Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Eines der prägendsten Themen unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der vergangenen Legislaturperiode war unser umfassendes Engagement in Afrika, und dies wird absehbar auch so bleiben. Wir arbeiten gemeinsam daran, dass Afrika für uns bald viel mehr, wie es Gerd Müller ausdrücken würde, ein Kontinent der Chancen und weniger ein Kontinent der Sorgen werden wird, ein Kontinent, in dem wir Partnerschaften aufbauen, damit die Menschen dort beides haben: Sicherheit und Prosperität.
Unsere vielfältige Präsenz in Mali und in der Region des Sahel folgt genau dieser Strategie, und sie beinhaltet auch unseren Beitrag an der Mission MINUSMA, den wir heute jetzt hier besprechen. Diese Mission MINUSMA hat den Auftrag, das Friedensabkommen zu sichern.
Die Bundeswehr ist seit 2013 an MINUSMA beteiligt – inzwischen mit hochwertigen Fähigkeiten, vor allem der Aufklärung, und mit bis zu 1 000 Soldatinnen und Soldaten. Die Bundeswehr erfüllt ihre Aufgaben bravourös. Sie agiert in einem sehr fordernden Umfeld. Im Sommer haben wir zwei unserer besten Tiger-Piloten bei einem tragischen Hubschrauberunglück verloren. Wir trauern um sie.
Das zeigt eben auch: Dieser Einsatz ist enorm gefährlich. Deshalb ist das Mindeste, was wir tun können, die bestmögliche Ausbildung für unsere Soldatinnen und Soldaten zur Verfügung zu stellen, die wir überhaupt zur Verfügung stellen können.
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Seit einem Jahr bringt die Drohne Heron für die ganze Mission und für den Norden Malis einen großen Sicherheitsgewinn. Ich sage aber auch hier sehr deutlich: Es wird allmählich Zeit, dass wir auch diese Aufklärungsdrohne modernisieren.
Wir sollten uns nichts vormachen: Die Vereinten Nationen und auch die Mission MINUSMA sind sicherlich nicht vollkommen, und es ist vieles verbesserungswürdig, aber die gesamten Missionen der Vereinten Nationen sind immer nur so stark, wie wir auch bereit sind, unsere Beiträge zu erbringen, und Deutschland ist bereit, einen substanziellen Beitrag zu erbringen.
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Deshalb ist die Fortsetzung dieser Mission auch so wichtig. Es ist ein starkes Zeichen, das wir den Vereinten Nationen damit geben.
Wir haben in den Vereinten Nationen auch angekündigt, dass wir unsere Hochwertfähigkeiten, nämlich vor allen Dingen die Hubschrauber, nur für eine limitierte Zeit zur Verfügung stellen, weil wir auch die heimischen Ressourcen wieder aufbauen müssen. Wir wollen aber in eine verantwortungsvolle Rotation eintreten. Das heißt, unsere Hubschrauber werden voraussichtlich bis Sommer des nächsten Jahres fliegen. Wir werden dann durch einen anderen Partner abgelöst werden, so wie wir im vergangenen Jahr unsere niederländischen Freunde abgelöst haben. So ergibt sich eine Rotation, die zum Muster für mehrere Missionen der Vereinten Nationen werden könnte.
Wir sind in Mali auch mit der Europäischen Union in einer zivilen und einer militärischen Mission zur Ausbildung malischer Soldaten engagiert, was wiederum MINUSMA sehr hilft, und wir sind in dem breiten politischen Prozess in diesem Land hoch engagiert. Es muss, vorsichtig ausgedrückt, eine erhebliche Ermutigung der Regierung erfolgen, damit sie sich auch in dem Friedensprozess engagiert, damit sie Reformen macht und bereit ist, auf die anderen politischen Parteien zuzugehen.
Wir unterstützen auch eine Initiative der G-5-Sahelstaaten, selber ihre eigenen Sicherheitskräfte aufzubauen, um in der Lage zu sein, ihre Bevölkerung zu schützen und den Terror zu bekämpfen. Wir haben deshalb begonnen, den Einsatzverband der fünf Sahelländer – die „Force Conjointe du G 5 Sahel“ – zu unterstützen. Wir haben zwei Konferenzen durchgeführt – eine deutsch-französische in Paris und eine in Berlin –, und im Dezember wird die Europäische Union zu dem Thema eine große Geberkonferenz in Brüssel veranstalten.
Sie sehen also, meine Damen und Herren: Das ist ein umfassendes Engagement, und es ist ein moderner, vernetzter Ansatz unserer Sicherheitspolitik. Ich habe in groben Pinselstrichen den militärischen Anteil skizziert. Gerd Müller hat mit dem BMZ unzählige Projekte für den zivilen Wiederaufbau und den Entwicklungsteil auf den Weg gebracht. Das Auswärtige Amt ist in hohem Maße im politischen Dialog engagiert, und wir unterstützen gemeinsam eine spezielle Ertüchtigungsinitiative der G 5 Sahel zivil und militärisch.
MINUSMA kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Ich bitte heute um eine Verlängerung dieses ansonsten unveränderten Mandates für die nächsten drei Monate, damit wir ausreichend Zeit haben, innerhalb des Bundestages die Weiterentwicklung dieses Mandates zu diskutieren.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Niels Annen von der SPD.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mali – das kann man, glaube ich, sagen – ist ein außenpolitischer Testfall für die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. Mali ist aber auch ein Indikator für den Zustand der deutsch-französischen Zusammenarbeit und für die Frage der Ernsthaftigkeit. Warum, meine sehr verehrten Damen und Herren, engagiert sich Deutschland im Rahmen der Vereinten Nationen überhaupt in Mali?
Mali ist durch seine geografische Lage und seine Verbindung zu den Nachbarstaaten für die Frage der Stabilität in der gesamten Sahelzone von entscheidender Bedeutung. Grenzüberschreitender Terror, organisierte Kriminalität: Das sind alles Themen, die uns bekannt vorkommen, weil sie auch Deutschland und Deutschlands Sicherheit bedrohen. Auch darüber ist in den vergangenen Monaten viel diskutiert worden: Ja, Mali ist auch ein wichtiges Transitland in der Frage von Migration und Flucht und hat auch deswegen eine große Bedeutung.
Aber, meine Damen und Herren, die Geschichte des Einsatzes in Mali zeigt auch, wie es um die europäische Verteidigungspolitik steht. Als 2012 islamistische Terroristen nicht nur den Norden, sondern sozusagen das gesamte Land in seiner Stabilität, ja möglicherweise sogar in seiner Existenz bedrohten, entschloss sich Frankreich, kurzfristig und entschlossen zu handeln. Und ich würde auch heute noch sagen: Ohne die mutige Entscheidung von Präsident Hollande wäre Mali heute möglicherweise das, was wir gemeinhin einen Failed State nennen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Wahrheit gehören aber auch zwei etwas unangenehme Feststellungen: Frankreich hat sich damals nicht wirklich europäisch abgestimmt, und Frankreich hat Deutschland unter politischen Zugzwang gesetzt, sich an der Operation MINUSMA zu beteiligen. Aber es gibt noch eine zweite Wahrheit, über die wir reden müssen. Denn Deutschland wiederum und auch wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben doch auch bis zur Eskalation des Krieges in Mali die Bedeutung des Landes und der gesamten Sahelzone für die regionale, aber auch für unsere Sicherheit nicht erkannt. Wir haben uns stillschweigend darauf verlassen, dass sich Frankreich schon darum kümmert. Ich sage Ihnen hier: Beides, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss sich ändern. Deswegen ist unser Engagement in Mali wichtig.
Die Ministerin hat darauf hingewiesen: Es ist ein gefährliches Engagement. Ich bin für die Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten sehr dankbar. Ich selber habe mich vor Ort überzeugen können, in was für einem wirklich schwierigen Umfeld sie dort hochprofessionell arbeiten und ihr Leben riskieren. Dafür gebührt ihnen unser aller Dank.
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Ich glaube, gerade weil wir auf eine französische Initiative, auf eine französische Anfrage reagiert haben, müssen wir über Mali und die Situation dort reden; dazu sage ich gleich noch etwas. Aber es geht in der Tat auch um die Frage, wie wir diese Kooperation jetzt nutzen, um endlich die Chance zu ergreifen, die sich aus der Rede von Präsident Macron ergeben hat. Deswegen will ich hier schon sagen: Bei allem Verständnis für langwierige und schwierige Verhandlungen – auch wir haben uns Zeit genommen, um die letzte Koalition gut vorzubereiten, und das Ergebnis hat uns recht gegeben; wir haben gute Arbeit abgeliefert –: Wir brauchen endlich – das will ich auch der Bundeskanzlerin sagen – eine Antwort auf die Rede von Präsident Macron. Wir brauchen eine Debatte, meine Damen und Herren, die hier in diesem Parlament stattfinden muss. Das ist wirklich überfällig.
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Zurück zur Lage in Mali; auch darüber müssen wir heute sprechen. Wo steht das Land, auch nach dem großen Einsatz der Bundeswehr, aber auch der anderen Elemente unseres Engagements? Ein Teil der zurückgedrängten Terroristen hat wieder, wie man so schön sagt, Land gewonnen. Ein Teil des Nordens ist de facto weiterhin nicht unter Kontrolle der Regierung in Bamako. Die Vermischung von organisierter Kriminalität und Terrorismus bleibt ein Problem, vor allem aber die Perspektivlosigkeit für die Bevölkerung. Das Kernproblem, wo auch immer wir hinschauen, ob in den Norden oder auch in die Region um Bamako, die natürlich wesentlich stabiler ist, ist: Es mangelt eigentlich überall in diesem Land an stabilen staatlichen Strukturen. Die Stabilisierung des Landes und der gesamten Region ist und bleibt der Schlüssel zur Lösung der Probleme.
300 000 junge Menschen in Mali, so wird vermutet, können aufgrund des Versagens des Staates nicht zur Schule gehen. Das sind alles potenzielle Ziele der Extremisten für die Rekrutierung. Wir müssen Mali in dieser schwierigen Situation unterstützen. Deswegen ist MINUSMA quasi der Rahmen, in dem wir die Chance haben, diesen politischen Prozess voranzutreiben.
Mali hat im Gegensatz zu vielen anderen Konflikten, über die wir in den letzten Jahren reden mussten – ich weiß gar nicht, ob das zu lapidar klingt –, den Vorteil, dass es eine Vereinbarung gibt. Es gibt einen Friedensprozess. Dieser Friedensprozess muss unser Anknüpfungspunkt sein. Deswegen will ich an dieser Stelle schon sagen: Das, was wir beitragen können, politisch von unseren Beratungsleistungen, aber auch militärisch, sind wir bereit weiter zu leisten; das will ich auch für meine Fraktion sagen.
Wir wissen aber auch, dass MINUSMA einen Ansehensverlust erlitten hat, gerade im Kernland um Bamako. Glücklicherweise – das ist übrigens auch ein Kompliment für die Arbeit der Soldatinnen und Soldaten – ist das Ansehen in der Region um Gao, wo sie stationiert sind, eher gestiegen, weil sie dort einen konkreten Beitrag zur Verbesserung der Sicherheitslage geleistet haben.
Aber was wir brauchen, meine Damen und Herren, ist ein stärkeres Engagement. Ja, wir brauchen auch mehr Druck auf die Regierung in Bamako, die eigenen Zusagen, die im Rahmen des Friedensprozesses gemacht worden sind, umzusetzen. Jeder, der sich in diesem Land eine Zeit lang aufgehalten, Gespräche geführt hat und die Berichte verfolgt, weiß: Das steht nicht immer im Mittelpunkt der politischen Bemühungen. Wir brauchen also beides: Wir brauchen das Angebot der Unterstützung. Aber wir brauchen auch mehr Druck auf die Regierung in Bamako.
Mit meiner heutigen Empfehlung an meine Kolleginnen und Kollegen in der SPD-Bundestagsfraktion, diesem Antrag zuzustimmen, formuliere ich auch klare Erwartungen an die Politik der Bundesregierung. Ich will das zusammenfassen: Der Friedensprozess muss umgesetzt werden. Wir brauchen mehr Druck auf Bamako. Wir brauchen endlich die zugesagte Verfassungsreform. Die Zivilgesellschaft ist in diesen Prozess nicht ausreichend eingebunden. Auch dort können wir einen Beitrag leisten und ein Angebot machen, übrigens auch mit den vor Ort aktiven politischen Stiftungen, denen ich meinen Dank aussprechen möchte.
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Es geht zum Beispiel auch um das vereinbarte Wahlgesetz, das im Moment in Mali nicht gilt. Wir brauchen zudem eine malische Regierung, die bereit ist, entschlossen die Korruption zu bekämpfen; denn ein Teil des Legitimationsverlustes besteht darin, dass sich unsere Gesprächspartner mit Vorwürfen im eigenen Land auseinandersetzen müssen. Das heißt, wir haben es mit einer ausgesprochen komplexen Situation zu tun. Deutschland hat einen wichtigen und konstruktiven Beitrag geleistet.
Ich hoffe, dass ich ein wenig deutlich machen konnte: Ja, das Engagement lohnt sich; aber die Arbeit ist lange nicht beendet. Deswegen bitte ich Sie, diesen Antrag zu unterstützen. Unterstützen Sie diejenigen, die weiterhin für und mit Mali arbeiten wollen!
Danke für die Aufmerksamkeit.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Lucassen von der AfD-Fraktion zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Ich werde mich an die vorgegebene Redezeit halten. – Wir sprechen heute über jene Männer und Frauen, die mich über drei Jahrzehnte als Kameraden begleiteten, Männer und Frauen, die als Zeit- und Berufssoldaten einen Eid ablegen, unserem Land treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Aber die Grünen und Herr Lindner wollen diesen Eid, wie wir gestern hörten, auf den ganzen Planeten ausdehnen.
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Die Gefahr für Leib und Leben ist integraler Bestandteil des Soldatenberufs. Wir entsenden Soldaten in einen Einsatz, gerade weil es gefährlich ist und weil nur sie in der Lage und willens sind, diesen Gefahren zu begegnen. Diese Gefahren für unsere Soldaten dürfen wir als Volksvertreter nur akzeptieren, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zu den gesetzten und erreichbaren Zielen des Einsatzes stehen.
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Das ist in Mali nicht der Fall.
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Die Bundesregierung sagt, dass MINUSMA dazu beiträgt, Mali zu stabilisieren. Sie wollen den Frieden dort sichern. Sie wollen die Bevölkerung schützen. Sie wollen den Sicherheitssektor aufbauen. Sie wollen auch die Menschenrechte schützen und humanitäre Hilfe leisten. Sie wollen die Einheit Malis sichern. Kurzum: Sie wollen das große Ganze. Wie die Verteidigungsministerin eben sagte, sieht sie Afrika auch als „Kontinent der Chancen“.
Was wollen Sie aber konkret bis wann erreicht haben, Frau Ministerin?
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Und vor allem: Was ist das konkrete nationale Interesse Deutschlands in diesem Land: Stabilität, Malis Einheit? Oder wollen Sie unseren französischen Freunden Schützenhilfe gewähren?
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Auf solche Fragen geben Sie keine Antwort.
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Das kennen wir bereits von einem anderen Beispiel. Vor einigen Jahren redete sich die Fraktion von CDU und CSU an diesem Ort mit den gleichen hohlen Floskeln einen anderen Einsatz schön. Auch damals wollten Sie Stabilität und Wiederaufbau, sprachen unentwegt über eine angeblich vernetzte Sicherheitspolitik, wollten Polizei und Armee ausbilden, eine gute Regierungsführung implementieren und natürlich die Achtung der Menschenrechte durchsetzen. Am 3. Dezember 2009 hier an diesem Pult die gleiche Verharmlosung und die gleiche Strategielosigkeit, nur ein anderer Einsatz, nämlich Afghanistan! Das Ergebnis kennen Sie alle. Es ist eine Katastrophe.
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Heute in Mali wiederholen Sie dieselben Fehler. Aus der Geschichte gelernt? Fehlanzeige bei dieser Bundesregierung. Nur an einer einzigen Stelle wird die Verteidigungsministerin konkret: Es verläuft in Mali – ich zitiere – „ die Route für Schleuser und Schlepper“. Dort werden Menschen, Drogen und Waffen geschmuggelt, Frau Ministerin. Was tun Sie konkret dagegen?
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Die Antwort lautet: nichts. Warum gibt es denn keinen Kampfauftrag gegen Schleuser? Warum wird deren Logistik nicht zerstört und das kriminelle Netzwerk zerschlagen?
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Trotz der 1 000 entsendeten Soldaten ist die Wirkung in der Fläche dieses riesigen Landes verschwindend gering. 80 Prozent der Truppe verlassen das Lager in Gao nicht. Der Rest kann aufgrund einer völlig unzureichenden Luftbeweglichkeit nur in der Nähe des Lagers operieren.
Sie haben gerade eben dargestellt, Frau Ministerin, dass ab Mitte des Jahres 2018 die Hubschrauber gemäß einer Rotation mit anderen Staaten dieser Welt herausgenommen werden. Aber was Sie nicht gesagt haben, ist, dass diese Herausnahme der Hubschrauber – wir reden hier nur über vier Transporthubschrauber und vier Kampfhubschrauber Tiger – zwingend erforderlich ist, weil wir im Heimatland die Soldaten, die Flugzeugführer, die fliegende Besatzung nicht mehr ausbilden können. Sorgen Sie bitte dafür, dass die Voraussetzungen für einen Einsatz unserer Truppe gegeben werden, damit wir unsere Soldaten auch guten Gewissens in den Einsatz entsenden können.
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Aber selbst wenn der Kräfteansatz ein anderer wäre: Sie haben gar nicht den politischen Mut, gegen die erstarkenden Islamistengruppen im Norden Malis vorzugehen. Die Versorgungskonvois der UN auf den Routen nach Osten und Norden werden fast täglich angegriffen. Im Hauptquartier in Bamako vergeht fast keine Woche ohne Trauerfeier für einen Gefallenen. Es handelt sich dabei meist noch um Soldaten anderer Nationen – schlimm genug. Wenn es allerdings so weitergeht, wird irgendwann auch unsere Nationalflagge auf Halbmast wehen. Und wofür?
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Seit die Bundeswehr in Mali stationiert ist, hat sich die Sicherheitslage dramatisch verschlechtert, und die Parallelen zu Afghanistan sind nicht zu übersehen. Wir können heute bedauerlicherweise, aber zu Recht, von einer Afghanisierung Malis sprechen. Wenn Sie unsere Männer und Frauen in Uniformen in einen Einsatz schicken, Frau Ministerin von der Leyen, dann ist es Ihre Pflicht, sie mit einer tragfähigen Strategie und den dafür erforderlichen Kräften und Mitteln auszustatten. Beides fehlt in der MINUSMA, und daher stimmt die Fraktion der AfD dem Antrag der Bundesregierung nicht zu.
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Nächster Redner ist der Kollege Pascal Kober von der FDP-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP hat 2013 den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von MINUSMA, der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission in und für Mali unter Führung der Vereinten Nationen, mit auf den Weg gebracht. Deshalb möchte ich an dieser Stelle zunächst einmal allen Soldatinnen und Soldaten, aber auch allen zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herzlich danken für ihren Einsatz bei MINUSMA und für ihren Einsatz bei der ebenfalls 2013 mit auf den Weg gebrachten europäischen Ausbildungsmission EUTM Mali.
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In diesen Dank möchte ich ausdrücklich auch die Familien und Angehörigen unserer Soldatinnen und Soldaten und zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einschließen, die ebenfalls, und zwar nicht zu knapp, unter den Herausforderungen und Belastungen unserer Auslandseinsätze leiden und diese mitzutragen haben.
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Wir haben 2013 die Beteiligung der Bundesrepublik an MINUSMA auf den Weg gebracht. Geleitet waren wir seinerzeit von der Sorge, dass eine Destabilisierung Malis durch separatistische und islamistisch-terroristische Kräfte zu einer Destabilisierung nicht nur Malis, sondern der gesamten Sahelregion und der Maghreb-Staaten führen würde, was wiederum mittelbare Auswirkungen auf die Sicherheit Europas und auf die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland haben könnte.
Aber nicht nur das. Es galt auch, Mali und die Nachbarstaaten vor einer humanitären Katastrophe zu bewahren. Seinerzeit waren es etwa 500 000 Binnenvertriebene und 175 000 Flüchtlinge in den Nachbarstaaten Malis, die dringend einer Soforthilfe bedurften und denen wir eine Rückkehr in ihre Heimat ermöglichen wollten.
Von Anfang an war dieser Einsatz der Bundeswehr im Verbund mit anderen Armeen eingebettet in ein ineinandergreifendes System der politischen Begleitung des Friedens- und des Versöhnungsprozesses, der zivilen Krisenintervention, der humanitären Hilfe und auch der langfristig angelegten Entwicklungszusammenarbeit. Die Bundesministerin hat es gesagt: MINUSMA folgt daher den Prinzipien des vernetzten Sicherheitsansatzes der Bundesrepublik Deutschland und kann damit auch beispielgebend und auch Lernfeld sein für Kriseninterventionen in der Zukunft.
Nach wie vor ist allerdings der Friedens- und Stabilisierungsprozess nicht abgeschlossen, auch wenn 90 Prozent der Binnenvertriebenen in ihre Heimat zurückkehren konnten und die humanitäre Lage grundsätzlich verbessert werden konnte. Die ersten gemeinsamen Patrouillen der Konfliktparteien in der Region um Gao, die Durchführung der nationalen Versöhnungskonferenz, die Einsetzung von Übergangsverwaltungen und die Besetzung von Gouverneursposten im Norden, das alles sind konkrete und ermutigende Fortschritte auf dem Weg zu Sicherheit und Stabilität Malis und damit der ganzen Region.
Doch nach wie vor sind die malischen Sicherheitskräfte auf unsere Unterstützung angewiesen. Deshalb werde ich der FDP empfehlen, dem Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen von MINUSMA zuzustimmen.
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Für manchen hier im Plenarsaal ist Mali, eines der ärmsten Länder der Welt, weit weg. Aber der Terrorismus kennt keine Grenzen. Er kennt Rückzugsorte und instabile Lebensräume, von denen aus er sich entwickeln kann und von denen er ausgehen kann. Die Stabilität Malis und damit der Sahelzone und der ans Mittelmeer angrenzenden Maghreb-Staaten ist in unserem eigenen Sicherheitsinteresse, um Fluchtursachen und den internationalen Terrorismus zu bekämpfen.
Aber nicht zu vergessen: Wir fühlen eine Verantwortung gegenüber den Menschen, auch wenn sie fern von uns leben. Wir wollen sie nicht alleinlassen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Christine Buchholz von der Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben es gerade gehört: Die AfD ist nicht nur rassistisch und nationalistisch,
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nein, sie ist auch militaristisch.
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Der Bundeswehreinsatz in Mali ist mit rund 1 000 Soldatinnen und Soldaten neben dem Afghanistan-Einsatz der derzeit größte Auslandseinsatz überhaupt. Und: Es geht bei dem Einsatz nicht darum, wie es den Menschen vor Ort geht; vielmehr reiht sich der Einsatz ein in eine Reihe von Maßnahmen zur Abwehr von Flüchtlingen. Im Übrigen soll die Bundeswehr auch unter schwierigen klimatischen Bedingungen die weltweite Einsatz- und Kampfbereitschaft erproben. Niels Annen, es ist schon ein bisschen zum Piepen, wenn Sie sagen, dass die Bundesregierung von Frankreich gezwungen worden wäre, in diesen Einsatz zu gehen.
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Beides, sowohl die Flüchtlingsabwehr als auch diese übergeordneten Ziele der Bundeswehr, lehnt Die Linke ab.
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Laut Mandat sollen die Bundeswehrsoldaten im Rahmen der UN-Mission MINUSMA den Frieden sichern. Doch in Mali gibt es mitnichten Frieden: Erstens haben gar nicht alle Konfliktparteien das ausgehandelte Friedensabkommen unterzeichnet, und zweitens flankieren die MINUSMA und damit auch die Bundeswehr eine Kampfoperation der französischen Armee, die im Dunkeln agiert. Gelegentlich kommt ans Tageslicht, wie diese Operation unter dem Namen Barkhane agiert. Im letzten Jahr kam es zu Protesten der Zivilbevölkerung in Kidal, nachdem die französische Armee Menschen willkürlich verhaftet hatte. MINUSMA-Soldaten schossen auf sie. Vor sechs Wochen kam es zu erneuten Protesten von ganzen Familien gegen die Operation Barkhane. Ich sage Ihnen: Die Bundeswehr darf nicht Teil einer Militärmission sein, die in Mali wie eine koloniale Fremdmacht agiert.
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Die Bundesregierung stellt mit der Heron-Drohne – das hat die Ministerin auch noch einmal erklärt – Aufklärungsbilder zur Verfügung. Ich möchte wissen: Was wird mit diesen Bildern alles gemacht?
Ich gebe einmal ein Beispiel: Vor einem Monat sind bei einem Bombardement durch die französische Armee elf malische Soldaten getötet worden. Das ist übrigens nur bekannt geworden, weil es sich dabei um verbündete Soldaten handelte. Doch wie viele Zivilisten sind bei vergleichbaren Bombardements umgekommen? Darüber schweigen sich die Regierungen in Paris und Berlin aus.
In Mali wie in Frankreich wird die Kritik an dem internationalen Militäreinsatz immer lauter. Die französische Tageszeitung „Le Monde“ schrieb dazu letzte Woche: Mali ist unser Afghanistan. – Denn die Aktionen westlicher Militärs, die Armut und die Korruption der vom Westen gestützten Regierung in Bamako treiben den Aufständischen immer neue Unterstützer zu. Nun sind auch Regionen in den Nachbarländern Niger und Burkina Faso betroffen, und im Landesinneren von Mali ist ein völlig neuer bewaffneter Konflikt entstanden. Die Unsicherheit und der Krieg weiten sich aus. Ich richte meine Worte hier an die geschäftsführende Bundesregierung: Nehmen Sie diese Realität zur Kenntnis!
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Der internationale Militäreinsatz bringt den Menschen vor Ort nichts. Deren größtes Problem ist die bittere Armut – trotz des Reichtums an Bodenschätzen. Die WHO hat gerade gemeldet: In Mali stirbt jede Stunde ein Kind unter fünf Jahren an Lungenentzündung. Statt alle Mittel auf die Beseitigung der Armut und der Ursachen des Konfliktes zu setzen, steckt die Bundesregierung mal eben 6,5 Millionen Euro in eine Webserie, die flächendeckend in ganz Deutschland für den Militäreinsatz in Mali wirbt.
Ich sage Ihnen: Stecken Sie die Millionen nicht in eine Reklame, die eine Realität vorgaukelt, die dieser Einsatz nicht hat. Hören Sie auf damit! Die Bundeswehr muss umgehend aus Mali abgezogen werden.
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Die Linke wird gegen dieses Mandat stimmen.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Frithjof Schmidt von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, man muss noch einmal daran erinnern, was in Mali eigentlich passiert ist; denn hier wurde in dem Beitrag von rechts außen der Eindruck erweckt, als würden wir da eigentlich nur französische Interessenpolitik machen.
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Ich muss sagen: Bedauerlicherweise hat die Kollegin Buchholz von den Linken in das gleiche Horn gestoßen.
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Ich muss daran erinnern: 2012 hat Präsident Hollande in Dakar eine große Rede gehalten, in der er mit der französischen Afrika-Politik durchaus selbstkritisch ins Gericht gegangen ist und gesagt hat: Es muss Schluss sein mit Françafrique. Wir wollen europäische Zusammenarbeit, wir wollen diese Politik verändern. – In diesem Zusammenhang ist auch eine europäische Mission vorbereitet worden. Kollege Annen, ich würde Sie wirklich bitten, sich den Prozess noch einmal anzugucken; denn das war ein koordinierter Prozess in der Europäischen Union.
Mitten in diese Situation hinein gab es den Vormarsch der Islamisten auf Bamako, um das ganze Land zu übernehmen. Um es mal sehr deutlich zu sagen: Das hätte als Resultat gehabt, dass AQIM, al-Qaida im Maghreb, und Ansar al-Din dort eine Art Kalifat errichten, wie es im Irak und in Syrien gemacht wurde. Das war die eigentliche Bedrohungssituation. In dieser Lage hat Frankreich unmittelbar militärisch eingegriffen, und das haben wir unterstützt. Ich glaube, das war in dieser Situation auch richtig.
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Dann hat Frankreich den nächsten Schritt gemacht, der auch die Mär widerlegt, dass Frankreich dort die französischen Interessen an die erste Stelle setzt. Es hat nämlich gesagt: Wir wollen, dass die Vereinten Nationen die Verantwortung übernehmen. – Deswegen gibt es das UN-Mandat. Es ist richtig, dass die Vereinten Nationen in diesem Prozess die Verantwortung übernommen haben. Es ist richtig, dass Deutschland das unterstützt – in enger Zusammenarbeit mit Frankreich. Es ist auch politisch, finde ich, eine ganz wichtige Errungenschaft, dass Frankreich die Führung durch die Vereinten Nationen in diesem Zusammenhang politisch gewollt hat.
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Deswegen können wir diesen Prozess auch gut unterstützen.
Die Vereinten Nationen kämpfen um eine Friedenslösung. Es ist richtig – da möchte ich dem Kollegen Annen vollkommen recht geben –: Man darf die Lage nicht schönreden. Der politische Prozess droht zu scheitern. Es muss eine neue Initiative für den Friedensprozess im Norden geben, und es muss Druck auf die malische Regierung ausgeübt werden, dass endlich die inneren Reformen und der Kampf gegen Korruption an die erste Stelle gestellt werden, und es muss Druck gemacht werden, dass das dort auch innenpolitisch durchgesetzt wird. Das sind die politischen Aufgaben.
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Diese können aber nur erledigt werden, wenn die UNO weiter vor Ort ist und für ihren Einsatz Unterstützung bekommt. Zu den Kollegen von der Linken muss ich sagen: Das bleibt in Ihren Beiträgen immer offen. Sind Sie nun eigentlich dafür, dass die UNO vor Ort ist? Dann frage ich mich: Was ist Ihr Beitrag, um sie zu unterstützen?
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Oder sind Sie dafür, dass die UNO das Land verlässt? Dann ist aber die Frage: Was machen Sie dann? Was ist Ihr Vorschlag für diesen Fall? Das ist die Schwachstelle Ihrer Position, auch bei anderen Mandaten.
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Da haben Sie, wie ich finde, eine Bringschuld,
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den Menschen hier, aber auch gerade in dem betroffenen Land zu sagen, wie Sie es machen wollen.
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Das ist die Situation, in der wir uns befinden.
Ich möchte einen letzten Satz an die Adresse von Frau von der Leyen sagen. Nach dem tragischen Absturz eines Hubschraubers mit Toten bei der Bundeswehr haben wir uns der Auffassung angeschlossen: Sorgfalt bei der Aufklärung ist absolut wichtig und geht vor Schnelligkeit. – Wir hoffen aber doch, dass Sie den Bericht darüber, der ja noch immer nicht vorliegt, bald vorlegen werden; denn man muss sich vergewissern, was die Ursachen waren, damit sich so etwas nicht wiederholen kann. Ich finde, nach drei/vier Monaten ist es dafür auch Zeit.
Danke schön.
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Jetzt hat der Kollege Baumann von der AfD um eine Kurzintervention gebeten.
Vielen Dank. – Die Abgeordnete von der Linken hat gerade die AfD als rassistisch bezeichnet.
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– Ich bitte genau hinzuschauen, wer jetzt klatscht, wer sozusagen demokratisch gewählte Kollegen als rassistisch in Deutschland verunglimpft, wo der Rassismus mit Millionen Toten verbunden ist, mit den antidemokratischsten Sachverhalten, die man sich nur vorstellen kann. Damit gehen Sie so leichtfertig um und beklatschen das auch noch! Ich hoffe nur, dass die Kameras jeden Einzelnen aufgenommen haben, der da geklatscht hat.
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Sie haben damit über sich selber einiges ausgesagt, über Ihre parlamentarischen und demokratischen Grundgepflogenheiten. Wir weisen das jedenfalls aufs Schärfste zurück – in diesem Fall und jedem anderen.
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Frau Kollegin Buchholz, Sie können erwidern.
Vielen Dank. – Herr Baumann, mir kommen die Tränen.
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Anders als wahrscheinlich Sie habe ich Ihr Programm gelesen. Und das, was Sie zum Thema Afrika zu sagen haben, und das, was Sie zum Thema Islam zu sagen haben, ist nichts anderes als rassistisch.
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Ich bleibe dabei: Die AfD ist eine rassistische, eine nationalistische und eine militaristische Partei.
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Das haben Sie selbst so beschlossen. Dazu müssen Sie auch stehen. Und das werde ich hier zu jeder Gelegenheit, innerhalb und außerhalb des Parlamentes, weiter sagen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden im Ältestenrat die Gelegenheit wahrnehmen, uns darüber zu verständigen, ob wir in dieser Form unsere parlamentarischen Auseinandersetzungen bereichern.
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Mein Rat an uns alle ist, an einen alten lateinischen Satz zu denken: fortiter in re, suaviter in modo. Auf Deutsch übersetzt – die Amtssprache im Bundestag ist Deutsch; das weiß ich – heißt das, dass ein Argument in der Sache durch Mäßigung in der Form stärker und nicht schwächer wird.
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Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich dem Kollegen Florian Hahn von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion gerade zwischen links und rechts ist von der Linken initiiert worden. Der Einstieg, den Frau Buchholz gewählt hat, legt sozusagen ein Handtuch über die Tatsache, dass es eine große Übereinstimmung dieser beiden Fraktionen in der Frage MINUSMA gibt.
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Ich möchte eines feststellen: Beide Fraktionen haben hier an diesem Rednerpult nur gesagt, was alles nicht geht und was falsch ist. Aber sie haben nicht gesagt, wie sie eigentlich mit Mali umgehen wollen.
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Wie wollen Sie denn mit Mali umgehen? Wie wollen Sie dieses Land stabilisieren? Wie wollen Sie dafür sorgen, dass sich nicht Millionen Menschen auf den lebensgefährlichen Weg, verbunden mit Strapazen, Elend und Vertreibung, machen müssen? Diese Antworten zu geben, das ist Ihre Aufgabe hier im Hohen Haus. Und aus dieser Verantwortung den Wählerinnen und Wählern gegenüber lassen wir Sie nicht raus.
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Herr Kollege Lucassen, ich bin einigermaßen verwirrt.
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Sie haben in Ihrer Rede die Ministerin aufgefordert, mehr Mut für einen robusten Einsatz im Norden Malis zu haben. Sie haben einen Kampfauftrag gegen Schleuser gefordert, und Sie haben mehr Bundeswehr in der Fläche angemahnt. Dann sagen Sie aber, dass die AfD konsequent gegen einen Einsatz in Mali ist. All das passt irgendwie nicht zusammen. Da sollten Sie sich die Dinge noch einmal genau anschauen.
Als diese Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen, MINUSMA, 2013 eingesetzt wurde, herrschte Chaos im Land. Die Franzosen haben zwar Gott sei Dank durch ihr beherztes Eingreifen im Norden des Landes den Islamisten Einhalt geboten. Aber der Konflikt innerhalb Malis war noch längst nicht beigelegt. Er ist es auch heute noch nicht vollständig, sonst müssten wir nicht dort sein. Mit der internationalen Gemeinschaft leisten wir aber im Rahmen von MINUSMA seitdem einen substanziellen Beitrag zur Bewältigung dieses Konflikts. So hat sich beispielsweise die humanitäre Lage in Mali seit Beginn dieser internationalen Mission verbessert.
