Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/16/2018

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Alice Weidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004930, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt ist der Nerv des Staates. Daher muss er den profanen Augen des Untertanen entzogen werden. Diesen Satz, der Kardinal Richelieu zugeordnet wird, haben Sie sich offensichtlich seit Jahrzehnten auf die Fahnen geschrieben; ({0}) denn pünktlich zur Vorstellung des Haushaltes beginnt das Tarnen und Täuschen. Statt dem Souverän, dem Bürger, reinen Wein einzuschenken, werden vollmundige Sonntagsreden gehalten. Und dabei fühlen Sie sich dem Schriftzug am Hohen Hause „ Dem deutschen Volke “ ohnehin nicht mehr verpflichtet. Das Volk wollen Sie sich nämlich selbst aussuchen und zusammenstellen. ({1}) Sie reden von einer schwarzen Null – doch in Wahrheit sitzen die Steuerzahler auf einem gewaltigen Schuldenberg, den die künftigen Generationen erben werden. Dennoch binden uns die jeweiligen Finanzminister, wie gestern auch Olaf Scholz, Jahr für Jahr einen Bären auf. Wie das gelingt? Ganz einfach: Im Bundeshaushalt werden schlicht nicht alle Ausgabenposten aufgeführt. Denn: Wo ist zum Beispiel der EU-Etat zu finden? Richtig – gar nicht. Die rund 30 Milliarden Euro, die Deutschland nach Brüssel transferiert, werden im Budget verschwiegen. Nach dem Brexit wird der Posten sogar noch größer. Die Haftungen und Garantien für andere Euro-Staaten, Banken und die diversen Euro-Rettungsfonds sind gigantisch, ganz zu schweigen von den TARGET2-Salden, mit denen wir unsere Exporte nämlich selbst bezahlen. ({2}) Auch ist nur ein Teil der tatsächlichen Schulden überhaupt veröffentlicht. Es ist nämlich die Schattenverschuldung, die Sie der jüngeren Generation wie einen Mühlenstein um den Hals gehängt haben. Der Ökonom Raffelhüschen hat in seiner Generationenbilanz nachgewiesen: Auf unglaubliche 7 Billionen Euro beläuft sich die Gesamtverschuldung, die Bund, Länder und Gemeinden angehäuft haben, zuzüglich der zukünftigen Zahlungen und Verpflichtungen aus dem gesetzlichen Sozialversicherungssystem und Ihrer stattlichen Pensionen. Ich stelle die Frage: Ist das eigentlich noch verantwortliches Haushalten? ({3}) Sie reden von Verantwortung, doch in Wahrheit geben Sie das Königsrecht des Parlamentes, die Budgethoheit, schamlos aus der Hand. „No taxation without representation“ – keine Besteuerung ohne Zustimmung des Parlaments – ist Grundsatz einer jeden parlamentarischen Demokratie. Das Bundesverfassungsgericht hat ganz klar festgehalten: Als Repräsentanten des Volkes müssen die gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages ... die Kontrolle über grundlegende haushaltspolitische Entscheidungen behalten. Der Deutsche Bundestag darf seine Budgetverantwortung nicht durch unbestimmte haushaltspolitische Ermächtigungen auf andere Akteure übertragen. Sie haben aber dennoch den Rettungsschirmen, den dauerhaften automatisierten Finanzierungsmechanismen zugestimmt, und Sie bejubeln die Pläne von Präsident Emmanuel Macron – kein Widerspruch zum gigantischen Transfer von deutschem Steuergeld, kein Widerspruch zu einem EU-Finanzminister. Ganz im Gegenteil: Es scheint Ihnen nicht schnell genug zu gehen, Verantwortung nach Paris und Brüssel zu übertragen – und damit das Steuergeld, das Sie hier nie erarbeitet haben, sehr geehrte Damen und Herren. ({4}) Unser Haushalt ist sozial gerecht, behaupten Sie tatsächlich. Deutschland hat eine der höchsten Einkommens- und Ausgabenbelastungen aller westlichen Staaten. Durch Ihre absurde Steuerpolitik sind vor allem die Verdiener mittlerer und kleiner Einkommen, vor allem die Familien belastet. Die Steuerzahler bluten zusätzlich mit dem Abschmelzen ihrer Ersparnisse für die Zinsersparnis, die sich der Staat über die Null- und Negativzinspolitik der EZB ermöglicht. Der Staat entschuldet sich also auf Kosten der Sparer und Steuerzahler. ({5}) Und dann über die schwarze Null reden! Was ist daran gerecht, was ist daran sozial, sehr geehrte Damen und Herren? Es ist nichts anderes als Steuerzahlerausbeutung nach Gutsherrenart, was Sie hier praktizieren. Während die Infrastruktur dieses Landes zerfällt, der Staat seine Bürger nicht mehr schützen kann, fließen Abermilliarden in die Aufnahme und Alimentierung illegaler Einwanderer und in die Sozialsysteme. ({6}) Es ist erschreckend: In spätestens 20 Jahren wird jeder fünfte Rentner auf die Grundsicherung angewiesen sein. Trotz eines harten Arbeitslebens haben heute unzählige Senioren kaum genug zum Leben. Zwei Beispiele aus Bochum: Zum einen Herbert W. Bis Mitte der 70er-Jahre hat er unter Tage gearbeitet, später bei Opel, hat viele Jahre ins deutsche Rentensystem eingezahlt, sammelt am Wochenende Flaschen vor dem Ruhrstadion, um seine kümmerliche Rente aufzubessern. ({7}) Zum anderen Sami A. Er ging früher auch einer beschwerlichen Arbeit nach, er war Leibwächter von ­Osama Bin Laden, hat nie ins deutsche Sozialsystem eingezahlt, fährt am Wochenende gern mit seinem Moped ins Grüne, erhält vom Staat 1 200 Euro pro Monat, und das seit sage und schreibe zehn Jahren. Das ist aus meiner Sicht eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, die Sie zu verantworten haben. ({8}) Sie behaupten, der Haushalt sei zukunftsorientiert. Im Gegenteil: Sie verbauen die Chancen der zukünftigen Generationen. Das Fundament unseres Staates sind die Menschen, die hier leben und arbeiten. Es sind aber nicht nur die Menschen, die jetzt hier leben, sondern auch diejenigen, die in Zukunft hier leben werden. Ja, wir haben die Hauptverantwortung für die Menschen, die Familien, die schon länger hier leben, und diesen Menschen haben Sie zu dienen. Staatsaufgabe ist nämlich, das über Generationen aufgebaute Volksvermögen treuhänderisch zum Wohle des deutschen Volkes zu verwalten und es nicht mit vollen Händen zum Fenster rauszuschmeißen; ({9}) denn Eigentümer sind die deutschen Bürger und nicht Sie, nicht die Regierung. ({10}) Seit 1972 werden in Deutschland jedes Jahr weniger Kinder geboren, als Menschen sterben. Für die Überlebensfähigkeit eines leistungsfähigen Staates ist das ein Problem. Was haben Sie dagegen getan? Nichts, ({11}) na ja, jedenfalls nichts Wirksames. Denn Sie setzen ausschließlich auf kompensatorische Einwanderung – das sagen Sie ja die ganze Zeit. Bei muslimischen Zuwanderern schaut die Geburtenrate nämlich ganz anders aus. Sogar die Auffettung der Einwohnerzahl durch zugewanderte Straftäter mit mehrfachen Identitäten scheint Sie überhaupt gar nicht zu stören. Doch ich kann Ihnen sagen: Burkas, Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse ({12}) werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern. ({13}) Dazu, Herr Kauder, bedarf es einer qualifizierten und keiner plan- und zügellosen, bildungsfernen Zuwanderung. Deutschland ist schon lange ein grenzenloses Einwanderungsland für Unqualifizierte und ein Auswanderungsland für Hochqualifizierte geworden. ({14}) Und was tun Sie dagegen? Wer soll in Zukunft für die Renten aufkommen? Wer zahlt denn Ihre stattlichen Pensionen, auch Ihre, Herr Hofreiter, Sie Schreihals? ({15}) Ihre eingewanderten Goldstücke etwa? Das glauben Sie doch wohl nicht im Ernst. Die Bürger scheinen Ihnen vollkommen egal zu sein. Sie wollen sich darauf beschränken, den Niedergang unseres Landes zu verwalten, teilweise haben wir den Eindruck, dass Sie ihn sogar befeuern. Aber das wird wohl Ihrem Wertekanon entsprechen. Wenn eine Bundestagsvizepräsidentin einem Transparent hinterherrennt, auf dem steht „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“, und alle hier das mittragen, indem sie zur Bundestagsvizepräsidentin gewählt wird – ich spreche von Claudia Roth –, dann muss man sich über nichts mehr wundern hier in diesem Hohen Haus. ({16}) Die AfD hingegen tritt für Verantwortung, Gerechtigkeit und für eine lebenswerte Zukunft ein. Deshalb fordern wir erstens einen schonungslosen Kassensturz. Alle Zahlen müssen endlich offen auf den Tisch gelegt werden. Zweitens. Wir fordern, den Sozialstaat endlich zu sichern und die Zukunft zu gestalten. Die Strategie des Generationenersatzes durch eine ungeregelte Zuwanderung, teilweise aus frauenverachtenden Stammeskulturen, hat sich als Holzweg erwiesen. ({17}) Wohlstand kann nur gesichert werden, wenn in sichere Grenzen und in die kommenden Generationen investiert wird. ({18}) Drittens. Wir wollen echte Steuergerechtigkeit. Mittel- und Geringverdiener müssen endlich ehrlich belastet werden. Dazu muss der Grundfreibetrag endlich angehoben werden. 2 000 Euro brutto im Monat steuerfrei, das wäre doch einmal visionär; ({19}) denn es kann doch nicht sein, dass ein Facharbeiter bereits beim 1,3-Fachen des Durchschnittslohnes den Spitzensteuersatz zu zahlen hat. Ich kann Ihnen sagen: Es ist endlich Zeit für eine ehrliche Entlastung. ({20}) Viertens. Keine weitere Aushöhlung der Souveränität. Die Hoheit über unseren Haushalt gehört nach Berlin und nicht nach Brüssel. ({21}) In diesem Sinne schließe ich mit einem Zitat des früheren tschechischen Präsidenten Zeman, das Ihnen auch schon die ehrenwerte ehemalige CDU-Abgeordnete Erika Steinbach vorgetragen hat – ich zitiere –: Falls Sie in einem Land leben, in dem Sie für das Fischen ohne Angelschein bestraft werden, jedoch nicht für den illegalen Grenzübertritt ohne gültigen Reisepass, dann haben Sie das volle Recht, zu sagen, dieses Land wird von Idioten regiert. ({22})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Weidel, Sie haben in Ihrer Rede unter anderem die Formulierung „Kopftuchmädchen ... und sonstige Taugenichtse“ gebraucht. Damit diskriminieren Sie alle Frauen, die ein Kopftuch tragen. ({0}) Dafür rufe ich Sie zur Ordnung. ({1}) Jetzt erteile ich das Wort der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. ({2})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, guten Morgen! ({0}) Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist für jedermann erkennbar, dass der Haushalt 2018 und die dazugehörige mittelfristige Finanzplanung wieder sehr gute Daten aufweisen. ({1}) Das ist außerordentlich erfreulich. Es wird inzwischen manchmal schon für selbstverständlich gehalten. Aber dass wir die höchste Beschäftigung seit der Wiedervereinigung haben, dass wir seit 2014 keine neuen Schulden machen, das ist alles andere als selbstverständlich. ({2}) Wir werden im nächsten Jahr erstmals seit 2002 mit der Gesamtverschuldung wieder dort liegen, wohin der Europäische Stabilitätspakt uns verweist, nämlich unterhalb von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. 2012, nach der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise, lag die Gesamtverschuldung bei knapp 80 Prozent. Dass wir das schaffen, das ist nichts anderes als Generationengerechtigkeit pur und das Denken an die Menschen, die nach uns leben werden. Deshalb ist das gut. ({3}) Der Internationale Währungsfonds hat in seinen gerade abgeschlossenen Artikel-IV-Konsultationen, die er mit Deutschland geführt hat, die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft als – ich zitiere – „beeindruckend“ bezeichnet. Fiskalische Spielräume sollten genutzt werden, um das Wachstumspotenzial zu erhöhen, staatliche Investitionen in die Infrastruktur sollten getätigt werden, Investitionen in Bildung sollten gestärkt werden, Verfahren sollten beschleunigt werden. Das ist genau das, was wir in unserem Koalitionsvertrag niedergelegt haben und was sich auch in diesem Haushalt widerspiegelt. Das findet also auch international durchaus Unterstützung. ({4}) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, unabhängig von diesen guten Zahlen und Werten erreichen uns täglich beunruhigende Nachrichten aus allen Teilen der Welt, leider auch aus Teilen, die sehr nah an der Europäischen Union liegen: ({5}) die schrecklichen Bilder aus Syrien inklusive der Bilder von Giftgasangriffen in jüngster Zeit, die Kündigung des Atomabkommens mit dem Iran durch die Vereinigten Staaten von Amerika, die Bombardierung von Stellungen auf den Golanhöhen durch den Iran, ein drohender Handelsstreit zwischen den USA und der Europäischen Union, tägliche Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie in der Ukraine, Terroropfer, auch am letzten Wochenende wieder in Paris und in Indonesien; 70 Jahre Israel, das war ein Tag zum Feiern, und trotzdem 59 tote Palästinenser und viele, viele Verwundete. Wir verfolgen diese Schlagzeilen täglich, die uns vor Augen führen, in welch unruhiger und auch unübersichtlicher Welt wir leben. Wir wissen inzwischen, dass wir uns von diesen Ereignissen nicht abkoppeln können. ({6}) Nach dem Arabischen Frühling, der von vielen auch als arabisches Beben bezeichnet wird, ist die Region vor unserer Haustür unruhig geworden: der Bürgerkrieg in Syrien seit 2011, der Sturz von Gaddafi in Libyen mit dem Zerfall der staatlichen Ordnung, 2014 die Annexion der Krim, die Probleme in der Ostukraine, 2014 der IS in Syrien und im Irak, ({7}) der Völkermord an den Jesiden im Irak und die in Rakka, geplanten Attentate, die Paris – „Charlie Hebdo“ – so erschüttert haben. Die sicherheitspolitische Situation in unserer Nachbarschaft hat sich gravierend verändert. Das hat tiefgreifende Auswirkungen, auch auf uns. Sie zeigen uns einmal mehr: Ein Land alleine kann mit Sicherheit Sicherheit nicht garantieren. Deshalb ist uns bewusst geworden, was wir vielleicht oft fast schon stereotyp gesagt haben: Unsere Sicherheit hängt unauflösbar mit der unserer Nachbarschaft zusammen; Deutschland braucht für seine eigene Sicherheit eine Einbindung in Bündnisse als Mitglied der Europäischen Union und als Mitglied der NATO. Trotz aller Schwierigkeiten, die wir in diesen Tagen haben, sind und bleiben die transatlantischen Beziehungen deshalb von herausragender Bedeutung. Das bleibt eine Konstante. ({8}) Aber diese transatlantischen Beziehungen müssen Meinungsunterschiede aushalten, auch gerade in diesen Tagen. Das zeigt sich insbesondere an der Kündigung des Nuklearabkommens mit dem Iran durch die Vereinigten Staaten von Amerika. Wir haben über ein Jahrzehnt verhandelt, um dieses Abkommen zustande zu bringen. Dieses Abkommen ist alles andere als ideal; aber der Iran hält sich nach allen Erkenntnissen der Internationalen Atomenergiebehörde an die Verpflichtungen aus diesem Abkommen. Dieses Abkommen ist einstimmig vom UN-Sicherheitsrat indossiert worden. Deshalb glauben wir, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, aber mit uns auch die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, dass es nicht richtig ist, dieses Abkommen jetzt, in dieser Situation zu kündigen. ({9}) Das bedeutet nicht etwa, dass wir mit dem, was der Iran ansonsten tut, zufrieden sein können. Wir müssen über mehr sprechen: über das ballistische Raketenprogramm, über den Einfluss, den der Iran und die Hisbollah in Syrien ausüben und über andere Fragen. Die Frage, die wir zu beantworten haben und die wir so anders beantwortet haben als die Vereinigten Staaten von Amerika, lautet aber: Kann man besser sprechen, wenn man dieses Abkommen kündigt, oder kann man besser sprechen, wenn man in diesem Abkommen bleibt? Wir glauben, dass man besser miteinander weiterreden kann und muss – ich sage das ausdrücklich, weil das ballistische Raketenprogramm auch und gerade eine Gefährdung der Sicherheit Israels ist –, wenn man in diesem Abkommen bleibt. ({10}) Genau in diesem Sinne hat der Bundesaußenminister gerade gestern Abend wieder Gespräche geführt. Wir wissen auch – das zeigt sich jeden Tag drängender –, dass wir natürlich eine politische Lösung in Syrien brauchen, dass das Leben der Menschen in Syrien unter einem unglaublichen Schrecknis abläuft. Die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger Syriens ist inzwischen auf der Flucht: ein großer Teil innerhalb Syriens, ein anderer Teil außerhalb Syriens. Beim Kampf gegen den IS sind wir vorangekommen. Deutschland hat sich an der Anti-IS-Koalition und an den Operationen gegen Daesh beteiligt, durch Ausbildung der Peschmerga im Irak und durch Luftüberwachung. Aber inzwischen ist aus dem Bürgerkrieg in Syrien, dem Kampf gegen den islamistischen Terrorismus, ein Regionalkonflikt gigantischen Ausmaßes geworden, der ohne Russland, ohne die Türkei, ohne den Iran, ohne Saudi-Arabien, ohne Jordanien und im Grunde auch ohne Europa nicht zu lösen ist. Aber wahr ist auch – der Schriftsteller Mathias Énard, der gerade den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung bekommen hat, hat das beklemmend zu Papier gebracht –: Europa ist immanent betroffen und hat gleichzeitig zur politischen Lösung dieses Konflikts bisher nicht ausreichend beigetragen; ich sage das auch selbstkritisch. Deshalb sind wir froh, dass wir jetzt der sogenannten Small Group angehören, in der Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Jordanien, Saudi-Arabien und die USA gemeinsam nach Lösungen suchen. Natürlich muss aber auch die sogenannte Astana-Gruppe – Türkei, Iran und Russland – mit in die Gespräche einbezogen werden. Das kann bedeuten, dass wir endlich auch die Arbeit des UN-Vermittlers de Mistura besser unterstützen können. Ich glaube, es ist aller Mühe wert – obwohl ich mir keine Illusionen hinsichtlich der Kompliziertheit dieses Konflikts mache –, dass wir uns politisch stärker engagieren. Das wird die Bundesregierung tun. ({11}) Auch für einen anderen Konflikt in unserer Umgebung, mit dem wir uns schon viel beschäftigt haben, dem zwischen Russland und der Ukraine, gibt es nur eine politische Lösung; militärisch ist er nicht zu lösen. Wir tun das im Normandie-Format. Wir versuchen, das Abkommen von Minsk wiederzubeleben, obwohl es schon deprimierend ist, dass es jede Nacht zu Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie kommt und dass es immer wieder Behinderungen der OSZE-Beobachter gibt, denen ich im Übrigen von dieser Stelle aus einmal herzlichen danken möchte. ({12}) Jahre über Jahre dort diese Arbeit zu tun, das sind wirklich friedenssichernde Maßnahmen. Deutschland hat immer den vernetzten Ansatz befürwortet. Die neue Bundesregierung wird dies verstärkt tun. Wir wissen: Wir können solche Probleme nur lösen, indem wir Entwicklung betreiben, indem wir politische Lösungen suchen und indem wir als Ultima Ratio auch militärische Gewalt einsetzen. Aber militärische Gewalt alleine wird das Problem nicht lösen. Wir haben – sozusagen symptomatisch dafür – in unserem Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die Entwicklungsausgaben und die Verteidigungsausgaben eins zu eins erhöhen, um deutlich zu machen, dass uns dieser vernetzte Ansatz nicht irgendein, sondern ein zentrales Anliegen ist. ({13}) Aber wir müssen Verpflichtungen auf allen Seiten einhalten; das heißt, die ODA-Quote, die wir noch nicht erreicht haben, auf der einen Seite und die Ziele von Wales bzw. der NATO auf der anderen Seite. Diesen Zielen fühlen wir uns verpflichtet. Das haben wir auch im Koalitionsvertrag niedergelegt. Der Bundesfinanzminister hat gestern gesagt – mit seiner Erlaubnis darf ich ihn zitieren –: „Ein verteidigungspolitisches Konzept wird nicht schon dadurch gut, dass es teuer ist.“ ({14}) Das stimmt; das ist unbestritten. Aber die Frage lautet ja anders. Die Frage lautet: Was brauchen wir für eine Bundeswehr, damit sie den heutigen Anforderungen Rechnung trägt? ({15}) Ich möchte an dieser Stelle auf das Weißbuch 2006, das wir auch in einer Großen Koalition verabschiedet haben, hinweisen. In diesem Weißbuch haben wir uns voll auf die Auslandseinsätze konzentriert. Damals galt der Satz von Peter Struck, den er richtigerweise gesagt hat: „Die Sicherheit Deutschland wird auch am Hindukusch“ – „Hindukusch“ steht pars pro toto – „verteidigt.“ Das war absolut richtig. ({16}) Aufgrund der Ereignisse im Jahre 2014 und aufgrund dessen, was vor unserer Haustür passiert – zum Beispiel auch im Raum Syrien –, hat die NATO 2014 beschlossen – das haben wir im Übrigen im Weißbuch 2016 nachvollzogen –, dass neben den Auslandseinsätzen auch die Landes- und Bündnisverteidigung wieder von größerer Bedeutung sind. Genau an diesem Punkt sind wir bei den Herausforderungen, vor denen die Bundeswehr und natürlich auch die Bundesregierung gestellt sind. Wir müssen unsere Soldatinnen und Soldaten nicht nur in den Auslandseinsätzen so ausrüsten und ausstatten, dass sie ihre Einsätze gut absolvieren können, sondern wegen der Landes- und Bündnisverteidigung müssen sie gleichermaßen auch zu Hause in viel größerer Breite Material und Ausrüstung zur Verfügung gestellt bekommen, um die zusätzlichen Aufgaben, die wir heute haben, bewerkstelligen zu können: die Luftraumüberwachung im Baltikum, die Rückversicherung für Polen und die drei baltischen Staaten – dafür sind wir als Rahmennation in Litauen tätig –, die Verstärkung des Korps in Stettin und die Engagements in Rumänien und Bulgarien. Dafür muss man schneller Truppen verlegen können und nicht nur jeden hundertsten Soldaten vernünftig ausstatten – diese Zahl habe ich einfach mal herausgegriffen; ich bin keine Expertin –, während alle anderen mit wenig Übungsgerät auskommen müssen. Um diese Aufgaben schultern zu können, muss in großer Breite entsprechende Ausrüstung zur Verfügung gestellt werden. Das ist eine Aufgabe, vor der die Bundeswehr steht. Die zweite Aufgabe ist, die große Herausforderung der Digitalisierung zu bewältigen. Hier geht es zum einen um die Digitalisierung der Strukturen der Bundeswehr, zum anderen aber auch um völlig neue Fähigkeiten, zum Beispiel die Cyberfähigkeit. Es war richtig, ein Cyberkommando einzurichten; denn die hybride Kriegsführung ist zum Beispiel Teil der Militärdoktrin Russlands – ganz offiziell beschrieben. Darin sind sie gut; und hier müssen wir natürlich wehrhaft sein können. Ansonsten werden wir keine Chance haben. ({17}) Es geht nicht um Aufrüstung, sondern ganz einfach um Ausrüstung. Ich finde, darüber sollten wir einen ruhigen Dialog führen, zum Beispiel auch mit dem Wehrbeauftragten, der das alles wunderbar ausdrücken kann – insbesondere in seinen Berichten. Wir sollten einfach helfen, dass auch der Wehrbeauftragte wieder positive Berichte schreiben kann. ({18}) Meine Damen und Herren, daran zeigt sich, dass wir unsere Außenpolitik natürlich auf Multilateralismus ausrichten. Der Multilateralismus steht im Augenblick unter großem Druck. Wir wissen: Weil der Multilateralismus unter so großem Druck steht, muss Europa sein eigenes Schicksal stärker in die eigenen Hände nehmen, als das bislang der Fall war. Deshalb brauchen wir europäische Antworten. Es war eine gute Nachricht, dass wir in sehr kurzer Zeit nach dem Schock, den wir hatten, als Großbritannien beschlossen hat, aus der Europäischen Union auszutreten, als Erstes ein jahrzehntelang ruhendes Projekt auf die Beine gebracht haben, nämlich eine europäische Verteidigungsunion, eine strukturierte Zusammenarbeit. Im Rahmen dieser strukturierten Zusammenarbeit gibt es jetzt erste Projekte. Bei einigen dieser Projekte übernimmt Deutschland im Übrigen auch Verantwortung. Die wichtige Botschaft ist aber eigentlich eine andere: Wenn Sie sich die Zahl der Waffensysteme der Mitgliedstaaten der Europäischen Union anschauen, dann sehen Sie, dass wir auf stolze 178 kommen. Wenn Sie sich die Zahl der Waffensysteme der Vereinigten Staaten von Amerika ansehen, dann sehen Sie, dass sie auf 30 kommen. Die Vereinigten Staaten geben rund 3,5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung aus, die Europäische Union liegt im Mittel unter 2 Prozent. Mit 178 Waffensystemen kann man überhaupt nicht effizient sein. Das heißt, eine große Aufgabe wird darin bestehen, dahin zu kommen, dass wir mit einheitlichen Systemen viel effizienter und in der Ausbildung auch viel einfacher miteinander agieren können. Daraus werden wir auf lange Zeit einen großen Nutzen ziehen können. Das ist allemal richtig und ein Riesenfortschritt, der zu einem neuen Pfeiler in der europäischen Zusammenarbeit führt. ({19}) Die dritte große Aufgabe, die Europa zu schultern hat, ist die Beantwortung der Frage, wie wir die Migration regeln und steuern. Das wird ein Thema sein, das uns über Jahre – ich sage: Jahrzehnte – beschäftigen wird, mit der Nachbarschaft Syriens, aber vor allen Dingen dann auch mit der Nachbarschaft Afrikas. Deshalb ist es richtig, dass wir an einem gemeinsamen europäischen Asylsystem arbeiten. Deshalb war es richtig, Frontex einzuführen. Aber mit knapp 1 400 Polizisten bei Frontex werden Sie die Außengrenzen der Europäischen Union mit Sicherheit nicht schützen können. ({20}) Deshalb ist eine der großen Aufgaben der Zukunft, Frontex zu stärken und vernünftig auszurüsten, ({21}) und Deutschland wird dazu seinen Beitrag leisten, meine Damen und Herren. ({22}) Wir wissen auch: Abschottung alleine wird nicht helfen, wenn wir nicht auch Ursachen von Flucht und Vertreibung bekämpfen. Ich habe über die politische Lösung in Syrien und über den Kampf gegen den IS im Irak gesprochen. Und die große Aufgabe – Gerd Müller würde jetzt den Marshallplan mit Afrika nennen, was ich unterstütze – heißt hier, auch wieder in einer gemeinsamen europäischen Kraftanstrengung – denn unsere europäische Entwicklungspolitik ist nicht immer effizient – wirklich zur Entwicklung von Afrika beizutragen. Das hat zwei Komponenten. Die eine Komponente ist die humanitäre Hilfe. Wir haben das erlebt. Als die Flüchtlinge in Jordanien und Libanon kein Geld mehr hatten, um Lebensmittel zu kaufen und ihre Kinder zu beschulen, war der Druck, zu fliehen, ins Unermessliche gewachsen. ({23}) Aber wenn Sie sich heute die Budgets der UN-Hilfsorganisationen anschauen, dann ist die Wahrheit: Obwohl wir ein Vielfaches mehr tun, ist international längst nicht so viel getan worden, wie getan worden sein müsste. Alle Budgets, ob UNHCR, ob Welternährungsprogramm, sind dramatisch defizitär, und wir müssen unsere Stimme, wo immer es geht, erheben und natürlich auch unseren Beitrag für diese humanitären Fragen leisten. ({24}) Aber es darf natürlich jetzt auch nicht so sein, dass wir den gesamten Entwicklungsetat sozusagen für humanitäre Hilfe umwidmen. Denn Entwicklung findet ja nicht ausreichend statt. Dann ist es auch richtig, dass wir uns fragen: Sind unsere Mittel und Methoden der Entwicklungshilfe eigentlich ausreichend? Ich sage, nein. Die klassische Entwicklungshilfe alleine reicht nicht aus. Wir müssen überlegen, wie wir wirtschaftlichen Schwung in die Dinge bringen, wie wir auch mit Kreditinstrumenten, mit Hermes und vielem anderen mehr, noch mehr Investitionen in Afrika möglich machen, aber natürlich auch durch das, was Wolfgang Schäuble in der G-20-Präsidentschaft gemacht hat: durch bessere Rahmenbedingungen – Compact with Africa – ein gutes Investitionsumfeld schaffen. Anders wird wirtschaftliche Entwicklung dort nicht in Gang kommen. Nur mit staatlichen Geldern wird das nicht klappen, meine Damen und Herren. ({25}) Natürlich brauchen wir viertens in Europa eine Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion. Wir sind durch die Krisen gekommen. ({26}) Wir haben heute eine Situation, in der alle europäischen Mitgliedstaaten, die den Euro haben, wieder wachsen. Die Beschäftigung steigt. Aber das kann uns nicht zufriedenstellen, weil wir natürlich wissen, dass im Augenblick die Europäische Zentralbank eine Politik fährt, die nicht auf Dauer so weitergehen wird. Deshalb ist die Aufgabe, die Euro-Zone nachhaltig zu stärken und krisenfest zu machen, ferner, dass es darüber intensive Diskussionen gibt und dass wir darüber sprechen, was die nationale Verantwortlichkeit ist. Viele der Politiken in Europa sind nicht vergemeinschaftet. Wir können alleine kein Handelsabkommen mehr abschließen, aber wir können natürlich alleine Arbeitsmarktpolitik machen. Jeder hat das in nationaler Verantwortung. Die Budgethoheit ist in nationaler Verantwortung. Die Frage der Wettbewerbsfähigkeit bzw. der Genehmigungen ist in vielen Bereichen – nicht in allen; vieles ist auch europäisch geregelt – in nationaler Verantwortung. Deshalb liegt die Aufgabe zuallererst zu Hause, in den einzelnen Mitgliedstaaten, dazu beizutragen, dass die Wettbewerbsfähigkeit besser wird, und zwar nicht besser gegenüber unserem europäischen Durchschnitt, sondern besser gegenüber dem, was global notwendig ist. ({27}) Die globale Sicht auf eine gemeinsame Währungsunion ist so, dass man sagt: Ihr müsst auch irgendwo Letztverantwortung haben. Wir wollen wissen, ob ihr alle gemeinsam zum Euro steht. ({28}) Deshalb ist es richtig und gut, den ESM weiterzuentwickeln, ({29}) ihm auch Aufgaben zu geben in Richtung eines internationalen Währungsfonds. Das können wir alleine. Und deshalb stimme ich auch zu, dass, wenn der Risikoabbau national weit vorangegangen ist, wir einen Common Backstop haben und dieser Common Backstop auch beim ESM angesiedelt sein könnte, so wie der Bundesfinanzminister das gestern gesagt hat. ({30}) Dann haben wir die Aufgabe, zu überlegen: Wie können wir die Konvergenz der Euro-Zone und die Stabilität der Euro-Zone sicherstellen? ({31}) Da finden im Augenblick Gespräche statt. Wir haben im Augenblick zwei Projekte. Das eine Projekt ist die Euro-Zone, auch die finanzielle Ausstattung, meinetwegen ein Investitionshaushalt oder Ähnliches, wie wir es in unserer Koalitionsvereinbarung geschrieben haben. Aber gleichzeitig haben wir die Beratungen zur mittelfristigen finanziellen Vorausschau in Europa. Jetzt sage ich mal: Der Finanzminister ist großzügig, aber irgendwie gelten auch für ihn die Grundrechenarten. Das heißt, deutlich mehr in den europäischen Haushalt und noch deutlich mehr in den Euro-Zonen-Haushalt geben und trotzdem die Stabilitätskriterien einhalten, das ist natürlich nicht ganz einfach. Deshalb werden wir mit Frankreich genau über die Wechselwirkungen sprechen: Was müssen wir in den Haushalt packen? Nach dem Austritt Großbritanniens sind 85 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Europäischen Union in der Euro-Zone. Weitere Frage: Was müssen wir speziell als Absicherung gegebenenfalls noch im Euro-Haushalt machen? Diese Gespräche finden statt, und wir werden bis zum Juni-Rat darüber Einvernehmen erzielen. Das ist im Übrigen die einzige noch richtig offene Frage – unter all den Vorschlägen, die gemacht wurden. Ich glaube, dass wir schon ganz schön weit vorangekommen sind. ({32}) Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es natürlich auch um die Erweiterung. Hier geht es im Wesentlichen um die Frage: Wie geht es weiter mit dem westlichen Balkan? Ich werde heute nach Sofia fliegen. Wir werden uns morgen mit Vertretern der Mitgliedstaaten des westlichen Balkans treffen. Dass sie die europäische Perspektive haben, ist unbestritten. Jetzt ist die Frage: Wie und unter welchen Bedingungen können wir das machen? Aber ich kann nur sagen: Der westliche Balkan und die Situation dort entscheiden über Krieg und Frieden in unserer absoluten Nachbarschaft. Schauen Sie nur, wie schnell dort die Funken hochschlagen zwischen Serbien und Kosovo, innerhalb von Bosnien und Herzegowina, wie schwierig es ist, die Namensfrage von Mazedonien zu klären, wie man um Grenzabkommen ringt. Kosovo hat nun endlich mit Montenegro ein Grenzabkommen geschlossen – ein Riesenerfolg, wenn man sich vor Augen führt, dass selbst heute noch keine Klarheit zwischen Slowenien und Kroatien über den Seezugang herrscht, obwohl Kroatien und Slowenien Mitglieder der Europäischen Union sind. Im Übrigen ist das wieder ein Grund, zu sagen: Bevor Grenzfragen nicht geklärt sind, niemals Beitritt eines Landes! Das muss ich im Rückblick sagen. ({33}) Es ist immens wichtig, dass wir uns um diese Fragen kümmern und zur wirtschaftlichen Stärkung beitragen. Das alles ist wichtig für Europa. Um unser Wohlstandsversprechen in Europa einzuhalten, geht es jetzt auch um die Schaffung eines digitalen Binnenmarktes. Wir haben eine Unzahl von Verordnungen, die wir umsetzen oder noch verhandeln müssen. Hier geht es sehr stark um die Wettbewerbsfähigkeit Europas, und deshalb geht es auch sehr stark um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe das schon oft gesagt und sage das heute wieder: Vielleicht ist das ambitionierteste Projekt – weil wir zum Teil ganz neu denken müssen – die Frage: Wie gestalten wir diesen umfassenden gesellschaftlichen Wandel, der mit der Digitalisierung verbunden ist? Es geht nicht nur darum, dass wir die Infrastruktur ausbauen müssen; das müssen wir auch. Und da können wir auch besser werden. ({34}) Eines Tages muss es möglich sein, die App wieder abzuschaffen, mit der man die Funklöcher der Bundesnetzagentur mitteilt. Allerdings zu glauben, dass es reicht, dies den Telekommunikationsanbietern mitzuteilen, ist nicht sehr erfolgversprechend, weil damit die Funklöcher noch nicht weg sind. Die Anbieter brauchen manchmal Druck. Natürlich müssen wir nach der Tatsache, dass wir uns auf den 50-Megabit-pro-Sekunde-Ausbau konzentriert haben, in Zukunft nur noch Breitbandanschlüsse, also Glasfaser oder Kabel, fördern; das ist klar. Dazu haben wir die entsprechenden Programme, dazu haben wir die Vorhaben. Der Bundesfinanzminister hat gesagt, dass zusätzliche Mittel in einen Digitalfonds kommen, damit wir anfangen können und nicht wieder zwei Jahre warten müssen, bevor es endlich losgeht. ({35}) Die Ausschreibungen müssen so sein, dass die Leute vor Ort die Mittel auch nutzen können und nicht in Bürokratie ersticken; auch das haben wir gelernt. Daran werden wir arbeiten. Aber das geht ja weiter. Es geht um Forschung und Entwicklung. Wir zählen zu den fünf Ländern, die am meisten für Forschung und Entwicklung ausgeben. Aber es ist richtig, dass wir uns vorgenommen haben, den Anteil, der heute bei 2,94 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt, auf 3,5 Prozent im Jahre 2025 zu erhöhen, weil es heute Länder gibt, die bereits diese 3,5 Prozent erreicht haben. Da ist es natürlich von entscheidender Bedeutung, dass wir im industriellen Bereich, insbesondere im Mobilitätsbereich bei der Digitalisierung vorne mit dabei sind. Bei der Digitalisierung im Konsumentenbereich haben wir den Anschluss ja verloren. Da nutzen wir alle asiatische oder amerikanische Geräte; daran haben wir uns gewöhnt – okay. Das werden wir auch so schnell nicht aufholen. Aber jetzt, wo es um unsere industriellen Grundlagen geht, um das Internet der Dinge – wir sind ein Land, das noch eine hohe industrielle Wertschöpfung hat –, da müssen wir vorne mit dabei sein. Da reichen Platz fünf, Platz sechs oder sonst was nicht aus; sonst werden wir kein führendes Industrieland mehr sein. ({36}) Ich fange bei der Mobilität an. Die Mobilität wird sich dramatisch verändern. Deshalb ist es natürlich nicht nur zu kritisieren, sondern eigentlich auch unfassbar, sage ich mal, welches Vertrauen die deutsche Automobilindustrie im Zusammenhang mit dem Dieselskandal verspielt hat. ({37}) Es ist jetzt unsere Aufgabe, der Industrie zu sagen: Ihr müsst verlorengegangenes Vertrauen selber wiedergutmachen; das ist nicht die Aufgabe der Politik. ({38}) Aber ich sage auch: Es kann auch nicht in unserem Interesse sein, dass wir durch politische Maßnahmen die Automobilindustrie so schwächen, dass sie keine Kraft mehr für die eigentlichen Zukunftsinvestitionen hat. Das ist die Auseinandersetzung, die wir jetzt führen, zum Beispiel um Hardwarenachrüstung. Die Gutachten liegen jetzt auf dem Tisch. Sie müssen bewertet werden. Dann werden wir auch die Kommunen wieder einladen. Dann wird das Forum Diesel tagen. Aber, meine Damen und Herren, Tausende von Euro – egal ob es 2 000, 3 000 oder 5 000 sind – und zwei bis drei Jahre Beschäftigung zahlreicher Ingenieure mit der Frage, wie man die Typenzulassung kriegt, weil man an dem Motor etwas geändert hat: Ist das die richtige Beschäftigung für die Automobilindustrie? Oder müssen wir nicht alle Kräfte zusammennehmen und der Automobilindustrie sagen: „Ihr müsst jetzt in die Mobilität der Zukunft investieren, ins autonome Fahren, in alternative Antriebe; dabei unterstützen wir euch“? ({39}) Da gibt es für mich einen Punkt, der mich seit Jahren umtreibt. Ich bin froh, dass da bei der Wirtschaft jetzt ein Umdenken stattfindet: die Tatsache, dass behauptet wird, die Batteriezellproduktion könnten wir in Europa nicht mehr haben. Ich sage Ihnen: Die Batterie macht rund 40 Prozent der Wertschöpfung eines Autos der Zukunft aus – jetzt nehmen wir mal an, die Elektromobilität ist die Antriebstechnologie der Zukunft, was nicht sicher ist –, und dazu kommt noch 20 bis 30 Prozent digitale Wertschöpfung. Der eine Teil kommt dann aus Amerika oder Asien; der andere Teil, die Batterie, kommt auch, definitiv, aus Asien. Was ist dann noch die Wertschöpfung, die wir hier in Europa haben? Deshalb sage ich: Wir brauchen eine strukturierte Förderung. Die Europäische Kommission sieht solche Möglichkeiten vor. Wir machen das jetzt schon bei Chips, wo wir eine Kraftanstrengung vornehmen, um auch in die Zellproduktion einzusteigen. Nur, ohne wirtschaftlichen Druck und ohne wirtschaftliche Mitmacher geht das natürlich nicht; das können wir nicht als Staat machen. Deshalb bin ich dankbar, dass einige in der Automobilindustrie da umdenken. Wir werden das unterstützen. ({40}) Wir brauchen die konsequente Digitalisierung von Verwaltung, was im Übrigen kompatibel mit der Gesundheitskarte sein sollte. Das sage ich dem Geburtstagskind Jens Spahn heute mal. Er hat heute Geburtstag. ({41}) Wir brauchen einen Zugang der Bürgerinnen und Bürger für alle Verwaltungsleistungen. Das zu schaffen, wird natürliche eine große Kraftanstrengung sein. Und wir brauchen eine nationale Bildungsoffensive, sowohl durch den DigitalPakt Schule als auch im Bereich der Weiterbildung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Denn die Veränderungen, die jetzt im technischen Bereich stattfinden, haben natürlich massive Auswirkungen auf das, was in Zukunft gebraucht wird. Wir haben heute schon einen großen Fachkräftebedarf, den wir befriedigen müssen. Deshalb ist es richtig, dass wir ein Fachkräftezuwanderungsgesetz auf den Weg bringen werden; denn wir wollen die Wirtschaft stärken. Das Ganze hängt im Augenblick gar nicht mehr an den hohen Sozialabgaben oder an der Steuerfrage; es hängt daran, dass man in Deutschland einfach niemanden mehr findet. Da müssen wir helfen, dass die Wirtschaft in Deutschland bleiben kann und hier Wertschöpfung betreibt und dass sie nicht irgendwohin weggehen muss, weil sie hier keine Fachkräfte findet. ({42}) Deshalb ist das die richtige Antwort. Meine Damen und Herren, für uns wird das noch eine Riesenanstrengung sein. Ich bin im Übrigen sehr dankbar, dass die Koalitionsfraktionen sich entschieden haben, zwei Enquete-Kommissionen, die im Zusammenhang mit der Digitalisierung stehen, zu beschließen. Eine dieser Kommissionen beschäftigt sich mit der künstlichen Intelligenz. Wir sind seit 20, 30 Jahren relativ gut dabei, was künstliche Intelligenz anbelangt. Aber jetzt sind wir in einer Situation, in der wir den Anschluss vielleicht schon ein bisschen verloren haben oder zu verlieren drohen. Warum? Weil plötzlich zwei Entwicklungen zusammenkommen: die Entwicklung der künstlichen Intelligenz – Algorithmen und Ähnliches – als solche plus die Fähigkeit, riesige Mengen an Daten zu verarbeiten. Jetzt ist es bei der künstlichen Intelligenz so: Sie entwickelt sich nur gut, wenn sie viele große Datenmengen verarbeiten kann. Bei den Datenmengen ist natürlich die Frage – wir reden gerade über die Umsetzung der Datenschutz-Grundverordnung –: Wie hantieren wir mit den Daten, und wie stellen wir viele – im Übrigen: oft anonymisierte – Daten zur Verfügung? Aber zu glauben, wir könnten bei der künstlichen Intelligenz vorne sein und bei den Daten so restriktiv wie möglich sein, ist genauso, wie wenn man Kühe züchten will und ihnen kein Futter gibt; das ist einfach so. Deshalb ist die Kommission „Ethik der Daten“ wichtig, aber sie darf nicht so enden, dass Daten sozusagen zum raren Gut gemacht werden. Aus Daten kann man nämlich neue Produkte entwickeln. ({43}) – Es wird regelmäßig ein bisschen unruhig, wenn ich über so etwas spreche. Aber ich meine das ziemlich ernst. Die Tatsache, dass Daten zu einem wichtigen Faktor in der sozialen Marktwirtschaft werden, bedeutet im Grunde, dass wir neu denken müssen: vom Steuersystem bis zu den sozialen Sicherungssystemen. Wir erleben das ja bei Folgendem: Natürlich ist es nicht in Ordnung, dass Google, Amazon, Facebook – und wie sie alle heißen; „GAFA“, wie man so schön sagt – keine Steuern in Europa zahlen. Aber zu sagen: „Passt mal auf, jetzt erfinden wir mal einfach eine virtuelle Betriebsstätte, und die besteuern wir, als wäre es eine richtige Betriebsstätte“ – wozu wird das führen? Wir sind eine der großen Exportnationen. Die Unternehmen, die deutschen Unternehmen haben Betriebsstätten irgendwo in China oder sonst wo. Dann werden die Heimatländer sagen: Okay, das sind richtige Betriebsstätten. Jetzt besteuern wir die auch. – Deshalb sind wir zögerlich in Bezug auf bestimmte Vorschläge, die gemacht werden. Wir sind es nicht deshalb, weil wir nicht finden, dass man Steuern zahlen muss. Aber wenn wir hier ein Unternehmensteuerrecht dergestalt haben, dass wir ein altes Körperschaftsteuerrecht und da die Besteuerung der Internetkonzerne haben, und wenn wir anschließend nicht mehr wissen, ob ein Auto ein rollendes Internet ist oder ob ein Auto noch in die alte Körperschaftsteuerkategorie gehört: Da müssen wir Steuersysteme finden, die miteinander kompatibel sind. Deshalb sind die Arbeiten der OECD so wichtig. Und deshalb können wir da jetzt nicht einfach mal so einen Schlag machen und sagen: „Für zwei Jahre probieren wir mal was aus“, sondern wir müssen es vernünftig durchdenken. Das heißt aber nicht, dass wir nichts tun. Ähnlich wird es damit sein, dass Daten auch einen Wert haben wie Arbeit oder anderes. Darüber müssen wir dringend diskutieren. Vielleicht können wir dabei auch die entsprechenden Fachleute einbinden. ({44}) Meine Damen und Herren, ich habe so lange über Digitalisierung gesprochen, weil ich glaube, dass davon der Wohlstand, die Einlösung des Wohlstandsversprechens, abhängt. Wenn wir uns unsere Koalitionsvereinbarung anschauen – das spiegelt sich alles im Haushalt wider –, dann können wir feststellen: Wir sind in dieser Richtung wirklich gut vorangegangen. Wir haben jetzt ein Digitalkabinett; das wird vor der Sommerpause tagen. Wir werden einen Digitalrat einrichten, der uns ganz spezifisch bei Dingen berät, die wir noch nicht so wissen, über Entwicklungen, die wir haben. Wir haben die digitale Kooperation zwischen den Ressorts der Bundesregierung verbessert, auch durch die Staatsministerin für Digitalisierung im Kanzleramt. ({45}) Bei dem Digitalkabinett kommt übrigens heraus: Jeder Minister ist heute in bestimmter Weise ein Digitalminister. Das durchzieht alle Bereiche der Gesellschaft. Deshalb werden wir da zusammenarbeiten. Ich werde demnächst auch zu einer Anhörung zur künstlichen Intelligenz einladen, damit wir feststellen: „Wo stehen wir?“ und damit wir vor allen Dingen auch sagen können, was fehlt und wo wir besser zusammenarbeiten müssen. Im Übrigen ist das ein klassischer Gegenstand der deutsch-französischen Kooperation. So haben wir es auch in unserer Koalitionsvereinbarung verabredet. Frankreich und Deutschland werden heute in Sofia beim Abendessen, bei dem wir über Innovation sprechen, einen Vorschlag machen, wie wir mit disruptiven Innovationen in Europa umgehen; Stichwort „DARPA“. So etwas braucht auch Europa, und das muss gemeinsam gemacht werden. Nun, meine Damen und Herren, haben wir unsere Koalitionsvereinbarung aber auch in einer Stimmung verabschiedet, die uns sagt – – ({46}) – Die Stimmung war nicht schlecht. ({47}) Sie war der Lage entsprechend. Sie war der Ernsthaftigkeit der Lage geschuldet, sagen wir es mal so. ({48}) Wir konnten auch auf gewissen Vorarbeiten aufbauen, obwohl wir uns das nie eingestanden haben; egal. – Jedenfalls hat uns umgetrieben, dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland das Leben aus der Perspektive betrachten „Wie stellt sich das für mich dar?“ und nicht aus der Perspektive betrachten: Wer ist gerade für was zuständig? Deshalb sind wir an einigen Stellen über uns hinausgewachsen, so sage ich es mal als CDU-Mitglied. Wir haben jetzt die Möglichkeit, Schulen nicht nur in finanzschwachen Kommunen zu fördern. ({49}) – Wir arbeiten daran und hoffen auf tätige Mithilfe. Wir wissen auch, dass wir diese Mithilfe brauchen. – Wir haben uns entschlossen, mehr für den sozialen Wohnungsbau zu tun. Wir haben uns entschlossen, mehr für die Gemeindeverkehrsfinanzierung zu tun – all das ist mit Grundgesetzänderungen verbunden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist für den Bund in der Kombination mit dem Bund-Länder-Finanzausgleich nicht so eine triviale Entscheidung; denn durch den neuen Bund-Länder-Finanzausgleich, der in dieser Legislaturperiode, nämlich im Jahr 2020, in Kraft tritt, schwächt der Bund auch seine finanziellen Möglichkeiten. Olaf Scholz hat gestern richtigerweise darauf hingewiesen: Wenn wir die Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau den Ländern geben, wenn der Bund mehr in den Bund-Länder-Finanzausgleich gibt, wenn beim Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz der Schwerpunkt bei den Ländern liegt und sich in der Folge die Investitionssumme des Bundes um die entsprechenden Anteile verringert, dann darf man nicht sagen: Der Bund investiert nicht mehr. – So kann man das nicht machen. ({50}) Wir haben gesagt: Wir geben das Geld dahin, wo am besten damit gearbeitet werden kann. Das darf man dann aber nicht als Erstes 14 Tage später wieder vergessen. Trotzdem investieren wir ja mehr. Wir investieren übrigens nicht nur Steuergelder, sondern wir haben auch die Erlöse aus der Versteigerung der 5G-Frequenzen; wir werden daraus etwas machen. Unser Problem ist im Augenblick nicht, dass wir zu wenig Geld für Investitionen haben; unser Problem ist, eine Baufirma zu finden und Genehmigungen zu erhalten. Deshalb müssen wir die Verfahren im Genehmigungsrecht beschleunigen und versuchen, für mehr Gründungen zu sorgen, damit wir da vorankommen. ({51}) Im Wohnungsbaubereich ist es außerdem richtig und wichtig, die AfA und das Baukindergeld einzuführen. Das alles sind Incentives, wie man heute so sagt, also Anreize, um besser zu leben. ({52}) – Ja, die letzten Jahre haben wir schon viel gemacht, aber noch nicht genug. So ist das Leben, Herr Bartsch. ({53}) Ansonsten müssten wir ja irgendwann aufhören, Abgeordnete zu sein. Politik wird immer wieder neue Aufgaben haben. Das ist das Schöne und Spannende. Meine Damen und Herren, der Riesenbereich der Sicherheit ist für uns wichtig. Auch hier werden wir Kooperationen eingehen. Der Pakt für den Rechtsstaat ist überhaupt nicht denkbar, wenn man nicht mit Kommunen und Ländern zusammenarbeitet. Das heißt, die ganze Koalition ist auf ein sehr kooperatives Verhalten des gesamten föderalen Systems angelegt. ({54}) Ich setze darauf, dass das, was wir an Geldern für bestimmte Zwecke ausgeben, von den Ländern und Kommunen dann auch wirklich für diese Zwecke verwendet wird. Da werden wir schon sehr darauf achten, dass das nicht irgendwo verschwindet. ({55}) Meine Damen und Herren, ein Riesenbereich neben der Sicherheit ist natürlich auch die Steuerung und Ordnung der Migration im Innern. Deshalb haben wir uns für die AnKER-Zentren entschieden. Ich finde, jetzt sollten auch alle dazu stehen. Die Vorschläge des Bundesinnenministers an dieser Stelle sind wirklich sehr praxis­orientiert. Mit Verlaub: Wenn man am 19. April, wo wir noch nicht einmal 100 Tage im Amt waren, aufgrund von Missständen im BAMF, die Missstände sind, sagt, der Minister habe die Sache nicht im Griff, muss ich dazu ehrlich sagen: Das ist etwas komisch. – Unter Koalitionsfreunden wollte ich das noch einmal angemerkt haben. ({56}) Wir orientieren die sozialen Sicherungssysteme auf die Zukunft. Gestern wurde die Rentenkommission eingesetzt; das wird ein hartes Stück Arbeit. Wir werden natürlich in Pflege und Gesundheit Riesenkraftanstrengungen machen müssen. Wir brauchen mehr Fachkräfte; auch hier gibt es ein Riesenproblem. Ich glaube, wir alle sind uns im Übrigen einig – das fällt ja in weiten Teilen in die Kompetenz der Länder –: Dass man in den Pflegeausbildungsberufen bis vor kurzem Schulgeld bezahlt hat und keine Ausbildungsvergütung bekam, gehört zu den Anachronismen der Bundesrepublik Deutschland. Dass man das, kurz bevor die Republik 70 wird, noch abschafft, dafür bin ich sehr dankbar, liebe Freunde. ({57}) Es geht auch darum, die natürlichen Lebensgrundlagen zu sichern. Ich nenne das Stichwort „Klimaschutz“. Wir werden eine Kommission einsetzen, die sich mit dem Ausstieg aus der Braunkohle befasst. ({58}) Sie erinnern sich: Vor mehr als zehn Jahren haben wir uns mit dem Ausstieg aus der Steinkohle befasst. Wir haben es so hinbekommen, dass dieses Jahr die letzte Grube schließt, aber die Menschen, die dort gearbeitet haben, diesen Wechsel auch verkraften konnten und er mit ihnen gestaltet wurde. ({59}) So muss es auch bei der Braunkohle sein: erst fragen, was aus der Region wird, dann aussteigen, und nicht erst Aussteigedaten festlegen und sich dann überlegen, was aus den Menschen wird. Nur so wird ein Schuh daraus. ({60}) Wir werden auch auf eine lebenswerte Umwelt achten: mehr Tierwohl, mehr vernünftige Landwirtschaft. Ich hoffe nur, dass die Europäische Union in der Lage ist, die Entbürokratisierung der zweiten Säule, die sich diesem Thema widmet, hinzubekommen. Ansonsten werden wir es nicht schaffen. Ich will mit etwas schließen, was vielleicht manch einem ein bisschen klein vorkommt, was aber ein großes Thema ist: Am 20. Mai, nächste Woche, wird zum ersten Mal der Weltbienentag stattfinden – im Übrigen eine Initiative von slowenischen Imkern. Die Bienen stehen inzwischen pars pro poto für das, was wir unter Artenvielfalt, unter Natur, darunter, wie sie funktionieren muss und soll und wie wir sie schützen müssen, verstehen. Deshalb sollten wir an diesem Tag an die Artenvielfalt denken und etwas Gutes für die Bienen tun. Deutschland, Julia Klöckner, und der slowenische Agrarminister haben hierzu eine Vereinbarung geschlossen, wie wir auf diesem Feld mit Slowenien zusammenarbeiten wollen – ein kleines Teilchen eines guten, ganz präzisen und konkreten Einsatzes. ({61}) Meine Damen und Herren, Sie sehen: Wir haben viel Arbeit. Wir wollen das auch tun. Die Bundesregierung wird mit Nachdruck arbeiten. Herzlichen Dank. Alles Gute. ({62})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Christian Lindner. ({0})

Christian Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004097, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Dr. Weidel, Sie haben hier heute nach AfD-Manier wieder allen anderen Zensuren erteilt. Nun ist es ja auch Ihr gutes Recht als Oppositionsfraktion, das zu tun. Aber eine Partei, in der sich der national-ökonomische und der sozial-nationale Flügel nicht auf ein eigenes Rentenkonzept einigen können, ({0}) eine solche Partei sollte sich erst einmal selbst einer Klärung unterziehen, bevor Sie über andere urteilen. Dann können Sie wiederkommen. ({1}) Frau Bundeskanzlerin, in Ihrer Koalition wird gestritten: Der Gesundheitsminister und der Arbeitsminister streiten über Hartz IV. Der Wirtschaftsminister bemüht sich darum, dass die Nord-Stream-2-Pipeline kommt; der Außenminister verweigert sich allen zusätzlichen Initiativen zum Dialog mit Russland. Es ist ungeklärt, ob nach Auffassung dieser Regierung der Islam zu Deutschland gehört oder nicht. Frau Nahles ermahnt Sie, die Brückenteilzeit müsse jetzt aber wirklich kommen. Wir haben gestern und heute auf offener Bühne eine Auseinandersetzung um den Wehretat erlebt. Sie haben bei der Bundeswehrtagung 1,5 Prozent Investitionen in die Verteidigung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt 2025, zugesagt. Frau von der Leyen fordert 12 Milliarden Euro zusätzlich für diese Legislaturperiode. Und da stellt sich der Bundesfinanzminister hin und sagt: Ein verteidigungspolitisches Konzept wird nicht besser dadurch, dass es teuer ist. – Sie haben ihn heute hier in die Schranken verwiesen. Aber ausweislich der Zahlen des Haushalts ändert sich nichts; es gibt keinen Mittelaufwuchs. ({2}) Frau Bundeskanzlerin, Sie sprechen dieser Tage oft von der Krise des Multilateralismus. Mit Blick auf die drei Regierungsparteien bekommt dieses Wort eine ganz andere Bedeutung. ({3}) Die sozialdemokratische Fraktion hat Ihrer Rede heute keinen Beifall gespendet. ({4}) Wir ermuntern Sie, Frau Bundeskanzlerin, bei diesen offenen Richtungsfragen von Ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen. Führen Sie! Führen Sie dieses Land, ({5}) und lassen Sie den Worten Taten folgen! Sie haben hier für eine Stärkung des transatlantischen Verhältnisses plädiert. Dabei haben Sie unsere Unterstützung. Der Deutsche Bundestag sollte also endlich das Freihandelsabkommen mit Kanada, CETA, ratifizieren. Das wäre ein klares Signal. ({6}) Worauf warten Sie? Wir brauchen Europa angesichts der Kündigung des Iran-Abkommens durch die USA, der Lage in Syrien und einer im Raum stehenden Auseinandersetzung in Handelsfragen. Aber wie tritt Europa auf der Weltbühne auf? Binnen einer Woche kommen der französische Präsident und die deutsche Bundeskanzlerin nach Washington: der eine drei Tage mit militärischen Ehren, die andere drei Stunden bei Wasser und Brot. ({7}) Der französische Wirtschaftsminister sagt: „Wir schützen unsere französische Wirtschaft vor Sanktionen“; der deutsche Wirtschaftsminister sagt: „Wir können das nicht“. Wir wünschen uns eine abgestimmte europäische Haltung, Frau Bundeskanzlerin. Es ist Zeit für einen EU-Sondergipfel zu diesen Fragen, damit wir für die Welt symbolhaft unterstreichen, dass wir an einem Strang ziehen wollen. ({8}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben erneut eine Gelegenheit verstreichen lassen, Deutschland in Fragen der Weiterentwicklung Europas klar zu positionieren. Auch der Bundesfinanzminister hat dieses Thema gestern angesprochen. Die „Süddeutsche Zeitung“ jubelt heute, er habe ein leidenschaftliches Plädoyer für Europa gehalten. ({9}) Alle, die dabei waren, müssen sagen: Offensichtlich gibt es eine gewisse öffentliche Entwöhnung in Fragen der Leidenschaft, wenn der Auftritt von Olaf Scholz zur Europapolitik bereits den Affektstau löst. ({10}) Vielleicht liegt in Wahrheit die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ näher an der Wahrheit, die kommentiert hat, dass sich der Finanzminister nach und nach aus dem herauswinden will, was die SPD zuvor in den Koalitionsvertrag geschrieben hat. Unterm Strich kann man sagen: Keine klare Position dieser Bundesregierung in einer solchen Existenzfrage! ({11}) Da, wo es klare Aussagen gegeben hat, passen sie nicht in die Zeit. Sie sprechen über einen Europäischen Währungsfonds und den Common Backstop, um es auf Deutsch auszudrücken: die letzte Haltelinie, die auch mit dem Geld deutscher Steuerzahler finanziert wird, im Hinblick auf die Abwicklung privater maroder Banken. Und dann sagen Sie, verehrter Herr Finanzminister, Sie hätten die Vermutung, man könnte bei der Reduzierung von Risiken vielleicht noch schneller vorankommen, als man denkt. Was bringt Sie zu diesem Optimismus? Ich lese, dass in Italien eine Koalition kurz davorsteht, an die Regierung zu kommen, die Flat Tax und bedingungsloses Grundeinkommen will, aber gleichzeitig einen Schulden­ erlass von 250 Milliarden Euro bei der Europäischen Zentralbank erwirken will. In dieser Situation hätten wir uns von Ihnen ein klares Bekenntnis zu Stabilität und finanzpolitischer Eigenverantwortung gewünscht. Sie sagen, Herrn Macron helfen zu wollen. In Wahrheit ermuntern Sie mit Ihren Äußerungen aber nur Beppe Grillo. ({12}) Sie haben ja eine Diskussion über den EU-Haushalt aufgemacht. Wir entnehmen den Medien, dass der arme Staatsminister Roth bei den Verhandlungen in Brüssel über den EU-Finanzrahmen völlig alleine war. Alle anderen unserer Partner in Europa sagen: Wir wollen erst wissen, für was wir Geld ausgeben, bevor wir entscheiden, ob wir mehr geben. – Die Deutschen sind die Einzigen in Brüssel, die sagen: Wir geben mehr Geld und wollen danach darüber sprechen, wofür. ({13}) Damit haben Sie uns in die schlechtestmögliche Verhandlungsposition gebracht; ({14}) und wir sind damit allein. ({15}) – Frau Kollegin Baerbock sagt: Europa zuerst. – Ja, in der Tat. Aber, Frau Kollegin Baerbock, man ist nicht europafreundlich, indem man zu allem Ja sagt. Nur zum Richtigen sollte man Ja sagen. ({16}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Staat schöpft aus dem Vollen. 2007 beliefen sich die gesamtstaatlichen Einnahmen noch auf 540 Milliarden Euro. 2022 werden es 905 Milliarden Euro per annum sein, bei Nullzins und nahezu ohne Inflation. In diesen Zeiten ist die schwarze Null in der Tat kein Fetisch. Dass man das betont, ist ja schon eine sehr defensive Position. Sie ist mitnichten ein Fetisch. Angesichts der Zukunftslasten, die durch Ihre Rentenpolitik noch vergrößert werden, ist die schwarze Null die letzte Haltelinie im Interesse der Enkelgeneration. ({17}) Sie ist ein Symbol für Stabilität in Europa; ({18}) denn der Verzicht auf Schulden gibt uns die Autorität, auch anderen Stabilität zu empfehlen. Angesichts von Rekordeinnahmen und Nullzinsen ist es überhaupt eine Kunst, nur eine schwarze Null zu haben. Bei disziplinierter Politik wären enorme Haushaltsüberschüsse möglich und nötig, Frau Bundeskanzlerin. ({19}) Stattdessen hat sich diese Regierung im Koalitionsvertrag für 100 Milliarden Euro Mehrausgaben entschieden. Immerhin 46 Milliarden Euro davon sind bereits eingeplant. Der Bundesinnenminister und CSU-Vorsitzende Seehofer hat gesagt, die Milliarden für Soziales seien die Antwort auf die Bundestagswahl. Als ob Sie wegen des Pflegenotstandes hier sitzen würden! Das sind andere Gründe. ({20}) Es zeigt aber eine Mentalität, wenn der CSU-Vorsitzende sagt, die Milliarden für Soziales seien die Antwort auf die Bundestagswahl. Das heißt: mit Geld Zustimmung kaufen. Diese Methode kenne ich aus dem rheinischen Karneval. Das ist Kamelle-Politik. Damit kann man im Karneval beliebt werden; aber die größte Volkswirtschaft in Europa kann man so nicht führen, meine Damen und Herren. ({21}) In etwas vornehmeren Worten spricht der Chefvolkswirt des BMF, Ludger Schuknecht, von Social Dominance. Er schreibt in einem aktuellen wissenschaftlichen Beitrag: Sozialausgaben verdrängen andere wichtige Schwerpunktsetzungen. – Die wirklich wichtige Aufgabe des Sozialstaats ist es aber, Menschen aus der Abhängigkeit zu befreien, damit sie ein Leben in eigener Verantwortung führen können. ({22}) Für uns ist Bildung die Schlüsselaufgabe. Schaut man in den Entwurf des Bundeshaushalts, stellt man fest, dass ausgerechnet der zentrale Etat des BMBF zu den wenigen gehört, die 2017 keine Aufwüchse zu verzeichnen haben. Das ist genau die falsche Schwerpunktsetzung. ({23}) Viermal mehr für die Rente als für die Bildung treibt einen Keil zwischen Großmütter und ihre Enkel. ({24}) Für den DigitalPakt Schule sind keine Gelder eingestellt; machen wir uns das bitte klar. Er soll finanziert werden – ich komme gleich darauf zurück – durch ein Sondervermögen, das durch die Auktion von Mobilfunklizenzen gebildet werden soll. Das zeigt, dass ganz offenbar nicht daran gedacht ist, diesen Mittelansatz zu verstetigen. Sie wollen das Grundgesetz ändern. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie dafür auch die Zustimmung von Oppositionsfraktionen brauchen. Ich habe in dieser Frage bereits mit dem Bundesfinanzminister gesprochen – andere auch –, und selbstverständlich sind wir konstruktiv und begleiten das. Wir wollen aber die Frage nach der Qualität stellen: Was passiert mit dem Geld? Und uns ist wichtig, dass es sich nicht um ein einmaliges Strohfeuer handelt, sondern dass der Bund dauerhaft Mitverantwortung für die wichtigste gesellschaftspolitische Frage übernimmt. Das ist die Voraussetzung dafür, dass nicht nur in Steine und Tablets investiert wird, sondern auch in Köpfe, nämlich in die Qualität von Lehrerinnen und Lehrern. ({25}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben hier über künstliche Intelligenz und Digitalisierung gesprochen. Freilich begrüßen wir das. Schauen wir in den Bundeshaushalt, stellen wir fest: Es gibt einen neuen Titel „Künstliche Intelligenz“; dieser ist aber mit null Euro angesetzt. Das ist keine künstliche Intelligenz; das ist keine Intelligenz. ({26}) Deshalb sollte es am Ende der Haushaltsberatung einen Mittelansatz dafür geben. Im Übrigen ist es mutig, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie über Digitalisierung und Tempomachen genau an diesem Tag sprechen. Ich begrüße Ihren Ehrgeiz in der Frage. Aber heute darüber zu sprechen, zeugt wirklich von Courage; denn ausgerechnet am heutigen Tage berichten die Medien darüber, dass es bei der Versteigerung von 5G-Mobilfunklizenzen zu Verzögerungen kommen wird. Die 2018er-Breitbandziele werden schon nicht erreicht. Britische Studien belegen, dass das LTE-Netz nur noch in Russland und Moldawien schlechter ist als bei uns. Beim Ausbau des Zukunftsnetzes 5G, das wir für das autonome Fahren brauchen, gibt es zurzeit eine Verzögerung von mindestens neun Monaten, wie die aktuellen Pläne der Bundesnetzagentur zeigen. Deutschland kann es sich nicht leisten, weiter Zeit zu verspielen, weil Sie die falsche Politik machen, Frau Bundeskanzlerin. ({27}) Sie versuchen, das Kunststück zu vollbringen, von denjenigen, die sich an der Auktion beteiligen, flächendeckende Versorgung zu verlangen und gleichzeitig maximalen Erlös zu erreichen. Beides zusammen geht offenbar nicht, oder es geht zulasten der Zeit. Deshalb: Setzen Sie auf Marktwirtschaft! Setzen Sie auch öffentliche Fördergelder ein, beispielsweise durch die Teilveräußerung der Deutschen Post! Dieses Land braucht bei der Zukunftsinfrastruktur endlich einen Platz in der Champions League und nicht einen Abstiegsplatz am Ende der Tabelle. ({28}) Die Haltung dieser Regierung, Frau Bundeskanzlerin, hat Ihr Wirtschaftsminister ausgedrückt, als er davon sprach, das gegenwärtige Wachstum setze sich noch 20 Jahre fort. Paradiesische Zustände! Bedauerlicherweise zeigen die ersten Zahlen im Jahr 2018 etwas anderes; denn nach den Zahlen des Statistischen Bundesamts hat sich das Wachstum im ersten Quartal 2018 gegenüber dem letzten Quartal 2017 halbiert. Bei aller Sympathie sollten wir uns also auf die seherischen Fähigkeiten von Peter Altmaier allein nicht verlassen, ({29}) sondern die gegenwärtige Stärke als Ansporn begreifen, auch in der Zukunft genau diese wirtschaftliche Stärke zu verteidigen. Diese Wachstumszahlen sind kein Grund für Alarmismus, aber für Wachsamkeit; denn Brexit, demografischer Wandel, Handelskriege, Digitalisierung, mögliche Zuspitzungen in der Währungsunion, alle diese Risiken stehen eben nicht im Haushalt. Für sie wird keine Vorsorge getroffen. Frau Merkel, Sie haben eben den Internationalen Währungsfonds zitiert, aber nicht vollständig. Sie haben über die öffentliche Infrastruktur, Investitionen und die Digitalisierung der Verwaltung gesprochen. All das haben Sie zitiert; aber der Internationale Währungsfonds empfiehlt neuerdings – und das ist eine neue Stimme aus Washington – auch Steuerentlastungen. Wenn es einmal gute Nachrichten aus Washington gibt, ignoriert die Regierung sie auch noch. ({30}) – Ich komme auf Sie zurück. Jetzt kündigt Olaf Scholz großzügig eine Dämpfung der kalten Progression an. Ja, Herr Finanzminister, der Verzicht auf automatische Steuererhöhungen ist keine Entlastung, sondern ein Gebot unserer Verfassung und im Übrigen eine Frage der Ehre. ({31}) Die deutsche Exportwirtschaft gerät unter Druck. Die USA senken die Unternehmensteuern, Frankreich auch. Sie wollen nichts tun und den Unternehmen, auch unseren großen im internationalen Wettbewerb stehenden Familienunternehmen, auch noch den Soli abverlangen. Wir schlagen vor, ({32}) zum Ersten – ohne Alarmismus und mit vergleichsweise schmalen Mitteln – ({33}) als Sofortmaßnahme befristete Sonderabschreibungen für digitale Wirtschaftsgüter, damit die privaten Investitionen angeschoben werden und auch die Produktivität der Wirtschaft erhöht wird. ({34}) Zum Zweiten: Senkung der Sozialabgaben unter 40 Prozent. Der Bundesfinanzminister spricht davon, jeder solle 2 000 Euro brutto im Monat verdienen. Das ist ein wunderbares Ziel. Aber wie wäre es damit, Herr Scholz, mal mit der Senkung von Steuern und Sozialabgaben anzufangen? Das liegt in Ihrer Hand. ({35}) Nötig ist auch der komplette Wegfall des Soli bis zum Ende dieser Legislaturperiode, und zwar für alle. Das wäre die minimale deutsche Antwort auf den Steuerwettbewerb in der Welt. Sie sagen: Wir können es uns nicht leisten. Wir sagen: Wir können es uns nicht erlauben, irgendwann die höchsten Steuersätze der Welt zu haben. ({36}) Was die Zwischenrufe seitens der SPD angeht, will ich Sie daran erinnern: In Ihrem eigenen Wahlprogramm haben Sie etwas von 15 Milliarden Euro Steuerentlastung und vom Kampf gegen den Mittelstandsbauch geschrieben. 15 Milliarden Euro hat auch die Union im Wahlkampf versprochen. Was ist aus diesen Zusagen geworden? In den Koalitionsverhandlungen hieß es: 10 Milliarden Euro Entlastung beim Soli. In der mittelfristigen Finanzplanung sind es jetzt nur noch 9,08 Milliarden Euro. Binnen weniger Wochen ist eine ganze Milliarde in den Plänen verdunstet. Wenn das so weitergeht, kommt am Ende gar nichts dabei heraus. ({37}) Ich weiß ja, was jetzt kommt; das haben wir gestern schon gehört. Die Unionsfraktion wird jetzt riesige Entlastungen vorrechnen. Dabei werden Sozialtransfers, Subventionen und steuerliche Maßnahmen in einen Topf geworfen und ein Summenstrich darunter gezogen. ({38}) – „Genau“, sagt Volker Kauder. – Einer der großen Vordenker der sozialen Markwirtschaft, Wilhelm Röpke, hat einmal davor gewarnt, aus dem Wohlfahrtsstaat ein Tag und Nacht arbeitendes Pumpwerk der Einkommen zu machen, weil am Ende niemand mehr weiß, ob er zu den Gewinnern oder Verlierern der Umverteilungspolitik gehört. Den Menschen erst das Geld zu nehmen, es durch die klebrigen Finger der Bürokratie zu leiten, es ihnen dann zurückzugeben und ein Dankeschön von den Menschen zu erwarten, das zeugt von Ihrem Verständnis des Verhältnisses von Bürger und Staat. ({39}) Gestatten Sie mir abschließend zu einem letzten Komplex zu kommen, zur Frage der Einwanderung. Eine Wende in der Integrations- und Einwanderungspolitik ist auch angesichts der Zahlen im Haushalt nötig. Die fiskalischen Folgen wären sonst unkontrollierbar. Es geht aber um noch mehr: Es geht auch um den sozialen Frieden im Land. ({40}) Die Menschen erwarten Entscheidungen, die der praktischen Alltagsvernunft genügen, und vor allem Handlungsfähigkeit des Rechtsstaats. Trotz oder wegen CSU und Horst Seehofer fehlt es momentan an beidem. ({41}) – Herr Kollege, ich werde meiner Zuneigung für das deutsche Handwerk heute nicht nachkommen. ({42}) Aber hier geht es um eine ernsthafte Frage der Einwanderung. Das werden Sie auch gleich merken. Bislang steht bei Ihnen nur eine Neuregelung des Familiennachzugs im Raum. Der Normenkontrollrat hat Ihren Regierungsentwurf in der Luft zerrissen. Er genügt nicht der praktischen Alltagsvernunft der Menschen, und er genügt nicht den Anforderungen des Normenkontrollrats. Bei Menschen ohne dauerhafte Bleibeperspektive macht der Familiennachzug auch keinen Sinn. Konzentrieren Sie sich auf klar definierte Einzel- und Härtefälle statt auf ein Kontingent! Wir haben Ihnen dazu Vorschläge unterbreitet. ({43}) Ich kann nicht verstehen, dass die SPD in dieser Frage grüner als grün ist. Ansonsten hören wir aus Ihrer Regierung nur Worte wie, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Das ist genauso spalterisch, wie in Bayern Kreuze an die Wand zu nageln. ({44}) Sie mögen von einer Macht, wie sie Orban hat, träumen, aber Deutschland ist ein weltoffenes, tolerantes Land. Wir beurteilen Menschen nicht danach, woher sie kommen oder woran sie glauben, sondern danach, ob sie bereit sind, Verantwortung für ihren Lebensunterhalt zu übernehmen und unsere Rechtsordnung zu akzeptieren. ({45}) Es wird über eine Antiabschiebeindustrie lamentiert. Wenn Menschen die legitimen Mittel des Rechtsstaats nutzen, kann und darf man ihnen keinen Vorwurf machen. ({46}) Dann muss der Staat gegebenenfalls Recht und Verfahren ändern. Wo sind die Vorschläge, Recht und Verfahren zu ändern, wenn es angeblich eine Antiabschiebeindustrie gibt? ({47}) Die AnKER-Zentren, Frau Bundeskanzlerin, die Sie eben gelobt haben, gibt es ebenfalls nur auf dem Papier. Über die Modernisierung des Einwanderungsrechts und ein besseres Management sollte die Bundesregierung also schnellstmöglich mit denen ins Gespräch kommen, die das umsetzen müssen, nämlich Länder und Kommunen. Wenn Sie wirklich etwas bewegen wollen, dann berufen Sie umgehend einen Migrationsgipfel von Bund, Ländern und Gemeinden ein, Herr Seehofer. ({48}) Mit großem Unverständnis verfolgen wir das Chaos im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Es ist die Rede von einem Eigenleben der Behörde. Prüfungen von Schutzgründen erfolgen nicht sorgfältig, lesen wir in den Medien. Offenbar wird nach einer Robin-Hood-Mentalität zum Schaden von Steuerzahlern und Rechtsstaat entschieden. Nach Medienberichten hat die Hausleitung spätestens am 4. April umfassend Kenntnis erhalten. Zwei Tage später hat der Bundesinnenminister in Nürnberg noch Lobpreisungen zu Protokoll gegeben. Nimmt man zu Ihren Gunsten nur einmal Abstimmungsprobleme in der Spitze des Innenministeriums an, beruhigt das dennoch nicht. Diese Vorgänge müssen restlos aufgeklärt werden, damit Verschwörungstheoretikern kein Boden gegeben wird. ({49}) Bislang, Herr Seehofer, überzeugen uns Ihre Taten in der Einwanderungspolitik nicht und Ihr Aufklärungswille und das Streben nach Transparenz in der Frage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge auch nicht. Um es anders zu sagen: Sie sind einen Schritt von einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss entfernt. ({50}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen sorgsamen Umgang mit dem Reichtum der Bürgerinnen und Bürger sehen wir beim vorliegenden Haushalt nicht. Anders als die Regierung glauben machen will, ist dieser Haushalt gerade nicht solide; denn er nimmt Zukunftsrisiken nicht in den Blick. Er ist gerade nicht sozial; denn er tut nichts Verlässliches für die Bildung. Und er ist gerade nicht zukunftsorientiert; bei den wesentlichen Fragen wie der Digitalisierung sind Sie blank. Unser Wohlstand wird auf Kosten nächster Generationen verlebt. Damit wollen wir uns nicht zufriedengeben. ({51})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Vorsitzende der SPD-Fraktion, Andrea Nahles. ({0})

