Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Dies ist mit großer Wahrscheinlichkeit die letzte Sitzung des Deutschen Bundestages in dieser Legislaturperiode. Und gerade in den letzten Tagen haben wir es mit sehr dramatischen Problemen zu tun; eben ist das Thema Afghanistan hier genannt worden. Da wir nach der letzten, ausführlichen Debatte noch nicht die Möglichkeit hatten, will ich die Gelegenheit nutzen, unseren Soldatinnen und Soldaten, die an dieser schwierigen Evakuierungsmission beteiligt waren, ein ganz herzliches Dankeschön zu sagen. Das war einer der schwierigsten Einsätze der Bundeswehr.
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Da es in der Tat, insbesondere im Bereich der Entwicklungspolitik, nicht gelungen ist, alle schutzbedürftigen Personen zu evakuieren, war es richtig, dass der Bundesaußenminister in die Nachbarstaaten gereist ist, um Probleme zu besprechen, wie wir Ausreisen auch in Zukunft möglich machen und unserer Verantwortung nachkommen. Und genauso war es richtig, mit den Nachbarstaaten darüber zu reden, wie wir helfen können, humanitäre Probleme dort zu lösen. Genauso ist es richtig, dass wir uns um die humanitäre Lage in Afghanistan, ganz besonders im Hinblick auf Hunger und medizinische Versorgung, weiter kümmern werden. Ansonsten haben wir eine ausführliche Diskussion zu diesem Thema vor 14 Tagen geführt.
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Und was die Sorgen im innenpolitischen Bereich anbelangt, so haben diese insbesondere mit der furchtbaren Flutkatastrophe zu tun. Ich war in der vergangenen Woche, am Freitag und am Sonntag, noch einmal in den Flutgebieten und darf nur sagen: Es ist richtig und wichtig, dass wir heute den Hilfsfonds in Höhe von 30 Milliarden Euro verabschieden. Und ich habe den Menschen zugesagt – ich denke, das wird hier von allen geteilt –: Wir werden die Menschen, die von dieser schrecklichen, furchtbaren Flut betroffen sind, nicht vergessen.
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Der Wiederaufbau wird Monate, Jahre dauern, und deshalb brauchen wir hier einen langen Atem. Und das habe ich zugesagt.
Diese Flutkatastrophe hat natürlich als Extremwetterereignis den Fokus noch einmal auf eines der drängendsten Themen unserer Zeit geworfen, nämlich auf den Kampf gegen den Klimawandel.
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Deshalb will ich an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass wir wichtige Weichen gestellt haben in dieser Legislaturperiode. Als ich Bundeskanzlerin wurde im Jahr 2005, da hatten wir 10 Prozent der Erzeugung von Energie, für den Strom, aus erneuerbaren Energien. Heute liegen wir deutlich über 40 Prozent.
Aber viel wichtiger sind die systemischen Dinge, die wir in dieser Legislaturperiode in Angriff genommen haben und auf die zukünftige Regierungen aufbauen können:
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Das ist ein Klimaschutzgesetz mit jährlichen Budgets und Sektorzielen, das ist ein Expertenrat, und das sind Nachsteuerungspflichten, also ein Instrumentarium, mit dem wir wirklich bindende Möglichkeiten in der Hand haben.
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Zweitens haben wir die Bepreisung von CO2 eingeführt, ein marktwirtschaftliches Instrument,
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mit dem wir auf die Reduktion von CO2 viel besser reagieren können. Wir haben inzwischen 1 Million Elektroautos. Wir haben den Ausstieg aus der Braunkohle miteinander vereinbart – im Übrigen im gesellschaftlichen Konsens, eine ganz wichtige Sache; denn Klimaschutz kann nur dann gelingen, wenn die Menschen im Lande auch mitgenommen werden. Das war immer der Ansatz der Großen Koalition, und das war auch richtig so, meine Damen und Herren.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle spüren ja – und in den letzten Jahren hat das aus meiner Sicht zugenommen –, dass die Welt eine Welt in Unruhe und im Umbruch ist und dass völlig neue Herausforderungen uns beschäftigen und natürlich auch Deutschland beschäftigen. Das ist Terrorismus. Das ist Cyberkriminalität. Das ist die technologische Revolution der Digitalisierung. Das ist die ökonomische Stärke von China. Neben dem Klimawandel ist es vor allen Dingen die Digitalisierung, die unser Leben vollkommen verändert.
Wir haben uns in der Großen Koalition immer vorgenommen, möglichst viele Menschen – so wie ich es eben beim Klimawandel gesagt habe – mitzunehmen bei diesem Wandel. Deshalb war ein zentrales Thema unserer Arbeit in den letzten Jahren, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu sichern, und zwar zwischen Ost und West, zwischen Stadt und Land. Eine Vielzahl der Maßnahmen der Bundesregierung hat sich genau mit diesem Thema beschäftigt. Ich kann hier nur Stichpunkte nennen: Behördenverlagerung insbesondere in die neuen Bundesländer, Stärkung der ländlichen Räume, das Thema „Wohnen in Ballungsgebieten“, Mietregulierung, Neubau von Wohnungen, Neubau von sozialen Wohnungen, das Wohneigentum für Familien. Wir haben eine Ehrenamtsstiftung gegründet, um das Ehrenamt in unserem Land zu stärken. Wir haben ja gesehen, welche Bedeutung dieses Ehrenamt hat, jetzt gerade in den großen Herausforderungen wie der Flutkatastrophe oder der Pandemie. Wir haben die Kommunen gestärkt, insbesondere auch durch die Übernahme von KdU, von Kosten der Unterkunft für die Kommunen, ein ganz wesentlicher Punkt, um Politik überhaupt lebbar zu machen. Wir haben den Rechtsstaat gestärkt durch einen einzigartigen Aufbau von mehr Personal und mehr Möglichkeiten. Und wir haben den Kampf gegen den Extremismus, insbesondere den Rechtsextremismus, geführt.
Bei dem großen Thema Digitalisierung haben wir entscheidende Fortschritte erzielt.
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Ich will daran erinnern, dass wir inzwischen Verwaltungsleistungen digital anbieten, insbesondere die des Bundes. Wir haben die Infrastruktur ausgebaut.
Bei Breitbandanschlüssen von mehr als 50 Megabit pro Sekunde waren wir am Anfang dieser Legislaturperiode bei 80 Prozent, jetzt sind es 94 Prozent. Wir haben eine Verfügbarkeit von LTE-Anschlüssen im Mobilfunk von über 99 Prozent. Das sind Dinge, die kann man benennen. Es gibt kleine Schwierigkeiten nach wie vor, an vielen Stellen graue Flecken und Ähnliches.
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Aber, meine Damen und Herren, im Großen und Ganzen haben wir deutliche Fortschritte gemacht, und das war richtig so.
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Mit dem DigitalPakt Schule haben wir mit den Ländern gemeinsam 6,5 Milliarden Euro investiert;
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die müssen jetzt umgesetzt werden. Wir haben für digitale Innovationen 13,5 Milliarden Euro eingesetzt. Und ich will noch mal darauf hinweisen: Die öffentlichen Investitionen haben sich seit dem Jahre 2005 genau verdoppelt. Das heißt also: Ein Schwerpunkt liegt bei den Investitionen.
Ein zentraler Punkt ist der Schwerpunkt auf Wissenschaft und Forschung. Das ist die Quelle unseres Wohlstands für die Zukunft. Deshalb kann man sagen: Als ich 2005 Bundeskanzlerin wurde, lagen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bei 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts; heute sind wir bei über 3 Prozent. Wir haben deutliche Planungssicherheit für die 20er-Jahre durch Pakte für Forschung und Wissenschaftspakte, Exzellenzstrategie und vieles andere mehr.
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Nun mag das dem einen oder anderen sehr abstrakt erscheinen; aber das hat etwas mit unserem Wohlstand und mit unserem Leben zu tun. Das haben wir in der Pandemie erlebt. Der erste und bis heute zuverlässigste Test zum Nachweis des Virus wurde bereits zu Beginn der Pandemie in Deutschland, in der Charité in Berlin, entwickelt. Einer der überaus wirkungsvollen mRNA-Impfstoffe gegen das Virus wurde auch in Deutschland entwickelt – auch dank langjähriger zielgerichteter Forschungsförderung.
Und, nebenbei gesagt, natürlich war und ist niemand von uns beim Impfen in irgendeiner Form ein Versuchskaninchen. Niemand! Weder Olaf Scholz noch ich und auch sonst niemand!