Doch es ist längst nicht alles gut – gar keine Frage. Die Situation in Mali bleibt fragil. Deshalb ist Mali auch weiterhin auf unsere Unterstützung angewiesen. Deshalb muss Deutschland Mali auch in Zukunft auf seinem langen und steinigen Weg zu Sicherheit, Stabilität und Frieden zuverlässig zur Seite stehen. Deshalb müssen wir entscheiden, ob wir unserer Verantwortung für die Stabilisierung Malis und der ganzen Region auch weiterhin gerecht werden. Wir setzen im Rahmen der Mission weiter auf eine starke und abgestimmte Zusammenarbeit zwischen militärischen, polizeilichen und zivilen Komponenten. Dieser vernetzte Ansatz ist ein wichtiger Pfeiler unserer Außenpolitik, den wir auch in Zukunft beibehalten müssen.
Neben unserer Beteiligung an MINUSMA bildet die Bundeswehr im Rahmen der europäischen Ausbildungsmission EUTM Mali die Streitkräfte des Landes aus. Außerdem unterstützt Deutschland aktiv den Dialog und den Versöhnungsprozess innerhalb Malis. Denn nur durch Wiederaufbau, Versöhnung und Festigung von Sicherheitsstrukturen im ganzen Land können Perspektiven auch für die vielen Binnenflüchtlinge geschaffen werden und die ganze Region stabilisiert werden.
Stabilisierung ist der Schlüsselbegriff. Die Stabilisierung Malis wird sich auch auf uns in Europa auswirken. Denn Mali ist eine wichtige Transitregion für Flüchtlinge in Afrika, und die Sahelzone ist ein neuralgischer Punkt für die Migration nach Europa. Deshalb liegt diese Stabilisierung ganz besonders im deutschen und im europäischen Interesse.
Die komplizierten Verhältnisse in Mali haben die Mission der Vereinten Nationen von Anfang an zu einer der gefährlichsten in ihrer Geschichte gemacht. Der Einsatz in Mali bleibt gefährlich. Wie gefährlich er auch für unsere Soldatinnen und Soldaten sein kann, hat uns der tragische Absturz des Kampfhubschraubers Tiger im Juli dieses Jahres, bei dem zwei Hubschrauberpiloten ums Leben gekommen sind, gezeigt. Unglücke wie diese führen uns vor Augen, dass wir den Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten nicht für selbstverständlich erachten dürfen. Ich habe großen Respekt vor dem, was unsere Einsatzkräfte vor Ort leisten. Ihnen gebühren unser aller Dank und Anerkennung und – das ist mit das Wichtigste – unsere volle Unterstützung, und zwar nicht nur in den Einsätzen, sondern auch zu Hause, wenn die Soldatinnen und Soldaten zurückgekehrt sind.
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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, MINUSMA ist und bleibt ein wichtiger Baustein für einen dauerhaften Frieden in Mali. Mali hat sich auf den Weg hin zu einer besseren Lebenssituation für seine Bevölkerung begeben. Wir sind bereit, diesen Weg weiter mitzugehen, damit das Land seiner Bevölkerung eine Perspektive in Sicherheit, in Frieden und Freiheit bieten kann.
Ich bitte Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Arbeit an einem dauerhaften Frieden in der Region weiter zu unterstützen.
Herzlichen Dank.
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Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/24 (neu) an den Hauptausschuss vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden?
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Dann müssen wir abstimmen.
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Wer für die Überweisung an den Hauptausschuss ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Bei Gegenstimmen der AfD-Fraktion mit den Stimmen der anderen Fraktionen des Hauses ist die Überweisung damit beschlossen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die heutige Tagesordnung soll jetzt um die Beratung von zwei Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zur Genehmigung zum Vollzug von gerichtlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüssen erweitert werden. Dieses Verfahren entspricht langjähriger Praxis des Deutschen Bundestags, um von den Strafverfolgungsbehörden beantragte und im Immunitätsausschuss des Deutschen Bundestags behandelte Maßnahmen zu ermöglichen.
Der Immunitätsausschuss hat eben getagt, und seine Beschlussempfehlungen sind verteilt. Deswegen würde ich die Tagesordnung jetzt gerne entsprechend ergänzen. Erhebt dagegen jemand Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Damit kommen wir zu Zusatzpunkt 6:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss)
Antrag auf Genehmigung zum Vollzug gerichtlicher Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse
Drucksache 19/90
Wir kommen sofort zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zu Zusatzpunkt 7:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss)
Antrag auf Genehmigung zum Vollzug gerichtlicher Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse
Drucksache 19/91
Auch da kommen wir sofort zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist auch diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte eben – aber auch gestern, finde ich – ist eigentlich ganz gut, weil sie uns Klarheit über folgende Fragen verschaffen wird – ich glaube, sie werden uns die ganzen Jahre dieser Legislaturperiode begleiten –: Wie weit sollen sich unser Land und Europa in die Welt hineinbewegen? Wie weit sollen wir uns raushalten? Unter welchen Bedingungen sollen wir uns in eine komplizierte und leider ziemlich gewalttätige Welt hineinbegeben? Unter welchen Bedingungen sollen wir das nicht machen? Eigentlich geht es um diese Fragen.
({0})
– Ja, und in welcher Form. Wie ist das Verhältnis Militär – Zivil?
Im Kern geht es um die Frage: Glauben wir, dass wir Deutsche und Europäer etwas mit der Welt zu tun haben? Oder glauben wir, dass wir sie von uns fernhalten können?
Es gibt einen amerikanischen Exzeptionalismus, der besagt: Wir wissen, wie es in der Welt aussieht, und deswegen mischen wir uns überall ein. Es gibt in Deutschland einen europäischen Exzeptionalismus, der besagt: Wir wissen auch, wie es ist, aber wir wollen uns raushalten. – Ich glaube, beides ist falsch. Insofern ist es eine ganz interessante Debatte, die uns länger begleiten wird.
Es geht um die Fragen: Wie halten wir es mit der Frage unserer Beteiligung an der Welt und an dem, was sich dort an Schlimmem, an Unangenehmem, an Gewalttätigem abspielt? Glauben wir, dass wir das von uns fernhalten können? Oder glauben wir, dass wir ein Teil dieser Welt sein werden, auch wenn sie außerordentlich unangenehm ist? Übrigens ist sie unangenehmer als in der Vergangenheit, wo wir in der Regel sagen konnten: Ach, das lass mal die Amerikaner machen. Wenn es schiefgeht, dann haben wir jedenfalls jemanden, den wir für schuldig erklären können.
Der Rückzug der Amerikaner aus der liberalen Weltordnung ist eine große Herausforderung für uns Europäer. Ich glaube nicht, dass wir angesichts dieser Herausforderung ohne die Amerikaner bestehen können, aber ich glaube auch nicht, dass die Antwort sein kann, dass sich Deutschland und Europa auch aus der liberalen Weltordnung zurückziehen, meine Damen und Herren.
({1})
Ich sage nicht, dass wir dann nicht über die Fragen reden müssen – das ist ja Ihr Zwischenruf gewesen, Herr Neu –: Wie geht das? Wo hat das Grenzen? Wie ist die Ausstattung? Aber ich glaube, diese Debatte ist für unser Land und sein Selbstverständnis mehr als wichtig.
In diesem Zusammenhang haben wir uns 2014 dazu entschlossen, die Sicherheitskräfte der Region Kurdistan/Irak und die irakischen Streitkräfte in ihrem Kampf gegen den IS zu unterstützen. Der beste Weg dahin war damals – ich bin fest der Überzeugung, das ist auch heute noch so –, die Streitkräfte vor Ort besser auszurüsten und auszubilden. Wir haben die einheimischen Militärs in ihrer Fähigkeit zur Gegenwehr gestärkt. Nur so konnten sie den massiven Angriffen des IS standhalten. Aus heutiger Sicht kann man sagen: Wir haben damit eine drohende Katastrophe abgewendet. Insgesamt haben wir in den letzten drei Jahren mit unseren internationalen Partnern 16 000 Sicherheitskräfte ausgebildet, darunter viele Angehörige von Minderheiten. Aus meiner Sicht wäre es ein denkbar schlechtes Zeichen, jetzt damit aufzuhören. Wir sollten uns nicht nach ersten, kurzfristigen Erfolgen einfach zurückziehen und aus der Entfernung zuschauen, wie die Konflikte in dieser Gegend ausgehen oder vermutlich zurückkehren. Der IS jedenfalls darf nie wieder die Hoheit über den Nordirak gewinnen.
({2})
Ein Rückzug zum jetzigen Zeitpunkt wäre auch das falsche Signal an die Konfliktparteien vor Ort. Wir haben von Anfang an mit Bagdad und mit Erbil kooperiert. Den nach dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum neu entfachten Konflikt zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der Autonomen Region Kurdistan beobachten wir, glaube ich, alle miteinander mit großer Sorge. Wir versuchen mit unseren internationalen Partnern seit Wochen, hier auf den unterschiedlichsten Kanälen zur Deeskalation beizutragen. Was jetzt benötigt wird, ist ein intensiver Dialog zwischen Erbil und Bagdad. Deshalb begrüßen wir die Bereitschaft der kurdischen Regionalregierung, strittige Fragen auf der Grundlage der irakischen Verfassung zu verhandeln. Nun ist insbesondere die Regierung in Bagdad aufgefordert, auf dieses Angebot einzugehen.
Aber um es deutlich zu benennen: Die innerirakische Auseinandersetzung sollte uns nicht davon abhalten, die Streitkräfte im Nordirak weiter auszubilden und dort zu Ende zu bringen, was wir begonnen haben. Natürlich werden wir unsere Soldatinnen und Soldaten nicht in Gefahr bringen. Natürlich würden wir die Ausbildung, wie das schon einmal passiert ist, erneut aussetzen, wenn das Risiko besteht, dass ernsthafte Kampfhandlungen die Sicherheit unserer Bundeswehr gefährden. Ich betone aber noch einmal ausdrücklich: Eine Fortsetzung unserer Präsenz wird gerade nicht als Parteinahme verstanden, weder dort vor Ort noch international. Wir haben dafür die ausdrückliche Zustimmung beider Seiten. Im Gegenteil: Eine Beendigung zum jetzigen Zeitpunkt würde das Signal senden, dass wir den Irak sich selbst überlassen. Gerade jetzt – in dieser Einschätzung sind wir uns wirklich mit unseren Partnern einig – trägt die internationale Präsenz, zu der auch unsere gehört, zur Stabilisierung vor Ort bei. Richtig ist: Das Engagement darf nicht einseitig sein. Es muss zwischen Erbil und Bagdad ausgewogen sein. Wir konzentrieren uns zusammen mit anderen Partnern auf den Norden des Landes, dafür konzentrieren sich andere internationale Partner auf die zentralirakischen Streitkräfte.
Die Unterstützung der Streitkräfte ist aber nur ein Element unseres Engagements im Irak. Sie ist jedoch eine wesentliche Grundlage dafür, dass humanitäre und zivile Unterstützung möglich bleibt. Nur wenn wir beim Thema Sicherheit die erreichten Fortschritte bewahren können, kann unser breiter Ansatz der Unterstützung auch greifen. Ein wichtiger Teil dieses ausgewogenen Engagements ist die im Aufbau befindliche zivile EU-Beratungsmission zur Reform des Sicherheitssektors. Die Mission unter deutscher Leitung wird die Regierung in Bagdad auch dazu beraten, wie eine regional ausgewogene gesamtirakische Reform des Sicherheitsapparates unter politischer Kontrolle gelingen kann.
Unsere humanitäre Hilfe zielt darauf ab, Vertriebenen eine schnelle Rückkehr in befreite Gebiete zu ermöglichen. Im Irak hat die Bundesregierung, besser gesagt: das deutsche Parlament und nicht wir als Regierung, als einer der größten internationalen Geber alleine seit 2014 über 1 Milliarde Euro bereitgestellt. Wir haben zum Wiederaufbau in Mosul gerade noch einmal Mittel in Höhe von 250 Millionen Euro bereitgestellt.
Meine Damen und Herren, ein Land wie Deutschland kann sich angesichts der Konflikte und Unsicherheiten in unserer unmittelbaren Nachbarschaft nicht raushalten und auf andere verweisen. Deutschland hat in den letzten vier Jahren viel Verantwortung übernommen. Dabei wird es, glaube ich, bleiben müssen. Daher bitte ich Sie heute für die Bundesregierung um die Verlängerung des Mandats für zunächst drei Monate. Danach wird neu zu bewerten sein, welchen Beitrag Deutschland mittelfristig zur Stabilisierung des Irak leisten kann.
Vielen Dank.
({3})
Danke sehr. – Jetzt hat das Wort die Bundesministerin der Verteidigung.
({0})
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde die Bilder des Sommers 2014 nie vergessen. Die Terrorgruppe des IS hat brutal Terrain gewonnen. Wir haben gesehen, wie sie die Kurden vertrieben haben. Sie haben sie förmlich überrannt. Sie standen 10 Kilometer vor Bagdad. Der IS hat versucht, einen Genozid an den Jesiden zu vollziehen. Meine Damen und Herren, in diesen Tagen haben wir uns schnell entschlossen, die kurdischen Peschmerga auszurüsten und auszubilden – auszurüsten war das Entscheidende –, damit sie den IS stoppen können, damit sie die Jesiden und andere Flüchtlinge im Nordirak schützen können. Ich kann heute nur sagen: Diese Mission war damals bitter nötig, und sie ist richtig gewesen.
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Der Auftrag ist von der Bundeswehr bestens ausgeführt worden, und er ist bei unseren Partnern hochanerkannt. Wir haben gut 16 000 Peschmerga ausgebildet, und zwar ganz elementar – darunter sind auch Jesiden, Turkmenen, Kakai, Christen –, also von Anfang an inklusiv und einigend gewirkt und ihnen eine hochqualifizierte und fundierte Ausbildung gegeben. Das Ziel war, den IS zu stoppen, zurückzudrängen, ihn zu schlagen. Wir haben dieses Ziel erreicht. Der IS im Irak ist physisch geschlagen, meine Damen und Herren. Ich sage das auch, obwohl ich zugleich bedaure, dass die kurdische Regionalregierung mit dem Referendum einen Weg eingeschlagen hat, vor dem wir sie dringend gewarnt haben und ihr abgeraten haben. Sie kennen die Geschehnisse der letzten Wochen. Da die Lage unmittelbar nach dem Referendum zunächst äußerst unklar wurde, haben wir am 13. Oktober entschieden, die Ausbildung in Erbil zunächst ruhen zu lassen, auch als klares politisches Zeichen für Dialog und Deeskalation. Wir haben eine Woche später die Ausbildung wieder aufnehmen können. Ich habe sowohl mit dem irakischen Ministerpräsidenten Abadi als auch mit dem damaligen Präsidenten der kurdischen Autonomiebehörde Barzani telefoniert. Beide haben versichert, das zukünftige Verhältnis Bagdads und Erbils im Dialog lösen zu wollen, so schwierig dieser Dialog auch immer sein mag.
Ich will aber hier auch sehr deutlich sagen: Trotz all dieser schwierigen Entwicklungen ist für uns ganz klar: Die Peschmerga waren in dieser ganzen Zeit in ihrem tapferen Kampf gegen den IS und mit dem Schutz, den sie Millionen von Flüchtlingen gegeben haben, für unsere Bundeswehr ein guter und ein verlässlicher Partner. Das werden wir nicht vergessen.
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Wir haben aber auch von Anfang an gesagt, dass unser Engagement ein Beitrag zur staatlichen Einheit des Iraks ist. Wir haben immer darauf geachtet, dass auch eine Kooperation mit der Zentralregierung in Bagdad möglich war. Wir haben Iraker teilweise in Deutschland ausgebildet. Wir haben Material geschickt, zum Beispiel Sanitätsmaterial, ABC- und Kampfmittelabwehr. Wir haben uns deshalb immer für einen funktionierenden Gesamtstaat Irak eingesetzt. Deshalb sagen wir sowohl Bagdad als auch Erbil, dass sie ihre Konflikte mit der Richtschnur der irakischen Verfassung lösen müssen.
Meine Damen und Herren, auch wenn der IS im Irak, wie ich es eben sagte, physisch geschlagen ist, so dürfen wir uns nichts vormachen. Endgültig besiegt ist der IS noch keineswegs. Weder die Terrorgruppe, die in der Region immer noch im Untergrund Nester hat und auch von dort aus – aus der Region heraus – bei uns operiert, noch die Ideologie, die genutzt wird, um jungen Menschen ein menschenverachtendes Weltbild zu vermitteln und sie zu radikalisieren, sind verschwunden. Entscheidend ist jetzt, da der IS im Irak geschlagen ist, dass die Menschen im Irak sehen: Es macht einen Unterschied, wenn sie von der Terrorherrschaft befreit sind.
Insofern sind wir sofort mit Unterstützung der Vereinten Nationen in die befreiten Städte und Regionen gegangen und haben für Wiederaufbau gesorgt, dafür, dass Elektrizität da ist, die Häuser geflickt werden, Wasser da ist, Essen da ist, Erste Hilfe ankommt und die Wiederversöhnung beginnt. Wir haben auch angefangen, einen nachhaltigen Aufbau von Fähigkeiten bei den Streitkräften und Polizeikräften im gesamten Irak vorzubereiten. Insofern führt die internationale Koalition – immerhin 69 Staaten beteiligen sich daran – das Ausbildungskonzept fort. Ich finde es gut, dass inzwischen auch die Europäische Union und die NATO der Koalition gegen den Terror beigetreten sind und sich stärker beim Capacity Building im Irak engagieren wollen.
Wenn der Bundestag überlegen wird, in welcher Form die Koalition gegen den Terror in Zukunft im Bereich Ausbildung unterstützt werden soll, dann kann er genau hier an das bereits Erreichte anknüpfen. Um Stabilität zu erreichen, werden ein wirklicher Wille zur Versöhnung, eine hochwertige Ausbildung und Beratung der Sicherheitskräfte, eine kompetente Unterstützung bei der Security Sector Reform und umfassende humanitäre Aufbauhilfe nötig sein. Für all das sind wir gerüstet; wir haben Erfahrung.
Heute geht es um Erbil, wo wir gemeinsam mit Italien, Finnland, den Niederlanden, Slowenien und Ungarn arbeiten. Wir bitten darum, dass Sie das entsprechende Mandat in unveränderter Form für drei Monate verlängern.
Vielen Dank.
({2})
Jetzt erteile ich dem Kollegen Ulrich Oehme von der AfD das Wort zu seiner ersten Rede im Bundestag.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktion der AfD kann der beantragten Verlängerung des Mandats für die Ausbildungsmission in Kurdistan-Irak aus folgenden Gründen nicht zustimmen:
Erstens. Ursprünglich war das Mandat dem Kampf gegen den „Islamischen Staat“ im Norden des Iraks gewidmet. Frau Ministerin, auch wir erinnern uns an die Bilder der hilflosen Menschen, die bei Schnee und Kälte, meistens mit Kindern und ohne ausreichende Kleidung, vor den barbarischen Vernichtungsaktionen des IS in die Berge Kurdistans geflüchtet sind. Damals war es richtig, hilflose Menschen wehrfähig zu machen. Aber heute stellt sich die Situation anders dar: Der „Islamische Staat“ ist militärisch weitgehend besiegt.
Gleichzeitig haben kürzlich überwältigende 92 Prozent der Kurden im anerkannten Autonomiegebiet für ein unabhängiges Kurdistan gestimmt. Iraks Ministerpräsident jedoch hat das Ergebnis des Referendums nicht anerkannt. Daraufhin haben die militärischen Auseinandersetzungen zwischen den Kurden und der Armee der irakischen Zentralregierung massiv zugenommen. Da die weitere Entwicklung völlig offen ist, droht damit ein neuer Bürgerkrieg.
Sehr geehrte Damen und Herren, es war einmal ein begründeter Pfeiler deutscher Außenpolitik, keine Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete zu liefern.
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Dorthin müssen wir zurückkehren.
Zweitens. Die in die Berge Kurdistans geflüchteten Christen und Jesiden besiedelten vor ihrer Flucht den Osten Syriens und die Ninive-Ebene. Die Ninive-Ebene wird von kurdischen Militärs kontrolliert und als Teil eines neuen Kurdistans betrachtet. In einem möglichen Bürgerkrieg wäre diese Region absehbar mit am schlimmsten betroffen. Eine Rückkehr der Christen und Jesiden in ihre Heimat würde dann unmöglich. Daher lehnen auch die regionalen katholischen und orthodoxen Bischöfe das Referendum ab.
Drittens. Außenpolitisch sollten wir als Deutsche klug agieren. Was sollten wir bei der Unterstützung der Konfliktparteien beachten? Kurden leben auch in der Türkei, im Iran und in Syrien. Das gemeinsame Ziel der Kurden ist ein eigener Staat. Wir als AfD haben grundsätzlich – das wissen Sie, meine Damen und Herren – Sympathien für Völker, die nach Souveränität und Selbstbestimmung streben.
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Durch unsere Ausbildung könnten auch die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu den Ländern Iran, Türkei und Syrien über das ohnehin bereits bestehende Maß hinaus aus diesem Grund leiden.
Unsere Unterstützung der Peschmerga könnte auch nicht im Interesse der Türkei sein. Erdogan steht den Kurden jedenfalls nicht freundlich gegenüber. Er kann ein derartiges Verhalten Deutschlands, das völkerrechtlich zudem nicht durch ein UN-Mandat legitimiert ist, zutreffend als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Türkei verstehen. Was das Verhalten Deutschlands noch verschlimmert: Wir handeln gegen die Interessen eines Bündnispartners.
Außerdem ist schon lange die Kontrolle, von wem deutsche Waffen tatsächlich verwendet wurden, unmöglich. Sie werden auf dem Schwarzmarkt gehandelt, sie werden an unterschiedliche Kämpfer weitergereicht, und sogar der „Islamische Staat“ hat zum Teil direkten Zugriff darauf.
Aber auch ohne Bürgerkrieg würden sich im Falle weiterer militärischer Unterstützung unsere Beziehungen zu den betroffenen Ländern in der Region und damit natürlich auch unsere diplomatischen Einflussmöglichkeiten verschlechtern. Diese Unterstützung wird ad absurdum geführt, wenn wir dadurch die sich gegenüberstehenden Parteien militärisch ertüchtigen.
Zudem verringern sich unsere Chancen auf eine Kooperation, zumindest auf der Arbeitsebene mit der syrischen Führung. Dabei wäre eine solche Kooperation sowohl für die Rückführung der nach Deutschland geflüchteten Syrer
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als auch für die verfolgten Christen in der Region sehr wichtig.
Bei aller notwendigen Kritik an Syrien: Für den chaldäisch-katholischen Bischof von Aleppo war und ist Syrien unter Assad der einzige Garant für die Christen, in relativer Sicherheit friedlich mit anderen Religionen zusammenleben zu können.
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Meine Damen und Herren, all diese Punkte sollten Sie bei Ihrer heutigen Entscheidung berücksichtigen. Deutschland hat seit Zeiten Wilhelms II. beste Beziehungen in die Region,
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und es wird von örtlichen Volksgruppen geachtet.
Konzentrieren wir uns auf unseren diplomatischen Einfluss. Wir schlagen daher Folgendes vor: Beenden wir heute dieses Mandat! Dafür treten wir ab sofort im gesamten Konfliktgebiet des Mittleren Ostens als unparteiische und vermittelnde Macht auf.
Ich danke Ihnen.
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Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Graf Lambsdorff, FDP.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Streng genommen hätte das Mandat für die Fortsetzung der Ausbildungsunterstützung für Sicherheitskräfte in der Region Kurdistan-Irak, das wir heute beraten, eigentlich direkt im Anschluss an unsere gestrige Plenardebatte stattfinden sollen, als wir über die deutsche Beteiligung an der Operation Counter Daesh geredet haben.
Die Ausbildungsmission in Nordirak ergänzt ja in logischer und sinnvoller Weise unsere Maßnahmen zur Bekämpfung des „Islamischen Staates“, die wir gemeinsam mit unseren Partnern in der NATO über Syrien ergriffen haben. Weil das alles miteinander zusammenhängt, unterstützen die Freien Demokraten dieses Mandat mit Nachdruck.
Es ist ein Erfolg der Ausbildungsunterstützung durch die internationale Gemeinschaft, dass der Einfluss des IS im Irak deutlich zurückgedrängt wurde. Vor diesem Hintergrund können wir sowohl aus militärischer als auch aus humanitärer Sicht eine positive Bilanz ziehen, insbesondere mit Blick auf den Schutz der Jesiden und anderer Minderheiten in der Region.
Deutschland hat mit seinen internationalen Partnern gemeinsam fast 16 000 Sicherheitskräfte in der Region ausgebildet. Die Ausbildung von 5 000 Sicherheitskräften geht alleine auf deutsches Engagement zurück. Das begrüßen wir ausdrücklich.
Was wir als Freie Demokraten bereits kritisch gesehen haben, als das Mandat zum ersten Mal erteilt wurde – das will ich hier deutlich sagen –, war die Lieferung von Kleinwaffen an die Peschmerga, nicht die Lieferung von Panzerabwehrwaffen. Der Endverbleib von Kleinwaffen ist in der Region nicht zu kontrollieren. Das sehen wir im Moment leider auch anhand des innerirakischen Konflikts, der sich dort aufgetan hat. Diesen innerirakischen Konflikt müssen wir bei unserem Engagement immer im Blick haben.
Ich sage es hier in aller Deutlichkeit: Das kurdische Unabhängigkeitsreferendum vom 25. September war ein schwerer politischer Fehler der kurdischen Autonomieregierung in Erbil.
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Die anschließenden militärischen Auseinandersetzungen zwischen der Zentralregierung in Bagdad und Erbil haben das überdeutlich sichtbar werden lassen. Die Region im Nordirak um die kurdischen Provinzen Erbil, Dahuk, Sulaimaniyya und Halabdscha genießt ja schon große Autonomie. Es darf nicht den geringsten Zweifel daran geben, dass Deutschland die territoriale Integrität des Irak achtet. Deshalb ist es richtig, dass wir gemeinsam mit unseren Partnern an einem Dialogprozess zwischen der kurdischen Regionalregierung und der irakischen Zentralregierung arbeiten.
Meine Damen und Herren, unsere Ausbildungsmission auch im Nordirak ist auf Einladung der irakischen Zentralregierung in Bagdad begonnen worden. Es muss deshalb klar sein, dass auch im Nordirak jede weitere Tätigkeit nur mit Unterstützung und auf Einladung der Zentralregierung erfolgen kann. Nur wenn die territoriale Integrität des Irak gewahrt bleibt, besteht die Chance, die Region langfristig zu stabilisieren und die terroristische Bedrohung dauerhaft einzuhegen.
Meine Damen und Herren, die Entwicklung sowohl in Syrien als auch im Irak hat eine neue Dynamik gewonnen. Nicht jedes Element dieser Dynamik ist positiv; aber eines ist vollkommen klar: Nach der technischen Verlängerung um drei Monate wird es eine Neubewertung der Gesamtlage geben müssen, wird es eine Neuformulierung dieser Mandate – vielleicht in einem Mandat verbunden – geben müssen. Wir Freien Demokraten werden daran konstruktiv mitarbeiten.
Herzlichen Dank.
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Jetzt hat das Wort der Kollege Stefan Liebich von der Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ehe ich mit meiner Rede beginne, möchte ich eine Vorbemerkung machen: Es wird jetzt passieren – und wahrscheinlich auch künftig –, dass Argumentationen unserer Fraktion, vielleicht auch anderer Fraktionen, der Argumentation der Fraktion der AfD ähneln. Aber es gibt einen zentralen Unterschied: Jeder Mensch, der vor Krieg und Terror hierher, zu uns flieht, der ist uns von der Fraktion Die Linke herzlich willkommen.
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Frau von der Leyen hat von den schrecklichen Entwicklungen im Irak und in Syrien im Jahr 2014 gesprochen, als die Terroristen des „Islamischen Staates“ auf dem Vormarsch waren. Es stimmt – das ging uns allen so –: Wir waren betroffen von diesen Bildern, insbesondere von den schrecklichen Massakern an den Jesidinnen und Jesiden. Wir alle haben darüber diskutiert, was die richtige Antwort ist. Es ist kein Geheimnis: Auch in unserer Fraktion gab es kontroverse Diskussionen darüber, ob Waffenlieferungen der richtige Weg sein können. Wir haben uns letztlich dagegen entschieden. Die Sorge, dass, wenn wir weitere Waffen in diese Region liefern, ein brandgefährlicher Konflikt weiter angeheizt wird, hat bei uns überwogen.
Frau von der Leyen, die Bundesregierung hat übrigens nicht schnell, sondern nach durchaus kontroversen Debatten hier gesagt, dass sie diesen Weg gehen will. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie es war, als der Vorgänger von Herrn Gabriel im Amt des Außenministers, Frank-Walter Steinmeier, der heutige Bundespräsident, hier vorne stand und gesagt hat, welche Risiken er sieht, wenn Waffen geliefert und Soldaten dort ausgebildet werden. Er hat, obwohl er diese Risiken hier beschrieben hat, dafür geworben. Heute muss man sagen: Leider sind all seine Befürchtungen wahr geworden. Die Waffenlieferungen und die Ausbildung von Soldaten durch Deutschland waren und sind falsch, und Sie wissen das eigentlich auch.
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Wir haben das hier schon so häufig erlebt: Es ist ganz einfach, in so ein Mandat hineinzurutschen, aber unheimlich schwer, wieder herauszukommen.
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Wir wissen es doch inzwischen: Die Waffen, die Deutschland an die Peschmerga geliefert hat, werden nicht ausschließlich von kurdischen Kämpferinnen und Kämpfern genutzt. Sie werden natürlich auch nicht ausschließlich im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ verwendet. Drei Beispiele:
„Die Zeit“ berichtete im Jahr 2016, dass Peschmerga-Kämpfer auf Märkten ihre G3‑Gewehre angeboten haben, um ihre Flucht zu finanzieren.
Da Herr Gabriel davon gesprochen hat, dass man in den Konflikten vor Ort nicht Partei ergreifen wolle, muss man doch fragen: Wer sind eigentlich die Konfliktparteien vor Ort? Im März dieses Jahres berichtete „Der Spiegel“ darüber, dass die Kurden, als sie erneut Jesidinnen und Jesiden aus der Region Sindschar vertrieben haben, dafür G36‑Gewehre aus der Bundesrepublik Deutschland nutzten.
Vor gut sechs Wochen – das spielte hier schon eine Rolle – sind bei den Gefechten zwischen der Armee der irakischen Regierung und den Soldaten der Region Kurdistan im Nordirak mehrere Personen beim Beschuss durch Panzerabwehrraketen, die aus Deutschland stammen, ums Leben gekommen.
So unterstützt die Bundesregierung beide Seiten, die im Moment gegeneinander kämpfen. Sehr geehrte Damen und Herren, spätestens jetzt, wo Deutschland in den innerirakischen Konflikt hineingezogen wird, ist es an der Zeit, auszusteigen.
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Beenden Sie das Mandat! Beenden Sie die militärische Ausbildung in so einer fragilen Region, und hören Sie vor allem endlich auf, Waffen und Rüstungsgüter dorthin zu liefern!
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Dafür trug Herr Gabriel in der Vergangenheit als Wirtschaftsminister Verantwortung. Damit machen wir uns bzw. machen Sie sich mitschuldig am Tod von Menschen und Leuten, die hierher fliehen müssen. Norbert Röttgen von der CDU, der frühere Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, hat kürzlich zu dem hier diskutierten Thema gesagt: Es darf hier kein Weiter-so geben. – Aber genau über ein Weiter-so werden wir jetzt abstimmen. Es ist ein ungeändertes Mandat; es ist ein Weiter-so. Dazu kann man wirklich nur Nein sagen, und das werden wir auch machen.
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Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Irak sind die Tage des selbsternannten Kalifats so gut wie gezählt. Dafür gebührt unser Dank auch den Kurdinnen und Kurden. Sie haben große Opfer dabei gebracht, die Barbaren zu stoppen und zurückzudrängen, und sie haben zahllosen Vertriebenen Zuflucht gewährt – das alles nach einer sehr langen Geschichte von Verfolgung und Benachteiligung. Auf die historische Ungerechtigkeit durch den Plan von Sykes-Picot folgte mehr als ein Jahrhundert der Diskriminierung. Am 16. März des kommenden Jahres begehen wir den 30. Jahrestag der schrecklichen Giftgasangriffe durch Saddam Hussein auf Kurdinnen und Kurden. Wie wir heute wissen, waren daran auch deutsche Firmen mitbeteiligt.
({0})
Auf den Ruinen dieser Geschichte ist in den letzten Jahren im Nordirak so etwas wie die Oase eines stabilen Gemeinwesens mit demokratischen Elementen entstanden. Zur Verteidigung dieses Gemeinwesens und des gesamten Iraks hat auch die Bundeswehr in den letzten Monaten einen großen Beitrag geleistet: zur Stabilität der Region, zum Schutze der Peschmerga, zur besseren Verarztung der Verwundeten und zu besseren taktischen Fähigkeiten. Dafür gebührt den Soldatinnen und Soldaten unser Dank.
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Das Problem bei dem Mandat war, dass die Bundesregierung eine absolut notwendige Bedingung des Verfassungsrechts, nämlich das System kollektiver Sicherheit, wie es Karlsruhe uns ins Stammbuch geschrieben hat, nicht geliefert hat, sondern auf eine Koalition der Willigen gesetzt hat. Deshalb haben wir diesem Mandat nicht zustimmen können, und wir werden dies, so wie es vorliegt, auch heute nicht tun.
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Aber wir müssen sehen, dass sich die Lage verändert hat. Die Demokratie in diesem nordirakischen Gemeinwesen ist von innen ausgehöhlt worden. Der mittlerweile zurückgetretene Präsident Barzani hat seine Amtszeit nach 2015 über zwei Jahre überzogen. Sunnitische Dörfer sind von Peschmerga zerstört worden. Barzani hat Koalitionspartner ausgesperrt und den Parlamentarismus komplett ausgehebelt. Journalistinnen und Journalisten sind unter Druck gesetzt worden. Die Gehälter im öffentlichen Dienst sind monatelang nicht bezahlt worden. Korruption grassiert.
Das Referendum am 25. September dieses Jahres war nicht nur der Ausdruck eines völlig berechtigten Wunsches der Kurdinnen und Kurden nach Selbstbestimmung und Freiheit, sondern gerade die Auswahl des Zeitpunktes war auch ein Ausdruck der Verzweiflung einer Regierung, die sich in eine große Krise geritten hatte. Dies hat zu massiven Rückschritten geführt, auch und gerade in Kurdistan. Das Verhältnis zu Bagdad ist so schlecht wie seit Ewigkeiten nicht mehr. Innerkurdische Konflikte – teilweise sehr alt und sehr tradiert – sind mittlerweile wieder aufgebrochen. Der Status von Kirkuk ist ganz weit davon entfernt, geklärt zu werden. Iran und die Türkei haben jetzt freie Hand für massive militärische und politische Störmanöver. Das ist der Grund, warum dieses Mandat so nicht fortgesetzt werden kann. Wir werden weiter darüber reden müssen.
Es ist für uns absolut klar, dass sich Deutschland im gesamten Irak politisch mehr engagieren muss und dass wir einen Beitrag leisten können: zur Versöhnung, dazu, dass die Spirale der Rache im Irak endlich durchbrochen wird, dass ein Ansatz entwickelt wird, der allen Volksgruppen im Land ihre Rechte einräumt, dass die Sicherheitskräfte im Rahmen eines inklusiven Ansatzes reformiert werden und dass es kein Wiedererstarken der Dschihadisten gibt.