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es stimmt mich sehr traurig, dass der Fraktions- und Parteivorsitzende der FDP in dieser zentralen Debatte zum Haushalt 2018 nicht ein gutes Wort zu Europa gefunden hat. ({0}) Offensichtlich, Herr Lindner, schreiben Sie sich ganz bewusst in die wirtschaftsnationale Tradition der Lucke-AfD ein. Dieses Erbe mögen Sie antreten. Es versperrt aber ganz klar den Blick darauf, was wir brauchen. Wir brauchen mehr Zusammenarbeit, auch mehr finanzielles Engagement Deutschlands auf der europäischen Ebene; denn das ist die Antwort auf viele Probleme, die diese Welt hat, Herr Lindner. ({1}) Es geht hier auch nicht um Kamellen. Wir beraten heute bei diesem Haushalt, wie wir das hart erarbeitete Steuergeld der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes einsetzen wollen; darum geht es. ({2}) Es geht zum Beispiel ganz konkret um die Frage: Gibt es in Zukunft noch gutbezahlte Arbeitsplätze in der Lausitz, wenn die Braunkohleförderung zu Ende geht? Dafür haben wir 1,5 Milliarden Euro für regionale Wirtschaftshilfe in diesen Haushalt eingestellt. Es geht um die Frage: Werden die Kinder in unseren Schulen endlich digitale Arbeitsmittel zur Verfügung haben, um sich auf die Zukunft vorbereiten zu können? Es geht um die Frage: Bekommt eine Rentnerin, die es sich nach 35 Jahren redlich verdient hat, endlich mehr als nur Sozialhilfe, nämlich eine Grundrente von der Deutschen Rentenversicherung? ({3}) Das sind keine Kamellen. Das sind die Themen, die Bedürfnisse, die Fragen, die die Menschen in unserem Land beschäftigen. Es beschäftigt die Kinder, wenn sie ihren Vater nur noch am Wochenende sehen, weil er weite Wege zu pendeln hat; denn bezahlbarer Wohnraum in der Nähe des Arbeitsplatzes ist oft nicht mehr finanzierbar. Deswegen haben wir, die CDU/CSU- und die SPD-Fraktion, eine Wohnraumoffensive auf den Weg gebracht. Wir stellen Mittel ein für die Schaffung neuen Wohnraums, für Eigenheimförderung und auch dafür, dass Mieter Rechte bekommen; denn wir wollen nicht mehr, dass Menschen in diesem Land gezielt aus ihren Wohnungen herausmodernisiert werden. ({4}) Wir führen jetzt eine Kappungsgrenze für die Umlage von Kosten ein, und es wird sanktioniert, wenn man sich nicht daran hält. Das sind die wahren Themen, die die Menschen in unserem Land beschäftigen. Es geht auch um die Frage: Können sich pflegebedürftige Menschen darauf verlassen, dass die Menschen, die sie pflegen, auch Zeit dafür haben, weil genügend Kolleginnen und Kollegen mit ihnen Schicht haben? Können sich die Menschen darauf verlassen, dass die Pflegekräfte, die auch ein Gewissen haben und merken, dass sie unter Stress stehen, gut bezahlt werden? Mit dem vorliegenden Haushalt haben wir die Grundlage für bessere Bedingungen im Bereich Pflege gelegt. ({5}) Wir investieren nicht nur in ein Sofortprogramm, mit dem 8 000 neue Stellen in der Pflege geschaffen werden sollen, sondern wir führen auch einen neuen Mindestbesetzungsschlüssel für jede Schicht in den Altenheimen und in den Krankenhäusern ein. Dafür haben wir entsprechende finanzielle Mittel im Etat – insgesamt sollten 46 Milliarden Euro mehr zur Verfügung gestellt werden – eingestellt. ({6}) All das sind die Fragen, die vielen auf den Nägeln brennen. Es wird darüber debattiert, ob der vorliegende Haushalt ein Investitionshaushalt ist oder nicht. Man muss schon eine Leseschwäche haben, um nicht zu merken: Dieser Haushalt ist voller Investitionen. Allein für den Komplex Bildung werden 15 Milliarden Euro mehr ausgegeben. Was wollen wir mit diesem Geld machen? Ich möchte zum Beispiel das BAföG verbessern. Gleiches gilt für die Meisterausbildung; denn sie kostet 7 500 Euro, und dieses Land kann es sich nicht leisten, dass Menschen ihren Meister nicht machen, weil ihnen das Geld fehlt. Deswegen müssen wir an dieser Stelle die Weichen in eine ganz andere Richtung stellen. ({7}) Lassen Sie mich auf ein weiteres Thema eingehen. Die Frau Bundeskanzlerin hat eben das Thema Altenpflege angesprochen. Wir investieren aber auch in andere Berufe, die wir händeringend brauchen. Mit dem Gute-Kita-Gesetz stellt Franziska Giffey die Weichen richtig. Aber auch in diesem Bereich gibt es viele offene Stellen, die nicht besetzt werden können. Deswegen gehört das Schulgeld für die Erzieherausbildung schlichtweg abgeschafft. Die Erzieherausbildung in Deutschland muss gebührenfrei werden. ({8}) In diesem Haushalt werden – die Entwicklung haben wir schon in der letzten Legislaturperiode angestoßen – insgesamt 100 Milliarden Euro mehr für Familien, für Kinder und für Sozialleistungen ausgegeben. Das sind doch auch Investitionen. Ich weiß, dass das ein alter Streit ist; aber ich sage: Das sind Sozialinvestitionen. Wenn wir das Kindergeld erhöhen und den Kinderzuschlag verbessern, dann sind das Investitionen in die Zukunft unseres Landes. ({9}) Jetzt sind wir als Gesetzgeber am Zug. Wir als Parlament werden uns einbringen und unsere Vorhaben voranbringen. Es geht um ganz konkrete Fragen, die die Menschen beschäftigen. Ich bin der Ministerin Katarina Barley sehr dankbar, dass sie bereits ein wichtiges Thema angeschoben hat, Stichwort: Einer-für-alle-Klage. Millionen Menschen in Deutschland sind von deutschen Autokonzernen betrogen worden. Sie müssen mit einem enormen Wertverlust ihrer Autos rechnen. In meiner Heimat ist das ein Thema, das häufig an den Stammtischen diskutiert wird. Die Menschen rechnen damit, dass ihre Rechte gestärkt werden. Mit der Einer-für-alle-Klage geschieht das. Einer klagt, und alle können davon profitieren. ({10}) Dieses Prinzip wird Millionen Geschädigten die Möglichkeit geben, zu ihrem Recht zu kommen. Wir sollten aufpassen, dass wir den guten Start dieser neuen Bundesregierung mit all den guten Initiativen auch weiterführen. Wir packen die großen Themen an, und wir handeln. Dafür sorgen übrigens auch Tausende von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei Polizei- und Sicherheitsbehörden, in der Justiz und in den Gerichten. Sie sichern rechtsstaatliche Abläufe in unserem Land und damit auch den inneren Frieden in unserem Land. Wir verlangen übrigens von diesen Mitarbeitern, dass sie sich penibel an das Gesetz halten, und das machen sie auch. Was aber sollen unsere Polizei und unsere Justiz von Politikern halten, die von Rechtsbruch reden, wo es keinen gibt, die Anwälte als Saboteure des Rechtsstaates bezeichnen und die die Neutralität des Staates mit Füßen treten und so tun, als wäre es ein Problem unseres Rechtsstaates, dass Menschen ihre Rechte wahrnehmen. Nein, das ist nicht das Problem unseres Rechtsstaates. ({11}) Ich muss an dieser Stelle klar sagen: Wir haben doch längst verstanden, dass die Menschen erwarten, dass unsere rechtsstaatlichen Prinzipien für jedwede Frau und jedweden Mann gelten, egal woher sie kommen, egal ob Manager oder Flüchtling, und dass wir als Staat in der Lage sind, dies auch entsprechend durchzusetzen. Das können sie von uns verlangen. Deswegen haben wir einen Pakt für Justiz aufgelegt: 2 000 zusätzliche Stellen für Richterinnen und Richter, 2 500 zusätzliche Stellen im Bereich Justiz und 15 000 zusätzliche Polizeistellen. Ja, wir haben verstanden. Aber den Rechtsstaat aufgeben, das werden wir nicht tun. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns von nichts und niemandem daran hindern lassen, den Blick auf die wahren Herausforderungen unseres Landes zu richten und diese anzunehmen. Die Umsetzung der Vorhaben dieser Koalition und die Investitionen, die in diesem Haushalt angelegt sind, sind entscheidend für die Zukunft unseres Landes. Wer die im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben blockiert, schadet unserem Land. ({13}) Wer anfängt, Vereinbarungen wieder infrage zu stellen, schadet unserem Land. Wer Nebenschauplätze eröffnet, statt sich an das Umsetzen unserer Vorhaben zu machen, schadet unserem Land. ({14}) Wir alle sollten uns bewusst sein – das möchte ich klar sagen –, dass die Menschen von uns hier erwarten, dass wir gemeinsam viel schaffen, und das dürfen sie auch erwarten. Ich sage das mit Blick auf ein zentrales Vorhaben aus unserem Koalitionsvertrag, das Rückkehrrecht aus Teilzeit in Vollzeit. Viele Frauen in Deutschland sitzen in der Teilzeitfalle. 1,7 Millionen Teilzeitbeschäftigte geben an, dass sie mehr arbeiten wollen. Wir haben in diesem Land einen Fachkräftemangel, aber wir haben auch gut ausgebildete Frauen. 1,7 Millionen Teilzeitbeschäftigte – davon sind die meisten Frauen – wollen mehr arbeiten können. Warum helfen wir ihnen nicht dabei? Dieses Gesetz ist überfällig. ({15}) Es muss genau so umgesetzt werden – darauf bestehen wir –, wie es im Koalitionsvertrag vereinbart wurde. Dazu möchte ich etwas sagen, weil das offenbar ein Reizthema ist, auch bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: Es geht darum, die Beweislast umzukehren. Was heißt das? Das ist ein technischer Begriff. Wenn eine Frau sagt, sie will von Teilzeit in Vollzeit wechseln, und der Arbeitgeber sagt: „Nein, das geht nicht“, dann muss die Frau nach jetziger Rechtslage nachweisen, dass das doch geht. Jetzt einmal unter uns hier im Plenarsaal: Glaubt irgendeiner ernsthaft, dass das möglich ist? – Ich sage deswegen: Wir drehen den Spieß um. Wenn die Frau aufstocken will, wenn sie von Teilzeit in Vollzeit wechseln will und der Arbeitgeber Nein sagt, dann muss der Arbeitgeber begründen, warum das nicht geht. Das ist doch nun wahrlich nicht zu viel verlangt. ({16}) Das wird niemanden in der deutschen Wirtschaft umbringen. Das ist das Minimum, das wir für die teilzeitbeschäftigten Frauen in diesem Land tun müssen. Ich sage an dieser Stelle sehr klar: Wir vonseiten der SPD haben da keinen Redebedarf mehr, sondern wir sehen da nur noch Umsetzungsbedarf. ({17}) Der Haushaltsentwurf sieht 46 Milliarden Euro Mehrausgaben in dieser Legislaturperiode vor. Aufgrund der Steuerprognose ist, wie wir gehört haben, ein weiterer Spielraum von 10,8 Milliarden Euro drin. Olaf Scholz hat den Vorschlag gemacht, einen Teil dieser Überschüsse in einen Digitalfonds einzubringen. Wir haben heute gemerkt, dass das bei allen hier auf breite Zustimmung stößt. Auch ich glaube, dass das Geld da richtig investiert ist. Ich sehe dagegen keinen Anlass, den geringen zusätzlichen Spielraum, den wir haben, zu nutzen, um weitere Mittel in den Verteidigungshaushalt zu stecken. Der Verteidigungshaushalt steigt bereits auf 38 Milliarden Euro an. Ich frage die zuständige Ministerin: Sie haben in den letzten zwei Jahren das Geld, das Sie bekommen haben, nicht ausgegeben. ({18}) Sie haben das aufgrund der inneren Zustände und der Ineffizienzen der Bundeswehr nicht geschafft. – Frau Merkel hat hier Peter Struck gelobt. Deshalb möchte ich sagen: Er hat noch heute einen besseren Ruf in der Bundeswehr als sämtliche seiner Nachfolger. Auch das ist wahr. ({19}) Das Management der Bundeswehr muss verbessert werden. ({20}) Sie wollen noch mehr Geld für die Bundeswehr. Wir alle wissen, dass es Probleme gibt. Mit Verlaub, wir haben Ausrüstungsschwächen. ({21}) Da sind wir immer bereit, etwas zu tun. Aber wir sind nicht bereit, die zusätzlichen Spielräume in diesem Maße dort hineinzustecken. Ich möchte Sie deswegen fragen: Wo sonst sollen wir das Geld hernehmen? Sollen wir dafür mehr Schulden machen? Sollen wir höhere Steuern bei Reichen und Vermögenden erheben? ({22}) Sollen wir in anderen Haushalten einsparen? Wer das hier permanent, und zwar einseitig und ohne Rücksprache mit uns, öffentlich fordert und eine entsprechende Kampagne macht, der muss auch diese Fragen beantworten. ({23}) Wir haben im Übrigen auch zusätzliche Spielräume bei der Bundesagentur für Arbeit. Darüber freue ich mich. Wir haben verabredet, dieses Geld auch in die Absenkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge zu investieren. Das werden wir auch tun. Wir haben eine Senkung um 0,3 Prozentpunkte vereinbart. Ich glaube, das können wir so machen. Es gibt zusätzliche Spielräume. Für die SPD ist klar: Jetzt müssen wir die Qualifizierungsangebote für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessern. Es kann nicht sein, dass wir immer nur in Sonntagsreden über die Digitalisierung und die Notwendigkeit der Qualifizierung im digitalen Wandel reden. Wir müssen auch die Kreativität aufbringen, das mit konkreten Maßnahmen zu unterlegen und in die Qualifikation unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu investieren. ({24}) Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich: Wir haben in Deutschland immer noch – das muss man sich einmal vorstellen – 1,5 Millionen Erwerbstätige unter 30 ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Ich glaube, im Hinblick darauf gibt es Mittel und Wege bei der Bundesagentur. Wir brauchen eine dreijährige Ausbildung – wir haben mit Herrn Scheele darüber geredet –, und wir brauchen zusätzliche Initiativen beim Programm WeGebAU. Das ist für mich klar: Die SPD wird keiner zusätzlichen Beitragssenkung zustimmen, ohne dass nicht vorher bessere Qualifizierungsangebote für Arbeitnehmer vereinbart worden sind. ({25}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit großer Sorge erfüllt uns in diesen Tagen die internationale Entwicklung. Die Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran durch die USA und die Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem sind schwere Fehler und haben weitreichende Konsequenzen ({26}) Die jüngsten Ereignisse in Palästina sind furchtbar. Die Zahl der Toten und Verletzten ist wirklich unfassbar. Die letzten Stunden haben vor allem eine tragische Entwicklung gezeigt: Sie haben die radikalen Kräfte auf allen Seiten gestärkt. Die ersten Demonstrationen in Gaza waren auch gegen die Hamas. Mittlerweile hat sich die Hamas die ganze Bewegung unter den Nagel gerissen. Wir können nicht abseitsstehen, und wir wollen auch nicht abseitsstehen. Wir wollen weiterhin alles dafür tun, dass die Leben der jungen Israelis und der jungen Palästinenser nicht weiter in einem Strudel der Gewalt sinnlos geopfert werden. ({27}) Ich bekräftige an dieser Stelle ausdrücklich – das habe ich hier schon vor wenigen Wochen gesagt – das Existenz- und im Übrigen auch das Selbstverteidigungsrecht Israels. Aber auch hier muss gelten: Die Verhältnismäßigkeit der Mittel muss gewahrt bleiben. ({28}) Es muss jetzt um Deeskalation auf beiden Seiten gehen. Der UN-Sicherheitsrat ist für uns übrigens der legitime und richtige Ort, wenn es um die Beruhigung einer so angespannten Situation wie der zwischen Israel und Palästina geht. Wir bedauern, dass es nicht gelungen ist, sich auf eine unabhängige Untersuchung der gewaltsamen Auseinandersetzungen zu einigen. Wenn die USA ernsthaft eine Rolle im schwierigen Nahostfriedensprozess einnehmen wollen, dann dürfen sie sich solchen Schritten nicht verweigern und gleichzeitig bei den politischen Kernfragen einseitig Fakten schaffen. Das geht nicht. Einseitigkeit ist das falsche Mittel. ({29}) Sollte Deutschland im kommenden Jahr im UN-Sicherheitsrat ein neues Gewicht bekommen, dann werden wir uns als Stimme des Friedens einbringen. Ich bin mir sicher, dass wir uns da alle einig sind. ({30}) Die internationale Sicherheit braucht die Fähigkeit zur Entspannung und übrigens auch die Fähigkeit zum Kompromiss. Wir werden auch für den Erhalt des Iran-Abkommens kämpfen. Mit unseren europäischen Partnern, dem Iran und den anderen Unterzeichnern des Abkommens wollen wir Wege finden, wie Handel mit dem Iran weiterhin möglich sein kann. Die Voraussetzung ist, dass sich der Iran an die Verpflichtungen hält. Aber auch hier gilt es, Eskalationsspiralen schlicht zu verhindern. ({31}) Das unabgestimmte und provokante Vorgehen des amerikanischen Präsidenten zeigt, dass wir Europäer umso mehr gefordert sind. Ich bin der Bundesregierung deswegen dankbar, dass sie sich in den letzten Wochen auf allen Ebenen – ob Bundeskanzlerin, Außenminister oder Finanzminister – wirklich bemüht hat, die Europäische Union wieder stärker zusammenzubringen. Wir müssen den Zusammenhalt in Europa stärken. Dazu gehört auch, dass wir zukünftig mehr Mittel in den europäischen Finanzhaushalt einbringen werden als in der Vergangenheit. Ja, wir haben das im Koalitionsvertrag verabredet, und es war weitsichtig. Das erkennt man, wenn man sich die aktuelle Lage ansieht. Die europäische Integration ist Grundvoraussetzung für Wohlstand und Sicherheit in Europa. Wir müssen den Zusammenhalt Europas stärken; denn darum ist es momentan nicht gut bestellt. ({32}) Als größter Profiteur der Europäischen Union ist es auch in unserem ureigensten Interesse, in die Stärkung Europas zu investieren. Wer das ablehnt, sägt an dem Ast, auf dem wir alle sitzen. ({33}) Die SPD tritt hier auch innerhalb der Bundesregierung für eine klare Haltung ein. Olaf Scholz führt hierzu gerade intensive Gespräche mit den europäischen Kolleginnen und Kollegen. Er hat das gestern auch klar dargestellt. Wir sind auf dem Weg, den Europäischen Stabilitätsmechanismus weiterzuentwickeln. Unser Ziel ist es, einen Europäischen Währungsfonds zu erreichen. Wir sind auf einem guten Weg, das Bankenwesen in Europa sicherer zu machen. ({34}) Wir unterstützen gemeinsame Mindestsätze bei den Unternehmensteuern, was für mich auch ein sehr wichtiger Punkt ist, ({35}) und wir unterstützen auch eine gerechte Besteuerung großer Konzerne – gerade auch der Internetkonzerne –, auch wenn ich Frau Merkel recht gebe, dass das alles nicht ganz leicht ist, aber das Ziel muss hier klar benannt werden. ({36}) Ich habe keinen Zweifel, dass die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister hier konkrete Fortschritte hinbekommen werden. Die berühmte Antwort auf Macron – davon war ja jetzt viel die Rede – ({37}) fällt bei uns allen vielleicht etwas weniger pathetisch aus. Das ist aus meiner Sicht aber auch völlig in Ordnung. Entscheidend ist, dass wir zusammen mit den Franzosen und den anderen Partnern wirklich ganz konkret – das habe ich gerade dargelegt – an der Integration Europas arbeiten. Dass das bis zum Sommer Früchte trägt, dessen bin ich gewiss; hier bin ich zuversichtlich. Dafür stehen diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen voll und ganz ein. ({38}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns in diesem Koalitionsvertrag eine Menge vorgenommen. Es geht jetzt auch darum, uns darauf zu konzentrieren, das anzupacken. Dabei gibt es sicherlich weiterhin auch kontroverse Debatten. Das ist auch notwendig und richtig, solange wir dabei nicht die Prioritäten aus den Augen verlieren. Die Menschen in Deutschland erwarten, dass wir etwas tun, damit diese Welt ein sichererer Ort wird. Dafür ist Europa von zentraler Bedeutung. Die Menschen erwarten, dass sie mehr Sicherheit im eigenen Land haben. Dafür investieren wir – nicht nur in die Justiz, sondern auch in die Lösung der sozialen Probleme, die die Menschen verunsichern. Deswegen ist dieser Investitionshaushalt, den wir heute vorlegen, ein wichtiger Beitrag, um Deutschland voranzubringen. In diesem Sinne: Fangen wir doch einfach an, das umzusetzen, was wir verabredet haben! ({39})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Dr. Sahra Wagenknecht. ({0})

Dr. Sahra Wagenknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004183, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident! Frau Bundeskanzlerin! Die Gewalt im Nahen Osten eskaliert. Wenn es Europa nicht gelingt, das Atomabkommen mit dem Iran zu retten, dann droht ein Flächenbrand. Wir begrüßen es, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, sich von dieser gefährlichen Politik Donald Trumps distanziert haben. Wir haben schon lange eine eigenständige und selbstbewusste europäische Außenpolitik gefordert, und wir sind froh, dass wir mit dieser Position heute nicht mehr alleine stehen. ({0}) Wenn auch die Bundesregierung inzwischen einsieht, dass die amerikanische Politik unseren Sicherheitsinteressen widerspricht und dass es fatal wäre, sich dieser Politik weiter unterzuordnen, dann müssen Sie jetzt doch auch die notwendigen Schritte unternehmen. Sie, Frau Merkel, haben – erstens – öffentlich kritisiert, der Bruch des Iran-Abkommens – ich zitiere Sie – „verletzt das Vertrauen in die internationale Ordnung“. Das ist richtig. Aber das Vertrauen in die internationale Ordnung wird doch seit Jahren verletzt. Das wird doch bei jeder Gelegenheit, wo das Völkerrecht mit Füßen getreten wird, verletzt. ({1}) Das wird doch überall dort verletzt, wo große Militärmächte und allen voran die Vereinigten Staaten sich anmaßen, Länder, deren Regierungen ihnen nicht gefallen oder die ihnen ihre Rohstoffe nicht zu den gewünschten Konditionen zur Verfügung stellen, militärisch zu verwüsten. Das war im Irak so. Das war in Libyen so. Sie haben vorhin die Entwicklung genannt, aber so, als sei es vom Himmel gefallen, dass diese Länder destabilisiert wurden. Das war doch Kriegspolitik. Auch die jüngsten Militärschläge gegen Syrien waren völkerrechtswidrig, und die haben Sie leider sogar noch begrüßt. ({2}) Wenn Sie das Vertrauen in die internationale Ordnung wiederherstellen wollen, dann gehört dazu, dass Sie diese unverantwortliche Politik des Regime Change, die immerhin schon über 1 Million Menschenleben gekostet hat, unmissverständlich verurteilen und klarstellen, dass Deutschland einen Krieg gegen den Iran weder direkt noch indirekt unterstützen würde. Dazu würde ich gerne etwas von der Bundesregierung hören. ({3}) Zweitens. Wenn Sie ehrlich Sorge vor einer weiteren Eskalation im Nahen Osten haben, dann hören Sie doch bitte endlich auf, in dieses Pulverfass auch noch Waffen zu liefern. ({4}) Das kann doch nicht wahr sein. Seit Jahren versprechen Sie uns eine restriktive Rüstungsexportpolitik, und in Wahrheit dealen Sie hemmungslos mit den Rüstungslobbyisten, und Sie liefern Diktatoren wie Erdogan oder den Saudis genau die Waffen, die sie brauchen, um ihre blutigen Kriege in Syrien oder eben auch im Jemen zu führen. Das ist doch eine völlig unverantwortliche Politik. ({5}) Pro Stunde sterben weltweit vier Menschen durch deutsche Waffen. Wir finden, dieses Verbrechen muss endlich ein Ende haben. ({6}) Drittens. Auch das gehört zu einer eigenständigen Politik: Steigen Sie endlich aus dem von Trump vorangetriebenen Wettrüsten aus! Im letzten Jahr haben die europäischen NATO-Staaten 300 Milliarden Dollar und die NATO insgesamt 900  Milliarden Dollar für Rüstung ausgegeben. Sie haben vorhin darüber geredet, Fluchtursachen zu bekämpfen. Ein Zehntel dieser 900 Milliarden Dollar würde genügen, damit auf dieser Welt kein einziges Kind mehr verhungert oder an Armutskrankheiten stirbt. ({7}) 900 Milliarden! Ich sage Ihnen zum Vergleich: Russland gibt 66 Milliarden Dollar im Jahr aus. Wir reden also über eine Relation von 900 Milliarden zu 66 Milliarden, und da erzählen Sie uns allen Ernstes, wir müssen noch weiter aufrüsten, damit Putin nicht vielleicht morgen vor den Toren Berlins steht? Wie krank ist das denn, was Sie hier verbreiten? ({8}) Der Rüstungsetat – das ist schon interessant – ist der einzige, bei dem Sie nicht kleckern, sondern klotzen. Dabei sind Waffen und Kriegsgeräte – das finde ich das wirklich Schlimme – dieser Großen Koalition offensichtlich mehr wert als die Kinder in diesem Land. Denn während Sie sich für bessere Kitas gerade einmal 3,5 Milliarden Euro abringen können, sollen die Rüstungsausgaben um mindestens 5,5 Milliarden Euro steigen, und wenn es nach Frau von der Leyen geht, sogar um 12 Milliarden Euro. Können Sie irgendeinem Steuerzahler erklären, warum Sie mit seinem hart erarbeiteten Geld solchen Schindluder treiben? Das ist doch überhaupt nicht zu rechtfertigen. ({9}) Es gibt noch einen Schritt. Wenn Sie wirklich eine eigenständige Politik wollen, dann beenden Sie die Eiszeit mit Russland und heben Sie die unsäglichen Sanktionen auf. ({10}) Ja, es stimmt: Auch der Anschluss der Krim war völkerrechtswidrig. Trotzdem brauchen wir die Kooperation mit Russland, wenn wir Probleme lösen wollen. Das sehen wir beispielsweise beim Iran. Auch Sicherheit in Europa gibt es nur mit Russland und nicht gegen Russland. ({11}) Das war doch die Kerneinsicht, die damals der neuen Außenpolitik, der neuen Ostpolitik von Willy Brandt zugrunde gelegen hat. Diese Tradition hat die deutsche Außenpolitik über viele Jahre geprägt. Dahin müssen wir zurückkommen, statt diese wichtige Tradition jetzt von einem Amateur im Außenamt endgültig entsorgen zu lassen. Das ist doch der falsche Weg, und das können Sie als SPD erst recht nicht mittragen. ({12}) Ja, es geht auch um wirtschaftliche Interessen. Ist Ihnen wirklich noch nicht aufgefallen, dass die Russland-Sanktionen in erster Linie die europäische Wirtschaft, insbesondere die deutsche, treffen oder dass es vor allem europäische Unternehmen sind, denen nach der Kündigung des Iran-Abkommens nun Probleme drohen? Die Frechheit, mit der sich der neue US-Botschafter in die Geschäftspraktiken deutscher Unternehmen eingemischt hat, spricht doch Bände. Statt vier russische Diplomaten auszuweisen, die überhaupt nichts verbrochen haben, hätte man vielleicht lieber diesem hemdsärmeligen Kollegen die Heimreise nahelegen sollen. ({13}) Eine eigenständige europäische Außenpolitik kann es natürlich auch nur in einem einigen Europa geben. Das verlangt nicht weitere Zentralisierung, sondern eine Politik der guten Nachbarschaft. Im Unterschied zu Ihnen haben wir den Wahlsieg von Macron vor einem Jahr nicht frenetisch bejubelt, und wir stehen heute an der Seite derer, die sich in Frankreich gegen seinen Sozialabbau zur Wehr setzen. ({14}) Aber gerade den Macron-Fans hier im Hause müsste es doch zu denken geben, dass Macron jetzt die deutschen Exportüberschüsse und die deutsche Sparwut als antieuropäisch kritisiert. In diesem Punkt hat er doch wirklich recht. Wenn ausgerechnet die größte europäische Volkswirtschaft rücksichtslos weiter auf Lohndumping, Exportförderung und einen schwachen Binnenmarkt setzt, dann macht sie nicht nur Politik gegen die eigenen Arbeitnehmer, sondern auch Politik zulasten unserer Nachbarländer. Das untergräbt den europäischen Zusammenhalt. Das ist doch völlig offensichtlich. ({15}) Dabei ist die Regierung eigentlich in einer komfortablen Situation. Sie haben hohe Steuereinnahmen. Sie könnten sie zulasten von Konzernen und Superreichen sogar weiter erhöhen, um dann Bezieher mittlerer Einkommen und Geringverdiener tatsächlich zu entlasten, also nicht nur symbolisch, wie Sie es vorhaben. Die Nullzinsen vergrößern Ihren Haushaltsspielraum noch weiter, und zwar beträchtlich. Sie hätten alle Chancen der Welt, Deutschland zu einem innovativeren und gerechteren Land zu machen. Aber was machen Sie? Trotz eines Investitionsstaus von 120 Milliarden Euro bleiben die Investitionen – und zwar auch nur, wenn man ganz gutwillig rechnet – auf dem jetzigen kläglichen Niveau, und das, obwohl Sie zurzeit das Geld von den Banken fast geschenkt bekommen, wenn Sie es für Investitionen einsetzen würden. ({16}) Aber diese grandiose Mannschaft von schwarzen und roten Nullen schaut lieber weiter zu, wie Straßen, Brücken und öffentliche Gebäude verrotten, ({17}) wie innovative Unternehmen am langsamen Internet verzweifeln und wie Funktelefonate in manchen Gegenden Deutschlands anstrengender sind als in vielen Entwicklungsländern. Das ist doch keine haltbare Situation. ({18}) Obwohl Sie wissen, dass infolge der Digitalisierung in Zukunft vor allem qualifizierte und hochqualifizierte Arbeit gefragt sein wird, schicken Sie unsere Kinder weiter in marode Schulen, wo die Lehrer fehlen, wo der Unterricht ausfällt und die jedes Jahr einige Tausend junge Menschen verlassen, ohne auch nur richtig Lesen und Schreiben gelernt zu haben. Frau Merkel, ich finde es beeindruckend und richtig, was Sie hier zur Förderung der künstlichen Intelligenz gesagt haben. Aber die natürliche Intelligenz, die Intelligenz der Kinder und jungen Menschen in diesem Land, sollte man vielleicht nicht völlig außer Acht lassen. ({19}) Vor allem in sozialen Brennpunkten sind die Zustände an vielen Schulen eine einzige Katastrophe. Kinder, die hier ins Leben starten, haben nie eine echte Chance. Wenn es nach Ihnen geht, wird sich daran auch nichts ändern; denn die Summe, die Sie jetzt zusätzlich bereitstellen, wird noch nicht einmal verhindern, dass in vielen Schulen weiterhin der Putz von der Decke fällt. Ich finde ja auch interessant: Die Große Koalition, auch Sie, Frau Merkel – heute nicht, aber manchmal schon –, spricht neuerdings wieder vom sozialen Zusammenhalt. Das begrüßen wir ja sehr. Aber ich sage Ihnen einmal, wie der soziale Zusammenhalt in Deutschland zurzeit beschaffen ist: In diesem Jahr bekommt das Geschwisterpaar Quandt und Klatten – zwei Leute – aus seinen ererbten BMW-Anteilen eine Dividende von 1 100 Millionen Euro überwiesen – 1 100 Millionen Euro für zwei Personen! ({20}) – Die zahlen 25 Prozent. Da würde sich mancher Arbeitnehmer freuen, wenn er nur 25 Prozent zahlen müsste. ({21}) Gleichzeitig streiten sich an den Tafeln immer mehr Arme, darunter auch viele Rentnerinnen und Rentner, viele Alleinerziehende um abgelaufene Lebensmittel. Ist das ein sozialer Zusammenhalt, wie Sie ihn sich vorstellen? Wir würden das eher Raubtierkapitalismus nennen. ({22}) Es gibt kein Land in der EU, in dem die Zahl der Beschäftigten, die trotz Arbeit arm sind, in den letzten Jahren so stark wie in Deutschland gewachsen ist. Was tut die Große Koalition? Teilweise prangern Sie öffentlich die Missstände an, die Sie selber herbeigeführt haben – das hat man bei der Rede von Frau Nahles wieder eindrucksvoll gehört –; aber Sie ändern nichts. Jeder in diesem Land weiß, dass ein Mindestlohn von 8,84 Euro nicht zum Leben reicht. Die Bundesregierung hat vor kurzem ausgerechnet, dass man mindestens 12,63 Euro braucht, um nach 45 Jahren Vollzeitarbeit eine Rente oberhalb der Grundsicherung zu bekommen. Herr Scholz hat mittlerweile einen Mindestlohn von 12 Euro gefordert. ({23}) Ich finde es ja gut, wenn sich die SPD unseren Forderungen anschließt. Aber wie erklären Sie es dann irgendeinem Ihrer Wähler, dass Sie in eine Große Koalition gehen, ohne eine Erhöhung des Mindestlohns auch nur gefordert zu haben? ({24}) Sie haben ja noch nicht einmal die Forderung aufgestellt. In den Unternehmen werden die Umgangsformen immer rüder. Bei Amazon werden Beschäftigte noch auf der Toilette digital überwacht. Bei der Post muss man inzwischen eine bärenstarke Gesundheit mitbringen, wenn man einen unbefristeten Vertrag haben will. Einige von Ihnen haben das öffentlich beklagt. Aber wenn Sie nicht wollen, dass Arbeitnehmer immer schutzloser solchen Praktiken ausgeliefert sind, dann ändern Sie endlich die Gesetze, die das alles doch erst ermöglicht haben. ({25}) Sorgen Sie dafür, dass niemand mehr in diesem Land von den Jobcentern gezwungen wird, prekäre, untertariflich bezahlte Arbeit anzunehmen. Verbieten Sie sachgrundlose Befristungen, und lassen Sie nicht wieder tausend Hintertürchen zu. ({26}) Das sind doch Dinge, die Sie tun können. Stellen Sie eine solide Arbeitslosenversicherung wiederher, statt Arbeitslose nach einem Jahr mit Hartz IV zu enteignen und um alles zu bringen, was sie sich im Leben aufgebaut haben. Jetzt wollen Sie schon wieder den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung senken und den Unternehmen ein Milliardengeschenk machen. Nehmen Sie das Geld, und verlängern Sie die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I. Das wäre doch einmal eine richtige Maßnahme für mehr soziale Sicherheit. ({27}) Was haben Sie im Wahlkampf nicht alles für bessere Pflege versprochen! Jetzt soll es 8 000 Stellen mehr geben – bei 40 000 fehlenden Stellen allein in Seniorenheimen und mindestens 70 000 fehlenden Stellen in den Krankenhäusern. 8 000 Stellen werden an den schlimmen Zuständen in vielen Pflegeheimen nicht das Geringste ändern, und das wissen Sie auch. Herr Spahn hat jetzt angeregt, noch mehr osteuropäische Arbeitnehmer in der Pflege einzusetzen. Vielleicht sollten Sie, Herr Spahn, lieber mal darüber nachdenken, warum sich kaum noch junge Menschen für eine Ausbildung als Pfleger entscheiden. Vielleicht hat das damit zu tun, dass es nicht sehr attraktiv ist, Knochenarbeit für Hungerlöhne zu leisten. Es ist vor allem auch zutiefst ungerecht. Jede einzelne Pflegekraft leistet mehr für das Allgemeinwohl als alle Investmentbanker zusammen. Deswegen muss diese wichtige Arbeit endlich angemessen bezahlt werden. ({28}) Es ist doch wirklich tragisch: Es gibt nicht ein Problem, das Sie entschlossen anpacken, nicht eine Herausforderung, der Sie sich wirklich stellen. So kann man doch nicht in eine Wahlperiode starten – ohne Ideen, ohne jede Vision, ohne einen einzigen großen Gedanken oder irgendein wichtiges Vorhaben. So kann man doch nicht anfangen. Vor kurzem wurden die Bürgerinnen und Bürger danach gefragt, wer heutzutage die Macht hat. Die wenigsten gaben an, dass sie der Meinung sind, dass die Macht bei den Politikern liegt. Nahezu niemand glaubte, dass die Bevölkerung die Macht hat, wie es in einer Demokratie eigentlich sein sollte. Die Mehrzahl ging davon aus, dass es die Wirtschaft, die großen Unternehmen und die Reichen sind, die dieses Land regieren. Ich will Ihnen ja nicht unterstellen, dass das Ihre Absicht ist; aber wenn man den Menschen besonders überzeugend demonstrieren will, dass sie nicht mehr in einer Demokratie leben, dass sie wählen können, was sie wollen, und sich überhaupt nichts ändert – es geht all das weiter, die gleiche Konstellation, genau die gleiche Politik, der sie vorher bei der Wahl nachdrücklich die Rote Karte gezeigt haben –, ({29}) wenn man auch noch dem letzten Gutgläubigen verdeutlichen will, dass Wahlversprechen nichts anderes sind als wohlkalkulierte Lügen, dann muss man es genau so machen, wie Sie es machen. Ich finde das unverantwortlich. ({30}) Sie haben vorhin gehört, was für Hetzreden inzwischen im Bundestag gehalten werden. Dass solche Reden, in denen Menschen gegeneinander ausgespielt werden, in denen Menschen herabgesetzt werden, hier im Bundestag möglich geworden sind, das ist das Ergebnis Ihrer Politik, und Sie denken noch nicht mal darüber nach, diese Politik endlich zu verändern. Ich finde das wirklich zum Verzweifeln. Das kann doch nicht so weitergehen. ({31}) Alle Umfragen belegen: Viele Menschen machen sich Sorgen um die Zukunft. Eine Mehrheit wünscht sich mehr sozialen Ausgleich. Sie ärgert sich, dass gerade die größten Unternehmen oft die niedrigsten Steuern zahlen und die Politik nichts dagegen tut. Sie fordert eine Besteuerung großer Vermögen. Sie will keine Aufrüstung, sondern Investitionen in die Zukunft. Und was machen Sie? Sie machen einfach das Gegenteil. Sie subventionieren Konzerne und füllen die Auftragsbücher der Waffenschmieden. Aber Sie sind nicht bereit, Kinder und alte Menschen vor Armut zu schützen. In einem Land, das die vielleicht besten Autos dieser Welt baut, erklärt sich die Politik für unfähig, pflegebedürftigen alten Menschen einen Lebensabend in Würde zu ermöglichen. Frau Bundeskanzlerin, liebe Große Koalition, Sie erwägen gerade, einen Werteunterricht für Flüchtlinge einzuführen. Ich würde Ihnen dringend raten, vorher erst mal Ihre eigenen Werte zu überprüfen. ({32}) Ich finde, so kann es nicht weitergehen. Wir brauchen dringend eine andere Politik. Wir brauchen eine Politik, die das Rückgrat besitzt, auch Interessenkonflikte mit mächtigen, einflussreichen Lobbys und Interessengruppen durchzustehen, eine Politik, die endlich wieder das tut, was ihr Auftrag in einer Demokratie ist: Politik für die Mehrheit zu machen und nicht nur für die Reichen. ({33})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht nun die Kollegin Katrin Göring-Eckardt. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Frau Wagenknecht, ich finde wirklich sehr löblich, dass Sie sich über den gesellschaftlichen Zusammenhalt hier Gedanken machen. Ich finde es aber in diesem Kontext genau verkehrt, dass Sie versuchen, die osteuropäischen Pflegerinnen am Ende doch gegen die auszuspielen, die aus unserem Land kommen. Das sollten Sie sich noch einmal überlegen. Hinsichtlich der Arbeitsbedingungen gebe ich Ihnen recht. ({0}) Frau Merkel, Sie haben heute viel über die Aufgaben geredet, die vor uns liegen. Sie haben heute gezeigt, dass Sie, dass diese Koalition, dass die Mitglieder dieser Koalition eigentlich wissen, dass das Land im Umbruch ist. Sie hätten die Mittel dazu. Sie haben die Möglichkeiten dazu. Wenn man sich den Haushalt anschaut und wenn man sich anschaut, was real gemacht wird, dann stellt man fest: Sie sind eben doch gefangen in den alten Routinen, in dem alten „Es geht weiter so“, in einem Haushalt, der nicht für die Zukunft gemacht ist, sondern nur eine Fortschreibung ist, so eine Art Wiedervorlage des alten, meine Damen und Herren. ({1}) Natürlich ändert sich da draußen die Welt, die Haltung, die Sehnsucht. Ich habe mir Ihre Rede in Aachen angeschaut. Da haben Sie Herrn Macron für die Begeisterungsfähigkeit für Europa gelobt wie so einen putzigen Welpen. Und Sie? Sie haben dagestanden und genau das nicht gemacht. Ich habe das auch heute hier nicht gehört. Frau Nahles hat gesagt: Wir sind vielleicht nicht so begeisterungsfähig. – Aber du meine Güte! Darauf kommt es doch an! Es kommt doch jetzt darauf an, dass wir auch ausstrahlen, dass wir für dieses gemeinsame Europa sind. Es kommt doch jetzt darauf an, dass wir das Geld auch bereitstellen. Das hat Ihr Finanzminister leider nicht gemacht bei seinen Ankündigungen gestern hier. Es kommt doch darauf an, dass wir zeigen, dass wir Europäer, nachdem der Iran-Deal von den Vereinigten Staaten gekündigt worden ist, es gemeinsam machen und nicht nur darüber reden. ({2}) Es kommt doch darauf an, dass wir zeigen, dass wir die Friedensmacht sind. Eine Friedensmacht, Frau Merkel und Frau von der Leyen, ist man nicht, indem man einerseits immer über Europa und gemeinsame Außenpolitik redet, auf der anderen Seite aber eben doch wieder nur den Etat für die deutsche Bundeswehr aufstockt, die einen verdammt schlechten Umgang mit ihren eigenen Finanzmitteln pflegt. Deswegen akzeptieren wir das auch nicht, meine Damen und Herren. ({3}) Dass Sie für dieses gemeinsame Europa, für das es jetzt wirklich Leidenschaft braucht, auch in schwierigen Zeiten eintreten, das könnten Sie jetzt zeigen. Sie haben ja schon eine ganze Menge von Krisen gemeistert und auch Fehler gemacht. Einige hier behaupten ja immer, den größten Fehler hätten Sie 2015 gemacht. Ich glaube, da haben Sie ihn gerade nicht gemacht. ({4}) Da haben Sie in einer Notsituation richtig entschieden, sind ins Risiko gegangen, trotz aller Konsequenzen und Nebenwirkungen, die diese historische Situation nun einmal mit sich brachte. Jetzt könnten wir aber in einer Situation sein, in der der größte Fehler gerade jetzt passiert, nämlich indem wir nur versuchen, Europa mitzuverwalten und ins Kleinteilige zu verfallen. Ich kann nur hoffen, dass die Vorschläge, die Sie hier angekündigt haben, genau zum Gegenteil führen, nämlich dass Europa groß gedacht wird, dass tatsächlich die Verantwortung für die gemeinsame Außenpolitik an die europäische Ebene abgegeben wird, dass Schluss gemacht wird mit der Vetomöglichkeit, damit wir tatsächlich auch gemeinsam und tatkräftig handeln können. Das brauchen wir jetzt als Gegenüber zu Donald Trump, als Unterstützung für die Zivilgesellschaft in den Vereinigten Staaten. Das brauchen wir jetzt, damit wir uns in Europa auch wirklich gemeinsam zu Hause fühlen können. Das erwarte ich von Ihnen und von Ihrer Regierung, Frau Merkel. ({5}) Lieber Christian Lindner, bei Ihrer Rede auf dem Parteitag zu Europa war ich ja ganz bei Ihnen. Da ging es darum, dass Sie sagten, dass ein historischer Moment nicht genutzt worden sei. Was mich aber wundert: Wenn Sie so vehement ein deutsches Ja zu Europa fordern, heißt das doch, dass man eine gemeinsame Verantwortung für die Finanzen wahrnimmt, dann heißt das doch, dass man ins Risiko geht, dass man sich tatsächlich engagiert. ({6}) Sie hätten wirklich die Möglichkeit gehabt, als wir darüber verhandelt haben, für dieses gemeinsame Europa einzutreten. Genau das haben Sie nicht gemacht. ({7}) – Sie wollen ein anderes Europa, Herr Lindner? ({8}) – Nein, wir haben nur dieses eine Europa. ({9}) Das ist das Problem. ({10}) Wir haben nur dieses eine Europa, und das können wir gestalten. Dafür können wir gemeinsame Verantwortung übernehmen. ({11}) Manchmal reicht es eben nicht, „Mut“ auf Plakate zu schreiben. Manchmal muss man eben den Mut auch an der richtigen Stelle haben. ({12}) Sie haben ja gesagt – vielleicht ist das ja auch diese Mut-Sache, die Sie brauchen –, dass Sie mehr Frauen eine Möglichkeit geben möchten. Auch das habe ich mir genau angeschaut. Sie haben da von Gender geredet, als ob das etwas Ekliges wäre. Das sehe ich anders. ({13}) – Ja, die AfD findet das auch; darauf habe ich gewartet. ({14}) – Das mit den Frauen regelt der Markt. – Ich finde, Herr Lindner, machen Sie es so: Machen Sie den Frauen einfach bessere Angebote, und eröffnen Sie ihnen Zukunftsperspektiven; denn so bekommt man Spitzenfrauen in die Politik, und nicht damit, dass man darüber redet, dass eine vielleicht ein bisschen besser aussieht, meine Damen und Herren. ({15}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Merkel hat vorhin gesagt: Herr Seehofer braucht noch ein bisschen Schonfrist, weil die Regierung noch keine 100 Tage im Amt ist. – Ich habe schnell nachgerechnet: Das Innenministerium ist seit 4 500 Tagen in Unionshand. Wenn es dann darum geht, was man noch nicht im Griff hat, kann man, wie ich finde, schon einmal auf diese 4 500 Tage, diese sehr lange Zeit der Verantwortung der Union, blicken. Herr Seehofer, seit Wochen torpediert Ihre Partei, die CSU, das Grundgesetz. ({16}) Herr Dobrindt von rechts, und Markus Söder von Rechts wegen. Mit dem bayerischen Polizeiaufgabengesetz darf gegen unschuldige Bürgerinnen und Bürger ohne konkreten Verdacht ermittelt werden. ({17}) Der Protest gegen dieses Gesetz ist Verfassungspatriotismus, meine Damen und Herren, und das, was Sie hier machen, ein Angriff auf unsere Verfassung. ({18}) Das stellt den Rechtsstaat selbst infrage. Herr Seehofer, Sie sind Verfassungsminister. Man muss sich wirklich inständig wünschen, dass Sie unsere Verfassung jetzt mal gegen die CSU verteidigen. ({19}) Ich finde ja, Herr Söder kann gar nicht so viele Kreuze aufhängen, die man anbeten könnte, damit ein baldiges Ende eintritt, der neue Landtag endlich gewählt ist, diese populistischen Auswüchse aufhören und vor allem, damit die CSU endlich einen Koalitionspartner bekommt, sodass dort Vernunft einkehrt, meine Damen und Herren. ({20}) Liebe Frau Nahles, ich habe mir sehr genau angeschaut, was der Haushalt hinsichtlich Gerechtigkeit bietet. Erst einmal habe ich mich gefragt: Warum haben Sie eigentlich 13 Stunden, glaube ich, um das Finanzressort verhandelt, damit am Schluss Wolfgang Schäuble Olaf Scholz heißt? Sonst ändert sich eigentlich nichts. ({21}) Noch nie hat eine Regierung mit so viel Geld so wenig gemacht. Die Einnahmen steigen, und das Land fährt trotzdem weiter auf Verschleiß. Wo finde ich denn die von Ihnen angesprochene soziale Gerechtigkeit? Sie können sich doch nicht hierhinstellen und über die Pflegekräfte reden, und am Ende bekommen sie nicht mehr als einen Tropfen auf den heißen Stein. ({22}) Selbst in den Jamaika-Verhandlungen hatten wir 25 000 Pflegekräfte besprochen. Sie sind mit 8 000 Pflegekräften aus den Verhandlungen gekommen. Ich war in den letzten Wochen in einer ganzen Reihe von Pflegeheimen. Die Leute fühlen sich vergackeiert – so sagt man das bei mir zu Hause –, weil sie sagen: Wir haben nicht einmal eine Kraft pro Pflegeeinrichtung mehr. – Das kann doch nicht sein. Das ist das Gegenteil von Gerechtigkeit. Das ist doch der Versuch, Leute ruhigzustellen und kleines Karo zu machen, meine Damen und Herren. ({23}) Aber am meisten hat mich erschüttert, wie lange hier heute eigentlich über die große Existenzfrage Ökologie geredet worden ist. Frau Merkel, wenn ich es richtig angeschaut habe, war es in Ihrer Rede, abzüglich des Gedenktages für die Bienen, eine Minute. Ist das Neue an der Koalition, dass man noch nicht einmal mehr so tut, als ob die ökologische Zukunft des Landes wichtig ist? Sie stehen oben auf der Zugspitze und machen schicke Fotos, während Sie der Klimakrise zuschauen, während der Gletscher schmilzt. ({24}) Am Ende des Tages haben Sie nicht einmal den Hintern in der Hose, mit einem einzigen Beschluss für mehr Klimaschutz von dort wieder herunterzufahren. ({25}) Das ist doch eine Fortsetzung der Katastrophe, die wir Klimakrise nennen. Natürlich brauchen wir sofort den Ausstieg aus der Kohlekraft. Diese Verzögerungsspielchen mit einer erneuten Kommission werden nicht mehr weiter funktionieren. Wir werden Sie übrigens auch nicht daran messen, was Sie miteinander verabreden konnten und ob Sie diese Ziele einhalten. Wir werden Sie daran messen, was ökologisch, was in dieser Existenzfrage tatsächlich notwendig ist. Ich will es noch einmal sagen, nur damit es in Ihren Kopf hineinkommt: Jedes Jahr müssen durchschnittlich 26 Millionen Menschen ihre Heimat wegen extremer Klimaschäden verlassen. Die Unwetter nehmen zu. 2017 haben Stürme, Erdbeben, Überschwemmungen einen Schaden in Höhe von 330 Milliarden Euro verursacht. Das ist die Wirklichkeit, übrigens auch die ökonomische Wirklichkeit. Daran messen wir Sie. ({26}) Hier auf der Regierungsbank sitzt das große ökologische Schweigekartell Deutschlands. Vergangenes Jahr haben Sie noch alle gelacht, als über das Bienensterben geredet worden ist. Jetzt macht man das nicht, wenn man mal daran denkt, dass das vielleicht ein Problem ist. In Hannover hat gerade ein Supermarkt gezeigt, wie es ohne Bienen aussehen würde. Die haben 60 Prozent der Produkte aus ihren Regalen genommen. Ohne Bienen gäbe es kein Obst, keine Babynahrung und – vielleicht das Schlimmste für manche – keine Schokolade. Das alles ist systemrelevant. Täglich verschwinden bis zu 100 Tierarten, und es entstehen keine neuen. Ich will eine Politik, die dafür sorgt, dass 2020 mit dem Artensterben Schluss ist. Ich will eine Regierung, die das tut. Meine Damen und Herren, Sie von der Regierung müssen das wollen, wenn Sie irgendetwas für die Zukunft dieses Landes und die Zukunft dieser Erde tun wollen. So geht es nicht weiter. ({27}) – Sie können ruhig darüber lachen. Wenn man sich die AfD anschaut und zuhört wie sie über Heimat und solche Dinge redet, kann ich nur sagen: Wenn Sie daran nicht denken, wenn Sie darüber lachen können, dann haben Sie komplett verfehlt, was deutsche Politiker in dieser Zeit tun müssen. ({28}) Schauen wir uns die Verschmutzung der Meere durch Plastik an oder die Auswirkungen der Verschmutzung durch den Diesel; dazu haben wir heute etwas gehört. Das war dieselbe Platte, die ich schon hundertmal gehört habe, und es war dieselbe Platte, die ich immer von der Autolobby höre. Natürlich geht es darum, dass unsere Automobilindustrie das macht, was sie verschlafen hat, nämlich in die Zukunft zu investieren; aber es muss doch auch darum gehen, dass die Leute, die von eben dieser Autoindustrie betrogen worden sind, jetzt tatsächlich eine Entschädigung und eine Hardwarenachrüstung bekommen. Das nicht zu veranlassen, ist echtes Versagen von Politik. ({29}) Das führt auch zu einem Misstrauen, das die Menschen weiterhin haben werden. Auch da kann man fragen: Wer war eigentlich in den vergangenen Jahren – Neustart hin oder her – zuständig? Zuständig war im Wesentlichen immer die CSU, dafür, dass das alles passieren konnte, dafür, dass die Themen unter der Decke gehalten wurden, und dafür, dass die Autoindustrie einfach so weitermachen konnte. Ich finde, was in Ihrer Rede, Frau Merkel, am meisten gefehlt hat, ist die große Frage: „Wie will man eigentlich den Zusammenhalt in dieser Gesellschaft gestalten?“ Sie haben gesagt, Sie hätten erkannt, dass die Menschen nicht mehr darauf schauen wollen, wer zuständig ist. Deswegen kommen jetzt Grundgesetzänderungen; darüber können und müssen wir auch reden. Aber nur um das Zuständigsein allein geht es nicht; es geht auch um großes Denken. Nehmen wir mal das schöne Beispiel „Wohnen“. Das ist eine der größten sozialen Fragen dieser Zeit. Die Leute flüchten vom Land in die Städte, weil sie Jobs und bessere Infrastruktur suchen. Was sie finden, sind schlechte Luft, keine Kitaplätze, verdammt teure Wohnungen, unbezahlbare Mieten und keinen geeigneten Wohnraum. Dann sagen Sie: Baukindergeld. ({30}) Wir sagen: Diese 22 Milliarden Euro helfen keinem Einzigen, der die Miete nicht mehr bezahlen kann. ({31}) Das sind Steuergelder, die in den ohnehin schon überhitzten Wohnungsmarkt hineinfließen. Das ist kein geeignetes Instrument. Es geht doch um die Fragen: Wie wollen wir zusammenleben? Wie organisieren wir unsere Städte? Wie ist die Infrastruktur im Bereich der Pflege aufgestellt? Haben wir genügend Kitas? Wie ist es mit der Integration, meinen wir das wirklich ernst, ja oder nein? Ich erwarte von einer Regierung, die über Zusammenleben redet, nicht, dass sie an diesen oder jenen Punkt ein kleines Bonbon verteilt, sondern dass sie die Strukturfrage, das Auseinandertriften der Gesellschaft, die Armutsfrage, die Frage: „Wie lebt die Alleinerziehende, die am Ende des Monats nicht einmal das Geld hat, mit ihren Kindern ‚Jim Knopf‘ im Kino anzuschauen?“, in den Mittelpunkt ihrer Politik stellt; denn die größte Gefahr ist, dass der Zusammenhalt nicht mehr funktioniert. ({32}) Da hilft auch ganz bestimmt kein Heimatministerium, was noch mehr dafür sorgt, dass es zum Auseinanderdriften kommt.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, Sie denken an Ihre Zeit?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da hilft nur, dass Sie sich aufraffen und dieses Land zu einem machen, das modern ist, den Zusammenhalt will und die ökologischen Fragen endlich in den Mittelpunkt stellt. Auch das hat Ihnen Herr Macron vorgemacht, und Sie machen es im kleinen Karo. So, meine Damen und Herren, geht es nicht weiter. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort der Kollege Volker Kauder. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte mit dem Thema Europa kurz anfangen, weil es sowohl für unsere Zukunft von großer Bedeutung ist, weil es auch in dieser Haushaltsdebatte eine Bedeutung hat und weil die Werte dieses Europas für die allermeisten in diesem Hohen Haus von großer Bedeutung sind. ({0}) Diese Werte stammen aus der christlich-jüdischen Tradition. Zur christlichen Tradition gehört die Erkenntnis, dass jeder Mensch Ebenbild Gottes ist und deshalb eine unverwechselbare Würde hat. ({1}) Wenn es in diesem Haus Kolleginnen und Kollegen gibt, die das christliche Abendland retten wollen und dann über andere Menschen so sprechen, wie Sie es gemacht haben, Frau Weidel, dann hat dies mit dem christlichen Menschenbild nichts zu tun. Es hat damit null zu tun. ({2}) – Sie sind jetzt mal ruhig und hören zu. Man hat Sie schließlich erst holen müssen, damit Sie überhaupt wieder herkommen. Sie besitzen dieses unglaubliche – ich sage das jetzt mal – Ding, ({3}) sich hierhinzustellen und eine Rede zu halten, und dann verschwinden Sie aus dem Plenarsaal. ({4}) Damit ich Sie ansprechen kann, muss man Sie extra holen lassen. ({5}) Was sind denn das für Werte, Frau Weidel? ({6}) Sie brauchen mir nicht mehr mit dem christlichen Menschenbild zu kommen. Was Sie heute gemacht haben, ist das glatte Gegenteil davon, und dafür sollten Sie sich schämen. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Liebe Kollegen, ich bitte um Ruhe. Hören Sie bitte dem Redner zu.