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Denn jeder, der in Deutschland seit Ende Dezember letzten Jahres geimpft wurde, bekam einen Impfstoff, der alle notwendigen Phasen der klinischen Prüfung und notwendigen Zulassungsverfahren durchlaufen hat.
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Wir sind uns doch alle einig, dass noch viel mehr Menschen davon überzeugt werden müssen, geimpft zu werden. Doch wenn wir die Menschen davon überzeugen wollen, dann hat das mit Argumenten zu geschehen und nicht mit – zurückhaltend formuliert – schiefen Bildern von Versuchskaninchen.
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Was also sind die Argumente für das Impfen? Impfen wirkt. Man schützt sich und die Liebsten.
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Impfen bringt uns die Freiheit zurück. Je mehr Menschen geimpft sind, umso kleiner ist die Gefahr, dass sich neue Mutationen bilden,
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gegen die die Impfstoffe nicht mehr wirken. Und aus diesem Grunde möchte ich auch von dieser Stelle heute noch einmal alle, die noch nicht geimpft sind, bitten: Lassen Sie sich impfen! Sie leisten damit für sich und unsere gesamte Gesellschaft einen ganz wichtigen Beitrag, den Weg aus dieser Pandemie zu finden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen: Diese Pandemie war wahrscheinlich der schwerste Eingriff in unser gesellschaftliches Leben seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland.
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Und es war gut, dass wir wegen solider Haushaltspolitik in der Lage waren, in einer solchen außergewöhnlichen Situation sowohl im Inland das größte Konjunkturpaket auflegen zu können, das es jemals gab in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, als auch in Europa mit dem Wiederaufbaufonds in dieser ganz speziellen Situation einen neuen Weg zu beschreiten und Europa auch gut aus dieser Krise zu führen. Und dass heute die Zahl der Kurzarbeiter wieder unter 1 Million liegt, dass die Arbeitslosigkeit um die 2,5 Millionen liegt
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– 2005 waren es 5 Millionen, heute die Hälfte –, das ist solider Haushaltspolitik und richtigen Entscheidungen in der Pandemie zu verdanken, auf die die Große Koalition insgesamt stolz sein kann, meine Damen und Herren.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, in weniger als drei Wochen ist Bundestagswahl.
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Sie ist eine besondere Wahl, nicht nur, weil sich erstmals seit 1949 kein amtierender Bundeskanzler bzw. Bundeskanzlerin
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um die Wiederwahl bewirbt, sondern es ist auch eine besondere Wahl, weil es in schwierigsten Zeiten eine Richtungsentscheidung für unser Land ist, und es ist nicht egal, wer dieses Land regiert.
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Die Bürgerinnen und Bürger haben in wenigen Tagen die Wahl:
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entweder eine Regierung, die mit SPD und Grünen die Unterstützung der Linkspartei in Kauf nimmt, zumindest sie nicht ausschließt
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– ich sage ja nur die Wahrheit –,
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oder eine von CDU und CSU und Armin Laschet als Bundeskanzler geführte Bundesregierung,
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eine Bundesregierung, die mit Maß und Mitte unser Land in die Zukunft bringt.
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Und dabei geht es wahrlich nicht allein um die Außenpolitik, die NATO und Europa.
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– Meine Güte, was für eine Aufregung. Ich bin seit über 30 Jahren Mitglied dieses Deutschen Bundestages, und ich weiß nicht, wo, wenn nicht hier, solche Fragen diskutiert werden müssen. Das ist die Herzkammer der Demokratie, und hier wird genau das diskutiert.
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Bei dieser Richtungsentscheidung geht es wahrlich nicht allein um die Außenpolitik, die NATO und Europa – das auch, aber eben nicht allein –, sondern es geht auch um handfeste wirtschaftspolitische und steuerpolitische Entscheidungen, die die Zukunft dieses Landes bestimmen werden, die Zahl der Arbeitsplätze und unseren gemeinsamen Wohlstand.
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Deshalb, meine Damen und Herren: Der beste Weg für unser Land ist eine CDU/CSU-geführte Bundesregierung mit Armin Laschet als Bundeskanzler.
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Denn seine Regierung wird für Stabilität, Verlässlichkeit, Maß und Mitte stehen. Das ist genau das, was Deutschland braucht.
Herzlichen Dank.
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Jetzt erteile ich das Wort der Fraktionsvorsitzenden der AfD, Dr. Alice Weidel.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das war gerade ein phänomenales Schauspiel.
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Ich weiß gar nicht: Gehört Angela Merkel eigentlich noch der CDU/CSU an? Ich habe das irgendwie nicht mitbekommen. Und ich darf Sie auch daran erinnern, dass es die CDU gewesen ist, Angela Merkel, die einen linken Ministerpräsidenten in Thüringen zugelassen hat.
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Das ist Ihr Verdienst, und genau deshalb stehen Sie auch so in den Umfragen da, wie Sie derzeit stehen.
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Ihre letzte Amtszeit, Frau Merkel, war für Deutschland eine Periode des beschleunigten Abstiegs.
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Ihrem Nachfolger wird ein Sanierungsfall hinterlassen, ein Land, das verunsichert und gespalten ist, ein Land, dessen Repräsentanten sich in der Rolle des moralischen Oberlehrers gefallen, aber im Ernstfall an konkreten Herausforderungen dilettantisch scheitern und versagen,
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ein Land, dessen Wohlstand erodiert und das seine Ressourcen in beispielloser Weise vergeudet und verschenkt.
Mit dem Coronawiederaufbaufonds haben Sie die deutschen Steuerzahler endgültig an eine Schulden- und Transferunion ausgeliefert. Die EZB-Geldschwemme ist in der steigenden Inflation der Verbraucherpreise angekommen. Zusammen mit den manipulierten Null- und Negativzinsen bedeutet das die organisierte Massenenteignung der Bürger mit Hunderten Milliarden Wohlstandsverlust jährlich.
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Der Einzelne spürt das auf seinem Konto, das keine Zinsen mehr abwirft, und an seinem Kaufkraftverlust. Deutschland belegt bei den Privatvermögen ebenso wie beim Rentenniveau einen Verliererplatz in der EU.
Statt das Rentensystem demografiefest zu reformieren, machen Sie ungedeckte Zahlungsversprechen. Wie es nach 2030 weitergehen soll, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, dafür haben Sie keinen Plan. Dafür haben wir den höchsten Schuldenberg unserer Nachkriegsgeschichte. Nach anderthalb Jahren Coronaschuldenpolitik ist die offene Staatsschuld um volle 10 Prozentpunkte von 60 auf 70 Prozent des BIPs gestiegen. Zusammen mit der impliziten Staatsschuld der Nachhaltigkeitslücke sind das 440 Prozent des Bruttoinlandsproduktes oder 14,7 Billionen Euro. Ihr Vizekanzler und Koalitionspartner Olaf Scholz hat als Finanzminister diesen Schuldenberg maßgeblich zu verantworten. Herr Scholz redet viel von Respekt, hat aber wenig Respekt für die hart arbeitenden normalen Leute, die jeden Tag aufstehen, zur Arbeit fahren,
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ihre Kinder großziehen und dafür laufend bestraft werden.
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Ihre Regierung hat keinen Respekt für die Menschen und auch nicht für die mittelständischen Unternehmer und Familienbetriebe, die Millionen Menschen Arbeit geben und, wenn es nach Rot-Grün-Links geht, über eine asoziale Vermögen- und Erbschaftsteuer enteignet werden sollen.
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Demgegenüber steht der Rückfall ins untere Mittelmaß in fast allen Bereichen. Um nur zwei zu nennen: das Bildungswesen und die Digitalisierung. In Mathematik und Naturwissenschaften sind die Leistungen deutscher Schüler unter den EU-Durchschnitt gefallen. Im internationalen Vergleichstest ist Deutschland seit 2007 vom 12. auf den 25. Platz gefallen. Im digitalen Ranking steht Deutschland inzwischen an drittletzter Stelle unter den G‑20-Staaten, abgehängt auch von Frankreich und Italien, an das wir Dutzende Milliarden an sogenannter Coronawiederaufbauhilfe leisten.
Ein weiteres ungelöstes Problem dieser Regierung ist die Migrationskrise.