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Wir haben darüber in den Sondierungen gesprochen. Es ist Zeit dafür, die Weichen endlich zu stellen, und es ist Zeit, den Wunsch der Kurdinnen und Kurden nach Selbstbestimmung und Freiheit nach über 100 Jahren endlich ernst zu nehmen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Letzter Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Jürgen Hardt von der CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war natürlich eine schwerwiegende Entscheidung, die wir uns nicht leicht gemacht haben, als wir vor drei Jahren beschlossen haben, entgegen dem bisherigen Grundsatz tatsächlich Waffen in ein Krisengebiet zu liefern und dort Ausbildungsunterstützung zu leisten. Es war aber eine richtige Entscheidung, und wir hätten die falsche Lehre aus der deutschen Geschichte gezogen, wenn wir uns aufgrund des gerade angesprochenen Prinzips von der Verantwortung zurückgezogen und das hingenommen hätten, was der IS speziell gegen die Jesiden, aber auch gegen die kurdische Bevölkerung dort unternommen hat.
Der Einsatz ist erfolgreich. Mittlerweile sind von uns und unseren Partnern rund 16 000 Peschmerga-Kämpfer ausgebildet worden. Der Einsatz ist aber in eine Phase geraten, in der tatsächlich für die Zukunft überlegt werden muss, wie es weitergeht. Wir haben die Auslieferung unserer Ausrüstungspakete, die Materiallieferungen, planmäßig abgeschlossen. Das, was vorgesehen war, ist, glaube ich, im September dieses Jahres zum Abschluss gekommen.
Mit der Ausbildung von 16 000 Kämpfern haben wir einen wesentlichen und wichtigen Beitrag geleistet, der auch erfolgreich war; denn der IS ist in der Region schwer in die Enge getrieben worden, und das Blatt hat sich zum Glück gewendet.
Der derzeitige Stand ist auch dadurch gekennzeichnet, dass – das müssen wir zur Kenntnis nehmen – das Verhältnis zwischen der kurdischen Autonomiebehörde und der irakischen Zentralregierung durch die Entscheidung der Regierung der autonomen Region Kurdistan-Irak unter Führung von Massud Barzani, das Referendum durchzuführen, eingetrübt worden ist. Wir haben immer davon abgeraten und davor gewarnt. Wir haben uns in dieser Frage klar positioniert und gesagt: Die Einheit des Staates steht nicht zur Disposition. Autonomierechte sind wichtig, aber das bedeutet nicht, dass wir eine Zukunft in der Abspaltung des kurdischen Teils des Iraks vom übrigen Staatsgebiet sehen. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir sowohl mit den Kurden als auch mit der Zentralregierung des Iraks laufend im Dialog darüber sind.
Es war fraglich, ob die Einladung, den Kurden zu helfen, die Bagdad seinerzeit ausgesprochen hat – was ja neben der UN-Resolution, die ebenfalls auffordert, Hilfe zu leisten, die völkerrechtliche Grundlage für unseren Einsatz dort ist –, formal bestehen bleibt und auch weiterhin inhaltlich von der Regierung so gewünscht und getragen wird. Deswegen war es gut, dass wir nach dem Referendum und nachdem es dort entsprechende Auseinandersetzungen gegeben hat, unsere Aktivitäten für einige Tage unterbrochen haben.
Ich glaube, insgesamt zeigen die letzten Wochen, dass unser Agieren und unsere aktive Rolle dort eher stabilisierend und beruhigend auf die Situation zwischen Bagdad und Erbil wirken, weil wir als Partner ernst genommen werden und weil man auf beiden Seiten weiß, wo wir stehen. Deswegen wäre es schlecht, wenn wir uns zurückziehen würden; denn dann würden wir auf diese Möglichkeit des Einflusses, der auf die Situation im Irak gegenwärtig, wie ich finde, befriedend wirkt, verzichten. Deshalb finde ich es mindestens wichtig, dass wir das Mandat jetzt um drei Monate verlängern.
Ich finde es auch wichtig, dass wir bei einem neuen Mandat über das jetzt gültige Mandat in dieser Form hinaus zwar über Veränderungen nachdenken – vielleicht auch über weitere zivile Komponenten –, aber nicht grundsätzlich die Verpflichtung infrage stellen, die wir mit dem, was wir vor drei Jahren begonnen haben, eingegangen sind.
Ich würde mir wünschen, dass wir im Rahmen der Beratungen des neuen Mandats im nächsten Frühjahr auch die Frage bedenken, auf welchem Grundgesetzartikel wir dieses Mandat abstützen.
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Die Bundesregierung stützt sich auf Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes. Das halte ich für eine tragfähige Grundlage für dieses Mandat. Ich bin aber der Meinung, dass auch der Artikel 87a des Grundgesetzes tragfähig wäre, in Verbindung mit Artikel 51 der UN-Charta, wonach jeder Staat das Recht hat, sich zu verteidigen, eine solche Hilfeleistung auch die Verteidigung im Sinne des Grundgesetzes sein kann.
Ich würde mir wünschen, dass wir bei der Verlängerung des Mandats nicht nur über die Struktur und die Inhalte des Mandats reden, sondern auch grundsätzlich über die Frage, was denn unsere deutsche, nationale verfassungsrechtliche Grundlage ist.
({1})
Ich sage ausdrücklich, dass ich Artikel 24 Absatz 2 Grundgesetz für eine ausreichende Basis halte.
({2})
Deswegen kann ich die Gründe der Grünen an diesem Punkt nicht nachvollziehen. Wie bisher glauben wir, dass das Mandat verfassungsrechtlich einwandfrei abgesichert ist.
In diesem Sinne wünsche ich unseren rund 150 Soldatinnen und Soldaten weiterhin jegliches Soldatenglück und eine gute Rückkehr aus dem Einsatz. Möge dieser Einsatz weiterhin unter einem guten Stern stehen.
Danke schön.
({3})
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/25 an den Hauptausschuss vorgeschlagen. Gibt es dagegen Widerspruch?
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– Dann müssen wir abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist bei den Gegenstimmen der AfD mit den Stimmen der übrigen Fraktionen die Überweisung beschlossen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht so leicht, nur fünf Minuten zur Lage im Nahen und Mittleren Osten zu sprechen. Ich bemühe mich, acht kurze Anmerkungen dazu zu machen. Mal sehen, wie weit ich komme.
Meine erste Anmerkung ist: Der „Islamische Staat“ ist militärisch-territorial besiegt. Der politische, soziale und ideologische Nährboden für den „Islamischen Staat“ ist noch vorhanden. Dem militärischen Kampf gegen den „Islamischen Staat“ muss jetzt der politische Kampf um die Menschen folgen: um die Sunniten, die sich marginalisiert, an den Rand gedrängt und von allen im Stich gelassen fühlen. Diesen Kampf um die Menschen müssen wir führen. Sonst wird der militärische Sieg bedeutungslos bleiben, meine Damen und Herren.
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Zweitens. Es gibt eine weitere militärische Lösung: Es gibt eine militärische Lösung in Syrien. Es ist bitter, das hier auszusprechen, aber Russland und die Hisbollah – das heißt Iran – haben das verabscheuungswürdige Regime von Assad gestützt und dazu beigetragen, dass es einen militärischen Sieg dieser Staaten und Kräfte über die syrische Bevölkerung gibt, meine Damen und Herren.
Das ist ein trauriges Ergebnis, das wir dort verzeichnen müssen. Trotzdem ist meine Einschätzung, dass Russland trotz der auch völkerrechtswidrigen Maßnahmen, die Russland zu verantworten hat, kein Interesse hat, dauerhaft an der Seite von Assad und Hisbollah in einen endlosen und nicht zu gewinnenden Bürgerkrieg in Syrien verstrickt zu werden. Wir, die Europäer bzw. der Westen, sollten ausloten, ob mit Russland politisch ein Prozess in Syrien zu starten ist. So paradox es auf den ersten Blick scheint: Ich glaube, die Interessenlage Russlands spricht dafür, es zu versuchen. Wir müssen es versuchen.
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Drittens. Im Irak sind die alten Konflikte wieder aufgebrochen: die Machtverteilung, die Verteilung wirtschaftlicher Ressourcen zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden, die innerkurdischen Konflikte. Deutschland hat – wir haben gerade darüber diskutiert – an die Kurden Waffen geliefert, und wir leisten weiter militärische Ausbildung. Wir haben damit eine Verantwortung für den Irak übernommen. In einem halben Jahr finden dort Parlamentswahlen statt. Das Unabhängigkeitsreferendum, das der frühere kurdische Präsident Barzani durchgeführt hat, hat der langen Leidensgeschichte der Kurden im Irak ein weiteres trauriges Kapitel hinzugefügt. Wir haben jetzt Verantwortung, auch weil wir uns dafür engagiert haben, dass es wieder ein friedliches Miteinander im Irak gibt. Auch das ist jetzt eine deutsche Verantwortung, der wir uns stellen müssen.
Viertens. Der israelisch-palästinensische Konflikt war früher der Nahostkonflikt. Er ist an den Rand der Wahrnehmung geraten, aber er hält weiter an, und er zeichnet sich durch eine Verhärtung aus, wie es sie lange nicht gegeben hat. Man ist in diesem Konflikt weiter von der Zweistaatenlösung entfernt, als es bereits der Fall war. Sie war schon sehr nahe; jetzt ist sie wieder weit entfernt. Auch dieser Dauerkonflikt ist da, in einer großen Verhärtung und gewissermaßen fast in einer Perspektivlosigkeit. Auch diesen Konflikt dürfen wir nicht vergessen; denn er hält weiter an.
Fünftens. Im Zentrum der Lage in dieser Region steht die Rivalität zwischen Saudi-Arabien und Iran, die gerade wieder eskaliert ist. Wir haben auf der einen Seite eine aggressive Machtexpansion des Iran von Iran über den Irak in den Libanon – über die Hisbollah – und nach Syrien hinein – erneut über die Hisbollah –, die wir mit größter Sorge sehen, die wir kritisieren und die kein Beitrag zum Frieden in dieser Region ist. Auf der anderen Seite haben wir eine neue Demonstration von Machtanspruch in der Person des saudischen Kronprinzen, einen Machtanspruch nach außen und nach innen, verbunden mit einem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Reformehrgeiz im Inneren.
Wozu hat dieser neue Machtkonflikt der beiden, die Rivalität um die Vorherrschaft in der Region geführt? Zu einem fürchterlichen Krieg im Jemen, der der Zivilbevölkerung unvorstellbares Leid zufügt,
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zu einem Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Katar und zu einer neuen Krise im krisengeschüttelten Libanon. Das ist die extrem verzwickte machtpolitische Konstellation, die im Zentrum steht und die nicht leicht auflösbar ist, sondern für längere Zeit bestehen bleiben wird.
Was wir in dieser Region brauchen, ist die Erhaltung von Gesprächsfähigkeit. Ich sage es hier ganz deutlich: Es macht keinen Sinn, polternd durch diese Region zu laufen, um am Ende die Gesprächsfähigkeit zu einem, nämlich Saudi-Arabien, vielleicht auch zu anderen wichtigen Akteuren zu verlieren. Wir brauchen die Erhaltung der Gesprächsfähigkeit als Bedingung von Diplomatie in Deutschland.
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Ich mache zwei kurze abschließende Bemerkungen. Das Neue an dieser Lage für uns ist – das haben wir durch die Flüchtlingskrise gelernt –: Wir können unser Schicksal in Europa, die Stabilität unserer Gesellschaften nicht mehr losgelöst von den Konflikten, den Krisen und dem Hass in dieser Region betrachten. Wenn in Syrien Krieg ist, dann merken wir das in unseren Dörfern und in unseren Städten. Unsere Schicksale sind miteinander verbunden. Die dortige Disruption hat zu dieser neuen Lage geführt.
Abschließend meine letzte Bemerkung.
Aber bitte kurz, Herr Kollege Röttgen.
Diese neue Lage von Krieg und Konflikt zwingt uns Europäer dazu – übrigens auch die neue Anti-Iranpolitik der amerikanischen Administration, die falsch ist, weil man ohne und gegen den Iran keine Lösung finden kann –, in dieser Region zu einer europäischen Politik zu kommen. Es ist unsere Nachbarregion. Wir sind am meisten betroffen. Wir sind am einflusslosesten. Es muss eine gemeinsame Politik der europäischen Staaten geben, die von diesen Konflikten betroffen sind.
Das ist die Schlussfolgerung. Es ist das politische Gebot an uns Europäer, an uns Deutsche, einen politischen Prozess zu organisieren, zu initiieren. Wir müssen uns in dieser Region engagieren, weil es vor allem um unsere Sicherheit und Stabilität in Deutschland und in Europa geht.
Vielen Dank.
Das ist die Schlussfolgerung.
Ich danke Ihnen sehr.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Aktuellen Stunden müssen wir die Redezeit relativ streng einhalten. Deswegen bitte ich alle, sich an die fünf Minuten Redezeit zu halten. – Jetzt hat das Wort der Kollege Mützenich.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat, in fünf Minuten kann man nur wenige Bemerkungen machen. Ich will versuchen, mich auf vier zu konzentrieren. Aber ich will mich anders als der Kollege Röttgen der Situation im Nahen und Mittleren Osten nähern.
Ich möchte gerne damit beginnen – ich finde, es ist notwendig, diese Frage hier in Deutschland und mit den europäischen Partnern anzugehen –: Ja, es ist richtig, dass die Proteste 2010 und 2011 auch der Beginn gewaltsamer Auseinandersetzungen waren, aber sie sind nicht die Ursache dafür. Die jungen Menschen, die mutigen Frauen, die damals für gutes Regieren, gegen Korruption und für mehr Respekt gegenüber der Bevölkerung demonstriert haben, sind auch heute im Recht. Solange diese Konflikte im Inneren der arabischen Welt nicht gelöst sind, so lange wird es auch nicht gelingen, Frieden in diese Region zu bringen. Das heißt, die deutsche Außenpolitik muss sich genau mit den Gesellschaften solidarisieren, die um gutes Regieren streiten.
Deswegen sage ich sehr deutlich: Ja, die Köpfe sind ausgewechselt worden, aber die Machtzentren im Inneren haben sich nicht verändert. Deswegen stehen gerade an der europäischen Außengrenze weiterhin diese Konflikte im Mittelpunkt. Ich will daran erinnern: Viele Menschen unter Militärgerichtsbarkeit sind heute immer noch in Gefängnissen, etwa in Ägypten, aber auch in anderen Ländern der Region.
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Zum Zweiten. Der politische Islam, der sich ein Parteiengefüge gegeben hat, ist in dieser Situation gewachsen. Er ist nicht verschwunden, sondern nur unterdrückt. Er bleibt sozusagen weiterhin unter der Oberfläche. Das wird uns vor viele Herausforderungen stellen, gerade wenn wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier das Gespräch mit den dortigen Gesellschaften suchen.
Dritter Aspekt. Zum heutigen Zeitpunkt, wo Mladic vor dem Internationalen Gerichtshof verurteilt wurde, sagen wir Sozialdemokraten: Alle diejenigen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt haben – in Syrien, im Irak, im Jemen oder anderswo –, müssen weiterhin verfolgt werden. Das Schwert der internationalen Strafgerichtsbarkeit muss gerade von Deutschland weiterhin unterstützt werden.
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Deswegen war es richtig, dass die Bundesregierung, als sie den Vorsitz beim Menschenrechtsrat in Genf innehatte, alles unternommen hat, um die Dokumente zu sammeln, die es ermöglichen, gegen schwerste Menschenrechtsverletzungen in Syrien vorzugehen, und dass deutsche Staatsanwaltschaften gegen die Betreffenden ermitteln und letztlich Völkerstrafrecht anwenden, um entsprechende Verfahren zu ermöglichen.
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Da von linker Seite die eine oder andere Bemerkung kommt: Die Linksfraktion hat damals hier in Deutschland eine wichtige Chance verpasst, als sie der deutschen Bundesregierung kein Mandat für die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen gegeben hat. Sie hat sich hinter einer militärischen Frage versteckt.
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Ein vierter Punkt, den der Kollege Röttgen bereits erwähnt hat: Ja, wir sehen mit großer Sorge auf die Situation, die sich aus der Auseinandersetzung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien ergibt. Ich bin dankbar, dass der deutsche Außenminister – auch auf seinen Reisen – alles für eine Deeskalation getan hat. Ich hätte mir aber auch gewünscht, dass die Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch, den sie nur Saudi-Arabien abgestattet hat, deutliche Worte gegen das saudische Königshaus und gegen das, was Saudi-Arabien in der Region zu verantworten hat, gefunden hätte. Das wäre aller Ehren wert gewesen. Sie hätte nicht nur über Waffenlieferungen sprechen sollen.
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Die Bundesregierung tut gut daran, alles zu unternehmen, dass die amerikanische Regierung nicht weiter einen Vertrag schwächt, der einen weiteren Krieg in der Region verhindert hat. Der Vertrag ist Ausdruck unseres Versuchs der Einhegung des Iran auf diplomatischem Weg. Es war richtig, nicht nur diesen Vertrag zu verteidigen, sondern nun auch alles zu unternehmen, um dort zusammen mit anderen ein regionales Sicherheitssystem zu schaffen. Frankreich, aber auch Großbritannien sind gut beraten, zusammen mit Deutschland diesen Weg zu gehen.
Zum Schluss möchte ich etwas deutlich machen, was gerade die Kolleginnen und Kollegen von der AfD berücksichtigen sollten, die Deutschland plötzlich in einer Rolle im Nahen und Mittleren Osten sehen, die es ermöglicht, nicht nur zu vermitteln, sondern auch neue Grenzen zu ziehen. Astana und Sotschi sowie der gestrige Besuch des syrischen Machthabers und der heutige Besuch des iranischen Revolutionsführers machen deutlich: Nicht mehr in Berlin werden neue Grenzen gezogen, sondern leider woanders. Wir Demokraten sind aufgefordert, in dieser Hinsicht eine andere Politik zu betreiben.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächstes hat das Wort für die Fraktion der AfD Herr Dr. Alexander Gauland.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manchmal staunt man, dass einer Rede schon etwas vorweggenommen wird, wie es der sozialdemokratische Kollege gerade getan hat.
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Die Union hat eine Aktuelle Stunde zum Nahen Osten beantragt. Die Anmeldung dieser Aktuellen Stunde erfolgte kurzfristig, um die von der AfD gewünschte Debatte über das Scheitern der Jamaika-Sondierungen zu verhindern.
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Dass die nicht zu bestreitenden Probleme des Nahen Ostens als parlamentarischer Schutzschild gegen eine die Menschen bewegende aktuelle Debatte herhalten müssen, ist ein trauriger Beleg für den Fehlgebrauch parlamentarischer Möglichkeiten genauso wie für den Stellenwert deutscher Nahostpolitik.
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Denn eine solche Debatte wie heute, lieber Herr Röttgen, hätte man aus den gleichen Gründen 2007, 1997, 1987, 1977 und sogar vor 100 Jahren, im Jahre 1917 im Reichstag, führen können.
Immer wären die Aktualität gegeben und die Probleme gleich dringend gewesen – nur dass 1917 statt des Bundestages der Reichstag in diesem Haus debattiert hätte. Und obwohl zwischen dem Kaiserreich und der Bundesrepublik einige gravierende Unterschiede bestehen, hatte das Deutsche Reich 1917 genauso viel Einfluss auf die Konflikte des Nahen Ostens wie heute die Bundesregierung.
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Die wirklich machtpolitischen Spieler in dieser Region sind Amerika, Russland – das wurde schon erwähnt –, Saudi-Arabien und der Iran sowie die immer stärker in osmanische Fahrwasser steuernde Türkei, am Rande auch noch Großbritannien und Frankreich und, nicht zu vergessen, das immer einflussreicher werdende China. Deutschland spielt dabei keine Rolle. Und unsere Debatte hier hat nicht den geringsten Einfluss auf die Entscheidungen in dieser konfliktbeladenen Region.
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Darüber bin ich nicht einmal traurig. Denn die Krisen von heute – sei es der Konflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn, sei es der zwischen Sunniten und Schiiten, also zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, sei es die Heimatlosigkeit der Kurden oder der Zerfall des Irak, Syriens und des Libanon – haben Gründe in den fehlgeleiteten Interventionen westlicher Mächte.
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Diese haben immer nur dazu geführt, die Stabilität der Region weiter zu schwächen. Das reicht von der Aufteilung des Nahen Ostens in Einflusssphären – der Name wurde schon erwähnt – zwischen Großbritannien und Frankreich während des Ersten Weltkrieges durch das Sykes-Picot-Abkommen über die Unvereinbarkeit der britischen Zusicherung an die Araber auf ein großes Reich und die Balfour-Deklaration zu einer jüdischen Heimstatt bis hin zu dem friedlosen Teilungsplan für Palästina durch die UN im Jahre 1948. Es geht weiter mit der anglo-französischen Suez-Intervention 1956 und dem grundlosen zweiten Irakkrieg, mit dem nicht vorhandene Massenvernichtungswaffen aufgespürt und zerstört werden sollten.
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Fast immer waren fehlgeleitete imperiale Eigeninteressen und eine westlich verblendete Fehleinschätzung arabisch-islamischer Gesellschaften Grund für das Scheitern der Interventionen.
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Wir Deutschen hatten kaum die Möglichkeit, die Fehler der anderen mit- oder nachzumachen – zu unserem Glück. Der Nahe und der Mittlere Osten waren immer die Einflusssphäre der anderen – mit einer Ausnahme: Unsere historische Schuld hat uns bewogen, die Existenz Israels zu einem Teil unserer Staatsräson zu erklären. Das ist moralisch richtig, enthält aber eine über das bloße Bekenntnis hinausgehende Verpflichtung: im Ernstfall einer existenziellen Bedrohung Israels an dessen Seite zu kämpfen und unter Umständen auch zu sterben. Ich bin mir nicht sicher, ob alle in Deutschland wissen, was diese Verpflichtung wirklich bedeutet.
Ich bedanke mich.
Vielen Dank. – Als Nächster für die Fraktion der Freien Demokraten: Alexander Graf Lambsdorff.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In meiner letzten Intervention habe ich darauf verzichtet, die geschichtliche Kontinuität, die die AfD seit Wilhelm II. hier für unsere Außenpolitik zu entwerfen versucht, aufzugreifen,
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tue das aber gerne, lieber Herr Gauland, angesichts Ihrer sehr selektiven Lesart der Geschichte. Die Behauptung, dass Deutschland überhaupt keine Rolle, überhaupt keinen Einfluss in der Region gehabt hat, ist spätestens seit den Debatten um den Genozid an den Armeniern wohl ein für alle Mal widerlegt.
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Es muss nicht immer ein guter Einfluss gewesen sein; aber dass wir hier keine Rolle spielen, ist, glaube ich, eine wirklich sehr selektive Lesart. Das war mein erster Punkt.
Ich komme zu meinem zweiten Punkt. Wir debattieren hier – das ist mir wichtig – über die Situation im Nahen Osten. Ich sage das mit einer gewissen Betonung auf dem Wort „nah“. Das ist keine entlegene Weltregion. Das ist unsere Nachbarschaft. Die Betroffenheit Deutschlands, unser Interesse an einer Stabilität der Region, an einer Stabilisierung dort, wo es erforderlich ist, sind evident. Spätestens seit der massenhaften Flucht von Menschen vor dem syrischen Bürgerkrieg in unser Land muss das jedem klar geworden sein.
Dass die Situation vor Ort des Engagements – des diplomatischen Engagements, des politischen Engagements – bedarf, das weiß jeder, der sich anschaut, was dort passiert. Die Stellvertreterkriege der Regionalmächte Saudi-Arabien, Iran und Türkei in Syrien, im Irak und im Jemen, die Blockade von Katar haben ein unglaubliches Leid geschaffen, das den Fluchtdruck noch erhöht. Die Situation im Jemen ist menschlich unbeschreiblich. Die Auswirkungen der Situation in Syrien haben wir in unseren Kommunen erleben und bewältigen müssen.
In dieser Situation ergibt sich ein zweiter Bogen, den Herr Gauland ganz zum Schluss angesprochen hat. Es wird Sie überraschen, da stimme ich Ihnen sogar zu: Das Ganze ergibt eine dramatische Gefährdung Israels. Es gibt einen Staat, für den Deutschland aufgrund historischer Schuld eine besondere Verantwortung übernommen hat. Dieser Staat, Israel, sieht sich einer völlig neuen Dimension von Gefahr ausgesetzt durch das, was die Experten den „schiitischen Bogen“ nennen, der jetzt vom Iran über Syrien bis in den südlichen Libanon hineingeht. Eine Militärkommission, an der der ehemalige deutsche Generalinspekteur Klaus Naumann beteiligt ist, hat gerade festgestellt, es sei keine Frage mehr, ob es einen neuen bewaffneten Konflikt zwischen der Hisbollah und Israel geben wird, sondern nur, wann der beginnen wird. Wegschauen ist in dieser Situation eben keine Option.
Es ist auch keine Option, sich durch diplomatische Ungeschicklichkeit aus dem Spiel zu nehmen. Herr Minister Gabriel, Sie haben ganz tolle Zustimmungswerte – ich vermute, manche Ihrer Kabinettskollegen schauen neidisch darauf –, aber Sie haben sie nicht wegen Ihrer Nahostpolitik.
Ihr erster Fehltritt – das sage ich als jemand, der Betselem geholfen hat in seiner Aktivität gegen das israelische NGO-Gesetz, der sich mit Breaking the Silence getroffen hat – war Ihr verpatzter Antrittsbesuch in Israel.
Ihr zweiter Fehltritt war der Eklat, den Sie kürzlich produziert haben, der dazu geführt hat, dass Saudi-Arabien, die sunnitische Führungsmacht, ihren Botschafter aus Berlin abgezogen hat. Das macht Deutschlands Rolle schwächer.
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Es wäre meiner Fraktion und mir lieber, wir würden in einer Zeit, in der wir ohnehin nur eine geschäftsführende Regierung haben, anstatt derartige Verwerfungen diplomatischer Art zu produzieren, einen europäischen Ansatz mit geduldigem Engagement, mit nachhaltiger Arbeit in der Region gemeinsam mit unseren Partnern verfolgen. Diese Partner in der Europäischen Union werden allein nicht ausreichen – das wissen wir –; wir brauchen auch Partner außerhalb der EU.
Hier will ich auf das zurückkommen, was Herr Röttgen gesagt hat: Früher wurde im Zusammenhang mit Nahost sozusagen in der Byline immer Camp David erwähnt. Heute wird Sotschi erwähnt. Die Zeiten haben sich geändert. Die Interessen, die wir in der Region gemeinsam mit den USA und Russland haben, müssen wir ausloten, um dort zu einer Stabilisierung beizutragen und um dafür zu sorgen, dass es nicht zu weiteren gewalttätigen Konflikten kommt, um dafür zu sorgen, dass nicht noch mehr Menschen unsägliches Leid erfahren müssen und die Notwendigkeit sehen, die Region fluchtartig zu verlassen und ihren Weg nach Europa anzutreten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Herzlichen Dank, Herr Graf Lambsdorff. – Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, darf ich eine kurze Vorbemerkung machen. Ich bin neu in diesem Parlament, wie Sie wissen. Sollte ich einen Namen falsch aussprechen, dann ist das der Tatsache geschuldet, dass ich
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– nein, nicht dass ich Norddeutscher bin – trotz meiner Bemühungen es nicht geschafft habe, sämtliche Mitglieder dieses Hohen Hauses in mein Bewusstsein aufzunehmen. Es kann aber auch an der Schrift des Schriftführers liegen.
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Bitte weisen Sie mich darauf hin, wenn ich einen Namen falsch ausspreche.
Als Nächstes spricht Frau Sevim Dağdelen.
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Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An meinen Vorredner kann ich nur eins richten: Man kann wirklich froh sein, dass dieses Trauerspiel um Jamaika und damit auch Ihre Ambitionen auf das Außenministerium gescheitert sind. Wenn ich bedenke, wie Sie hier argumentieren, um eine Zusammenarbeit, eine fast schon bedingungslose Zusammenarbeit mit einer islamistischen Kopf-ab-Diktatur wie Saudi-Arabien zu rechtfertigen,
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lässt das schon tief blicken, und es zeigt, in welche Richtung das gegangen wäre.
Meine Damen und Herren, aufgrund der Brisanz möchte ich beim Thema „Die Situation im Nahen und Mittleren Osten“ auf einen Punkt fokussieren. Ich finde, diese Debatte ist überfällig; sie ist auch richtig. Sie hätte bereits vor Jahren stattfinden müssen. Es ist die Debatte um unser Verhältnis zum Land Saudi-Arabien, die Debatte über das islamistische Regime Saudi-Arabien, das den gesamten Nahen und Mittleren Osten destabilisiert, und die Debatte über die engen Beziehungen, die diese Bundesregierung zu Riad pflegt.
Die Radikalisierung Riads ist von der Bundesregierung nicht wahrgenommen worden. Im Gegenteil: Jede kritische Analyse wurde unterdrückt. So geschah es auch vor fast zwei Jahren, im Dezember 2015, als eine Einschätzung des Bundesnachrichtendienstes über Saudi-Arabien das Licht der Welt erblickte. Ich zitiere aus dieser Einschätzung:
Die bisherige vorsichtige diplomatische Haltung der älteren Führungsmitglieder der Königsfamilie wird durch eine impulsive Interventionspolitik ersetzt.
Vor allem die Rolle des neuen Verteidigungsministers und Sohns von König Salman, Mohammed bin Salman, sah der BND kritisch. Die Saudis seien bereit, beispiellose „militärische, finanzielle und politische Risiken einzugehen“, so das hellsichtige Papier.
Weiter heißt es: Die wirtschafts- und außenpolitische Machtkonzentration auf den Vizekronprinzen „birgt latent die Gefahr, dass er bei dem Versuch, sich zu Lebzeiten seines Vaters in der Thronfolge zu etablieren, überreizt“.
Und in der Tat zieht sich eine gewaltige Blutspur durch die Region, für die Riad und damit Saudi-Arabien verantwortlich ist:
In Syrien unterstützte man den „Islamischen Staat“, die al-Qaida und andere islamistische Terrorgruppierungen und ‑banden mit Waffen. Jedes Mittel war recht, um das Land zu destabilisieren. Nach Bahrain schickte man eine Interventionstruppe, um die Proteste gegen die Königsdiktatur dort niederzuschlagen.
2015 überfiel man den Jemen und richtete eine wahre Katastrophe an. 7 Millionen Menschen sind dort jetzt unmittelbar vom Hungertod bedroht. Die saudische Totalblockade des Landes zielt auf den Hungertod von Millionen Jemeniten.
Das letzte Beispiel in der Kette der Interventionen Riads ist der Versuch, im Nachbarland Libanon einen Bürgerkrieg zu entfesseln. Jetzt scheint diese Strategie der Kriegsfürsten aus Riad gescheitert zu sein, weil Hariri zurückgekehrt und vom Rücktritt zurückgetreten ist. Aber man muss sich einmal vorstellen, was gewesen wäre, wenn die Terrorherrscher in Riad damit erfolgreich gewesen wären.
Herr Gabriel, ich sehe das anders als die FDP. Gestern hatten wir hier eine Diskussion, und Sie stellten fest, dass wir beide mutig sind. Dazu muss ich, auch im Namen meiner ganzen Fraktion, sagen: Ich rechne es Ihnen hoch an, Herr Außenminister Gabriel, dass Sie vor wenigen Tagen den Mut zur Kritik an dieser saudischen Kriegspolitik gefunden haben.
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Da gilt Ihnen unser Dank; denn diese Worte von Ihnen waren wichtig, und sie waren auch überfällig.
Umso schwerwiegender ist jedoch, dass die deutsche Bundesregierung weiter Waffen an Saudi-Arabien liefern lässt und deutsche Rüstungsschmieden wie Rheinmetall auch noch im Land selbst produzieren. Wer so handelt wie das saudische Königshaus, der darf doch wirklich kein Partner der Bundesrepublik Deutschland sein, meine Damen und Herren.
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Das ist unserer Demokratie schlichtweg nicht würdig. Deshalb frage ich Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Gabriel: Warum stoppen Sie die Waffenlieferungen an die Fürsten der Finsternis in Riad nicht? Warum lassen Sie es zu, dass weiter deutsche Waffen geliefert werden, um im Jemen einen Massenmord zu begehen? Warum fallen Sie der deutschen Rüstungsschmiede Rheinmetall nicht in den Arm, die an der Auslöschung so vieler Tausend Menschen im Jemen auch noch verdient?
Ich denke, Die Linke denkt: Wir brauchen dringend eine Neuausrichtung der Arabien-Politik. Es darf einfach nicht mehr so weitergehen wie bisher. Wir müssen endlich klare Kante zeigen, bevor man in Riad auf die Idee kommt, noch mehr Feuer in der Region zu legen. Ich hoffe, dass wir jetzt damit anfangen, Debatten über Saudi Arabien zu führen, die letztendlich auch Konsequenzen mit sich bringen.
Vielen Dank.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich darauf hinweisen, dass einige Mitglieder dieses Hohen Hauses das Gefühl haben, dass hier fotografiert wird. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass im Plenum Fotografieren nicht erlaubt ist.
Nun bitte ich Herrn Nouripour für Bündnis 90/Die Grünen ans Rednerpult.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schia gegen Sunni, Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Saudi-Arabien – es gibt so viele einfache Erklärungsmuster, die das, was im Nahen Osten zurzeit geschieht, beschreiben sollen. Diese Muster sind nicht alle falsch, aber sie sind auch nicht immer ganz richtig. Es wird bei diesen Pauschalurteilen immer wieder verkannt, dass es auch lokale Ursachen gibt, die dann von auswärtigen Faktoren noch verstärkt werden. Der Anlass für den Beginn der Auseinandersetzungen in Syrien war, dass auf Eltern geschossen wurde, die friedlich dagegen demonstriert haben, dass ihre Kinder mit Folterspuren nach Hause gekommen sind. Der Konflikt im Jemen hat eine lange Geschichte, die zurückgeht auf Auseinandersetzungen zwischen den Huthi in der Peripherie und dem Zentrum, bei denen es auch um Ressourcen und um Wasser geht.
Im Jemen ist dieser Konflikt aber massiv verstärkt worden von einer Auseinandersetzung, die zu einer unglaublichen humanitären Katastrophe geführt hat. Zweieinhalb Jahre läuft nun dieser Krieg, der den Jemen, das traditionell ärmste Land der Arabischen Liga, in die Steinzeit gebombt hat. Nun haben wir seit über zwei Wochen eine Totalblockade des Nordens des Landes, die, wie es aussieht, zum Ziel hat, ganze Landteile regelrecht auszuhungern. 940 000 Fälle von Cholera gibt es aktuell; die Hälfte davon betrifft Kinder. Zweieinhalb Millionen Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Täglich sterben 130 Kinder an den Folgen des Krieges und der Blockade; die Hälfte aller Kinder im gesamten Land ist mittlerweile durch Hunger in ihrer Entwicklung gestört.
Saudi-Arabien und die Allianz um Saudi-Arabien haben diesen Krieg nicht begonnen, und sie haben ihn auch nicht verschuldet. Auslöser war die illegitime Machtübernahme durch die Huthi. Aber die Art und Weise der Kriegsführung führt zu einer humanitären Katastrophe ohnegleichen, und, ehrlich gesagt, ich empfinde es als unglaublich schändlich, dass dieser Konflikt nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die ihm aufgrund der katastrophalen Lage zukommt – und das nur, weil aus geografischen Gründen aus dem Land keine Menschen fliehen und als Flüchtlinge zu uns kommen.