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jetzt will ich Ihnen mal was sagen: ({0}) Sie müssen es genauso ertragen, wenn man Sie kritisiert, wie andere auch. ({1}) Großmäulig im Austeilen und schwach im Einstecken – das ist die AfD. ({2}) Kommen wir zum Thema. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, in dieser Haushaltsdebatte gibt es, glaube ich, drei Schwerpunkte: Erstens. Was haben wir im Bereich der Weiterentwicklung unseres Landes vor? Zweitens. Welche Antworten geben wir auf die Frage der Herausforderung Europa? Drittens. Wie verhalten wir uns angesichts der großen Konflikte, die den Frieden in bestimmten Regionen bedrohen und für uns eine wichtige Aufgabe sind? Wir haben gesagt: Mit dieser Koalition wollen wir in Deutschland einiges voranbringen. Wir wollen dieses Land modernisieren. Das ist unser Anspruch. Wenn man nun in den Haushalt 2018 schaut, sieht man ganz klar, dass damit der Weg der Modernisierung begonnen wird. Wir haben nicht gesagt – auch der Finanzminister nicht –, dass wir mit all den Aufgaben, die wir haben, im Jahr 2018 fertig sind. Die Planung geht in den nächsten Jahren weiter. Dies zeigt sich auch an der Modernisierung der Digitalisierung und dem schnellen Internet. Wir setzen uns für die Modernisierung in unserem Bildungswesen ein. Im Bereich der Forschung und Innovation geht es ebenfalls voran. Für all diese Bereiche geben wir Geld aus. Jetzt aber so zu tun, als ob es keine Kompetenzverteilungen zwischen Bund, Kommunen und Ländern gäbe, führt uns nicht weiter, also nach dem Motto: Weil einige Bundesländer es nicht hinkriegen, ihre Aufgaben in der Bildungspolitik zu erfüllen, muss das der Bund machen. So wird Föderalismus nicht zur Stärke in unserem Land. Es muss natürlich jeder seine Aufgabe erfüllen. ({3}) Um es ganz klar zu sagen: Ja, wir wollen eine Grundgesetzänderung im Bereich der Bildung, Frau Nahles. ({4}) Ich möchte aber ganz klar sagen, dass ich darunter nicht verstehe, dass wir in Zukunft die Lehrerinnen und Lehrer aus dem Bundeshaushalt finanzieren; darin sind wir uns auch einig. Wir wollen in der Infrastruktur etwas machen. Klar ist auch, dass die Länder ihre Aufgaben bei der Modernisierung der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer in die eigene Hand nehmen müssen. ({5}) Wir haben gesagt: Wir schnüren ein großes gemeinsames Sicherheitspaket. Wir haben miteinander vereinbart, mehr im Bereich Bundespolizei zu tun. Die Länder haben ebenfalls gesagt, dass sie für die Polizei mehr tun wollen. Wir haben auch gesagt – das ist ein genauso richtiger Punkt –: Jeder muss seinen Beitrag leisten. Das heißt, dass auch die Länder im Bereich der Justiz mehr tun müssen. Und darauf legen wir auch großen Wert. Ich möchte bei der Überprüfung zur Halbzeit der Legislaturperiode – diese haben wir ja vereinbart, um zu sehen, was wir erreicht haben –, aber vor allem am Ende dieser Legislaturperiode schon feststellen können, dass jeder seinen Beitrag geleistet hat. Dieses Land wird nicht moderner, wenn nur der Bund Geld in die Hand nimmt und seine Aufgaben erledigt. Vielmehr muss jeder auf jeder Ebene seine Aufgaben erledigen. ({6}) Dann wird Deutschland moderner, und darauf legen wir einen großen Wert. Das Thema Europa hat, ich finde, zu Recht, eine große Rolle gespielt. Ich habe an diesem Rednerpult schon mehrfach leidenschaftlich für dieses Europa geworben und immer wieder darauf hingewiesen, nicht zu kleinteilig darüber zu reden. Ich habe darauf hingewiesen, dass gerade für unsere Generation, die erste Nachkriegsgeneration in Deutschland, Europa nicht in erster Linie ein Europa von Euro und Cent war, sondern dieses Europa eine Wertegemeinschaft, eine Friedenseinrichtung ist. Für dieses Europa möchte ich auch in Zukunft leidenschaftlich streiten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Ich höre regelmäßig von verschiedenen Seiten: Wie kann man leidenschaftlich für ein Europa streiten, wenn man nicht alles gut findet, was Macron oder andere vorschlagen? Ich sage dazu: Auch in diesem Europa wird über den richtigen Weg diskutiert, ({8}) genau wie in diesem Deutschen Bundestag. Das ist überhaupt nichts Außergewöhnliches. – Ich weiß ganz genau, lieber Herr Kollege Lindner, dass auch Sie ein leidenschaftlicher Europäer sind. ({9}) Man kann sich aber nicht an dieses Rednerpult stellen und auf der einen Seite sagen: Wir brauchen mehr Europa. Wo bleiben die Antworten auf Macron? – Auf der anderen Seite sind dann aber – wenn man genauer hinsieht, merkt man es – drei Viertel Ihrer Antworten gegen Macron und gegen das, was gerade diskutiert wird. Ich glaube, keiner braucht dem anderen vorzuhalten, was er nicht richtig macht. Es wäre richtiger, wenn wir uns gemeinsam darauf verständigen: Wir wollen dieses Europa voranbringen. ({10}) Dazu gehört natürlich auch, dass in diesem Europa eingehalten wird, was wir miteinander vereinbart haben. Ich gebe Ihnen einmal ein Beispiel: Wir haben die – wie Macron sagt – Bankenunion auf den Weg gebracht. Das ist überhaupt keine Frage; das waren wir, die sie auf den Weg gebracht haben. ({11}) Wir haben aber gesagt: Es gibt eine Bedingung, die eingehalten werden muss. Diese lautet: Es muss eine klare Risikominimierung stattfinden. Wenn die EU-Kommission dann sagt: „Auf diese Minimierung warten wir nicht. Wir gehen weiter“, dann ist dies ein Vorgang, den ich als Trickserei bezeichne und der das Vertrauen nicht stärkt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({12}) Deswegen ist es völlig richtig, wenn wir sagen: Wir legen großen Wert darauf, dass die Regeln eingehalten werden. ({13}) Ein noch so leidenschaftlicher Einsatz für Europa hilft nichts, wenn wir uns nicht auch an das halten, was wir miteinander vereinbart haben. Auch das ist Teil einer Wertegemeinschaft. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, einen letzten Hinweis möchte ich geben: Ich bin dankbar, dass die Bundesregierung bzw. die Bundeskanzlerin sich in diesen Tagen so intensiv mit den außenpolitischen Herausforderungen beschäftigt. Wir haben heute Nachmittag einen großen Kongress der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Thema „Möglichkeiten der Rückkehr von Christen und Jesiden in die Ninive-Ebene“. Mit diesem Thema beschäftigen wir uns schon eine ganze Zeit lang, und wir sind dem Entwicklungsminister Müller dankbar, dass er dort einen großen Beitrag leistet. Diese Aufgabe ist noch lange nicht gelöst. Ich kann dazu nur sagen: Wenn man eine solche Diskussion führt, muss man auch zeigen können, dass man mit einer gewissen Kompetenz und Stärke arbeitet. Dazu gehört, Frau Nahles, sowohl die ODA-Quote einzuhalten als auch die Bundeswehr auszurüsten. Niemand spricht von Aufrüsten. Aber ich kann es nicht akzeptieren, wenn der Wehrbeauftragte, der früher ein SPD-Kollege im Deutschen Bundestag war, starke Sprüche über den Zustand der Bundeswehr macht und Sie in der SPD sagen, dass dagegen nichts unternommen wird, weil man dafür kein Geld einsetzen will. ({14}) Diese Aufgabenteilung können wir nicht akzeptieren, beim besten Willen nicht. ({15}) Wir haben die Ausgaben für Verteidigung an die Ausgaben für Entwicklungshilfe geknüpft. Darauf werden wir auch in dieser Koalition bestehen. Wir hatten bei unserer gemeinsamen Klausurtagung einen guten Start, und das wollen wir auch fortsetzen. Aber wir wollen schon, dass – neben den Ausgaben für Soziales usw.; das ist alles in Ordnung – auch unsere Bundeswehr in einen Zustand versetzt wird, der ihren Aufgaben entspricht. Da werden wir nicht lockerlassen. ({16})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die AfD-Fraktion hat als Nächster das Wort der Kollege Dr. Alexander Gauland. (Beifall bei der AfD

Dr. Alexander Gauland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004724, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Kauder, Beleidigungen meiner Kollegin und der ganzen AfD würde ich lassen, ({0}) denn es bringt Ihnen keine Stimmen. Dafür bringt es uns Stimmen. Insofern mag das eine sinnvolle Taktik sein. ({1}) Aber bei Ihrer Politik müssen Sie das nicht machen – wir bekommen auch so Stimmen. Meine Damen und Herren, wir haben über den Haushalt geredet. Ich fange einmal ganz anders an: Die deutsche Gesellschaft ist ein Wunderwerk. Deutschland hat 83 Millionen Einwohner. 44 Millionen davon, die reichliche Hälfte, sind berufstätig im weitesten Sinne. 27 Millionen zahlen mehr Steuern an den Staat, alle anderen leben von diesen Steuern. ({2}) Zieht man jetzt noch diejenigen ab, die zwar Steuern zahlen, aber auch aus Steuermitteln bezahlt werden – Beamte, Soldaten, Politiker, Lehrer –, bleiben 15 Millionen wirkliche Steuerzahler übrig. Diese kleine Gruppe trägt den gesamten Gesellschaftsaufbau und diesen Haushalt. ({3}) Leider wird sie immer kleiner, weil jährlich etwa 140 000 Hochkompetente, wie sie der Migrationsforscher Gunnar Heinsohn nennt, dieses Land verlassen und im Gegenzug nach derzeitigem Stand um die 200 000 sogenannte Flüchtlinge hereinkommen, von denen nicht nur kaum einer hochkompetent ist, sondern viele Analpha­beten sind. ({4}) In Deutschland, meine Damen und Herren, lebt bereits eine große soziale Unterschicht, in der fast 8 Millionen entweder keine Arbeit haben oder nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, wie die Bundesagentur für Arbeit 2016 festgestellt hat. Diese Zahl wächst seit 2015 durch die Zuwanderung von Gering- und Unqualifizierten rasant. Meine Damen und Herren, Deutschland ist kein reiches Land, sondern ein leistungsfähiges. Das gesamte Vermögen der Bundesrepublik beträgt – darauf hat der Historiker Rolf Peter Sieferle hingewiesen – gerade einmal das Dreifache des Bruttoinlandsproduktes. Diese Leistungsfähigkeit unseres Landes beruht auf einer Vielzahl von institutionellen, mentalen und kulturellen Bedingungen. ({5}) Dazu gehören Rechtssicherheit, Infrastruktur, Investitionsbereitschaft, sozialer Friede und alles, was man unter Humankapital zusammenfasst, ({6}) Ausbildung, überhaupt Bildungswille, Leistungsbereitschaft, ({7}) Vertrauen, ein Mindestmaß an Ehrlichkeit und, meine lieben Kollegen, der zivilisierte Umgang miteinander. ({8}) Werden diese Bedingungen zerstört, schwindet die Prosperität. Und sie werden zerstört, aber nicht durch uns. ({9}) Wenn beispielsweise die Alimentierung von Einwanderern im Jahr doppelt so viel Geld kostet, wie das Bundesforschungsministerium an Mitteln erhält, kann man sich ausrechnen, dass die Leistungsfähigkeit des Landes rapide sinken wird. „Deutschland schafft sich ab“, hat das Thilo Sarrazin genannt. ({10}) Wir haben aber keine anderen Rohstoffe als den Fleiß und die Intelligenz unserer Bürger. ({11}) Es wird zwar offiziell geleugnet, dass es eine Masseneinwanderung gibt, und neuerdings auch, dass sie illegal ist, doch täglich kommen 500 illegale Einwanderer in unser Land, was im Jahr um die 200 000 ergibt – eine Stadt von der Größe Braunschweigs. Anscheinend ist das für dieses Haus keine Masse. Dazu gesellt sich der einwandernde Familiennachzug zu denjenigen, die hier kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht haben. Ja, sogar Gefährder können ihre Familien nachholen, wenn sie geläutert erscheinen. Meine Damen und Herren, welch ein Irrsinn! ({12}) Dabei ist der Kontrollverlust von 2015 noch nicht überwunden. Praktisch jeden Tag werden Asylbewerber mit zahlreichen Identitäten bekannt. Sie konnten erst heute wieder in der „Welt“ nachlesen, wie es im BAMF zugeht. Der Fall des Weihnachtsmarktmörders Amri ist allen bekannt. Es gibt 230 000 abgelehnte, aber bis heute nicht abgeschobene Migranten, und trotzdem sollen pro Jahr eine Viertelmillion Menschen einwandern. Nach wie vor kommen drei Viertel ohne Papiere; sobald sie das Wort „Asyl“ sagen, werden sie eingelassen. Das ist vollkommen verantwortungslos gegenüber dieser Gesellschaft. ({13}) Unser Land hat sich durch Masseneinwanderung massiv verändert. Kein Volksfest, kein Weihnachtsmarkt, keine Großveranstaltung mehr ohne Merkel-Poller und aufwendige Sicherungsmaßnahmen. ({14}) Blutrache und Messerattacken gehören inzwischen zu Deutschland. ({15}) Die Polizei rät Frauen, nicht mehr allein zu joggen oder bei Dunkelheit nicht mehr ohne männliche Begleitung auf die Straße zu gehen. ({16}) Der CDU-Innenminister von Nordrhein-Westfalen empfiehlt den Bürgern als Schutz vor Messerangriffen, ({17}) sie sollten nicht unbedingt Menschen nah an sich heranlassen. Das ist CDU-Politik im größten Bundesland. Das ist leider kein Witz. ({18}) Da wird uns allen Ernstes eine Statistik präsentiert, die sinkende Kriminalitätsraten beweisen soll. ({19}) Glauben Sie wirklich, dass Sie damit dem Gefühl wachsender Unsicherheit begegnen können? Am 13. November 2015, auf dem Höhepunkt der illegalen Masseneinwanderung, ({20}) erklärte Angela Merkel in der Sendung „Was nun, …?“ des ZDF: … ich … kämpfe für den Weg, den ich mir vorstelle, für meinen Plan, den ich habe … aus Illegalität Legalität zu machen … ({21}) Im Regierungsprogramm der CDU zur letzten Bundestagswahl findet sich der Passus, dass Deutschland seinen humanitären Verpflichtungen aus Resettlement und Relocation nachkommen werde. Was, bitte schön, Frau Merkel, sind denn das für Verpflichtungen? Vor kurzem konnte man lesen, dass mehr als 10 000 Menschen aus Nordafrika und dem Nahen Osten in Deutschland eine neue Heimat finden sollen. Nach den Worten des EU-Flüchtlingskommissars nimmt die Bundesrepublik die Flüchtlinge im Rahmen eines EU-Umsiedlungsprogramms auf. Wer in diesem Hause hat diesem Programm zugestimmt, und warum wird es klammheimlich, an der Öffentlichkeit vorbei, inauguriert? ({22}) Das Ergebnis der Politik der Regierung Merkel ist eine tiefe politische Spaltung Europas. Die Migrationskrise hat deutlich gemacht, dass sich die Interessen der europäischen Partnerländer von denen der Berliner Republik unterscheiden. Die moralische Bevormundung aus Berlin wird von den anderen Europäern als anmaßend empfunden. Die Politik der grenzenlosen Aufnahmebereitschaft hat den Zerfall Europas als politische und wirtschaftliche Union eingeleitet. ({23}) Denn mit ihrer Asylpolitik hat die Bundeskanzlerin den EU-kritischen Briten das Hauptargument für den Brexit geliefert und den Osteuropäern – die Frau Bundeskanzlerin ist nicht mehr da – ({24}) gute Gründe gegen den weiteren Weg nach Westen. Ich kann der Bundesregierung und der Frau Bundeskanzlerin nur viel Glück mit der neuen italienischen Regierung wünschen; ({25}) denn sie wird diese Politik genau so heftig kritisieren, wie wir sie hier kritisieren. ({26}) Als „Macht in der Mitte“, als vermittelnde Macht, wie uns Herfried Münkler sieht, müsste Deutschland eine gemeinsame Linie für die Politik der Europäer finden. Tatsächlich hat die Bundesregierung das Gegenteil getan. Was in Ihrer Amtszeit, Frau Bundeskanzlerin, gestiegen ist, sind nicht nur die Steuereinnahmen und die Zahl der Messerattacken, sondern auch die Geringschätzung, die Deutschland international entgegengebracht wird. Sogar viele Einwanderer verachten dieses Land. Wer sich selbst verachtet, wird verachtet. ({27}) Es ist heute viel vom transatlantischen Verhältnis geredet worden. Unser Verhältnis zu Amerika ist so schlecht wie nie. Donald Trump hat sich beim letzten Besuch von Frau Merkel auf seine Weise dafür revanchiert, von deutschen Politikern und Journalisten ständig als Trottel vorgeführt zu werden. Ihm sind die deutschen Moralpredigten inzwischen völlig gleichgültig geworden. Unser Verhältnis zu Russland ist so schlecht wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Viel zu voreilig und ohne Beweise hat sich die Bundesregierung im Fall Skripal und bei den angeblichen Giftgasangriffen Assads gegen Russland gestellt. Doch auch das amerikanisch-russische Verhältnis hat sich inzwischen verändert. Donald Trump hat die Ära des sogenannten Demokratieexports für beendet erklärt und gibt der Realpolitik den Vorzug. Der Kollege Kauder hat an dieser Stelle kürzlich das Werk Münklers über den Dreißigjährigen Krieg empfohlen. Recht hat er; denn dort findet sich gleich zu Beginn die erstaunliche Feststellung – Zitat –: Über die verhängnisvollen Folgen unbedingter Wertbindung lässt sich anhand des Dreißigjährigen Krieges sehr viel lernen – unter anderem auch, dass es ohne eine Abkehr davon zu keinem Friedensschluss gekommen wäre. Das kann man getrost über unsere Konflikte mit Russland sagen, Herr Kollege Kauder. Wenn das schlechte Verhältnis zu Russland wenigstens als Kehrseite ein gutes zu den Osteuropäern bedeuten würde – aber das ist mitnichten der Fall. Die Osteuropäer – ich habe es schon gesagt – haben andere historische Erfahrungen als der Westen. Sie haben nie Kolonien besessen, sondern sind selbst kolonialisiert worden: von den Osmanen, von der Sowjetunion, von den Nazis. Deshalb haben sie kein jederzeit aktivierbares schlechtes Gewissen. ({28})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege Gauland, denken Sie an Ihre Zeit?

Dr. Alexander Gauland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004724, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sie kennen nicht den kulturellen Selbsthass des Westens. Deshalb lassen sie sich auch nicht einreden, dass ihre Gesellschaften nicht bunt genug sind. Ja, ich muss zum Schluss kommen. ({0}) Deutschland geht es gut – noch. ({1}) Deutschland ist ein starkes Land, doch es knirscht hörbar im gesellschaftlichen Gebälk, und dass Sie uns hier anhören müssen und uns weiterhin anhören werden müssen, ist Teil dieses Knirschens. ({2}) Das zeigt deutlich, dass diese Gesellschaft mit 15 Millionen Leistungsträgern Ihre Politik des Weiter-so nicht mehr mitmachen will. Danke. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege Achim Post. ({0})

Achim Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004378, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht ganz genau, über welches Land mein Vorredner geredet hat; über den Haushalt hat er jedenfalls nicht geredet. ({0}) Dafür weiß ich sehr wohl, dass das, was die erste Rednerin der AfD, Frau Weidel, gesagt hat, mit dem deutschen Grundgesetz nichts zu tun hat, jedenfalls nichts mit Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Haushaltsdebatten, Haushaltswochen, Haushalte sind immer wichtig. Die Debatte heute hat gezeigt: Diese Haushaltswoche, diese Haushaltsdebatte, dieser deutsche Bundeshaushalt 2018 sind noch wichtiger als sonst. Warum? Viele Rednerinnen und Redner haben auf das politische Umfeld hingewiesen, nicht nur im Nahen Osten, wo durch einseitiges Handeln des amerikanischen Präsidenten, sowohl durch die Botschaftsverlegung als auch durch die Aufkündigung des Iran-Abkommens, das Pulverfass mit einem Brandbeschleuniger versehen wurde und dadurch der Nahe Osten weiter in die falsche Richtung getrieben wird, und zwar mit unabsehbaren Konsequenzen. ({2}) Hier wurden vorhin die Äußerungen des neuen amerikanischen Botschafters angesprochen. Auch ich habe mich über seine Äußerungen gewundert. Vielleicht sollte der Herr Botschafter einmal in seine Ernennungsurkunde gucken. Darin steht nämlich: Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika in der Bundesrepublik Deutschland. Darin steht nicht: Korrespondent von Fox oder Breitbart News. ({3}) Wenn man sich die Lage im Nahen Osten anschaut, gerade in Syrien, muss man sagen, dass das, was Russland in den letzten Monaten und in den letzten zwei Jahren dort gemacht hat, brutal, zynisch und menschenverachtend ist und mit dem Völkerrecht nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. ({4}) Man muss aber auch, bevor man auf Europa blickt, wissen, dass es eine große Macht, nämlich China, gibt, die versucht, die neue Ordnungsmacht in der Welt zu werden, und zwar mit einer Systemalternative. Diese Alternative unterscheidet sich von unserem Modell der Freiheit, der Menschenrechte und der Demokratie. Das muss man im Kopf haben. Deshalb müssen wir sowohl mit den Vereinigten Staaten von Amerika – mit denen sowieso; das sind seit 20, 30, 40, 50 Jahren unsere wichtigsten Partner außerhalb Europas – als auch mit Russland und China eng zusammenarbeiten und jede Dialogmöglichkeit nutzen, die sich bietet, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Auf welcher Grundlage ist der Bundeshaushalt 2018 aufgestellt worden? Wir haben in Deutschland – und darum beneiden uns viele in der Welt – stabile Wachstumsprognosen, sinkende Arbeitslosigkeit, steigende Beschäftigung. Auf dieser Grundlage stellen wir einen Haushalt auf – der Bundesfinanzminister ist anwesend –, den ich in aller Kürze mit drei Überschriften beschreiben würde: Erstens: Es ist ein Haushalt der Solidität. Der Haushalt 2018 und die nachfolgenden Haushalte kommen ohne neue Nettokreditaufnahmen aus. Zweitens: Es ist ein Haushalt der Solidarität. Jeder, der was anderes behauptet, sollte sich die Zahlen angucken. Wir geben viel Geld aus, um das Leben der Menschen in Deutschland zu erleichtern, zu verbessern und etwas gerechter zu machen. Gucken Sie sich genau an, was in den Haushalten von Hubertus Heil und Franziska Giffey passiert. Drittens – das ist besonders an die FDP gerichtet –: Es ist ein Zukunftshaushalt. Man muss sich nur ansehen, wie viel wir investieren. ({6}) Zurzeit marschiert ja ein Gespenst durch das Regierungsviertel. Es wird gesagt, dieser Haushalt sehe keine Investitionen vor. Schauen wir uns die Zahlen an: In dieser Legislaturperiode werden wir im Vergleich zur letzten Legislaturperiode im Bereich Bildung und Forschung 18 Prozent mehr ausgeben, und auch in den Bereichen Arbeit sowie Familie und Soziales geben wir 18 Prozent mehr aus als vorher. ({7}) Diese Zahlen sollten Sie sich einmal ansehen. ({8}) – Das ist ein gutes Stichwort. Gucken Sie sich die Investitionen des Bundes an. ({9}) Im Vergleich zum letzten Bundeshaushalt ist ein Plus von 18 Prozent zu verzeichnen. Ich habe mir diese Bereiche extra herausgesucht, weil die Steigerung jedes Mal 18 Prozent beträgt. Das kann man sich leicht merken. Das sollten auch Sie sich merken, lieber Kollege von der FDP. ({10}) – Der Haushalt ist für alle gleich. Jetzt kommen wir zum nächsten Punkt, zu Europa. Das ist ja ein Lieblingsthema von einigen von Ihnen. Wie kann man sowohl das, was in der Welt geschehen muss, als auch das, was für dieses Land erforderlich ist, vernünftig voranbringen? Wir kommen voran – das haben die Bundeskanzlerin heute und der Bundesfinanzminister gestern gesagt –, indem wir in Europa investieren. Das steht genau so im Koalitionsvertrag. Sie können sich darauf verlassen: Wir werden diesen Koalitionsvertrag umsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Dabei geht es um zwei Bereiche, zwei Pfeiler, wenn Sie so wollen. Ja, wir wollen die Euro-Zone stabiler machen. Ja, wir wollen die Euro-Zone krisenfester machen. Ja, wir wollen die Wirtschafts- und Währungsunion reformieren. Gleichzeitig wollen wir Europa sozialer machen. Wir wollen mehr tun gegen Steuerflucht. Wir wollen mehr tun gegen Steuerdumping. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir tun das bereits, und wir werden diese Arbeit fortsetzen. ({12}) Zu jeder Haushaltsdebatte, zu jeder Debatte darüber, wie die Politik der Bundesrepublik Deutschland in diesem und den nächsten drei Jahren aussehen soll, gehört Streit. Ich würde sagen: Ohne Streit ist eine Demokratie keine richtige Demokratie. Streiten wir doch einmal über zwei, drei wichtige Punkte: Erster Streitpunkt. Ich streite leidenschaftlich dafür, dass das, was im Koalitionsvertrag steht – Einführung einer Finanztransaktionsteuer und Einführung einer Digitalsteuer –, umgesetzt wird, und zwar so schnell wie möglich. ({13}) Zweiter Punkt. Frau Verteidigungsministerin, ich streite auch leidenschaftlich dafür, dass die Bundeswehr – genauso wie es im Koalitionsvertrag steht und genauso wie wir es im Haushalt festgelegt haben – besser, deutlich besser ausgestattet wird als bisher. Jeder Euro und jeder Cent, der im Haushalt steht, wird dann auch für die Bundeswehr ausgegeben. Wogegen ich aber bin, ist die Verdopplung des Verteidigungshaushaltes, und wogegen ich bin, sind neue Sonderwunschlisten. Die gibt es nur zu Weihnachten, aber nicht zu Pfingsten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({14}) Dritter Punkt. Wenn wir über Europa und auch über das streiten, was wir mit Frankreich gemeinsam machen müssen – denn wir müssen es zuallererst mit Frankreich gemeinsam und dann mit allen anderen machen –, muss ich einmal zu Ihnen schauen, Frau Wagenknecht. Bei aller Liebe und bei allem Respekt: Sie haben vorhin relativ spöttisch auf die Kolleginnen und Kollegen geschaut, die sich darüber gefreut haben, dass Herr Macron vor einem Jahr die Wahlen in Frankreich gewonnen hat. Können Sie mir sagen, wer in Frankreich die Alternative zu Herrn Macron war? Es war Marine Le Pen, eine Rechtsradikale. Wollten Sie die? Ich hoffe nicht, dass das der Fall ist. ({15}) Wir in der Koalition – das zeigt das Europa-Kapitel des Koalitionsvertrages – sind die Letzten, die mit naiver Begeisterung für irgendjemanden in Europa zu Werke gehen; vielmehr handeln wir mit Realitätssinn, im deutschen Eigeninteresse und mit europäischem Verstand. ({16}) Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist dieser Koalitionsvertrag gut, ist dieser Haushalt gut und wird die Politik der Großen Koalition gut. Schönen Dank. ({17})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin Simone Barrientos. ({0})

Simone Barrientos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004660, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Kultur ist sehr viel mehr als nur Theater. Manchmal wünscht man sich das auch hier; aber darüber reden wir jetzt nicht. Mir geht es um Kultur. Kultur ist der Kitt, der die Demokratie zusammenhält. Ohne Kultur geht der gesellschaftliche Konsens verloren; davon bin ich zutiefst überzeugt. ({0}) Dieser Haushalt und ganz besonders der Kulturhaushalt haben eine Antwort auf die Entwicklungen, die dieses Land in den letzten Jahren genommen hat – Menschen vor Märkten, Humanismus vor Kommerz; das wären gute Ansätze gewesen –, verpasst. Der Kulturhaushalt ist, so meine jedenfalls ich, vor allem dafür zuständig, Kultur aus dem Zwang des kommerziellen Erfolges zu befreien. Denn wohin das führt, haben wir bei der Echo-Verleihung sehr deutlich gesehen. Unschön! ({1}) Ja, es gibt mannigfaltige Angriffe auf Kultur; dort ist man auf „Entsiffungstour“. Aber man muss sich darüber gar nicht aufregen, weil man ja einen sogenannten Heimatminister installiert hat, der über Leitkultur schwa­droniert. Dem geht es nicht darum, dass sich hier alle heimisch fühlen. Nein, der greift die Kultur in ihrer Vielfalt an. Das gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt und übrigens auch die innere Sicherheit. ({2}) Nein, man kann die AfD nicht bekämpfen, indem man ihre Inhalte übernimmt. Bitte richten Sie das doch Herrn Seehofer, der jetzt nicht mehr da ist, freundlicherweise von mir aus. ({3}) Apropos „Taugenichtse“: Der Deutsche Kulturrat hat kritisiert – ich bin da ganz seiner Meinung –, dass die Regierungsparteien – nur ihnen beiden wäre es möglich gewesen, das zu verhindern – der AfD den Unterausschuss „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“ überlassen haben. Was für ein Bild gibt das ab? Verdammt noch mal, das hätte nicht passieren dürfen! ({4}) Aber kommen wir zurück zum Haushalt. In den vielen Gesprächen, die ich in den letzten Monaten mit Verbänden wie zum Beispiel dem Ensemble-Netzwerk, der Allianz der Freien Künste, dem Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler, dem Deutschen Kulturrat und etlichen anderen geführt habe, wurden vor allem drei Probleme an mich herangetragen, die zu lösen man sich wünscht. Erstens: Bundeskulturförderfonds. Es braucht mehr Geld, es braucht einen einfacheren Zugang, es braucht Planungssicherheit. Wir beantragen deshalb die Erhöhung des Ansatzes von circa 6,5 Millionen Euro auf insgesamt 18 Millionen Euro. ({5}) Jeder Einzelfonds muss unserer Auffassung nach auf 3 Millionen Euro erhöht werden; dann wird man den Anforderungen der freien Netzwerke gerecht. Wir haben das mit ihnen besprochen; sie würden sich freuen. Stimmen Sie zu! ({6}) Zweitens. Die soziale Lage der Kunst- und Kulturschaffenden ist zu verbessern. Es gibt unseren Antrag zu Solo-Selbstständigen. Wir bleiben dran. Das muss an anderer Stelle geklärt werden, aber wir kämpfen weiter. Drittens: kulturelle Vermittlung. Das derzeitige Budget ist bei weitem nicht ausreichend. Wir fordern eine Erhöhung um 1,5 Millionen Euro. Das ist auch nur ein Anfang, aber immerhin. Das Wichtigste für mich bleibt: Kultur muss als Staatsziel ins Grundgesetz. ({7}) Nur dann kann den Herausforderungen der Zeit und den Angriffen von Ewiggestrigen, der Rollback-Bewegung, angemessen begegnet werden. Auch das ist übrigens eine Frage von Kultur: Schwangerschaftsabbrüche haben im Strafgesetzbuch nichts zu suchen. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Als Nächstes erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Frauke Petry.

Dr. Frauke Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004851, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nur wenige Tage sind vergangen, seit der französische Staatspräsident Emmanuel Macron im Aachener Rathaus den Karlspreis erhalten hat. Was wir sahen, war eine Zäsur: dort der junge, durchgestylte Franzose, hier die in die Jahre gekommene Kanzlerin. ({0}) Was sich hierzulande erst langsam herumspricht, ist auf europäischem Parkett bereits offensichtlich: die Erosion der deutschen Position in Europa. Das ist leider die Quittung für eine jahrelang verfehlte EU-Politik, die mit der Finanz- und Schuldenkrise begann, zur Griechenland- und Euro-Krise ausuferte und zuletzt in einer Belehrung und Bevormundung europäischer Partner mündete. Trotz Brexit soll der EU-Haushalt wachsen. Olaf Scholz rechnet mit bis zu 10 Milliarden Euro Mehrbelastung für Deutschland – und das, obwohl der deutsche Steuerzahler durch den ESM bereits zum Bürgen milliardenfacher Insolvenzverschleppung anderer EU-Staaten geworden ist. „Verschleppung“ ist dabei das treffende Stichwort für den Politikstil der Bundesregierung. Seit einem Jahrzehnt markiert Problemverschleppung und nicht Pro­blemlösung die Innen- und Außenpolitik unseres Landes. Es ist daher nicht überraschend, dass Frau Merkel dem Aufsteiger Macron wenig entgegenzusetzen hat. Wenn der französische Präsident ein europäisches Finanzministerium will, dann wird der Vorschlag beschwiegen. Wenn Macron eine europäische Arbeitslosenversicherung fordert, dann wird dies nicht kommentiert. Wenn Paris nach einem souveränen, geeinten, demokratischen Europa ruft – in anderen Worten: nach dem europäischen Zentralstaat –, dann widerspricht Berlin wieder nicht. Meine Damen und Herren, diese Regierung und auch diese Kanzlerin haben bereits zu Beginn dieser Legislatur nicht mehr die Kraft, die Herausforderungen anzunehmen, die von einer aggressiven zentralistischen und etatistischen Politik auf Brüsseler Ebene ausgeht. ({1}) Sie setzt keine Akzente, sondern wird von den äußeren Umständen getrieben. Das Primat des Bürgerwillens ist alternativlosem Lavieren gewichen. Der Besuch der Kanzlerin in Washington hat der Welt vor Augen geführt, dass diese Politik eben gerade nicht als Politik des Augenmaßes, sondern als Politik der Schwäche verstanden wird. Statt die Lehren daraus zu ziehen, wird das Zerwürfnis mit unserem wichtigsten Bündnispartner auch noch gefeiert. Warum beginne ich mit diesem Diskurs? Weil für den Haushalt der Bundesregierung das gilt, was die Politik der Bundesregierung ausmacht: Passivität, Problemverschleppung und mangelnder Wille, die Dinge endlich anzupacken. Der Abbau der Bundesschulden ist ein Schritt in die richtige Richtung. Vergleichen wir aber das, was möglich wäre, mit dem, was passiert, dann sehen wir: Das sind am Ende nur ängstliche Schritte. Die Antwort der Regierung bedeutet nicht einen größeren Schuldenabbau oder eine dringend nötige Entlastung der Bürger, sondern mehr Staatsausgaben. Das Bundeskanzleramt, dessen Etat in zweistelliger Millionenhöhe aufgestockt wurde, geht dabei mit gutem – oder besser: mit abschreckendem – Beispiel voran. Der Haushalt krankt am wirtschaftlichen Grundverständnis der Bundesregierung. Ein jeder in diesem Haus sollte das Ziel vor Augen haben, dass der Wohlstand in unserem Land wächst, und zwar nicht im statistischen Mittel oder aufgrund der Steigerung des wenig aussagekräftigen Bruttoinlandsproduktes, sondern auf allen sozialen Ebenen und real bei den Bürgern. Wenn die Einkommen von Geringverdienern, der Mittelschicht oder von Topverdienern steigen, wächst auch die Ungleichheit, mögen manche unter Ihnen bemerken. Sie ignorieren jedoch, dass es dann trotzdem vielen besser ergehen würde. Meine Damen und Herren, wir haben kein kapitalistisch verursachtes Problem, sondern ein durch die Regierung verursachtes Wohlstandsproblem und zugegebenermaßen ein Neidproblem. Entgegen der ökonomischen Vernunft erhöht der Staat das Haushaltsvolumen und entzieht damit der Bevölkerung die Grundlage, um weiteren Wohlstand zu schaffen. Er raubt den natürlichen Anreiz, zu arbeiten, und verbannt kreative, arbeitsfähige Menschen in die staatliche Abhängigkeit. Wenn wir wirklich etwas für die Bürger dieses Landes tun wollen, dann muss der Staat auf Geld verzichten, meine Damen und Herren. Der Haushalt darf nicht wachsen; er muss schrumpfen, und in der Folge müssen die Steuern deutlich sinken. Dies würde dazu führen, dass Geschäftsideen, die heute aufgrund hoher Abgaben und Steuern nicht profitabel sind, wieder profitabel würden. Neue Arbeitsplätze und neue Dienstleistungen würden so geschaffen. Ein Wirtschaftswunder 2.0 würde die heutigen Sozialromantiker ebenso überrumpeln, wie es einst Ludwig Erhard mit der Abschaffung der Preisbindung ermöglichte. Wenn man nun aber immer noch an das Umverteilungsmärchen „Im Namen der Gerechtigkeit“ glaubt, nämlich dass gesamtgesellschaftlicher Wohlstand durch Umverteilung generiert wird, dann muss man sich nicht wundern, dass, wie auch der Bund der Steuerzahler moniert, sich Arbeit in Deutschland viel zu häufig nicht mehr lohnt. Wie auch, wenn über 100 verschiedene Sozialleistungen von über 40 staatlichen Stellen verwaltet oder, besser gesagt, auch in der Sozialindustrie vernichtet werden. Eine vierköpfige Familie braucht heute einen Bruttolohn von circa 2 500 Euro, um netto Hartz-IV-Niveau zu erreichen. Ein Konzept der negativen Einkommensteuer würde dagegen für soziale Wärme ohne bürokratische Kälte sorgen. Man braucht nur Mut. Apropos Mut, Frau Göring-Eckardt: Er ist nicht mit grüner Hysterie zu verwechseln. Das Insektensterben zu beklagen, aber gleichzeitig zu verschweigen, dass dafür unter anderem auch die großen Monokulturen von Mais und Raps der Umwelt zuliebe verantwortlich sind, bleibt zu kurz gesprungen. ({2}) Statt uns permanent ein schlechtes Gewissen wegen der Bienen, wegen Glyphosat und wegen des CO 2 -Ausstoßes und der Dieselmotoren einzureden, sollten Sie etwas Produktives tun. Helfen Sie uns, eine der unsinnigsten Subventionen zu beenden, nämlich die für Holzöfen! Der durch Holzöfen verursachte Feinstaub in Deutschland, getrieben durch KfW-Subventionen und denen der Länder, steigt seit über zehn Jahren drastisch an. Die Blaue Partei lädt die Grünen herzlich ein, sich gemeinsam mit uns für saubere Luft einzusetzen. Die Bundesregierung hat leider den entscheidenden Moment versäumt, eine echte Wende in der Haushaltsplanung herbeizuführen. Mutloses Krämertum wird uns aber nicht vor den Herausforderungen retten, die auf uns zukommen. Die horrenden Sozialleistungen, die der unkontrollierte Zuzug von Einwanderern für uns mit sich bringt, wurden nicht immer thematisiert. Was wir brauchen, ist eine Rückkehr der Finanzpolitik zu Vernunft und zur bürgerlichen Verantwortung – für jeden von uns selbst und für die Gesellschaft. Nur so können wir die Träumereien derjenigen entlarven, deren fatale Antwort auf alle Probleme immer nur wieder bedeutet: mehr Staat, mehr Ausgaben, mehr Zentralismus. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Alexander Dobrindt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben mit der Globalisierung eine Vielzahl neuer Spannungsfelder, gekoppelt mit dem Wunsch der Menschen nach Heimat, Herkunft und Identität. Wir diskutieren auch die Chancen der Digitalisierung und wollen gleichzeitig dafür sorgen, dass alle die Möglichkeit haben, davon zu profitieren. Wir reden auch in der Haushaltsdebatte gerade über die Verantwortung von uns in der Welt, übrigens auch gerade über die humanitäre Verantwortung Deutschlands in der Welt und die Verantwortung für Sicherheit, kulturelle Stabilität und den gesellschaftlichen Frieden. Das alles wollen wir zusammenbringen, und dies geht nur dann, wenn man die Bereitschaft hat, in einen starken Staat zu investieren, einen Staat, der Recht setzt und auch Recht durchsetzen kann, der die Innovationen vorantreibt, den Wohlstand fortschreibt, Europa gestaltet und die Souveränität unserer Heimat bewahrt. Das ist die Aufgabe, die mit einem soliden Haushalt erfüllt werden kann. Zu einem soliden Haushalt gehört gerade das Fortschreiben dessen, was wir in der letzten Legislaturperiode begonnen haben, nämlich einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen, und zwar mit einer schwarzen Null. Ich verstehe überhaupt nicht, wieso man daran nach all den Erlebnissen, die wir in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Schuldenkrise in Europa hatten, auch nur einen Hauch an Kritik äußern kann. Ich verstehe nicht – wenn die Zeitungsberichte stimmen –, warum in der SPD-Fraktion über den Finanzminister gelästert wird als Olaf Schäuble, die Verlängerung von Wolfgang Schäuble. Seien Sie doch stolz darauf, dass wir die Errungenschaften der schwarzen Null in diesem Land weiterentwickeln und für die Zukunft erhalten. ({0}) – Derjenige, der das behauptet, hat in der Tat aus der Schuldenkrise beim besten Willen nichts gelernt. Vollkommen egal, ob dieser Unsinn im Deutschen Bundestag oder in Aachen erzählt wird, es war nicht der Budgetfetisch, der Europa in die Krise geführt hat. Es war der linke Schuldenfetisch, der einige Länder Europas an den Rand des Abgrunds gebracht hat. ({1}) Mehr Schulden bei weniger Investitionen, mehr Ausgaben, weniger Wachstum, mehr Umverteilung, weniger Leistung, das ist doch die linke Politik in Europa gewesen. Diese Lasten haben wir noch immer zu tragen. Tragen können wir sie in Europa ausschließlich deshalb, weil Deutschland in der Lage ist, solide Haushalte aufzustellen. Deswegen funktioniert das Ganze. ({2}) Die Frau Bundeskanzlerin hat darauf hingewiesen, dass die Schulden von heute nichts anderes sind als die Steuerhöhungen von morgen. Man darf daher sagen: Wer Schulden fordert, fordert Steuererhöhungen. Wer Steuererhöhungen fordert, will nichts anderes, als heute zu konsumieren und die Zeche die nächste Generation zahlen zu lassen. Wir stehen für Generationengerechtigkeit und werden daran nichts ändern. ({3}) Neben der Bedeutung der Investitionen geht es um die Entlastung der Bürger. Bei Rekordhaushalten und Rekordsteuereinnahmen muss man die Entscheidung zugunsten von Entlastungen kraftvoll treffen. Dabei ist der Abbau der kalten Progression nur eine zwingende Notwendigkeit. ({4}) Ich teile diese Auffassung. Aber, liebe Kollegen von der FDP, den Vorwurf, wir kauften uns Zustimmung durch Entlastung ein, weise ich zurück. ({5}) Früher war für die FDP eigentlich „mehr Netto vom Brutto“ ein Thema. Nun den Menschen etwas zurückzugeben, wenn wir die höchsten Steuereinnahmen haben, gleichzeitig in starke Regionen und in die Zukunft zu investieren, das nenne ich nicht „Zustimmung einkaufen“, sondern „Leistung honorieren“ und „Wohlstand fortschreiben“. Das ist das Ergebnis, das wir aus der Bundestagswahl abgeleitet haben. ({6}) Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um über eine Senkung der Sozialabgaben zu reden. Die Sozialkassen sind keine Sparkassen. Wenn die Bundesagentur für Arbeit demnächst Rücklagen in einer Größenordnung von 20 Milliarden Euro hat, dann darf man nicht vergessen, dass das das Geld der Beitragszahler ist. Das muss den Beitragszahlern zurückgegeben werden. Wir haben vereinbart, den Beitragssatz in der Arbeitslosenversicherung um 0,3 Prozentpunkte zu senken und so circa 3,6 Milliarden Euro zurückzugeben. Ich bin heute der Überzeugung: Wir können an dieser Stelle mehr machen. Lassen Sie uns darüber reden, ob wir den Beitragssatz in der Arbeitslosenversicherung um 0,5 Prozentpunkte – das entspricht etwa 6 Milliarden Euro – senken sollten. Wir sollten die Zeit der Bundesagentur für Arbeit als Sparkasse nicht verlängern, sondern das Geld den Beitragszahlern zurückgeben. Das ist unser Auftrag. ({7}) Ich bin froh, dass wir in dieser Debatte auch ausgiebig über Europa gesprochen haben. Ein starker Staat, wie wir ihn in unserem Haushaltsentwurf vorsehen, funktioniert heute als starker Nationalstaat mit nationaler Souveränität nur dann, wenn es ein starkes Europa gibt. Nur dann werden wir unsere nationale Souveränität auf der Welt erhalten können. Ich will ein starkes und geeintes Europa. Das heißt aber nicht, dass ausschließlich diejenigen gute Europäer sind, die die meisten Kompetenzen möglichst schnell an Brüssel abgeben wollen. Es geht darum, Europa weiterzuentwickeln, nicht als „ever closer union“, sondern als „ever stronger union“. Das ist der Auftrag: Wir wollen stärker werden in Europa, und das heißt, einen klaren Mehrwert mit dem, was wir für Europa vereinbaren wollen, zu verbinden; mehr Europa im Großen, weniger im Kleinen. Wir sind bereit, dafür finanzielle Aufwendungen bereitzustellen. Wir wollen auch den Schutz der Außengrenzen vorantreiben, und wir wollen dafür sorgen, dass Europa in der Tat bei den ganzen Fragen der Migration mehr Verantwortung übernehmen kann. Meine Damen und Herren, wir haben heute noch sehr stark mit der Aufarbeitung der Flüchtlingskrise zu tun. Wir sind aber auch bereit, diese Aufarbeitung voranzutreiben. Dazu gehört, dass wir eine funktionierende Rückführungskultur in Deutschland schaffen. Wer kein Bleiberecht hat, der muss auch wieder gehen. Wer kriminell ist, der hat sein Bleiberecht verwirkt. ({8}) Der Bundesminister Horst Seehofer entwickelt dafür den Masterplan für Rückführungen. Wir arbeiten an der Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten. Wir wollen, dass auch beim Aufwuchs der Mittel für die Entwicklungshilfe eine Kombination mit der Kooperationsbereitschaft von Drittländern hinsichtlich Rückführungen stattfindet. Wir werden die AnKER-Zentren aufbauen und damit unser Asylsystem wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Erst wenn die Identität geklärt ist, das Verfahren abgeschlossen ist, wird auf die Kommunen verteilt oder direkt aus den AnKER-Zentren abgeschoben. Wer kein Bleiberecht in Deutschland erhält, der soll sich in diesem Land auch erst gar nicht einrichten. ({9}) Jetzt will ich darauf hinweisen, dass wir bei den Asylverfahren ein Aufwachsen vom Jahr 2016 auf das Jahr 2017 um mehr als das Doppelte haben, und zwar auf 360 000 Verfahren. Ja, das überlastet in der Tat unsere Verwaltungsgerichte. Das führt zu einer extrem langen Dauer der Asylverfahren. Das führt zu einer Verstetigung der Aufenthalte, und das führt auch zu einem Pull-Effekt. Wir brauchen natürlich eine Beschleunigung der Asylverfahren. Es gibt bis heute keine Mitwirkungspflicht der Asylbewerber bei Widerrufsverfahren. Wer sich in einem Widerrufsverfahren taubstumm stellt, der kann auch überhaupt nicht überprüft werden. Wir wollen aber eine Mitwirkungspflicht der Asylbewerber haben, wenn überprüft wird, ob es noch einen Schutzgrund gibt; denn wenn wir nicht mehr überprüfen können, ob Schutzgründe noch bestehen, dann können wir am Schluss auch nicht dafür sorgen, dass Menschen, die keinen Schutzgrund mehr haben, wieder in ihre Heimatländer zurückgebracht werden. ({10}) Das ist aber notwendig, um Akzeptanz im System zu erhalten. Noch ein Hinweis, lieber Christian Lindner; denn Sie haben behauptet: Es gibt keine Antiabschiebeindustrie in Deutschland. – Man kann beim Bäcker sicher viel lernen, aber nicht alles, vermute ich. ({11}) Schauen Sie sich mal an, was die Flüchtlingsräte veröffentlichen. Sie gehen davon aus, dass sie mit ihren Aktionen immer weniger Flüchtlinge in die Abschiebeflugzeuge bringen. Sie gehen davon aus, dass sie Abschiebungen verhindern können, wenn die Betroffenen gewarnt werden und die Betroffenen „untertauchen“, so wörtlich; das sei ein Erfolg. Wer heute dazu auffordert, wie es Flüchtlingsräte tun, dass Unterstützer und Anwälte über Abschiebetermine informieren, damit gefährdete Personen sich verstecken können, ({12}) wer darauf hinweist, dass man sich nicht zu Hause aufhalten soll, wenn Abschiebetermine anstehen, oder dass man blaumachen soll, weil es, so wörtlich, „kreative Möglichkeiten“ gibt, warum man mal nicht zur Arbeit kommen kann, der hat mit Sicherheit alles andere als ein rechtsstaatliches Verständnis von Asylverfahren. ({13})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Marc Jongen für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Marc Jongen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004768, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Für Kultur kann es eigentlich nie genug Geld geben. Mit diesem positiven Vorurteil muss sich jeder Kulturpolitiker, der ja ein Freund und ein Mensch der Kultur sein sollte, seinem Ressort nähern. ({0}) – Sie sind eher Freunde der Propaganda und Ideologie; dazu komme ich noch. – Eine Kulturnation wie Deutschland muss sich ihr kulturelles Erbe auch etwas kosten lassen. Das sind wir uns schuldig; das sind im Übrigen auch Investitionen, die sich durch indirekte Effekte auf Tourismus, Kreativwirtschaft etc. hundertfach bezahlt machen. Der vorliegende Haushaltsplan indes – und damit die Kulturpolitik der Bundesregierung – gibt Anlass, von diesem positiven Vorurteil abzurücken und einzusehen: Es gibt auch im Feld der Kultur und der Medien Investitionen, die besser nicht getätigt würden, nämlich solche in linksideologische Propaganda und Förderprogramme, ({1}) die einzig und allein dem Zweck dienen, Kunst und Kultur auf globalistische, migrations- und EU-euphorische Linie zu bringen. ({2}) Das sind kulturelle Schadprogramme, deren Mittel besser in Denkmalschutz und kulturellen Substanzerhalt fließen sollten, meine Damen und Herren. ({3}) Prominentes Beispiel: Die Kulturstiftung des Bundes wird im Haushaltsplan der Bundesregierung mit 35,5 Millionen Euro bedacht. Laut ihrer Künstlerischen Direktorin, Frau Hortensia Völckers, will die Kulturstiftung Maßnahmen gegen Abschottung und ideologische Homogenisierung fördern, etwa mit dem Programm „360°“, das eine – Zitat – „diversitätsorientierte Öffnung von Kultureinrichtungen“ anstrebt. ({4}) Orwell’scher Neusprech, meine Damen und Herren! ({5}) Die Einzelprogramme heißen dann zum Beispiel „Every­one’s welcome – Theater Bremen goes Diversity“; Migranten sollen Angebote in der Stadtbibliothek Köln entwickeln und dergleichen mehr. Bis 2024 sollen 21 Millionen Euro in das Programm „360°“ fließen. Meine Damen und Herren, Kunst und Kultur werden hier zur propagandistischen Begleitmusik für eine verfehlte Politik der Masseneinwanderung degradiert. ({6}) Man führt auf deutschen Theaterbühnen einen paranoiden Kampf gegen rechts, ({7}) wobei rechts schon jeder ist, der nicht bereit ist, Tradition und kulturelles Erbe einer staatlich verordneten multikulturellen Zukunft zu opfern, mit anderen Worten: der nicht bereit ist, der Zerstörung dieses kulturellen Erbes, jedenfalls einem gewaltigen Niveauverlust, zuzustimmen. ({8}) Ich finde es auch immer wieder frappierend: Je vehementer Vielfalt eingefordert wird, desto uniformer und austauschbarer sieht das Ergebnis aus, weil es eben nicht die von unten gewachsene Vielfalt ist, sondern eine von oben übergestülpte Vielfaltsideologie, meine Damen und Herren. ({9}) Das Fatale ist: Mit solcher Kulturpolitik züchtet man sich eine Kaste von Staatskünstlern und Staatskulturschaffenden heran, ({10}) die genau wissen, was sie abzuliefern haben, um an die begehrten Fördertöpfe zu gelangen. ({11}) Wer nicht das Hohelied von Vielfalt, Gender und Migration singt, der geht leer aus. ({12}) Die Freiheit der Kunst besteht bald nur noch auf dem Papier des Grundgesetzes, aber wirklich unabhängige Köpfe führen hier in Deutschland mittlerweile ein Dissidentendasein; das ist die traurige Realität. ({13}) Ich will nicht nur anklagen. Es gibt auch positive Aspekte der Kulturförderung durch den Bund. Dass zum Beispiel der Etat für das Humboldt Forum im Berliner Stadtschloss massiv erhöht wurde, war dringend notwendig, damit dieses kulturelle Schaufenster Deutschlands zur Welt in die operative Phase eintreten kann. Ich habe mich gestern, werte Frau Grütters, am einstimmigen Beschluss im Stiftungsrat des Humboldt Forums zur neuen Organisationsstruktur und zum neuen Generalintendanten beteiligt, und ich kann Ihnen die wohlwollend kritische Begleitung dieses wichtigen Kulturprojektes durch die AfD-Fraktion zusagen. ({14}) Umso wichtiger ist es mir, Sie und die Bundesregierung hier an dieser Stelle noch aufzufordern: Stoppen Sie bitte dieses unsäglich misslungene Freiheits- und Einheitsdenkmal, die sogenannte Einheitswippe, ({15}) die direkt neben dem Humboldt Forum errichtet werden soll und die mit sage und schreibe 17 Millionen Euro zu Buche schlägt. An die Stelle neben dem Stadtschloss gehören wieder die historischen Kolonnaden hin, meinetwegen in einer veränderten Fassung analog zu der, in der auch das Stadtschloss wiederaufgebaut worden ist, aber nicht diese alberne Bundesbanane, mit der in Wahrheit auch niemand glücklich ist. ({16})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege Jongen, denken Sie an die Redezeit.

Dr. Marc Jongen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004768, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich komme zum Schluss. – Noch ist Gelegenheit dazu. Bitte streichen Sie diesen Unsinn. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich erteile das Wort dem Kollegen Martin Gerster für die SPD-Fraktion. ({0})

Martin Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003758, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Haushaltsdebatte ist ja traditionell eine gute Gelegenheit für die Opposition, Kritik zu üben. Oft hört man: Das ist zu wenig, zu viel, zu schnell, zu langsam, zu früh, zu spät, falsche Richtung. – Das gehört zur demokratischen Debatte, zur Auseinandersetzung. Ich finde aber, heute haben wir eine neue Dimension erfahren müssen. Dazu muss ich sagen: Diskriminierung von bestimmten Gruppen in unserer Gesellschaft halte ich für unerträglich, auch in einer Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag! ({0}) Viele glauben ja, Haushalt ist reine Zahlenhuberei. Nein, es handelt sich um in Zahlen gegossene Politik. Ich finde, an diesem Haushaltsentwurf kann man ganz gezielt und ganz konkret ablesen, was es für die Menschen tatsächlich bedeutet, wenn an der einen oder anderen Stelle mehr im Haushalt verankert ist bzw. die guten Haushaltsansätze entsprechend fortgeschrieben werden. Finanzminister Olaf Scholz hat gestern völlig zu Recht gesagt: Das ist ein Haushalt der Investitionen, der sozialen Sicherheit, der öffentlichen Sicherheit und auch der emotionalen Sicherheit. – Ich will ein paar Beispiele aus Begegnungen und Gesprächen der letzten Wochen in meiner Region, in Oberschwaben im Allgäu, nennen und damit zeigen, wie letztendlich dieser Haushalt viele Verbesserungen für die Menschen bringen wird. Da war die junge Familie, die darüber geklagt hat, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch nicht so gut klappt. Ich finde es großartig, dass unsere neue Familienministerin Franziska Giffey das Gute-Kita-Gesetz auf den Weg bringen will. Es soll für mehr Qualität in den Kitas sorgen, aber auch dabei helfen, Gebührenfreiheit in allen Bundesländern durchzusetzen. ({1}) Ich finde es nach wie vor nicht in Ordnung, dass in Baden-Württemberg unter einem grünen Ministerpräsidenten die Familien Kitagebühren zahlen müssen; das macht oft mehrere Hundert Euro aus. ({2}) Deswegen sage ich an dieser Stelle: Wir ermöglichen allen Bundesländern, die Gebührenfreiheit einzuführen. ({3}) Ich sage auch ganz selbstbewusst: Die SPD hat in ihrer Geschichte das Schulgeld abgeschafft, die Studiengebühren abgeschafft. Wir werden es auch schaffen, die Kitagebühren in allen Bundesländern abzuschaffen. ({4}) Da war die Familie, die den Traum hatte, eine eigene Wohnung bzw. ein eigenes Haus zu erwerben. Wir werden diese Familie dabei unterstützen. Es kann nicht der einzige Baustein für das Eigentum sein, aber es kann vielleicht der entscheidende Baustein sein, um eine Eigentumswohnung bzw. ein Eigenheim zu erwerben. Deswegen sage ich: Es ist gut, dass wir das Baukindergeld einführen werden. Es sind pro Kind 1 200 Euro über zehn Jahre. Das macht für eine Familie mit drei Kindern insgesamt 36 000 Euro aus. ({5}) Deswegen sage ich: Das gehört entsprechend unterstützt und ist ein guter Baustein für junge Familien. Wir investieren aber auch ganz viel in den sozialen Wohnungsbau. Das ist auch ganz wichtig für Leute, die klagen: Mensch, ich kann bald die Miete nicht mehr bezahlen. Ich habe Angst, dass ich aus der Wohnung he­rausgetrieben werde. ({6}) Da tun wir etwas, indem wir letztendlich die Möglichkeit der Umwälzung der Ausgaben für Modernisierungen auf die Mieterinnen und Mieter stoppen. Da war der 18-Jährige, der gesagt hat: Ich habe jetzt gerade meine Abiprüfungen hinter mir. Meine Eltern haben nicht so viel Geld. – Wir werden im Laufe dieser Legislaturperiode ganz viel tun, um solche jungen Leute zu unterstützen, wenn sie studieren wollen. 1 Milliarde Euro mehr gibt es in dieser Legislaturperiode für das Schüler- und Studierenden-BAföG; dazu noch einmal 350 Millionen Euro für das Meister-BAföG. Ich glaube, das ist eine richtig gute Nachricht für junge Leute. ({7}) Im Übrigen: Wir als SPD haben in den meisten Bundesländern durchgesetzt, dass die Studiengebühren abgeschafft werden. Auch das ist eine gute Botschaft, die heutzutage oft vergessen wird. Ich finde es nicht in Ordnung, dass in manchen Bundesländern schon wieder diskutiert wird, dass für Teile der Studierenden wieder Studiengebühren eingeführt werden sollen. Zum Teil sind sie schon wieder eingeführt worden. Ich denke an die Pflegekraft, die gesagt hat: Wir haben viel zu wenig Personal. Ich fühle mich überlastet, überfordert. Ich werde im Urlaub angerufen und gefragt, ob ich nicht kommen kann. – Vor diesem Hintergrund finde ich es gut, dass wir auf das Schulgeld verzichten und die Ausbildungsvergütung einführen. ({8}) Ich glaube, das ist ein großer Baustein, damit dieser Beruf attraktiver wird. Ganz konkret sind im Haushalt 2 Millionen Euro für eine Kampagne zugunsten des Pflegeberufs enthalten. Ich glaube, das ist eine richtig gute Sache in diesem Haushaltsentwurf. ({9}) Ich denke an die THW-Helferin, die ich über die Jahre immer wieder getroffen und gesprochen habe. Sie hat 2013 gesagt: Das kann doch nicht sein: Ich bringe mich ehrenamtlich ein, ich helfe anderen Menschen, wenn sie in Not geraten, aber meine Unterkunft vom THW-Ortsverband ist in einem völlig maroden Zustand. Das kann doch nicht so bleiben. Ein bisschen Wertschätzung hätte auch ich gerne. – Ich will daran erinnern, dass wir das Liegenschaftsprogramm, das Fahrzeugprogramm und viele andere Maßnahmen für diese Helferinnen und Helfer, die unsere Unterstützung verdient haben, auf den Weg gebracht haben. Ich denke an den Einwanderer, der seine Zukunft in Deutschland sieht. 2013 hatten wir für Integrationskurse gerade einmal 200 Millionen Euro im Haushalt veranschlagt. ({10}) Jetzt sind eine Dreiviertelmilliarde Euro eingeplant, mit der wir diese Leute auf einen guten Kurs bringen wollen, ({11}) damit sie in unserer Gesellschaft Erfolg haben und letztendlich auf einem guten Weg sein können. Ich denke an Leute, die verunsichert sind und sagen: „Draußen fühle ich mich nicht mehr wohl“, und die Angst vor Wohnungseinbruch haben. In diesem Bereich haben wir viel getan. Wir haben die Sicherheitsbehörden gestärkt. Aktuell finden sich im Haushalt 2 000 zusätzliche Stellen für Polizei und Bundeskriminalamt. Ich denke aber auch an unser Programm zur Verbesserung des Einbruchschutzes. Unglaublich viele Leute haben das beantragt; das ist eine großartige Sache. ({12}) Man könnte jetzt so weitermachen. Selbst wenn ich noch eine Viertelstunde Redezeit hätte, würde auch diese nicht ausreichen, um aufzuzeigen, wie viele Menschen ganz konkret von unserer Politik, unserem Haushalt profitieren. Aber wir haben ja hier in der Haushaltsdebatte und im Haushaltsausschuss noch ein paar Tage Zeit, um die Positionen zu besprechen. Ich jedenfalls glaube, dieser Haushaltsentwurf ist eine gute Sache. Herzlichen Dank an Olaf Scholz und das Bundesfinanzministerium. Vielen Dank. ({13})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Bundesregierung hat das Wort die Frau Staatsministerin Monika Grütters. ({0})

Prof. Monika Grütters (Gast)

Politiker ID: 11003761

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Von Jean Sibelius, dem berühmten finnischen Komponisten, stammt das Bonmot: „Über Musik kann man am besten mit Bankdirektoren reden. Künstler redeten ja nur übers Geld.“ Zumindest die erste Behauptung, den Kunstsinn der Kassenhüter betreffend, deckt sich auch mit meinen persönlichen Erfahrungen. Nicht nur mit Bankdirektoren, auch mit Haushalts- und Finanzpolitikern kann man ganz hervorragend über Kultur reden – und das macht sich dann in Euro und Cent bezahlt, was wiederum Künstler und Kreative wie auch Kulturpolitiker freut. Ich bin jedenfalls sehr zufrieden mit dem Ausgang der Gespräche zum Kultur- und Medienhaushalt 2018; denn erneut konnte die Kulturfinanzierung des Bundes signifikant gesteigert werden – zum Wohle zahlreicher kultureller Einrichtungen und Projekte im ganzen Land. Lassen Sie mich ganz kurz auf die wesentlichen Veränderungen eingehen. Wie bereits im März in der Generaldebatte hier im Deutschen Bundestag angekündigt, ist es mein Ziel, in dieser Legislaturperiode die Aufarbeitung von und den Umgang mit Beständen aus kolonialen Kontexten in Sammlungen und Museen voranzubringen. Deshalb stocke ich mit meinem Haushalt 2018 die Mittel für Provenienzforschung ein weiteres Mal auf, um mehr als eine halbe Million Euro gegenüber dem ersten Regierungsentwurf. Für den Regierungsentwurf 2019, den wir derzeit erarbeiten, beabsichtige ich gerade in diesem Bereich weitere Erhöhungen. Ein erster wichtiger Schritt war die Unterstützung des Deutschen Museumsbundes bei der Erarbeitung eines Leitfadens zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten. Den haben wir am Montag veröffentlicht. Ich bin sicher: Er wird sowohl den Museen als auch der Politik helfen, diesem anspruchsvollen und – das lernt man, wenn man sich damit befasst – sehr vielschichtigen Thema gerecht zu werden. ({0}) Dieser Aufgabe sollten und, ich glaube, müssen wir uns mit Aufrichtigkeit und Nachdruck stellen. Viel zu lange war die Kolonialzeit ein blinder Fleck in unserer Erinnerungskultur; und viel zu lange war das in dieser Zeit geschehene Unrecht vergessen und verdrängt. Es endlich ans Licht zu holen, ist Teil der historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber den ehemaligen Kolonien und Voraussetzung für Versöhnung und Verständigung mit den dort lebenden Menschen. ({1}) Deshalb ist es gut, dass diese Fragen auch mit dem Baufortschritt beim Humboldt Forum ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt sind. Dort haben wir gestern einstimmig – das ist richtig, Herr Jongen – mit allen in den Stiftungsrat entsandten Vertretern aus Parteien, der Regierung und Experten Hartmut ­Dorgerloh zum Generalintendanten gewählt. Dass wir diesen großen und, wie ich glaube, wichtigen Schritt in dieser Einmütigkeit getan haben – das war nicht unbedingt zu erwarten; freut mich aber umso mehr –, ({2}) zeigt, wie wirksam eine Kultur der Verständigung sein kann. Hartmut Dorgerloh wird diese – so beschreibt er selbst das Humboldt Forum – „Freistätte für Kunst und Wissenschaft“ der Allgemeinheit erschließen. Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich Neil ­MacGregor, der bislang gemeinsam mit Horst Bredekamp und Hermann Parzinger den inhaltlichen Feinschliff am Großprojekt Humboldt Forum vorgenommen hat. Es ist damit gut gerüstet für die letzten Monate bis zur Eröffnung Ende 2019. Ich möchte an dieser Stelle auch ausdrücklich Herrn Staatssekretär Pronold danken – er ist leider gerade gegangen –, der das Projekt bisher vonseiten des Bundesbauministeriums ganz hervorragend gemanagt hat. ({3}) Im Humboldt Forum, dieser „Freistätte“, laden wir Besucher ein, Weltbürger zu sein. Wie wichtig es wieder geworden ist, demokratische Errungenschaften wie Kunstfreiheit, Pressefreiheit und Meinungsfreiheit aktiv zu verteidigen, müssen wir täglich – übrigens nicht nur mit Blick auf manche Nachbarländer – erleben. Immerhin darf Hajo Seppelt jetzt doch nach Russland einreisen. Aber wenn wir auf den dortigen Theatermacher Serebrennikow schauen, der nicht zum Theatertreffen kommen konnte, wenn wir sehen, wie schwer es unabhängige Journalisten in Ungarn haben, und wenn wir die zunehmende Einschränkung der Medienfreiheit in Polen durch das neue Mediengesetz beobachten, wenn wir mit ansehen müssen, wie Liu Xia, die Witwe des Schriftstellers Liu Xiaobo, in China leiden muss, oder wenn wir sehen, wie viele Künstler und Intellektuelle in der Türkei immer noch im Gefängnis sitzen, und wenn wir auch hierzulande mit Vorwürfen wie „Lügenpresse“ konfrontiert werden, spätestens dann wird klar, wie wichtig und notwendig auch hier bei uns wirksame Programme sind, die die Bürger, vor allem auch junge Menschen, für den Wert der Freiheit sensibilisieren. ({4}) Im Austausch mit Experten erarbeiten wir dazu im BKM weitere neue vertiefende Projekte zur Erinnerungskultur, zur Integration und zur Medienkompetenz. Die hierfür bereitgestellten Gelder dürften bestens investiert sein. Meine Damen und Herren, die Steigerung des Kulturetats – ich komme zum Schluss – ist vor allem eins: Sie ist Ausdruck der Wertschätzung für Kultur und Medien in ihrer Bedeutung für eine offene demokratische Gesellschaft, für Verständnis und Verständigung, für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Integration. Warum Künstler und Kreative Förderung und Unterstützung verdienen, hat der kürzlich verstorbene Kardinal Karl Lehmann, der heute an diesem 16. Mai seinen 82. Geburtstag gefeiert hätte, einmal so formuliert – ich zitiere –: Weil wir in einem Zeitalter leben, das häufig vom Nutzenkalkül regiert wird, stellen wir in vielen Lebensbereichen nur Fragen, die wir auch knapp und effizient beantworten können – nennen wir sie einmal die kleinen Fragen. … Deshalb sind Menschen wichtig, die uns lehren, an den großen Fragen festzuhalten: Und da rangieren die Künstler sicherlich mit an vorderer Stelle. Sie stellen unser oft eindimensional fest zementiertes Weltbild immer wieder heilsam in Frage. So weit Kardinal Lehmann. Auch hier im Deutschen Bundestag können wir oft nur die kleinen Fragen beantworten. Umso wichtiger ist es, dafür Sorge zu tragen, dass unsere Gesellschaft im Gespräch, in Verständigung auch und gerade über die großen Fragen bleibt. In diesem Sinne bitte ich Sie um Unterstützung meines Haushaltsentwurfs für Kultur und Medien in den anstehenden parlamentarischen Beratungen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Joana Cotar für die AfD-Fraktion. ({0})