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Nach wie vor wandert jedes Jahr eine Großstadt neu in unser Land ein und direkt in die Sozialsysteme. Dass Sie das super finden, das wissen wir. Es reicht offenbar nicht, was Sie mit Ihrem vorsätzlichen Rechtsbruch von 2015 über dieses Land und seine Bürger gebracht haben. Jetzt missbraucht diese Regierung die Ortskräfte, die der Bundeswehr in Afghanistan gedient haben, um die nächste Einwanderungswelle nach Deutschland loszutreten.
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Von rund 4 000 bislang in unser Land evakuierten Afghanen waren ganze 168 Ortskräfte, aber mehr als 250 Personen ganz ohne Papiere, darunter bereits abgeschobene Straftäter, polizeibekannte Kriminelle, Vergewaltiger, Kinderschänder, Islamisten, die auf Staatskosten geholt wurden und infolge des neuerlichen Abschiebestopps auf unabsehbare Zeit bleiben werden. Während andere Staaten sich auf die Sicherheit und die Rohstoffe in der Region fokussieren, interessiert sich die deutsche Politik vor allem für die Evakuierung von ausreisewilligen Afghanen.
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Das Versagen in der Asyl- und Migrationspolitik wird als größte Fehlleistung der Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel in die Geschichtsbücher eingehen.
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Die finanzielle Zukunftsbelastung für unser Land summiert sich auf über 1 Billion Euro. Noch schwerer wiegt der Schaden, den der Kontrollverlust für den inneren Frieden, die Sicherheit der Bürger, das Vertrauen in die Institutionen und den inneren Zusammenhalt des Landes bedeutet.
Auch Ihre fehlgeleitete Klimaschutz- und Energiewendepolitik wird uns teuer zu stehen kommen. Abermilliarden werden Jahr für Jahr verbrannt, um die Taschen der Windkraft- und Ökostromlobby zu füllen, während Deutschland sich im planwirtschaftlichen Gestrüpp von E‑Auto-Subventionierung und CO2-Besteuerung verheddert.
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Die irrrationale Idee, Kohle- und Atomkraftwerke gleichzeitig abzuschalten, raubt einem Industrieland wie Deutschland den Lebensnerv, die sichere und bezahlbare Energieversorgung. Mit dem gleichen Furor wollen Sie die Elektromobilität herbeisubventionieren, ohne sich um die fragwürdige Umweltbilanz und die begrenzte Verfügbarkeit der Rohstoffe für die dafür erforderliche Batterieproduktion zu kümmern. Woher übrigens der zusätzliche Strom für all die Elektroautos kommen soll, die Sie auf die Straße bringen wollen, darüber haben Sie sich offensichtlich keine Gedanken gemacht.
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Oder glauben Sie ernsthaft, Sie könnten die deutsche Industrie auf Wind- und Sonnenstrom und Grünen Wasserstoff umstellen? Wissen Sie, was Sie dafür brauchen? Dafür müssten Sie die Zahl der Windräder auf 330 000 verzehnfachen und ein Viertel der Landesfläche mit Rotortürmen zubetonieren.
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Und wenn dann der Wind nicht weht, dann drehen sich diese trotzdem nicht. Sieht so nachhaltige Politik aus? Wir sagen ganz klar Nein.
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Mit solchen unausgegorenen Ideen machen Sie unser Land zum Gespött der Welt und die Deutschen zu Verlierern im globalen Wettbewerb.
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Niemand in Europa oder anderswo auf der Welt denkt ernsthaft daran, die deutsche Energiewende zu kopieren. Wir sind der einzige Hippiestaat – das muss man hier ganz klar so sagen –, der diese durchgeknallten Ideen ernsthaft umsetzen möchte, koste es, was es wolle, „Whatever it takes“, wie Draghi zu sagen pflegt.
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In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich der Strompreis in Deutschland verdoppelt und die EEG-Umlage seit 2004 verzehnfacht. Als Folge der weltfremden Klimaziele dieser Koalition droht im nächsten Jahr über die Anhebung der sogenannten CO2-Bepreisung der Anstieg der Spritkosten um bis zu 70 Cent pro Liter. Das bedeutet Preise weit jenseits der 2‑Euro-Marke, auch wenn der Verkehrsminister anderes verspricht. Das schützt weder das Klima, noch rettet es den Planeten, aber es macht Pendler und Familien arm, die auf das Auto angewiesen sind. Es ruiniert Mittelständler und treibt die produktive Industrie und Hunderttausende von Arbeitsplätzen aus diesem Land.
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Neben all diesen finanziellen Lasten beunruhigt eine Zahl in der Bilanz der Regierung besonders: Von allen EU-Bürgern fühlen die Deutschen sich am wenigsten frei. Nur 11 Prozent sehen sich noch als frei in ihrem Alltagsleben. Die orientierungslose und maßlose Coronapolitik dieser Bundesregierung hat daran erheblichen Anteil. Reihum suchen immer mehr unserer europäischen Nachbarn den Weg zurück in die Normalität. Sie aber mauern dieses Land mitsamt seinen Menschen in einem permanenten Ausnahmezustand ein, und statt mit Vernunft und Augenmaß obsolet gewordene Maßnahmen zurückzufahren, schikanieren Sie Schüler und Jugendliche auch im neuen Schuljahr mit Masken und Testregimes, deren Nutzen bis heute nicht bewiesen ist.
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Und Sie brechen abermals das Versprechen, das Sie den Bürgern gegeben haben, und zwar: Wenn jedem, der dazu bereit ist, ein Impfangebot gemacht wurde, müssen die Maßnahmen enden. – Es liegt jetzt in der Verantwortung jedes Einzelnen und seiner persönlichen Risikoabwägung, ob er sich für eine Impfung oder andere Vorkehrungen zu seinem eigenen Schutz entscheidet oder nicht. Es ist eine individuelle Entscheidung. Und Sie spalten das Land und die Gesellschaft, wenn Sie Menschen aufgrund dieser persönlichen Entscheidung gegeneinander ausspielen und Ungeimpfte als Bürger zweiter Klasse vom gesellschaftlichen Leben ausschließen.
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Alle Alarmglocken müssen schrillen, wenn aus Politikermund Ungeimpfte als „Sozialschädlinge“ diffamiert werden und selbst ein Vizekanzler Geimpfte als „Versuchskaninchen“ bezeichnet.
Und Sie üben faktischen Impfzwang aus – ohne es so zu nennen –, um sich aus der Verantwortung für die Folgen Ihrer falschen Entscheidungen zu stehlen. Seit anderthalb Jahren betreiben Sie unter dem Namen der Pandemiebekämpfung eine Politik der gebrochenen Versprechen und der überzogenen Grundrechtseinschränkungen: von Reiseeinschränkungen, Lockdown und Berufsverboten über Ausgangssperren und Notstandsmaßnahmen, Diffamierung und Demonstrationsverbote gegen Kritiker bis zu Impfzwang und drastischen Eingriffen in die Eltern- und Kinderrechte.
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Sie sagen, Sie hören auf die Wissenschaft, wenn Sie jetzt schon wieder spekulieren, welche neuen Grundrechtsentzüge Sie nach der Wahl wieder umsetzen könnten, und meinen damit stets nur jene Wissenschaftler, die Ihnen nach dem Mund reden. Nehmen Sie also endlich andere Standpunkte zur Kenntnis, zum Beispiel die Stimme der 100 Ärzte, Juristen und Unternehmer, die in einem offenen Brief klare und verbindliche Aussagen zum Ende der Pandemiepolitik fordern! Hören Sie auf, mit Angstparolen und Panikmache
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die Bürger von den vielen drängenden Themen abzulenken! Stellen Sie endlich die Grundrechte vollumfänglich und für alle wieder her, damit dieses Land zur Normalität zurückkehren
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und sich nach einer schonungslosen und ehrlichen Bestandsaufnahme der Gesamtheit seiner Probleme und Herausforderungen zuwenden kann!
Ich bedanke mich.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Bundesfinanzminister Olaf Scholz.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir nähern uns dem Ende einer Legislaturperiode,
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die anders verlaufen ist, als wir uns das alle dachten. Wir als Regierung, Sie als Abgeordnete und natürlich die Bürgerinnen und Bürger, wir alle haben mit der größten Herausforderung für unser wiedervereinigtes Land zu tun gehabt.
