9}) Sonst haben wir demnächst in der Krankenpflege das gleiche Problem wie in der Altenpflege. Wenn wir jetzt per Gesetz die Rücklagen der Krankenkassen tatsächlich reduzieren, werden wir im nächsten Jahr genau das machen müssen, was wir jetzt in der Altenpflege machen, nämlich die Beitragssätze wieder erhöhen. Das macht keinen Sinn. Das gibt auch keine Planungssicherheit. Wir können doch dankbar sein, dass wir 30 Milliarden Euro als Rücklage haben. Das wird die Beitragssatzentwicklung in den nächsten Jahren etwas abfedern. Aber langfristig werden die Beitragssätze steigen. Daher sind wir grundsätzlich der Meinung, dass die Art und Weise, wie die Krankenkassen wirtschaften, überarbeitet werden muss. Wir brauchen auch eine Veränderung im Finanzausgleich der Kassen. Aber ein Ausschütten der 30 Milliarden Euro – hier sprechen wir über maximal zwei Monatsausgaben bei einigen Kassen – macht keinen Sinn. Das gibt das falsche Signal. Wir müssen investieren und dürfen nicht absenken. Dafür müssen wir stehen – gemeinsam. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Michael Theurer. ({0})

Michael Theurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004914, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lauterbach, wenn man Ihnen so zuhört, hat man den Eindruck, als ob Sie in den vergangenen Jahren nicht an verantwortungsvoller Stelle die Gesundheitspolitik mitgestaltet hätten. ({0}) Wir müssen uns sehr wundern. Sie beklagen Bürokratie. Aber Sie haben daran mitgewirkt. Das ist das Problem der SPD: Sie ist in der Regierung, argumentiert aber, als ob sie in der Opposition wäre. ({1}) Ich möchte zunächst einmal dem Gesundheitsminister Jens Spahn Respekt zollen. Das muss man erst einmal hinbekommen, Herr Spahn: Sie haben es in noch nicht einmal 100 Tagen geschafft, dass es zu Protestdemonstrationen kommt und dass es Unterschriftenlisten gibt, auf denen Hunderttausende unterschrieben haben. Sie haben sich ja in den ersten Tagen zu fast allem und jedem geäußert: zum Kreuzstreit, zu Frontex, zu Hartz IV, nur nicht zur Gesundheitspolitik. ({2}) Wie Sie heute Morgen und in den vergangenen Tagen angekündigt haben – Sie sind ja lernfähig –, wollen Sie praktisch im Handstreich alle Vorhaben, die in den letzten Jahren nicht vernünftig umgesetzt wurden, angehen: die Digitalisierung mit der elektronischen Gesundheitskarte, die dringend notwendige Verbesserung der Pflege, die Notfallversorgung, eine bessere Versorgung mit Ärzten im ländlichen Raum, besserer Zugang zu Fachärzten und die Organspende. Wir brauchen aber keinen Minister der Schlagzeilen, sondern einen der konkreten Umsetzung. ({3}) Ich nenne exemplarisch die Gesundheitskarte. Am Sonntag, 6. Mai, haben Sie in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ philosophiert, die elektronische Gesundheitskarte sei „unattraktiv“; Sie fordern Alternativen. Es dauert nur eine Woche, da rudern Sie zurück, halten an der Gesundheitskarte fest und halten die flächendeckende Versorgung mit teuren Konnektoren für unverzichtbar. Dieser Zickzackkurs, sehr geehrter Herr Minister, sorgt doch nur für Chaos, Verunsicherung und Unruhe. ({4}) Elektronische Medikationspläne – Fehlanzeige! Elektronischer Rezeptversand – Fehlanzeige! Elektronische Patientenakte mit Datenhoheit bei den Patienten – allerhöchstens in der Pipeline. Interoperable Schnittstellen – wieder Fehlanzeige! Die Gematik hat in über zehn Jahren nicht mehr zustande gebracht als einen Stammdatenabgleich. Das ist ein Armutszeugnis, und das europäische Ausland macht vor, wie man es besser machen kann. ({5}) Schaffen Sie endlich die notwendigen Rahmenbedingungen, Herr Minister. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das deutsche Gesundheitswesen ist eines der besten der Welt. Damit das Gesundheitssystem aber fit wird für die Zukunft, brauchen wir einen ordnungspolitischen Kompass. Es muss aufhören, dass Probleme mit Geld zugeschüttet werden. Wir müssen im Gesundheitswesen mehr auf Wettbewerb und weniger auf staatliche Steuerung setzen. ({6}) Am Rande, Herr Minister: In Sonntagsreden fordern Sie die Entlastung der kleinen und mittleren Unternehmen; aber jetzt wollen Sie die Unternehmen, die Arbeitgeber mit der paritätischen Finanzierung der Gesundheitsversorgung belasten. 4,5 Milliarden Euro zusätzliche Belastung für die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, das passt nicht zusammen. Die Arbeitgeber bezahlen heute schon 100 Prozent bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Das ist nicht gerecht. ({7}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das jetzige Gesundheitssystem reguliert, nivelliert, rationiert. Dabei wären – die Überschüsse im Gesundheitsfonds zeigen das – die notwendigen finanziellen Mittel vorhanden, um die Entbudgetierung voranzutreiben und auch die Verbesserung der Pflege zu finanzieren. Das müssen wir jetzt angehen. ({8}) Pflegenotstand: Wir wollen die Situation in der Pflege verbessern. Wir sehen, dass die Pflegerinnen und Pfleger schlechte Arbeitsbedingungen haben. Wir wollen, dass die Pflegerinnen und Pfleger nicht mit Bürokratie belastet werden, sondern mehr Zeit haben, sich um die Menschen zu kümmern. Da helfen aber Einmalprämien nichts, um Pflegerinnen und Pfleger zurückzuholen. Da muss man die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung verbessern. ({9}) Heike Göbel schreibt dazu in der heutigen „FAZ“ – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: Bevor sich weitere solcher kurzsichtigen, kostspieligen Vorschläge breitmachen, sollte der Minister ein Konzept vorlegen, das die Ursachen … wirklich bekämpft – und in einer alternden Gesellschaft langfristig finanzierbar ist aus den Beiträgen zur Pflegeversicherung. Ende des Zitats. – Herr Minister Spahn, Ankündigungen alleine reichen nicht aus. Nutzen Sie die Chancen des technischen Fortschritts und des Wettbewerbs! Schaffen Sie Freiräume für die Menschen im Gesundheitswesen! Setzen Sie auf den Wettbewerb! Die Bürgerinnen und Bürger erwarten konkrete Lösungen, die nur durch die Kreativität und den Leistungswillen im Gesundheitswesen erreicht werden können, nicht durch Regulierung und staatliche Zwangsrationierung. ({10}) Wir helfen Ihnen als Serviceopposition gerne dabei, ({11}) unser Gesundheitswesen zukunftsfähig und menschenfreundlich zu machen. Vielen Dank. ({12})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Als Nächstes hat das Wort die Kollegin Gesine Lötzsch für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Leider ist die Situation in unserem Land so, dass wir nicht nur eine Zweiklassen-, sondern sogar eine Dreiklassenmedizin haben. Es muss für einen Gesundheitsminister die zentrale Herausforderung sein, mit dieser Situation Schluss zu machen. ({0}) Über längere Wartezeiten in den Zimmern, wo Kassenpatienten sitzen, wurde in den Medien schon viel berichtet; getan hat sich wenig. Aber noch schwerwiegender ist die Abwanderung von niedergelassenen Ärzten in Regionen, in denen viele Privatpatienten leben. Ich kann das am Beispiel meiner Heimatstadt Berlin sehen, wo deutlich mehr Fachärzte von Ost- nach Westberlin abwandern. In Zehlendorf gibt es einfach mehr Privatpatienten als in Lichtenberg, und darum entsteht eine ungleiche Verteilung. Es gibt eine Lösung dafür. Die Lösung heißt solidarische Bürgerversicherung, ({1}) die Schluss macht mit der Aufteilung der Patienten in gesetzlich und privat Versicherte. ({2}) – Das ist kein Gespenst, sondern es ist eine sehr vernünftige Forderung. ({3}) Mit dieser Forderung ist auch die SPD in die Koalitionsverhandlungen gegangen. Schade, leider hat sie das nicht durchgesetzt. Sie ist nach wenigen Stunden eingeknickt. Sie müssen diese Forderung wieder aufnehmen und umsetzen. Uns haben Sie dabei an Ihrer Seite. ({4}) Ein großes Thema – in dieser Woche gab es hier auch einen Parlamentarischen Abend dazu – ist die Situation von schwangeren Frauen und die Frage, wo sie eine Hebamme finden. In meine Sprechstunde kam eine schwangere Frau, die in einem Bezirk mit 300 000 Einwohnern keine Hebamme finden konnte. Gleichzeitig schließen in jedem Jahr mehr Kliniken ihre Geburtsstation. 2016 gab es mit 690 Entbindungsstationen ein Fünftel weniger in Deutschland als zehn Jahre zuvor. Diese Entwicklung spüren Frauen besonders schmerzlich, wenn überfüllte Kliniken sie kurz vor der Geburt abweisen. Man kann und will sich solche Situationen eigentlich gar nicht vorstellen. ({5}) Laut einer Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe passierte das im zweiten Halbjahr 2017 in einem Drittel der 200 befragten Krankenhäuser. Als wichtigste Ursachen wurde ein Mangel an Hebammen, an Kreißsälen sowie an Betten für Frühchen genannt. Das sind doch unhaltbare Zustände, meine Damen und Herren. ({6}) Im Koalitionsvertrag versprechen Sie wohnortnahe Geburtshilfe. Wann können schwangere Frauen mit der Erfüllung dieses Versprechens rechnen? Für die Männer mal zur Information: Eine Schwangerschaft ist irgendwann zu Ende; sie lässt sich nicht ewig ausdehnen. ({7}) Zur dritten Klasse, auf die ich eingangs hingewiesen habe, gehören Menschen, die gar keine Krankenversicherung haben. Nach Deutschland kommen im Rahmen der Freizügigkeit Menschen aus der ganzen EU – wir alle haben das begrüßt –, aber diese Menschen sind häufig nicht krankenversichert. Sie bekommen in Krankenhäusern eine Notbehandlung, und das war es dann auch. ({8}) Ich finde, wenn hier über Europa große Worte verloren werden, dann müssen wir uns auch den ganz irdischen Dingen zuwenden. Jeder Mensch, der in der Europäischen Union lebt, muss eine ärztliche Behandlung bekommen, wenn er sie benötigt. Deshalb brauchen wir innerhalb der EU eine europäische Krankenversicherung, meine Damen und Herren. ({9}) Die Krankenhäuser in unserem Land haben nicht nur zu wenig Personal; sie haben auch mit einem Investitionsstau zu kämpfen. Teilweise werden aus Not Personalmittel genutzt, um dringende Reparaturen zu tätigen. Nun wissen wir alle, dass für die Investitionen die Länder zuständig sind. Aber trotzdem sollte der Bund den Ländern helfen, den Investitionsstau in den Krankenhäusern aufzulösen. Mit einer jährlichen Finanzhilfe von 2,5 Milliarden Euro aus Bundesmitteln, so wie das Die Linke in den vergangenen Jahren beantragt hat, kann der heute bestehende Investitionsbedarf bei den Krankenhäusern in den kommenden Jahren abgebaut werden. Das ist finanzierbar, wenn wir nicht an der roten Null festhalten und wenn wir Vermögen in unserem Land endlich gerecht besteuern. ({10}) Meine Damen und Herren, im Gesundheitssystem ist viel Geld: 11,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Darum müssen wir dafür sorgen, dass dieses Geld auch wirklich bei den Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, ankommt und vor allen Dingen bei den Patientinnen und Patienten. Wir können nicht länger hinnehmen, dass Gesundheit ein Megageschäft für Pharmaindustrie und Krankenhauskonzerne ist. Dafür, denke ich, trägt der Gesundheitsminister Verantwortung. Wir werden das im Auge behalten und dafür sorgen, dass dieses Geld gerecht verteilt wird und wirklich dort ankommt, wo es gebraucht wird, und nicht auf privaten Konten. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin Maria Klein-Schmeink. ({0})

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Vorfeld der GroKo-Verhandlungen war es der Abgeordnete Jens Spahn, der provokant gefragt hat, ob denn jetzt alles so weitergehen solle wie bisher. Deshalb, lieber Jens Spahn, sind wir auf diesen ersten Haushalt des Gesundheitsministers Jens Spahn natürlich sehr gespannt gewesen. Die Erwartungen lagen hoch. Ich muss sagen: Wir sind leider sehr, sehr enttäuscht worden; ({0}) denn es ist ein Haushalt des Weiter-so, ein Haushalt ohne Zukunft. Jedenfalls legen Sie uns darin keine Antworten auf die drängenden Fragen im Gesundheitswesen vor. Das ist bedauerlich. ({1}) Ich vermisse Gestaltungskraft, Verantwortung für eine nachhaltige Finanzierung, Antworten auf Defizite in der Versorgung – eben wurden schon etliche genannt –: Fachkräftemangel, der nicht nur die Pflege angeht, Investitionen in eine zukunftstaugliche Versorgungsstruktur. Bisher sehe ich da wenig im steuerfinanzierten Haushalt. Auf die drängendste Baustelle, die Pflege, gehe ich an dieser Stelle nicht ein; das wird gleich ausführlich Kollegin Schulz-Asche tun. Sie haben eben in Ihrer Rede, Herr Minister, das Schwergewicht auf den Bereich der Pflege gelegt, aber das geschah nicht aus Erkenntnis – so würde ich persönlich sagen – oder war zumindest nicht geprägt durch Erkenntnis, sondern war getrieben von den Problemen, die wir in der Bundesrepublik gerade in diesem Bereich real haben. Von daher freuen wir uns, dass Sie sich dem jetzt stellen; aber es ist eine späte Erkenntnis. ({2}) Wenn man den Etat betrachtet, so stellt man fest, dass es natürlich ein kleiner Etat ist: ({3}) 15,2 Milliarden Euro, 4,5 Prozent des Bundeshaushaltes. Das ist nicht viel. Das zeigt aber auch, dass wir viele Bereiche des Gesundheitswesens, den übergroßen Teil, über Beiträge finanzieren. Wenn ich aber schaue, was Sie in Ihrem Haushalt machen, dann finde ich keine Ansätze dafür, dass Sie sich um die Fachkräftesicherung bei allen Gesundheitsberufen sorgen. ({4}) Ich finde nichts dazu, dass Sie die Akademisierung der Hebammenausbildung vorantreiben. ({5}) Im Gegenteil: Wir müssen fürchten, dass Sie das aussitzen wollen. Ich finde nichts zur Schulgeldfreiheit der Ausbildung in Heilberufen. ({6}) Und ich finde nichts bezüglich Weiterbildung der Psychotherapeuten. Einen Stillstand bei alldem können wir uns aber an dieser Stelle nicht leisten. ({7}) Kommen wir zu den Ausgaben für die Digitalisierung. Wo bleiben eigentlich die Mittel für Ihr Prestigeprojekt schlechthin? Wo sind die Steuermittel, um unsere Krankenhäuser fit zu machen für eine moderne IT? Derzeit ist gerade einmal ein Drittel unserer Krankenhäuser überhaupt technisch in der Lage, eine elektronische Patientenakte vorzusehen. Wir haben ein Riesendefizit in diesem Bereich. ({8}) Immerhin hatten wir im Rahmen von Jamaika verhandelt, dass 1 Milliarde Euro nur für die Digitalisierung der Krankenhäuser bereitgestellt wird. Ich sehe an dieser Stelle eine gewaltige Lücke zwischen dem öffentlichen Tamtam und den realen Gegebenheiten. ({9}) Also: Da müssen Sie noch kräftig nachlegen. Schauen wir noch auf die große Lücke, die sich im Vergleich Ihrer Ausführungen zu den Festlegungen im Koalitionsvertrag ergibt. Da ist die Rede davon, dass Sie die die schrittweise Einführung von kostendeckenden Beiträgen für die ALG‑II-Beziehenden aus Steuermitteln finanzieren wollen. Ich finde nichts dazu in diesem steuerfinanzierten Haushalt. Das ist eigentlich wieder ein Beleg für ein Weiter-so. Sie lassen die Versichertengemeinschaft weiterhin gesamtgesellschaftliche Aufgaben schultern. Das ist nicht in Ordnung; denn das Geld, das für diese Aufgaben ausgegeben wird, fehlt, um wirkliche Zukunftsaufgaben anzugehen. ({10}) Kommen wir zur Beitragsfinanzierung. Da hat die SPD – das muss man sagen – einen wirklich wichtigen Punkt gemacht. Mit der Wiederherstellung der Parität bei der Finanzierung, die hoffentlich auch zum 1. Januar 2019 kommt, haben wir endlich wieder eine gerechte Finanzierung, die Beteiligung der Arbeitgeber. Wir sehen ja an dem Umfang von 6,9 Milliarden Euro, um wie viel die Versichertengemeinschaft entlastet wird und wie hoch der Solidarbeitrag der Versicherten für die Arbeitgeber in der Vergangenheit gewesen ist. Es ist wichtig und richtig, dass das jetzt endlich ein Ende hat. ({11}) Ich muss sagen: Es ist schon ein typischer Spahn, wenn dann, statt über diesen wichtigen Punkt der Entlastung zu reden, über die Auflösung der Krankenkassenrücklagen geredet wird – ein Vorschlag, für den Gesetze geändert werden müssten und der überhaupt nicht abgestimmt ist. Das würde letztendlich dazu führen, dass es zu einem Beitrags-Jo-Jo kommt, von dem die Versicherten wenig profitieren würden, dass aber zugleich die Gelder, um die es geht, fehlen würden, um wichtige Aufgaben anzugehen. ({12}) In diesem Sinne kann ich nur sagen: Minister Jens Spahn, schauen Sie noch einmal in Ihren Haushalt, schauen Sie, und verhandeln Sie mit dem Finanzminister! Im Finanzministerium kennen Sie sich ja aufgrund Ihrer früheren Tätigkeit dort gut aus; Sie kennen den Etat gut und wissen, wie man da verhandeln muss. Sie haben einiges zu bringen, um die Steuerfinanzierung von wichtigen Aufgaben hinzubekommen. Nur so haben wir auf Dauer ein handlungsfähiges Gesundheitswesen. Danke schön. ({13})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Hennrich für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Hennrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003551, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einem außergewöhnlichen Lob für den Abgeordneten Gehrke beginnen, weil das die erste Rede der AfD war, in der das Wort „Flüchtling“ nicht vorkam und in der der Flüchtling nicht für alles verantwortlich gemacht wurde. ({0}) Lieber Herr Theurer, es hat mich gepfupfert, dass Sie in Ihrer Rede Minister Spahn beim Thema Digitalisierung angehen. Ich bin seit 16 Jahren im Deutschen Bundestag und habe 4 Jahre FDP-Minister miterlebt. Ich kann mich an Diskussionen und Debatten mit Jens Spahn erinnern, in denen wir Herrn Rösler und Herrn Bahr bekniet haben, mehr beim Thema Digitalisierung zu machen. Einmal ging es um 50 Cent für einen elektronischen Entlassbrief. Selbst dazu war man nicht bereit. ({1}) Deswegen ist es, glaube ich, nicht angebracht, dass Sie uns dafür verantwortlich machen. Sie hätten wunderbare Dinge auf den Weg bringen können. ({2}) Was von 4 Jahren FDP an der Spitze des Gesundheitsministeriums übrig bleibt, ist die Abschaffung der Praxisgebühr. Das ist der größte Sündenfall in 16 Jahren Gesundheitspolitik. Demgegenüber wäre Eigenverantwortung wichtig gewesen. ({3}) – Dazu habe ich andere Informationen. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir reden heute über den Einzelplan Gesundheit mit einem Gesamtvolumen in Höhe von 15,2 Milliarden Euro. Lieber Herr Gehrke, Sie kritisieren, dass es nur eine Erhöhung von 41 Millionen Euro gab. Ich glaube, es ist ein ganz wichtiger Punkt, deutlich zu machen, dass das ein Zeichen von Stabilität ist. Wenn man die zurückliegenden Jahre betrachtet und sieht, wie schwierig es bei der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung war, dann ist es, glaube ich, gut, zu wissen, dass wir in diesen Bereich Kontinuität hineingebracht haben und dass wir den Steuerzuschuss in Höhe von 14,5 Milliarden Euro unverändert lassen. Das ist in doppelter Hinsicht ein gutes Zeichen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Michael Hennrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003551, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. – Zum einen ist es ein klares Bekenntnis dazu, dass versicherungsfremde Leistungen weiterhin als gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachtet werden, und zum anderen zeigt es das hohe Maß an Stabilität im System. Im Gesundheitsfonds haben wir Rücklagen in Höhe von 9 Milliarden Euro. Bei den gesetzlichen Krankenkassen haben wir Rücklagen in Höhe von 20 Milliarden Euro. Das versetzt uns in die Lage, uns um Leistungsverbesserungen kümmern zu können. In dieser Legislaturperiode sollten die Themen „Pflege“ und „Pflegeberufe“ im Mittelpunkt stehen. In der letzten Legislaturperiode haben wir den Akzent auf das Thema Leistungsverbesserung gelegt. In dieser Legislaturperiode müssen wir uns aber in erster Linie um die Pflegeberufe kümmern. Es war ein gutes und wichtiges Zeichen, dass Herr Westerfellhaus einen Aufschlag in dieser Diskussion gemacht hat. Ich glaube, es ist ein gutes Zeichen in dieser Legislaturperiode, lieber Jens Spahn, dass man Vorschläge machen kann, dass man diese Arbeit konstruktiv-kritisch begleitet. Dafür ein herzliches Dankeschön. In Bezug auf den Vorschlag von Herrn Westerfellhaus hat sich die Debatte an der Frage der Prämien entzündet. Ich gebe ganz offen zu, dass ich das nicht für ein kluges und gutes Instrument halte, weil es ein schlechtes Signal an diejenigen ist, die über Jahre in der Pflege arbeiten. ({0}) Aber es gibt einen zweiten Vorschlag, den ich superspannend und interessant finde. Dabei geht es um die Frage, ob diejenigen, die schon länger in der Pflege arbeiten, ihre Arbeitszeit reduzieren können – bei vollem Lohnausgleich. Das ist ein interessanter Gedanke. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir das weiterverfolgen. Aber es sollte nicht nur darum gehen, Leistungen zu erweitern, sondern wir brauchen Strukturverbesserungen, wenn es um die Themen „Versorgung im ländlichen Raum“ und „Digitalisierung“ geht. Lieber Minister Spahn, dabei zeigen Sie den richtigen Weg auf. Auf der einen Seite sagen wir: „Wir halten an der E-Card fest“, was schwierig genug ist, auf der anderen Seite können wir das System aber vielleicht weiter öffnen und andere Möglichkeiten zulassen, um in dieser Legislaturperiode endlich beim Thema Digitalisierung voranzukommen. Ich habe eine Bitte – es ist die Haushaltsberatung; wir sollten auch ansprechen, wie wir administrative Strukturen verbessern können –: Ich bitte Sie, sich im Laufe der Beratung dafür einzusetzen, dass das Bundesversicherungsamt mehr Personal bekommt. Wir brauchen Verbesserungen, zum Beispiel beim Morbi-RSA, auch bei der Prüfung und der Aufsicht. Deswegen bitte ich Sie, dafür zu sorgen, dass dem Bundesversicherungsamt mehr Personal zur Verfügung gestellt wird. Wir brauchen auch mehr Personal im BfArM. Mit dem Brexit kommen weitere Aufgaben auf das BfArM zu. Ich glaube, das sind zwei Punkte, auf die wir uns im Laufe der Haushaltsberatungen noch einmal fokussieren sollten. Ansonsten sind wir auf einem guten Weg. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die AfD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Dr. Birgit Malsack-Winkemann. ({0})