Joana Cotar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004696, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Bei beeindruckenden 3 087 Seiten kann man im aktuellen Haushaltsentwurf schon einmal etwas übersehen. Wenn aber auch die digitale Suche darin nicht den geringsten Budgetansatz für die kürzlich ernannte Staatsministerin Dorothee Bär erbringt, wenn die Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung allem Anschein nach mittellos ist, dann wirft das Fragen auf. In keinem Kapitel, in keinem Einzeltitel gibt es einen Hinweis auf eine finanzielle Ausstattung dieses so wichtigen Amtes. Kein Wunder, dass sie heute bei dieser zentralen Debatte auch nicht reden darf oder nicht reden will. Liebe Frau Bär, ein altes Sprichwort sagt: Wer Geld hat, der kann dem Teufel Beine machen. Wer keins hat, bei dem kommt noch nicht einmal der Mann, der nach ihm ruft. Sie haben Ihr Amt in einem Interview als „Arbeitsmuskel“ bezeichnet, für den Sie – ich zitiere – „Querdenker und Nerds suchen, die im positiven Sinne ‚verrückt‘ sind“. Im positiven Sinne verrückt muss man schon sein, wenn man sich auf derart dünnes Eis begibt. Es braucht mehr als einen Arbeitsmuskel, Frau Kollegin, um die sträflich vernachlässigte Digitalisierung endlich voranzutreiben. ({0}) Ich würde Ihnen und uns wünschen, dass Sie in die Lage versetzt werden, bedeutende Entwicklungen zielgerichtet zu fördern, dass Sie Leuchtturmprojekte schaffen können und das über alle Ressorts hinweg. Wie das ohne Geld gehen soll, ist mir allerdings völlig schleierhaft. In 14 Ministerien sind mehr als 70 Abteilungen mit der Digitalisierung befasst. Die Chance, all dem eine Stoßrichtung zu geben, die weitgehend wirkungslosen Digitalinitiativen zu bündeln, hatten wir als Mindestvoraus­setzung für die Fortschritte in dieser Legislaturperiode angesehen. Jetzt ist es also ein Arbeitsmuskel. Keine Knete, aber Muckis. Ich darf daran erinnern, dass die AfD ein Digitalministerium gefordert hat. Um in Ihrem Bilde zu bleiben: Wir fordern keinen Muskel, sondern ein bestens ausgestattetes Fitnessstudio, das dieses Land ganzheitlich auf Zukunftssicherheit trimmt. ({1}) Eine Staatsministerin für Digitales ohne ausreichendes Budget ist eine Luftnummer. Was soll denn aus Ihren Ansätzen werden, vom digitalen Schulranzen bis hin zum Lufttaxi, wenn man Ihnen keine müde Mark zur Verfügung stellt, Frau Bär? Das Fehlen eines Budgetansatzes, aber auch die durchgängige Nichtnennung Ihrer Position lässt mich fragen, welche denn Ihre Rolle sein soll. Zumindest werden Sie sich nach eigenem Bekunden gut mit Frau Christiansen verstehen, Frau Merkels geschätzter Abteilungsleiterin im Kanzleramt für Innovation und Digitalpolitik. Wer da Köchin und wer Kellnerin ist, wird sich zeigen. Vielleicht arbeiten Sie auch gut mit Ihrer Kollegin, der Kulturbeauftragten, zusammen. Diese hat allerdings einige Millionen Euro für die Digitalisierung von Musikklubs, Kinos und Museen in der Schatulle. Das versteht man wohl unter „Verantwortung in einer Hand“. Es gibt in diesem „Girls’ Camp Digitalisierung“ der Kanzlerin sogar noch eine Mitspielerin, und zwar Gesche Joost, digitale Botschafterin Deutschlands bei der EU-Kommission. Die Dame kassiert jährlich 100 000 Euro und hat sich zur Unabhängigkeit verpflichtet. Das hindert sie aber nicht daran, sich in den Aufsichtsrat von SAP wählen zu lassen und sich mit der Telekom und der ING Bank zu verbandeln. ({2}) Die Digitale Agenda Deutschlands ist leider mit einer Günstlingswirtschaft verbunden, die alles ist, nur nicht zielführend. Frau Merkel, bei der Digitalisierung liegen wir nicht nur im internationalen Vergleich weit zurück. Um den Anschluss zu schaffen, müssen wir schneller rennen als alle anderen. Sie aber machen Deutschland zu einem lahmen Gaul, und das hat unser Land nicht verdient. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Martin Rabanus von der SPD-Fraktion. ({0})

Martin Rabanus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren auf der Besuchertribüne! Es ist guter Brauch, dass in der Generalaussprache zur Regierungspolitik, zum Einzelplan des Bundeskanzleramtes die Kultur eine Rolle spielt, weil diese dort etatisiert ist, weil BKM dort beheimatet ist. Es ist auch guter Brauch, dass in dieser Generalaussprache natürlich die Regierungsfraktionen bzw. Regierungsvertreter darstellen, was alles gut ist, und die Opposition natürlich darstellt, was alles schlecht ist. ({0}) – Einverstanden. Genau, ich bin da ganz der Auffassung meines Kollegen Kahrs. Die Regierungsvertreter, die sagen: „Es ist alles super“, haben natürlich recht. ({1}) Ich will damit aber jetzt für einen kleinen Moment brechen und will versuchen, am Beginn meiner Ausführungen auch einmal das Gemeinsame und das Verbindende, jedenfalls für fünf Fraktionen dieses Hauses, deutlich zu machen. Wir wollen nämlich – so erlebe ich auch unsere Beratungen im Kulturausschuss –, gemeinsam um die richtigen Instrumente und die richtige Schwerpunktsetzung ringend, tatsächlich die Sicherheit haben, in einem weltoffenen, freien, toleranten, demokratischen Land zu leben, und Räume eröffnen, in denen sich diese Freiheiten entfalten können. ({2}) – Es ist ein Konsens von fünf Fraktionen; denn die Beiträge der AfD zeigen doch immer wieder, dass sie genau das anders sieht. Alles, was in Ihren Verstand, in Ihre kleinen Vorstellungen nicht hineinpasst oder was Ihnen einfach nicht gefällt, wird schnell in die ideologische Ecke gestellt und bekämpft. ({3}) Das ist ein völlig anderer Ansatz. Wir wollen Räume eröffnen, in denen Kultur und Kunst frei sein können. Sie wollen bestimmen, was Kultur und Kunst inhaltlich bedeuten. Das wird mit uns nicht passieren. ({4}) Es geht darum, dass wir – und dafür ist BKM, die Kulturförderung des Bundes, auch da – eben genau diese Räume schaffen. Wir haben uns als Koalition vorgenommen, dies in einem – wie wir es bezeichnet haben – kooperativen Kulturföderalismus gemeinsam mit den Ländern voranzubringen. Ich will dabei zwei Punkte besonders hervorheben, weil sie uns als Koalition – ich glaube, das kann ich so sagen – besonders wichtig sind. Neben den Dingen, die die Bundeskulturpolitik hier in der Hauptstadt unterstützt, und dem, was im Hauptstadtkulturvertrag, zu dem wir selbstverständlich stehen und der die entsprechenden Mittelerhöhungen erfährt, abgebildet ist, wollen wir als Bund in den kommenden Jahren vor allen Dingen auch die Kultur in der Fläche, in den ländlichen Räumen stärken. Wir wollen mit einer „Agenda für Kultur und Zukunft“ Impulse in der Breite der Gesellschaft setzen, wollen ein Programm „Kultur in den Regionen“ etablieren, mit dem wir tatsächlich in die Förderung der ländlichen Räume, sozusagen in die Graswurzelarbeit vor Ort, einsteigen. Das ist uns sehr wichtig. Die Kultur ist für uns ein wichtiger Bestandteil der Stärkung der ländlichen Räume. Es geht eben nicht nur um Landwirtschaft, nicht nur um technische Infrastruktur. Vielmehr dürfen vor allem auch Bibliotheken, kleine Theater und Initiativen, die wir dort haben, nicht vergessen werden, wenn wir über die Stärkung von ländlichen Räumen reden. ({5}) Wir wollen selbstverständlich Künstlerinnen und Künstler, die Kreativen, im Bereich der Gleichstellungspolitik auf der einen Seite und auf der anderen Seite aber insbesondere im Bereich der sozialen Absicherung fördern. Das ist auch zwingend notwendig, um Kultur in der Fläche jenseits der großen Kulturinstitutionen, denen ich um Himmels willen die Berechtigung nicht absprechen will, auch erhalten zu können. ({6}) Wir brauchen auch eine Stärkung der Erinnerungskultur, indem wir durch die Förderung der Gedenkstätten durch den Bund Impulse setzen. Wir haben in der Koalition vereinbart, ein Programm auf den Weg zu bringen, das „Jugend erinnert“ heißt, um nicht zu vergessen; denn unsere Zukunft muss auf unserer Vergangenheit begründet sein – ohne irgendwelche Schuldgefühle oder dergleichen mehr, aber in Verantwortung für die Zukunft auf der Grundlage unserer Vergangenheit. ({7}) Ich will einen weiteren Punkt nennen, der uns besonders wichtig ist. Das ist – dabei schaue ich den Außenminister an – die Deutsche Welle, die als die größte Einzelinstitution bei BKM etatisiert ist und die für uns eine starke Stimme in dieser Welt ist. Sowohl die Kanzlerin als auch der Herr Kollege Kauder und viele andere Redner in dieser Debatte haben auf die aktuelle Weltlage hingewiesen. Sie haben darauf hingewiesen, dass wir an allen Stellen Fakten und nicht Fake News verbreiten wollen, dass wir dafür sorgen müssen, dass wir in diesen Konflikten mit einem hochglaubwürdigen Instrumentarium, unserem Auslandssender Deutsche Welle, auch die Impulse setzen können, die wir für wichtig und richtig halten. Dafür wird es notwendig sein, an der einen oder anderen Stelle im Etat, aber insbesondere auch auf der Strecke bis zum Ende der Legislaturperiode noch ein bisschen nachzuarbeiten, um hier Planungssicherheit zu gewährleisten und um den Sender Deutsche Welle entsprechend in der Perspektive aufstellen zu können. In der Summe kann man sagen: Ja, der Haushalt ist gut. Er beläuft sich auf knapp 1,7 Milliarden Euro. Das ist ein Allzeithoch. Auch das ist gut. Aber es wird die Aufgabe in den Haushaltsberatungen sein, in den kommenden Wochen und Monaten weiter daran zu arbeiten, um noch weitere Impulse zu setzen. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Erhard Grundl. ({0})

Erhard Grundl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004733, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr verehrte Frau Staatsministerin! Meine Damen und Herren! Oskar Maria Graf, der Unbeugsame, verstand seine Kunst zeitlebens als Verpflichtung. Die Bücher, die uns Graf hinterlassen hat, sind heute Kult. Sie begleiten uns, berühren uns, geben uns Fragen mit. Unser Land ist auch heute reich an engagierten Künstlerinnen und Künstlern. ({0}) Ihre Arbeit ist genau wie die von Graf viel mehr als das repräsentative Aushängeschild unserer Nation. Meine Damen und Herren, Ihr Koalitionsvertrag las sich gut in Sachen Kultur. Kollege Rabanus hat es fortgeführt. Nur: Die Erwartungen wurden geweckt, aber laut Haushaltsentwurf werden sie nicht erfüllt. Kultur und kulturelle Bildung sollten allen zugänglich sein und im urbanen sowie im ländlichen Gebiet unabhängig vom Einkommen erreicht werden können. Das ist völlig richtig. Aber davon steht nichts in diesem Haushaltsplan. ({1}) Wenn freie Theater aufgeben müssen, wenn Programmkinos schließen, Jugendliche keinen Ort haben, um ihre Kreativität auszuleben, wenn Ateliers und Werkstätten fehlen, wenn es keine Probenräume gibt, in denen man den Verstärker auch einmal so aufdrehen kann, dass der Putz an den Wänden wackelt, dann ist die kulturelle Teilhabe nicht gegeben. ({2}) Ihr Haushaltsentwurf konzentriert sich auf wenige Projekte mit großer Strahlkraft. Diese werden mit Millionenbeträgen gefördert. Die Popularmusik, die Soziokultur, die darstellenden Künste und die Literatur erhalten nur einen Bruchteil. Natürlich sind die Bayreuther Festspiele und auch das Humboldt Forum förderungswürdig. Aber was tun Sie wirklich für Kulturförderung in den Regionen, was für die Künstlerinnen und Künstler? Aktuell lehnen die Förderfonds des Bundes Anträge in großer Anzahl ab, weil die Mittel nicht ausreichen. Ein Beispiel ist der Deutsche Literaturfonds. In unserem Land der Dichter und Denker liegt die Förderquote bei knapp 12 Prozent. Das ist ein echtes Armutszeugnis. ({3}) Ein anderes Beispiel ist der Spielstättenprogrammpreis. Musikklubs bereichern unser Kulturleben sowohl in den ganz großen Städten als auch vor allem abseits der Metropolen, wie der Alte Gasometer in Zwickau, die Rätschenmühle in Geislingen oder das Alte Spital in Viechtach im Bayerischen Wald. In Ihrem Haushaltsentwurf wurde der Etat für den Spielstättenprogrammpreis von 2 Millionen Euro auf 1 Million Euro halbiert – eine herbe Enttäuschung. ({4}) Meine Damen und Herren, bei der Erinnerungskultur steht Deutschland an einem historischen Wendepunkt. Augenblicklich finden die letzten Strafprozesse statt. Zeitzeugen werden immer weniger. Schicksale, wie beispielsweise die der Frauen und Mädchen, die im KZ Uckermark zwischen 1942 und 1945 eingesperrt und umgebracht wurden, sind aufgrund fehlender Mittel weitgehend unerforscht. ({5}) Umso wichtiger ist es, die Anerkennung für bisher ausgegrenzte Opfergruppen des Nationalsozialismus jetzt voranzubringen. ({6}) Umso wichtiger ist es, die Gedenkstätten auch als Orte des Wissens und der Forschung zu stärken. ({7}) Die Besucherzahlen in den Gedenkstätten steigen. Ganz offensichtlich ist das Interesse der deutschen Bevölkerung groß, sich mit den Verbrechen und ihren Ursachen auseinanderzusetzen. Doch schon jetzt können in Buchenwald oder Sachsenhausen Anfragen nach Führungen oft nicht erfüllt werden. Diese Unterfinanzierung der Gedenkstätten ist nicht akzeptabel. ({8}) Die Verbrechen des Nationalsozialismus haben Deutschland geprägt, und sie bedeuten eine Verantwortung für uns alle, eine Verantwortung, die nicht vergeht und die auf keinen Fall verjährt. ({9}) Meine Damen und Herren, wann, wenn nicht jetzt, ist der Zeitpunkt, sich darauf zu besinnen, was uns Kunst und Kultur wert sind, wann, wenn nicht jetzt, macht es Sinn, diesen Etat deutlich aufzustocken, damit Kunst und Kultur mehr Menschen erreichen? Denn wer der Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken möchte, der muss auf kulturelle Teilhabe setzen. ({10}) Der Kulturbetrieb muss neue Konzepte entwickeln, um soziale Barrieren zu überwinden, und im Gegenzug muss die Bundesregierung den Kreativen aber auch die finanziellen Mittel dafür an die Hand geben. Diese müssen in den Haushalt rein – wann, wenn nicht jetzt? ({11}) Lassen Sie mich abseits der Kulturpolitik einen Satz zum Kollegen Dobrindt sagen: Ich finde, es ist ein Skandal, wenn hier im Deutschen Bundestag Rechtsanwälte beschimpft werden. ({12}) Es ist unwürdig, wenn man die Gewaltenteilung, auf der unser Rechtsstaat beruht, hier so lapidar angreift, weil in Bayern Wahlkampf ist. Ich vermute, Sie waren einfach einmal zu oft mit Orban zusammen und das hat Ihre Weltsicht geprägt. ({13}) Vielen Dank. ({14})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die letzte Rednerin zu diesem Geschäftsbereich ist die Kollegin Patricia Lips, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Patricia Lips (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Grundl, wir stimmen ganz sicher in vielen Punkten durchaus überein, insbesondere was die Ausstattung im Bereich der Kultur- und Medienpolitik angeht. Aber lassen Sie mich an dieser Stelle sagen: Nimmt man es prozentual, dann ist der Etat genau dieses Bereichs in den letzten zehn Jahren unter unionsgeführten Regierungen so stark gestiegen wie kaum ein anderer. Er hat sich nämlich in zehn Jahren fast verdoppelt. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, es liegt in der Natur der Sache, dass es in Haushaltsberatungen um Geld geht, oft um viel Geld. Das betrifft nicht nur den Deutschen Bundestag, sondern alle politischen Ebenen. Wie in vielen Situationen im Leben verbindet sich damit bei manchen ganz konkret die Frage: Was habe ich, was hat das Land, was haben die Menschen davon, wenn ich diese oder jene Maßnahme in die Wege leite? Wenn man die Menschen auf der Straße fragt: „Wofür würdest du an meiner Stelle vorrangig Geld ausgeben?“, dann steht zumeist ein Thema – leider – sicher nicht gleich an erster Stelle, obwohl man es überall sieht und hört. Es ist dieses Thema, das unsere Gesellschaft prägt und verbindet, meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist die Kultur in ihrer ganzen Vielfalt, die maßgeblich in dem Einzelplan, über den wir heute Vormittag diskutiert haben, angesiedelt ist. Und unser schönes Land ist voll davon: Musik, alle Arten der Kunst und Literatur, Theater, unsere Museen, die Förderung der Medien- und Filmwirtschaft – einmal mehr ein Schwerpunkt im Haushalt –, aber auch unzählige Denkmäler unserer Geschichte und vieles mehr. Kultur stiftet Identität, sie nimmt breiten Raum in der Bildung ein; Kollege Rabanus hat es als Erinnerungskultur umschrieben. Kultur ist ein Brückenbauer und Botschafter unseres Landes zugleich. ({1}) Sie umfasst die Bewahrung unseres kulturellen Erbes, die Beschäftigung mit unserer Vergangenheit. Sie schafft aber auch immer wieder Neues und hat – ja! – gleichzeitig viel mit dem Begriff „Freiheit“ zu tun. Sehr geehrter Herr Kollege Jongen, mir gefällt auch nicht immer alles, muss es auch nicht; aber ich bin gerade stolz auf diese Freiheit, die heute in diesem Land bei Kunst und Kultur Gültigkeit hat. ({2}) Wenn man die aktuelle Kultur- und Medienpolitik – ich hoffe, ich gebe das jetzt richtig wieder – „als propagandistische Zerstörung unseres kulturellen Erbes“ bezeichnet, sehr geehrter Herr Kollege, ist das einfach nur platt. ({3}) Es verhöhnt Menschen und Einrichtungen, die in diesem Land künstlerisch unterwegs sind. Gestatten Sie mir, zu sagen: Es zeigt auch, wie wichtig manch ein Programm ist. ({4}) Kolleginnen und Kollegen, es stimmt: Die Kulturhoheit liegt grundsätzlich bei den Ländern und Kommunen. Sie stemmen den Löwenanteil. Doch über die Jahre ist, wie in anderen Bereichen auch, ein stetiger Aufwuchs der Mittel des Bundes erfolgt. Ich bekenne mich dazu – ich glaube, das tun alle –, dass sich der Bund vorrangig um Einrichtungen von nationaler und internationaler Bedeutung kümmern muss. Dazu gehört auch die Förderung der Hauptstadtkultur, die ein wichtiges Anliegen bleibt. Berlin ist ein Schaufenster zur Welt. Berlin ist nicht nur ein politisches, sondern auch ein kulturelles Zentrum. Das wurde im Koalitionsvertrag entsprechend gewürdigt. Im Rahmen des Hauptstadtfinanzierungsvertrages konnte bereits vieles auf den Weg gebracht werden. Aber auch in anderen Städten, die als Magnete in ihre unmittelbare Umgebung ausstrahlen, gibt es Projekte von überregionaler Bedeutung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch ich möchte eines betonen: Die Besonderheit dieses Landes, welches im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern Europas über die Jahrhunderte bis heute durch einen starken Föderalismus geprägt ist, bringt es mit sich, dass gerade auch in ländlichen Regionen viele kulturelle Leuchttürme existieren. ({5}) Dort leben die meisten Menschen. Dort haben sie ihr familiäres und berufliches Umfeld. Sie machen sich Gedanken, wie man auch künftig gerne und erfolgreich in diesen Regionen lebt und zusätzlich verstärkt um Gäste wirbt, um einen eigenen Beitrag zum Erhalt der Infrastruktur im ländlichen Raum zu leisten. Die kulturelle Infrastruktur gehört zweifelsohne dazu. Kolleginnen und Kollegen, es wurde bereits vieles gesagt. Die Staatsministerin hat einige Punkte genannt, die ich nicht noch einmal wiederholen möchte. Ich schließe ganz einfach mit den Worten: Ich freue mich auf die kommenden Wochen, die sehr intensive, spannende und lange Beratungen versprechen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Damit ist die Aussprache zu diesem Geschäftsbereich abgeschlossen.

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein kurzer Blick auf die globalen Ereignisse der letzten Tage und Wochen – man kann eigentlich auch sagen: der aktuellen Stunden – genügt, um eines festzustellen: Die uns vertraute Weltordnung erlebt einen fundamentalen Umbruch, wenn man nicht sogar von tektonischen Verschiebungen sprechen kann. Die Prinzipien des Multilateralismus und des Völkerrechtes werden grundlegend infrage gestellt. Das gilt für das internationale Handelssystem, aber auch für offene Gesellschaften. Überall stehen wir vor ernsten Bewährungsproben. Der institutionelle, der rechtliche Rahmen, der in den vergangenen 70 Jahren gerade für uns Deutsche Frieden und Wohlstand gebracht hat, wird gerade neu abgesteckt. Auch in Europa stehen wir vor gewaltigen Aufgaben. Nach fast zehn Jahren aufeinanderfolgender Krisen steuert die Europäische Union auf einen kritischen Entscheidungspunkt zu. Im Inneren kämpft sie angesichts von Brexit, Nachwehen der Finanzkrise, Populismus und Nationalismus mit durchaus ernstzunehmenden Erosionserscheinungen, und von außen drohen große Spieler wie Russland, China und leider in gewisser Weise mittlerweile auch die USA, die Union zu spalten. Deshalb: Wir treten besonders gerade jetzt für ein Europa ein, das außenpolitisch mit einer Stimme spricht, sich für internationale Zusammenarbeit starkmacht und entschieden für den Erhalt einer regelbasierten internationalen Ordnung eintritt. Europa muss in diesem Moment Lücken schließen, die andere aufreißen, auch jene, von denen wir nicht dachten, dass sie Lücken aufreißen. ({0}) Gelingt uns das nicht, dann werden Mächte dieses Vakuum füllen, die ein ganz anderes Verständnis von Ordnung haben als wir. Das gilt es zu verhindern. Das ist die eigentliche europäische Herausforderung, der wir uns gegenübersehen und der wir gerecht werden wollen. Ohne ein außen- und sicherheitspolitisch engagiertes Deutschland, das Europas Rolle in der Welt stärkt und Spaltungen im Innern Europas verhindert, wird es uns nicht gelingen, den Herausforderungen zu begegnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die drei akuten Krisen in unserer Nachbarschaft – in Iran, in Syrien und nicht zu vergessen in der Ukraine – fordern von uns eine aktive Rolle. Diese aktive Rolle nehmen wir längst wahr. Beispiel Syrien. Dieser Krieg dauert mittlerweile über sieben Jahre. Fast eine halbe Million Menschen ist ums Leben gekommen, Millionen Menschen sind zu Flüchtlingen geworden. Bedauerlicherweise ist von dem, was in Genf als Friedensplan vereinbart worden ist, nichts übrig geblieben. Ganz im Gegenteil: Die internationale Gemeinschaft hat sich gespalten, und deshalb ist kein gemeinsamer politischer Prozess zustande gekommen. Auf der einen Seite treffen sich Russen, Iraner und Türken in Sotschi oder in Astana, und auf der anderen Seite – das hat die Bundeskanzlerin heute Morgen schon erwähnt – hat sich eine sogenannte Small Group gegründet, in der die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, Saudi-Arabien und Jordanien vertreten sind. Beide Gruppen versuchen, Lösungen zu finden. Diese Lösungen wird man aber nur zusammen finden. Deutschland war an keinem Verhandlungstisch vertreten. Deshalb haben wir in den letzten Wochen alle außenpolitischen und diplomatischen Möglichkeiten genutzt, um in Sachen Syrien an den Verhandlungstisch zurückzukommen. Ich empfand diese Situation als nicht befriedigend: Wir haben eine Einladung zur Syrien-Geberkonferenz in Brüssel bekommen, bei der es darum ging, Geld auf den Tisch zu legen, um humanitäre Leistungen finanzieren zu können. Übrigens hat Deutschland erneut einen Betrag von über 1 Milliarde Euro für die kommenden Jahre auf den Tisch gelegt, um die Not und das Leid der Menschen auch in den Nachbarstaaten von Syrien zu lindern. Aber wenn wir dies tun, und zwar in größerem Umfang als jeder andere Staat, dann gibt uns das, finde ich, das Recht – diesen Anspruch müssen wir haben –, an den Verhandlungstischen zu sitzen, an denen nach politischen Lösungen für den Syrien-Konflikt gesucht wird. ({1}) Das tun wir jetzt. Vor zwei Wochen waren wir bei einer Sitzung der Small Group dabei. Dafür gibt es gute Gründe. Jetzt geht es darum, am besten unter Federführung der Vereinten Nationen, mit dem Sondergesandten Staffan de Mistura beide Formate wieder zusammenzubringen und das, was in Genf schon längst vereinbart worden ist, umzusetzen: einen Waffenstillstand, der diesen Namen verdient, um endlich den humanitären Zugang nach Syrien zu gewährleisten, sowie eine Verfassungsreform, an deren Ende eine demokratische Wahl steht, bei der alle Syrer entscheiden können, von wem sie regiert werden wollen. Wir brauchen in Syrien keine militärische Lösung – die wird nicht zu Frieden führen –, sondern wir brauchen eine politische Lösung. Es ist gut, dass Deutschland wieder mit am Tisch sitzt, um diese zu suchen. ({2}) Zweites Beispiel. Die Ukraine ist aufgrund der anderen Konflikte in der Welt ein bisschen in den Hintergrund getreten. Dennoch müssen wir feststellen, dass die Situation in der Ukraine in keinerlei Hinsicht befriedigend ist. Daran, dass die Annexion der Krim völkerrechtswidrig ist, hat sich nichts geändert. An dieser Bewertung darf sich auch nichts verändern. ({3}) Es darf auch nicht der Eindruck erweckt werden, dass das Ganze durch Zeitablauf eine gewisse Legitimität erhält. Das ist für uns eine Herausforderung, weil wir in dem sogenannten Normandie-Format zusammen mit den Franzosen, den Ukrainern und den Russen – damals unter Federführung von Frank-Walter Steinmeier – den Minsker Prozess ganz wesentlich mit entwickelt, mit verhandelt und mit abgeschlossen haben. Auch davon ist viel zu wenig übrig geblieben. Zu der ganzen Diskussion über die Russland-Politik möchte ich an dieser Stelle sagen: Ich war vergangenen Donnerstag in Moskau und habe meinem Kollegen ­Lawrow gesagt: Wir alle in Deutschland wollen einen Dialog – wahrscheinlich stellen sich die meisten darunter etwas sehr Unterschiedliches vor –; aber ich will keinen Dialog um des Dialogs willen, sondern um der Ergebnisse willen. ({4}) Wir erzielen einfach zu wenige Ergebnisse im Dialog. Deshalb habe ich Herrn Lawrow darum gebeten, dass Russland sich wieder an den Verhandlungstisch setzt, um den Minsker Prozess wieder aufzunehmen und auch bei diesem Thema nach politischen Lösungen zu suchen. Das wurde zugesagt. Auch hier wird Deutschland also mit am Verhandlungstisch sitzen. Wir haben sogar die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zurückgebracht. Auch das ist ein gutes Ergebnis deutscher Außenpolitik. ({5}) Das dritte Beispiel: der Iran. Auch dazu ist schon einiges gesagt worden; ich war heute Morgen zu Gast im Auswärtigen Ausschuss. Wir haben uns mit den europäischen Partnern verständigt, dass wir in diesem Abkommen bleiben. Wir haben im Übrigen in den letzten Wochen und Monaten zusammen mit den Franzosen und Briten dafür geworben und gekämpft – in Washington, in London, in Paris und in Berlin –, dass auch die Vereinigten Staaten in diesem Abkommen bleiben. Ich will Ihnen sagen, warum uns das so wichtig ist. Das hat nichts damit zu tun, dass wir all das, was der Iran tut, in irgendeiner Weise für begrüßenswert halten. Ganz im Gegenteil: Das ballistische Raketenprogramm und die wirklich außerordentlich ungute Rolle, die der Iran in Syrien spielt, werden wir auch weiterhin nicht akzeptieren. Aber bei dem Abkommen geht es ganz banal um eines, nämlich unsere eigenen unmittelbaren Sicherheitsinteressen. Die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen – das ist der Inhalt dieses Vertrages – liegt im deutschen sicherheitspolitischen Interesse. Deshalb werden wir auch ohne die Vereinigten Staaten alles daransetzen, dass dieses Abkommen bestehen bleibt. Denn mir ist lieber, ein Abkommen zu haben, bei dem man sich an der einen oder anderen Stelle vielleicht mehr wünschen würde, das aber die Voraussetzung dafür ist, dass der Iran nicht wieder ein Nuklearwaffenprogramm auflegt, als keines zu haben und überhaupt nicht zu wissen, wohin die Reise geht. Auch das ist, wie ich finde, verantwortliche Außenpolitik. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir tun das nicht nur bei diesen großen Konflikten, sondern präventiv auch schon an vielen anderen Stellen. Wir tun dies zum Beispiel, wenn wir im Nordirak in ehemals vom IS besetzten Städten todbringende Sprengfallen und Minen räumen. Wir tun dies auch, wenn wir etwa die Reintegration ehemaliger Kämpfer in Somalia fördern, die Mediation zwischen den Konfliktparteien im Jemen unterstützen oder den Aufbau einer rechtsstaatlichen Polizei in Ländern der Sahelzone ermöglichen. Deutschland wird an vielen Stellen seiner außenpolitischen Verantwortung auf der Welt gerecht, und zwar nicht nur durch Geld, sondern auch durch personellen Einsatz und vor allen Dingen durch den dauerhaften Kampf, um politische Lösungen und dauerhaften Frieden in den Konflikten dieser Welt zu erreichen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Je mehr sich andere Partner auf sich selbst zurückziehen, desto größer wird unsere Verantwortung werden. Ich will auch sagen: Am 8. Juni dieses Jahres wird in der UN-Vollversammlung die Wahl zum Sicherheitsrat für die Periode 2019/2020 stattfinden. Wir wollen diese Chance nutzen, um unsere Werte auch dort zu vertreten. Denn wir werden nicht tatenlos zusehen – auch nicht im Sicherheitsrat, wenn wir in ihn gewählt werden –, wie Nationalisten und Populisten versuchen, das Rad zurückzudrehen. Nicht die Macht des Stärkeren, sondern die Macht des Rechts muss die Grundlage einer friedlichen Weltordnung sein und auch zukünftig bleiben. Herzlichen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister. – Als Nächstes hat für die AfD-Fraktion die Kollegin Dr. Birgit Malsack-­Winkemann das Wort. ({0})

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004813, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Der Einzelplan „Auswärtiges Amt“ ist so aufgestellt, dass von einer echten parlamentarischen Kontrolle für von der Regierung geplante Ausgaben zu einem großen Teil nicht die Rede sein kann. Und das geht so: Geplante Ausgaben werden unter sogenannten Titeln mit entsprechenden Themenüberschriften angegeben. Für einen bestimmten Titel – nennen wir ihn „Titel A“ – wird eine bestimmte Summe als geplante Ausgabe festgesetzt, genauso für Titel B, C usw. Die Mitglieder des Haushaltsausschusses diskutieren dann darüber, ob das Geld, das zum Beispiel für Titel A geplant ist, angemessen und wirtschaftlich sinnvoll ist. Das tun sie auch im Hinblick auf alle weiteren Titel. So weit, so gut. Es gibt aber auch die Einrichtung der sogenannten Deckungsvermerke. Wenn diese unter einem Titel stehen und entweder einen anderen Titel oder sogar mehrere benennen, kann das für Titel A geplante Geld genauso gut für Titel B oder C verwendet werden. Die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang dies geschieht, obliegt wiederum allein der Regierung. Das Auswärtige Amt hat einen Deckungskreislauf aufgebaut, bei dem insgesamt knapp über 2 Milliarden Euro innerhalb dieses Deckungskreislaufes untereinander nutzbar sind. Das entspricht knapp 40 Prozent seines gesamten Haushalts. In einer weiteren Titelgruppe desselben Kapitels hat es noch einen Deckungskreislauf über weitere circa 650 Millionen Euro eingerichtet, sodass in einem einzigen Kapitel knapp 2,7 Milliarden Euro untereinander nutzbar und vermischungsfähig sind. Das heißt, nahezu die Hälfte des Haushalts des Auswärtigen Amtes von knapp über 5,3 Milliarden Euro ist der konkreten parlamentarischen Kontrolle des Bundestages entzogen. ({0}) Die Regierung kann das Geld insoweit hin- und herschieben, wie sie will, und das hat sie im letzten Jahr auch getan. Denn sie hat im letzten Jahr insgesamt circa 640 Millionen Euro über dem Plansoll des Jahres 2017 bei zwei Titeln des erstgenannten Deckungskreislaufs ausgegeben, und es ist aus dem Einzelplan nicht nachvollziehbar, aus welchen Titeln die Deckung genommen worden ist und ob und in welcher Höhe insoweit überplanmäßige Ausgaben in Anspruch genommen worden sind. Die hiesige Diskussion im Haushaltsausschuss und im Plenum über die Haushaltsplanung des Auswärtigen Amtes ist daher – jedenfalls zu einem großen Teil – reines Theaterspiel, sozusagen Schattenboxen. ({1}) Eine echte parlamentarische Kontrolle findet bei der Planung dieses Haushalts aufgrund der Deckungskreisläufe nicht statt. Die wahren von der Regierung geplanten Zahlungsströme bleiben dem Bundestag daher zum großen Teil verborgen. ({2}) Wir, die AfD, beantragen daher, alle Deckungsvermerke zu streichen, soweit ein Gesamttitel gebildet werden kann. ({3}) Und man komme uns nicht mit dem Argument, dass ein flexibles Handeln erforderlich und deshalb die Deckungsvermerke notwendig seien; denn genau hierfür gibt es die Instrumente der über- bzw. außerplanmäßigen Ausgaben. Diese Instrumentarien sind die haushaltsrechtlich vorgesehenen Möglichkeiten, Spielraum für flexibles Handeln in Krisenfällen zu schaffen. ({4}) Dann haben auch der gesamte Haushaltsausschuss und der Bundestag die Möglichkeit, die konkrete Verwendung der von unserer Bevölkerung hart erarbeiteten Steuergelder zu prüfen. ({5}) Alles andere bedeutet, dass dem Bundestag die konkrete parlamentarische Kontrolle zu einem großen Teil entzogen wird. ({6}) Wer glaubt, dass das nicht zu steigern sei: Nein, es geht noch mehr – Stichwort „parteinahe Stiftungen“. ({7}) Entstanden sind bei diesen inzwischen riesige Apparate. Zusammen beschäftigen sie – Zitat aus der „Welt“ vom 12. Februar 2018 – „mehr als 2 000 Angestellte“. Mit dem Ausland zusammen sind es doppelt so viele, also 4 000. ({8}) Im Ausland werden insgesamt 300 Vertretungen und Büros unterhalten. Davon entfallen allein auf die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung 100 Auslandsbüros ({9}) und auf die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung 80 Auslandsbüros. ({10}) Deutschland als Staat hat ein Netz von 153 Botschaften und damit eines der besten Netze weltweit. Unsere parteinahen, nahezu vollständig aus Steuergeldern finanzierten Stiftungen können es aber noch besser: ({11}) SPD und CDU kommen ohne die CSU allein auf 180 Auslandsvertretungen. ({12}) Die parteinahen Stiftungen finanzieren über das Auswärtige Amt unter anderem Stipendiaten. Während der DAAD und die Humboldt-Stiftung über das Auswärtige Amt jährlich fast 50 000 Studenten und Akademiker aus dem Ausland fördern, ({13}) geben die parteinahen Stiftungen zur Anzahl der von ihnen geförderten Studenten keine Auskunft. Weshalb halten sich die parteinahen Stiftungen hier im Gegensatz zu den politisch neutralen Durchführern so bedeckt? ({14}) Benötigen wir für eine Ausreichung von Stipendien im Ausland überhaupt parteinahe Stiftungen? Wäre es nicht besser, die Stipendienvergabe auf politisch neutrale Durchführer zu beschränken? ({15}) Auch dadurch könnten Synergien genutzt und in erheblichem Umfang Steuergelder eingespart werden. Wir, die AfD, fordern mit dem Bund der Steuerzahler den Bundestag daher auf, ein separates Gesetz für parteinahe Stiftungen zu beschließen und damit die kaum zählbaren Aktivitäten mit einem Steuergeldzufluss von zuletzt 581 Millionen Euro im Jahr 2017 transparent zu machen, ({16}) zumal die Regierung laut dem Bund der Steuerzahler offen sagt, keinen blassen Schimmer zu haben, ({17}) welche internen Kontrollmechanismen die Stiftungen bei der Prüfung der Mittelverwendung haben.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004813, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Und im Himmel ist Jahrmarkt. Danke schön. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank. – Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Jürgen Hardt. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte etwas Ruhe in die Debatte bringen. ({0}) Ich finde es gut, wenn uns auch einmal vorgetragen wird, wie viele Auslandsvertretungen wir haben und wie gut die Arbeit der politischen Stiftungen im Ausland funktioniert. ({1}) Wenn Sie mit Bürgerrechtlern in Ländern sprechen, die möglicherweise nicht dieselben Freiheitsrechte genießen wie wir, merken Sie: Sie sind hoch dankbar dafür, dass die politischen Stiftungen – und da schließe ich ausnahmslos alle mit ein – entsprechend präsent und vor Ort sind. ({2}) Wenn wir als Abgeordnete unterwegs sind, profitieren wir immer sehr davon, wenn wir uns mit den Leitern der politischen Stiftungen jenseits der offiziellen staatlichen Sicht des Gastlands oder Deutschlands über die Situation im Land austauschen können. ({3}) Der Bundesaußenminister hat die Herausforderungen der deutschen Außenpolitik richtig beschrieben. Kern unserer Herausforderungen ist der Erhalt der regelbasierten internationalen Ordnung, die in den letzten Jahren in beispielloser Weise – in einer Art und Weise, wie wir uns das eigentlich nach Ende des Kalten Krieges nicht vorstellen konnten – herausgefordert ist. Vor viereinhalb Jahren kam es zum Bruch des Pariser Abkommens und des Budapester Abkommens durch Russland mit der Besetzung der Krim und der fortgesetzten Aggression in der Ostukraine. Es ist dringend notwendig, dass auch dieser Konflikt wieder stärker in das Bewusstsein der internationalen Diplomatie tritt. Ich glaube, dass wir auch weiter darüber reden müssen, dass Russland die Erfordernisse aus dem Minsker Vertrag nicht erfüllt. Ich finde es deswegen gut, dass die deutsche Bundesregierung auch neue Initiativen ergreift, um das N4-Format wiederzubeleben, in dem Frankreich, Deutschland, Russland und die Ukraine über die Lösung des Konfliktes reden. Ich würde mir wünschen, dass sich alle aktiven und ehemaligen Staatsmänner Deutschlands in gleicher Weise bei diesem Thema verdient machen. ({4}) Ich bin gefragt worden, wie ich es bewerte, dass der frühere deutsche Bundeskanzler Claqueur in der ersten Reihe bei der Amtseinführung des russischen Präsidenten war. ({5}) Ich habe gesagt: Auch bei uns in Deutschland ist es üblich, dass Angestellte ihren Chefs gratulieren, wenn sie etwas zu feiern haben. Ich glaube, mehr muss man dazu nicht sagen. ({6}) Die nächste große Herausforderung ist die Blockade des UN-Sicherheitsrates in anderen wichtigen zentralen Konflikten. Der UN-Sicherheitsrat schafft es aufgrund des Vetorechts einzelner Länder – in diesem Fall Russland – nicht, die menschenverachtenden Angriffe ­Assads auf die Zivilbevölkerung zu verurteilen, und die Völkergemeinschaft ist ein Stück weit in ihrem Handeln gelähmt, wenn der UN-Sicherheitsrat durch Blockade einzelner vetoberechtigter Mitglieder entsprechende Entschließungen verhindert. Ich würde mir wünschen, dass in der Berichterstattung über die Beratungen des Sicherheitsrates zukünftig auch immer noch mehr das Augenmerk darauf gerichtet wird, ob es im Sicherheitsrat eine Mehrheit gegeben hat, die sich nur deshalb nicht durchgesetzt hat, weil einer sein Vetorecht in Anspruch genommen hat, oder ob tatsächlich ein Resolutionsentwurf unter den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats keine Mehrheit gefunden hat. Das ist zwar rechtlich kein großer Unterschied, aber für die moralische Bewertung der Resolution finde ich das ganz wichtig. ({7}) Was das Ignorieren internationaler Schiedsgremien durch China im Südchinesischen Meer angeht, ist es meines Erachtens ein unhaltbarer Zustand, dass China, das bei uns häufig als wichtiger Wirtschaftspartner daherkommt, sich im Südchinesischen Meer über internationale Schiedsverfahren schlicht hinwegsetzt. Auch das ist eine Ignoranz gegenüber der wertebasierten und regelbasierten Weltordnung. Ein weiterer Punkt ist das Vom-Tisch-Wischen unterschriebener Verträge durch den amerikanischen Präsidenten: erst das Klimaabkommen von Paris, dann das Infragestellen unserer ausgehandelten Beziehungen im Bereich der Zölle zwischen Nordamerika und der Europäischen Union und jetzt die einseitige Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran. Auch das sind Dinge, die das Vertrauen der Völkergemeinschaft in die regelbasierte Ordnung erschüttern. Bei diesem Abkommen ist im Übrigen der Wunsch des amerikanischen Präsidenten nachvollziehbar. Er begründet die Absage an das Abkommen damit, dass er den Iran durch Sanktionen wieder an den Verhandlungstisch zwingen will, um über ein besseres Abkommen zu verhandeln. Ich glaube allerdings, dass diese Rechnung viel zu optimistisch ist. Ich glaube eher, dass sich der Iran die Frage stellen wird, ob es Sinn macht, einen Vertrag mit den USA auszuhandeln, wenn der neugewählte Präsident mit der Tradition seines Vorgängers bricht und ein solches Abkommen einfach vom Tisch wischt. Was wir in den letzten Tagen seitens der Europäischen Union erlebt haben, war genau das Richtige. Man hat sich in Brüssel zügig und einmütig zusammengesetzt. Die nächsten Schritte müssen sein, dass wir über den Kreis der drei Verhandlungspartner Deutschland, Frankreich und Großbritannien hinaus die anderen EU-Partner dazu bringen, an der gemeinsamen Position der Europäischen Union festzuhalten und sich nicht möglicherweise auf bilaterale Gespräche mit den USA einzulassen. Europa muss zusammenstehen. Die einzige wirksame Antwort auf die gegenwärtigen Herausforderungen kann nur sein, dass wir die Europäische Union in außen- und sicherheitspolitischen Fragen zusammenhalten und stärken. Ich will das den europäischen Imperativ nennen: Man suche stets nach einer gemeinsamen, europäischen Lösung in außen- und sicherheitspolitischen Fragen, bevor man nationale Alleingänge unternimmt. Europa hat in der Außen- und Sicherheitspolitik klar Vorfahrt. Das sollten wir zur Maxime unseres Handelns machen. Das erfordert vielleicht auch von uns, in der einen oder anderen Frage unsere Position zu überdenken und zu korrigieren; darüber werden wir in den nächsten Monaten diskutieren. Das erfordert von uns, dass wir uns in der Europäischen Union auch in der Außen- und Sicherheitspolitik in starkem Maße einbringen, und zwar nicht nur diplomatisch, sondern auch durch Fähigkeiten, insbesondere militärische. Wir tun unseren europäischen Partnern einen Gefallen, wenn wir die Bundeswehr stärker und leistungsfähiger machen, als sie heute ist. Mit diesen Punkten haben wir als Europäische Union, die 25 Prozent der Weltwirtschaft repräsentiert, die einzige Chance, stark und gemeinsam handlungsfähig zu bleiben. Ich möchte zum Schluss meines Redebeitrags noch konkret auf den Haushalt eingehen. Wenn wir uns die Zahlen zum Haushalt des Auswärtigen Amts oder zu verwandten Haushalten wie Verteidigungshaushalt und entwicklungspolitischer Haushalt für 2018 anschauen, stellen wir fest, dass man zum Haushalt für das Jahr 2018 im Großen und Ganzen Ja sagen kann. Zu den Zahlen für 2019, 2020 und 2021 aber möchte ich klar sagen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass wir mit den vorgesehenen Mittelansätzen speziell für den Haushalt des Auswärtigen Amts tatsächlich unserer Verantwortung bis 2021 gerecht werden. Deutschland wird in den Jahren 2019 und 2020 vielleicht UN-Sicherheitsratsmitglied sein und in der gleichen Phase die EU-Ratspräsidentschaft innehaben. Wir müssen bereit sein, uns stärker einzubringen und das entsprechend mit Material und Personal zu unterlegen. Das kostet nun einmal Geld. Ich setze daher ein kleines Fragezeichen hinter die mittelfristige Finanzplanung ab 2019. Aber darüber werden wir zu gegebener Zeit reden. Danke schön. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstes für die Freien Demokraten der Kollege Michael Link. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte an dieser Stelle gerne auf die Bemerkungen unserer Hauptberichterstatterin im Haushaltsausschuss reagiert. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass ich es für unüblich und einen sehr schlechten Stil halte, nach seiner eigenen Rede den Saal zu verlassen ({0}) und bei einer Debatte, in der man als Hauptberichterstatterin auf den Minister geantwortet hat, nicht anwesend zu sein. Das sollte nicht der Stil unseres Umgangs sein. ({1}) Wir wissen, was in der Welt passiert. Es ist unnötig, zu schildern, wie ernst die Lage ist. Es ist ein großer politischer Fehler, dass ausgerechnet dann, wenn sich Deutschland in der Welt mehr engagieren muss, wenn es Friedensverhandlungen, Abrüstungsinitiativen und Bemühungen braucht, die die Weltgemeinschaft ein Stück näher zusammenführen, die deutsche Diplomatie bei den Haushaltsverhandlungen unter den Tisch fällt. Leider haben Sie, Herr Minister, heute kein Wort zur wichtigen Frage der Ausstattung des Auswärtigen Amtes verloren. Damit Deutschland in der Welt seiner Verantwortung nachkommen kann, setzen wir Freie Demokraten auf ein klares Prinzip: den vernetzten Ansatz von nahtlos ineinan­dergreifenden Instrumenten der Außen-, der Entwicklungs- und der Verteidigungspolitik. In der derzeitigen Bundesregierung gilt leider ein anderes Prinzip: Wer am lautesten ruft, der bekommt die Aufmerksamkeit und der bekommt leider am Ende auch alleine das Geld. Während sich die Verteidigungsministerin und der Entwicklungsminister teilweise bereits über neue Gelder freuen und noch mehr wollen, haben der Außenminister und sein Vorgänger hier wohl nicht laut genug gerufen. James Mattis hat es als US-Verteidigungsminister in seinen Budgetverhandlungen auf den Punkt gebracht, als er sagte: Wenn man das Außenministerium nicht ordentlich ausstattet, dann muss ich in der Folge mehr Munition kaufen. Vergleicht man nüchtern die gewachsenen Aufgaben mit der vorhandenen Ausstattung, dann kommt man um eine Feststellung nicht herum: Unser Auswärtiger Dienst steckt in einer Krise. Dabei wäre es falsch, einfach nach mehr Geld isoliert für das AA zu rufen. Der gleiche Fehler wäre es, isoliert die Mittel für Verteidigung oder Entwicklung zu erhöhen. Nicht „Viel hilft viel“, sondern ein vernetzter Ansatz, das ist der entscheidende Punkt; denn wir brauchen eine enge Verzahnung von Diplomatie, Entwicklung und Verteidigung. Das ist der Punkt, an dem wir etwas verändern müssen, damit sich, anders als in den letzten vier Jahren, Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungsressort nicht gegenseitig auf den Füßen stehen. In wenigen Wochen will Deutschland für 2019 und 2020 nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat werden. 2020 übernehmen wir die EU-Ratspräsidentschaft. Solche zentralen Aufgaben erfordern hochqualifizierte Mitarbeiter. Vorkehrungen hierfür irgendwo im Haushalt? Fehlanzeige! Es geht um die Sicherheit unserer Diplomaten. Wir haben gesehen, was der verheerende Bombenanschlag in Kabul mit dem Botschaftsgebäude angerichtet hat. Für unsere Diplomatinnen und Diplomaten muss auch in gefährlichen Einsatzgebieten gelten, dass sie sich auf die besten und modernsten Sicherheitsmaßnahmen verlassen können. Ausreichende Vorkehrungen hierfür im Haushalt? Fehlanzeige! Wie steht es um die Vernetztheit unserer Diplomaten? Während Estland die ersten Datenbotschaften eröffnet, kratzen die ITler im Auswärtigen Amt die Cents zusammen, um im Ausland die digitale Infrastruktur zu modernisieren – eine Vorkehrung, die im Koalitionsvertrag extra als Auftrag festgehalten wurde. Vorkehrungen im Haushalt? Fehlanzeige! Über all diese Tatsachen kann auch nicht hinwegtäuschen, dass das AA 2018 300 Millionen Euro mehr für humanitäre Hilfe bekommt. Es ist klar: Diese 300 Millionen Euro sind angesichts der Krisen und Konflikte in der Welt richtig und wichtig. Doch an der Ausstattungskrise des Auswärtigen Amtes ändern diese Gelder nichts; denn es sind durchlaufende Posten. Sie bringen mehr Arbeit, für die das Personal oft fehlt. Hat sich das AA hier in den letzten Jahren – wir haben hier ja über enorme Erhöhungen im Bereich humanitäre Hilfe zu sprechen – um die notwendigen Evaluierungsvorschriften und -verfahren gekümmert? Leider auch da Fehlanzeige! Und was ist mit den Mahnungen des Bundesrechnungshofes? Seit Jahren kritisiert er die viel zu hohen Verpflichtungsermächtigungen für die Folgejahre. So bindet man sich selbst die Hände und hat dann in der Not, wenn man schnell handeln muss, manchmal nicht die nötigen Mittel. Also: Es gibt viele Bereiche, wo wir mehr wollen, wo wir zunächst aber nicht nach mehr Geld schreien, sondern nach mehr Effizienz, mehr Vernetzung, mehr Koordination. Da ließe sich in diesem Haushalt sehr viel machen, und zwar bereits jetzt. Wir begrüßen – um ausdrücklich auch einen positiven Aspekt zu nennen –, dass mehr Geld für den Bereich Menschenrechte vorgesehen ist. Das ist ein wichtiger Bereich, der auch von vielen Kollegen hier im Raum ganz aktiv bearbeitet wird. Ich sehe den Kollegen Nick, den Chef unserer Europaratsdelegation, oder auch die Kollegin Gyde Jensen, die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses. In diesem Bereich wird durch die stärkere Unterstützung des Europarats mehr getan. Das ist ganz wichtig und sinnvoll. Doch das täuscht nicht darüber hinweg – ich komme zum Schluss –, dass die Substanz des deutschen Auswärtigen Dienstes bröckelt. Wer nicht in die Substanz investiert, dem bricht irgendwann der Boden weg. Lassen wir es nicht so weit kommen. Ich möchte für meine Fraktion ganz herzlich den Diplomatinnen und Diplomaten für ihren Einsatz in oft lebensgefährlichen Regionen der Welt danken. Wer Deutschlands Verantwortung in der Welt gerecht werden will, der darf nicht zulassen, dass die deutsche Diplomatie zur Verliererin des Bundeshaushalts 2018 wird. Herr Minister, für meine Fraktion biete ich Ihnen an: Lassen Sie uns die jetzt bevorstehenden Beratungen im Haushaltsausschuss dazu nutzen, diesen Entwurf im Sinne eines vernetzten Ansatzes zwischen Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik zu verbessern. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Link. – Als Nächstes für Die Linke der Kollege Michael Leutert. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst: Ich interpretiere den Beitrag der AfD-Vertreterin so, dass die AfD in der Zukunft niemals Stiftungsbüros im Ausland eröffnen wird. Ich finde, das ist ein Gewinn für die deutsche Außenpolitik. Bleiben Sie bitte dabei. ({0}) Am 11. September 2014 hat Frank-Walter Steinmeier als Außenminister hier eine Rede zum Haushalt gehalten. Er hat damals in seiner Rede den Satz geprägt, der oft zitiert wurde: Die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein. – Diesen Satz hat er gesagt unter dem Eindruck der Krise in der Ukraine, der Krim-Krise, der Kriege im Irak und in Syrien. Was er damals noch nicht wusste, war, was alles noch kommen würde. Er wusste nicht, dass eine Woche später die dramatischen Ereignisse in Kobane einsetzen würden. Er wusste noch nicht, dass ziemlich genau ein Jahr später der dreijährige kurdische Junge Alayn Kurdi tot an einem türkischen Strand angespült werden würde, der kleine Junge, der zum Symbol für die massenhafte Flucht von Menschen aus Not und Elend geworden ist. Er wusste noch nichts von den Terroranschlägen in Nizza, in Paris, in Berlin, die 245 Menschen das Leben gekostet haben. Er wusste noch nichts von der Wahl Trumps, vom Brexit, vom Putschversuch in der Türkei. All das zeigt ja: Es ist nicht besser, sondern es ist alles nur noch schlimmer geworden. Wenn ich mir dann den Haushalt hier anschaue und die mittelfristige Finanzplanung dazunehme, muss ich sagen: Das macht mich etwas sprachlos; denn das Außenministerium ist das einzige Ministerium, bei dem gekürzt wird, und zwar in den nächsten Jahren um 3,8 Milliarden Euro – gemessen an dem, was 2017 zur Verfügung stand. Es ist das einzige Ministerium, bei dem das der Fall ist. ({1}) Ich verstehe das nicht. Ein Bundesfinanzminister, SPD, rasiert das Ministerium des SPD-Kollegen im Auswärtigen Amt. Der Kuchen wird größer, aber es gibt für das Auswärtige Amt nichts ab; es gibt nicht mehr, sondern sogar noch weniger. Derweil türmen sich die Probleme vor unserer Haustür auf. Es ist heute schon mehrmals der Ausstieg der Amerikaner aus dem Atomvertrag mit dem Iran angesprochen worden. Zu nennen sind auch – das konnten wir in den letzten Tagen alle in den Medien beobachten – die Auseinandersetzungen zwischen Palästina und Israel – ein Konflikt, der uns hier immer wieder beschäftigt – am Rande des Jubiläums „70 Jahre Israel“. Genau bei diesen Dingen müssen wir uns einbringen. In unserem eigenen Interesse müssen wir uns einbringen. Die Frage ist natürlich: Wie können wir uns da einbringen? Insbesondere wenn man den Konflikt im Nahen Osten, Israel-Palästina, betrachtet, so muss man sich doch mal folgende Frage stellen: Der Konflikt dauert seit 70 Jahren an, und seit 70 Jahren – so müssen wir konstatieren – haben wir keinen Erfolg bei dem Versuch, auf diplomatischem Wege dort zu einer Lösung zu kommen. Deshalb sei die Frage gestattet, ob unsere Konzepte und Instrumente immer die richtigen sind. Wir bauen zum Teil selber, bilateral, aber auch viel über UN-Organisationen massenweise Infrastruktur in Palästina mit auf, also Schulen, Krankenhäuser usw., was wichtig ist; aber gleichzeitig finanzieren wir auch Schulbücher für Palästina, in denen zu Hass gegen Israel aufgestachelt wird, in denen keine Gedanken zur Völkerverständigung enthalten sind. Es wird dort in den Schulen, im Unterricht, nichts dazu beigetragen, dass es eine Annäherung zwischen Israelis und Palästinensern geben könnte. Indirekt sind wir auch daran beteiligt, weil wir Freiräume schaffen, dass in Palästina leider, leider ein System von Märtyrerrenten existiert. Da muss man fragen: Sind das die richtigen Instrumente? Bei allen guten Absichten: Wir haben meines Erachtens die falschen Instrumente in dem Bereich, weil wir damit auch Konflikte zementieren. Die Lösung kann aber nicht das sein, was die Amerikaner jetzt machen: sich einfach aus der Finanzierung zurückzuziehen. Denn wir wissen ja, was passiert, wenn die Amerikaner sich aus der Finanzierung der Schulen zurückziehen: Es gibt neue Träger. Ob die neuen Träger der Schulen bessere Schulbildung anbieten als die alten, sei dahingestellt. Nein, wir brauchen mehr sehr gutes Personal, wir brauchen eine auskömmliche gute Finanzierung, und wir brauchen neue Konzepte und Instrumente, um uns dort in diesen Konflikten engagieren zu können. ({2}) Das ist aber mit diesem Haushalt leider nicht möglich. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Leutert. – Als Nächstes für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Ekin Deligöz. ({0})

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin ­Malsack-Winkemann, ehrlich gesagt, war ich über Ihre Rede hier ziemlich entsetzt. Sie sind Juristin. Sie sollten wissen: Das Haushaltsrecht ist das Königsrecht des Parlaments. Wir erstellen den Etat. Wir machen die Vorlagen. Wir beschließen den Etat. Das ist unser Auftrag. Wir müssen uns selbst ernst nehmen und uns damit befassen und dürfen das nicht an das Ministerium zurückgeben und sagen, sie hätten das vorzubereiten. Das ist unser Auftrag. Das, was Sie hier präsentiert haben, zeugt, ehrlich gesagt, davon, dass Sie es selbst nicht ernst nehmen. ({0}) Wenn Sie als Richterin dann noch von mir einen Tipp wollen: Artikel 110 Grundgesetz oder die Bundeshaushaltsordnung helfen in diesen Fragen weiter. Das Zweite. Sie sagten, die Parlamentarier könnten die Aufgaben des Ministeriums nicht ausreichend kontrollieren. Sie als Hauptberichterstatterin haben ohne Einbeziehung der anderen Berichterstatterinnen und Berichterstatter alleine – nach dem Kollegialprinzip wäre eine solche Einbeziehung eigentlich üblich gewesen im Bundestag – alleine neun Stunden mit Mitarbeitern des Haushaltsreferates des Auswärtigen Amtes verbracht. Sie haben unzählige Fragen geäußert und schriftlich alles Erdenkliche eingefordert. Ich habe die Fragen und die Antworten gelesen. Die Antworten des Auswärtigen Amtes waren gut. Wenn Ihr Erkenntnisgewinn daraus gleich null ist, dann liegt das nicht am Ministerium oder an den Antworten, sondern dann liegt das an Ihnen persönlich. Anders kann man das gar nicht beschreiben. ({1}) Der dritte Punkt – das haben Sie hier verschwiegen –: Eigentlich hatten Sie eine Intention: Sie haben nach Möglichkeiten gesucht, wie Sie die Mittel des Etats kürzen können, insbesondere im Bereich der internationalen Organisationen und humanitären Hilfe. Nein, diese Mittel können Sie definitiv nicht kürzen. Zunächst einmal deswegen nicht, weil wir gegenüber der UN in der Verpflichtung sind. Es gibt den humanitären Imperativ: Menschenleben retten! Dazu sind wir auch als Deutschland verpflichtet. Genau deshalb gibt es diese Zahlungen. Wir werden sie verteidigen, auch Ihnen gegenüber. ({2}) Lesen Sie doch einfach mal die Zeitungen! Schauen Sie doch mal um sich herum! Reisen Sie meinetwegen! Machen Sie Ihre Augen auf! 65 Millionen Menschen sind auf der Flucht, ein großer Teil von ihnen Kinder. Sie brauchen Unterstützung. Wir haben eine historische, wir haben eine empathische, wir haben eine politische Pflicht, diesen Menschen beizustehen, sie zu unterstützen, auch Fluchtursachen zu bekämpfen. Das ist unsere Verantwortung. Der müssen wir uns stellen. Genau darum geht es in dem Titel „Humanitäre Hilfsmaßnahmen im Ausland“ in diesem Etat. Das gehört zur deutschen Verantwortung. Das muss man verteidigen und darf man nicht angreifen. ({3}) Sie, Herr Minister, haben ja gesagt, dass Sie für diesen Bereich mehr Mittel brauchen. Ich wünsche mir sehr, dass Sie die Ansätze noch steigern können. Es geht aber nicht nur darum, dass wir überhaupt Geld ausgeben, sondern es geht auch darum, wie wir das Geld ausgeben. Dadurch, dass wir mit dem Haushaltsplan so spät angefangen haben, ist uns natürlich Zeit verloren gegangen. Gerade unsere internationalen Bündnispartner, die humanitären Hilfsorganisationen, brauchen Verlässlichkeit. Sie brauchen die Mittelzusagen, sie brauchen sie aber auch frühzeitig. Leider Gottes kam da jetzt Bürokratie dazwischen. Das hätte nicht sein müssen, wenn Sie sich früher dahintergeklemmt hätten. Ich denke, der Haushaltsausschuss wäre da sogar kooperativ gewesen. Jetzt sind wir spät im Jahr dran, aber nichtsdestotrotz: Diese Mittel müssen nun fließen. Die zivile Außenpolitik steht für uns Grüne im Zentrum. Gemäß Koalitionsvertrag sollen die Ausgaben für das Verteidigungsministerium sowie für das Auswärtige Amt und übrigens auch für das Entwicklungshilfeministerium eins zu eins steigen. ({4}) Wenn man sich aber die Zahlen anschaut, muss man sagen: Versprochen – gebrochen. Das findet bei weitem nicht statt. Der Kollege Leutert hat ja auch über die mittelfristige Finanzplanung gesprochen. Beide Etats, der für Entwicklungshilfe und der für das Auswärtige Amt, sinken gemäß Finanzplanung. Im Bereich der Diplomatie und der Entwicklungshilfe bleiben wir jetzt schon weit hinter den Steigerungsraten der Militärpolitik zurück. ({5}) Noch einen weiteren Punkt, der hier angesprochen wurde, halte ich für wichtig. Ja, Ihr Etat ist in den letzten Jahren gestiegen, weil die Anforderungen an das Haus gestiegen sind. Das ist richtig. Beim Personal ist das leider nicht nachvollzogen worden. Jetzt wollen Sie einen Aufwuchs bei der Personalausstattung. Wir von den Grünen unterstützen Sie dabei; das muss sein. Ich wünschte mir aber, Sie wären auch ein bisschen mutiger und würden auch etwas mehr in die Personalreserve hineingeben. Wir sind nämlich von der guten Arbeit unserer Kolleginnen und Kollegen im Ausland abhängig, wenn es darum geht, die Lage vor Ort einzuschätzen. Übrigens sind wir gerade auch dann, wenn es um die Frage der Fluchtursachen geht, dringend auf die Berichte aus Ihrem Haus angewiesen. Ein letzter Punkt, Herr Präsident, in den letzten Sekunden: die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Natürlich ist das wichtig. Das ist doch die Visitenkarte Deutschlands nach außen. ({6}) Das Land der Dichter und Denker, das Land von Wissenschaft, Forschung und Innovation muss in die Institutionen in diesen Bereich investieren. Das sind die Goethe-Institute, das ist das Deutsche Archäologische Institut, das ist der DAAD. Die dürfen wir nicht zu knapp halten, sondern – ganz im Gegenteil – hier müssen wir unsere Werte der Freiheit ins Ausland exportieren. Und die Genannten sind unsere Träger dieser Werte. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, Sekunden sind Sekunden und keine Minuten. Kommen Sie bitte zu Ihrem letzten Satz.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Hier ist viel zu tun, Herr Minister. Wenn es darum geht, dass Ihr Etat und die Entwicklungshilfe mindestens eins zu eins wie Verteidigung steigen, muss ich sagen: Hier ist viel Luft nach oben. Wir werden Sie beim Wort nehmen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster der Kollege Christoph Matschie für die Sozialdemokratie. ({0})

Christoph Matschie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es klingt vielleicht pathetisch, aber es ist am Ende die bittere Wahrheit: Außenpolitik entscheidet über Leben und Tod, über Krieg und Frieden. Wer sich die Bilder der letzten Tage noch einmal vor Augen führt, der weiß, wie schnell außenpolitische Entscheidungen dazu führen können, dass schwelende Konflikte explodieren, dass Gewalt um sich greift. Ich will es hier in aller Deutlichkeit sagen: Die Entscheidung des US-Präsidenten, die Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, war außenpolitisch falsch, und sie ist brandgefährlich, werte Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Das Gleiche gilt für die Entscheidung zur Aufkündigung des Atomdeals. Hier wird, wie ich finde, mit der Abrissbirne die Glaubwürdigkeit internationaler Abkommen zerstört. Beide Entscheidungen des US-Präsidenten zeigen wie in einem Brennglas den tiefen Riss im transatlantischen Verhältnis, der sich inzwischen aufgetan hat. Das stellt die deutsche und die europäische Außenpolitik vor völlig neue Herausforderungen: Europa muss schneller und konsequenter lernen, mit einer Stimme zu sprechen, sonst haben wir keine Stimme mehr in dieser Welt. ({1}) Angesichts der politischen Entwicklungen in den USA, angesichts der aufstrebenden Interessenpolitik Chinas, aber auch angesichts der Ambitionen des russischen Präsidenten haben wir keine andere Chance für die Durchsetzung unserer Ideen außer der, als Europäer gemeinsam unsere Vorstellungen von Konfliktbewältigung, von internationaler Ordnung in die internationale Debatte einzubringen. Ich bin an dieser Stelle dem Außenminister ausdrücklich zu Dank verpflichtet. Er hat gerade in den letzten Tagen intensive Bemühungen dazu unternommen, dass Europa hier mit einer Stimme spricht und zusammensteht. ({2}) Nicht nur die europäische Außenpolitik muss weiterentwickelt werden, auch die deutsche Außenpolitik muss angesichts der internationalen Herausforderungen ihre Kapazitäten zur strategischen Analyse und zur strategischen Kommunikation stärken. Dazu gehört auch eine intensivere Zusammenarbeit von Außen-, Entwicklungs-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik. Nur wenn wir diese Bereiche gemeinsam denken, können wir außenpolitisch wirklich erfolgreich agieren. ({3}) Herr Kollege Link, Sie haben das angesprochen. Wir haben uns das im Koalitionsvertrag vorgenommen. Die Koalition will das durchsetzen. Ich gehe davon aus, dass die Regierung in nächster Zeit Vorschläge dazu auf den Tisch legt, wie das gehen kann. ({4}) Angesichts der gewachsenen Aufgaben im Bereich der Sicherung von Frieden und Stabilität ist es gut, dass der auswärtige Haushalt wächst. Ich will nicht nur den letzten Haushalt in den Blick nehmen. Wenn man auf die vergangenen fünf Jahre schaut, kann man sehen, dass der Haushalt des Auswärtigen Amtes um knapp 50 Prozent gestiegen ist. Hier zeigen sich die enormen außenpolitischen Anstrengungen, die die Bundesrepublik Deutschland unternimmt. Sie haben auch international hohe Anerkennung gefunden. Ich finde, das muss an dieser Stelle auch einmal deutlich gemacht werden. ({5}) Hinter den nüchternen Zahlen des Haushalts stehen die Schicksale von Millionen von Menschen: in der humanitären Hilfe, in der Sicherung der Stabilität in Krisenstaaten, in der Versorgung mit Nahrungsmitteln, in der Stabilisierung von staatlichen Apparaten. Ich finde, wir müssen in diese Bereiche auch in Zukunft kräftig investieren. Die Regierung hat den Haushaltsentwurf vorgelegt. Jetzt entscheidet das Parlament. Es gibt nach meiner Überzeugung mit Sicherheit noch Diskussionsbedarf, gerade mit Blick auf die mittelfristige Finanzplanung; auch Herr Kollege Hardt hat das angesprochen. Was humanitäre Hilfe, die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und andere wichtige Aufgaben betrifft, müssen wir hier noch einmal miteinander reden. ({6}) In einer Welt, die unberechenbarer und unsicherer geworden ist, brauchen wir eine starke, eine kluge und selbstbewusste Außenpolitik. Dazu braucht es ausreichend Mittel, eine enge Kooperation aller beteiligten Ressorts und eine gemeinsame europäische Stimme.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Bitte kommen Sie zum Schluss.

