Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Eigentlich können wir nahtlos an die Debatte, die wir gestern Abend zu später Stunde zum Thema Religionsfreiheit geführt haben, anschließen. Warum? Auch beim heutigen Thema, über das wir leider reden müssen, geht es um Gewalt, in diesem Fall gegen die Rohingya in Myanmar. Ich finde es gut, dass sich eine Reihe von Fraktionen darauf verständigt haben, sich diesem Thema in besonderer Art und Weise zu widmen, und zwei Anträge vorgelegt wurden.
Warum Religionsfreiheit? In der Tat geht es gar nicht so sehr um eine muslimische Minderheit, sondern es geht eher um eine Art ethnischen Konflikt. Es gibt buddhistische Mönche – wer möge das glauben, dass so etwas im Buddhismus möglich ist –, die übelste Hetze begehen und durch ihre Hassreden dazu beitragen, dass Menschen in Myanmar auf bestialische Weise ermordet wurden. Derzeit sind Hunderttausende auf der Flucht. Man kann an diesem Beispiel studieren, was passiert oder was passieren kann, wenn Gruppen von Menschen systematisch marginalisiert, benachteiligt und ausgegrenzt werden.
Im letzten Jahr gab es einen traurigen Höhepunkt in Form von Ausgrenzung und Gewalt gegen die Rohingya. In Myanmar wurden Tausende von Männern, Frauen und Kindern – die genauen Zahlen kennen wir leider nicht – dahingemetzelt. Knapp 700 000 Menschen sind geflohen. Mittlerweile befinden sie sich in Bangladesch, in Cox’s Bazar, wohin schon vorher andere Rohingya geflüchtet sind. Dort leben jetzt 1 Million Menschen in einem der größten Flüchtlingslager der Welt, und das in einem Land wie Bangladesch, das selbst vor enormen Problemen und Herausforderungen steht.
Ich war selbst vor ein paar Jahren in Rakhine State, das ist der Teil Myanmars, wo die Rohingya im Besonderen leben. Zu diesem Teil des Landes erhält die internationale Gemeinschaft zurzeit keinen Zugang. Die Lage war schon damals erbärmlich. Die Menschen haben in einer inselartigen Situation, gefühlt am Ende der Welt gelebt. Es gab schwere Überschwemmungen, als ich dort war. Vielen Menschen ist Hilfe zuteilgeworden, aber leider nicht den Rohingya.
Ich habe damals eine mutige junge Frau getroffen, deren Schicksal ich zum Studium anempfehle: Wai Wai Nu. Sie ist mittlerweile knapp 30 Jahre alt. Sie ist damals mit 18 Jahren ins Gefängnis gekommen und musste dort zusammen mit ihrem Vater und der gesamten Familie sieben Jahre bleiben. Das macht die Tragik der Situation deutlich. Es war nicht immer so, dass es diese massive Ausgrenzung der Rohingya in Myanmar gab. Ihr Vater war einer der führenden Oppositionellen in der Partei der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi.
Ich glaube, man muss an dieser Stelle Folgendes sagen: Die Situation in Myanmar ist schwierig, es gibt einen massiven Rassismus, und trotzdem muss von einer Person, die den Friedensnobelpreis erhalten hat und zumindest zum Teil die politische Verantwortung in diesem Land trägt, erwartet werden, sich klarer zu positionieren, sich klarer zum Schicksal der Rohingya zu bekennen und alles zu tun, um deren Marginalisierung zu verhindern.
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Es wird am Ende keine Lösung des Konflikts geben, wenn es nicht zu einer formalen und tatsächlichen Gleichstellung der Rohingya kommt. Die Menschen werden nicht zurückkehren, wenn sie weiterhin erwarten müssen, ermordet zu werden. Deswegen ist die umfassende Staatsbürgerschaft für die Rohingya die Grundlage aller Verbesserungen, die wir anstreben. Myanmar muss den UN und internationalen Beobachtern einen vollen Zugang zum Land ermöglichen. Wir brauchen eine systematische internationale Aufarbeitung der Gräueltaten und eine Untersuchung der Vorwürfe des Völkermords, und wir müssen alle Möglichkeiten des Völkerstrafrechts nutzen, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
In der Zwischenzeit müssen wir alles tun, um den Menschen dort, wo sie jetzt sind, zu helfen. Ich habe es gerade gesagt: Ein großer Teil dieser Menschen ist in Bangladesch, einem Land, das selbst große Probleme hat. Wir müssen Bangladesch trotzdem an die internationalen Verpflichtungen erinnern. Wir müssen Bangladesch danken, aber trotzdem einfordern, dass die humanitären Grundlagen eingehalten werden. Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass die humanitären Bedarfe gedeckt werden. Zurzeit wird etwa 1 Milliarde US-Dollar gebraucht. Deutschland ist hier aktiv. Die internationale Gemeinschaft kann und muss aber mehr tun. Deswegen will ich auch diese Chance nutzen, um mit Blick auf die anstehenden Haushaltsberatungen zu sagen: Bei der internationalen humanitären Hilfe steht Deutschland seit einigen Jahren mit an der Spitze. Da müssen wir aber auch bleiben. Wir setzen über 1,7 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe ein. Meine herzliche Bitte ist, dass wir in den Haushaltsberatungen dafür sorgen, dass dieses Niveau zumindest gehalten wird.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Braun, AfD.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Die links-grüne Weltsicht der Altparteien ist schon seltsam.
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Über Jahrzehnte gibt es eine Heldin in Asien, über Jahrzehnte ist sie „die mutige Frau“. Aung San Suu Kyi erhält den Friedensnobelpreis, sie trotzt der Militärdiktatur, sie wird inhaftiert, lebt viele Jahre in Hausarrest. Die Politiker und Medien der westlichen Welt überschlagen sich vor Lobeshymnen.
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Doch plötzlich ist sie nicht mehr angesagt. Sie fällt in Ungnade. Die Verehrer wenden sich ab. Aung San Suu Kyi macht plötzlich alles falsch. Der Grund: Sie kümmere sich nicht um eine angebliche Volksgruppe, die man blitzschnell „Rohingya“ genannt hat. Sie weigert sich, den Kampfbegriff „Rohingya“ auch nur zu benutzen. Dafür sagt sie Unerhörtes. Aung San Suu Kyi sagt im November bei einer großen Außenministerkonferenz in Myanmar – bitte hören Sie einmal genau zu; von dieser Friedensnobelpreisträgerin
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können Sie noch eine Menge lernen –:
Illegale Einwanderung ist die Verbreitung von Terrorismus und gewalttätigem Extremismus …
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Ich wiederhole das gerne, weil Sie es am frühen Morgen vielleicht ein bisschen mit dem Gehör haben: Ja, illegale Einwanderung ist die Verbreitung von Terrorismus und gewalttätigem Extremismus.
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Das sagt nicht nur Frau Aung San Suu Kyi. Letzte Nacht haben wir es von allen anderen Fraktionen unisono gehört: Religionsfreiheit betrifft immer alle Religionen. Niemals darf eine Gruppe exklusiv herausgenommen werden.
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Deshalb darf es natürlich nie alleine um die Rechte der Christen gehen. Schutz von Christen? Oh, das geht gar nicht.
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Und was hören wir heute? Es geht nur um eine einzige Gruppe, die sogenannten Rohingya.
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Da sind Sie schnell dabei. Es geht hier um die Verbreitung des Islam in aller Welt. Christen und Buddhisten sind bei Ihnen zweitrangig.
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Ganz zu schweigen von der Realität. Sie haben die sogenannten Rohingya heute auf die Tagesordnung gesetzt. Vertreter dieser Gruppe haben zuvor jahrelang buddhistische Dörfer überfallen und die Besatzungen ganzer Polizeistationen mit Gewehrsalven niedergemäht. Wo bleibt Ihr Herz für die buddhistische Bevölkerung?
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Wer ist hier Opfer, wer Täter? Die links-grüne Hypermoral kann nur simple Parolen verbreiten und lautstark ihre Erregung zeigen, wie auch jetzt wieder.
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– Ja, Herr Hofreiter, Sie sind der Tollste. Ich weiß das.
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Die komplizierte Realität ist Ihnen fern. Sie verwechseln besonders gerne Ursache und Wirkung, Herr Hofreiter. Das ist der Klassiker der links-grünen Hypermoral.
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Die Gewalttaten islamischer Gruppen werden von Ihnen verschwiegen oder verharmlost, so eben auch in Myanmar. Im Namen des Islam darf man offenbar Menschen umbringen, ohne dass sich die Altparteien darüber beklagen.
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Einzelne Fakten zur Lage in Myanmar – früher Burma oder Birma – sind unbestritten. Die Menschen im Grenzbereich von Bangladesch und Myanmar müssen in den letzten Jahren mit zunehmender Gewalt leben. Hunderttausende sammeln sich in Flüchtlingscamps. Das birmanische Militär geht hart gegen vermutete oder tatsächliche Rebellen vor. Unbestritten sind aber auch die paramilitärischen Angriffe islamischer Terroristen. Humanitäre Hilfe für die Menschen in den Flüchtlingslagern sollte für uns im Vordergrund stehen.
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Dabei muss auch Bangladesch in die Pflicht genommen werden. Das Land verweigert die Integration seiner Migranten.
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Hans-Bernd Zöllner, einer der größten Kenner der Region, warnt vor Ihrer einseitigen Sichtweise. Muslimische Rebellen attackieren buddhistische Sicherheitskräfte, das Militär schlägt zurück; das ist die Kernaussage. Ich kann die Ministerpräsidentin gut verstehen. Was ist daran falsch, dass die Ministerpräsidentin von Myanmar anders handelt als die Bundesregierung?
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Wollen Sie dem birmanischen Volk vorschreiben, dass der Islam zu Myanmar gehört? Dann sagen Sie es bitte, und schwurbeln Sie nicht lange herum.
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Wer benutzt den Kampfbegriff „Rohingya“ am lautesten? Ataullah Jununi, der unbestrittene Anführer der Moslemrebellen. Er ist in Pakistan geboren, in Mekka radikalisiert. Militärisch ausgebildet zettelte er einen Bürgerkrieg an, um im buddhistischen Myanmar einen islamischen Staat zu errichten.
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Spender aus Saudi-Arabien und von anderswo sollen den Feldzug finanzieren. Das sind offenbar Ihre Freunde, verehrte Politiker der Altparteien.
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Kann es sein, dass Ihnen einmal wieder der links-grüne Mief Ihren Blick auf die Realität in der Welt vernebelt?
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Kann es sein, dass die Ministerpräsidentin von Myanmar besser weiß, was für ihr Land richtig ist, als wir hier im fernen Berlin?
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Kann es sein, dass Aung San Suu Kyi es besser weiß als Andrea Nahles und Angela Merkel?
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Kann es sein, dass sich Aung San Suu Kyi sogar besser in ihrem eigenen Land auskennt als Claudia Roth und Heiko Maas, um einmal die wahren Geistesgrößen links-grüner Politik zu nennen?
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Ach, hören Sie doch endlich auf, fremden Völkern Ihre links-grüne Weltsicht aufzuzwingen!
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Nächster Redner ist der Kollege Michael Brand, CDU/CSU.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesem Jahr jährt sich zum 70. Mal die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die 1948 in Paris von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verkündet worden ist. Dort heißt es:
Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Menschenrecht auf Religionsfreiheit steht weltweit immer stärker unter Druck. Vor allem Minderheiten sind betroffen. Die Religionszugehörigkeit wird instrumentalisiert, Vorurteile und Vorbehalte verstärkt oder geschürt. Die Gewaltexzesse gegenüber der muslimischen Minderheit der Rohingya in Myanmar und ihre massenhafte Vertreibung sind ein besonders krasses Beispiel für die Verfolgung und Anlass für den heutigen überfraktionellen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen.
Seit Sommer letzten Jahres sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, und zwar innerhalb weniger Wochen, fast 700 000 Menschen aus Myanmar ins benachbarte Bangladesch geflohen: vor Massakern, vor systematischer Vergewaltigung, vor Brandschatzung ihrer Dörfer, schlicht um ihr Leben zu retten. Tausende Tote sind zu beklagen. Die Mehrheit der Flüchtlinge sind Kinder.
Der Menschenrechtskommissar der Vereinten Nationen bezeichnet die Übergriffe als „ethnische Säuberungen wie nach dem Lehrbuch“. Amnesty International hat im aktuellen Bericht festgehalten:
Die Ereignisse in Myanmar werden in die Geschichtsbücher eingehen als ein weiterer Beweis für das katastrophale Versagen der internationalen Gemeinschaft, Entwicklungen Einhalt zu gebieten, die den Nährboden für massenhafte Gräueltaten bilden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die systematische Diskriminierung der Rohingya durch ihren Ausschluss von der Staatsangehörigkeit sowie die Verweigerung bürgerlicher, sozialer und politischer Rechte sind das Instrument für ihre systematische Unterdrückung. Ihre Lage ist dramatisch. Auch das muss man in dieser Debatte erwähnen. Man darf sich die Augen nicht zukleistern.
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Die Hilfsbereitschaft in Bangladesch ist groß. Die Vereinten Nationen, die EU und auch Deutschland haben auf die Notlage reagiert und beteiligen sich an der internationalen humanitären Hilfe.
Ich will aber auch sagen: Wir dürfen uns keiner Illusion hingeben. Die humanitäre Hilfe darf nicht zum Alibi verkommen für die Unfähigkeit der Staatengemeinschaft, Konflikte zu lösen. Wir sehen das im achten Jahr des Syrien-Krieges, und wir sehen das schon viel zu lange im Jemen. Der heutige Antrag will einen zu lange verdrängten Konflikt ins Bewusstsein rufen und fordert konkrete Maßnahmen.
Die Bundesregierung wird aufgefordert, eine aktivere Rolle zu spielen und gegenüber der Regierung in Myanmar und im Rahmen der VN darauf hinzuwirken, dass die Menschenrechtsverletzungen gestoppt werden, dass den humanitären Hilfsorganisationen uneingeschränkter Zugang, zum Beispiel nach Rakhine, gewährt wird, dass die Verbrechen aufgearbeitet werden und dass die Empfehlungen der Kofi-Annan-Kommission umgesetzt werden, wozu sich ja die Regierung in Myanmar auch bekannt hat.
Die Verbrechen gegen die Minderheit der muslimischen Rohingya führen uns doch auch exemplarisch vor Augen, wie wichtig unser Einsatz für Religionsfreiheit weltweit ist. Gestern haben wir hier im Haus über den notwendigen Einsatz gegen die Verfolgung der Christen beraten, der weltweit am stärksten verfolgten Gruppe. Das Thema „Christenverfolgung und Religionsfreiheit“, liebe Kollegen von der AfD,
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lässt sich keineswegs auf einen Kulturkampf zwischen dem Christentum und dem Islam reduzieren, wie mancher behauptet – auch, um bewusst zu spalten oder das eigene politische Süppchen zu kochen.
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Ich muss es Ihnen wieder in Erinnerung rufen: Beim Terror des sogenannten „Islamischen Staates“ sind nach wie vor die meisten Opfer Muslime, die die aggressive Ideologie der Krieger eben nicht teilen.
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Ich will den Bamberger Erzbischof Ludwig Schick zitieren:
Unser Einsatz für die Christen ist exemplarisch, aber nicht exklusiv.
Sie müssen endlich zur Kenntnis nehmen: Religiöse Verfolgung kennen auch die Bahai, die Ahmadiyya, die Jesiden, die Schabak, die Aleviten, die Juden, die Schiiten und Sunniten, die Tibeter, die Uiguren, die Christen aller Konfessionen und Traditionen und die Muslime wie die Rohingya.
Lieber Herr Braun, Sie sollten zwischendurch auch einmal in die Bibel schauen. Da heißt es nämlich: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden ...“
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Was Sie hier behauptet haben, ist hier in der Debatte gestern Abend von keinem der anderen Parteien gesagt worden. Und wenn Sie dann auch noch die Begriffe übernehmen – „sogenannte Volksgruppe“, „Kampfbegriff ‚Rohingya‘“ –,
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dann stellen Sie sich eindeutig auf eine bestimmte Seite, nämlich auf die falsche,
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nicht auf die Seite der Verfolgten.
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Sie legen den gleichen Zynismus, die gleiche Überheblichkeit, die gleiche Aggressivität bei diesem sensiblen Thema an den Tag wie gestern Abend.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich will Ihnen auch sagen: Wir werden Ihren Antrag ablehnen; denn es gibt kein Recht auf Migration, und es gibt auch kein Recht, sich ein Land und einen Pass auszusuchen.
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Wir stellen uns an die Seite derjenigen, die Unterstützung brauchen. Das unterscheidet uns von Ihnen.
Papst Franziskus hat gesagt, als er jetzt in Bangladesch bei den Rohingya-Flüchtlingen gewesen ist:
Wir werden weitermachen, ihnen zu helfen, sodass sie ihr Recht anerkannt bekommen. Wir werden nicht unsere Herzen verschließen, wir werden nicht wegschauen.
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Hören Sie auf Papst Franziskus!
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– Herr Braun, es gilt das Gleiche, was ich eben gesagt haben: Sie sollten das wirklich richtig verfolgen. Dass Sie jetzt der Sprecher von Papst Franziskus sind, ist nun wirklich nicht der Fall.
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Ich möchte zum Schluss kommen. Ein Kernanliegen unserer werteorientierten Außenpolitik ist die weltweite Anerkennung des fundamentalen Menschenrechts auf Religionsfreiheit.
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Deshalb war es uns als CDU/CSU besonders wichtig, dass im Koalitionsvertrag erstmals vereinbart wurde, das neue Amt eines Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit zu schaffen, sodass es künftig alle zwei Jahre einen Bericht dazu geben wird, und zwar mit einem systematischen Länderansatz. Das Papier soll allerdings nicht geduldig bleiben, sondern wir haben die Erwartung, dass sich die Erkenntnisse im Handeln der Regierungspolitik widerspiegeln. Als einen Verbündeten in dieser Frage sehen wir unseren neuen Beauftragten, Markus Grübel, dem wir unsere Zusammenarbeit anbieten und dem wir wirklich Erfolg bei dieser wichtigen Aufgabe wünschen.
Herr Kollege Brand, Sie wollten zum Schluss kommen.
Dieser Bundestag zeigt gerade – jedenfalls an seinen linken und rechten Rändern –, dass es wichtiger denn je ist, dass sich alle, denen die Religionsfreiheit wichtig ist, für alle verfolgten Minderheiten einsetzen: für Christen bis hin zu verfolgten Muslimen.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Lukas Köhler, FDP.
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Vielen herzlichen Dank. – Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Ich hatte kurz überlegt, mich so wie Sie ein wenig darüber aufzuregen, was gerade gesagt wurde. Ich möchte aber ganz anders beginnen und ein paar Sachen klarstellen.
Meine Damen und Herren, Fakt ist, dass 700 000 geflüchtete Rohingya in einer Situation leben, die für sie nicht dramatischer sein könnte. Fakt ist, dass darunter 60 Prozent Kinder sind. Fakt ist, dass es seit August letzten Jahres mindestens 6 700 Tote gab. Diese Dinge können Sie nicht ignorieren.
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Da können Sie noch so sehr versuchen, islamische Gruppen gegen christliche Gruppen und andere Religionen auszuspielen. Um diese Dinge kommen Sie nicht herum.
Sie kommen auch nicht darum herum – das können Sie selbst in den Regierungserklärungen vor Ort lesen –, dass Myanmar ein Vielvölkerstaat mit 160 unterschiedlichen ethnischen Gruppen ist, dass eine dieser Gruppen die Rohingya sind, die in einem Gebiet leben, in dem sie nachweislich schon mehrere Hundert Jahre leben. Ich weiß nicht, wie Sie den Begriff eines Staatsvolkes sehen und wonach Sie ihn ausrichten. Aber ich glaube, wenn die Dauer eines Aufenthalts mehrere Hundert Jahre umfasst, dann kann man schon von einem einheimischen Volk sprechen. Deswegen ist das, was Sie eben gesagt haben, leider in großen Teilen Quatsch.
In Myanmar geht es um nicht weniger als um die Würde der Menschen und damit um die Autonomie als Grundlage für ein freies und selbstbestimmtes Leben. Meine Damen und Herren, es geht nicht darum, ob einzelne Gruppierungen in irgendeiner Weise Anschläge verüben oder sonst irgendetwas in der Art. Solche Dinge werden sehr gerne über die gesamte Volksgruppe kolportiert. Uns geht es um jeden einzelnen Menschen und sein persönliches Schicksal, den wir schützen und dem wir als internationale Staatengemeinschaft helfen müssen. Das ist ein ganz zentraler Teil unserer Aufgabe.
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Die grausame Verfolgung der Rohingya als religiöse Minderheit, die ethnischen Säuberungen, ja der Völkermord sind dramatisch und erschreckend. Aber der Anschlag auf die Würde der Menschen beginnt schon deutlich früher, nämlich dann, wenn eine extrem wichtige Rechtsinstitution fehlt. Das ist die Staatsbürgerschaft: ohne sie keine Rechte und ohne sie keine Würde; ohne sie keine Freiheit im Leben.
Meine Damen und Herren, wir freuen uns darüber, dass wir diesen Antrag gemeinsam gestellt haben. Wir freuen uns darüber, dass dies beim Thema Menschenrechte über die Parteigrenzen hinweg gemeinsam möglich ist. Es geht eben darum, dass die Würde des Menschen über parteilichem Klein-Klein steht und weitergedacht wird.
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Aber dieser Antrag kann nicht mehr als die Grundlage für weiteres Handeln sein. Wir haben lange Zeit die positive Entwicklung in Myanmar unterstützt: Wir haben 2012 wieder mit der Entwicklungszusammenarbeit angefangen; das ist richtig und gut so. Aber wenn wir in der Entwicklungszusammenarbeit einzelne Gruppen aus der Förderung der Bildung ausschließen, dann unterstützen wir deren Autonomie und deren Freiheit eben leider nicht mehr. Da müssen wir so ehrlich sein und anfangen, über solche Dinge wieder nachzudenken.
Man kann Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe nicht gegeneinander aufwiegen. Das sollte man auch niemals tun oder versuchen. Aber wir müssen uns, glaube ich, um die konkrete Situation kümmern. Sie, Herr Schwabe, haben schon kurz angesprochen, dass die Situation in den Flüchtlingslagern, vor allen Dingen in dem großen Lager in Bangladesch, extrem dringend ist. Sie haben eine Sache, die ich ergänzen möchte, noch nicht erwähnt: Es ist jetzt April. Das heißt, die Monsunzeit fängt an. Egal in welcher Diskussion wir stecken: Der Monsun wird gerade für die Menschen in diesem Lager eine extreme Belastung und könnte, so wie die Aussichten im Moment sind, zu vielen Toten führen. Da müssen wir als Staatengemeinschaft hin. Da hoffen wir, unter dem Dach der Vereinten Nationen und des UNHCR möglichst Schlimmeres zu verhindern.
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Lassen Sie mich noch ganz kurz eine persönliche Sache anführen. Sie haben Aung San Suu Kyi angesprochen. Ich glaube, dass ein Friedensnobelpreis, meine Damen und Herren, nicht nur eine Würdigung für vergangene Leistungen ist, sondern immer auch ein Auftrag für die Zukunft sein muss.
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Deswegen ist das Schweigen in dieser Situation das größte Problem, das Schweigen um einen Völkermord. Egal wie Sie diese Situation bewerten: Das Leben und die Würde des Menschen sind unantastbar. Das darf und muss man so sehen.
Meine Damen und Herren, ich hoffe darauf, dass wir als Gemeinschaft, die sich für die Stärkung der Menschenrechte, der Autonomie und der Freiheit des Einzelnen einsetzt, weiterhin kämpfen: hier im Bundestag, aber auch weltweit.
Vielen lieben Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Michel Brandt, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierung in Myanmar führt ethnische Säuberungen durch. Betroffen ist die muslimische Minderheit der Rohingya. Seit Jahren beobachtet die Bundesregierung diese Eskalation ohne konkrete Taten. Die Bundesregierung muss sich endlich dafür einsetzen, dass die Armee die Gewalt gegen die Rohingya sofort beendet. Alle Rohingya müssen an ihre Orte zurückkehren können und die Möglichkeit haben, eine Staatsbürgerschaft zu erhalten.
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Die Rechte dieser Menschen müssen endlich wieder geschützt werden.
Jeden Tag erleiden Rohingya Gewalt und Ausgrenzung durch die Regierung in Myanmar. Am 25. August 2017 ermordete das Militär mindestens 6 700 Menschen. Über 700 000 Rohingya flüchteten seitdem aus dem Land. Diese Katastrophe ist die am schnellsten wachsende Flüchtlingskatastrophe weltweit. Es ist mittlerweile unumstritten, dass dies gezielte ethnische Säuberungen sind. Aus diesem brutalen Verstoß gegen das Völkerrecht durch die Regierung in Myanmar muss die Bundesregierung deutliche Konsequenzen ziehen.
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Die Zeit drängt. Hunderttausende Rohingya sitzen in dem mittlerweile größten Flüchtlingslager der Welt in Bangladesch fest. Jeden Tag werden 16 Millionen Liter sauberes Trinkwasser benötigt. Monatlich werden über 12 000 Tonnen an Nahrungsmitteln gebraucht. Mit dem im Juni anstehenden Monsun drohen noch mehr Leid und Zerstörung. Um die Katastrophe in Zaum zu halten, wird der UNHCR in diesem Jahr 770 Millionen Euro benötigen. Wir fordern von der Bundesregierung, sich mit einem erheblichen Anteil an dieser Summe zu beteiligen.
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Es ist nicht hinnehmbar, dass die Gruppe der Rohingya in Myanmar zu staatenlosen Menschen erklärt wurde. Sie dürfen nicht am politischen Leben teilnehmen. Sie können nicht arbeiten. Kinder können nicht zur Schule gehen. Sie haben keine Rechte und sind der Willkür des Staates ausgesetzt.
Um es klar zu sagen: Jeder Mensch hat das Recht, Rechte zu haben.
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Das steht in Artikel 15 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
Die Linke fordert: Staatenlosigkeit muss weltweit bekämpft werden. Es gibt global zwischen 10 Millionen und 15 Millionen staatenlose Menschen: Kurdinnen und Kurden in Syrien, Menschen mit russischen Wurzeln in Lettland und Estland und Sinti und Roma in ganz Europa. Obwohl die Bundesregierung die Staatenlosenübereinkommen unterzeichnet hat, gibt es auch in Deutschland über 21 000 staatenlose Menschen. Damit vernachlässigt die Bundesregierung ihre internationalen Verpflichtungen. Das ist nicht hinnehmbar.
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Staatenlose Menschen, die in Deutschland leben, brauchen Rechte. Wir fordern ein Gesetz, um ihnen diese Rechte zu geben. Einbürgerungen müssen erleichtert werden. Kinder von Geflüchteten müssen Geburtsurkunden erhalten können.
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Wir sagen: Staatenlosigkeit bedeutet Ausgrenzung und Diskriminierung.
Die Linke stimmte bereits im Mai 2015 für den Antrag „Verfolgt, vertrieben, vergessen – Völkermord an den Rohingya verhindern“. Die Große Koalition lehnte den Antrag damals ab. Das ist unfassbar. Die Situation muss anscheinend immer erst völlig aus dem Ruder laufen, bevor die Große Koalition dazu Stellung nimmt und reagiert. Die Bundesregierung darf nicht länger erst dann reagieren, wenn es bereits zu spät ist.
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Ausgegrenzte Gruppen müssen Werkzeuge erhalten, um für sich selbst einzustehen.
Wir fordern deshalb von der Bundesregierung, sich auf EU- und internationaler Ebene für die Abschaffung von Staatenlosigkeit einzusetzen, die Partnerschaft zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und staatenlosen Menschen zu fördern und zu finanzieren, besonders auf sexualisierte Gewalt gegen staatenlose Frauen einzugehen und angemessene finanzielle Mittel für bessere Informationen zu staatenlosen Bevölkerungsgruppen bereitzustellen.
Jeder Mensch muss das Recht haben, Rechte zu haben.
Danke schön.
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Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Margarete Bause, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Fotografen der Agentur Reuters haben dieser Tage einen Pulitzer-Preis gewonnen. Sie dokumentieren mit schockierenden Bildern das Elend der muslimischen Minderheit der Rohingya auf der Flucht nach Bangladesch.
Diese Bilder führen uns das furchtbare Grauen der Vertreibung von 700 000 Kindern, Frauen und Männern vor Augen, ihre Angst und ihre Verzweiflung. Diese Bilder können niemanden kaltlassen außer Sie von der AfD.
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Sie macht Ihr Hass blind für die Realität.
Kürzlich haben die Vereinten Nationen Myanmar auf die sogenannte Liste der Schande gesetzt, eine Liste der Staaten, in denen sexuelle Gewalt gezielt in bewaffneten Konflikten eingesetzt wird. Wenn wir hier im Bundestag eine Liste der Schande hätten, stünden Ihre Namen, meine Damen und Herren von der AfD, ganz oben.
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Den humanitären UN-Organisationen und unabhängigen Beobachtern wird seit langem der Zugang in die myanmarische Provinz Rakhine verwehrt, wo das Elend seinen Anfang nahm. Es ist eine Region im Dunkeln. Es ist ein Schauplatz von Verbrechen gegen die Menschlichkeit bzw. von Akten ethnischer Säuberungen. So sagt es der Hochkommissar für Menschenrechte Seid al-Hussein. Er fragt: Wie viel müssen Menschen erdulden, bevor ihr Leid wahrgenommen wird und ihre Identität und ihre Rechte anerkannt werden von ihrer Regierung und von der Welt? – Deswegen ist unsere interfraktionelle Initiative wichtig. Sie sollte auch Signalwirkung haben,
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für Minderheiten weltweit, für Opfer staatlicher Willkür, ganz gleich, welcher Religion oder Weltanschauung sie angehören. Es ist wichtig, dass der Deutsche Bundestag das Elend von Ausgegrenzten, Verfolgten und Ermordeten in den Fokus nimmt. Es ist wichtig, dass thematisiert wird, was nicht nur, aber insbesondere den Muslimen in Myanmar an Leid zugefügt wird, dass also klar angesprochen wird, wozu andere schweigen, darunter leider auch die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi.
Lassen Sie mich einige Punkte unseres Antrags nennen, die uns besonders am Herzen liegen.
Erstens. Mit diesem Antrag rufen wir in Erinnerung, dass die Rohingya in Myanmar seit Jahren systematisch entrechtet werden und sogar die Bezeichnung „Rohingya“ verboten ist.
Zweitens. Wir setzen uns für volle bürgerliche und politische Rechte der Rohingya ein und dafür, dass sie die Staatsangehörigkeit Myanmars bekommen.
Drittens. Hilfsorganisationen und unabhängigen Beobachtern muss endlich der Zugang nach Rakhine gewährt werden.
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Viertens. Geflüchtete können nicht zur Rückkehr in ein Land gezwungen werden, in dem sie erniedrigt, beraubt und vergewaltigt wurden. Eine Rückkehr nach Myanmar darf nur freiwillig erfolgen, sicher und in Begleitung von internationalen Helfern.
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Fünftens. Gerade nach den schrecklichen Erfahrungen von Ruanda und Srebrenica und angesichts schlimmster Kriegsverbrechen in Syrien braucht es eine juristische Aufarbeitung aller in Myanmar begangenen Menschenrechtsverletzungen und die Verurteilung der Täter sowie die Entschädigung der Opfer.
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Ja, dieser Antrag ist wichtig. Aber wir hätten ihn früher zustande bringen können. Sie hätten auch Die Linke einbeziehen können, Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition. Er könnte zudem noch besser sein. Warum war es Ihnen nicht möglich, sich hier im Bundestag zu einem Waffenembargo gegenüber Myanmar durchzuringen?
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Abgeordnete der EVP, Sozialdemokraten und Liberale im Europaparlament hatten mit dieser berechtigten Forderung kein Problem.
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Angesichts der drohenden Monsunzeit in den Lagern von Bangladesch stellt sich die Frage: Warum kann sich unser Parlament nicht konkret auf eine Erhöhung der Mittel für die humanitäre Hilfe festlegen und belässt es bei Absichtserklärungen?
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Dies sind kleine Wermutstropfen. Gleichwohl sendet der Bundestag eine unmissverständliche Botschaft aus: Das Elend der Rohingya geht uns etwas an. Wir schauen hin. Wir haben klare politische Forderungen. Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich zu handeln.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Sebastian Brehm, CDU/CSU.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie wissen, komme ich aus Nürnberg, aus der damaligen Stadt der Reichsparteitage und der heutigen Stadt des Friedens und der Menschenrechte. Nürnberg ist die Stadt, in der am 15. September 1935 die Nürnberger Rassegesetze am sogenannten Reichsparteitag der Freiheit beschlossen wurden. Nürnberg ist aber auch die Stadt, in der nach dem Krieg mit den Nürnberger Prozessen 1945/46 und den Nürnberger Prinzipien Meilensteine des modernen Völkerstrafrechts gelegt wurden. Jede Person – auch Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder oder Militärs –, die völkerrechtliche Verbrechen begeht, ist hierfür strafrechtlich verantwortlich. Auch wenn das nationale Recht hier keine Strafe vorsieht, kann sich ein Täter nach den international anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar machen. Das sind Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Warum erwähne ich das? Diese in Nürnberg entwickelten Grundsätze leiten unser menschenrechtspolitisches Handeln national und international. Wenn wir dabei auf die aktuelle Lage in Myanmar schauen, blicken wir auf eines der ärmsten Länder Asiens. Seit 1942 kommt es in diesem Land immer wieder zu Spannungen, zu Massakern zwischen der muslimischen Minderheit der Rohingya und der buddhistischen Mehrheit. Trotz der zivil geführten Regierung seit 2016 macht der Friedensprozess im Land keinerlei Fortschritte. Im Gegenteil: Das Militär übt nach wie vor einen entscheidenden politischen Einfluss aus und untersteht keiner zivilen Kontrollinstanz.
Die Menschenrechtsverletzungen und damit die Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Land nehmen seit Herbst 2016 drastisch zu. Es kommt zu menschenverachtenden Massakern, systematischen Vergewaltigungen und Inbrandsetzungen von zahlreichen Dörfern. Die Vereinten Nationen – das wurde heute mehrmals erwähnt – bezeichnen dieses Vorgehen des Militärs als ethnische Säuberungen. 900 000 Menschen sind in der Zwischenzeit in das benachbarte Bangladesch geflohen, darunter 60 Prozent Kinder. Die Verhältnisse in den Flüchtlingslagern drohen zu eskalieren. Sie haben es erwähnt: Der Monsunregen steht bevor.
Durch unsere Hilfe konnte in den Flüchtlingslagern zwar schon viel erreicht werden, vor allem Trinkwasser- und medizinische Versorgung, doch wenn der Monsunregen im Juni kommt, werden die Zelte weggeschwemmt, und die Menschen haben keinen Zugang mehr zu sauberem Trinkwasser und zu medizinischer Versorgung. Es drohen Ausbrüche von Cholera und anderen Krankheiten.
Aus unserer christlichen Verantwortung heraus, ist es unsere Verpflichtung, hier zu handeln und zu versuchen, steuernd einzugreifen.
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Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir ganz im Sinne der anfangs erwähnten Nürnberger Prinzipien jetzt ein weiteres Zeichen setzen für die Einhaltung von Menschenrechten und für Minderheitenschutz in Myanmar. Menschenrechtsverletzungen müssen sofort gestoppt werden. Menschenrechtsverletzungen dort müssen juristisch aufgearbeitet werden. Die Täter müssen nach den internationalen Regeln des Strafgerichtshofs verurteilt werden, und vor allem müssen humanitäre Hilfsorganisationen schnell uneingeschränkten Zugang zu den betroffenen Gebieten bekommen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen jetzt handeln; denn der Wettlauf mit der Zeit hat längst begonnen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nun erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Daniela De Ridder, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Es ist eine uralte Binsenweisheit, ein nahezu durchaus uraltes Phänomen – selbst wenn es die AfD nicht wahrhaben will –: Gerade in schweren Zeiten, in Zeiten sozialer Spannungen und sozialer Umbrüche werden religiöse Minderheiten gerne zum Opfer von Verfolgung und Pogromen. Das sollte gerade uns aus unserer deutschen Geschichte heraus kein unbekanntes Phänomen sein.
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Auch die Rohingya, eine muslimische Minderheit im buddhistisch geprägten Myanmar, werden seit Jahrzehnten systematisch ausgegrenzt, verfolgt und ermordet. Das sollten auch Sie zur Kenntnis nehmen.
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Denn sie besitzen weder die Staatsangehörigkeit noch andere politische Rechte. Deren Leid – daran machen Sie sich durch Ihre Äußerungen mitschuldig – ist unermesslich und betrifft vor allem Frauen und Kinder. Das haben wir hier schon gehört.
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Ja, dabei sind Regierung und Militär die Drahtzieher, oder sie schauen einfach weg, statt die Situation richtig zu analysieren.
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In der Tat ist auch schon das Schweigen der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi kritisiert worden, völlig zu Recht.
Was aber ist der Grund für diese Gewaltexzesse gegen die Rohingya? Wer profitiert eigentlich von deren Leid, von deren Elend? In Myanmar, in einem Land mit weit über 100 Volksgruppen, sind ethnische Konflikte und Spannungen leider an der Tagesordnung. Was aber fast alle Volksgruppen dort verbindet, ist ihr buddhistischer Glaube.
Die Rohingya wiederum sind Muslime: Sie glauben und sie beten anders. Sie sehen anders aus und passen deshalb in den Augen vieler buddhistischer Mitmenschen nicht zur Gesellschaft.
Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor? Mir schon.
Sie werden verabscheut, gehasst und misshandelt. Sie sind geradezu Sündenböcke einer von Gewalt und Elend gekennzeichneten Gesellschaft. Ja, wir sprechen in der Tat bereits von ethnischen Säuberungen.
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– Vielleicht hören Sie einfach einmal zu. Sie könnten noch eine ganze Menge an Humanität lernen.
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Ja, das mag uns gelegentlich überraschen, weil wir im Westen eigentlich das Bild von einem sehr friedvollen Buddhismus haben. Dass hier die Buddhisten die unterdrückende Mehrheit sind, hat in der Tat etwas, was uns vielleicht überrascht, aber es zeigt doch eines: Nicht die Religion ist der Grund für dieses Völkermorden; die Ursachen liegen offensichtlich viel tiefer. Solange Religion Privatsache ist, ist sie eigentlich nie ein Problem. Sie wird dann zum Problem und zum Konfliktherd, wenn sie durch Macht und Interessen instrumentalisiert wird, und das machen Sie täglich zur Tagesordnung.