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004813, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke schön. – Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Das Gesundheitsministerium zahlt dem Bundesversicherungsamt für den Gesundheitsfonds jährlich 14,5 Milliarden Euro. Angesichts des stetig anhaltenden Flüchtlingsstroms und des geplanten Familiennachzugs ({0}) stellt sich im Hinblick auf die Finanzplanung des Gesundheitsfonds die Frage, ob es Statistiken und Auswertungen zu flüchtlingsbedingten Kosten im Zusammenhang mit dem Gesundheitsfonds gibt. Der Gesundheitsfonds wurde 2009 mit einer jährlichen Zuzahlung des Bundes – der Höhe nach mit 14,5 Milliarden Euro – eingerichtet. Damals aber war mit einem Zustrom an Flüchtlingen in diesem Umfang nicht zu rechnen. Deshalb stellt sich die Frage, mit welcher Steigerung der Ausgaben für den Gesundheitsfonds auf Kosten der Beitragszahler der GKV und des Bundes zu rechnen ist. ({1}) Fraglich ist auch, welche Schäden dem Gesundheitssystem entstehen, weil ein großer Teil der Flüchtlinge Analphabeten sind. Nach einer im Rahmen einer Konferenz der Bundesapothekerkammer vorgestellten Studie sind 14,5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren in Deutschland Analphabeten; weitere 26 Prozent können nur fehlerhaft lesen und schreiben. Daraus entstehen nach Schätzung dieser Studie jährliche Kosten zwischen 9 und 15 Milliarden Euro, und zwar weil Beipackzettel nicht gelesen werden können oder die Medikation nicht verstanden wird, sodass mehr Notfallbehandlungen und Krankenhausaufenthalte die Folge sind. Hinzu kommt, dass die Flüchtlinge aus Ländern kommen, in denen eine unzureichende Gesundheitsversorgung besteht, sodass jedenfalls nicht auszuschließen ist, dass Tuberkulose oder vergleichbare Krankheiten nach Deutschland eingeführt werden, deren Behandlung erhebliche Kosten verursacht. ({2}) Es ist also damit zu rechnen, dass die bisherige Höhe der Zuzahlung in den Gesundheitsfonds auf Dauer nicht zu halten ist oder die Beiträge zur GKV erhöht werden müssen. Es droht ein Kollaps unseres Gesundheitssystems. Im Gegensatz zur nationalen Gesundheitsvorsorge ist Deutschland international finanziell überproportional aktiv. Neben dem Pflichtbeitrag von circa 27 Millionen Euro an die Weltgesundheitsorganisation, WHO, zahlte Deutschland erstmals in 2017 als Folge des G‑7- und des G‑20-Gipfels freiwillig weitere 35 Millionen Euro an die WHO, ({3}) also mehr als das Doppelte des Pflichtbeitrags. In 2018 ist zur Stärkung der internationalen öffentlichen Gesundheit sogar eine Steigerung um eine weitere freiwillige Zahlung in Höhe von 60 Millionen Euro im Vergleich zum Pflichtbeitrag geplant, wobei sich die Regierung hier vorbehält, diese freiwilligen Zusatzausgaben direkt an die WHO zu zahlen oder anderweitig international auszugeben. Diese exorbitanten freiwilligen Zahlungen korrespondieren damit, dass Deutschland mit circa 650 Millionen Euro Pflichtbeiträgen an die UN der weltweit viertgrößte Beitragszahler an Pflichtbeiträgen ist und weitere 2,6 Milliarden Euro freiwillig an die UN und deren Tochterorganisationen zahlt. Das heißt, dass Deutschland mit knapp 3,3 Milliarden Euro freiwillig der zweitgrößte Beitragszahler an die UN nebst Tochterorganisationen ist. ({4}) Angesichts dieser enormen freiwilligen Zahlungen stellt sich die Frage, welche Rechtsgrundlage hierfür besteht und ob diese freiwilligen Zahlungen zeitlich begrenzt sind; denn nach Haushaltsrecht dürfen Leistungen nur erfolgen, wenn ein erhebliches Bundesinteresse besteht und die Ausgaben notwendig und angemessen sind. Worin besteht bei diesen freiwilligen Zahlungen das erhebliche Bundesinteresse? Und wieso sind freiwillige Zahlungen überhaupt notwendig? Schwach ist hier das Argument, die WHO oder andere UN-Organisationen könnten ohne unsere freiwilligen Zahlungen ihre Aufgaben nicht erfüllen. Wenn dem so wäre, wäre es die erste Pflicht dieser Organisationen, ihre Pflichtbeitragssätze, die sich allesamt an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines jeden Landes orientieren, derart anzupassen, dass ein auskömmliches Wirtschaften möglich ist. Dann würden alle Länder wirtschaftlich gleichermaßen belastet und nicht ein Land – wie Deutschland – weit überproportional. ({5}) Ein besonderes Geschmäckle erhalten diese Zahlungen übrigens auch, weil, wenn es um die Versorgung der eigenen Bevölkerung geht, beispielsweise im Hinblick auf die Beschaffung von Impfstoffen für die Gefahrenabwehr bei plötzlich auftretenden Epidemien, seitens des Bundes kein Cent ausgegeben wird, und das, obgleich der Bund für eine derartige Gefahrenabwehr zuständig ist. Zuletzt wurde hier Anfang des Jahrtausends in 72 Millionen Chargen Pockenschutzimpfstoff investiert. Da die Flüchtlinge, wie gesagt, aus Ländern kommen, in denen eine unzureichende Gesundheitsversorgung besteht, ist nicht auszuschließen, dass Krankheiten wie Tuberkulose und Typhus, die hierzulande dank Prävention und Schutzimpfungen als ausgerottet galten, ({6}) verstärkt nach Deutschland gebracht werden und die Bevölkerung dadurch gefährdet wird. Diese Krankheiten sind deshalb so gefährlich, weil mittlerweile viele Bakterien gegen Antibiotika resistent sind. Es ist verantwortungslos, das hart erarbeitete Steuergeld der Bevölkerung, für das viele Menschen hierzulande mittlerweile mehrere Arbeitsverhältnisse gleichzeitig haben, in überproportionale internationale Zahlungen zu investieren, während hier seitens des Bundes nur unzureichende Vorsorge gegen plötzlich auftretende Epidemien getroffen wird. Alle Menschen unseres Landes haben Anspruch darauf, dass mit ihrem hart erarbeiteten Steuergeld sorgfältig und achtsam umgegangen wird. Vor allem haben sie Anspruch darauf, dass die eigene Regierung sie rechtzeitig schützt. ({7}) Wenn diese Regierung das unterlässt, hat sie ihre eigentliche Aufgabe verfehlt. Wie verantwortungslos! Danke schön. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Sonja Steffen. ({0})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Spahn! Frau Malsack­-Winkemann, Herr Hennrich hat Herrn Gehrke vorhin zu Recht gelobt, weil er – völlig ungewohnt für Ihre Fraktion – eine sachliche Rede gehalten hat. ({0}) Aber ich muss sagen: Sie haben mit Ihrer blödsinnigen Rede das gewohnte Niveau wiederhergestellt. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rede heute zum ersten Mal zum Thema Gesundheit, weil ich als Haushälterin den Einzelplan 15 in dieser Legislaturperiode für die SPD übernehmen darf. Mit 15,2 Milliarden Euro ist der Etat des Gesundheitswesens zwar der fünftgrößte Einzelplan des Bundeshaushalts; aber 14,5 Milliarden Euro davon fließen in den Gesundheitsfonds. Das ist ein Steuerzuschuss, mit dem versicherungsfremde Leistungen der Krankenkassen finanziert werden, die wichtig sind. Es handelt sich hier nämlich um die Familienversicherung und das Krankengeld. Der gesamte Gesundheitsfonds umfasst aktuell circa 222 Milliarden Euro jährlich. Den Riesenanteil davon, nämlich über 200 Milliarden Euro, bringen unsere Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf. Genau deshalb – wegen der anteiligen Finanzierung des Gesundheitsfonds durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer – bin ich sehr froh, dass wir von der SPD uns in den Koalitionsverhandlungen mit der Wiederherstellung der Parität durchgesetzt haben. ({2}) Damit stärken wir das Prinzip der Solidarität und sorgen wieder für mehr Gerechtigkeit. Ab dem 1. Januar 2019 sollen die Beiträge zur Krankenversicherung wieder in genau gleichem Maße von Arbeitgebern und Beschäftigten gezahlt werden. Ich sehe, ehrlich gesagt, überhaupt keinen Grund, Herr Theurer, die Arbeitnehmer stärker zu belasten als die Arbeitgeber. ({3}) Aber vielleicht können wir das im Zuge der Beratungen noch einmal diskutieren. Wir entlasten mit der Parität nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch Rentnerinnen und Rentner. ({4}) Auch sie werden zum Monatsende wieder mehr Geld in der Tasche haben. Darüber hinaus – das freut mich besonders – entlasten wir auch die einkommensschwachen Selbstständigen. Der Mindestbeitrag für die Tagesmutter oder den freiberuflichen Webdesigner wird von 350 Euro auf 180 Euro monatlich sinken. Gerade für diese Personengruppe, die Selbstständigen mit kleinem Einkommen, machen die sinkenden Fixkosten einen erheblichen Unterschied aus. Wir alle wissen: Diese Menschen arbeiten in der Regel sechs bis sieben Tage in der Woche, und das von morgens bis abends, und am Ende des Monats bleibt kaum etwas übrig. Für diese Menschen sind jeden Monat 170 Euro mehr im Portemonnaie schon eine ganze Menge. ({5}) Wir haben uns in einem weiteren Bereich auf wichtige Änderungen verständigt. Aktuell sind in Deutschland 3,3 Millionen Menschen pflegebedürftig. Sie werden von 1,1 Millionen Beschäftigten in ambulanten Pflegediensten und stationären Pflegeeinrichtungen betreut. Hier muss dringend etwas passieren, sowohl für die Pflegebedürftigen, deren Versorgung wir sicherstellen müssen, als auch für die Beschäftigten, die unter den schlechten Arbeitsbedingungen und unter der je nach Region unterschiedlichen, oftmals sehr schlechten Vergütung leiden. Deshalb freue ich mich, dass wir mit dem Pflege-Sofortprogramm 8 000 neue Stellen einrichten wollen. Sie, Herr Minister Spahn, haben vorhin schon dargestellt, dass Sie beabsichtigen, die Maßnahmen zügig umzusetzen. Sie können sicher sein, dass Sie die SPD da an Ihrer Seite haben werden. Entscheidend für die Berufswahl im Pflegebereich wird jedoch weiterhin die Höhe der monatlichen Vergütung sein. Deshalb will ich an dieser Stelle auf den Koalitionsvertrag verweisen. Die SPD setzt sich nachhaltig dafür ein, die Bezahlung in der Altenpflege nach Tarif zu stärken ({6}) und eine Angleichung des Pflegemindestlohns in Ost und West zu erreichen. Außerdem brauchen wir für die Ausbildung im Pflegeberuf eine ordentliche Ausbildungsvergütung statt Schulgeld. Letztendlich müssen wir uns auch damit beschäftigen, Tarifverträge in der Pflege für allgemeinverbindlich zu erklären. ({7}) Da ich auch Haushälterin für die Entwicklungszusammenarbeit bin, gibt es noch einen Bereich im Haushalt des Gesundheitsministeriums, der mir auch besonders wichtig ist. Jetzt, Frau Malsack-Winkemann, möchte ich Sie bitten, einmal zuzuhören, weil ich glaube, dass Sie das gar nicht verstanden haben. Sie haben sich beschwert, dass Flüchtlinge – das Wort haben Sie ungefähr zehnmal in Ihrer Rede erwähnt – mit Tuberkulose zu uns kommen. Dazu sage ich Ihnen: Gerade aus diesem Blickwinkel ist es doch besonders wichtig, in die globale Gesundheit zu investieren. Ich habe nicht verstanden, was Sie vorhin erzählt haben. ({8}) Ich nenne Ihnen ein Beispiel: die Bekämpfung von Polio; früher hat man dazu Kinderlähmung gesagt. Noch vor 30 Jahren, also 1988, gab es 350 000 Fälle von Polioerkrankungen im Jahr. Aufgrund wirksamer Impfprogramme und der Forschung in den letzten 30 Jahren ist diese Zahl um 99 Prozent zurückgegangen, um 99 Prozent! ({9}) Wir hatten im letzten Jahr 22 Fälle von Polioerkrankungen, und zwar in Afghanistan und Pakistan. Allein daran sieht man doch, dass die globale Gesundheit total wichtig ist. Deshalb freue ich mich sehr, Herr Minister, dass wir hier für dieses Jahr einen Aufwuchs von 23 Millionen Euro im Einzelplan 15 haben. ({10}) Sie können sicher sein, dass Sie die SPD an Ihrer Seite haben werden, wenn wir die globale Gesundheit weiter fördern. Ich freue mich auf die Beratungen. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die FDP hat das Wort der Kollege Karsten Klein. ({0})

Karsten Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004780, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt des Gesundheitsministers ist der fünftgrößte im Bundeshaushalt. Das sieht erst einmal nicht schlecht aus. Aber wir wissen ja alle, dass ein Großteil der Mittel durch die Zuweisung an die gesetzliche Krankenversicherung gebunden ist. Die zur Verfügung stehenden Mittel, Herr Bundesminister, werden für wichtige Aufgaben bereitgestellt, zum Beispiel für das Robert-Koch-Institut, das Paul-Ehrlich-Institut oder für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. In diesen Minuten findet eine Notfallsitzung der Weltgesundheitsorganisation statt, die sich mit dem Ausbruch von Ebola beschäftigt. Das zeigt, wie wichtig unsere Beiträge zur Weltgesundheitsorganisation sind. ({0}) Ich will für die Freien Demokraten sagen: Herr Minister, wir sind uns nicht nur mit den Kolleginnen und Kollegen der SPD und der Union, sondern mit Sicherheit auch mit den Kolleginnen und Kollegen der Grünen und der Linken einig, dass wir hinter den Zahlungen an die Weltgesundheitsorganisation stehen. Hier haben Sie unsere volle Unterstützung. ({1}) Ich denke, es ist für den einen oder anderen vielleicht schwer verständlich. Deshalb möchte ich es einmal plastisch ausdrücken: Krankheiten und Seuchen machen an Grenzen nicht halt. Egal welche Maßnahmen Sie vornehmen, sie kommen. Es ist in unserem Interesse, dass wir den Ausbruch solcher Krankheiten weltweit bekämpfen, damit sie eben nicht hier vor Ort auftreten. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Großteil der Finanzierung des Gesundheitssystems erfolgt eben nicht über den Bundeshaushalt, sondern über die gesetzlichen Krankenversicherungen und andere Töpfe. Ich nenne zum Beispiel die Krankenhausfinanzierung im Investitionsbereich. Aber, liebe Kollegin Lötzsch, ich muss Sie schon darauf hinweisen: Wir haben ein Stück weit verstanden, warum Sie hier in großem Maße Geld vom Bund einfordern. Das liegt nämlich daran, dass in den Ländern, in denen Sie Verantwortung tragen, wie zum Beispiel in Thüringen, die Mittel nicht zur Verfügung gestellt werden. ({3}) – Doch, Nordrhein-Westfalen steht an der Spitze. Das muss man an der Stelle einmal sagen dürfen, auch als Bayer. ({4}) Herr Bundesminister, wir als FDP unterstützen grundsätzlich, dass Sie das Thema „Rücklagen bei den Krankenversicherungen“ angehen wollen. Man muss aber durchaus im Blick behalten, dass das für die kleinen Kassen natürlich ein besonderes Thema ist, dass es auch Warnungen von Experten gibt und dass dies am Ende nicht zu Belastungen an anderer Stelle des Gesundheitssystems führen darf. Grundsätzlich sind wir bei dem Thema offen; aber es kommt natürlich darauf an, wie Sie das Ganze ausgestalten. ({5}) Ich denke, die Debatte über den Haushalt des Gesundheitsministeriums ist eine gute Gelegenheit, ein besonders gutes Ergebnis der Verhandlungen der Großen Koalition zu loben. Herr Minister, Sie haben es nämlich trotz aller Schwierigkeiten zuwege gebracht, die Bürgerversicherung zu verhindern. Das ist zumindest einmal ein gutes Zeichen für alle Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. ({6}) Dafür aber mussten Sie im Gegenzug die paritätische Finanzierung in der gesetzlichen Krankenversicherung schlucken. Allen, die das hier so blumig formulieren, sage ich – der Kollege Theurer ist schon darauf eingegangen –, dass man das Thema Gerechtigkeit nicht nur auf die Beitragssätze reduzieren darf. Es gibt noch ganz andere Aufgaben und Belastungen, die die Arbeitgeber übernehmen müssen, zum Beispiel die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Ich will darauf hinweisen, dass sich dies nicht nur auf diesen Themenbereich, auf diesen Haushalt auswirkt; denn die Lohnstückkosten sind ein großes Thema für Deutschland. Deswegen müssen wir die Lohnstückkosten im Auge behalten. ({7}) Durch diesen Beschluss, liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, werden sie aber gesteigert und belasten den Wirtschaftsstandort Deutschland. ({8}) Ein großes Aufgabenspektrum in Ihrem Haushalt – Sie haben das angesprochen – ist natürlich die Pflege. Wir würden uns wirklich sehr darüber freuen und hielten es für angemessen und geboten, wenn Sie in den nächsten Monaten und Jahren wieder mehr Werbung für die private Pflegevorsorge machten. In diesem Bereich geht es leider nur sehr schleppend voran, Stichwort „Pflege-Bahr“. Ich denke, es ist wichtig, dass wir diesen Baustein wieder in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte stellen ({9}) und den Menschen damit ins Gedächtnis rufen, dass die private Vorsorge eine wichtige Säule der Pflegeversicherung ist. ({10}) Die Misere im Pflegebereich wurde hier sehr treffend beschrieben. Herr Lauterbach, Frau Kollegin Dittmar, Sie wissen um die Lage. Sie müssen allerdings einmal bei Ihren Kolleginnen und Kollegen der Union einfordern, dass es jetzt schnell vorangeht. Ich darf einen kurzen Abschnitt aus einem Artikel des „Main-Echo“, unserer Heimatzeitung, zitieren: Er spricht deutsch, ist gut integriert und arbeitet seit rund einem Jahr in einem Pflegeheim. Dennoch soll ein 19 Jahre alter Nigerianer zurück in sein Heimatland, nachdem das Verwaltungsgericht Würzburg die Ablehnung seines Asylantrags für rechtens erklärt hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein wichtiger Punkt im Pflegebereich, dass wir endlich ein Zuwanderungsgesetz auf den Weg bringen, das es genau solchen Menschen ermöglicht, hier, in diesem Land, ihrer Tätigkeit nachzugehen. ({11}) Da ist die Union gefordert, damit endlich etwas passiert. Herr Bundesminister, fordern Sie dies auch im Kabinett ein und vor allen Dingen bei Ihren Kolleginnen und Kollegen der CSU, die es schon seit Jahrzehnten blockieren. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Susanne ­Ferschl, Fraktion Die Linke. ({0})