Wir haben jetzt eine sehr, sehr lange Zeit miteinander gegen die Coronakrise gekämpft. Wir haben gemeinsam gekämpft um die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger, gekämpft, damit Arbeitsplätze und Unternehmen durch diese Krise kommen und damit ein Aufschwung kommt, damit es auch in Zukunft noch Arbeitsplätze gibt. Und es ist uns gelungen, so weit zu kommen, wie wir heute gekommen sind, weil wir zusammengehalten haben.
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Wir haben zusammengehalten als ganzes Land, aber – das will ich ausdrücklich dazusagen – wir haben auch zusammengehalten als Regierung
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und all die notwendigen Maßnahmen auf den Weg gebracht, die man unternehmen muss, damit man eine so große Herausforderung bewältigen kann.
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Deshalb möchte ich am Ende dieser Legislaturperiode angesichts dieser großen, unerwarteten Herausforderung sagen: Schönen Dank für die Zusammenarbeit, auch an Sie, Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel.
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Jetzt haben wir eine Situation, die sehr viel anders ist. Viele Bürgerinnen und Bürger sind geimpft. Das ist ein anderer Zustand, als wir ihn im letzten Jahr hatten. Deshalb dürfen wir hoffen, dass der Herbst und Winter, die jetzt vor uns liegen, anders verlaufen als der Herbst und Winter, die wir hinter uns haben. Für mich gibt es deshalb ein paar Dinge, die man hier klar aussprechen kann: Wir werden keinen neuen Lockdown haben,
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und wir können die Kinder, die Schülerinnen und Schüler, auch wieder im Präsenzunterricht in den Schulen haben.
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Was wir dazu tun müssen, ist natürlich, weiter dafür zu werben, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger sich impfen lassen; denn die hohe Zahl der Geimpften ändert nichts daran, dass es besser wäre, wenn noch mehr es tun würden. Das will ich ausdrücklich dazusagen: Ich finde, es wäre falsch, wenn jetzt eine Debatte über Impfpflichten und Ähnliches beginnt. Was wir machen müssen, ist, die Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen.
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Und auch das will ich gerne sagen: Wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir sie überzeugen, indem wir das locker und gelassen machen, auch mit Witzen, über die auf vielen Veranstaltungen gelacht wird. Wenn einige nicht lachen wollen und sich darüber aufregen, hat das vielleicht etwas damit zu tun, dass sie beim Blick auf ihre Umfragewerte wenig zu lachen haben.
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Deshalb auch mein Wunsch: Macht das! Lasst euch impfen! Es ist gut für euch, es ist gut für eure Liebsten, es ist gut für diejenigen, auf die ihr Wert legt. Deshalb: Überzeugt die Kolleginnen und Kollegen im Betrieb! Überzeugt die Freunde im Sportverein, die Kollegen und Freunde am Stammtisch! Alles das gehört dazu, damit wir jetzt so weit wie möglich kommen.
Und natürlich werden wir in dieser Zeit noch ein paar Vorsichtsregeln beachten müssen. Das gilt für Masken in Bahnen und Bussen. Das gilt selbstverständlich auch dafür, dass, wer ein Restaurant oder eine bestimmte Einrichtung besucht, genesen, geimpft oder getestet sein muss. Alles zumutbare Beschränkungen.
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Das sind keine unvertretbaren Grundrechtseinschränkungen, wie die AfD uns immer sagt. Es sind die Maßnahmen zur Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger, und sie werden uns zusammen mit dem Impfen durch diese Krise bringen.
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Dass wir so weit gekommen sind und dass wir auch gesundheitlich und ökonomisch durch die Krise gekommen sind, das hat etwas damit zu tun, dass wir zusammengehalten haben, dass wir sehr viele Mittel eingesetzt haben, damit die deutsche Wirtschaft durch diese schwierige Situation kommt. Grundlage dafür ist eine leistungsfähige, weltweit wettbewerbsfähige Volkswirtschaft. Grundlage ist auch, dass wir in den letzten Jahren gut gehaushaltet haben. Es war richtig, dass wir so viele Mittel eingesetzt haben, um Arbeitsplätze und Unternehmen in dieser Krise zu retten. Dank dieses großen Einsatzes können wir jetzt sehen: Der Aufschwung kommt; wir wachsen aus der Krise raus. Es ist aber auch klar zu sagen: Wir werden mit dem Wachstum die finanziellen Verpflichtungen, die aus dieser Krise erwachsen sind, auch bewältigen können. Das ist uns nach der letzten Wirtschaftskrise gelungen; das wird uns nach dieser wieder gelingen.
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Wachstum ist das Entscheidende. Aber was nicht funktioniert – das will ich gerne ausdrücklich sagen –, ist, wenn jetzt, in dieser Situation, einige in diesem Haus vorschlagen, dass Leute, die so viel verdienen wie ein Bundesminister oder ein Bundestagsabgeordneter oder noch, noch, noch viel mehr, dringend eine Steuersenkung brauchen.
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Steuersenkungen im Umfang von 30 Milliarden Euro – die Sie vorschlagen – für Spitzenverdiener und Unternehmen mit riesigen Gewinnen sind in dieser Situation unfinanzierbar und völlig aus der Zeit gefallen und kein Beweis für den Zusammenhalt dieser Gesellschaft.
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Das muss man also anders machen, wenn wir zusammenhalten wollen – so wie wir das jetzt auch tun bei der Bekämpfung der Folgen der Flut, die uns in den letzten Tagen so sehr bedrückt hat. Das ist eine große Herausforderung für unser Land.
Auch dort gilt wieder die eine Erkenntnis, die für unsere gute Zukunft wichtig ist: Wir werden solche Krisen und Herausforderungen nur bewältigen können, wenn wir zusammenhalten, wenn wir das gemeinsam durchstehen wollen, wenn niemand mit seinen Problemen alleingelassen wird, jetzt nicht die Bürgerinnen und Bürger, deren Häuser zerstört sind, jetzt nicht die Dörfer und Städte, die zerstört worden sind, jetzt nicht die Länder, die all die Infrastruktur wieder aufbauen müssen. Wir müssen als Land zusammenhalten. Wir tun das, und es ist richtig, dass der Bundestag dazu die notwendigen Mittel jetzt bewilligt.
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Zusammenhalt ist auch das, was wir im Blick haben müssen, wenn wir über die Zukunft unserer Gesellschaft diskutieren. Deshalb will ich über drei Garantien reden, die für den Zusammenhalt, den wir hierzulande brauchen, aus meiner Sicht ganz wichtig sind:
Die erste Garantie ist eine, die für die jungen Leute wichtig ist, für die Kinder, für diejenigen, die hier aufwachsen. Ich finde, in einem so reichen Land wie Deutschland darf es nicht so sein, dass Kinder in Armut aufwachsen.
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Wir müssen etwas tun, um sie für eine gute Zukunft zu unterstützen. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass wir das Kindergeld weiterentwickeln, dass wir eine Grundsicherung bekommen, die Armut für Kinder verhindert. Das muss in der nächsten Legislaturperiode gelingen!
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Und wir müssen dafür Sorge tragen, dass sie gut aufwachsen können. Deshalb war es richtig, dass wir den Weg mit dem Gute-KiTa-Gesetz eingeschlagen haben. Deshalb war es richtig, dass wir den Ausbau der Kinderbetreuung vorangetrieben haben.
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Und deshalb ist es richtig, dass wir jetzt vier Jahre dafür gestritten haben – und heute es hoffentlich vollenden –, dass es auch Ganztagsangebote in den Schulen gibt. Deutschland muss ein Land werden, das besser ist zu seinen Kindern, mit einer guten Kinderbetreuung, mit einem Ganztagsangebot in den Schulen. Das ist etwas, was wir gemeinsam erreichen müssen, Bund, Länder und Gemeinden zusammen.
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Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die jungen Leute berufliche Perspektiven haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir dafür sorgen, dass diejenigen, die studieren wollen, bessere Möglichkeiten bekommen durch eine bessere Ausbildungsförderung.
Aber noch viel wichtiger ist, dass wir uns um die wichtigste Ausbildung in Deutschland kümmern: Das ist unverändert die Berufsausbildung. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass jeder, der nach der 9. oder 10. Klasse die Schule verlässt, auch eine gute Perspektive auf eine Ausbildung hat.
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Eine Garantie, einen Ausbildungsplatz zu finden, das ist das, wofür ich mich einsetzen werde.