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Genau das passiert aber auch in Myanmar mit den Rohingya. Deshalb, liebe Staatsministerin Frau Müntefering, ersuchen wir Sie auch, alles zu tun, um diesen Völkermord zu stoppen. Lassen Sie uns Mitverantwortung an dieser Stelle übernehmen,
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damit die Regierung in Myanmar davon überzeugt werden kann, dass die Rohingya alle ihre bürgerlichen Rechte brauchen, dass ihnen auch ihre politischen Rechte zuerkannt werden, dass es ihnen möglich wird, sicher und freiwillig aus Bangladesch zurückzukehren – wir haben es schon gehört –, dass die Menschenrechtsverletzungen gestoppt werden, dass die Opfer entschädigt werden können und dass wir auch flankierend eingreifen, um humanitäre Hilfe zu leisten.
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Wir ersuchen Sie weiterhin, die Vereinten Nationen anzurufen – auch das haben wir gehört –, damit die Menschenrechtsverletzungen nicht nur aufhören, unterbleiben, sondern auch verfolgt und geahndet werden.
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Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind der Auffassung – außer offensichtlich die AfD –, dass die Rohingya in Myanmar oder in Bangladesch genug gelitten haben. Sie haben – nehmen Sie dies doch bitte ausdrücklich zur Kenntnis! – ein Recht auf Würde, ein Recht auf Glaubensfreiheit, ein Recht auf Leben und Unversehrtheit, vor allem auf ein Leben ohne Verfolgung und ohne Angst.
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Deshalb: Machen Sie sich bitte nicht mitschuldig, sondern unterstützen Sie dieses Anliegen! Sprechen Sie sich aus gegen Verfolgung, gegen Diskriminierung und gegen Völkermord!
Vielen Dank.
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Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Martin Patzelt, CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der letzte Redner in dieser sehr ambitionierten Debatte. Lassen Sie mich auf die Metaebene gehen.
Wir haben im Vorfeld eine Beschlussvorlage beraten, mit der wir unsere Regierung beauftragen, endlich zu handeln. Ich kann den Eindruck, den die Grünenfraktion hier erweckt, dass unsere Regierung an diesem Elend Mitschuld trägt, nun wirklich nicht teilen, aber es ist richtig, dass wir eine solche Resolution verfassen, dass wir die Regierung beauftragen. Wir könnten das in jeder Sitzungswoche tun. Das Unrecht im Sudan, das Unrecht in der Türkei, die extralegalen Tötungen auf den Philippinen, der Organraub in China – wir werden mit dem Elend dieser Welt nicht fertig, und Deutschland ist kein Weltpolizist; Deutschland ist auch kein Weltrichter.
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Aber was wir versuchen müssen, ist, vor diesem Elend nicht die Augen zu verschließen, schon um unserer Menschlichkeit willen. Wir müssen Worte finden für die Menschen, die mundtot gemacht werden und die keinen Anwalt mehr haben –
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aber mit Klugheit. Wir können doch nicht glauben, dass wir uns allein durch unsere Resolutionen und durch eine Regierungsbeauftragung aus der Affäre ziehen können. Es geht nicht darum, dass wir unser Gewissen beruhigen. Wir wollen helfen; wir wollen tatsächlich helfen. Wenn man helfen will, muss man in einen Dialog mit den Parteien treten, die sich in furchtbarer Weise bekriegen. Wir müssen versuchen, die Ursachen zu verstehen, die zu der Situation geführt haben.
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Von den 700 000 Menschen sind 60 Prozent Kinder. Wenn wir den Hass der Elterngeneration auf die Kindergeneration fortpflanzen, dann nimmt das kein Ende, und dann helfen unsere Resolutionen nicht, vielleicht nicht einmal unser militärisches Eingreifen, so wie wir es gelernt haben. Wir müssen versuchen, einen Dialog anzustoßen und mit zu betreiben – in aller Demut und Bescheidenheit –, und sagen: Ja, es geht uns etwas an, was dort passiert. – Wir müssen mit allen Parteien reden.
Ich nehme das mal zum Anlass, auch die Situation der Regierung im Land deutlich zu machen. Nach 76 Jahren Militärjunta hat man dort ein ganz schwaches demokratisches Pflänzchen gesetzt. Sie muss – das wissen wir aus unserem Lande – in dieser demokratisch geordneten Situation versuchen, die gesellschaftlichen Kräfte zu erkennen und sie zu befrieden, damit diese nicht die Gewalt über ihr Regierungshandeln gewinnen.
Das zu Recht entrechtete Militär mordet weiter, brandschatzt, vertreibt, bestärkt die extremen buddhistischen Kräfte und begeht menschenrechtliche Verletzungen in großem Ausmaß.
Diese Regierung müssen wir stützen, diese Parlamentarier müssen wir stützen. Vielleicht ist das auch ein Aufruf an uns alle: Was tun wir denn, um mit ihnen zu kommunizieren, um sie zu bestärken, auch in ihrem Bedürfnis, etwas umzugestalten? Wir haben 2012 und 2017 bemerken können, dass es beachtenswerte Bemühungen der Regierung gab, die Todesstrafe auszusetzen, die Kindersoldaten zu verbieten, die Fluchtursachen der Rohingyas zu beseitigen. Das ist alles wieder abgestorben. Warum? Weil die Gegenkräfte im Land wahrscheinlich zu stark sind. Auch damit müssen wir uns beschäftigen.
Die umliegenden großen, starken Staaten haben versucht, zu befrieden. China und Japan haben Fertighäuser gebaut und versucht, sie in Bangladesch als angemessene Flüchtlingsunterkünfte zur Verfügung zu stellen. Indien stellt ganze vorgefertigte Dörfer zur Verfügung, damit die Flüchtlinge dort menschenwürdig leben können. Aber am Ende verfolgen auch diese Anliegerstaaten bloß ihre eigenen Interessen. China beispielsweise würde sich nicht entschieden auf die Seite der Entrechteten stellen, weil es eigene Interessen hat – an seiner maritimen Seidenstraße und am guten Verhältnis zu Bangladesch.
Auch wir müssen uns selber fragen: Sind unsere eigenen Interessen so gelagert, dass wir überall für die Menschenrechte eintreten können, ohne unsere wirtschaftlichen, politischen, diplomatischen Beziehungen im Hinterkopf zu haben? In Sachen Menschenrechte dürfen wir zu allererst nicht auf andere Interessen hören. Dazu würde ich uns ermuntern wollen.
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Wir haben unser Grundgesetz, aber das Grundgesetz lässt sich ändern. Auch Menschenrechte müssen in unserem Lande immer wieder beobachtet und fortgeschrieben werden. Wenn ich die Debatte verfolge, stelle ich fest: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen ebenfalls nicht in Hass verfallen. Wir dürfen auch nicht in Hass verfallen, wenn wir Positionen hören, die für uns unannehmbar sind. Wir müssen im Dialog bleiben; denn nur so werden wir die Menschen im Lande mitnehmen und sagen können: Das, was wir in Deutschland haben – dieses wunderbare Geschenk einer funktionierenden Demokratie –, dürfen wir nicht kaputtgehen lassen.
Danke schön.
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Damit schließe ich die Aussprache.
Es wird interfraktionell die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/1708 und 19/1688 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Dann ist das so beschlossen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jedes Regime, welches sich von Demokratie und Freiheit entfernt, hat bislang noch immer den Versuch unternommen, eine möglichst allumfassende Kontrolle über die Medien zu erlangen.
Was mit der Kontrolle der Medien beginnt, führt zur Kontrolle der Deutungshoheit im politischen Diskurs, zur Kontrolle der politisch korrekten Sprache und schließlich zur Kontrolle all dessen, was Menschen noch fühlen, denken und sagen dürfen.
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Propagandamedien in den Händen einer herrschenden politischen Klasse werden nicht selten zu dem Werkzeug,
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welches die Stimme des klaren Menschenverstandes in den Köpfen der Bürger zum Schweigen bringt.
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Aus genau solchen Erwägungen heraus hat uns das Verfassungsgericht zuletzt in seinem Urteil vom März 2014 einen ganz eindeutigen Rahmen für die Besetzung der Rundfunkräte gegeben. Vier Jahre sind seitdem vergangen, ohne dass man es für nötig gehalten hätte, diesen Vorgaben gerecht zu werden und das Deutsche-Welle-Gesetz dementsprechend anzupassen. Wir dürfen natürlich einmal fragen, warum. Wir jedenfalls fordern das heute ein. Und um es auch gleich ganz klar und unmissverständlich zu sagen: Wenn Sie sich weigern, den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts Genüge zu tun – nach dem Motto: stell dir vor, das Verfassungsgericht spricht Recht, und niemanden interessiert’s –, dann fügen Sie der langen Liste der von Ihnen begangenen Rechtsbrüche einen weiteren hinzu.
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Auch wenn die totale Objektivität in der medialen Berichterstattung eine Wunschvorstellung bleiben mag, sage ich: Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik war die Vereinnahmung der öffentlich-rechtlichen Medien durch den kranken Geist der 68er so offensichtlich und so greifbar wie heute.
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Heute sind Teile der Rundfunkanstalten zum Tummelplatz der Hofberichterstatter des linken Mainstreams geworden,
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zu Anstalten der Volksumerziehung und Volksverdummung. Fragen wir den Intendanten der Deutschen Welle, welche Werte unserer Kultur es denn eigentlich sind, die wir in 30 Sprachen für fast 500 Millionen Euro im Jahr bis in den letzten Winkel dieser Welt senden wollen, dann kommt fast verzögerungsfrei die Antwort: Toleranz. In einer Zeit, in der man uns eingebläut hat, alles und jedes zu tolerieren,
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egal wie abwegig oder schädlich es ist – von mittelalterlichen Religionsvorstellungen bis zum Genderwahn –, ahnen wir, was das bedeutet.
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Aber was wollen wir erwarten,
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wenn in den Rundfunkräten Regierungsvertreter sitzen – also Rote, Linke und Grüne – und wir bei den Vertretern der sogenannten „gesellschaftlichen Gruppen“ Gewerkschaften, Kirchen und DITIB-Repräsentanten finden, also wieder Erfüllungsgehilfen der Roten, Linken und Grünen?
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Wundern wir uns also bitte nicht über all die medial verbreiteten Märchen wie das von den Ärzten und Facharbeitern, die zu uns kommen. Wundern wir uns nicht über die schwülstigen Multikulti-Liebesgeschichten, in denen wir minderjährigen Mädchen vor Augen führen, wie wundervoll die Beziehung zu einem Migranten ist; jedenfalls dann, wenn man bereit ist, sich seinen kruden muslimischen Weltanschauungen fast bedingungslos unterzuordnen.
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Wundern wir uns nicht über Sendungen im Nachmittagsprogramm des Kinderkanals – wohlgemerkt: des Kinderkanals –,
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in denen ausländischen Jugendlichen beigebracht werden soll, wie man BHs öffnet. Wundern wir uns nicht, wenn uns von bärtigen Sachverständigen erklärt wird, dass der Terror, der zurzeit unsere westliche Welt überzieht, nichts, aber auch gar nichts mit dem Islam zu tun hätte.
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Wundern wir uns nicht, wenn man von all den Messerattacken und Vergewaltigungen wie in der Kölner Silvesternacht nur dann berichtet, wenn es absolut nicht mehr vermeidbar ist.
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Die Verantwortlichen für die politisch korrekte Programmgestaltung saugen sich mit einer Selbstbedienungsmentalität, die ihresgleichen sucht, am Tropf der Rundfunkzwangsgebühren voll und zahlen sich Gehälter, die nun wirklich niemand mehr nachvollziehen kann.
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All das hat in der Tat nicht nur etwas mit Fehlentwicklungen zu tun, sondern es hat etwas mit Fehlbesetzungen bei den Intendanten und in den Kontrollgremien zu tun.
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Ich verspreche Ihnen: Wir werden das mittelfristig auf allen Ebenen ändern;
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denn wir sind es leid. Und ich sage Ihnen: Millionen von Zuschauern da draußen an den Bildschirmen sind es auch leid.
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Es wird wieder eine Zeit geben, meine Damen und Herren, in welcher Berichterstattung wieder ausgeglichen, Journalismus wieder fair und politischer Diskurs wieder ergebnisoffen sein wird; denn wir – darauf können Sie sich verlassen – werden dafür sorgen.
Danke schön.
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Jetzt hat das Wort die Kollegin Elisabeth Motschmann, CDU/CSU.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf der Tribüne! Dass sich ausgerechnet die AfD, Herr Ehrhorn, zum Gralshüter von Demokratie, Pressefreiheit und Unabhängigkeit aufschwingt, ist ein Treppenwitz.
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Aber ein Gutes hat die Debatte: Wir reden hier zur Primetime über die Deutsche Welle, und sie hat es verdient. Sie ist nämlich großartig.
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Ich freue mich, dass der Intendant, Peter Limbourg, mit seinen Mitarbeitern auf der Tribüne sitzt.
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Herzlich willkommen und danke für Ihre wirklich wichtige Arbeit! Ich rede jetzt über die Deutsche Welle und nicht wie Sie, Herr Ehrhorn, über Gott und die Welt. Der Auslandsrundfunk ist heute in einer unruhiger gewordenen Welt wichtiger als je zuvor.
Erstens. Wir beobachten weltweite Einschränkungen der Pressefreiheit. Nur noch 13 Prozent der Weltbevölkerung – darüber war ich selbst erschrocken – kommen laut dem aktuellen Pressefreiheitsbericht von Freedom House in den Genuss freier Medien. Nur noch 13 Prozent!
Wir beobachten zunehmend Verfolgungen und Tötungen von Journalistinnen und Journalisten. Deshalb haben sich Union und SPD bereits im letzten Jahr für die Schaffung des Amtes eines UN-Sonderbeauftragten zum Schutz von Journalisten ausgesprochen.
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Zweitens. Wir verzeichnen eine steigende Konkurrenz in der internationalen Kommunikation. Autoritäre Staaten wie China, Russland oder der Iran rüsten ihre Auslandssender mit enormen Investitionen auf. Insofern haben wir guten Grund, die Deutsche Welle weiter zu stärken.
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Drittens. Die Digitalisierung verändert natürlich auch das Mediengeschäft und den Zugang zu Medien in umstürzender Weise. Über das Internet sind nahezu alle Programme überall verfügbar. Das schafft ganz neue Konkurrenzen.
Der von der Deutschen Welle 2017 vorgelegte Evaluationsbericht zeigt: Unser Auslandssender ist auf einem sehr guten Kurs. Seit dem Amtsantritt von Intendant Limbourg 2013 hat sie eine eindrucksvolle Erfolgsgeschichte geschrieben. Die Zahl der wöchentlichen Nutzer stieg von 101 auf 157 Millionen weltweit. 96 Prozent der befragten Nutzer halten die Angebote für glaubwürdig. Heute, da alle von Fake News beeinflusst sind und wir zunehmend sensibilisiert sind, ist das ein großer Erfolg und ein Faustpfand der Stimme Deutschlands in der Welt, die wir nicht unterschätzen sollten.
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Die Nutzer erkennen in den Inhalten deutsche und europäische Perspektiven sowie die Werte einer freiheitlichen, rechtsstaatlich verfassten Demokratie. Mit 27 ihrer 30 Sprachangebote gehört die Deutsche Welle zu den Top 3 der Auslandssender. Klasse!
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Alle diese Erfolge hat die Deutsche Welle unter den Vorzeichen des Deutsche-Welle-Gesetzes in seiner bestehenden Form erreicht. Nun kommt der Vorschlag der AfD, dieses Gesetz zu ändern. Die Gremien der Deutschen Welle sollen angeblich staatsferner werden. Schauen wir uns einmal an, wie sich die AfD das vorstellt. Man beruft sich auf das ZDF-Urteil und versteht nicht, dass es sich um zwei verschiedene Paar Schuhe handelt. Aber darauf möchte ich nicht eingehen.
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In der letzten Sitzung des Ausschusses für Kultur und Medien haben Sie, Herr Ehrhorn, Folgendes gesagt: Wir können doch nicht einen Sender in Ländern ausstrahlen lassen, die das nicht wünschen, die keine Einmischung in ihre eigenen Angelegenheiten wünschen. – Damit haben Sie allerdings die Maske fallen lassen. Sie betreiben das Spiel Russlands oder anderer autoritärer Regime.
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Die wollen nämlich keine Einmischung. In Ihrer Logik wünscht eine autoritäre Regierung, dass sie in Ruhe gelassen wird. Das ist entlarvend und unterstreicht Ihr Verständnis von Demokratie und Pluralität.
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Russia Today darf selbstverständlich in Deutschland senden. Obwohl wohl uns allen – mir besonders – viele der Sendungen überhaupt nicht gefallen, darf Russia Today senden. Hier wird durch diese Sender hybride Kriegsführung betrieben. Ich weiß, dass Länder wie die baltischen Länder und die Ukraine auch jetzt noch unter dieser Einflussnahme von russischen Medien und Sendern leiden. Erst geht Russland mit Meinung und Propaganda in ein Land, und dann, wie wir im Falle der Ukraine und der Krim gesehen haben, auch mit Soldaten.
Wir werden der AfD eine Nivellierung unserer Werte wie Demokratie, Freiheit, Toleranz und Rechtsstaatlichkeit sowie Völkerverständigung ganz sicher nicht durchgehen lassen.
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Sie werden es nicht schaffen, den Charakter und das gute, freundliche Gesicht unseres Landes zu verändern, das die Deutsche Welle in der Welt repräsentiert.
Aber zurück zum Gesetzentwurf. Die AfD will – ganz gemäß dem Verfassungsgerichtsurteil – die Zahl der staatlichen Vertreter im Rundfunkrat von sieben auf fünf und damit um ein Drittel drücken. Wie erreicht sie das? Sie will die drei von der Regierung gestellten Vertreter streichen, gleichzeitig erhöht sie aber die Zahl der vom Bundestag zu wählenden Mitglieder von zwei auf drei. Man spürt die Absicht und ist verstimmt; denn der dritte Sitz wäre dann für die AfD, meine Damen und Herren.
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Das ist nämlich der wahre Grund Ihres Antrages.
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Sie wollen in das Gremium. Ich sage einmal: Es ist ein Segen, dass Sie da nicht drin sind. Wir haben schon genug Gremien, in denen Sie drin sind, also nicht auch noch hier.
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Immerhin geben Sie unter „Alternativen“ ja zu, dass es verschiedene Modelle geben könne, sagen aber, dass die von Ihnen vorgeschlagene Regelung am sachgerechtesten sei. So sieht Staatsferne à la AfD aus. Nein, meine Damen und Herren, danke schön, das wollen wir nicht. Das taugt wirklich nicht als Bewerbungsschreiben eines AfD-Vertreters für die Gremien der Deutschen Welle.
Die Koalition wird im Juni die Stellungnahme des Bundestages zum Entwurf der Aufgabenplanung der Deutschen Welle beschließen – ich muss jetzt zum Schluss kommen –, und wir werden über drängendere Fragen der Deutschen Welle reden. Die Deutsche Welle braucht keine Gesetzesänderung. Sie braucht ein stabiles finanzielles Fundament. Wir müssen es für die zusätzlichen Aufgaben aufstocken, damit wir in dieser Welt, die aus den Fugen geraten ist, helfen können – durch Meinung, durch Demokratie, durch Freiheitsgedanken.
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Insofern freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen, Herr Limbourg, in der kommenden Zeit.
Danke schön.
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Jetzt erteile ich das Wort zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag dem Kollegen Thomas Hacker, FDP.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 65 Jahren trägt die Deutsche Welle die grundlegenden Werte unserer Gesellschaft, die Grundlagen der Bundesrepublik Deutschland in die Welt hinaus: Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Weltoffenheit, Menschlichkeit, Gleichberechtigung, Toleranz und Ihnen gegenüber auch große Geduld. Sie tut dies in 30 Sprachen. Sie tut das sehr erfolgreich. Der Erfolg, meine Damen und Herren, kann sich in Reichweiten, in Zuschauer- und in Nutzerzahlen messen lassen.
Sie können es sich aber auch einfacher machen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Fragen Sie doch einen der vielen jungen Menschen aus aller Welt, die derzeit ihr Stipendienprogramm beim Deutschen Bundestag durchlaufen,
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einen von 116 jungen Menschen aus 42 Ländern dieser Erde, wie oft sie die Deutsche Welle tatsächlich nutzen. Sie werden überrascht sein. Ich habe meinen Stipendiaten Emin aus Montenegro – er sitzt auf der Tribüne – gefragt. Er informiert sich wöchentlich über die Deutsche Welle über Politik in der Welt.
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Hierauf können wir, meine Damen und Herren, stolz sein, gerade wenn man bedenkt, woher wir als Bundesrepublik Deutschland kommen. Auch das heutige Deutschland hat sich seine Werte erst erkämpfen müssen.
Wer politisch interessiert oder sogar engagiert ist – in Amman, Rabat oder Beirut –, verfolgt die Deutsche Welle. Mehr als 8 Millionen Menschen aus dem arabischen Raum schauen sich allein die Talkshow „Shabab Talk“ von Jaafar Abdul Karim online oder via Satellit ein. Wenn dort junge Kandidaten vor der Wahl im Libanon miteinander diskutieren, miteinander streiten, wenn dort über #MeToo oder Homosexualität gesprochen wird, dann trägt die Deutsche Welle durch diese Sendungen zur Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt bei und stärkt die Toleranz gegenüber anderen Lebensweisen. Sie trägt zur Offenheit in der Gesellschaft bei.
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Fast alle hier im Haus wissen: Freie Medien, freie Meinungen und freie Menschen bedingen einander.
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Meine Damen und Herren, über vieles hätten wir heute an dieser Stelle diskutieren können. Wie sieht das zukünftige Programm der Deutschen Welle aus? Wollen wir Toleranz und Offenheit in die Welt hinaustragen? Ja, wir Freie Demokraten wollen das.
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Wir hätten über die zukünftige Finanzierung der Deutschen Welle sprechen können. Wollen wir, dass unser Auslandssender weiterhin im Wettbewerb mit Sendern wie Russia Today ein glaubwürdiges Programm produzieren und ausstrahlen kann? Wir wollen das.
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Halten wir es, meine Damen und Herren, für sinnvoll, wenn die Deutsche Welle in Zukunft auch ein türkischsprachiges Angebot auflegt,
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wo wir doch alle sehen, wie unter Präsident Erdogan die Pressefreiheit und Meinungsvielfalt in der Türkei mit Füßen getreten und ins Gefängnis gesteckt werden? Wir Freie Demokraten wollen ein solches Angebot in türkischer Sprache.
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Aber worüber diskutiert die AfD? Die AfD will den 17-köpfigen Rundfunkrat der Deutschen Welle um zwei Personen verkleinern. Selbstverständlich kann man – und muss man sogar – über die Größe und Staatsferne der Rundfunkgremien reden und diskutieren. Warum hat der SWR 74, der WDR 60 und der Bayerische Rundfunk 50 Rundfunkräte? Ihre Kollegen in den Landtagsfraktionen arbeiten sicherlich schon daran.
Ob das Urteil zum ZDF-Fernsehrat tatsächlich auf die Deutsche Welle anwendbar ist, Herr Ehrhorn, bezweifeln wir. Die Deutsche Welle ist ein Auslandsrundfunk und nicht Teil der Medienlandschaft bzw. Medienvielfalt innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Es geht nicht um die vierte Gewalt in der Bundesrepublik oder die Grundversorgung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Nein, die Deutsche Welle ist eine Angelegenheit des Auswärtigen. Vielleicht hätten Sie in Ihrem Beitrag das berücksichtigen können.
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Was will die selbsternannte Alternative eigentlich mit Ihrem Gesetzentwurf? „Zwei mal drei macht vier … und drei macht neune …“ – frei nach Pippi Langstrumpf. Man nehme einen Rundfunkrat von 17 Personen, streiche zwei, schiebe zwei Vertreter von der Bundesregierung zum Bundestag hinüber und – schwuppdiwupp! – sitzt ein Vertreter des rechten Randes in diesem Gremium. So leicht, liebe Kollegen, lassen wir uns nicht hinters Licht führen.
Vielen Dank.
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Jetzt hat das Wort der Kollege Martin Rabanus, SPD.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Hacker, ich kann direkt anschließen. Worum geht es bei diesem Gesetzentwurf? Dieser Gesetzentwurf ist, wenn man so will, ein trojanisches Pferd, das mit Staatsferne daherkommt, tatsächlich aber Rechtspopulismus beinhaltet. Das kann man versuchen. Aber Sie werden es uns nachsehen, werte Kollegen der AfD, dass wir Ihnen das so nicht durchgehen lassen – ganz im Gegenteil! Dieser Gesetzentwurf ist also der Versuch der AfD, Einfluss auf Fragen grundsätzlicher Bedeutung in der Deutschen Welle zu erlangen: allgemeine Programmangelegenheiten, Erfüllung des Programmauftrages.
Der Verweis auf das Urteil zum ZDF-Fernsehvertrag ist in der Tat das, was es ist: ein Ablenkungsmanöver.
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Wir werden in den weiteren Beratungen schauen, ob die Übertragbarkeit und Anwendbarkeit des Urteils überhaupt gegeben ist. Ich neige auch zu der Einschätzung, dass wir es hier mit einer anderen Rechtsgrundlage zu tun haben. Aber wenn an der Stelle etwas zu besorgen ist, dann nicht so, wie Sie es hier vorlegen.
Tatsächlich ist es auch so, dass Ihnen – wenn Sie ehrlich sind – nichts an der Deutschen Welle liegt. Tatsächlich ist es auch so, dass Ihnen nichts am öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt liegt,
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an einem System, das Sie lieber auflösen würden.
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Insofern ist es auch ein bisschen merkwürdig, wenn Sie vorgeben, mit einem solchen Gesetzentwurf einen Beitrag zur Qualität zu leisten. Sie meinen, im Zeitalter des Internets könne man das System, das wir haben, auflösen, weil man sich im Internet informieren könne und das ausreiche. Ich sage Ihnen: Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir brauchen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
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Wir brauchen ihn, weil wir Fakten statt Fake News wollen.
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Das ist vielleicht auch noch ein Unterschied zwischen Ihnen und uns. Für Fakten statt Fake News steht in der Tat, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Deutsche Welle.
Wir haben im Ausschuss vor wenigen Wochen über den Evaluierungsbericht gesprochen, wir haben über die Aufgabenplanung gesprochen. Herr Intendant Limbourg, den ich mit seinem Team sehr herzlich hier im Hause begrüßen darf, stand uns Rede und Antwort. In dieser Sitzung haben Sie tatsächlich nicht die Gelegenheit ergriffen, mit uns über das Thema „Gremienstruktur der Deutschen Welle“ zu sprechen.
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Auch das zeigt, dass Ihre Motivation ganz offensichtlich eine andere ist.
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Stattdessen haben Sie die üblichen kritischen Fragen gestellt, bis hin zu der Frage, warum wir diesen Auslandssender überhaupt brauchen; auch das klang zwischen Ihren Zeilen durch. Ich sage Ihnen: Fakten statt Fake News – deswegen brauchen wir die Deutsche Welle, die eine hohe Glaubwürdigkeit in der Welt hat. 96 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer der Deutschen Welle sagen, die Deutsche Welle hat eine hohe bis sehr hohe Glaubwürdigkeit. Das ist ein enorm guter Wert. Dafür meinen herzlichen Glückwunsch an die Deutsche Welle!
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Diese Fakten, die unser Auslandssender statt Fake News in die Welt trägt, hören immer mehr Menschen. Im Zeitraum von 2012 bis 2017 hat die Welle die Nutzerzahl um 60 Prozent steigern können, von knapp 100 Millionen Nutzern auf jetzt etwa 160 Millionen. Die Ziele der Aufgabenplanung sind ambitioniert; aber ich glaube, dass die Deutsche Welle da noch einiges erreichen kann.
Fakten statt Fake News, meine Damen und Herren – deswegen wollen wir die Deutsche Welle weiter finanziell stärken. Im Koalitionsvertrag haben wir das angelegt. Wir wollen die Deutsche Welle auf Augenhöhe mit ihren medialen Partnern, den Auslandssendern anderer Länder, bringen; insbesondere Frankreich und England sind da unsere Orientierungsgrößen. Wir wollen die Fähigkeiten weiter ausbauen, das breite Programm erhalten und ausbauen. Wir wollen die Deutsche Welle zu einem digitalen, globalen Medienhaus entwickeln.
Noch einmal: Dieses deutsche Auslandsmedienhaus sendet Fakten und keine Fake News. Die Deutsche Welle tut das unabhängig, kritisch, innovativ, wertegebunden, mit Herz und Seele, verbunden mit unseren Grundwerten. Das ist das Entscheidende.
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Wir wollen, dass die Deutsche Welle diesen Weg weitergeht. Dafür wünschen wir ihr alles Gute und unterstützen sie im Rahmen unserer Möglichkeiten aus voller Überzeugung.
Herzlichen Dank.
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Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Martin Renner, AfD.
Danke schön, Herr Präsident. – Sehr geehrte Kollegen! Alles ist gut, alles ist bestens, alles ist wunderbar im Bereich der Medien, speziell im Bereich der Deutschen Welle. Aber ich sage Ihnen eins: Wir haben eine Vertrauenskrise bezüglich der Medien in Deutschland. Das ist nicht zu bestreiten und nicht zu übersehen.
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Ich zitiere einmal den „Cicero“; dieses politische Magazin hat in seiner Januarausgabe dieses Jahres getitelt: „Schiffbruch – Die Vertrauenskrise der Medien“. Jetzt können Sie natürlich die Kritik der Medien an den Medien beiseiteschieben. Dann ziehen Sie halt die Wissenschaft heran; ich verweise zum Beispiel auf zwei Bücher, die Wissenschaftler dazu geschrieben haben: „MAINSTREAM – Warum wir den Medien nicht mehr trauen“ vom Leipziger Medienwissenschaftler Uwe Krüger und „Die Unbelangbaren – Wie politische Journalisten mitregieren“ des Politologen Professor Dr. Thomas Meyer. Das ist ganz sicher kein AfD-Anhänger. Er warnt vor einer Art Journalistendemokratie. Er befürwortet eine Trendumkehr im Journalismus. Deshalb ist dieses Thema heute so wichtig, dass wir es besprechen.
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Ich zitiere erneut einen eher linken Soziologen.
Herr Kollege Renner, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie eine Zwischenbemerkung machen.
Eine Kurzintervention, ja.
Ja. Und diese sollte sich eigentlich auf den Beitrag des vorangegangenen Redners beziehen.
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Mache ich doch!
Außerdem ist sie kurz; das heißt, die Zeit geht auch zu Ende.
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Bitte.
Ja, mache ich doch; denn der Vorredner hat ja dargestellt: Alles ist gut, alles ist bestens. – Ich will eben darauf hinweisen, dass nicht alles gut und nicht alles bestens ist.
Meine Damen und Herren, die Demokratie braucht die Kontrolle der Medien.
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Und ich muss Sie darauf hinweisen, dass die Zwischenbemerkung nicht länger als zwei Minuten dauern kann; die sind vorüber. Bitte kommen Sie zum Ende.
Ich komme zum Ende. – Meine Damen und Herren, die Deutsche Welle ist eine besondere Form des Rundfunks.
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Dennoch ist es so, dass es höchste Zeit wird, dass wir eine medienpolitische Grundsatzdiskussion auch hier in diesem Hause und hier in diesem Lande führen.
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Es wird Ihnen zwar nicht passen, aber die Demokratie in unserem Lande wird das haben müssen und haben wollen, und das wird guttun.
Danke schön.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf bitten, dass wir das Instrument der Zwischenbemerkung so nutzen, wie es in der Geschäftsordnung vorgesehen ist.
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Jetzt hat der Kollege Rabanus die Möglichkeit, zu antworten.
Herr Kollege, Sie haben gerade wieder Ihr Verständnis von parlamentarischen Gepflogenheiten unter Beweis gestellt. Auch das qualifiziert Sie nicht in besonderer Weise. Es ist überhaupt keine Frage, dass wir – im Übrigen, seitdem es Rundfunk, Medien und die Nachrichtenlandschaft gibt – immer wieder in einem Spannungsfeld leben und Qualitätsjournalismus in jeglicher Weise nicht nur miteinander diskutieren, sondern ihn immer weiterentwickeln.
Aber an einer Sache besteht ebenfalls überhaupt kein Zweifel: Gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk genießt eine sehr hohe Glaubwürdigkeit in unserem Land; das ist gar keine Frage.
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Das können Sie, wenn Sie mögen, in unterschiedlichsten Studien und Erhebungen nachvollziehen. Dass das in den Kreisen und in den Resonanzkammern Ihrer Partei in Maßen anders gesehen wird, wissen wir. Das ist aber Ihr Problem und nicht unseres.
Herzlichen Dank.
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Jetzt hat das Wort die Kollegin Doris Achelwilm, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich schlage vor, wir machen weiter in der Sache. Nach dieser verzichtbaren Nebenrede ist das absolut geraten.
Wir diskutieren heute über die Deutsche Welle, den Auslandsrundfunk der Bundesrepublik, der, wie schon gesagt wurde, hierzulande nicht ohne Weiteres empfangbar ist und deswegen manchen Zuhörerinnen vor den Bildschirmen außerhalb des Parlamentes vielleicht auch noch nicht als Medienangebot bekannt ist. Ich kenne aber viele Mitbürgerinnen und Mitbürger, die aus dem Ausland kommen oder sich oft im Ausland aufhalten. Für sie ist der Sender eine unverzichtbare Quelle sachlicher Informationen. Und – auch das ist hier bereits angeklungen – viel Reichweite erzielt die Deutsche Welle auch über die sozialen Medien.
Im Koalitionsvertrag ist nun vorgesehen, die Deutsche Welle finanziell zu stärken, um notwendige Zukunftsprojekte wie die Ausweitung des Korrespondentinnen- und Korrespondentennetzwerks oder technische Modernisierungen zu ermöglichen. Das finden wir richtig; denn ohne diese Planungssicherheit bleibt die Deutsche Welle unter ihren Möglichkeiten. Gleichzeitig gibt es Änderungsbedarf am Deutsche-Welle-Gesetz.
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Die alleinige Reform von Rundfunk- und Verwaltungsrat, wie sie im AfD-Antrag vorgesehen ist, ist erstens um Längen zu kurz gesprungen und zweitens ein sehr selbstbezogenes Vorhaben. Die Vielfaltsicherung und Staatsferne sind laut Bundesverfassungsgerichtsurteil allenfalls ein Thema unter vielen anderen, die jetzt behandelt werden müssen.
Dringend angegangen werden muss die Einführung einer verbindlichen Quote zur geschlechtergerechten Besetzung in den Gremien.
({1})
Rundfunkrat und Verwaltungsrat der Deutschen Welle sind derzeit nämlich ziemliche Männerklubs – das muss man schon sagen –, und das sollte entsprechend schnell geändert werden.
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Insbesondere in der Aufgabenbeschreibung laut § 4 Deutsche-Welle-Gesetz wollen wir verankern, dass Meinungsfreiheit und -vielfalt gerade in Regionen dieser Welt garantiert werden, in denen Freiheitsrechte wie die Meinungs- und Pressefreiheit massiv eingeschränkt werden.
Ein starkes Anliegen ist uns außerdem die Situation der freien bzw. der festen freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
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Die Zahl derjenigen, die außerhalb des programmgestaltenden Bereichs nicht mehr in einem festen Arbeitsverhältnis beschäftigt sind, hat massiv zugenommen. Hier wünschen wir uns zum einen eine deutliche Erhöhung der Planstellen. Zum anderen wird es Zeit, dem Personalrat Mitbestimmungsrechte auch für feste Freie einzuräumen. Meine Damen und Herren, gerade öffentlich-rechtliche Medien dürfen keine personalratsfreien Zonen sein.
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Ein weiteres Stichwort ist die Transparenz. Was spricht eigentlich dagegen, dass Personal- und Finanzkonzepte sowie Protokolle aus den Gremien öffentlich einsehbar sind? Das gehört in den heutigen Zeiten dazu. Hier gibt es durchaus Nachholbedarf.
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Unter anderem für diese Punkte, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird sich die Linksfraktion starkmachen. Im Antrag der AfD fehlt dergleichen. Trotzdem steht dort auch Interessantes geschrieben. Die Fraktion der AfD schlägt etwa vor, dass die Bundesregierung künftig keine Vertreterinnen und Vertreter mehr in den Rundfunkrat entsenden soll, ansonsten könnte die Deutsche Welle – ich zitiere – „als Regierungsmedium“ tendenziös berichten und politisch missbraucht werden. Das klingt so schön nach Haltung, bleibt aber ohne Nachweise und Substanz. Für inhaltliche Programmgestaltung ist der Rundfunkrat auch gar nicht da. Und wie es um Ihre eigene Fähigkeit zur Objektivität bestellt ist, während Sie regelmäßig pauschal die Unabhängigkeit der Medien infrage stellen, ist auch so eine Sache.
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Natürlich haben öffentlich-rechtliche Medien eine möglichst plurale und unabhängige Wiedergabe des Weltgeschehens zu leisten. Eine ernsthafte Qualitätsdebatte kann man mit Ihnen von der AfD dazu allerdings nicht führen, weil Sie bei jeder Gelegenheit Ihre ureigenen Interessen bei Medienfragen durchzusetzen gedenken oder mit Flüchtlingsvorbehalten ankommen
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oder Ihre ganzen Geschichten von den 68ern, die Sie als Verschwörung betrachten, bringen. Das ist angesichts der Mediendebatten, die wir notwendigerweise zu führen haben, nicht adäquat.
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Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Ich weiß nicht, Herren und Damen von der AfD, ob Sie Ihr Medienverhältnis tatsächlich geklärt haben. Ich kann auch nicht erkennen, dass die AfD den überparteilichen und staatsfernen öffentlich-rechtlichen Rundfunk verteidigen oder für die Zukunft wappnen will. Ihr großes Medienprojekt scheint eher zu sein, aus Fraktionsmitteln einen sogenannten AfD-Newsroom zu gründen,
({9})
der dann in Internet-Livesendungen rechtsdrehende Verlautbarungen unkritisiert und staatsfinanziert verbreiten soll.
({10})
Das ist ein eher unpassendes Vorhaben für eine Fraktion, die sich hier wiederum als Hüterin des Gebots der Vielfaltsicherung und Staatsferne beweisen will.
In diesem Sinne möchte ich an dieser Stelle schließen. Ich hoffe, dass wir weiter über die Deutsche Welle reden, allerdings auf der Basis von Vorlagen, die ein bisschen qualifizierter gestaltet sind.
Vielen Dank.