Susanne Ferschl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! In Deutschland herrscht Notstand – Pflegenotstand in Pflegeheimen und Krankenhäusern und offensichtlich auch Notstand im Gesundheitsministerium mit einem Minister, der lieber Hartz-IV-Empfänger diskreditiert, statt diesen Pflegenotstand zu beenden. ({0}) Das hat gravierende Folgen. Erstens. Menschen, die Pflege benötigen, fehlt es häufig an menschlicher Zuwendung und an ausreichender Hygiene. Es ist doch skandalös, wenn Patienten nur einmal in der Woche gewaschen werden. ({1}) Es fehlt an Pflegequalität, die die Würde der Menschen bewahrt. Zweitens. Eine Pflegkraft muss in deutschen Krankenhäusern bis zu 19 Patienten versorgen. Deutschland ist im europäischen Vergleich absolutes Schlusslicht. Körperliche und seelische Überlastungen bestimmen den Tagesablauf der Pflegekräfte. Die Kolleginnen und Kollegen können nicht mehr, auch wenn sie wollen – und das bei einem viel zu geringen Lohn. Drittens. Für die Angehörigen heißt das: Pflege macht arm. Die Kosten explodieren, beispielsweise bei den Eigenanteilen für das Pflegeheim. Viele Familien können die finanzielle Belastung nicht mehr stemmen und müssen Hilfe zur Pflege, also Sozialhilfe, in Anspruch nehmen. Das ist doch eine Schande in einem der reichsten Länder dieser Erde. ({2}) Gesundheit ist zur Ware verkommen, mit der möglichst viel Profit erwirtschaftet werden soll; das ist das Problem. Das sieht man auch daran, dass sich die Preise für Arzneimittel in den letzten zehn Jahren vervierfacht haben. Dringend benötigte Medikamente werden zu Luxusartikeln. Für Pharmakonzerne ist das die Lizenz zum Gelddrucken. Pflegeheime werden an Finanzinvestoren verscherbelt, und Krankenhäuser werden zu Profitunternehmen umgebaut. Beispielsweise hat Helios allein im vergangenen Jahr über 1 Milliarde Euro Gewinn vor Steuern gemacht. Das sind Profite, die auf dem Rücken der Menschen gemacht werden, meine Damen und Herren. ({3}) Das ist Geld, das dem Gesundheitssystem und der Pflege fehlt. Herr Minister, Sie haben offensichtlich nicht vor, daran etwas zu ändern. Dass die 8 000 zusätzlichen Pflegkräfte, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, nicht ausreichen, haben offensichtlich selbst Sie erkannt. ({4}) Sie haben jetzt eine Pflegekraft pro Pflegeeinrichtung angekündigt. Das reicht aber bei weitem nicht aus. Kollege Lauterbach hat von 50 000 bis 100 000 gesprochen. Die Kosten dafür wollen Sie wahrscheinlich wieder den Menschen aufbürden. Sie sind nicht bereit, strukturell etwas zu verändern. Deswegen werden Sie in der Pflege weiterhin nur homöopathische Globuli verteilen, statt dem System endlich eine ordentliche Therapie zu verordnen. ({5}) Am Tag der Pflege gab es über 300 Aktionen von vielen Initiativen, die uns Abgeordnete aufgefordert haben, endlich zu handeln. Wie lange wollen Sie die noch ignorieren? Wir Linke verschaffen diesen Stimmen in diesem Haus Gehör. Wir brauchen eine qualitativ gute und bezahlbare Pflege, die den Menschen ihre Lebenswürde erhält, und zwar mit guten Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten. ({6}) Dafür brauchen wir einen gesetzlichen Personalschlüssel für alle Bereiche in der Pflege, eine solidarische Bürgerversicherung sowie einen Pflegemindestlohn von 14,50 Euro in der Altenpflege und einen Tarifvertrag, der für alle Pflegekräfte gilt. ({7}) An dieser Stelle möchte ich solidarische Grüße an die Kolleginnen und Kollegen von Vivantes schicken, die für einen solchen Tarifvertrag heute hier in Berlin streiken. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Kordula Schulz-Asche für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Pflege brennt die Hütte: 36 000 gemeldete unbesetzte Stellen. Wir gehen davon aus, dass es noch viel mehr sind. Wenn wir die ambulante Pflege dazurechnen, sind wir wahrscheinlich im sechsstelligen Bereich. – Die Leidtragenden dieser Situation sind die Pflegebedürftigen und die Kranken. Die Leidtragenden sind aber auch die Pflegekräfte, die oft bis an ihr Limit und darüber hinaus im Sinne dieser Menschen ihre Arbeit machen. ({0}) – Und natürlich die Angehörigen. Aber wir reden im Moment über den Bundeshaushalt und über die Frage, wie wir es schaffen, den Pflegenotstand zu beheben, und hier geht es vor allem um die Fachkräfte. ({1}) Meine Fraktion ist in der letzten Woche in verschiedenen Einrichtungen, Heimen und Krankenhäusern, in der Bundesrepublik unterwegs gewesen. Das Fazit dieser Besuche ist: Wenn wir es nicht schaffen, schnell für eine Entlastung der Pflegkräfte in diesen Einrichtungen zu sorgen, werden weitere Pflegefachkräfte aus ihrem Beruf aussteigen. Deswegen danke ich ausdrücklich dem Pflegebeauftragten der Bundesregierung für seine gestrigen Vorschläge. Wir müssen handeln, und das schnell. ({2}) Wir brauchen eine bessere Bezahlung, wir brauchen eine geringere Arbeitsbelastung, wir brauchen natürlich Anreize zum Wiedereinstieg von Fachkräften, wir brauchen Anreize zum Verbleib, wir brauchen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und wir brauchen mehr Ausbildungsplätze und mehr Qualifizierungsmaßnahmen, die sich im Bundeshaushalt wiederfinden müssen; das tun sie aber nicht. Wir brauchen schnelle Hilfe, aber was wir im Moment sehen, ist eine Imagekampagne für 2,8 Millionen Euro. Wenn wir allein die Vorschläge von Herrn Westerfellhaus aufnähmen, bräuchten wir dafür 570 Millionen Euro. Deswegen fordere ich Sie an dieser Stelle auf, einen Nachtragshaushalt 2018 für die Pflege vorzulegen. ({3}) Wir brauchen keine einfachen Lösungen, sondern eine Kombination von Lösungen. Herr Spahn, Sie haben vorhin gesagt, man schaue sich alles in Ruhe an. Da kann ich nur sagen: Wir brauchen dringend Hilfe; denn wir stehen erst am Anfang der demografischen Entwicklung. ({4}) Was die Finanzierung anbelangt, haben Sie endlich angefangen, sich ehrlich zu machen. Da sind Sie ja eher getrieben; Sie hätten schon vor ein paar Jahren damit anfangen sollen. Ja, wir brauchen Beitragssteigerungen in der Pflegeversicherung; anders werden wir die steigenden Kosten nicht auffangen können. Ich fordere Sie auf, sich auch ehrlich zu machen, was die Krankenkassenbeiträge angeht; denn die medizinische Behandlungspflege – es geht um die 13 000 Stellen, die Sie ansprachen – wird in Zukunft von den Krankenkassen bezahlt werden. Hören Sie auf, hier mit der Krankenpflege Jo-Jo zu spielen. Wir müssen auch in diesem Bereich eine solide Finanzierung haben; wir müssen uns auch hier ehrlich machen. ({5}) Meine Damen und Herren, die Pflege ist ein tolles Berufsfeld. Man kümmert sich nicht nur um Krankheiten oder Gebrechen, sondern um den ganzen Menschen mit seinen Bedürfnissen und Wünschen. Dafür braucht man Zeit, und dafür braucht man genug Personal. Wir werden jeden Menschen brauchen, der bereit ist, mit und für Menschen gut zu arbeiten, egal welcher Herkunft, egal welcher Hautfarbe, egal ob sie ein Häubchen oder ein Kopftuch tragen. ({6}) Der Bundesminister muss dafür sorgen, dass wir die Voraussetzungen für gute Pflege schaffen, und zwar nicht durch langes Nachdenken, sondern durch Handeln, und zwar so schnell wie möglich. Danke schön. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Emmi Zeulner. ({0})

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Kollegen von der FDP, wir sind uns zumindest einig, dass der Kollege Jens Spahn in seiner kurzen Zeit als Gesundheitsminister ein bisschen mehr geschafft hat als Ihre zwei Minister in den vier Jahren. ({0}) Zunächst ist es mir gerade als Vertreterin der jungen Generation wichtig, zu sagen, dass wir es auch als unsere Aufgabe betrachten, die im Gesundheitsbereich eingesetzten Mittel ständig auf ihre Effektivität und Effizienz hin zu überprüfen, um sicherzustellen, dass der politische Wille – und den haben wir – zu einer menschlichen und qualitativ hochwertigen Versorgung auch durchgesetzt werden kann. Pauschale Forderungen nach mehr Geld sind natürlich nicht zielführend – das sage ich auch in Ihrem Sinne –, und den Menschen geht es dadurch nicht automatisch besser. Aber die Menschen sind bereit, mehr Geld zu investieren, wenn sie dafür auch gute Leistung bekommen. Das können wir im Bereich der Pflegeversicherung sehen. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung von rund 230 Milliarden Euro pro Jahr sind natürlich beeindruckend. Ich finde, man muss sich einfach immer wieder bewusst machen, dass 1 Milliarde 1 000 Millionen sind. Diese Summe verpflichtet natürlich, im System sehr wachsam zu sein. Der im Vergleich eher kleine Haushalt 2018 des Bundesgesundheitsministeriums umfasst 15,2 Milliarden Euro; das ist im Vergleich zur großen Summe der Beitragseinnahmen eher wenig. Den größten Anteil nimmt natürlich der Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds in Höhe von 14,5 Milliarden Euro ein. Gezahlt wird dieser Betrag für die sogenannten versicherungsfremden Leistungen, die typischerweise im Bereich des Mutterschutzes oder der wertvollen Familienmitversicherung angesiedelt sind. Diese Absicherungen für unsere Bürgerinnen und Bürger, zum Beispiel als Familie, sind wichtige Errungenschaften. Leider werden diese Leistungen zumeist als selbstverständlich erachtet, weshalb ich sie an dieser Stelle erwähnen möchte. ({1}) Obwohl nach Abzug des Bundeszuschusses der Haushalt noch kleiner ist, werden wichtige Anliegen der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land umgesetzt. So konnten wir zum Beispiel im letzten Jahr die Vollfinanzierung der HIV-Stiftung durch den Bund und somit deren Fortbestand sicherstellen. ({2}) Dadurch haben wir den 549 unverschuldet in Not geratenen Betroffenen direkt geholfen. Wir fördern auch kleine, bundesweit aufgestellte gesundheitliche Selbsthilfegruppen wie die Selbsthilfegruppe der Stotterer. Auch im Bereich der Ressortforschung wird das Geld sinnvoll eingesetzt. So konnte das BMG beispielsweise aus diesen Mitteln die fachliche Expertise zur Landarztquote einholen. Die Mittel wurden genutzt, um genau zu beleuchten, ob es mit unserem Grundgesetz vereinbar ist, dass junge Menschen vorrangig einen Medizinstudienplatz bekommen, wenn sie sich im Gegenzug dazu verpflichten, nach ihrem Studium für einige Jahre in unterversorgten Gebieten zu arbeiten. Und: Ja, die Landarztquote ist verfassungsgemäß. Derzeit wird bereits in einigen Bundesländern, unter anderem in Bayern, an der konkreten Umsetzung gearbeitet. ({3}) Das BMG stößt mit den Geldern, die ihm zur Verfügung stehen, wichtige Entwicklungen an, zum Beispiel in Bereichen, in denen die Industrie zu wenig macht, etwa bei der Entwicklung neuer Antibiotika. Zukünftig müssen wir aber noch stärker über unsere nationalen Grenzen hinaus denken; denn auch aus der Ebolakrise haben wir gelernt – ein Kollege hat es schon angesprochen –, dass Krankheitserreger eben nicht an der Grenze haltmachen. Daher sind die Gelder auch für diesen Bereich gut angelegt. Ich danke meinem Kollegen Dr. Georg Kippels, dass er sich hier erfolgreich für einen Unterausschuss eingesetzt hat. ({4}) Ich freue mich, dass ein Thema in jeder Rede zum Gesundheitsbereich Anklang gefunden hat, ein Thema, das alle bewegt, nämlich das Thema Pflege. Gerade hier muss die junge Generation Antworten finden, wenn sie den demografischen Wandel so gestalten will, dass sie ihrer Verantwortung, die Bedürfnisse älterer Menschen zu berücksichtigen, nachkommen und die Vorstellung einer sorgenden Gesellschaft umsetzen kann. Das Wichtigste ist, dass wir die Abwärtsspirale in der Pflege endlich durchbrechen. Pflegekräfte, die zu jeder Tages- und Nachtzeit aus ihrer Freizeit geholt werden, müssen die Ausnahme und nicht die Regel sein. Wir müssen verstehen, dass die Pflege derzeit leider zu oft als Sparschwein der Krankenhäuser und Pflegeheime herhalten muss; denn wenn Gelder fehlen, wird eher eine Pflegestelle nicht nachbesetzt, als dass das Haus zum Beispiel auf ein neues Diagnosegerät verzichtet. Hier stehen die Länder in der Pflicht, ausreichend Investitionsmittel bereitzustellen. ({5}) Denn die Landespolitiker bleiben nur glaubwürdig, wenn sie sagen, sie wollen die Pflege wirklich unterstützen. Mein Bundesland Bayern ist hier zum Glück über viele Jahre vorbildlich unterwegs, auch dank des Einsatzes der Staatsministerin Huml – es ist nicht selbstverständlich, dass dieses Geld zur Verfügung steht –, die, wie überall, darum kämpfen musste, weil es verschiedene Interessen gibt. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag das Potenzial haben, die Probleme in der Pflege zu lösen. Deswegen brauchen wir erstens mehr Transparenz, um sichergehen zu können, dass die Gelder auch zur Verfügung stehen. Wir machen das, indem wir aus den Fallpauschalen das Geld für die Pflege herausnehmen und über ein Extrabudget dafür sorgen, dass das Geld bei den Pflegekräften ankommt. Das gibt den Pflegekräften Sicherheit, aber es gibt auch uns als Politik Sicherheit, dass wir nachweislich dafür sorgen können, dass das Geld, das wir zur Verfügung stellen, auch ankommt. Zweitens. Wir wollen, dass die Einführung von Personaluntergrenzen, gerade in den Krankenhäusern mit schlechter Personaldecke, zu einer Aufwertung des Pflegeberufs führt. Der dritte Punkt ist die volle Refinanzierung von Tarifsteigerungen, um sicherzustellen, dass dem Bereich Krankenpflege ausreichend Geld zur Verfügung steht. Abgerundet werden diese Maßnahmen durch die Einführung flächendeckender Tarifverträge im Bereich Altenpflege. Ich bin sehr dankbar, dass wir einen hochmotivierten Gesundheitsminister haben. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich der Kollege Hubertus Heil von ihm entsprechend motivieren lässt, sodass wir schnell zu Lösungen kommen werden. ({6}) Weil ich auch im Bauausschuss vertreten bin, ist es mir wichtig, noch einen Punkt anzusprechen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin.

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gleich fertig. – Wir müssen dafür sorgen, dass im Bereich der Städtebauförderung die Pflege mitgedacht wird und gezielt mitgefördert wird. Gerade im Bereich der Tagespflege haben wir noch viel nachzuholen. In diesem Sinne freue ich mich auf diese tolle und spannende Aufgabe. Wir als Union sind voll motiviert. Wir wollen in diesem Bereich wirklich viel bewegen. Danke. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Bärbel Bas für die SPD-Fraktion. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004006, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Zeulner, ich war von Ihrer Rede fast begeistert – bis zum Schluss, dann hat es ein bisschen gehakt. Den Vorwurf, zu bremsen und manches nicht machen zu wollen, kann ich zurückgeben: Ich denke an die Finanzierung der Pflege, die der Herr Minister angesprochen hat. Wir haben in der letzten Legislatur viele Verbesserungen erreicht, wir haben zum Beispiel die Ausbildung verbessert, den Leistungsumfang erhöht, wovon insbesondere Demenzkranke profitieren, und die Pflegebegutachtung verändert. Vor diesem Hintergrund haben wir gesagt – Sie werden sich erinnern –: Wir wollen eine Beitragserhöhung. Sie haben damals nicht mitgemacht. ({0}) Nun steht die Beitragserhöhung bevor. Das haben wir Ihnen damals schon vorausgesagt. Von daher: Tun Sie nicht immer so, als wären wir diejenigen, die immer irgendetwas aufhalten würden. Pflege ist auch für uns ein wichtiges Thema. Weil die Redner der Opposition nach wie vor sagen, das, was wir machen, sei viel zu wenig, will ich daran erinnern, welch große Anstrengung es in den vergangenen vier Jahren für die Große Koalition war, den Pflegebedürftigkeitsbegriff zu verändern. Das war die Voraussetzung für viele Verbesserungen im Bereich der Pflege. Dass das alles noch nicht reicht, müssen Sie uns nicht sagen. Wir stellen mit dem vorliegenden Haushalt die Weichen dafür, sofort anzupacken. Natürlich sind die geplanten zusätzlichen Stellen – im Koalitionsvertrag haben wir 8 000 Stellen verankert; diese Zahl wird jetzt hoffentlich auf 13 500 erhöht – nur ein erster Schritt. Natürlich wollen wir viel mehr. Aber Sie alle in diesem Hause wissen doch genauso gut wie wir, dass es flankierend erst einmal nötig ist, viele Menschen für diesen Beruf zu begeistern. Ich kann 100 000 Stellen fordern, doch wenn keine jungen Leute diesen Beruf ergreifen wollen, dann hilft das nichts, dann können wir hier beschließen, was wir wollen, dann werden diese jungen Menschen nicht in der Pflege arbeiten. ({1}) Es ist mir ganz wichtig, dass die Tariflöhne steigen. Aber wenn wir hier weiterhin solche Reden halten, wenn wir weiterhin sagen, dass in der Pflege alles schlecht ist, dass man in der Pflege nicht arbeiten kann, dann tragen wir als Politiker dazu bei, dass sich die jungen Leute von diesem Beruf abwenden. ({2}) Eine Analyse ist wichtig; aber wir müssen dabei sagen, dass es auch gute Häuser gibt. Diese Häuser unterbreiten gute Vorschläge. Auch der Pflegebeauftragte hat Vorschläge gemacht. Diese Vorschläge sollten wir aufnehmen. Wir sollten nicht lange darüber diskutieren, sondern sehr schnell an die Umsetzung gehen. Das allein hilft nämlich den Pflegebedürftigen und den Pflegekräften. ({3}) Wenn wir über die Finanzen sprechen, dann müssen wir neben der Pflegeversicherung natürlich auch über die Krankenversicherung sprechen; denn bei den Krankenkassen wird das meiste Geld bewegt. Die Rücklagen der Krankenkassen sind sehr hoch. Natürlich sind Krankenkassen keine Sparkassen, sie machen keine Gewinne, sondern sie erwirtschaften Überschüsse, die in die Rücklage fließen und im Zweifel, wenn sie zu hoch sind, zurückgeführt werden müssen. Wir wollen mit den vorhandenen Mitteln aber, anders als der Minister es vorgeschlagen hat, erst einmal die Versorgung der Menschen verbessern, ebenso wie damals im Bereich Pflege. Es gibt Kassen, die vielleicht nur deshalb hohe Rücklagen haben, weil es vor Ort keine Versorgungsstruktur gibt. Wenn ich vor Ort nicht zum Arzt gehen kann, wenn es dort kein Krankenhaus und keine Fachärzte gibt, dann kann die Kasse das Geld auch nicht ausgeben. Die Menschen brauchen aber eine gute Versorgung vor Ort, Stichwort „ländlicher Raum“. In unserem Koalitionsvertrag steht, dass wir die Situation im ländlichen Raum verbessern müssen. Insofern müssen wir uns erst einmal die Versorgungsstruktur anschauen und uns fragen, wo wir für die Patientinnen und Patienten etwas erreichen können. Ich glaube, eine bessere Versorgung ist den Menschen viel mehr wert als eine Beitragsrückerstattung von 2,50 Euro. ({4}) Das Thema Brillen ist vorhin angesprochen worden. Beim Zahnersatz haben wir das gleiche Problem. Wir werden die Zuschüsse erhöhen. Man soll in diesem Land nämlich nicht an den Zähnen erkennen können, wer arm und wer reich ist. ({5}) Das ist ein alter Grundsatz. Dazu sollten wir stehen. Dieser Passus im Koalitionsvertrag ist wichtig. Das müssen wir ändern. ({6}) – Machen wir. ({7}) – Auf jeden Fall. Was das andere angeht, brauchen wir natürlich Geld in der Kasse. Wir werden uns – das ist ein schwieriges Thema – mit dem Risikostrukturausgleich befassen müssen. Deshalb ist es richtig, dass wir erst einmal warten und uns, bevor wir an die Rücklagen herangehen, die Finanzstruktur dahinter ansehen. Das haben wir uns vorgenommen. Die SPD erwartet, dass wir jetzt recht zügig zu einem Zeitplan kommen. Denn die Kassen warten auf Antworten. Sie wollen wissen: Was kommt auf uns zu, und wie werden sich die Finanzierungswege verändern? Wir sollten jetzt schnell eine Kommission – oder was auch immer – einrichten. Mir ist wichtig, dass wir spätestens Ende des Jahres einen Zeitplan haben, sodass wir dann wissen, in welche Richtung es bezüglich der Finanzstruktur geht und wie wir das Geld in den Bereich der Versorgung lenken können. Die Umverteilung soll ja gerade dafür sorgen, dass bei schwerkranken Menschen, die hohe Kosten verursachen, nicht gespart wird, sondern dass das Geld genau dorthin gelenkt wird. Ich glaube, da sind wir uns auch einig. ({8}) Zu dem, was die FDP angesprochen hat, möchte ich sagen – vielleicht hat der Kollege Theurer das im Haushalt nicht gesehen –: Wir haben einen Strukturfonds, den wir weiterhin mit jährlich 1 Milliarde Euro, in dieser Legislaturperiode also mit 4 Milliarden Euro, füllen, und zwar unter anderem für Investitionen in neue Technologien und die Digitalisierung in Krankenhäusern. ({9}) – Damit hätten Sie ja in Ihrer schwarz-gelben Regierungszeit anfangen können. ({10}) Da haben Sie vier Jahre verloren. ({11}) Das müssen Sie uns jetzt nicht vorwerfen. Genau das ist der wichtige Punkt. Wir greifen ihn jetzt auf, obwohl Sie sich immer als Digitalpartei verkaufen. Pech gehabt! Schönen Dank. ({12})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Dietrich Monstadt hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Dietrich Monstadt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004113, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Bundesminister Spahn! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir wollen und werden mit unserer Gesundheitspolitik das Patientenwohl in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen: Patientenorientierung als die Grundlage unserer Problemlösungen. Wir wollen eine gute, flächendeckende medizinische und pflegerische Versorgung für alle, mit guten und motivierten Mitarbeitern. Frau Kollegin Bas, da bin ich ganz bei Ihnen: Das dürfen wir uns nicht schlechtreden lassen. ({0}) Vor diesem Hintergrund möchte ich zwei Themenschwerpunkte aus dem aktuellen Haushaltsentwurf aufgreifen, mit denen wir dieses Ziel maßgeblich gestalten wollen. Erstens. Wir müssen die Prävention stärken. Ziel muss sein, das Bewusstsein jedes Einzelnen für die Früherkennung und den Ausbau gesundheitsfördernder Maßnahmen vollumfänglich zu schärfen. Jeder muss für seine Gesundheit Verantwortung übernehmen. Nur so kann die Teilhabe der Betroffenen an Arbeitswelt und Gesellschaft in Gesundheit positiv beeinflusst werden. Dies ist im Übrigen auch im Koalitionsvertrag vereinbart, der mit diesem Haushaltsentwurf seine Umsetzung erfährt. Wir wollen 50,4 Millionen Euro in die Prävention und in die Arbeit der Gesundheitsverbände investieren. Herr Minister, das ist genau der richtige Ansatz. ({1}) Zweitens. Als Berichterstatter für die Volkskrankheit Diabetes freue ich mich besonders darüber, dass im Haushalt 3 Millionen Euro zur Prävention und Erforschung des Diabetes mellitus bereitgestellt werden. Aber dies kann nur ein erster Schritt sein. Die Zahlen, meine Damen und Herren, sind dramatisch. Diabetes und Adipositas werden unsere Bevölkerung und die Gesundheitspolitik wie ein Tsunami einholen. Schon heute leiden rund 10 Millionen Menschen an Diabetes, einschließlich einer Dunkelziffer von circa 2 bis 3 Millionen Betroffenen. Rund 60 Prozent aller Frauen und Männer sind übergewichtig. Ein Viertel der Bevölkerung ist adipös, mit schwerwiegenden Folgeerkrankungen bis hin zum Tod. Meine Damen und Herren, erschreckend ist, dass die Zahl der betroffenen Kinder und Jugendlichen unverändert hoch ist. Wenn wir nicht auf sie aufpassen, werden sie im Erwachsenenalter unter schweren gesundheitlichen Problemen leiden. Prävention und Früherkennung, darauf kommt es an. ({2}) Meine Damen und Herren, zu einem entsprechenden Maßnahmenkatalog gehört eine vernünftige Präventionspolitik, und sie betrifft nicht nur die Gesundheitspolitik. Vielmehr müssen wir einen ressortübergreifenden Ansatz umsetzen. Wir brauchen für alle – aber vor allem für unsere Kinder – mehr Bewegung – schon im Kindergarten und in der Schule. Wir alle müssen uns richtig ernähren. Schon für unsere Kinder muss gelten: weniger Salz, weniger Fette, aber vor allem weniger Zucker. Hier ist auch unsere Landwirtschaftsministerin auf einem richtigen Weg, oder besser: am Beginn eines richtigen Weges. Wie im Koalitionsvertrag endlich festgelegt wurde, soll eine nationale Diabetes-Strategie auf den Weg gebracht werden. Darin sind dezidierte Präventionsstrategien sowie Früherkennungs- und Vorsorgemaßnahmen vorgesehen. Eine Kernforderung ist hier die Einführung eines nationalen Diabetes-Registers. Im Robert-Koch-Institut läuft seit Juli 2015 ein Forschungsprojekt zu einer nationalen systemischen Überwachung von Diabetes. Inbegriffen ist der Aufbau einer nationalen Datenbank. Eine gesicherte Datenbasis zum Diabetes aufzubauen hilft uns, individuell auf die Betroffenen einzugehen, effizient zu behandeln sowie die Krankheit besser zu verstehen. Ich halte das für richtig. Herr Minister Spahn, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass wir hierfür insgesamt circa 1,6 Millionen Euro zur Verfügung stellen, um das Projekt sinnvoll und effizient weiterzuführen. ({3}) Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir können und werden mit den rund 15,2 Milliarden Euro des Einzelplans 15 notwendige Maßnahmen ergreifen, Projekte weiterführen und die Gesunderhaltung der Bürgerinnen und Bürger weiter verbessern. Ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der letzte Redner zu diesem Geschäftsbereich ist der Kollege Josef Rief. ({0})