Christoph Matschie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will es in aller Deutlichkeit am Ende sagen: Noch können wir gemeinsam für mehr Sicherheit und Stabilität auf dieser Erde sorgen. Und deshalb: Lassen Sie uns jetzt gemeinsam mutige Schritte gehen! Dafür steht diese Koalition. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als Nächstes für die AfD-Fraktion der Kollege ­Armin-Paulus Hampel. ({0})

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Liebe Gäste im Deutschen Bundestag! Das klang zugegebenermaßen alles sehr eindrucksvoll, Herr Maas. Sie sitzen jetzt zumindest am Katzentisch bei der „Small Group“. Wir reden wieder mit den Russen, mit Herrn Lawrow, über eine mögliche Fortsetzung der Minsker Runde. Das sind schöne Ankündigungen. Wir wollen schauen, ob sich der Erfolg bei Ihren Gesprächen dann auch einstellt. Wenn ich allerdings in Ihren Haushaltsplan schaue, dann stelle ich fest, dass es nicht vornehmlich darum geht, das Gespräch mit denjenigen zu suchen, die in den Ländern dieser Welt de facto die Macht haben; vielmehr findet man unter dem Posten „humanitäre Hilfe, humanitäre Katastrophenvorsorge, Frieden und Stabilität sichern“ – alles hehre Ansprüche, keine Frage –, immerhin dem größten Posten Ihres Etats, 1,3 Milliarden Euro – meine Kollegin Malsack-Winkemann hat es schön auf den Punkt gebracht –, sehr viel, was versteckt und verschoben werden kann, und zwar immer in eine Richtung. Da sind wir von der AfD in der Tat völlig anderer Meinung als Sie, nämlich: Die Unterstützung von humanitären Hilfsorganisationen mag in Katastrophenfällen richtig sein, aber hier ist – ich ahne es – eine NGO-Politik auf dem Weg, um die Länder, die uns durch mangelnde Demokratie oder mangelnde Einhaltung der Menschenrechte nicht genehm sind, zu destabilisieren. ({0}) Das ist genau das, was wir in der Welt nicht wollen. ({1}) Wir wollen zuerst für Frieden sorgen in der Welt, und dann kümmern wir uns um die Systeme in diesen Ländern. Also: Genau das, was Sie vorhaben, machen wir nicht. ({2}) Sie haben das schon bei der Destabilisierung des gesamten Nahen Ostens in Ansätzen erlebt, Herr Kollege. Es gibt ein gutes Beispiel, wie es die Amerikaner gemacht haben: die frühere Europa-Staatssekretärin im Außenministerium, Frau Nuland – Sie kennen sie –, die mit 5 Milliarden Dollar jahrelang die NGOs in der Ukraine unterstützt hat. ({3}) Genau das, was gezielte Absicht Washingtons war, ist auch eingetreten, nämlich die Destabilisierung der ukrainischen Regierung. Damit wurde ein Konflikt hervorgerufen, der uns noch heute maßgeblich beschäftigt. ({4}) Genau das Gleiche setzen wir fort – ich habe es vorhin schon erwähnt: die Union hat es mit ihrer Adenauer-Stiftung in Ägypten schon erleben dürfen –; genau das machen wir auch, indem wir mit viel Geld – das ist in Ihrem Etat versteckt – diejenigen unterstützen, die in den Ländern, in denen es die Konflikte gibt, nicht stabilisieren, sondern destabilisieren wollen, indem sie die Regierung angreifen. Wie wollen Sie aber mit Russland, wie wollen Sie mit den Regierungschefs der Länder im Nahen Osten verhandeln, die dort de facto die Macht haben, wenn Sie gleichzeitig dafür sorgen, dass es Gruppen gibt, die unterwegs sind, genau diese Regierungen von der Position der Macht wegzubekommen? Das werden Sie eben nicht hinkriegen. Damit können wir keine einzige vertrauensbildende Maßnahme schaffen. Ich bleibe dabei: Sie müssen mit denjenigen sprechen, die in diesen Ländern de facto die Macht haben. Wir haben beim letzten Mal gelernt, dass man jetzt sogar – zumindest mittelfristig bzw. kurzfristig – mit Herrn Assad reden möchte, weil man erkannt hat: Der Mann hat de facto die Macht in Syrien. Dann muss man mit ihm sprechen, und genau das – den Eindruck habe ich – planen Sie ausweislich Ihres Haushalts nicht. ({5}) 1,3 Milliarden Euro: Wie viel Geld davon geht an NGOs, an Nichtregierungsorganisationen? Welche messbaren Resultate sind damit verbunden? Wie viel Geld geht an Regierungen vor Ort? Was machen sie damit? ({6}) Kurz: Wer erhält diese 1,3 Milliarden Euro? Darauf gibt dieser Etat keine Antwort. ({7}) Die Aufgabe der Diplomatie, meine Damen und Herren, ist es nicht, bestehende Regierungen zu destabilisieren. Wir müssen bestehende Regierungen in einen internationalen Dialog einbinden. Das ist unser Ziel. Wie das geht, hat man uns in früheren Jahrzehnten vorgemacht. Sie alle, zumindest die Älteren unter Ihnen, kennen das ja noch: Die KSZE-Akte von Helsinki sagt ganz bewusst: Eine Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten garantiert erst, dass Sie mit anderen Ländern über Frieden und Stabilität in der Welt diskutieren und verhandeln können. Das ist das Entscheidende. ({8}) Das Gegenteil davon machen Sie zurzeit durch Ihre Politik. ({9}) Wenn Sie den Haushalt für Ihr Ressort hier vorstellen, Herr Minister, dann hat der Bundestag ein Recht darauf, zu erfahren, was Sie mit den einzelnen Posten Ihres Etats erreichen wollen, wer das Geld erhalten soll und wie konkret den Menschen in der Welt damit geholfen werden soll. Ich nenne Ihnen nur ein Beispiel: Im Einzelplan 05 stehen Angaben zum Afghanistan-Einsatz. Meine Damen und Herren, ich bin sieben Jahre als Journalist in Afghanistan unterwegs gewesen und habe die Entwicklung von Mitte der 90er-Jahre bis circa 2008 verfolgt. ({10}) Wissen Sie, wie mein afghanischer Mitarbeiter die dort vorhandenen Hilfsorganisationen und NGOs genannt hat? NGO – eating, meeting, shopping, sleeping. Kürzer können Sie es nicht auf den Punkt bringen. ({11}) Denn bevor überhaupt einem Afghanen geholfen wurde, haben sie erst einmal einen Compound hingestellt: Da wurde dann Kies reingeschippt, Computer, Teppichböden und eine Klimaanlage kamen rein, und zum Schluss fuhr der 100 000-Dollar-NGO-Toyota auf das Feld, um die Arbeit in Gang zu bringen. ({12}) Was wir in Afghanistan erreicht haben, ist, dass wir unseren Ruf verdorben haben. Wir waren dort einmal sehr geachtet. Wir haben aber eine Regierung installiert, die der Geschichte dieses Landes widerspricht. Wir haben Warlords unterstützt, die in Massen zur Kriegsführung und zu den Konflikten in Afghanistan nicht nur beigetragen, sondern sie initiiert haben. Sie haben viele Menschen das Leben gekostet. Mit diesen Herrschaften haben wir verhandelt. ({13}) Wir haben nicht die tribalen Strukturen, wie sie in Afghanistan traditionell vorhanden waren, unterstützt, sondern mit Warlords und anderen Verbrechern Geschäfte gemacht. ({14}) Das ist das Gegenteil dessen, was Sie an konstruktiver Politik für unser Land erreichen können. Bleiben wir dabei, dass wir uns wieder der Realpolitik zuwenden und mit denen verhandeln, die in den Ländern de facto die Macht haben. Wir müssen auf sie einwirken, ihre Politik mittel- und langfristig zu ändern und zum Besseren zu wandeln. Gehen wir nicht den Weg, dass wir destabilisieren und Regierungen das Vertrauen entziehen, indem wir diejenigen unterstützen und fördern, die zum Niedergang bzw. zur Zerstörung dieser Regierungen beitragen. ({15})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Das sind die Grundtöne der Diplomatie. So funktioniert diplomatische Arbeit – und nur so. Alles andere – das sehen wir im Nahen Osten – wirkt zerstörerisch und steckt diese Welt eher in Brand, als dass es Frieden stiftet. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Röttgen, einen Moment. Ich rufe Sie auf, wenn es so weit ist. – Zunächst hat aber der Kollege Link darum gebeten, eine Kurzintervention zu machen, die lasse ich zu.

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hampel, da Sie uns gerade sehr wortreich dargelegt haben, dass Sie am liebsten zur Großmachtpolitik des 19. Jahrhunderts, zum Recht des Stärkeren, zurückkehren wollen, lassen Sie mich ganz kurz darüber aufklären, was die KSZE tatsächlich beschlossen hat: In der Charta von Paris zum Beispiel wurden die menschenrechtlichen Verpflichtungen der Staaten festgelegt und freiwillig von den Staaten unterschrieben. Mehr noch: Darin steht – das ist sogar erst 2009 beschlossen worden, mit Putins Zustimmung –, dass ein menschenrechtliches Problem mit einem Mitgliedstaat der KSZE, jetzt heißt sie ja OSZE, ein Problem aller Staaten ist. ({0}) Das ist in der OSZE die klare Abschaffung des Nichteinmischungsgebots. Es ist das Gegenteil von Nichteinmischung: Wir haben ein Gebot, hinzuschauen. Wir haben ein Gebot, uns einzumischen, wenn es menschenrechtliche Probleme gibt. Wir wollen nicht den Rückfall in dieses Recht des Stärkeren, wie Sie es hier gerade letzten Endes propagiert haben. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ich sehe, Herr Kollege Hampel, Sie wollen antworten.

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich habe mich deswegen auf die Schlussakte von Helsinki bezogen – Sie haben völlig recht, dass die Menschenrechte dort ein wichtiger Aspekt waren –, weil die Nichteinmischung darin maßgeblich war. ({0}) Das hat man ganz bewusst gemacht in Helsinki, indem man definiert hat, dass man menschenrechtliche Fragen – da haben Sie völlig recht – über den Verhandlungsweg lösen kann. Aber ich kann mich nicht an eine Sanktionsentscheidung einer westlichen Regierung erinnern, die nach der Schlussakte der KSZE gegen Moskau oder andere osteuropäische Staaten verhängt worden wäre. Das ist die falsche Politik, die man damals nicht wollte und die wir heute machen. ({1}) Deswegen hat man damals richtig gemacht, was man heute falsch macht, Herr Kollege. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Norbert Röttgen für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte ist schon von einigen Kolleginnen und Kollegen dargelegt worden, wie dramatisch sich die Welt verändert hat – in einem Tempo und in einem Ausmaß, wie es das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gegeben hat. Das wissen wir, das empfinden wir, und das ist dramatisch, weil es nicht irgendwelche Veränderungen sind, sondern weil bestehende Gleichgewichte, Systeme, Ordnungen attackiert und zerstört werden – überall um uns herum. Nur nebenbei will ich erwähnen: Eine der wesentlichen strategischen Herausforderungen, nämlich der Aufstieg und die neue Rolle Chinas, wird von uns eher immer am Rande wahrgenommen; aber auch das gehört zu den Veränderungen. Ich möchte aber über diese Veränderungen jetzt gar nicht mehr viel reden; sie sind ja auch schon dargelegt worden. Vielmehr möchte ich ausführlich über uns reden. Was folgt denn daraus für uns? Wenn sich alles und alle um uns herum verändern, wenn die Art, wie Politik gemacht wird, in Russland, in der Türkei, in Washington, im Nahen und Mittleren Osten, nicht mehr so ist, wie wir das seit Jahrzehnten kannten, dann kann ja bei uns nicht alles gleich bleiben, sondern dann entsteht auch in Europa und in Deutschland Handlungsbedarf. Was machen diese Veränderungen mit uns? Wie ist unsere Antwort auf das, was sich tut? Darüber möchte ich sprechen, weil ich glaube, dass wir diese Antwort noch nicht haben, aber davon überzeugt bin, dass wir sie geben müssen. Ich glaube, dass es um nicht weniger geht als darum, dass wir – und, um es einmal für diese Rede zu sagen, wenn ich „wir“ sage, dann rede ich von Deutschland und den Europäern; das ist mein Wir – ({0}) unser außenpolitisches Selbstverständnis neu debattieren, neu definieren und dass wir auch in Deutschland anfangen, eine strategische Debatte über Außenpolitik zu führen, eine strategische Kultur zu entwickeln, wenn es um Außenpolitik geht, meine Damen und Herren. ({1}) Das ist unsere Verantwortung. Sie kann nicht darin bestehen, die Veränderungen zu beschreiben und dann auf die nächste Veränderung zu warten, sondern wir müssen Einfluss gewinnen, um unsere Interessen zu vertreten. Wir sind nämlich betroffen. Das, was um uns herum stattfindet, können wir von der Sicherheit und der Stabilität unserer Gesellschaften eben nicht mehr trennen. Die einfache Antwort ist Renationalisierung: Wir machen einfach die Augen zu. – Nein, allerspätestens mit der Flüchtlingskrise haben wir gelernt: Wir können unseren gesellschaftlichen Zustand nicht mehr von dem Zustand unserer Umgebung trennen. Wer Verantwortung für die Bürger wahrnimmt, der muss außenpolitische Verantwortung wahrnehmen und darf sich nicht abschotten, meine Damen und Herren. ({2}) Ich möchte vier Anmerkungen dazu machen, was Gegenstand einer notwendigen strategischen außenpolitischen Debatte sein müsste. Es gibt aber auch sicher Punkte, die noch dazukommen müssten. Erstens. Es ist ein Novum, dass wir und unser wichtigster Verbündeter, die Vereinigten Staaten von Amerika, in der internationalen Klimapolitik, in der internationalen Handelspolitik, in der Nahostpolitik und wahrscheinlich übrigens auch gegenüber China unterschiedliche Politiken verfolgen. Das hat es so noch nicht gegeben. Es sind mit die wichtigsten Politikfelder der Außenpolitik, in denen Europa, Deutschland und die USA unterschiedliche Politiken verfolgen. Wir müssen zu unserer Position stehen, aber – das als eine erste Anmerkung – wir müssen trotzdem transatlantisch bleiben; ({3}) denn das Transatlantische, das uns verbindet, die Werte, die Breite und die Tiefe unserer Verbindungen, ist stärker als das, was uns gegenwärtig trennt. Die USA bleiben unverzichtbar, unersetzbar für die innere und äußere Sicherheit Deutschlands und Europas. Darum bleiben wir transatlantisch; aber wir haben inhaltliche Differenzen und Konflikte. Zweitens. Nicht zuletzt die Art und Weise, wie und in welchem Stil die USA und der amerikanische Präsident Politik betreiben, zeigt – bei dem Iran-Abkommen verhält es sich so, die Aufkündigung ist gegen europäische Interessen –: Die Entscheidung ist ohne uns erfolgt; sie beruht im Wesentlichen auf innenpolitischen Machtkalkulationen. Da kommen die Verbündeten im Entscheidungsprozess relevant gar nicht mehr vor. Es wird also nicht mehr gemeinsam entschieden. Es wird nicht nur gegen uns entschieden, es wird ohne uns entschieden. Das ist eine dramatische grundsätzliche Veränderung. Durch diese Veränderung ist nach meiner Einschätzung objektiv ein europäisches Momentum erzeugt worden, das es so – Kollege Matschie hat es gesagt – noch nie gegeben hat. Das müssen wir ergreifen. Wir müssen jetzt diesen europäischen Willen bilden und europäische Instrumente schaffen. Von beidem sind wir noch weit entfernt. Drittens. Was bedeutet es konkret, diesen europäischen Willen zu bilden und entsprechende Instrumente zu schaffen? Wir müssen aufhören, über Themen von europäischer und strategischer Bedeutung nur national zu debattieren. Es ist ja zurzeit das Verhaltensmuster von Trump und der amerikanischen Politik, über internationale Fragen nur national und innenpolitisch zu debattieren. Wir machen das auch. Es gibt viele Themen, und ich bin davon überzeugt, dass keines der Themen, über die wir reden, militärisch zu lösen ist. Aber ich spreche einmal die neuralgischen Punkte an, von denen ich meine, dass wir sie nur national diskutieren, obwohl sie eine europäische Dimension haben. Das bezieht sich natürlich auf den Haushalt. Ich will zwei Punkte benennen. Der erste Punkt betrifft die Verteidigungsausgaben. Wir führen hier eine Debatte darüber, wie viel wir mehr ausgeben. Unter dem Gesichtspunkt, ob Europa international ein Akteur wird, ob wir Einfluss ausüben können, ist die Frage der Verteidigungsausgaben entscheidend. Wenn wir ein Land bleiben sollten, dass sich nicht dazu entscheiden kann, seine eigene Armee für die Landes- und Bündnisverteidigung im Wesentlichen einsatzfähig auszustatten, werden wir außenpolitisch nicht ernst genommen, weder bei den Verbündeten noch in Moskau, meine Damen und Herren. ({4}) Das ist eine Vorentscheidung über unseren außenpolitischen Einfluss. Wir müssen darüber europapolitisch und außenpolitisch diskutieren. Der zweite Punkt betrifft die sicherheitspolitischen und militärischen Instrumente der Europäer. Wir sprechen immer über PESCO, die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit. Ich finde sie auch gut; das ist ein Fortschritt. ({5}) Aber wir dürfen doch nicht glauben, dass wir mit PESCO innerhalb von fünf Jahren, also einer überschaubaren Frist, auch nur annähernd militärische Fähigkeiten erreichen können. Hier müssen wir mehr tun, sonst wird Europa nicht handlungsfähig werden, meine Damen und Herren. ({6}) Meine letzte Anmerkung bezieht sich auf den Nahen Osten – wenn Sie mir das noch gestatten, Herr Präsident. Der Nahe Osten wird die Schicksalsfrage der europäischen Außenpolitik sein. Es ist die Schicksalsfrage, weil es unsere Nachbarregion ist, nicht die amerikanische Nachbarregion. Meine Überzeugung ist, dass die USA mit ihren wirtschaftlichen Sanktionen und der Dollardominanz im internationalen Finanzsystem die Fähigkeit und Macht haben, das Nuklearabkommen zu zerstören. Das kann eine Eskalationsspirale in Gang setzen. Können wir sie durchkreuzen? Ich möchte einen Vorschlag machen, von dem ich glaube, dass er vielleicht die einzige Möglichkeit ist.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Röttgen, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich mache diesen Vorschlag.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nein. Sie kommen jetzt zum Schluss.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir können die Eskalationsdynamik durchbrechen, indem unter europäischer Verantwortung zu einer Nahostkonferenz eingeladen wird. Das ist unsere Möglichkeit. Wir haben die Glaubwürdigkeit, und wir sollten als Europäer die Initiative für eine internationale Nahostkonferenz ergreifen, um die Eskalation von Ultimaten, von Aktion und Reaktion zu durchbrechen. Ich glaube, das wäre eine europäische Möglichkeit. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Röttgen, ich gewähre Ihnen, was Sie möchten. Bedauerlicherweise ist das Präsidium regelbasiert. Wenn wir Redezeiten vereinbaren, dann gehört es zum guten Ton, sich an die Redezeiten zu halten, ({0}) weil die Frage der Gleichbehandlung sonst eine sehr elementare Rolle spielt. Bedauerlicherweise muss der Ihnen folgende Redner der CDU/CSU-Bundestagsfraktion jetzt auf eine Minute seiner Redezeit verzichten. Ich rufe als nächsten Redner den Kollegen Bijan Djir-Sarai für die Freien Demokraten auf. ({1})

Bijan Djir-Sarai (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004029, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine haushaltspolitische Debatte ist mehr als das einfache Vortragen von Zahlen. Eine haushaltspolitische Debatte ist eine Diskussion über die wesentlichen Weichenstellungen der Politik. Wirft man nun einen Blick in den vorliegenden Einzelplan 05, so ist eine klare und eindeutige Strategie der Bundesregierung nur mit viel Fantasie erkennbar. Auf den ersten Blick steuert der Einzelplan 05 zwar auf einen Rekordhaushalt zu, doch sollte man dabei nicht übersehen, dass es im Vorjahr überplanmäßige Mittel gab. Es kommt also nicht zu einer realen Steigerung des Haushaltes. Wirft man darüber hinaus einen Blick auf die weiteren Zahlen, so kommt noch hinzu, dass die UN-Pflichtbeiträge im Jahr 2019 einen massiven Teil des finanziellen Aufwuchses ausmachen. Und auch die EU-Präsidentschaft und der nichtständige Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen werden hohe Ausgaben erfordern. Offen bleibt vor diesem Hintergrund vor allem, wie die aktuelle Personalproblematik im Auswärtigen Amt behoben werden kann, und das, obwohl bereits jetzt offensichtlich ist, dass die Personalausgaben nicht gedeckt sein werden. Die Personalreserve reicht vorne und hinten nicht. Das geht an die Substanz des Dienstes. An die Substanz des Dienstes geht es auch, wenn Auslandsvertretungen nicht ausreichend gesichert sind. Aus dem Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul im vergangenen Jahr wurden viele Lehren und Erkenntnisse gezogen. Umso unverständlicher ist es, wenn an sicherheitsrelevanten Posten Einsparungen vorgenommen werden. Die Sicherheit unserer Diplomatinnen und Diplomaten darf zu keinem Zeitpunkt aufs Spiel gesetzt werden. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Koalitionsvertrag wurde geschrieben, dass die Mittel für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik erhöht werden. Ich stelle heute fest, dass ausgerechnet dieser Bereich zu den großen Verlierern des aktuellen Haushaltsplans gehört. Die Streichung von rund 17 Millionen Euro erscheint widersprüchlich. Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist ein integraler Bestandteil der deutschen Politik und muss es auch bleiben. ({1}) Im Koalitionsvertrag steht weiterhin: Wir sind bereit, unsere freiwilligen VN-Beiträge strategischer auszurichten und zu erhöhen. Das ist grundsätzlich gut. Dann muss man sich bitte auch dafür einsetzen, dass in internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen deutsche Staatsbürger Führungspositionen einnehmen. In Relation zu den hohen Finanzbeiträgen übt Deutschland in diesen Gremien gegenwärtig zu wenig Einfluss aus, und das ist definitiv nicht gut. Meine Damen und Herren, international mehr Verantwortung zu übernehmen, heißt nicht nur, mehr Beiträge zu überweisen. Es heißt auch, dass wir gerade in Zeiten, in denen sich die außenpolitischen Herausforderungen rapide wandeln, in denen wir einen Rückzug der Diplomatie erleben, Verantwortung übernehmen und den Dialog vorantreiben müssen; ({2}) denn für die globalen Krisenherde werden sich nur gemeinsam und im internationalen Konsens Lösungen finden lassen. Das trifft insbesondere auf die Konflikte im Nahen Osten zu, wo vor allem diplomatisches Geschick entscheidend sein wird. Vor dem Hintergrund der schwierigen Beziehungen beispielsweise zum Kreml brauchen wir mehr Mittel für die zivilgesellschaftlichen Beziehungen zu Russland, insbesondere zur Förderung des Deutsch-Russischen Jugendaustausches. Das verstehen wir unter nachhaltiger und wertegebundener Außenpolitik. Ähnliches gilt für unser Engagement im Nahen Osten und in Nordafrika. Obgleich die gegenwärtige Situation in der Region gefährlich und instabil ist, wäre es falsch, sich politisch aus der Region zurückzuziehen. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, einen besonderen Fokus auf Demokratieförderung und den Dialog mit veränderungswilligen Gruppen zu legen. Im Hinblick auf die vielfältigen Aufgabenfelder des Dienstes möchten wir schließlich der Bundesregierung eine regelmäßige externe Evaluierung der Projekte des Auswärtigen Amtes nahelegen. Wünschenswert wäre in diesem Zusammenhang außerdem eine effiziente Koordinierung mit den Schnittstellen des BMZ. Meine Damen und Herren, bei der Vorstellung des Entwurfs des Haushalts 2018 durch den Finanzminister sind zwei Minister aufgefallen: die Verteidigungsministerin und der Entwicklungsminister. Sie haben sich zumindest an der Stelle lautstark und sichtbar für ihre Häuser eingesetzt. Wo war eigentlich die Stimme des Auswärtigen Amtes? Wer hat sich für die Interessen des Auswärtigen Amtes starkgemacht? Die aktuellen Herausforderungen, insbesondere die Probleme in der Personalpolitik, hätten mehr Verhandlungseinsatz erfordert. Das Auswärtige Amt darf nicht eines Tages durch Fehlplanung in eine strukturelle Krise geraten. Die Einsatzfähigkeit der deutschen Diplomatie ist uns ein Kernanliegen, und zwar für nachhaltige und wertegeleitete Ziele. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Djir-Sarai. – Als Nächster für die Linke der Kollege Stefan Liebich. ({0})

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Maas, ich möchte zuerst über die Prioritätensetzungen reden. Als Sie kaum 24 Stunden im Amt waren und die Bundesregierung insgesamt gerade einen Tag im Amt war, war das Erste, was uns auf den Tisch gelegt wurde, eine Reihe von Anträgen zur Entsendung von Soldatinnen und Soldaten ins Ausland. Ich finde, so etwas ist ein glatter Fehlstart. ({0}) Sie haben gemeinsam mit der Verteidigungsministerin und der Bundesregierung vorgeschlagen, dass wir 300 Soldaten mehr nach Afghanistan entsenden. Heute früh hat die Bundeskanzlerin gesagt, sie finde die Aussage von Peter Struck immer noch richtig, dass Deutschlands Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird. ({1}) Wir fanden das damals falsch, und wir finden das immer noch falsch. ({2}) Wenige Tage nach dieser Entscheidung wurde uns mitgeteilt, dass die Lieferung von acht Patrouillenbooten nach Saudi-Arabien durch die Bundesregierung genehmigt wurde. Alle wissen: Saudi-Arabien ist die führende Macht in dem schmutzigen Krieg im Jemen. Im darauffolgenden Monat sind 237 Zivilisten getötet worden. Das ist ein Rekord. Ich weiß nicht, was das für Entscheidungen sind. Man hat das Gefühl, dass die neue Große Koalition einfach so weitermacht wie die alte Große Koalition, als hätte es dazwischen keine Wahlen gegeben. Jedes Sig-Sauer-Gewehr, jeder Leopard-Panzer, jedes MTU-Flugzeugteil für einen Eurofighter kann in den Händen der türkischen Armee kurdische Frauen, in den Händen der saudischen Armee jemenitische Kinder oder eben in den Händen eines Terroristen in den USA in einem Nachtclub Schwule töten. Wir finden, dass Waffenexporte aus Deutschland generell verboten werden müssten. ({3}) Aber selbst die kleinen Schritte, die Sie verabredet haben – wir haben darüber diskutiert, dass sie am Ende sehr klein gewesen sind –, werden nicht umgesetzt. Sie haben im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD beschlossen, dass ab sofort keine Waffen mehr an die Länder geliefert werden sollen, die unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind. Ich frage schon seit Wochen die Bundesregierung – und nicht nur ich –: Welche Länder sind das eigentlich? Man kommt sich vom Auswärtigen Amt wirklich veralbert vor. ({4}) Da wird gesagt: Wir befinden uns in der Bundesregierung noch in intensiven Erörterungen. – Oder die letzte Antwort war, dass die Länder auf unterschiedliche Weise beteiligt sind. Wollen Sie uns eigentlich für dumm verkaufen? ({5}) Mal abgesehen davon, dass es eine Frechheit ist, wie hier mit dem Fragerecht von Abgeordneten umgegangen wird: Die Zeit wird natürlich genutzt, um weiter Geschäfte abzuschließen. Da verdienen Leute Geld mit diesen schmutzigen Deals, und es ist gar nicht so schwer, herauszufinden, welche Länder das sind. Ich kann sie Ihnen aufzählen: Saudi-Arabien, Ägypten, Bahrain, Katar, Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, Marokko, Sudan und Senegal. Das sind die Länder, die von sich selber sagen, dass sie Teil der Kriegsallianz im Jemen sind. Bitte stoppen Sie sofort alle Waffenexporte dorthin. ({6}) Sie haben eben auch über regelbasierte Ordnungen gesprochen, Herr Maas. Da habe ich gedacht, ich habe mich verhört. Die Entscheidung, die die USA gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien getroffen haben, in Syrien vermeintliche Chemiewaffenlager zu bombardieren, war ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht. ({7}) Wer uns nicht glaubt: Das hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages bestätigt. Sie und die Bundesregierung haben das unterstützt. Herr Hardt, Sie haben eben zu Recht den Regelbruch Russlands bezüglich der Krim angesprochen; auch im Ausschuss haben Sie etwas dazu gesagt. Aber wenn verschwiegen wird, dass die Türkei, ein NATO-Partner, aktuell das Völkerrecht bricht, wenn die Bundesregierung sich nicht dazu durchringen kann, das zu bestätigen, obwohl das alle Fraktionen im Deutschen Bundestag sagen, dann frage ich Sie: Was hat das mit „regelbasiert“ zu tun? ({8}) Ich will einen letzten Punkt ansprechen. Er betrifft die Europäische Union. Das war heute ein zentraler Punkt. Auch wir sind dafür, dass es eine starke und gemeinsame Europäische Union gibt. Es sollte aber keine Europäische Union sein, die sich durch Frontex abschottet. Vielmehr sollte es eine Union sein, die selbstbewusst, gemeinsam und solidarisch der Welt gegenübertritt. Für eine solche Europäische Union treten wir sehr gerne ein. Gegen eine Europäische Union, die sich mit PESCO, also der Strukturierten Ständigen Zusammenarbeit, in eine Art Ersatz-NATO verwandeln möchte, wehren wir uns. Insofern: Gehen Sie den Weg in Richtung einer friedlichen und sozialen Europäischen Union. Dann haben Sie uns an Ihrer Seite. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank. – Als Nächstes für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Dr. Franziska Brantner. ({0})

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nett, jung, dynamisch – das war alles, was Frau Merkel in Aachen zu Macron einfiel. Was für ein trauriges Bild von Deutschland! Kein Wort zu seinen Vorschlägen, kein eigenes Feuer, kein Engagement und vor allem keine eigene Idee! Die EU zerbröselt; wir haben es heute schon mehrfach gehört. Es gibt enormen Druck von außen und von innen. In Italien bekommen wir vielleicht bald eine panpopulistische Regierung aus Cinque Stelle und Lega. In Österreich haben wir den rechten Strache, der den Verfassungsschutz übernimmt. In Ungarn haben wir Orban, der das Ende der liberalen Demokratie verkündet. In Polen wird die unabhängige Justiz abgeschafft. In Rumänien wird de facto die Korruption legalisiert. Wir haben den Brexit, Trump, you name it. Und diese Regierung? Klein-Klein und Mutlosigkeit. Ihre größte Tugend ist: Mir gäbet nix! – Nette Worte und ansonsten der Status quo. Wie können Sie es zulassen, dass wir in einer so kritischen Situation nicht alles tun, um den sozialen Zusammenhalt in Europa zu stärken? ({0}) Frau Merkel hat hier heute Morgen die Euro-Stabilisierung gegen den europäischen Haushalt ausgespielt, zugespitzt formuliert: Paris gegen Warschau. Wissen Sie was? Das ist unredlich. Das ist auch überhaupt nicht Ihre Aufgabe. Ihre Aufgabe ist es, das zusammenzubringen, Ideen zu entwickeln, wie man den Euro stabilisieren und gemeinsam die Aufgaben Europas angehen kann. Das ist Ihre Aufgabe. Dieser Aufgabe verweigern Sie sich permanent. ({1}) Kein Wort von Ihnen, Frau Merkel, oder von Herrn Scholz, kein Inhalt, keine Ideen! Obwohl es noch keine Idee gibt, hat Herr Scholz gestern schon eine Zahl genannt: 1 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt. Das heißt de facto: der gleiche Betrag für mehr Ausgaben. Wir reden hier alle über das Thema Verteidigung. Da würden viele von uns mitstimmen. Die Frage ist aber: Wo kommt das Geld her? Wollen Sie weniger für das Erasmus-Programm, weniger für Forschung, weniger für den ländlichen Raum ausgeben? Wo soll denn das Geld für die zusätzlichen Aufgaben, von denen Sie reden, herkommen? Den geringen Betrag hat nicht Herr Schäuble genannt, sondern Herr Scholz, seines Zeichens SPD-Mitglied. Ich hatte beim Lesen des Koalitionsvertrages wirklich die Hoffnung, dass sich etwas ändert. Aber auf die schwarze Null folgt jetzt leider die rote Null. Sie haben Ihre Mitglieder mit Europa in die Große Koalition gelockt; doch jetzt lassen Sie Europa im Regen stehen. Das ist ein Best-Practice-Beispiel für Politikverdrossenheit. ({2}) Vor unseren Augen zerfällt die EU, in 20 Jahren wird sie vielleicht zerfallen sein. Dann müssen wir uns die Fragen stellen lassen: Was habt ihr, was haben Sie damals eigentlich getan? Was werden Sie antworten? Ich finde, dass man bei der Regierung Angst und Mutlosigkeit spürt, Angst vor der AfD, deren Vertreter dort sitzen, die alles tun wollen, um Europa kaputtzumachen, um unserer Demokratie zu schaden, um unser Deutschland zu spalten. ({3}) – Das können Sie gerne noch hinzufügen. Wenn Sie sich selber als „Faschisten“ bezeichnen, umso besser. Das kam jetzt von Ihnen. ({4}) Deswegen, liebe Koalition, ganz besonders liebe CSU aus Bayern, zeigen Sie doch einmal, wie mutig wehrhafte Demokraten sind, wenn es darum geht, sich für Europa einzusetzen. Argumentieren Sie und sagen Sie, was es bedeutet, wenn man gemeinsam Aufgaben annimmt, dass das etwas kostet, dass wir aber ganz viel davon haben. ({5}) Diesen Mut erwarte ich von dieser Regierungskoalition. Da wir gerade über Demokratie sprechen, frage ich: Wie möchten Sie die Demokratie innerhalb Europas durchsetzen? Wir wissen, dass Herr Orban nicht mehr an unserer Seite für eine liberale Demokratie eintritt. Das sagt er selber. ({6}) Hat das Konsequenzen in Europa? Unserer Meinung nach muss das Konsequenzen haben, und zwar auch für die Vergabe von EU-Geldern. Es darf aber nicht so sein, wie manche von Ihnen es vorschlagen, dass dann das ganze Land keine Gelder mehr bekommt, sondern dass Herr Orban dann nicht mehr die Macht über die Geldvergabe haben darf.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, so leid es mir tut: Auch Sie müssen zum Ende kommen.

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. – Vielmehr müssen die Kommunen direkt Gelder beantragen können. Damit stärken wir die Demokratinnen und Demokraten vor Ort statt diejenigen, die die Demokratie abbauen. Das wäre unser Anspruch an einen europäischen Haushalt. Ich hoffe, dass Sie sich dafür einsetzen. Ich danke Ihnen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Thorsten Frei. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorredner sind bereits darauf eingegangen, dass sich unsere Welt fundamental verändert hat. Als die deutschen Regierungsvertreter im Januar 2014 auf der Münchner Sicherheitskonferenz davon gesprochen haben, dass Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernehmen müsse, hätte man noch glauben können, dass man die Konsequenzen zunächst einmal ausführlich debattieren kann. Schon wenige Tage später, mit der Annexion der Krim im März 2014, sind wir von der Wirklichkeit eingeholt worden. Dann haben wir eine sehr enge Abfolge und Taktung internationaler Krisen und Herausforderungen erlebt, die uns deutlich gemacht haben, dass es unser elementares Interesse sein muss, in der Welt, aber vor allen Dingen auch im Krisenbogen um Europa herum, in unserer Nachbarschaft einen aktiven Beitrag zu mehr Sicherheit, mehr Stabilität und mehr Frieden zu leisten. Wenn wir uns mit der aktuellen Wirklichkeit auseinandersetzen, dann müssen wir das, glaube ich, relativ ernüchtert konstatieren. Deshalb, glaube ich, ist es wichtig, dass wir das Forum des Deutschen Bundestages auch für einen gesellschaftlichen Diskurs darüber nutzen, welche außenpolitischen Ziele wir eigentlich verfolgen, in welchem übergeordneten Rahmen wir das tun wollen, welche Mittel wir brauchen, um diese Ziele zu erreichen, und ob wir die Mittel, die wir dafür brauchen oder zu brauchen glauben, tatsächlich haben. Dann können wir Wirklichkeit und Anspruch miteinander abgleichen. Unser Grundgesetz sagt schon in der Präambel, dass wir dem Frieden in der Welt dienen wollen und sollen. Es ist nicht nur deshalb, weil wir Exportweltmeister sind, unser ureigenes Interesse, das zu tun, sondern es geht auch darum, uns vor internationalem Terrorismus, vor ungeordneter Migration und vielem anderen mehr zu schützen. Es ist für uns vollkommen klar, in welchem Ordnungsrahmen wir das tun wollen: im Rahmen einer liberalen Weltordnung, die es zu stärken und zu unterstützen gilt, im Rahmen des Multilateralismus, im Rahmen der Europäischen Union, der NATO, der Vereinten Nationen. Wir wollen das regelbasiert tun, weil wir auf die Stärke des Rechts und nicht auf das Recht des Stärkeren setzen ({0}) und weil wir glauben, dass wir auf dieser Basis unseren Beitrag leisten können. Was das für den aktuellen Haushalt und den Einzelplan 05 bedeutet, sieht man, glaube ich, klarer, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich anschaut, was in den letzten Jahren passiert ist. Wenn man, wie es die Bundeskanzlerin heute Vormittag formuliert hat, den gesamten Instrumentenkasten der Außenpolitik in den Blick nimmt – die Wirtschaftspolitik, die Entwicklungspolitik, die Diplomatie, die Sicherheits- und Verteidigungspolitik –, dann wird deutlich, welche Notwendigkeiten, um die wir uns kümmern müssen, bestehen. Im zivilen Bereich hat gerade der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ aus dem Jahr 2004 wie eine Initialzündung gewirkt. Damals hatten wir im Haushalt 13 Millionen Euro für zivile Krisenprävention bereitgestellt, heute sind es 316 Millionen Euro. Es kam in diesem Zeitraum also fast zu einer Verfünfundzwanzigfachung. Im Bereich der humanitären Hilfe gab es von 2004 bis 2017 fast eine Verdreißigfachung des Ansatzes: von 40 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro. Man muss in Rechnung stellen, dass hier eine Entwicklung stattgefunden hat, bei der wir unserer Verantwortung gerecht geworden sind. Wir bewerben uns nicht nur um einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat, sondern hinterlegen dies auch mit finanziellen Mitteln, mit Personal und mit tatsächlicher Unterstützung. Auch das muss man bei der Beurteilung der Sachlage in Rechnung stellen. ({1}) – Ja, da gebe ich Ihnen recht. Beim Geld sind wir besser als beim Personal; auch das kann man mit Zahlen belegen. Was das Geld angeht, sind wir bei der UN viertgrößter Geber. Im Bereich des UNHCR, des World Food Programme und anderem sind wir hinter den USA zweitgrößter Zahler. Aber wir haben tatsächlich noch ein bisschen Luft, wenn es darum geht, für die personelle Ausstattung zu sorgen. Das gilt nicht nur für die Blauhelmmissionen, sondern auch für das zivile Engagement, beispielsweise im Hinblick auf Juristen und Polizisten. Auch da gilt die europäische Komponente. Europa hat sich kürzlich mit den zivilen Einsatzmandaten beschäftigt und festgestellt, dass von den notwendigen Stellen – etwa 2 000 – gerade mal 75 Prozent besetzt werden können. Das ist eine Mahnung an uns, dass wir mit unseren personellen Kompetenzen, die ja da sind, sowohl im europäischen wie auch im weltweiten Rahmen mehr tun müssen. Dafür wollen wir die Voraussetzungen schaffen. Das wird mit Sicherheit nicht nur für das nächste Jahr, sondern auch für die darauffolgenden Jahre eine Aufgabe sein. Wir sind in der Debatte auch darauf eingegangen, dass sich die Rahmenbedingungen verändert haben, dass wir nicht nur im Nahen und Mittleren Osten, sondern auch andernorts sehen, dass sich die USA aus internationaler Verantwortung zurückziehen und selbstverständlich, wie immer in der Politik, kein Vakuum entsteht, sondern andere Kräfte in die Leerstelle drängen. Wenn man in den Nahen Osten schaut, sieht man, dass das Länder wie die Türkei, der Iran und Russland sind, und immer kann man sagen: Das, was nachkommt, ist nichts Besseres, sondern bringt uns, ganz im Gegenteil, neue, zusätzliche und größere Probleme. Gerade vor diesem Hintergrund müssen wir uns wirklich Gedanken darüber machen, wie wir uns effektiver aufstellen können. Norbert Röttgen hat den Rahmen, in dem wir uns bewegen müssen, aus meiner Sicht ganz hervorragend gezeichnet. Wenn wir in Zukunft Handlungsfähigkeit erreichen wollen, dann müssen wir mehr Geld zur Verfügung stellen, um die ODA-Quote im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit zu erreichen, aber auch um unsere Verpflichtungen in der NATO zu erfüllen. Es ist nicht akzeptabel, dass alle europäischen Länder zusammen noch nicht einmal halb so viel für Sicherheit und Verteidigung aufwenden wie die USA alleine. Zum anderen ist es nicht akzeptabel, dass wir damit nur 15 Prozent der Effektivität und Leistungsfähigkeit der Amerikaner erreichen. Dafür brauchen wir in der Tat mehr Zusammenarbeit. Hier hilft uns die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit, und ich plädiere dafür, dass wir darüber hinaus auch die Interventionsinitiative der Franzosen ernst nehmen. Wir müssen in diesem Zusammenhang auch die Briten und andere europäische Partner mit einbinden, damit wir zu effektiven und leistungsfähigen Lösungen kommen. Herzlichen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Frei. – Als Nächstes für die SPD-Fraktion der Kollege Axel Schäfer. ({0})

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa steht zu Recht im Mittelpunkt der heutigen Debatte, und die grundlegende Frage lautet: Wer bestimmt die Debatte, die Hoffnungsträger oder die Bedenkenträger? Macron hat wichtige Vorschläge sowohl in Richtung des Haushalts – auch in Richtung eines europäischen Finanzministers – als auch zu den Themen Cybersicherheit, CO 2 -Reduzierung und „ökosoziale Standards in Handelsbeziehungen“ gemacht. ({0}) Er hat eine ganze Palette an Themen angesprochen, bis hin zum Spitzenkandidaten bei der Europawahl. ({1}) Ich sage Ihnen für die SPD: Wir werden alle Vorschläge von Macron positiv aufnehmen und diskutieren und schauen, dass wir mit ihm und anderen Mehrheiten dafür in Europa bekommen. Dafür wird die Sozialdemokratie stehen. ({2}) Um das zu verdeutlichen: Der zentrale Satz des Finanzministers gestern in der Haushaltsrede lautete: Für Deutschland ist das gemeinsame Europa das wichtigste Anliegen. – Weil er das weiß, weiß er natürlich auch um das Verhetzungspotenzial, das damit verbunden ist. Das zeigt sich auch in dieser Debatte, in der Begriffe wie „Zahlmeister“ und „Übertragung von Kompetenzen nach Brüssel“ eine Rolle spielen. „Zahlmeister“ ist der zentrale Hetzbegriff, der manchmal unwissend, oft aber bösartig eingesetzt wird, ({3}) um deutlich zu machen: Wir wollen kein europäisches Deutschland; es geht eigentlich um ein deutsches Europa. Damit wird alles verschwiegen, was gemeinsam in Frieden erreicht worden ist. ({4}) Vor allen Dingen wird unterschlagen, dass wir in Deutschland die wirtschaftlichen und auch finanziellen Gewinner dieses Einigungsprozesses sind. Dass die Verhetzung nicht nur in Debatten eine Rolle spielt, haben wir in Großbritannien erlebt. 30 Jahre konservative Hatz gegen Brüssel – unterstützt leider auch durch viele Medien, mit Dingen, die mit Fakten überhaupt nichts zu tun haben, vorurteilsbasiert – haben dazu geführt, dass eine demokratisch stabile Mehrheit in einem Land gegen ihre eigenen Interessen, gegen ihre eigenen Erfahrungen und auch gegen ihren eigenen Einfluss votiert hat. ({5}) Das wissen wir. Deshalb wird es darauf ankommen, wie wir jetzt die Selbstbehauptung Europas schaffen. Im Koalitionsvertrag steht bei dem neuralgisch deutschen Punkt auch etwas dazu. Jawohl, wir sind bereit, dafür mehr Geld einzusetzen. Das gehört dazu, weil wir eben nicht nur den Preis von Dingen kennen, sondern auch den Wert dieser Gemeinschaft zu schätzen wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Eine entscheidende Frage wird auch sein, wie wir uns parlamentarisch aufstellen. Es ist ein großer Gewinn, dass wir jetzt über die EU hinaus in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates für diese europäische Demokratie kämpfen, auch bei einzelnen Problemen von Abgeordneten, wo es um Korruption und anderes geht. Es ist gut, dass die deutsche Delegation dort, dass CDU/CSU, FDP, Grüne, Linke und SPD gemeinsam in diese Richtung gehen. Ich appelliere, dass wir das genauso weitermachen: für die Legitimität dieser Vertretung, für die demokratische Akzeptanz und für das, was die Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten. ({7}) Ich bitte um eines, nämlich darum, dass wir hier nicht nur über Europa, die parlamentarische Zusammenarbeit und alles Schöne reden, sondern es auch praktizieren. Ich appelliere an alle Fraktionen – wie gesagt, FDP, CDU/CSU, Grüne, Linkspartei und auch an meine eigene –: Lasst uns im nächsten Jahr das Europäische Parlament so ernst nehmen, wie es sich gehört. Lasst uns den Kalender des Bundestages ändern. Es kann nicht sein, dass der Bundestag seine Plenarwoche bis zum 24. Mai abhält – am 23. Mai hat dann schon die Europawahl begonnen –, und nach außen der Eindruck entsteht, die wichtigste Wahl auch für die Bundesebene interessiert den Deutschen Bundestag nicht. Das müssen wir ändern, um deutlich zu machen, dass wir einen wichtigen Beitrag in dieser Kampagne leisten. Vielen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer. – Als Letztem erteile ich dem Kollegen Alois Karl für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der CSU wird das weggeknapst, lieber Norbert Röttgen, was du zu viel geerntet hast. Aber das kommt dich teuer zu stehen, muss ich gleich am Anfang sagen. ({0}) Um ehrlich zu sein, ich hätte dir noch länger zuhören können. Wenn die Redezeit Thorsten Frei weggenommen worden wäre, wäre mir das noch lieber gewesen. ({1}) Aber sei es, wie es sei: Es ist gut, dass zumindest bei der CDU/CSU ein Haushaltspolitiker spricht. Wir beraten ja heute den Haushalt. Aber all das andere, was ich gehört habe, war auch sehr interessant. ({2}) Zum Schluss muss alles finanziert werden. Das wollte ich dazu noch sagen. Herr Dr. Lindner, Ihr Klatschen hat mich dazu animiert. Es muss alles finanziert werden, was man an Vorschlägen hört, und die Arbeit muss getan werden. Mir fällt dazu ein Spruch des griechischen Helden Odysseus ein, nachdem er zehn Jahre im Trojanischen Krieg war und zehn Jahre für die abenteuerliche Heimfahrt mit ihren schwierigen Aufgaben gebraucht hat. „Heureka“, hat er gesagt, als er in sein Königreich Ithaka gekommen ist. Das heißt so viel wie: Es ist geschafft. Ich bin da. Wir haben es vollbracht. So weit ist es bei uns noch nicht, lieber Herr Außenminister. Heureka können wir noch nicht sagen, aber wir sind dabei, unseren Haushalt gut zusammenzustellen. Auch die Älteren hier im Saal können sich kaum an eine Periode erinnern, in der wir wie jetzt 20 Monate lang keinen Haushalt aufgestellt hätten. Im September 2016 war es, als wir das letzte Mal einen Haushalt aufgestellt haben. Die Zeit ist dann mit Vorwahlkampf, Wahlkampf und Koalitionsverhandlungen vergangen, die dann gescheitert sind – Herr Link, Sie persönlich waren nicht schuld, aber Ihre Partei –, und auch das etwas bockige Herumgemäkel der Sozialdemokraten hat uns daran gehindert, früher an die Arbeit zu gehen. Jetzt haben wir Gott sei Dank den Haushalt in der Vorlage des Herrn Minister Scholz vorliegen. Wir lesen ihn in diesen Tagen, dann folgen die Berichterstattungen dazu, und Anfang Juli werden wir den Haushalt abschließend beraten. Es handelt sich um einen Rekordhaushalt mit einem Volumen von 341 Milliarden Euro. Das Wichtigste vorweg: Die schwarze Null steht auch bei einem sozialdemokratischen Minister. Die schwarze Null gehört schließlich zum Markenkern der Haushaltspolitik der Union. Wir freuen uns, dass Minister Scholz in die großen Fußstapfen von Wolfgang Schäuble getreten ist, der vier Jahre nacheinander keine neuen Schulden gemacht hat, und auch in die Fußstapfen von Franz Josef Strauß, der davor der Letzte war, der 1969, also vor fast 50 Jahren, Haushalte ohne neue Schulden aufgestellt hat. In den letzten 50 Jahren – das ist die 68er-Generation – ist manches passiert. Schade, dass Minister Scholz nicht mehr anwesend ist. Sonst hätte ich gesagt, dass manche in dieser Zeit viele Haare gelassen haben. Ich habe in der letzten Woche ein Jugendfoto von ihm gesehen. Ich glaube, dass das im Führerschein nicht mehr zu verwenden ist. ({3}) Wir stellen Haushalte auf, meine sehr geehrten Damen und Herren, weit über das Prinzip Hoffnung hinaus. Wir können uns auf eine solide arbeitende Wirtschaft und gute Steuereinnahmen verlassen, die in wesentlichen Teilen den Gemeinden, den Kommunen und den Ländern zugutekommen, nicht dem Bundeshaushalt. Wir haben im Koalitionsvertrag 46 Milliarden Euro für vordringliche Aufgaben festgeschrieben. In den letzten vier Jahren haben wir 23 Milliarden Euro angespart. Wer von 23 Milliarden 46 Milliarden Euro ausgeben will, dem kann ich nur sagen: Man kann über alles diskutieren, bloß nicht über Adam Riese. Trotzdem meine ich, dass wir das fehlende Geld aufgrund der gut funktionierenden Wirtschaft noch einnehmen werden. Wichtig ist für die Haushälter auch, dass wir alle europäischen Haushaltskriterien einhalten. Die schwarze Null hatte ich bereits erwähnt. Das Defizitkriterium bei der Gesamtverschuldung werden wir im nächsten Jahr erfüllen. Ich will Minister Scholz herzlich gratulieren und dafür loben, dass ihm mit dem neuen Staatssekretär Werner Gatzer ein guter Zug gelungen ist. Er hat die Weichen richtig gestellt und setzt mit dem neuen Staatssekretär, einem tüchtigen Mann, auf das richtige Gleis. Der Haushalt des Auswärtigen Amts ist ebenfalls ein Rekordhaushalt, sehr geehrter Herr Minister. Mit 5,35 Milliarden Euro haben wir mehr als in den Jahren zuvor eingestellt, auch wenn die Haushaltsabrechnung 2017 etwas mehr auswies. Ich muss den lieben Freund Bijan etwas korrigieren. Wir freuen uns, dass wir dieses Jahr weniger für die Beiträge zu den Vereinten Nationen ausgeben müssen. Wir sparen 220 Millionen Euro und müssen dieses Geld nicht an die Kasse der Vereinten Nationen überweisen. Das ist nicht so schlecht. Das solltest du nicht als mittlere Katastrophe apostrophieren. Im Gegenteil: Es ist gut, dass wir dieses Geld nicht ausgeben müssen. Es wurde bereits gesagt – ich wiederhole und vertiefe das –, dass wir gerade auf dem Sektor der humanitären Hilfe Unglaubliches leisten. Ich erinnere daran, dass wir in den letzten fünf Jahren unsere Ansätze von damals 105 Millionen Euro auf heute 1,5 Milliarden Euro erhöht haben. Das ist ein superguter Ausweis unserer humanitären Einstellung in der Welt. Wir helfen dort, wo wir helfen können. Das ist aller Ehren wert. ({4}) Wir werden zusammen mit dem Minister den Haushalt durchgehen. Beim letzten Haushalt haben wir mehr als 40 Veränderungen vorgenommen und Mittel in Höhe von mehr als 640 Millionen Euro von einer Position zur anderen verschoben. Wir haben auf diese Art und Weise auch mit Ihren Vorgängern gute Haushalte zustande gebracht. Ich bin sicher, dass wir unsere Wertschätzung gegenüber den Bediensteten gerade in den Auslandsbotschaften zum Ausdruck bringen werden. Wir haben über 153 Botschaften in der ganzen Welt. Die Sicherheitslagen haben sich verändert. Die Gefährdungen sind größer geworden, sodass wir hier manche Ausgaben tätigen müssen. Lieber Kollege Bijan, wir nehmen auch Einsparungen vor, zum Beispiel bei Konferenzen und Tagungen. Hier müssen wir 48 Millionen Euro, die wir im letzten Jahr für den G-20-Gipfel bereitgestellt haben, nicht mehr ausgeben. Gott sei Dank brauchen wir das Geld nicht mehr und wird es keine bürgerkriegsähnlichen Situationen mehr geben, wie wir sie in Hamburg erlebt haben. Die Dinge sind besser geworden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich auf den fruchtbaren Dialog mit Ihnen, lieber Herr Minister Maas. Es wird uns eine Freude sein, den Haushalt Anfang Juli dieses Jahres in der gewohnt soliden Art und Weise zu präsentieren. Vielen herzlichen Dank. ({5}) Herr Präsident, ich habe nicht so viel überzogen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

45 Sekunden.

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herrn Röttgen wird nichts erspart.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Karl, herzlichen Dank für Ihren Beitrag. – Zur Ehrenrettung des Kollegen Röttgen muss ich sagen: Nicht er schuldet Ihnen ein Getränk, sondern der Parlamentarische Geschäftsführer Manfred Grund; denn er hat entschieden, dass eine Minute Redezeit nicht bei dem Kollegen Frei abgezogen wird, sondern bei Ihnen. Ich möchte jetzt darum bitten, dass ich zur Hälfte an dem Getränk beteiligt werde. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bringen den Haushalt 2018 ein und beraten jetzt den Einzelplan 14. Er ist in der Reihe vieler Haushalte natürlich eine Momentaufnahme. Ich möchte deshalb bei der Einbringung einige Punkte aufnehmen, die auch in der Debatte heute Morgen zur Sprache gekommen sind. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir uns noch einmal gemeinsam klarmachen, woher wir kommen. 1990, im Jahr der Wiedervereinigung, hat Deutschland 2,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Verteidigung investiert. Niemand hat damals Angst vor Deutschland gehabt oder gesagt, es sei hoch militarisiert oder sonst etwas. Danach setzte, übrigens am Anfang völlig berechtigt, ein Prozess ein, in dem reformiert wurde, womit über viele Jahre eine Schrumpfung und Kürzung einherging, Stichwort „Friedensdividende“. Zu Recht haben wir alle gedacht, es werde immer ruhiger um uns herum. Aber dann kamen 2010 die Finanzkrise und ihre Auswirkungen. Das geschah 20 Jahre nach der Wiedervereinigung. Andere Institutionen hatten viel Speck angesetzt; es war ihnen gut gegangen; sie hatten einen Aufwuchs erlebt. Das galt für die Bundeswehr nicht: Sie hatte bereits 20 Jahre Schrumpfung hinter sich. Dann kam mit der Wirtschafts- und Finanzkrise eine zusätzliche Sparauflage, die dazu führte, dass es unter die Grasnarbe und an die Substanz ging: Es wurden Ersatzteilketten gekappt. Es wurden Materiallager aufgebraucht und nicht mehr aufgefüllt. Es wurden Obergrenzen eingezogen, unter die die Bundeswehr schrumpfen sollte. Wir haben von der Substanz gelebt. Ich möchte einfach vorweg sagen: Es ist ein langer Prozess gewesen von 2,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigungsausgaben in 1990 bis zum Tiefpunkt 25 Jahre später: 1,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im Jahr 2015. Es kam dann das Jahr 2014. Unser Bundespräsident hat es richtig zusammengefasst mit den Worten: Die Welt ist aus den Fugen geraten. – Sie kennen die Stichworte. Unsere Bundeswehr musste in den Einsätzen mehr leisten. Ganz neu war die Friedensmission MINUSMA der Vereinten Nationen. Wir mussten für Irak und Syrien neue Einsätze auf die Beine stellen. Hinzu kamen die Mission Sophia im Mittelmeer, die Flüchtlinge gerettet und Schlepper und Schleuser bekämpft hat, und die NATO-Aktivität in der Ägäis, um nur einige zu nennen. Außerdem kam eine zweite Aufgabe hinzu, die zuvor lange vernachlässigt worden war: die Landes- und Bündnisverteidigung. Wir mussten im Baltikum Air Policing machen, und wir machen es bis heute. Wir waren die allererste Nation, die bereit war, den Testpiloten für die schnelle Speerspitze, die VJTF, auf die Beine zu stellen. Wir sind das einzige kontinentaleuropäische Land, das unsere östlichen Nachbarn in Litauen schützt. Sie wissen, dass die Briten in Estland sind, die Kanadier in Lettland. Wir sind in Litauen die Rahmennation und die Amerikaner in Polen. Hinzu kam, dass Übungen verdoppelt wurden. Wenn Sie das alles addieren, sehen Sie, dass wir mit altem Material und weniger Ersatzteilen mehr leisten mussten. Daher muss man sich nicht wundern, wenn die Decke überall zu kurz ist und es immer wieder knirscht. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen, das ist die Aufgabe der nächsten Jahre. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion der Linken?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Ich möchte gern im Fluss bleiben. Aber wir können gern nachher Kurzinterventionen machen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ich muss Sie aber trotzdem fragen.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Das war der Punkt, an dem wir die Trendwenden begonnen haben. Die Bundeswehr wächst jetzt wieder. Man darf nicht vergessen: Beim zivilen Personal haben wir zehn Jahre lang einen Einstellungsstopp gehabt. Zehn Jahre keine jungen Menschen mehr! Die Obergrenzen sind abgeschafft. Ich danke dem Parlament noch einmal für das Vertrauen. Wir können endlich wieder atmen, der Situation angepasst. Wir investieren wieder mehr in die Bundeswehr. Die Beschaffungsaufträge haben sich im Volumen in der letzten Legislaturperiode verfünffacht, um die Lücken zu füllen. Die Finanzlinie steigt. Aber wir sind gerade mal am Anfang. Das heißt, wir brauchen über mehrere Jahre eine nachhaltig, stetig steigende Finanzlinie. Zu der Bemerkung, die ich manchmal hören muss: Ihr könnt euer Geld ja gar nicht ausgeben. ({0}) Jedes Jahr seit dem Jahr 2014 haben wir den gesamten Etat des Einzelplans 14 ausgegeben. ({1}) 2014 haben wir den gesamten Etat ausgegeben, so wie man zum Beispiel auch im Arbeitsministerium titelübergreifend arbeiten darf, was ich als ehemalige Arbeitsministerin weiß; Sie wissen das ebenfalls. Es gibt auch andere Ressorts, die titelübergreifend arbeiten können. Wir haben im Jahr 2014 den gesamten Etat ausgegeben; ({2}) 2015, 2016 ebenso. Die einzige Ausnahme war das Jahr 2017. Da sind 0,2 Prozent, also von 37 Milliarden Euro gerade mal 78 Millionen Euro, nicht ausgegeben worden – aus einem einzigen Grund: weil vor der Bundestagswahl die 25-Millionen-Vorlage für die Heron TP nicht mehr verabschiedet werden konnte; Sie alle kennen diese Geschichte. ({3}) Deshalb ist es gut, dass wir die Heron TP im Koalitionsvertrag gemeinsam verankert haben. Das sicherheitspolitische Konzept ist da. Das ist das Weißbuch der Bundesregierung 2016, das wir gemeinsam im Kabinett, in der Großen Koalition beschlossen haben, und das ist das im Koalitionsvertrag verankerte Prinzip der vernetzten Sicherheit, der Pakt für vernetzte Sicherheit. Ja, Sicherheit kostet Geld. Allein mit Lippenbekenntnissen werden wir die Sicherheit für Europa nicht schaffen und werden wir – der Kollege Müller weiß das besser als ich – auch Sicherheit und Stabilität in Afrika nicht herstellen können. Unsere Soldatinnen und Soldaten werden wir mit warmen Worten allein auch nicht bestmöglich und modern ausrüsten und ausstatten können. Das Verteidigungskonzept ist da, das Weißbuch 2016. Ich habe vor 14 Tagen die Konzeption der Bundeswehr dem Parlament zugeleitet. Darin sind drei Prinzipien festgeschrieben: Gleichrangigkeit von Einsätzen und – neu – Landes- und Bündnisverteidigung – da müssen wir viel nachholen –; Multinationalität und Integration der Streitkräfte; Modernisierung, zum Beispiel Cyber. Wir haben Quantensprünge gemacht beim Thema Cyber. Wir haben in der letzten Legislaturperiode eine sechste Dimension aufgestellt. Neben Luftwaffe, Heer, Marine, SKB und Sanität gibt es die sechste Dimension, nämlich die Cybertruppe. 14 000 Männer und Frauen sind in dieser Cybertruppe. Wir haben das Forschungszentrum CODE mit 13 Professuren auf den Weg gebracht. Wir haben an der UniBw München einen internationalen Masterstudiengang auf den Weg gebracht; er hat in diesem Jahr begonnen. Wir haben hier in Berlin den Cyber Innovation Hub gegründet, der hinausgeht und im Ökosystem der Start-ups die Technologien sucht, die uns interessieren. Wir haben in diesem Haushalt 2018 verankert, dass wir eine Agentur für disruptive innovative Cybertechnologien auf den Weg bringen, gemeinsam mit dem Innenministerium. Da hat DARPA gedanklich Pate gestanden. Meine Damen und Herren, das sind die Investitionen der Zukunft, die wir gemeinsam brauchen. Multinationalität und Integration. Ja, wir wollen transatlantisch bleiben – gar keine Frage; die Bundeskanzlerin hat heute Morgen viel dazu gesagt –, aber wir wollen auch europäischer werden. Ich höre hier immer wieder: Antwort auf Macron. – In seiner Rede an der Sorbonne vom September letzten Jahres fordert er „une Europe qui protège“ – ein Europa, das schützt –, und dann führt er genau das an, was wir schon zu diesem Zeitpunkt deutsch-französisch als Initiative auf den Weg gebracht hatten. Das heißt, wir sind vorangegangen. Wir sind die Pioniere gewesen in der deutsch-französischen Initiative, um gemeinsam eine europäische Verteidigungsunion aus der Taufe zu heben. Wir haben geliefert. Wir haben im Dezember des letzten Jahres die europäische Verteidigungsunion – das ist die PESCO – geschaffen. 25 der bald 27 europäischen Staaten sind Mitglied in der PESCO. Wir haben eine Planungsprozesscharta auf den Weg gebracht, womit endlich dafür gesorgt wird, dass wir uns in Europa auch abstimmen. Im Augenblick ist gerade der neue Europäische Verteidigungsfonds im Trilog. Die Kommission will ihn, das Europäische Parlament will ihn, Mitgliedstaaten wollen ihn. Der Europäische Verteidigungsfonds ist genau das richtige Instrument, um der Fragmentierung, die zu Recht immer wieder in Europa beklagt wird, ein Ende zu machen. Aber, meine Damen und Herren, der Fragmentierung werden wir kein Ende machen – es gibt ja derzeit 178 Waffensysteme in Europa, völlig zersplittert und überhaupt nicht aufeinander abgestimmt –, wenn wir nicht bereit sind, zunächst einmal in das Neue, in das Gemeinsame auch zu investieren. Das bekommt man nicht zum Nulltarif. Am Anfang müssen wir investieren. Später werden wir dann Skaleneffekte haben und höhere Wirtschaftlichkeit erzielen. Vor diesem Hintergrund sind diese Investitionen wichtig. ({4}) Ein klassisches Beispiel dafür ist die Eurodrohne, auf den Weg gebracht gemeinsam von Deutschland und Frankreich, jetzt auch von Spanien und Italien. Das wird das gemeinsame Pilotprojekt innerhalb der europäischen Verteidigungsunion sein. Das heißt, so kann man mit Bezug auf die Rede von Macron sagen: Das ist bereits ein Beispiel. So macht man ein Europa, das schützt. Wir gehen auch voran bei der Armee der Europäer. Wir werden mit der deutsch-französischen Brigade die Trainingsmission in Mali ab November übernehmen. Ich bin morgen in Bergen und werde dort mit der niederländischen Kollegin die niederländische Brigade besuchen, die in eine deutsche Division integriert ist. Mit ihr gemeinsam werden wir die nächste schnelle Speerspitze der NATO stellen. Wir werden gemeinsam einen Letter of Intent für die Digitalisierung landbasierter Operationen der Zukunft unterschreiben. Das, meine Damen und Herren, ist ganz pragmatisch die gelebte europäische Verteidigungsunion. Ganz zum Schluss möchte ich noch einmal festhalten: Der Pakt für vernetzte Sicherheit, den wir gemeinsam im Koalitionsvertrag beschlossen haben, beinhaltet, dass weder ODA-Quote noch NATO-Quote sinken sollen, sondern sich in einem Zielkorridor nach oben bewegen sollen, dass also, wenn ein Ressort zusätzliche Mittel bekommt, das andere Ressort bzw. die jeweils anderen Ressorts, also AA und BMZ vice versa BMVg, dann auch eins zu eins zusätzliche Mittel bekommen. Das haben wir gemeinsam als Pakt für vernetzte Sicherheit im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Deshalb möchte ich mit Ihrer Erlaubnis, Frau Nahles, gerne den letzten Satz aus Ihrer Rede heute Morgen zitieren: Fangen wir doch einfach an, das umzusetzen, was wir verabredet haben! Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Frau Bundesministerin. – Als Nächstes für die AfD-Fraktion der Kollege Rüdiger Lucassen. ({0})

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank! Der vorgelegte Verteidigungshaushalt passt zu Ihnen. Er ist konsequent auf Linie Ihrer Politik der letzten 25 Jahre. Er steht in völliger Übereinstimmung mit Ihrem Verantwortungsbewusstsein für die Sicherheit unseres Landes. Der Entwurf fügt sich nahtlos ein in Ihr Verständnis von Bündnissolidarität, in Ihr Verständnis von internationalen Vereinbarungen und in Ihren Politikstil, nämlich einen größtmöglichen Abstand zwischen Reden und Handeln zu halten. ({0}) Frau Ministerin von der Leyen, wie oft haben Sie davon gesprochen, dass die Welt um uns herum gefährlicher geworden ist, und wie oft haben Sie Ihre sogenannten Trendwenden hinsichtlich Material und Personal beschworen? Wenn dieser Verteidigungshaushalt Ihre Antwort auf die sicherheitspolitische Lage und den erbärmlichen Zustand unserer Streitkräfte ist, dann ist Ihnen nicht mehr zu helfen. ({1}) Es vergeht kein Tag ohne Hiobsbotschaften über den Zustand der Bundeswehr. Jetzt schmeißen sogar Jet- und Hubschrauberpiloten frustriert ihren Traumberuf hin. Die Regierung vernichtet nicht nur die Wehrfähigkeit Deutschlands, sie zerstört auch Lebensentwürfe von jungen Frauen und Männern in unserer Bundeswehr. ({2}) Wissen Sie eigentlich, wie die Bundeswehr in der Öffentlichkeit und in den sozialen Medien dasteht? Als Witz. Sie haben unsere Bundeswehr zu einem Witz gemacht. So wollen Sie geeignetes und motiviertes Personal rekrutieren? Mit dem Verteidigungshaushalt, den die Bundesregierung hier vorgelegt hat, kann unsere Bundeswehr nicht wieder einsatzbereit gemacht werden. Im Gegenteil: Mit ihm kann noch nicht einmal der weitere Verfall aufgehalten werden. Die AfD will die Vollausstattung der Bundeswehr. ({3}) Wir halten es für eine Selbstverständlichkeit. Natürlich ist der erste Auftrag der Streitkräfte die Landes- und Bündnisverteidigung. Nehmen Sie einmal an, Deutschland hätte keine Bundeswehr. Würden Sie dann Streitkräfte aufstellen, um nach Mali und Afghanistan zu gehen? Natürlich nicht. Wenn der Bundestag unsere Soldaten also in den Auslandseinsatz schickt, dann kann das immer nur eine Ausnahme sein, streng begründet durch Recht und das nationale Interesse Deutschlands. Auslandseinsätze dürfen in keinem Fall den originären Auftrag unserer Streitkräfte gefährden: die Landes- und Bündnisverteidigung. ({4}) Wehrfähigkeit heißt Quantität. Ihre Politik hat die Substanz unserer Streitkräfte aufgezehrt. Die Bundeswehr muss wieder wachsen. Ich sage Ihnen auch wie: Als Zielmarke peilen wir eine Gesamtstärke von 240 000 Soldaten an. Wir orientieren uns dabei an dem Ergebnis der Weizsäcker-Kommission. Diese Zielmarke ist ohne Wehrpflicht nicht sicherzustellen. Sie aufzugeben war ein schwerer Fehler, der korrigiert werden muss. Wir brauchen unsere Wehrpflicht zurück. ({5}) Darüber hinaus müssen wir die Aufwuchsfähigkeit der Bundeswehr sicherstellen. Die AfD fordert ein Reservistenkorps, ähnlich der amerikanischen Nationalgarde – gut bezahlt, regelmäßig trainiert und im Inland einsetzbar. Zielmarke: 50 000 Reservisten. ({6}) Dies alles verlangt nicht nur einen höheren Verteidigungsetat. Wir brauchen auch ein Konzept zur territorialen Verteidigung, auf dessen Basis beschafft und gegliedert werden kann. Der Verteidigungsetat 2018 muss an den Stellen aufgestockt werden, wo marktverfügbare Lösungen auf dem Tisch liegen. Er muss aber auch dort gesteigert werden, wo Forschung und Technologie notwendig sind, um die Bundeswehr wieder zu dem zu machen, was sie einmal war: ein ernstzunehmender Faktor im Bündnis und das Rückgrat unserer Wehrfähigkeit. ({7}) Verteidigungspolitik braucht Kontinuität und Planungssicherheit. In Wales hat sich Deutschland verpflichtet, den Verteidigungsetat auf jährlich 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu steigern. Was das bedeutet, trauen Sie sich nicht auszusprechen. Ich möchte Ihnen helfen: Die AfD bekennt sich zu Wales und der Zielmarke von 70 Milliarden Euro für den Verteidigungsetat jährlich ab 2025. Die Bundesregierung muss ein klares Bekenntnis dazu ablegen, bis wann sie das 2-Prozent-Ziel erreicht haben will. Falls sie das nicht will, sollte sie es allerdings auch offen aussprechen. Meine Damen und Herren, leider ist von dieser Bundesregierung nicht zu erwarten, dass sie die notwendige Kursänderung vornimmt. Dafür hat sie weder den Willen noch die Kraft. Ursula von der Leyen steht dafür exemplarisch. Viereinhalb Jahre, Frau Ministerin! Das ist zur Führung des Verteidigungsressorts eine lange Zeit. In dieser Zeit hätten Ergebnisse kommen müssen. ({8}) In der Presse wird bereits seit Monaten darüber spekuliert, wohin die politische Reise der Ministerin geht. Die meisten sagen: nach Brüssel. Ich wünsche uns und den Soldaten der Bundeswehr, dass in Brüssel schnell ein Posten frei wird. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, herzlichen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir schreiben jetzt Geschäftsordnungsgeschichte. Während der Rede der Bundesministerin der Verteidigung hat der Kollege Dr. Neu um eine Zwischenfrage gebeten. Die Ministerin hat die Zwischenfrage nicht zugelassen, sondern erklärt, sie wolle im Anschluss mit dem Kollegen Neu sprechen. Ich habe bedauerlicherweise das vehemente Winken nicht richtig aufgenommen. Der Kollege Dr. Neu wollte zu einer Kurzintervention starten, die ich jetzt zulassen werde. ({0}) – Liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich darum bitten, dass wir jetzt einfach die Kurzintervention des Kollegen Dr. Neu hören. Wenn Sie, Frau Ministerin, darauf antworten wollen, können Sie Ihre Redezeit mit Ihrer Antwort auch noch ausweiten. Ich lasse diese Kurzintervention zu.