({11})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Margit Stumpp, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Gesetzentwurf der AfD zur Änderung des Deutsche-Welle-Gesetzes geht es nur vordergründig darum, die Staatsnähe in den Gremien der Deutschen Welle zu verringern. Die Haltung der AfD, die Deutsche Welle würde als Regierungsmedium, das tendenziös agiere, missbraucht, bestätigt, nebenbei bemerkt, was Erhebungen ohnehin belegen: Die Deutsche Welle wird ihrem Auftrag, eine starke Stimme des demokratischen, freiheitlichen und weltoffenen Deutschlands zu sein, gerecht.
({0})
Das ist der AfD natürlich ein Dorn im Auge – auch eine Art von Kompliment an das Team der Deutschen Welle.
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Worum es daneben und übergeordnet geht, belegt die Behauptung im Gesetzentwurf:
Diesen klaren verfassungsgerichtlichen Vorgaben wird das Deutsche-Welle-Gesetz in seiner aktuellen Form nicht gerecht.
Diese Aussage ist so perfide wie falsch.
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Sie ist falsch, weil sich das Gerichtsurteil, auf das sich die AfD als Beleg bezieht, auf beitragsfinanzierte öffentlich-rechtliche Sender im Inland bezieht. Die Deutsche Welle hingegen sendet im Ausland und finanziert sich ausschließlich aus dem Etat des Bundes, also aus Steuergeldern. Die Besetzung der Gremien ist also gesetzeskonform und legitim.
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Ob sie gefällt, ist eine ganz andere Frage.
Perfide, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ist diese falsche Aussage auch deswegen, weil sie offen transportieren soll – das haben wir ja eindrucksvoll gehört –, Deutschland sei kein demokratischer Rechtsstaat und wir, die demokratisch gesinnten Mitglieder dieses Hohen Hauses, seien lediglich willfährige Handlanger eines linksideologischen Schurkensystems. Darum geht es der AfD eigentlich: um die Skandalisierung und Diffamierung dieser unserer Demokratie.
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Dazu gehört auch, dass sich die AfD gebetsmühlenartig als einzig wahre Opposition in diesem Parlament bezeichnet.
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Diese Aussage trifft leider zu. Das hat ihr Redner heute Morgen eindringlich demonstriert. Sie sind hier tatsächlich die einzige Opposition zu Freiheit, Vielfalt, Weltoffenheit, Demokratie und Menschlichkeit.
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Woche für Woche erleben wir Ihre Attacken: Abschaffung der Doppelstaatlichkeit, Verengung auf eine Sprache, die deutsche, mittels Grundgesetz, Schließung der deutschen Grenzen.
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Was sich nicht im engen nationalen, besser: nationalistischen Rahmen bewegt, wird als Ideologie diffamiert. Man fragt sich bei jeder dieser Initiativen: Was folgt als Nächstes?
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Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?
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Kennzeichnungspflicht für Geflüchtete, möglichst nach Status?
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Abtreibungsverbot für deutsche Frauen?
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Der dunklen Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
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Die Parallelen sind nicht zufällig. Die Absicht der Anträge und Anfragen der rechten Seite ist offensichtlich: Das stabile demokratische Fundament des Hohen Hauses soll nach und nach unterspült werden.
Noch perfider wird es, wenn die Interessen des Bürgers vorgeschoben werden. Ginge es der AfD tatsächlich um das Geld der schwer arbeitenden Menschen – so der Duktus –, wäre es doch höchste Zeit, Bürgerinnen und Bürger ganz pragmatisch, umgehend und wirksam zu entlasten. Ein Vorschlag: Missbrauchen Sie das schwer verdiente Geld nicht weiter dafür, über die Beschäftigung von Mitarbeitern aus der rechtsextremen Szene rechtsnationale, demokratiefeindliche Strukturen zu finanzieren.
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Noch ein Vorschlag: Lösen Sie Ihren Sender AfD-TV, ebenfalls indirekt über Steuern finanziert, auf. Wenn wir über Fake News und Propaganda im Deutschen Bundestag reden, muss man auch erwähnen, dass AfD-TV, die Agentur für Desinformation, ein Paradebeispiel dafür ist.
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Wahrscheinlich haben Sie mit Ihrer Kurzintervention vorhin wieder Sendezeit produziert.
Wir demokratischen Kräfte in diesem Parlament, legitimiert von über 87 Prozent der Wählerinnen und Wähler, sind uns einig: Gerade angesichts der wachsenden Verbreitung von Propaganda und Fake News, Hass und Hetze, national und international, gilt es, die öffentlich-rechtlichen Sender und insbesondere die Deutsche Welle in ihrem wichtigen Auftrag, eine starke Stimme des freiheitlichen, liberalen, zutiefst demokratischen Deutschlands zu sein, zu stärken. Der vorliegende Antrag zielt auf das Gegenteil. Deswegen lehnen wir ihn ab.
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Nächster Redner ist der Kollege Michael Frieser, CDU/CSU.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Staatsministerin Monika Grütters, liebe Elisabeth Motschmann, auch wenn wir uns viel Mühe gegeben hätten, hätten wir wahrscheinlich zu dieser Stunde eine so intensive Debatte über das Thema „Deutsche Welle“ nicht so einfach zustande gebracht.
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Ich würde mich freuen, wenn die Intendanz einmal Rücksprache mit der AfD halten würde. Sie sind selbstverständlich eingeladen, zu sagen, dass über Sie nicht mehr berichtet werden soll, wenn Sie der Auffassung sind, diese Form der Berichterstattung im Ausland braucht es nicht. Darüber können wir gerne reden. Aber dabei handelt es sich – um auf Ihren Gesetzentwurf zurückzukommen – um einen Fehlschluss. Nicht dass uns das bei Vorlagen der AfD überraschen würde, aber man sollte doch darauf hinweisen.
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Das Erste, was zitiert wird, ist der Staatsvertrag. Es ist aber ein Fehlschluss, zu sagen, es handele sich um einen gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf Staatsvertragsbasis. Bei der Deutschen Welle handelt es sich um einen auf Bundesrecht bzw. auf einem Gesetz beruhenden Auslandssender, der aus Steuergeldern finanziert wird. An dieser Stelle darf ich das Bundesverfassungsgericht bemühen: Gleiches ist gleich zu behandeln, und im Wesentlichen Ungleiches ist ungleich zu behandeln. Insofern ist der Verweis auf den Staatsvertrag vollkommen verfehlt. Er führt in die Irre.
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Zweiter Fehlschluss. Sie sagen, es mangele an demokratischer Legitimation. Nichts für ungut, aber ein Blick ins Grundgesetz erleichtert auch hier die Rechtsfindung. Wenn etwas demokratisch legitimiert ist, dann ist es die hier sitzende Bundesregierung, die natürlich zur verfassungsgemäßen Kontrolle der Verwendung von Steuergeldern – auch im Fall der Deutschen Welle – befugt und vor allem dazu verpflichtet ist. Deshalb müssen wir Vertreter in dieser Institution haben, auch in den Verwaltungsgremien der Deutschen Welle. Alles andere wäre im Gegensatz dazu tatsächlich staatsfern.
Staatsferne bedeutet, auch wenn man die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt, nun wahrlich nicht, dass in diesen Gremien gar kein Vertreter des Staates sein sollte. Im Gegenteil: „Vielfalt“ ist das Stichwort. Dass man damit aufseiten der AfD Probleme haben kann, sei Ihnen unbenommen. Ich versuche daher, etwas therapeutisch vorzugehen.
Die Diskussion über den Inhalt haben wir sehr wohl politisch zu führen, und zwar im Ausschuss für Kultur und Medien. Da gehört dieses Thema hin. Wir können gerne und müssen sogar über die Fragen reden: Braucht dieses Land, braucht diese Nation eine Stimme im Ausland? Müssen wir nicht nur darauf achten, was andere über uns sagen, sondern spielt auch eine Rolle, was wir den Menschen – vor allem in Ländern, in denen Demokratieferne herrscht – an Wahrheiten oder zumindest an Aufklärung und Fakten mitzuteilen haben?
Die Botschaft der Deutschen Welle ist – dagegen, finde ich, kann man wirklich nichts haben –, dass wir versuchen sollten, den Menschen in einer Zeit, in der wir gegen eine Welle von Falschbehauptungen, Tatsachenverdrehungen und interessensgeleiteten Verdrehungen vorgehen müssen, ein kleines Stückchen unabhängige Informationen zu geben. Das ist der Grundsatz der Arbeit der Deutschen Welle.
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Indem Sie Ihren Gesetzentwurf auf die Besetzung reduzieren, versuchen Sie, den Eindruck zu erwecken, dass die Verwaltungsgremien von Rundfunkanstalten in diesem Land etwas mit Inhalten zu tun haben. Das ist der dritte Fehlschluss. Rundfunkrat und Verwaltungsrat beschäftigen sich nämlich nicht mit inhaltlicher Kontrolle. Ich habe ja Verständnis dafür, dass man darauf gerne Einfluss nehmen würde. Ich habe auch Verständnis dafür, dass einem nicht jeder Bericht passt, der im Rundfunk und auch von der Deutsche Welle verbreitet wird. Man muss nicht in jeder Phase mit jeder Aussage übereinstimmen. Der richtige Platz, um über Inhalte zu reden, ist hier, aber nicht in einer Art inhaltlicher Vorherbestimmung in den Verwaltungsgremien oder in den Aufsichtsgremien. Man sollte nicht die Spielwiese verwechseln, auf der man sich befindet. Elisabeth Motschmann hat ja auch über die Inhalte der Deutschen Welle berichtet.
Der Versuch, sich, von drei Fehlschlüssen geleitet, einen Posten in diesen Gremien zu ermauscheln, ist nun wahrlich mehr als durchsichtig. Er ist allerdings ein bisschen kurzsichtig. Das würde nämlich nur für diese Legislaturperiode gelten und hätte sich in der nächsten Legislaturperiode erledigt.
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Man muss mit dem notwendigen sittlichen Ernst feststellen: Die Aufgabe der Deutschen Welle ist in der heutigen Zeit zu wichtig und zu modern, um die Diskussion mit solchen Banalitäten zu belasten.
Deshalb: Haben Sie ein Herz! Stimmen Sie mit uns zusammen gegen Ihren eigenen Antrag!
Vielen Dank.
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Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Helge Lindh, SPD.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte mir fest vorgenommen, heute versöhnlich zu sein, aber, Herr Ehrhorn, Sie haben das mit Ihrer Rede kaputtgemacht.
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Sie haben uns einen Eindruck gegeben, wie sich die AfD den öffentlichen Rundfunk vorstellt, nämlich als AfD-maingestreamten, AfD-konformen Staatsrundfunk. Das ist aber genau das Gegenteil dessen, was wir uns unter öffentlich-rechtlichem Rundfunk vorstellen.
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Ihre krude Hetzsuada, die nicht einmal eine Familienähnlichkeit zu Ihrem Gesetzentwurf aufweist, enthielt Ausdrücke wie „kranker Geist“ und „Volksumerziehung“. Ich darf darauf hinweisen: Wir befinden uns hier und heute, am 20. April, zwar im Reichstag, aber in einem Jahr nach 1945 und nicht vor 1945.
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Ich wollte aber versöhnlich sein. Deshalb spreche ich meinen Dank dafür aus, dass Sie das Thema auf die Tagesordnung gebracht haben. Wir werten das als Verneigung vor der Bundesregierung und der Großen Koalition; denn wir haben uns in der Vergangenheit intensiv für die Deutsche Welle engagiert und tun das auch jetzt. Daneben können auch wir als SPD-Bundestagsfraktion dankbar sein und fühlen uns fast geschmeichelt; denn der Normenkontrollantrag, der zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts führte, auf das Sie Bezug nehmen, wurde damals ja von Kurt Beck und der SPD – gestützt auch von der Bundestagsfraktion – initiiert. Also herzlichen Dank dafür! – So viel zu meiner Versöhnlichkeit heute.
({3})
Ich sehe in Ihrem Antrag drei Botschaften:
Erstens wird eine Staatsferne behauptet. Das ist Ihre offizielle Lesart.
Zweite Botschaft – jetzt werde ich wieder unversöhnlicher –: Dahinter steckt Kalkül. Das wurde ja schon gesagt. Sie möchten nämlich einen eigenen dritten Platz. Das ist wirklich sehr schade. Sie fordern doch immer, dass die sogenannten Altparteien – wir als Sozialdemokraten sind sehr stolz, Altpartei zu sein; wir sind sogar die älteste Partei – etwas gegen Parteiverdrossenheit tun müssen. Was Sie mit so einem durchschaubaren Manöver machen, ist aber geradezu ein Konjunkturprogramm für Parteiverdrossenheit. Sehr schade!
Warum wollen Sie ausgerechnet in ein Gremium eines Rundfunks, den Sie verachten? Auch das erschließt sich mir nicht. Sie machen das auch in den Ländern. Warum tun Sie das? Warum zeigen Sie nicht die Geste des Verzichts? Sie sagen doch immer, Sie seien die Stimme des Volkes. Wenn es aber zum Schwur kommt, dann erheben Sie den Anspruch, die Stimme des Volkes allein zu vertreten. Das passt irgendwie nicht.
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Da Sie ja Staatsferne wollen, könnten Sie eine Erweiterung des Gremiums um weitere zivilgesellschaftliche Organisationen fordern, zum Beispiel um muslimische Organisationen.
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Aber nichts davon findet sich in Ihrem Gesetzentwurf.
Kommen wir zur dritten Botschaft – jetzt werde ich wieder versöhnlicher –: Wie gesagt, ich werte das als eine stillschweigende Anerkennung unserer Arbeit. Die Deutsche Welle macht nämlich etwas Aufreizendes, etwas zutiefst Ungewöhnliches, nämlich ganz unspektakulär seriösen, freien, unabhängigen Journalismus, und sie nutzt dabei die stärkste Waffe, die sie als zivile Kraft hat, nämlich die Wahrheit und das Ringen darum. Das verdient unser aller Unterstützung.
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Deshalb schlage ich Ihnen vor – das ist eine gemeinsame Leistung –: Machen Sie weniger staatsnahe touristische Ausflüge zu Assad nach Syrien,
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nutzen Sie die Zeit intensiver, mit uns zusammen für die Deutsche Welle zu kämpfen, und unterstützen Sie diejenigen, die gegen die Assads dieser Welt für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte kämpfen!
Ein schönes Wochenende, vielen Dank.
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Bevor wir ins Wochenende gehen, müssen wir zunächst einmal den Gesetzentwurf überweisen. Es wird vorgeschlagen, diesen Gesetzentwurf auf der Drucksache 19/1697 an den Ausschuss für Kultur und Medien zu überweisen. – Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum wohnen in den meisten europäischen Ländern mehr Menschen in den eigenen vier Wänden als bei uns in Deutschland? Warum ist Deutschland innerhalb der EU das Schlusslicht bei der Wohnungseigentumsquote? Sicherlich doch nicht deshalb, weil bei uns die Menschen hier viel lieber zur Miete wohnen, sondern weil es unsere europäischen Nachbarstaaten den Menschen viel einfacher machen, Wohnungseigentum zu erwerben.
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So beträgt die Wohnungseigentumsquote in Frankreich knapp 58 Prozent, in Großbritannien 64 Prozent und in Italien gar 72 Prozent. In Deutschland liegt sie nach einer Studie von 2016 bei lediglich 45 Prozent. Bei uns werden also offensichtlich Hürden aufgebaut, die es den Bürgerinnen und Bürgern erschweren, in ihrer eigenen Immobilie zu leben.
Eine der größten Hürden ist hierbei die Höhe der Erwerbsnebenkosten und hier vor allem die der Grunderwerbsteuer.
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Gerade junge Familien mit mittleren und kleinen Einkommen bleibt es oft verwehrt, Eigentum zu bilden. Laut einer Studie ist die Wohnungseigentumsquote in der Altersgruppe der 25- bis 35-Jährigen von 23 Prozent im Jahr 1998 auf 15,8 Prozent im Jahr 2013 gesunken. Dafür ist allerdings das Aufkommen bei der Grunderwerbsteuer seit 2005 von rund 4,7 Milliarden Euro auf 12,4 Milliarden Euro in 2016 gestiegen. Das ist mehr als das 2,5-Fache. Hier, liebe Kollegen, läuft nicht nur etwas in die falsche Richtung. Hier läuft etwas gewaltig schief.
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Es kann nicht sein, dass der Erwerb von Eigentum vielen unmöglich gemacht wird, während die Bundesländer hierbei noch ordentlich abkassieren. Eigentlich müsste es den Menschen angesichts der niedrigen Zinsen leichter fallen, Eigentum zu bilden. Das ist aber gerade nicht der Fall; denn neben den Baukosten sind eben auch die Kaufnebenkosten seit Jahren gestiegen.
Gerade die in einigen Ländern in wenigen Jahren verdoppelte Grunderwerbsteuer ist eine große Belastung für die Finanzierung des Eigenheims, vor allem, weil sie aus dem Eigenkapital bezahlt werden muss und dann auch noch sofort zur Zahlung fällig ist. Durch diesen hohen Eigenkapitalbedarf werden gerade junge Familien und Menschen aus einkommensschwachen Haushalten von der Eigentumsbildung ausgeschlossen.
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Eigentum darf aber kein Luxus sein, sondern muss für möglichst viele Menschen endlich Normalität werden; denn Eigentum ist die Basis für Wohlstand, und Wohneigentum ist außerdem ein wichtiger Beitrag zur Altersvorsorge und zur sozialen Sicherheit.
Deshalb wollen wir Freie Demokraten die Trendwende zur Eigentümernation einleiten und in einem ersten Schritt bei der Grunderwerbsteuer einen Freibetrag bis 500 000 Euro einführen, damit die Menschen nicht nur vom Eigentum träumen, sondern ihn auch verwirklichen können, und zwar, wenn sie wollen und wann sie wollen.
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Der Freibetrag soll als Lebensfreibetrag ausgestaltet werden; denn dann haben die Menschen die Freiheit, selbst zu bestimmen, ob sie ihn auf einmal oder nach und nach verbrauchen, je nach ihrer individuellen Lebensplanung.
Die Große Koalition will durch das Baukindergeld die Eigentumsquote steigern. Laut einer aktuellen Studie des Pestel Instituts ist das Baukindergeld dafür aber ungeeignet, da es nur die anspricht, die den Erwerb von Wohneigentum eh schon anstreben. Es verpufft also nahezu wirkungslos.
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Es ist eher eine Art Familienförderung, aber kein Schritt in die Richtung einer Eigentümernation. Außerdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf doch jeder selber entscheiden, ob er erst ein Nest baut und dann in die Familienplanung geht oder ob er das umgekehrt machen will.
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Wir halten deshalb den Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer für wesentlich effektiver und nachhaltiger. Diese Einsicht gibt es auch bei der Bundesregierung. In einer Antwort auf eine Kleine Antwort der Grünen steht:
Erwerbsnebenkosten, zu denen auch die Grunderwerbsteuer zählt, erschweren den Erwerb von Wohneigentum. Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer können Familien den Erwerb von Wohneigentum erleichtern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag einen entsprechenden Prüfauftrag. Geben Sie sich einen Ruck! Stimmen Sie am Ende der Beratungen unserem Antrag zu! Wir haben als Serviceopposition schon einmal vorgearbeitet.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Antje Tillmann, CDU/CSU.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Hessel, wir freuen uns sehr, dass Ihnen unser Wahlprogramm und Koalitionsvertrag so gut gefallen, dass Sie nach und nach alle Themen daraus abarbeiten.
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Sie haben mit dem Solidaritätszuschlag und der kalten Progression begonnen. Heute greifen Sie unseren Vorschlag eines Freibetrags bei der Grunderwerbsteuer auf. Das ist an sich begrüßenswert; schade ist nur, dass Sie bei der Regierungsbildung nicht den Mut hatten, mitzugestalten. Dann hätten wir es vielleicht zusammen durchsetzen können.
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Wir sind uns einig, dass Bauen nicht weiter verteuert werden darf. Sie haben es dargestellt: Auch wir wollen, dass Familien die Möglichkeit haben, in einem Eigenheim zu wohnen. Dabei sind die Baunebenkosten von bis zu 15 Prozent natürlich ein entscheidender Kostenfaktor.
Die Baunebenkosten können wir politisch beeinflussen. Wir haben es leider zulasten der Bauherrn getan, und zwar durch immer höhere Anforderungen an Energieeffizienz und Sicherheit. Die Steigerung der Grunderwerbsteuer in den Ländern ist ein weiterer Kostenfaktor.
Ich glaube, wir brauchen ein Gesamtkonzept. Denn wir wollen einen gesunden Mix aus sozialem Wohnungsbau und Wohneigentum. Wir brauchen einen sozialen Mix aus denjenigen, die ein Eigenheim kaufen können, und denen, die auf eine sozialverträgliche Wohnung angewiesen sind.
({2})
Deshalb ist das Gesamtpaket, das wir vorhaben, wichtig. Sie aber greifen nur einen Aspekt heraus.
Wir sind schon auf einem guten Weg. Schon in der letzten Legislaturperiode haben wir erhebliche Mittel für den Wohnungsbau zur Verfügung gestellt. So haben wir 2017 und 2018 1,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt. Die Länder haben sie leider nicht immer sachgerecht ausgegeben, aber wir sind trotzdem bereit, diese Mittel für 2020/2021 um 2 Milliarden Euro zu erhöhen.
Daneben gibt es KfW-Programme. Die KfW stellt bis zu 50 000 Euro zinsverbilligt für selbstgenutzte Immobilien zur Verfügung. Auch das ist eine große Hilfe für Familien, die zu dem Gesamtpaket gehört. Wir wollen dieses Programm ausweiten, indem wir ein Bürgschaftsprogramm auflegen, mit dem das notwendige Eigenkapital sinkt. Auch das hilft Familien, Wohnraum zu schaffen.
Was kommt in dieser Legislaturperiode dazu? Sie haben das Baukindergeld angesprochen. Das Baukindergeld wird immer isoliert betrachtet. Natürlich ermöglicht das Baukindergeld allein nicht den Erwerb, aber in der Kombination mit den Eigenkapitalprogrammen der KfW nutzt es Familien, die sich sonst kein Wohneigentum leisten könnten. Zehn Jahre lang 1 200 Euro jährlich pro Kind: Das ist eine nennenswerte Summe, die das Eigenkapital der Familien unterstützt. Deshalb werden wir auf jeden Fall daran festhalten.
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Dazu kommt die Wohnungsbauprämie. Wir wollen die Wohnungsbauprämie als Teil der Vermögensbildung an die gestiegenen Einkommen anpassen und für junge Leute attraktiver machen.
Die Sonder-AfA, die befristete Sonderabschreibung für vermieteten Wohnraum, soll um den sozialen Wohnraum ergänzt werden. Außerdem werden wir die BImA in die Lage versetzen, Gemeinden und Ländern Grundstücke verbilligt zur Verfügung zu stellen, wenn sie für sozialen Wohnungsbau genutzt werden sollen.
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Der Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer ist ein Aspekt, der dieses Gesamtpaket vervollständigen soll. Wir halten es für richtig, dass Familien beim Erwerb von selbstgenutztem Wohneigentum bei der Grunderwerbsteuer begünstigt werden.
Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Ihr Antrag, selbst wenn wir ihn im Deutschen Bundestag annehmen würden, spätestens im Bundesrat scheitern würde, weil die Länder natürlich darauf achten, welche Steuerausfälle das für sie bedeutet. Wenn Sie es mit diesem Antrag ernst gemeint hätten, dann hätten Sie mit den Ländern gesprochen und etwas zu den finanziellen Auswirkungen der Vorschläge in Ihrem Antrag gesagt. Sie fordern einen Freibetrag von bis zu 500 000 Euro, sagen aber nichts zu den finanziellen Auswirkungen. Das ist unseriös.
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Uns ist das Gesamtpaket wichtiger. Deshalb gehen wir es anders an als Sie. Wir wollen nämlich gemeinsam mit den Ländern auch über die Finanzierung sprechen. Wir haben vereinbart, dass wir die Gegenfinanzierung über die Beendigung missbräuchlicher Steuergestaltungen durch Share Deals darzustellen versuchen. Wir wollen uns mit den Ländern zusammen auf den Weg machen. Denn dieser Freibetrag ist uns so wichtig, dass wir lieber ein bisschen sorgfältiger arbeiten, im Gegensatz zu Ihnen, die Sie Schnelligkeit bevorzugen. Deswegen ist die Wahrscheinlichkeit, den Freibetrag durchzusetzen, bei unserem Vorhaben höher.
Sie haben einen lebenslangen Freibetrag gefordert, der dann auch noch über die Lebenszeit hinweg angespart werden soll – das heißt, man kann ihn teilweise in Anspruch nehmen –, lassen aber völlig offen, wie das passieren soll. Wir haben dann im Zweifel Daten über 25 bis 30 Jahre vorzuhalten. Sie sagen nichts dazu, was passiert, wenn ich in ein anderes Bundesland umziehe und dort den Freibetrag noch einmal in Anspruch nehmen möchte. Es ist völlig offen, ob alle Länder den Freibetrag tatsächlich gewähren.
Dieser Antrag ist aus meiner Sicht unausgegoren und zielt nur auf Showeffekte. Uns ist das Projekt so wichtig, dass wir zusammen mit Ihnen über das Gesamtpaket in diesem Haus gerne diskutieren möchten. Wir laden Sie dazu ein, gemeinsam dieses Projekt voranzubringen. Vielleicht sind Sie dann mutiger als bei der Regierungsbildung. Das wäre zu wünschen für die Familien in diesem Land.
Danke.
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Jetzt hat das Wort der Kollege Albrecht Glaser, AfD.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Der vorgestern vorgelegte Antrag der FDP beschäftigt sich mit einem naheliegenden steuerrechtlichen Problem, das uralt ist und früher schon einmal gelöst war: der Grunderwerbsteuer als staatliche Verhinderung der Eigentumsbildung breiter Bevölkerungsschichten.
Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass in Deutschland nur rund 45 Prozent der Einwohner Wohneigentum haben, obwohl über zwei Drittel der Menschen mit oberster Priorität dieses Ziel verfolgen, und das seit Jahren und Jahrzehnten. Zutreffend wird festgestellt, dass Deutschland damit in der EU Schlusslicht ist. Nicht erwähnt wird, dass dies einer der Gründe dafür ist, dass etwa die Bürger Griechenlands und Italiens doppelt bzw. dreimal so wohlhabend sind wie die deutschen Bürger. Es wird auch nicht erwähnt, dass die geringe Steuerlast in diesen und vielen anderen Ländern die Ursache für den Wohlstandsvorsprung in diesen Ländern gegenüber Deutschland ist.
Was tun? Die FDP kommt zu einer minimalinvasiven Lösung, die der Lage der 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts nicht unähnlich ist. Bis 2006 betrug die Belastung durch die Grunderwerbsteuer bundeseinheitlich 3,5 Prozent der Kaufpreise. Dies führte zu einem Aufkommen von 6 Milliarden Euro. Das sind 0,6 Prozent der damaligen staatlichen Gesamteinnahmen und 1,3 Prozent der damaligen Steuereinnahmen. 2017 betrug das Aufkommen aus dieser Steuer 13 Milliarden Euro und somit rund 1 Prozent der Staatseinnahmen und 1,75 Prozent der Steuereinnahmen. Für die Staatseinnahmen also, verehrte Frau Kollegin von der CDU/CSU, ist das ein völlig bedeutungsloses Geschehen, das aber dafür extrem verwaltungsaufwendig ist.
Wieso gab es eine Verdoppelung des Aufkommens der Grunderwerbsteuer in zehn Jahren? Dafür gibt es zwei markante Gründe: erstens die Euro-Politik der EZB und zweitens die Änderung des Grundgesetzes. Die Nullzinspolitik der EZB hat maßgeblich den Immobilienboom mit Blasencharakter herbeigeführt.
({0})
Daher rühren die exorbitanten Preissteigerungen bei allen Immobilien und ergo die zunehmenden Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer. Es handelt sich um Beteiligungen an spekulativen Wertzuwächsen.
Der Bundesgesetzgeber hat den Ländern die Kompetenz übertragen – Artikel 105 Absatz 2a des Grundgesetzes –, die Steuersätze ab 2006 selbst festzulegen. Das soll im Wettbewerb um siedlungswillige Bürger zu einer Absenkung der Steuerlast führen. Das war damals die Idee. So wurde argumentiert. So wenig ein Mops eine Wurst bewacht, so wenig ist die Begehrlichkeit des Fiskus nach Steuern zu zügeln.
({1})
Das können Sie hier wunderbar austesten.
Alle Länder haben fleißig von ihrer neuen Kompetenz Gebrauch gemacht. Sie haben den Steuersatz erhöht, allein sieben Länder in den letzten Jahren auf 6 bzw. 6,5 Prozent, also um über 70 Prozent. Sie können einmal versuchen, sich zu erinnern, was sich – außer dem Wasserstand bei Hochwasser – noch in diesem Maße verändert hat. Nebenbei ist anzumerken, dass etwa in Hessen parallel zur Grunderwerbsteuer die Grundsteuer um über 50 Prozent in den letzten Jahren gestiegen ist. Wenn eine Stadt wie Berlin einen Grundsteuerhebesatz von über 800 Prozent hat, dann ist jede Klage der Politik über hohe Mieten Heuchelei. Aber das nur am Rande.
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Was nicht nur hier abläuft, ist lupenreine Konfiskatorik. Die Summe der öffentlichen Einnahmen ist seit 2010 um fast 40 Prozent gestiegen. 40 Prozent! Das Gleiche gilt für die Steuereinnahmen. Das Bruttoinlandsprodukt ist im gleichen Zeitraum um 12 Prozent gestiegen, das Volkseinkommen um gut 20 Prozent, also halb so hoch wie die Staatseinnahmen. Hier findet eine jährliche Umverteilung vom Privatsektor auf den Staatssektor statt, und zwar mit listigen Methoden.
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Der FDP-Antrag will nun die Trendwende: Man will für die Eigentümergeneration einen Lebensfreibetrag bis zu einem Höchstwert von 500 000 Euro gewähren. Zudem sollen die Länder – so steht es darin – von den Erhöhungen des Steuersatzes absehen. Das Letzte gehört, wie dargestellt, in die Kategorie „fromme Wünsche“; mit Politik hat es nichts zu tun.
Den Lebensfreibetrag gab es in den 1970er- und 1980er-Jahren aus genau den gleichen Erwägungen. Für alle, die aus welchen Gründen auch immer häufiger ihren Lebensmittelpunkt wechseln und gerne immer in ihrer eigenen Hütte wohnen, was verständlich ist, ist das eine Gemeinheit. Wer sich also bewegt und sechsmal im Leben umzieht, der muss dann fünfmal die Grunderwerbsteuer zahlen, weil er nur einmal von dieser Steuer befreit ist. Das kann keine Lösung sein. Für alle die, die in Ballungsräumen leben, ist es eine grobe Ungleichbehandlung gegenüber denen, die in der Fläche leben, weil Immobilien in Ballungsräumen viel teurer sind. Wenn man mit einem einheitlichen Steuerfreibetrag arbeitet, ist das natürlich genauso ungerecht.
Aus diesen und einigen anderen Gründen wurde bereits in den 1970er-Jahren die Abschaffung der Grunderwerbsteuer ernsthaft erwogen. Es ist höchste Zeit, diesem Gedanken wieder näherzutreten. Das hätte dann etwas von Trendwende, meine Damen und Herren von der FDP, welche diesen Namen verdient.
Die AfD neigt dieser Sichtweise zu, sieht dies allerdings als ein Thema im Zusammenhang mit einem größeren Steuerreformpaket, das auch das Grundsteuerthema, das wir an der Backe haben und mit dem wir uns sehr intensiv befassen sollen, einbeziehen sollte und insgesamt eine nachhaltige Kommunalfinanzierung in den Blick nehmen müsste. Wir fordern Sie alle auf, eine solche wirklich kausale, langfristige, seriöse und steuertheoretisch durchdachte Lösung mit uns zu finden.
Herzlichen Dank.
({4})
Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Bernhard Daldrup, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immer wenn ich Herrn Glaser höre, schafft er eine Steuer ab. Neulich war es die Grundsteuer, heute ist es die Grunderwerbsteuer. Neulich ging es um Steuereinahmen in Höhe von 14 Milliarden Euro, heute sind es 13 Milliarden Euro. Das kann man ja mal so locker machen; wir haben es ja.
({0})
Irgendwie müssen wir seriös miteinander reden; so geht das nicht.
Wenn die FDP in einem Antrag warnt, dass etwas „nicht zum Luxusgut werden“ sollte, dann werde auch ich hellhörig. Ich finde, es geht schon um eine ernsthafte Fragestellung, nämlich darum: Wie kann man eigentlich die Bildung von Wohneigentum erleichtern? Die FDP verfolgt dabei ein – wie soll ich sagen? – ideologisches Ziel: Sie möchte uns sozusagen zu einer Eigentümernation machen.
({1})
– Ja, man folgt einer Idee. Das ist eine Ideologie.
({2})
Wenn Sie etwas vortragen, ist das immer Ausdruck einer Ideologie.
({3})
– Ja, Illusionismus auch.
Sie thematisieren die Grunderwerbsteuer. Die Einnahmen daraus, 13,1 Milliarden Euro, sind in der Tat deutlich gestiegen; das ist eben dargestellt worden. Die Frage lautet: Liegt das am Bund? Antwort: Nein. Es liegt nicht am Bund; denn die Länder entscheiden über die Höhe. Sie kriegen auch das Geld. – Kritisiert die FDP das in Wahlkämpfen? Ja, deutlich sogar. – Sie sagt: Wenn wir Verantwortung haben, wird diese Steuer gesenkt. – Macht die FDP das da, wo sie Verantwortung hat? Antwort: Nein. – Das ist komisch, finde ich jedenfalls.
({4})
– Nein. Das wäre auch noch schöner.
Im vorliegenden Antrag geht es ja um die Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer bei selbstgenutztem Eigentum. Das ist schon ein ordentlicher Brocken. Das war nicht immer so. Bis 1982 lag die Grunderwerbsteuer – es ist eben gesagt worden – bei 7 Prozent. Dahinter wollen wir nicht zurück. Es gab jede Menge Ausnahmen. Aber auch für Wohneigentum wurde diese Steuer nicht fällig. Dann wurde sie erhöht, und dann kam man auf die rasante Idee, zu sagen: Jetzt bringen wir einmal den Föderalismus ins Spiel; dadurch wird diese Steuer gesenkt. – Das Ergebnis ist: Heute ist die Grunderwerbsteuer für die kleinen Leute so hoch wie nie zuvor.
({5})
– Na, Sie waren immer dabei. Auf der Bundesebene waren Sie bis 1982 und nach 1982 immer dabei.
({6})
Stattdessen gibt es heute bei den großen Immobilientransaktionen – Frau Tillmann hat darauf hingewiesen – durch Steuergestaltung, Steuertricks das Phänomen, dass die Grunderwerbsteuer vollständig eingespart wird. Das nennt man Share Deals. Da geht es laut hessischem Finanzministerium um 1 Milliarde Euro jährlich. Dagegen müssen wir etwas tun. Das ist eigentlich eine viel wichtigere Angelegenheit.
({7})
Jetzt komme ich noch einmal zum FDP-Antrag von gestern. Sie stellen einen Antrag zur Entbürokratisierung im Wohnungsbau, und heute legen Sie Bürokratie pur auf den Tisch. Noch ist die Grunderwerbsteuer nämlich eine einfache Steuer – das soll auch so bleiben –; aber Sie machen daraus ein, um Ihre Sprache zu verwenden, Bürokratiemonster.
({8})
– Ja.
Die Finanzämter müssten zahlreiche Faktoren abklären: Was sind die Gründe für den Erwerb einer Immobilie? Die spätere Nutzung müsste überprüft werden. Gibt es einen Freibetrag bei Mischnutzung? Ab welchem Grad gibt es die Mischnutzung nicht mehr? Wie ist das mit dem Freibetrag für natürliche Personen mit einem lebenslang geführten Steuerregister? Wer macht das eigentlich? Wer soll das eigentlich bezahlen? Was passiert, wenn der Freibetrag ausgeschöpft ist? Wie lange dauert eigentlich Selbstnutzung? Ein Jahr? Einen Tag? Was ist mit Umzügen? Gibt es Härtefälle? Also, viele Fragen. Ich will es nicht weiter ausbreiten.
Es gehört auf jeden Fall ein Stück Abgebrühtheit dazu, gestern Bürokratieabbau zu fordern und heute Bürokratiekosten vollkommen auszublenden.
({9})
Es geht hier offensichtlich um Ideologie, um eine Idee, der Sie blind folgen.
({10})
Wenn die FDP glaubwürdig sein will, glaubwürdig bleiben will, dann gibt es dafür drei Punkte:
Erstens. Senken Sie die Grunderwerbsteuer da, wo Sie Verantwortung haben und wo Sie es versprochen haben.
({11})
Zweitens. Machen Sie weiter mit, wenn es um die Begrenzung der Share Deals geht, damit die Großen Grunderwerbsteuer zahlen und wir aus den Einnahmen vielleicht die kleinen Leute entlasten können.
({12})
Drittens. Tricksen Sie nicht rum! Wenn Sie Freibeträge in den Ländern einführen wollen, dann finanzieren Sie diese und schieben Sie die Finanzierung der Wohltaten in den Ländern nicht an den Bund.
Zum Schluss will ich sagen: Es sind viele Punkte im Koalitionsvertrag – sie sind angesprochen worden –, aber eines sollen Sie auch wissen: Für uns sind Mieter nicht weniger wert als Eigentümer.
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Wertvoll ist für uns das Recht auf Wohnen – eine Bedingung guter Lebensqualität. Es gehört für uns zur Heimat dazu. Das sollte bei Ihnen auch so sein.
Herzlichen Dank.
({14})
Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Jörg Cezanne, Fraktion Die Linke, zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Preise von Wohnimmobilien sind in Deutschland in den letzten fünf Jahren durchschnittlich um 32 Prozent gestiegen, in den sieben größten Ballungsräumen sogar um 66 Prozent. Nur zum Vergleich: Die Reallöhne stiegen im gleichen Zeitraum um 7 Prozent. Die Reaktion der FDP – zugegebenermaßen etwas zugespitzt –: Wunderbar, der freie Markt funktioniert. Die Grunderwerbsteuer von 3 Prozent bis 6,5 Prozent ist das zentrale Problem. – Ganz offensichtlich, meine Damen und Herren, passt hier die Lösung nicht zum Problem.
({0})
Menschen mit niedrigen Einkommen und ohne Ersparnisse werden durch steigende Wohnkosten am härtesten getroffen. Sie haben gar nicht erst die Chance, eine Wohnung zu kaufen. Diesen Menschen hilft ein Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer überhaupt nichts.
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Ich erspare mir jetzt die Polemik zu Herrn Lambsdorffs Rat an die alleinerziehende Mutter, wenn sie die Miete nicht bezahlen könne, solle sie eine Wohnung kaufen.