Josef Rief (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn meiner Rede möchte ich festhalten: Das Gesundheitssystem in Deutschland ist eines der besten der Welt. ({0}) Wir haben eine Spitzenversorgung in unserem Land, die Patienten haben immer Anteil am medizinischen Fortschritt, jeder Bürger in Deutschland hat Anspruch auf eine Krankenversicherung. Die über 5 Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen leisten eine hervorragende Arbeit. Ich darf ihnen allen für diesen Dienst am Menschen danken. ({1}) Das alles ist keine Selbstverständlichkeit. Aufgrund der exzellenten Beschäftigungssituation und der positiven Gesamtentwicklung stimmen insgesamt gesehen auch die Beitragseinnahmen, die dieses System tragen. Der Gesundheitsfonds und die gesetzlichen Krankenkassen sind gut mit Liquiditätsreserven ausgestattet. In der Pflege müssen wir zu einer soliden Finanzierung beitragen. Meine Damen und Herren, es wird der Opposition nicht gelingen, unser Gesundheitssystem krankzubeten. Wir brauchen es auch nicht gesundzubeten, obwohl wir die besseren Beziehungen nach oben dafür hätten. ({2}) Unser Gesundheitssystem steht eben sehr gut da, und daran ändert Ihre Kritik, die Sie heute von der Oppositionsbank doch sehr bemüht vortragen, auch nichts. ({3}) Der Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums leistet seinen Beitrag zur Stabilität dieses Systems. Er steht auf einem guten Fundament und hat die künftigen Entwicklungen im Land und auch international fest im Blick. Die Sonderausgaben, die das Ministerium bewirtschaftet, sind zwar nicht direkt aus dem Bundeshaushalt zu begleichen, zeigen dennoch die starke Ausrichtung unserer Gesundheitspolitik in die Zukunft. Kommen wir nun aber zum Einzelplan. Auch in diesem Jahr geben wir aus dem Steueraufkommen wieder 14,5 Milliarden Euro in den Gesundheitsfonds. Übrigens ist diese Summe laut Finanzplan bis 2022 festgeschrieben. Dieser Beitrag refinanziert die versicherungsfremden Leistungen, wie etwa die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern, die durch die Krankenkassen gezahlt werden. Deshalb schaffen wir auch die privaten Krankenkassen nicht ab. Sonst würde dieser Beitrag nämlich logischerweise steigen. ({4}) Schon in der vergangenen Legislaturperiode haben wir uns nach der großen Pflegereform um das Berufsbild in der Pflege gekümmert. Mit diesem Haushalt werden wir die Pflegekampagne mit 2 Millionen Euro wiederbeleben. Wir wollen damit für die Pflegeausbildung werben und das Ansehen des Pflegeberufs steigern, was meines Erachtens dringend notwendig ist. Lassen wir das Schlechtreden. Positiv reden und ordentliche Bezahlung müssen künftig Priorität sein. ({5}) Auch international müssen wir uns mehr engagieren. Die Ebolakrise hat gezeigt, dass wir im internationalen Gesundheitsschutz Nachholbedarf haben. Aktuell gibt es wieder einen lokal begrenzten Ausbruch. Die Erhöhung der Mittel für die WHO um über 22 Millionen Euro kommt uns in Deutschland und Europa unmittelbar zugute. Auch das ist schon gesagt worden: Krisen und Krankheitsausbrüche machen in der globalisierten Welt nicht vor Landesgrenzen halt. Der Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums kommt auch seinen heimatlichen Pflichten nach. Ressortforschung, gesundheitliche Aufklärung, Arzneimittelzulassung sowie die Institute des Ministeriums wie Robert-Koch- und Paul-Ehrlich-Institut sind solide ausgestattet. ({6}) Als Abgeordneter aus dem wirtschaftlich starken und ländlich geprägten Oberschwaben ist es mir wichtig, dass wir auch in Zukunft mehr für den ländlichen Raum tun. Ich bin sehr froh, dass Union und SPD sich im Koalitionsvertrag auf die Verbesserung der Landarztversorgung geeinigt haben. Wir müssen dafür sorgen, dass die Patientinnen und Patienten auf dem Land das gleiche Versorgungsniveau vorfinden wie in der Stadt. Auch den Ärzten auf dem Land muss es gleich gut gehen wie in Ballungsräumen. Wichtig ist auch eine gesicherte flächendeckende Versorgung mit Apotheken. Die Digitalisierung kann und muss dazu genutzt werden, dieses zentrale Ziel zu erreichen. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse herzustellen, ist eine Pflicht. Ich bin Herrn Minister Spahn sehr dankbar, dass er dieses Thema ganz oben auf seiner Agenda hat. ({7}) Wir müssen verhindern, dass die nächste Generation aus den ländlichen Räumen in die Ballungsräume zieht. Sehr geehrte Damen und Herren, insgesamt bleibt festzuhalten: Der Haushalt ist solide finanziert. Der Finanzplan bis 2022 kommt auch weiter ohne Schulden aus, und die prioritären Maßnahmen im Koalitionsvertrag werden ohne Abschläge finanziert. Die Koalition geht damit mit einem klaren Bekenntnis zu solider Haushaltspolitik in die Zukunft. Dies trägt zu einer verbesserten Gesundheit und damit einer höheren Lebensqualität von uns allen bei. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das war die letzte Wortmeldung zum Geschäftsbereich des Gesundheitsministeriums.

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt eine Woche den von Olaf Scholz vorgelegten Haushalt diskutiert, und wir konnten feststellen – der Kollege Rief hat es eben noch einmal betont –: Er ist solide finanziert. Alles, was im Koalitionsvertrag steht, ist durchfinanziert. Wir machen keine neuen Schulden. Für uns Sozialdemokraten ist es wichtig, keine neuen Schulden zu machen. Das hat für uns etwas mit Generationengerechtigkeit zu tun. Man muss an die nachfolgenden Generationen denken, die Schulden finanzieren müssen. Deswegen ist es wichtig, keine neuen Schulden zu machen. ({0}) – Da hätte ich jetzt ein bisschen mehr Beifall aus der Union erwartet. Ihr könnt euch ja ein bisschen mehr anstrengen; es sei denn, ihr wollt neuerdings Schulden machen. Gleichzeitig ist es so, dass wir, wenn wir keine neuen Schulden machen, trotzdem investieren wollen. ({1}) Wir investieren in Ganztagsschule und Ganztagsbetreuung mit dem Gute-Kita-Gesetz. Das sollte zumindest die Grünen auch freuen. Wir investieren in berufliche Bildung. Wir investieren in den Bereich BAföG und in die Nachfolge des Hochschulpakts. Wir werden das 3,5‑Prozent-Ziel bei der Forschung schrittweise erreichen. Das zeigt, dass wir in diesem Bereich mehr getan haben, als viele von dieser Koalition erwartet haben. Das Kindergeld und der Kinderfreibetrag werden erhöht. Die Kitas werden Geld bekommen. Wir werden im Rahmen des Gute-Kita-Gesetzes investieren. Kinderarmut wird durch den Kinderzuschlag bekämpft. Geld wird in den sozialen Wohnungsbau investiert. Geld wird in die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse investiert; darüber wurde in dieser Woche ausführlich diskutiert. Wir werden mehr Geld für Verteidigung und zur Erfüllung der ODA-Quote ausgeben. Wir werden die Bürger zudem im Bereich des Solidaritätszuschlags entlasten. 90 Prozent der Menschen in diesem Land werden ihn nicht mehr zahlen. ({2}) Wir werden das Wohnungseigentum durch die AfA steuerlich fördern, genauso wie durch das Baukindergeld. Wir werden den sozialen Wohnungsbau finanzieren. All das ist im Haushalt abgebildet. Wir alle haben uns dafür eingesetzt, dass die Regelungen betreffend das Baukindergeld rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres und nicht nur für Neubauten, sondern auch für Bestandsgebäude gelten. Das ist ein großartiger Erfolg, der sich im Haushalt von Olaf Scholz wiederfindet; darauf können wir stolz sein. Gleichzeitig werden wir in gleichem Maße in den sozialen Wohnungsbau investieren. Dieser Gleichschritt ist eine sehr sozialdemokratische Komponente. Wir tun etwas für Familien mit Kindern. Wir tun etwas für die Altersversorgung, und wir tun etwas für den sozialen Wohnungsbau. Das ist eine gute Geschichte. Dafür danke ich dem Finanzminister. ({3}) Wenn ich mir anschaue, was die Opposition zum Besten gegeben hat, stelle ich fest: Die FDP hat uns vorgeworfen, dass wir Steuergeld verschwenden und Subventionen verteilen. Der Kollege Fricke tut das gerne, vergisst dabei aber die Mövenpick-Steuer. ({4}) – Seid doch einmal ruhig! Nur wenn man getroffen ist, ist man so laut. Etwas mehr Demut! Ihr hättet regieren können. Ihr tut es aber nicht. ({5}) Die Grünen haben beklagt, dass alles so weitergeht. Sie kritisieren, dass der Haushalt grundsolide und langweilig ist. Für einen grundsoliden Hanseaten, einen Hamburger, ist das ein Kompliment. Wir danken also den Grünen. Die Linke hatte genauso wie sonst nur Folklore zu bieten. Mein Büro hat mir aufgeschrieben: Auf die AfD gar nicht eingehen, ignorieren! – Das ist auch gut so. Mit Rechtsradikalen reden wir nicht. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Peter Boehringer hat das Wort für die AfD-Fraktion. ({0})

Peter Boehringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004675, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir sind in der Schlussrunde dieser Woche. Also sammeln wir nun die Debattenbrocken auf, die etwas unverdaulich hier im Raum herumliegen. Was haben wir gelernt? Erstens. Minister Scholz will bei historischem Steuerhöchststand doch tatsächlich Ernst machen mit dem Abbau der kalten Progression. Das ist seine einzige wirklich neu zugesagte Steuersenkung. Die Republik kann sich also freuen auf eine Entlastung von 4 bis 11 Euro pro Monat und Steuerzahler. Lassen wir dieses Glück einen Moment auf uns wirken. ({0}) Zweitens. Wir haben Zurufe von links gehört: „Nur Superreiche zahlen noch Soli.“ Nun, die SPD meint offenbar, dass es 4 Millionen Superreiche in diesem Land gebe; denn so viele Menschen sollen auch nach 2021 Soli zahlen, dann über 32 Jahre nach der Einheit. Diese 4 Millionen tragen heute zu über 50 Prozent des Steueraufkommens bei; das sagen Sie nicht. Das sind die wahren Erarbeiter des Steuersegens für unsere Haushalte. ({1}) 50 Prozent des Aufkommens aus der heutigen Solisteuer sollen also im Haushalt dauerhaft erhalten bleiben. ({2}) Die Frage bleibt somit auch nach dieser Woche im Raum: Wann, wenn nicht jetzt, will diese Regierung Steuern senken? Drittens. Wir haben gelernt: Die Bundeswehr bekommt mehr Geld. Leider wissen wir nicht, wofür. Zu befürchten steht, dass es vor allem in Auslandseinsät­zen verpulvert wird, an Orten, an denen die Bundeswehr nichts verloren hat, ({3}) wo wir bestenfalls Hilfstruppe und Zahlmeister für andere sind, schlimmstenfalls sogar aktiv Partei in völkerrechtswidrigen Einsätzen in der Südtürkei/Syrien, in Mali, im Irak, in Afghanistan. ({4}) Viertens. Leider haben wir in dieser Woche nichts zur Zinsbelastung im Bundeshaushalt gehört. Der Finanzminister plant 2018 sogar einen Aufwuchs der Zinszahlungen um 1,4 Milliarden Euro auf dann 20 Milliarden Euro. Das ist doch bei angeblich sinkender Staatsschuld und gleichbleibenden Niedrigstzinsen nicht wirklich nachvollziehbar. Rechnet die Regierung etwa mit einer Zinsumkehr der Politik der EZB? Falls ja, dann sollte das BMF unbedingt heute schnell die teuren Altschulden ablösen und den heutigen paradiesischen Zustand mit Zinsen nahe null unbedingt auf Jahrzehnte einfrieren. ({5}) – Ja, ist schon klar. Lieber Kollege Fricke, es ginge sehr wohl. Seit 2010 besteht dieser Niedrigstzins-Zustand. Es wäre gegangen; man hätte in acht Jahren durchaus früher ablösen können. ({6}) – „Laufzeiten“, haben Sie gerade gesagt. ({7}) Italien gibt inzwischen Bonds mit Minizinsen und einer Laufzeit von 50 Jahren heraus. Machen Sie es, Herr Minister, wie Italien, ({8}) und begeben Sie diese Anleihen, bei denen Deutschland dann auch noch die Zinsen bezahlen soll. Fällig werden solche Anleihen dann garantiert nicht mehr in Euro; denn die Tilgung 2070 wird garantiert nicht stattfinden. ({9}) Natürlich ist das Ironie. Aber das ist die Realsatire, die wir in Italien erleben. ({10}) Fünftens. Zum Dauerthema EWF haben wir von Minister Scholz leider erneut nur orakelhafte Andeutungen gehört. Will die Regierung nun den EWF nach Unionsrecht – was nach einhelliger Meinung aller Experten illegal wäre –, wenn ja, bis wann? ({11}) Diese Fragen werden auch Budgetwirkungen haben, zumal der EWF ja als Letzthafter beim Bankenabwicklungsfonds und auch bei der Einlagensicherung fungieren soll. Die Summen, um die es hier geht, können im Fall einer Bankenkrise in die Billionen gehen. Natürlich ist auch der Common Backstop, also die Letzthaftungsfunktion, eine Chiffre für – wie immer – „Deutschland zahlt im Ernstfall alles“. ({12}) Das ist verfassungswidriger Transfersozialismus – ganz klar nach AEUV. ({13}) Sechstens. Wir haben gelernt: Das nächste Griechenland-Rettungspaket wird kommen. Medial wird die Rettung bereits unübersehbar vorbereitet. Die Europäische Bankenaufsicht lässt bereits demonstrativ Stresstests für griechische Banken durchführen. Sie bestehen – oh Wunder – natürlich pünktlich vor der Entscheidung über das nächste Rettungspaket diesen Test, durch den man nach Angaben der EBA selbst gar nicht durchfallen konnte. ({14}) Peinlicher geht es nicht mehr. ({15}) Siebtens. Wir haben gelernt: EU-Kommissar Oettinger fordert von Deutschland für die nach dem Brexit eigentlich kleinere EU mal eben 12 Milliarden Euro pro Jahr mehr von Deutschland. Das ist EU-Logik. ({16}) Außerdem hat er mehr Geld von der Bundesregierung zugesagt bekommen. Das ist GroKo-Blankoschecklogik und natürlich auch ein ganz schlechter Verhandlungsstil. Nur als Tipp – ich weiß, dass Sie gleich wieder lachen; aber es ist ernst gemeint –: Wir haben unsere riesige TARGET2-Forderung gegen das EZB-System. Diese 900 Milliarden Euro, die wir sonst abschreiben müssten, könnten wir an Herrn Oettinger abtreten. ({17}) Das würde den deutschen EU-Beitrag etwa 30 Jahre lang finanzieren. Das Thema wäre damit für Deutschland durch; denn 2050 zahlt niemand mehr EU-Beiträge. ({18}) Es war bereits von Einsprüchen die Rede. Es wurde gesagt, TARGET2 sei Geld aus der EZB-Sphäre und die EZB sei stets unpolitisch und unabhängig. Zum einen sind das deutsche Forderungen, und zum anderen ist die Draghi-EZB natürlich nicht politisch unabhängig. Wie sonst könnte die neue italienische Regierung ernsthaft darauf hoffen, mit ihrer originellen, aber direkt vertragswidrigen Forderung durchzukommen, die EZB solle ihr eben einmal 250 Milliarden Euro der italienischen Staatsschuld erlassen? Natürlich ist das aus italienischer Sicht eine gute Idee. Das würde die italienische Staatsschuldenquote doch immerhin von 130 Prozent auf 120 Prozent herunterbringen. Wow, 250 Milliarden Euro – um 10 Prozentpunkte. Wahrscheinlich hat auch deshalb SPD-Chefin Nahles vorgestern hier an dieser Stelle gesagt: Wir sind auf gutem Weg in die Stabilitätsunion. ({19}) Genau, auf deutsche Kosten kann eben jeder seinen Haushalt sanieren. Dann wäre sogar noch viel mehr möglich. Italien etwa hat 450 Milliarden Euro an TARGET-­Verbindlichkeiten. ({20}) Die EZB und indirekt die Bundesbank könnten das alles zu Italiens Gunsten einfach ausbuchen. Sozialismus ist schön. Italien hat diese Woche auch noch beschlossen – – ({21}) – Herr Präsident, können Sie bitte mal eingreifen?

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, reden Sie bitte weiter. Lassen Sie sich durch die Zwischenrufe nicht stören. ({0}) – Herr Kollege Kahrs, wenn Sie Ihre Zwischenrufe etwas leiser ausgestalten könnten! – Danke schön.

Peter Boehringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004675, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich bitte, wegen der Pöbeleien des Kollegen Kahrs ({0}) meine Redezeit entsprechend zu verlängern. – Vielen Dank. ({1}) Also: Italienischer Sozialismus ist schön. ({2}) Italien hat diese Woche auch noch beschlossen, den Spitzensteuersatz mal eben auf 20 Prozent zu halbieren; außerdem ein bedingungsloses Grundeinkommen und Freibier – Entschuldigung –, Frührente für alle. Das kostet schlappe 150 Milliarden Euro – pro Jahr, versteht sich. Wofür sollten Italiener künftig noch Steuern zahlen, ({3}) wenn man das Geld aus der EZB, aus der Bundesbank und damit aus dem deutschen Bundeshaushalt stehlen kann? ({4}) Das Motto ist – Herr Kahrs, auch Sie müssen es endlich mal zur Kenntnis nehmen –: Schenkt uns 250 Milliarden Euro, oder wir machen Pleite ({5}) und ihr EU-liten in Brüssel und Frankfurt und auch hier in Berlin macht mit uns Pleite. ({6}) Der Euro mutiert damit von der bisherigen Betrugsunion zur offenen Plünderungs- und Erpressungsunion. ({7}) Eigentlich müssten wir zu diesen Ungeheuerlichkeiten inzwischen fast jede Woche eine Aktuelle Stunde hier im Bundestag beantragen. ({8}) Alle Parteien dieser deutschen GröKo von FDP bis Linke reden noch immer dieses groteske Betrugssystem gegen Deutschland schön. ({9}) Warum eigentlich nur 250 Milliarden Euro? Die Italiener könnten doch auch auf der Komplettstreichung aller Schulden bestehen. Was sollten die EU-Romantiker dagegen machen, haben sie den totalen Euro doch zum Dogma erhoben? ({10}) Sie, Kollege Rehberg, und auch Sie, Herr Kahrs, Sie haben sich am Dienstag hier fürchterlich aufgeregt, als ich mir erlaubt habe, die Euro-Rettungskosten wieder mal zu erwähnen. ({11}) Doch ich sage Ihnen: Viel zu lange wurde hier im Haus die Wahrheit zum Euro konsequent geleugnet. Wir werden diesen Punkt immer und immer wieder wiederholen. Es wird mein Ceterum censeo an diesem Pult sein. Wenn Ihnen der alte Cato zu griechisch ist, dann halten Sie es mit Goethe: Man muss das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird … ({12}) Unsere Wiederholungen werden so lange nötig sein, bis dieses völlig verfassungswidrige Verschleudern von 1 bis 2 Milliarden Euro pro Tag an deutschem Geld ({13}) für französische Renten und für italienische bedingungslose Grundeinkommen endlich aufhört. Wir werden Unrecht auch weiter klar benennen. ({14}) Das Verbot der monetären Staatsfinanzierung und das Bail-out-Verbot gelten auch für Sie, Herr Kahrs. ({15}) Letzter Satz. Das Zitat von Goethe geht noch weiter: … und es ist ihm – dem Irrtum – wohl und behaglich, im Gefühl der Majorität … Ökonomische Grundgesetze und der demokratische Wille der Menschen werden den Euro-Dauerrettungs-Irrtum beenden und auch diese irrende Parlamentsmajorität. Herzlichen Dank. ({16})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. André Berghegger. ({0})