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Die zweite Frage, die für uns so wichtig ist, ist: Kann man sich das Leben leisten? Und das hat ganz viel zu tun mit der Frage, ob man eine Wohnung findet, die man bezahlen kann, oder ob der Traum vieler aufgeht, die lange gespart haben, um sich ein kleines Häuschen zu kaufen. Alles das sind Anliegen, für die wir uns als Gesellschaft, als Politik, als Gemeinwesen einsetzen müssen. Die Tatsache, dass es in Deutschland nicht genug Wohnungen gibt, die Tatsache, dass die Wohnungsmieten durch die Decke schießen, hat etwas damit zu tun, dass in den letzten Jahren in Deutschland nicht genug gebaut worden ist.
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Wir müssen deshalb dafür Sorge tragen, dass mehr Wohnungen in Deutschland errichtet werden.
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Ich habe mir die Zahlen einmal angeschaut: 1973 sind in Deutschland 800 000 Wohnungen gebaut worden, 700 000 im Westen Deutschlands, 100 000 im Osten.
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Heute sind wir bei 300 000. Deshalb will ich erreichen, dass wir jedes Jahr, Jahr für Jahr, ohne damit aufzuhören, 400 000 Wohnungen bauen,
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davon 100 000 geförderte Wohnungen,
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damit auch diejenigen mit wenig Geld sich eine Wohnung neu mieten können.
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Weil das nicht von einem Tag auf den anderen geht,
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weil das eine Anstrengung ist, die uns viele, viele Jahre – das nächste Jahrzehnt – beschäftigen wird, sage ich ausdrücklich: Wir müssen zwischendurch auch dafür sorgen, dass die Mieten nicht durch die Decke schießen, weil es zu wenig Wohnungen gibt. Deshalb brauchen wir ein starkes Mieterschutzrecht, deshalb brauchen wir eine Begrenzung der Mietpreissteigerung bei Neuvermietung, und deshalb brauchen wir ein Moratorium für die Mietpreisanstiege in Deutschland.
({28})
Das Dritte, wo die Bürgerinnen und Bürger eine Garantie haben wollen, wozu sie eine Aussage verlangen und wozu sie eine Aussage verdient haben, das ist die Frage: Was ist eigentlich mit der Rente?
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Ich will das ausdrücklich ansprechen, weil das ein Thema ist, das das ganze Land betrifft und nicht nur, wie einige immer sagen, die Älteren, die jetzt in Rente sind, oder diejenigen, die demnächst in Rente gehen. Das ist ebenso ein Thema für die jungen Leute.
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Wer jetzt mit 17 die Schule verlässt und eine Berufsausbildung beginnt, derjenige oder diejenige hat fünf Jahrzehnte Arbeit vor sich. Die ganze Zeit müssen Beiträge gezahlt werden. Die ganze Zeit muss er oder sie sich darauf verlassen können, dass das hinterher auch etwas bringt für die Rente. Deshalb müssen klare Aussagen her. Kein Anstieg des Renteneintrittsalters und ein stabiles Rentenniveau, das muss unsere Gesellschaft den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes garantieren.
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Das geht auch.
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Ich will Ihnen gerne sagen, dass ich sehr aufgeregt und empört bin, wenn all die Expertinnen und Experten, die uns in den 90er-Jahren so viele Dinge gesagt haben, sich jetzt wieder melden. Sie haben uns damals gesagt, wir würden jetzt, zu dieser Zeit, viel höhere Beiträge zahlen, als wir jetzt zahlen, und sie haben uns damals gesagt, es würde jetzt viel weniger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geben. Tatsächlich zahlen wir geringere Beiträge zur Rentenversicherung als zur Zeit von Helmut Kohl,
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und tatsächlich ist es so, dass Millionen zusätzlicher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Arbeitskraft einbringen, Geld verdienen und auch die Rentenfinanzen stabilisieren.
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Das ist die Wahrheit.
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Und weil das die Wahrheit ist, muss man auch sehr klar sagen: Da hätten sich einige vielleicht mal zu melden, um zu sagen: Wir haben uns verrechnet; unsere Vorhersagen stimmten nicht.
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Stattdessen melden sie sich jetzt wieder und sagen das Gleiche, was sie in den 90er-Jahren gesagt haben. Dabei muss die Antwort doch klar sein: Es geht um Beschäftigung. Wir müssen dafür sorgen, dass wir ein hohes Beschäftigungsniveau in Deutschland haben. Und wenn es uns gelänge, auch nur besser zu werden – in der Art und Weise, wie das in Schweden der Fall ist, was Frauenerwerbstätigkeit betrifft –, dann hätten wir schon stabilere Renten. Und wenn es uns gelingen würde, dass eine 55-Jährige und ein 58-Jähriger, die ihren Arbeitsplatz verlieren, sicher annehmen können, dass sie erneut eine gute Beschäftigung finden werden, dann hätten wir stabile Renten. Das ist die Aufgabe, die wir anpacken müssen; um die geht es.
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Herr Minister, die Kollegin von Storch würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie es?
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Herr Minister, ja oder nein?
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Nein. Es gibt Zwischeninterventionen, die, glaube ich, unsere Debatte voranbringen, und andere, bei denen man sicher vorhersagen kann: Das wird wohl nicht so sein.
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Wir haben die Chance, dass wir das hinkriegen mit unseren Renten, mit den Rentenfinanzen, wenn wir das als gesamtes Land solidarisch angehen.
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Ich finde, deshalb ist das eine wichtige Aussage, die viele verdient haben. Ich jedenfalls werde mich dafür einsetzen, dass wir diese drei Garantien für unsere Zukunft geben.
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Dann müssen wir uns den beiden großen Herausforderungen zuwenden, die jetzt vor uns liegen, wenn wir uns durch die 20er-Jahre bewegen, die jetzt begonnen haben. Die nächsten zehn Jahre werden entscheidend sein für die Zukunft unseres Landes. Die Weichen, die wir jetzt falsch stellen, werden dazu führen, dass wir es nicht schaffen, die großen Herausforderungen zu bewältigen. Wenn wir es falsch machen, kann uns das Wohlstand und Arbeitsplätze kosten. Wenn wir es richtig machen, werden wir eine bessere Zukunft haben. Deshalb zwei Dinge, die mir da wichtig sind:
Eine erste große Herausforderung für mich ist: Ich möchte gerne dafür Sorge tragen, dass in dieser Gesellschaft mehr Respekt herrscht – Respekt vor jedem und vor jeder. Ich will dafür Sorge tragen, dass jede berufliche Leistung, jede Lebensleistung anerkannt wird. – Für mich hat das etwas damit zu tun, dass Anerkennung auch den Leistungen entgegengebracht wird, die jetzt, in dieser Krise, erneut als systemrelevant erkannt worden sind. Deshalb sage ich Ihnen: Die Lebensmittelverkäuferin, der Paketbote, die Altenpflegerin, der Krankenpfleger und viele weitere haben in dieser Krise zu Recht Anerkennung bekommen und Beifall erhalten. Das muss aber auch nach der Coronakrise noch ein Prinzip unseres Landes sein.
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Und auch das gilt: Anerkennung ist wichtig; aber es geht immer auch ums Geld. – Deshalb, finde ich, kann es nicht dabei bleiben, dass diejenigen, die jetzt den Beifall bekommen haben, in diesem Land weiter schlecht bezahlt werden.
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Darum setze ich mich dafür ein, dass wir im ersten Jahr der neuen Regierung den Mindestlohn auf 12 Euro erhöhen.
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Das ist eine Gehaltserhöhung für 10 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland.
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10 Millionen: Das heißt übersetzt ja: Es sind sehr, sehr viele. – Das sagt etwas über das Gehaltsniveau in diesem Lande aus. Das zeigt, warum die Forderung für ein gutes Miteinander in unserer Gesellschaft so wichtig ist.
Für mich bedeutet das aber auch, dass wir uns nicht auf Mindestlöhne beschränken dürfen, sondern dass wir auch an anderer Stelle dafür sorgen müssen, dass es besser läuft – so wie wir es nach vielen Anläufen hingekriegt haben, dass in der Fleischindustrie jetzt endlich normale Arbeitsverträge abgeschlossen werden. Das war lange überfällig; wir haben es durchgesetzt.
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Deshalb ist es auch richtig, dass wir uns in vielen Anläufen darum bemüht haben, dass in der Altenpflege endlich besser gezahlt wird, und es ist gut, dass wir es jetzt hingekriegt haben, ein Gesetz zu beschließen, in dem drinsteht, dass ab dem nächsten Sommer Pflegeeinrichtungen gemäß Tarif bezahlen müssen, wenn sie bei der Kasse abrechnen wollen. Das ist ein erster Schritt, dem für diese Arbeit viele weitere folgen müssen.