Die Hälfte der Bevölkerung verfügt über gar kein oder über nur wenig Vermögen. Wenn Sie es ernst meinen mit der Eigentümernation Deutschland, werden Sie eine Lösung finden müssen, wie diese Hälfte überhaupt Eigentum finanzieren soll. Falls Sie mal über höhere Löhne, Abschaffung des Niedriglohnsektors, eine Vermögensteuer oder höhere Steuern auf hohe Einkommen reden wollen: Wir sind gern gesprächsbereit.
({2})
Meine Damen und Herren, die hohen Preissteigerungen bei Immobilien gehen in großem Umfang auf institutionelle Investoren und Immobilienspekulanten zurück. Diese sind dank des Steuerschlupflochs namens „Share Deals“ – davon war hier schon die Rede – in der Lage, die Grunderwerbsteuer komplett zu umgehen. Sie können ganze Stadtviertel aufkaufen; solange sie nur jemanden finden, der 5 Prozent der zum Verkauf angebotenen Wohnungen übernimmt und ihnen möglichst nicht in die Quere kommt, entfällt die Steuerpflicht vollständig – eine völlig absurde Regelung!
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Wir müssen die Share Deals endlich unterbinden. Die Grunderwerbsteuer für nicht selbstgenutztes Wohneigentum wollen wir erhöhen. Das hilft sogar den jungen Familien, die Eigentum kaufen wollen; denn dadurch könnte die Preistreiberei durch die großen Immobilienunternehmen zumindest gebremst werden.
({4})
Meine Damen und Herren, wenn Mieten und Immobilienpreise in kurzer Zeit dramatisch ansteigen und gleichzeitig Hunderttausende Wohnungen fehlen, dann hat der Wohnungsmarkt offensichtlich versagt. Steuerliche Maßnahmen alleine helfen hier nicht weiter. Vielmehr brauchen wir einen kompletten Neustart beim sozialen Wohnungsbau.
({5})
Wir erreichen einen kompletten Neustart dadurch, dass öffentliche und private Unternehmen ohne Gewinnorientierung und steuerlich begünstigt Wohnraum zu bezahlbaren Preisen schaffen. Die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum muss wieder eine Aufgabe der öffentlichen Hand werden; sie muss Teil der Daseinsvorsorge sein.
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Sozialwohnungen sollen auf Dauer als geförderter Wohnraum zur Verfügung stehen. „Einmal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung“ ist der Grundsatz, der gelten muss.
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Der Bestand muss beständig erweitert werden. Der öffentliche Grund und Boden ist dafür zu nutzen und darf nicht privatisiert werden.
({8})
Das Beispiel der Stadt Wien zeigt, dass bei einer konsequenten Umsetzung die Verteuerung von Wohnraum und die Spekulation mit Grund und Boden zumindest in Schach gehalten werden können. Ein Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer hilft dabei leider nicht.
Vielen Dank.
({9})
Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstes für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Lisa Paus.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die britische Tageszeitung „The Guardian“ berichtete in der letzten Woche: Nirgendwo in der Welt – also: in der gesamten Welt – steigen die Preise bei Immobilien so schnell wie in Berlin.
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Alleine letztes Jahr stiegen sie um 20 Prozent.
Es ist nicht nur in Berlin so, sondern auch andere deutsche Städte landen, was Immobilienspekulationen angeht, international auf den Topplätzen: Hamburg Platz 7, München Platz 8, Frankfurt Platz 10. Es ist nicht verwunderlich, dass die Deutsche Bundesbank bereits im Februar dieses Jahres wiederholt davor warnte, dass Immobilien in deutschen Großstädten um 35 Prozent überbewertet sind. Das ist eine veritable Spekulationsblase, die wir bei Immobilien hier in Deutschland inzwischen haben, meine Damen und Herren.
In dieser Situation befeuert die FDP mit diesem Antrag die Spekulationen, indem sie die Transaktionsteuer, die wir in Deutschland auf den Handel mit Immobilien haben, die Grunderwerbsteuer, radikal aushöhlen will. Das wollen wir nicht, meine Damen und Herren.
({1})
Ihr Antrag führt leider nicht – ich würde es begrüßen, wenn das so wäre – zu vielen neuen Eigentümern,
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sondern Ihr Antrag führt nur zu noch stärker ansteigenden Preisen auf ohnehin überhitzten Märkten. Es geht um 28 Milliarden Euro bezogen auf einen Zeitraum von fünf Jahren, so die Bundesregierung.
Wir bräuchten stattdessen das genaue Gegenteil, nämlich erstens eine Antispekulationssteuer, die endlich das Steuerschlupfloch für Share Deals schließt,
({3})
also dafür sorgt, dass gerade beim Verkauf von großen Immobilienbeständen überhaupt Grunderwerbsteuer gezahlt wird und sie – nicht so wie jetzt – nicht gezahlt wird.
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Wir bräuchten zweitens eine Staffelung der Steuersätze, also niedrige Steuersätze für günstige Immobilien und höhere Steuersätze für teure Immobilien. So etwas gibt es übrigens bereits in Großbritannien.
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Ja, es stimmt, die Grunderwerbsteuer ist in einigen Bundesländern angestiegen; das ist völlig richtig. Aber die Kaufnebenkosten sind heute immer noch deutlich geringer als beispielsweise vor zehn Jahren. Das kann Ihnen jeder Banker, jeder Finanzier vorrechnen, weil die Zinsen heute immer noch so viel niedriger sind als vor zehn Jahren.
Der Grund, warum sich Menschen keine Wohnungen in den Ballungszentren mehr leisten können, besteht allein darin, dass die Preise durch die Immobilienspekulationen dermaßen durch die Decke geschossen sind, dass wir das zentral bekämpfen müssen.
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Dagegen müssen wir etwas tun. Dazu leistet Ihr Antrag keinen Beitrag.
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Es ist nicht verwunderlich, dass in dieser Woche das Verbändebündnis Wohneigentum, ein Zusammenschluss aus mehreren Bau- und Immobilienverbänden, eine Studie vorgelegt hat, in der eindringlich davor gewarnt wird, jetzt nicht irgendwelche Maßnahmen zur Wohnungsbauförderung einzuleiten. Stattdessen brauchen wir Maßnahmen, die darauf abzielen, die Preise zu deckeln und die Märkte nicht weiter anzuheizen. Deswegen brauchen wir neben der Antispekulationssteuer eine funktionierende Mietpreisbremse. Das ist wichtig in Bezug auf die bestehenden Wohnungen.
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Wir brauchen die Förderung des Baus neuer Wohnungen, ja; aber wir brauchen diese eben ganz speziell und gezielt für bezahlbare neue Wohnungen, das heißt von preisgebundenen Wohnungen. Wir brauchen mehr soziale Wohnungen. Wir brauchen mehr kommunale Wohnungen. Wir brauchen mehr Genossenschaftswohnungen. Und wir brauchen eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit.
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Ja, auch wir wollen Steuerprivilegien und auch eine Befreiung von der Grunderwerbsteuer; aber für diejenigen, die sich verpflichten, ihre Wohnungen dauerhaft preisgebunden zu nutzen. Wenn wir in andere Länder schauen, dann sehen wir, dass das das einzig wirksame Mittel gegen Immobilienpreissteigerungen ist.
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Last, but not least: Es geht um Steuerausfälle in Höhe von etwa 28 Milliarden in den Ländern und Kommunen in fünf Jahren; das sagte ich bereits. Das bedeutet: noch weniger Geld für sozialen Wohnungsbau, noch weniger Spielraum für die Überlassung von günstigem Bauland. Die FDP verteilt hier Geld um, das zu 100 Prozent den Ländern zusteht. Das heißt: weniger Geld für frühkindliche Bildung, weniger Geld für Schule und umweltfreundlichen ÖPNV.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Und im Übrigen – es wurde schon angedeutet –: Nordrhein-Westfalen ist das Land mit dem höchsten Grunderwerbsteuersatz,
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das Land, in dem die FDP mitregiert. Also: Warum senken Sie nicht endlich – Sie haben seit über zwei Jahren Zeit dafür – den Grunderwerbsteuersatz? Stattdessen belästigen Sie uns hier mit Ihren Anträgen. Wir werden diesen Antrag jedenfalls ablehnen.
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Herzlichen Dank, Frau Kollegin Paus. – Als Nächster für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Olav Gutting.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Bürger bei der Schaffung von angemessenem Wohneigentum unterstützen – darin sind wir uns, glaube ich, einig –, das wollen auch wir.
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Da bin ich auch gerne Ideologe; das will ich hier auch sagen.
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Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer beim erstmaligen Erwerb von Wohneigentum zumindest prüfen wollen. Es ist ja offensichtlich, dass ständig steigende Erwerbsnebenkosten den Erwerb von Wohneigentum gerade für Familien immer schwieriger machen.
Warum lehnen wir diesen Antrag trotzdem ab? Grund ist zum einen die fehlende Finanzierung und zum anderen das fehlende Gesamtkonzept. Sie wissen: Die Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer stehen allein den Ländern zu. Wenn wir diesem Antrag zustimmen würden, dann würden die Länder selbstverständlich fordern, dass der Bund die entstehenden Ausfälle übernimmt.
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Das haben Sie in Ihrem Antrag auch selbst erkannt, und Sie fordern ja auch, das Ganze beim Bund-Länder-Finanzausgleich zu berücksichtigen. Das wiederum setzt eine intensive Auseinandersetzung mit den Ländern voraus. Wir müssen uns mit den Ländern darüber unterhalten und können hier keine Alleingänge machen. Deswegen wäre es wichtig, einen solchen Antrag vorher mit den Ländern intensiv zu besprechen.
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Was aber noch viel ausschlaggebender ist: Ein Freibetrag alleine hilft natürlich nicht viel weiter. Da macht Ihr Antrag von gestern zum Bürokratieabbau beim Wohnungsbau schon mehr Sinn. Was wir brauchen, ist ein Gesamtkonzept; und das liegt heute hier nicht vor. Es sind viele Dinge, die neben der Grunderwerbsteuer den Erwerb von Wohneigentum sukzessive immer teurer machen. Ich will nur einige Beispiele nennen, die den Erwerb von Eigentum in den letzten Jahren immer teurer gemacht haben. Wenn wir richtigerweise vorgeben, dass wir die Flächenversiegelung einschränken wollen, dann bedeutet das natürlich im Umkehrschluss, dass wir weniger Bauland zur Verfügung haben. Und weniger Bauland auf dem Markt bedeutet automatisch höhere Preise.
Die Baukosten selbst sind rasant gestiegen, auch wegen der niedrigen Kapitalmarktzinsen; das ist richtig. Das hatte einen Einfluss auf die Steigerung bei den Baukosten. Aber vieles von dem ist eben auch von der Politik veranlasst. Da brauchen wir keine Krokodilstränen zu vergießen; vielmehr haben wir teilweise selbst zur Kostensteigerung beigetragen. Das beste Beispiel findet sich in meinem Heimatland. Die dortige grün-rote Landesregierung der letzten Legislaturperiode hat als erste Amtshandlung die Anhebung der Grunderwerbsteuer um 40 Prozent beschlossen. Danach hat man die Landesbauordnung geändert: Wettergeschützte Luxusunterstellplätze für Fahrräder wurden gezwungenermaßen ebenso eingeführt
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wie Fassadenbegrünung, Dachbegrünung, wenn kein Vorgarten vorhanden ist. Das ist alles schön. Mir gefällt das auch; aber es ist eben auch teuer. Das muss man wissen.
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Auch die verschärften Regelungen bei der Energieeinsparverordnung führen zu erhöhten Baukosten. Vielleicht sollten wir einmal überlegen, ob es wirklich notwendig ist, dass wir unsere Häuser einpacken und dämmen, bis es nicht mehr geht,
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ohne darüber nachzudenken, dass wir bei einer immer kürzeren technischen Lebensdauer der Bauteile hier keinen nachhaltigen Fortschritt bei den Gebäuden erreichen. Wir müssen auch darüber nachdenken, wo das Dämmmaterial herkommt, wie es produziert und später entsorgt wird. All das spielt bei vielen Überlegungen bisher überhaupt keine Rolle. Deshalb müssen wir auch hierbei nachhaltiger denken.
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Herr Präsident, Sie blinken mich an.
Das ist der zarte Hinweis darauf, dass Sie zum Ende kommen sollen. Das heißt nicht, dass Sie sofort aufhören sollen, zu reden, sondern dass Sie jetzt noch zwei Sätze haben, Herr Kollege Gutting.
Nicht zuletzt gibt es auch einen Mangel an Eigenkapital. Deswegen haben wir ja vereinbart, dass wir das Baukindergeld einführen wollen. Deswegen haben wir vereinbart, dass wir die Eigenkapitalbildung durch die Wohnungsbauprämie bei den Bausparkassen verbessern wollen. Es macht nämlich keinen Sinn, das Bauen auf der einen Seite immer weiter zu verteuern und es auf der anderen Seite wieder zu subventionieren. Das ist wirklich nicht klug.
Wenn wir die Grunderwerbsteuer verändern, sollten wir auch darüber nachdenken, wie wir das Thema „Share Deals“ regeln. Am besten wäre es, die Grunderwerbsteuer massiv zu senken. Das führt nachgewiesenermaßen zu einem Rückgang der Share Deals und damit auch zu einer Steigerung der Einnahmen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Ende. Lassen Sie uns hier doch gemeinsam nach einer Lösung suchen. Hören wir mit dem Stückwerk auf! Lassen Sie uns nicht tagtäglich eine neue Idee entwickeln, sondern lassen Sie uns ein Gesamtpaket schnüren, mit dem wir für eine nachhaltige Erhöhung der Eigentumsquote in unserem Land sorgen können.
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Herr Kollege Gutting, herzlichen Dank. Das haben Sie geschickt gemacht: Aus zehn Sekunden wurde eine Minute. Das war wirklich beachtlich.
Das Blinken, liebe Kolleginnen und Kollegen, bedeutet nur, dass Sie auf Ihre Zeit achten und zum Schluss kommen sollen. Wenn die Zeit zu Ende ist, melde ich mich dann schon. Keine Sorge.
Als Nächstes erteile ich das Wort der fraktionslosen Abgeordneten Dr. Frauke Petry.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie uns nicht darüber reden, dass Bauen nicht teurer werden soll, sondern lassen Sie uns darüber reden, wie Bauen endlich wieder billiger werden kann. Ich freue mich, zu hören, dass im Grunde Vertreter fast aller Fraktionen der Meinung sind, dass die Abschaffung der Grunderwerbsteuer ein Teil der Lösung des Problems sein muss.
Wir wissen, dass die niedrigen Zinsen, auf die wir nicht dauerhaft hoffen können, zur Zunahme des Erwerbs von Wohneigentum geführt haben. Wir sind uns darüber einig, dass das nicht von Dauer sein wird. Der Antrag der FDP ist insofern grundsätzlich eine gute Idee, aber er ist leider nicht zu Ende gedacht.
Die Argumente dafür sind bereits vorgetragen worden: Ihr Vorschlag ist zu kompliziert. Sie können nämlich kein Angebot dafür machen, wie er vernünftig und kosteneffizient umgesetzt werden soll.
Für den linken Teil des Hauses habe ich einen Hinweis: Wir reden heute nicht über Mieter. Die Interessen von Mietern sind selbstverständlich auch wichtig; darüber sind wir uns einig. Und da es auch Mietern hilft, wenn es mehr privates Wohneigentum in Deutschland gibt, ist damit auch Ihrer Klientel geholfen. Dann muss man Mieter und Eigentümer nicht permanent gegeneinander ausspielen.
({0})
Nun zur GroKo und zu den Share Deals, die auch Sie einhellig beklagen. Ich frage mich, wer eigentlich in der Regierung ist; denn Sie hätten es doch bei der Verhandlung Ihres Koalitionsvertrages in der Hand gehabt, die Praxis der Share Deals zu beenden. Beklagen Sie sie also nicht! Beenden Sie sie!
Und gehen wir einen Schritt, bei dem Die blaue Partei wohl mutiger ist als andere, weiter: Wir wollen die Grunderwerbsteuer in der Tat komplett abschaffen. Das würde auch Ihr Verwaltungsproblem, liebe FDP, auf einen Schlag lösen.
Gehen wir noch einen Schritt weiter. Dazu braucht es Mut, den ich bei der FDP-Fraktion wie auch bei allen anderen Fraktionen leider vermisse: Packen wir gemeinsam auch die Folgen einer regellosen Währungspolitik in der Europäischen Union an, die, wie wir wissen, verhindert, dass Bürger nachhaltig sparen und Eigentum aufbauen können.
In diesem Sinne lohnt eine weitere gemeinsame Arbeit an dem Antrag, die zum Ziel haben muss, Steuern abzubauen, statt Steuern weiter aufzubauen.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Dr. Petry. – Als Nächstes für die SPD die Kollegin Cansel Kiziltepe.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP mischt die wohnungspolitische Debatte in dieser Plenarwoche gleich mit zwei Anträgen auf. Es könnte der Anschein erweckt werden, die FDP plane eine wohnungspolitische Wende für die breite Bevölkerung in Deutschland.
({0})
Aber das ist ein Trugschluss.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Deutschland wird es immer schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Allein in Berlin sind die Immobilienpreise im letzten Jahr – nur in einem Jahr – um 20 Prozent gestiegen, ganz zu schweigen von den Mietpreissteigerungen, die bei über 60 Prozent liegen. In keiner anderen Stadt weltweit war der Preisanstieg so groß wie in Berlin. Aber auch Hamburg, München und Frankfurt gehören zu den zehn Städten mit den am schnellsten steigenden Preisen. Viele Unistädte gehören auch dazu. Nicht umsonst sind über 20 000 Menschen letztes Wochenende auf die Straßen gegangen, um gegen den Mietenwahnsinn und die soziale Verdrängung zu protestieren, und das zu Recht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Und was fällt der FDP ein? Der FDP fällt nichts Besseres ein, als einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer zu fordern. Jeder weiß: Der Erwerb einer eigenen Immobilie kommt heutzutage – mit oder ohne Freibetrag – nur für einen sehr kleinen Bevölkerungsteil infrage, vielleicht im ländlichen Raum.
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Es geht jedoch vor allem um die Menschen in Ballungszentren. Deutschland ist traditionell eine Mieternation. Das ist bei Ihnen offenkundig nicht angekommen.
({3})
Zur Aufklärung: In den Städten, in denen bezahlbarer Wohnraum besonders knapp ist, ist die Mieterquote besonders hoch. In Berlin wohnen 86 Prozent der Menschen zur Miete, in Frankfurt 80 Prozent, in München 79 Prozent, in Hamburg 76 Prozent. Wir als SPD wollen deshalb eine wohnungs- und mieterpolitische Wende
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und haben dementsprechend auch im Koalitionsvertrag Maßnahmen für mehr bezahlbaren Wohnraum durchgesetzt. Wir wollen, dass in den kommenden Jahren 1,5 Millionen Wohnungen gebaut werden.
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Hierfür werden wir den Ländern in den kommenden zwei Jahren zweckgebunden 2 Milliarden Euro zur Verfügung stellen.
({6})
Wir werden eine Enquete-Kommission „Nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik“ einsetzen. Wir werden den Missbrauch bei der Grunderwerbsteuer durch Share Deals effektiv und rechtssicher beenden. Das steht auch so im Koalitionsvertrag, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({7})
Die Länder brauchen das Geld. Ein Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer schafft ein neues Loch. Problematische Ausnahmen gibt es genug. Deshalb wollen wir insbesondere bei den Share Deals so schnell wie möglich zum Zuge kommen. Hierzu gibt es bereits eine Arbeitsgruppe der Länder. Bis zur Sommerpause werden hier Vorschläge gemacht werden, wie man verhindern kann, dass die Grunderwerbsteuer systematisch umgangen wird. Ein Beispiel: Das Sony Center am Potsdamer Platz wurde im letzten Herbst im Rahmen eines Share Deals für 1,1 Milliarden Euro verkauft.
({8})
Dem Land Berlin sind dadurch 66 Millionen Euro an Steuereinnahmen verloren gegangen. Ich kann Ihnen sagen: Wir brauchen dieses Geld, um mehr bezahlbaren und sozialen Wohnraum zu schaffen. Darauf können wir nicht verzichten.
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Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus den Reihen der Freien Demokraten?
Ja.
Werte Frau Kollegin, Sie sprachen gerade die Gelder für den sozialen Wohnungsbau an. Das freut mich natürlich sehr. Sie sagten auch, da brauchen Sie noch mehr Geld und wollen dort noch mehr Geld ausgeben. Stimmen Sie mit mir überein, dass es gerade nach der Föderalismusreform und nach dem Ende der Zweckbindung der Gelder für den sozialen Wohnungsbau augenscheinlich viele sozialdemokratisch geführte Bundesländer gibt, die das Geld nicht einmal ausschütten, sondern in ihren Landeshaushalten an anderen Stellen versickern lassen, und das, obwohl das Finanzministerium sozialdemokratisch geführt ist? Ich stelle das in Mecklenburg-Vorpommern fest, ich habe das in Berlin zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Gelder, die der Bund den Ländern seit Jahren für den sozialen Wohnungsbau überweist, gerade in Ländern, wo Sie Verantwortung tragen, leider dafür nicht eingesetzt werden.
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Ich teile Ihre Einschätzung teilweise. Der Bundeszuschuss für den sozialen Wohnungsbau läuft 2019 aus. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die entsprechende Regelung im Grundgesetz verlängert wird, weil das im Rahmen des Länderfinanzausgleichs einfach nicht berücksichtigt wurde. Es wird eine Grundgesetzänderung dazu geben. Es werden den Ländern zweckgebunden 2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, und das ist auch gut so.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden also insbesondere den Missbrauch von Share Deals beenden,
({1})
bevor wir irgendetwas bei der Grunderwerbsteuer unternehmen. Falls wir hier nicht zuerst handeln, droht die Grunderwerbsteuer, wie gesagt, durch eine weitere Ausnahme zu einem Schweizer Käse zu werden. Das wollen wir nicht. Das ist ein Riesenproblem. Das würde auch zu Einnahmeausfällen führen, die die Länder sich nicht leisten können. Es gibt eine Studie des IW in Köln, die aufzeigt, dass die Steuereinnahmen aus der Grunderwerbsteuer um die Hälfte, also um fast 6 Milliarden Euro pro Jahr, niedriger ausfallen würden. Das geht nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist eine Mieternation. Deswegen brauchen wir Maßnahmen, die bezahlbaren Wohnraum schaffen und die Spekulationen beenden. Dazu leistet der FDP-Antrag leider keinen Beitrag. Vielleicht ändert sich das in Zukunft.
Vielen Dank.
({2})
Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich dem Kollegen Sebastian Brehm für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kennen Sie den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“? Der Hauptdarsteller Bill Murray spielt darin einen egozentrischen Wetteransager, der in einer Zeitschleife festsitzt und immer wieder denselben Tag erlebt.
In jeder Sitzungswoche bekommen wir nun einen Antrag der FDP, der suggerieren soll, dass diese FDP die einzige wirtschaftspolitische Kraft und der einzige wirtschaftspolitische Motor unseres Landes ist.
({0})
Jede Sitzungswoche handeln Sie nach demselben Strickmuster: ein plakativer Vorschlag zu einem Teilaspekt
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ohne Finanzierung und ohne Differenzierung.
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Sie machen lieber locker-flockige – wie formulieren Sie es? – Serviceopposition anstatt harte, anstrengende, differenzierte Regierungsarbeit.
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Ich spare mir an dieser Stelle die Aussage, dass Sie die Chance auf Regierungsverantwortung gehabt hätten.
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Ich spare mir auch die Aussage, dass Sie sich der Verantwortung entzogen haben. Aber lassen Sie uns auf die Inhalte zu sprechen kommen.
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Richtig und unstrittig ist, dass die Grunderwerbsteuer bei der Finanzierung des Familieneigenheims eine wesentliche Kostenbelastung darstellt. Viele Familien haben gerade einmal genug Eigenkapital, um die Erwerbsnebenkosten wie die Notarkosten und die Grunderwerbsteuer zu tragen. Darüber sind wir uns alle einig. Einig sind wir uns übrigens auch in dem Ziel, dass wir eine Eigentümernation Deutschland brauchen.
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Aber wir sollten uns auch einig darüber sein, dass wir unsere Bemühungen vor allen Dingen auf Familien mit Kindern richten sollten. Sie tragen die Verantwortung in unserer Gesellschaft. Kinder sind unsere Zukunft. Deswegen setzen wir den Fokus auf Familien mit Kindern. Der ist auch richtig und notwendig. Diese Fokussierung erreichen Sie mit Ihrem Antrag nicht.
In Ihrem Antrag lassen Sie auch wesentliche Finanzierungsfragen außer Acht; der Kollege Gutting hat es schon gesagt. Es würden erhebliche Mehrbelastungen auf den Bund zukommen. Das Gesamtaufkommen betrug im Jahr 2017 13 Milliarden Euro. Mit Einführung des Freibetrages käme es zu erheblichen Belastungen für den Bund, weil dieser natürlich an die Länder zahlen müsste.
Die von Ihnen beschriebene Möglichkeit der Länder, dies einfach im Bund-Länder-Finanzausgleich zu regeln, ist völlig undifferenziert. Es wäre eine reine Belastung des Bundeshaushalts, und es käme zu erheblichen Fehlentwicklungen. Damit würde zeitnah die Einführung wichtiger Eigentumsfördermaßnahmen verhindert werden, Stichwort „Baukindergeld, verbunden mit einer Eigenkapitalförderung“. Es würde es erschweren oder gänzlich aufgrund der Belastungen verhindern.
Deswegen muss, bevor wir an die Grunderwerbsteuer gehen – wir sind uns in der Zielsetzung einig –, zunächst ein Bündel von Maßnahmen abgearbeitet werden. Das ist die wichtige und richtige – ob ein Gutachten geschrieben wird oder nicht – Einführung des Baukindergeldes und die Förderung von Eigenkapitalmaßnahmen in diesem Jahr. Das ist die Erhöhung von Kindergeld und Kinderfreibetrag für Familien im nächsten Jahr. Das ist natürlich eine Neuregelung des Grundsteuergesetzes mit dem Ziel der Aufkommensneutralität. Und wir brauchen eine schnellere Verfügbarkeit von Grundstücken durch ein Planungs- und Baubeschleunigungsgesetz. All diese Maßnahmen stehen im Koalitionsvertrag.
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Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus den Reihen der FDP-Fraktion? Sie würde Ihre Redezeit verlängern.
Sehr gerne.
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Ich habe gerade gefragt, ja, aber jetzt ist Herr Brehm hier am Werk.
Sehr geehrter Herr Brehm, Sie haben gerade zu Recht festgestellt, dass die Erwerbsnebenkosten ein großes Problem sind und Sie das mit Ihrem Baukindergeld besser lösen wollen, weil eine Kinderkomponente dabei wäre.
Ich frage mich: Die Erwerbsnebenkosten werden zu Beginn fällig, nämlich wenn man das Objekt erwirbt, und werden meist von einem Teil des Eigenkapitals beglichen. Wie wollen Sie mit Ihrem Baukindergeld, das Sie über viele Jahre ausschütten wollen, dieses Problem ernsthaft lösen? Mit einem Baukindergeld, das Sie über Jahre verteilt ausgeben, schaffen Sie es nicht, die Erwerbsnebenkosten zu berücksichtigen, die beim Kauf eines Objektes entstehen. Das schafft man nur, indem man die Grunderwerbsteuer absenkt oder einen Freibetrag schafft. Wie können Sie das erklären?
Warten Sie ab, bis der Vorschlag zum Baukindergeld kommt! Es wird Maßnahmen geben, um mithilfe des Baukindergelds die Eigenkapitalbildung zu begünstigen, verbunden mit vorrangiger Tilgung eigenkapitalersetzender Darlehen. Das ist ein richtiger und wichtiger Vorschlag. Lassen Sie uns, wenn der Vorschlag kommt, gemeinsam darüber diskutieren und auch abstimmen, damit es zu einer Entlastung kommt.
Im Ziel sind wir uns ja einig. Auch für uns ist der Ansatz der Grunderwerbsteuer zu hoch, und natürlich müssen wir hier eine Reform machen. Aber wir müssen doch zuerst die jungen Familien unterstützen und jene Maßnahmen abarbeiten, die in der Koalition unstrittig sind, und dann gehen wir an die Grunderwerbsteuer. Ihr Vorschlag ist überhaupt nicht finanziert. Ohne Finanzierung greifen wir aber in den Bundeshaushalt ein. Deswegen können wir die Maßnahme jetzt nicht so, wie von Ihnen vorgeschlagen, durchsetzen.
Wenn wir am Ende der ganzen Maßnahmen sind, die ich beschrieben habe, dann werden wir mit den Ländern verhandeln. Der Kollege Olav Gutting hat es gesagt: Wir müssen dann in Gespräche mit den Ländern eintreten, damit auch sie an den Kosten der Senkung der Grunderwerbsteuer beteiligt werden und nicht alles zulasten des Bundes geht. Diesen Schritt werden wir gemeinsam vornehmen. Ich lade Sie herzlich ein, gemeinsam darüber zu diskutieren.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Brehm. – Ein Hinweis an den Kollegen Michelbach: Es war zwar derselbe Fragesteller, aber ein anderer Redner, und deshalb war es möglich, dass eine weitere Frage gestellt wird.
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– Schön, dass Sie das auch bemerkt haben.
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/1696 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Danke, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Kürzlich berichtete mir ein junger Mann, dass er zu seiner Ausbildungsstelle täglich schwarzfahren müsse, sein Lehrlingsgehalt reiche nicht für den Kauf eines Monatstickets. Nun fürchtet er, wegen mehrfachen Schwarzfahrens in den Knast zu kommen; denn nach § 265a des Strafgesetzbuches droht demjenigen, der ohne Ticket fährt, ein Jahr Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe. Die Folge für den jungen Mann wäre der Verlust seiner Ausbildungsstelle und damit die Arbeitslosigkeit. Dieser Auszubildende fährt nicht schwarz, weil er irgendeine kriminelle Energie hat. Er fährt ohne Ticket, weil er kein Geld dafür hat. So was gehört nicht bestraft. Schwarzfahren gehört raus aus dem Strafgesetzbuch.
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Dazu haben wir heute einen Gesetzentwurf vorgelegt.
Ich möchte ihnen drei weitere Gründe nennen, die für unseren Gesetzentwurf sprechen.
Erstens. Wer schwarzparkt, also falsch parkt, der zahlt ein Bußgeld zwischen 10 und 25 Euro. Damit ist die Sache erledigt. Falschparken ist eine Ordnungswidrigkeit. Schwarzfahren hingegen ist eine Straftat. Wer es macht, muss also nicht nur die Vertragsstrafe – das erhöhte Beförderungsentgelt – von etwa 60 Euro bezahlen; ihm droht zusätzlich ein Strafverfahren. Das wirkt auf den Betroffenen wie eine Doppelbestrafung. Dabei haben Schwarzfahren und Schwarzparken in etwa den gleichen Unrechtsgehalt. Bei beidem gibt es keine besondere kriminelle Energie. Es darf nicht sein, dass Schwarzfahren deutlich härter bestraft wird als Falschparken. Das ist ungerecht.
({1})
Zweitens. Die Verkehrsunternehmen haben zivilrechtliche Möglichkeiten, ihr Geld einzutreiben. Sie können Schwarzfahrer auf Zahlung verklagen. Zudem erheben sie die besagten 60 Euro Vertragsstrafe. Die Verkehrsunternehmen haben also rechtliche Möglichkeiten, ihre Ansprüche durchzusetzen. Ihnen geht es nicht anders als anderen, denen gegenüber ein Vertrag gebrochen wird; auch sie sind selbst zuständig fürs Geldeintreiben.
Das Strafrecht benutzen die Verkehrsunternehmen als Möglichkeit, Kosten zu sparen. Denn die Ermittlungen durch Polizei und Justiz gegen den jeweiligen Schwarzfahrer zahlt der Steuerzahler. Damit muss endlich Schluss sein.
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Drittens. Das Übelste an diesem Straftatbestand ist: Er richtet sich gegen arme Menschen. Wer nur eine kleine Rente hat, wer nur ein kleines Azubigehalt bezieht, der kann sich oft kein Ticket leisten. Beim kargen Hartz-IV-Satz sind gerade einmal 26 Euro für Mobilität vorgesehen. Wo können Sie denn dafür ein Monatsticket kaufen? Die Menschen müssen aber mobil sein, weil sie zum Amt müssen, weil sie zu Bewerbungsgesprächen müssen.
Laut einer Studie, in Auftrag gegeben von der Landesregierung NRW, sind 58 Prozent der Menschen, die wegen Schwarzfahrens verurteilt werden, Hartz-IV-Empfänger, 21 Prozent sind obdachlos. Es ist unerträglich, dass Menschen wegen ihres leeren Geldbeutels bestraft werden. Armut darf keine Straftat sein.
({3})
Übrigens: Natürlich verurteilen die Gerichte die Betroffenen meist zu einer Geldstrafe und nicht zu einer Gefängnisstrafe. Aber wer sich kein Ticket leisten kann, der kann auch nicht die Geldstrafe zahlen. Wer aber die verhängte Geldstrafe nicht bezahlt, dem droht die Ersatzfreiheitsstrafe; der muss also das Ganze im Knast absitzen.
Bundesweit sitzen nach Angaben der NRW-Landesregierung 5 000 Menschen wegen Beförderungserschleichung im Gefängnis. Jeder Tag Haft kostet pro Gefangenen 130 Euro. Bundesweit werden jährlich 200 Millionen Euro dafür ausgegeben, Menschen in den Knast zu stecken, die ihre Geldstrafe nicht zahlen konnten. Das ist doch irrsinnig!
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Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Meine Damen und Herren, unser Gesetzentwurf würde zur Entlastung der Gerichte und der ohnehin vollgestopften Gefängnisse führen. Eine Entkriminalisierung des Schwarzfahrens fordern auch der Deutsche Richterbund und die Gewerkschaft der Polizei. An die Union gerichtet sage ich: Falls Sie nicht auf Die Linke hören wollen, hören Sie wenigstens auf Ihren Justizminister in NRW, Herrn Biesenbach. Auch er forderte jüngst die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens. Ich finde, er hat recht.
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Herzlichen Dank. – Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Ingmar Jung.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Movassat, ich komme aus Hessen und halte es eher mit der hessischen Justizministerin, die neulich in der „FAZ“ sehr nachdrücklich dargelegt hat, warum es richtig ist, den Straftatbestand des Schwarzfahrens beizubehalten. Dafür tritt auch die Unionsfraktion hier ein, und ich will Ihnen auch sagen, warum.
Zuerst sage ich aber etwas zu dem, was Sie eben zur Überlastung der Gerichte, zur Ersatzfreiheitsstrafe und zu Ähnlichem gesagt haben. Eines sollte klar sein: Wir dürfen bei der Frage, ob wir im Strafrecht etwas ändern, ob wir Straftatbestände beibehalten oder nicht, nicht mit der Situation in den Gefängnissen und der Lage der Gerichte argumentieren – auch darüber kann man diskutieren –, sondern wir müssen darüber reden, wofür wir Strafgesetze haben, ob Strafzwecke bestehen und ob sie in dem Fall, über den wir diskutieren, angebracht sind.
Im Idealfall wirkt Strafrecht generalpräventiv. Die Idealvorstellung ist: Wir haben eine Strafnorm für ein Verhalten, das die Gesellschaft verurteilt, und die strafrechtliche Relevanz führt dazu, dass eine breite Masse potenzieller Täter von diesem Verhalten abgeschreckt wird.
Dieser Strafzweck ist beim § 265a StGB zweifellos nicht erfüllt; das muss man sagen. Die breite Masse der Bevölkerung, der Otto Normalbürger, weiß nämlich nicht, dass Schwarzfahren tatsächlich strafbar ist. Es würde mich einmal interessieren, Herr Kollege, ob der Lehrling, mit dem Sie gesprochen haben, wirklich von der Strafbarkeit des Schwarzfahrens gesprochen hat oder vom erhöhten Beförderungsgeld.
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– Ja, dann war es aber wahrscheinlich ein Profi; die gibt es auch.
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Aber die allermeisten Leute wissen das nicht. Ich habe das in den letzten Tagen getestet und einige gefragt: Was passiert denn, wenn du schwarzfährst, wenn du den öffentlichen Nahverkehr nutzt und keinen Fahrschein hast? Alle haben mir geantwortet: Das kostet 60 Euro. – Sie sprechen also vom erhöhten Beförderungsgeld und sehen nicht die strafrechtliche Relevanz, die dahintersteht. Generalprävention ist also kein taugliches Instrument. An dieser Stelle gebe ich Ihnen recht.
Aber es gibt noch einen weiteren Zweck, der hier zweifellos erfüllt ist. Eine nicht irrelevante Zahl von Menschen versucht ganz gezielt, das System auf Kosten anderer auszunutzen. Sie rechnen sich gezielt aus: Wie oft muss ich schwarzfahren, mich ordentlich genug verstecken und nicht erwischt werden, damit es sich am Ende lohnt,
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mir auf Kosten aller anderen die Beförderung zu erschleichen? Diesem Umstand kann man zweifellos mit den Mitteln des Strafrechts begegnen. Hier ist Prävention absolut sinnvoll.
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Wir können uns überlegen, ob wir für eine Entkriminalisierung sorgen wollen. In dem Fall würden wir das Fahren ohne Fahrschein für nicht ausreichend strafwürdig erachten. Die Linken schreiben in dem Gesetzentwurf: Da man beim Einsteigen in Bus oder Bahn keine Schutzvorrichtung überwinden muss, ist die Entfaltung krimineller Energie nicht notwendig. – Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Dieses Argument verstehe ich überhaupt nicht. Es kann doch nicht sein, dass ein Verhalten nur dann als verurteilungswürdig erachtet wird, wenn der Fahrgast ein Drehkreuz passieren oder einen Fahrschein entwerten muss, damit sich die Tür öffnet.
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Diejenigen, die ständig ohne Fahrschein fahren – und um die geht es hier – und sich genau ausrechnen, ab wann es sich lohnt, schwarzzufahren, machen dies zulasten der anderen Fahrgäste, für die das Ticket immer teurer wird, und zulasten der gesamten Steuerzahler; denn es handelt sich hier um einen hochsubventionierten Bereich. Das ist in hohem Maße unsolidarisch und daher verurteilungswürdig. Das müsste doch auch Die Linke verstehen. Ich finde, wir sollten an dieser Stelle den Straftatbestand beibehalten.