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Ja, der Iran facht den Konflikt weiter an durch Unterstützung für die Huthi, durch Unterstützung für den Ex-Präsidenten Saleh, durch eine verantwortungslose Rhetorik. Wir dürfen aber nicht verkennen – das entgegne ich Ihnen, Herr Kollege Dr. Gauland, auf Ihre Aussage, wir hätten da sowieso keinen Einfluss –, dass Deutschland an diesem Krieg auch nicht ganz unbeteiligt ist durch die Waffen, die wir dorthin geliefert haben, die auch eingesetzt worden sind und auch weiterhin eingesetzt werden. Ich habe mir, Herr Kollege Lambsdorff, tatsächlich mehrfach angeschaut, was Außenminister Gabriel so gesagt hat. Ich finde nicht, dass er einen falschen Ton angeschlagen hat. Er hat in erster Linie Sorgen vor einer massiven Eskalation geäußert, die aus meiner Sicht völlig berechtigt waren. Diese Rhetorik, die richtig ist, muss aber durch einen Stopp der Waffenlieferungen unterfüttert werden.
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Es ist keine Frage, dass wir mit dem Iran und mit Saudi-Arabien sprechen müssen. Beide Staaten sind aber als strategische Partner nicht geeignet. Wir brauchen Äquidistanz, wobei die Betonung auf Distanz liegt. Die Rolle des Irans im Nahen Osten ist auch weiterhin hochaggressiv. In Syrien sieht man das dramatisch. Er unterstützt gemeinsam mit Russland einen Präsidenten, der Giftgas einsetzt, der Fassbomben wirft und der auch ganze Landstriche aushungern lässt.
Oder nehmen wir den Libanon: Die Unterstützung der Hisbollah im Libanon stellt nicht nur eine Bedrohung für den Staat Israel dar, sondern bringt auch eine massive Schwächung der innenpolitischen Lage und der Institutionen im Libanon mit sich – auch das muss sehr klar angesprochen werden –, und zwar zu einer Zeit, zu der der Libanon mehr als 1 Million Flüchtlinge aufgenommen hat. Genau deswegen kommt ja gerade niemand auf die Idee, an den Iran Waffen zu verkaufen. Genau aus denselben Gründen sollte auch niemand auf die Idee kommen, Saudi-Arabien Waffen zu verkaufen und auch nicht den Staaten, die an dem Konflikt beteiligt sind und die die humanitäre Katastrophe im Jemen angezettelt haben.
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Wir müssen Distanz zu den Staaten bewahren, die die Feuer in Syrien, im Libanon, im Irak, im Jemen, in Bahrain und in vielen anderen Staaten der Region weiter entfachen. Am Ende des Tages wird es auch darum gehen, ein waches Auge zu haben für die lokalen Ursachen der Konflikte, die es dort gibt.
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Herzlichen Dank. – Als Nächster: Alexander Radwan für die CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben jetzt eine Aktuelle Stunde zur Lage im Nahen und Mittleren Osten. Wenn man sich heute die Tageszeitungen und andere Medien anschaut, dann sieht man, dass das Thema wirklich aktuell ist.
Zwei Berichte begleiten uns heute durch den Tag. Das sind einerseits die Rückkehr von Hariri in den Libanon und andererseits die Umarmung von Assad und Putin. Meine Damen und Herren, einen aktuelleren Anlass gibt es nicht, um sich mit dieser Thematik zu beschäftigen. Auch der Deutsche Bundestag muss sich damit auseinandersetzen und sich mit den Fragen beschäftigen, wie die Interessen Deutschlands in der Welt am besten zu vertreten sind und was unsere gemeinsamen Ziele sind.
Die USA sind seit längerer Zeit schon auf dem Rückzug aus dieser Region. Und in dieses Vakuum ist der bereits von mir genannte Putin, ist Russland, zu dem ja manche Gruppierungen auch in diesem Hause durchaus Kontakt suchen, gestoßen: in den Iran, nach Syrien, nach Ägypten und in den Libanon. Putin hat seine Einflusssphäre dorthin ausgedehnt. Vielleicht ist ja das die Alternative für Deutschland, dass Russland dort nämlich mehr Einfluss bekommt.
Die Regionalmächte sind in den letzten Jahren unkalkulierbarer geworden. Sie ziehen sich zurück von den Leuten, mit denen sie bisher in Kontakt waren. Sie instrumentalisieren bestimmte Gruppierungen in den betreffenden Ländern für ihre Interessen. Wir haben es im Jemen erlebt, und der Libanon, der bereits erwähnt wurde, ist dafür ein aktuelles Beispiel.
Der Libanon war bisher ein Staat, der sich im Hinblick auf den Konflikt in Syrien einigermaßen neutral verhalten hat. Er hat es geschafft, zwischen den verschiedenen Konfessionen – also Sunniten, Schiiten und Christen – ein ausgewogenes System herzustellen. Aber der Libanon wird zurzeit für Machtspiele instrumentalisiert. Wenn dieses Land kippt, wenn dieses Gleichgewicht nicht mehr besteht, dann entsteht dort ein neues und zusätzliches Pulverfass. Davon können wir uns in Deutschland und in Europa nicht distanzieren, indem wir sagen: Das geht uns nichts an. – Natürlich werden wir die Auswirkungen dieses Konfliktes auch hier spüren.
Darum ist es dringend notwendig, dass wir uns einbringen. Zu suggerieren, wie es in einem der Redebeiträge der Fall war, dass wir in der Welt nichts richten könnten und dass uns das, was in der Welt passiert, nicht tangiert nach dem Motto „Wenn es in der Nachbarschaft von Europa brennt, werden wir das schon hinkriegen; es wird sich auf uns nicht auswirken“, ist falsch. Das ist ein Ansatz, der den Interessen Deutschlands in der Welt und in Europa nicht gerecht wird.
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Darum ist es dringend notwendig, im Libanon schnellstmöglich für Stabilität zu sorgen, damit dieses Land nicht kippt. Man muss alle diplomatischen Möglichkeiten ausnutzen. Es wurden schon der Iran und Saudi-Arabien genannt. Da möchte ich dem ersten Redner in dieser Debatte, Norbert Röttgen, ausdrücklich zustimmen, dass wir mit allen im kritischen Dialog bleiben sollten. Aufgrund der einen oder anderen Formulierung in den verschiedenen Abkommen kann der Eindruck aufkommen, dass – ich spitze es einmal zu – die eine Seite die „bad guys“ und die andere Seite die „good guys“ sind. Nein, so ist es nicht. Diese beiden Gruppierungen im Nahen Osten – über die Türkei wurde noch gar nicht geredet – tragen eine große Verantwortung für das Chaos, das dort entstanden ist.
Wir müssen schauen, dass wir in dieser Region Bündnispartner finden. Historisch gesehen kann ein Staat wie Ägypten ein Bündnispartner sein. Dieses Land kann uns helfen, zwischen den verschiedenen Gruppierungen zu vermitteln. Die Initiative von Macron und von Deutschland sollte dazu führen, dass wir Europäer in dieser Region mit einer Stimme sprechen und unsere Interessen gemeinsam vertreten.
Das ist mein letzter Appell: In der Diskussion um diese Region nur zu sagen: „Da ist etwas schiefgelaufen. Wir können es nicht beeinflussen. Die Welt wird es dann schon von selber richten“, das ist das Fatale. Wir müssen diese Region mit ihren Menschen, die dort sind und die hierherkommen, verstehen, um mit ihnen gemeinsam nach Lösungen zu suchen und sie zu finden.
Besten Dank für die Aufmerksamkeit.
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Herzlichen Dank. – Als Nächstes: Niels Annen von der SPD.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, es ist in der Tat ein guter Zeitpunkt, um über die Lage im Nahen und Mittleren Osten zu reden. Ich will versuchen, in der Kürze der Zeit neben ein paar Bemerkungen auch etwas zu den Vorrednerinnen und Vorrednern zu sagen. Das, was wir im Moment beobachten, ist die Zuspitzung eines schon fast hegemonialen Konfliktes zwischen dem Iran und Saudi-Arabien.
Frau Dağdelen, ich freue mich, dass Sie – zu Recht – den amtierenden Bundesaußenminister loben,
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aber mir fällt immer auf, dass Sie hier Ihre Redezeit nutzen, um ausschließlich über Saudi-Arabien zu reden. Zur Eskalation dieses Konfliktes tragen aber im Moment zwei Seiten bei.
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Das muss auch ausgesprochen werden.
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Es ist im Übrigen der von Ihnen zu Recht gelobte amtierende Bundesaußenminister, der in Saudi-Arabien diese Themen angesprochen hat. Es ist keineswegs so, dass wir uns in den letzten vier Jahren um die Frage von Rüstungsexport und -kontrolle herumgedrückt hätten.
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Es ist doch Sigmar Gabriel gewesen, der in den letzten Jahren – übrigens unter Inkaufnahme von Regressandrohungen – dafür gesorgt hat, dass die Produktion von G36-Sturmgewehren in Saudi-Arabien heute nicht stattfinden kann – aus guten Gründen.
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Wir, meine Damen und Herren, unterstützen diese Entscheidung. Sie wissen, dass es noch ganz andere Planungen für Rüstungsexporte gegeben hat. Eines kann man, glaube ich, dieser Regierung also nicht vorwerfen: dass sie sich um das Thema nicht gekümmert hat.
Wir sprechen gleichzeitig die amerikanischen Freunde an, wenn dort eine gefährliche Politik konzipiert wird, die am Ende darauf hinauslaufen würde, das sogenannte Iran-Nuklearabkommen in seiner Substanz zu unterhöhlen, möglicherweise sogar zu zerstören. Ich weiß, im Kern geht es in diesem Abkommen um die Frage der nuklearen Bewaffnung, aber es stellt auch eine Grundlage, eine Chance dar, mit dem Iran über regionale Fragen ins Gespräch zu kommen. Meine Damen und Herren, genau das müssen wir machen. Darum geht es doch: um die Möglichkeit, die vorhandenen Dialogkorridore zu nutzen. Das ist die Politik, die wir vonseiten unserer Fraktion in diesen letzten vier Jahren stets unterstützt haben. Es ist der richtige Weg. Es gibt keine kurzfristige Lösung für diese Situation.
Ich will auch – wie einige Vorredner – das Beispiel Libanon herausgreifen. Was ist in diesem kleinen Land in den letzten Jahren geschehen? Häufig haben wir hier darüber geredet, welche enorme Leistung dieses fragilen Staates es gewesen ist, so viele Flüchtlinge aufzunehmen. Trotz dieser massiven innenpolitischen Spannung, der ökonomischen Belastung, eines Krieges an der Grenze dieses Landes mit Auswirkungen und einer Verwicklung eigener Staatsbürger – Stichwort „Hisbollah“ – ist es in den letzten Monaten doch gelungen, Fortschritte zu machen.
Wenn man das, was die Libanesen hinter sich haben, als Sondierungsgespräche bezeichnen kann, dann ist das hier eine kurze Theatervorstellung gewesen.
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Aber am Ende haben die einen Präsidenten gewählt, haben einen Ministerpräsidenten gewählt, haben sich auf einen Parlamentspräsidenten verständigt.
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Die, die die Diversität dieses Landes widerspiegeln, haben eine fragile, aber doch erstaunlich belastbare Stabilität hinbekommen.
Ich will eines noch einmal sagen – ich bin dem Außenminister dankbar, dass er das auch öffentlich in Richtung Riad formuliert hat –: Wer glaubt, durch Druck und äußere Einmischung eine Schwächung der Hisbollah erreichen zu können, wenn dieses libanesische Arrangement kollabiert, der irrt sich, meine Damen und Herren.
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Das Gegenteil wird der Fall sein. Deswegen unterstützen wir diese Politik.
Ich will auch auf Folgendes hinweisen: Wer hat sich denn in den letzten Wochen, als diese Eskalation drohte tatsächlich zu einem offenen Krieg zu werden, der Sache angenommen? Eigentlich war das der französische Präsident mit seiner spontanen Reise und der nicht unschlauen Idee, Herrn Hariri nach Paris einzuladen, um dort eine Brücke zu bauen, die ihn im wahrsten Sinne des Wortes jetzt wieder nach Beirut geführt hat. Und während Frau Merkel hier anderweitig beschäftigt war, war es der deutsche Außenminister, der etwas gemacht hat.
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Das zeigt uns ja auch noch einmal: Die Welt wartet nicht darauf, dass wir hier zu Potte kommen. Ich will auch einmal ganz vorsichtig darauf hinweisen: Wenn hier der Eindruck erweckt wird, wir hätten mit dem gar nichts zu tun, ist das falsch. Herr Gauland, das betrifft übrigens auch die Frage Israel: Es war der heutige Bundespräsident in seiner damaligen Funktion als Bundesaußenminister, der auch auf Bitten der israelischen Regierung mit dafür gesorgt hat, dass heute deutsche Soldatinnen und Soldaten unter dem UNIFIL-Mandat im Libanon einen Beitrag dazu leisten, dass es nicht wieder zu einer offenen Kampfhandlung kommt. Diese Soldatinnen und Soldaten, meine Damen und Herren, lieber Herr Gauland, riskieren dort auch ihr Leben. Das hätten Sie vielleicht auch einmal erwähnen können. Aber Sie sind ja mehr mit Kaiser Wilhelm beschäftigt als mit der aktuellen Situation.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
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Herzlichen Dank. – Als Nächster: Herr Armin-Paul Hampel für die AfD, und es ist seine erste Rede im Deutschen Bundestag.
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Herr Präsident! Verehrte Kollegen! In den Zeiten meiner Jugend zählte Deutschland unangefochten zu den Freunden der arabischen Völker des Nahen Ostens.
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Als junger Mann trug ich den verehrten Professor Georg Garbotz von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen zu Grabe, der im Ersten Weltkrieg für die Philipp Holzmann AG am Ausbau der Bagdadbahn beteiligt war. Später, in meinem journalistischen Beruf, begleitete ich oft genug den damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher auch auf Reisen in den Nahen Osten. Hans-Dietrich Genscher, meine Damen und Herren, war ein Meister des diplomatischen Geschicks und der Konversation. Manchmal reichte bei ihm ein Hochziehen der Augenbraue aus – da brauchte er nichts zu sagen –, um auszudrücken, in welche Richtung er tendierte. Wenn wir dieses Geschick heute reflektieren, dann kann man nur feststellen – mein Respekt an die FDP; zumindest an ihre Geschichte –: Diese Kunst gibt es heute in der Form leider nicht mehr. Sie ist uns verloren gegangen.
Herr Gabriel, mit Ihrer Brüskierung Saudi-Arabiens – übrigens ein Land, dem auch die AfD äußerst kritisch gegenübersteht – haben Sie nicht nur für erhebliche Irritationen gesorgt, nein, Sie haben auch die Bemühungen unseres Nachbarn Frankreich torpediert. Im Gegensatz zur Bundesregierung hat der französische Staatspräsident auf jede rabulistische Rhetorik verzichtet, ist nach Saudi-Arabien gereist, hat mit den Saudis geredet, sich aufklären lassen und danach genauso konsequent den libanesischen Ministerpräsidenten inklusive Familie nach Paris eingeladen, um ein Zeichen zu setzen, dass der Mann sicher ist und alle anderen Behauptungen falsch sind. Das ist kluge Politik. Sie haben letztendlich die französische Politik und damit das, was wir wollen, nämlich dass Europa gemeinsam agiert, konterkariert. Sie sind dem französischen Präsidenten quasi in den Rücken gefallen.
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– Da lachen Sie. Es stimmt aber.
Frau von der Leyen hat heute ein Bild gezeichnet – da gebe ich meinem Freund Alexander Gauland völlig recht –, als würde an unserem deutschen militärischen Wesen die Welt genesen. Was wir alles im Irak erreicht haben! Meine Damen und Herren, da darf ich Sie auf den Teppich holen. Es stimmt, was Herr Gauland gesagt hat. Auch der Blick in die Geschichte belegt es, und zwar sind es die Jahre 1917 ff. Vielleicht sollten Sie sich das einmal durchlesen. Das, was wir heute an Konflikten haben, ist mit Sicherheit nicht durch deutsche Aktivitäten in den letzten 100 Jahren entstanden, sondern es ist durch eine französische und vor allem eine britische Kolonialpolitik entstanden, und wir räumen heute den kolonialen Schrott der Geschichte auf.
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Später folgten Interventionen der Vereinigten Staaten von Amerika, die in einem Ausmaß die arabische Welt verändert haben, wie wir uns das vor zehn Jahren nicht hätten vorstellen können, meine Damen und Herren. Vor diesem Hintergrund müsste doch eine deutsche Bundesregierung sagen: Ja, auch wir wollen uns mit unseren guten Kontakten zu den arabischen Nachbarn engagieren, aber in der Reihenfolge, dass erst der postkoloniale Schrott von Briten und Franzosen aufgeräumt wird und vor allen Dingen die Verantwortung der Vereinigten Staaten von Amerika zur Geltung kommt. Sie haben das Unheil im Nahen Osten als Erste angerichtet, im Irak, jetzt in Syrien und anderswo. Frau Merkel hätte schon Herrn Obama die Leviten lesen müssen und sagen müssen, dass wir die arabische Welt auf den Kopf stellen. Jetzt haben wir die Situation so, wie sie heute ist. Der Nahe Osten ist ein Pulverfass, das wissen Sie – heute noch viel mehr als vor wenigen Jahren.
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Wir haben leichtfertig eine kurdische Peschmerga unterstützt, mit Waffen, Ausbildung. Die Bundesregierung muss sich fragen lassen: Wissen Sie heute, wo diese Waffen sind? Wissen Sie, wo sie eingesetzt werden? Diese Antwort bleiben Sie uns schuldig, weil man es nicht genau sagen kann; einige Andeutungen wurden heute hier schon gemacht. Das heißt, die Bundesregierung trägt durch diesen – wie wir finden – falschen Schritt zu dem Konflikt, wie wir ihn jetzt haben, bei. Die irakische Nationalregierung und die kurdische Unabhängigkeitsbewegung haben schon die Waffen miteinander gekreuzt. Wie die Entwicklung weitergeht, wissen wir nicht. Auf jeden Fall ist es gefährlich. Wir alle wissen, dass sich die Türken eine Entwicklung in diesem Raum ohne ihren Machteinfluss nicht gefallen lassen werden. Wir spielen also mit dem Feuer, und wir haben das wissentlich die gesamten Monate und Jahre unterstützt und haben eine Situation geschaffen, für die wir in diesem Falle allerdings mitverantwortlich sind. Es war nämlich die Politik der schwarz-roten Bundesregierung, die an dieser Eskalation beteiligt war. Sie wollen es nur nicht hören.
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Meine Damen und Herren, seit ihrem Bestehen hat die AfD eine Außenpolitik gefordert, die als Erstes eine Politik im deutschen Interesse sein muss. Wir halten das für selbstverständlich. Der frühere Außenminister Steinmeier hat einmal gesagt: Es gibt keine deutsche Politik mehr, es gibt nur noch eine europäische Außenpolitik. – Das Gelächter in den europäischen Städten hätte ich gerne gehört; denn sie alle machen erst einmal auch in Brüssel Politik im nationalen Interesse. Da es keine andere deutsche Regierung mehr gibt, bin ich der Überzeugung, dass wir erst einmal in unserem eigenen Interesse Außenpolitik gestalten müssen, weil es sonst kein anderer für uns tut.
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Herr Kollege, erlauben Sie mir eine kurze Bemerkung: Das Blinken vor Ihnen ist keine elektrische Störung, sondern verdeutlicht den stillen Wunsch des Präsidenten, dass Sie mit Ihrer Rede zum Ende kommen.
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Ich plädiere also dafür, dass wir von dem hohen Sockel herunterkommen. Sehen wir die Welt, wie sie ist, und nehmen wir sie nicht als ein Gutmenschentum an, wie Sie sie gestalten wollen. Wir allein als kleines Deutschland werden es nicht schaffen. Stellen wir uns den Realitäten! Machen wir das, was Hans-Dietrich Genscher klug gemacht hat: Machen wir Realpolitik!
Im Übrigen, mit Blick auf Assad, meine Damen und Herren – das ist mein letzter Satz, Herr Präsident –: Mit dem gleichen Maßstab hätten wir seit den 1950er-Jahren, von Konrad Adenauer bis zu Gorbatschow, keine Sowjetpolitik machen können, nicht mit den Sowjets reden können, weil diese keine demokratischen Staaten waren, genauso wenig wie Herr Assad demokratisch ist. Es hätte also keine deutsche Ostpolitik gegeben.
Herr Kollege, das war Ihr letzter Satz. Kommen Sie bitte zum Ende.
Das wäre ein Fehler gewesen. Heute ist es wieder ein Fehler. Lassen Sie uns Realpolitik machen! Das funktioniert.
Danke schön.
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Das Präsidium war langmütig, weil es Ihre erste Rede war, aber es wird sich so nicht wiederholen.
Als Nächster: Herr Roderich Kiesewetter von der CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind soeben wieder Zeugen einer kaiserlichen Pulverfassrhetorik und nationaler Verklärung geworden. Ich warne davor; denn der heutige Tag bietet Anlass genug, nach vorne zu blicken und auch ein paar innovative Ansätze vorzubringen.
Heute ist der 74. Jahrestag der Unabhängigkeit des Libanon. Einige von uns werden sich heute Abend sicherlich in der libanesischen Botschaft wiedersehen. Einige Kollegen haben heute den Blick nach vorne gerichtet. Ich möchte ausdrücklich Norbert Röttgen, Alexander Radwan und Omid Nouripour ansprechen. Der Blick nach vorne heißt doch: Libanon und Irak sind Spielball schiitischer und auch sunnitischer Interessenpolitik geworden. Der Libanon ist kurz davor, zusammenzubrechen. Wir müssen alles tun, dass der Libanon nicht nur erhalten bleibt, sondern dass dieses fragile Gebilde auch im nächsten Jahr, im Mai, die vorgesehenen Parlamentswahlen durchführt. Das ist die Politik, die wir brauchen. Da ist es ein ganz großer Fehler, wenn von der rechten Seite dieses Hauses gesagt wird – gestern vom Fraktionsvorsitzenden und heute von einigen anderen wieder –, dass deutsche Außenpolitik auf die Grenzen Deutschlands, bestenfalls vielleicht der Europäischen Union begrenzt sein soll. Ich will ganz deutlich machen: Wer von uns in den Flüchtlingslagern in Saatari, Jordanien, war oder in Zahlé in der Bekaa-Ebene oder in Gaziantep in der Türkei oder in Dohuk und Sharia im Irak war, so wie ich und andere, weiß, was die Menschen dort bewegt: politische Verfolgung, ethnische Verfolgung, religiöse Verfolgung. Unsere Aufgabe ist es, dort zu helfen. Das geht nur mit einer europäisch abgestimmten Initiative.
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Was haben wir in der Hand? Wir beraten die Mission Counter Daesh. Wir haben unsere Ausbildungsmission beraten. Demnächst werden wir UNIFIL beraten. Das sind drei Missionen, die sich um den Libanon, Irak und teilweise Syrien kümmern. Wir müssen diese Einsätze zusammenfügen und strategischer betrachten.
Unsere Verteidigungsministerin hat in dieser und in der letzten Woche europäische Instrumente vorangebracht. Wir stärken die europäische Ständige Strukturierte Zusammenarbeit in den Bereichen Ausbildung, Logistik, medizinische Versorgung. Wir tun dies bewusst zunächst bei weichen Themen.
Wir müssen alles tun, damit Eltern die Aussicht haben, dass ihre Kinder in den Flüchtlingslagern die Schule besuchen und schreiben und lesen lernen;
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wir müssen eine gesunde Ernährung gewährleisten und eine Bleibeperspektive schaffen. Das tun wir nicht, indem wir unsere Grenzen schließen, sondern, indem wir herausgehen und uns dort mit unseren Missionen engagieren;
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indem wir zeigen, dass Europa die Region nicht im Stich lässt. Deswegen müssen der Bundesaußenminister und die Verteidigungsministerin in dieser Übergangszeit intensiv zusammenarbeiten, damit wir in Europa handlungsfähig bleiben; denn es geht hier um etwas.
Im Libanon sind rund 100 000 Raketen, hochmodern ausgerüstet vom Iran, auf Israel gerichtet. Viele von uns hier im Hause bauen auf das Nuklearabkommen mit dem Iran und denken: Das führt zur Entspannung und zu wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Prosperität. Leider wurde heute auch eine Äquidistanz zwischen Iran und Saudi-Arabien gefordert. Meine Damen und Herren, es gibt einen Riesenunterschied zwischen Iran und Saudi-Arabien: Saudi-Arabien beteiligt sich am Friedensprozess mit Israel – nach zähem Ringen und harten Jahren –,
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es verhindert ihn nicht. Aber der Iran ist nicht mal in der Lage, das Existenzrecht Israels anzuerkennen.
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Das sollten wir sehr deutlich unterscheiden.
Es wäre wirklich einen Versuch wert, uns zusammenzusetzen – die Europäische Union und diejenigen, die in der Kontaktgruppe zum Thema Libanon auch das Sagen haben, wie Russland und China – und eine Abrüstungsinitiative in der Region auf den Weg zu bringen, also von europäischer Seite eine Initiative zu starten, damit der Iran einsieht, dass die ballistische Bedrohung Israels durch die Hisbollah einzustellen ist. Das wäre die größte Abrüstungsinitiative, die der Nahe und Mittlere Osten je gesehen hat. Lasst uns dafür kämpfen. Das wäre eine deutsche Außenpolitik und eine Politik der Europäischen Union, bei der wir nicht immer nur reagieren und in hohem Maße Hilfsgelder zur Verfügung stellen müssten – 10 Milliarden Euro für Syrien, 3,6 Milliarden Euro von Deutschland –, sondern in der Region prägend wirken könnten. Es wäre ein Zeichen, dass wir nach vorne schauen und keine kaiserliche Abschottungspolitik betreiben und auch kein Tor in Jerusalem zerstören, damit der Kaiser durchreiten kann.
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Entscheidend ist, dass wir verlässlicher Partner Israels bleiben und alle Partner in der Region, auch Saudi-Arabien, ermutigen, den Friedensprozess mit Israel fortzusetzen. Deshalb müssen wir auf der einen Seite Saudi-Arabien massiv kritisieren
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und auch viele Rüstungsexporte überdenken. Wir dürfen aber auf der anderen Seite Saudi-Arabien nicht China und Pakistan überlassen, sondern müssen die Rechtsstaatlichkeit und den Aufbau einer vernünftigen Zivilgesellschaft in Saudi-Arabien stärken. Wenn uns das gelänge, dann wäre der heutige Tag nicht umsonst. Wir sollten in diesem Parlament konstruktiv in die Zukunft denken.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächstes für die SPD-Fraktion Frau Gabriela Heinrich.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegen und Kolleginnen! Wenn wir heute in der Aktuellen Stunde über den Nahen und Mittleren Osten sprechen, dann müssen wir uns natürlich die Situation der Menschen ganz konkret bewusst machen. Wir hören, dass der „Islamische Staat“ 95 Prozent seines Gebiets verloren hat. Das ist erst mal eine gute Nachricht; aber Frieden bedeutet es nicht, nicht in Syrien und auch nicht im Irak. Es wird weiter gemordet, es wird weiter zerstört, die medizinische Versorgung ist ausgesprochen schwierig, und die Kinder haben wenig Chancen auf Bildung und Ausbildung. Zukunft sieht anders aus.
Eine andere humanitäre Katastrophe und eine viel zu lange vergessene Krise finden wir im Jemen; der Kollege Nouripour hat völlig zu Recht einen Teil seiner Redezeit darauf verwendet. Auch ich finde, dass es unfassbar ist, dass wir uns mit diesem Thema so wenig beschäftigen, dass es so wenig bekannt ist. Wenn man heute „Jemen“ googelt, dann erscheint als Erstes der Spendenaufruf von UNICEF und nicht Informationen zu diesem Land. Schon vor der Krise – Sie haben es gesagt – war der Jemen das ärmste Land der Arabischen Halbinsel, betroffen von Wasserknappheit und Dürre. Nun ist er Opfer eines Stellvertreterkriegs zwischen Iran und Saudi-Arabien und mittlerweile in einer völlig unübersichtlichen Lage, weil viele bewaffnete Gruppen ihre ganz eigenen Ziele verfolgen. Die Bevölkerung muss das ausbaden: 10 000 Tote, davon 5 000 Zivilisten, 2 Millionen Menschen als Binnenvertriebene, über 200 000 Menschen mussten bereits flüchten.
Das Auswärtige Amt spricht völlig zu Recht von der größten humanitären Krise weltweit. Der Jemen zählt zu den aktuellen vier Hungerkrisen – zusammen mit dem Südsudan, Somalia und Nordost-Nigeria. 7 Millionen Menschen – es wurde bereits gesagt – sind akut von Hungersnot bedroht, 20 Millionen Menschen benötigen Hilfsgüter, um zu überleben, 15 Millionen Menschen haben keinen ausreichenden Zugang zu Gesundheitsleistungen, und 16 Millionen Menschen haben kaum ausreichend Zugang zu sauberem Wasser. Und in dieser Situation blockiert Saudi-Arabien jetzt, seit fast zwei Wochen, fast alle Häfen, Flughäfen und Grenzübergänge.
Zahlen sind das eine, aber noch einmal: Was bedeutet das konkret für die Menschen? Das bedeutet: Die Cholera ist ausgebrochen. Das ist laut WHO die größte Choleraepidemie weltweit. Viele Menschen sind bereits qualvoll daran gestorben. Schwangere Frauen verlieren ihre Babys, weil sie unterernährt und dehydriert sind.
Krankenhäuser sind zerstört. Lebenswichtige Medikamente und Impfstoffe bleiben an den Grenzübergängen hängen. Dadurch können nicht nur Kranke und Verwundete nicht behandelt werden, vielmehr drohen auch Millionen von Kindern schwere Schäden durch Diphterie, also durch eine vermeidbare Krankheit, oder sie sterben gar daran.
Deutschland beteiligt sich 2017 mit 125 Millionen Euro an der humanitären Hilfe für den Jemen, 2016 waren es 33,3 Millionen Euro. Und wir wissen, dass wir uns 2018 wieder auf enorme Hilfsleistungen einstellen müssen. Das ist eine humanitäre Verpflichtung, und ich hoffe sehr, dass das alle hier im Deutschen Bundestag auch weiter so sehen.
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Der Konflikt kann natürlich nur politisch gelöst werden. Die Forderung nach einer sofortigen Waffenruhe gehört ebenso dazu wie die Forderung an alle Konfliktparteien, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten. Die humanitäre Hilfe muss auch ins Land kommen können. Die Hilfsorganisationen im Jemen fordern, alle Häfen für humanitäre Hilfe, aber auch für kommerzielle Fracht zu öffnen.
Aus Deutschland fordern unter anderem CARE, Oxfam, ADRA, Aktion gegen den Hunger, Ärzte ohne Grenzen, Handicap International und World Relief dringend die sofortige Aufhebung der Blockade. Dem müssen wir uns anschließen. Deutschland und die internationale Gemeinschaft sind gefordert, auf Saudi-Arabien genauso wie auf den Iran einzuwirken. Sie müssen aufhören, Häfen zu blockieren und Konfliktparteien zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, wir haben im letzten Jahr viel darüber gesprochen, dass wir in der Welt Verantwortung übernehmen müssen. Die humanitäre Hilfe, auch vom Deutschen Bundestag beschlossen, gehört dazu. Ich gehe davon aus, dass das weiter so bleiben wird und dass wir diese Verantwortung übernehmen werden.
Vielen Dank.
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Herzlichen Dank. – Als Nächstes: Dr. Johann Wadephul, Schleswig-Holstein, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr schleswig-holsteinischer Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist betont worden, dass wir aktuell über eine Region diskutieren, die aus hiesiger Sicht zu Recht als „nah“ bezeichnet wird. Es ist daher nicht nur ein Gebot der Humanität und der Mitmenschlichkeit, dass wir uns um die geschundenen Menschen in dieser Region kümmern, sondern es ist ganz offenkundig auch in unserem ureigenen Interesse, Beiträge zur Befriedung dieser Region zu leisten und nicht zu einer weiteren Eskalation beizutragen.
Wenn von der AfD-Fraktion heute Nachmittag in dieser Debatte irgendetwas Richtiges gesagt wurde, dann war das dieser einzige Satz: Das wird Deutschland nicht alleine können.
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– Bitte. – Vielmehr werden wir das nur in einem europäischen Rahmen erreichen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen ist dies die Stunde, in der wir uns bewusst sein müssen – auch in dieser Debatte über den Nahen und Mittleren Osten –: Wollen wir Europa stärken, oder wollen wir Europa nicht stärken? Wir werden in dieser Region als Deutsche – den Einfluss von 1917 und 2017 kann man sowieso nicht miteinander vergleichen – überhaupt nichts erreichen. Wir haben entweder als Europäer in dieser Region Einfluss, oder wir haben keinen Einfluss, und wir müssen Einfluss haben wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wir haben manches bereits zum Guten gewendet. Denken Sie nur an das Nuklearabkommen. Das Nuklearabkommen mit dem Iran wäre ohne deutsche Beteiligung, ohne europäische Beteiligung nicht zustande gekommen. Wenn nicht alles täuscht, dann wird dieses Abkommen nur Bestand haben, wenn Europa sich für den Erhalt dieses Abkommens einsetzt. Wir können nicht davon ausgehen, dass die entscheidenden politischen Kräfte in Amerika dieses Abkommen verteidigen werden. Es liegt in dieser Situation in unserem Interesse – bei aller berechtigten Kritik am Iran; dazu werde ich gleich noch zwei Sätze sagen –, dass dieses Abkommen erhalten bleibt; denn es ist eine Voraussetzung dafür, dass man in dieser Region zu einem Ausgleich kommt, es ist eine Voraussetzung dafür, dass dem Iran der Weg in die Völkergemeinschaft geebnet wird. Es ist ein multilaterales Abkommen, kein bilaterales Abkommen zwischen Washington und Teheran. Es ist auch ein europäisches Abkommen, und deswegen stehen wir, solange dieses Abkommen eingehalten wird, zu diesem Abkommen. Das sollten wir sowohl in Teheran als auch in Washington deutlich artikulieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Aber man darf und muss dem Iran in dieser Situation auch sagen, dass der Iran, wenn wir dafür einstehen sollen, seiner Verantwortung für Frieden und Stabilität in der Region gerecht werden muss. Wir müssen sehen: 13 Militärstandorte in Syrien, die der Iran dauerhaft aufrechterhalten will, sind kein Beitrag zum Frieden in der Region. Das Gleiche gilt für die ständige Unterstützung der Hisbollah mit einem Arsenal von Raketen, die bis weit in die Negev-Wüste reichen – das ist von verschiedenen Rednern angesprochen worden – und Israel akut bedrohen. Es gibt Einschätzungen – ob sie nun stimmen oder nicht; man muss sie aber zur Kenntnis nehmen –, nach denen ein Krieg zwischen Libanon und Israel keine Frage des Ob, sondern eine Frage des Wann ist. In dieser Situation müssen wir dem Iran eindeutig sagen: Stopp, an der Stelle erwarten wir von Teheran eine verantwortliche Politik, Abrüstung, einen Rückzug, keinen Imperialismus in Syrien und im Libanon und erst recht keinen Angriff gegen Israel. – Das muss der Iran von uns deutlich zu hören bekommen.
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In dieser Situation muss man sich auch als geschäftsführender Bundesaußenminister bewusst sein, mit welcher Wortwahl und welchem Setting man Anmerkungen macht. Neben dem Außenminister des Libanon stehend, der der Hisbollah nahesteht, eine derartige Bemerkung zu machen, war nicht die hohe diplomatische Schule. Ich gehe davon aus, dass das vom Bundesaußenminister nicht beabsichtigt gewesen ist und er Gelegenheit zur Korrektur finden wird; denn es ist natürlich unser vornehmes Interesse, vernünftige Beziehungen zu Saudi-Arabien aufrechtzuerhalten. Das möchte ich abschließend sagen.