Dr. André Berghegger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004252, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor allen Dingen liebe Besuchergruppe aus meinem Heimatwahlkreis, aus dem Landkreis Osnabrück! ({0}) Die Haushaltswoche neigt sich dem Ende zu. Die Stimmung ist bereitet. Das haben wir gerade gehört. Ich würde sagen: Wir kommen wieder zur Sache, zum Haushalt 2018. ({1}) Irgendwie hat diese Debatte, diese Haushaltswoche, etwas von einer Buchbesprechung. Herr Finanzminister Scholz, Sie haben Ihr Werk vorgelegt. Die Reaktionen waren, wie erwartet, unterschiedlich. Die einen sind sehr wohlwollend; die anderen sagen pauschal: Grundlegend falsch. Aber den pauschalen Kritikern aus der Opposition sage ich: Gemach, gemach! Ganz so einfach ist das nicht. Lesen Sie nicht nur die Zusammenfassung, sondern lesen Sie ruhig das ganze Werk; dann erschließt sich nämlich einiges. Ich gebe zu, dass nicht die gesamten 3 000 Seiten in analoger Form superspannend sind; ({2}) aber man kann einiges daraus lernen. Es lohnt sich; denn diese 3 000 Seiten geben den Kurs unseres Landes für die nächste Zeit vor. Ich glaube, das ist eine gute Grundlage für den Kurs unseres Landes. Wir werden es nicht allen Kritikern recht machen; denn die grundlegenden Ideen der Koalition würden wir dadurch verwischen. Wir werden das Geld nicht einfach in allen Bereichen verteilen, weil das nicht dem Anspruch an die Gestaltung eines Haushalts gerecht werden würde. Wir werden vor allen Dingen nicht denjenigen folgen, die am lautesten trommeln, sondern wir werden als Parlament – ich glaube, Ekin Deligöz hatte es gesagt – unser Budgetrecht, das Königsrecht des Parlaments, wahrnehmen, und wir werden das Handeln der Regierung bereiten, indem wir in der Koalition einen ausgewogenen Kompromiss finden werden. Herr Scholz, ich glaube, Sie haben einen guten Regierungsentwurf vorgelegt. Er ermöglicht den Zusammenhalt in der Gesellschaft, und er ermöglicht weiterhin Wachstum als Grundlage für unseren Wohlstand in diesem Land. Einige grundsätzliche Anmerkungen hierzu: Die Wirtschafts- und Finanzlage ist hoch erfreulich. Wolfgang Schäuble hat die historische Trendwende im Staatshaushalt 2014 eingeläutet. Seitdem hat der Bund keine neuen Schulden mehr aufgenommen. Wenn Herr Boehringer immer betont, wie wichtig es sei, Dinge zu wiederholen, so nehme ich mir an dieser Stelle die Freiheit heraus, das auch zu tun: Es ist eine große Bürde, diese Linie fortzusetzen; aber im Koalitionsvertrag ist ausdrücklich festgehalten, dass dieser richtige Weg – keine Neuaufnahme von Schulden – fortgesetzt wird. ({3}) Auch wenn es einigen vielleicht aus den Ohren herauskommt, aber gemäß dem Motto „Wiederholung ist die Mutter der Pädagogik“ sage ich: Die Politik der schwarzen Null ist das Symbol für solide Haushaltspolitik. ({4}) – Johannes, du hast schon geredet. – ({5}) Diese Politik werden wir gemeinsam weiter fortsetzen. Sie ist nachhaltig und entlastet künftige Generationen. Meine Damen und Herren, das nächste Ziel ist zum Greifen nahe – wir haben es im Laufe dieser Woche auch vernehmen können –: die Einhaltung des europäischen Stabilitätspaktes in einem weiteren Punkt, nämlich dass die gesamtstaatliche Schuldenquote unter 60 Prozent sinkt. In der mittelfristigen Finanzplanung ist das für das nächste Jahr vorgesehen. Auch das ist kein, wie hier immer oft gesagt wird, Fetisch, sondern es verhält sich vielmehr so: Maastricht sichert Unabhängigkeit. Wir werden haushalts- und finanzpolitischen Spielraum erhalten. Wir werden in diesem Punkt keiner Kontrolle der übrigen EU-Mitgliedstaaten mehr unterliegen. Und vor allen Dingen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir erhöhen unsere Glaubwürdigkeit. Daran sollten wir uns messen lassen und arbeiten. Als Nächstes möchte ich gerne mit der einen oder anderen Mär aufräumen, die ich diese Woche vermehrt gehört habe. Erstens: die Investitionsquote. Ein Staat, der nur konsumiert, lebt auf Dauer von seiner Substanz. Das ist uns völlig klar. Wer aber in Zukunftsbereiche investiert, kann Wohlstand dauerhaft sichern. Das werden wir gemeinsam mit dieser Koalition tun. Die Kritik, die ich höre, dass die Investitionen in der mittelfristigen Finanzplanung abnehmen würden – – ({6}) – Darauf antworte ich ja jetzt, Frau Hajduk. Ich komme jetzt auf meine Metapher von der Buchbesprechung zurück, „Lesen bildet!“, und fordere Sie auf: Lesen Sie den Haushalt in Gänze, ({7}) dann werden Sie feststellen, dass unter anderem ab 2020 – das wiederhole ich auch gerne – einige investive Ausgaben nicht mehr im Bundeshaushalt dargestellt werden. ({8}) Unter dem Stichwort „Entflechtungsmittel“ seien hier genannt: kommunaler Straßenbau und ÖPNV. ({9}) Solche und andere Investitionen werden nicht mehr im Bundeshaushalt dargestellt, sondern den Ländern in Form von Erlösen aus Umsatzsteuerpunkten zugewiesen. ({10}) – Vielleicht hört der eine oder andere noch zu. – Das haben die meisten hier in diesem Raum gemeinsam in der letzten Legislaturperiode im Rahmen der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen so beschlossen. Wichtig ist nur: Die Investitionen werden weiter getätigt. Daran müssen sich auch die Länder messen lassen. Es darf nicht passieren, dass es zu solchen Entwicklungen wie vor einiger Zeit kommt, dass die Länder, als die Zweckbindung bei den Entflechtungsmitteln weggefallen war, selbst bestimmt haben, wie sie diese Mittel im Haushalt verwenden, und wir keine Kontrolle mehr darüber hatten. Aus meiner Sicht ist also entscheidend, dass gesamtstaatlich investiert wird, und nicht, wo und wie die Gelder in welchem Haushalt dargestellt werden. Lassen Sie uns zweitens den Mittelabfluss bei dem einen oder anderen Titel anschauen. Als Beispiel dafür wurde in Gesprächen erwähnt und auch in dieser Woche das Kommunalinvestitionsförderprogramm 1 für finanzschwache Kommunen angeführt. Lediglich 22 Prozent der Mittel sind abgeflossen, 87 Prozent der Mittel sind verplant. Was sagt uns das? Dass wir nicht ein Problem bei der Bereitstellung von Geld haben, sondern ein Problem beim Mittelabfluss. Das heißt, wir haben viel zu komplexe Verfahren und eine hohe Bürokratie. Wir sollten daran arbeiten, das zu verbessern. ({11}) Ich bin einmal gespannt auf das KInvFG 2, das die Schulinfrastruktur betrifft. Wir werden im Sommer des Jahres – ich glaube, im Juni – den ersten Bericht dazu bekommen, wie denn diese 3,5 Milliarden Euro, die wir dafür bereitgestellt haben, bis jetzt in Anspruch genommen worden sind. Dritter Punkt: Die anderen staatlichen Ebenen sollten nicht immer sofort nach dem Bund schreien. Ein starker Föderalismus funktioniert nur, wenn alle Ebenen mitmachen: Bund, Länder und Kommunen. ({12}) Die anderen Ebenen und insbesondere der Bund sollten nicht dauerhaft in die Kernzuständigkeit der anderen Ebenen eingreifen. Was meine ich damit? Ich sehe Grundgesetzänderungen grundsätzlich kritisch. Wir sollten das Grundgesetz nicht zu detailliert formulieren. Was wir jetzt vereinbart haben, tragen wir natürlich mit; das ist gar keine Frage. Wir werden in die Schulinfrastruktur investieren, aber es kann nicht sein, dass wir als Bund am Ende die Lehrer bezahlen, was eigentlich Länderaufgabe wäre. ({13}) Daran müssen sich die Länder messen lassen. Kernaufgaben der Länder sollten bei den Ländern bleiben. Wenn die Länder entgegenhalten – was man immer mal wieder mal hört und was erstaunlich ist –: „Wir sind nicht leistungsfähig“, sei dazu angemerkt: Im letzten Jahr, 2017, haben die Länder insgesamt einen Überschuss in Höhe von rund 12 Milliarden Euro erzielt, Tendenz steigend. ({14}) – Nur zwei Länder nicht. – Das heißt, die Länderhaushalte können Prioritäten setzen und ihre Aufgaben sehr wohl erfüllen. Die Kommunen haben 9 Milliarden Euro als Jahresüberschuss erzielt; für die gilt dasselbe. Ab 2021 müssen wir ein weiteres Phänomen feststellen: Länder und Kommunen erzielen bei den Gemeinschaftssteuern über 50 Prozent der Einnahmen, während der Bund unter 50 Prozent erzielt. Das ist eine Trendwende; die gilt es immer wieder ins Auge zu fassen. Last, but not least haben wir in den letzten Jahren wie keine andere Regierung und die die Regierung tragenden Fraktionen zusammen die Länder und Kommunen entlastet. Das sagt selbst der Bundesrechnungshof andauernd. Die Grenze ist allmählich erreicht. Wir helfen, wo wir helfen können, aber wir müssen die Situation immer wieder objektiv darstellen. Zu guter Letzt komme ich zur aktuellen Steuerschätzung. Herr Scholz, wenn ich der Presse Glauben schenken darf, dann schwimmen Sie in Geld: 63 Milliarden Euro Mehreinnahmen über die Legislaturperiode hinweg. Auch dazu sage ich: Gemach, gemach! Man soll das ganze System lesen und verstehen. Von diesen 63 Milliarden Euro verbleiben rund 30 Milliarden Euro beim Bund, der Rest geht an die Länder und Kommunen. Das ist natürlich komfortabel; gar keine Frage. Aber von diesen 30 Milliarden Euro sind schon rund 20 Milliarden Euro eingeplant. Bei den Koalitionsverhandlungen wurden anhand einer internen Steuerschätzung des Finanzministeriums ungefähr 10 Milliarden Euro für die Umsetzung prioritärer Maßnahmen im Koalitionsvertrag verplant. Weitere rund 10 Milliarden Euro sind zur Absenkung der Kfz-Steuer im Rahmen der Umsetzung der Maut geplant. Das heißt, es verbleiben noch 10 bis 11 Milliarden Euro für die gesamte Legislaturperiode. Das ist bitte zu berücksichtigen. Die Begehrlichkeiten wachsen trotzdem. Herr Scholz, ich kann nur an Sie appellieren: Bleiben Sie weiterhin so hanseatisch kühl und überlegt. Wir werden Sie im Haushaltsausschuss sicherlich unterstützen. Eines möchte ich noch anmerken: Wenn es finanzielle Spielräume dieser Art gibt, dann kann es aus meiner Sicht nur eine wesentliche Reaktion geben, die ganz klar lautet: Entlastung der Bürger; ({15}) denn es sind die Menschen in diesem Land, die mit Fleiß und Arbeit zu dieser Finanzkraft beigetragen haben. Das müssen wir immer wieder realisieren. Ich komme zum Schluss, meine Damen und Herren. Bei dieser Buchbesprechung gibt es eine entscheidende Besonderheit, nämlich die Anzahl der Autoren. Herr Scholz, Sie haben Ihren Regierungsentwurf vorgelegt. Wir werden diesen Regierungsentwurf im Haushaltsausschuss mit vielen Kolleginnen und Kollegen kritisch Korrektur lesen. Wir werden ihn konkretisieren und anpassen, aber das mit Ruhe und der gebotenen Sorgfalt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lade Sie alle dazu ein; lassen Sie uns das Beste daraus machen. Ich freue mich auf die kommenden Beratungen. ({16})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Als Nächster hat das Wort für die FDP-Fraktion der Kollege Dr. Florian Toncar. ({0})

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Finanzpolitik werden Antworten erwartet – von den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland genauso wie von unseren europäischen Partnern. Diese Woche hat leider gezeigt: Die deutsche Finanzpolitik bleibt voller Ungereimtheiten und Widersprüche. Deutschland ist in den wichtigsten finanzpolitischen Fragen nicht sprechfähig. ({0}) Was sich jetzt zeigt, ist: Die Ursache dafür ist nicht, wie lange erzählt wurde, die lange Regierungsbildung. Die Ursache dafür, dass Deutschland immer noch nicht sprechfähig ist, ist: Sie haben schlicht und ergreifend keine Vorstellung davon, was Sie mit Ihrem Regierungsmandat in der Sache eigentlich anfangen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Erstes Beispiel: Bankenrettung. Herr Minister Scholz, Sie haben am Dienstag hier an diesem Pult vorgetragen: Banken sollen nie mehr mit Steuergeldern gerettet werden. Die Steuerzahler sollen nicht mehr für Bankrisiken haften. – Das ist richtig. Aber in derselben Rede – nur wenige Sätze später – haben Sie angekündigt, dass die Bundesregierung bereit ist, einem sogenannten Backstop zuzustimmen. Das ist nichts anderes als eine Kreditlinie aus Steuergeld, die für Bankrisiken einstehen muss. ({2}) Ich frage mich ehrlich gesagt: Liest denn keiner die Reden quer und achtet auf Kohärenz? Sie können doch nicht sagen: „Die Steuerzahler haften nicht“, und hinterher einen Backstop machen, der nichts anderes ist, als Banken mit Steuergeldern zu unterstützen. ({3}) Die Bundeskanzlerin – übrigens nicht der Minister – hat am Mittwoch angekündigt, dass ein Investivhaushalt ({4}) für die Euro-Zone für sie vorstellbar ist, also noch mehr staatliche Programme, noch mehr staatliche Wirtschaftsförderung, ohne zu fragen: Brauchen wir das eigentlich? Oder bräuchten wir nicht vielmehr private Investitionen, Innovationen und unternehmerische Initiative, statt noch mehr Steuergelder für falsche Programme auszugeben. ({5}) Was man sagen kann, Herr Minister – egal ob Sie diesen Investivhaushalt wollen oder nicht; darüber kann man streiten –: Der Finanzplan, den Sie vorgelegt haben, über den wir heute diskutieren, ist eigentlich schon überholt, wenn Sie einen solchen Investivhaushalt machen wollen; denn dann müssen Sie dafür zusätzliche Mittel einstellen. Wir beraten also im Grunde über einen Finanzplan, der heute schon nicht mehr aktuell ist, weil Sie bereits zusätzliche Maßnahmen planen. ({6}) Wichtig für die Stabilität in Europa ist natürlich auch, dass wir in Deutschland stabiles Wachstum haben. Sie kündigen im Koalitionsvertrag an, dass der Solidaritätszuschlag im Jahr 2021 halb abgebaut werden soll. Sie wollen den Soli also zur Hälfte abschaffen. ({7}) Sie, Herr Scholz, der Bundesfinanzminister, haben am Dienstag gesagt, dass Sie den Soli eigentlich auch komplett abschaffen wollen. Sie haben nur nicht gesagt, wann. Und Sie haben uns vor allem nicht schlüssig erklärt, ob das die Haltung der gesamten Bundesregierung und ob das die Haltung der sie tragenden Fraktionen ist. Das ist eine Ankündigungspolitik, die im Widerspruch steht zu allem, was Ihre eigene Fraktion hier monatelang vorgetragen hat. Das ist nicht die Klarheit, die die deutschen Bürgerinnen und Bürger brauchen; ({8}) vielmehr brauchen sie klare Ansagen, die nachher auch eingehalten werden und die verbindlich sind. Wenn Sie beim Soli einmal genau hinschauen, dann stellen Sie fest, dass es ernstzunehmende Gutachten gibt, die besagen, dass die Abschaffung 2020 erfolgen muss, und zwar für alle Steuerzahler. Sie können also nicht einen Teil weiterhin belasten und einen anderen Teil nicht. Wenn Sie das, was Sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben, die halbe Abschaffung des Solidaritätszuschlags, umsetzen, dann sage ich Ihnen eines voraus – das kann weder in Ihrem noch in unser aller Interesse sein –: Wir werden ab dem Jahr 2020 eine Flut von Einsprüchen von Bürgerinnen und Bürgern haben, die gegen ihre Steuerbescheide vorgehen – übrigens mit guten Argumenten und mit Fug und Recht. Sie werden nachher derjenige sein, der für finanzielle Risiken im Bundeshaushalt geradestehen muss, weil eben nicht klar ist, ob der Solidaritätszuschlag ab 2020 überhaupt noch erhoben werden darf. Verhindern Sie dieses Chaos. Verhindern Sie, dass unsere Finanzämter mit Millionen von Einsprüchen überschwemmt werden. Machen Sie einfach gleich den richtigen Schritt: Abschaffung des Solidaritätszuschlags ab 2020. Vermeiden Sie diese ganzen schwierigen Auseinandersetzungen. ({9}) In diesem Zusammenhang haben Sie am Dienstag auch angekündigt, dass Sie Steuermehreinnahmen zum Abbau der kalten Progression nutzen wollen. Da habe ich bisher von der SPD-Fraktion immer gehört, diese sei gar kein so großes Problem. Auch da frage ich Sie: Ist das eigentlich die Haltung der Regierung? Ist das die Haltung der Koalition? Wenn Sie die Bezieher mittlerer Einkommen entlasten wollen, wenn Sie wie wir der Meinung sind, dass die Steuereinnahmen auch Spielräume dafür bieten, dann bringen Sie es Ihrer eigenen Koalition bei. Leisten Sie hier Überzeugungsarbeit, und setzen Sie es dann um! Wir werden die Allerletzten sein, die Ihnen dabei im Wege stehen, Herr Minister. ({10}) Bemerkenswert, Herr Minister, ist allerdings auch, was Sie in dieser Woche nicht gesagt haben: Im Koalitionsvertrag steht kein Wort zur Steuererhöhung bei der Abgeltungsteuer. Kein Wort von Ihnen zur Finanztransaktionsteuer. Sollte das der Einsicht geschuldet sein, dass Steuererhöhungen und neue Steuern falsch sind, dann haben Sie auch da die Freien Demokraten an Ihrer Seite. Aber ich frage Sie: Sprechen Sie hier eigentlich für die Regierung? Was ist überhaupt die Haltung der Regierung zur Steuererhöhung bei der Abgeltungsteuer und zur geplanten Finanztransaktionsteuer? Beantworten Sie diese Fragen einmal; in dieser Haushaltswoche hätten Sie dazu die Gelegenheit gehabt. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Wir brauchen in Deutschland eine klare prinzipiengeleitete Finanzpolitik, ein verantwortungsvolles Wirtschaften von Staaten und Banken in Europa und die Entlastung der Mittelschicht in Deutschland. Das ist der Weg, den wir vorschlagen. Wenn Sie das machen wollen, Herr Minister, haben Sie uns mehr auf Ihrer Seite als vermutlich einen guten Teil Ihrer eigenen Koalition. ({12})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das Wort für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie Sie alle wissen, stimmen wir heute nicht ab, sondern gehen in die Beratungen. Darum will ich noch einmal wichtige Vorschläge unserer Fraktion hervorheben. Unsere Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht und mein Kollege Matthias W. Birkwald haben auf eine Antwort der Bundesregierung verwiesen. Die Bundesregierung selbst hat vorgerechnet, dass man mindestens 12,63 Euro als Mindestlohn braucht, um nach 45 Jahren Vollzeitarbeit eine Rente oberhalb der Grundsicherung zu bekommen. Die logische Schlussfolgerung daraus ist für uns: Wir brauchen einen Mindestlohn von 12,63 Euro die Stunde, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Mein Kollege Fabio De Masi hat darauf verwiesen, dass wir viel zu wenig investieren. Die viertgrößte Volkswirtschaft der Erde sollte doch den Anspruch haben, bei den öffentlichen Investitionen Spitze zu sein und mindestens den Durchschnitt der OECD-Staaten zu erreichen. Unser Hauptkritikpunkt ist, dass zu wenig investiert wird – jetzt und auch mittelfristig. Nehmen Sie endlich den Fuß von der Investitionsbremse, meine Damen und Herren! ({1}) Unser Haushälter Victor Perli wies auf die Wohnungsnot in den Ballungszentren hin und fordert, 5 Milliarden Euro pro Jahr in bezahlbaren Wohnraum zu investieren. Ich ergänze: Wer Wohnungen baut, muss gleichzeitig in den öffentlichen Nahverkehr investieren. Wenn Sie morgens mit der Berliner S-Bahn oder in einem anderen Ballungsgebiet mit der Tochter der Deutschen Bahn fahren, dann verstehen Sie, dass Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr überfällig sind. ({2}) Unsere Verkehrsexpertin Ingrid Remmers verwies darauf, dass die Autoindustrie auch rechtlich verpflichtet ist, die Fahrzeuge nachzurüsten. Die Gelder sind bei BMW, Daimler und VW vorhanden; sie haben in den vergangenen Jahren nach Steuern über 30 Milliarden Euro Gewinn gemacht. Meine Damen und Herren von der Regierung, zeigen Sie, dass Sie hier nicht als Vertreter der Autolobby sitzen, sondern als Vertreter derer, die von der Autoindustrie betrogen wurden! ({3}) Kollegin Bluhm – auch aus dem Haushaltsausschuss – hat gefordert, dass wir sofort den umfänglichen Atomausstieg organisieren. Ein Schritt dorthin ist die Stilllegung von Uranfabriken in Gronau und Lingen – eine wichtige Forderung. ({4}) Hubertus Zdebel verwies darauf, dass Klimaschutz mit einem Investitionsprogramm für die sozialverträgliche Abschaltung der 20 schmutzigsten Braunkohlekraftwerke bis 2020 beginnen muss. Auch das müssen wir in den Haushalt einarbeiten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Unsere Verbraucherschutzexpertin Amira Mohamed Ali sagte: Wir müssen wissen, in welchen Lebensmitteln Mikroplastik enthalten ist, wie es hineingelangt, welche Auswirkungen es auf die Menschen hat, und vor allem, wie wir Plastik aus der Nahrung heraushalten können. Unsere Fraktion fordert daher mehr Geld für unabhängige Forschung, um die Auswirkungen von Mikroplastik auf den Menschen zu untersuchen. ({6}) Michael Leutert stellte völlig zu Recht zum Etat der Bundeswehr fest, dass die Bundeswehr keine effektiven Strukturen und ein schlechtes Management hat. Das ist ein großes Problem der Bundeswehr. Alexander Neu ergänzte: Investitionen in zivile Infrastruktur wie Schulen und Pflegeeinrichtungen sind wichtiger, als die Rüstungsindustrie weiter durchzufüttern. ({7}) Die Linke sagt: Mehr Geld für die Bundeswehr löst kein einziges Problem – nicht bei der Bundeswehr und nicht in der Welt. ({8}) Ich finde es bemerkenswert, dass Christdemokraten in der Diskussion um Kinderarmut gerne behaupten, mehr Geld würde die Probleme der Kinder nicht lösen, sondern man müsse einfach mehr Geld in die Bildung der Eltern stecken. Aber kein Christdemokrat hat bisher behauptet, dass mehr Geld für die Bundeswehr ihre Probleme nicht lösen würde und man daher mehr in die Bildung des Bundeswehrmanagements stecken sollte. Das finde ich merkwürdig, geht es doch bei der Bundeswehr um verdammt viel Geld, und das dürfen wir nicht weiter verschwenden. ({9}) Unsere Expertin für Entwicklungspolitik Eva-Maria Schreiber machte klar, dass Deutschland mit den vorgelegten Haushaltsplänen seinen internationalen Verpflichtungen in der Entwicklungs- und Klimapolitik nicht nachkommt. Wir sind bei 0,5 Prozent – und eben nicht bei 0,7 Prozent –, und darum sagen wir: Hier muss nachgebessert werden. ({10}) Von der FDP gerade erwähnt, wir sehen es aber gerade andersherum: Wir fordern eine Finanztransaktionsteuer. An ihr wird seit zehn Jahren erfolglos gearbeitet. Aber wir brauchen diese Steuer – auch, um unseren internationalen Verpflichtungen nachzukommen. Packen Sie das endlich an, Herr Scholz! ({11}) Eine Sache ist mir in dieser Woche besonders negativ aufgefallen. Die Verteidigungsministerin, Frau von der Leyen, geht zur NATO und verspricht dort, 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Bundeswehr bereitzustellen. Das ist doch nichts anderes als der Versuch, den Bundestag zu erpressen. Wo kommen wir denn hin, wenn jeder Minister seine finanziellen Wünsche in die Welt hinausposaunt, um dann das Parlament unter Druck zu setzen? Nein, der Bundestag muss sagen: Der Haushalt wird nicht in Washington und auch nicht in Brüssel gemacht. Der Haushalt wird hier im Deutschen Bundestag gemacht, und zwar von uns, meine Damen und Herren. ({12}) Unser Rentenexperte Matthias W. Birkwald und auch unsere Kulturexpertin Simone Barrientos fordern eine solidarische Mindestrente, um Menschen vor Altersarmut zu schützen. Ich finde, das müssen wir sofort anpacken. ({13}) Der Außenpolitiker Stefan Liebich hat zu Recht darauf verwiesen, dass Saudi-Arabien, Ägypten, Bahrain, Katar, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, Marokko, Sudan und Senegal Teil der Kriegs­allianz im Jemen sind. Dahin werden Waffen geliefert. Wir als Linke fordern Sie auf: Stoppen Sie sofort alle Waffenexporte in diese Länder! ({14}) – Da kommen noch mehr, mach dir keine Sorgen. Du wirst aber nicht erwähnt, Tobias. ({15}) Unser Innenexperte André Hahn hat sehr deutlich darauf verwiesen, ({16}) dass wir in unserem Land nicht mehr Geld für Geheimdienste brauchen, sondern Geld für Prävention, für Bildung und für den sozialen Ausgleich. Ich sage Ihnen in Bezug auf den Verfassungsschutz: Spätestens seit den NSU-Enthüllungen wissen wir, dass der Verfassungsschutz für uns alle zu einem Sicherheitsrisiko geworden ist. Das darf nicht so weitergehen. ({17}) Niema Movassat, unser Rechtsexperte, forderte die Stärkung von Bürgerbeteiligung und das Aus für die Vorratsdatenspeicherung. Ich sage Ihnen: Wenn wir mehr Geld in die Demokratie und weniger Geld in die Überwachung der Bürgerinnen und Bürger stecken würden, dann würde sich auch das Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zur Politik verbessern. Dieser Haushalt ist ein Überwachungshaushalt. Das darf nicht sein. ({18}) Ich fasse zusammen: Ja, wir wollen Steuergelder gerechter verteilen. Ja, wir sind gegen schwarze und rote Nullen. Ja, wir wollen mehr in unsere Zukunft investieren. Wir wollen Altersarmut verhindern. Wir wollen die Abschaffung der Dreiklassenmedizin. Wir können alle unsere Vorschläge finanzieren, wenn wir in diesem Bundestag endlich eine gerechte Steuerreform beschließen, die Vermögende stärker an der Finanzierung des Gemeinwohls beteiligt. Ein gerechter und sozialer Haushalt ist machbar. Die Linke kämpft dafür. Vielen Dank. ({19})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Sehr verehrter Herr Finanzminister Scholz! Sie haben bei der Einbringung des Haushalts den Anspruch formuliert, ihn solide, sozial gerecht und zukunftsorientiert gestaltet zu haben. Ich möchte diese drei Punkte am Ende der Woche gerne beleuchten. Erster Punkt: Solidität. Ja, der Haushalt 2018 macht keine neuen Schulden. Unter diesem Gesichtspunkt ist er solide. Aber bei allem Respekt: Das ist bei den Rahmenbedingungen, die wir haben, auch keine Kunst, sondern das ist wirklich Pflicht. ({0}) Wir sprechen hier über Rahmenbedingungen – das wissen Sie –, die mit Blick auf die Demografie, die Beschäftigungszahlen, das Arbeitsvolumen und die ökonomische Situation wirklich durch eine Schönwetterphase geprägt sind. Diese haben wir glücklicherweise schon sehr lang. Deswegen ist es, wie gesagt, Pflicht, dass dieser Haushalt 2018 ohne Schulden auskommt. Das finden wir richtig. Die Solidität hört aber leider definitiv schon bei Ihrem Finanzplan für die Jahre 2019/2020/2021 auf. Wenn man sich den Finanzplan anguckt, sieht man, wie Sie in der Großen Koalition Ihre eigenen prioritären Maßnahmen auf der Zeitachse strukturiert haben. Da kann man ganz klar sehen: Die wirklich teuren Koalitionsprojekte kommen ganz zum Schluss. Nehmen wir einmal den Soli-Abbau 2021. Er soll am Schluss, auf zwei Jahre gerechnet, mit einem Entlastungsvolumen von 20 Milliarden Euro umgesetzt werden. Dann kommt das Baukindergeld. Das heißt doch nichts anderes, als dass diese Maßnahmen dann in der folgenden Legislaturperiode die volle Kostenwirkung entfalten. ({1}) Da weiß jeder, dass dafür keine Vorsorge getroffen ist. Deswegen, Herr Scholz: Sie sind ein Finanzminister, der wirklich ein sehr solides, gutes Erbe angetreten hat. ({2}) Aber Sie riskieren fahrlässig, dass in vier Jahren – und da muss die CDU sich jetzt mal Gedanken machen und nicht fröhlich in die Hände klatschen – dem Nachfolger von Herrn Scholz wieder neue Probleme vor die Füße gekippt werden. Das ist bei diesen Rahmenbedingungen falsch. ({3}) Zweiter Punkt. Ihr Anspruch ist: Dieser Haushalt soll sozial gerecht sein. Wir haben heute Morgen über Arbeit und Soziales gesprochen. Ich kann nicht verstehen, dass eine Große Koalition nicht den Mut hat, bei der Verstärkung von sozialen Leistungen und dem sozialen Ausgleich den größten Batzen den Menschen zur Verfügung zu stellen, die sie wirklich brauchen. Beispiel: Kinderarmut. Sie bescheiden sich damit, 1,4 Milliarden Euro für die Bekämpfung der Kinderarmut einzusetzen. Das Thema ist richtig, aber die Summe ist, verglichen mit dem, was Sie sonst breit ausgießen, lächerlich klein – und das in einem so reichen Land. ({4}) Warum geben Sie dreimal so viel für die Familien- und Kinderfinanzierung in die ganze Breite der Gesellschaft? Ich glaube, viele Familien würden darauf verzichten, wenn sie wüssten, dass es bei den armen Kindern ankommt. ({5}) Wir brauchen wirklich eine grundsätzliche Reform des Kinderzuschlags, der automatisch den Menschen, die wenig verdienen, diese zusätzliche Leistung garantieren sollte. Bei der Rente kommt es noch dicker. Statt gezielt Altersarmut zu bekämpfen, lassen Sie, Herr Scholz, als sozialdemokratischer Finanzminister zu, dass die Mütterrente aus der Sozialversicherung gezahlt wird. Sie wissen, was das heißt. Das heißt, dass Kleinverdiener und Verdiener mittlerer Einkommen mit ihren Sozialversicherungsbeiträgen die Mütterrente für alle bezahlen. Auch da gibt es, glaube ich, viele Mütter, die sagen: Auf diese Summe könnte ich verzichten, wenn es wirklich den Rentnerinnen und Rentnern zugutekommt, die es brauchen. Verteilungspolitisch heißt das: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zahlen die Mütterrente. Sie wird nicht von den Steuerzahlern bezahlt, wo die wirklich Besserverdienenden zur Kasse gebeten würden. Das ist verteilungspolitisch eines Finanzministers der SPD unwürdig. ({6}) Dritter Punkt: Zukunftsorientierung. Herr Scholz, Sie haben gesagt: Europa ist für Deutschland das wichtigste nationale Anliegen. Ein starkes Europa ist im Urinteresse Deutschlands. Ich finde es gut, dass Sie das gesagt haben. Sie begründen das damit, dass wir in dieser Welt in diesem Jahrhundert nur gemeinsam mit Europa erfolgreich agieren können. Die AfD hat das nicht verstanden; die sind da unbelehrbar. Die FDP – darüber wundere ich mich – ist da sehr zaghaft. ({7}) Wir möchten Sie gern unterstützen, aber dazu, Herr Scholz, brauchen Sie dann auch Mut, sich zu entscheiden. Wenn es Ihr Anspruch ist, dass Europa unsere Zukunft ist, dann passt das mit Ihrem Haushalt nicht zusammen. Dort ist nämlich nicht erkennbar, wie Europa gestärkt werden soll. Das passt nicht mit Ihrem Finanzplan zusammen, und das passt auch nicht zu Ihrem Satz vom Dienstag: 1 Prozent der Wirtschaftsleistung Europas, des größten Handelsblocks der Welt, wird auch in Zukunft für den mittelfristigen Finanzplan ausreichen können. ({8}) Das ist wieder die Bedenkenträgerei, mit der wir aufhören sollten. Wenn Sie ein Hoffnungsträger sein wollen – und so wollen Sie sich, glaube ich, auch gerne in Ihrem Buch darstellen –, dann müssen Sie sich entscheiden. Seien Sie mutig! Seien Sie nicht zaghaft! Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung will ein starkes Europa. Wenn Sie sich dafür entscheiden, dann hätten Sie auch unsere Unterstützung. Nach dem Europäischen Rat im Juni wissen wir mehr; daran werden wir Sie messen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Olaf Scholz. ({0})