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Da Sie mehrmals dazwischengerufen haben, Herr Movassat: Es gibt hier einen Unterschied zum Schwarzparken. Schwarzparken findet selten in einem Bereich statt, der hochsubventioniert ist. Parkregelungen dienen meistens der Verkehrssteuerung. Sie sollen dafür sorgen, dass die Parkraumbewirtschaftung ordentlich funktioniert. Das ist etwas völlig anderes als ein hochsubventionierter Bereich, in dem einzelne Personen versuchen, auf Kosten anderer einfacher durchzukommen. Deswegen zieht der Vergleich in keiner Weise.
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Ich will noch etwas zur Situation in den Justizvollzugsanstalten und zur Überlastung der Justiz sagen. Es gibt unterschiedliche Angaben. Sie haben die Situation in NRW erwähnt. Andere Landesjustizministerien schildern die Situation etwas anders. Aber zweifellos ist es so, dass viele, die eine Ersatzfreiheitsstrafe in den JVAs absitzen, aus dem Kreis der Schwarzfahrer kommen. Aber das kann doch kein Argument sein, das Strafrecht zu ändern. Wir können doch nicht sagen: Das kostet 130 Euro pro Tag, wir gestalten das Strafrecht nur noch nach Kassenlage. Wenn wir knapp bei Kasse sind, müssen wir über andere Möglichkeiten diskutieren. Das kann nicht das Argument für eine Änderung des Strafrechts sein.
Ich gebe Ihnen ja recht, dass es unbefriedigend ist, dass Ersatzfreiheitsstrafen in nicht irrelevanter Zahl verbüßt werden, aber wir dürfen doch nicht aufgeben. Wir dürfen doch nicht kapitulieren, weil wir uns das nicht mehr leisten wollen. Vielmehr müssen wir überlegen, ob es andere Sanktionsmechanismen gibt.
Warum kann man nicht darüber diskutieren, ob jemand, der dauerhaft schwarzfährt, der das quasi professionell macht, der Gesellschaft etwas zurückgibt, wenn er vorher etwas genutzt und nicht dafür gezahlt hat?
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Warum kann eine Sanktion nicht darin bestehen, dass man sich an sozialen Aufgaben beteiligt? Was spricht dagegen, dass man sich an der Reinigung von öffentlichen Bahnanlagen beteiligt, wenn man den öffentlichen Personennahverkehr ohne Gegenleistung nutzt? Warum kann man nicht andere soziale Aufgaben übernehmen? Darüber müssen wir diskutieren, um die unbefriedigende Situation zu beseitigen.
Wir sind gerne bereit, mit Ihnen darüber zu diskutieren, wie wir die Situation verbessern können. Aber wir können nicht sagen: Nur weil es sich an einer Stelle für den Staat nicht mehr komplett rechnet und wir uns Ersatzfreiheitsstrafen und gerichtliche Verfahren nicht mehr leisten wollen, ändern wir das Strafrecht. Das wäre der falsche Weg. Lassen Sie uns lieber darüber sprechen, wie wir andere Wege finden können, um die Situation befriedigender zu lösen.
Herzlichen Dank.
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Ganz genau auf die Sekunde. Herzlichen Dank, Herr Kollege Jung. – Als Nächstes für die AfD-Fraktion der Abgeordnete Thomas Seitz.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als ehemaliger Staatsanwalt kann ich nur den Kopf schütteln über die beiden Gesetzentwürfe von Bündnis 90/Die Grünen und der Linksfraktion. Die einen wollen das sogenannte Schwarzfahren nur noch als Ordnungswidrigkeit ahnden, die anderen wollen es komplett straflos stellen. Neu ist dieses Anliegen nicht. In der 12., 13. und auch 18. Wahlperiode wurden vergleichbare Vorlagen eingebracht – zu Recht ohne Erfolg.
Worum geht es hier? Diese Vorlagen betreiben genau das, was man den Kollegen von der FDP regelmäßig und oft auch begründet vorwirft: Klientelpolitik,
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nur dass die Klientel der Grünen und Linken eben nicht Hotelkonzerne oder Apotheker sind, sondern Personen, die unsere Rechtsordnung und unseren Staat ablehnen,
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ihn auf Plakaten auch mal als – Zitat – „mieses Stück Scheiße“ bezeichnen und sein „Verrecken“ fordern.
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Es sind Personen, die sich ihre Unwilligkeit, für den eigenen Lebensunterhalt arbeiten zu gehen und sich gesellschaftlichen und rechtlichen Regeln zu unterwerfen, schönreden, indem sie sich selbst zu Opfern der Gesellschaftsordnung erklären.
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Überproportional viele der Täter gehören übrigens zu den, wie Frau Merkel sagen würde, wenn sie jetzt da wäre, Menschen, die noch nicht lange hier leben. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik von 2016 sind beim Vorwurf der Beförderungserschleichung 74 000 von 160 000, also etwa die Hälfte, nichtdeutsche Tatverdächtige.
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Natürlich schreiben Grüne und Linke in ihre Begründungen nicht hinein, dass es im Grunde darum geht, die deutsche Staatlichkeit weiter auszuhöhlen und der Verachtung unserer Gesellschaft und ihrer Regeln weiter Vorschub zu leisten.
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Die Straflosigkeit des Ladendiebstahls wird Ihre nächste Forderung sein, während Sie umgekehrt bei der immer stärkeren Kriminalisierung von Meinungen oder Gesinnungen Vollgas geben.
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Sie behaupten wahrheitswidrig, arme Menschen würden entweder vom Personennahverkehr ausgeschlossen oder kriminalisiert. Natürlich muss ein Leben mit Hartz IV verdammt hart sein. Aber haben Sie schon mal etwas von Sozialtickets gehört? Ihr Antrag beleidigt jeden Menschen in Deutschland, der mit einem geringen Haushaltseinkommen wirtschaften muss und sich trotzdem rechtstreu verhält.
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Hier wird also niemand in die Kriminalität gedrängt, der nicht ohnehin rechtsfeindlich denkt. Dies wiederum muss konsequent strafrechtlich sanktioniert werden, gerade auch bei Jugendlichen und Heranwachsenden.
Es passt ins Bild, wenn die Linksfraktion darauf Bezug nimmt, dass eine Verurteilung wegen Beförderungserschleichung zu einer Ausweisung führen könnte. Meine Damen und Herren, es ist doch gerade Sinn und Zweck von Ausweisungstatbeständen – zumindest theoretisch –, aus dem Fehlverhalten von Ausländern die Konsequenz zu ziehen, dass deren Aufenthalt in Deutschland zu beenden ist.
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Wenn Sie ernsthaft behaupten wollen, dass in Deutschland eine Verurteilung wegen Beförderungserschleichung ursächlich für eine Ausweisung sein könnte, dann haben Sie keine Ahnung von der Rechtspraxis.
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Schwarzfahren wird verfolgt, weil es hier um den Schutz eines individuellen Rechtsguts vor dessen bewusster Verletzung geht. Beim Falschparken dagegen geht es um die Sicherheit des Straßenverkehrs, wofür eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit eben ausreicht. Angesichts der hohen Dunkelziffer bei Beförderungserschleichungen ist es geradezu obszön, dass im Gesetzentwurf der Linksfraktion die Rede davon ist, dass hierdurch „kein besonderer gesellschaftlicher Schaden“ entstünde. Die Kosten, die die Schwarzfahrer verursachen, zahlen die ehrlichen Benutzer der Verkehrsmittel oder Steuerzahler.
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Auch Ihre Bezugnahme auf die erforderliche kriminelle Energie geht daneben. Warum bleibt dann Unterschlagung strafbar? Gerade weil es sich um ein Massendelikt handelt, hätte es auf das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung eine verheerende Wirkung, die Strafbarkeit der Beförderungserschleichung abzuschaffen. Denn was passiert dann wohl in Zukunft mit dem Rechtsempfinden von all denjenigen, die sich ihrer Zahlungspflicht nicht entziehen? Ihr Ansatz, dass verbotene Verhaltensweisen faktisch toleriert werden, wenn nur häufig genug gegen das Verbot verstoßen wird, führt zur Erosion des Rechtsstaats und zum Verlust der Akzeptanz des Rechts.
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In der Zukunft dann auch bei Ehrenmorden?
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Ja, die Verfolgung von Massendelikten stellt Polizei und Justiz, vor allem auch im Bereich der Vollstreckung, vor große Herausforderungen. Aber Ihr Ansatz ist keine Lösung. Wenn Sie Polizei und Justiz wirklich entlasten wollen, dann helfen Sie einfach mit, unsere Grenzen besser zu schützen, und unterstützen Sie die Abschiebung von Ausländern ohne Aufenthaltsrecht.
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Die Polizeiliche Kriminalstatistik sagt Ihnen, weshalb.
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Die Fraktion der Alternative für Deutschland stimmt der Überweisung an die Ausschüsse zu. In der Sache lehnen wir Ihre Gesetzentwürfe ab.
Danke.
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– Stellen Sie doch einfach eine Zwischenfrage!
Herr Kollege Seitz, mir steht als Präsident eine Kommentierung von Redebeiträgen nicht zu.
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Ich möchte nur zur Objektivierung festhalten
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– nein –, dass für die Erfüllung des objektiven Tatbestands der Beförderungserschleichung die Staatsbürgerschaft und die Nationalität überhaupt keine Rolle spielen.
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– Wir haben hier Zuschauer, und es geht darum, einen Sachverhalt klarzustellen, der möglicherweise zur Verwirrung beitragen kann.
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Als Nächstes für die SPD der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner.
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Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie diese rechtliche Tatsache klargestellt und dafür auch eine Begründung gegeben haben.
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich habe gedacht, ich höre nicht recht, als vorhin von einer Güterabwägung gesprochen wurde, insbesondere im Bereich des Bußgeldes. Ich hatte nicht im Traum daran gedacht, die Gesetzentwürfe der Grünen oder der Linken in irgendeiner Weise zu begründen. Aber ich sage ganz deutlich: Wenn man Verkehrsdelikte – beispielweise einen Rotlichtverstoß, bei dem Menschenleben gefährdet werden können – und Ordnungswidrigkeiten als ganz normale Angelegenheit betrachtet und die Beförderungserschleichung, sprich das Schwarzfahren, in unserem Wertegefüge als krimineller einordnet, dann bin ich, glaube ich, auf dem falschen Dampfer.
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Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, soll aber nicht bedeuten, dass ich der Auffassung bin, der Straftatbestand der Beförderungserschleichung in der jetzigen Form müsse beseitigt werden. Ich sage das ganz deutlich.
Lassen Sie uns zu den Tatsachen zurückkommen, also zu dem, worum es geht. Ich habe zweifelsohne sehr viel Verständnis für den Gedanken, eine Entkriminalisierung unseres Strafrechts vorzunehmen und dafür zu sorgen, dass nur wirklich kriminelle Straftaten dem Strafrecht unterliegen und in anderen Bereichen das Ordnungswidrigkeitenrecht anzuwenden ist. Aber ich sage auch ganz deutlich, lieber Kollege Movassat: Ich möchte nicht, dass die Frage: „Strafrecht oder Ordnungswidrigkeitenrecht?“ die Baustelle ist, auf der wir geringe Ausbildungsvergütungen, niedrige Löhne und die Armut in diesem Lande reparieren; das geht nicht.
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Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht müssen unabhängig davon, was jemand verdient, angewendet werden.
Ich will in diesem Hause Folgendes sagen: Wegen Beförderungserschleichung – Herr Seitz, als Staatsanwalt wissen Sie das bzw. müssten Sie das eigentlich wissen – werden in diesem Lande nur Personen belangt, die aufgrund eines Strafantrags des Beförderungsunternehmens ein Strafverfahren durchlaufen, dabei muss – das darf man nicht vergessen – der Geringwertigkeitsbetrag von 50 Euro überschritten sein. Wenn der Schaden geringer als 50 Euro ist, wird dieser Straftatbestand, auch auf Antrag, von keiner Staatsanwaltschaft in Deutschland verfolgt, außer es handelt sich zum Beispiel um einen Wiederholungstäter. Eine Gesamtstrafenbildung gibt es natürlich. Aber ich würde sagen: Für jemanden, der einen Diebstahl oder eine Körperverletzung begangen hat und bei dem eine Beförderungserschleichung hinzukommt, ist Letzteres nicht unbedingt ausschlaggebend.
Ich sage ganz deutlich: Ich halte es für den falschen Weg und den falschen Ansatz, Personalpolitik in Justizvollzugsanstalten und im Justizhaushalt allein im Hinblick auf das Strafrecht zu betreiben. Als der Berliner Justizsenator vor kurzem anlässlich des Ausbruchs mehrerer Häftlinge laut darüber nachdachte, die Beförderungserschleichung nicht mehr auch mit Haftstrafen zu ahnden, um so Ausbrüche aus Justizvollzugsanstalten zu verhindern, habe ich mich gefragt, ob er jemals in einer JVA war. Es waren übrigens andere, die dort ausgestiegen sind.
Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten denken, dass es im Zusammenhang mit der Entschlackung des Strafrechts notwendig ist, auch die Beförderungserschleichung in den Fokus zu nehmen. Wir dürfen aber keinen Schnellschuss machen und einfach sagen: Das tun wir jetzt zur Seite. – Wir müssen gut abwägen und eine richtige Lösung finden. Denn es kann nicht sein, dass Beförderungserschleichung unter das OWiG fällt und wir dann gegebenenfalls Strafverfahren wegen schweren Betruges haben, bei denen es darum geht, dass zwei Jahre lang mit vollem Vorsatz ein öffentliches Verkehrsmittel benutzt wurde.
Eines noch an die Kollegen der Linken: Wer seine Geldstrafe nicht bezahlen kann, der kann sie in diesem Land – ein Blick in den Gesetzestext erleichtert die Rechtsfindung – nach § 293 EGStGB durch gemeinnützige Arbeit abarbeiten.
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Das ist ein sehr guter Weg, und darum ermuntere ich alle Justizverwaltungen, diesen Weg auch zu gehen, um Menschen nicht zu kriminalisieren.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und ein schönes Wochenende.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege Dr. Brunner. – Als Nächstes für die Freien Demokraten die Kollegin Katharina Kloke.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute stehen der Vorschlag der Linken, das Schwarzfahren als Straftatbestand ersatzlos abzuschaffen, und der Vorschlag der Grünen, das Schwarzfahren zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen, auf der Tagesordnung.
Derzeit sieht die Lebenswirklichkeit so aus: Nach § 265a StGB wird das Erschleichen von Leistungen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. In der Regel kommt man nicht ab dem ersten Erwischtwerden ins Gefängnis. Manche trifft eine Geldstrafe aber härter als eine Freiheitsstrafe auf Bewährung.
Die polizeiliche Kriminalstatistik erfasste 2016 bundesweit rund 246 000 Schwarzfahrerfälle. In ganz Deutschland verbüßten 7 600 Personen eine Freiheitsstrafe wegen Schwarzfahrens. Wir reden also über die Freiheitsrechte vieler einzelner Menschen in Deutschland.
Freiheit ist wichtiger als Geld, aber unwichtig ist Geld natürlich auch nicht. Strafverfahren wegen Schwarzfahrens kosten die Bundesländer eine ganze Stange Geld: Kosten der Polizeiarbeit, Kosten der Arbeit von Staatsanwälten und Richtern, Kosten für die Justizvollzugsanstalten.
Ich komme aus NRW. Dort geht es in 8,5 Prozent aller erledigten Verfahren der Staatsanwaltschaft um das Schwarzfahren. Dies sind rund 100 000 Fälle. Mehr als jedes zehnte strafrechtliche Urteil in NRW betrifft Schwarzfahrer. NRW gibt pro Tag rund 160 000 Euro für inhaftierte Menschen aus, die das Gericht überhaupt nicht inhaftieren wollte, weil sie eigentliche eine Geldstrafe zahlen sollten.
Sind das Argumente für eine „Justiz nach Kassenlage“, wie die Verkehrsbetriebe sagen?
Den Verkehrsbetrieben und ihren Kontrolleuren würde nichts genommen werden, wenn Schwarzfahren keine Straftat mehr wäre. Ihnen bliebe das Selbsthilferecht nach § 229 BGB.
Eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit entlastete in gewissem Umfang die Justiz. Sie würde bei der Priorisierung auf die Bereiche helfen, in denen der Rechtsstaat tatsächlich gefährdet ist oder zum Wohle der Bürger mehr bewirkt, zum Beispiel bei der Bekämpfung von Terrorismus, Cyberkriminalität oder Wohnungseinbrüchen. Andererseits sind viele Fälle denkbar, in denen der OWiG-Bußgeldrahmen vielleicht nicht ausreicht, etwa, wenn sich jemand wiederholt im ICE von Hamburg nach München ohne Ticket erwischen lässt.
Wir Freien Demokraten haben den Wählerinnen und Wählern versprochen, den Rechtsstaat zu stärken. Dazu gehören mehr Polizisten auf der Straße, mehr Richter und mehr Staatsanwälte.
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Wir müssen aber auch den Aufgabenkatalog für Polizei und Gerichte überprüfen und auf das Wesentliche konzentrieren. Wer immer und bei allen Themen nur mehr Schärfe und Härte fordert, Herr Bundesinnenminister, der zeigt auch, dass er nicht priorisieren kann oder will.
Ressourcen sind aber endlich. Da, wo wir den Rechtsstaat über das Strafgesetzbuch definieren, müssen wir die Mittel bereitstellen, um ihn auch durchzusetzen. Nicht alles, was einmal im Gesetzbuch steht, muss aber auf alle Zeit dort stehen bleiben. Der Gesetzgeber sind wir!
Im liberalen Rechtsstaat ist das Strafrecht Ultima Ratio, also das äußerste Mittel, um den Rechtsfrieden zu erzwingen, wenn Privatrecht und Verwaltungsrecht nicht mehr weiterhelfen. Diese Ultima-Ratio-Grenze ist hier nicht erreicht.
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Wir brauchen also eine andere Lösung für das Problem des Schwarzfahrens, als sie das Gesetzbuch derzeit hergibt. Das Schwarzfahren einfach nur aus dem § 265a StGB zu streichen, kann nicht die Antwort sein. Eine angemessene Lösung im weiteren Verfahren wird an den Freien Demokraten nicht scheitern.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Canan Bayram.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Frage werfe ich noch einmal auf: Warum ist Falschparken eine Ordnungswidrigkeit, aber das Fahren ohne Fahrschein eine Straftat?
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Alle Redner, die wir dazu bisher gehört haben,
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haben diese Frage in ihren Beiträgen nicht beantworten können,
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sondern haben letztlich darum herumgeredet, weil sie sich der Frage nicht wirklich stellen wollten. Wir wollen das, und wir wollen dieses Problem angehen.
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Solange es den § 265a StGB gibt, gibt es die Diskussion darüber, ob er nicht systemwidrig ist, ob dort eine Tat unter Strafe gestellt wird, von der vielleicht der Täter selbst nicht einmal mitbekommt, dass er damit eine Straftat begeht. Deswegen hat der Kollege von der CDU in erster Linie auf Wiederholungstäter abgestellt, bei denen er die Häufigkeit dieser Handlung herausgestellt hat.
Aber der grundsätzliche Fall ist doch, dass diese Tat geschieht und dass man sich fragt: Wer trägt die Verantwortung dafür, dass es passiert? Sind es die Verkehrsunternehmen, die nicht genügend gegen eine Nutzung entgegen den Beförderungsbedingungen absichern?
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Oder muss es das Strafrecht richten? Wir sind der Ansicht: Das Strafrecht muss es nicht richten, sondern diese Tat darf nur eine Ordnungswidrigkeit sein, meine Damen und Herren.
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Die Herabstufung des Schwarzfahrens zu einer Ordnungswidrigkeit würde für viele Menschen eine Erleichterung bedeuten. Das Thema Ticketpreise hat der Kollege schon ausgeführt. Dazu möchte ich nur sagen: Eigentlich ist Mobilität ein Recht, das im Sinne der Daseinsvorsorge für jeden gelten müsste. Jeder hat das Recht, sich zu bewegen. Dass dies nicht gewährleistet wird, sondern dass Menschen, die kein Geld haben und sich kein Ticket kaufen können, wegen Schwarzfahrens ins Gefängnis gehen müssen, ist für uns unerträglich. Das wollen wir auf jeden Fall ändern.
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Es wurde hier auch darüber diskutiert, wie sich das Ganze auf die Justizvollzugsanstalten auswirkt. Die Zahlen sind genannt worden: In Berlin ist es so, dass ein Haftplatz pro Tag 146 Euro kostet. Bundesweit werden circa 200 000 Euro für diese oft sinnlose Aufgabe ausgegeben. Der Justizvollzug ist auf Menschen mit so kurzen Strafen gar nicht ausgerichtet. Diese Menschen müssen teilweise zwei oder drei Monate im Knast verbringen. Dort kann überhaupt nichts unternommen werden, um ihre Situation zu verbessern.
Viele Menschen haben verschiedene Probleme, seien es psychische Probleme, seien es alltägliche Probleme. Auch der Redner der SPD hat das Argument gebracht: Diese Menschen könnten doch alle soziale Arbeit leisten. Dazu sage ich: Eine sozialdemokratische Partei sollte den Anspruch haben, sich die Sache genau anzuschauen. Wenn man das tut, sieht man: Diese Menschen haben viele Hemmnisse, sodass sie auch Sozialarbeit nicht leisten können.
Ich bin auf die Debatte im Ausschuss wirklich gespannt. Die Debatte hier im Plenum fand ich, ehrlich gesagt, enttäuschend.
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Bei vielen Beiträgen ist der Eindruck entstanden, dass Sie sich mit der Sache noch nicht inhaltlich beschäftigt haben. Derjenige, der vorne beim Busfahrer einsteigt und seine Fahrkarte nicht oder nur eine gefälschte Karte vorzeigt, macht sich doch heute schon nach § 263 StGB strafbar. Ihn müssen wir doch nicht nach § 265a StGB belangen. Ich hoffe also, dass wir im Ausschuss eine anständigere Debatte führen.
Für uns von Bündnis 90/Die Grünen steht fest: Es gibt ein Recht auf bezahlbare und attraktive Mobilität für alle. Aber sollte es der Bundesregierung gelingen, den kostenlosen ÖPNV durchzusetzen, dann können wir uns diese Debatte über Strafen sparen.
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Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion: der Kollege Alexander Hoffmann.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist richtig: Ein Rechtsstaat ist kein in Stein gemeißeltes Konstrukt, was die im Strafgesetzbuch niedergelegten Tatbestände und die dort formulierten Straftaten angeht. Es ist die Daueraufgabe eines Rechtsstaats, immer wieder zu überprüfen: Welches Verhalten will ich weiterhin missbilligen? Liegt hier nicht eine Verhaltensweise vor, bei der wir in Bezug auf die Einstufung von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit wechseln können?
Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es auch wichtig ist, wie wir eine solche Debatte führen. Dazu will ich Ihnen sagen, dass ich die Art und Weise, wie Sie, Frau Bayram, oder Sie, Herr Kollege Movassat, die Debatte geführt haben,
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für brandgefährlich halte.
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Wenn Sie das nämlich legalisieren wollen und es damit begründen, dass die Polizei viel zu tun hat oder dass die Gerichte überlastet und die JVAs überfüllt sind und die Ersatzfreiheitsstrafe zu viel kostet, dann werden Sie dieser Aufgabe gerade nicht gerecht, sondern das, was Sie damit machen, ist: Sie rufen die Kapitulation des Rechtsstaates aus, und das wird es mit uns nicht geben.
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Strafe darf nämlich nie eine Frage der Ressourcen sein, meine Damen und Herren. Wenn Sie dann sagen: „Die Menschen sind aus Armut zu dieser Straftat gezwungen“, dann gehen bei mir alle roten Lampen an. Denn dann müssen wir vorsichtig sein, sonst kommen wir komplett unter die Räder. Es gibt nämlich Menschen, die aus Armut anfangen, zu dealen, die an der Tankstelle die Zeche prellen, weil sie ihre Tankfüllung nicht bezahlen können, oder die in Lebensmittelgeschäften stehlen, weil sie sich den Einkauf nicht leisten können. Und dann merken Sie selbst, dass Sie nicht mehr definieren können, wo das hinführen soll.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wagner von der Fraktion Die Linke?
Ja, sehr gerne.
Sehr geehrter Herr Kollege Hoffmann, folgender aktueller Fall aus meinem Wahlkreis Bad Tölz-Wolfratshausen-Miesbach: Ein 15-jähriges Mädchen löst irrtümlich keine Fahrkarte für Erwachsene, sondern für Kinder. Das Mädchen wird kontrolliert, und es wird nicht nur das erhöhte Beförderungsentgelt fällig, sondern die Polizei ermittelt jetzt gegen das Mädchen wegen Betruges. Finden Sie das verhältnismäßig?
Herr Kollege, genau das ist das Gefährliche an der Debatte: Sie schmeißen alles durcheinander. Sie hat ein erhöhtes Beförderungsentgelt entrichten müssen. Sie wird zum Beispiel nicht wegen Erschleichens der Beförderungsleistung bestraft werden können, weil bei dem Tatbestand die Absicht nachgewiesen werden muss, dass sie das Entgelt nicht entrichten wollte, und das wird man dem Mädchen nicht nachweisen können.
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Herr Kollege, keine Zwiegespräche. Die Frage ist beantwortet, und wenn Sie weiteren Klärungsbedarf haben, können Sie das bilateral regeln.
Ich glaube, die Frage zeigt es sehr gut: Es wird letztlich alles in einen Topf geschmissen und dann versucht, irgendwie zu argumentieren.
Was ich an dieser Debatte für problematisch halte, ist auch die Bagatellisierung, die mit dieser Darstellung einhergeht. Vorhin wurde gesagt: Es wird nicht wirklich kriminelle Energie entfaltet; denn es müssen keine Zugangsbarrieren überwunden werden. – Dabei verschweigen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken und den Grünen, dass diese Frage schon vom BGH beleuchtet worden ist. Es gab lange in der Rechtsprechung einen Streit, welche Hürde zur Erfüllung des Tatbestandes erforderlich ist und ob zum Beispiel das bloße Erlangen der Leistung durch unbefugtes Benutzen ausreichend ist. Das hat der BGH bestätigt. Damit hat er bestätigt, dass dieser Tatstrafbestand vorliegt, auch wenn keine kriminelle Energie in Form des Überwindens einer Zugangskontrolle entfaltet wird.
Eine weitere Argumentation, was das Schädigungspotenzial angeht, ist: Es gibt ja keine Schäden an Eigentum oder an einer Person. – Auch da sollten wir sagen: Wir haben es mit einem Rechtsgut zu tun, das geschützt werden soll, und wir haben es auch mit einem Schaden an dem Rechtsgut zu tun. Schutzgut von § 265a StGB ist nämlich das Vermögen des Leistungserbringers. Das, liebe Frau Bayram – ich erkläre es gerne noch einmal –,
({0})
ist genau der Unterschied zu Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr, die vorliegen, wenn jemand zu schnell fährt oder falsch parkt. Denn in den Fällen, über die wir jetzt reden, gibt es einen Leistungserbringer – das kann im Übrigen auch ein privater Leistungserbringer sein –, und dessen Vermögen wird in diesem Moment geschädigt.
Auch der Vergleich mit dem Überfahren einer roten Ampel trägt nicht, Herr Kollege Brunner. Denn wenn ich eine rote Ampel überfahre und dabei eine andere Person oder ein Fahrzeug beschädige, bin ich sehr wohl ganz schnell im Strafrechtsbereich.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gelbhaar von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Selbstverständlich. Ich habe Zeit mitgebracht, Herr Präsident.
Ich halte die Zeit ja auch an.
Das ist gut und richtig so, Herr Präsident. – Herr Hoffmann, Sie haben gerade ein paar Beispiele gebracht. Zum Beispiel haben Sie gesagt: Wer eine rote Ampel überfährt und jemanden verletzt, begeht eine Straftat. Aber um den Fall ging es doch gar nicht. Es ging doch um den Vergleich zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Das heißt, wer eine rote Ampel überfährt und keinen verletzt, begeht aktuell eine Ordnungswidrigkeit.
Wir reden doch darüber, ob diese Ordnungswidrigkeit – die massive Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer – mit dem Schwarzfahren insofern vergleichbar ist,
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als dass dort auch die Interessen anderer Personen berührt sind. Deswegen kann man sagen: Wir müssen hier nicht jedes Mal das Strafrecht zur Anwendung bringen. – Falschparken – das ist nicht mit dem Schwarzparken gleichzusetzen; ich glaube, dass Sie das immer verwechseln – ist auch nichts anderes als eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer; denn das hat zur Folge, dass Radfahrer ausweichen müssen und dass Fußgänger die Straße nicht einsehen können. Deswegen passieren jeden Tag schwere und schwerste Unfälle. Das so zu banalisieren und zu sagen: „Das ist gar nicht so schlimm, aber das Schwarzfahren müssen wir unter Strafe stellen“, damit kommen Sie nicht richtig weiter.
Meine Frage lautet daher: Warum glauben Sie, dass Schwarzfahren so viel mehr strafwürdig ist als Falschparken – nicht Schwarzparken – oder das Überqueren einer roten Ampel, das ja mit der erheblichen Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, bis zum Tode, einhergehen kann?
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Herr Kollege, ich habe zweimal versucht, das juristisch zu erklären. Ich versuche nun, es möglichst unjuristisch zu erklären. Oder sind Sie Jurist?
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– Entschuldigung, aber dann verwundert mich Ihre Frage; das sage ich Ihnen ehrlich.
Für eine Straftat muss eine Rechtsgutverletzung vorliegen. Das ist beim Schwarzfahren im Hinblick auf das Vermögen des Leistungserbringers so. Gehen wir einmal von dem Fall aus, dass jemand eine rote Ampel überfährt. Dadurch wird zunächst einmal nicht das Rechtsgut eines Dritten verletzt. Vielmehr handelt es sich allenfalls um ein – dieser Begriff sollte Ihnen bekannt sein – abstraktes Gefährdungsdelikt. Aber eine abstrakte Gefährdungskonstellation führt in Deutschland zu keiner Straftat. Erst dann, wenn es zu einem Schaden an einem fremden Auto oder einer fremden Person kommt, liegt eine Rechtsgutverletzung vor. Dann können wir im Rahmen des Strafrechts argumentieren. Vor diesem Hintergrund war ich so überrascht, dass diese Frage von einem Juristen kommt. – Danke.
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Nun zum dritten Argumentationsstrang. Es wird gesagt, dieser Straftatbestand diene nur noch der zivilrechtlichen Durchsetzung der Ansprüche der öffentlichen Verkehrsbetriebe. Diese ersparten sich dann Zugangskontrollen und Zugangsbeschränkungen. Dazu will ich drei Dinge sagen.
Erstens. Dieser Straftatbestand gilt auch – man höre und staune – für den Individualverkehr, zum Beispiel für Taxiunternehmen – wenn es sich nicht schon um Betrug handelt –, Schiffe und andere Organisationen, die mit Bussen Menschen transportieren.
Zweitens. Seien wir doch froh, dass keine Zugangsbarrieren errichtet werden. Wir wollen doch, dass auch eine Frau mit Kinderwagen einen Bus nutzen kann. Wollen Sie tatsächlich wegen 3,5 Prozent der Verkehrsnutzer – so hoch ist der Anteil der Schwarzfahrer – milliardenschwere Drehkreuze, Zugangskontrollen und Scankassen einführen?
Drittens. Diese Tat hat – damit bin ich wieder im Juristischen – einen eigenen Unrechtsgehalt, und zwar in dreifacher Hinsicht. So liegt zunächst einmal eine Rechtsgutverletzung vor. Des Weiteren muss die Absicht nachgewiesen werden – das muss erfüllt sein, Frau Bayram; Ihr Beispiel, dass jemand aus Versehen in der U-Bahn einschläft und dann nach dem Aufwachen feststellt, dass er kein Ticket hat, passt deshalb nicht –, das Entgelt nicht zu entrichten.
Letztendlich ist Schwarzfahren gemeinschaftsschädlich. Wir reden doch über Wiederholungstäter, also über diejenigen, die das regelmäßig machen. Dazu muss ich ganz ehrlich sagen: Wer meint, auf Kosten der Gemeinschaft eine im wahrsten Sinne des Wortes Freifahrt zu erhalten, handelt grob asozial.
Noch zwei, drei Sätze zur Ersatzfreiheitsstrafe, die die Länder angeblich so viel Geld kostet. Über diese Argumentation bin ich tatsächlich verwundert; denn es gibt bundesweit gute Beispiele, wie sich hier gemeinnützige Arbeit etablieren lässt und wie sich die Länder Kosten ersparen können. In Bayern gibt es das Programm „Schwitzen statt sitzen“. 2016 wurden dort 62 241 Hafttage erspart. Das sind über 6 Millionen Euro. In Berlin gab es 2014 das Programm „Arbeit statt Strafe“. Dadurch wurden 328 Haftjahre erspart. Das sind circa 14 Millionen Euro.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss.
Sie werden sicherlich nicht überrascht sein, dass wir Ihren Gesetzentwürfen überhaupt nichts abgewinnen können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege Hoffmann. – Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort der Kollegin Sarah Ryglewski von den Sozialdemokraten.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich versuche, das Ganze jetzt ein bisschen zu entemotionalisieren.
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– Mal gucken. Vielleicht werde ich ja am Ende der Debatte etwas emotionaler.
Ich glaube, niemand in diesem Raum ist der Meinung, dass Fahren ohne Fahrschein vollkommen ohne Konsequenzen sein sollte.
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Zumindest so lange, wie der öffentliche Personennahverkehr nicht kostenlos ist, sind wir der Meinung: Jeder soll erst einmal einen Fahrschein lösen; denn wer das nicht tut, der sorgt in der Konsequenz dafür, dass andere irgendwann ein höheres Beförderungsentgelt zahlen müssen, und das wollen wir alle nicht.
Natürlich muss deswegen das sogenannte Schwarzfahren Konsequenzen haben. Die Frage ist nur: Welche? Und: Sind sie eigentlich verhältnismäßig?
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Ich bringe jetzt einfach die soziale Komponente mit hinein. In der Tat ist Beförderungserschleichung ein Delikt, das in der Regel tatsächlich nur oder überwiegend Menschen mit wenig Geld begehen. Das heißt nicht, dass andere Menschen, die wenig Geld haben und die sich ein Ticket kaufen, blöde sind bzw. dass allen Menschen mit wenig Geld nichts anderes übrig bleibt, als schwarzzufahren. Aber es ist in der Tat so, dass ein vorsätzlicher Gelegenheitsschwarzfahrer in der Regel das erhöhte Beförderungsentgelt zahlt. Er kann am Ende vielleicht auch eine Geldstrafe zahlen. Er landet auf jeden Fall nicht im Gefängnis. Deswegen ist es ein Delikt, das für arme Menschen mit deutlich stärkeren Konsequenzen verbunden ist als für Menschen mit ausreichend Geld.
Das trifft die Menschen am Rande der Gesellschaft ganz besonders, mit der Folge, dass sie, wenn sie tatsächlich eine Vorstrafe erhalten, noch mehr Schwierigkeiten haben, einen Job, eine Wohnung etc. zu bekommen. Da kann man schon einmal die Frage stellen, ob das eigentlich die Konsequenzen sind, die wir wollen. Wie gesagt, wir wollen, dass es Konsequenzen gibt; aber die Frage ist, ob das Strafrecht dafür der richtige Ansatz ist.
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Deswegen sind wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten offen, darüber zu diskutieren, was man da machen kann. Aber ich sage auch ganz bewusst, dass Straffreiheit, selbst wenn wir uns darauf einigen könnten – ich habe gemerkt, mit unserem Koalitionspartner wird sich das nicht durchsetzen lassen –, nicht alle Probleme lösen würde; denn in letzter Konsequenz würde es auch bei einer Ordnungswidrigkeit so sein, dass die Leute, die die Strafe nicht zahlen, irgendwann vor dem Kadi landen und möglicherweise ins Gefängnis wandern. Es ist also ein Thema, das wir nicht nur rechtspolitisch angehen müssen, sondern auch sozialpolitisch.
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In diesem Zusammenhang ist der kostenlose ÖPNV ein Thema; darüber kann man nachdenken. Die Ministerin Svenja Schulze hat das Ganze aus umweltpolitischer Sicht aufgearbeitet; das ist richtig. Aber auch sozialpolitisch wäre ein kostenloser ÖPNV ein Gewinn, weil Mobilität in der Tat ein Grundrecht ist.
Ein anderer Punkt, den wir angehen müssen, ist die Frage, wie viel Geld Menschen ohne Einkommen zur Verfügung steht. Dabei müssen wir uns sicherlich auch den Hartz-IV-Satz angucken. Es gibt Sozialtickets. Ich glaube, es war der Kollege von der AfD, der gesagt hat: Dafür gibt es Sozialtickets.
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– Ja, nicht überall. Die Kosten für fast jedes Sozialticket sind weit höher als die Mittel, die einem Hartz-IV-Empfänger im Monat für Mobilität zustehen.
Das heißt aber nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen müssen, bis es so weit ist. Wir haben beispielsweise in Bremen, dem Bundesland, aus dem ich komme, eine gute Regelung für einen bestimmten Personenkreis getroffen, der überdurchschnittlich häufig schwarzfährt. Das sind im Übrigen Leute mit schweren psychischen Problemen, viele wohnungslose und obdachlose Menschen, die einfach nicht in der Lage sind, zu zahlen. Sie bekommen ein besonders subventioniertes Sozialticket. Sie müssen 10 Euro hinzuzahlen, und die 25 Euro Differenz werden erstattet. Als weitere Leistung bekommen sie eine gute Anbindung an weitere soziale Dienste. So hat man den Kontakt zu ihnen und versucht, an die Grundlagen des Problems heranzugehen.
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Insofern würde ich mir wünschen, dass wir in der Debatte im Rechtsausschuss die Offenheit haben, uns wirklich noch einmal ganz dezidiert damit zu befassen, ob eine solche Strafe eine wirklich verhältnismäßige Lösung dieses Problems ist.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja, ich komme zum Schluss. – Wir alle sind der Meinung, Schwarzfahren muss Konsequenzen haben. Aber ich appelliere daran, auch einen Dialog mit den Sozial- und Verkehrspolitikern zu führen. Es ist eben kein Problem, das wir allein mit einer Strafrechtsreform lösen können.
Vielen Dank.
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Herzlichen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 19/1115 und 19/1690 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist erkennbar nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Danke. – Herr Präsident! Liebe Abgeordnete! Wer die öffentliche Debatte in den vergangenen Tagen verfolgt hat, der konnte erleben, wie emotional aufgeladen das Thema Pflanzenschutz ist. Ich verstehe die Bürger in unserem Land, aber nicht nur hier bei uns in Deutschland, die sich Sorgen um ihre Gesundheit und auch Sorgen um die Umwelt machen. Gerade weil wir die Sorgen ernst nehmen, gerade deshalb müssen wir das Thema auf der Basis von Wissen und dürfen es nicht auf der Basis von Emotionen behandeln; denn nur das bringt langfristig Sicherheit.