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Da kann man vieles kritisieren; aber es gibt immerhin auch in Saudi-Arabien erste Ansätze dafür, dass die Rechte von Frauen besser gewahrt werden. Es gibt erste Demokratisierungsansätze und Anzeichen dafür, dass man sich vom Öl unabhängig machen will. Das sind wenige und zaghafte Ansätze. Aber mit einem reinen Verurteilen der Situation kommen wir nicht weiter. Wir müssen eine Politik des Ausgleichs betreiben, und das gemeinsam mit den Europäern.
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Der französische Präsident ist vorangegangen, hat deeskalierend gewirkt. Es ist doch ein hoffnungsfrohes Zeichen, dass Frankreich sich zurückgemeldet hat. Dieses Engagement verdient von deutscher Seite alle Unterstützung. Wenn das das Ergebnis dieser Debatte ist, dann hat sie sich, finde ich, in jeder Hinsicht gelohnt.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Mit dem letzten Wort des Kollegen Dr. Wadepuhl ist die Aktuelle Stunde beendet.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Neuordnung der Einwanderung qualifizierter Fachkräfte“, so lautet der Titel der Debatte und des Gesetzentwurfes, den wir einbringen. Nun mag der geneigte Beobachter oder die geneigte Beobachterin überrascht sein; denn man hätte ja durchaus schon wesentlich weiter sein können. Aber so ist das hier im Parlament, wenn man vier Jahre mit der Union regiert hat, als SPD-Bundestagsfraktion einen solchen Gesetzentwurf im November 2016 – vor immerhin einem Jahr – eingebracht hat und die Union sich nicht dazu durchringen konnte, endlich Verantwortung für das Land und eine moderne Einwanderungsgesellschaft zu übernehmen.
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Das beantwortet auch wesentliche Fragen, wenn es darum geht, warum man nicht einfach auf einen Knopf drücken und sagen kann, die eine Große Koalition möge doch die andere Große Koalition ablösen. Wenn man am Ende der Punkte angekommen ist und dies beim Thema Einwanderung, einem der zentralsten Bereiche, schon vor einem Jahr deutlich gemacht hat, dann sieht man, wo das Problem in diesem Haus ist, meine Damen und Herren.
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Wir haben diesen Gesetzentwurf erneut eingebracht, weil es ein taktisches Umfallen der Unionsfraktion gab, als es darum ging, Jamaika zu ermöglichen. Plötzlich hieß es: Ja, auch wir sind, was die Fachkräftezuwanderung angeht, offen. Wenn Jamaika daran scheitern sollte, dann sind wir bereit, einen entsprechenden Gesetzentwurf zu erarbeiten. – Wir haben uns nun gedacht: Das kann man auch einfacher haben; denn der Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion liegt dem Hohen Hause schon seit einem Jahr vor, und er ist an der Union gescheitert.
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Es hätte vielleicht auch für die FDP manches einfacher gemacht, den Fehler aus dem Jahr 2003 zu korrigieren, als die CDU/CSU und die FDP das wegweisende Zuwanderungsgesetz, das Rot-Grün damals vorgelegt hat, verhindert haben. Es ist damals an Ihren Stimmen gescheitert. Jetzt könnte das gemacht werden.
Aber es ist niemand daran gehindert, klüger zu werden. Wenn die Wortmeldungen in den vergangenen Tagen stimmen und nicht nachträglich der Einordnung des eigenen Scheiterns dienen sollen, dann müsste es in diesem Parlament eine sehr breite Mehrheit für die Neuordnung der Zuwanderung im Hinblick auf die Arbeitsmigration geben.
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Wir von der SPD wollen diesen Schritt nun gehen. Wir laden Sie herzlich dazu ein, diesen Gesetzentwurf zu beraten und ihn dann mit uns zu beschließen. Wir haben uns darauf verständigt, einen schlanken Entwurf einzubringen. Nukleus soll sein, dass das getan wird, was überfällig ist: In über 50 Aufenthaltstiteln, verteilt auf Gesetze und Verordnungen, ist die Zuwanderung der Arbeitsmigration geregelt oder nicht geregelt. Das steht einem modernen Land wie Deutschland nicht gut zu Gesicht. Das müssen wir jetzt endlich anpacken.
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Wir sind der Auffassung, dass wir neben dem humanitären Recht im Rahmen der internationalen Verantwortung und Völkerverständigung, dem Recht auf Asyl und dem humanitären Fluchtrecht, eine weitere Säule brauchen, die davon klar zu trennen ist. Wir müssen die Arbeitsmigration in diesem Land anders regeln, indem wir jedem Bewerber und jeder Bewerberin sagen: Du kannst anhand eines ordentlichen Punktesystems erkennen, ob du auf dem deutschen Arbeitsmarkt eine Chance hast, allerdings nur dann, wenn dies dem deutschen Arbeitsmarkt dient und die entsprechende Stelle unbesetzt ist. – Das ist überfällig und trägt dazu bei, dass wir in unseren Rentenkassen zukünftig ein vernünftiges Umlagesystem haben.
Nach den statistischen Zahlen, die wir haben, geht die Bevölkerung in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten dramatisch zurück. Uns werden 5 Millionen gut qualifizierte Arbeitskräfte fehlen, die einen Beitrag dazu leisten könnten, dass es in Deutschland auch zukünftig ein vernünftiges Wirtschaftswachstum gibt. In diesem Bereich setzen wir an. Wir hätten das bereits vor einem Jahr beschließen können, meine Damen und Herren. Vor einem Jahr lag dieser Gesetzentwurf nämlich schon vor. Die Debatte ist im Juni dieses Jahres noch einmal aufgenommen worden. Wir hätten schon am Ende der Evaluierung sein können, um dieses Gesetz weiterzuentwickeln. Lassen Sie uns die Bremsklötze beiseiteschieben! Stimmen Sie endlich zu! Die Union ist ja schon bei Jamaika umgefallen. Auf ans Werk! Beschließen wir diesen Gesetzentwurf! Auf geht’s! Wir schaffen das!
Danke.
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Herzlichen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gab eine Nachlässigkeit, und ich muss etwas nachholen. Ich habe versäumt, darauf hinzuweisen, dass nach einer interfraktionellen Vereinbarung für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen sind, von denen der Kollege gerade einige verbraucht hat. – Ich höre keinen Widerspruch zu dieser Vereinbarung. Dann ist das so beschlossen.
Als Nächstes für die CDU/CSU der Kollege Stephan Mayer.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu diesem Gesetzentwurf kann man nur sagen: alter Wein in neuen Schläuchen.
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Die Debatte über ein Punktesystem ist nun wirklich nichts Neues. Ganz im Gegenteil: Schon bei der Debatte über das Zuwanderungsgesetz vor 15 Jahren hat sich der Deutsche Bundestag über die Sinnhaftigkeit eines Punktesystems unterhalten. Er hat es damals zu Recht verworfen und abgelehnt.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, auch im Juni dieses Jahres haben wir uns auf einen Vorschlag der Grünen hin mit einem Punktesystem beschäftigt. Dabei schwingt immer der Vorwurf mit, Deutschland sei ein unattraktives Zuwanderungsland für Fachkräfte. Das Gegenteil ist der Fall. Die OECD bescheinigt uns, heute eines der modernsten und fortschrittlichsten Zuwanderungsgesetze zu haben. Wir haben insbesondere in den Jahren 2012 und 2013 unser System der Ausbildungs- und Arbeitsmigration grundlegend neu strukturiert. Ich glaube, man kann wirklich mit Fug und Recht behaupten: Deutschland ist ein hochattraktives Zuwanderungsland für Fachkräfte.
Allein im letzten Jahr sind 204 000 Aufenthaltserlaubnisse zum Zwecke der Ausbildung und der Erwerbstätigkeit an Drittstaatsangehörige erteilt worden, und dieser Trend setzt sich fort. In den ersten drei Monaten dieses Jahres waren es alleine 65 000 Arbeitserlaubnisse für Drittstaatsangehörige, also für Nicht-EU-Ausländer. Zu dieser schon sehr starken Zuwanderung aus dem nichteuropäischen Ausland kommt die Binnenmigration innerhalb der Europäischen Union, auf die wir keinen Einfluss haben. Allein im letzten Jahr kamen 634 000 Menschen aus den anderen 27 EU-Ländern nach Deutschland, und allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres waren es 153 000 EU-Bürger. Man sieht also sehr wohl, dass unser Zuwanderungsrecht funktioniert und in der Lage ist, dem Bedarf Rechnung zu tragen.
Schauen wir nur einmal auf die EU-Bluecard-Richtlinie. Es ist doch hochinteressant, dass 80 Prozent der in der Europäischen Union erteilten EU-Bluecard-Aufenthaltstitel in Deutschland erteilt wurden. Wir haben hier in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg der Zahl der Bluecard-Inhaber zu verzeichnen. Zum 31. März 2015 waren knapp 22 000 Bluecard-Inhaber in unserem Land, Ende Oktober dieses Jahres waren es bereits 58 000 hochqualifizierte Drittstaatsangehörige, die mittels einer Bluecard nach Deutschland gekommen sind.
Wenn Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, hier wieder stereotyp auf das kanadische Modell abheben, dann muss man Ihnen ganz deutlich entgegnen: Die Kanadier haben ihr Punktesystem grundlegend überarbeitet,
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und zwar dahin gehend, dass die erforderliche Punkteanzahl de facto nur erreicht werden kann, wenn ein konkreter Arbeitsplatz nachgewiesen wird. Hier findet sich in Ihrem Gesetzentwurf schon einmal ein ganz konkreter Fehler; denn Sie knüpfen die Zuwanderung nach Deutschland nicht an den Nachweis eines konkreten Arbeitsplatzes.
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Wir tun das sehr wohl. Wir von der CDU/CSU wollen, dass eine Zuwanderung in den Arbeitsmarkt erfolgt und nicht ins Arbeitsamt.
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Wir wollen, dass die Arbeitgeber, die Unternehmer, entscheiden, wer für sie der richtige Mitarbeiter oder die richtige Mitarbeiterin ist, und nicht, dass mittels eines hochkomplexen Punktesystems entschieden wird, wer nach Deutschland kommen darf, ohne dass er einen konkreten Arbeitsvertrag in der Tasche hat.
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Apropos „komplex“, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Sie haben ein Punktesystem entwickelt, das mindestens sechs Parameter umfasst. Nach dem in Deutschland geltenden Zuwanderungsrecht ist es im Grunde wesentlich einfacher. Es gibt für hochqualifizierte Fachkräfte aus dem nichteuropäischen Ausland nämlich nur zwei Voraussetzungen, die zu erfüllen sind. Die erste Voraussetzung ist ein abgeschlossenes Hochschulstudium, das einem deutschen Hochschulstudium entspricht. Die zweite Voraussetzung ist ein Mindesteinkommen von normalerweise etwa 50 000 Euro, bei Mangelberufen sogar nur von ungefähr 39 000 Euro. Ich sage dazu mit sehr viel Ernsthaftigkeit: Das ist aus meiner Sicht nur recht und billig. Wir wollen nämlich nicht, dass sich die Wirtschaft oder die Industrie im Wege der Zuwanderung aus nichteuropäischen Ländern billige Arbeitskräfte holt, um die hier ohnehin teilweise sehr angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt noch zu verschärfen.
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Wir haben im Grunde genommen ein Zweipunktesystem, und Sie wollen es in ein Sechspunktesystem deutlich verschärfen. Deshalb ist Ihr Modell eine Mogelpackung. Es ist überhaupt nicht dazu geeignet, unser Zuwanderungsrecht, unser Migrationsrecht einfacher zu machen.
Wir haben ein sehr modernes Zuwanderungsrecht, das an der einen oder anderen Stelle vielleicht noch transparenter und auch besser verständlich gemacht werden muss. Ich bin der festen Überzeugung, dass es richtig ist, dass wir als Union uns sowohl in unserem Regierungsprogramm als auch in unseren jetzigen Überlegungen für eine Modernisierung der Fachkräftezuwanderung starkmachen;
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denn nach dem deutschen Aufenthaltsrecht gibt es derzeit über 50 verschiedene Möglichkeiten, aus dem nichteuropäischen Ausland legal nach Deutschland zu kommen. Das ist zugegebenermaßen nicht ganz einfach.
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Nebenbei bemerkt ist es generell so, dass deutsches Recht nicht immer ganz einfach ist.
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Aber ich glaube, dass es durchaus überlegenswert ist, unser Aufenthalts- und Zuwanderungsrecht leichter lesbar und leichter verständlich zu machen, vor allem auch für kleinere und mittlere Unternehmen.
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Es ist in der heutigen Zeit relativ schwer für einen Handwerker, ein kleines Dienstleistungsunternehmen oder ein kleines mittelständisches Unternehmen, in Südostasien den Fachmann oder die Fachfrau zu suchen, die im Unternehmen benötigt wird. Deswegen sind aus meiner Sicht auch die Verbände sehr stark gefordert; ich denke dabei vor allem an die Außenhandelskammern. Ich sehe aber durchaus auch den Staat bzw. unsere Botschaften und unsere Generalkonsulate gefordert, noch mehr Werbung für unser Zuwanderungsrecht zu machen und unser Zuwanderungsrecht insgesamt leichter lesbar und leichter verständlich zu machen.
Es gibt hier aber schon sehr gute Ansätze. Ich möchte nur das Internetportal „Make it in Germany“ erwähnen. Aber man kann hier zugegebenermaßen noch mehr machen. Das Punktesystem, so wie Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es vorschlagen, ist anachronistisch.
({10})
Das ist ein Punktesystem von gestern. Wir brauchen ein modernes, zukunftsweisendes Zuwanderungsrecht. Wir haben ein sehr gutes Aufenthaltsgesetz und werden dieses in der laufenden Legislaturperiode weiterentwickeln. Darauf freue ich mich.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({11})
Vielen Dank. – Als Nächstes hat Dr. Gottfried Curio von der AfD das Wort zu seiner ersten Rede.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Die SPD will mit ihrem Vorschlag zum Einwanderungsgesetz die demografische Lücke an qualifizierten Arbeitskräften schließen und ungeordnete Zuwanderung steuern. Beide Ziele werden verfehlt.
Ein hoher Einwanderungssaldo kann die demografische Schrumpfung kaum kompensieren. Laut UN bräuchte Deutschland in der ersten Jahrhunderthälfte für eine konstante Menge Erwerbsfähiger 25 Millionen Migranten, also 500 000 pro Jahr. So viele Qualifizierte wird es aber schlicht nicht geben. Migration löst hier das demografische Problem nicht.
({0})
Die Flutung mit Geringqualifizierten plus geplantem Familiennachzug stabilisiert nicht Arbeitsmarkt und Rentensystem,
({1})
sondern erhöht Arbeitslosigkeit und Sozialleistungsbezug, noch dazu in einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt. Zielführend wäre die Erhöhung der Geburtenrate.
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Eine aktivierende Familienpolitik, wie von uns gefordert, wäre vorrangig, statt das eigene Volk auszutauschen. Das heißt: Milliarden für unsere Familien statt für Alimentation und Integration erst nicht bleibeberechtigter oder jetzt nicht vermittelbarer Migranten.
Die SPD räumt ein, dass in Deutschland kein allgemeiner Arbeitskräftemangel herrscht, wohl aber im Bereich „Technik und IT“. Wer dächte da nicht zuerst an minderqualifizierte Bewerber ohne Sprachkenntnisse aus Innerafrika und der muslimischen Welt? Es soll nämlich die bisherige illegale Migration jetzt per Umdeklaration legalisiert werden.
({3})
Denn für wen wird das Ganze veranstaltet? Laut SPD-Papier soll Einwanderung die Interessen beider Seiten gestalten. Gemeint sind wohl einerseits die Interessen der bisherigen Wirtschaftsscheinasylanten, die jetzt mit einem neuen Etikett versehen werden sollen,
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und andererseits die der UN-Ideologen, die mittels weltweiter Massenmigration gewachsene Nationalstaaten auflösen wollen.
Dafür soll es jetzt ein jährliches Einwanderungskontingent geben. Qualifizierte Arbeitnehmer,
({5})
die über das Bluecard-System einwandern, können natürlich gern ihren Beitrag leisten, wo er dem deutschen Interesse dient. Aber die Aufenthaltserlaubnis nach Punktesystem, wie im SPD-Entwurf gestaltet, ist nichts anderes als die Pervertierung dieser Idee. Dabei geht es etwa um Integrationsaspekte. Positiv zählt, wenn jemand eine Beziehung zu Deutschland hat. Etwa: Die Verwandtschaft ist schon hier. – Mit anderen Worten: Das wird ein Familiennachzugsprogramm für unsere hiesigen Parallelgesellschaften,
({6})
ein Aufbauprogramm für Clanbildung, komplett antiintegrativ.
Was wollen die Genossen noch? Leichtere Anerkennung von ausländischen Abschlüssen, Feststellung der Vergleichbarkeit von Qualifikationen erst nach Einreise. Und vorher? Verschenken wir die Punkte nach Treu und Glauben?
({7})
Zum Thema Migrationssteuerung: Was wäre denn der Unterschied zur jetzigen unkontrollierten Massenzuwanderung? Jetzt sagt der Migrant: Syrien, Asyl. – Der neue Eingeladene sagt: Fachabschluss, Ausbildung. – Beide werden ohne Nachweis reingelassen und erst im Inneren überprüft. Der eine, nach langen Widerspruchsverfahren, berechtigt oder nicht: Er bleibt. Der andere, nach einjähriger Jobsuche, erfolgreich oder nicht: Er bleibt, die Aufenthaltsgenehmigung wird verlängert. Wenn er Arbeit aufnimmt, erfolgt sofort der Familiennachzug – ohne Sprachkenntnisse – und nach drei Jahren schon die Niederlassungserlaubnis.
Und beide Migrationsströme sollen nebeneinander bestehen bleiben. Das ist eine Ausweitung unserer Probleme:
({8})
neben weiterhin ungesteuerter Asylmissbrauchsmigration jetzt auch noch Arbeitnehmerimport auf Verdachtsqualifikation ohne entsprechendes Arbeitsplatzangebot,
({9})
ohne Sicherung des Lebensunterhalts bei Qualifikation „nur informell erworben“. Immer erst einmal alle rein, der ganze Import als sogenanntes Potenzial! Der Steuerzahler wird sich freuen über so ein Potenzial – an Versorgungsfällen.
({10})
Und wenn es ein Arbeitsplatzangebot gibt, soll es keine Vorrangprüfung mehr geben, aus Effizienzgründen. Ob Deutsche oder EU-Bürger das machen könnten, egal. Eine unfassbare Unsolidarität gegenüber den eigenen Leuten! Hauptsache, die UN-Replacement-Migration kommt voran, effizient voran!
({11})
Das letzte Ziel sei, laut SPD-Entwurf, ein rechtlicher Rahmen für eine deutsche Einwanderungsgesellschaft und – man höre – eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, die letzte Säule deutscher Selbstbestimmung.
({12})
Soll das deutsche Volk durch Masseneinbürgerung von nichtqualifizierten Fremdstaatlern aller Kulturen demnächst mittels Wahlrecht entmündigt werden?
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Die AfD wird als Sachwalter der Interessen der deutschen Bürger hier entschlossen parlamentarischen Widerstand leisten.
Ich danke Ihnen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, manchmal ist das so eine Sache mit der Meinungsfreiheit.
Ich rufe jetzt den Kollegen Stephan Thomae von den Freien Demokraten auf.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Ich will versuchen, das, was wir soeben gehört haben, in den großen historischen Kontext unseres Landes zu stellen,
({0})
und in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass Deutschland schon immer ein Einwanderungsland gewesen ist.
({1})
Wenn wir in der Geschichte zurückgehen, stellen wir fest, dass Einwanderer dieses Land schon immer mit geprägt haben, seien es die Hugenotten im 17. Jahrhundert,
({2})
Menschen aus Polen im 19. Jahrhundert, Menschen aus Südeuropa im 20. Jahrhundert, die von dem Wirtschaftswunder dieses Landes angelockt wurden. Auch ohne hier geboren zu sein, haben viele Menschen dieses Land mit geprägt, mit entwickelt, für Wohlstand und Stabilität in diesem Land gesorgt.
({3})
Deswegen muss man gar keine Angst vor Einwanderung haben. Unsere Gesellschaft schrumpft und altert ohne Zuwanderung. Angesichts unseres Fachkräftebedarfs ist es sinnvoll, unser Land für Zuwanderer und Einwanderer zu öffnen, wenn sie einen Beitrag zu Wohlstand und Stabilität leisten können.
({4})
Natürlich muss es dafür Regeln geben. Die Regeln, die im Gesetzentwurf der SPD zu finden sind, Herr Kollege Hartmann, gehen aus unserer Sicht durchaus in die richtige Richtung. Erlauben Sie mir als Rechtspolitiker den Hinweis, dass das Urheberrecht dieser Gedanken bei der FDP anzusiedeln ist.
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Peter Caesar hat bereits in den 90er-Jahren als Justizminister in Rheinland-Pfalz einen Entwurf vorgelegt, der in diese Richtung geht.
({6})
Sie haben ihn weiterentwickelt. Aber ich will darauf hinweisen, dass von unserer Seite schon immer eine Offenheit für diese Themen bestanden hat.
({7})
Herr Kollege, erlauben Sie mir eine kurze Unterbrechung Ihrer Rede, weil meiner Bitte, im Plenarsaal nicht zu fotografieren, ausgerechnet von zwei Mitgliedern meiner Fraktion nicht entsprochen wurde. Ich weise noch einmal darauf hin, dass das Fotografieren im Plenarsaal nach Beschluss des Präsidiums untersagt ist. Der Nächste, den ich erwische, bekommt einen Ordnungsruf.
({0})
Lassen Sie mich einen Blick auf Ihren Gesetzentwurf werfen, in dem Sie ein Punktesystem entwickeln. Grundlage sind verschiedene Kriterien wie Berufsqualifikation, Sprachkenntnisse, Alter, Integrationsaspekte, Berufserfahrung und Vorliegen eines Arbeitsplatzangebotes. Das sind gute Ansätze. Ich will nur beim Thema Integrationsaspekte auf Folgendes hinweisen: Es ist sicherlich richtig, dass Menschen, die unter anderen Aspekten ins Land gekommen sind – zum Beispiel weil sie Schutz vor Verfolgung oder vor Krieg und Bürgerkrieg gesucht haben –, einen Integrationsvorsprung vorweisen können. Das soll aber nicht zum Nachteil solcher Menschen gereichen, die sich von ihrer Heimat aus bewerben und einen solchen Integrationsvorsprung nicht besitzen können. Hier gibt es ein paar Punkte, über die wir gerne noch einmal diskutieren möchten. Dazu zählt auch die Kontingentierung. Sie schlagen vor, dass der Bundestag auf Vorschlag der Bundesregierung und mit Zustimmung des Bundesrates jährlich die Zahl der Menschen festlegen soll, die in unser Land einwandern können. Das erscheint uns etwas planwirtschaftlich. Das Problem in der Vergangenheit bestand ja nicht darin, dass zu viele hochqualifizierte Zuwanderer zu uns gekommen sind.
Der Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung. Er findet bei uns Zuspruch und Sympathie. Er springt aber in ein paar Punkten vielleicht etwas zu kurz. Sinn eines Punktesystems ist, eine Zuwanderung von Fachkräften auch ohne Arbeitsvertrag zu ermöglichen. Ansonsten brauchten wir gar kein Punktesystem. Aus unserer Sicht reicht es auch nicht, dass es „einen legalen Einwanderungsweg für Drittstaatsangehörige unterhalb der Voraussetzungen der Blauen Karte EU“, wie es im Gesetzentwurf heißt, geben soll. Wir meinen, dass die Regelungen betreffend die Blaue Karte EU grundlegend reformiert und in einem Einwanderungsgesetz zusammengeführt werden müssen. Dabei sollten Asylbewerber und Asylberechtigte, Flüchtlinge aus Bürgerkriegs- und Kriegsgebieten sowie Fachkräfte, die zu uns kommen wollen, gleichermaßen berücksichtigt werden.
({0})
Aus unserer Sicht wäre es sinnvoll, eine Reform der Blue-Card-Regelungen für Einwanderer mit Arbeitsplatzangebot durchzuführen und parallel dazu ein Punktesystem für Einwanderer ohne Arbeitsplatzangebot einzuführen. Das entspräche unseren Vorstellungen. Aber ohne Zweifel ist es Ihr Vorschlag wert, im Hauptausschuss behandelt zu werden. Deswegen stimmen wir für die Überweisung und eine eingehende Beratung.
Vielen Dank.
({1})
Herzlichen Dank, Herr Kollege Thomae. – Als Nächstes – ich hoffe, dass ich den Namen richtig ausspreche – hat Zaklin Nastic das Wort für die Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. Sie sehen, so kann Integration funktionieren.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Brain bedeutet auf Deutsch Hirn, Wissen. Drain bedeutet „aussaugen“ und „auszehren“. Braindrain bedeutet also nichts anderes, als den armen Staaten dieser Welt ihr ausgebildetes Potenzial auszusaugen, Ingenieure dort abzuziehen, wo Brücken über reißende Flüsse gebaut werden müssen, Ärzte dort wegzuholen, wo Babys von Stechmücken übersäht sind und Hunderttausende HIV-infiziert sind. Welcher von deutschen Konzernen ausgeplünderte Staat möchte noch sein weniges Geld in Bildung stecken, wenn deutsche Konzerne ihm dann die Ausgebildeten abziehen wollen? Hätten Sie doch bloß in Ihrem unwürdigen Jamaika-Gezocke über die Bekämpfung von Braindrain und der ungerechten Weltwirtschaftsordnung genau so viel diskutiert wie über die angesprochenen Obergrenzen für Schutzsuchende!
({1})
Ich zitiere diesmal aus dem Gesetzentwurf der SPD, um deutlich zu machen, was Braindrain ist:
Ziel des Einwanderungsgesetzes ist es, die Einwanderung von qualifizierten Arbeitskräften nach den Bedürfnissen des deutschen Arbeitsmarktes zu steuern und zu gestalten.
Sarkastischer geht es kaum. So werden immer mehr Armut und neue Fluchtursachen produziert. Das erfreut vielleicht die AfD oder den Daimler-Vorstand. Aber die vielen Menschen, die sich in Flüchtlingsinitiativen aktiv betätigen, fühlen sich schon längst von der Bundesregierung im Stich gelassen. Wer Herz und Verstand für arme Menschen hat, fordert eine gerechte Weltwirtschaftsordnung und formuliert nicht die Interessen des sogenannten deutschen Arbeitsmarktes als Ziel.
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Deutsche und ausländische Arbeitnehmer sollen in Konkurrenz um Billiglöhne und prekäre Berufsperspektiven gegeneinander ausgespielt werden. Das ist entwürdigend, und das machen wir als Linke nicht mit.
({3})
Der vorliegende Gesetzentwurf der SPD erklärt die Bluecard-Regelung der EU zu Recht für gescheitert – aber nicht etwa, weil im Rahmen dieser Regelung migrantische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schon jetzt bis zu 47 Prozent weniger verdienen dürfen als ihre Kolleginnen und Kollegen. Nein, der SPD geht die Bluecard-Regelung nicht weit genug. Sie will sogar die Mindestgehälter abschaffen. Das lehnen wir als Lohndumping-Gesetz entschieden ab.
({4})
Wer sich von Frau Merkels marktkonformer Demokratie oder vom rechten Marktglauben der AfD lösen will, der sollte auch kein Einwanderungsgesetz vorlegen, das sich vor allen Dingen den Märkten und Konzerninteressen unterwirft.
Wenn es nach SPD-Vorstellungen geht – das gilt auch für die Grünen und die FDP bis hin zu Pegida –,
({5})
soll künftig ein sogenanntes Punktesystem darüber entscheiden, wer zwecks Berufserwerb in dieses Land einwandern darf. Das nenne ich Nützlichkeitsrassismus.
({6})
Meine Damen und Herren in der Mitte und auf der linken Seite dieses Hohen Hauses, wenn Sie sich von der AfD abgrenzen möchten, ziehen Sie eine Grenze, und zwar mithilfe unseres Grundgesetzes. Da steht nicht: „Die Billigkeit des Menschen ist unantastbar“, sondern „Die Würde …“, und diese kennt keine Herkunft.
({7})
Wer Fachkräfte braucht, muss sie hierzulande ausbilden und vor allen Dingen gut bezahlen, und zwar egal woher sie kommen. Das Kapital dafür ist allemal vorhanden. Beginnen Sie endlich damit, enorme Vermögen gerecht zu besteuern. Wir brauchen tariflich abgesicherte und gutbezahlte Arbeitsplätze, einen angemessenen gesetzlichen Mindestlohn und ein Verbot der Leiharbeit.
Liebe SPD, Sie haben eines gemeinsam mit der CDU/CSU: Sie haben das individuelle Recht auf Asyl inhumaner gemacht, ja bis zur Unkenntlichkeit entstellt und den Sozialstaat entkernt – damals unter Beifall vieler, die jetzt in den Reihen der AfD sitzen.
({8})
Wer sich jetzt von der AfD abgrenzen will, muss für die Würde des Menschen in einem wiedererstarkten Sozialstaat kämpfen. Das wäre eine gemeinsame rote Kraftanstrengung wert.
Vielen Dank.
({9})
Frau Kollegin Nastic, ohne Ihre Rede bewerten zu wollen, möchte ich darauf hinweisen, dass es Ihre erste in diesem Hohen Hause war.
({0})
Als Nächstes spricht der Kollege Filiz Polat
({1})
– ich bitte vielmals um Entschuldigung –, die Kollegin Filiz Polat von Bündnis 90/Die Grünen.
({2})
Herr Präsident! Da müssen wir noch ein bisschen nachhelfen mit den Integrationskursen.
({0})
Meine Damen und Herren! Frau Nastic, ich bin doch etwas irritiert von Ihrer Rede.
({1})
Um das vielleicht einmal vorweg zu sagen: Die Linke hat es bis heute noch nicht einmal geschafft, überhaupt ein Einwanderungskonzept vorzulegen. Kein Wunder, denn in dieser Frage sind Sie sehr zerstritten.
({2})
Ich freue mich – das sage ich auch als migrationspolitische Sprecherin, die ich fast zehn Jahre im Niedersächsischen Landtag gewesen bin –, die SPD-Fraktion bringt endlich ein Einwanderungsgesetz über ein Punktesystem in den Deutschen Bundestag ein. Das ist historisch.
Herr Stephan Mayer, es liegt aber nicht erst seit einem Jahr als Gesetzentwurf seitens der letzten Bundesregierung vor; Sie haben sich 17 Jahre Zeit damit gelassen. Wir hatten 2003 gemeinsam als rot-grüne Bundesregierung einen entsprechenden Paragrafen vorgelegt – das war der § 20 im damaligen Aufenthaltsgesetzentwurf –, der an den Fraktionen – einige erinnern sich noch – bzw. an den FDP- und unionsgeführten Bundesländern gescheitert ist.
Um das insgesamt vorwegzunehmen: Trotz dieses historischen Ereignisses, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, auch lieber Kollege Thomas Oppermann, der das seinerzeit mit entwickelt hat, über Ihnen sehen wir keinen Heiligenschein. Im Gegenteil: Wir wollen Sie heute an den Buß- und Bettag erinnern.
({3})
Warum wollen wir das tun? Frau Dr. Högl, Herr Lischka, Herr Dr. Diaby und Herr Bartke, Sie haben Ihr Konzept letztes Jahr der Fraktion vorgestellt. Sie hatten ein Jahr Zeit, diesen Entwurf, der von der Fachöffentlichkeit kritisiert wurde, zu überarbeiten, um eine Reihe gravierender Unzulänglichkeiten zu beseitigen. Das haben Sie nicht getan.
({4})
Ja, wir brauchen ein Einwanderungsgesetz. Die alternde Gesellschaft und der Fachkräftemangel lassen keinen Zweifel mehr daran: Deutschland ist auf Einwanderung angewiesen. Wir leben zudem in Zeiten der Globalisierung. Es ist notwendig, die zunehmende internationale Mobilität so auszugestalten, damit die darin liegenden Chancen zum Tragen kommen, und zwar für alle Beteiligten:
({5})
für die Herkunftsstaaten, die Aufnahmestaaten und die Zuwandernden selbst. Auch die Wirtschaft verlangt das von uns.
({6})
Ihr Anspruch, meine Damen und Herren von der SPD, ist ein Einwanderungsgesetz, das – Herr Hartmann hat das gesagt – sprichwörtlich auf einen Bierdeckel passt; denn das geltende deutsche Einwanderungsrecht ist kompliziert, aufwändig und unattraktiv. Diese Beschreibung ist korrekt. Das teilen wir. Aber anstatt das Recht zu vereinfachen, verkomplizieren Sie es mit Ihrem Entwurf. Sie kritisieren die 50 verschiedenen Aufenthaltstitel, nehmen aber keine umfassende Novellierung der bestehenden Bestimmungen zur Arbeitsmigration vor. Sie stellen das System der Einwanderung nach Punktesystem, das wir durchaus unterstützen – wir selber haben im April dieses Jahres, also noch in der letzten Legislatur, einen Gesetzentwurf eingebracht –, neben das bisher geltende Recht, das die Regelungen zur Arbeitsmigration eben nicht vereinfacht, sondern unübersichtlicher macht
({7})
und vor allem inkonsistent gestaltet.
Mit Ihrem Entwurf bleiben Sie hinter den Erwartungen des 2016 zeitgleich in den Bundesrat eingebrachten Antrags der Landesregierungen Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Thüringen und Bremen – einige dieser Regierungen waren SPD-geführt, und wir waren an ihnen beteiligt – zurück. Sie haben in Ihren Gesetzentwurf nicht einmal den Spurwechsel, den Sie kritisieren, eingearbeitet. In der Bundesratsinitiative war er noch enthalten.
({8})
Um es noch einmal zu betonen: Interessant ist hier die fachliche Stellungnahme des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen. Ich zitiere:
Dieses dauerhafte Nebeneinander
– beider Gesetze, mit Blick auf Ihr Gesetz –
wirft eine Vielzahl diffiziler Abgrenzungsfragen auf.
Es wird von der Sorge gesprochen, dass „zwischen den dem Einwanderungsgesetz unterfallenden Ausländern ,erster Klasse‘ und den sonstigen nicht privilegierten Ausländern, die dem Aufenthaltsgesetz als Rest- oder Auffanggesetz unterworfen“ seien, nicht unterschieden werden würde.
Ja, Bündnis 90/Die Grünen hat bereits ein Einwanderungsgesetz erarbeitet, das die Motivlagen der Menschen in den Mittelpunkt stellt und dabei die Interessen Deutschlands im Blick hat. In diesem Entwurf nehmen wir im Gegensatz zum Vorschlag der SPD-Fraktion einen Paradigmenwechsel vor – vom bisherigen nachfrageorientierten zu einem angebotsorientierten System.
Meine Damen und Herren, ein transparentes Einwanderungsgesetz wird kommen – da bin ich mir sicher –; denn – darin sollten wir uns wirklich alle einig sein – angesichts der Tatsache auf der rechten Seite unseres Plenums brauchen wir ein klares Bekenntnis zu Deutschland als Einwanderungsland.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Liebe Frau Kollegin Filiz Polat, das war Ihre erste Rede im Hohen Haus. Ich beglückwünsche Sie dazu.