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst einmal für die sehr ausführliche Debatte in dieser Woche bedanken. Es sind viele Aspekte des Haushaltes und damit auch der Zukunft unseres Landes sorgfältig hin und her erörtert worden. Ein paar Dinge sind mir wichtig, die ich an dieser Stelle noch einmal vertiefen möchte. Dieser Haushalt und auch die Finanzplanung sind sehr investiv. Noch nie sind in einem Bundeshaushalt so viele Mittel für Investitionen aufgewandt worden, wie es jetzt der Fall ist. Wir haben gegenüber 2017 sehr große Steigerungen erzielt, und wir werden die Mittel für Investitionen Jahr für Jahr steigern. Das ist richtig. Und ich glaube, die Debatte hat gezeigt, so wird es auch sein. Alle anderen Diskussionen werden sich verflüchtigt haben. ({0}) Wir machen keine neuen Schulden, nicht in diesem Jahr, nicht in den folgenden Jahren. Das ist eine große Leistung, weil es in Deutschland in den letzten Jahrzehnten ganz anders gelaufen ist. Aber es ist auch eine richtige Entscheidung, und zwar eine richtige Entscheidung ganz im Sinne der keynesianischen Wirtschaftspolitik: In Zeiten, in denen es wirtschaftlich besser läuft, in denen wir viele Einnahmen erzielen, in denen viele Männer und Frauen Beschäftigung finden und das System besser finanziert werden kann, gewinnen wir die Kraft, um auch in einer schwierigen Krise handeln zu können. Denn es sagen uns immer wieder alle: In einer Situation, in der es schwieriger wird, weil wir eine wirtschaftliche Krise haben, haben wir dann alle Möglichkeiten, diese Krise mit all der Kraft unserer staatlichen Handlungsmöglichkeiten wieder zu überwinden. ({1}) Dass das geht und dass das keine abstrakte Spekulation ist, haben wir 2008/2009 in Deutschland bewiesen. Wir haben zum Beispiel mit der Kurzarbeit, mit Maßnahmen, die die Konjunktur angekurbelt haben, dafür gesorgt, dass in die große Wirtschaftskrise, die weltweit stattgefunden hat, Deutschland nur ganz kurzfristig eingetaucht ist und dass die Beschäftigung in Deutschland nicht eingebrochen ist. Die Kraft, das in einer möglichen neuen wirtschaftlichen Krise tun zu können, müssen wir uns jetzt bewahren. Genau das tun wir. Das ist keynesianische Politik, wie sie im Lehrbuch steht, meine Damen und Herren. ({2}) Dann ist ein solider Haushalt, ein Haushalt ohne neue Schulden, kein Haushalt, in dem die Überschrift „Sparpolitik“ richtig wäre. ({3}) Was dazu behauptet worden ist, ist genauso falsch wie die Behauptung, die hier von Einzelnen aufgestellt worden ist, dass weniger investiert würde. Das war nicht richtig. Sparhaushalt ist auch nicht richtig. Gegenüber dem ersten Haushaltsentwurf aus dem letzten Jahr und gegenüber der Finanzplanung aus dem letzten Jahr erhöhen sich die Ausgaben, die in dieser Legislaturperiode getätigt werden, um 46 Milliarden Euro. Zusammen mit den zusätzlichen 10 Milliarden Euro laut der letzten Steuerschätzung sind das 56 Milliarden Euro mehr, die wir in vier Jahren ausgeben können, als noch vor einem Jahr geplant. Das ist aktive Investitionspolitik. Das ist Investition in die soziale Zukunft unseres Landes, in die Bildungsinfrastruktur. Das ist richtig für unser Land. Jede Qualifizierung als Sparpolitik ist falsch. ({4}) Deshalb ist es auch wichtig, dass wir uns ein wenig entfernen von unseren Stanzen, also dass jeder, jenseits aller Realität, immer das Gleiche sagt. Man hat sich zum Beispiel fest vorgenommen, zu sagen, es gebe weniger Investitionen, obwohl bei jedem Blick in den Haushalt das absolute Gegenteil sichtbar wird. Oder man hat sich fest vorgenommen, über Sparpolitik zu reden, einfach zu ignorieren, dass 10 Milliarden Euro zusätzlich ausgegeben werden, und nur das zu sagen, was man schon vor 10, 15 oder 20 Jahren bei den gleichen Debatten immer wieder gesagt hat. ({5}) Ich glaube, dass das ein Vertrauensproblem bei den Bürgerinnen und Bürgern auslöst, wenn die FDP sagt, was die FDP immer sagt, die Grünen sagen, was die Grünen immer sagen, und die Partei Die Linke sagt, was sie immer sagt. ({6}) Ich glaube, wir müssen es hinbekommen, bei den Fakten und Realitäten zu bleiben. Die Realitäten sprechen für diesen Haushaltsentwurf und für das, was sich die Koalition vorgenommen hat. ({7}) Aus meiner Sicht ist es auch wichtig, dass wir uns klarmachen, dass wir zu Recht investieren, zum Beispiel in den sozialen Zusammenhalt unseres Landes, indem wir beispielsweise mehr Geld ausgeben für Krippen und Kitas. Ja, das ist notwendig. Das tun wir auch. Den Großteil der Investitionen werden die Gemeinden und die Länder stemmen müssen. Das weiß jeder. Aber wir wissen, mit dem Incentive – er ist milliardenschwer – schaffen wir die Möglichkeit, dass die Trendwende überall in Deutschland gelingt, auch dort, wo Gemeinden, Landkreise und Länder gebührenfreie Kitas bisher noch nicht richtig fanden. Diese Trendwende wird mit diesem Bundeshaushalt eingeleitet. Und ich sage: In Deutschland wird es spätestens in ein paar Jahren flächendeckend gebührenfreie Angebote für Kinder geben. Ich halte das für richtig. ({8}) Auch für das, was wir hier im Hinblick auf die Ganztagsbetreuung in Grundschulen und weiterführenden Schulen auf den Weg bringen, gilt: Es ist eine Trendwende, die notwendig ist. Das gilt auch für die zusätzlichen Mittel, die wir für Forschung und Entwicklung bereitstellen. Natürlich gilt es auch für die Mittel, die wir investieren wollen, damit die digitale Infrastruktur unseres Landes besser wird, als es heute ist; denn wir sind weit hinter der Zeit, und wir müssen jetzt endlich Tempo machen. Wir nutzen jetzt, ganz aktuell, die zusätzlichen Einnahmen dieses Jahres, um einen Fonds auf den Weg zu bringen, und wir werden die Versteigerungserlöse nutzen, damit es bruchlos eine große Investitionsoffensive geben kann. ({9}) Ich bin Frau Hajduk sehr dankbar, dass sie auf das eingegangen ist, was ich am Dienstag dieser Woche zu Europa gesagt habe. Denn es ist eine Besonderheit, dass wir hier bei der Einbringung des Haushaltes am Dienstag eine europäische Debatte geführt haben und die wichtigsten Dinge, den Kurs der deutschen Politik, hier, wo es hingehört, nämlich im Deutschen Bundestag, diskutiert haben. Das ist eine große Sache, und ich bin sehr dankbar dafür. Doch auch da hat der eine oder andere einfach nur das erzählt, was er sich vorher vorgenommen hat, und diese Dinge nicht zur Kenntnis genommen. Tatsächlich müssen wir etwas tun, damit wir bei der Europapolitik vorankommen. Sie sollten es schon sehr ernst nehmen, wenn der Bundesminister der Finanzen und die Bundeskanzlerin übereinstimmend am Dienstag und Mittwoch dieser Woche sagen: Jetzt, wo die nächsten Wochen entscheidend sind, werden wir mit einem klaren Kurs nach Europa gehen und versuchen, die Dinge hinzukriegen: im Hinblick auf den ESM, im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Letztsicherung, im Hinblick darauf, dass wir mehr Sicherheit in das Bankensystem kriegen müssen – was dazugehört, wenn es insgesamt funktionieren soll –, und im Hinblick darauf, dass wir selbstverständlich auch bereit sind, mehr Geld für die Europäische Union aufzuwenden. All das sind politische Aussagen, die in diesem Haus getroffen worden sind, vom Finanzminister, vom Vizekanzler, und der Kanzlerin, und es ist der Kurs der Bundesregierung, dem wir jetzt überall, in Brüssel und an vielen anderen Orten, folgen werden. ({10}) Mein Wunsch ist, dass die politische Debatte darauf reagiert und nicht auf dem basiert, was man eine Woche vorher aufgeschrieben hat. Ich glaube, es ist wichtig, darauf zu achten, dass wir dabei immer realistisch bleiben. Denn wenn wir in Europa handeln, dann handeln wir als das große Land mitten in der Europäischen Union, und wir tun das – das will ich ausdrücklich sagen – in der Verantwortung um diese Situation. Und das wird ja noch wichtiger werden: In wenigen Jahren wird das Vereinigte Königreich nicht mehr in der Europäischen Union dabei sein, und das wird dazu führen, dass Deutschland mit seiner Größe, mit seiner Rolle mittendrin, eine noch viel wichtigere Funktion übernimmt. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Europäische Union ein erfolgreiches Projekt wird, egal wie schwierig das ist und egal wie sich die politischen Verhältnisse in den einzelnen Ländern jeweils verändern. ({11}) Was für uns wichtig bleibt, ist, immer zu sagen: Wir tun das mit so viel Realismus, dass wir die ganze Bürgerschaft dieses Landes hinter uns haben. ({12}) Und mit Realismus und einer großen Portion Engagement werden wir das hinkriegen und dieses Europa bauen. Schönen Dank. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Kay Gottschalk für die AfD-Fraktion. ({0})

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie es mich kurzfassen: Herr Scholz, Sie reden von Keynes, ich rede von finanzieller Repression, die Sie in diesem Land fahren, und die Abkürzung „SPD“ steht in diesen Tagen doch nur noch für „Sozis plündern dich“, und das richtig, meine Damen und Herren. Und die CDU? Sie können doch nur noch copieren, destabilisieren und unterwandern – das ist Ihr Kürzel. Beispiele gefällig? Die SPD hat seit Beginn der Bankenkrise tatenlos zugeschaut. Gerade die kleinen Leute und die Arbeitnehmer sind durch die finanzielle Repression bis 2015 um 190 – – ({0}) – Ihre geistige Diarrhö hat hier keinen Platz. Aber Sie haben eine hübsche Krawatte, Herr Kahrs – das kann ich Ihnen sagen –, denn sie ist AfD-blau. Ansonsten hat die EZB in ihrem jüngsten Bericht konstatiert, dass die deutschen Sparer bis Ende 2017 in einem Umfang von 436 Milliarden Euro durch Sie, die Sie hier alle sitzen, enteignet worden sind. ({1}) Meine Damen und Herren, das können diese Koalition und die Linken gut: das Geld anderer Leute ausgeben, die in diesem Land hart arbeiten. ({2}) – Grober Unfug? Dann mache ich mal weiter. Das Krebsgeschwür des Euro hat sich in die private Altersvorsorge – wie heißt das noch gleich? Riester; das ist, glaube ich, auch ein Herr von Ihnen – hineingefressen. Die Betriebsrenten sind nicht mehr sicher. ({3}) Jüngst hat die BaFin erklärt, dass von den 137 Pensionskassen mehr als ein Drittel sanierungsbedürftig sind und wahrscheinlich in den nächsten Jahren aufgrund Ihrer rechtswidrigen Euro-Politik und der Niedrigzinspolitik von Herrn Draghi nicht mehr ihren Leistungen nachkommen können. Insoweit ist es nur konsequent – schade, dass die FDP hier nicht bei uns ist –, dass Sie den Arbeitnehmern sagen: Zahlt mal ruhig weiter den Soli. – Hätte, wenn, wir werden, wir werden – Sie sind im Ankündigen fast schon wie Herr Seehofer. ({4}) Ich bin gespannt, ob 2021 der Soli tatsächlich fällt, wenn der Euro platzt, weil die Italiener gerne 250 Milliarden Euro zurückhätten. All das passt zu Ihnen. Aber die kleinen Leute, die Sie jetzt enttäuschen, sind die Wähler der AfD von morgen. Insoweit leisten Sie die größte Wahlkampfhilfe. ({5}) Um einen Spruch des großen Genies Alfred Tetzlaff abzukürzen: Sie haben nicht nur Pech beim Denken – das haben die Geschehnisse um die HSH Nordbank gezeigt, Herr Scholz –, nein, Ihre ideologische Ideologie verstellt Ihnen mittlerweile die Fähigkeit, zu denken. Das ist schade; denn mit diesem Haushalt hätte man wirklich die Chance gehabt, durch Steuerentlastungen für die Mittelschicht und die Arbeitnehmer und vor allen Dingen durch einen deutlichen Schuldenabbau – und das ist ja gar nichts im Vergleich dazu, dass die Zinsen wieder steigen – tätig zu werden. ({6}) Der neue Fetisch der SPD heißt: Flüchtlinge statt Facharbeiter, und das wird Ihnen das Genick brechen. ({7}) – Da könnt ihr meckern, wie ihr wollt. Guckt mal auf eure Wahlumfragen, dann seht ihr doch, wo ihr steht. ({8}) Wo haben Sie denn noch das Volk hinter sich, Herr Scholz? 17 Prozent für die SPD. Ich bitte Sie! ({9}) Kommen wir zur CSU, die, vertreten durch Herrn Seehofer, nur noch von der AfD kopiert. Ihr Destabilisieren des Rechtsstaats kann man großschreiben. Die No-Bailout-Klausel im Maastricht-Vertrag will ich gar nicht erwähnen. Nein, ich will auch nicht die Iren und die Steuerschuld von 13 Milliarden Euro erwähnen. Wir müssen unsere Bemühungen gegen aggressive Steuervermeidung voranbringen, sonst konterkariert das den Oettinger-Plan. ({10}) Kommen wir zu Bremen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Gottschalk!

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Wenn 2 500 Flüchtlinge durch Linksunterwanderung hier in diesem Staat –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Gottschalk! Würden Sie bitte auf die Zeit achten!