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Warum brauchen wir überhaupt Pflanzenschutz? Zum Glück hat niemand von uns mehr die Zeiten erleben müssen, in denen schlechtes Wetter oder Schädlinge in Deutschland eine Hungersnot auslösen konnten, in denen es oft zu wenig Brot oder Kartoffeln gab, um Menschen schlichtweg satt zu machen. Wir haben uns daran gewöhnt, dass es bei uns jederzeit überall zu günstigen Preisen verfügbare Nahrungsmittel gibt. Wir vergessen manchmal, dass es beim modernen Pflanzenschutz genau darum geht, viele Gefahren für die Ernte abwehren zu können – die Ernte, die uns die Mittel zum Leben, nämlich unsere Lebensmittel, verschafft.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gab auch Zeiten – das gehört zur Wahrheit dazu –, in denen es beim Pflanzenschutzmitteleinsatz hieß: Viel hilft viel. – Die Zeiten sind zum Glück in den meisten Teilen Europas vorbei. Wir werden den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel weiter reduzieren und gleichzeitig unsere Ernte sichern. Wir nehmen die Auswirkungen auf die Natur und die Umwelt noch stärker in den Blick. Neonikotinoide – man kann sie auch abkürzen: Neoniks; das ist eher unfallfrei auszusprechen –, das sind Insektizide; in Abgrenzung dazu gibt es auch noch Herbizide.
Ich möchte einen Blick auf die EFSA, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, werfen. Sie kommt zu dem Schluss, dass die drei Wirkstoffe aus der Gruppe der Neonikotinoide für Bienen und andere Bestäuber ein unvertretbares Risiko darstellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe an dieser Stelle bei meiner Regierungserklärung gesagt: Bienen sind systemrelevant, und was der Biene schadet, muss vom Markt.
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Deshalb werde ich in Brüssel dem Verbot der Freilandanwendung dieser Wirkstoffe zustimmen.
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Genau deshalb, verehrte Vertreter der Grünen, ist Ihr Antrag überholt und auch überflüssig.
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Sie müssen die Bundesregierung nicht auffordern, eine Haltung zu finden. Sie müssen nicht von der Möglichkeit Gebrauch machen, dass der Bundestag etwas formuliert, damit die Bundesregierung auf europäischer Ebene ein entsprechendes Mandat übernimmt.
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Wir haben uns schon längst klar darauf geeinigt – darüber bin ich sehr froh; die Kollegin Schulze ist heute bei der Debatte auch anwesend –, dass wir dem Vorschlag der EU-Kommission folgen möchten, weil er auf der wissenschaftlichen Erkenntnis der EFSA beruht. Deshalb ist der Antrag überflüssig.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist im Interesse der Natur, aber auch im Interesse der Landwirtschaft; denn auch sie ist auf die Bestäubungsleistung der Bienen angewiesen. Die wissenschaftliche Bewertung ist für mich dabei das Ausschlaggebende – und das nicht nur dann, wie bei einigen hier im Haus, wenn es gerade zur eigenen politischen Agenda oder zur eigenen Überzeugung passt. Doch was viele außer Acht lassen: Wir müssen weiter schauen. Es sind zwei Punkte:
Erstens. Wenn wir über den Schutz der Insekten sprechen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, müssen wir das Ganze in den Blick nehmen und dürfen nicht nur einen kleinen Teil sehen. Ich habe gestern mit meiner Kollegin Schulze vereinbart – wir haben uns ausgetauscht –, dass wir zum Insektensterben gemeinsam, Hand in Hand, ein Monitoring auf den Weg bringen wollen. Uns ist wichtig, ohne Scheuklappen zu handeln. Natürlich muss die Landwirtschaft ihren Beitrag leisten. Wir sind mit der betroffenen Branche in vielversprechenden Gesprächen.
Aber es reicht nicht, mit dem Finger nur auf die Landwirte zu zeigen. Wir müssen außerdem über weitere Faktoren wie Lichtverschmutzung oder die Gestaltung öffentlicher Flächen sprechen; denn auch das hat einen großen Einfluss auf die Insekten. Nur wenn man das Ganze im Blick hat, ist man glaubwürdig.
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Deshalb wird die Bundesregierung ein umfassendes Aktionsprogramm zum Schutz der Insekten auflegen.
Zweitens. Wenn die Bauern Wirkstoffe für den Pflanzenschutz verlieren, brauchen sie Alternativen. Ohne Pflanzenschutz, ob er chemisch ist oder nicht, geht es nicht – übrigens auch nicht im ökologischen Anbau; das wissen Sie. Deshalb werden wir die Zulassungsbehörden personell verstärken, um schneller zu modernen, risikoärmeren Mitteln zu kommen. Und wir werden die Erforschung von Alternativen unterstützen und da massiv investieren.
Wir sehen auch eine Chance beim Thema „Digitaler Wandel“ – Stichwort „Präzisionslandwirtschaft“ –: Wir reduzieren Pflanzenschutzmittel der Menge nach, indem wir sie präzise dort aufbringen, wo wir sie brauchen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die umwelt- und naturverträgliche Anwendung von Pflanzenschutzmitteln wird Teil der Ackerbaustrategie sein, die wir gemeinsam auflegen werden. Die Ackerbaustrategie wird sicherstellen, dass wir die Fruchtbarkeit unserer Böden und die Biodiversität schützen, der Pflanzenbau sich für unsere Bäuerinnen und Bauern aber gleichzeitig lohnt. Denn – auch das will ich sagen – wenn wir Getreide, Gemüse und Obst nur noch importieren, dann haben wir keinen Einfluss mehr darauf, wie sie produziert worden sind.
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Ich will nicht, dass unsere Familienbetriebe die Hoftore schließen müssen.
Ich fasse zusammen: Die Bundesregierung hat eine klare Haltung: Was der Biene schadet, kommt vom Markt. Wir werden dem Kommissionsvorschlag auf europäischer Ebene zustimmen. Als Landwirtschaftsministerin sage ich verantwortungsvoll: Die Bauern sind nicht an allem schuld. Sie werden ihren Beitrag leisten. Wir müssen alles in den Blick nehmen und ermöglichen, dass Landwirtschaft in Deutschland weiterhin möglich bleibt, damit wir wissen, wie produziert wird. Das geht nur, wenn wir einen Blick auf die heimische und regionale Produktion haben.
Herzlichen Dank.
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Frau Ministerin, herzlichen Dank für Ihre Ausführungen zu den Neoniks. – Als Nächstes für die AfD-Fraktion: der Kollege Stephan Protschka.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Zuschauer hier im Hohen Haus! Die Debatte um das Freilandverbot der von der Ministerin angesprochenen Wirkstoffe ist in meinen Augen der Beweis für die Kraft der besseren Argumente und wirklicher Verantwortung in der Politik.
Meine Fraktion hatte sich in der Ausschusssitzung am 14. März 2018 noch gegen diesen Antrag ausgesprochen. Wir hatten damals unsere Gründe dafür. Als Anwälte unserer kleinen und mittelständischen Bauern ist es unsere Pflicht, bei Verboten wirkkräftiger Mittel mehr als einmal hinzuschauen und genau zu überlegen. Wir haben aber erkannt, dass wir damals falsch lagen.
Im Nachgang zu unserem Votum im Ausschuss haben wir die Gelegenheit wahrgenommen, mit Vertretern beider Seiten – für und gegen dieses Verbot – zu sprechen. Wir haben erkennen müssen, dass sich der Einsatz dieser Wirkstoffe, gerade im Hinblick auf den massiven Rückgang der Artenvielfalt, verheerend ausgewirkt hat.
Besonders betroffen sind nicht nur die Honigbienen, sondern vor allen Dingen die Solitärbienen. Sie werden aufgrund ihrer Lebensweise noch stärker von diesen Pestiziden beeinflusst. Durch ihre große Spezialisierung auf bestimmte Zeitabschnitte im Jahreslauf sind sie für die Bestäubung bestimmter Pflanzen von enormer Wichtigkeit. Bei einer weiteren Verwendung der angesprochenen Wirkstoffe im Freiland sehen wir in Zukunft chinesischen Verhältnissen entgegen, bei denen der Bauer mit dem Pinsel die Bestäubungsarbeit verrichten muss, weil kaum genügend Insekten verblieben sind.
Wir stimmen daher dem Verbot und ausdrücklich dem Antrag der Grünen zu, schließlich ist Umweltschutz immer auch Heimatschutz. Zumindest Letzteres hat mittlerweile in Deutschland ein eigenes Ministerium erhalten.
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Allerdings bleibt das Grundproblem bestehen: Wer eine Wirkgruppe verbietet, muss Alternativen schaffen. Schließlich beeinflusst die Politik die Entscheidungen der Landwirte hinsichtlich der Schwerpunktbildung. Wenn von staatlicher Seite nicht in den 90er-Jahren vom Einsatz des Pfluges abgeraten worden wäre, hätte es den Herbizid-Boom in den letzten Jahren vielleicht gar nicht gegeben.
Wir als Abgeordnete dieses Hauses sind also gerade im Bereich der Landwirtschaft ganz besonders in der Pflicht, die Folgen unserer Entscheidungen abzufedern. Wir fordern daher, zusammen mit den Kollegen der Landesparlamente, die landwirtschaftliche Beratungstätigkeit vor Ort zu erhalten, zu fördern und gegebenenfalls auszubauen. Durch eine Förderung der Anlaufstellen für Landwirte, die neben den Einsatzmöglichkeiten von Pflanzenschutzmitteln auch einen integrativen Pflanzenschutz vermitteln sollen, kann das bereits bestehende große ackerbauliche Wissen um eine gute fachliche Praxis der Landwirte nochmals erweitert werden.
Wenn eine nachhaltige, aber auch wettbewerbsfähige Flächenbewirtschaftung im Fokus der Politik stehen soll, muss man diesen Stellen weitere Kompetenzen zur Wissensvermittlung übertragen. Neben einer erfolgten Beratungstätigkeit vor Ort brauchen wir demnach im Sinne des integrierten Pflanzenschutzes Regelungen, die Strukturelemente in der Landwirtschaft wie Hecken, Feldsäume und blühende Alleebäume fördern, die wichtige Lebensräume für Antagonisten wie etwa Marienkäfer oder Florfliegen sind. Landwirtschaftspflege ist eben auch Pflanzenschutz; eine Marienkäferlarve vertilgt auch ihre 150 Blattläuse am Tag.
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Schlussendlich müssen alle diese Maßnahmen für den Landwirt, über das Verbot der angesprochenen Wirkstoffe hinaus, auch einen ökonomischen Anreiz zur Nachhaltigkeit bieten; denn am Ende muss dieser seine Entscheidungen zuvorderst mit Blick auf sein Portemonnaie treffen.
Ich bitte darum, dass unsere Landwirte nach dem Verbot weiter unterstützt werden. Wir stimmen dem Antrag zu.
Danke.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege Protschka. – Als Nächstes für die sozialdemokratische Fraktion der Kollege Dr. Matthias Miersch.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir können uns bei der Bundeslandwirtschaftsministerin und der Bundesumweltministerin dafür bedanken, dass sie bei diesem Thema die Sprachfähigkeit der Bundesregierung wiederhergestellt haben und in Brüssel endlich wieder mit einer Stimme sprechen. Vielen Dank dafür!
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In der Vergangenheit haben wir erlebt, dass die Ressorts für Umwelt und Landwirtschaft hier nicht auf einen gemeinsamen Nenner gekommen sind. Natürlich ist das, was Sie hier eben gesagt haben, Frau Bundeslandwirtschaftsministerin, nämlich: „Alles, was der Biene schadet, muss vom Markt“, ein symbolträchtiger Satz. Aber dahinter verbirgt sich doch viel mehr. Niemandem von uns ist gedient, wenn die Natur, unsere Lebensgrundlage, gefährdet wird. Deswegen wäre es gut, wenn wir bei allen umweltrelevanten Themen eine andere Perspektive einnehmen und sagen würden: Mit der Natur können wir nicht verhandeln. – Die Tatsache, dass der heute vorliegende Antrag der Grünen durch Regierungshandeln überflüssig geworden ist, ist zugleich auch Auftrag; denn wir haben noch eine ganze Menge vor uns.
Pflanzenschutz ist ein Riesenthema, das natürlich mit der Frage zusammenhängt: Welche Form von Landwirtschaft wollen wir?
({1})
Diejenigen, die auf „immer höher, immer weiter“ setzen, tun der Landwirtschaft keinen Gefallen, sondern zerstören die Struktur der Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland.
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Deswegen haben wir ein weiteres aktuelles Thema, das Thema Glyphosat. Im Koalitionsvertrag haben wir dazu sehr deutliche Worte gefunden. Wir wollen, Frau Bundeslandwirtschaftsministerin, den Einsatz von Glyphosat nicht nur beschränken; wir wollen die Anwendung beenden. Das ist die Aufgabe der Bundesregierung. Das muss der nächste Schritt sein.
({3})
Bei all den Themen, die wir hier miteinander besprechen, haben wir, wie ich glaube, eine Hauptaufgabe, nämlich den Schutz der biologischen Vielfalt für nachfolgende Generationen sicherzustellen. Dafür reicht es aus meiner Sicht nicht, nur auf die EFSA und vermeintlich wissenschaftliche Kenntnisse zu setzen. Wissenschaft ist nicht nur „eins plus eins gleich zwei“; die Wissenschaft hat viele unterschiedliche Aufgaben. Aufgabe des Parlaments und Aufgabe der Regierung ist es, unter den Bedingungen unserer Rechtsgrundsätze die beste Lösung zu finden. Es war daher gut, dass aufgrund des Drucks der Sozialdemokratie die Stellung des Umweltbundesamtes gestärkt worden ist. Diese Institution schreibt uns immer wieder den Vorsorgegrundsatz ins Stammbuch.
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Wir Politiker müssen also nicht sagen: Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass etwas gefährlich ist. – Vielmehr haben wir einen Einschätzungsspielraum, den wir bei unseren Entscheidungen stets berücksichtigen müssen. Das gilt nicht nur für das Thema Neoniks, sondern auch für das Thema Glyphosat. Der erste Schritt ist getan, weitere müssen folgen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächste Rednerin: die Kollegin Carina Konrad für die Freien Demokraten.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Damen und Herren! Ja, die Bienen sind systemrelevant. Ihr Antrag, liebe Bündnis 90/Die Grünen, ist es nicht mehr; die Ministerin hat ihn eben – Sie haben es selbst gehört – für überflüssig erklärt.
Frau Ministerin, ich finde schön, dass Sie heute vom „ZDF-Morgenmagazin“ zur neuen Bienenkönigin ernannt wurden. Ich frage mich aber: Sind die Bienen wirklich so sehr in Gefahr, wie Sie alle uns das hier glauben machen wollen?
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Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Das Statistische Bundesamt stellt seit 2013 eine signifikante Steigerung der Zahl der Bienenvölker fest, und zwar um 24 Prozent fest.
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Und seit 2013 – das kann kein Zufall sein – stellen die Landwirte im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik 5 Prozent ihrer Flächen für Umweltleistungen, das sogenannte Greening, zur Verfügung. Es sind also die Landwirte, die die Bienen schützen. Man kann Debatten über das Verbot von Neonikotinoiden ohne das Parlament führen. Man sollte sie aber nicht ohne die Landwirte führen, deren Einschränkungen für die Bewirtschaftung gravierend sein können.
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Nur wer kräftig isst, kann auch kräftig arbeiten. – Was Aristoteles schon wusste, gilt auch für die Bienen. Die blühenden gelben Rapsflächen, die derzeit deutschlandweit wieder zu sehen sind, sind eine zentrale Nahrungsmittelgrundlage der Bienen. Hier ist die Saatgutbeize mit Neoniks bereits verboten. Der Anbau von Raps ist daher rückläufig. Auf jeder zehnten ehemaligen Rapsanbaufläche wächst heute etwas anderes; denn es gibt schlicht keine Auswahl mehr an Insektiziden, die Pflanzen vor Insekten schützen sollen.
Besonders hart wird das Verbot den Anbau der Zuckerrübe betreffen. Das ist für mich besonders unverständlich; denn die Zuckerrübe wird geerntet, bevor sie blüht, und damit gar nicht von den Bienen angeflogen. Ich höre Sie hier schon einwenden: Wir brauchen die Zuckerrübe ohnehin nicht; Zucker ist ungesund, deshalb können wir auf die Zuckerrübe verzichten.
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Aber der globale Weltmarkt tickt halt anders, und sowohl Raps als auch Zuckerrübe sind Bestandteil vielfältiger Fruchtfolgen und auch Bestandteil abwechslungsreicher Kulturlandschaften.
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Worüber heute noch keiner von Ihnen gesprochen hat, ist, dass die Hauptgefahr für die Bienen nicht die Pflanzenschutzmittel sind, sondern die Varroamilben. Sie sind es, die die Bienenvölker gefährden; aber sie kann man leider nicht einfach verbieten.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Ja.
Liebe Frau Kollegin, danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben den Rapsanbau angesprochen und gesagt, der Rapsanbau gehe zurück. Wir müssen uns aber auch fragen, warum; denn die Erträge sind nicht zurückgegangen. Als im Rahmen der Teilverbote ein Moratorium für die drei neonikotinoiden Wirkstoffe ausgesprochen wurde, wurde argumentiert, die Erträge würden zurückgehen. Die Statistik belegt das Gegenteil: Die Erträge sind angestiegen. Es gab allerdings zwei Jahre –
Herr Kollege, kommen Sie zur Frage.
– Sie müssen sich die Aussage der Bundesregierung dazu noch einmal anschauen –, die für den Raps ungünstig waren.
Können Sie diese Aussagen zu den Rapserträgen bestätigen? Haben Sie die entsprechenden Statistiken nicht gelesen, oder wie kommen Sie darauf, dass der Rapsanbau zurückgeht?
Herr Ebner, hätten Sie mir zugehört, hätten Sie gewusst, dass ich von der Anbaufläche gesprochen habe und nicht von den Erträgen pro Hektar.
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Damit ist die Frage abgehandelt.
Gerade in der Landwirtschaft gibt es Alternativen zu einem solchen Verbot. Sie haben das Auflösen der Staus bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln erwähnt. Wir werden Sie beim Wort nehmen und Sie an Ihren Leistungen messen müssen; denn wir brauchen wirklich mehr Pflanzenschutzmittel auf dem Markt.
Doch es gibt noch eine andere Alternative, technische Verfahren, Applikationsverfahren, die die Pflanzenschutzmittel unter der Blüte aufbringen und einen Kontakt mit Bienen ausschließen. Eines davon heißt Dropleg; es wurde an der Uni Hohenheim entwickelt und hat sogar den European Bee Award bekommen. Die Freien Demokraten möchten anstatt stumpfer Verbote, die Rückschritt bedeuten, solche Innovationen verbreiten und in die Fläche bringen.
({1})
Gestatten Sie mir noch einen Vorschlag, bevor ich zum Ende komme. Ich plädiere für Farmer Guidance. Das sind Richtlinien, die Farmer vor politisch mutlosen Entscheidungen ohne Folgenabschätzung in der Fläche schützen. Der Rückgang der Zahl landwirtschaftlicher Betriebe ist für mich persönlich systemrelevant. Wenn es um die Zukunft geht, gilt das besonders für unsere jungen Landwirte, für unsere Landjugend. Machen Sie ihnen Mut, anstatt stumpf den ideologischen Wegen zu folgen!
Vielen Dank.
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Frau Kollegin Konrad, herzlichen Dank. – Als Nächstes Frau Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! In dieser Debatte geht es um die ökologischen Risiken von Pflanzenschutz, konkret um das Verbot von drei besonders bienengefährlichen Wirkstoffen aus der Gruppe der Neonikotinoide, kurz Neoniks genannt, im Freiland, und das in einer Zeit, in der die selbst im Sommer saubere Windschutzscheibe ahnen lässt, was die Wissenschaft mit Insektenschwund meint.
Als Tierärztin begleitet mich die Sorge um die Honigbiene schon sehr lange. 1985 wurde ich im Staatsexamen zur Varroamilbe geprüft, damals ein kaum bekannter Bienenparasit, der heute eine Geißel der Imkerei ist. 2007 ging das Schlagwort „Bienen-Aids“ durch die Medien, 2008 gab es ein verheerendes Bienensterben in Baden-Württemberg. Schon lange ist klar, dass es der Honigbiene nicht wirklich gut geht.
Gerade als Epidemiologin weiß ich, dass es nicht die eine, sondern viele Ursachen gibt – übrigens hat auch der Befall durch die Varroamilbe etwas mit einer vorgeschädigten Biene zu tun –; aber Pflanzenschutzmittel gehören definitiv dazu. Ja, ihre Schadwirkung kann nicht immer im Bienenstock oder im Honig nachgewiesen werden. Aber wenn Bienen durch die Neoniks die Orientierung verlieren und gar nicht mehr in den Stock zurückfinden, dann findet man dort natürlich auch keine Hinweise auf eine Schadwirkung. Das ist eigentlich logisch.
({0})
Insofern muss man schon an der richtigen Stelle suchen, wenn man ein Problem erkennen und auch lösen will.
Dass Neoniks bienengefährlich sind, ist unterdessen unstrittig. Selbst die EFSA, die in der EU für die Risikobewertung zuständig ist, hat das 2013 festgestellt. Das Schadspektrum ist übrigens sehr breit; verkürzte Lebensdauer, reduzierter Bruterfolg, Überwinterungsverluste und Störung der im Bienenstock so extrem wichtigen Kommunikation seien hier genannt. Pflanzen mit Neonik-Kontakt werden übrigens besonders häufig angeflogen. Ein tabakähnlicher Suchteffekt, auf den der Name schon hinweist, ist die Ursache.
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Insofern sind die Neoniks besonders gefährlich. Deshalb fordert Die Linke schon lange: Sie müssen runter vom Acker!
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Die neue Agrarministerin Julia Klöckner hat in ihrer Antrittsrede gesagt – Sie hat es gerade wiederholt –: Was für Bienen schädlich ist, muss weg vom Markt. – Vollkommen richtig. Wie ernst sie das gemeint hat und ob ihre Fraktion da mitspielt, werden wir abwarten müssen. Wir werden sie natürlich an ihren Taten messen. Immerhin will sie in Brüssel für das Verbot der drei Neoniks im Freiland stimmen.
Das ist gut so; aber das ist nur ein erster und übrigens längst überfälliger Schritt.
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Es geht nämlich nicht nur um Pflanzenschutz und Honigbienen. Auch Wildbienen, Hummeln und Schmetterlinge werden immer rarer, weil sie in der heutigen Agrarlandschaft oft hungern, sobald die Rapsblüte vorbei ist, weil auch Weiden heute noch selten blühende Insektennährwiesen sind. Wer schon einmal einen Kuhfladen in echt gesehen hat, der weiß, dass weniger Weidetiere auch weniger Insekten bedeuten.
Umso erfreulicher finde ich, dass in immer mehr ortsansässigen Landwirtschaftsbetrieben das Thema „insektenfreundliche Landwirtschaft“ längst angekommen ist. Ohne das teilweise absurde Regelwerk, das bienenfreundliche Maßnahmen manchmal be- oder gar verhindert, wären es übrigens sehr viel mehr, auch wenn sie bessere Erzeugerpreise gegen die Molkereikonzerne und Lebensmitteleinzelhandelskonzerne durchsetzen könnten und vor landwirtschaftsfremden Investoren geschützt wären, die die Bodenpreise hochtreiben und denen Profit wichtiger ist als die Natur. Deswegen ist es wichtig, über die Bienen und die Effekte in der Landwirtschaft zu reden.
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Nicht nur Nahrung fehlt Insekten und Schmetterlingen bzw. den Wildinsekten, sondern auch Nistgelegenheiten und spezielle Futterpflanzen für ihre Raupen. Während bei den Honigbienen schnell auffällt, wenn etwas schiefläuft, schrillen bei Wildinsekten die Alarmglocken, wenn überhaupt, erst kurz vor zwölf. Für manche Art, die spezielle Ansprüche an den Lebensraum stellt, ist die Uhr manchmal schon unbemerkt abgelaufen. Wenn selbst Naturschutzgebiete betroffen sind, ist Gefahr in Verzug.
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Frau Kollegin, auch Ihre Uhr ist abgelaufen.
Ja, ich komme zum Ende. – Es muss endlich gehandelt werden, nicht nur wegen der Bestäuber und weil Ernten in Gefahr sind, sondern weil Insekten ein wichtiger Teil des Ökosystems sind, zum Beispiel als Nahrungsgrundlage für insektenfressende Vögel oder Säugetiere. Letzten Endes ist es eine Systemfrage.
Frau Kollegin, bitte.
Ja, das ist der allerletzte Satz. – In einem System auf Kosten von Mensch und Natur wird auch Bienenschutz sehr schwierig.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächster der Kollege Harald Ebner für Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! „Das Schweigen der Bienen“ könnte eine Überschrift über die letzten zehn Jahre sein. Wir haben dieser Tage das zehnjährige Jubiläum der Katastrophe im Rheingraben, als 12 000 Bienenvölker auf einen Schlag tot waren durch das Neonikotinoid Clothianidin. Seither wissen wir: Diese Stoffe sind Bienenkiller. Sie müssen vom Acker und raus aus der Natur.
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Schon ein Teelöffel Imidacloprid reicht aus, um über 1 Milliarde Honigbienen sofort zu töten. Das sind – damit man es sich vorstellen kann – 15 Schiffscontainer voller toter Bienen. Aber schon viel kleinere Mengen reichen aus, Honig- und Wildbienen und andere Tiere nachhaltig und irreversibel zu schädigen. Dieses Teufelszeug stört die Kommunikation von Bienen und anderen Insekten. Bei Schlupfwespen zerstört sie beispielsweise die Millionen Jahre alte Tinder-App zur Partnersuche. Das ist eine ökosystemare Katastrophe.
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Mit der EFSA-Risikobewertung haben wir – und auch Sie – es amtlich, dass die Freisetzung dieser Stoffe nicht verantwortbar ist.
({2})
Frau Konrad, wenn Sie die EFSA der Ideologie bezichtigen,
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dann fahren Sie doch einmal hin. Reden Sie mal mit den Menschen, und reden Sie auch mit den Imkern in den Städten und auf dem Land.
({4})
Wir müssen endlich Konsequenzen ziehen. Es geht um die Existenzgrundlage von uns allen, es geht um die Existenzgrundlagen aller Landwirte und Landwirtinnen. Es geht um funktionierende Ökosysteme; das sind die Existenzgrundlagen.
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Wir haben hier im Bundestag immer und immer wieder auf die Gefahren hingewiesen. Doch bis vor kurzem, Frau Ministerin, hat die Bundesregierung jeden Handlungsbedarf geleugnet. Seit knapp einem Jahr plant die Europäische Kommission das Freilandverbot. Wir haben immer wieder nachgefragt: Was macht die Bundesregierung? Schweigen.
Herr Kollege Ebner, gestatten Sie eine Zusatzfrage der Kollegin Konrad?
Ja, gerne.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Die Freien Demokraten und ich persönlich halten die Ergebnisse der EFSA nicht für ideologisch. Wir plädieren für eine vernünftige Folgenabschätzung. Das möchte ich richtigstellen.
Sehr gut. Dem muss man nichts hinzufügen. Sie haben den Begriff der Ideologie so verwendet, dass er auf die EFSA zu beziehen war.
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Dass Sie das richtiggestellt haben, ist schön.
Was ist jetzt passiert? Herr Minister Schmidt und auch Sie, Frau Ministerin, haben da viel zu lange rumgeeiert, selbst nach Ostern noch.
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Ihr Meinungsumschwung kam nicht schon längst, sondern vor knapp einer Woche; unser Antrag ist vier Monate alt. Da sage ich: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
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Ich glaube es erst, wenn die Abstimmung in Brüssel erfolgt ist.
Es wurde höchste Zeit. Es ist Ihnen aber auch gar nichts anderes übrig geblieben, Frau Ministerin, als die Forderung im Antrag aufzugreifen und dem Kommissionsvorschlag zuzustimmen. Insofern möchte ich Sie alle auffordern: Stimmen Sie doch heute unserem Antrag zu! Lehnen Sie also den Beschlussvorschlag des Ausschusses ab!
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Sie haben gesagt, Frau Ministerin: Was den Bienen schadet, muss weg vom Markt. – Das stimmt. Deshalb kann das Freilandverbot der genannten drei Wirkstoffe nicht das Ende der Fahnenstange sein;
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es ist ein erster Schritt. Für die Gewächshäuser trifft das Verbot nicht zu – da müssen wir auch ran –, und es gibt Neonikotinoide, die weiterhin erlaubt, aber nicht weniger gefährlich sind. Wer es mit dem Bienenschutz ernst meint, der muss auch diese Stoffe vom Acker nehmen. Und, Frau Ministerin: Stoppen Sie doch die laufenden Importe von Saatgut, das mit gar nicht zugelassenen Neonikotinoiden behandelt ist. So können Sie etwas für die Bienen tun.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Geschichte der Neoniks ist ein ökologisches, aber auch regulatives Desaster. Daraus müssen wir lernen; das darf sich nicht wiederholen. Wir müssen die Zulassungsverfahren verbessern und auch die Alternativenforschung vorantreiben; das ist keine Frage. Sie muss vielfältig sein und darf sich nicht darin erschöpfen, dass wir Zulassungsverfahren beschleunigen und mit Fehlern anreichern.
Wir sind gleich so weit, dass Sie ins wohlverdiente Wochenende dürfen. Lassen Sie uns vorher nur noch kurz die Bienen retten. Dann haben wir es schon geschafft.
Danke schön.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Es wird schwer, in der Kürze der Zeit die Bienen komplett zu retten.
Als vorletzter Redner hat der Kollege Hermann Färber von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bienen sind als Bestäuber in der Landwirtschaft und zur Erhaltung der Biodiversität absolut unverzichtbar. Deshalb müssen und werden wir die Bienen schützen.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, hat ihre Risikobewertung für drei Neonikotinoide, nämlich für Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam, aktualisiert und dabei ein Risiko für Honigbienen, Wildbienen und Hummeln ausgesprochen. Das dabei angewendete Leitliniendokument, das von der EFSA entwickelte Bee Guidance Document, ist innerhalb der Mitgliedstaaten umstritten und wird kontrovers diskutiert. Weil es zu wenige etablierte Methoden gibt, um die Auswirkungen auf Solitärbienen zu prüfen, hat die EFSA die Standards von Honigbienen auf Wildbienen angewendet und die Werte um den Faktor 10 erhöht.
Jetzt kann man trefflich darüber streiten, ob diese Vorgehensweise korrekt ist. Allerdings hat unsere Fraktion immer, auch in den vergangenen Jahren, gefordert, dass die Entscheidungen in Zulassungsprozessen auf wissenschaftlicher Basis getroffen werden. Deshalb werden wir uns der Bewertung der EFSA nicht verschließen und unsere Ministerin Klöckner hier auch unterstützen.
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Insgesamt sind in Deutschland 15 Pflanzenschutzmittel zugelassen, die Neonikotinoide enthalten. Vier davon enthalten den Wirkstoff Thiamethoxam. Sie werden als Saatgutbeize vor allem bei Kartoffeln, Zucker- und Futterrüben angewendet. Durch die bei uns in der Zulassung festgelegten Anwendungen sind sie als nicht bienengefährdend eingestuft, ganz einfach deshalb, weil die Ernte schon vor der Blüte erfolgt und die Pflanzen extrem wenig guttieren, das heißt sehr wenig Wasser absondern.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir mit den Neonikotinoiden eine weitere Gruppe von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen für alle Freilandkulturen verbieten, dann müssen wir uns natürlich fragen: Welche Alternativen gibt es denn, und welche Auswirkungen haben unsere Entscheidungen?
Es wurde schon angesprochen: Seit dem Verbot der Beizung von Rapssaatgut mit Neonikotinoiden in 2013 ist der Rapsanbau in Deutschland bereits um 100 000 Hektar zurückgegangen, trotz auch für die Bienen vielfältiger Vorteile dieser Pflanze. Wir sprechen bei Raps nämlich von einer Pflanze, deren Blüte wichtiges Futter für die Bienen ist, die für die Biodieselproduktion wesentlich ist und auch als gepresster Rapskuchen eine heimische Tierfuttergrundlage ist und hilft, Sojaimporte erheblich zu reduzieren.
Es geht darüber hinaus um den Schutz von Hopfen, Zuckerrüben, Mais und Kartoffeln. Zur Bekämpfung ihrer Schädlinge wie dem Drahtwurm, dem Rapserdfloh, dem Kartoffelkäfer oder dem Rapsglanzkäfer gibt es leider nur wenige Alternativen.
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Für den nicht mehr gebeizten Raps beispielsweise werden jetzt Wirkstoffe wie Carbamate und Pyrethroide eingesetzt. Die Folge ist, dass die Felder drei- bis viermal im Jahr mit diesen Blattinsektiziden gespritzt werden.
Ein weiteres Problem im Bereich Pflanzenschutz insgesamt ist bei einer immer geringeren Anzahl an Pflanzenschutzmitteln die zunehmende Resistenz gegenüber den noch verbleibenden Wirkstoffen, speziell beim Kartoffelkäfer und beim Rapsglanzkäfer. Wir können nicht auf allen deutschen Kartoffeläckern den Asiatischen Marienkäfer zur Bekämpfung des Kartoffelkäfers ausbringen, wie es im ökologischen Landbau erfolgt; denn der Asiatische Marienkäfer ist eine invasive Art, und die Folgen seiner Ausbreitung können wir zum heutigen Zeitpunkt überhaupt noch nicht absehen. Außerdem – darüber haben wir schon in der letzten Debatte gesprochen – ist auch der ökologische Landbau auf toxische und bienengefährdende Substanzen angewiesen.
Was wir brauchen, ist eine Risikobewertung, die auch bei den Alternativen zwischen Nutzen und Risiken abwägt
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und die Folgen berücksichtigt, sowohl im herkömmlichen wie auch im ökologischen Landbau. Notwendig sind eine Strategie und die Beschleunigung von Entwicklung und Zulassungsverfahren alternativer Wirkstoffe und Behandlungsmethoden. Da haben wir, wie Sie, Frau Kollegin Konrad, richtigerweise angesprochen haben, einen erheblichen Rückstand, den wir dringend angehen müssen.
Das alleinige Verbot von Wirkstoffen ist weder ein Plan noch eine Lösung. Wir benötigen mehr Weitsicht und eine taktische Vorgehensweise. Deshalb ist dieser Antrag der Grünen unzureichend und abzulehnen.
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Mit solchen Anträgen, die eher Schaufenstercharakter haben, schützt man weder die Bienen noch die Umwelt.
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Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Färber. – Nun hat als letzter Redner zum Thema Neonikotinoide der Kollege Uwe Schmidt für die sozialdemokratische Fraktion das Wort. Es ist seine erste Bundestagsrede.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer zum ersten Mal das Wort „Neonikotinoide“ hört, kommt meist schnell auf die Idee, dass das etwas mit Zigaretten zu tun haben könnte. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Insektiziden, die zur Bekämpfung von Schädlingen benutzt werden. Aber bei näherem Hinsehen ist die erste Assoziation gar nicht so falsch. Wie für Menschen die Zigaretten zur Droge werden können, besteht eine ähnliche Gefahr für die Bienen in Bezug auf die Neonikotinoide, mit weitreichenden Folgen: Sie stören die Orientierung der Insekten, ihre Partnerfindung und Fortpflanzung und stehen damit im Verdacht, Mitschuld am weltweiten Bienensterben zu haben. Die EFSA, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, bescheinigte am 28. Februar 2018 den drei Wirkstoffen der Neonikotinoide, dass sie eine schädliche Wirkung auf die Bienen haben.
Vielleicht denken einige: Na gut, dann esse ich eben ein bisschen weniger Honig. – Aber das wäre hier das geringste Problem. Auch auf Obst, Gemüse und Getreide müssten wir verzichten, weil eine Bestäubung ohne die Bienen nicht mehr möglich wäre. Das bedeutete den Verzicht auf gesunde regionale Lebensmittel, aber natürlich auch den Verlust von Arbeitsplätzen; denn ohne regionale Produkte keine regionalen Erzeuger.
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Die Bestäubungsleistung der Bienen ist damit auch ein enormer Wirtschaftsfaktor. Laut Deutschem Imkerbund sind rund 80 Prozent der 2 000 bis 3 000 heimischen Nutz- und Wildpflanzen auf die Honigbienen als Bestäuber angewiesen. Der volkswirtschaftliche Nutzen der Bestäubungsleistung übersteigt den Wert der Honigproduktion um das 10- bis 15-Fache. Das sind rund 2 Milliarden Euro jährlich in Deutschland und 70 Milliarden US-Dollar weltweit. Damit sind Bienen die drittwichtigsten Nutztiere neben Rind und Schwein.
Es mag sein, dass einige die Aufnahme des Bienenschutzes in unseren Koalitionsvertrag für übertrieben halten, aber vor dem Hintergrund der Entwicklung zum Beispiel in China wird die Dimension deutlich. Durch den drastischen Einsatz von Pestiziden ist der Bestand an Bestäuberinsekten so stark gesunken, dass ihre Arbeit mancherorts durch Menschenhand erledigt werden muss. So ist es keine Seltenheit, dass zahlreiche chinesische Arbeiter mit Pinsel und Wattestäbchen im Gepäck die Bestäubung der Blüten übernehmen. Welche Auswirkungen so etwas auf die Wirtschaftlichkeit in Deutschland hätte, lässt sich nicht absehen.
Man kann es natürlich auch so machen wie die Japaner. Sie forschen derzeit an einer blütenbestäubenden Minidrohne, um die Pflanzenwelt und damit ihre Nahrungsgrundlage zu retten, also Robobee statt Biene Maja. Grundsätzlich sollten wir die Chancen der Digitalisierung im Bereich der Landwirtschaft nutzen. Aber ist das eine wirkliche Alternative? Um an die Leistungen eines einzelnen Bienenstocks heranzukommen, bräuchte man eine beachtliche Menge dieser surrenden Robobienen. Jede einzelne Drohne müsste mit künstlicher Intelligenz und hochauflösenden Kameras ausgestattet sein, um selbstlenkend und im Schwarm fliegend unterwegs zu sein. Es ist zumindest fragwürdig, ob Kosten und Nutzen in einem vertretbaren Verhältnis zueinander stehen. Die echte Biene macht das ganz umsonst.