({0})
Ich habe Ihnen wegen meiner sprachlichen Verirrung eine Minute dazugegeben. – Als Nächstes hat der Kollege Ansgar Heveling von der CDU/CSU das Wort.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Regierungen der Aufnahmeländer sei eine große Verantwortung übertragen – so formuliert es der bekannte Migrationsforscher Paul Collier in seinem Buch „Exodus“ – ich darf zitieren –,
… denn die Migrationsrate hängt von zwei Dingen ab: von der individuellen Entscheidung potenzieller Migranten und von der Politik der Regierungen. Allein der Entscheidung der Migranten überlassen, ... würde sie weiter anwachsen und schließlich den Punkt überschreiten, bis zu dem die Aufnahmegesellschaften einen Nutzen davon haben. Daher kann man die Migration nicht der individuellen Entscheidung der Migranten überlassen; sie muss von den Staaten gesteuert werden.
({0})
Aber die Migrationspolitik ist unweigerlich kompliziert. Um ihren Zweck zu erfüllen, muss sie diese Komplexität bewältigen.
So weit Collier.
Ihr Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, bewältigt unserer Ansicht nach die Komplexität nicht in ausreichendem Maße, jedenfalls nicht so, dass es unserer Verantwortung als potenzielles Aufnahmeland sowohl für die, die zu uns kommen wollen, als auch für unsere Gesellschaft gerecht wird.
Bevor ich zu den einzelnen Regelungen komme, möchte ich zunächst einer der Grundannahmen Ihres Gesetzentwurfs widersprechen. Ihn durchzieht die Klage, wie ach so kompliziert das deutsche Einwanderungsrecht doch sei. Es gebe so viele verschiedene Regelungen, mit denen man nach Deutschland kommen könne.
({1})
Dazu muss man sagen: Das ist doch gut so. Menschen möchten und sollen aus ganz unterschiedlichen Gründen nach Deutschland kommen. Ihre Situationen sind unterschiedlich. Da ist es doch nur richtig, dass man unterschiedliche Regelungen dafür hat.
Es mag keine schlechte Idee sein, die bestehenden Regelungen übersichtlicher zusammenzufassen. Dass man aber alles viel, viel einfacher machen könne, das halte ich, offen gestanden, für Augenwischerei. Sie wollen es sogar noch komplizierter machen. Ein neues, bürokratisches Punktesystem soll die jetzigen Regelungen nicht ersetzen, sondern soll neben sie gestellt werden.
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Es wird also noch unübersichtlicher. Das ist für mich ein widersprüchlicher Ansatz.
({3})
Ich sehe eher die Notwendigkeit, dass wir die bestehenden Regeln aktiv bewerben. Kollege Mayer hat schon auf die Internetseite make-it-in-germany.com hingewiesen. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen zusammenkommen, dass wir Tools haben, die Menschen zusammenbringen, nämlich die, die hier arbeiten wollen, und die, die ihnen tatsächlich Arbeitsplätze anbieten können.
Große Schwierigkeiten sehe ich bei Ihrem Vorschlag, dass für ein Jahr eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll, wenn jemand einen guten Punktestand hat und nach Deutschland kommen möchte, um Arbeit überhaupt erst zu suchen. Es ist sehr richtig, zu überlegen, wie man die Arbeitsplatzsuche aus dem Ausland weiter unterstützen kann. Ich halte es aber für wichtig, dass die Einreise erst gestattet wird, wenn tatsächlich ein konkretes Arbeitsangebot vorliegt;
({4})
denn der Staat kann zwar Mangelberufe identifizieren – das macht er auch jetzt schon –, aber es ist nur eine Prognose. Welche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Unternehmen dann konkret einstellen wollen und wofür, das können Behörden vorab nicht wissen – das ist eine Entscheidung der Unternehmen –, und das würde auch bei einem noch so guten Punktesystem nicht funktionieren.
Auch hierzu darf ich noch einmal den Migrationsforscher Paul Collier zitieren, der ausdrücklich diese Komponente des deutschen Rechts lobt – ebenso wie die ähnlichen neuseeländischen Regelungen –:
Nachdem der potenzielle Migrant die staatlichen Kriterien erfüllt hat, müsste er noch ein Unternehmen dazu bringen, ihn einzustellen. Sowohl Neuseeland als auch Deutschland haben ein solches System eingeführt. Arbeitgeber haben einen Anreiz, Bewerber zu durchleuchten und dabei einen ausgewogenen Katalog von Merkmalen zu berücksichtigen. Länder, die Einwanderer nur mithilfe eines mechanisch angewandten Punktesystems auswählen, sind Ländern gegenüber, die darüber hinaus die Migranten genauer unter die Lupe nehmen, in der Regel im Nachteil, weil sie Menschen anziehen, die zwar die Anforderungen formal erfüllen, aber ansonsten ungeeignet sind.
Sicherlich ist auch das der Grund, warum Kanada sein Einwanderungssystem dahin gehend angepasst hat, dass der konkrete Arbeitsplatz bei der Beurteilung der Einwanderungsmöglichkeit mittlerweile eine herausragende Rolle spielt.
Für das Jahr der Arbeitssuche wollen Sie zudem darauf verzichten, dass die Menschen nachweisen, dass ihr Lebensunterhalt gesichert ist. Sie halten diese Prüfung insgesamt für überflüssig. Ich halte es für fatal, es nicht zu prüfen. Arbeitsuchende könnten sich nach Ihrem Entwurf während der Suche mit einem Nebenjob über Wasser halten. Das wollen Sie ebenfalls regeln. Das soll die Versorgung sicherstellen. Aber was, wenn das nicht klappt oder nicht mehr klappt oder derjenige, der hierherkommt, zwischendurch krank wird? Den Bezug von Hartz IV wollen Sie ausschließen. Das ist sicherlich richtig. Aber dann ist es doch wichtig, dass wir vorher sicher wissen, dass sich der Mensch bei der Arbeitssuche finanzieren kann.
Die Vielzahl von Ermessensentscheidungen halten Sie laut Gesetzesbegründung für abschreckend; sie biete Rechtsunsicherheit. Ein Punktesystem ist für Sie übersichtlicher. Ich sehe, offen gestanden, nicht wirklich einen qualitativen Vorteil eines Punktesystems; denn eine Ermessensentscheidung wird nicht einfach so getroffen, sondern sie wird in der Regel die gleichen Faktoren berücksichtigen wie ein Punktesystem. Nur hat man beim Ermessen etwas mehr Spielraum, auch zugunsten des Antragstellers.
Herr Kollege Heveling, kommen Sie bitte zum Schluss.
Starre Punktesysteme sind nicht per se gerechter.
Fazit: Die bestehenden Regelungen zur Einwanderung nach Deutschland zu Arbeitszwecken sind gut. Wir haben es schon gehört: Die OECD sieht Deutschland hier weit vorne. Für solche bestehenden Möglichkeiten müssen wir mehr Werbung machen. Lassen Sie mich versichern, dass als Ergänzung zu den bestehenden Möglichkeiten für die CDU/CSU ein Fachkräftezuwanderungsgesetz ganz oben auf der Agenda steht. Aber es muss ein Gesetz sein, das die sinnvolle Steuerung der Arbeitsmigration ermöglicht.
Vielen herzlichen Dank.
({0})
Herr Kollege Heveling, herzlichen Dank. – Als Nächstes für die SPD-Fraktion Frau Daniela Kolbe.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme ja aus Sachsen, und Sachsen ist ein ganz besonderes Bundesland.
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– Nein, ganz im Ernst, ich lebe wirklich gerne da. – Man sieht in Sachsen ja manche Entwicklung sehr stark unter einem Brennglas, auch die demografische. In den nächsten zehn Jahren werden in Sachsen 600 000 Menschen in den wohlverdienten Ruhestand gehen. In den gleichen zehn Jahren werden nur 300 000 Kinder die Schule verlassen; die sind dann natürlich schon älter als zehn Jahre. Da muss man doch kein Mathe-Genie sein, um herauszufinden, dass das ein Riesenproblem für das schöne Sachsen werden könnte.
({1})
Das ist auch einer der Gründe, warum wir sagen: Wir brauchen dringend ein besser verständliches Einwanderungsrecht. – Wir wollen nämlich qualifizierte Zuwanderung, und wir wollen sie auch steuern. Deshalb brauchen wir in Deutschland ein Einwanderungsgesetz.
({2})
Darüber reden wir heute, und dazu haben wir einen klugen und übrigens auch moderaten Vorschlag gemacht, der sich am aktuellen kanadischen Modell orientiert.
Wir schlagen ein Punktesystem für gutqualifizierte Drittstaatsangehörige vor. Das macht es ihnen einfacher, sich für Deutschland zu interessieren, einfacher als jetzt bei unserem detailverliebten und nicht immer ganz leicht verständlichen – das ist sehr beschönigend ausgedrückt – Aufenthaltsrecht. Ich habe schon etliche Volljuristen schwitzen sehen, wenn sie mir ein Detail aus dem derzeitigen Aufenthaltsrecht erklären sollten. Jetzt versetzen Sie sich einmal in potenzielle qualifizierte Zuwanderer.
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Wir machen hier einen sehr guten Vorschlag. Ich lade Herrn Mayer und andere Rednerinnen und Redner herzlich ein, ihn wirklich noch einmal zu lesen;
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denn er ist ein für ein Punktesystem äußerst nachfrageorientierter Vorschlag. Das heißt, wer ein Arbeitsplatzangebot in Deutschland hat, bekommt sehr viele Punkte und hat es damit schon fast geschafft, nach Deutschland zuwandern zu können. Natürlich prüft nach unserem Vorschlag die BA, die Bundesagentur für Arbeit, ob die Arbeitsbedingungen stimmen, die hier ein Arbeitsverhältnis begründen sollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir doch aus der Not eine Tugend. Das ist doch die Stunde des Parlaments. Wir legen hier einen Vorschlag vor. Fast alle Fraktionen dieses Hauses haben schon einmal entsprechende Anträge gestellt, haben das Thema „qualifizierte Zuwanderung“ in den Partei- oder Regierungsprogrammen drin. Es ging sogar in den Jamaika-Sondierungsgesprächen darum, liebe CDU. Keine Angst, es ist nicht schlimm, über qualifizierte Zuwanderung zu sprechen.
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Lieber Redner der AfD, vielleicht reden Sie auch noch einmal mit Ihrem Fraktionsvorsitzenden. Der hat uns vor einem Jahr noch vorgeworfen, ein Plagiat zu machen, und hat behauptet, wir hätten das Einwanderungsgesetz bei der AfD abgeschrieben.
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So lustig war das damals. Vielleicht reden Sie einmal miteinander.
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Ich will an dieser Stelle aber auch mit einem Missverständnis aufräumen. Für uns jedenfalls ist klar, dass wir qualifizierte Zuwanderung brauchen. Wir wollen, dass Menschen zu uns kommen und hier arbeiten – aus wohlverstandenem Eigeninteresse. Für uns ist aber genauso klar, dass es daneben immer auch das Recht auf Asyl gibt. Wer verfolgt ist, wer um seine Haut bzw. sein Leben fürchten muss, der bekommt in Deutschland Schutz. Da gibt es für uns kein Vertun.
({8})
Frau Kollegin Kolbe, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Ja.
Meine Frage geht dahin: Haben Sie sich überhaupt mit dem kanadischen Einwanderungsgesetz auseinandergesetzt? Es ist ein humankapitalorientiertes Gesetz, das ganz genau definiert, dass die Einwanderung tatsächlich der Wirtschaft nützen muss, das aber auch abstrakt darauf abstellt, dass die Einwanderer, die kommen – das begründet den Erfolg des kanadischen Modells –, ganz klar auch mit anderen Formen im Einklang stehen müssen. Seit der Reformierung, die hier angesprochen wurde, müssen Einwanderer hinsichtlich Sprache, Alter, Berufsqualifikation passen. Zum Erfolg trägt bei, dass es einen objektiven Katalog an Kriterien gibt, dass es eine Kommission gibt, die jedes Jahr Einwanderung auf den Bedarf der kanadischen Wirtschaft abstellt, dass es weiterhin ein Caregiver-Programm gibt, das auch kurzfristige, auf fünf Jahre orientierte Migration ermöglicht. Haben Sie das Programm überhaupt gelesen?
Herr Kollege, darf ich Sie bitten, Ihre Frage abzuschließen? Es soll kein Redebeitrag werden.
Ja. Dann frage ich Sie: Haben Sie überhaupt das Programm gelesen und verstanden? Was Sie dort betreiben, ist Etikettenschwindel.
Herr Kollege, das war die Frage, ob sie es verstanden hat. Frau Kollegin Kolbe, bitte antworten Sie auf diese Frage. Den Rest ignorieren Sie einfach.
({0})
Sehr gerne. – Ich bin durchaus der Auffassung, dass wir uns inhaltlich und fachlich damit auseinandersetzen sollten. Deswegen meine herzliche Einladung: Das Papier dort draußen ist zum Lesen da, lieber Herr Kollege der AfD.
({0})
Wenn Sie es gelesen hätten, dann wüssten Sie, dass wir uns sehr intensiv mit dem Konzept Kanadas und den Weiterentwicklungen in Kanada beschäftigt haben. Unser damaliger Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann hat sich in Kanada sogar vor Ort ein Bild davon gemacht. Haben Sie also keine Angst.
Schlusssatz. Wir haben hier einen Vorschlag gemacht. Wir sind das Parlament und können uns darüber unterhalten. Das kann eine spannende Diskussion werden. Lassen Sie uns also in die Auseinandersetzung gehen. Ich habe große Lust dazu, mit Ihnen darüber zu streiten, wie wir dieses Minus in Sachsen – 600 000 Rentnerinnen und Rentner, 300 000 Schulabgängerinnen und Schulabgänger – in den nächsten zehn Jahren bewältigen können.
Vielen Dank fürs Zuhören.
({1})
Vielen Dank, Frau Kollegin Kolbe. – Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/44 an den Hauptausschuss vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge?
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– Mitglieder der AfD-Fraktion erbitten Abstimmung. Wer für die Überweisung dieses Gesetzentwurfs ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer gegen die Überweisung des Gesetzentwurfs ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Dann stelle ich fest, dass mit den Stimmen von Linken, Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU/CSU und Freie Demokraten gegen die Stimmen der AfD und des fraktionslosen Abgeordneten, den ich von hier aus sehe, die Überweisung beschlossen ist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sicherheitslage in großen Teilen Syriens hat sich in den vergangenen Monaten substanziell verbessert. Der „Islamische Staat“ ist praktisch besiegt. Das haben Sie heute Morgen von Herrn Röttgen von der CDU/CSU gehört. Russland und die USA haben sich darauf geeinigt, keine militärische Lösung gegen Assad zu suchen. Auch Bürgerkriegskämpfe gibt es nur noch an einigen Orten.
Nach UN-Angaben kehrten dieses Jahr bereits viele Hunderttausend Syrer in ihre Heimat zurück. In weite Teile des Landes kann man also wieder zurückkehren. Auch viele, die in Deutschland Schutz suchten, dürften prinzipiell den Wunsch hegen, zu ihren Familien zurückzukehren. Meine Damen und Herren, wir könnten diesen Menschen helfen. Unterstützen wir sie bei ihrer Rückkehr;
({0})
denn auch der Wiederaufbau nimmt rasant Fahrt auf. Die syrische Regierung bittet geflohene Bürger, zurückzukehren, stellt Amnestie und sichere Unterbringung in Aussicht.
({1})
Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, mit der syrischen Regierung in Verhandlungen über ein Rückkehrabkommen einzutreten, meine Damen und Herren.
({2})
Dieses Abkommen soll sicherstellen, dass Rückkehrwillige unbeschadet in befriedete Gebiete zurückkehren können, dass Amnestie gewährt und sie nicht verfolgt werden, dass hierzu ein international wirksamer Überprüfungsmechanismus vereinbart wird und dass Rückkehrer verstärkt mit Start- und Aufbauhilfen unterstützt werden. Zum Vergleich dazu: Ins Bürgerkriegsland Afghanistan schieben wir Menschen im Moment sogar zwangsweise ab. Mit unserem Antrag wollen wir zunächst freiwilligen Rückkehrwilligen nach Syrien sichere Wege in sichere Gebiete ebnen, die es in Syrien wie in Afghanistan gibt.
({3})
Wir wollen erreichen, dass durch ein Abkommen die Gefahren politischer Verfolgung in Syrien reduziert werden. Dadurch entfallen Fluchtgründe für subsidiär Schutzsuchende auch bei uns, wodurch noch mehr Syrer in ihre Heimat zurückkehren könnten. Das ist vernünftige Politik im Interesse der Menschen, meine Damen und Herren.
({4})
Es ist auch eine Chance, die – man muss es so sagen – katastrophale Grenzöffnungspolitik der Regierung Merkel zumindest ein Stück weit zu korrigieren. Dass es ein schlimmer Fehler war, gab die Frau Bundeskanzlerin – sie ist gerade nicht da – selbst zu, als sie im Wahlkampf sagte, so etwas dürfe sich nie wiederholen. Wenn es also ein Fehler war, beginnen Sie endlich, ihn zu korrigieren. Korrigieren Sie ihn jetzt so weit und so schnell, wie es nur möglich ist.
({5})
Es war ein als historisch zu bezeichnender Kardinalfehler, der Deutschland in seinen Grundfesten erschüttert hat – wir alle konnten das erleben –, Millionen von Migranten aus dem Inneren von Orient und Afrika über Tausende Kilometer hinweg zu holen, durch unzählige sichere Länder hindurch, anstatt rechtzeitig für die Menschen vor Ort für sichere Schutz- und Entwicklungszentren sowie für funktionierende Grenzen hier bei uns zu sorgen.
({6})
Herr Kollege Dr. Baumann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schinnenburg aus Hamburg?
Ich würde gern zu Ende sprechen. Vielen Dank.
({0})
– Sie können sich anschließend melden, Herr Schinnenburg. Sie können anschließend hier reden.
({1})
Das kann er nicht. Das entscheidet das Präsidium.
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Ich glaube, Sie haben die Zeit nicht angehalten.
Ich gebe Ihnen 20 Sekunden mehr Zeit.
Ich fordere Sie deshalb auf: Machen Sie endlich vernünftige Programme für die Menschen hierzulande wie auch für die Migranten.
Meine Damen und Herren, natürlich ist Diktator Assad kein Demokrat. Ja, er hat – wie seine Gegner auch – schlimme Waffen im Bürgerkrieg eingesetzt. Er wird aber auf absehbare Zeit Präsident Syriens bleiben.
Die Rückkehr vieler Geflüchteter zeigt, dass Syrer wieder Vertrauen in die Zukunft ihres Landes gewinnen. Wir wollen ja kein Abkommen um jeden Preis. Wir wollen auch keine sofortige Rückkehr der Menschen. Aber wir wollen, dass Sie vorausschauend handeln und überhaupt erst einmal Verhandlungen aufnehmen, dass Sie Wege ebnen und endlich auch aktiv Flüchtlingsströme umkehren, meine Damen und Herren.
({0})
Das würde helfen, die massiven Probleme der Integration hierzulande zu entschärfen – von der Frage des gewaltigen Familiennachzugs bis hin zu der Unmöglichkeit, Riesenzahlen an nicht ausreichend Qualifizierten in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Meine Damen und Herren, ergreifen Sie die Chancen der Politik! Beginnen Sie mit Verhandlungen! Tun Sie das jetzt!
({1})
Herzlichen Dank. – Als Nächstes: Herr Dr. Stephan Harbarth, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Flüchtlingsschutz ist Schutz auf Zeit. Das gilt für alle Länder, das gilt auch für Syrien.
({0})
Aber der Antrag der AfD ist ein Taschenspielertrick. Die AfD versucht, den Krieg in Syrien verschwinden zu lassen, indem sie ihn im Wesentlichen auf eine militärische Auseinandersetzung mit dem „Islamischen Staat“ reduziert und anschließend diese Auseinandersetzung für beendet erklärt.
({1})
Ich möchte Ihnen zunächst entgegnen, dass der „Islamische Staat“ auch nach dem Fall seiner Hochburgen wohl noch über Tausende von Kämpfern verfügt.
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Aber entscheidender ist ein anderer Gesichtspunkt: Wer den Krieg in Syrien auf eine Auseinandersetzung mit dem „Islamischen Staat“ reduziert, hat diesen Krieg nicht begriffen.
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Die militärische Auseinandersetzung mit dieser Terrororganisation ist nur ein Teil eines sehr viel umfassenderen Krieges, der sich durch unterschiedliche Parteien, durch unterschiedliche Motive und durch eine ganz besondere Grausamkeit auszeichnet.
Im letzten Bericht, den der UN-Generalsekretär erst Ende Oktober über die Lage in Syrien vorgelegt hat, ist festgestellt worden, dass es in zahlreichen Regionen zu militärischen Auseinandersetzungen kommt und dass noch immer knapp eine halbe Million Menschen in belagerten Städten eingeschlossen sind – Menschen, deren humanitäre Lage desaströs ist, Menschen, die schlicht verhungern.
Die AfD stützt ihren Antrag auf eine Pressemitteilung der Internationalen Organisation für Migration, die davon spricht, dass im Zeitraum von Januar bis Juli 2017 knapp 600 000 syrische Binnenflüchtlinge in ihre angestammte Heimat zurückgekehrt seien. Ich habe mir diese Mitteilung angeschaut und muss feststellen: Entweder haben Sie nur die Überschrift gelesen oder Sie verschweigen bewusst, dass dort nur wenige Zeilen später steht, dass in genau demselben Zeitraum mehr als 800 000 Menschen vertrieben wurden, und zwar viele bereits zum zweiten oder zum dritten Mal.
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Am Abend der Bundestagswahl hat der Fraktionsvorsitzende der AfD verkündet, er wolle die Bundeskanzlerin jagen.
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Mit solchen Leseleistungen jagen Sie nicht uns, sondern Sie ballern wild auf die eigene Jagdgesellschaft, meine Damen und Herren.
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Der Antrag der AfD ist eine Mischung aus Auslassungen und Halbwahrheiten, und er gründet auf einer groben Vereinfachung. Sie erwähnen mit keinem Wort, dass Deutschland nicht nur syrische Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen hat, sondern dass neben diesen subsidiär Schutzberechtigten 2016 und 2017 auch rund 100 000 Syrer in geordneten Verfahren gemäß den Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt worden sind.
({7})
Das heißt, sie haben Schutz zuerkannt bekommen, weil sie etwa wegen ihrer Religion, ihrer politischen Überzeugung oder ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe verfolgt wurden, weil in Damaskus ein Regime herrscht, das mit Folter, Mord und an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schwersten Kriegsverbrechen gegen die Opposition vorgeht.
Erst Ende Oktober ist der gemeinsame Untersuchungsbericht der Organisation für das Verbot chemischer Waffen und der Vereinten Nationen zu dem Schluss gekommen, dass das Assad-Regime in Chan Schaichun am 4. April 2017, also vor etwas mehr als einem halben Jahr, Sarin, ein fürchterliches Giftgas, eingesetzt hat.
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Nur wenige Monate später fordern Sie, dass Deutschland ein Rückführungsabkommen mit einem Regime aushandeln soll, das nicht nur seine Gegner, sondern zugleich wehrlose Kinder mit Giftgas erstickt, und dabei setzen Sie noch ein fürsorgliches Gesicht auf.
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Sie fordern ein Abkommen, mit dem Deutschland das international weitgehend geächtete Assad-Regime anerkennen und es zu einem respektierten Partner unseres Landes machen würde.
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Assad werden die Freudentränen in die Augen schießen, wenn er Ihren Antrag liest.
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Meine Damen und Herren, wer wenige Monate, nachdem auf Geheiß eines Diktators Kinder vergast wurden, einen solchen Diktator hofieren möchte, der wird in Zukunft nicht weniger Flüchtlingswellen, sondern mehr Flüchtlingswellen auslösen, und genau das wollen wir nicht.
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Für uns ist klar: Flüchtlingsschutz ist auch im Falle Syriens ein Schutz auf Zeit. Wenn die Fluchtgründe wegfallen und kein Integrationserfolg erkennbar ist, muss die Rückkehr im Vordergrund stehen.
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Aber dafür muss sich die Situation in Syrien nachhaltig und dauerhaft wandeln.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat Josip Juratovic für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist schon ein bemerkenswerter Antrag, der uns da von der AfD vorliegt, bemerkenswert vor allem, weil die AfD als einzige Partei Deutschlands feststellt, dass in Syrien quasi Frieden herrscht.
({0})
„Sicherheitsrelevante Störungen“, wie sie es nennt, seien „nur noch in Teilen des Landes festzustellen“. Das Fazit: Daher könne man mit Staatschef Assad über ein Rückkehrabkommen für Geflüchtete verhandeln und deren Rückkehr sicher gestalten und finanziell unterstützen. Es wundert mich, dass Sie nicht gleich von blühenden Landschaften sprechen.
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Entweder haben Sie keine Ahnung in der Sache oder Sie sind bereit, über Leichen zu gehen.
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Sie wollen allen Ernstes ein Abkommen mit dem syrischen Diktator Assad abschließen und ihm Menschen, sogar Regimekritiker, anvertrauen?
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Lassen Sie sich, meine Damen und Herren, von mir als Ex-Bürgerkriegsbetroffenem, als Ex-Jugoslawe gesagt sein: Sie können versichert sein, ich wäre der Allererste, der Sektkorken knallen lassen würde, wenn diese Menschen nach Hause könnten. Der Großteil der Syrerinnen und Syrer würde mit wehenden Fahnen nach Syrien zurückkehren, um ihre Heimat wiederaufzubauen.
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Und wir würden hier stehen und ernsthaft über Unterstützung bei der Rückkehr debattieren.
Aber noch ist es ganz und gar nicht so weit. Und selbst wenn sich Russlands Präsident Putin und der syrische Machthaber gestern hingestellt und verkündet haben, eine politische Lösung in Syrien sei nahe, dann hören wir eine solche Nachricht mit sehr viel Skepsis. Denn sie wird von Autokraten verbreitet. Dass die AfD denen gerne Glauben schenkt, wundert mich nicht. Sie ist aus dem gleichem Holz geschnitzt.
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Aber wir von der SPD haben Ansprüche an demokratische Werte und schützen die Menschen vor gewalttätigen Regimen. Und das Assad-Regime ist ein gewalttätiges Regime. Dass der „Islamische Staat“ zurückgedrängt wurde, ist ein Fortschritt, aber überhaupt nicht ausschlaggebend; denn in Syrien tobt immer noch ein Bürgerkrieg. Das heißt, ein Regime geht mit aller Brutalität gegen seine Bürger vor. Hier ein paar traurige Beispiele dafür, was sich im Alltag in Syrien abspielt: Vor neun Tagen sind bei Luftangriffen auf einen Markt im syrischen Atareb mindestens 61 Menschen getötet worden, darunter auch Kinder. Der Ort gilt eigentlich als Deeskalationszone. Nicht einmal dort sind die Menschen mehr sicher. Bis heute ist nicht klar, ob es Kampfjets der syrischen Regierung waren oder die ihres größten Unterstützers Russland.
Im Oktober, also vor einem Monat, starben in einem Vorort von Damaskus zehn Menschen, darunter fünf Kinder, bei einem Granatenangriff syrischer Regierungstruppen. Ebenfalls im Oktober hat die Weltgesundheitsorganisation Angriffe auf Krankenhäuser und Nothelfer in Idlib und Hama verurteilt; ganz abgesehen von Orten in Syrien, in denen die humanitäre Lage so katastrophal ist, dass es dort wieder Hungertote gibt. Das ist also das friedliche Syrien, in das Sie Männer, Frauen und Kinder zurückschicken möchten?
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Ich könnte diese Aufzählung fortsetzen. Doch lassen Sie uns speziell bei der Sicherheit bleiben, die die AfD den Rückkehrern gewährleisten will. Seien Sie gewiss: Die Rachegelüste des Regimes gegen seine Gegner sind ungestillt. In einem Interview mit dem syrischen Staatsfernsehen drohte der mittlerweile getötete General der syrischen Regierungstruppen, Issam Zahreddine, den Millionen aus Syrien geflüchteten Menschen: Auch wenn der Staat ihnen vergebe, wir – gemeint sind die Republikanischen Garden, die Speerspitze der syrischen Armee – tun es nicht.
Und jetzt stellt die AfD sich hin und behauptet, die Syrerinnen und Syrer könnten ja zurückkehren. Als Beleg dafür führt sie die Zahl der Internationalen Organisation für Migration an: 600 000 Syrerinnen und Syrer seien ja bereits zurückgekehrt. Immerhin: Das ist tatsächlich eine Zahl, die von der IOM stammt. Doch was steckt wirklich dahinter? 600 000 sind nur 5 Prozent der 12 Millionen geflüchteten Syrerinnen und Syrer, die sich weltweit auf der Suche nach Sicherheit befinden. Die wenigen Rückkehrer sind zum allergrößten Teil Flüchtlinge innerhalb Syriens. Ein kleiner Rest kommt aus den Nachbarstaaten, die bereits unter den Millionen Flüchtlingen ächzen, die sie aufgenommen haben.
Im Bericht der IOM heißt es weiter – und das ist zentral –: Die Rückkehr der Syrerinnen und Syrer ist oft spontan, nicht unbedingt freiwillig, nicht sicher und nicht nachhaltig. Viele der Rückkehrer mussten danach erneut fliehen.
Was sagen uns also diese Zahlen? Dass Syrien sicher ist? Im Gegenteil. Sie hätten den Bericht vollständig lesen und sich nicht nur die Fakten heraussuchen sollen, die Ihnen in Ihre Ideologie passen.
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Dann hätten Sie gelesen, dass sich im gleichen Zeitraum erneut 810 000 Menschen auf die Flucht vor Krieg und Terror begeben haben, viele zum zweiten oder dritten Mal. Die Menschen, die zurückkehren – erschöpft und entwürdigt –, wollen schlicht nach Hause. Sie haben den Wunsch, heimzukehren und ihre Häuser wieder aufzubauen, auch wenn sie unter Umständen ihr Leben dabei riskieren. Aus diesem persönlichen Leidensdruck leiten Sie, Damen und Herren von der AfD, ab, Syrien sei sicher. Man könne nun mit dem syrischen Machthaber Assad, der Tausende in Folterkellern untergebracht hat, menschenfreundliche Schutzabkommen schließen. – Das ist an Zynismus schwer zu überbieten.
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Worum es Ihnen bei dem Antrag eigentlich geht, ist doch dies: Sie wollen diese Menschen schlicht loswerden, egal ob sie ihre Rückkehr überleben oder nicht.
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Sie kleiden dieses menschenverachtende Ziel in ein humanitäres Gewand, nach dem Motto „Wir fordern eine sichere und kostenfreie Rückkehr“.
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Sie wissen ganz genau, dass dies nicht möglich ist. Sie sollten sich eigentlich schämen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind eine Gesellschaft, die als Wertegemeinschaft angelegt ist. Und ja, manchmal ist es schwer, dem gerecht zu werden. Aber wir dürfen als Gesellschaft unsere ethischen und moralischen Ansprüche nicht aufgeben und auf ein reines Köpfezählen zurückfallen. – Was Sie von der AfD verkennen: Hier geht es nicht nur um Geflüchtete und darum, wie wir mit ihnen umgehen. Es geht auch um die Glaubwürdigkeit unserer Gesellschaft.
({12})
Meine Damen und Herren, die Sicherheitslage in Syrien lässt derzeit keine Verhandlungen der Bundesregierung mit dem syrischen Assad-Regime über ein Rückkehrabkommen zu. Natürlich werden das Parlament und die Bundesregierung so schnell wie möglich handeln, sobald es die Voraussetzungen glaubwürdig zulassen. Um das festzustellen, brauchen wir nicht die AfD. Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Für die FDP-Fraktion hat Stephan Thomae das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Beim vorhergehenden Tagesordnungspunkt haben wir uns mit der Frage befasst, wie wir qualifizierte Zuwanderer ins Land holen wollen. Ich wiederhole – sozusagen vor der Klammer –, dass es ein wichtiger Punkt ist, Regeln dafür zu schaffen, wie Menschen zuwandern können, wie sie ins Land kommen können: Asyl für persönlich Verfolgte, humanitärer Schutz für Kriegsflüchtlinge und Einwanderung qualifizierter Fachkräfte.
Mich stört nicht, dass wir uns – neben diesen drei Türen, die ins Land führen – auch mal mit der Frage befassen, welche Tür für Menschen, die vielleicht nicht auf Dauer im Land bleiben können, wieder hinausführen muss.
({0})
Grundsätzlich ist auch das eine Frage, mit der wir uns befassen müssen. Was mich an Ihrem Antrag stört, sind drei Dinge, die ihn rettungslos vergiften, nämlich selektive Wahrnehmung der Realität, Zynismus und Heuchelei.
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Von all dem findet sich in diesem vergifteten Antrag reichlich.
Erstens: selektive Wahrnehmung der Realität. Sie schreiben, dass sich die Sicherheitslage in Syrien substanziell verbessert habe – was immer das genau heißen möge –, dass Kampfhandlungen und sicherheitsrelevante Störungen nur noch in einigen Teilen des Landes stattfänden.
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Meine Damen und Herren, Guido Steinberg hat heute im „Morgenmagazin“ deutlich gemacht, dass der Krieg in Syrien alles andere als längst beendet ist, dass die Al-Nusra-Front, die Kurden und der IS jederzeit wieder den Krieg und die Gewalt in alle Teile des Landes zurücktragen können.
Ich werfe nur mal einen Blick auf die letzte Woche in Syrien: am Freitag, dem 17. November, ein Anschlag des IS in Deir al-Sor, im Osten Syriens, mit mindestens 20 Toten und 30 Verletzten, am 14. November ein Luftangriff auf einen Markt in Atareb, im Nordwesten Syriens – eigentlich eine Deeskalationszone des Landes –, mit 53 getöteten Zivilisten. So können wir den November weiter durchgehen, was ich jetzt aber nicht tun will. Selektive Wahrnehmung der Realität ist eines der Gifte Ihres Antrags.
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Das zweite Gift ist blanker Zynismus. Sie schreiben: Der Wiederaufbau nimmt Fahrt auf.
Der syrische Präsident forderte seine ins Ausland geflohenen Bürger … öffentlich auf, in die Heimat zurückzukehren und am Wiederaufbau teilzunehmen. Eine Amnestieregelung und sichere Unterbringung wurden von der syrischen Regierung in Aussicht gestellt.
Meine Damen und Herren, der Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen, Mark Lowcock, hat am 31. Oktober festgestellt, dass die Auswirkungen der Syrien-Krise weiterhin tiefgreifend sind. 13 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. 6,1 Millionen Binnenflüchtlinge sind in Syrien zu verzeichnen.
Eine Rückführung der bei uns befindlichen Flüchtlinge nach Syrien würde nicht etwa den Wiederaufbau eines befriedenden Landes erleichtern, sondern die humanitäre Binnenkrise des zerfurchten Landes verstärken.
({4})
Deswegen können wir mit einem Regime, das selbst Menschenrechtsverletzungen begeht – Kollege Dr. Harbarth hat es eben erläutert, 4. April Giftgasangriff auf Chan Schaichun mit 87 Toten –, kein Rückführungsabkommen, keine völkerrechtlichen Verträge auf rechtsstaatlicher Basis abschließen.
({5})
Das dritte Gift ist Heuchelei. Sie schreiben, dass sichergestellt werden solle, dass die
… Rückkehrer unbeschadet wieder nach Syrien einreisen können und in die Gebiete aufgenommen werden, die befriedet sind; …
Sie wollen, dass die „humanitäre Versorgung sichergestellt ist“. Natürlich müssen Kriegsflüchtlinge irgendwann in ihre Heimat zurück – wenn der Krieg vorbei ist. So steht es auch in der Genfer Flüchtlingskonvention.
Die FDP war immer auch eine Partei der Humanität und der Menschenrechte.