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– illegal Asyl bekommen, mit Kosten von 5 000 Euro pro Person, dann sind das 12,5 Millionen Euro pro Monat und 150 Millionen Euro im Jahr. ({0}) Das ist Steuerverschwendung. Das ist Destabilisierung. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Gottschalk, da Sie mich offensichtlich nicht gehört haben und mein Signal auch nicht wahrnehmen, ({0}) mache ich Sie darauf aufmerksam, dass Sie jetzt einen Punkt setzen müssen. ({1})

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, ich dachte, ich habe etwas mehr Redezeit durch die Zwischenrufe der Kollegen. ({0}) Lassen Sie mich enden mit den Worten: Wir brauchen keinen Robin Hood für Flüchtlinge, wir brauchen keinen Herold für eine mittlerweile moralisch und innerlich verrottete EU und auch keinen Schutzpatron für eine hinfällige Währung. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich habe auch die Möglichkeit, das Mikrofon abzustellen.

Kay Gottschalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004731, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Treten Sie ab, und machen Sie den Weg frei! Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege Johannes Steiniger. ({0})

Johannes Steiniger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe angefangen, mich politisch zu engagieren, weil ich gestalten wollte. Ich war neun Jahre im Stadtrat meiner Heimatstadt Bad Dürkheim; jetzt bin ich in der zweiten Legislatur hier im Deutschen Bundestag. Aber für das Gestalten, für das Vorantreiben von Projekten und für das Setzen von Prioritäten braucht es finanzielle Spielräume. Wir können festhalten: Dies ist ein Haushalt, in dem wir finanzielle Spielräume fürs Gestalten haben. Aber das ist keine Selbstverständlichkeit. Deshalb möchte ich zu Beginn meiner Rede denjenigen danken, die diese Spielräume tagtäglich erarbeiten. Das sind die Leistungsträger in diesem Land, die jeden Tag früh aufstehen, hart arbeiten und ihre Steuern zahlen. ({0}) Beispielhaft will ich die 200 Wirtschaftsjuniorinnen und -junioren nennen, die uns in dieser Haushaltswoche im Deutschen Bundestag begleitet haben. Das sind junge Menschen, die Risiko auf sich nehmen, die etwas unternehmen, die innovative Produkte und Dienstleistungen anbieten, die Arbeitsplätze schaffen, gute Löhne zahlen und durch ihre Steuern diesen Staat tragen. Danke, dass Sie den Mut haben, Verantwortung in Deutschland zu tragen. ({1}) Die Haushaltswoche geht zu Ende. Wir haben die Einnahmen und die Ausgaben von allen Seiten beleuchtet, die Einzelpläne wurden diskutiert und die Planstellen angesprochen. Was aus meiner Sicht allerdings zu kurz gekommen ist, das ist die Sicht junger Leute. „Kein Wunder“, könnte man sagen. Wir haben es einmal ausgerechnet: Das Durchschnittsalter der Redner in dieser Woche lag bei 51 Jahren. Deshalb will ich den Blick einmal auf die junge Generation lenken: Was leistet der Haushalt für eine junge Familie? Was bringt der Finanzplan einem Schüler? Wie profitiert der Auszubildende oder die Studentin von unserem Haushalt und unserem Finanzplan? Lassen Sie uns kurz zurückschauen: Was hat Deutschland in den letzten Jahren so erfolgreich gemacht? Erstens haben wir Schulden abgebaut statt aufgebaut, zweitens haben wir in Rekordhöhe investiert, drittens haben wir die Bevölkerung massiv entlastet. Wer hätte denn in der Finanz- und Wirtschaftskrise vor zehn Jahren gedacht, dass wir jetzt bereits im fünften Jahr in Folge einen Haushalt ohne Neuverschuldung verabschieden? Wer hätte gedacht, dass wir bereits im nächsten Jahr die Maastricht-Regeln wieder einhalten werden? Diese schwarze Null ist das Erbe von Wolfgang Schäuble. Das ist sein Verdienst. Deshalb herzlichen Dank an den ehemaligen Bundesfinanzminister! ({2}) Genauso wichtig waren die Investitionen; das ist die zweite Säule. Wir haben nicht nur in Beton und Boden investiert, sondern auch in Köpfe und Kreativität. Wir haben in die Verkehrsinfrastruktur investiert – Stichwort Bundesverkehrswegeplan –, und seit 2005 haben wir die Ausgaben für Bildung und Forschung mehr als verdoppelt. Das ist richtig gut. Die dritte Säule war und ist die Entlastung der Bevölkerung. In der letzten Legislatur gab es Entlastungen im Bereich Pflege, und wir haben die Familien durch das Elterngeld, das Elterngeld Plus und eine bessere Kinderbetreuung entlastet. Dass Deutschland beeindruckend dasteht, das sehe nicht nur ich so, sondern das hat auch der IWF in seinem jüngsten Bericht so gesagt: Arbeitslosenquote auf Rekordtief, so viele in Arbeit wie noch nie, Wirtschaftswachstum auf Rekordniveau, Löhne und Renten steigen. ({3}) Unser Ansatz ist nach wie vor der Dreiklang aus Schuldenabbau, Investitionen und Entlastungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, das ist ein ganz anderes Bild als das, das Sie in den letzten vier Tagen hier im Deutschen Bundestag von Deutschland gezeichnet haben. ({4}) Für diese drei Säulen – solider Haushalt, Investitionen, Entlastungen – steht auch der aktuelle Haushalt. Er steht für Generationengerechtigkeit. Schauen wir einmal, wo in diesem Haushalt etwas für junge Leute, für junge Familien gemacht wird. Ich möchte drei Beispiele herausgreifen. Erstens: das Baukindergeld. Das Baukindergeld ist ein Riesenerfolg. 400 Millionen Euro gibt der Bund dafür allein in diesem Jahr. Damit helfen wir jungen Familien, ihren Traum vom eigenen Heim zu erfüllen. Ganz ehrlich, wenn ich mit meinen Freunden und Bekannten rede, dann ist es das Megathema, wie junge Familien es schaffen, Eigentum zu bilden. Wir helfen mit dem Baukindergeld. Es ist richtig, das zu tun. ({5}) – Von den Grünen wird gerade gesagt, das sei Geldverschwendung. Daran erkennt man Ihre Sicht auf junge Familien. ({6}) Zweitens: Investitionen in Bildung. Deutschland ist das Land der Dichter und Denker. ({7}) In Zukunft muss Deutschland aber auch das Land der Nerds und Programmierer sein. Deshalb ist unser Ziel: WLAN an den Schulen, Tablets für den Unterricht, Bildungscloud und Programmierkurse statt altertümlicher Computerräume und Sprachlabore. ({8}) Ich sage aber auch: Dafür brauchen wir auch die Lehrkräfte. Die Pädagogen müssen weitergebildet werden, damit sie auch Java und Linux vermitteln können. Ganz ehrlich: Das ist Aufgabe der Länder. Hier müssen auch die Länder ihrer Verantwortung gerecht werden. ({9}) Drittens: Aufgabenzuwachs bei der inneren Sicherheit. Wenn eine alleinerziehende Mutter ihr Kind wegen ihres Jobs nicht zur Schule bringen kann, dann soll sie sicher sein – dafür müssen wir alles tun –, dass der Schulweg sicher ist. ({10}) Wenn eine Studentin am Abend von der Studentenparty mit der Bahn nach Hause fährt, dann muss sie die Gewissheit haben, dass Bahnhöfe und U-Bahnen sicher sind. Öffentliche Plätze, Bahnhöfe, Schulwege sicherzumachen, dafür sorgt die Polizei. 15 000 neue Stellen für unsere Sicherheit, dafür sorgt die Union, dafür sorgt diese Koalition. ({11}) Nach diesen drei positiven Beispielen möchte ich auf einen Punkt hinweisen, den ich als große Herausforderung ansehe. Es geht um das Thema Rentenpolitik. Die größten Herausforderungen stehen uns hier noch bevor. Wir müssen Lösungen finden. Ganz klar ist Folgendes: Die Renten- und Sozialpolitik darf nicht zulasten der jungen Generation gehen. Sehr geehrter Herr Minister Heil, die Hälfte der Mitglieder der Rentenkommission ist über 60, und keiner ist unter 40. Das geht aus meiner Sicht gar nicht. Da hätten auch junge Leute mit dabei sein müssen. ({12}) Zum Schluss. Die Linke hat eben darauf hingewiesen, dass sie gegen die schwarze Null ist. Die wichtigste Zahl, über die ich zum Schluss sprechen möchte, ist die Null. Einnahmen minus Ausgaben ergeben null. Die Kennzahl der Generationengerechtigkeit ist die Null. Wir haben in Deutschland mit dem Schuldenmachen endlich Schluss gemacht. Darauf, dass wir seit Jahren eine schwarze Null haben, können wir stolz sein, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({13}) Das ist echte Generationengerechtigkeit und mit Sicherheit auch im Sinne der jungen Leute, für die ich heute gesprochen habe. In diesem Sinne freue ich mich sehr auf die weiteren Haushaltsberatungen und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Otto Fricke das Wort. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzte Frau Vizepräsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Schlussrunde dient dazu, eine Bilanz der ersten Haushaltsdebatten, die wir in dieser Legislaturperiode geführt haben, zu ziehen. Wenn man die Diskussionen hier verfolgt, hat man in politischer Hinsicht einen sehr komischen Eindruck. Ich habe im Moment das Gefühl, wir haben keine kleine Große Koalition, sondern eigentlich eine CDU/CSU-Minderheitsregierung, bei der die SPD zwar ein paar Minister bekommen hat, aber ansonsten kräftig draufhaut. Das ist das, was wir in dieser Woche erlebt haben. ({0}) Es fing damit an, dass der Finanzminister, der dem Parlament ja sehr gerne zuhört, als Erstes Frau von der Leyen einen mitgegeben hat. Dann sagte sich die Fraktionsvorsitzende der SPD: Ich haue auch noch einen drauf. – Der Kollege Lischka allerdings – jedem, der Zeit hat, empfehle ich, das im Internet nachzulesen – hat eine reine Oppositionsrede gehalten. ({1}) Das sagt sehr viel über den Zustand dieser Koalition und darüber aus, was noch passieren wird. ({2}) Wenn sich Koalitionäre nicht einig sind und der Minister sagt: „Wir haben ja noch Geld zum Ausgeben“ – nicht, um es den Bürgern zurückzugeben –, dann wird die Aufteilung wie folgt sein: ({3}) Ihr meckert und bekommt ein bisschen, ihr bekommt ein bisschen, und zahlen muss es am Ende der Steuerzahler. ({4}) – Kollege Kahrs, die Debatte zum Thema Gesundheit war vorhin. Als es um Incontinentia verbalis ging, hätten Sie aufpassen sollen! ({5}) Meine Damen und Herren, ich will sagen: Es gab auch Einigkeit, und zwar heute Morgen um 9 Uhr in der Debatte zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Da ging es darum, wie man den größten Haushalt möglichst noch größer machen kann. Keine der beiden Koalitionsparteien – oder sagen wir ruhig: aller drei – war auch nur an einer Stelle bereit, zu sagen: Da haben wir vielleicht einen Fehler gemacht. Hier geben wir vielleicht zu viel Geld aus. Wir sollten uns mehr auf das konzentrieren, was den Sozialstaat ausmacht. – Nein, es ging nur um mehr, mehr und noch mehr. Das ist keine Haushaltspolitik und wird von uns nicht unterstützt. ({6}) Herr Minister, an Ihrer Rede fand ich sehr bemerkenswert – das gilt auch für die Kollegin Hajduk, die, wie ich finde, eine sehr gute und interessante Rede gehalten hat –, dass Sie sich mehr damit beschäftigt haben, ob ein iPad denn auch gut funktioniert, wenn man es hinstellt – was keiner der Abgeordneten hier machen würde. Sie müssen meiner Meinung nach noch lernen, dass das Parlament beim Haushalt der Souverän ist. So wie Sie sich verhalten, wissen Sie das bisher leider noch nicht. Allerdings – das will ich sagen, weil Sie recht damit haben, dass wir nicht in Stereotypen denken sollten –: Bei dem, was Sie über die verantwortungsvolle Rolle Europas ohne Großbritannien gesagt haben, haben Sie die volle Unterstützung der FDP-Fraktion. ({7}) Denn es ist wirklich so: Wenn man im Spiel der Große ist und ein anderer, etwas Größerer nicht mehr dabei ist, muss man aufpassen, dass man nicht in eine Rolle hineinkommt, in der man die Verantwortung nicht mehr wahrnehmen kann. ({8}) Herr Minister, da bisher noch kein Antrittsbesuch von Ihnen im Haushaltsausschuss stattgefunden hat, habe ich einmal nachgesehen: Der Kollege Schäuble ist 49 Tage nach Amtsübernahme in den Haushaltsausschuss gekommen. Der Kollege Steinbrück – es könnte ja sein, dass das an der Parteizugehörigkeit liegt – hat das nach 22 Tagen getan. Heute ist Tag 65 nach Ihrer Amtsübernahme. Bei Ihnen, glaube ich, wird es so sein, dass Sie noch nicht einmal nach 80 Tagen in den Ausschuss kommen werden. Mit anderen Worten: in 80 Tagen um die Welt, aber leider keine Zeit für den Haushaltsausschuss. ({9}) Meine Damen und Herren, ich möchte noch etwas zur AfD sagen – aber nicht nach dem Motto der Empörung, wie es hier oft geschieht –: Haushälter sind eigentlich immer nüchternen Zahlen verpflichtet. Da zitiere ich gerne Helmut Schmidt: Keine Begeisterung sollte größer sein – Johannes, du kennst das – als die nüchterne Leidenschaft zur praktischen Vernunft. ({10}) – Nein, du kennst es nicht. Das wird mir jetzt klar; ich merke es gerade. Frau Weidel, die jetzt leider weg ist ({11}) – aber das ist völlig okay –, ({12}) ist hier im Plenum zu Beginn ihrer Rede darauf eingegangen, wie viel Geld wir mit Blick auf Europa bzw. den EU-Etat zahlen. Sie hat wenigstens die grob richtige Zahl von 30 Milliarden Euro genannt, dann aber gesagt, dass man dazu nichts im Haushalt findet. Ich habe das entsprechende Kapitel im Einzelplan 60 einmal für Sie ausgedruckt. Ich habe das extra blau anstreichen lassen, damit Sie wissen, dass das für Sie ist. Einfach mal lesen! Das ist Haushaltspolitik. Nicht laut sein, sondern klug sein, das ist die Aufgabe, die wir haben und der wir verpflichtet sind. ({13}) Meine Damen und Herren, wer die Haushaltsdebatte verfolgt hat, muss sich fragen: Welche Bedrohungen gibt es für den Haushalt? Die Bedrohungen liegen meiner Meinung nach in der Mentalität. Hier unterscheidet sich das Denken der Großen Koalition vom Denken der FDP. Wir sind an dieser Stelle Verfassungspatrioten. Die Verfassung geht davon aus, dass der Staat begründen muss, warum er in die Rechte des Bürgers eingreift. ({14}) Das heißt, wenn ein Staat Geld bekommt, muss er begründen, warum er dieses Geld bekommt, warum er das harterarbeitete Vermögen benötigt. Er muss seinen Aufgaben als Sozialstaat nachkommen. Was Sie hier aber stetig machen, ist: Sie wollen gar nicht begründen, warum Sie eingreifen. Sie wollen nur erklären, warum Sie ausgeben. – Das ist kein Sparen. ({15}) – Ich merke schon, da kommt es wieder: „Oh Gott, oh Gott“. – Ja, auch das Wort „Sparen“ kommt bei Ihnen inzwischen nicht mehr vor. Eines kann ich Ihnen sagen: In zehn Jahren wird man auf diese Periode zurückgucken und sagen: Meine Güte, was hatten die für Chancen. Die FDP wird sich, anders als Sie, dafür einsetzen, dass diese Chancen genutzt werden. ({16}) – Sehen Sie, das ist wieder diese Lächerlichkeit. Für Sie ist eine Chance einzig und allein die Chance, zu regieren. Für uns geht es um die Verantwortung für zukünftige Generationen, die Sie so gerade verspielen. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Dr. Tobias Lindner das Wort. ({0})

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Geschätzte Frau Präsidentin! ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Herr Fricke, was hatten Sie für Chancen! ({1}) Es ist unstreitig, dass wir die gerne hätten. Es ist unstreitig, dass manche in diesem Haus Verantwortung gesucht, während andere Verantwortung gescheut haben. ({2}) Nun aber zurück zu diesem Haushalt. Das ist der erste Haushalt dieser neuen Großen Koalition. Für gewöhnlich geht man in so eine Woche hinein und fragt sich: Was ist der neue Aufbruch? Was ist der große Plan, den die vorhaben? Was steht denn da drin? Wie ist denn die Stimmung? Was ist das große Projekt? Herr Scholz, Sie haben diesen Haushalt hier am Dienstag im Tonfall eines Trauerredners eingebracht. ({3}) – Das gilt auch für Sie, Herr Kahrs. Heute haben Sie probiert, sich Mühe zu geben. – Wenn man Ihnen in dieser Woche zugehört hat, dann hat man eher den Eindruck gehabt, dass das Ganze etwas von Endzeitstimmung hat. Sie reden nicht wie eine Koalition, die einen neuen Aufbruch startet, sondern eher wie eine Koalition, die fertig hat und noch den nächsten Wahltermin erwartet. ({4}) Wenn man sich Ihren Haushalt ohne Zukunft anschaut, dann merkt man: Das ist ein großes Weiter-so. Sie treten auf der Stelle. Die Herausforderungen, vor denen wir international wie auch in Deutschland stehen, sind viel zu groß, um nur auf der Stelle zu treten. Ich will Ihnen ein paar Beispiele nennen, wo Sie falsche Prioritäten setzen. Gucken Sie sich allein mal das Thema „Verantwortung Deutschlands in der Welt“ an. Sie haben den Wehr­etat in den letzten Jahren schon um mehrere Milliarden gesteigert, und im Vergleich zum 51. Finanzplan wollen Sie ihn noch weiter steigen. In Ihrem Koalitionsvertag haben Sie die Koppelung der Militärausgaben an die ODA-Quote vereinbart. Wenn man auf das Auswärtige Amt und das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung guckt und sich anschaut, wie sich die Etats mittelfristig entwickeln, dann sieht man, dass der eine stagniert und der andere sogar sinkt. Es bleibt Ihr Betriebsgeheimnis, was von dieser Koppelung tatsächlich noch übrig geblieben sein soll. ({5}) Sie brechen Ihren eigenen Koalitionsvertrag, bevor dieser Haushalt hier im Parlament überhaupt beschlossen worden ist. Beim Thema Klimaschutz gibt es bei Ihnen die große Leerstelle. Sie haben ein Schweigekartell miteinander geschlossen. Uns haben Sie vor einem Jahr noch gefragt, ob man die Grünen noch braucht und ob wir uns noch von den anderen unterscheiden. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wenn wir den Klimaschutz in diesen Debatten nicht erwähnt hätten, dann wäre das in dieser ganzen Haushaltswoche eine große Leerstelle geblieben. ({6}) Dabei vergessen Sie völlig, dass es in diesem Haushalt nach wie vor einen zweistelligen Milliardenbetrag für umweltschädliche Subventionen gibt, an den Sie herangehen können. Sie haben Spielräume, die Sie nicht nutzen. Sie packen an einigen Stellen obendrauf, nutzen die gute wirtschaftliche Lage aus, aber in Bezug auf die Aufgabe, wirklich am Haushalt zu arbeiten, zu fragen: „Wo geben wir unnötig Geld aus, wo kann es besser ausgegeben werden?“, leisten Sie Arbeitsverweigerung. ({7}) Ich habe es schon gesagt: Dieser Haushalt ist ein großes Weiter-so. Man hat sich gefragt: Was ist jetzt neu? Die schwarze Null ist jetzt vielleicht eine rote Null. ({8}) Ich bin – das wissen Sie auch, Herr Kahrs – ein Kind der 80er. ({9}) Als die 80er-Jahre zu Ende gingen, gab es einen Schokoriegel – vielleicht erinnern Sie sich noch daran –, der plötzlich anders hieß. Da hieß es plötzlich: „Raider heißt jetzt Twix“. ({10}) Leider gilt für Ihre Haushaltspolitik genau der Satz, der danach kommt: Raider heißt jetzt Twix – und sonst ändert sich leider nix. ({11}) Wir Grünen werden in diesen Haushaltsberatungen Vorschläge machen, wie wir etwas ändern können und wie wir wirklich einen Haushalt mit Zukunft gestalten können. Ich bin gespannt, wie Sie sich dazu verhalten. Herzlichen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Sonja Amalie Steffen das Wort. ({0})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Die Schlussrunde der ersten Lesung des Bundeshaushalts ist tatsächlich ein guter Anlass, ein Zwischenresümee zu ziehen, bevor es in die Beratungen geht. Der Haushalt 2018 kann sich wahrhaftig sehen lassen: 341 Milliarden Euro hat der Bund von den Steuerzahlern erhalten, um sie gerecht zu verteilen. Insgesamt – also für Bund, Länder und Kommunen – sind es über 670 Milliarden Euro. Ich finde, es ist ein guter Entwurf 2018, und es sind gute Vorhaben, die wir in dieser Legislaturperiode umsetzen wollen. Was allerdings in dieser Woche genervt hat, ist das Herunterreden des guten Haushalts 2018 durch die Opposition: ({0}) Genörgel, teilweise kleinliche Rosinenpickerei, vor allem aber billiger Populismus und krude Verschwörungstheorien von ganz rechts. ({1}) Deshalb will ich meine kurze Rede zum Anlass nehmen, auf die Entlastungen für unsere Familien, vor allem für Familien mit Kindern, und für Alleinerziehende hinzuweisen, die in den nächsten Jahren auf uns zukommen werden. Wir haben vorhin gehört – ich bin Minister Olaf Scholz sehr dankbar, dass er es erwähnt hat –: Die beitragsfreie Kita wird dafür sorgen, dass Familien mit Kindern zukünftig um bis zu 600 Euro monatlich entlastet werden. Ein weiteres Beispiel ist das Baukindergeld. Übrigens, Frau Hajduk: Schon ab 1. Januar 2018 wollen wir das Baukindergeld einführen. ({2}) Es wird dafür sorgen, dass Familien mit zwei Kindern um bis zu 3 600 Euro im Jahr entlastet werden. Das sind 300 Euro im Monat. ({3}) Es geht um die Parität in der Krankenversicherung. Wenn wir die Parität in der Krankenversicherung wiederherstellen – das wollen wir zum 1. Januar 2019 tun –, dann bedeutet das eine Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zwischen 10 und 30 Euro monatlich. ({4}) Es geht um die Selbstständigen mit kleinen Einkommen, die wir zukünftig – hoffentlich auch dies ab 1. Januar 2019 – um bis zu 170 Euro entlasten werden. ({5}) Es geht um die Steigerung des Kindergeldes um 25 Euro monatlich, die hoffentlich auch schon 2019 erfolgen wird. Und es geht um den Abbau des Soli. Wenn man das alles zusammenrechnet, dann kommt man auf mehrere Hundert Euro Entlastung für unsere Familien, für unsere Familien mit Kindern und auch für die Alleinerziehenden. ({6}) Das bedeutet tatsächlich viel mehr Geld im Portemonnaie. Insofern finde ich, wir haben einen ordentlichen Entwurf, den wir in den nächsten Wochen beraten werden. Ich freue mich auf die Beratungen und auf die guten Ergebnisse. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Sebastian Brehm für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister Scholz! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein altes Sprichwort sagt: „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.“ ({0}) Dieser Grundsatz ist nach wie vor richtig. Dennoch reicht Sparen allein nicht aus, um zukunftsfähig zu bleiben. Deswegen hat Deutschland durch politisch kluge Entscheidungen, durch seinen weltweit einzigartigen und starken Mittelstand, durch eine starke Industrie und viele fleißige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine sehr gute Wirtschaftsentwicklung mit guten Voraussetzungen für die Zukunft geschaffen. ({1}) Der Bund hat die höchsten Steuereinnahmen, wiederholt einen ausgeglichenen Haushalt und keine Nettoneuverschuldung, also unter dem Strich eine schwarze Null. Zudem ist die Aussicht auf eine hervorragende konjunkturelle Weiterentwicklung gegeben. Diese positive Entwicklung kann aber nur dann erreicht werden, wenn wir die Zukunftsfähigkeit unseres Landes jeden Tag aufs Neue sicherstellen. Ein ausgeglichener Haushalt ist dabei ein wichtiger Baustein. Alles andere wäre bei der aktuellen konjunkturellen Lage haushaltspolitischer Irrsinn. Neue Schulden würden die nächste Generation, unsere Kinder, unsere Enkel, belasten und wären nicht zu verantworten. Die schwarze Null muss daher für den Bund eine Selbstverständlichkeit sein, und das muss auch so bleiben. ({2}) Gerade am Ende einer solchen Haushaltsdebatte ist es aber notwendig, auch in die Zukunft zu blicken. Sparen ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist – das ist mindestens genauso wichtig – das Vorantreiben zukunftsgerichteter Investitionen. Schon Helmut Kohl sagte: „Investitionen von heute sind Arbeitsplätze von morgen.“ Recht hat er gehabt. Der aktuelle Haushalt schafft wesentliche Grundlagen für Investitionen und eine Entlastung vieler Bürger, und das ist richtig und gut. Mit der jährlichen Anhebung des Grundfreibetrags und anderen Dingen entlasten wir vor allem Bürgerinnen und Bürger mit kleinen und mittleren Einkommen. Mit der Umsetzung der Idee der CSU für ein Baukindergeld ermöglichen wir vielen Familien erstmals einen Eigentumserwerb. Darüber hinaus kommt es zu wesentlichen Investitionen in digitale Infrastruktur, Verkehr, innere Sicherheit und Bildung. Das ist notwendig für die Weiterentwicklung unserer Wirtschaft und für die Sicherung der guten Lebensverhältnisse in unserem Land. Es ist ein starker, es ist ein solider Haushalt. ({3}) Übrigens sollten sich diejenigen – egal welcher Fraktion –, die ihn schlechtreden, intensiver mit den Haushaltszahlen befassen. Dann werden auch sie sehen: Es ist ein starker und ein solider Haushalt. Diesen Weg aus Investitionen und Entlastungen müssen wir konsequent weitergehen. Wir haben viele notwendige Aufgaben vor uns, die wir in den nächsten Monaten angehen und zeitnah erfüllen müssen. Ich möchte hier drei Punkte herausgreifen. Erstens. Nach der Umsetzung der Steuerreformen in den USA und Frankreich hat Deutschland im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz bei den Unternehmensteuern eingenommen. Wir müssen hier dringend gegensteuern. Wir brauchen eine umfassende Unternehmensteuerreform, die uns europaweit und international wettbewerbsfähiger sein lässt. ({4}) Es kann zum Beispiel nicht sein, dass man in Deutschland unter Anwendung der aktuellen Gesetzgebung mit einem Ergebnis von null Gewerbesteuer aufgrund von Hinzurechnungen zahlen muss. Dieses Beispiel unterstreicht, dass wir bei einer Unternehmensteuerreform sowohl den Steuersatz als auch die Bemessungsgrundlagen betrachten müssen. Zudem müssen wir die internationale Besteuerung anpassen, das Außensteuergesetz reformieren und negative Auswirkungen durch den Brexit auf unsere Unternehmen in der nächsten Legislaturperiode berücksichtigen. Zweitens. Wenn wir weiterhin eine führende Indus­trienation sein wollen, dann müssen wir ebenso den Bereich Forschung und Entwicklung stärker in den Fokus unserer Bemühungen rücken. Deshalb ist es wichtig, die steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung – wie in unserem Koalitionsvertrag vereinbart – mit erster Priorität umzusetzen, spätestens mit dem Haushalt 2019. Anderenfalls werden Forschungsaktivitäten ins Ausland verlagert. Davon wird Deutschland mit Sicherheit nicht profitieren. ({5}) Drittens. Wir brauchen einen Bürokratieabbau, der diejenigen entlastet, die unsere Wirtschaft tragen, unseren deutschen Mittelstand. Die strengen Regelungen zu den Arbeits- und Ruhezeiten nach dem Arbeitszeitgesetz sind für eine moderne Wirtschaft anzupassen. Hinzu kamen in den letzten Jahren Bürokratiebelastungen, die wir dringend einer Evaluierung unterziehen müssen, zum Beispiel diverse Aufzeichnungsverpflichtungen bei den Minijobs, Anforderungen an die Umsetzung der Geldwäscherichtlinie und – aktuell in der Diskussion – die Umsetzung der Datenschutz-Grundverordnung. Hier brauchen wir eine Evaluierung und Entlastungen für den Mittelstand. ({6}) Unternehmen müssen manchmal mehr Zeit für Bürokratie aufwenden und haben weniger Zeit für die eigentliche Arbeit. Das kann dauerhaft zu weniger Steuereinnahmen, weniger Gewinnen und schlechteren Zahlen im Haushalt führen. Deshalb müssen wir entlasten. ({7}) Die Entlastung des Mittelstandes ist eine Investition, die nichts kostet, aber viel bringt. Das wollen wir zusammenbringen. Zusammengefasst brauchen wir weniger Sozialstaat und weniger Bürokratie. Stattdessen brauchen wir mehr Verantwortung und mehr Leistungsgerechtigkeit, ganz im Sinne von Ludwig Erhard. ({8}) Das hat die Politik von CDU und CSU geprägt. Das hat unser Land vorangebracht, und das wollen wir auch in Zukunft tun. Herzlichen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dennis Rohde für die SPD-Fraktion. ({0})