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Die zweite große Herausforderung, die wir in unserer Gesellschaft bewältigen müssen, wenn wir an die 20er-Jahre denken, ist, dafür zu sorgen, dass wir in 10, 20 und 30 Jahren noch gute Arbeitsplätze haben. Viele Bürgerinnen und Bürger sind sich nicht sicher, ob das wohl so ausgehen wird. Sie haben Sorge. Sie schauen sich in der Welt um und stellen fest, dass es, anders als vor vielen Jahrzehnten, so ist, dass viele auf dieser Welt Ähnliches können wie wir. Es sind Milliarden im wiederaufgestiegenen Asien, und es werden viele sein in Afrika und im Süden Amerikas – was gut für die Welt ist, was aber die Anforderungen für uns und unser Land richtig formuliert: Wir müssen technologisch vorne dabei sein. Wir müssen vornean stehen, wenn es darum geht, wirtschaftlich mit an der Spitze auf dem Weltmarkt tätig zu sein. – Dafür müssen wir uns jetzt einsetzen. Wir brauchen technologischen Fortschritt für Deutschland und eine leistungsfähige Industrie auch in der Zukunft.
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Gute Arbeitsplätze wird es aber nur geben, wenn wir es gleichzeitig schaffen, den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten. Das ist für mich die ganz große Herausforderung, vor der wir stehen und bei der wir jetzt die notwendigen Entscheidungen treffen müssen. Wir haben uns mit einem Gesetz, das aus dem Anfang dieses Jahrtausends stammt, für den Einstieg in die erneuerbaren Energien entschieden. Wir haben uns entschieden, die Grundvoraussetzung dafür zu schaffen, dass die Atomenergie nicht mehr genutzt werden kann, und wir steigen im nächsten Jahr aus ihr aus. Wir steigen auch aus der Kohleverstromung aus. Wir wollen in knapp 25 Jahren klimaneutral wirtschaften.
Das ist eine ehrgeizige Herausforderung, wenn man bedenkt, dass 250 Jahre Industriegeschichte darauf beruhen, dass wir Kohle, Gas und Öl einsetzen.
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Deshalb sage ich: Das darf man nicht unterschätzen. Weil es aber eine große Aufgabe ist und weil wir sie hier in Deutschland bewältigen können, müssen wir sie jetzt anpacken und müssen wir jetzt die notwendigen Entscheidungen treffen.
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Zu diesen Entscheidungen gehört aber auch, dass wir sagen, was wir dazu brauchen; denn als Alternative für die weggehende Nutzung der Atomenergie und die ausbleibende Nutzung der Kohleverstromung werden wir zusätzlichen Strom aus erneuerbaren Quellen – aus Windkraft auf hoher See und an Land und der Sonne – nutzen müssen. Für das, was die Industrie vorhat, brauchen wir aber noch viel mehr Strom. Wer einmal mit der Stahlindustrie, mit der Chemieindustrie, mit denen, die Zement herstellen, mit der Automobilindustrie, mit den Zulieferern, mit den Maschinenbauern und mit all den Industrie- und Wirtschaftszweigen, die in Deutschland so wichtig sind, spricht, der weiß, dass sie einen klaren Plan haben, was zu tun ist, dass sie milliardenschwere Investitionen vorhaben,
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dass sie genau wissen, wie sie es hinkriegen, klimaneutral zu wirtschaften. Das ist der Unterschied zu Ihnen: Die Industrie weiß mehr als Sie von der AfD; sie weiß, wie der Weg geht.
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Sie sagen aber: Was wir dazu brauchen, ist Strom – Strom aus Windkraft, aus Sonne, aus Wasserstoff –
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und ein leistungsfähiges Stromnetz. – Deshalb müssen wir die Ausbauziele hochsetzen. Die Chemieindustrie hat uns gesagt, sie werde 2050 so viel Strom verbrauchen wie Deutschland heute insgesamt, und auch die Stahlindustrie braucht entsprechend mehr Strom – alles aus Windkraft, Sonne und der Nutzung von Wasserstoff. Das ist die Aufgabe, die wir jetzt bewältigen müssen, indem wir jetzt die Ausbauziele für 2045 festlegen, indem wir jetzt festlegen, dass wir das Stromnetz entsprechend ertüchtigen, und indem wir im nächsten Jahr alle Gesetze ändern,
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damit die Dinge rechtzeitig fertig werden können. Eine Windkraftanlage in Deutschland zu genehmigen, darf nicht mehr sechs Jahre dauern; das muss in sechs Monaten gehen.
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Klimaschutz, das ist jetzt Industriepolitik.
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Deshalb muss es darum gehen, dass wir mit der Industrie zusammen diese große Herausforderung bewältigen. Klimaschutz ist auch Teil einer Politik, die die Industrie will. Sie hat die Pläne; sie weiß, wie das geht. Wir müssen unseren Beitrag dazu leisten, damit das funktioniert, und deshalb bin ich dafür, dass wir diese große Aufgabe anpacken. Das ist wichtig für den Wohlstand unseres Landes und die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland.
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Vielleicht noch eine Bemerkung auf einen Einwand, der immer wieder kommt – zum Beispiel aus Ihren Reihen, denen der AfD, aber auch von anderen –, indem gefragt wird: Was bringt das, wenn wir das hier in Deutschland machen? Wir sind ja nur ein kleiner Teil der Welt,
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und wenn wir das hier machen, dann hat das ja gar keine Auswirkungen auf andere Orte der Welt. – Das ist falsch. Natürlich werden wir die Länder Asiens, Afrikas und im Süden Amerikas niemals davon abbringen können, den gleichen Wohlstand haben zu wollen wie wir;
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das steht ihnen zu, und sie tun alles dafür, dass ihnen das möglich ist. Aber was wir können
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mit unseren Ingenieurinnen und Ingenieuren, mit unserer Industrie, mit unserer Wirtschaftskraft, ist, die Technologien zu entwickeln, die für die ganze Welt eine Alternative zu den fossilen Ressourcen sind, die heute genutzt werden. Und genau diese Aufgabe müssen wir jetzt angehen.
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Weil wir in dieser Debatte ab und zu ja auch sehr freundlich zueinander sind, möchte ich das an dieser Stelle sagen: Die Tatsache, dass die CDU/CSU in den letzten Jahren jedes Jahr wieder den Ausbau der Stromerzeugungskapazitäten abgelehnt hat,
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weil sie der festen Überzeugung war, dass das falsch ist und nicht gebraucht wird – sie hat noch vor zwei Jahren gesagt, man braucht nicht mehr Strom, sie hat noch im letzten Jahr gesagt, man braucht nicht mehr Strom, und sie hat noch im Juni gesagt, man braucht nicht mehr Strom –, ist eine Bedrohung für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
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Eine weitere von der CDU/CSU geführte Bundesregierung würde Deutschland Wohlstand und Arbeitsplätze kosten.
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Meine Damen und Herren, wir brauchen Respekt in unserer Gesellschaft. Wir müssen dafür sorgen, dass uns die Zukunft gelingt: dass die 20er-Jahre ein Aufbruch werden, der sicherstellt, dass wir in 10, 20, 30 Jahren noch gute Arbeitsplätze haben, und dass wir den menschengemachten Klimawandel aufhalten können. Wir müssen aber auch gut verstehen, dass wir nicht alleine auf der Welt sind, sondern dass wir nur gemeinsam mit unseren Freundinnen und Freunden in Europa eine Perspektive haben, in der künftigen Welt gut zurechtkommen und das verteidigen zu können, was uns an Rechtsstaatlichkeit, an Demokratie und an sozialer Marktwirtschaft wichtig ist.
Deshalb will ich hier an dieser Stelle noch einmal bekennen: Ein weiterer Fortschritt für Europa ist das wichtigste nationale Anliegen, das wir in Deutschland haben. Nur mit der Europäischen Union gemeinsam werden wir in einer Welt, die um die Mitte dieses Jahrhunderts 10 Milliarden Einwohner hat, noch relevant sein, noch mitbestimmen, noch entscheiden können, wie sich unser Leben entwickeln soll. Darum muss Deutschland die Aufgabe wahrnehmen, dafür zu sorgen, dass die Europäische Union gelingt und wir eine bessere Europäische Union bekommen.