({6})
Deswegen sind wir der Meinung, dass eine genaue Abwägung erforderlich ist, wann eine Rückführung möglich ist. Sie hingegen wollen die Menschen in den Kugelhagel zurückschicken
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und packen ihnen in geheuchelter Fürsorge einen warmen Schal mit ein.
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Das Wort hat Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben es hier in der Tat mit einem Schaufensterantrag der AfD zu tun. In Syrien wird nach wie vor gekämpft, Syrien liegt in Trümmern. Deswegen ist es peinlich, wenn Sie die Regierung auffordern, ein Rückreiseabkommen abzuschließen. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass Sie vom derzeitigen Machthaber eine Garantie bekommen, dass Menschen dort, egal wo, unbeschadet leben können.
({0})
Entschuldigen Sie bitte, aber Die Linke nimmt Ihnen Ihre Sorge um freiwillig zurückgeführte Flüchtlinge nicht ab. Eines ist ganz klar: Ihr eigentliches Ziel ist es, Flüchtlinge in Deutschland zu verunsichern, und vor allen Dingen, sie schnellstmöglich loszuwerden. Die Linke wird bei solchen Vorführanträgen nicht mitmachen. Sie können uns nicht täuschen.
({1})
Meine Damen und Herren, Sie haben aus dem Bericht der Internationalen Organisation für Migration, IOM, einfach die Zahl 600 000 herausgegriffen und behaupten, 600 000 Flüchtlinge seien zurückgekehrt. Damit wird suggeriert, die Flüchtlinge seien aus dem Ausland zurückgekehrt, aber tatsächlich sind es Binnenflüchtlinge gewesen.
({2})
Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass in Syrien weitere 6 Millionen Menschen innerhalb des Landes geflüchtet sind. 41 Prozent der Flüchtlinge, die zurückgekehrt sind, haben weder Trinkwasser noch Wohnraum noch Energie. Die Lage im Land ist katastrophal. Auch der UNHCR sagt ganz klar: Die Voraussetzungen für eine Rückkehr sind überhaupt noch nicht gegeben.
Die AfD hätte die IOM-Studie weiterlesen sollen; denn aus ihr geht hervor, dass allein im ersten Halbjahr 2017 800 000 Menschen innerhalb des Landes durch den Krieg vertrieben worden sind. Dort herrscht leider immer noch kein Frieden. Im Gegenteil: Nach dem weitgehenden Sieg über den sogenannten „Islamischen Staat“ zeichnen sich mit Blick auf die zukünftige Machtverteilung zwischen den Bürgerkriegsparteien bereits neue Konflikte ab. Dazu gehören natürlich auch die ausländischen Unterstützer. Die Türkei steht kurz vor dem Einmarsch in den kurdischen Kanton Afrin. Zudem droht im Nachbarland Krieg, im Libanon; wir haben das in der Debatte vorhin gehört. Im Libanon sind 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge. Wo sollen die hin?
Programme zur Rückkehr in dieses Pulverfass sind aus Sicht der Linken völlig indiskutabel. So etwas lehnen wir vollständig ab.
({3})
Jeder, der sich zumindest noch einen Funken Humanität und Verstand bewahrt hat, muss doch sagen, dass es in dieser Situation um ganz andere Fragen geht, dass es nicht um Fragen der Rückführung geht, sondern vor allen Dingen um Fragen der Integration in diesem Land, in Deutschland.
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Dazu gehört für uns auch der Familiennachzug. Denn wie sollen sich Geflüchtete hier integrieren, wenn sie ständig daran denken müssen, dass ihre Angehörigen im Krieg sind?
({5})
Der christlichen Union, die die Familienzusammenführung immer wieder verhindert und sich damit bei der rechten Seite dieses Hauses anbiedert,
({6})
sage ich: Kommen Sie dieser grundlegenden Forderung des Grundgesetzes nach.
Statt bloßer Lippenbekenntnisse brauchen wir endlich die Bekämpfung von Fluchtursachen. Mit Blick auf den Mittleren/Nahen Osten muss man einfach sehen, dass die Regierung nach wie vor den Despoten Erdogan unterstützt, aber auch – darüber wurde heute auch schon diskutiert – Saudi-Arabien weiterhin mit Waffen beliefert und somit verantwortlich ist für die Fluchtursachen in dieser Region. In Syrien gibt es viele Gebiete, unter anderem in Nordsyrien, Rojava, wo Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen. Ich denke, jetzt geht es darum, vor Ort Hilfe zu leisten.
({7})
Wir brauchen nicht so abscheuliche, zynische Programme wie das, welches die AfD hier einbringt und zur Diskussion stellt.
({8})
Das Wort hat Luise Amtsberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muss schon sagen: Mit dem Wissen um das Leid der Zivilisten in Syrien tut es wirklich weh, sich mit so einem Antrag heute hier befassen zu müssen.
({0})
Der AfD geht es einzig und allein um einen Punkt: weniger Geflüchtete in Deutschland, egal zu welchem Preis. – Das können Sie natürlich fordern, aber dann hören Sie auf, so zu tun, als würde Ihr Antrag in irgendeiner Form einen Beitrag zur Friedens- und Außenpolitik der Bundesrepublik leisten; denn das glaubt Ihnen hier im Haus niemand.
({1})
Sie sprechen von der Zurückdrängung des IS, verlieren in Ihrem Antrag aber kein Wort über die Verantwortung des syrischen Machthabers Assad. Dabei mussten die meisten Menschen doch vor seinen Fassbomben, dem Giftgas, den Belagerungen und den massenhaften Tötungen fliehen. Und was schlagen Sie vor? Ein Abkommen mit genau diesem Regime, das sich wegen zahlreicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit international verantworten müsste.
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Ich glaube, man kann das kurz und knackig zusammenfassen: Mit diesem Antrag, meine Damen und Herren, geriert die AfD zum Pressesprecher von Assad hier in diesem Hause und ignoriert völlig bewusst die Verantwortung Russlands in diesem Krieg.
({3})
– Ja, das können Sie sich gerne anhören.
Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte sagt, dass der September dieses Jahres einer der blutigsten Monate seit Beginn der Konflikte war. Das UN-Kinderhilfswerk appelliert an uns, an die internationale Gemeinschaft, warnt vor einer humanitären Katastrophe für Hunderttausende schutzsuchende Kinder, die durch Belagerungen, wie derzeit zum Beispiel in Ost-Ghouta, ausgehungert, durch Bombardierungen verletzt, ohne humanitäre und ärztliche Hilfe in zertrümmerten Dörfern und Städten dem nächsten kalten Winter entgegengehen. Kein Wort findet sich dazu in Ihrem Antrag. Kein Wort!
({4})
Sie berufen sich auf Zahlen der IOM und sprechen von über 600 000 freiwillig zurückgekehrten Menschen. Sie sparen bewusst aus, dass es sich dabei zu über 90 Prozent um Menschen handelt, die innerhalb Syriens vertrieben wurden. Ihnen ist nicht einmal in den Sinn gekommen, dass sie vielleicht auch deshalb zurückkehren, weil in dem Gebiet, in das sie geflohen sind, ebenfalls Kampfhandlungen ausgebrochen sind, weil sie kein Obdach haben oder keine Versorgung vorfinden. Die Verzweiflung dieser Menschen als Argument für eine großangelegte deutsche Rückführungspolitik zu nehmen, ist schäbig.
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Was Sie auch nicht erwähnen, sind die Zahlen der Vereinten Nationen, die allein in diesem Jahr schon von über 1,8 Millionen neu vertriebenen Menschen sprechen. Ich kann nur sagen: Sprechen Sie auch einmal mit den Organisationen, die Sie in Ihrem Antrag so freimütig zitieren. Die IOM beteiligt sich nämlich nicht an Rückführungen nach Syrien, weil die Sicherheitslage dies nicht hergibt.
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Meine Fraktion fordert von allen Akteuren in Syrien, dass sie den humanitären Zugang zu allen, die ihn brauchen, gewähren. Wir fordern die massive Unterstützung der Nachbarstaaten. Uns ist völlig klar: Für Syrien braucht es eine politische Lösung, und für einen dauerhaften Frieden braucht es einen Prozess der nationalen Aussöhnung; denn Gräueltaten wurden auf allen Seiten begangen.
Bis dahin kann ich für meine Fraktion nur sagen: Wir hören mit Blick auf die Lebensrealitäten der syrischen Geflüchteten hier in Deutschland genau hin. Es ist doch so: Kinder wurden hier geboren und eingeschult, Deutschkurse wurden besucht, Arbeit wurde aufgenommen, und Freundschaften wurden geschlossen.
({7})
– Ja, das ist spannend. – Was wir nicht gebrauchen können, ist eine Politik der Verunsicherung. Was wir brauchen, sind aktive Maßnahmen zur Unterstützung der syrischen Geflüchteten in diesem Land, wenn immer noch Defizite bestehen. Dafür steht meine Fraktion bedingungslos.
({8})
– Das hören Sie nicht gerne, aber daran werden Sie sich gewöhnen müssen.
({9})
Das betrifft auch den Familiennachzug.
({10})
Das hören Sie von mir und meiner Fraktion nicht zum ersten Mal. Aber das ist genau das, was Schutzsuchende in diesem Land und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer gerade wirklich bewegt.
Kurzum: Dieser undurchsichtige Antrag der AfD ist an vielen Stellen schlecht recherchiert – im Übrigen gibt es bereits ein Rücknahmeabkommen, das derzeit auf Eis liegt; aber das können Sie vielleicht noch nicht wissen –,
({11})
und es fehlt ihm schlichtweg an Verantwortung und Herz. Deswegen – nicht nur, aber auch deswegen – lehnen wir ihn mit jeder Silbe ab.
Herzlichen Dank.
({12})
Ich habe Ihre Meldung gesehen, kann die Frage aber nicht mehr zulassen. Das hat schlichtweg damit zu tun, dass die Kollegin Amtsberg ihre Redezeit ausgeschöpft hat.
({0})
Es tut mir leid. Melden Sie sich beim nächsten Mal einfach etwas früher. Wir wissen ja, wie viel Redezeit die einzelnen Fraktionen haben.
({1})
– Ja, es war aber zu spät, Kollegin Amtsberg.
({2})
Das Wort hat Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion.
({3})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wir debattieren heute den ersten innenpolitischen Antrag der FDP-Fraktion.
({0})
– Der AfD-Fraktion, Entschuldigung.
({1})
In einer derartigen Premiere steckt eine große Chance. Die Aufmerksamkeit ist groß, und Sie könnten unter Beweis stellen, dass Ihnen tatsächlich an einer ernsthaften alternativen Lösung politischer Problemstellungen gelegen ist. Ich kann Ihnen nur zurufen: Mit diesem Antrag haben Sie diese Chance kläglich vertan.
({2})
Der Antrag ist populistisch, weltfremd, abwegig und – das sage ich ganz deutlich – auch zynisch.
({3})
Mit welchem Vertragspartner in Syrien wollen Sie tatsächlich ein Rückführungsabkommen abschließen? Mit Baschar al-Assad? Herr Dr. Baumann, Sie selbst haben ihn als Diktator bezeichnet. An den Händen von Baschar al-Assad klebt das Blut Hunderttausender von Menschen.
({4})
Nach wie vor tobt in Syrien die aus meiner Sicht größte humanitäre Katastrophe auf unserem Globus. Über die Hälfte der Syrer ist auf der Flucht oder vertrieben. Viele von ihnen sind aus dem Land geflohen. Nach wie vor kämpfen täglich Milizen, Terrormilizen, Rebellen, Oppositionelle und die Freie Syrische Armee mit dem Assad-Regime. Ich sage hier ganz deutlich: Es ist vollkommen abwegig, zum jetzigen Zeitpunkt Rückführungen nach Syrien durchzuführen.
({5})
Wenn man in Ihrem Antrag liest, dass Sie davon ausgehen, ein Vertragspartner auf syrischer Seite könne glaubhaft versichern, dass die zurückgeführten Personen in sichere Gebiete gebracht, mit dem Nötigsten versorgt, nicht gefoltert und nicht verfolgt werden, dann kann man nur sagen: Das ist Sarkasmus pur.
Kollege Mayer, Entschuldigung. Ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung von Herrn Kleinwächter?
Selbstverständlich, sehr gerne.
Ich habe eine Frage an Sie, Herr Mayer, und das wäre auch meine Frage an Frau Amtsberg gewesen. – Sie haben jetzt den Begriff „Rückführung“ verwendet. „Rückführung“ entspricht ja „Abschiebung“. Ich weiß nicht, ob Sie die Formulierungen in dem AfD-Antrag richtig gelesen oder verstanden haben. Darin geht es um ein Abkommen zur Förderung der Rückkehr von syrischen Flüchtlingen, die hierhergekommen sind. Ich glaube, das ändert Ihre Argumentation schon erheblich.
Haben Sie den Unterschied zwischen diesem Rückkehrabkommen und einer Rückführung, mit der Sie argumentieren, tatsächlich inhaltlich erfasst?
({0})
Herr Kollege, ich habe Ihren Antrag sehr intensiv gelesen und mit großem Schaudern zur Kenntnis genommen. Wie ich argumentiere, müssen Sie schon mir überlassen.
({0})
Ich kann Ihnen nur deutlich sagen: Seien es zwangsweise Abschiebungen, sei es die Förderung der freiwilligen Rückkehr nach Syrien: Dies ist derzeit völlig abwegig und weltfremd.
({1})
Im gleichen Zeitraum, nämlich in den ersten sieben Monaten dieses Jahres, in dem – das haben Sie geflissentlich übergangen – mehr als 600 000 Syrer freiwillig zurückgekehrt sind, sind 800 000 Syrer wiederum vertrieben worden. Von diesen über 600 000 Personen, die freiwillig in ihr Land oder innerhalb des Landes in ihr Heimatdorf zurückgekehrt sind, sind im Anschluss 10 Prozent sofort wieder vertrieben worden. 40 Prozent davon haben keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung und zur Wasserversorgung.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die CDU/CSU-Fraktion benötigt hier keine Nachhilfe. Wir haben natürlich eine klare Auffassung dahin gehend, dass der Flüchtlingsstatus nur so lange anerkannt wird, solange der Fluchtgrund tatsächlich auch gegeben ist.
Natürlich ist es richtig, dass in regelmäßigen Abständen überprüft wird, ob der Fluchtgrund tatsächlich noch vorherrscht, und ich bin dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dankbar, dass es diese Überprüfung sogar vor Ablauf der gesetzlichen Fristen regelmäßig vornimmt. Die Widerrufsprüfungen werden deutlich intensiviert.
Ich bitte aber auch, zur Kenntnis zu nehmen, dass das europäische Recht klare Vorgaben macht, wenn es um die Feststellung geht, ob sich die tatsächlichen Umstände geändert haben.
Es gibt einen weiteren Frage- oder Bemerkungswunsch aus der AfD-Fraktion. Lassen Sie das zu?
Gerne, ja.
Bitte.
Herr Mayer, befürworten Sie Integrationsmaßnahmen für Flüchtlinge, die nach Ihrer Aussage ja nur temporär aufgenommen werden sollen?
({0})
Herr Kollege Maier, ich danke Ihnen ganz herzlich für die Frage, da sie mir die Möglichkeit gibt, auch noch sehr ausführlich auf das Thema Integration einzugehen.
({0})
Mir kommt es hier nämlich wirklich auch in entscheidender Weise darauf an, dass wir deutlich differenzieren.
Der Teil der syrischen Migranten, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention als Flüchtlinge anerkannt sind, sind in unser Land zu integrieren.
({1})
Hierfür wird auch sehr viel unternommen; das sage ich ganz deutlich. Allein der Bund gibt in diesem Jahr über 600 Millionen Euro aus, um Integration vor Ort durchzuführen.
({2})
Wir sind darauf angewiesen, dass wir den Menschen, die ein Recht auf dauerhaftes Bleiben haben, auch die notwendigen Integrationsmaßnahmen zur Seite stellen.
({3})
– Ich bitte Sie, sich die Antwort bis zum Ende anzuhören und noch stehen zu bleiben, weil ich jetzt nämlich zur Differenzierung komme.
Bei den Personen, die keinen Flüchtlingsstatus haben und nur kurzfristig als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt sind, muss man mit Sicherheit differenziert an die Frage herangehen, ob Integrationsmaßnahmen durchgeführt werden sollen und, wenn ja, welche Integrationsmaßnahmen angebracht sind.
({4})
Ich fordere also zu einer starken Differenzierung auf – gerade auch bei der Frage, für welchen Personenkreis welche Integrationsmaßnahmen der richtige Ansatz sind.
Sie gehen hier aber so vor, dass Sie pauschal populistisch insinuieren, dass die Rückkehr nach Syrien mittlerweile gefahrlos möglich ist. Das halte ich für völlig abwegig.
({5})
Bevor die Frage gestellt wurde, habe ich noch einmal auf das europäische Recht abgehoben. Bei dieser Überprüfung, ob der Fluchtgrund tatsächlich noch vorhanden ist, ist zu evaluieren, ob sich die Umstände dauerhaft und erheblich geändert haben. Eine vorübergehende Änderung der Tatsachen rechtfertigt noch nicht den Widerruf des Flüchtlingsstatus. Deshalb ist es sehr wohl notwendig, dass wir noch eine gehörige Zeit abwarten, um feststellen zu können, ob sich die Sicherheitslage in Syrien tatsächlich nachhaltig, dauerhaft, verlässlich geändert hat. Heute ist mir das bei weitem noch viel zu unsicher und viel zu fragil. Deswegen kann ich für die CDU/CSU-Fraktion nur sagen: Diesem populistischen und völlig weltfremden Antrag der AfD-Fraktion ist eine klare und eindeutige Ablehnung zu erteilen.
({6})
Das Wort hat Dr. Johann Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der erste innenpolitische Antrag der AfD-Fraktion, wie der Kollege Mayer gesagt hat, mit aber nicht unerheblichen außenpolitischen Implikationen ist ein Antrag, in dem uns Verhandlungen mit einem Massenmörder vorgeschlagen werden.
Der syrische Bürgerkrieg dauert an, und ich weiß gar nicht, warum Sie eigentlich ständig über den Umstand, dass jeden Tag in diesem geschundenen Land unschuldige Menschen hungern, gefoltert werden und sterben, ständig höhnisch lachen. Das ist schlicht und ergreifend unverständlich.
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Es gibt insgesamt 400 000 Tote. 212 000 und damit mehr als die Hälfte davon sind Zivilisten. 190 000 Menschen in etwa – die Summe ist schwer zu begreifen – sind durch Angriffe von Assads Truppen und seinen Verbündeten ums Leben gekommen. 13 000 Syrer sind in Gefängnissen zu Tode gefoltert worden. Es gibt ernstzunehmende Berichte – das muss man auch im Deutschen Bundestag sagen –, dass es, um das zu verwischen, um Spuren zu vernichten, dort Krematorien gibt. Ich will mir darüber jetzt kein weiteres Urteil erlauben, aber an dieser Stelle zwischen Rückführungen und Rückkehr zu unterscheiden, ist mehr als ein semantisches Wortspiel.
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Es ist schlicht mit den Grundsätzen der Humanität nicht verantwortbar, einen einzigen Menschen in dieses Land zurückkehren zu lassen.
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Kollege Wadephul, Entschuldigung.
Ich würde das gern zu Ende führen, weil die Debatte aus meiner Sicht durch die Fragen aus der AfD-Fraktion nicht an Qualität gewonnen hat. Aber das ist meine Beurteilung.
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An dieser Stelle in dem Antrag den Eindruck zu erwecken, man könnte in irgendeiner Form die Sicherheit später gewährleisten, irgendein deutscher Legationsrat würde dann schon aufpassen, dass Assads Geheimpolizei nicht wieder zuschlägt – es gibt in Syrien einen multiethischen Konflikt, der in der Tat von ethnischen Säuberungen durch das Assad-Regime begleitet wird; es geht ja nicht um eine Front; der Kollege Dr. Harbarth hat darauf hingewiesen –, und wir könnten das auch nur im Ansatz in einem Abkommen fixieren und auch überprüfen, ist entweder grenzenlos naiv oder bodenlos menschenverachtend.
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Im Übrigen ist Assad der Hauptverantwortliche für den Bürgerkrieg. Die Haltung der Bundesregierung ist eindeutig, und sie steht auch im Einklang mit allen europäischen Partnern und den Vereinten Nationen. Wir wollen einen politischen Übergang gemäß der UN-Sicherheitsresolution 2254 und des Genfer Kommuniqués von 2012 erreichen. Eine stabile Lösung wird es in Syrien nur dann geben, wenn es einen Aussöhnungsprozess bzw. einen demokratischen Prozess gibt. Dieser kann selbstverständlich nicht mit diesem Massenmörder an der Spitze eines freien und unabhängigen, hoffentlich geeinten und irgendwann wieder friedlichen Syriens gelingen.
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Deswegen setzt sich die deutsche Bundesregierung – das war bisher auch bei allen außenpolitischen Unterschieden, die wir natürlich hatten und auch haben werden, Konsens in diesem Hause – dafür ein, dass wir in den internationalen Gremien, das heißt im Rahmen der Vereinten Nationen, zu einer Friedenslösung in Syrien kommen. Das ist das Einzige, was verantwortbar ist. Wir brauchen eine inklusive, demokratisch gewählte syrische Übergangsregierung. Mit ihr dann Abkommen zu schließen, wird im vornehmsten deutschen Interesse sein. Alles andere vorher ist schlicht unverantwortlich.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wurde die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/48 an den Hauptausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Unser Bildungssystem ist chronisch unterfinanziert. Genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehört zu den Alltagserfahrungen vieler Menschen. Das sorgt – wie ich finde, zu Recht – überall für Empörung.
Ich bin seit vielen Jahren Bildungspolitikerin in Sachsen-Anhalt und habe erlebt, wie Jahr für Jahr eine wunderbare Idee, nämlich die einer inklusiven Schule, schrittweise ruiniert worden ist, weil eben engagierten Pädagoginnen und Pädagogen das Geld und das notwendige Personal entzogen wurden. Wir erlebten in der Tat mitunter Kitas, Schulen und Hochschulen in einem Zustand, dass es den Hund jammert. In Halle beispielsweise müssen angehende Grundschullehrkräfte ihr Fach in einem Haus studieren, von dem ich Ihnen mit Sicherheit sagen kann, dass es im nächsten Jahr aus bautechnischen Gründen gesperrt wird.
Digitale Bildung scheitert allein am Mangel an Software und Hardware. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat in der vorvergangenen Woche von einem Sanierungsbedarf von 34 Milliarden Euro gesprochen. Ich vermute, wenn wir gute Schule sehr viel weiter verstehen als nur die Hülle drumherum, landen wir mit Sicherheit bei einem notwendigen Finanzierungsbedarf von etwa 40 bis 50 Milliarden Euro: für eine gute und moderne Bildung in Kita, in Schule und in Hochschule.
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Was gehört zu den großen Barrieren? Vieles, meine Damen und Herren. Aber zu den großen Barrieren für eine vernünftige gemeinsame Finanzierung gehört das Kooperationsverbot. Kein Mensch kann nachvollziehen, weshalb es dem Bund nicht möglich sein soll, sich an guter Bildung finanziell zu beteiligen,
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und weshalb wir in diesem Hause ständig Schleich- und Umwege suchen müssen, anstatt den direkten Weg zu gehen. Gerade wir in den neuen Ländern haben positive Erfahrungen mit dem Ganztagsschulprogramm damals von Rot-Grün gemacht; da war ja nicht alles schlecht, keine Frage.
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Diese Erfahrungen möchten wir gerne weiterhin machen.
Ich vermute, allein dieser ganzen Debatte um den Zustand unseres Bildungssystems verdanken wir es, dass wahrscheinlich mindestens die Hälfte der Bevölkerung weiß, was das Kooperationsverbot ist. Alle fragen sich, warum wir im Bund zwar die Leistungsfähigkeit feststellen dürfen, aber uns an einer Verbesserung dieser Leistungsfähigkeit nicht beteiligen können. Ehrlich gesagt, das kann man nicht nur niemandem erklären. Ich mag es auch niemandem mehr erklären.
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Ihnen liegt unser Antrag vor, weil wir finden: Wir brauchen gute Bildung und gute Schulen, und zwar für alle Kinder, gleich welcher kulturellen und sozialen Herkunft, gleich welchen Geschlechts.
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Wir brauchen inklusive Lernlandschaften statt einstürzender Schulbauten. Digitale Bildung geht nun einmal weder ohne Ressourcen noch ohne gut ausgebildete Pädagogen. Deshalb muss das Kooperationsverbot in diesem Bereich fallen. Wir brauchen eine Gemeinschaftsaufgabe „Bildung“, an der sich alle drei Ebenen beteiligen können.
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Gemessen daran, mit welcher Vehemenz diese Forderung auch von anderen Parteien zumindest im Wahlkampf vertreten wurde – von FDP, Grünen und SPD –, müsste unser Anliegen eine Zustimmung von mindestens 369 Stimmen finden.
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Ich möchte auf ein Argument etwas genauer eingehen. Es wird immer gesagt, die Länder und die Kommunen seien zuständig und hätten eigenes Geld. Abgesehen davon, dass ich es für eine Legende halte, dass die Kommunen vernünftig ausfinanziert sind, haben die Länder kein Geld und vor allem nicht die Möglichkeit, Steuergerechtigkeit herzustellen.
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Uns geht es darum, gemeinsam die notwendigen Ressourcen bereitzustellen und Bildung als Gemeinschaftsaufgabe im Grundgesetz zu verankern.
Im Moment bestehen kein Koalitionszwang und kein Sondierungszwang. Es gibt nur eine Mehrheit, die sich im Grunde einig ist. Ich freue mich sehr auf die Zustimmung zu unserem Antrag.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat Dr. Stefan Kaufmann für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode beglücken uns die Kolleginnen und Kollegen der Linken mit dem bildungspolitischen Dauerbrenner der letzten acht Jahre: der Forderung nach einer Aufhebung des sogenannten Kooperationsverbots.
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Mein Dank dafür – das wird Sie sicherlich nicht überraschen – hält sich allerdings in Grenzen, nicht nur deshalb, weil ich nach wie vor ein überzeugter Gegner eines solchen Schrittes bin, sondern weil ich auch nach Studium Ihres Antrags beim besten Willen nicht erkennen kann, warum wir das Grundgesetz an dieser Stelle ändern sollten. Sie führen einzig und allein an, dass die Länder nicht ausreichend in die Bildung investieren und der Bund noch mehr mitfinanzieren soll.
Für mich bleiben dabei zwei wesentliche Fragen offen: Erstens. An welcher Stelle sind die Länder durch die geltende Grundgesetzregelung daran gehindert, mehr in Bildung zu investieren? Zweitens. Wie soll eine wie auch immer geartete Grundgesetzänderung dafür sorgen können, dass uns insgesamt mehr für Bildung zur Verfügung steht?
Zur ersten Frage. Wo bitte hindert denn das Grundgesetz die Länder daran, Schulen zu sanieren, die Ganztagsbetreuung auszubauen, Kitaplätze zu schaffen, die Hochschulen besser auszufinanzieren, mehr in die berufliche Bildung zu investieren oder die Digitalisierung voranzutreiben? An keiner Stelle!
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Das, was angeblich verboten ist, nämlich die Kooperation, gibt es bereits heute. Sie alle wissen dies, und Sie kennen die verschiedenen milliardenschweren Programme – ich nenne sie nur beispielhaft – wie die Qualitätsoffensive Lehrerausbildung – 500 Millionen Euro –, die Bildungsketten – 550 Millionen Euro alleine vom BMBF, ohne BMAS –, „Kultur macht stark“ – 230 Millionen Euro –, das kommunale Bildungsmanagement – 170 Millionen Euro – und vor allem die zweimal 3,5 Milliarden Euro für die Bildungsinfrastruktur in finanzschwachen Kommunen. Hören Sie also bitte endlich auf mit dem Gerede vom Kooperationsverbot!
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Zur zweiten Frage. Bringt eine Grundgesetzänderung mehr Geld für Bildung? Die klare Antwort lautet: Nein. Eine Änderung des Artikels 104b Grundgesetz bringt per se keinen zusätzlichen Euro.
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Die von Ihnen beklagte Unterfinanzierung der deutschen Bildungssysteme beenden Sie mit einer Grundgesetzänderung nicht. Frau Kollegin Beer von der FDP wird mir da sicherlich zustimmen. Denn als hessische Kultusministerin sagte sie damals zu diesem Thema: „Die Argumente für eine Grundgesetzänderung bleiben aber auch bei der hundertsten Wiederholung falsch.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
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Lassen Sie uns bitte die Fakten betrachten. Fakt ist: Die Antragsteller wollen nicht etwa, wie es die Überschrift des Antrags vermuten lässt, mehr Bildungsausgaben seitens des Bundes, sondern sie wollen einzig und allein pauschal mehr Geld vom Bund für die Länder.
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Sie nennen auch gleich den Betrag, den Sie sich vorstellen, Frau Kollegin: 34 Milliarden Euro. Wozu? Um den Sanierungsstau an Deutschlands Schulen zu beenden. Ja, es ist eine Schande, wenn, wie jüngst in Berlin geschehen, Schulgebäude einstürzen, weil die Landesregierung nichts für den Erhalt der Gebäude tut.
Ja, es ist eine Schande, wenn, wie in vielen Berliner Schulen traurige Realität, Schultoiletten seit 30 Jahren nicht saniert wurden. Dafür muss aber niemand das Grundgesetz ändern. Es ist die unbedingte Pflicht einer verantwortungsbewussten Landesregierung, solche Missstände frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern. Anstatt hier also von Kooperationsverboten zu lamentieren, sollten die Damen und Herren Abgeordneten von der Linken ihren Genossen in Berlin, die hier die Verantwortung tragen, einmal ins Gewissen reden und endlich eine vernünftige Schulpolitik einfordern.
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Fakt ist weiter: Die Antragsteller behaupten – ich unterstelle: wider besseres Wissen –, die Länder seien nicht in der Lage, ausreichend Geld für Bildungsausgaben aufzubringen. Die Realität ist jedoch eine andere – Sie haben es gerade selber angedeutet –: Zwar stimmt es, dass der Bund allein im letzten Jahr 5 Milliarden Euro an Haushaltsüberschüssen erwirtschaftet hat, doch auch die Länder stehen glänzend da – da widerspreche ich Ihnen nun –: Sie konnten sich zeitgleich über Mehreinnahmen in Höhe von 9 Milliarden Euro freuen. Selbst die Kommunen erzielten im vergangenen Jahr 5,4 Milliarden Euro an Haushaltsüberschüssen.
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Kollege Kaufmann, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Bull-Bischoff?
Ja.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass im Land Berlin in den kommenden Jahren 60 Grundschulen saniert werden? Punkt eins.
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Punkt zwei. Stimmen Sie der einfachen Logik zu, dass die von der KfW-Bankengruppe bezifferten fehlenden 34 Milliarden Euro für Schulgebäudesanierungen nicht allein auf die rot-rot-grün regierten oder die rot-grün regierten Länder zu beziehen sind?
Im letzten Punkt stimme ich mit Ihnen natürlich überein. Das betrifft nicht nur rot-rot-grün oder rot-grün regierte Länder; aber der Antrag stammt nun einmal von Ihnen, und deshalb nehme ich Sie nun als Vertreterin der Länder für die Länder, in denen Ihre Partei mitregiert, in die Pflicht.
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Schön, dass Berlin 60 Schulen sanieren will; aber offensichtlich geschieht das viel zu spät. Daran geht wohl kein Weg vorbei.
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Angesichts dieser Zahlen dürfte jedem klar werden: Es braucht eigentlich gar nicht die zusätzlichen Mittel des Bundes für die Schulen im Land. Die Länder verfügen mittlerweile über ausreichende Mittel und jede Möglichkeit, dieses Geld auch in die Zukunft zu investieren. Das ist besser, als nach immer mehr Bundesmitteln zu rufen.
Mein Eindruck ist, dass die Antragsteller offenbar jegliches Maß verloren haben. 1,2 Milliarden Euro jährlich aus der BAföG-Finanzierung und die besagten zweimal 3,5 Milliarden Euro mehr im Kommunalinvestitionsförderungsfonds bezeichnen Sie in Ihrem Antrag als „Tropfen auf den heißen Stein“. Gar nicht erst erwähnt werden von Ihnen die 20,2 Milliarden Euro Hochschulpaktmittel im Zeitraum 2007 bis 2023 und die vielen anderen Programme, die ich vorher genannt habe.
Fakt ist also: Der Bund engagiert sich bereits heute in Sachen Bildung finanziell so umfassend wie nie zuvor, übrigens auch umfassender als vor 2006.
Noch einen Fakt erspare ich Ihnen ebenfalls nicht, Frau Kollegin: Der Deutsche Bundestag allein wird am Grundgesetz gar nichts ändern können; denn für eine Änderung des Grundgesetzes ist bekanntermaßen auch eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat erforderlich. Zwar berichten Sie hier stolz, dass eine Reihe von Bundesländern die vollständige Aufhebung des Kooperationsverbotes fordert, Sie verschweigen jedoch den wesentlichen Aspekt, dass nur ganze sieben Länder, also nicht einmal die Hälfte der Länder – dazu kommt, dass es eher die kleineren Länder sind –, diesen Vorstoß unterstützen wollen.
Da ich nun weiß, dass auch unsere Freunde von den Grünen – Kollege Gehring wird ja wahrscheinlich gleich sprechen – mit einer Grundgesetzänderung liebäugeln, zitiere ich zu diesem Thema gerne auch stellvertretend den Regierungschef von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann: „Zu dieser Revolution wird es nicht kommen.“
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Zumindest zu Zeiten, als Frau Beer – wieder an die Adresse der FDP gerichtet – als Ministerin in Hessen Bildungspolitik zu verantworten hatte, sah das im Übrigen auch die FDP so. Ich zitiere noch einmal, diesmal Frau Beer:
Niemand ist dagegen, dass in irgendeiner Weise kooperiert wird, nur eines ist klar: Nach dem Grundgesetz haben die Länder die Hoheit im Bereich der Schulpolitik, und dementsprechend wollen wir uns weder von anderen Ländern noch vom Bund hier hineinregieren lassen.
Lassen Sie uns also lieber nach vorne blicken und wahren, richtigen bildungspolitischen Gestaltungswillen zeigen. Führen wir nicht länger Scheindebatten über angebliche Kooperationsverbote, sondern schnüren wir ein Zukunftspaket für beste Bildung. Die Unionsparteien haben genau das vor.
Unser Grundgesetz gibt uns bereits heute ausreichend Spielraum, um in gemeinsamer Verantwortung von Bund, Ländern und Kommunen für gleichwertige Lebensverhältnisse im Bildungsbereich zu sorgen, ohne die Kultushoheit und damit auch die Eigenstaatlichkeit der Länder auszuhöhlen. Ja, wir haben eine gesamtstaatliche Verantwortung; aber – auch das möchte ich an dieser Stelle sagen – das Bundesverfassungsgericht setzt uns angesichts der Ewigkeitsgarantie in Artikel 79 Absatz 3 Grundgesetz hier sehr enge Grenzen.
Bessere Rahmenbedingungen für optimale Lehr- und Lernbedingungen wollen wir ohne eine erneute Grundgesetzänderung schaffen. Wir werden einen DigitalPakt Schule auf den Weg bringen, wir werden qualitativ hochwertige Ganztagesangebote schaffen, und wir werden – das liegt mir persönlich sehr am Herzen – endlich dafür sorgen, dass die Bildungsabschlüsse in ganz Deutschland aufgrund einheitlicher Bildungsstandards vergleichbar und gegenseitig anerkannt werden und so Schulwechsel zwischen zwei Bundesländern erleichtert werden. Das erwarten die Eltern und die Schülerinnen und Schüler zu Recht von uns. Das müssen und das werden wir gemeinsam mit den Ländern angehen.