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie verwirren mich ein wenig. Sie haben in Ihrer heutigen Rede dargelegt, die Bundeswehr sei sozusagen schlecht ausgerüstet, und dafür müssten weitere Milliarden von Steuergeldern lockergemacht werden, um die Bundeswehr zu modernisieren. Sie haben am 24. April – mit Blick auf den vierten Etat der Bundeswehr – einen Brief, den Sie unterschrieben haben, an alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages geschickt. Darin schreiben Sie, dass die Bundeswehr eine hochmoderne, engagierte und einsatzbereite Armee ist. Also, was stimmt denn nun, das eine oder das andere? Ist sie „einsatzbereit“ und „hochmodern“, oder ist sie eine unzureichend ausgerüstete veraltete Armee?

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Ministerin, bitte.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Die Bundeswehr ist eine hochmoderne Armee. Ich habe Ihnen eben das gesamte Cyberthema präsentiert. Vor vier Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass wir bei den internationalen Treffen der Cybernationen – das sind eine Handvoll – mit am Tisch sitzen. Da sitzen wir inzwischen. Die Bundeswehr ist eine einsatzbereite Armee. Wir haben uns vor allen Dingen immer auf den Bereich der Einsätze konzentriert; das ist auch richtig so, da geht es um Leben und Tod. Jetzt stehen wir vor der Herausforderung, dass wir zunehmend Landes- und Bündnisverteidigung machen müssen, zum Beispiel im Rahmen der VJTF, also der schnellen Speerspitze im Jahr 2019. Auch da werden wir die Einsatzbereitschaft sicherstellen; aber der Preis ist hoch, da es noch viele Lücken und zum Teil hohle Strukturen gibt. Der Preis ist hoch, da wir die Truppen und das Material aus anderen Verbänden dem Verband zur Verfügung stellen müssen, der 2019 die VJTF ermöglichen wird. Deshalb wollen wir eine Trendwende und die Modernisierung und die Erhöhung der Einsatzbereitschaft der Kräfte. Im Jahr 2023 stellen wir wieder die schnelle Speerspitze, VJTF 2023, und wir wollen diese Brigade mit eigenen Kräften, eigenen Mitteln und eigenem Material so ausstatten, wie sie es verdient. Deshalb sind Investitionen in die Zukunft nötig. Vielen Dank. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Das hat sich doch gelohnt. – Dann fahren wir fort in der Debatte. Als Nächstes hat das Wort der Kollege Fritz Felgentreu von der SPD. ({0})

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns gerade in einer engagierten Debatte darüber, ob diese Republik genug in die eigene Wehrhaftigkeit und ihre Bündnisfähigkeit investiert. Das Bundesverteidigungsministerium betrachtet den vorliegenden Haushaltsentwurf dafür noch nicht als geeignete Grundlage – das ist interessant –, kritisiert diesen, hat dann aber trotzdem zugestimmt. Das ist ein ungewöhnlicher Vorgang, über den der Bundestag sprechen sollte. Viele Beobachter der politischen Landschaft gehen davon aus, dass dieser Konflikt überhaupt nur deswegen in dieser Offenheit ausgetragen wird, weil das Finanz- und das Verteidigungsministerium in der neuen Bundesregierung von Ministern mit unterschiedlichen Parteibüchern geführt werden. ({0}) In der letzten Bundesregierung gab es die gleichen Probleme auch schon, aber eben nicht diese Art von offener Debatte. Ich möchte auf solche parteipolitischen Aspekte der Auseinandersetzung heute nicht eingehen; vielmehr geht es mir im Kern um die Frage, wozu die Bundesrepublik Deutschland seit 1956 Jahr für Jahr große Summen für ihre Streitkräfte ausgibt und das auch in Zukunft tun wird. Im Grundgesetz steht dazu in Artikel 87a kurz und klar: Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Diese schöne Norm hat eine Vorgeschichte. Cäsar hat einmal in einer unübertroffenen Formel eines seiner berühmtesten Worte gesagt: Si vis pacem, para bellum. – Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor. Auf Deutsch hat diese Formulierung nicht die gleiche lapidare Kraft. Aber der Satz bleibt doch der Grundgedanke jeder echten Verteidigungspolitik, die eben keine Kriegspolitik ist; denn es geht nicht um Aggression, sondern um die Fähigkeit, einem Aggressor die Stirn zu bieten. Dafür haben wir die Bundeswehr. Dafür sind wir auch Teil der NATO. Dank diesem Verteidigungsbündnis kommen wir heute als Volk von 80 Millionen Menschen in der Mitte Europas mit einer unglaublich kleinen Armee von weniger als 200 000 Soldatinnen und Soldaten aus. Als Teil der NATO sind wir dann aber auch verpflichtet, entsprechend der Größe und der wirtschaftlichen Kraft dieses Landes einen angemessenen Beitrag zu leisten. ({1}) An Cäsars Formel, am Auftrag des Grundgesetzes und an unseren Bündnispflichten müssen wir jeden, also auch den vorliegenden Haushalt messen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht darum, ob wir genug tun, um auf mögliche militärische Herausforderungen vorbereitet zu sein. Im Zentrum dieser Frage steht die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, über die wir gerade in den letzten Monaten immer wieder Bitteres lesen und hören mussten. Unsere Streitkräfte sind seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine im Umbruch. Strukturell haben Regierung und Bundestag sie seit zwei Jahrzehnten darauf ausgerichtet, in weltweiten Einsätzen einen Beitrag zur Stabilisierung von Krisenregionen zu leisten. Aber 2014 hat der große, militärisch handlungsfähige Nachbar Russland die strategische Entscheidung getroffen, die eigenen Streitkräfte ohne Rücksicht auf internationales Recht einzusetzen, um seine Interessen durchzusetzen: zuerst auf der Krim, dann im Donbass und später in Syrien. Mit dieser Entscheidung Moskaus hat sich die Sicherheitslage in Europa und darüber hinaus grundlegend verändert. Seitdem muss die Bundeswehr auch wieder die von uns lange vernachlässigten Aufgaben der Bündnis- und Landesverteidigung schultern und stößt dabei erkennbar an ihre Grenzen. Es war deshalb richtig, schon in der 18. Legislaturperiode die Trendwenden bei Personal, Ausrüstung und Finanzierung einzuleiten. ({2}) Trendwenden bei der Ausbildung und bei der Geschwindigkeit der Umsetzung müssen sie ergänzen, damit sie wirken. Ob wir den erreichten Zwischenstand positiv oder negativ bewerten, hängt davon ab, was wir unter Einsatzbereitschaft verstehen. Halten wir die Bundeswehr schon für einsatzbereit, solange sie in der Lage ist, ihre Zusagen und die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen, dann ist die Bundeswehr einsatzbereit. Sie kann die Mandate des Bundestages tragen, und sie füllt ihre Rolle in der NATO aus: bei gemeinsamen Manövern, mit der Präsenz im Baltikum und dadurch, dass sie 2019 erneut die Speerspitze der NATO für Ost- und Mitteleuropa bildet, also binnen fünf Tagen eine verlegbare und voll ausgestattete Heeresbrigade stellt. Das schafft sie aber nur unter größter Kraftanstrengung. Hier in Deutschland muss die Bundeswehr dafür auf Ausrüstung verzichten, die sie eigentlich für die Ausbildung und den Truppendienst braucht. Verstehen wir unter Einsatzbereitschaft aber die Fähigkeit zum Kampf in der ganzen Breite unserer Streitkräfte, meine Damen und Herren, dann sind wir davon weit entfernt. Es fehlt dazu an fast allem: an Personal, an modernem Gerät, an Kommunikationsmitteln, an Munition, besonders auch an Ersatzteilen und technischen Kapazitäten. Aber gerade diese Fähigkeit ist es doch, die den eigentlichen Sinn und Zweck einer Armee ausmacht, die auf neue Gefahren vorbereitet ist. Die große Aufgabe dieser Legislaturperiode wird es sein, einen spürbaren Fortschritt dabei zu erreichen, dass wir die Folgen der jahrelangen Mangelwirtschaft überwinden. Dabei, meine Damen und Herren, ist Geld wahrlich nicht das einzige Problem. Im Gegenteil: Viel zu oft ist es dem Verteidigungsministerium in den letzten Jahren gar nicht gelungen, die für Entwicklung und Beschaffung vorgesehenen Haushaltsmittel überhaupt auszuschöpfen. ({3}) Bei Unteroffizieren und Offizieren sind laut Bericht des Wehrbeauftragten über 20 000 Stellen nicht besetzt, obwohl sie vorhanden wären. Am Bundesamt für Ausrüstung, also ausgerechnet bei der Behörde, die dafür sorgen muss, dass die Truppe alles hat, was sie braucht, ist jede fünfte Stelle vakant. Offensichtlich müssen wir große Anstrengungen unternehmen, damit die Arbeit dort für fachlich geeignete Nachwuchskräfte, für Hochschulabsolventen, für ehemalige und aktive Soldaten, wieder attraktiv wird. Eines ist klar: Bevor wir hier im Deutschen Bundestag sinnvoll darüber diskutieren können, ob die geplanten Ausgaben für die Bundeswehr ausreichen, müssen erst einmal das Ministerium und die Bundeswehrverwaltung ihre Hausaufgaben machen. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Felgentreu, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pflüger von den Linken?

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, im Moment nicht. Ich möchte diesen Gedanken gern zu Ende führen.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Bitte.

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber wir können uns gerne hinterher darüber austauschen. ({0}) – So ist es. ({1}) Das heißt, das Verteidigungsministerium und die Bundeswehrverwaltung müssen ihre Handlungsfähigkeit steigern und ihre Effektivität unter Beweis stellen. Die SPD will eine mit Personal, Waffen und Gerät voll ausgestattete Bundeswehr. Ohne eine starke Bundeswehrverwaltung werden wir diese nicht bekommen. Damit wir diesem Ziel Schritt für Schritt näherkommen, wird der Verteidigungsetat bis 2021 um über 10 Prozent wachsen. Im Vergleich zur 18. Legislaturperiode werden die Ausgaben sogar um 16 Prozent, von 140 auf über 160 Milliarden Euro, steigen. Das Verteidigungsministerium darf die zugeteilten Mittel auch über das Haushaltsjahr hinaus ausgeben. Das heißt, es können auch am Jahresende noch Bestellungen gemacht werden, die erst nach der Lieferung im Folgejahr bezahlt werden müssen. Wir wollen zudem alle rechtlichen Spielräume nutzen, um auf langwierige europäische Ausschreibungen zu verzichten, wo immer das sicherheitspolitisch erforderlich ist. Für all das erwarten wir aber auch, dass es in Zukunft für jede Verzögerung bei Beschaffungsvorgängen, für jede gescheiterte Verhandlung, für jedes technische Problem einen Plan B, C, D und E gibt, der in der Schublade liegt und der die Bundeswehr voranbringt. Kommt der neue Hubschrauber nicht, dann wird das vorgesehene Geld eben für Lastwagen oder für Nachsichtgeräte ausgegeben. ({2}) – Da die Versorgungslücken überall sind, Kollege Lindner, kann es für nicht abgeflossene Investitionsmittel in Zukunft keine Ausrede mehr geben. Entscheidungsreife, gut vorbereitete Beschaffungsvorhaben werden im Bundestag nicht scheitern. Im Übrigen, meine Damen und Herren, gilt der Koalitionsvertrag. Er sieht vor, dass zusätzliche finanzielle Spielräume mit Priorität für Entwicklung und Verteidigung genutzt werden. Und am Ende wird ein Haushalt stehen, den die gesamte Regierung geschlossen einbringt und den die gesamte Koalition gemeinsam beschließt. ({3}) Eine geteilte Verantwortung der Aufgaben für die Bundesrepublik Deutschland kann und wird es nicht geben – weder in der Innenpolitik noch in der Sozialpolitik noch in der Frage, was diese Republik in ihre Wehrhaftigkeit und ihre Bündnisfähigkeit investiert. ({4}) Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Kollege Pflüger, ich gebe Ihnen die Gelegenheit zu einer Kurzintervention von zwei Minuten. ({0})

Tobias Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004852, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Ich habe eigentlich eine sehr konkrete Frage an den Kollegen von der SPD. Die Ministerin hat vom Beschaffungsprojekt Heron TP gesprochen. Dieses Projekt hat die SPD damals kurz vor der Bundestagswahl im Verteidigungsausschuss bzw. Haushaltsausschuss absetzen lassen. Jetzt haben wir die Mitteilung bekommen, dass die Koalition offensichtlich plant, dieses Projekt Heron TP nun gemeinsam umzusetzen. Zur Information sage ich noch einmal: Es handelt sich um eine bewaffnungsfähige Drohne, die da erworben werden soll. Als Gesamtkosten werden einmal 897 Millionen Euro und einmal über 1 Milliarde Euro genannt. Es gibt eine sogenannte Angebotsbindefrist bis zum 31. Mai. Da bin ich sowieso gespannt, wie das Verteidigungsministerium das machen will. Meine Frage an den SPD-Kollegen ist: Sind Sie jetzt im Gegensatz zur Zeit vor der Bundestagswahl, als Sie gegen die Anschaffung dieser bewaffnungsfähigen Drohnen waren, jetzt, nach der Bundestagswahl, offensichtlich für die Beschaffung dieser bewaffnungsfähigen Drohnen? Wir Linke sagen nämlich ziemlich klar: Bewaffnungsfähige Drohnen sollte die Bundeswehr nicht bekommen. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Kollege Felgentreu, möchten Sie antworten?

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Pflüger, ich bin ganz froh, dass ich Ihre Zwischenfrage vorhin nicht zugelassen habe; denn das ist ja wirklich ein ganz anderes Thema. Ich antworte Ihnen aber sehr gerne darauf. Erstens: Es ist nicht ganz richtig, was Sie eben gesagt haben. Schon in der letzten Legislaturperiode hat die SPD gesagt: Dem Vorhaben, eine bewaffnungsfähige Drohne anzuschaffen, können wir uns anschließen, weil heute mit dem erforderlichen technischen Standard auch zu Aufklärungszwecken überhaupt nur noch bewaffnungsfähige Drohnen erwerbbar sind. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Zweitens: Wir haben damals aber gesagt: Wir wollen sie nicht bewaffnungsfertig kaufen. Die Vorlage, die im Sommer 2017 in den Bundestag kam, sah aber bereits eine Stufe der Bewaffnungsfertigkeit vor. Das war der Streit, den wir damals hatten. In der Zwischenzeit ist Folgendes passiert: Wir hatten eine Bundestagswahl, und wir hatten eine Regierungsbildung. Während der Regierungsbildung gab es Verhandlungen, und das Ergebnis dieser Verhandlungen finden Sie im Koalitionsvertrag. Im Koalitionsvertrag steht: Wir werden noch in diesem ersten Halbjahr die Vorlage bekommen, um diese bewaffnungsfähigen Drohnen anzuschaffen. Über die Frage, ob sie irgendwann auch einmal bewaffnet werden sollen, wird dieser Bundestag noch einmal in einer breit angelegten Debatte beraten. ({0}) Die Ergebnisse dieser Debatte nimmt der Koalitionsvertrag nicht vorweg. Das ist der Stand, den wir heute haben. Allerdings liegt die Vorlage bisher noch nicht vor. Ich hoffe, ich habe Ihnen damit erschöpfend Auskunft erteilen können. ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Dann setzen wir die Debatte fort mit dem Kollegen Karsten Klein von der FDP, ({0}) der heute seine erste Rede im Deutschen Bundestag hält. ({1})

Karsten Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004780, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die internationale Sicherheitslage macht es zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zwingend nötig, dass die Bundeswehr auf zwei sicherheitspolitischen Feldern einsatzbereit ist. Das sind zum einen die Auslandseinsätze und zum anderen die Landesverteidigung. Wir Freie Demokraten sehen klar, dass sich die Bundesrepublik diesen Herausforderungen stellen muss; denn dies dient der Verteidigung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und unseres Gemeinwesens. Im Zentrum unserer Parlamentsarmee stehen natürlich die Soldatinnen und Soldaten. Nebenbei erwähnt: Die Personalausgaben sind im Haushalt des Einzelplans der größte Posten. Egal welches Zukunftsszenarium wir zugrunde legen, es werden Menschen sein, die die zentrale Rolle bei der Verteidigung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung spielen. Deshalb wird es entscheidend sein, über welche Fähigkeiten die Menschen verfügen, mit welcher Ausrüstung sie ausgestattet sind und wie motiviert sie bei der Erfüllung ihrer Aufgaben sind. Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben die deutsche Öffentlichkeit im Januar 2014 wissen lassen: Mein Ziel ist es, die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland zu machen. Die Realität, liebe Kolleginnen und Kollegen, sieht heute leider anders aus. Die Unzufriedenheit bei den Soldatinnen und Soldaten ist erschreckend hoch. Beispielhaft hierfür steht die Rede von Kapitän zur See Jörg-­Michael Horn, vom März 2018, in der er deutlich macht, wie er das Vertrauen in die politische Führung der Bundeswehr verloren hat. Frau Ministerin, es herrscht Misstrauen zwischen Ihnen und Teilen der Truppe. Wir Freien Demokraten halten es für dringend geboten, dass Sie das Verhältnis mit den Soldatinnen und Soldaten klären; denn es ist unablässig für die Motivation der Bundeswehr. ({0}) Entscheidend zur Schwächung der Motivation und zur Fähigkeit der Bundeswehr trägt aber die aktuelle Situation bei der Ausrüstung bei. Die Lage ist kritisch, die Mängelliste lang, egal ob wir über U-Boote, Puma oder den A400M reden. Eine abschreckende Wirkung der Bundeswehr ist kaum vorhanden. Wir Freien Demokraten sehen es für dringend geboten an, dass die Ausrüstungsmängel behoben werden. Die Aufwüchse im Verteidigungshaushalt sind beachtlich. Beachtlich, Frau Ministerin, ist aber auch, wie wenig bei der Truppe ankommt. ({1}) Der Beschaffungsprozess dauert zu lange. Immer dann, wenn die Beschaffung ausgelöst ist, ist die Durchführung mit Problemen behaftet. Es gibt kaum ein Projekt, das im Kosten- und Zeitrahmen bleibt. Jahr für Jahr wird ein großer Anteil der zur Verfügung gestellten Mittel im Bereich der Rüstungsinvestitionen nicht ausgegeben. 2 Milliarden Euro, Frau Ministerin, haben Sie in Ihrer Amtszeit für Rüstungsinvestitionen liegen lassen. Im Hinblick auf den gesamten Haushalt verweise ich auf die Zwischenrufe der Fraktionsvorsitzenden der SPD, Frau Nahles, die ich in dieser Debatte sehr bemerkenswert finde. ({2}) Frau Ministerin, das Beschaffungswesen der Bundeswehr gleicht unter Ihrer Führung einem Trichter. Sie versuchen permanent, die Trichteröffnung zu erweitern, aber der Ablauf im Trichter bleibt genauso eng wie vorher. Das alles ist aber kein effizienter Einsatz von Haushaltsmitteln. ({3}) Dem Willen des Deutschen Bundestages, die Parlamentsarmee besser auszustatten, kommt die Bundeswehr unter Ihrer Führung nur unzureichend nach. ({4}) Bevor Sie also große, weitere Aufwüchse einfordern, sollten Sie dafür Sorge tragen, dass die von uns Ihnen anvertrauten Mittel auch ausgegeben werden, und zwar zielgerichtet. Geradezu erschreckend ist, wenn man feststellen muss, dass es nicht nur die großen Investitionsprojekte sind, die die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr und die Einhaltung der Bündniszusagen infrage stellen. Nein, es sind vor allem auch die kleinen Anschaffungen in geringer Finanzhöhe. Zum Beispiel fehlt eine Dichtung für den Kühlkreislauf im Eurofighter. Letzte Woche erreichte uns die Meldung, dass die Übungsteilnahme der Bundeswehr durch das Fehlen von sage und schreibe 6 400 Sturmhauben im Einzelwert von 6,41 Euro gefährdet ist. Liebe Frau Ministerin, das zeigt: Die aktuell größte Herausforderung für Sie ist, die Prozesse in den Griff zu bekommen, bei kleinen und großen Projekten. Es ist höchst bedauerlich für die Soldatinnen und Soldaten, dass Ihnen das in den letzten viereinhalb Jahren nicht gelungen ist. ({5}) Insofern möchte ich am Schluss noch mal festhalten: Die vom Bundestag zur Verfügung gestellten Mittel erreichen nur eingeschränkt ihre Ziele. Wir empfehlen Ihnen dringend, dafür Sorge zu tragen, dass sich das ändert; denn das wird der Schlüssel dazu sein, dass die Aufwüchse auch zu einer besseren Einsatzfähigkeit der Bundeswehr führen. Dafür zu sorgen, Frau Ministerin, ist Ihre Verantwortung. Ich würde – um im Bild von Odysseus zu bleiben, das wir gerade in der vorhergehenden Debatte hatten – dringend empfehlen, dass Sie nicht zehn Jahre warten, bis Sie den Zickzackkurs und das Herumirren beenden. Tun Sie das schnell, am besten gleich. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Als nächsten Redner rufe ich auf: Michael Leutert, Bündnis – – nicht Bündnis 90/Die Grünen, sondern Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Auf alle Fälle noch, Herr Präsident, wahrscheinlich auch immer. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da wir uns ja offensichtlich in der letzten Legislaturperiode der Ära Merkel befinden, ({0}) möchte ich einen Blick auf den Anfang werfen, auf 2005, als die Ära begann. Da fällt im Übrigen Folgendes auf: Frau Ministerin, Sie haben sich zumindest am längsten an der Spitze des Hauses gehalten; alle vier Männer vor Ihnen haben es nicht so lange geschafft. ({1}) Trotzdem: Fünf Verteidigungsminister in 13 Jahren – das spricht nicht gerade für Kontinuität. ({2}) Ganz anders sieht es allerdings bei den Finanzen aus. Dort gibt es nämlich Kontinuität. Im Jahr 2005 wurde ein Verteidigungsetat von 24 Milliarden Euro übernommen, und 2018 soll er bei 38,5 Milliarden Euro liegen. ({3}) Ich spreche hier noch nicht über die Finanzplanung. Wenn man diese Aufwüchse zusammenaddiert, kommt man auf einen Betrag von 109 Milliarden Euro, die in diesen 13 Jahren zusätzlich zum Bundesministerium der Verteidigung geflossen sind. Das heißt, die Verteidigungsminister hatten jedes Jahr gut 8 Milliarden Euro mehr zur Verfügung als im Jahr 2005. ({4}) Trotzdem gibt es leider auch bei einem anderen Punkt Kontinuität, nämlich bei den Problemen. Es wurde hier schon mehrfach angesprochen: Flugzeuge und Hubschrauber fliegen nicht, U-Boote tauchen nicht, Schiffe schwimmen nicht, und alles wird immer teurer. Jeder, der konkrete Beispiele haben möchte, kann zum Beispiel in den Bericht des Wehrbeauftragten – er sitzt ja hier und hört auch zu – hineinschauen. Darin ist im Zusammenhang mit dem Transportflugzeug A400M davon die Rede, dass zeitweise keine der 14 Maschinen einsatzbereit war, oder im Zusammenhang mit den U-Booten, dass kein einziges fahrbereites U-Boot mehr zur Verfügung steht. ({5}) Wenn man nicht so weit zurückschauen will, entdeckt man in diesem Monat auf „Spiegel Online“ zwei Dinge, erstens die Schlagzeile: „Luftwaffe hat nur vier kampfbereite ‚Eurofighter‘“ – von 128. Zweitens war Folgendes zu lesen: Weil nicht einmal ein Drittel der Hubschrauber einsatzbereit sind – ich spreche im Übrigen nicht von der Studiensammlung in Koblenz, sondern von den realen Geräten –, können die Piloten keine Flugstunden absolvieren, verlieren ihre Lizenz, und die Bundeswehr kauft beim ADAC Flugstunden ein, damit weiterhin Lizenzen vergeben werden können. – ({6}) Das alles passiert, obwohl jedes Jahr 8 Milliarden Euro mehr zur Verfügung standen. Jetzt soll einer Finanzplanung zugestimmt werden, nach der das Verteidigungsministerium gemessen an den Istausgaben 2017 in den nächsten Jahren – bis 2022 – 22,5 Milliarden Euro mehr bekommt. Ich glaube, das ist der völlig falsche Weg; denn es geht hier nicht einfach nur um mehr Geld. Wir müssen feststellen, dass wir keine effektiven Strukturen und ein schlechtes Management haben – das ist das Problem der Bundeswehr. ({7}) Man kann es ja auch mal mit ähnlichen Größenordnungen vergleichen, zum Beispiel mit Frankreich oder Großbritannien, die eine ähnliche Truppenstärke, aber mehr Großgeräte haben. Mir sind solche Probleme aus diesen Ländern in der Größenordnung nicht bekannt. ({8}) Und nun wird ja die Geisterdebatte um die 2-Prozent-Quote geführt. Sie entspräche 70 Milliarden Euro, die pro Jahr für Verteidigung ausgegeben werden müssten. An dieser Stelle möchte ich gerne den ehemaligen Außenminister Sigmar Gabriel zitieren, der auf der Sicherheitskonferenz 2017 Folgendes sagte: Griechenland sei eines der Länder, die dieses Ziel – mit einer Quote von 2,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – erreicht hätten, „während man gleichzeitig die Renten nicht auszahlen“ könne. Man solle darüber nachdenken, „ob dies zu mehr Stabilität in Griechenland führt“. Recht hat er. ({9}) Ich denke schon, dass wir hier endlich mal zu der Methode zurückfinden sollten, dass wir erst klären, was denn gewollt ist, worum es denn eigentlich geht. Man kann nicht einerseits immer von Bündnisverteidigung sprechen und andererseits, wenn man mehr Geld braucht, dies mit der Landesverteidigung begründen. Im Übrigen: Mit dem Begriff „Landesverteidigung“ nähern wir uns langsam der linken Programmatik an; denn in unserem Grundsatzprogramm steht: Bundeswehr als Landesverteidigungsarmee. – Es muss also geklärt werden: Was ist die Aufgabe? Dann kann man darüber diskutieren, wie viel Geld das kostet, und erst dann kann man eine Entscheidung treffen. Das betrifft auch die Großgeräte – es wurde gerade angesprochen –: der Einkauf oder das Leasing von Drohnen Heron TP. Auch hier wird eine Scheindebatte geführt. Ob es nun bewaffnungsfähige Drohnen oder bewaffnete Drohnen sein sollen oder, wie ich jetzt in einer Vorlage vom Verteidigungsministerium gelesen habe, bewaffnungsfertige Drohnen – das ist doch überhaupt nicht die Frage, die uns interessiert. Die Frage ist doch: Wozu braucht man überhaupt Drohnen? Wofür sollen sie eingesetzt werden? Erst wenn über diese Frage politisch diskutiert und politisch entschieden wurde, kann man die Folgefragen klären. Aber das ist bisher nicht passiert, obwohl angekündigt wurde, dass das eigentlich in einer breiten Debatte geklärt werden soll. Zusammenfassend kann man sagen: Dieser Haushalt leistet keinen Beitrag zu mehr Sicherheit. Das Einzige, was passiert, ist, dass das Bundesministerium für Verteidigung dem Etat real Geld entzieht, das für sinnvolle Vorhaben ausgegeben werden könnte, die mehr Sicherheit bringen. Vielen Dank. ({10})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner ist Dr. Tobias Lindner für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für mich ist es das siebte Mal, dass ich hier vorne stehe und über einen Verteidigungshaushalt debattiere. Ich will den Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition zugestehen: Ich bin angesichts des Streits der letzten Wochen ein bisschen überrascht, dass es heute überhaupt einen Etatentwurf gibt, über den man debattieren kann. So etwas habe ich, ehrlich gesagt, noch nicht erlebt: Der Etatentwurf war im Kabinett noch nicht beschlossen, da bricht schon ein öffentlicher Streit aus. Frau von der Leyen und Herr Müller erzählen überall, dass sie eine Protokollerklärung im Bundeskabinett abgegeben hätten, weil sie den Etat in der jetzigen Form kritisch sähen und mehr Geld brauchten. Sie, Frau von der Leyen, fordern einen zweistelligen Milliardenbetrag. Olaf Scholz sagte gestern hier, dass ein verteidigungspolitisches Konzept nicht allein dadurch gut wird, dass es teuer ist. Recht hat er. Dann kommt auch noch der geschätzte Kollege Kahrs – er ist leider nicht mehr hier; vermutlich muss er Korvetten kaufen gehen – und sagt, ({0}) die Strukturprobleme in Ihrem Haus seien nicht gelöst, Sie hätten immer 1 Milliarde Euro an den Finanzminister zurückgegeben. Das alles findet öffentlich statt: hier im Haus, im „Spiegel“, in der „Frankfurter Allgemeinen“ und in der „taz“. ({1}) Als interessierter Haushälter frage ich nach: Was ist der Wortlaut Ihrer Protokollerklärung, Frau von der Leyen? Frau Hagedorn aus dem BMF – leider ist sie nicht hier – ({2}) – ah, sehr gut – antwortete mir: Die Sitzungen der Bundesregierung sind vertraulich. – Ja, herzlichen Dank, Frau Kollegin Hagedorn. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, was Sie die letzten Wochen aufgeführt haben, hat mehr mit mittelmäßigem Kabarett zu tun als mit seriösen Beratungen eines Verteidigungsetats. Das hilft den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern nicht, und es hilft erst recht nicht der Truppe. ({3}) Dabei fällt eines völlig hinten runter, Frau von der Leyen: Sie bekommen schon verdammt viel mehr Geld. ({4}) Wenn man sich den Unterschied vom 50. zum 51. Finanzplan der Bundeswehr anschaut, stellt man fest: Sie haben 9 Milliarden Euro zusätzlich erhalten. Die Eckwerte zum 52. Finanzplan sehen weitere 2,7 Milliarden Euro vor. Das sind fast 12 Milliarden Euro. 12 Milliarden Euro! Diese Zahl muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Das ist mehr, als das Auswärtige Amt, über das wir zuvor gesprochen haben, als Etatansatz hat. ({5}) Dabei hat sich im Vergleich zu den Koalitionsverhandlungen, bei denen Sie sich auf den 51. Finanzplan festgelegt haben, überhaupt nichts geändert. Erklären Sie mir doch bitte, was sich in den letzten vier Monaten geändert haben soll, dass Sie mit einer zweistelligen Milliardenzahl um die Ecke kommen. Wenn dem wirklich so ist, dann machen Sie Ihren Job nicht richtig. Wenn es allerdings schon vor vier Monaten einen Grund dafür gab, dann müssen Sie sich fragen lassen, warum Sie damals keine Protokollerklärung abgegeben haben, Frau von der Leyen. ({6}) Es gibt noch einen weiteren Punkt. Sie verweisen ständig – heute haben Sie es wieder getan – auf die vielen Aufgaben, die die Bundeswehr zu leisten hat. Ja, die Bundeswehr leistet viel, unter anderem international bei Einsätzen innerhalb der NATO. Aber diese Aufgaben fallen doch nicht vom Himmel. Wir, der Deutsche Bundestag, legen die Aufgaben fest. Deshalb sage ich, Frau von der Leyen: Sie können nicht nur im Vorfeld eine transparente Debatte über das Weißbuch führen, Ihren Staatssekretär dann im Verteidigungsausschuss sagen lassen, es sei gar nicht vorgesehen, über die Konzeption der Bundeswehr zu debattieren, und dann so tun, als hätten diese Dokumente Aufgaben erzeugt, für die wir jetzt die Rechnung bezahlen müssen. So geht es nicht. ({7}) Da wir eine Parlamentsarmee haben, müssen wir zuerst hier, in diesem Haus, vernünftig über Auftrag und Aufgabe diskutieren, bevor Sie am Ende des Tages mit irgendeiner Rechnung kommen können. ({8}) Ein letzter Punkt in Sachen Geldausgeben: Es ist unstreitig, dass Sie das Geld des gesamten Verteidigungsetats irgendwie loswerden. Sie haben in Ihrem Haushalt, der übrigens flexibilisiert ist wie kaum ein anderer, bewusst Staubsauger eingebaut. Die Auslandseinsätze zum Beispiel haben Sie eher auf unterem Level veranschlagt, und auch die Personalausgaben haben Sie eher zu gering veranschlagt, damit das Geld, das im Bereich Rüstung liegen bleibt, umgeschichtet werden kann, sodass Sie sich dann hierhinstellen und sagen können: Ich habe das Geld komplett ausgegeben. – Was Sie da produzieren, ist eine Gleichzeitigkeit von Überfluss und Mangel. Wenn Sie so agieren, müssen Sie ja ein Konzept haben, bei dem von vornherein feststeht, dass bei den Rüstungsausgaben Geld liegen bleibt; denn sonst wären Sie ja gar nicht in der Lage, das Personal zu bezahlen. Nein, meine Damen und Herren, das hat mit seriöser Haushaltspolitik, das hat mit einem seriösen Verteidigungshaushalt nichts zu tun. Ich kann Sie von der Großen Koalition mit Blick auf die Beratungen in den kommenden Wochen nur auffordern: Hören Sie auf mit dem Kabarett, und kommen Sie zurück zur seriösen Haushaltsberatung. Wir Grüne werden unsere Vorschläge machen. Herzlichen Dank. ({9})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich eine Bemerkung machen. Ich freue mich darüber, dass auch Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr an dieser Aussprache über den Etat der Bundeswehr teilnehmen. Ich begrüße ganz herzlich den Gesamtvertrauenspersonenausschuss und den Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. – Ich möchte mich bei Ihnen, stellvertretend für alle Soldaten und Soldatinnen, für den hohen persönlichen Einsatz bedanken, mit dem Sie unsere Sicherheit gewährleisten. ({0}) Wir fahren in der Debatte fort. Als Nächster hat Henning Otte für die CDU/CSU das Wort. ({1})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Grundgesetz steht in Artikel 87a, dass der Bund die Streitkräfte aufstellt und dass die zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge der Organisation sich aus dem Haushaltsplan ergeben müssen. Deswegen ist es gut und wichtig, dass wir hier miteinander so ausgiebig über den Einzelplan 14 – Verteidigung – diskutieren. Es muss deutlich dargestellt werden, dass wir unsere Streitkräfte finanziell untermauern müssen, damit sie ihren Auftrag erfüllen können. Die sicherheitspolitische Lage hat sich verändert; darauf ist mehrfach, auch in der Debatte über den Haushalt des Auswärtigen Amts, hingewiesen worden. Es besteht Handlungsbedarf für uns in Deutschland, innerhalb der Europäischen Union, innerhalb der NATO, innerhalb der Vereinten Nationen und auch innerhalb der OSZE. Es gilt der Grundsatz, dass wir immer eingebunden agieren, immer vernetzt, nie militärisch allein. Wir müssen aber auch deutlich machen, dass der militärische Einsatz nicht zwingend Ultima Ratio ist. Das ist zwar immer der heftigste Einsatz; aber manchmal ist es wichtig, frühzeitig Stärke zu zeigen, um einen Flächenbrand zu verhindern. Die sicherheitspolitische Lage hat sich komplett geändert. Es ist gut, dass wir als Koalition aus CDU, CSU und SPD hier die Verantwortung deutlich abbilden. Man kann das nicht so machen, wie die Grünen das hier gemacht haben: Mal kritisieren Sie, dass die Diskussion zu offen ist, ({0}) dann kritisieren Sie, dass Kabinettsdiskussionen geheim sind. Mal kritisieren Sie, dass zu wenig ausgegeben wurde, dann kritisieren Sie, dass zu viel ausgegeben wurde. – Das ist der alte Grundsatz der Grünen: Ein bisschen hiervon und ein bisschen davon. Nein, wir brauchen klare Strukturen. Diese bilden sich im Haushalt ab. Wenn in Zeiten eines kompletten sicherheitspolitischen Klimawandels die Gefahr steigt, dann müssen wir den sicherheitspolitischen Deich erhöhen. Das ist Ausdruck unserer Verteidigungspolitik, und das bildet sich im Haushalt ab. ({1}) Die Welt ist instabiler geworden. Das hat vor allem damit zu tun, dass Russlands Politik den Kurs eingeschlagen hat, die Souveränität benachbarter Länder einzuschränken. Da muss ich mit einem Blick nach links, wo es ja ein Näheverhältnis zur russischen Politik gibt, ({2}) aber auch mit einem Blick an die rechte Kante unseres Parlamentes – die Ergebnisse, zu denen Sie kommen, sind ja immer identisch – deutlich sagen, dass die Politik der AfD offensichtlich klar auf den Kalten Krieg ausgerichtet ist, als der Feind deutlich sichtbar war. ({3}) Ich habe den Eindruck, Sie träumen von dieser alten Zeit. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Welt ist komplexer geworden. Da reichen Ihre einfachen Antworten nicht, meine Damen und Herren. ({4}) Wir hatten den klaren Auftrag, zu verhindern, dass sich ein IS-Terrorstaat bildet. Unser Weg war erfolgreich. Er ist nämlich zerschlagen worden. Aber der IS ist weiter vorhanden. Deswegen müssen wir Obacht geben und immer auf das Unvorhergesehene vorbereitet sein. Es war richtig, den Kampf gegen den IS-Terror zu unterstützen. Es war richtig, die Peschmerga auszubilden und auszurüsten. Es ist auch richtig, dass wir weiterhin unseren Beitrag in Afghanistan leisten; denn Afghanistan darf kein Rückzugsort für Terror werden. Es ist richtig und wichtig, dass wir in Mali einen Beitrag leisten, um die stabilen Strukturen dort zu stärken und dafür zu sorgen, dass die Fluchtursachen nicht vermehrt werden. Es ist nach wie vor auch wichtig, dass wir im Kosovo einen Beitrag leisten, um mitten in Europa die Stabilität zu erhalten. Dafür brauchen wir finanzielle Mittel. Für 2018 werden 38,5 Milliarden Euro bereitgestellt. Für 2019 wird mit 41,5 Milliarden Euro, für 2022 mit 42,6 Milliarden Euro geplant. Wir müssen deutlich machen, dass wir den Zielkorridor, den wir in der NATO vereinbart haben, klar im Visier haben. Es geht darum, die Fähigkeiten zu verbessern. Hier stellen wir ganz klar fest: Die Eckwerte, die bisher vorgesehen sind, müssen verstärkt werden. Wir brauchen eine bessere Ausrüstung für unsere Truppe, wir brauchen eine Modernisierung, und wir brauchen eine Fähigkeitsstärkung: bei der Führung, bei der Aufklärung, bei den gepanzerten Fahrzeugen, beim Lufttransport, im Cyberbereich und bei der Kommunikation. Allein die Modernisierung und der Aufbau eines abhörsicheren digitalen Funks werden 5 bis 6  Milliarden Euro in Anspruch nehmen. Die Fraktion Die Linke suggeriert, dies sei die neue Aufrüstung. ({5}) Ich habe den festen Eindruck, auch Sie, Herr Pflüger, kuscheln gern unter der Decke der Sicherheit mit Meinungsfreiheit, Frieden und Freiheit, suggerieren aber, man wolle dafür kein Geld in die Hand nehmen. Ich freue mich ja, wenn auch von Ihrer Partei kritisiert wird, dass Kampfflugzeuge nicht fliegen und dies verbessert werden muss. ({6}) Das ist ein deutliches Indiz dafür – das wollen Sie Ihren Wählern nur nicht deutlich sagen –, dass wir in einer wehrhaften Demokratie auch bereit sein müssen, Geld für die Verteidigung auszugeben. Ich mache Ihnen nur den Vorwurf, dass Sie zwar alle Vorteile in der freien Demokratie nutzen, aber suggerieren, man müsse dafür nichts ausgeben. Deswegen müssen Sie immer Oppositionspartei bleiben, meine Damen und Herren. ({7}) Wir müssen in einem starken Bündnis bereit sein, einen eigenen Beitrag zu leisten. Das Verteidigungsministerium hat festgestellt, dass wir bis 2030 einen Betrag von 130 Milliarden Euro brauchen werden. Dieses Geld wird auch ausgegeben. Wir haben in der letzten Legislaturperiode das Fünffache investiert. Sie sollten aufhören, das Märchen zu erzählen, dass dieses Geld nicht ausgegeben wird. Die Soldaten brauchen eine persönliche Schutzausrüstung, und sie brauchen mehr und modernes Material. ({8}) Wir leisten einen Beitrag innerhalb des Bündnisses, innerhalb der NATO. Aber wir sagen deutlich, dass wir auch auf der Ebene Europas als zweiter Säule der NATO einen wichtigeren Beitrag leisten müssen, und zwar im Rahmen der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit. Sie hat zu einer enormen Prozessbeschleunigung geführt. Aber dieser Prozess muss dynamisiert werden, und zwar in den Bereichen Logistik, Ausbildung und Medizin, aber eben auch beim Kampf. Deswegen war es gut, dass die Verteidigungsministerin mit dem Weißbuchprozess deutlich gemacht hat, wo die sicherheitspolitischen Herausforderungen liegen. Durch die Konzeption der Bundeswehr ist deutlich gemacht worden, wohin wir gehen. Wir müssen jetzt deutlich sagen, welches Fähigkeitsprofil wir brauchen, und dem muss dann auch Rechnung getragen werden. Wir müssen uns in Europa stärker vernetzen, Interoperabilität abbilden und gemeinsam ausbilden, bestellen, nutzen und auch beschaffen. Auch hier muss der europäische Prozess weiter vorangebracht werden. Es muss eine Harmonisierung des Rüstungsprozesses geben. Insgesamt geht es darum, dass wir Frieden und Freiheit gewährleisten. Wir haben im Koalitionsvertrag deutlich abgebildet, dass prioritär Mittel für die Verteidigung auszugeben sind. Die Vergabeordnung muss verbessert, das Haushaltsrecht muss angepasst und Entscheidungswege müssen beschleunigt werden. Wir brauchen die Vollausstattung. Meine Damen und Herren, wir sind an einer Weggabelung. Die sicherheitspolitische Lage hat sich komplett geändert. Haben wir Zeiten hinter uns, in denen wir es uns erlauben konnten, im Verteidigungsbereich zu kürzen und einen Beitrag zur Bewältigung der Wirtschaftskrise zu leisten, geht es jetzt darum, uns so stabil aufzustellen, dass wir wehrhaft bleiben können – immer eingebunden im Bündnis für Frieden und Freiheit, in einem starken Deutschland, in einem vereinten Europa, in einem festen Wertebündnis. Deswegen habe ich mich sehr gefreut, dass der Präsident vorhin den Menschen gedankt hat, die Einsatz für diesen Frieden und Freiheit leisten, nämlich unseren Soldatinnen und Soldaten. Viele Grüße auch an die Angehörigen. Sie sind der Garant für Frieden, und sie stehen ein für Frieden und Freiheit. Dafür brauchen sie auch die finanziellen Mittel. Herzlichen Dank. ({9})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner wäre jetzt eigentlich Martin ­Hohmann für die AfD. Gleichzeitig hat sich der Kollege Lucassen von der AfD zu einer Kurzintervention gemeldet. Wollen Sie beide hintereinander reden? ({0}) Herr Lucassen.

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Kollege Otte, Ihr Redebeitrag enthielt einen Widerspruch, den Sie vielleicht einmal für sich alleine klären sollten. Sie unterstellten der AfD auf der einen Seite, wir wären Freunde der Russischen Föderation, und auf der anderen Seite, wir redeten den Kalten Krieg herbei. Das mögen Sie für sich selbst klären. Nehmen Sie aber bitte, wenn es um das Thema Aggression geht, zur Kenntnis: Die Verteidigungsministerin Frau von der Leyen von Ihrer Partei begründet ihre Trendwenden und die Notwendigkeit, den Verteidigungshaushalt aufzustocken, die Landes- und Bündnisverteidigung zu stärken und deutsche Truppen auch in Litauen zu stationieren, mit der Annexion der Krim durch die Russische Föderation. Wenn das keine aggressive Politik in Zentraleuropa ist, dann müssen Sie vielleicht eine andere Definition finden. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Otte.

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Lucassen, ich sage noch einmal deutlich, dass ich eine Nähe zwischen Ihrer Einstellung und der russischen Politik feststelle, und ich mache deutlich, dass Kernelemente des Friedensbündnisses der NATO gerade Abschreckung und Dialog sind. Das heißt, diese Dialogbereitschaft steht im Vordergrund, und sie wird auch immer wieder abgebildet. Ich habe Ihnen klargemacht, dass Ihre vermeintlichen Antworten, die Sie auf die Herausforderungen der Sicherheitspolitik geben, nicht die Antworten sind, die wir brauchen. Ich bitte, zur Kenntnis zu nehmen, dass die baltischen Staaten selbst um Unterstützung und Präsenz gebeten haben, weil sie sich in ihrer Souveränität gefährdet sehen. Damit bleibe ich bei meinem Fazit: Sie denken in alten Klischees. Deswegen sage ich noch einmal deutlich: Ihre Antworten, die einfach sind, passen nicht zu der komplexen sicherheitspolitischen Herausforderung. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Dann setzen wir jetzt die Debatte fort mit Martin ­Hohmann von der AfD. ({0})

Martin Hohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003152, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 2001 habe ich als Bundestagsabgeordneter dem damaligen Verteidigungsminister Scharping einen Vorschlag unterbreitet: Deutsche Soldaten im Kampfeinsatz – damals Afghanistan – sollten eine Tapferkeitsauszeichnung bekommen können. Die Hauptstadtpresse nahm das amüsiert auf. In Anlehnung an den Orden Pour le Mérite – besonders für die Fliegerasse des Ersten Weltkrieges damals auch „Blauer Max“ genannt – würde der Orden sicher „Schwarzer Martin“ heißen und so in die Annalen eingehen. Ehre, wem Ehre gebührt; Hauptmotiv meines Vorstoßes aber war, dass die gesamte rot-grüne Regierung sich damals gegen eine Erkenntnis mit aller Kraft gesträubt hat, nämlich die Erkenntnis: In Afghanistan herrscht Krieg. Deutsche Soldaten treffen dort auf Feinde, die zu allem entschlossen sind. Deutsche Soldaten können dort fallen, und sie sind auch gefallen. Aber die Begriffe „Krieg“ und „Gefallene“ waren damals noch verpönt. Diese Begriffe gab es im offiziellen politischen Sprachgebrauch nicht, sonst hätte man damals der brutalen Realität ins Auge sehen müssen. Das aber fiel der Politik schon damals schwer. ({0}) Jede Politik beginnt aber mit einer objektiven Analyse, einer Analyse ohne jede Beschönigung. Zur Analyse des Status der Bundeswehr von heute reicht ein Wort: Katastrophe – aber nicht weil die Soldaten nicht motiviert und einsatzbereit wären, sondern weil sie daran gehindert werden, ihren Auftrag zu erfüllen. ({1}) Warum? Darauf gibt es seit vielen Jahren die gleiche Antwort. Ein unverdächtiger Zeuge, ebenfalls aus dem Jahr 2001, ist der damalige grüne Außenminister Fischer. Er sagte: Wenn wir uns etwas vorzuwerfen haben, dann ist es die Tatsache, dass wir im vergangenen Jahrzehnt die Illusion hatten, eine Friedensdividende einnehmen zu können, ohne Investitionen in den Frieden vorzunehmen. Heute fehlt es noch mehr an Waffen, Ausbildung und Ersatzteilen. Die Friedensdividende sollte auch darin bestehen – so haben sich das die damals politisch Verantwortlichen von Rot-Grün über Schwarz-Gelb bis zu Schwarz-Rot so schön ausgerechnet –, dass man bei Beschaffungsaufträgen die recht teure Ersatzteillieferung einfach gestrichen hat. Jeder Autobesitzer weiß: Ohne Ersatzteile läuft das nicht. Für Panzer, Flugzeuge und Hubschrauber sollte das – so war der politische Wille – einfach nicht gelten. Das Ergebnis erleiden unsere Soldaten heute tagtäglich. Die Zeitschrift „Stern“ hat es auf den Punkt gebracht: Fliegt nicht, rollt nicht, taucht nicht. – Ich füge hinzu: Schießt nicht. Mein Fazit: Die Führung der Bundeswehr hat ihren Selbstbehauptungsanspruch aufgegeben. ({2}) Was bleibt, ist das Verwalten des Mangels, das Schönreden des Mangels. Der Vorwurf trifft nicht Sie allein, Frau Ministerin. Sie tragen auch die Sünden Ihrer Vorgänger. Was wir als Opposition Ihnen aber heute vorwerfen: Sie steuern nicht entschieden genug um. Die angekündigte Trendwende ist mehr oder weniger Worthülse. Die Misere setzt sich auch unter Ihnen fort. Trotz hoher Motivation unserer Soldaten wird die deutsche Armee so der Lächerlichkeit preisgegeben. ({3}) Außerdem rächt sich die ausgesetzte Wehrpflicht jetzt immer fühlbarer. Es fehlt geeignetes Personal. Es fehlt Personal auch deswegen, weil vor Jahrzehnten eine verheerende politische Entscheidung getroffen wurde. Ohne dass ich der einzelnen betroffenen Frau einen Vorwurf machen will, gilt doch die Feststellung, dass die Abtreibung als Massenphänomen die Zukunft unseres Volkes bedroht. ({4}) Wer das Leben zurückweist, den verlässt das Leben. ({5}) Seit rund 40 Jahren fehlen uns jährlich 100 000 junge Menschen. Das sind inzwischen 4 Millionen. ({6}) Würden wir gemäß einer AfD-Forderung die Wehrpflicht wieder einführen, könnten wir wenigstens tendenziell eher Nachwuchspersonal gewinnen und die Identifikation unseres Volkes mit unserer Bundeswehr fördern. ({7}) Zurück zum Anfang. Natürlich hat Minister Scharping damals meinen Antrag auf eine Tapferkeitsauszeichnung abgelehnt. ({8}) Auf diesem Gebiet hat jedoch die Realität gesiegt. Inzwischen wurden als höchste Stufe das Ehrenkreuz für Tapferkeit und die Einsatzmedaille „Gefecht“ eingeführt. ({9}) Wir als AfD kennen die Situation unserer Soldaten, weil viele von uns Soldaten waren, und wir stehen an der Seite unserer Soldaten. Danke. ({10})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Als Nächstes spricht der Kollege Dennis Rohde für die Fraktion der SPD. ({0})

Dennis Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich schlage vor, dass wir von nun an wieder über den Einzelplan 14 diskutieren und nicht über andere Themen. ({0}) Wir diskutieren zum ersten Mal in dieser Legislaturperiode über diesen Einzelplan, und es zeigt sich in dieser Debatte, dass der Schwerpunkt zu Recht bei den Defiziten in der Ausstattung der Bundeswehr liegt. Wir alle wissen, dass eine Erneuerung der Technik nicht von heute auf morgen umsetzbar ist. Das haben uns Projekte wie der A400M in der Vergangenheit deutlich gezeigt. Aber ich finde: Der größte Fehler in dieser Debatte ist – das ist zu kurz gedacht –, die Bekämpfung der Defizite einzig und allein in der Erhöhung des Haushaltsansatzes zu sehen. Mehr Geld allein bedeutet nicht automatisch eine bessere Ausstattung. Mehr Geld allein bedeutet auch nicht eine effizientere Beschaffung. Wenn das der Fall wäre, dann würden wir nach den Aufwüchsen in der vergangenen Legislaturperiode hier und heute eine andere Debatte führen. ({1}) Ich will an die Bemerkung des Bundesrechnungshofs aus April dieses Jahres anknüpfen, der zur Modernisierung der Fregatten Folgendes feststellt – ich zitiere –: Der Bundesrechnungshof sieht Mängel in der Gestaltung von Verträgen bei der Marine, die über diesen Einzelfall hinausgehen. Er hat empfohlen, bei künftigen Rüstungsprojekten ein besseres Projektmanagement sicherzustellen. Mehr Geld allein löst weder organisatorische noch strukturelle noch Effizienzprobleme. Genau diese gilt es doch momentan anzugehen. ({2}) Wenn man die Medien in den letzten Wochen verfolgt hat, dann könnte man aber den Eindruck bzw. das Gefühl bekommen, dass sich der Erfolg der Trendwende der Bundeswehr einzig und allein am Anteil des Verteidigungsetats gemessen am Bruttoinlandsprodukt feststellen lässt. Man kann vielerorts das Gefühl bekommen, es gehe gar nicht um die konkreten Aufgaben und Ausstattungen, sondern einzig und allein um diese Kennziffer. Wenn aber andere Nationen zum Teil die Kosten des Feuerwehrwesens oder der Gendarmerie einrechnen, dann verzerrt dies das Bild und die Vergleichbarkeit. Wenn Länder wie Griechenland in einer Phase der wirtschaftlichen Rezession und eines fallenden Bruttoinlandsprodukts deutlich über dem 2-Prozent-Ziel liegen, dann sagt das viel über die Qualität einer solchen Bemessungsgrundlage aus. Wir hätten auch keine modernere Bundeswehr, wenn wir morgen volkswirtschaftlich schlechtere Zeiten und dadurch ein niedrigeres Bruttoinlandsprodukt hätten. Ich finde, das ist die falsche Debatte, die hier geführt wird. ({3}) Wir müssen einen anderen Anspruch in den Mittelpunkt stellen. Unser Anspruch muss es doch sein, dass die Soldatinnen und Soldaten, die sich in den Dienst unseres Landes stellen, so ausgestattet sind, dass sie die Aufgaben, die wir als Parlament ihnen übertragen, pflichtgemäß, aber auch gut erfüllen können. Zur Erfüllung dieses Anspruchs gehört es, Frau Ministerin, dass endlich die Probleme beim BAAINBw, bei unserem Beschaffungsamt, konsequent angegangen werden. Wir sozialdemokratischen Verteidigungs- und Haushaltspolitiker waren in der vergangenen Woche in Koblenz, haben uns vor Ort informiert und sind zu einem klaren Ergebnis gekommen: Kein Soldat der Bundeswehr hat etwas von einem höheren Budget seines Ministeriums, wenn die geplanten Ausstattungsvorhaben nicht abgearbeitet werden, weil nach wie vor 20 Prozent der Stellen nicht besetzt sind. ({4}) Ich sage Ihnen zu, Frau Ministerin: Wenn es um die Steigerung der Attraktivität dieser Stellen geht oder um notwendige Veränderungen im Dienstrecht, zum Beispiel für Soldaten auf Zeit, dann haben Sie die ausdrückliche Unterstützung unserer Fraktion. Denn eins wollen wir mit Blick auf die aktuelle Debatte nicht: Wir wollen nicht, dass das Bundesamt mittel- und langfristig zu einem Großauftraggeber von Berater- und Personaldienstleistungsagenturen wird. Die Lösung muss im eigenen Haus liegen. ({5}) Frau Ministerin, Ihr Haushalt ist fast komplett gegenseitig deckungsfähig, um damit der Unvorhersehbarkeit von Großprojekten Rechnung zu tragen. Hinzu bekommen Sie künftig eine Rücklage, um überjährige Projektfinanzierungen sichern zu können. Im Gegenzug haben wir als Parlament die Kontrolle über alle Rüstungsvorhaben über 25 Millionen Euro. Ich möchte betonen: Wir halten diese Form der parlamentarischen Kontrolle einer Parlamentsarmee nach wie vor für richtig und wichtig. Es muss der Deutsche Bundestag mit seinen Ausschüssen sein, in dem die Debatten über die richtige Ausstattung unserer Armee stattfinden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundeswehr, die Soldatinnen und Soldaten haben unsere volle Unterstützung. Veränderungen wollen wir mit ihnen gemeinsam mit der Erfahrung aus Einsatz und Dienst planen und umsetzen und nicht, wie bisher zu oft, über ihre Köpfe hinweg. Material muss bereitstehen. Es muss funktionieren, und es muss zukunftsfest sein. Frau Ministerin, Sie haben unsere volle Unterstützung, Planung besser und effektiver durchzuführen. Sie haben unsere volle Unterstützung, Projekte zu beschleunigen. Sie haben unsere volle Unterstützung, Prozesse flüssiger zu machen und Entscheidungswege zu verkürzen. Liefern müssen am Ende allerdings Sie. Vielen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächste Rednerin ist Dr. Marie-Agnes Strack-­Zimmermann. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Montag, 14. Mai 2018, 15 Uhr: Auftritt der Bundeskanzlerin auf der Bundeswehrtagung. Frau Merkel erklärt, dass das Ziel „2 Prozent des BIP für die Bundeswehr“ im Bereich des Möglichen liegt. Montag, 14. Mai 2018, 15.45 Uhr: Auftritt der Verteidigungsministerin auf der Bundeswehrtagung. Frau von der Leyen erklärt – wesentlich konkreter –, dass man bis 2025 1,5 Prozent des BIP für die Verteidigung ausgeben möchte. Einen Tag später, Dienstag, 15. Mai 2018, 10 Uhr: Auftritt des Finanzministers im Plenum. Herr Scholz erklärt, er brauche keine Mehrausgaben für die Bundeswehr, auch nicht angesichts der außenpolitischen Spannungen. Die Diplomatie allein werde das schon richten. ({0}) Das ist die schöne Welt des Olaf Scholz. Seine brillante Lageeinschätzung haben wir ja schon, als er Hamburger Bürgermeister war, im Vorfeld des G-20-Gipfels unter Beweis gestellt gesehen. ({1}) Ja, die Diplomatie ist das wichtigste Instrument deutscher Sicherheitspolitik; aber der Finanzminister fängt gerade an, den Auswärtigen Dienst finanziell genauso auszutrocknen, wie es die Vorgänger mit der Bundeswehr getan haben. Dieser Bundesregierung ist es also tatsächlich gelungen, in nicht einmal 24 Stunden drei unterschiedliche Positionen zum Verteidigungshaushalt zu präsentieren. Das ist schon eine Leistung. Dann der Auftritt der Kanzlerin heute Morgen, die die Vielzahl der riesigen Herausforderungen für die Bundeswehr aufzählt. Das ist erfreulich. Offensichtlich hat sie uns in den letzten Monaten zugehört. Leider hat sie aber nicht ihrem Finanzminister zugehört, der auf die Liste der neuen Aufgaben mit einem finanziellen Weiter-so geantwortet hat. Er legt einen Haushalt vor, in dem die NATO-Quote stagniert und der Anteil der Investitionen sogar zurückgeht. Die Bundeskanzlerin hat heute Morgen der Öffentlichkeit erzählt und auch gegenüber unseren Partnern gesagt, Deutschland sei bereit, Verantwortung zu übernehmen. Dazu gehört auch ihre Ansage auf dem NATO-Gipfel von Wales 2014, innerhalb von einer Dekade die Verteidigungsausgaben in Richtung 2 Prozent des BIP zu erhöhen. Also, was gilt jetzt? Worauf können sich die Soldatinnen und Soldaten verlassen, und worauf können sich unsere europäischen Partner und die NATO einstellen? Wir sind ganz konkrete Verpflichtungen eingegangen, die wir der NATO gemeldet haben: eine voll ausgestattete Brigade bis 2023 als Speerspitze zur Absicherung der NATO-Ostflanke, eine Division in Vollausstattung bis 2027, drei komplette Divisionen bis 2032. Jetzt bleibe ich nur mal bei der Verpflichtung bis 2023: Allein für diese gemeldete Brigade wird Deutschland in den nächsten Jahren ein Mehrfaches von dem aufwenden müssen, was in Ihrem Finanzplan und im Koalitionsvertrag als Steigerung vorgesehen ist. Dabei geht es noch nicht einmal um riesige neue Beschaffungsvorhaben. Also, das sozialdemokratische Aufrüstungsszenario – gewissermaßen Ihr Aufschrei, liebe Frau Nahles – ist wirklich ein Treppenwitz in diesem Kontext. Es geht darum, durch Ergänzungen des Bestandes den Ausstattungsgrad dieser Brigade von 70 Prozent auf 100 Prozent zu erhöhen. Geschützte Fahrzeuge zur Unterstützung zum Transport gehören dazu und ebenso Schutzwesten, Helme, Bekleidung und Stiefel, Nachtsichtgeräte, Munition und Sanitätsmaterial – alles, was den Soldatinnen und Soldaten zur Ausführung ihrer Aufgabe unmittelbar zugutekommt. Das alles fehlt zurzeit noch, um diese Brigade wirklich als Speerspitze bezeichnen zu können. Diese Speerspitze stellt übrigens eine einsatzgleiche Verpflichtung dar. Vom Grundbetrieb der Verbände ist in diesem Kontext überhaupt nicht die Rede. Im Übrigen – das nur mal nebenbei – würde eine vollständige Brigade gleichzeitig auch einen ersten kleinen Schritt hin zur Digitalisierung des Heeres bedeuten, welches im Jahre des Herrn 2018 immer noch analog funkt. Liebe Frau Ministerin, Sie sind Naturwissenschaftlerin. Sie sprachen vorhin von Quantensprüngen. Der Quantensprung ist physikalisch der kleinstmögliche Sprung – winzig klein –, und er ebbt schnell ab. Da muss dann doch noch ein größerer Sprung kommen. ({2}) Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung wird den internationalen Partnern die Antwort darauf geben müssen, ob Deutschland seinen Aufgaben nachkommen will – auch und besonders angesichts der Tatsache, dass wir einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat anstreben. Der etwas unklare – lieb ausgedrückt – Schlingerkurs der Bundesregierung ist nicht verantwortungsvoll und unseres Landes auch nicht würdig. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als nächster Redner folgt Dr. Alexander Neu für Die Linke. ({0})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Die Menschen in diesem Land sind seit genau 2014 einer massiven Propaganda ausgesetzt, damit die Steuerzahler die höheren Militärausgaben und die Aufrüstungspläne, genannt „Trendwende“, auch akzeptieren mögen. Es wird argumentiert mit einer Bedrohung Deutschlands, Europas und des Westens, und es wird mit der gewachsenen Verantwortung Deutschlands argumentiert. Kommen wir zur ersten Propagandaphrase, der Westen werde bedroht, natürlich von Russland. Unter den rund 200 Staaten dieser Welt belegt Deutschland den neunten Platz bei den weltweiten Militärausgaben in den Jahren 2017 und 2018. Die globalen Militärausgaben im Jahr 2017 betrugen laut SIPRI 1,7 Billionen Dollar. Davon entfielen allein auf die NATO-Staaten 956 Milliarden Dollar. Das heißt, von den weltweiten Militärausgaben entfielen auf die NATO-Staaten – das sind 29 Staaten im Vergleich zu den restlichen rund 170 Staaten – 55 Prozent. Russland hingegen hat im Jahr 2017  66 Milliarden Dollar ausgegeben. Für 2019 stehen weitere Kürzungen im russischen Militärhaushalt an. Kurz gesagt: Im Jahr 2017 hat allein die NATO insgesamt 14-mal mehr für das Militär ausgegeben als die Russische Föderation – 14-mal mehr! Kommen wir zum Thema Großwaffensysteme und Personal. Die NATO hat viermal mehr aktive Soldaten als die Russische Föderation. Mit Blick auf Kampfpanzer und Artillerie liegt die Russische Föderation leicht vorn: mit etwa 1,4 : 1 zugunsten der Russischen Föderation. Bei Kampfflugzeugen kann man sagen, dass ein Verhältnis von etwa 4 : 1 zugunsten der NATO besteht. Es gibt also viermal mehr Kampfflugzeuge der NATO. Das gleiche Bild bei den Kampfschiffen – Träger, Zerstörer, Fregatten, Korvetten etc. –: ein Verhältnis von 8 : 1 zugunsten der NATO. Transportflugzeuge zur Verlegung von Truppen: ein Verhältnis von 3 : 1 zugunsten der NATO. Das Fazit ist doch, sehr geehrte Damen und Herren, dass Russland mit Blick auf die konventionellen Waffensysteme, mit Blick auf das Personal und mit Blick auf die Finanzen dem Westen haushoch unterlegen ist. Selbst wenn Russland die Absicht hätte, den Westen zu bedrohen, würden ihm schlichtweg die militärischen Fähigkeiten fehlen. ({0}) Kommen wir zur zweiten Propagandaphrase, Deutschland müsse seiner gewachsenen Verantwortung gerecht werden. Der Verantwortungsbegriff, sehr geehrte Damen und Herren, ist eine Chiffre für den Willen zur deutschen Machtpolitik – das wurde beim Kollegen Otte und beim Kollege Röttgen gerade noch einmal deutlich –, und das ist eine Tatsache. Diese Phrasendrescherei von moralisch basierter Verantwortungsübernahme kontrastiert mit der Wirklichkeit. Das westliche Sündenregister hinsichtlich getöteter Zivilisten ist sehr lang: Irak 1991, Serbien, erneut Irak 2003, Afghanistan, Libyen und immer noch der Krieg gegen Syrien und künftig vielleicht auch Iran. In einer IPPNW-Studie, die also von der internationalen Ärztevereinigung herausgegeben wurde, wurde berechnet, dass seit 2003 weit über 1 Million Kriegstote und Kriegsfolgetote allein im Irak auf das Konto des Westens gehen. Solche Zahlen, sehr geehrte Damen und Herren, finden die westlichen Politiker und Militärs natürlich nicht gut, weil damit die Werteheuchelei offengelegt wird. ({1}) Der damalige US-General McChrystal hat bei seiner Antrittsrede als ISAF-Kommandeur im Juni 2009 gesagt – ich zitiere McChrystal –: Ich glaube, die [öffentliche] Wahrnehmung von getöteten Zivilisten ist einer der gefährlichsten Feinde, denen wir gegenüberstehen. Kurzum: Nicht dass Zivilisten getötet werden, ist ein Problem, sondern dass das an die Öffentlichkeit gelangt und darüber Empörung entstehen könnte. Die Linke fordert einen Kurswechsel: Rückkehr zum Völkerrecht auch für den Westen, ({2}) Stopp der Rüstungsexporte in Konfliktgebiete und möglichst auch insgesamt sowie endlich eine aktive Entspannungs- und Friedenspolitik für Europa unter Einschluss Russlands statt Russland-Hetze. Wir fordern Investitionen in zivile Infrastruktur wie Schulen und Pflegeeinrichtungen, statt die Rüstungsindustrie durchzufüttern und damit Steuergelder auf diese Weise zu veruntreuen. Ich danke Ihnen. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Ich rufe die nächste Rednerin auf: Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer Streitkräfte hat, muss sie auch vernünftig ausstatten. Das will hier sicher niemand in Abrede stellen, nicht einmal die Linken. Mehr Geld ist aber ganz offensichtlich nicht die Lösung. Wie oft haben wir erleben müssen, dass Milliarden für teure Neuentwicklungen in den Sand gesetzt worden sind, weil die Industrie nicht vertragsgemäß geliefert hat und dennoch nie dafür haftbar gemacht wurde! Ich denke an den A400M oder den Euro Hawk, den es bis heute nicht gibt. Wie viele Milliarden hat Airbus/EADS dafür am Ende jetzt eigentlich bekommen? Wir haben uns damals im Untersuchungsausschuss schon sehr über die Verträge gewundert. Da war nicht zu erkennen, dass irgendjemand ernsthaft versucht hätte, die Interessen des Staates gegenüber der Industrie bei den Vertragsverhandlungen durchzusetzen. ({0}) Wenn das Beschaffungssystem aber nicht funktioniert, dann darf man auch nicht mehr Geld in das kaputte System geben. ({1}) Aus Erfahrung lernen hieße, öfter einmal Geräte von der Stange zu kaufen, als immer auf eigene Neuentwicklungen zu setzen. Für die Industrie ist das vielleicht nicht immer so lukrativ. Aber das darf nicht unsere Sorge sein. Der Staat ist für die Ausrüstung der Streitkräfte zuständig und nicht für die Gewinne der Rüstungsindustrie. ({2}) Das scheint nicht immer allen klar genug zu sein. Im Moment laufen gerade staatsanwaltschaftliche Ermittlungen im Zusammenhang mit der Privatisierung der Heeresinstandsetzungslogistik. In wessen Interesse ist diese Privatisierung eigentlich? Ich befürchte: nicht im Interesse des Steuerzahlers und auch nicht im Interesse der Bundeswehr. ({3}) Es ist den deutschen Panzerherstellern verständlicherweise ein Dorn im Auge, dass sie kein Monopol auf die Reparatur und die Ersatzteilbeschaffung haben. 70 Prozent des Geschäfts haben sie sich ohnehin schon gesichert, indem sie die Großgeräte schon seit Jahren ohne Reparaturbefugnis, also quasi ohne Bedienungsanleitungen, verkaufen. Ein Drittel der Arbeiten werden bislang aber immer noch durch Bundeswehrangehörige selbst erledigt, die sich bei Werkstätten auf dem freien Markt nach dem günstigsten Angebot umsehen. Wie kann jemand ernsthaft glauben, dass es für die Bundeswehr wirtschaftlicher wird, wenn man sich zu 100 Prozent von Rheinmetall und Co abhängig macht und die dann die Preise so diktieren können, wie sie wollen? ({4}) Stoppen Sie diesen Verkauf der Heeresinstandsetzungslogistik, solange es noch möglich ist! Neben den strukturellen Defiziten bei der Materialbeschaffung sehe ich aber auch noch ein strategisches Defizit. Wir hören von allen Seiten, dass inzwischen sämtliche Ressourcen für die Erfüllung der Auslandseinsätze benötigt werden und deswegen für Ausbildung, Übung und Training im Inland nichts mehr übrig bleibt. Ja ist es denn ein Wunder? Die Bundeswehr ist derzeit in elf Auslandseinsätzen weltweit im Einsatz. Gerade erst wurde hier im Bundestag ein neues Mandat für den Gesamtirak beschlossen – erst einmal nur bis zum Herbst, weil bisher niemand die Strategie kennt und man dann erst einmal weitersehen muss. ({5}) Vielleicht müsste man auch einmal Schwerpunkte und Prioritäten bei der Frage der Auslandseinsätze setzen. Immer und überall Bündnisfähigkeit unter Beweis stellen zu wollen, könnte am Ende das Gegenteil bewirken. Bestes Beispiel für ein katastrophales Preis-Leistungs-Verhältnis ist der aktuelle Afghanistan-Einsatz. Für die Absicherung von sage und schreibe gerade einmal 33 Advisors, also Beratern, brauchen wir dort inzwischen über 1 000 Soldatinnen und Soldaten. So ein Einsatz bindet Kräfte, die nicht im Verhältnis zur erzielten Wirkung stehen. Beenden Sie vor allem die Beteiligung an dem völkerrechtswidrigen Luftkrieg über Syrien. ({6}) Man kann die Bundeswehr nicht bis an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit in Auslandseinsätze schicken und sich dann wundern, dass zu Hause nichts mehr funktioniert. Auch für die Einsätze, die wirklich unsere volle Aufmerksamkeit benötigen, wie beispielsweise der UN-Einsatz in Mali, wäre es besser, wir würden uns darauf konzentrieren. ({7}) Ebenso wäre es für die Akzeptanz der Streitkräfte in der Bevölkerung von Vorteil, wenn diese sehen könnte, dass ein Einsatz mal wirklich erfolgreich eine Befriedung fördern würde und es nicht überall gleich schlecht läuft. Damit das klar ist: Das ist keine Kritik an der Arbeit der Soldatinnen und Soldaten, die nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln ihren Auftrag zu erfüllen. Die Kritik richtet sich an die politische Führung, die für einen erfüllbaren Auftrag und eine Gesamtstrategie verantwortlich ist. Beides ist nicht zu erkennen. Daran ändert auch mehr Geld nichts. Vielen Dank. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner ist der Kollege Ingo Gädechens von der CDU/CSU. ({0})