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Deutschland ist das große Land in der Mitte der Europäischen Union. Wir sind die, die nicht am Rande stehen können, schlecht gelaunte Kommentare zu den Plänen der anderen abgeben und letztendlich das Spiel spielen, dass man hierzulande den Fernsehkameras mitteilt, was man in Brüssel alles erreichen will, dort freundlich verhandelt, hinterher zurückgeht und erklärt, wie man es allen anderen gezeigt hat.
Wir müssen das anders machen. Wir müssen das Land sein, das sich für diesen gemeinsamen Fortschritt verantwortlich fühlt und dafür sorgt, dass es keine Spaltung zwischen Nord und Süd und West und Ost in Europa gibt, sondern dass die weitere Integration Europas gelingt. Das ist die große Herausforderung! Das ist die große Aufgabe, die wir haben. Das wollen wir gemeinsam hinkriegen: die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, dieser Deutsche Bundestag und die künftige Bundesregierung.
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Aber auch wenn Europa das ist, woran wir arbeiten müssen, an einem starken, souveränen Europa,
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das in der Lage ist, die eigenen Angelegenheiten in die Hand zu nehmen, wird das nur im Verbund mit der NATO und in enger Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika gelingen, mit der transatlantischen Zusammenarbeit, die so unverzichtbar ist.
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Das galt und das gilt auch in Zukunft.
Für mich bedeutet das auch, dass wir alles dafür tun müssen, dass wir unsere Verteidigungsanstrengungen auch gut gewährleisten können. Deshalb bin ich froh, dass in dieser Legislaturperiode die schlechte Zeit für die Bundeswehr,
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die unter einer schwarz-gelben Koalition begonnen hat – es tut mir leid, das sagen zu müssen –, endlich zu Ende gegangen ist, dass der Bundeswehrhaushalt in den letzten Jahren die größten Steigerungen bekommen hat. Das war richtig so. Diesen Weg werden wir weiter beschreiten, meine Damen und Herren.
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Wir werden auch in Zukunft – das will ich an dieser Stelle sagen – weiter Entscheidungen im Rahmen der EU, im Rahmen der NATO und auf Grundlage von Beschlüssen der Vereinten Nationen treffen müssen, dass wir Soldaten im Ausland einsetzen. Ich finde, dass die Entwicklung in Afghanistan einen Anlass dafür gibt, jeweils zu diskutieren, was man macht und was richtig ist. Aber es muss dabei bleiben, dass wir verstehen, dass wir nicht alleine sind, sondern dass wir mit den anderen zusammen für Frieden und Sicherheit in der Welt sorgen müssen. Das wird auch in Zukunft eine Aufgabe sein.
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In diesem Sinne haben wir heute in diesem Haus die letzten Debatten. Ich bin sehr dankbar, dass wir hier noch so miteinander diskutieren können; denn jetzt ist ja die Zeit der Bürgerinnen und Bürger. Sie entscheiden am 26. September, wie es mit diesem Land weitergeht. Sie entscheiden, wie es mit unserer Gesellschaft weitergeht, ob Respekt sie bewegt, ob wir eine gute Zukunft haben, ob wir ein starkes und souveränes Europa haben.
Die Bürgerinnen und Bürger haben jetzt das Wort. Ein Aufbruch ist möglich. Ich hoffe und ich bin sicher: Er wird gelingen!
Schönen Dank.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der FDP, Christian Lindner.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kanzlerkandidat,
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eine gewisse Siegesgewissheit kann man Ihnen nicht absprechen. Allerdings geht es nicht darum, Umfragen zu gewinnen, sondern Wahlen.
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Und 1976 hat Helmut Kohl sogar die Erfahrung machen müssen, dass man Wahlen gewinnen kann und danach trotzdem keine Koalition hat.
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Frau Bundeskanzlerin, Sie haben entschieden, hier noch einmal zu reden. Sie haben über die Leistungen Ihrer Kanzlerschaft gesprochen. 16 Jahre dem Land an vorderster Stelle zu dienen, das hat unser aller Respekt verdient. Dennoch muss man feststellen: Am Ende Ihrer Kanzlerschaft ist unser Land nicht in einer Verfassung, die unseren Ansprüchen genügen sollte. Vor vier Jahren hieß es: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben.“ Heute wäre Kontinuität das größte Risiko für unser Land; denn so wie es ist, darf es nicht bleiben.
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Drei Krisen – Corona, die Flutkatastrophe und der chaotische Abzug aus Afghanistan – haben uns allen in diesem Sommer noch einmal vor Augen geführt, wo die Defizite liegen. Manche erfinden ja gerne, zumal in Wahlkämpfen, neue Aufgaben für unseren Staat. Aber unser Staat hat schon viele Aufgaben: Bundeswehr, Bildung, digitale Infrastruktur und Verwaltung, Justiz, Katastrophenschutz und Polizei. Statt fortwährend neue Aufgaben für diesen Staat zu erfinden, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir uns der Staatsaufgabe Nummer eins widmen, nämlich wieder zu funktionieren.
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Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind zweifellos groß. Dringlich ist, dass wir in der Pandemie schnellstmöglich zu einem gesellschaftlichen Normalzustand zurückkehren. Mit Tests und Hygienekonzepten haben wir zum einen Instrumente an der Hand, zum anderen aber brauchen wir schnell Fortschritte bei den Impfungen. Wo sind die mobilen Impfteams, über die so intensiv gesprochen wird? Auf dem Campus der Universität, in den Stadtteilen, vor den Einkaufszentren, bei Sport- und Kulturveranstaltungen. Nicht mehr die Menschen sollten zum Impfstoff gehen; der Impfstoff muss jetzt zu den Menschen kommen.
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Einmal muss es doch gelingen, dass wir wortwörtlich vor die Welle kommen. Wir brauchen nämlich eine politische Garantie, dass es in diesem Herbst eben nicht noch einmal zu pauschalen Freiheitseinschränkungen, nicht noch einmal zu einem auch nur teilweisen Lockdown kommt. Der Bundesgesundheitsminister hat unlängst in einer Zeitung gesagt, er fordere die Menschen auf, nur noch kurz bis zum Frühjahr durchzuhalten. Ich glaube, es ist die Verantwortung der Politik, dass wir in diesem Herbst schon wieder gesellschaftliches Leben für alle garantieren können.
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Nach der Pandemie müssen wir die Erholung der Wirtschaft organisieren. Die Staatsfinanzen müssen stabilisiert werden. Wir müssen Tempo bei der Digitalisierung machen, um unser Land international konkurrenzfähig zu halten. Der demografische Wandel macht eine Umstellung unserer Sozialsysteme notwendig. Und im Kampf gegen den Klimawandel unseren Charakter als Industrienation zu erhalten, das wird die Aufgabe dieses Jahrzehnts sein.
Wenn der Kanzlerkandidat der CDU sagt, vor uns stehe ein Erneuerungs-, ein Modernisierungsjahrzehnt, dann hat er recht. Aber was für ein trauriges Zeugnis stellt er damit zugleich seiner eigenen Partei aus, die 16 Jahre dieses Land regiert hat.
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Und dennoch schauen wir nicht mit Pessimismus in die Zukunft, ganz im Gegenteil. Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass wir diese Herausforderungen nicht nur bewältigen können, sondern dass in ihnen Chancen liegen. Wir können sie nicht nur bewältigen, wir können sie zu einem Fortschrittsthema unseres Landes machen.
Die Kassandrarufer der AfD haben unrecht, wenn sie fortwährend die Abstiegsgeschichte Deutschlands bemühen. Dieses Land hat unglaublich viel private Initiative. Dieses Land hat unglaublich viel privates Know-how. Dieses Land hat sogar unglaublich viel privates Kapital. Das Problem ist nicht das Land. Das Problem ist eine Regierung, die dieses Land fortwährend unterfordert und bürokratisch fesselt.
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Der Kanzlerkandidat Scholz hat hier eben eine Reihe von Garantien gegeben, ökologische und soziale Vorhaben vorgestellt. Davon hört man viel auch in diesen Wochen von allen politischen Akteuren. Und ja, auch wir als Fraktion der Freien Demokraten haben soziale und ökologische Vorhaben. Da wollen wir uns von niemandem übertreffen lassen.
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Trotzdem, Herr Scholz, haben Sie in Ihrer sehr umfänglichen Rede nur kursorisch die Grundlage jeder sozialen und ökologischen Politik angesprochen.