Kollege Kaufmann, ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass ich jetzt die Rechte des Kollegen Schipanski wahrnehme.
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Um die Sanierung ihrer Schultoiletten aber müssen und sollen sich die Länder bitte weiterhin selbst kümmern.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bull-Bischoff, Sie haben so schön gesagt: Es war nicht alles schlecht, was Rot-Grün mit dem Ganztagsschulprogramm damals gemacht hat. – Ich sage Ihnen ganz direkt: Sie haben eine tolle Rede gehalten, weil Sie hier in die Debatte etwas eingeführt haben, was viele Menschen in Deutschland bewegt, nicht nur die Bundeskanzlerin, die 2008 einen hohen Ton angeschlagen hat, als sie den nationalen Bildungsgipfel ausgerufen hat und dort geradezu eingefordert hat, dass alle politischen Ebenen für die Bildungsrepublik zusammenwirken, damit wir es für die Kinder, die Jugendlichen, die Eltern und diejenigen, die die Bildung mit ganzem Herzblut organisieren, gut einrichten.
Das kann man auch konkreter machen. Man kann es konkret machen, wenn wir uns jetzt fragen: Wie schaffen wir, alle Beteiligten, die Jahrzehntsaufgabe „Gute Ganztagsschule in Deutschland“? Da reden wir nicht über 100 Millionen Euro; da reden wir über 5 bis 6 Milliarden Euro. Wie schaffen wir es, die digitale Modernisierung in den Schulen zu ermöglichen? Da ist Frau Wanka schon mit 5 Milliarden Euro – so das Versprechen – in Vorlage gegangen,
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hat aber bisher nichts geliefert. Vielleicht hat sie nichts geliefert, weil Innenpolitiker der CDU sagen: Der Artikel 91c Grundgesetz gibt gar keine Grundlage dafür, dies für eine schulische Verbesserung zu verwenden.
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Sie von der CDU/CSU sagen: Wir wollen in Deutschland die berufliche Bildung ertüchtigen, weil das sehr notwendig ist,
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und dafür wollen wir die beruflichen Schulen fördern.
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Gleichzeitig sagen Sie: Wir haben keine Kompetenz für die beruflichen Schulen;
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das ist Landesgesetzgebung.
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Herr Kollege, wenn Sie sich mal ein bisschen auf die Fakten einlassen würden! Wir haben hier über das Berufsbildungsgesetz die Kompetenz in Bezug auf die betriebliche Ausbildung, aber nicht in Bezug auf die beruflichen Schulen. Wir finden es gut, wenn Sie begriffen haben, dass man dort zusammen etwas schaffen muss.
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Aber dann stehen doch die Inhalte vorn und nicht der Gesetzesparagraf.
Wir waren froh und haben gedacht: Alle nähern sich dem, was die Menschen bewegt: gute Schule mit gleichen Chancen für alle, mit Langfristigkeit und mit Fairness in der Finanzierung – und das bei erwarteten 1 Million zusätzlichen Schülerinnen und Schülern. – Dazu, dass dort Fairness in der Finanzierung herzustellen ist, darf man vielleicht noch in Erinnerung bringen, dass aktuell die Länder über 80 Prozent von dem investieren und bezahlen, was an Schulen geleistet wird. Die Kommunen kommen dann schon als Nächstes, und dann kommt der Bund. Der Bund leistet dabei nicht nur einen Ausgleich, nicht nur eine Unterstützung bei großen Projekten; er ist manchmal auch stimulierend tätig. Das, was wir zum Beispiel mit dem Bund-Länder-Programm für die Förderung der Hochbegabten angestoßen haben, ist nicht falsch gewesen, aber es geschah eigentlich im luftleeren Raum.
Das, was wir jetzt mit Ihrem Anstoß zusammen schaffen müssen, ist, dass der Impuls aus dem Bundesrat, der Impuls von immer mehr Ländern, die dies auch kooperativ einbringen wollen, aufgenommen wird. Dafür werben wir. Wir werben so dafür, wie wir es schon in anderer Situation getan haben. Wir haben nach 2006 die Hochschulpakte ermöglicht. Wir haben 2008, in der Katastrophensituation mit Lehman Brothers, Konjunkturprogramme für Schulen möglich gemacht. Wir haben 2014 erstmals in der Geschichte des Grundgesetzes die Lehre durch den Bund förderfähig gemacht. Wir haben 2017 die finanzschwachen Kommunen als förderfähig erkannt. Wir sagen: In dieser langen Geschichte braucht es jetzt einen Befreiungsschlag. Da, wo es um große Aufgaben geht, muss es auch große Kooperationen – um nicht zu sagen: große Koalitionen – geben. Unsere Schlussbitte lautet: Lassen Sie Vernunft wachsen!
Danke schön.
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Dr. Götz Frömming aus der AfD-Fraktion hat das Wort zu seiner ersten Rede.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Bull-Bischoff, in Ihrer Rede war viel von Geld die Rede.
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– Doch, Sie haben ziemlich hohe Milliardenbeträge hier genannt, Geld, das auch erst einmal verdient und erarbeitet werden muss und das hier nun ausgegeben werden soll.
Ich glaube aber, meine Damen und Herren, es geht bei diesem Thema auch noch um etwas anderes. Die föderale Struktur unseres Staates genießt seit 1949 einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Sie manifestiert sich nicht zuletzt auch im Bildungswesen. Dass Bildung im Wesentlichen Ländersache ist, galt darüber hinaus übrigens schon in der Weimarer Republik und selbst im Kaiserreich.
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Lediglich in der Zeit der beiden deutschen Diktaturen, zur Zeit der Nazidiktatur und zur Zeit der Diktatur der SED, haben wir ein zentralistisches Bildungswesen in Deutschland gehabt.
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Die Linke, meine Damen und Herren, plädiert mit dem vorliegenden Antrag für mehr Zentralismus. Dieses Ziel soll uns mit allerlei populistischem Wortgeklingel schmackhaft gemacht werden. Bei jedem, dem unsere Verfassung nicht gleichgültig und die Zukunft unserer Kinder wichtig ist, sollten aber dennoch oder gerade deswegen die Alarmglocken klingen.
Zur Vorgeschichte: Um die teilweise verworrenen Abhängigkeiten zwischen Bund und Ländern im Bereich von Bildung und Forschung zu entflechten, hat der Bundestag 2006 – übrigens mit großer Mehrheit, auch die SPD hat dem zugestimmt – eine Föderalismusreform beschlossen. Dabei wurde die grundsätzliche Zuständigkeit der Länder für Bildung und Forschung sogar noch bekräftigt. Für den Bereich der Hochschulen und der Forschung wurde einige Jahre später mit der Änderung des Artikel 91 Grundgesetz, die 2015 in Kraft trat, eine Kooperation von Bund und Ländern erleichtert. Die Zuständigkeit für die Schulen blieb aber in der Hand der Länder; und das war auch gut so. Diesen Zustand, der in Wahrheit eben nicht erst seit 2006 so oder ähnlich besteht, mit dem politischen Kampfbegriff „Kooperationsverbot“ zu betiteln, ist geschickt, wird aber der Sache nicht gerecht.
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Der Begriff taucht übrigens im Gesetz gar nicht auf.
In der Sache geht es Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen zur Linken, ja darum, auch für den Bereich der Schulen dem Bund zu mehr Einfluss und Geltungsmöglichkeiten zu verhelfen. Als ob allein dadurch die Bildung schon besser würde.
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Gerade im Bereich der Bildung brauchen wir Freiheit und Wettbewerb statt Leistungsabsenkung und Gleichmacherei.
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Auch wenn es zunächst sinnvoll erscheinen mag, dass der vermeintlich reichere Bund mehr Mittel für die Schulen zur Verfügung stellen sollte, ist der Antrag in dieser Form ein vergiftetes Geschenk; denn die Linke will den Ländern ja nicht einfach nur mehr Geld geben, nein, sie will sie an den schwarz-rot-goldenen Zügel legen. Dem, meine Damen und Herren, können wir nicht zustimmen.
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Der ideologische Charakter des Antrags wird deutlich, wenn man sich anschaut, welche Vorhaben mit Bundesmitteln finanziert werden sollen, zum Beispiel die vielgelobte Ganztagsschule. Nachweislich lassen sich durch Ganztagsschulen keine besseren Bildungsergebnisse erzielen.
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Dies können Sie gerne in der großen, vom Bildungsministerium selbst geförderten Studie zu den bestehenden Ganztagsschulen nachlesen. Dort steht das alles schwarz auf weiß.
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Es waren renommierte Institute daran beteiligt. Interessanterweise hat übrigens das Bundesland mit den wenigsten Ganztagsschulen die besten Bildungsergebnisse, nämlich Bayern.
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Schulen, meine Damen und Herren, dürfen nach Auffassung der Alternative für Deutschland kein Ort für soziale Experimente oder für die Durchsetzung von Gesellschaftsutopien sein.
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In ihnen, füge ich hinzu, sollten allein die Vermittlung von Bildung und Wissen im Mittelpunkt stehen. Nicht Marx oder Honecker – Margot meine ich hier – dürfen in Bildungsfragen der heimliche Fixstern sein, sondern Humboldt und Goethe.
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Wenn es dem Bund tatsächlich nur darum geht, die Länder allgemein bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Bereich der Bildung zu unterstützen, sollten wir auf die ideologische Selektion bestimmter Projekte verzichten und über eine allgemeine Förderung bzw. Entlastung finanzschwacher Länder nachdenken – ich komme gleich zum Ende –, sodass über die konkrete Verwendung der Mittel in den Ländern selbst entschieden wird. Eine solche Vorgehensweise entspräche eher dem Subsidiaritätsprinzip und ist auch demokratischer, da die Bürger eines Landes dann auch die Bildungspolitik bekommen, die sie selbst gewählt haben. Die AfD-Fraktion lehnt den Antrag der Linken ab.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort zu ihrer ersten Rede hat die Kollegin Katja Suding für die FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bildung ist die soziale Frage in unserer Zeit. Für uns ist klar: Nicht ein Aufblähen unseres Sozialstaates, sondern gute Schulen und Hochschulen sind die beste Sozialpolitik für unser Land. Zukunftschancen für unsere Kinder und für unser Land entstehen im Klassenzimmer.
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Doch leider wird in Deutschland der Bildungserfolg immer noch sehr stark von der Herkunft bestimmt. Es darf aber keinen Unterschied machen, ob ein Kind aus einem Elternhaus mit oder ohne Migrationshintergrund kommt, ob seine Eltern Arbeit haben oder nicht, ob sie gebildet sind oder nicht.
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Und es darf keinen Unterschied machen, in welchem Bundesland ein Kind zur Schule geht. Deshalb muss das sogenannte Kooperationsverbot abgeschafft werden, meine Damen und Herren.
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Ich sage: Ja, der Bund soll sich weiter aus den pädagogischen Konzepten heraushalten. Aber nein – und da haben wir uns nach intensiven Debatten in den letzten Jahren in unserer Haltung durchaus weiterentwickelt, Herr Kaufmann –, dem Bund darf die Finanzierung einer umfassenden Modernisierung unseres Bildungssystems nicht untersagt sein. Er muss sich beteiligen können. Alles andere ist im 21. Jahrhundert angesichts der Globalisierung doch völlig grotesk, meine Damen und Herren.
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Unser Bildungssystem steht vor immens großen Aufgaben. Marode Schulen und Hochschulen müssen saniert werden, die digitale Infrastruktur muss ausgebaut werden. Wir brauchen mehr Ganztagsangebote und mehr Exzellenz in der beruflichen Bildung. Vor allem brauchen wir Lehrer, die bestens aus- und weitergebildet sind im Umgang mit digitalen Lehrmethoden.
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Die Chancen des digitalen Lernens lassen sich nicht nutzen, wenn einfach nur die gute alte Fibel durch das iPad ersetzt wird.
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Investitionen sind vor allem in Hardware, aber auch in die Köpfe notwendig. Und hier brauchen wir schnell und ganz gezielt Verbesserungen.
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Durch ein starres Festhalten am Kooperationsverbot, wie es die Union und auch Teile der Grünen zumindest in den Ländern wollen, lassen sich unsere Probleme nicht lösen. Ganz im Gegenteil: So wird ihre Lösung erschwert, wenn nicht sogar verhindert.
Was bisher vonseiten des Bundes unternommen wurde, ist zu wenig.
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Vom Digitalpakt können die Länder noch immer nicht profitieren, weil Bildungsministerin Wanka die Verwaltungsvereinbarung, die über Monate mit den Ländern mühsam ausgehandelt wurde, auf der Sitzung der Kultusminister im Juni nicht unterzeichnet hat. Auch die Grundgesetzänderungen aus diesem Jahr lassen eine Bundesunterstützung bei der Bildung auf sehr wackligen Füßen stehen.
Mehr Geld vom Bund alleine wird es aber auch nicht richten. Der Bund darf sich nicht von seiner Verantwortung freikaufen. Er muss sicherstellen, dass in ganz Deutschland gemeinsame und ambitionierte Qualitätsstandards gelten und dass Abschlussprüfungen einheitlich gestellt werden.
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Dieser zentrale Aspekt fehlt im Antrag der Linken. Für Familien mit schulpflichtigen Kindern darf es nicht länger eine Zumutung sein, von einem Bundesland ins andere umzuziehen.
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Gleichzeitig wollen wir das Konzept der selbstverantworteten Schule weiter stärken. Der Bund setzt Standards, die überprüfbar und transparent sind. Über den Weg zu dieser Zielerreichung – über Organisation, Budget und Personal – entscheiden die Schulen selbst;
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denn die kennen die Bedingungen vor Ort, kennen ihre Schüler- und Elternschaft. Unter solchen Bedingungen erzielen auch Schulen in sogenannten Brennpunkten oft hervorragende Ergebnisse, wie die Verleihung von Schulpreisen regelmäßig zeigt. Das muss der Weg sein, meine Damen und Herren.
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Für die Abschaffung des Kooperationsverbotes sind verschiedene Wege denkbar. Der Antrag der Linken will Bildung als Gemeinschaftsaufgabe in Artikel 91b Grundgesetz verankern. Er fordert außerdem, das Kooperationsverbot in Artikel 104b Grundgesetz aufzuheben. Das würde aber nicht nur den Bildungsbereich betreffen.
Wir wollen dagegen die Abschaffung des Kooperationsverbotes auf den Bildungsbereich beschränken und den Bund in diesem Zuge verpflichten, Qualitätsanforderungen auszusprechen und ihre Einhaltung überprüfbar und transparent zu machen. Entsprechende Vorschläge werden wir ins Parlament einbringen.
Dem Linkenantrag werden wir daher heute nicht zustimmen. Wir freuen uns aber auf die Beratung im Ausschuss.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal vielen Dank an die Linksfraktion, das Thema Kooperationsverbot so frühzeitig in der neuen Wahlperiode aufzusetzen.
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Seit 2006 ist es dem Bund untersagt, Schulen direkt zu unterstützen. Unser Grundgesetz verunmöglicht leider, dass Bildungseinrichtungen vor Ort vom Bund flächendeckend mitfinanziert werden können. Dieses Kooperationsverbot haben uns CDU, CSU und SPD im Rahmen der Föderalismusreform I eingebrockt. Das war ein Rückschritt für ein kreatives Land der Dichter und Denker. Es war ein Fehler der damaligen Großen Koalition. Wir Grüne kämpfen seit elf Jahren dafür, ihn zu korrigieren.
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Unser Ziel ist eine Ermöglichungsverfassung, die mehr Kooperationskultur zwischen Bund und Ländern im Bereich Bildung bringt. Das wäre ein Weg zu mehr Chancengerechtigkeit für alle Schülerinnen und Schüler, egal woher jemand kommt und wo jemand wohnt.
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Das Kooperationsverbot hat ganz konfuse Regeln für die Bund-Länder-Zusammenarbeit bei Bildung gebracht. Die Nachmittagsbetreuung von Kindergartenkindern darf der Bund mitfinanzieren, die von Schulkindern nicht. Für die energetische Sanierung von Schultoiletten sind Bundesgelder möglich, nicht aber, wenn eine Kommune dabei die Klodeckel austauscht. Das ist absurd, das ärgert Eltern, und das schreit nach einer Erneuerung unseres Bildungsföderalismus. Die Menschen wollen beste Bedingungen für gute Bildung – bundesweit.
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Einige hier im Saal waren so wie ich schon 2006 bei den Debatten zur Föderalismusreform I dabei. Wir Grüne im Bundestag haben uns dem Kooperationsverbot damals widersetzt. Heute sieht man leider, dass die damaligen Befürchtungen eingetreten sind. Das Fundament einer Bildungsrepublik bröckelt, wenn es in Schulen reinregnet, wenn Lehrkräfte fehlen und die Qualität auseinanderklafft.
Enorme Steuerüberschüsse im Bund, zugleich unterfinanzierte Bildungseinrichtungen vor Ort – das ist für eine der stärksten Volkswirtschaften weltweit ein absurder Befund und zukunftsvergessen. Gute Bildung für alle ist so wichtig, dass sie gesamtstaatliche Verantwortung braucht.
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Einzelne Ministerpräsidenten favorisieren, dass der Bund mehr Umsatzsteuerpunkte an die Länder abgibt. Das überzeugt mich nicht; denn so wäre nicht garantiert, dass die Mittel in den Schulen vor Ort ankommen. Geld allein schafft auch keine Kooperationskultur, sondern es sind vor allem gemeinsame Vorhaben und Vereinbarungen.
Der bundesweite Schub für Ganztagsschulen kam erst in Gang, als SPD und Grüne mit den Ländern 2003 das Ganztagsschulprogramm aufgelegt haben; und das war gut so.
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Wir wollen diese Kooperation zwischen Bund und Ländern im Idealfall mit einer Reform des Artikel 91b neu entfachen; denn es braucht gemeinsame Antworten auf bundesweite Herausforderungen wie Bildungsgerechtigkeit, Inklusion, Integration und Digitalisierung.
Das Kooperationsverbot von 2006 hat sich als praxisfern erwiesen. 2009, 2014 und 2017 wurde es jeweils halbherzig gelockert, erst für die Hilfe bei Naturkatastrophen und Konjunkturpakete, dann für die Wissenschaftszusammenarbeit, zuletzt für die Förderung der Bildungsinfrastruktur nur in finanzschwachen Kommunen. Dass für Schulen nach wie vor keine flächendeckende Unterstützung des Bundes möglich ist, steht der Chancengleichheit und der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse entgegen. Der nächste Schritt muss daher die restlose Abschaffung dieser Kooperationshürde sein, um den Weg für kluge Bund-Länder-Vereinbarungen freizumachen.
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Für eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat muss man weiter trommeln, weil das schlichtweg vernünftig ist. In den Jamaika-Sondierungsgesprächen waren die FDP und wir Grüne im Übrigen sehr nahe daran, diese Hürde zu kippen.
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Denn CDU und CSU mussten erkennen, dass es alles andere als trivial ist, einen guten Weg zu finden, den im Oktober 2016 verkündeten DigitalPakt Schule in der Fläche umzusetzen.
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Das Platzenlassen der Sondierungen durch die FDP hat uns einer Riesenchance beraubt, die Union bei dieser Frage zu bewegen, und das bedauern wir.
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Wir werden nun leider nicht erfahren, ob SPD und Linke der Vorlage einer Jamaika-Koalition zur Änderung der Verfassung zugestimmt hätten.
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Ich halte das jedoch für denkbar, weil es vielen hier um die Sache geht. Daher sage ich für uns Grüne im Bundestag: Wir waren und wir bleiben gesprächsbereit, wenn es um das restlose Kippen der Kooperationshürde geht. Nicht nur wir wollen eine Ermöglichungsverfassung für bessere Bildung.
Kollege Gehring, diese Gespräche müssen Sie jetzt bitte in anderen Gremien fortsetzen und einen Punkt setzen.
Deshalb sage ich im letzten Satz: Im ganzen Land wäre der Beifall groß, wenn das Kooperationsverbot endlich in Gänze fiele. Lassen Sie uns daran beharrlich weiterackern, meinetwegen gerne überfraktionell.
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Das Wort hat der Kollege Tankred Schipanski für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits die Wortwahl in dieser Debatte ist verwirrend und erweckt einen völlig falschen Eindruck. Das Grundgesetz legt klare Zuständigkeiten und somit Verantwortlichkeiten fest. Das Grundgesetz ist dabei geprägt von einer Kooperationskultur zwischen Bund und Ländern, die bereits Ausfluss des sogenannten Bundesstaatsprinzips ist. Es wird hier der Eindruck erweckt, der Bund würde die Bundesländer im Bereich der Bildung nicht oder nur unzureichend unterstützen, und das ist schlichtweg falsch.
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Bund und Länder kooperieren beispielsweise im Wissenschaftsbereich mit diversen Bund-Länder-Vereinbarungen, gemeinsamen Initiativen, Forschungseinrichtungen, Forschungsverbünden, wobei der Verfassungsgeber bei der Reform von Artikel 91b des Grundgesetzes im Jahr 2014 ganz klar gesagt hat, dass es sich hierbei nicht um ein Instrument des Finanzausgleichs handelt.
Auch im Bildungsbereich findet umfangreiche Bundesunterstützung statt. Der Kollege Kaufmann hat Ihnen das vorhin schon nähergebracht. Das Erfolgsprogramm des BMBF „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“, das gerade frisch verlängert wurde, umfasst 230 Millionen Euro. In meinem Wahlkreis werden darüber alle außerschulischen Bildungsangebote bereitgestellt. Insgesamt stellt der Bund 5,7 Milliarden Euro an Finanzhilfen für die Bildungsinfrastruktur zur Verfügung. Das bedeutet für mein Heimatland Thüringen 70 Millionen Euro Bundesgelder für Schulbauten. Dazu kommen Milliardenbeträge, die der Bund für den Kitaausbau leistet. Von 2008 bis 2020 sind das 12 Milliarden Euro.
Meine Damen und Herren, die Gelder werden von den Ländern sogar nur unzureichend abgerufen, weil es so viel ist. Bis zum 31. Juli 2017 wurden lediglich 40 Prozent der Mittel des dritten Investitionsprogramms von den Ländern abgerufen. So viel nur dazu, Frau Suding, weil Sie sagten, es sei zu wenig Geld da. Es scheint zu viel Geld da zu sein. Man kann gar nicht alles verbauen. Die Qualitätsoffensive Lehrerbildung hat Stefan Kaufmann genannt. Bund-Länder-Vereinbarungen: 500 Millionen Euro. Kommunales Bildungsmanagement: 170 Millionen Euro. In jedem Landkreis wird ein Bildungsmanager vom Bund finanziert. Ich denke, das macht deutlich, wie gut hier die Zusammenarbeit funktioniert. Der Digitalpakt wurde angesprochen. Er gilt auch für Berufsschulen.
Wir haben verschiedene Rechtsgrundlagen, wie wir diese mehr als 5 Milliarden Euro in die Länder bringen können. Sie sehen: Bildung ist bereits eine gesamtstaatliche Aufgabe. Sie wird gesamtstaatlich finanziert. Der Bund sorgt mit Milliardenzahlungen dafür, dass gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland entstehen und vorhanden sind. Dennoch wird hier behauptet, die Bundesländer wären mit ihrer Verantwortung überfordert. Auch das ist falsch, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es ist ein hausgemachtes Problem; denn es liegt an den Bundesländern, ihre Mittel entsprechend einzusetzen. Sie müssen sie da einsetzen, wo sie Verantwortung tragen.
Stefan Kaufmann hat die massiven Steuermehreinnahmen der Länder angesprochen. Brechen wir diese Milliardenbeträge einmal auf ein relativ – in Anführungszeichen – armes Bundesland wie Thüringen herunter: Steuermehreinnahmen 2014: 9 Millionen Euro, 2015: 48 Millionen Euro, 2016: 237 Millionen Euro, 2017: 348 Millionen Euro. Meine Damen und Herren, das sind Mehreinnahmen on top für den laufenden Haushalt. Bei solchen Zahlen können Sie uns nicht erzählen, Thüringen könne seiner Bildungsverantwortung nicht gerecht werden.
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Ich will Ihnen sagen, was in Thüringen los ist. Der Genosse Bodo Ramelow nimmt lieber 39 Millionen Euro und saniert damit ein Fußballstadion in Erfurt, um seinem Genossen Oberbürgermeister einen Gefallen zu tun, anstatt dieses Geld verantwortungsvoll in Schulen und Hochschulen zu investieren.
Kollege Schipanski, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, wir machen das am Ende mit einer Kurzintervention.
Das muss Kollegin Esken dann selbst entscheiden, ob sie eine Kurzintervention machen möchte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bund ist keine zu melkende Kuh. Am 1. Juni 2017 haben wir in diesem Hause einen neuen Bund-Länder-Finanzausgleich beschlossen, und zwar bei massiver Belastung des Bundes, der ab 2020 jährlich rund 10 Milliarden Euro mehr an die Länder transferiert. Die Sektkorken haben nach diesem Beschluss in allen deutschen Staatskanzleien geknallt. Der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble verteidigte die Reform, räumte aber ein, es sei kein unproblematischer Schritt – Zitat –:
Wir ändern ein Stück weit die Architektur unserer föderalen Finanzordnung.
Wir sind ein Bundesstaat.
Hamburgs regierender Bürgermeister Olaf Scholz sprach von einem guten Ergebnis für den deutschen Föderalismus – Zitat –:
Die 16 Länder werden ihre Aufgaben wahrnehmen können, und sie werden es in enger Kooperation mit dem Bund tun.
Kollege Rossmann, ich frage mich, warum sich die SPD beschwert, wenn Herr Scholz so spricht. Bund-Länder-Finanzbeziehungen heißt nämlich Fairness in der Finanzierung.
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Im Übrigen sehen Sie das große Interesse der Länder an der vorgeschlagenen Grundgesetzänderung heute hier auf der Bundesratsbank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, des Pudels Kern im deutschen Schulsystem ist nicht die Frage, ob Bund, Land oder Kommune eine Schultoilette repariert. Des Pudels Kern ist die Frage, warum der Schüler in Bremen hinsichtlich seines Wissens fast zwei Jahre hinter den Schülern in Bayern hinterherhinkt.
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Das ist das Hauptproblem. Das ist die eigentliche Frage bezüglich der Chancengerechtigkeit, welche wir mit vermeintlichen Bundesgeldern, wie Sie sie hier vorschlagen, nicht beantworten werden.
Wir brauchen endlich eine Vergleichbarkeit bei den Schulabschlüssen der Bundesländer. Diese erreichen wir durch diese Grundgesetzänderung nicht. Wir brauchen einheitliche Bildungsstandards in ganz Deutschland, und zwar verbindliche Bildungsstandards für alle 16 Bundesländer. Daran probiert sich die Kultusministerkonferenz schon seit Jahren, aber es gelingt ihr nicht. Daher wirbt die CDU/CSU-Fraktion für einen Staatsvertrag, der von den Ministerpräsidenten geschlossen wird und der verbindliche Standards festlegt und sich dabei natürlich am leistungsstärksten Bundesland orientiert. Das Ganze funktioniert schon gut. Wir sehen das im Rundfunkrecht beim Rundfunkstaatsvertrag. Auch hier haben wir ein föderales System. Hier tragen die Länder Verantwortung. Es gelingt ihnen hier, bundeseinheitlich tätig zu werden. Im Übrigen eint uns das Ziel bezüglich der Bildungsstandards über Parteigrenzen hinweg.
Lassen Sie mich abschließend festhalten: Nach den Erfahrungen, die wir im Bund mit den Ländern insbesondere im Bildungsbereich gemacht haben, steht für die Union fest: Wir geben keine unkonditionierten Mittel mehr in die Bundesländer. Zusätzliches finanzielles Engagement muss für den Bund mit inhaltlicher Gestaltungskompetenz einhergehen. Dieser Erfahrung und dieser Forderung sollten sich auch die anderen Fraktionen nicht verwehren. Lassen Sie Ihre Vernunft wachsen!
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Die Kollegin Saskia Esken hat das Wort zu einer Kurzintervention.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Schade, dass der Kollege Schipanski nicht den Mut hatte, mir zu antworten.
In Ihren Reden wird immer wieder vom Digitalpakt gesprochen. Ich hätte gerne von Ihnen gewusst: Wo existiert dieser Digitalpakt? Es gibt keine Haushaltsmittel, es gibt keine mittelfristige Finanzplanung. Es gibt allenfalls Verhandlungen mit den Ländern, die ohne Not abgebrochen worden sind.
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Es wurde in Aussicht gestellt, dass sie im Dezember abgeschlossen werden mit einem Vertrag. Aber ich kann bei weitem nicht sehen, wann dazu ein Termin vereinbart wird. Ich habe davon noch nichts gehört. Dazu hätte ich gerne eine Antwort gehabt.
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Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Ich beantworte das sehr gerne, Frau Kollegin Esken. Sie waren ja in der letzten Legislatur dabei; ich war Haushaltsberichterstatter. Die 5 Milliarden Euro können wir natürlich erst in einen Haushalt einstellen, wenn es etatreif ist.
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Die Sache hat die Etatreife, wie Sie wissen, noch nicht erreicht. Daher war es auch noch nicht möglich, diese 5 Milliarden Euro einzustellen. – Das zu Ihrer ersten Frage, wo sich die 5 Milliarden Euro befinden.
Die zweite Frage war: Wie weit sind die Bund-Länder-Verhandlungen? Sie schreiten sehr gut voran. Sie wissen, es gibt eine Arbeitsgruppe unter Federführung des BMBF und der KMK. Es gibt verschiedene Textvorlagen,
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und daran wird gearbeitet. Wir haben natürlich noch keine abschließende Bund-Länder-Vereinbarung. Ich finde aber, das ist gar kein Problem. Wir haben ja nur eine geschäftsführende Regierung. Wir müssen schauen, wie wir das Ganze ausgestalten. Denn ich habe am Ende meiner Rede sehr deutlich gesagt: Wenn der Bund 5 Milliarden Euro gibt, dann wollen wir Mitsprache bei der inhaltlichen Frage haben, wie dieses Geld ausgegeben wird.
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Ohne eine solche Mitsprache kann es diese Mittel nicht geben.
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Das Wort hat Oliver Kaczmarek für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich finde es gut, dass wir in einer so frühen Phase der Wahlperiode die Gelegenheit haben, über dieses wichtige Thema zu sprechen. Vielleicht sollten wir an der Stelle versuchen, die Alltagserfahrungen der Menschen im Bildungssystem mit einfließen zu lassen; denn sie sprechen eindeutig dafür, dass wir mehr Zusammenarbeit von Bund und Ländern brauchen.
Ich will zwei Beispiele nennen. Ein Fall, in dem es gelungen ist, mit mehr Kooperation die Situation zu verbessern, ist der Ausbau der Ganztagsschulen. Heute besuchen 40 Prozent aller Schülerinnen und Schüler Ganztagsschulen. Auf die Ausbaudynamik im Zusammenhang mit dem Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ – 4 Milliarden Euro, damals von Gerhard Schröder und Rot-Grün auf den Weg gebracht –
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ist ja schon hingewiesen worden.
Ich will aber sagen: Wir haben zwar schon viel geschafft, aber der Bedarf ist viel höher. Mehr als drei Viertel der Eltern wünschen einen Ganztagsplatz für ihre Kinder, und zwar einen, der vielleicht sogar besser ist als der, den wir jetzt anbieten können. Insofern gibt es hier einen Bedarf. Die Bertelsmann-Stiftung rechnet uns vor, dass bei einer Verdoppelung der Plätze bauliche Investitionen in Höhe von etwa 15 Milliarden Euro notwendig sind und jährlich 2,8 Milliarden Euro Personalkosten zusätzlich anfallen. Selbst wenn es etwas weniger sein sollte, muss man doch nach einem Blick in die Länderhaushalte zur Kenntnis nehmen, dass die Länder es nicht ohne die Unterstützung des Bundes schaffen können. Wir müssen an der Stelle offen sagen: Wir wollen, dass alle in Deutschland, die einen Ganztagsschulplatz wollen, auch einen bekommen. Dafür müssen wir die Zusammenarbeit von Bund und Ländern verbessern. Wer das nicht will, muss auch das ehrlich sagen.
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Zweitens. Es ist schon einiges zum Stichwort „Digitale Bildung“ gesagt worden. Die Schulen wollen sich da auf den Weg machen. Es war eine gute Initiative, zu sagen: Wir nehmen für eine Bund-Länder-Vereinbarung, genannt Digitalpakt, Geld in die Hand, um sie umzusetzen. – In meinem Wahlkreis wird jetzt in den Schulen die Frage gestellt – das steht oft in der Zeitung –: Wann kommt denn das Geld vom Bund? Meine Kollegin Frau Esken hat vorhin schon darauf hingewiesen, dass es überhaupt keine haushalterische Vorsorge dafür gibt. Herr Kaufmann, Sie haben gerade in Ihrer Rede gesagt: Wir werden den Digitalpakt auflegen. – Ich frage Sie mal: Wie denn eigentlich ohne Mehrheit hier im Parlament? Es wird Ihnen schwerfallen. Deswegen sind Sie da auf die Kooperation der Fraktionen angewiesen.
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– Sie müssen eine Mehrheit für haushalterische Entscheidungen finden. Das ist doch richtig, oder?
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Es ist keine haushalterische, keine finanzielle Vorsorge getroffen worden.
Ich finde, was FDP und Grüne im Sondierungspapier festgehalten haben, ist richtig: Man muss, wenn man das machen will, die verfassungsrechtlichen Grundlagen dafür schaffen.
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Wir wissen nicht, ob es jemals zu so einer Jamaika-Vorlage für eine Grundgesetzänderung gekommen wäre, ob dieser Konflikt aufgelöst worden wäre oder nicht. Aber wir wissen: Wenn wir die besten digitalen Schulen in Deutschland haben wollen, dann müssen wir die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen ermöglichen, damit das auch gelingt und damit das Geld dahinkommt, wo es benötigt wird.
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Zum Schluss. Die Debatte hat eins gezeigt: Es gibt im Haus nach den Jamaika-Verhandlungen im Vergleich zu den letzten vier Jahren eine neue Situation. Es gibt keine Koalition; jede Fraktion ist frei. Vielleicht leitet uns der Spruch aus dem Buch Jeremia: „Suchet der Stadt Bestes“, wenn wir ihn etwas umändern in: Suchet das Beste für die Bildungspolitik in diesem Land. – Vielleicht führt die neue Situation dazu, dass wir uns etwas freier bewegen können. Die Klammerbemerkungen im Sondierungspapier, die Anträge der Linken und die Debattenbeiträge der SPD haben deutlich gemacht: Es gibt hier im Haus eine Mehrheit dafür, die Bundesregierung aufzufordern, eine Gesetzesvorlage zu erarbeiten und mit den Ländern in Verhandlungen einzutreten. Wir werden das im Hauptausschuss diskutieren. Die SPD wird dazu sicherlich einen geeigneten Vorschlag machen. Lassen Sie uns dann gemeinsam ausloten, ob wir dafür nicht eine Mehrheit zustande bekommen. Dann könnte die Bundesregierung aufgefordert werden, im Sinne dieser Mehrheit des Hauses zu handeln.
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Wenn wir tatsächlich etwas verändern wollen und auch den Mut dazu haben, dann können wir das in dieser Situation tun.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/13 an den Hauptausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
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– Dann stimmen wir darüber ab. Wer stimmt für die Überweisung an den Hauptausschuss? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der AfD-Fraktion beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 12. Dezember 2017, ein. Der Beginn der Sitzung wird noch bestimmt und Ihnen rechtzeitig bekannt gegeben.
Die Sitzung ist geschlossen.
(Schluss: 17.31 Uhr)