Ingo Gädechens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man drei Rednerinnen und Redner der Opposition gehört hat, dann könnte man zu vielem etwas sagen, viele Argumente widerlegen. ({0}) Herr Neu, ich will wenigstens zu Ihrem Beitrag sagen, dass Sie die Statistik in Gänze vortragen müssen. In dem von Ihnen genannten Zeitraum, in dem die NATO nach Ihrer Einschätzung Vorteile hat, hat Russland seinen Verteidigungshaushalt um 108 Prozent erhöht, bei einem Anteil am BIP von 4,1 Prozent. Im gleichen Zeitraum haben die USA ihren Verteidigungshaushalt um lediglich 2 Prozent erhöht. Deutschland liegt bei 5,8 Prozent. Das ist dann die ganze Wahrheit. Das ist die Bedrohung, der wir uns letztendlich stellen müssen. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Verteidigungshaushalt war in den letzten Wochen häufig Thema in der öffentlichen Berichterstattung, und das ist trotz unterschiedlicher Betrachtungsweisen, wie wir sie eben wahrgenommen haben, auch gut so. Die Bundeskanzlerin hat in ihrer heutigen Rede ebenfalls deutliche Aussagen zur notwendigen besseren Ausstattung der Bundeswehr gemacht. Meine Fraktion hat öffentlich bereits klar den Wunsch nach einem höheren Verteidigungsetat geäußert. Die im Eckwertebeschluss für den 52. Finanzplan vorgesehene Steigerung von 2,7 Milliarden Euro über die nächsten vier Jahre reicht definitiv nicht aus. Sie reicht nicht aus, um den notwendigen Mehrbedarf für die Bundeswehr abzudecken. Im Schreiben des BMVg vom 2. Mai 2018 wurde dies deutlich benannt. Mit der aktuell vorgeschlagenen Erhöhung über den Finanzplanungszeitraum wird nicht einmal ein Viertel des bestehenden Bedarfs abgedeckt. Damit – Frau Dr. Strack-Zimmermann, Sie haben es gesagt – wird weder die VJTF-Brigade bis 2023 voll auszustatten sein, noch können die zahlreichen anderen Projekte angeschoben werden, die dringend notwendig sind. Ich nenne hier beispielhaft das Mehrzweckkampfschiff 180, die deutsch-französische Kooperation mit der geplanten Beschaffung der Hercules C-130J oder die sehr sinnvolle deutsch-norwegische U-Boot-Kooperation. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch unsere Leuchtturmprojekte, das taktische Luftverteidigungssystem und die Entwicklung eines gemeinsamen Kampfpanzers mit Frankreich sowie die Tornado-Nachfolgelösung stehen dann auf der Kippe. ({2}) – Lieber Herr Dr. Lindner, ich erlaube keine Zwischenfrage, weil ich drei Beiträge von Oppositionsrednern gehört habe. Nun langt das erst mal. ({3}) Gleiches trifft auf die persönliche Grundausstattung der Soldatinnen und Soldaten zu. Ich kann daher nur an alle Beteiligten appellieren, in den folgenden Haushaltsberatungen alle Anstrengungen zu unternehmen, um diese Lücke zwischen den geplanten finanziellen Mitteln und dem tatsächlichen Mehrbedarf zu schließen. Selbstkritisch sei angemerkt: Zum großen Bedauern der CDU/CSU-Verteidigungspolitiker hat der Verteidigungsetat in den Koalitionsverhandlungen nicht den Stellenwert eingenommen, den wir uns vonseiten der CDU gewünscht hätten und der angesichts der sicherheitspolitischen Lage erforderlich ist. Ich erinnere an das Versprechen, das mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages gegeben wurde, nämlich dass Mehreinnahmen im Bundeshaushalt vorrangig in den Verteidigungshaushalt fließen sollen. Angesichts der positiven Steuerschätzung sollte dies auch möglich sein. Ich möchte an dieser Stelle an den Bundesminister der Finanzen, der jetzt durch die Parlamentarische Staatssekretärin vertreten wird, appellieren, den berechtigten Mehrbedarf für die Bundeswehr zu berücksichtigen. Meine Damen und Herren, wer angesichts dieser notwendigen Forderungen und vor dem Hintergrund der aktuellen Ausrüstungsmängel von Aufrüstung spricht, so wie es die Linken teilweise tun, verdreht die Tatsachen und hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Ich möchte auch davor warnen, in der Debatte die Personalverstärkungsmittel, die aus dem Einzelplan 60 stammen und den Lohnsteigerungen im öffentlichen Dienst Rechnung tragen, mit erhöhten Verteidigungsausgaben zu vermengen; das ist unsachlich. Darüber hinaus möchte ich kurz auf das fälschlich genannte Gegenargument der nicht abgeschöpften Mittel eingehen. Wenn wir den Einzelplan 14 nachhaltig gestalten – dazu gehört eine stetige, weit im Voraus und solide berechnete Finanzierung –, dann gibt es auch kein Ausgabeproblem. Problematisch wird es immer nur dann, wenn alljährlich und kurzfristig Mittel bereitgestellt werden, die dann bitte schön rechtzeitig und sinnvoll ausgegeben werden sollen. Aktuell haben wir kein Ausgabeproblem; die Ministerin ist darauf schon eingegangen. Mit der vereinbarten, ich sage mal, budgetierten Überjährigkeit und einer über 100-prozentigen Ausplanung des Einzelplans in allen Investitionsvorhaben wird es das Problem in Zukunft auch nicht mehr geben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nur die Medien, sondern auch einige Rednerinnen und Redner hier haben ein Zerrbild der Bundeswehr an die Wand geworfen. Das hilft der Truppe in der Ausübung ihres Dienstes nicht. Wir haben keine Schrottarmee. Die Bundeswehr ist in vielen Bereichen leistungsfähig. Wir haben motivierte Soldatinnen und Soldaten, die sich alltäglich den Herausforderungen sowohl im eigenen Land als auch in den Einsatzgebieten stellen. Das sollten wir positiv anerkennen. Das ist das Rückgrat unserer Streitkräfte, und dafür danken wir den Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr. Herzlichen Dank. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Normalerweise sind Kurzinterventionen nicht für Kollegen gedacht, die schon geredet haben, aber da wir gut in der Zeit liegen, Herr Lindner, sollen Sie die Möglichkeit haben.

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Herr Kollege Gädechens, dass Sie vorhin die Zwischenfrage nicht zugelassen haben. Das hat mir Gelegenheit gegeben, mein Argument zu schärfen und Ihnen meine Verwirrung zu erklären. ({0}) Ich baue darauf, dass Sie den Sachverhalt entwirren können. In den vergangenen Wochen, als Frau von der Leyen nebulös weitere Etatsteigerungen gefordert hat, war beispielsweise in der „Bild am Sonntag“ von Projekten zu lesen, die nicht realisiert werden können, wenn die böse SPD nicht bereit ist, mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Das Ministerium hat mir bisher nicht darauf antworten können. Sie haben jetzt als Beispiel die C-130J Hercules genannt. Das ist ein Projekt, das gemeinsam mit Deutschland und Frankreich durchführt werden soll. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie gesagt, das Projekt sei gefährdet. Können Sie mir dann erklären, warum im Etatentwurf, über den wir sprechen, genau dieses Projekt sogar mit einem Extratitel veranschlagt worden ist – es steht direkt unter dem AWACS-System der NATO –, auch mit Mitteln für den Betrieb, die Versorgung etc.? Warum veranschlagt das Ministerium ein Projekt als neuen zusätzlichen Titel und etatisiert Mittel, wenn angeblich die Gelder im Falle des Ausbleibens entsprechender Etatsteigerungen nicht vorhanden sind? Danke. ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Wollen Sie antworten, Herr Gädechens?

Ingo Gädechens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, sehr gerne, Herr Präsident. – Lieber Kollege Dr. Lindner, wir arbeiten ja in dieser Wahlperiode nicht nur im Verteidigungsausschuss zusammen, sondern auch im Haushaltausschuss. In der Tat erkenne ich da öfters Ihre Verwirrung, die Sie jetzt kundgetan haben ({0}) hinsichtlich der Beschaffungsmaßnahmen, die angezeigt sind. Wie Sie wissen, befinden wir uns in der ersten Lesung. Ich habe in meiner Rede gesagt, dass es noch ein weiter Weg ist und dass ich sowohl mit Blick auf das BMF als auch mit Blick auf das BMVg auf die Beratungen im Haushaltsausschuss setze, um zu erreichen, dass die zusätzlichen Mittel für die Dinge, die ich angesprochen habe und die Sie noch einmal wiederholt haben, entsprechend zur Verfügung gestellt werden. ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Ein Wiedersehen im Haushaltsausschuss. – Wir fahren mit der Debatte fort. Das Wort hat Wolfgang Hellmich für die Fraktion der SPD. ({0})

Wolfgang Hellmich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004226, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Verwirrung möchte ich auflösen: Der Ausruf „Heureka!“ stammt nicht von Odysseus, sondern von Archimedes von Syrakus, ({0}) als er nämlich in der Badewanne das Archimedische Prinzip entdeckte. Er stieg aus und sagte: Heureka! Es ist gelungen. ({1}) Das kann man über die Bundeswehr im Moment leider nicht sagen. Im Koalitionsvertrag steht: Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr werden das erhalten, was sie brauchen. – Darauf verlassen sich die Soldatinnen und Soldaten auch. Dabei verfolgen sie verwundert die Debatte über sie und sagen mir gelegentlich, es wäre doch vielleicht besser, mehr mit ihnen als über sie zu sprechen. Sie erfahren jeden Tag das Delta zwischen Anspruch und Realität, und das Delta ist groß. Ich will den Aufzählungen, die hier genannt worden sind, nicht noch Begriffe hinzufügen, weil sie den Soldatinnen und Soldaten in ihrem Dienst nicht helfen und weil sie auf die Mentalität in der Bundeswehr eher demotivierend als motivierend wirken. Die Soldatinnen und Soldaten und auch ich sind an guten Lösungen interessiert – und das sehr schnell und sehr deutlich. Die Soldatinnen und Soldaten sind allerdings nicht an Aussagen interessiert, die ihnen in der Öffentlichkeit schaden. Ich will an dieser Stelle eine Aussage nennen, die mir große Sorgen bereitet: Ein Vertreter der AfD im Bundestag, der einmal Soldat war, erklärte im Deutschlandfunk, in der Frage der Sanierung der Bundeswehr stehe der Feind in der Bundesregierung. ({2}) Das halte ich, der ich nun sehr genau weiß, was ein Feind für einen Soldaten bedeutet – einen Feind bekämpft man mit allen Mitteln; als Abgeordneter, der diese Koalition trägt, werde ich offensichtlich auch als Feind bezeichnet –, mit dem Eid, den die Soldatinnen und Soldaten ablegen, nämlich diesem Lande treu zu dienen, für nicht vereinbar. Das will ich hier ganz deutlich sagen. ({3}) Es gilt, Lösungen zu finden. Das Ziel ist eine voll einsatzfähige und einsatzbereite Bundeswehr, eine attraktive Bundeswehr, in der der Dienst gerne getan wird und deren Soldatinnen und Soldaten und zivilen Beschäftigten mit Achtung entgegengetreten wird. Es gibt keinen Einzelplan, der von der Kameralistik so entlastet und flexibilisiert ist wie der Einzelplan 14. ({4}) Deshalb will ich an dieser Stelle etwas zum Thema 25-Millionen-Euro-Vorlage sagen. Ich glaube nicht – das sehe ich auch nicht so –, dass mit der Kritik an dieser 25-Millionen-Euro-Vorlage gemeint ist, dass das Parlament für die Verzögerung sorge und damit die Verantwortung für bestimmte Prozesse am Ende der Entscheidungskette in das Parlament geschoben werden soll. Unsere parlamentarische Beteiligung hat keine Schuld an den Verzögerungen. Wir sind, wenn es sein muss, in einer Woche mit einer Vorlage fertig. Das haben wir oftmals unter Beweis gestellt, sowohl im Verteidigungsausschuss als auch im Haushaltsausschuss. ({5}) Wenn ich aber sehe, dass für die Bestellung wichtiger Bauteile in Beschaffungsprogrammen mit 140 Vorschriften 14 000 Seiten an Anforderungsprofil produziert werden und es für dieses Anforderungsprofil und die Umsetzung nicht einmal ein Programm gibt, das diesen Prozess organisiert und darstellt, dann sehe ich das Problem eher an anderer Stelle. Es ist also im Maschinenraum der konkreten praktischen Arbeit angesichts der Komplexität dieser Projekte eine Menge zu tun. Wenn mir dann eine Brandschutzvorschrift von 1988 in die Hände fällt, die auch heute noch gilt, dann sage ich mir: Irgendetwas stimmt da nicht. Irgendetwas muss an dieser Stelle in den Prozessen besser gemacht werden. – Das ist das, worauf die Soldatinnen und Soldaten in den Prozessen genau schauen, weil sie eben wissen, wo man anpacken muss und wo die Verzögerungen liegen. Die Lösung der Probleme liegt auch nicht in der Privatisierung der Erledigung hoheitlicher Aufgaben; auch das will ich an dieser Stelle deutlich sagen. Das, was zur Sicherheit und zur Souveränität der Bundesrepublik Deutschland gehört, gehört nicht in private Hände. Es gehört in die öffentliche Verantwortung, diese Interessen wahrzunehmen und durch dieses Parlament kontrollieren zu lassen. Ansonsten sind wir nämlich draußen. ({6}) Die Optimierung des Beschaffungswesens, eine attraktive Gestaltung der Jobs durch Stellenhebungen und Bündelung, die Veränderung der Ausschreibungsprozesse – vieles steht im Koalitionsvertrag und wird praktisch und pragmatisch in Angriff genommen, um nämlich die Beschaffungsprozesse voranzubringen und das Material, die Versorgung und die persönliche Ausstattung, die die Soldatinnen und Soldaten brauchen, zügig, schnell und besser auf den Hof zu bringen und ihnen für die Erledigung ihres Dienstes zur Verfügung zu stellen. Ich bin der Meinung, dass die Summen, die im Haushalt 2018 stehen, für die Erfüllung dessen, was in diesem Jahr getan werden kann, voll und ganz ausreichen. Das, was dort steht, muss erst einmal alles umgesetzt werden. Dieses Jahr ist zur Hälfte um. Die Jahre 2019, 2020 und 2021 werden dann von höherer Bedeutung sein. Die logische Kette ist: Wir haben ein Weißbuch, wir haben eine Konzeption der Bundeswehr. Wir haben dann – jetzt noch nicht – ein Fähigkeitsprofil der Bundeswehr und eine Finanzbedarfsplanung. Ich bitte sehr darum, dass man auf der Grundlage der Dokumente, die es für die parlamentarische Beratung gibt, eine sehr gründliche, rationale und auch ruhige Debatte darüber führt, was dann an Finanzmitteln zur Verfügung gestellt werden muss. Die Finanzen müssen so gestaltet sein, dass die Partnerinnen und Partner, mit denen wir – gerade auch in Europa – zusammenarbeiten, mit uns auch kooperieren wollen und von uns nicht Signale erhalten, die sie fragen lassen: Was macht denn die Bundesrepublik Deutschland da? Steht sie zu ihrem Wort? Stehen denn diese Projekte noch, oder werden sie auf einmal zur Disposition gestellt? Das schürt Verunsicherung. Herr Präsident, ich sehe das Signal. – Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben. ({7})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Meine Damen und Herren, letzter Redner zu diesem Einzelplan ist Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Unser Land steht vor einer Richtungsentscheidung. Wollen wir für die Landes- und Bündnisverteidigung eine einsatzbereite Bundeswehr haben? Ja oder nein? ({0}) Meine Damen und Herren, wir werden diese Entscheidung stellvertretend für unser Land treffen. Wir werden sie nicht heute treffen, aber wir werden sie voraussichtlich am 23. November 2018, 12.30 Uhr, treffen, wenn es nämlich um die Verabschiedung des Haushalts für 2019 geht. Und wir können uns jetzt nicht bis zum 23. November zurücklehnen und sagen: „Wir warten jetzt einmal, bis es so weit ist“, sondern wir müssen die Diskussion über diese Frage bereits heute führen; denn in diesen Tagen werden die ersten entscheidenden Weichen gestellt. Die erste Weiche ist vom Bundesfinanzminister mit der Vorlage der Eckwerte bis 2022 am 2. Mai 2018 gestellt worden. Und wenn die Richtung, die jetzt eingeschlagen worden ist, weiter beibehalten wird, dann lautet die Antwort am 23. November: Nein. Meine Damen und Herren, die Antwort lautet dann wieder Nein. Sie lautete auch in den vergangenen Jahren Nein. Wir haben uns in den vergangenen Jahren diese Frage in der Form nur nicht gestellt; sie ist uns auch nicht gestellt worden. Deutschland war von Freunden umgeben; den Rest haben die Amerikaner erledigt. Wir haben die Amerikaner dafür zwar auch zu Recht ab und zu kritisiert; aber wir mussten uns zu Verteidigung und Sicherheit nicht die Fragen stellen, die wir uns heute stellen müssen. Ich würde mir natürlich wünschen, die Zeit von damals käme zurück. Ich würde mir wünschen, dass wir in Frieden und Sicherheit leben; aber, meine Damen und Herren, wir müssen halt auch feststellen, dass die sicherheitspolitische Situation heute eine andere ist, als sie es vor 10 oder 15 Jahren war. Jetzt können wir die Augen verschließen und sagen: Gott sei Dank hat Deutschland damit nicht so viel zu tun. Das ist wie ein Gewitter; das zieht vorbei. Oder wir können auf diese Situation ernsthaft reagieren. Dazu gehört auch eine einsatzbereite Bundeswehr, meine Damen und Herren. Um Europa herum hat sich in den letzten Jahren von Nordafrika über den Nahen und Mittleren Osten bis zur Ukraine ein Krisenbogen gelegt. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Auswirkungen dieser Krisen und Konflikte auch nicht an den Grenzen Europas halt machen, sondern dass auch wir in Europa davon unmittelbar betroffen sind – Stichwort Migration, Stichwort Terrorismus. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass mit dem Cyberraum plötzlich ganz neue Bedrohungen entstanden sind, an die wir vor zehn Jahren noch gar nicht gedacht haben. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass im Rahmen der hybriden Kriegsführung Bedrohungen für unsere Demokratie weit unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Angriffs entstehen können. Genauso müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass das traditionelle und bisher verlässliche Bündnis mit den Amerikanern nicht mehr die Kraft hat, wie es in den vergangenen Jahren die Kraft hatte, dass Europa mehr für seine Sicherheit und Verteidigung investieren muss und dass Europa auch auf Deutschland blickt, ob wir als wirtschaftsstärkstes Land dieses Kontinents unserer Verantwortung gerecht werden. Deswegen wird Europa am 23. November auch nach Deutschland blicken und schauen, ob das, was wir in Europa versprochen haben, finanziert ist oder nicht. Bis jetzt ist es nicht finanziert. Es sind wesentliche Projekte, die wir in Europa politisch zugesagt haben, nicht im Haushalt hinterlegt. Dazu gehört die U‑Boot-Kooperation mit Norwegen. Dazu gehört zum Beispiel – der Kollege Gädechens hat es angesprochen – das Thema der sogenannten „Kleinen Fläche“, die Beschaffung von Transportflugzeugen gemeinsam mit Frankreich. Dazu gehört MoTaKo, die Ausstattung mit Funkgeräten gemeinsam mit den Niederlanden. Dazu gehört zum Beispiel auch die Bereitstellung der VJTF für die NATO, die wir zugesagt haben. Meine Damen und Herren, man muss sich einmal zum Thema Einsatzbereitschaft der Bundeswehr vorstellen: Wir haben der NATO angezeigt, dass wir bereit sind, alle vier Jahre eine einzelne Brigade in höchste Einsatzbereitschaft zu versetzen. 2015 haben wir das nur geschafft, weil wir das Material aus ganz Deutschland zu dieser einen Brigade zusammengefahren haben, damit sie diesen Auftrag zumindest ansatzweise erfüllen konnte. 2019 sind wir wieder dran. Und wir werden es 2019 wieder nicht schaffen, sondern wir werden auch 2019 wieder Material aus ganz Deutschland zusammenkarren. Dann sind wir wieder 2023 dran. Meine Damen und Herren, wenn wir es 2023 nicht schaffen, dass wir eine Brigade einsatzfähig machen – neun Jahre, nachdem wir es auf dem NATO-Gipfel versprochen haben –, dann machen wir uns lächerlich. Darum geht es, meine Damen und Herren. Es geht um die Ausrüstung für den Einsatz, und es geht nicht um Aufrüstung. Mich stört, dass wir die Frage „Wollen wir eine einsatzbereite Bundeswehr in Deutschland?“ hier nicht wirklich diskutieren, sondern dass laufend Nebelkerzen gezündet werden. Ich will eine Nebelkerze von heute ansprechen.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Bevor Sie die Nebelkerze ansprechen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage eines Kollegen aus der FDP?

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne, das verlängert meine Redezeit, darüber freue ich mich immer.

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Brandl, sehr geehrter Herr Präsident, schön, dass die Zwischenfrage möglich ist. – Sie haben viel von neuen Herausforderungen gesprochen. Sie haben auch viel von den guten alten Zeiten gesprochen, als man nichts für die Verteidigung tun musste. So ungefähr haben Sie es dargestellt. Sie haben auch davon gesprochen, dass es nicht möglich ist, diese Brigade einsatzfähig zu haben und dass die Situation schon neun Jahre andauert. Meine Frage ist: Das Verteidigungsministerium war ja sehr lange in der Hand der CDU, wenn ich mich recht erinnere. Wer trägt dafür die politische Verantwortung? ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege, die Zeit, über die wir sprechen, betrifft die Zeit seit dem Ende des Kalten Krieges. Seit Ende des Kalten Krieges haben wir alle, mit Ausnahme der ganz linken und der ganz rechten Fraktion in diesem Haus, irgendwann einmal Verantwortung für die Bundeswehr getragen. Meine Damen und Herren, ich glaube sogar, dass aufgrund der damaligen Bewertung der Sicherheitslage und der damaligen Prognose die Entscheidungen, bei der Bundeswehr zu sparen, sie nicht mehr auf Landes- und Bündnisverteidigung auszurichten, sondern sie auf Auslandseinsätze auszurichten, aus damaliger Sicht begründet und nachvollziehbar waren. Wir haben 2011 – soweit ich mich erinnere, waren wir 2011 in einer Koalition mit der FDP – die Neuausrichtung der Bundeswehr hier in diesem Haus beschlossen. Damals waren die Auslandseinsätze strukturbestimmend. ({0}) Die Landes- und Bündnisverteidigung war nachrangig. Ich erinnere mich, ich war noch 2012 in München zu Gast auf einer Übung der NATO, wo die NATO, die Bundeswehr und Russland eine gemeinsame Übung zum Thema Raketenabwehr durchgeführt haben. Von dieser Entscheidung, die Bundeswehr zu verkleinern, haben natürlich alle Ressorts profitiert. Das Geld, das zu dieser Zeit nicht mehr bei der Bundeswehr ausgegeben werden musste, konnte in vielen anderen Bereichen investiert werden, und die Ressorts sind hier auch vertreten. Was wir jetzt erwarten, ist, dass die anderen Ressorts, die damals von der Solidarität profitiert haben, jetzt die gleiche Solidarität zeigen und bereit sind, wieder mehr in die Bundeswehr zu investieren. Die Zeiten – das ist der Punkt, den wir verstehen müssen – haben sich seitdem geändert. 2014 war ein Jahr, in dem sich die internationale Lage – auch die geopolitische – für Deutschland massiv verändert hat. Das müssen wir erkennen, und darauf müssen wir reagieren. Da können wir uns jetzt nicht zurücklehnen und sagen: „2011 haben wir gesagt …“, „2009 haben wir gesagt …“, „2005 haben wir gesagt …“. Die Zeiten sind heute andere. Was ich von der Bundesregierung und von den Kollegen hier fordere, ist, dass sie anerkennen, dass es andere Zeiten sind und wir dementsprechend wieder mehr in unsere Sicherheit und Verteidigung investieren müssen. Das ist notwendig. – Herzlichen Dank, Sie dürfen sich wieder setzen. ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Und ich stelle die Uhr für Sie wieder an.

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jetzt will ich was zu den Nebelkerzen sagen: Erstens: die große Nebelkerze des Kollegen Lindner. ({0}) Das Thema der kleinflächigen Transportflugzeuge ist im Haushalt veranschlagt. Wenn man den Haushalt genau liest, dann sieht man, dass der Betrieb der Infrastruktur veranschlagt ist. ({1}) Was noch nicht veranschlagt ist – mit keinem Euro –, ist die gemeinsame Beschaffung dieser Flugzeuge mit Frankreich. Die zweite Nebelkerze: Die Bundeswehr könne nicht das Geld ausgeben, das veranschlagt ist, insbesondere im Rüstungsbereich. Frau Nahles hat das angesprochen. Wissen Sie, was die Wahrheit ist? Die Bundeswehr muss im Haushalt alles veranschlagen, worüber sie Verträge geschlossen hat. Wenn sie es nicht machen würde, würde die Opposition sofort kommen und sagen: Ihr habt ja Verträge über viel höhere Summen geschlossen, das ist gar nicht richtig veranschlagt. ({2}) Im letzten Jahr ist Folgendes passiert: Unser damaliger Koalitionspartner hat plötzlich das Thema der Drohne Heron TP kurzfristig von der Tagesordnung genommen. ({3}) Die 300 Millionen Euro, die eingeplant waren, konnten nicht ausgegeben werden. Dann hatten wir eine Fregatte bestellt, die, wie sich kurz vor Jahresende herausstellte, nicht ausgeliefert werden konnte – wieder 300 Millionen Euro, die liegen geblieben sind. Was soll denn die Bundeswehr da machen? Werfen Sie jetzt ernsthaft der Verteidigungsministerin vor, dass sie die 600 Millionen Euro nicht plötzlich in andere Rüstungsprojekte stecken kann? ({4}) So kurzfristig kann sie doch nicht reagieren; das wäre ja auch nicht seriös. Es gehört in diesem Geschäft einfach dazu, dass sich große Rüstungsvorhaben verzögern. Manchmal liegen die Ursachen in der Politik, manchmal in der Industrie, aber selten bei der Bundeswehr.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Brandl.

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, vielen Dank für die Redezeit. Ich bedanke mich. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Ich war sehr großzügig mit Ihnen. – Das war die letzte Rede in dieser Debatte.

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verteidigungspolitiker hätten dableiben dürfen; denn durch erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit können wir Kriege und Krisen verhindern. ({0}) Es geht um den vernetzten Ansatz in der Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik. Die Entwicklungspolitik hat heute einen vollkommen neuen Stellenwert erhalten. Unser Haushalt wächst 2018 um 10,5 Prozent. Wir haben die Marke von 0,5 Prozent des BNE erreicht, und dafür bin ich dem Finanzminister, der Kanzlerin, der SPD-Parteivorsitzenden, die gerade rausgeht, und dem Parlament sehr dankbar. Wir können damit eine Menge zusätzlich tun, Probleme vor Ort lösen, etwa in den Krisengebieten um Syrien. Ich war vor kurzem zusammen mit Herrn Grübel und anderen Kolleginnen und Kollegen in Mosul. Wenn man durch die Stadt fährt, dann sieht man Zerstörung wie im Weltkrieg. Das kennt unsere Generation nicht live, aber von Bildern aus Berlin und aus Dresden. In Mosul, in dieser total zerstörten Stadt, haben wir Bagger gesehen. Ich habe gefragt: Was passiert hier? Die Antwort war: Wir – unsere Partner – bauen ein Notfallkrankenhaus aus Containern auf. Durch die Trümmer der Stadt verläuft eine grüne Hartgummileitung. Es handelt sich um eine mit deutschen BMZ-Mitteln gebaute Wasserleitung, durch die 1 Million Rückkehrer mit Wasser versorgt werden. Die Menschen stehen an den Trinkwasserhähnen und holen mit Kübeln Wasser. Wir können ein Stück stolz darauf sein, was geleistet wird. Alle, die Entwicklungshilfe konditionieren wollen, alle, die dorthin zurückführen wollen, wo abgelehnte Asylbewerber nicht zurückgenommen werden, frage ich: Soll ich den Kindern den Wasserhahn zusperren? Dadurch würde keine einzige Person mehr in den Irak zurückkehren. Im Übrigen ist das Aufgabe der Länderinnenminister. Wir haben mit dem Irak nicht einmal ein Rückführungsabkommen. ({1}) Ich möchte keinen Zweifel daran lassen: Alle Partnerländer sind zur Kooperation verpflichtet, und sie kooperieren auch. Aber jeder erledigt seine Aufgabe für seinen Bereich: der Außenminister, die Länderinnenminister und der Entwicklungsminister. Unsere Partner vor Ort sind großartig; ich muss das einfach sagen. Ich bin letzte Woche mit Bürgermeistern aus dem Libanon zusammengetroffen. Dieser kleine Libanon mit 4,5 Millionen Einwohnern hat 1,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. 1,5 Millionen Flüchtlinge! Es gibt dort Städte mit 30 000 Einwohnern, die 60 000 Flüchtlinge aufgenommen haben. Unsere erfolgreiche Arbeit und der Mitteleinsatz führen dazu, dass die Menschen vor Ort eine Perspektive haben. Die Menschen wollen auch wieder zurück nach Syrien. Das ist die kommende Aufgabe. Dies ist möglich. Die Menschen wollen hoffentlich auch bald wieder zurück in den Irak. Jeder Cent schafft Zukunft und gibt den Menschen vor Ort Hoffnung. Ich möchte auf den Punkt bringen, wie genau die Arbeit vor Ort abläuft; denn viele wissen das nicht, was ich aber niemandem zum Vorwurf mache. Überlegen Sie mal: Die Familien, die ich im Flüchtlingscamp besucht habe, leben von 50 Cent am Tag. Das ist die Ration, die wir über das Ernährungsprogramm gemeinsam mit dem Außenministerium finanzieren. Das ist die Basis für die Grundversorgung. Eine Mutter hat 50 Cent am Tag zur Verfügung, um ihre Familie zu ernähren. Das sind 15 Euro pro Monat und 180 Euro im Jahr, mit denen wir Leben retten, indem wir die Menschen versorgen. Ich möchte nicht, dass unser Beitrag zurückgefahren wird; denn wir dürfen die Menschen vor Ort nicht im Stich lassen. ({2}) Über die aktuelle Krisenarbeit hinaus haben wir in den letzten vier Jahren den Haushaltsaufwuchs zu zwei Dritteln genutzt, um uns auf Hilfe in den Regionen zu konzentrieren und für Strukturen zu sorgen. Dazu gehören auch afrikanische Krisenregionen, zum Beispiel die Dürreregionen Äthiopien, Somalia, Südsudan und viele mehr. Wir müssen unsere Arbeit verstetigen. Wir müssen Entwicklungspolitik als langfristige und grundsätzliche Aufgabe begreifen, nicht nur einmal rein ins Land und dann wieder raus. Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, dafür zu sorgen, dass der Haushalt 2019 die Vorgaben des Koalitionsvertrages erfüllt und wir ihn gemeinsam umsetzen. ({3}) Das heißt, ein Absinken der ODA-Quote unter das jetzt erreichte Ziel von 0,5 Prozent des Bruttonationaleinkommens muss verhindert werden. Dazu brauchen die ODA-Ministerien, liebe Haushälter, zusammen eine Verstärkungsmilliarde. Damit können wir den weiter wachsenden Mehrbedarf in den Krisenregionen abdecken. Das bedeutet, dass wir das Programm „Perspektive Heimat“ finanzieren, den Marshallplan anfinanzieren und unsere Verpflichtungen in den Krisenregionen erfüllen. Wenn das nicht passiert, sondern der Haushaltsetat abgesenkt wird, dann müssen auch die Mittel für die Programme vor Ort gekürzt werden. Das muss jeder wissen. In den nächsten Wochen werden wir darüber diskutieren. Ich glaube, der Haushaltsspielraum lässt es zu, dass wir mindestens die Quote von 0,5 Prozent halten und die 0,7-Prozent-Quote im Blick behalten. In 80 Partnerländern in der Welt arbeiten wir mit vielen Tausenden zivilen Experten zusammen für eine Welt ohne Hunger. Damit erzielen wir langfristige Wirkungen. In den letzten 20 Jahren konnte die Zahl der Hungernden im Verhältnis zur Bevölkerungszahl halbiert werden. Ich sage: Eine Welt ohne Hunger ist möglich. Sie wissen das; ich habe das mehrfach ausgeführt. Wir arbeiten für ein Recht auf Leben in Würde für alle, für die Achtung der Menschenrechte, für Gleichberechtigung und Toleranz. Jeder Mensch auf dem Planeten hat ein Recht auf Leben in Würde. Wir, die Starken, haben eine besondere Verpflichtung gegenüber den Armen und den Schwachen in den Entwicklungsländern. ({4}) Ich setze in den nächsten Jahren ganz besonders auf Bildung, auf Ausbildung. 25 Prozent des Etats – das ist mein Ziel – fließen unter anderem in eine neue Sonder­initiative „Ausbildung und Beschäftigung“. Eine Überlebensfrage der Menschheit ist die Sicherung der Ernährung für eine steigende Weltbevölkerungszahl. Die Bevölkerung Afrikas wird sich in den nächsten 30 Jahren verdoppeln. Die Menschen brauchen Ernährung – es ist möglich, das sicherzustellen –, Energie, aber auch Jobs, Arbeitsplätze. Allein auf dem afrikanischen Kontinent werden jedes Jahr 20 Millionen Arbeitsplätze zusätzlich benötigt. In 20 Jahren sind das 400 Millionen Arbeitsplätze. Unser Ziel muss es sein, hier einen Beitrag zu leisten, nicht nur mit öffentlichen Geldern, sondern auch mit einem Investitionsgesetz zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung, mit privaten Investitionen und mit fairen Handelsstrukturen. Diese Themen werden wir in den nächsten Monaten angehen. ({5}) Meine Damen und Herren, der Präsident gibt mir ein Zeichen, dass meine Redezeit zu Ende geht. Dabei hätte ich noch so viel zu sagen. Wir brauchen neue Antworten. Damit möchte ich klarmachen: Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist heute ein politisches Querschnittsthema. Wir brauchen neue Antworten in der Wirtschafts- und Handelspolitik, neue Antworten in der Umwelt- und Klimapolitik, neue Antworten in der Agrar- und Sozialpolitik, neue Antworten in der Außen- und Sicherheitspolitik. In all diesen Bereichen muss angesichts der neuen Herausforderungen Entwicklungspolitik betrieben werden. Ich sage aber auch: Beginnen wir zu Hause, zum Beispiel im Bundestag und in den Ministerien. Stellen wir den Bundestag mit seiner Verwaltung und alle Ministerien in Deutschland, auch die Länderministerien, klimaneutral auf. Fangen wir bei uns an. Das BMZ wird das erste Ministerium sein, das sich klimaneutral aufstellt, und zwar im kommenden Jahr. Auch beim Thema „faire Beschaffung“ liegen wir im öffentlichen Dienst weit hinter unseren Vorgaben zurück. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich nenne noch die Themen, um die es in den nächsten Monaten gehen wird: Nehmen wir den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte ernst. Wir helfen den Entwicklungsländern am allerbesten, indem wir die Globalisierung gerecht gestalten. Damit bin ich beim Thema Lieferketten. Wir müssen die Lieferketten zertifizieren und sozial-ökologische Mindeststandards verbindlich machen. Wer das als Schnapsidee bezeichnet, der hat es nicht begriffen: Menschenrechte müssen weltweit gelten. Keine Kinderausbeutung für unsere Kleider! ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Frohnmaier von der AfD?

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Ja, gerne.

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Minister, Sie haben das Verhältnis zu den Innenministern angesprochen. Aus Ihrer eigenen Partei, der CSU, kam der Vorschlag, die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit für die Staaten zu streichen, die nicht in der Lage sind, Pässe für ihre eigenen Staatsbürger auszustellen. Das sind überwiegend nordafrikanische Staaten. Sie haben das mit der Begründung abgelehnt, dass der Migrationsdruck in Richtung Europa, in Richtung Deutschland dadurch steigen würde. Was halten Sie davon, die Gelder, die man durch die Streichung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit mit diesen Ländern einsparen könnte, wie Ihre Partei, die CSU, es vorgeschlagen hat, in die deutsche Grenzsicherung zu investieren? ({0})

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Jeder hat seine Hausaufgaben zu machen. Ich bin nicht für Abschiebungen zuständig. Zu meinem großen Erstaunen – ich habe mir das einmal angeschaut – befindet sich unter den Top-Zehn-Ländern der abgelehnten Asylbewerber mit Status „ohne Duldung“ nur ein afrikanisches Land. Das ist ganz erstaunlich. Ganz oben ist Serbien, da ist der Kosovo, und da ist Albanien. Das sind Heranführungsländer, die in die Europäische Union wollen. Ich sehe keinen Grund, warum diese Menschen nicht im Rahmen von Programmen – ein solches Programm werde ich auflegen – zurückgehen sollten, wenn sie hier keine Chance haben. Das ist aber zunächst einmal keine Herausforderung für Entwicklungsländer. Was Tunesien und Marokko betrifft, kann ich Ihnen sagen: Die Tunesier und die Marokkaner haben biometrische Daten. Ich habe mit den Innenministern dort gesprochen, und sie sagten zu mir: Wenn wir einen Tunesier zurücknehmen sollen, dann muss es auch ein Tunesier sein. ({0}) Aber die Länderinnenminister können die Identifizierung der hier Angekommenen bis heute nicht definitiv sicherstellen. Wir haben diese biometrischen Daten bisher nämlich nicht. Das ist nicht Aufgabe des Entwicklungsministers. Aber ich sage Ihnen klar: Ich arbeite mit dem Bundesinnenminister sehr, sehr gut zusammen. Wir werden insbesondere im Rahmen des Programms „Perspektive Heimat“ Möglichkeiten und Anreize bieten, um dafür zu sorgen, dass Menschen aus Deutschland nicht als Loser zurückkehren, sondern in Beschäftigungs- und Ausbildungsprogramme integriert werden. Ich glaube, das kann ein erfolgreicher Ansatz werden. ({1}) Es gäbe noch viele wichtige Themen, die wir gemeinsam erörtern müssen. Ich darf abschließend, weil ich sonst zu sehr überziehe, den Blick nach Europa richten. Kolleginnen und Kollegen Haushälter, diese Herausforderung können wir nicht national und allein bewältigen. Wir brauchen die europäische Komponente. Wir brauchen eine Europäisierung der Afrika-Politik. Wenn ich mir den jetzt vorgelegten Haushaltsansatz aus Brüssel ansehe, muss ich sagen: Das ist die Struktur der 80er-Jahre. Wir geben in der kommenden Siebenjahresperiode 420 Milliarden Euro für die europäische Landwirtschaft aus, und 42 Milliarden Euro sind für die Afrika- und Entwicklungspolitik vorgesehen. Das wird den Zukunftsherausforderungen nicht gerecht. Das ist keine Antwort. ({2}) Lassen Sie mich zum Schluss einen Finanzierungsvorschlag machen. Aus den Reihen der SPD gab es vor einigen Jahren ein Gutachten. Ich habe heute – da verrate ich nicht zu viel – mit dem Finanzminister darüber gesprochen. Führen wir doch in Europa die Finanztransaktionsteuer ein: 0,01 Prozent auf spekulative Anlagen im Hochgeschwindigkeitshandel. ({3}) Ja, machen wir uns dafür stark. Das bringt 60 Milliarden Euro in den europäischen Haushalt, und die setzen wir dann für eine zukunftsbezogene Entwicklungs- und Afrika-Politik ein. Dann muss kein Mensch in Deutschland dafür bluten. ({4}) Meine Damen und Herren, zum Schluss. Wir bleiben optimistisch. Großartige Menschen, Kirchen und Organisationen haben sich unserer Aufgabe verschrieben. Ihnen möchte ich ganz herzlich danken. Jeder Euro für die EZ schafft Lebens- und Berufsperspektiven, Frieden und Zukunft. Vielen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Dann machen wir weiter. Nächster Redner ist Volker Münz für die Fraktion der AfD. ({0})

Volker Münz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004835, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister Müller! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine Fraktion sagt Ja zur Entwicklungshilfe. Aber diese soll und muss qualitativ und quantitativ angemessen gestaltet werden. Es geht nicht darum, Geld gleichsam mit der Gießkanne an eine Vielzahl von Empfängern auszuschütten. Es geht darum, nicht Almosen, sondern konkrete Hilfe zur Selbsthilfe zu gewähren. Ziel der Entwicklungshilfe sollte sein, dass die Empfängerländer in die Lage versetzt werden, in Eigenregie ihre gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zu gestalten; das heißt, für die Menschen Lebensperspektiven in den Heimatregionen zu schaffen, damit diese ihr Heil nicht in Deutschland suchen werden. ({0}) Selbstverständlich sind auch hier die Interessen Deutschlands in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen. Es sollte, zumindest mittelfristig, ein gegenseitiges Geben und Nehmen sein. Vor diesem Hintergrund steht es in keinem angemessenen Verhältnis, was der deutsche Staat für die etwa 1,7 Millionen Asylbegehrer, die seit 2014 nach Deutschland gekommen sind, für die Unterbringung und Versorgung ausgibt, nämlich laut Sachverständigenrat rund 50 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist mehr als das Fünffache des Haushalts des Entwicklungshilfeministeriums. ({1}) Sieht so eine verantwortungsvolle Politik aus? Nein, meine Damen und Herren, diese Art von Politik ist ungerecht. Sie ist auch nur scheinbar human und nur scheinbar christlich. Wir brauchen eine verantwortungsethische und keine gesinnungsethische Politik. ({2}) Mit den rund 50 Milliarden Euro pro Jahr, die Deutschland für Asylbewerber aufbringt, könnten wir einhundertmal mehr Menschen in den Herkunftsregionen Hilfestellung und eine Lebensperspektive bieten. Dann hätten wir auch die von der OECD geforderte Entwicklungshilfequote von 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts mehr als erfüllt. Derzeit sind es ja offiziell 0,5 Prozent. Wir brauchen eine Politik, die neben akuten humanitären Hilfsmaßnahmen vorrangig an den Ursachen von Armut und Wanderungsbewegungen ansetzt. Dies ist aus Sicht der AfD die einzig moralisch richtige Antwort auf den anwachsenden Wanderungsdruck der Menschen aus den Krisenländern. ({3}) Es ist nicht hinnehmbar, dass viele Herkunftsländer ihre als Asylbewerber bei uns abgelehnten Staatsbürger nicht zurücknehmen wollen. Wir als AfD halten es für falsch, sehr geehrter Herr Müller, wenn Sie in solchen Fällen aus vermeintlich humanitären Gründen keine Entwicklungshilfemittel kürzen wollen; denn die bilaterale – und nur darum geht es – staatliche Entwicklungszusammenarbeit setzt Vertrauen, Kooperationsbereitschaft und Vertragstreue voraus. Wo diese elementaren Bedingungen nicht eingehalten werden, müssen wir konsequent sein und unsere Mittel kürzen. Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um Nothilfemaßnahmen und nicht um Maßnahmen oder Mittel für die Förderung des zivilgesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Engagements. Problematisch ist auch die Vielzahl der Projekte und Empfänger. Dies stellt unseres Erachtens eine Verzettelung bei der Verteilung der Entwicklungshilfemittel sondergleichen dar. Die Frage ist, ob die ausgereichten Mittel überhaupt effizient eingesetzt und verwendet werden und ob die Prüfung vollumfänglich stattfindet und personalmäßig überhaupt möglich ist. Besonders fragwürdig ist, dass allein rund 300 Millionen Euro an deutsche politische Stiftungen fließen. Wenn man sich dann mal anschaut, was diese Stiftungen im Einzelnen finanzieren, so stößt man auf Projekte wie zum Beispiel die Genderförderung. ({4}) – Nicht Frauenförderung, da steht „Gender“. ({5}) Es gibt sicher Wichtigeres und Dringenderes zu tun als die Förderung der Genderideologie. ({6}) Außerdem ist nicht nachvollziehbar, wieso China als mittlerweile zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt deutsche Entwicklungshilfe bekommt, so zum Beispiel 190 Millionen Euro an staatlichen Garantien, zinssubventionierte Darlehen der KfW in Höhe von 250 Millionen Euro zuzüglich diverser Einzelmaßnahmen kirchlicher und sonstiger Einrichtungen. Ebenso erhält die Türkei 56 Millionen Euro an staatlichen Garantien sowie zinssubventionierte Darlehen in Höhe von 100 Millionen Euro aus dem Etat des Entwicklungshilfeministeriums. ({7}) – Ja, das gibt es nicht. Das heißt „Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“; sie haben vollkommen recht. ({8}) Statt eine Vielzahl von Projekten und Trägern zu fördern, wäre es aus unserer Sicht effektiver, wenn sich die Entwicklungshilfepolitik auf wenige, dafür große Projekte konzentrieren würde, auf sogenannte Leuchtturmprojekte. Außerdem sollten die Gründung und Ansiedelung von Produktionsstätten zum Beispiel zur Veredelung und Verarbeitung von Agrarprodukten wie Kaffee, Kakao oder sonstiger Rohstoffe gefördert werden, damit die Menschen ihren Wohlstand selbst erarbeiten können. ({9}) Dann würde das Ministerium seinem Namen – wirtschaftliche Zusammenarbeit – gerecht werden. Aber das passiert viel zu wenig. Dazu gehören natürlich auch faire Wirtschaftsbeziehungen. Das wäre ein zukunftsweisender Beitrag zur Entwicklung und wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Ich freue mich auf die Diskussion in den Ausschüssen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sonja Steffen für die SPD-Fraktion. ({0})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Herr Münz, ich habe eigentlich schon darauf gewartet, dass Sie das Thema Gendern ansprechen. Ich empfehle Ihnen eine Fortbildung in dem Bereich, damit Sie sich unter dem Begriff vielleicht ein bisschen mehr vorstellen können. ({0}) Und lauschen Sie meiner Rede! Vielleicht können Sie dann auch in dem Zusammenhang noch etwas lernen. ({1}) Meine Damen und Herren, wir stellen im Haushalt 2018 einen Rekordetat für die Entwicklungszusammenarbeit auf: über 9,4 Milliarden Euro. Damit steigern wir die Ausgaben gegenüber dem Vorjahr um 900 Millionen Euro. Das sind satte 10 Prozent. Insgesamt wachsen die Ausgaben des Bundeshaushaltes übrigens nur um 3,1 Prozent. Daran sieht man, wie stark der Etat der Entwicklungszusammenarbeit gestiegen ist. Der erste vierjährige Finanzplan von 2014 sah für 2018 noch Ausgaben in dem Bereich in Höhe von knapp 6,7 Milliarden Euro vor. Inzwischen sind es 2,7 Milliarden Euro mehr geworden. Das hat mit Sicherheit auch damit zu tun, dass in den letzten Jahren viel mehr Flüchtlinge weltweit unterwegs waren und auch bei uns in Deutschland viele Flüchtlinge angekommen sind. Dadurch ist aber auch bei uns in Deutschland ein neuer Fokus auf der Notwendigkeit entstanden, mehr humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit vor Ort in den Krisengebieten zu leisten. Mit dem großen Aufwuchs im Einzelplan des BMZ setzen wir einen deutlichen Schwerpunkt, der auch uns Sozialdemokraten sehr am Herzen liegt: unsere internationale Verantwortung. Ich freue mich übrigens besonders – Herr Münz, passen Sie auf! – über die Aufstockung des Etats bei den politischen Stiftungen. ({2}) Vielleicht sollten Sie einmal Ihre Komfortzone verlassen und die Akteure vor Ort besuchen. ({3}) Dann werden Sie nämlich sehen, dass die politischen Stiftungen wichtige Partner in den Entwicklungsländern sind, insbesondere wenn es darum geht, das Demokratieverständnis, ({4}) die politische Meinungsvielfalt und die Rolle der Frau zu stärken. ({5}) Auch der Aufwuchs bei den Kirchen ist sehr zu begrüßen. Nicht zuletzt sie sind es nämlich mit Brot für die Welt und Misereor, die in den ärmsten Regionen oft noch die einzigen Netzwerke haben, an die die Menschen sich vor Ort wenden können. Ein weiterer Schwerpunkt des Etats liegt wie schon früher auf dem Bereich Krisenbewältigung und Wiederaufbau. Hier werden die Mittel um insgesamt 200 Millionen Euro auf 700 Millionen Euro aufgestockt. Damit sorgen wir für den Wiederaufbau von Wasserleitungen. Der Herr Minister hat es vorhin im Zusammenhang mit seiner Reise nach Mosul schon erwähnt. Damit sorgen wir für den Aufbau von Schulen und Krankenhäusern in Krisen- und Katastrophengebieten wie Syrien, dem Gazastreifen und dem Südsudan. Allerdings ist hier eine intensive Abstimmung zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Entwicklungsministerium nötig. Meine Damen und Herren, ich fürchte, dass die weltweiten Krisen und Konflikte auch zukünftig nicht weniger werden. Gerade die Ereignisse in den letzten Tagen haben uns das wieder vor Augen geführt. Wir sollten deshalb zukünftig auch im Bereich der humanitären Hilfe weitere Haushaltsmittel zur Verfügung stellen. ({6}) Die Bundeskanzlerin hat übrigens heute Morgen in ihrer Rede auch darauf hingewiesen, dass gerade in der humanitären Hilfe die Budgets zum Beispiel von Welternährungsprogramm und UNHCR dramatisch defizitär sind. Deshalb ist hier eine stärkere finanzielle Unterstützung unbedingt erforderlich. ({7}) Herr Minister, Sie haben uns vorhin einen kurzen Ausblick auf die nächsten Jahre ab 2019 gegeben. Wir von der SPD-Fraktion begrüßen ausdrücklich, dass Sie die Zusammenarbeit mit Afrika verstärken wollen. Wir erinnern aber auch daran – das haben Sie bereits getan –, dass dazu ein fairer Handel benötigt wird. Ein Blick in den Koalitionsvertrag zeigt, dass wir das eindeutig festgelegt haben. Wir wollen Vorreiter für eine faire Handelspolitik im Verhältnis zu Afrika sein. Wir wollen verbindliche soziale, menschenrechtliche und ökologische Standards, die eingehalten werden. ({8}) Als weiteren Schwerpunkt, Herr Minister, haben Sie vorhin das Rückkehrerprogramm „Perspektive Heimat“ genannt. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Mir ist jeder freiwillige Rückkehrer tausendmal lieber als diese grausamen Nacht-und-Nebel-Aktionen, in denen Menschen abgeschoben werden, die oft jahrelang gut integriert bei uns lebten. Wenn es also um Binnenflüchtlinge geht oder darum, den Menschen eine wirklich fundierte Perspektive zu verschaffen, dann haben Sie uns auf alle Fälle an Ihrer Seite. Allerdings lässt die Bezeichnung „Perspektive Heimat“ auch befürchten, dass mit Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit Innenpolitik betrieben werden soll. Das sehen wir Sozialdemokraten sehr kritisch. ({9}) Entwicklungspolitik bedeutet nämlich nicht, Menschen wieder dorthin zurückzubringen, woher sie gekommen sind, vor allem dann nicht, wenn sie dort keine Perspektive haben. Wenn ich Sie aber richtig verstanden habe, Herr Minister Müller, sehen Sie das genauso. ({10}) Wir begrüßen auch, dass Sie 2019 eine Bildungs- und Ausbildungsoffensive starten wollen. Sie haben im Berichterstattergespräch gesagt, dass es Ihr Ziel ist, 25 Prozent des Etats für Bildung und Ausbildung einzusetzen. Sie können sicher sein, dass Sie dafür bei uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten große Unterstützung finden werden. Wir sollten allerdings bei der Bildung die Grundbildung nicht vergessen und einen besonderen Schwerpunkt auf die Bildung der Mädchen setzen; denn die Mädchen, die Frauen sind oft die eigentlichen Kraftwerke vor Ort. ({11}) Neben der Bildung ist uns vor allem der Gesundheitsbereich wichtig; denn wer krank ist, kann nicht arbeiten und seine Familie ernähren. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Epidemien in kürzester Zeit – Beispiel Ebola – verheerende Folgen haben. Oft geht es um Krankheiten, die dank des medizinischen Fortschritts eigentlich vermeidbar sind. Deshalb wollen wir – auch das ist im Koalitionsvertrag festgelegt – die Impfallianz GAVI und den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria weiter unterstützen. Wie Sie sehen, ist noch viel zu tun. Ich freue mich auf die kommenden Beratungen über den Haushaltsplan 2018. Aber wir brauchen für die Erreichung der Ziele auch in zukünftigen Haushaltsjahren ausreichend Haushaltsmittel. Die SPD-Fraktion wird sich weiterhin für die Erreichung des ODA-Ziels einsetzen. Dafür brauchen wir Aufwüchse bei der Entwicklungszusammenarbeit, aber auch beim Auswärtigen Amt im Bereich der humanitären Hilfe, im Umweltministerium für Klimaschutzmaßnahmen und im Gesundheitsministerium für globale Gesundheit. Herr Minister, wir wollen dies sehr gerne mithilfe des Instruments der Finanztransaktion­steuer tun. Da haben Sie uns Sozialdemokraten ebenfalls auf Ihrer Seite. Vielen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Georg Link für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Das BMZ soll 2018 etwa 1 Milliarde Euro zusätzlich bekommen; das ist gut und richtig. Das klingt zunächst positiv, wir sollten als Haushälter jedoch etwas tiefer schauen. In einer solchen Debatte wie der heutigen müssen wir manchmal Wasser in den Wein schütten. Ohne wichtige Änderungen in der Struktur unserer Entwicklungspolitik wird diese zusätzliche Milliarde Euro allein in der Welt wenig bewirken. Dafür sehen wir aus unserer Sicht drei Gründe. Erstens. In der Entwicklungspolitik zählt nicht Quantität – Mittelabflussgeschwindigkeit –, sondern Qualität. Das heißt nicht, Herr Minister, dass das, was Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, was alle Mitglieder des Hauses, des BMZ, der GIZ, der KfW und anderer Organisationen bereits heute leisten, nicht qualitätsvoll wäre, im Gegenteil. Für meine Fraktion möchte ich all jenen Menschen, die sich aus und für Deutschland beruflich und ehrenamtlich in der Entwicklungszusammenarbeit engagieren, sehr herzlich danken. ({0}) Entwicklungszusammenarbeit kann mühsam und langwierig sein. Manchmal gibt es beeindruckende Ergebnisse. Manchmal scheitern Projekte. Grundsatz der deutschen Entwicklungspolitik muss deshalb immer sein, stets besser zu werden, um besser helfen zu können. Dafür muss man sich aber auch bewerten lassen; ich meine eine Bewertung von möglichst unabhängigen Experten. Eine solche externe Evaluierung findet in der deutschen Entwicklungsarbeit leider nicht – jedenfalls bei weitem nicht ausreichend – statt. Stattdessen arbeitet das BMZ mit Evaluierern, deren Zugang zu Unterlagen und Daten des BMZ – Zitat aus dem Bericht des Bundesrechnungshofs an den Haushaltsausschuss vom 8. Mai 2018 – nicht ausreichend sicherstellt, dass das Evaluierungsinstitut DEval seinen satzungsgemäßen Auftrag sachgerecht und unabhängig erfüllen kann. Deshalb ist es wichtig, festzustellen: Die Erfolgsbewertung von entwicklungspolitischen Projekten gehört in externe, unabhängige Hände. Ich erlaube mir den kurzen Schwenk: Eigentlich muss gleich der gesamte deutsche Außenauftritt, also die Arbeit des BMZ und des AA, auf die gleiche Weise extern evaluiert werden. Nur wenn mehr Quantität auch zu mehr Effizienz, Abstimmung und Qualität führt, kann ein höherer Haushalt mehr bewirken. Zweitens. In der Entwicklungszusammenarbeit müssen wir global zusammen anpacken. Wir brauchen mehr Multilateralität. Ich höre gerne, wenn heute davon geredet wird, Herr Minister, dass wir mehr Europa brauchen. Ich höre gerne, wenn lobende Worte zum UNHCR gefunden werden. Aber dann möchten wir auch in der Praxis des BMZ mehr Multilateralität sehen. Wir Freie Demokraten begrüßen deshalb ausdrücklich, dass einige der zusätzlichen Gelder für das BMZ in die Programme der VN fließen sollen. Das ist wichtig. Dort, wo wir uns global koordinieren, können wir mehr erreichen. Denken Sie nicht nur an das Flüchtlingshilfswerk, sondern auch an die Weltgesundheitsorganisation. Der Minister wird nicht müde, zu betonen, wie wichtig ihm das Thema Bildung ist. Doch wo sind die zusätzlichen Mittel für den UN-Bildungsfonds? Der Bundesminister spricht gerne über das Thema Frauenrechte. Also frage ich: Wo sind die zusätzlichen Mittel für die Internationale Föderation zur Familienplanung? An mangelndem Aufwuchs des Einzelplans kann es ja wohl nicht liegen. Mit den zusätzlichen Mitteln für die Entwicklungspolitik könnte Deutschland in erprobte multilaterale Programme investieren und somit auch die UN in einer wichtigen Zeit handlungsfähiger machen. Stattdessen pflegt der Minister lieber seine eigenen bilateralen Schauplätze und erhöht den Etat für seine drei Lieblingsprojekte, die sogenannten Sonderinitiativen – wir haben gerade von einer vierten gehört –, um über 200 Millionen Euro. Dadurch baut er, ganz offen gesagt, einen Schattenhaushalt auf. Denn die Sonderinitiativen behandeln ja die gleichen Themen, die das BMZ auch an anderer Stelle bearbeitet. Lassen Sie mich einen dritten Grund nennen, wieso der Mittelzuwachs für das BMZ alleine nicht so viel bewirken wird, wie man es sich von einer so großen Summe erhoffen würde. BMZ, Auswärtiges Amt und Verteidigungsministerium verfolgen weiterhin bei weitem nicht ausreichend einen vernetzten Ansatz. Sie haben heute Ihre Rede damit begonnen, Herr Minister. Ja, wir würden gerne mehr von einem vernetzten Ansatz sehen. Da ist sehr viel Luft nach oben. Solange sich zum Beispiel bei der Bekämpfung der Fluchtursachen die Aufgaben des BMZ und des AA immer noch so stark überschneiden, solange BMZ- und AA-Repräsentanten im Ausland oft unterschiedliche Positionen vertreten, zum Beispiel zu den seit 2015 enorm gestiegenen Mitteln zur Krisenbekämpfung, solange keine effiziente Koordinierung zwischen diesen beiden Häusern stattfindet, so lange verschwenden wir Gelder. ({1}) Wir fordern daher ganz unmissverständlich, dass die angekündigte Spending Review, also der Check der Ausgaben der Bundesregierung – das ist zwar auch nicht bestes Deutsch, aber etwas verständlicher formuliert –, die Potenziale für eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Häusern aufdeckt und – das ist uns wichtig – bereits im 2019er-Haushalt vorgelegt wird, jedenfalls ihre ersten Ergebnisse. Ein höherer Haushalt für das BMZ macht erst dann wirklich Sinn, wenn dadurch keine Parallelstrukturen finanziert werden. Fazit: Wir brauchen erstens eine unabhängige externe Evaluierung, zweitens mehr Investitionen in die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit und die Arbeit der UN und drittens einen effizienten Außenauftritt im Rahmen eines vernetzten Ansatzes aus Entwicklungs-, Außen- und Verteidigungspolitik. So kann ein größerer Haushalt tatsächlich auch mehr bewirken. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun Michael Leutert das Wort. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In letzter Zeit wird bei den Beratungen im Haushaltsausschuss der Koalitionsvertrag wie eine Bibel vor sich her getragen. Jeder hat ihn eingesteckt und hat die entsprechenden Stellen markiert, damit man sich gegenseitig beweisen kann, dass man auf Grundlage des Koalitionsvertrages arbeitet. Eine Sache, die hier immer wieder eine Rolle spielt und hier auch schon mehrmals angesprochen wurde, ist, dass im Koalitionsvertrag eine Kopplung zwischen Verteidigungsausgaben und ODA-Ausgaben, also Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit, festgelegt sei. Die Umsetzung solle sozusagen eins zu eins erfolgen. Daran glauben selbst Journalisten. Ich habe Artikel gelesen, in denen Journalisten genau das schreiben: Wenn es 1 Milliarde Euro mehr im Verteidigungsbereich gibt, dann wird es auch 1 Milliarde Euro mehr im Bereich Entwicklungszusammenarbeit geben. Wenn man sich jetzt mal die Zahlen anschaut, nicht bloß die vom Haushalt 2018, sondern auch die von der Finanzplanung, die bis zum Jahr 2021 reicht, bekommt man ein ganz anderes Bild, ({0}) und dieses Bild ist ziemlich erschreckend. Man sieht, dass im Bereich BMZ, in Ihrem Ministerium, Herr Minister, zwar immerhin noch 2,5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stehen, dass es im Bereich des Auswärtigen Amtes allerdings ein Abschmelzen von 3,8 Milliarden Euro geben wird, das heißt insgesamt ein Minus von 1,3 Milliarden Euro. Im Verteidigungsbereich gibt es dagegen satte 22,5 Milliarden Euro mehr. ({1}) Das – so muss ich mal sagen – hat nichts mit einem Verhältnis von 1 : 1 zu tun, sondern das ist das glatte Gegenteil von dem, was im Koalitionsvertrag steht. Ich weiß nicht, wie man sich dafür feiern kann. ({2}) 22,5 Milliarden Euro im Verteidigungsbereich – ich will überhaupt nicht darüber debattieren, ob das sinnvoll oder nicht sinnvoll ist; das haben wir vorhin gemacht – zeigen doch eines: Wenn man sich politisch einig ist, dass man etwas will, dann kann man auch die Mittel dafür mobilisieren. Genau 20 Milliarden Euro bräuchten wir im BMZ, um die 0,7-Prozent-Quote, die seit Jahren immer wieder angekündigt und bemüht wird, endlich zu erfüllen. ({3}) Jedes Jahr 2 Milliarden Euro mehr; dann würden wir das Ziel erreichen. Aber wir wissen natürlich auch: Geld allein genügt nicht, um die Aufgaben zu bewältigen, vor denen wir stehen. Es geht darum, Ländern wirtschaftliche Perspektiven zu eröffnen, Entwicklung zu erreichen, sodass die Menschen dort eine Perspektive haben. „Fluchtursachen bekämpfen“, „EINEWELT ohne Hunger“, die Sonderinitiativen, alles das ist angesprochen worden. Aber da sind natürlich auch die Rahmenbedingungen entscheidend; auch das haben Sie angesprochen, Herr Minister. Wenn wir auf der einen Seite unter anderem mit BMZ-Geldern – 9,5 Milliarden Euro stehen in diesem Jahr zur Verfügung – versuchen, in Afrika wettbewerbsfähige Strukturen in der Landwirtschaft aufzubauen, und auf der anderen Seite einen EU-Haushalt haben, der mit 55 Milliarden Euro unsere einheimische Landwirtschaft subventioniert – das heißt, diese Landwirtschaft ist so aufgestellt, dass sie afrikanische Produkte immer sozusagen niederkonkurrieren wird –, dann werden wir das Ergebnis natürlich nicht erreichen. So kann Entwicklungszusammenarbeit nicht funktionieren. ({4}) Das ist ungerecht, und Fakt ist auch: Nur Gerechtigkeit wird mehr Sicherheit schaffen. Das muss von Ihnen vielleicht noch mal an den Finanzminister adressiert werden. Wenn wir mehr Sicherheit haben wollen – das haben Sie auch angesprochen –, müssen wir etwas für die Sicherheit, für die Entwicklungsperspektiven in diesen Ländern tun, und dazu gehört auch die Frage der Gerechtigkeit. Schließlich gilt es – Kollege Link hat es gerade angesprochen –, Kompetenzen klar zu klären. Wenn sie geklärt sind, kann man effektiver arbeiten. Vielleicht können Sie uns da auch helfen. Die FDP hat dazu ja schon mal einige Vorschläge unterbreitet, das BMZ zum Beispiel abzuschaffen. Dann brauchte aber Kollege Niebel noch ein Ministerium, und dann wurde es doch nicht abgeschafft. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion haben Westerwelle und Niebel damals Kompetenzen klären wollen. Die Entscheidungen, die damals in dieser Nacht-und-Nebel-Aktion getroffen wurden, hängen uns noch heute an; sie erschweren uns die Arbeit. Aber aus Fehlern kann man lernen. Vielleicht können Sie uns dabei helfen. ({5}) Trotzdem brauchen wir zu den Projekten, die angekündigt werden, Klarheit. Wir müssen wissen, um was es geht. Eine Sache, die immer wieder groß angekündigt wird, ist das Rückkehrprogramm unter dem Titel „Perspektive Heimat“. Dazu möchte ich nur anmerken: Herr Minister, Sie haben gesagt, Sie seien nicht das Abschiebeministerium. Damit Sie mit Ihrem Parteifreund, der Heimatminister ist, nicht doch noch Kompetenzstreitigkeiten bekommen, müssten Sie hier klar erklären, was mit dem Rückkehrprogramm „Perspektive Heimat“ gemeint ist. Welche Elemente sind darin enthalten? Wir wissen zum Beispiel, dass sogenannte Migrationszentren Teil dieses Programms sind, aber wir wissen nicht genau, wie sie funktionieren, was sie für eine Aufgabe haben, mit welchen Instrumenten sie arbeiten werden. Deshalb mein Vorschlag: Wir fahren mal dorthin und schauen uns diese Migrationszentren an. ({6}) Herr Minister, zum Schluss hätte ich noch einen Vorschlag. Sie machen hier im Plenum immer hervorragende Vorschläge; die stoßen, glaube ich, auf breite Zustimmung. Sie haben mal von fairem Handel statt freiem Handel gesprochen. Das hat mich sehr gefreut, meine Kolleginnen und Kollegen auch. Heute haben Sie gesagt, wir sollten die Finanztransaktionsteuer hier beschließen. Das Problem ist nur, dass Sie sich im Kabinett nicht durchsetzen können. Aber wir können ja Folgendes machen: Wir machen einen überfraktionellen Antrag. ({7}) Vielleicht bringen Sie noch ein paar Leute von der CSU mit. Dann bekommt man vielleicht eine Mehrheit im Plenum, um das zu beschließen. Das ist mein Vorschlag. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Anja Hajduk das Wort. ({0})