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Deutschland hat den Wert der Bestäuber bereits 2007 erkannt und den Einsatz der drei Neonikotinoide beschränkt, die EU-Kommission dann ab 2013. So ist es derzeit EU-weit nicht erlaubt, die drei Insektizide etwa auf Rapssaat und beim Anbau von Kirschen, Äpfeln oder Gurken anzuwenden. Aber obwohl es Teilverbote für die drei Wirkstoffe gibt, sinkt die Menge der ausgebrachten Neonikotinoide in Europa nicht. Aufgrund dieser Erkenntnisse begrüßen wir die Initiative der EU-Kommission, einen Schritt weiterzugehen und die drei Neonikotinoide generell für die Freilandanwendung zu verbieten.
Natürlich gibt es hier unterschiedliche Einschätzungen. So warnen die Hersteller, dass Verbote zu deutlichen Einbußen bei der Ernte führen. Hier muss man aber auch fragen, ob der Verlust an Bestäubern nicht dasselbe Ergebnis nach sich zieht. Die Landwirtinnen und Landwirte müssen wir dabei natürlich im Blick haben. Deren Existenz darf nicht in Ermangelung von Alternativen gefährdet werden.
Was wir in jedem Fall brauchen, ist vielmehr die Forschung, um ökologische Alternativen zu den chemischen Mitteln zu finden. Die Umsetzung der Ackerbaustrategie für unter anderem umweltverträgliche Anwendungen von Pflanzenschutzmitteln werden wir adäquat mit Fördermitteln untersetzen. Damit sollen Maßnahmen zur Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategie und der Insektenschutz weiter vorangebracht werden.
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Diese zu entwickelnden Mittel sind nicht nur für die ökologische, sondern auch für die konventionelle Landwirtschaft gedacht. Bienen machen weder an Ländergrenzen noch an Grenzen zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft halt. Deshalb braucht es nicht nur in Bezug auf die Neonikotinoide einheitliche und umfassende Lösungen.
Seit dem Amtsantritt unserer Umweltministerin gibt es schon viele positive Entwicklungen. So möchte sie den Einsatz der Insekten- und Unkrautgifte Neonikotinoide und Glyphosat nicht nur beenden, sondern generell eine neue Pflanzenschutzpolitik erreichen. Diese Strategie verfolgt das Bundesumweltministerium im Übrigen seit Jahren. Nun ist auch die Landwirtschaftsministerin – recht schönen Dank dafür – auf diesen Kurs eingeschwenkt und spricht sich für ein Freilandverbot der drei Neonikotinoide aus.
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Den Antrag der Grünen haben wir seinerzeit abgelehnt, weil wir eine gemeinsame Positionierung von Bundesumwelt- und -landwirtschaftsministerium erwartet haben. Diese liegt nun erfreulicherweise vor. Bereits in der nächsten Woche, am 27. April, will die Bundesregierung im Ständigen EU-Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel für ein Freilandverbot der drei Neonikotinoide stimmen.
Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, setzen uns für ein „Aktionsprogramm Insektenschutz“ ein. Unsere Umweltministerin plant, dieses in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit in Angriff zu nehmen. Darin werden wir sie mit aller Kraft unterstützen.
Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen ebenfalls ein schönes Wochenende.
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Ja zum EU-Freilandverbot für bienengiftige Neonikotinoide“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/1200, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/231 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Antragsteller Bündnis 90/Die Grünen, der AfD-Fraktion und der Fraktion Die Linke angenommen.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte über die Zukunft Europas ist im Gange. Emmanuel Macron hat gestern nach seinem Besuch hier in Berlin einen Begriff geprägt: „Moment des europäischen Abenteuers“. Meine Damen und Herren, Macron hat in den letzten sechs Monaten deutlich gemacht, dass er dieses „europäische Abenteuer“, von dem er spricht, gestalten will, dass er mit Vorschlägen in die Debatte geht und dass er die Debatte nach seinen Vorstellungen prägen möchte.
Wir Freie Demokraten stimmen mit vielen seiner Vorschläge überein: beim digitalen Binnenmarkt, bei der Verteidigung, bei den Themen Sicherheit und Asyl. Insofern gehen wir mit ihm. Hinsichtlich der Reform der Euro-Zone und der Zukunft der Währungsunion bestehen aber Differenzen, die man ganz klar ansprechen muss. Ähnliches gilt für das sogenannte Nikolauspaket, das die Kommission vorgeschlagen hat. Das sind Vorschläge rund um einen Investitionshaushalt, finanziert aus Steuermitteln, einen europäischen Finanzminister und einen Europäischen Währungsfonds, der unter leichteren Voraussetzungen Geld ausgeben kann, als der ESM das bisher tun darf. Diese Diskussion sehen wir kritisch. Dazu erwarten wir eigene Vorschläge von der Bundesregierung.
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Umso bemerkenswerter war es, dass die Bundesregierung gestern eine Entscheidung auf dem Europäischen Rat im Juni angekündigt hat, in knapp zwei Monaten. Das ist ein sehr kurzer Zeitraum für ein so wichtiges Thema. Aber während Emmanuel Macron in der Debatte einen Pflock nach dem anderen einschlägt, kommt der Bundeskanzlerin bis heute nichts Konkretes zur Zukunft der Währungsunion über die Lippen. Deutschland ist ein Totalausfall in dieser wichtigen Debatte.
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Das ist die Methode Merkel, die wir kennen: sich nicht festlegen, die Öffentlichkeit erst einmal beruhigen und dann Zeitdruck erzeugen, sodass wieder in Nachtsitzungen entschieden werden soll. Ich glaube erstens, diese Strategie wird bei diesem Thema nicht aufgehen, und ich glaube zweitens, dieses Thema ist viel zu wichtig, um den deutschen Bürgerinnen und Bürgern diese Vorgehensweise zuzumuten. Es muss mit offenem Visier über die Zukunft der Währungsunion diskutiert werden. Das erwarten wir von dieser Bundesregierung.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre gar nicht so schwer. Deutschland war einmal an der Spitze der Diskussion über die Währungsunion. Das war im letzten Sommer, als Finanzminister Wolfgang Schäuble ein Papier zur Zukunft der Währungsunion, zur Weiterentwicklung des ESM zu einem Europäischen Währungsfonds vorgelegt hat.
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Wolfgang Schäuble hat erstens vorgeschlagen, dass weiterhin strenge Bedingungen und Auflagen für Hilfen gelten, und zweitens, dass wir eine Art Insolvenzordnung für Staaten schaffen. Er hat vorgeschlagen, die Gläubiger von Staaten heranzuziehen, bevor öffentliche Mittel zum Einsatz kommen.
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Natürlich wollte er auch – zu Recht –, dass der EWF mit einem neuen Aufgabenprofil dafür sorgt, dass Krisen gar nicht erst entstehen, dass er also stärker präventiv tätig wird.
Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen und die Bundesregierung: Was wäre eigentlich so schlimm daran, wenn die Bundeskanzlerin sich klar zu den Vorschlägen ihres früheren Finanzministers Wolfgang Schäuble bekennen würde? Die Vorschläge sind da, darüber kann man verhandeln. Bekennen Sie sich dazu. Die Vorschläge gehen zumindest in die richtige Richtung.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum tut die Bundeskanzlerin das nicht? Warum bekennt sie sich nicht zu dem, was Wolfgang Schäuble – das ist alles durchaus vernünftig – aufgeschrieben hat? Weil die CDU/CSU in dieser Frage tief zerstritten ist und weil die Koalition insgesamt in dieser Frage vollkommen unterschiedlicher Meinung ist und diese Debatte mit Leidenschaft untereinander austrägt.
Die FDP hat im Februar dieses Jahres einen Antrag zur Zukunft des ESM und zur Entwicklung eines sinnvollen Aufgabenprofils für einen EWF in den Bundestag eingebracht. Sie müssen nicht jedem Antrag zustimmen. Aber ich erwarte schon, dass Sie sich an der Debatte auch mit eigenen Vorschlägen beteiligen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in jeder Sitzungswoche des Bundestages setzt Ihre Koalitionsmehrheit im Haushaltsausschuss den Antrag der FDP von der Tagesordnung ab, weil Sie nicht einmal in der Lage sind, sich zu unseren Vorschlägen zu positionieren. Wie wollen Sie sich dann eigentlich zu Macron positionieren? Es ist doch völlig ausgeschlossen, dass Sie so bei diesem Thema je auf einen grünen Zweig kommen.
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Ihr eigener Kommissar Günther Oettinger drängt Sie, zu sagen, Sie müssten Macron entgegenkommen. Gleichzeitig schreibt Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Herr Brinkhaus ein Papier, in dem er schon die Rechtsgrundlage für den Kommissionsvorschlag bezweifelt. Die CSU schreibt ein eigenes Papier, während die SPD die Union ermahnt, dass sie sich bitte schön an den Koalitionsvertrag halten soll. Da haben Sie nicht so genau verhandelt, sodass Sie sich jetzt nicht einig sind, was eigentlich zu tun ist. Das sind doch Chaostage in der Finanzpolitik, die wir in diesem Land erleben müssen.
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Die Krönung des Ganzen ist, dass der einzige Vorschlag, der jetzt neu von Frau Merkel gekommen ist, der eines Jumbo-Rats ist, in dem sich die Finanzminister mit den Wirtschaftsministern zusammensetzen sollen. Da riecht doch jeder Lunte: Der Finanzminister ist plötzlich ein Sozialdemokrat – Olaf Scholz –, und nun will sie ihren Vertrauten Peter Altmaier dort hineinbringen, weil sie Herrn Scholz offenbar nicht zutraut, diese Dinge im Interesse Deutschlands anzugehen. Das ist der einzige Vorschlag, der von der Bundesregierung kam. Es ist doch grotesk, wenn das die Position Deutschlands in dieser Diskussion sein soll, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich glaube, Sie müssen sich, wenn bis Juni dieses Jahres entschieden werden soll, zusammenraufen und zu einer klaren Position kommen. Handeln und Haftung gehören in eine Hand. Orientieren Sie sich an dem, was Wolfgang Schäuble aufgeschrieben hat, und verhandeln Sie auf dieser Grundlage mit unseren europäischen Partnern!
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Heribert Hirte das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns ist eines klar – das verbindet uns mit den Vorschlägen von Macron –: Es geht um eine Stärkung der Euro-Zone. Daran arbeiten wir, und daran werden wir auch gemeinsam mit den europäischen Partnern arbeiten. Ein wichtiger Punkt – Sie haben ihn angesprochen – ist, wie und unter welchen Voraussetzungen wir den ESM in einen EWF überführen können. Darüber haben wir hier schon mindestens zweimal debattiert. Ich kann Ihnen dazu nur sagen, dass es auch um die Frage geht – Sie haben sie angesprochen –: Ist die Rechtsgrundlage, die die Kommission dafür nennt, geeignet? Wir sind in unserer Fraktion der Meinung: Nein, Artikel 352 AEUV ist dafür nicht geeignet.
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Das haben wir der Kommission mit Verweis auf das Pringle-Urteil des EuGH auch mitgeteilt.
Die Begründung der Kommission lautet, das Pringle-Urteil erlaube den ESM neben dem klassischen Regelwerk der Kommission, und deshalb sei Artikel 352 AEUV dafür geeignet. Nein, diese Auffassung teilen wir nicht. Wir sind anderer Meinung, und dabei bleibt unsere Fraktion auch. Da gibt es, anders als Sie gesagt haben, überhaupt keinen Streit. Wir stehen einheitlich zu der Position: Es bedarf einer Vertragsänderung.
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Wenn es eine solche Vertragsänderung nicht gibt – wären Sie in unserer Fraktionssitzung gewesen, hätten Sie das gehört; auch da ist die Bundeskanzlerin völlig klar gewesen –, dann bleibt es bei dem, was wir haben, nämlich bei der intergouvernementalen Zusammenarbeit. Dann kann man über die Frage nachdenken, wie man im Regelwerk des europäischen Rechts einige Querbezüge herstellt. Damit ist die Frage, die Sie gestellt haben, beantwortet: Es bleibt dann bei der intergouvernementalen Zusammenarbeit. Die Kanzlerin hat das in unserer Fraktionssitzung ausdrücklich so gesagt. Ich bin fest davon überzeugt, dass sie genau diese Position auch in Brüssel und auf den Europäischen Räten gemeinsam mit dem Finanzminister vertreten wird.
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Damit ist klar: Wir, die nationalen Parlamente, sind beteiligt, wir bleiben beteiligt, und wir wollen beteiligt sein. Wir werden bei etwaigen Programmen natürlich auch über die Frage nachdenken: Welche Strukturreformen sind einzufordern? Denn das ist ja das Entscheidende. Geld gibt es von uns – dieses Haus hat ja die Budgethoheit – nur dann, wenn uns gesagt wird und wir kontrollieren können, welche Gegenleistung es dafür gibt.
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Deshalb werden wir der Bundesregierung – gestützt auf Artikel 23 Grundgesetz und das EUZBBG – wahrscheinlich noch ein paar Leitplanken aufstellen. Darüber reden wir im Augenblick. Wir werden sagen, was in Ergänzung zu der möglichen Überführung des ESM in einen EWF, mit den Vorgaben, die ich gerade erläutert habe, noch passieren kann.
Erstens. Ein zentraler Punkt ist eine stärkere Krisenprävention. Was heißt „stärkere Krisenprävention“? Das heißt, wir brauchen eine Risikogewichtung von Staatsanleihen, damit schon im Vorfeld eine solche Krise, die dazu geführt hat, dass wir hier über Jahre hinweg über Euro-Rettungsmaßnahmen debattieren mussten, vermieden wird.
Zweitens brauchen wir – Sie haben es angesprochen, Herr Toncar; da bin ich ganz bei Ihnen – ein Insolvenzverfahren für Staaten. Ich habe das immer wieder gefordert. Wir haben hier Vorschläge dazu ausgearbeitet und gemacht, wie das in den ESM und in den EWF integriert werden könnte. Seien Sie sich sicher: Das ist die Meinung unserer Fraktion. So wird dies auch weitergegeben.
Ob man das dann „Insolvenzverfahren“ oder „Schuldenrestrukturierungsverfahren“ nennt, ist auf den ersten Blick ein Detailpunkt. Auf den zweiten Blick ist das aber nicht ganz so unwichtig; denn wenn Sie einem Staat sagen, er könne pleitegehen, dann ist das etwas anderes, als wenn Sie ihm sagen, Sie würden restrukturieren. Ich möchte das deutlich sagen: Für die Verhandlungssituation ist es schon ein gewisser Unterschied, ob Sie es so oder anders bezeichnen. Deshalb – mein Kollege Christoph Paulus hat das sehr deutlich gesagt – ist der Begriff „Resolvenzverfahren“ besser als „Insolvenzverfahren“, weil es darum geht, ein Land wieder solvent zu machen.
Ein Punkt am Rande, weil es insbesondere um die Frage geht, wie man das einführt: Mir ist es schon wichtig, zu sagen: „Wir können das nicht von einem Tag auf den anderen einführen“; denn das würde natürlich zu Schieflagen in einigen Ländern führen, weil die Märkte plötzlich zusammenbrechen würden. Wir müssen diese Regelungen langsam einführen, aber wir brauchen ordnungspolitisch – das ist richtig, und das ist auch das Richtige an Ihrem Antrag – eine klare Richtung. Die haben wir aber auch, und die haben wir auch einheitlich.
Ein letzter Punkt. Wir brauchen die Bankenrestrukturierung und vernünftige Insolvenzrechte, damit die Banken in den verschiedenen Mitgliedstaaten nicht pleitegehen. Dafür brauchen wir das gemeinsame Verständnis, dass der Fiskus bei Insolvenzverfahren von Privaten und von Unternehmen nicht zugreifen kann. Daneben müssen wir die Non-performing Loans – liebe Kollegen von der AfD, „faule Kredite“ heißt das auf Deutsch – vorher aus den Bankbilanzen herausrechnen. Es kann nicht sein, dass es in Deutschland 3 Prozent und in manchen südeuropäischen Ländern 30 Prozent an faulen Krediten gibt. Diese müssen vorher herausgerechnet werden, und das werden wir unserer Bundesregierung mit auf den Weg geben. Seien Sie sich sicher: Daran arbeiten wir, und Bundeskanzlerin Merkel wird das entsprechend durchsetzen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Abgeordnete Sonja Amalie Steffen für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf der Tribüne! Die FDP hat für heute eine Aktuelle Stunde beantragt, um zu erfahren, welche Haltung die Koalition zu den Plänen der EU-Kommission hat, den ESM in einen Europäischen Währungsfonds zu überführen.
({0})
Die Antwort darauf ist ziemlich einfach; Sie müssen nur in unseren Koalitionsvertrag schauen.
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Sie müssen den Vertrag auch gar nicht komplett lesen, meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP; denn bei uns steht das Europakapitel – im Gegensatz zu Ihrem Entwurf in den Jamaika-Verhandlungen – ganz am Anfang.
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In unserem Koalitionsvertrag heißt es – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin –:
Den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wollen wir zu einem parlamentarisch kontrollierten Europäischen Währungsfonds weiterentwickeln, der im Unionsrecht verankert sein sollte. Die Rechte der nationalen Parlamente bleiben davon unberührt.
({3})
Ich finde, das ist ziemlich eindeutig. Wir wollen den ESM weiterentwickeln, aber es ist genauso klar, dass es dabei nicht weniger parlamentarische Kontrolle und Mitsprache geben wird als bisher.
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Es ist im Übrigen richtig, dass es in den vergangenen Tagen bei den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU eine Diskussion darüber gegeben hat.
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Wenn man den Kollegen Hirte hört, dann scheint es auch so, dass die Diskussion noch nicht ganz abgeschlossen ist.
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Allerdings hat der Kollege Grosse-Brömer selbst erklärt, es handele sich nur um eine Informationsdebatte in seiner Fraktion.
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Das ist beruhigend. Wenn dann alle gut informiert sind, dann kann es mit der notwendigen Reform der Euro-Zone
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und der Währungs- und Wirtschaftsunion losgehen.
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Meine Damen und Herren, vieles von dem, was wir für Deutschland erreichen wollen, können wir nur schaffen, wenn wir Europa stark machen. Deutschland ist stark. Aber wir sind es eben nicht allein. Die Leistungsbereitschaft unserer Menschen, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Fleiß und der Ideenreichtum der Menschen in unserem Land, das sind die Grundlagen unserer wirtschaftlichen Stärke. Aber – das wissen Sie alle hier im Raum – ohne den europäischen Binnenmarkt, ohne die Wirtschafts- und Währungsunion, ohne den Euro wäre die deutsche Wirtschaft längst nicht so konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt, wie das zum Glück aktuell der Fall ist.
({10})
– Das ist kein Unsinn, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD. Streichen Sie das „liebe“.
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Damit das so bleibt, damit wir unsere Position halten können, brauchen wir mehr Europa, auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Anfang Februar dieses Jahres haben wir hier in der ersten Lesung einen FDP-Antrag zum Vorschlag der Kommission zur Einrichtung des EWF beraten. Ich greife einen Punkt aus der Debatte heraus, um deutlich zu machen, wie sehr sich die Position der FDP von unseren Vorstellungen einer sozialen Marktwirtschaft und eines solidarischen Europas unterscheidet. Die FDP ist dagegen, dass ein künftiger Europäischer Währungsfonds bei einer Stabilisierungsfunktion gegen asymmetrische Schocks eine Rolle spielen könnte, weil sie eine solche Funktion grundsätzlich ablehnt.
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– Ich sehe, Sie nicken, Herr Kollege.
Worum geht es hier? Wir haben es in der Vergangenheit erlebt, dass Länder in der Euro-Zone in erhebliche Krisen gerieten.
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– Hören Sie einmal zu. Dann lernen Sie noch etwas.
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Hier sagt die Kommission mit Blick auf die Zukunft: Das wichtigste Instrument, um so einen Schock abzufedern, sind die nationalen Haushalte und die automatischen Stabilisatoren in den Mitgliedsländern, zum Beispiel die Arbeitslosenversicherung. Gerade deshalb müssen die Mitgliedstaaten in guten Zeiten angemessene Puffer in ihre Haushalte einbauen, so wie es im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehen ist.
Aber es kann Situationen geben, in denen die Staaten trotzdem an ihre Grenzen kommen und in denen zusätzliche Hilfe aus Europa einen Kollaps verhindern kann. Dazu sagt die FDP in ihrem Antrag – ich zitiere –:
Eine solche Stabilisierungsfunktion ... ist aber nicht notwendig, denn die makroökonomische Stabilisierung kann über die Finanzmärkte und die nationalen automatischen Stabilisatoren weit effektiver und zielgerichteter wahrgenommen werden.
Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Wir reden hier über ein Instrument, das bei einer extremen Schieflage mithelfen soll, das Umkippen einer Volkswirtschaft zu verhindern, und zwar in einer Lage, in der die Arbeitslosigkeit schon in die Höhe gegangen ist und in der der Staatshaushalt schon im Minus ist, einer Lage, in der es an allen Ecken und Enden quietscht und kracht. Dazu sagt die FDP eiskalt: Der Finanzmarkt wird es schon richten.
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Wer so mit dem Schicksal von Menschen umgeht, wer ein Europa will, das so wenig für seine Bürgerinnen und Bürger tun kann, der darf sich nicht wundern, wenn Europa auseinanderfällt.
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Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen für eine andere Vorstellung von Europa. Deswegen werden wir weiter mit aller Kraft daran arbeiten, den ESM gemeinsam mit den anderen Euro-Ländern weiterzuentwickeln und zu einem Europäischen Währungsfonds auszubauen. Wir wollen mehr Europa. Wir wollen gemeinsam mehr in Europa erreichen. Aber wir werden dabei immer sicherstellen, dass die nationalen Parlamente die Verantwortung für die nationalen Haushalte nicht aus der Hand geben.
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Darauf können sich die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land verlassen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Peter Boehringer für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Thema EWF ist bei der CDU eines mit einer wilden Historie. Erstmals wurde die Idee – das wurde schon erwähnt – 2010 von Ihnen in den Raum gestellt, dann zunächst wieder beerdigt; denn man hatte ja noch genügend andere Rettungsvehikel für den Euro: EFSF, damals schon ESM, Target 2 und inzwischen auch die direkten Anleihekäufe der EZB.
Mit anhaltender Euro-Krise wurde es aber dann immer wichtiger, noch weitere Vehikel für diese versteckten Rettungskredite aufzutun. So griff man dann 2017 gerne den von Macron wieder aufgewärmten EWF-Plan erneut auf. Vorige Woche traten einige aus Ihrer Fraktion wieder auf die Bremse. Es sollte nun mit der Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion doch nicht ganz so schnell gehen. Gestern aber gab es doch wieder ein Bekenntnis der Kanzlerin zu einem zügigen WWU-Beschluss – oder auch nicht; so richtig klar ist das nicht. Es ist auch in dieser Aktuellen Stunde nicht wirklich klar geworden. Dazu komme ich gleich noch.
Diese Kakofonie bei der Union ist Ergebnis von vielen Lebenslügen und Restriktionen.
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Die übliche Lebenslüge ist natürlich, dass der deutsche Wähler einfach keinen totalen Euro will, kein EU-Budget, keinen EWF, keine verfassungswidrigen EU-Minister, keine Spareinlagensozialisierung. Er will es einfach nicht.
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Der öffentliche Widerstand hier im Haus durch die AfD und im Volk wirkt, und so flüchtet man sich nun in Vernebelung. Das ist einfach so. Es stehen auch Landtagswahlkämpfe an, und da werden die Wähler gerne von unpopulären Maßnahmen und unpopulären Informationen ferngehalten.
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Die zweite Restriktion ist, dass inzwischen sogar der Regierung klar ist, dass das Unionsrecht als geplante Rechtsgrundlage der EU-Kommission für den EWF – es wurde schon erwähnt: Artikel 352 AEUV – nicht trägt.
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Wenn die Kanzlerin und auch Vorredner von der CDU/CSU wie Sie, Herr Hirte, nun klarstellen, dass es um einen EWF nach zwischenstaatlichem Recht geht, dann ist das bemerkenswert. Denn einerseits ist es die richtige Einsicht: Artikel 352 AEUV ist eine Selbstermächtigungsklausel der Kommission; damit zieht sie Dinge an sich, die sie nach den EU-Verträgen überhaupt nicht regeln dürfte. Und doch soll genau die genutzt werden.
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Es gab darum nicht ohne Grund hier im Haus Anfang Februar Anträge auf zwei Subsidiaritätsrügen zu diesem Thema, die von Ihnen selbst – von allen GroKo-Vertretern und den Grünen – gnadenlos niedergestimmt wurden, obwohl sie selbstverständlich berechtigt waren.
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Wir hatten damals gesagt und geschrieben: Der Vorschlag der EU-Kommission zum EWF kann nicht auf Artikel 352 AEUV gestützt werden.
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Nun endlich am 13. April von Ihrer eigenen Fraktion: Die Rechtsgrundlage zur Einrichtung eines EWF nach Artikel 352 AEUV ist nicht einschlägig.
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Halleluja! Das hätten wir wirklich früher haben können. Heute sagen Sie exakt dasselbe wie wir im Februar,
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und Sie haben unseren Antrag abgelehnt.
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Die dritte Restriktion ist vielleicht die wichtigste. Der Koalitionspartner SPD – Ihr eigener Koalitionspartner – beharrt auf der Erfüllung des Koalitionsvertrags. Das ist sein gutes Recht. Darin steht weiterhin schwarz auf weiß: Wir wollen einen EWF nach Unionsrecht einrichten. – Also das Gegenteil dessen, was eben Herr Hirte gesagt hat, was die Kanzlerin gesagt hat und was Sie derzeit sagen.
Das ist ein Widerspruch, der nun einmal aufgelöst werden muss. Daran kommen Sie nicht vorbei. Ich würde Frau Steffen und Herrn Hirte gerne ein intensives Gespräch empfehlen. Vielleicht sollten Sie es auch eine Ebene höher ansetzen. Ich würde gerne eine autorisierte Aussage der SPD-Fraktion und eigentlich sogar der SPD-Partei an dieser Stelle erwarten. Minister Scholz, der Parteichef, ist nicht hier, die designierte Parteichefin leider auch nicht. Aber hier ist eine klare Aussage gefragt. Frau Staatssekretärin Hagedorn, Sie sind Vertreterin des BMF.
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Ihre Aussage ist hier nicht gefragt. Es ist wirklich eine SPD-Parteiaussage gefragt. Da ist leider keine gekommen.
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Im Fraktionspapier der CDU/CSU wird erstmals seit mindestens acht Jahren die Aussage von uns Euro-Kritikern bestätigt: Der EWF hat möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf das nationale Budget. – Na so was! Das ist unsere Rede seit acht Jahren. Es sind eben nicht nur Garantien. Diese Garantien werden Auswirkungen auf das nationale Budget haben. Das ist schon heute absolut sicher.
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Es geht um Billionen – das ist ein potenzielles Billionenrisiko –, und die braucht der EWF auch; denn er soll ja als Letzthafter beim Bankenabwicklungsfonds und sogar beim geplanten Einlagensicherungsfonds eingesetzt werden. Das sind – heute schon absehbar – die Steuern und Vermögensenteignungen von morgen.
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Zum ohnehin viel zu schwachen Parlamentsvorbehalt des Bundestags beim EWF rede ich heute nicht. Es ist ja nur eine Aktuelle Stunde. Wenn Sie das ernsthaft weiterverfolgen, dann reden wir zu gegebener Zeit noch einmal über die Parlamentsrechte.
Vielleicht noch an die FDP: Danke für die Aktuelle Stunde. Das ist sicher angebracht. Aber auch Sie sollten Ihre Bewunderung gegenüber Macrons supranationalistischen und weiterhin transfersozialistischen Ideen ablegen.
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Sie schreiben in einem Antrag vom 30. Januar – Herr Toncar hat es eben noch einmal bestätigt –: Die Einrichtung eines EWF kann die Währungsunion stärken.
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Klar, man kann mit noch mehr guten Milliarden, die man den bereits versenkten Rettungsmilliarden hinterherwirft, den Euro nochmals temporär stärken. Retten kann man ihn damit nicht.
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Die deutschen Wähler wollen keine permanente Euro-Rettung auf ihre Kosten.
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Sie wollen auch keinen EU-ropäischen Wirtschaftsminister wie Ihr Fraktionsvize Theurer. Auch hier besteht also viel Klärungsbedarf.
Die AfD ist – damit komme ich zum Schluss – klar marktwirtschaftlich und rechtsstaatlich eindeutig positioniert: keine Euro-Rettung, koste es, was es wolle. Der totale EU-ropawahn ist 2017 abgewählt worden.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Fabio De Masi für die Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Koalitionsvertrag trägt den Titel „Ein neuer Aufbruch für Europa“. Gestern war Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei der Bundeskanzlerin „Madame Non“. Frau Merkel verkündete die Idee eines neuen Stuhlkreises des Wirtschaftsministers Peter Altmaier und des Finanzministers Olaf Scholz. Wenn das Ihr Aufbruch für Europa ist, dann wecken Sie mich bitte auf bei der Endstation.
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Vielleicht sollten Sie Ihr Regierungsprogramm umbenennen: „Mit dem Schlafwagen durch Europa“ oder „Gegen die Wand“.
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Die Euro-Krise ist nicht vorbei, vor allem nicht im Portemonnaie von Millionen Beschäftigten, Rentnern und Arbeitslosen in Europa. Deutschland verkauft aufgrund seiner unzureichenden Investitionen und seiner unzureichenden Lohnentwicklung immer mehr und billiger an das Ausland, als es von dort einkauft. Unsere Handelspartner in der Euro-Zone können sich nicht mehr durch die Abwertung ihrer Währung dagegen wehren; denn diese ist der Euro. Deutschland hat einen Leistungsbilanzüberschuss von 8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Für die Euro-Zone sind es mittlerweile 4 Prozent. Daher drohen neue Schuldenkrisen. Wenn ich immer mehr verkaufe, als ich von anderen einkaufe, müssen die anderen bei mir anschreiben. Die Weisheit von Gary Lineker „Fußball ist, wenn 22 Leute dem Ball hinterherrennen, und am Ende gewinnt Deutschland“ ist ein denkbar schlechter Ratschlag für die Währungsunion.
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Der Handelsstreit mit den USA schwelt deswegen weiter. Die jüngsten Konjunkturdaten weisen abwärts. Dem Finanzminister, der heute nicht anwesend ist, fällt dazu nur die schwarze Null ein.
Die Europäische Zentralbank hat die Finanzmärkte mit viel billigem Geld stabilisiert. Aber das billige Geld kommt aufgrund der Kürzungen von Löhnen, Renten und öffentlichen Investitionen nur auf den Börsen und nicht in der realen Wirtschaft an. Daher drohen uns neue Finanzkrisen. Die Euro-Zone würde etwa eine Krise des italienischen Bankensektors nicht überleben.
Nun herrscht Streit zwischen Berlin und Paris über den Europäischen Währungsfonds. Dieser soll Euro-Staaten in einer Krise unterstützen und auch ein doppeltes Netz für die Banken schaffen. Der ESM war faktisch eine Bankenrettung. Gerettet wurden nicht griechische Krankenschwestern oder irische Rentner. Das Motto lautet nun: Raider heißt jetzt Twix. – Der ESM soll in einen EWF überführt werden. Die Linke ist selbstverständlich für die parlamentarische Kontrolle des Europäischen Währungsfonds.
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Aber viel wichtiger als der Streit über die Rechtsgrundlage ist die Frage, was wir mit diesem Europäischen Währungsfonds eigentlich anfangen wollen. Hier herrscht tatsächlich Einigkeit zwischen Herrn Macron und Frau Merkel. Herr Macron möchte in Frankreich – genauso wie es in Deutschland der Fall war – eine Agenda 2010 einschließlich der Kürzung von Löhnen und Renten durchsetzen. Dafür braucht er etwas Taschengeld, damit die Wirtschaft nicht abschmiert. Frau Merkel möchte, dass er diese Agenda in Frankreich durchsetzt, will aber möglichst nicht das Portemonnaie öffnen.
Wozu braucht man eigentlich einen Währungsfonds? Üblicherweise braucht man einen Währungsfonds bei Devisenmangel. Wenn beispielsweise Brasilien zu viel importiert, seine Währung, den Real, abwertet und sich keine Dollar mehr leisten kann, dann soll ein Währungsfonds so lange helfen, bis die Wirtschaft wieder im Lot ist. Aber ein Land mit eigener Währung kann niemals pleitegehen; denn dafür gibt es eine Zentralbank. Das Problem der Euro-Zone ist aber nicht der Mangel an Devisen, an US-Dollar, sondern, dass die EZB sagt: Wenn ihr in einer Krise die Löhne oder die Renten nicht kürzt, akzeptieren wir eure Staatsanleihen nicht und drehen euch den Geldhahn zu. – Ein EWF macht daher nur Sinn, wenn er über eine Banklizenz verfügt und sich bei der EZB refinanzieren kann, um öffentliche Investitionen zu unterstützen. Ohne eine solche Garantie würde er in einer Krise von Hedgefonds wieder sturmreif geschossen werden.
Bei einer Krise von Megabanken wie der Deutschen Bank, die immer noch zu groß und zu vernetzt zum Scheitern wäre, wäre der IWF schnell nackt. Deswegen muss Schluss sein mit einem Bankensektor, der die Steuerzahler immer wieder erpressen kann. Wir müssen Megabanken wie die Deutsche Bank aufspalten.
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Ein europäischer Währungsfonds, der am Ende aber nur dafür da ist, weitere Strukturreformen, die Kürzung von Löhnen und Renten, durchzusetzen, ist völlig kontraproduktiv. Das ist in etwa so, als wenn man einem Komapatienten Blut abzapft und ihn gleichzeitig künstlich beatmet.
Ich fasse zusammen. Von der Bundesregierung hört man dieser Tage in der Debatte um die Reform der Euro-Zone nicht viel. Selten war eine Regierung in Deutschland schon bei Antritt so müde und so fertig. Das ist gut für die Opposition. Für dieses Land und für Europa ist das eine Katastrophe.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Sven-Christian Kindler das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute im Deutschen Bundestag über die Zukunft Europas. Wir müssen uns klarmachen: Diese Debatte wird in Europa verfolgt. Deswegen müssen wir auch über die großen Herausforderungen, die großen Chancen für Europa reden. Ich finde, so wie es die Große Koalition, zum Teil auch die FDP gemacht hat, geht es nicht. Wir dürfen nicht kleinmütig und kleingeistig vorgehen, sondern wir müssen mutig und nach vorne diskutieren.
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Wir müssen uns auch angucken, was passiert 2018, historisch gesehen. Wir feiern dieses Jahr 20 Jahre Euro-Einführung – ein glückliches, ein freudiges Ereignis. Das wird aber überschattet von zehn Jahre Finanzkrise in Europa – eine Banken- und Wirtschaftskrise, die zu massiven politischen und sozialen Verwerfungen in ganz Europa geführt hat. Das haben Jean-Claude Juncker und Emmanuel Macron verstanden. Sie haben Vorschläge vorgelegt. Europa, Macron, Juncker warten seit sieben Monaten, seit September 2017, seit der Bundestagswahl, darauf, dass Deutschland darauf endlich eine Antwort gibt.
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Bisher gibt es keine Antwort. Es gibt nur „Nein, nein, nein“ von der Bundesregierung. Ich finde das wirklich peinlich und verantwortungslos.
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Wir müssen jetzt doch ein historisches Zeitfenster nutzen; denn es schließt sich schnell, weil im Herbst der Europawahlkampf beginnt. Wir müssen berücksichtigen, dass der Euro nicht krisenfest ist, dass bestimmte Defizite behoben werden müssen und dass Deutschland deswegen jetzt Verantwortung übernehmen muss.
Gerade der EWF, der Europäische Währungsfonds, könnte dabei eine wichtige Rolle spielen. Es gäbe andere wichtige Reaktionen darauf, zum Beispiel, dass wir mehr Investitionen in Europa vornehmen und dass wir dafür neue Finanzmittel bereitstellen. Die Vollendung der Bankenunion mit einem Backstop ist wichtig.
Es gibt viele Fragen, auf die Europa eine Antwort braucht und auf die auch Deutschland eine Antwort geben muss. Wenn Deutschland diese Antwort nicht gibt, wenn sie sie weiter verschleppt, wenn Merkel sie weiter verzögert und diese historische Chance verstreichen lässt, dann ist das wirklich verantwortungslos von dieser Bundesregierung. Deutschland wird so zum Systemrisiko für ganz Europa.
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Zum Europäischen Währungsfonds. Ich glaube, wir müssen hier zwischen zwei Konzepten unterscheiden. Es gibt den Vorschlag der Kommission, innerhalb der Gemeinschaft neue Institutionen, kontrolliert vom Europäischen Parlament, angebunden an die Europäische Kommission, zu schaffen. Wir sagen klar: Das kann man sehr gut mit den Rechten des Deutschen Bundestages vereinbaren, für die wir einstehen. Das kann man sehr gut auch mit einem Vetorecht vereinbaren, so wie es das Bundesverfassungsgericht vorschlägt. Ein solches Recht muss man ausgestalten; aber es ist möglich.
Was die Unionsfraktion jetzt macht und was auch die FDP gemacht hat, ist, hier einen Etikettenschwindel vorzunehmen. Sie wollen de facto eine intergouvernementale Aktion und einen ganz anderen Fonds, keinen von Gemeinschaftsinstitutionen, weil Sie denen nicht vertrauen. Damit wollen Sie die EU-Kommission außen vor lassen und schwächen, und gleichzeitig wollen Sie die Haushalte der Staaten disziplinieren, kontrollieren, und Sie wollen den Staaten vorschreiben, welche Haushaltspolitik sie betreiben sollen. Sie wollen also die gescheiterte Kaputtsparpolitik in Europa mit einem anderen Europäischen Währungsfonds fortsetzen. Das nenne ich einen Etikettenschwindel. Das wäre eine „Troika forever“, und das würde Europa nicht zusammenbringen; das würde Europa massiv spalten.
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Ich frage mich: Wo ist eigentlich die SPD in dieser Debatte? Die SPD hat bei ihrer Basis massiv für den Koalitionsvertrag mit dem Europakapitel geworben. Sonja Steffen hat es gesagt: Das Europakapitel ist das erste Kapitel im Koalitionsvertrag: „Ein neuer Aufbruch für Europa“. Bisher sehen wir eine neue Blockade für Europa durch diese Bundesregierung.
Die Unionsfraktion rennt Sturm gegen das, was die Bundesregierung eigentlich machen müsste, was zum Teil auch im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist. Die SPD hat jetzt das Finanzministerium, das dafür zuständig ist. Ich frage mich: Wo ist in dieser Debatte eigentlich der SPD-Bundesfinanzminister? Wir hören nichts von Olaf Scholz dazu. Es gibt ein lautes Schweigen.
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– Ich rede nicht über diese Debatte hier im Bundestag; ich rede über die gesamte mediale Debatte. Dazu hören wir nichts von Olaf Scholz. Er lässt die Union einfach laufen und gegen Europa Stimmung machen.