Dennis Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hinter uns liegt jetzt fast die erste Haushaltswoche, die erste Lesung des Bundeshaushalts. Vor uns liegt ein sehr ambitioniertes Ziel: Wir haben uns vorgenommen, den Bundeshaushalt noch vor der Sommerpause zu verabschieden. Wir haben uns vorgenommen, die Beratungen innerhalb von anderthalb Monaten hier durchzuziehen. Das ist ein ambitioniertes Ziel; aber es ist auch ein richtiges Ziel. Deutschland braucht einen Haushalt, und wir wollen ihn vor der Sommerpause verabschieden. ({0}) Ich bin optimistisch, dass uns das gelingen wird – ich bin mir da sehr sicher –, weil wir eine gute Vorlage des Bundesfinanzministers Olaf Scholz bekommen haben. Der Bundesfinanzminister ist nicht der Versuchung erlegen, trotz wirtschaftlich guter Zeiten allen Wünschen, die es gibt, eine Erfüllung im Bundeshaushalt zu geben. Er ist nicht der Versuchung erlegen, neue Schulden in den Haushalt zu schreiben. Wir haben einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorliegen. Das ist ein aktiver Beitrag zur Generationengerechtigkeit, und das begrüßen wir Sozialdemokraten. ({1}) Wir haben einen Haushalt vorliegen, der in dieser Legislaturperiode, verglichen mit der letzten, 18 Prozent mehr investiert. Wir investieren in dieser Legislatur 21,5 Milliarden Euro schon auf Grundlage dieses Entwurfs mehr. Hinzu kommt, was auf Grundlage der Steuerschätzung zu erwarten ist. Ich könnte jetzt der Versuchung erliegen, das zu machen, was die Kollegin Lötzsch eben gemacht hat. Ich habe nämlich dieselbe Liste wie Johannes Kahrs vor mir liegen und könnte jetzt eigentlich das alles aufzählen, was wir vorhaben, und dabei auf ihn verweisen, möchte das aber nicht tun, weil ich finde, dass dieses rhetorische Mittel nach der Rede aufgebraucht ist. Ich möchte daher lieber einen anderen Schwerpunkt setzen. Auch der Finanzminister hat in seiner Rede betont, dass es ein Haushalt des sozialen Zusammenhalts ist. Ich möchte ein Thema herausgreifen, das für uns in der politischen Debatte in den nächsten Jahren zentral ist, nämlich auch Menschen in Ballungsräumen kostengünstigen Wohnraum zu bieten. Es ist zu gewährleisten, dass jeder dort, wo er wohnen will, am Ende auch Wohnraum findet. Da gibt es verschiedene Dinge, die wir diskutieren. Ich freue mich, dass die Justizministerin zeitnah einen Entwurf zur Mietrechtsreform einbringen wird, dass wir die Mietpreisbremse endlich schärfen, dass wir die Modernisierungsumlage absenken. Wir wissen, das lindert nur die Symptome; aber wir müssen an die Ursachen heran. An die Ursachen kommen wir nur heran, wenn wir mehr sozialen Wohnungsbau umsetzen. Dafür nehmen wir in dieser Legislaturperiode 2 Milliarden Euro in die Hand. Ich finde, das ist gut angelegtes Geld. ({2}) Ich finde es auch richtig, wichtig und gut, dass wir das Baukindergeld umsetzen. Denn letztlich und endlich geht es dabei um mehr als nur, jungen Familien ein Eigenheim zu bieten. Wir machen sie unabhängig von Mietrechtspekulationen. Wir machen sie unabhängig von Mieterhöhungen, und wir bieten ihnen die Möglichkeit, sich eine vernünftige Altersvorsorge aufzubauen. Im Alter keine Miete zahlen zu müssen, ist ein gutes Instrument der Altersvorsorge, und deshalb ist das Baukindergeld auch richtig und gut. ({3}) Politik für Städte kann man nicht betreiben, ohne sich mit dem ländlichen Raum auseinanderzusetzen. Ich hatte in der letzten Legislaturperiode einmal das Vergnügen, mit einem Stadtbaurat einer mittelgroßen deutschen Stadt zu diskutieren, der zur Lösung vieler Probleme, zum Beispiel des Fehlens von Breitband auf dem Lande, vorgeschlagen hat, Dörfer einfach zu planieren und die Menschen in die Stadt ziehen zu lassen. Ich finde, das ist einer der dümmsten Vorschläge, die ich seit langem gehört habe. Was würde dann passieren? Der Nachfragedruck in den Städten würde ja noch mehr steigen, die Mieten würden noch mehr steigen, und wir würden genau das Gegenteil erreichen. Deshalb muss es uns in diesem Haushalt darum gehen, mehr für Breitband auszugeben, damit junge Menschen dort wohnen können, wo sie ihre Heimat haben, wo sie ihre Jugend verbracht haben. Es geht darum, den ÖPNV zu stärken, damit wir nicht nur auf Ehrenamtliche und Bürgerbusse angewiesen sind. Auch hier setzt dieser Haushalt Schwerpunkte. Auch das begrüße ich. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich auf eine größtenteils konstruktive Debatte im Ausschuss. Ich freue mich auf weiterhin konstruktive Debatten hier im Plenum. Letztlich und endlich geht es uns um die beste Lösung für unser Land, und die bieten wir. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Eckhardt Rehberg für die CDU/CSU-Fraktion als letzter Redner in dieser Debatte. ({0})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Otto Fricke, du hast schon recht. Ich habe bei den Sozialdemokraten bisher noch nie erlebt, dass sie den Zusammenhang so hergestellt haben: keine neuen Schulden, Generationengerechtigkeit, Sozialpolitik. ({0}) Das ist ein Erkenntnisgewinn. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass sie jetzt den Finanzminister stellen; das kann ja sein. ({1}) Ich bedanke mich, liebe Anja Hajduk, ganz ausdrücklich für das Lob, das du gegenüber Wolfgang Schäuble geäußert hast: dass Olaf Scholz ein gut bereitetes finanzielles Bett übernommen hat. Deswegen glaube ich, dass die unionsgeführten Regierungen im Bereich der Haushalts- und Finanzpolitik in den letzten acht Jahren nicht alles falsch gemacht haben können. Danke für diese Einlassung! ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich die Haushaltsvorlagen anguckt, stellt man fest: Nicht nur der Haushalt für das Jahr 2018, sondern auch die mittelfristige Finanzplanung ist solide aufgestellt. ({3}) Wenn ich die drei wesentlichen Komponenten nehme – Wirtschaftswachstum, Lohnzuwächse, Unternehmensgewinne –, dann ist die Planung eher konservativ, aber das ist gut und richtig so. Ich bin seit 2009 im Haushaltsausschuss. Ich habe immer wieder Horrorszenarien gehört, nämlich dass alles das, was wir uns vorgenommen haben, nicht klappen würde. Ja, massive Zinsminderausgaben wird es nicht mehr geben. Aber ich bin davon überzeugt, dass sich mit der Politik, die wir in der Großen Koalition vereinbart haben, Wachstum, Lohnzuwächse und Unternehmensgewinne weiter so entwickeln werden wie in den letzten Jahren. Ich glaube auch, dass dieser Haushalt eine gute Basis dafür ist. Wir investieren in Bildung und Forschung. Wir investieren in Familien; Kollege Rohde hat das Thema „Bau und Baukindergeld“ angesprochen. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der größte Brocken, was die prioritären Maßnahmen betrifft, geht an Länder und Kommunen. ({4}) Ich habe das schon am Dienstag gesagt: Ich finde, wir haben hier eine föderale gesamtstaatliche Verantwortung. Ich glaube, es nützt nichts, wenn wir in die Finanzierung von Ganztagsbetreuung, Kindergärten und Hochschulen hineingehen und massiv die Ausrüstung von Schulen – Stichwort „digitale Infrastruktur“ – finanzieren und die Länder und Kommunen kommen hier ihrer originären Verantwortung nicht nach. So wird das gesamtstaatlich nicht laufen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Warum sage ich das? Zum Thema: Digitalisierung von Schulen. Es stehen heute 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Das ist also problemlos möglich mit dem zweiten Kommunalinvestitionspaket. Es wird von den Ländern und Kommunen so gut wie nicht genutzt. Durch das 4,5‑Milliarden-Paket für den Breitbandausbau im Verkehrsministerium ist der Gigabitanschluss von Schulen möglich – das steht in der Förderrichtlinie –; es wird so gut wie nicht genutzt. Was tun die Länder und Kommunen selber? Ich habe keinen einzigen Redner gehört – von mir abgesehen –, ({6}) der darauf hingewiesen hat, dass Länder und Kommunen in diesem Jahr um 5 Milliarden Euro entlastet werden – ohne Gegenleistung. 5 Milliarden Euro, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({7}) In meinem Heimatland sind es 100 Millionen Euro. In Nordrhein-Westfalen ist es 1 Milliarde Euro. Damit kann man auf diesem Gebiet doch etwas in eigener Verantwortung machen. Über die 1,2 Milliarden Euro beim BAföG will ich hier gar nicht reden. Noch ein paar Zahlen: Steuerzuwächse bei den Ländern: 3,8 Prozent. Laufende Zuweisungen des Bundes: Steigerung um 6,3 Prozent. Steigerung der Investivzuweisungen des Bundes an die Länder: über 10 Prozent. ({8}) Das sind die Realitäten. Auch die Jahresüberschüsse sprechen eine beredte Sprache. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch zu ein paar ganz spannenden Fake News kommen, die in dieser Woche zu hören waren. Erste Bemerkung dazu, dass der Bund 50 Milliarden Euro für Flüchtlinge ausgebe. Die Realität sieht anders aus. ({9}) Flüchtlingsbezogene Kosten betragen 21 Milliarden Euro, davon rund 7 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe, den Außenbereich, und 14 Milliarden Euro für die Ausgaben des Bundes mit den Leistungen des Bundes zur Unterstützung der Länder und Kommunen. Ich finde das, was die AfD hier macht, wirklich mehr als übel. Es ist nicht populistisch, es ist, wie ich finde, absurd, es ist schizophren. ({10}) Nun zum Höhepunkt. Leider rede ich nach dem Kollegen Fricke, aber auch ich will auf ein Zitat eingehen, auf dem die Fraktionsvorsitzende der AfD am Mittwoch ihre ganze Rede aufgebaut hat: Im Bundeshaushalt werden schlicht nicht alle Ausgabenposten aufgeführt. Denn: Wo ist zum Beispiel der EU-Etat zu finden? Richtig – gar nicht. Die rund 30 Milliarden Euro, die Deutschland nach Brüssel transferiert, werden im Budget verschwiegen. ({11}) Das ist schlichtweg unwahr, und Sie haben das bewusst gemacht, Frau Weidel, um den Eindruck zu erwecken, dass wir nur Geld einzahlen und nichts zurückbekommen. ({12}) Ich finde, Otto Fricke hat Sie schon zu Recht auf Einzelplan 60, Kapitel 6001, Anlage 1, hingewiesen. Da wird schön in vier Titeln aufgelistet, wie viel Deutschland wohin in den EU-Haushalt abführt. Ich will Ihnen eines sagen: Wenn wir diese Rückflüsse der europäischen Gelder – Wirtschaftsförderung, Europäischer Sozialfonds, vieles andere mehr – nicht gehabt hätten, dann würden wir in den neuen Bundesländern, im Osten Deutschlands und auch ich bei mir in Mecklenburg-Vorpommern nicht diese blühenden Landschaften haben. ({13}) Ohne Europa wäre das nicht möglich. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Rehberg, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Herrn Boehringer?

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, jetzt eine Minute vor Ablauf meiner Redezeit und am Ende der Schlussrunde nicht mehr. ({0}) Frau Kollegin Weidel, Sie von der AfD können so weitermachen. ({1}) Aber man darf hier nicht als Frau Baronin von Münchhausen auftreten und die Menschen verdummen wollen. Sie sollten bei aller Polemik, bei aller politischen Auseinandersetzung bei den Fakten bleiben und nicht Unwahrheiten hier im Deutschen Bundestag verbreiten. ({2}) Sie sollten erst einmal anfangen, den Bundeshaushalt zu lesen, ehe Sie sich hierhinstellen, um über den Bundeshaushalt zu reden. Es ist Voraussetzung, um sachgerechte Politik zu machen, dass man weiß, worüber man spricht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Baustellen ansprechen, die wir, wie ich glaube, haben: Erstens. Ich glaube, es ist wichtig – das richte ich insbesondere an den Koalitionspartner –, dass wir das Thema Trassenpreise im Blick haben. Dafür war Vorsorge getroffen in der Finanzplanung. Zweitens. Wir haben aktuell eine Rücklage der Bundesagentur für Arbeit in Höhe von 20 Milliarden Euro. Sie wird nach den Prognosen auf 25,5 Milliarden Euro aufwachsen, wenn nichts entnommen wird, und so geht es immer weiter bis zu über 40 Milliarden Euro im Jahr 2022. Ich glaube, dass es kein Problem darstellen würde, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung statt um 0,3 Prozentpunkte um 0,5 Prozentpunkte abzusenken. Dies würde allen Arbeitnehmern zugutekommen, gerade den Beziehern niedriger und mittlerer Einkommen. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Abgeordnete Boehringer hat zu einer Kurzintervention das Wort. ({0})

Peter Boehringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004675, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank für die Möglichkeit, eine Kurzintervention zu machen, vielleicht diesmal ohne Zwischenrufe, Herr Kahrs. ({0}) Ich ergreife jetzt das Wort für die Kollegin Weidel, ({1}) von der ja eine Aussage zitiert wurde, die sie am Mittwoch gemacht hatte. Nur für das Protokoll – – ({2}) – Frau Präsidentin, ich bitte um Ruhe an dieser Stelle. ({3}) ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Im Moment hat der Abgeordnete Boehringer überwiegend das Wort, Kollege Kahrs.

Peter Boehringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004675, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Nein, nicht überwiegend, sondern exklusiv, bitte. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir beide treten hier jetzt nicht in einen Dialog ein. – Ich bitte um Mäßigung in allen Fraktionen, und ich bitte darum, dass Sie mir die Möglichkeit geben, entsprechend unseren Regeln hier mein Amt auszuführen. Dazu sind keine Belehrungen aus den Fraktionen angebracht. Sie haben das Wort zur Kurzintervention.

Peter Boehringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004675, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Es ist eigentlich eine sehr technische Angabe. Die EU-Ausgaben sind als negative Einnahmen im Bundeshaushalt verzeichnet – in der wahnsinnigen Form einer einzigen Zeile auf Seite 41 und auf der von Herrn Fricke schon erwähnten Seite in Kapitel 6001. Das ist nichts, wenn man berücksichtigt, dass diese Ausgaben ein Elftel des Bundeshaushalts ausmachen. Es ist unwürdig, es in dieser Form – das geschieht schon seit Jahren – als negative Einnahmen zu verstecken und sie nicht zu diskutieren, zumindest nicht im Haushaltsausschuss. ({0}) Das ist das, worauf Frau Kollegin Weidel Bezug genommen hat. Das ist durchaus eine Debatte und Erwähnung wert. Herzlichen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zur Erwiderung hat der Kollege Rehberg das Wort.

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Haushaltsausschussvorsitzender Boehringer! ({0}) Das Zitat vom Mittwoch von Ihrer Fraktionsvorsitzenden lautete folgendermaßen: Dennoch binden uns die jeweiligen Finanzminister, wie gestern auch Olaf Scholz, Jahr für Jahr einen Bären auf. Wie das gelingt? Ganz einfach: Im Bundeshaushalt werden schlicht nicht alle Ausgabenposten aufgeführt. ({1}) Der Duktus ihrer Rede war, dass wir tarnen und täuschen. ({2}) Das war der Duktus ihrer Rede, ausgehend davon, dass im Bundeshaushalt die EU-Abführungen nicht aufgeführt sein sollen. Kommen Sie mir nicht mit irgendwelchen Negativeinnahmen. ({3}) Wenn Sie so eine Absurdität in die Welt stellen, haben scheinbar auch Sie noch nicht in Kapitel 60 geschaut; Sie sind Berichterstatter dafür. ({4}) Gucken Sie sich die vier Titel an – dort ist das klar geregelt –, gucken Sie sich den Gesamthaushalt an, darin sind auch die Rückflüsse geregelt, usw. usf. Der deutsche Bundeshaushalt ist klar und transparent in Bezug auf alle EU-Zahlungen. Sie sind die Trickser, Sie sind die Tarner und Täuscher. Sie haben hier in der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages mit Unwahrheiten agiert. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, mir zu ermöglichen, die Sitzung zu einem ordentlichen Ende zu bringen. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/1700 und 18/13001 an den Haushaltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 6. Juni 2018, 12.30 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 14.08 Uhr)