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin meinem Kollegen Herrn Leutert sehr dankbar, dass er die Debatte wieder auf das reale Maß zurückgeführt hat und ein bisschen das Hütchen gelüpft hat, das diesen Pseudofrieden in der Regierung bedecken sollte. ({0}) So gut sieht das nämlich im Entwicklungsbereich gar nicht aus. Herr Minister, Sie waren heute im Vergleich zu Montag, als wir bei Ihnen im Ministerium waren, geradezu moderat. Sie haben bei der Kabinettsentscheidung eine Protokollerklärung abgegeben, dass Sie zwar wohlwollend zur Kenntnis nehmen, dass der Haushalt 2018 einen veritablen Aufwuchs verzeichnet, aber dass der Sinkflug, der dann 2019, 2020 und 2021 eintreten soll – ich sehe, Sie nicken kräftig –, eigentlich einem Bruch der Koalitionsvereinbarung gleichkommt. So kann man das nämlich übersetzen. ({1}) Herr Leutert hat es vielleicht etwas zu hart zugespitzt, als er gesagt hat, dass man, wenn man alle Aufwüchse im Verteidigungsetat zusammennimmt, auf ein Plus in Höhe eines zweistelligen Milliardenbetrages kommt. Ich stelle es jetzt noch einmal etwas genauer insbesondere für die Kollegen der SPD dar; denn Finanzminister Scholz, der für den Finanzplan zuständig ist, ist ja SPD-Mitglied. Unter der Maßgabe, dass diese Große Koalition den alten Finanzplan, der ja auch von einer GroKo aufgestellt wurde und bei dem auch schon ein Aufwuchs im Verteidigungsetat vorgesehen war, als Grundlage genommen hat – das finden wir Grüne falsch, aber das nehme ich einmal hin –, rechne ich jetzt einmal die Eins-zu-eins-Regel. Selbst unter der Maßgabe, dass der alte Finanzplan gilt, hat Frau von der Leyen in der mittelfristigen Finanzplanung zusätzlich 2,7 Milliarden Euro mehr, das BMZ jedoch deutlich weniger. Da findet der Aufwuchs nicht im Verhältnis eins zu eins statt, sondern in diesem Finanzplan findet sich ein milliardenschwerer Bruch gegenüber den Maßstäben, die Sie eigentlich angelegt haben, und gegenüber dem, was Sie der Öffentlichkeit verkauft haben. ({2}) Das wiegt insbesondere deshalb schwer – das hat der Minister auch richtig gesagt –, weil das Auswirkungen auf die ODA-Quote und die Glaubwürdigkeit der von der Bundesregierung vertretenen Positionen hat. Die 0,5 Prozent unter Herausrechnung der Aufwendungen für die Flüchtlinge im Inland erreicht zu haben, war schon ein gewaltiger Schritt in der vergangenen Legislaturperiode. Das haben wir Grünen auch zugestanden. Aber jetzt nehmen Sie in Kauf, dass die ODA-Quote wieder Jahr für Jahr sinken wird, und das ist die Konsequenz der Finanzplanung von Finanzminister Olaf Scholz, SPD. Da können Sie sich nicht einfach zurücklehnen und wie Sie, Frau Steffen, sagen: Wir hoffen, dass das irgendwann besser wird. – Sie müssen da jetzt liefern. Deswegen wäre, wenn es so bliebe, unter diesem Gesichtspunkt der BMZ-Etat eine milliardenschwere Mogelpackung. ({3}) Herr Minister, es ist natürlich richtig, auch Sie in die Pflicht zu nehmen. Sie müssen den Streit auch wirklich ausfechten. Sie haben nämlich noch eine Milliardenlücke, und zwar beim internationalen Klimaschutz. Die Zusagen der Bundesrepublik bis zum Jahr 2020 – das spielt sich alles in dieser Legislaturperiode ab – bedeuten, dass wir noch 1 Milliarde drauflegen müssen, damit Deutschland die in Kopenhagen gemachte Zusage, den eigenen Beitrag zum internationalen Klimaschutz schrittweise zu erhöhen, einhält. Davon ist in Ihrem Haushalt nichts zu sehen. Sie haben also auch da noch Ihre Hausaufgaben zu machen. ({4}) Sie könnten jetzt sagen: Frau Hajduk, Sie reden ja über den Finanzplan, wir reden aber über den Haushalt 2018. – Ein Nachweis jedoch, der leider auch im Haushalt 2018 steckt, ist bei der Entwicklungspolitik besonders wichtig und in diesem Fall auch dramatisch. Es geht nicht immer nur um die im Haushalt 2018 verankerten Zahlen, sondern es geht auch um die Verpflichtungsermächtigungen, die wir in diesem Jahr für die Zukunft geben. Und nur auf dieser Basis kann Entwicklungspolitik funktionieren. Im Haushalt 2018 sind die Verpflichtungsermächtigungen jedoch zusammengestrichen worden. Es gibt da ein Minus um 15 Prozent im Vergleich zum Jahr 2017. ({5}) Auch da müssen Sie in den Haushaltsberatungen noch etwas nachbessern. Wir werden entsprechende Anträge vorlegen. Vielleicht stimmen Sie ja dann auch diesen Anträgen zu. Das wäre ja nicht das Schlechteste. Ich möchte zum Schluss noch etwas dazu sagen, was im Sinne einer glaubwürdigen und ehrlichen Politik auch nicht passieren dürfte. Die Bundeskanzlerin hat ja heute Vormittag im Zusammenhang mit internationalen Krisen deutlich gemacht, wie wichtig die Finanzierung von multilateralen Institutionen ist. Sie hat auch auf das Thema Welternährungsprogramm Bezug genommen. Wir stellen fest, dass in den entsprechenden Töpfen in Ihrem Haushalt, Herr Müller, keine entsprechenden Aufwüchse sind. Im Jahr 2011 lag der Anteil an der multilateralen Organisationsfinanzierung in der deutschen ODA-Quote bei 62 Prozent. Jetzt – uns liegen die Zahlen für 2016 vor – ist er auf 26 Prozent abgesunken. Sie haben die Entscheidung getroffen, die multilaterale Finanzierung dermaßen zurückzufahren. Das halte ich für nicht glaubwürdig und nicht richtig – schon gar nicht in Zeiten, wie wir sie im Moment angesichts der Flüchtlingsdynamik erleben. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Achten Sie bitte auf die Zeit.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der allerletzte Punkt – er geht ganz schnell – betrifft Kohärenz: vernetzte, in sich stimmige Politik. Ja, Deutschland muss eine führende Rolle bei dem zukünftigen europäischen Finanzrahmen übernehmen. Es kann nicht sein, Herr Müller, dass wir zehnmal so viel Geld für europäische Agrarpolitik ausgeben wie für die gesamte Entwicklungspolitik der Europäischen Union. Jetzt muss der Entwicklungsminister der Landwirtschaftsministerin aus der eigenen Fraktion, dem Kanzleramt und dem Bundesinnenminister klarmachen, dass es eine Federführung braucht und eine stimmige Entwicklungspolitik, die mehr Geld in die Partnerschaft für Afrika setzt als in die alte Subventionierung einer falschen Agrarpolitik in Europa. Daran werden wir Sie messen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Auch in dieser letzten Runde der Hinweis: Zum Schluss sprechen Sie auf Kosten der noch von Ihnen gemeldeten Rednerinnen und Redner Ihrer Fraktion, wenn Sie nach dem ersten Hinweis weiter überziehen; so haben wir das auch gegenüber den anderen Fraktionen heute durchgängig praktiziert. Das Wort hat der Kollege Hermann Gröhe für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hermann Gröhe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002666, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Herr Minister Müller! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Dass im Vorfeld dieser Haushaltswoche der Haushalt des BMZ – Stichwort: ODA-Quote – und der Verteidigungshaushalt Gegenstand der öffentlichen, ja auch der koalitionsinternen Debatte waren, zeigt nicht zuletzt: Wir brauchen eine öffentliche Debatte über die gewachsene internationale Verantwortung unseres Landes. Für uns als Unionsfraktion ist klar: Investitionen im eigenen Land in eine gute Zukunft – Stichworte: Bildung, Forschung, sozialer Zusammenhalt – und ein klares Bekenntnis zur gewachsenen internationalen Verantwortung gehören untrennbar zusammen. Ein Deutschland, das sich abschottet oder seiner Verantwortung entzieht, kann keine gute Zukunft haben, meine Damen, meine Herren. ({0}) Wir bekennen uns zu unserer Verantwortung und versuchen, die Lage der Menschen in den ärmsten Ländern der Welt, der Menschen, die von Bürgerkriegen und Ausbeutungen in dramatischer Weise betroffen sind, nachhaltig zu verbessern. Dies ist ein Gebot der Humanität, dem wir uns als christliche Demokraten verpflichtet fühlen, international und auch weil es in unserem eigenen Interesse ist. Ich möchte an dieser Stelle, bevor wir über das Geld reden – das gehört sich so in einer Haushaltsdebatte – danksagen, dass das Geld, das zur Verfügung gestellt wird, die Arbeit von Menschen möglich macht, die als Freiwillige, als Ehrenamtliche oder im Hauptamt oft unter Inkaufnahme eines erheblichen persönlichen Risikos Dienst am Menschen in Not tun. Das ist etwas, was unser aller Dank verdient, meine Damen, meine Herren. ({1}) Der Haushaltsentwurf ist ein deutliches Zeichen des Bekenntnisses zu dieser Verantwortung. 9,4 Milliarden Euro – das ist Rekordwert; das ist eine Steigerung um mehr als 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Da wir so markante Worte zur ODA-Quote von Kollegin Hajduk von den Grünen gehört haben, will ich anmerken: Seit 2005 gibt es im BMZ-Haushalt ein Plus von 130 Prozent. In derselben Zeit hat das Ausgabevolumen insgesamt eine Steigerung um 30 Prozent erfahren. ({2}) 30 Prozent Steigerung, 130 Prozent in der internationalen Solidarität – und dies nach sieben mageren rot-grünen Jahren der Stagnation bei 4 Milliarden Euro. Unvergessen ist jedem, dass damals Heidemarie Wieczorek-­Zeul von Joschka Fischer Häme und nicht Hilfe erfahren hat. Ich denke, daran werden auch Sie noch mit Scham denken. ({3}) Es ist Gott sei Dank lange her, dass Sie dafür Verantwortung getragen haben; deswegen ist es ein Blick in die für Sie peinliche Geschichte. Unsere Taten bewirken die 130-prozentige Steigerung des Etats bei einem Gesamt­etatanstieg von 30 Prozent. ({4}) Wir ruhen uns darauf nicht aus; ({5}) das sage ich sehr deutlich. Wir bekennen uns dazu: Auch 2019 muss der Koalitionsvertrag eingehalten werden. Deswegen müssen wir auch entsprechend nachbessern. Wir als Unionsfraktion verstehen uns hier als Wächter des Koalitionsvertrages. Aber natürlich geht es nicht allein um mehr Geld für die ODA-Ministerien. Es geht um die inhaltliche Ausrichtung unserer Politik. Ich bin Gerd Müller ausdrücklich dankbar für die Leidenschaft, mit der er die Dinge vorantreibt. Den Rahmen setzen internationale Verabredungen: Ich nenne vor allem die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 der Vereinten Nationen, aber auch unsere Verpflichtungen im Rahmen von G 20 und G 7, die nicht zuletzt unter deutschen Präsidentschaften beschlossen wurden. Im Marshallplan mit Afrika wird ({6}) mit Reformpartnerschaften gezielt auch an die Eigenverantwortung der Länder, in denen Unterstützung geleistet wird, angeknüpft. Wenn hier wieder das Horrorgemälde einer sinnlosen Gießkanne beschworen wird, zeigt dies vor allen Dingen Ahnungslosigkeit. Es geht darum, in Partnerschaften Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu schützen. Es geht um den gleichberechtigten Zugang von Mädchen und Frauen zu Bildung und Arbeit, weil dies nachgewiesenermaßen eine entscheidende Grundlage für die gute Entwicklung in den ärmsten Ländern der Welt ist, auch wenn das in manches ewiggestrige Frauenbild nicht zu passen scheint. ({7}) Und schließlich geht es auch um den Schutz religiöser Minderheiten. Gerd Müller, viele Kollegen und ich waren gemeinsam auf einem Kongress, auf dem über die Lage der Christen und Jesiden im Nordirak berichtet wurde. Am Sonntag mussten wir erleben, dass in Indonesien erneut ein schrecklicher Terroranschlag gegen christliche Kirchen verübt wurde – in heimtückischer Weise unter Nutzung von Kindern als Selbstmordattentäter. Dieses schreckliche Ereignis zeigt einmal mehr, dass der weltweite Einsatz für Religionsfreiheit und Toleranz zwischen den Religionen dringend geboten ist. Wir sind froh darüber, dass mit Markus Grübel in der Bundesregierung nun das Amt eines Beauftragten für weltweite Religionsfreiheit diesem Thema einen noch höheren Stellenwert zukommen lässt. Herzlichen Dank, und alles Gute für diese Arbeit! ({8}) Abschließend möchte ich aufnehmen, was Kollegin Steffen über die Gesundheitsfragen gesagt hat. Im Etat des BMZ für das nächste Jahr sind 650 Millionen Euro nicht zuletzt für die Stärkung der Gesundheitssysteme in den ärmsten Ländern der Welt vorgesehen. Gerade ist der Chef der Weltgesundheitsorganisation aus dem Kongo zurückgekehrt, wo ein Ausbruch von Ebola, der derzeit zwar noch begrenzt ist, der sich aber Großstädten nähert, die internationale Gemeinschaft herausfordert. Wir müssen hier unter Beweis stellen, dass wir aus den schrecklichen Ereignissen der letzten Jahre gelernt haben. Auch deswegen bin ich dankbar, dass dies – als Querschnittsaufgabe – ein wichtiger Schwerpunkt unserer Entwicklungshilfepolitik ist. Es zeigt: Wir nehmen unsere internationale Verantwortung umfassend wahr. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat für die AfD-Fraktion Dietmar Friedhoff. ({0})

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Werte Frau Präsidentin! Herr Minister! Werte Damen und Herren! Eines vorab: Wir sind grundsätzlich für eine sinnvolle Entwicklungspolitik und für eine zielführende wirtschaftliche Zusammenarbeit. Es kommt uns nicht auf das Ob an, sondern vielmehr auf das Wie. Im Mittelpunkt aller unserer Überlegungen in der Entwicklungspolitik und eben und gerade auch in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit muss und sollte der Mensch stehen – der Mensch mit all seinen Träumen, seinen Wünschen, seinem Denken, Fühlen und Handeln. Dazu kommt, dass die Freiheit eines jeden Menschen das höchste Ziel all unseres Strebens sein sollte: die Freiheit, ein Leben in Würde und Selbstbestimmung gestalten zu können, fest eingebettet in ethische, moralische, aber auch gesetzliche Grundlagen. Dabei muss es eben auch legitim sein, als Staat seine Freiheit verteidigen zu können. Dies garantiert den darin Lebenden, so auch uns, den in Deutschland Lebenden, die Sicherheit, nach ihren Wertvorstellungen leben zu können. Wie ich das letzte Mal bereits sagte: Man kann nur dann helfen, wenn man auch in der Lage ist, zu helfen. So sollte es sein. Ist es auch so? Wie sieht sie aus, die Welt der politischen Hochglanzprospekte der Weltgemeinschaft, verglichen mit dem realen Leben der Menschen in diesen Entwicklungsländern? Steht der Mensch vor dem Profit, oder ist es nicht eher so, dass der Profit immer noch vor dem Menschen steht? Heute mehr denn je, schlimmer denn je, radikaler denn je. Das gilt übrigens selbst hier bei uns, in unserer Wertegemeinschaft. Zur Sache. 2016, 44 Jahre nachdem die Vereinten Nationen 1972 das Ziel ausgegeben haben, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe anzusetzen, haben wir es geschafft. Kinder, wie die Zeit vergeht! Deutschland hat die 0,7-Prozent-Marke erreicht, allerdings nur, weil diverse Beträge der Flüchtlingskosten, die wir in Deutschland gezahlt haben, angerechnet wurden, sonst wären wir immer noch bei 0,5 Prozent. Rechneten wir die Rücküberweisungen der in Deutschland lebenden Migranten in ihre Heimatländer dazu, wären wir wohl schon bei über 1,5 Prozent des Bruttonationaleinkommens. Aber auch und gerade das scheint Entwicklungspolitik zu sein. 2018, 44 Jahre nachdem Gerd Müller im Endspiel der Fußballweltmeisterschaft die deutsche Nationalmannschaft mit seinem legendären Tor zur Weltmeisterschaft führte, haben wir nun wieder einen Gerd Müller, jetzt Dr. Gerd Müller. Auch Dr. Gerd Müller schickt sich an, Weltmeister zu werden, und zwar Weltmeister im Füllen von diversen Entwicklungstöpfen. Gerne wird auch erwähnt, dass wir am meisten geben. Dabei, Herr Müller, sieht doch vieles nach Eigentor aus. Manches klingt wie ein Lattenknaller. Aber die Realität beweist: Sie scheinen ohne Tore zu spielen. Sie können, wenn Sie so weiterspielen, einfach nicht gewinnen. Dabei können Sie noch so viel in neue Spieler und in neue Manager investieren. Ohne Tore kein Gewinn! Deswegen müssen wir als Deutschland definieren, welche Tore wir schießen wollen, und dürfen das nicht den USA, China oder Frankreich überlassen. ({0}) Wirkt Entwicklungshilfe, wie wir sie heute verstehen? Macht es Sinn, den falschen Weg immer weiter zu gehen? Entwicklungshilfe fließt, aber? Nennen wir Beispiele: Im Kongo ist es so schlimm wie nie. Eines der reichsten afrikanischen Länder ist so arm wie nie. Ein Land voller Bodenschätze, Gold, Diamanten und Seltene Erden, wird ausgebeutet; ausgebeutet durch postkoloniales Handeln diverser Akteure. Es gibt instabile Verhältnisse und Grenzkriege, angezettelt durch Rebellenbanden; vieles geduldet durch Länder wie Belgien, Frankreich und die Vereinigten Staaten. Kinderarbeit ist Realität. Verschmutzung des Trinkwassers durch Reinigungsprozesse in den Minen – Realität; dadurch Hunger und Missbildung bei Neugeborenen – Realität. Niger und Mali, zwei Länder, die im Fokus Europas und der USA stehen, haben – ach Wunder – nicht nur massive Probleme durch Terror, Hunger und Nichtteilhabe, sondern eben auch ganz viele Rohstoffe wie Uran und Kobalt; Kobalt, liebe Grüne, das die E-Mobilität-Produzenten dringend brauchen und Lieferanten aus der Schweiz und China gerne liefern: 10 Kilogramm pro Auto, so rechnet man, abgearbeitet durch Kinderarbeit und Terror. Das ist die grüne Blutrealität, liebe Freunde; ({1}) denn E-Mobilität ist nicht nur nicht CO 2 -neutral, sondern wird auch durch Duldung menschenunwürdiger Arbeit in Afrika zu einem grünen Dilemma. Aber darüber reden wir jetzt besser nicht. – Herr Müller, vielleicht wäre es ein guter Ansatz, neben Ihrem grünen Knopf demnächst ein grünes Lenkrad für Fairtrade-Elektroauto-Mobilität einzuführen. ({2}) Auf das Uran haben gerade unsere französischen Freunde ein Auge geworfen. Ausbau und Festigung der Kernenergie ist das Ziel. Auch hier sind die USA, China und Frankreich die großen postkolonialen Akteure. In Syrien herrscht ein Krieg, der weiter von außen gesteuert wird. Ziel: das Verlegen einer Gaspipeline durch Syrien. Akteure: Frankreich und die USA. Deutsche Embargos? Fehlanzeige! Und wo bleiben Sie da, Herr Müller? Deutschland liefert weiter und immer weiter Entwicklungshilfe. Es ist oft kaum nachvollziehbar, in welchen Kanälen die Gelder versumpfen. Die einen zerstören, wir bauen wieder auf. Vielleicht ist das ja die Aufgabe in unserem globalen Spiel, weil wir eben nicht mitbomben: Wir kleben Pflaster auf die offenen Wunden von Ländern, die klinisch tot sind, aber immer weiter künstlich beatmet werden. ({3}) Wollen wir helfen, müssen wir die Tatsachen endlich beim Namen nennen, damit es massiven Druck von außen gibt. Das Elend unserer Welt entsteht durch die Ausbeutung von Mensch und Planet. Da helfen nur wirklich real existierende Leuchtturmprojekte und nicht ständig neue Hochglanzprospekte. ({4}) Im Gebiss des Bundeshaushaltes ist der Zahn der Entwicklungspolitik – Herr Müller, Ihres Zukunftsprojektes – an der Wurzel entzündet, er ist faul. Da hilft auch keine Hochglanzfüllung. Da hilft nur eins: ziehen und neu denken! Und dann kann es auch etwas werden mit dem kräftigen Zubeißen sinnvoller Entwicklungspolitik. Dann kann es auch mit dem Toreschießen klappen: Tore für die Wahrheit, Tore für die Menschheit und Tore für Deutschland. Danke schön. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Gabi Weber für die SPD-Fraktion. ({0})

Gabi Weber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004438, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Ich finde es schon fatal, wenn vonseiten der AfD wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit ihrem furchtbar ernsten Hintergrund, mit dem wir es hierbei immer wieder zu tun haben, ausgerechnet mit einem Fußballspiel verglichen werden. Das war ein Eigentor, meine Herren. ({0}) Aber zum eigentlichen Thema des heutigen Tages. Es geht darum, den Haushalt für 2018 einzubringen und ihn zu beraten. Ich kann nur festhalten – und das ist heute schon oft wiederholt worden, es ist aber noch nicht oft genug –: Dieser Haushalt sieht für das Ministerium 900 Millionen Euro mehr vor als der des Vorjahres. Da hilft dieses ganze Gejammer darüber, was im nächsten und übernächsten Jahr passiert, nichts. Das ist erst einmal ein Zuwachs von etwa 10 Prozent in diesem Jahr im Verhältnis zum letzten Jahr. Wenn wir ganz weit zurückgucken, dann stellen wir fest, dass dieser Haushalt 2014 mit 6,3 Milliarden Euro gestartet ist. Jetzt haben wir 9,44 Milliarden Euro. Ich denke, das ist eine Entwicklung, die angesichts der Krisen in der Welt angemessen ist. Für das, was zu bewältigen ist, ist es noch lange nicht genug, aber die 900 Millionen Euro jetzt sind ein wichtiger Schritt. ({1}) Ich bin nach den Erfahrungen der letzten fünf Jahre in diesem Bundestag sehr sicher, dass wir auch in den nächsten Jahren wieder einen erheblichen Aufwuchs für diesen Haushalt erreichen werden. Meine Damen und Herren, wer behauptet, dass die Eins-zu-eins-Regelung sofort gleichermaßen für den Verteidigungshaushalt und den Haushalt des Entwicklungsministeriums gelten würde, sollte einmal genau nachlesen. Es heißt nämlich im Koalitionsvertrag, dass zusätzliche Haushaltsspielräume prioritär für den Bereich Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe und alles, was in diesen Bereich gehört, sowie für Verteidigung genutzt werden sollen. Das ist ein gewaltiger Unterschied zu dem, was behauptet wird. ({2}) Ich möchte noch einige Worte zu den Stimmen sagen, die das Absenken der ODA-Quote insgesamt heraufbeschwören.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Weber, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Hajduk?

Gabi Weber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004438, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Tut mir leid. Ich möchte meinen Gedankengang erst einmal zu Ende führen. ({0}) Die Höhe des Haushalts des BMZ trägt zu rund 40 Prozent zu den Gesamt-ODA-Ausgaben bei. Für 2016 zurückgedacht, bedeutet das: Knapp 8 Milliarden Euro des damaligen Haushaltes standen 22 Milliarden Euro Gesamt-ODA-Ausgaben gegenüber. Nur die Höhe des Haushaltes des BMZ für die ODA-Leistungen zugrunde zu legen, greift einfach viel zu kurz. ({1}) Dazu zählen nämlich auch Mittel für humanitäre Hilfe, für zivile Krisenprävention, für auswärtige Kulturpolitik, für das Umweltministerium, und – das ist für den einen oder anderen vielleicht überraschend – die Bundesländer tragen mit 1 Milliarde Euro ebenfalls zu den ODA-Leistungen bei. Das sollten wir uns vor Augen führen. ({2}) Jetzt möchte ich zu einzelnen Punkten kommen, die uns wichtig sind. Das ist erstens der Zivile Friedensdienst. Der beste Weg, Krisen zu meistern, ist, sie erst gar nicht entstehen zu lassen. ({3}) Daher benötigen wir die Arbeit des Zivilen Friedensdienstes dringend. Leider erfährt ausgerechnet dieser Titel keinen Aufwuchs. Mit ein bisschen mehr Geld könnte hier noch mehr bewegt werden. Herr Minister, da sind wir uns doch einig. Da ist noch Luft nach oben, oder, Kolleginnen und Kollegen? ({4}) Des Weiteren bin ich sehr glücklich über Ihre neue Super-Initiative, 25 Prozent des Etats für Bildung auszugeben. Aber: Vergessen Sie nicht die gleichberechtigte Grundbildung von Jungen und Mädchen! ({5}) Ohne Grundbildung können Sie auch niemanden gut ausbilden. Zum Zweiten. Es müssen qualifizierte Berufsausbildungen sein. Schnelles Anlernen für Kurzzeitjobs schafft keine dauerhaften Perspektiven. Wir wollen, dass die Menschen in den Partnerländern wirtschaftlich erfolgreich sind und selbst Jobs schaffen können. Dazu brauchen sie auch Lokalwährungskredite. Das ist übrigens eine neue interessante Baustelle auch für dieses Ministerium. ({6}) Dass die ILO-Kernarbeitsnormen unbedingt einzuhalten sind, muss ich nicht besonders betonen. Was mich allerdings noch besonders umtreibt, ist das Thema Bevölkerungsanstieg, insbesondere in Afrika. Hier spielt neben mehr qualifizierter Bildung, vor allen Dingen für Frauen, nicht nur das Thema Müttergesundheit eine Rolle, sondern hier geht es auch um aktive Familienplanung für die ganz junge Generation. ({7}) In diesem Zusammenhang nenne ich beispielhaft eine Initiative aus der Zivilgesellschaft. Zwei Brüder aus Baden-Württemberg, beide unter 20, tragen in Ghana ein interessantes Projekt von „A Childhood for Children“ mit, durch das mithilfe von sexueller Aufklärung von Jugendlichen die Zahl der ungewollten Schwangerschaften zurückgeht und ebenfalls sexuell übertragbare Krankheiten eindämmt werden. So etwas müssen wir fördern: viele kleine Projekte aus der Zivilgesellschaft, die uns helfen, wirklich große Probleme zu bewältigen. ({8}) Ebenfalls wichtig ist die generelle Aufgabe, die am wenigsten entwickelten Länder im Blick zu haben. Hungerbekämpfung und Armutsbewältigung sind immer noch die dringlichsten Aufgaben für das BMZ. Über 800 Millionen Menschen hungern, 2 Milliarden Menschen gelten als chronisch unterernährt. Das ist eine der größten Herausforderungen; ihr müssen wir begegnen, damit aus Hunger keine Waffe gemacht werden kann. ({9}) Bei aller Einbindung der Privatwirtschaft, die im Sinne von wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Entwicklung wichtig ist, sollten wir uns alle klarmachen: In Gebiete von fragilen Staaten, in denen Menschen von massivem Hunger bedroht sind, wird trotz staatlicher Förderung kein Unternehmen investieren. Deshalb ist unsere Aufgabe weiterhin, Menschen in den ärmsten Regionen zu unterstützen. Das ist der Job, den wir machen müssen, vor allem Sie, Herr Müller, im Zusammenhang mit Ihrem Ministerium. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nächster Redner ist Olaf in der Beek für die FDP-Fraktion. ({0})

Olaf In der Beek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass Entwicklungszusammenarbeit nicht immer leicht verständlich ist, wissen wir aus vielen Gesprächen mit Bürgern. Ich habe allerdings mittlerweile das Gefühl, dass dieser Bereich auch von der Bundesregierung nicht wirklich verstanden wird. Diesen Eindruck macht zumindest der derzeitige Haushaltsentwurf, der wenig Neues und wenig Weitblick enthält. Wie bisher setzt der Minister im Kern auf bilaterale Zusammenarbeit. Dabei sind die Herausforderungen, vor denen die Welt steht, viel zu komplex, um sie im Alleingang lösen zu können. Herr Müller, die Bundeskanzlerin hat heute Vormittag von der Krise des Multilateralismus gesprochen. Der Haushalt Ihres Hauses ist doch die in Zahlen manifestierte Krise des Multilateralismus, die Sie selbst verursachen. ({0}) Um Entwicklungszusammenarbeit klug, effizient und nachhaltig zu gestalten, muss Deutschland europäisch und multilateral handeln. Denn nur wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehen, können weltweite Probleme wirklich angegangen werden. ({1}) Dieses würde in der Konsequenz allerdings bedeuten, Herr Minister, dass die Mittel für die bilaterale Zusammenarbeit deutlich verringert und im Gegenzug die Mittel für die multilaterale Zusammenarbeit deutlich aufgestockt werden müssten. Und genau das tun Sie eben nicht. ({2}) Sie stocken die bilateralen Mittel sogar noch auf und handeln damit entgegen dem, was Ihre Kanzlerin Ihnen heute ins Buch geschrieben hat. ({3}) Das zeigt, dass die Bundesregierung die internationale Dimension der Entwicklungszusammenarbeit nicht einmal ansatzweise verstanden hat. Statt unserem „Denken wir neu“ kommt von Ihnen nur ein klares Weiter-so. ({4}) Wichtiger, als immer mehr Geld zur Verfügung zu stellen, sind Programme in Entwicklungsländern, die sich an der Wirksamkeit orientieren. Dabei muss auch immer wieder überprüft werden, ob das Geld tatsächlich geholfen hat und ob die Projekte vor Ort wirklich erfolgreich und nachhaltig waren. Hier fordern wir glasklare Transparenz. Uns geht es doch darum, den Menschen in ihren Heimatländern eine Perspektive zu bieten. Reden wir nicht drumherum: Es geht auch um Fluchtursachenbekämpfung. Aber glauben wir wirklich und tatsächlich, dass wir 67 Millionen Flüchtlingen eine bessere Perspektive bieten können, wenn wir allein ein paar 100 Millionen Euro mehr zur Verfügung stellen? Nur wenn sich die Lebensbedingungen für Menschen in Entwicklungsländern wirklich zum Besseren wenden, wird der Migrationsdruck abnehmen. Das ist eine Generationenaufgabe, der wir uns stellen müssen. ({5}) Für Afrika hat die Bundesregierung hierzu einen sogenannten Marshallplan vorgelegt. Dieser ist bisher allerdings reine Schaufensterpolitik. Jedem ist doch klar: Nur gemeinsam mit der EU und multilateralen Organisationen kann dieser Plan erfolgreich umgesetzt werden. Auch hier gilt einfach wieder: Alleine wird Deutschland wenig bewegen können. Mehr Investitionen in internationale Bildungsprogramme wären ja vielleicht eine gute Idee. Frau Weber, Frau Steffen, ich nehme Sie beim Wort. Bisher, Herr Minister, kommt die Förderung von Grundbildung in der deutschen Entwicklungspolitik viel zu kurz. Dabei schafft doch gerade Grundbildung die Grundlage für das gesamte weitere Leben. ({6}) Investieren Sie endlich mehr Geld in die Grundbildung! Nur wer lesen, schreiben und rechnen kann, ist in der Lage, später einen Beruf zu erlernen und vor allen Dingen ein selbstbestimmtes Leben zu führen. ({7}) Wenn wir dabei sind, über Bekämpfung von Fluchtursachen zu sprechen: Riesige Waldflächen gehen jedes Jahr durch Brandrodung verloren und müssten durch Aufforstung zurückgeholt werden. Herr Minister, Sie sprechen doch immer von der Bewahrung der göttlichen Schöpfung. Aber auch das wird Deutschland nicht allein bewältigen können. Die weltweite Aufforstung kann nur international gelingen. Steigern Sie die multilateralen Mittel für diesen Bereich! Noch ein letzter Punkt. Gerade Frauen sind in Entwicklungsländern von einem fehlenden medizinischen Angebot im Bereich der Familienplanung betroffen. Familienplanung ist in den Entwicklungsländern jedoch deshalb besonders wichtig, damit es nicht, wie von der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung prognostiziert, bis 2050 zu einer Verdoppelung der Bevölkerung in Afrika kommt. Die USA haben ihre Beiträge zum Bevölkerungsfonds der UN leider Gottes vollständig eingestellt. Hier muss Deutschland die Herausforderung mit annehmen. Auch hier kommt von Ihnen genau nichts, wenn es darum geht, mit den europäischen Partnern gemeinsam zu handeln. Uns ist natürlich klar, dass nicht einfach immer mehr Geld ausgegeben werden kann. Dennoch bietet der Haushalt viel Potenzial. Wir werden in den kommenden Beratungen mit unseren Anträgen immer wieder aufzeigen, wo Umschichtungen von der bilateralen zur multilateralen Entwicklungszusammenarbeit möglich sind. Liberale Entwicklungspolitik ist nämlich marktwirtschaftlich, sie ist fair, und sie ist vernünftig. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun die Kollegin Eva Schreiber aus der Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Eva Maria Schreiber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004882, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Sehr geehrter Herr Minister Müller, ja, Sie bekommen mehr Geld; aber Sie haben leider völlig recht: Mit den hier vorgelegten Haushaltsplänen kann Deutschland seine internationalen Verpflichtungen in der Entwicklungs- und Klimapolitik nicht erfüllen – 0,5 Prozent sind eben nicht 0,7 Prozent. Mit Ihnen bin ich der Meinung, dass wir dafür die Finanztransaktionsteuer benötigen; Kollege Leutert hat ja eben einen entsprechenden Vorschlag gemacht. ({0}) Minister Scholz ist daran gescheitert, seinen Blick über die schwarze Null hinaus auf die drängenden globalen Herausforderungen zu richten und den Entwicklungsetat entsprechend zu erhöhen. Das ist traurig für die SPD. Insofern, lieber Herr Müller, würden meine Fraktion und ich Sie gerne bei Ihrer Forderung unterstützen, die Ausgaben für eine gerechte Entwicklungspolitik langfristig zu erhöhen. Aber Sie haben in letzter Zeit in meinen Augen leider einige Weichenstellungen getroffen, die wir für falsch halten: ({1}) Erstens: Ihr Deal mit dem Verteidigungsministerium. Die Verabredung, die Mittel im Verhältnis eins zu eins zu erhöhen, hat eine Seite, der hier viel zu wenig Beachtung geschenkt wird: Laut Koalitionsvertrag bedeutet jeder Euro mehr für Entwicklung eben auch einen Euro mehr für den Verteidigungshaushalt. Entwicklungszusammenarbeit als Gehilfin des Krieges, Aufrüstung als Voraussetzung für Entwicklung? Dazu sagen wir Nein. ({2}) Zweitens: der Umbau des Entwicklungsministeriums zum Fluchtabwehrministerium. Ihr Programm für Flüchtlinge „Perspektive Heimat“, das Sie jährlich mit 500 Millionen Euro ausstatten wollen, ist nichts anderes als die Außenabteilung der geplanten AnKER-Zentren in Deutschland. Beide verfolgen ein Ziel: Migranten und Flüchtlinge so schnell wie möglich aus Deutschland fortzuschaffen. Zugleich ist die GIZ in Ihrem Auftrag leider auch daran beteiligt, viele afrikanische Länder zu Außenposten der Festung Europa zu machen, um die Flüchtlinge schon dort aufzuhalten. Arbeiten Sie doch lieber daran, dass niemand mehr zur Flucht gezwungen wird! ({3}) Flucht ist die Folge von unfairen Handelsbedingungen wie den EPAs, von Rüstungsexporten oder von Krieg. ({4}) Drittens: die Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit auf wirtschaftlich starke Entwicklungsländer und den einseitigen Nutzen für die deutsche Privatwirtschaft. Der Anteil der ärmsten Länder an der deutschen Entwicklungszusammenarbeit schrumpft seit Jahren. Das ist ein verheerender Trend. Doch was machen Sie? Sie arbeiten an dessen Verstärkung, indem Sie Ihre Arbeit auf sogenannte Reformchampions in Afrika fokussieren. Zu diesen Champions soll bald das Militärregime Ägyptens zählen. Zugleich werden die Haushaltsmittel für die Zusammenarbeit mit der deutschen Privatwirtschaft erhöht. Entwicklungshilfe also für Siemens und den ägyptischen Diktator anstatt Unterstützung für die bedürftigsten Länder? Auch nicht mit uns! ({5}) Sehr geehrter Minister Müller, für eine solche Entwicklungspolitik darf es in unseren Augen nicht mehr Geld geben. Aber ich mache Ihnen einen Gegenvorschlag. Erstens. Streichen Sie alle Programme zur Rückführung und zur Abwehr von Flüchtlingen, und stecken Sie das Geld in Programme, die die Bezeichnung „Fluchtursachenbekämpfung“ wirklich verdienen! ({6}) Setzen Sie auf zivile Konfliktbearbeitung! In Deutschland gibt es hierfür viele gute Organisationen. Gewähren Sie mehr Budgethilfen, die die ärmsten Länder dabei unterstützen, ihr Bildungs- und Gesundheitssystem zu verbessern! Zweitens. Geben Sie den Versuch auf, sich neben Horst Seehofer als zentraler Migrationsmanager zu profilieren! Das passt übrigens auch nicht zu Ihnen. ({7}) Übernehmen Sie in der Bundesregierung lieber die Federführung in entwicklungspolitischen, fairen Handelsfragen, und sorgen Sie dafür, dass die Unternehmen ihrer Verantwortung entlang der Lieferketten nachkommen, insbesondere in menschenrechtlicher Hinsicht! ({8}) Drittens. Lösen Sie den faustischen Pakt mit dem Verteidigungsministerium wieder auf! ({9}) Unter diesen Bedingungen bin ich und ist meine Fraktion Die Linke sehr gerne bereit, mit Ihnen für einen langfristigen Aufwuchs des Entwicklungsetats zu kämpfen. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Ottmar von Holtz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Ottmar Holtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004762, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Entwicklungszusammenarbeit geht es um faire Bedingungen für die armen Länder auf dem Weltmarkt, es geht um Klima- und Umweltschutz, es geht um Bildung und soziale Gerechtigkeit, um Einkommenssicherung und vieles mehr. Die Erwartungen an Sie, Herr Minister Müller, sind also recht hoch. Geschickt erzeugen Sie den Eindruck, in Bezug auf Entwicklungszusammenarbeit ein progressiver Minister zu sein. Als neuer grüner Abgeordneter hat mich das tatsächlich sehr gewundert. Aber spätestens mit Blick auf den Haushalt muss ich sagen: Ich bin enttäuscht. ({0}) Alle Welt redet von Fluchtursachenbekämpfung. Was sind denn die Ursachen für Flucht? Bürgerkriege, Gewalt, Vertreibung, Diskriminierung, Hunger, Dürre, Überschwemmungen, Perspektivlosigkeit. Und was macht diese Bundesregierung? Ertüchtigung der Länder auf den Fluchtrouten, damit diese ihre Grenzen dicht machen, Migrationspartnerschaften, und nur noch Länder, die spuren, bekommen Geld. Das ist keine Fluchtursachenbekämpfung, das ist Fluchtbekämpfung, was Sie da betreiben. ({1}) Die UNESCO stellt in ihrem Weltbildungsbericht fest: Vielen Kindern fehlt die Chance auf Bildung. Knapp 270 Millionen Kinder auf dieser Welt erhalten gar keine Bildung. – Die Bundesregierung hat die zentrale Bedeutung von Grundbildung, um die am stärksten Benachteiligten zu erreichen, leider immer noch nicht verstanden. Die geringe finanzielle Unterstützung Deutschlands, die zugesagt wurde, ist ein Schlag ins Gesicht der Entwicklungsländer, die ihre eigenen Bemühungen verstärken wollen, um inklusive und chancengerechte Bildungssysteme aufzubauen. ({2}) An anderen Stellen liefert der Haushalt gar keine Antworten. Herr Müller, Sie haben die Lieferketten angesprochen. Beispiel Textilbündnis: Das Bündnis kam nie in Schwung. Es hat bislang keinerlei konkrete Ergebnisse geliefert. Ganz im Gegenteil: Nach und nach treten die Mitgliedsunternehmen wieder aus. Ein anderes Beispiel ist der sogenannte Marshallplan mit Afrika. Der vorgelegte Haushalt soll als Anschubfinanzierung dafür dienen; das haben Sie kürzlich dem „Handelsblatt“ gesagt. Ich war einigermaßen erstaunt, als ich das gelesen habe. Was ist denn bisher passiert? Ist überhaupt irgendetwas passiert? War das nur ein PR-Gag? Für Ihre Rückführungsprogramme haben Sie im laufenden Haushalt schon Geld gefunden, aber Ihr Marshallplan sucht anderthalb Jahre nach dem Start immer noch seine Anschubfinanzierung. ({3}) Weil mir das sehr wichtig ist, noch ein paar Worte zur zivilen Krisenprävention. Zur im Koalitionsvertrag vereinbarten Kopplung des Etats für Entwicklungszusammenarbeit an die Aufwüchse im Verteidigungsetat ist hier schon einiges gesagt worden. Das Chaos ist entstanden, weil Sie unterschiedliche Ansichten haben, was diese Eins-zu-eins-Kopplung bedeuten soll. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Lassen Sie das mit dem PR-Gag. Lassen Sie das mit der Eins-zu-eins-Kopplung. Planen Sie mehr Ausgaben für zivile und weniger für militärische Maßnahmen ein. Bauen Sie die zivile Krisenprävention spürbar aus. Sorgen Sie hier endlich für Kohärenz und Transparenz, anstatt die Gelder in mehreren Häusern zu verstecken. ({4}) Ich komme zum Ende und rechne zusammen: Geld wird ausgegeben für Rückführungen, Militär- und PR-Aktionen. Wichtige Bereiche wie Bildung, Wiederaufbau und Krisenbewältigung, Konfliktprävention und Klimaschutz werden ausgehungert. Die Message der Bundesregierung lautet eigentlich: Um Entwicklung müssen sich andere kümmern. – Frau Merkel, Herr Müller, Herr Scholz, wir Grünen nehmen diese Herausforderung gerne an und kümmern uns darum. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Matern von Marschall für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Matern Marschall von Bieberstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004349, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Künast, genauso ist es: Ich kann etwas zum Marshallplan sagen, ({0}) auch wenn der Name nicht von mir erfunden worden ist. Wir debattieren heute über den Haushalt des Entwicklungsministeriums. Der Etat wurde – das ist schon gesagt worden – in der letzten Dekade verdoppelt. Im kommenden Jahr wird er um 10 Prozent – das entspricht 900 Millionen Euro – gesteigert. Wir reden hier über 2,8 Prozent des Bundeshaushalts. Das sage ich nur, damit alle diesen Haushalt in den Gesamthaushalt einordnen können. Wir haben angesichts der humanitären Katastrophen die internationalen Organisationen und Programme zusätzlich unterstützt, die UNICEF, das UNDP, und über das Außenministerium haben wir Mittel für UNHCR in den letzten drei Jahren verdreifacht. Es ist also nicht so, dass wir unseren Verpflichtungen im und um das syrische Kriegsgebiet herum nicht einigermaßen gerecht geworden wären. Ich will darauf eingehen, dass auch die kirchlichen Organisationen einen erheblichen Aufwuchs in Aussicht gestellt bekommen haben. Ich danke insbesondere diesen Organisationen, weil sie die Eigenverantwortung stärken und weil sie die Solidarität stärken, übrigens über Religionsgrenzen hinweg in einem sehr wertvollen und wichtigen Dialog. Sie sind für uns ein ganz wichtiger Partner. Ich glaube, hier muss gesagt werden: Wir dürfen die Mittel nicht kürzen. Das bereitet mir Sorge. Herr Minister, Sie haben in Ihrem Buch – ich darf dafür werben; denn die Erlöse gehen, wie ich glaube, an eine wohltätige Organisation – zu Recht darauf hingewiesen, dass es bei Entwicklungspolitik um die gerechte Gestaltung der Globalisierung geht. Sie haben das ins Zentrum Ihrer politischen Strategie gerückt. Ein Bild habe ich in Erinnerung behalten, das Bild eines Jungen aus Mauretanien, der einen Eselskarren mit einem Wasserfass zieht und gleichzeitig auf sein Handy schaut. Dieses Bild verdeutlicht die Auswirkungen der Globalisierung, zeigt die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Was denkt dieser Junge, wenn er auf sein Smartphone schaut? Was sind seine Zukunftsperspektiven? Ich bin ganz sicher: Wir müssen daran arbeiten, dass wir diesem Jungen bei sich zu Hause eine Zukunft geben. Dem dient der Grundsatz des Marshallplans, der im Übrigen auch ein wesentliches Potenzial hat. Wir sollten viel mehr von Chancen als nur von Düsterkeiten und Risiken reden, weil die unglaublich vielen jungen Menschen in Afrika, die so lebenshungrig sind, natürlich eine Zukunft haben wollen. Wenn wir sie dabei unterstützen – das kann auch unserer Wirtschaft dienen –, indem wir die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft verbessern und die gute Regierungsführung stärken, dann ist das ein guter Weg. Ich glaube, wir sollten das gerade in den Ländern tun, die sich schon jetzt dazu bereit, in der Lage und gewillt sehen. Das ist keine Aussage, die unsere humanitäre Verpflichtung den Ärmsten gegenüber schmälert. Aber das ist ein Weg, um denjenigen, die dann erfolgreich sind, das Potenzial zu geben, in die Nachbarschaft auszustrahlen. Herr in der Beek – das will ich zum Abschluss sagen –, ich bin fest überzeugt, dass wir eine gemeinsame europäische Entwicklungspolitik brauchen. Der Europäische Entwicklungsfonds ist mit über 100 Millionen Euro zusätzlich ausgestattet. Ich bin ganz sicher, dass nur dann ein Level Playing Field und insofern auch Verzerrungen vermieden werden, wenn alle europäischen Staaten ihren Umgang mit Afrika in gleicher Weise gestalten. Dem muss auch eine neue Vertragsgestaltung im sogenannten Post-Cotonou-Prozess dienen. Da müssen wir Mut haben, den Mut, Souveränität an eine starke europäische Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik abzugeben. Auf anderen Feldern müssen wir die Subsidiarität im nationalen Bereich vielleicht stärken. Danke sehr. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Sascha Raabe für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist gut, dass im Haushalt 2018 mit 900 Millionen Euro ein ordentlicher Aufwuchs zu verzeichnen ist. Aber angesichts der Herausforderungen, die wir zurzeit auf der Welt zu bewältigen haben – 2,7 Milliarden Menschen müssen von weniger als 2 Dollar pro Tag leben, und die Zahl hungernder Menschen ist wieder auf über 800 Millionen gestiegen –, ist es aus meiner Sicht ein Skandal, dass in der Finanzplanung ab dem nächsten Jahr beim Kampf gegen Hunger und Armut wieder Kürzungen vorgenommen werden. Ich finde, wir müssen alle gemeinsam dafür sorgen, dass das nicht passiert, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0}) Mich erinnert diese Situation fatal an den Beginn der letzten Legislaturperiode, als wir in der Finanzplanung mit Blick auf die kommenden vier Jahre ebenfalls ganz geringe Mittel vereinbart hatten. Wir Entwicklungspolitiker und auch Entwicklungsminister Gerd Müller haben immer gewarnt und gesagt: Die Bedingungen in den Flüchtlingslagern verschlechtern sich Tag für Tag. Wenn wir da jetzt nichts machen, werden sich die Menschen irgendwann in Bewegung setzen. – Man hat nicht auf uns gehört, und es ist passiert. Erst dann haben die Spitzen unserer Parteien – jetzt nehme ich einmal alle mit ins Boot – reagiert. 2016 und 2017 wurden die Mittel endlich erhöht. Als Entwicklungspolitiker kämpfe ich schon seit 2002 dafür, dass wir die ODA-Quote von 0,7 Prozent endlich erreichen – ein Versprechen, das wir schon 1970 gegeben haben. Damals haben wir uns alle auf die Schulter geklopft. Ich gebe zu: Das hat auch gutgetan. Dann haben alle gesagt: Mensch, hätten wir doch auf euch gehört. Ihr habt da recht gehabt. Wir sollten lieber die Fluchtursachen bekämpfen als zu warten, bis es zu spät ist. Ich erinnere mich auch noch gut an den Wahlkampf 2017. Da haben die Spitzen aller Parteien auf den Marktplätzen immer wieder gesagt: Wir müssen für die Fluchtursachenbekämpfung endlich mehr tun. Das darf nie wieder passieren. Wir müssen die ODA-Quote von 0,7 Prozent erreichen. – Es war wie so oft in der Politik: Es wurde groß geredet, dann ging die Zahl der Flüchtlinge zurück, und auf einmal beging man die gleichen Fehler wieder. Damals, 2015, ging es um syrische Bürgerkriegsflüchtlinge. Der nächste große Strom wird von unserem Nachbarkontinent Afrika kommen. Dort wird es bis zum Jahr 2050 zu einer Verdopplung der Bevölkerung auf 2,5 Milliarden Menschen kommen. Die meisten von ihnen sind ganz junge Menschen. Da reden wir von Kindern, die in zehn Jahren Jobs und Perspektiven brauchen. Deswegen müssen wir jetzt anfangen, die Weichen zu stellen, und zwar mit wesentlich größeren Schritten. Wir dürfen erst recht nicht anfangen, zu kürzen. Sonst passiert uns das Gleiche, was uns in der letzten Legislaturperiode passiert ist, wieder. Dann möchte ich keine Klagen mehr hören. Ich sage: Wer ab 2019 ernsthaft die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit kürzen will, der versündigt sich nicht nur an den Menschen in Afrika, sondern auch an den Menschen hier in Deutschland und den Kommunen, an all denen, die dies wieder ausbaden müssen. ({1}) Deswegen sage ich: Wir dürfen die Mittel ab 2019 nicht kürzen, sondern müssen sie endlich aufstocken und das 0,7-Prozent-Ziel erreichen. ({2}) Ich sehe auch gar nicht ein, dass ich hier wieder betteln soll. ({3}) Wir haben im Koalitionsvertrag Regelungen für den Fall vereinbart, dass es zusätzliche Spielräume gibt. Von den zusätzlichen 46 Milliarden Euro wird nur ein beschämend geringer Anteil für die Entwicklungszusammenarbeit verwendet. Aber wir alle zusammen haben dafür gekämpft – Gabi und die wir hier alle saßen; Gerd, du auch kräftig –, dass in den Koalitionsvertrag eine entsprechende Formulierung aufgenommen wird. Ich zitiere einmal aus dem Koalitionsvertrag; das kann man gar nicht missinterpretieren. Darin steht, dass entstehende Haushaltspielräume prioritär dazu genutzt werden, die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen. Weiter heißt es: Deutschland wird verbindlich mit dieser Haushaltspolitik … den internationalen Verpflichtungen zur weiteren Steigerung der ODA-Quote nachkommen, deren … Absinken bereits 2018 verhindert werden muss. Das bedeutet doch, dass wir nicht wie sonst, wenn zusätzliche Steuermittel hereinkommen, in der Situation sind, uns hinten anstellen zu müssen, an siebter, achter, neunter, zehnter Stelle. In diesem Vertrag ist ganz klar festgelegt, dass, wenn es Mehreinnahmen gibt – 10 Milliarden Euro werden ja schon genannt; es sind bestimmt noch mehr –, unser Bereich prioritär bedient werden muss, und zwar zur Steigerung der ODA-Quote. ({4}) Ich sage auch unserem Finanzminister: Dieser Koalitionsvertrag gilt. Ich sehe nicht, dass es da auch nur einen Deut an Zweifel geben kann. ({5}) Angesichts der Finanzplanung wäre es ein Bruch des Koalitionsvertrages. Das würden wir Entwicklungspolitiker nicht hinnehmen. Ich würde 2019 gegebenenfalls auch gegen den Haushalt stimmen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen, dass es nicht dazu kommt und der Koalitionsvertrag eingehalten wird. Lassen Sie uns den Menschen in den Entwicklungsländern endlich eine Perspektive geben, damit niemand aus Hunger und Armut zu uns flüchten muss, sondern in seinem Heimatland selbstbestimmt leben kann. ({6}) Dazu gehört neben den finanziellen Mitteln auch ein fairer, gerechter Handel. Ich bin froh, dass wir das in unseren gemeinsamen Antrag von SPD und CDU/CSU hineingeschrieben haben. In Brüssel stehen zurzeit Entscheidungen an, durch die die guten Festlegungen des Koalitionsvertrages in Gefahr sind. Es sieht nämlich nicht so aus, dass sie dort umgesetzt werden. Lieber Gerd, hier müssen wir gemeinsam versuchen, unseren Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der mir einen Brief geschrieben hat, mit dem ich nicht glücklich gewesen bin, zu überzeugen. Es kann doch nicht sein, dass wir den ärmsten Ländern erst die Mittel nicht geben, die wir ihnen schon seit 50 Jahren versprochen haben, und ihnen dann, wenn sie versuchen, ohne unsere Mittel auszukommen, und sich mit eigenen landwirtschaftlichen Erzeugnissen auf dem Weltmarkt positionieren wollen, diese Möglichkeit durch eine unfaire Handelspolitik kaputtmachen. Nein, ich sage: Wir brauchen faire, gerechte Handelsbedingungen und müssen dafür sorgen, dass Menschenrechte und Arbeitnehmerrechte eingehalten werden. Das muss verbindlicher Bestandteil der künftigen Handelsverträge werden. Das steht auch im Koalitionsvertrag. Jetzt ist nicht mehr Zeit, zu reden. Jetzt ist es Zeit, zu handeln. Wir als Entwicklungspolitiker werden unsere Regierung dazu treiben, zu handeln. In diesem Sinne: Lassen Sie uns kampfbereit sein! Auf geht’s! Danke. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun der Kollege Stefan Sauer aus der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Stefan Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein Senior­experte aus meinen Wahlkreis Groß-Gerau hat einmal gesagt: Wir geben keine Fische, sondern die Angel, um Fische zu fangen. – Dieses Bild gefällt mir im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit sehr gut. Ich glaube, Hilfe zur Selbsthilfe kann man kaum treffender beschreiben. Die Entwicklungszusammenarbeit verfolgt viele Ziele. Die Ausgangssituation hierbei wird stets komplexer. Die Globalisierung nimmt zu, Wertschöpfungsketten über alle Kontinente hinweg bestimmen das Handeln, und die Digitalisierung erleichtert und fördert dieses Zusammenwirken. Nicht zuletzt zerstören Kriege und Naturkatastrophen bereits Erreichtes. Nun muss nachdenklich stimmen, dass der Nutzen für die weltweit 450 Millionen Menschen, die in die Lieferketten eingebunden sind, sehr unterschiedlich ist. Aus meiner Sicht gibt es zwei Botschaften. Erstens. Nur fairer Handel ist guter Handel. Jeder sollte angemessen profitieren, und der Umgang miteinander sollte von Wertschätzung geprägt sein. ({0}) Deutschland hat gerade hier eine lange Tradition. Ich denke an die Arbeitnehmervertretungen, die Gewerkschaften und die Verbände. Hinsichtlich der Arbeits- und Umweltstandards können wir uns hier positiv einbringen und mitgestalten. Mitgestalten können wir bei uns zu Hause, indem wir verantwortungsvolles Unternehmertum fördern und Menschenrechte schützen sowie fairen Handel unterstützen, wie auch in den 80 Partnerländern, in denen wir unter anderem die Entwicklungen von Arbeitnehmervertretungen und Verbänden begünstigen. Die zweite Botschaft lautet: Nur was auf Dauer vor Ort in den Entwicklungsländern und auch in den Schwellenländern erfolgreich ist, hilft, die Weltarmut zu reduzieren. In der EU-Handelspolitik können wir darauf drängen, dass finanzielle Mittel für kleine und mittlere Unternehmen bereitgestellt werden, die unsere Wertevorstellungen in ihren Projekten aufgreifen: Helfen vor Ort und den Menschen eine Perspektive geben. Die öffentliche Wahrnehmung seit 2015 ist häufig: Fluchtursachenbekämpfung ist euer einziges Interesse. – Dazu sage ich: Nein, das stimmt nicht. Der Flüchtlingsstrom hat uns die Armut der Welt lediglich nähergebracht. Er hat uns das Elend vor Augen geführt und vor allem gezeigt, dass unsere Hilfeleistungen, die wir für die Geflüchteten in Deutschland aufwenden müssen, nur sehr begrenzt wirken. Es gibt Enttäuschte: enttäuschte Bürger, aber auch enttäuschte Flüchtlinge. Kritiker sagen auch: Entwicklungszusammenarbeit ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Weltbevölkerung wächst rasant. Unsere wirtschaftliche Hilfe kann hier nicht Schritt halten. Korruption und Ausbeutung sind stetige Begleiter. – Dazu sage ich: Ja, all das stimmt, aber es ist kein Grund zum Wegschauen. Es gibt Win-win-Situationen. Diese müssen wir finden und für uns nutzen. ({1}) Bei der Entwicklungszusammenarbeit geht es nämlich um deutlich mehr. Es geht auch um Frieden und um den Erhalt der Ökosysteme. Die Zahlen im Bundeshaushalt sprechen für sich. In dem Zeitraum von 2004 bis 2014, also bis zum Flüchtlingsstrom, haben sich die Ausgaben verdoppelt. Im Jahr 2018 sind die bereits angesprochenen 9,44 Milliarden Euro eingesetzt. Das ist ein Plus von 10,5 Prozent. Ich glaube, nachdem ich heute die Rede der Kanzlerin gehört habe, dass wir uns über die Jahre 2019 bis 2021 heute auch noch nicht den Kopf zerbrechen müssen. Da sehe ich uns perspektivisch; denn das Thema gewinnt an Bedeutung. Ich glaube, das stetige finanzielle Engagement der Bundesregierung ist erkennbar und wichtig. Die CDU/CSU-Fraktion ist der Auffassung: Das ist gut investiertes Geld. Es vervielfacht sich in seiner Wirkung durch die Aktivitäten unserer Partner. Mein Fazit lautet: Lassen Sie uns daran arbeiten, dass die Welt auf allen Kontinenten Heimat bietet, dass wir weltweit schonend mit unserer Erde umgehen, somit Klimaveränderungen entgegenwirken, um Naturkata­strophen zu reduzieren, und dass der Mensch, egal wo er lebt, unter menschlichen Bedingungen daran teilnimmt. ({2}) Kommende Woche reisen wir mit einer Delegation nach Peru und Ecuador. Wir machen uns ein eigenes Bild vor Ort und schauen uns dort Bergbau und Naturschutz an. Unser bisheriges weltweites Engagement darf nicht verloren gehen, auch wenn wir zu Recht auf Afrika einen Schwerpunkt setzen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit unserem Minister Gerd Müller, der sehr engagiert und vorbildlich seine Aufgabe wahrnimmt, mit dem Ministerium und allen Akteuren. An dieser Stelle sage ich auch Danke an das Ehrenamt, das sehr stark Entwicklungszusammenarbeit unterstützt, wertvolle Akzente setzt und – Kollege Gröhe hat es bereits gesagt – hierbei vor allem einen hohen menschlichen Beitrag leistet. Ich wünsche uns ein kraftvolles Wirken für die Schwachen auf unserer gemeinsamen Erde und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Als letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich hat der Kollege Carsten Körber aus der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Carsten Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004332, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Müller, der neue Entwurf Ihres Einzelplanes kann sich wirklich sehen lassen. 900 Millionen Euro Aufwuchs! Das ist nominal der viertgrößte im gesamten Bundeshaushalt. Das sind gut 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr; das hatten wir an dieser Stelle schon verschiedentlich gehört. Dieser Etat ist etwas ganz Besonderes, und zwar nicht allein aus diesem Grund. Er ist etwas ganz Besonderes, weil er die größer gewordene internationale Verantwortung, die Deutschland in der Welt trägt, ganz praktisch und konkret deutlich macht. Diese Verantwortung nehmen wir mit diesem Haushalt auch wahr. Worum geht es aber überhaupt in diesem Etat? Oft habe ich diese Frage in den letzten Wochen gehört. Viele Diskussionen über die Entwicklungszusammenarbeit – auch die heutige Debatte – gehen noch heute von falschen Voraussetzungen aus. Es geht in diesem Etat nicht nur darum, einem anderen zu helfen. Nein, es geht um weit mehr. Es geht um internationale Zusammenarbeit mit 85 Partnerländern auf vier Kontinenten. Es geht um Entwicklung, gleichberechtigt und auf Augenhöhe. Es geht darum, andere Länder dabei zu unterstützen, Antworten auf die elementaren Herausforderungen der Menschheit zu entwickeln. Genau das liegt auch in unserem Interesse. Die Flüchtlingskrise 2015 hat doch gezeigt, welche verheerenden Wirkungen es haben kann, wenn wir unseren internationalen Verpflichtungen nur unzureichend nachkommen. Im Sommer 2014 hatte das World Food Programme dringend um 350 Millionen Dollar geworben; sonst müsse man die Nahrungsmittelrationen für rund 4,2 Millionen Menschen in Syrien und Flüchtlinge in der Region einstellen oder zumindest deutlich kürzen. Ein Jahr später, im Sommer 2015, wiederholte sich das. Dieses Mal fehlten lediglich 140 Millionen Dollar. Dann setzten sich viele Menschen in Richtung Europa in Bewegung. Sicher, die gekürzten oder gestrichenen Rationen waren nicht der Auslöser der Flüchtlingskrise. Aber sie waren für viele der letzte Anstoß. Hätten wir damals alle unsere internationalen Verpflichtungen erfüllt und unsere Beiträge geleistet, dann wäre uns so manches erspart geblieben, höchstwahrscheinlich auch die AfD. ({0}) Wie Sie sehen, sind die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit gut angelegt. Dann müssten wir uns in diesem Hause auch solche kruden Thesen wie diese nicht anhören: Wir müssen möglichst viele Flüchtlinge schon allein deshalb abschieben, weil sie in Afrika nur circa 10 Prozent des CO 2 produzieren, das sie hier in Deutschland produzieren; anderenfalls wird der Klimawandel beschleunigt. – Das hat der Kollege Kraft von der AfD hier in diesem Haus am 18. Januar in einer Debatte über den Klimaschutz ausgeführt. Dabei verleugnen Sie häufig den Klimawandel. Sie sagen das, was Ihnen gerade passt. Deutschland ist international ein anerkannter und angesehener Partner, nicht nur, weil wir nach den Vereinigten Staaten der zweitgrößte Geldgeber bei den Entwicklungsleistungen sind. Wir sind es nicht nur, weil wir mehr Geld geben als andere, sondern auch, weil wir mit der KfW und der GIZ über eine Expertise verfügen, die international ihresgleichen sucht. Wir haben schon in vielen Debatten darüber gesprochen, dass sich die internationalen Rahmenbedingungen in den letzten Jahren und leider auch in den letzten Monaten grundlegend verändert haben. Natürlich müssen wir uns langfristig mit unserer Entwicklungszusammenarbeit darauf einstellen. Wohin wollen wir in den nächsten Jahren? Auch das wurde bereits angesprochen. Wir wollen mittelfristig 25 Prozent des Etats für Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen bereitstellen; denn Bildung ist der Schlüssel für eine positive Entwicklung in der Zukunft und zwingende Voraussetzung für ein selbsttragendes Wachstum.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Körber, Herr Nolte möchte eine Zwischenfrage stellen oder eine Zwischenbemerkung machen. Lassen Sie diese zu?

Carsten Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004332, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, diese lasse ich nicht zu. – Weiterhin werden wir bei Energieprojekten, etwa in Afrika oder in Indien, von Anfang an auf erneuerbare Energien setzen, um die Menschen dort direkt an den neuesten Technologien teilhaben zu lassen. Wir sind uns natürlich der Tatsache bewusst, dass selbst ein noch so großer Etat des BMZ auch nicht ansatzweise in der Lage sein wird, die Probleme dieser Welt zu lösen. Deshalb – das ist für mich ein ganz entscheidender Punkt – leiten wir nichts anderes als einen Paradigmenwechsel in der Entwicklungszusammenarbeit ein. Wir wollen die Wirtschaft und auch private Investoren so eng wie möglich einbinden und schaffen dafür ein Entwicklungsinvestitionsförderungsgesetz. Damit wollen wir künftig so viele private Investitionen wie möglich in der EZ verstärken und damit letzten Endes auch die staatlichen Mittel hebeln. Wir haben viel erreicht, aber es gibt noch sehr viel zu tun. Lassen Sie uns damit beginnen. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat Herr Nolte das Wort.

Jan Ralf Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004842, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Kollege, es wäre eigentlich eine Zwischenfrage an Sie gewesen; aber Sie haben sie leider nicht zugelassen. Sie sagten hier zum einen, dass wir aus Gründen des Klimaschutzes für eine konsequente Abschiebung stünden, aber im gleichen Satz, dass wir den Klimawandel leugnen. Ist Ihnen der Widerspruch nicht aufgefallen, oder lügen Sie bewusst? ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer Erwiderung, Kollege Körber.

Carsten Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004332, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Kollege, dieser Widerspruch ist mit sehr wohl aufgefallen. Aber der Widerspruch ist nicht innerhalb meiner Fraktion zu suchen; dieser Widerspruch liegt ganz offenkundig in Ihrer Fraktion. Denken Sie einmal darüber nach! ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 17. Mai 2018, 9 Uhr, ein. Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 18.27 Uhr)