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Ich finde das wirklich erbärmlich. Ich finde, die SPD und der SPD-Bundesfinanzminister müssen endlich handeln und Position beziehen.
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Ich glaube, Olaf Scholz muss sich nachher auch entscheiden, ob er das umsetzen will, was Martin Schulz in den Koalitionsverhandlungen gegen die Union in den Koalitionsvertrag hineingebracht hat, oder ob er in der Tradition seines Vorgängers Wolfgang Schäuble bleibt. Die CDU hat sich bitter beschwert, dass sie das Finanzministerium an die SPD abgeben musste. Angesichts der letzten Wochen und des Agierens von Olaf Scholz am Anfang bin ich mir nicht sicher, bei welcher Partei das Bundesfinanzministerium eigentlich gerade ist.
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– Bei den Grünen ist es nicht. Aber ob es bei der SPD ist, Kollege Fricke, oder ob es bei der CDU ist, das – so muss man fairerweise sagen – wissen wir nicht genau.
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Jetzt ist die Zeit, Europa groß zu denken, nicht weiter zu blockieren, nicht kleinmütig, nicht kleingeistig zu diskutieren, nicht immer nur etwas abzuwehren, sondern eigene Vorschläge auf den Tisch zu legen, um Europa sozialer, demokratischer, auch krisenfester zu machen, diese historische Chance zu nutzen und auch diese historische Verantwortung wahrzunehmen, die wir hier im Deutschen Bundestag haben. Das müssen wir machen. Wir müssen jetzt zusammen Vorschläge vorlegen, wie man mit Macron und Juncker Europa weiterentwickeln kann, statt Europa weiter zu blockieren.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Eckhardt Rehberg für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Sven Kindler, kleinmütig, kleingeistig, verantwortungsloses Handeln der Bundesregierung – ich muss Ihnen sagen: Denken Sie mal an das Nikolauspaket vom 6. Dezember. Darin steht mitnichten, dass die nationalen Parlamente ihre Beteiligungsrechte behalten sollen.
Ich bin dem Bundesverfassungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2014 verpflichtet. Ich bin als Abgeordneter des Deutschen Bundestages dem deutschen Steuerzahler verpflichtet. Olaf Scholz hat recht: Ein deutscher Finanzminister bleibt ein deutscher Finanzminister.
Wir dürfen nicht nur auf die Vorschläge gucken, die aus Brüssel kommen oder die Herr Macron als Chef einer Präsidialrepublik macht – wir haben ein ganz anderes Demokratiesystem als die Franzosen –, sondern wir müssen gesamteuropäisch gucken, auch mal schauen, was die acht Nordfinanzminister geschrieben haben, müssen auch auf die kleinen Länder achten
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und deutsche und gesamteuropäische Verantwortung zusammenbringen. Das, was wir machen, ist nicht verantwortungslos, sondern ist verantwortungsvoll an dieser Stelle.
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Es wird so leicht dahergesagt, dass der Europäische Währungsfonds erweitert werden soll: neue Fiskalkapazität. Die Grünen greifen es wieder auf. Beim Koalitionspartner gibt es durchaus Sympathien dafür. Wenn wir eine solche Fiskalkapazität aufbauen, sind aber mehrere Fragen zu stellen:
Woher kommt das Geld? Bei einem Aufbauvolumen von insgesamt 100 Milliarden Euro ist Deutschland mit 27 Milliarden Euro dabei; bei 200 Milliarden Euro sind es 54 Milliarden Euro.
Nach welchen Konditionen vergeben wir das Geld? Bei Macron habe ich bisher gehört: unkonditioniert. Bei der EU-Kommission ist der Ansatz: Wir haben den Hut auf. – Dazu sagen wir: Man kann darüber diskutieren, aber am Ende eines Prozesses. Wenn, dann muss der Europäische Währungsfonds ähnlich strukturiert sein wie die Europäische Zentralbank oder die Europäische Investitionsbank: unabhängig von der Kommission. Eigenständig, unabhängig, das ist unsere Maßgabe an dieser Stelle.
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Herr Kollege Boehringer, Sie haben von Vehikeln gesprochen. Ich will Ihnen nur sagen, dass diese Vehikel – die meisten haben wir mit der FDP bis 2013 beschlossen – dazu geführt haben, dass Spanien, Portugal, Irland und Zypern aus den Reformprogrammen raus sind, sehr erfolgreich sogar. Ich hoffe, dass in den nächsten Tagen auch Griechenland sich wieder am Kapitalmarkt refinanzieren kann. Hier galt und gilt der Grundsatz – das ist keine Austeritätspolitik –: Geld gibt es nur gegen Reformen. Geld gibt es nur mit Konditionen.
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Das muss auch für die Zukunft tragen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, man kann über viele Dinge reden. Wir haben keinen Zeitdruck – weder die Bundesregierung nach meiner Auffassung noch wir als Unionsfraktion. Themen, die Macron zu Recht aufgerufen hat, sind aus meiner Sicht prioritär: gemeinsame Sicherheitspolitik, Sicherung der Außengrenzen, Reform der Unternehmensbesteuerung, gemeinsame Außenpolitik, gemeinsame Digitalpolitik und gemeinsame Asylpolitik.
Was nicht geht, ist zum Beispiel beim Thema Einlagensicherung, dass man ein Schrittmaß wählt, bei dem man sich nicht über die faulen Kredite in vielen europäischen Banken unterhält,
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aber der Meinung ist, dass die erfolgreichen deutschen Einlagensicherungssysteme insbesondere der Sparkassen, der Genossenschaftsbanken schon heute für ein gemeinsames europäisches Einlagensicherungssystem herhalten sollen. Nein, die Schrittfolge muss eine andere sein: Erst Abbau der faulen Kredite, und dann können wir an dieser Stelle über eine gemeinsame europäische Einlagensicherung reden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine letzte Bemerkung: Es ist relativ leicht, Visionen zu haben, Pflöcke einzuschlagen. Aber ich finde, man sollte sich auch mit den Realitäten befassen. Ehe man über neue Strukturen, über neue Kapazitäten in Europa redet, sollte man sich in Brüssel doch erst einmal bemühen, das Geld umzusetzen, das man hat. Ich finde, es ist ein europäisches Trauerspiel, dass im letzten Jahr im Europäischen Sozialfonds, im Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und im Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums 10 Milliarden Euro nicht ausgegeben wurden und in diesem Jahr wieder 5 Milliarden Euro nicht ausgegeben werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer nach Reformen schreit, sollte erst einmal das Geld, das da ist, effizient umsetzen, ehe er neues Geld verlangt.
Danke.
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Das Wort hat Metin Hakverdi für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die kommenden Wochen und Monate könnten für die Zukunft der Euro-Zone, ja für die Zukunft der Europäischen Union insgesamt wegweisend sein.
Verharren wir in nationalem Denken und in Diskursen, oder erkennen wir, dass die Zukunft unseres Landes in der Zukunft Europas liegt? Erkennen wir, dass der Erfolg der EU in unserem eigenen nationalen Interesse liegt? Erkennen wir, dass diejenigen, die behaupten, wir müssten uns zwischen unseren deutschen Interessen und den europäischen Interessen entscheiden, in Wahrheit ihr eigenes Süppchen kochen? Erkennen wir, dass diese Leute weder an Deutschlands noch an Europas Zukunft in Frieden und Wohlstand interessiert sind?
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Lassen Sie uns gemeinsam den Mut haben – den Mut, der jetzt notwendig ist. Lassen Sie uns gemeinsam noch in dieser Legislaturperiode zurückblicken und sagen: Ja, wir haben diese Chance genutzt. Ja, wir hatten den Mut. Ja, wir haben den Kontinent – Europa – und unser Land – Deutschland – zukunftsfester gemacht. Bevor sich das Zeitfenster für die weitere Vertiefung der Europäischen Union wegen anstehender Wahlen schließt, ist es an uns, jetzt entschlossen zu handeln.
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In der Finanz- und Wirtschaftskrise, die 2008 ihren Anfang nahm, haben wir gelernt, dass die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion Konstruktionsmängel aufweist. Wir haben auf zwischenstaatlicher Ebene Ad-hoc-Entscheidungen getroffen und Maßnahmen ergriffen. Letztlich war es aber eine europäische Institution, die Europäische Zentralbank, die mit der gebündelten Macht aller Mitgliedstaaten den finanzpolitischen Orkan aufgehalten hat.
Jetzt ist es an der Zeit, die Wirtschafts- und Währungsunion kraftvoll voranzubringen. Das gilt auch für die Bankenunion. An einer Letztsicherung für die Bankenabwicklung fehlt es noch. Eine gemeinsame Einlagensicherung scheitert bisher an der mangelnden Risikoreduktion in einigen Bankbilanzen der Europäischen Union. Die gemeinsame europäische Einlagensicherung sollten wir aber nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Aus diesem Grund – da ist sich die SPD-Fraktion mit der Union völlig einig – muss die Risikoreduktion entschiedener als bisher angegangen werden.
Die Kommission hat Vorschläge zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion gemacht. Zu den Vorschlägen gehören ein europäischer Finanzminister – wir haben es gehört –, der mehr oder weniger den Euro-Gruppen-Chef ablösen soll, und ein Europäischer Währungsfonds, der an die Stelle des Europäischen Stabilitätsmechanismus treten soll.
Damit zielt die Kommission darauf ab, zwischenstaatliche Mechanismen, die im Zuge der Finanzkrise geschaffen wurden, in die EU zu integrieren. Es geht darum, einzelne nationalisierte Politikbereiche zurückzuführen unter das gemeinsame Dach der EU. Ich finde das richtig und teile das Ansinnen der Europäischen Kommission.
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Wir sollten die EU und ihre Institutionen stärken. Das Nebeneinander von zwischenstaatlichen und EU-Institutionen schwächt auf Dauer die EU. Das war nicht unser Ziel, als wir einen neuen Aufbruch für Europa formuliert haben. Das Nebeneinander macht auch die Entscheidungsstrukturen intransparent und führt zu einer Entfremdung der Bürgerinnen und Bürger der EU von ihren Institutionen.
Noch ein Gedanke zur Überführung des Europäischen Stabilitätsmechanismus in einen Europäischen Währungsfonds: Wir haben die Idee Wolfgang Schäubles aufgenommen. Die Errichtung eines Europäischen Währungsfonds ist nun Bestandteil des gemeinsamen Koalitionsvertrages. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart:
Erstens. Wir wollen die Euro-Zone nachhaltig stärken und reformieren, sodass der Euro globalen Krisen besser standhalten kann.
Zweitens. Wir wollen den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem parlamentarisch kontrollierten Europäischen Währungsfonds weiterentwickeln, der im Unionsrecht verankert werden sollte.
Nun sind einige Kolleginnen und Kollegen bemüht, dieses Vorhaben der Regierung gleich an der Rechtsgrundlage scheitern zu lassen und die gesamte Reformdebatte gleichsam juristisch zu ersticken. Ich sage das hier in aller Deutlichkeit: Diese Regierung fußt auf dem Koalitionsvertrag. Im Übrigen will ich alle Fraktionen hier im Hause daran erinnern, dass in der Vergangenheit sowohl der Europäische Gerichtshof als auch das Bundesverfassungsgericht manches Mal anders entschieden haben, als manche in diesem Haus oder auch außerhalb dieses Hauses gehofft und prognostiziert hatten.
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Deshalb empfehle ich, auf dem juristischen Feld den Ball flach zu halten. Wichtig ist – auch das haben wir mit der Union im Koalitionsvertrag vereinbart –, dass Rechte der nationalen Parlamente durch einen Europäischen Währungsfonds nicht geschmälert werden sollen.
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Das wollen wir auch nicht.
Kolleginnen und Kollegen, wir sollten in den kommenden Wochen in die inhaltliche Debatte eintreten. Wir sollten die Schattenkämpfe hinter uns lassen, damit wir ernsthaft mehr Stabilität im europäischen Wirtschafts- und Währungsraum schaffen können. Meine Fraktion hat den Mut, sich dieser Herausforderung zu stellen.
Vielen Dank.
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Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun Dr. Bruno Hollnagel für die AfD-Fraktion das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wer seine Interessen nicht deutlich formuliert und vertritt, wird zum Spielball fremder Interessen. So geschieht es bei der deutschen europäischen Währungspolitik. Wie sonst wäre es zu erklären, dass die verantwortliche deutsche Politik den Sirenengesängen von Macron hinterherläuft? Macron folgt alleine seinen Interessen und den Interessen seines Landes. Frankreich steht finanzpolitisch mit dem Rücken an der Wand. Frankreich braucht Geld. Frankreich braucht den EWF; das ist der wahre Grund dafür.
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Was ist der EWF? Offiziell ist der EWF ein überstaatliches Rettungsinstrument. Tatsächlich ist er eine Art Bank ohne Bankenaufsichtsbehörde mit sehr vielen Befugnissen; denn der EWF kann das Kapital erhöhen und die Kapitalabrufe von Staaten beschließen. Er zwingt also die Staaten zur Zahlung.
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Der EWF kann die Stabilitätshilfen gewähren und deren Kreditrichtlinien festlegen.
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Das ist nicht das, was wir brauchen.
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Der Gouverneursrat des EWF, bestehend aus den Finanzministern, beschließt etwas, für das die Staaten haften müssen.
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Wer Risiken übernimmt, der muss auch entsprechende Entscheidungsbefugnisse haben; das besagt zumindest der gesunde Menschenverstand. Der EWF hebelt den gesunden Menschenverstand aus.
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Wir lehnen den EWF auch dann ab, wenn er der parlamentarischen Kontrolle unterliegen sollte; denn auch dann besteht die Gefahr der Gemeinschaftshaftung. Die Bundesregierung setzte sich bei der Einführung des Euros für eine No-bail-out-Klausel ein. Sie hat entschieden: keine Mithaftung für andere Staaten. Im EWF aber wird genau das passieren. Wo ist die klare Richtlinie der Politik eigentlich geblieben? Sie ist verfallen.
Wir wollen eigenverantwortliches Handeln in jeder Beziehung; denn nur dann haben wir die Chance auf eine nachhaltige Politik. Wir wollen die Haftungsketten sprengen, weil wir sonst Gefahr laufen, an den Haftungsketten in den Abgrund gezogen zu werden.
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Denken Sie daran, welche Folgen Haftung haben kann. Bei der HSH Nordbank erleben wir es. Man hat dort gesagt: Das sind ja nur Haftungen. Diese führen nun aber dazu, dass Hamburger und schleswig-holsteinische Steuerzahler die Kleinigkeit von 15 Milliarden Euro berappen müssen.
Meine Damen und Herren, bei einem EWF können solche Haftungssummen auf mehrere 100 Milliarden Euro anwachsen. Das ist unbedingt zu vermeiden.
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Wir wollen nicht, dass deutsche Steuerzahler für das politische Unvermögen anderer Staaten oder infolge des unternehmerischen Scheiterns von Banken zahlen müssen. Durch den EWF droht genau diese Gefahr.
Der EWF sieht nicht nur die Rettung von Staaten, sondern auch die Rettung von Banken vor. Dies entspricht nicht dem Prinzip der sozialen Marktwirtschaft und auch nicht dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit. Wir wollen die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft aber erhalten wissen.
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Wie sagte schon Ludwig Erhard? Nach welchen objektiven Kriterien soll bestimmt werden, wem staatliche Unterstützung zuteilwird, wem sie vorenthalten wird und von wem sie zu bezahlen ist. Es gibt diese objektiven Kriterien nicht. Der EWF ist mit der sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar. Deswegen lehnen wir ihn ab.
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Meine Damen und Herren, ich möchte doch einmal von meinem Redemanuskript abweichen
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und etwas zu dem sagen, was die Kollegin Frau Steffen angesprochen hat, Stichwort „Arbeitslosenversicherung“. Was ist denn das? Bei der Arbeitslosenversicherung zahlt doch jeder Arbeitnehmer in eine gemeinsame Kasse ein. Das hört sich toll an. Wenn jemand arbeitslos wird, dann bekommt der Betroffene aus dieser gemeinsamen Kasse Geld. Das hört sich auch toll an. Aber was bedeutet das denn? Es bedeutet: Wenn ein Staat eine verfehlte Wirtschaftspolitik betreibt, die zu Arbeitslosigkeit führt, soll der deutsche Arbeitnehmer für diese verfehlte Wirtschaftspolitik, die er gar nicht beeinflussen kann, zahlen.
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Das ist keine Solidarität, sondern das ist die Subventionierung von Unvermögen oder Unkenntnis. Und das muss verhindert werden.
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Meine Damen und Herren, die Politik, die wir erleben, gefährdet die finanzielle Zukunft unseres Landes. Wir müssen dagegenhalten.
Danke schön.
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Das Wort hat der Kollege Christoph Meyer für die FDP-Fraktion. Das ist zwar nicht seine erste Parlamentsrede, aber seine erste Rede im Deutschen Bundestag.
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Danke. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Obwohl wir noch nicht am Ende dieser Debatte sind, stelle ich fest, dass es genau richtig war, dass die FDP diese Aktuelle Stunde beantragt hat. Wir konnten ein Meinungsspektrum innerhalb der Koalition sehen, das zeigte, dass niemand aus der CDU applaudierte, wenn ein Kollege aus der SPD sprach. Außerdem zeigte sich ein Aufflackern von Ordnungspolitik in den Reden von Herrn Dr. Hirte und Herrn Dr. Rehberg.
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Die Halbwertszeit dieses Koalitionsvertrages liegt bei weniger als 30 Tagen, meine Damen und Herren.
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– Sie wollten ja mit den Grünen zusammen gehen. Ich glaube, Sie sind im Boden versunken, als der Kollege von den Grünen hier seine europapolitischen Vorstellungen vorgestellt hat.
Wir als Freie Demokraten haben bereits im Januar und Februar dieses Jahres eine sehr deutliche Positionierung zum Europäischen Währungsfonds vorgenommen. Wir sagen: Wir stehen einerseits zu der Systematik der europäischen Rettungspolitik. Auf der anderen Seite wollen wir aber die Mitgliedstaaten nicht aus ihrer eigenen nationalen Verantwortung entlassen. Und wenn die Position, die Sie, Herr Hirte, Herr Rehberg, heute hier vorgestellt haben, die Position der Union ist, dann kann man ja mit der Union vielleicht noch zusammenarbeiten.
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Es ist hier das erste Mal, dass Sie deutlich und klar formuliert haben, dass Sie nicht bereit sind, die Spiele der SPD mitzumachen.
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Die Position der SPD – frei nach dem Totschlagargument, man sei für Europa – lautet: Viel hilft viel. Ich frage Sie ganz offen: Wer ist nicht für Europa in diesem Haus, außer vielleicht die AfD?
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Sie wollen alle Probleme am Ende des Tages mit dem Geld der Steuerzahler zuschütten, ob das jetzt der Europäische Währungsfonds ist, ob das ein Euro-Zonen-Haushalt ist oder ob das europäische Schuldverschreibungen sind. Wir haben eben etwas von der Rentenpolitik gehört, wir haben zwischendurch auch noch etwas vom Einlagensicherungsfonds gehört. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Am Ende sollen die Bürgerinnen und Bürger die Zeche für Ihre Fantasien zahlen.
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Das einzig Positive, meine Damen und Herren, an dieser erfreulich offenen Positionierung ist, dass Sie zumindest eine glasklare Position haben. Darüber können wir diskutieren, darüber können wir streiten. Bei der Union, auch wenn wir heute einige ganz überraschende Positionierungen gehört haben,
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ist dies, wie gesagt, nicht ganz so klar. Wir wissen immer noch nicht, ob es Ihnen darum geht, Beinfreiheit für die Kanzlerin zu schaffen, oder ob es sich in der Tat um eine Art Panikblüte handelt, was den ordnungspolitischen Kurs der Union angeht. Das, was Sie heute gesagt haben, und das, was in der letzten Woche in den Medien diskutiert wurde, ist zumindest ein Zeichen der Hoffnung. Sie haben offensichtlich einige Teile unseres Antrages genauer gelesen und scheinen ihn jetzt kopieren zu wollen.
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Wir haben da keinen Autorenstolz. Das ist gut. Wir sind Serviceopposition. Die Lernkurve bei Ihnen ist vielleicht flach, aber sie zeigt in die richtige Richtung.
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Aber, Herr Rehberg, sagen Sie uns doch mal, wie Sie mit dieser SPD diese Position umsetzen möchten.
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Die SPD hat schon darauf verwiesen: Der Koalitionsvertrag gilt an dieser Stelle nach wie vor. Am Ende des Tages sind Ihre Positionierungen nichts anderes als ein Feigenblatt,
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mit dem Sie kaschieren wollen, dass Sie sich in den Koalitionsverhandlungen von der SPD über den Tisch haben ziehen lassen. Sie werden mit dieser SPD in keiner Weise diese Positionierung, die Sie hier gerade vorgenommen haben, durchhalten können.
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Es ist ja schön, dass Sie, Herr Dr. Hirte, und Sie, Herr Rehberg, sich jetzt hier positionieren. Aber ich finde es dann doch enttäuschend, dass Sie den Haushaltsausschuss in den letzten Wochen bewusst nicht über diese Themen diskutieren lassen wollten.
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Denn am Ende des Tages wird genau dort, wie Sie ja wissen, Herr Rehberg, die Sacharbeit geleistet.
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Sie haben jedoch Angst davor, mit der SPD in diese Debatte einzusteigen, die wir hier gerade schon ansatzweise bewundern durften.
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Sie selbst, Herr Rehberg – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin – haben auf eine Zwischenfrage des Kollegen Otto Fricke Anfang Februar geantwortet:
Wir können unsere Position über eine Stellungnahme des Haushaltsausschusses nach Artikel 23 des Grundgesetzes deutlich machen; das ist aus unserer Sicht der richtige Weg …
Etwas später haben Sie gesagt:
Lassen Sie uns das in aller Ruhe debattieren.
Warum vertagen Sie dann mit Koalitionsmehrheit die Debatte über genau diese Punkte seit mehreren Wochen, zuletzt am Mittwoch im Haushaltsausschuss?
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Wir haben jetzt die Tagesordnung für die Sitzung des Haushaltsausschusses in der nächsten Woche erhalten. Auch da sind Sie wieder nicht bereit, zu diskutieren.
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Deswegen ist der Vorwurf, dass Sie keine Positionierung wollen, weil Sie sich über den Juni und über die Ratssitzung retten wollen, am Ende genau richtig.
Herr Hirte, ich habe Ihnen genau zugehört. Sie haben gesagt, dass Sie eine Positionierung nach Artikel 23 Grundgesetz anstreben. Das heißt aber, wie gesagt, nicht, dass Sie eine Positionierung wirklich vornehmen wollen.
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Wir haben am Ende des Tages die Hoffnung auf Sie, auf die Union noch nicht aufgegeben. Wie gesagt, wir haben keinen Autorenstolz. Setzen Sie unseren Antrag auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Haushaltsausschusses. Dann können wir sehen, ob Sie auch außerhalb von Plenardebatten bereit sind, Farbe zu bekennen und sich gegebenenfalls gegen Ihren Koalitionspartner zu positionieren.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Kollege Christian Haase für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte jetzt keine Zeit, im Konrad-Adenauer-Haus anzurufen, um zu fragen, ob dort noch Büros frei sind für unsere neue Serviceeinheit.
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Ich werde das Anfang nächster Woche einmal machen und mich dann bei Ihnen melden.
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Meine Damen und Herren, ich bin bekennender Europäer. Ich war noch nie so sehr wie jetzt davon überzeugt, dass wir viele der aktuellen Herausforderungen in Europa nur gemeinsam lösen können. Dazu bedarf es starker Partner. Dazu bedarf es eines starken Europas.
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In den letzten Monaten bin ich auch darin bestätigt worden, dass wir in Europa unsere Probleme selbst in die Hand nehmen müssen und nicht auf andere warten können. Deshalb bin ich froh und glücklich darüber, dass wir uns mit einigen europäischen Partnern darüber einig sind, dass wir politische Themen aufgreifen und miteinander umsetzen müssen. Ich nenne den gemeinsamen Digitalmarkt. Er wird Innovationstreiber sein, er wird langfristig Arbeitsplätze in Europa sichern. Ich nenne die europäische Verteidigungspolitik, die gemeinsame Terror- und Kriminalitätsbekämpfung. Sie wird Europa sicherer machen. Ich nenne den gemeinsamen Kapitalmarkt. Er wird uns wettbewerbsfähiger machen und letztendlich dafür sorgen, dass wir mehr Arbeitsplätze in Europa sichern. Als Letztes nenne ich Wissenschaft und Forschung; hier sind, wie ich glaube, noch Effizienzgewinne auf europäischer Ebene möglich, die wir gemeinsam heben sollten. Ich denke, dass allein mit diesen Themen Europa auch in Zukunft für seine Versprechen, für Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand steht.
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Meine Damen und Herren, wir sind als CDU/CSU-Fraktion bereit und in der Lage, diese Probleme anzugehen und über Reformen zu diskutieren. Heute sprechen wir über die Weiterentwicklung des ESM zu einem EWF. Unter den Mitgliedstaaten gibt es dazu unterschiedliche Auffassungen. Ich halte das gar nicht für schlimm. Ich glaube, es gehört zu einer guten Demokratie dazu, dass man seriös diskutiert, untereinander abwägt und irgendwann eine vernünftige Entscheidung trifft. Deshalb ist es auch so wichtig, dass dieser Deutsche Bundestag seine Vorstellungen klar formuliert. Deshalb ist es gut, dass wir die Debatte heute führen.
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Für mich als Haushaltspolitiker sind dabei einige Punkte immens wichtig:
Erstens. Die nationalen Parlamente als Hort der Demokratie müssen auch zukünftig die wichtigste Rolle spielen.
Zweitens. Ein Weisungsrecht der Europäischen Kommission an den EWF darf es nicht geben.
Drittens. Wir wollen eine Verankerung in den europäischen Verträgen. Einfach ergänzende Vorschriften zu erlassen, wird der Sache nicht gerecht.
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Und Viertens. Finanzhilfen aus diesem Fonds müssen wir weiterhin mit Auflagen und Reformbemühungen verknüpfen.
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Das soll sich jetzt nicht nach einem erhobenen Zeigefinger anhören, sondern es soll uns ehrlich machen in der Diskussion, in der wir von vornherein klar sagen, was wir wollen. Das entspricht nach meinem Verständnis dem Umgang mit unseren Partnern in Europa.
Der Gedanke zur Selbsthilfe, den ich eben geäußert habe, muss sich durch die Diskussion ziehen. Wir wollen die Eigenverantwortung in den Nationalstaaten nicht schwächen, sondern wir wollen sie stärken. Man kann das durchaus mit einem Freund vergleichen. Auch dem hilft man, wenn es ihm einmal nicht gut geht, gerne aus. Aber man wird natürlich darauf achten: Muss ich das jetzt andauernd machen? Wird es dauernd nötig sein, oder ist es eine einmalige Hilfe? Stimmt vielleicht etwas bei seinem System nicht? – Ich glaube, es gehört für uns dazu, wenn wir nach dem christlichen Menschenbild handeln, dass wir genau danach gucken, ob es systemische Fehler gibt. Wenn ja, dann werden wir sagen: Es bringt nichts, dir nur Geld zu geben, sondern wir müssen auch gucken, dass wir deine Gesamtsituation ändern. – Und wir werden ihn auffordern: Auch du musst bitte ein Stück dazu beitragen, wenn du nicht weiter im Sumpf versinken willst. – Daran denke ich an dieser Stelle, wo wir über die Weiterentwicklung des EWF diskutieren.
Ich finde auch wichtig – das Vorbild ist ja ein wenig der IWF –, eine Beratungskomponente zu haben. Diese brauchen wir. Wir sagen ja immer: Das soll erst am Ende helfen. – Ich glaube, wir müssen mit der Diskussion viel früher anfangen. Wir müssen erst einmal gucken: Wo läuft etwas schief? – Die Beratungskomponente ist für mich ein wichtiger Gestaltungspunkt, um nachher eine Zustimmung bei uns zu erreichen.
Meine Damen und Herren, der EWF muss auf dem Haftungsprinzip aufgebaut werden – das hatte ich gesagt –, er muss zwischenstaatlich organisiert sein, und – auch das ist mir wichtig – er kann allenfalls eine Reaktion auf sogenannte asymmetrische Krisen sein. Einfach zu sagen: „Wir nehmen da Geld heraus, wenn es mit der Konjunktur nicht richtig läuft“, wäre genau der falsche Fingerzeig. Es muss definiert werden, wann asymmetrische Krisen vorliegen. Er darf kein einfaches Konjunkturprogramm sein.
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Ich glaube, wir müssen mit allen Partnern darüber diskutieren. Es wird in diesen Tagen ja nur von den Vorschlägen von Herrn Macron gesprochen. Sie sind wichtig, und ich will gar nicht sagen, dass er unwichtige Reden gehalten hat. Im Gegenteil: Es war ein wichtiger Anstoß und hat die Diskussion in Gang gebracht. Aber wir müssen mit den Ländern im Osten und denen im Westen sprechen, wir müssen mit den Nordländern und den Südländern sprechen. Ich glaube, nur so kommt man am Ende zu einem Ergebnis, das von allen europäischen Staaten und von der europäischen Bevölkerung getragen wird. Insofern brauchen wir Zeit, um zu diskutieren. Wir sollten nichts übers Knie brechen. Wir brauchen nicht schnell ein neues Europa, sondern langfristig ein besseres.
Schönen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Cansel Kiziltepe für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin doch verwundert über die teilweise zögerliche und fahrlässige Haltung gegenüber der Zukunft Europas – in einem Umfeld internationaler Unsicherheit, in einem Umfeld, in dem Europa auseinanderzudriften droht. Ich frage mich: Was will der Koalitionspartner eigentlich? Hat der Koalitionspartner die Signale nicht gehört, den Koalitionsvertrag nicht gelesen? Ich frage mich, Herr Rehberg: Kann es sein, dass Dobrindts Glück Ihr Programm ist? Aus unserer Sicht kann Dobrindts Glück nicht unser Programm sein, und schon gar nicht das Programm Deutschlands.
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Man kann sich jetzt wie ein trotziges Kind in die Ecke stellen und Schwarz-Gelb nachtrauern. Man kann auch, wie die Briten, über Bord gehen. Aber man kann auch gemeinsam für ein soziales und solidarisches Europa kämpfen. Wir als Sozialdemokraten wollen mehr Europa, ein solidarisches und soziales Europa. Hierfür ist es notwendig, die Statik der europäischen Architektur zu stärken; und das geht nur mit einer Vertiefung der Europäischen Währungsunion.
Seit der Finanzkrise ist bereits einiges in der Euro-Zone passiert. Es wurde eine Bankenunion gegründet. Die Großbanken werden jetzt nicht mehr von jedem Euro-Land einzeln überwacht, sondern gemeinsam. Es gelten gleiche Regeln für die Banken; sie wurden verschärft und innerhalb der Staaten harmonisiert. Auch die Abwicklung von Banken kann jetzt auf europäischer Ebene stattfinden, und das mit Regeln, die eine zwischenstaatliche Beteiligung der Eigentümer vorsehen.
Doch die Bankenunion ist noch nicht vollendet. Es fehlen noch eine Einlagensicherung und die Letztsicherung für die Abwicklung. Beide sind notwendig, damit das Verzocken einer Bank nicht wieder ganze Staaten an den Rand des Bankrotts führt. Das setzt voraus, dass die bereits vorhandenen Risiken angemessen reduziert werden.
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Doch Risikoreduktion betrifft nicht nur Ausfallraten bei Krediten. Wir müssen Banken verpflichten, Kapital bereitzuhalten, um auch größere Verluste ausgleichen zu können. Es darf sich nämlich nicht wiederholen, dass Banken mit Steuergeld gerettet werden müssen.
Die vergangenen Jahre haben uns allen gezeigt: Auch Staaten in der Euro-Zone können finanziell in Schwierigkeiten kommen. Um dieses Problem zu lösen, brauchen wir unserer Ansicht nach einen Europäischen Währungsfonds. Wir wollen den ESM also zu einem EWF weiterentwickeln. Die Geburt des ESM war nicht einfach, und die Geburt des EWF wird auch nicht einfach sein – das haben auch die letzten Tage gezeigt.
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Im Koalitionsvertrag haben wir uns aber darauf geeinigt, dass wir das tun wollen. Ich empfehle Ihnen, das noch mal nachzulesen.
Es kann aber auch nicht angehen, dass wir eine reine Kopie des IWF machen; denn die Politik des IWF hat gezeigt, dass ein Währungsfonds an Legitimität verlieren kann, wenn er ausschließlich Austerität durchsetzt. Das wollen wir nicht.
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Deshalb begrüße ich Vorschläge, die klare Abläufe für die Stabilisierung im Krisenfall vorsehen. Einige Maßnahmen wurden hier auch angesprochen. Dazu gehören zum Beispiel eine europäische Arbeitslosenversicherung, ein gewisser Investitionsschutzmechanismus, aber auch ein Notfallfonds. Welchen Weg wir gehen, werden die kommenden Tage und Wochen und die Gespräche mit den Partnern hier und in Europa zeigen.
Eines ist jedoch klar, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind Europäer. Europa ist für uns eine Schicksalsgemeinschaft. In Europa liegt unsere Zukunft. Deswegen war es uns so wichtig, dass Europa an erster Stelle in unserem Koalitionsvertrag steht, und deswegen werden wir die offene Hand Frankreichs nicht ausschlagen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Alexander Radwan für die CDU/CSU-Fraktion.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich das aufnehme, was der Kollege Toncar gesagt hat, lassen Sie mich festhalten: Der Angeklagte hat immer das letzte Wort. Zumindest sind unsere Bänke besser gefüllt als die Ihren;
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ich hoffe, dass Sie beim nächsten Mal, wenn Sie eine Aktuelle Stunde beantragen, Ihr Interesse zeigen und in entsprechender Zahl anwesend sind.
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Meine Damen und Herren, Macron in Berlin, der anstehende Rat im Juni – wenn man hier zuhört, könnte man bei der einen oder anderen Wortmeldung denken, dass alle der Meinung sind, im Juni sei alles beschlossen und durch. Wir wissen genau, dass es in Europa vielfältige Meinungen gibt und dass die deutsche Meinung, die insbesondere in der Unionsfraktion formuliert wurde, keine singuläre ist, sondern dass es auch andere Staaten gibt, die diese unterstützen.
Herrn Hakverdi und auch anderen Rednern der SPD sei gesagt: Wir haben nicht erst seit dieser Legislaturperiode eine gemeinsame Koalition, sondern schon länger. Bisher haben Sie – zu Recht, muss ich betonen – die Politik des früheren Bundesfinanzministers und jetzigen Präsidenten des Deutschen Bundestages, Wolfgang Schäuble, immer mitgetragen. Das finde ich gut, und dafür bin ich auch dankbar; denn das ist genau der Weg, den wir gemeinsam weitergehen werden. So interpretiere ich auch den Koalitionsvertrag.
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Bei der Diskussion in der letzten Fraktionssitzung – Herr Toncar, Sie haben freundlicherweise darauf Bezug genommen – habe ich einschließlich der Einlassungen der Kanzlerin zu diesem Thema in Bezug auf das Papier, das unter Federführung von Ralph Brinkhaus formuliert wurde, keinen Dissens vernommen. Ich habe mich diesbezüglich auch gerade noch einmal umgehört. Das heißt, das, was Sie in dem Papier gelesen haben, hat letztendlich auch die Kanzlerin in der Fraktion bestätigt. Dafür sind Sie, Herr Toncar, doch sicher dankbar, dass das bestätigt wurde.
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– Das ist kein Fortschritt, das ist die konsequente Weiterführung unserer Linie.
Ich sehe im Koalitionsvertrag, auf den ja schon von verschiedenen Seiten Bezug genommen wurde, auch keinen Widerspruch zu dem, was Professor Hirte gesagt hat und was in dem Papier steht. Wenn im Gemeinschaftsrecht die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen wurden, werden wir uns dieses Themas annehmen. Dazu müssen aber die Verträge geändert werden.
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– Nein, die Verträge müssen genau deswegen geändert werden.
Ich danke Ihnen, dass der Bundesfinanzminister – wir haben in den Koalitionsverhandlungen entsprechend zusammengesessen – die Linie von Wolfgang Schäuble genau fortführen wird. Eine der Voraussetzungen dafür ist, dass, bevor wir in konkrete Verhandlungen, zum Beispiel zur Ausgestaltung von EDIS, eintreten, bestimmte Parameter erfüllt sein müssen, beispielsweise eine signifikante Reduzierung der Risiken und eine Anpassung der Staatsschuldengewichtung. Das alles sind Vorgaben von unserer Seite.
Meine Damen und Herren, wir hatten jetzt auch die Diskussion über großes Europa, kleines Europa, richtiges Europa. Ich schaue mal in diese Runde hier: Zumindest ab hier, also jenseits der AfD, diskutieren wir, wie es in Europa richtig weitergeht. Wir haben eine Gruppierung hier,
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die klipp und klar sagt: Außerhalb Europas wäre es für Deutschland besser.
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– Entschuldigen Sie: Reden Sie mit dem – jetzt ist er nicht mehr da –, der bei uns im Finanzausschuss sitzt. Auf meine Nachfrage, ob es denn besser sei für Deutschland, außerhalb Europas zu sein, hat er dezidiert Ja gesagt. Er hat sich zu Wort gemeldet und Ja gesagt. Reden Sie mit Ihrem Kollegen. Das ist derjenige, den Sie immer wieder für Positionen vorschlagen. Das ist die Position, die die AfD im Finanzausschuss vorträgt, meine Damen und Herren. Es ist nicht unsere Position, dass es Deutschland außerhalb Europas bessergeht.
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Mit dem Großteil hier diskutieren wir über den Weg, wie wir Europa besser machen. Da sage ich: Wir sollten einen Weg finden, wie die Völker Europas mitgenommen werden können und nicht gegeneinander aufgebracht werden, einen Weg, der zeigt, dass wir aus den Fehlern gelernt haben. Ein Fehler war, dass bestimmte Regeln nicht eingehalten wurden. Darum halte ich den Vorschlag von Wolfgang Schäuble, den ESM zu einer eigenständigen Institution zu machen, für richtig. Haftung und Risiko müssen in einer Hand bleiben. Solidarität und Eigenverantwortung gehen Hand in Hand und dürfen kein Widerspruch sein.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns weiter über dieses Thema diskutieren, damit dieses Europa eine Zukunft hat. Oft sind, Herr Kindler, kleine Schritte, die die Völker mitgehen, besser als große, mit denen wir die Völker in Europa gegeneinander aufbringen.
Besten Dank.
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Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 25. April 2018, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen bis dahin alles Gute.
(Schluss: 14.20 Uhr)