Die Grundlage nämlich für alle sozialen und ökologischen Ziele, die auch Sie hier vorgestellt haben, ist ein stabiles wirtschaftliches Fundament. Ohne eine starke Wirtschaft ist alles, was auch Sie an Zusagen gegeben haben, eine unrealisierbare, unfinanzierbare Träumerei.
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Deshalb dürfen wir Wahlkämpfe nicht mehr nur mit dem Versprechen der Ausdehnung von staatlichen Leistungen, Subventionen und anderem machen, sondern wir müssen uns auch der Frage stellen, wie dieses Land diese Herausforderungen bewältigen kann, wie wir unser wirtschaftliches Fundament stärken.
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Sie haben gerade gesagt, Herr Scholz, wir wachsen heraus aus der Krise. Tatsächlich hatte Deutschland im zweiten Quartal 1,5 Prozent Wachstum. Aber ist das tatsächlich die Dimension, die wir zur Sicherung unseres Wohlstands benötigen? Für Deutschland insgesamt wird dieses Jahr 3,4 Prozent Wachstum prognostiziert. Für die Vereinigten Staaten von Amerika indessen sind es 7 Prozent,
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für China 8,1 Prozent Wachstum. Selbst Italien wird mit 4,2 Prozent Wachstum eine dynamischere Wirtschaft haben als wir. Das ist keine statistische Größe; das ist Realität. Es sagt nicht die Opposition, sondern die Zahlen sagen: Unser Land kommt schlechter aus der Krise als die Wettbewerber. – Das zeigt, dass Deutschland in den vergangenen Jahren dramatisch an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat. Und das, meine Damen und Herren, bedeutet übersetzt: Millionen von Bürgerinnen und Bürgern haben schlechtere Chancen auf sozialen Aufstieg als anderswo in Europa und der Welt.
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Aus diesem Grund kann und darf sich die Politik nicht länger mehr nur auf das Verteilen des Wohlstands konzentrieren. Da gibt es ja Spezialisten, die sich ausschließlich auf das Verteilen des Wohlstands konzentrieren. Dieses Land muss aber die Frage neu beantworten, wie es diesen Wohlstand unter veränderten Bedingungen überhaupt erwirtschaften will.
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Deshalb braucht unsere Wirtschaft einen Kickstart aus der Krise. Wir müssen zur Spitze in der Welt aufschließen. Aber nicht mit bürokratischen Subventionen oder staatlich gelenkten Konjunkturprogrammen, sondern durch marktwirtschaftliche Impulse.
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Herr Scholz, Sie haben hier heute über diejenigen gesprochen, die über Steuerentlastung reden. Sie haben tatsächlich in einem Höchststeuerland diejenigen kritisiert, die Entlastung organisieren wollen. Sie selbst haben aber darüber geschwiegen, dass Ihre Fraktion und diejenigen, die Ihnen politisch nahestehen, in diesem Land breitflächige Steuererhöhungen organisieren wollen.
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Nach einer solchen Wirtschaftskrise wollen Sie für den Mittelstand die Einkommensteuer, die für diesen ja auch die betriebliche Steuer ist, erhöhen. Nach einer Krise, in der viele Eigenkapital verloren haben!
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Nach einer Krise, in der Selbstständige ihre Altersversorgung haben angreifen müssen!
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Nach einer solchen Wirtschaftskrise wollen Sie allen Ernstes einen Aufschwung mit Steuererhöhungen organisieren? Ich sage Ihnen, das glatte Gegenteil wäre richtig: Auf eine Wirtschafskrise antwortet man mit Entlastung.
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Ein Beispiel. Ich will ganz sicher nicht in jedem Punkt auf die britische Politik Bezug nehmen. Aber tatsächlich hat die Regierung im Vereinigten Königreich nun ein Superabschreibungsprogramm vorgelegt: 130 Prozent Abschreibung auf Investitionen im ersten Jahr. – Das müssen wir in Deutschland nicht eins zu eins übernehmen; denn so zurückhaltend bei Investitionen wie die britische Wirtschaft sind der deutsche Mittelstand und die deutsche Industrie nicht. Trotzdem sollten wir uns daran orientieren.
Der konkrete Vorschlag ist: Wir brauchen in Deutschland ebenfalls super Abschreibungen. Geben wir den Betrieben eine Phase, in der sie hohe Investitionen in die Anlagen binnen zwei Jahren abschreiben können. So mobilisieren wir private Investitionen in saubere Technologie, in Investitionen für den Klimaschutz, die Digitalisierung, die Modernisierung unseres Landes. Und sorgen wir mit einer Pause für zusätzliche Bürokratie à la Lieferkettengesetz dafür, dass sich die Betriebe auf das konzentrieren können, was jetzt nottut, nämlich die Sicherung und die Schaffung von Jobs.
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Zur ökonomischen Transformation gehört ja auch, die ökologische Transformation mitzudenken. Wir müssen allerdings klären, in welche Richtung wir uns entwickeln wollen. Hier in Berlin sprechen die Grünen ja davon, dass sie aus unserer Hauptstadt ein Bullerbü machen wollen.
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Ich habe mitunter den Eindruck, dass Bullerbü auch ihr Leitbild für die Zukunft unseres Industriestandorts sein könnte: eine ländliche Dorfidylle mit subventioniertem Lastenfahrrad.
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Aber bei aller Liebe zu Astrid Lindgren und Bullerbü: Ich kann mich nicht erinnern, jemals gelesen zu haben, wovon die Menschen in Bullerbü eigentlich leben.
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Deshalb kann das kein Leitbild für Deutschland sein.
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Aber wir können im Klimaschutz Vorreiter sein; wir müssen es sogar. Wir können zeigen, dass Klimaschutz nichts Belastendes ist. Die Schweiz ist ein mahnendes Beispiel. In der Schweiz hat sich selbst die jüngere Generation gegen ein Klimagesetz ausgesprochen, und zwar deshalb weil sie das Gefühl hatte, in ihrer freien Lebensführung und in ihren wirtschaftlichen Perspektiven beschnitten zu werden.
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Genau das sollte uns eine Mahnung sein.
Einer der führenden deutschen Intellektuellen, Heinz Bude, hat neulich der Ihnen nahestehenden Tageszeitung „taz“ ein Interview gegeben. Bude sagt – Zitat –: Ich empfehle dem grünen Milieu eine nähere Beschäftigung mit der FDP; denn angesichts des Klimaschutzes droht das Individuum unter die Räder zu geraten. – Und Heinz Bude hat recht:
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Mit der Art und Weise, wie Sie Klimaschutz machen wollen, gerät das Individuum mit seinem Recht auf Freiheit und wirtschaftliche Perspektive unter die Räder.
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Machen wir uns ehrlich. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ – jetzt einmal die „FAZ“, nicht die „taz“ – schrieb neulich, dass unsere Energie- und Klimapolitik inzwischen ein Labyrinth sei von sich zum Teil widersprechenden Geboten, Verboten, Subventionen, Anreizen und Programmen. Fangen wir bei dieser wichtigen Aufgabe neu an.
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Geben wir ein klares Ziel vor – null Emissionen im übernächsten Jahrzehnt –, aber setzen wir zur Erreichung auf die Marktwirtschaft; denn sie hat historisch und international bewiesen, dass sie im Umgang mit knappen Ressourcen allen anderen Ordnungen überlegen ist.
Herr Scholz, Sie haben recht: Der Strombedarf der deutschen Wirtschaft steigt. – Aber nicht alleine die Kapazität der Energieerzeugung in Deutschland ist entscheidend. Wir müssen auch wieder die Frage nach der Bezahlbarkeit der Energie stellen. Deshalb kann das Erneuerbare-Energien-Gesetz eben nicht so bleiben, wie es ist.
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Und deshalb war es richtig, dass in der Vergangenheit – so viel Lob an CDU und CSU – bei den Ausbauzielen auch auf den Preis geachtet wurde.
Dass „German Engineered Klimaschutz“ funktioniert, zeigt, nebenbei gesagt, die IAA. Die deutsche Schlüsselindustrie hat sich längst für ihre Zukunftsaufgaben aufgestellt. Mit innovativen und sauberen Produkten werden wir auch in Zukunft das Autoland Nummer eins sein können. Deshalb braucht diese Industrie mit ihren Milliarden an Gewinnen nicht mehr die Subventionen, die nahezu alle Fraktionen dieses Hauses unverändert ins Schaufenster stellen. Um es klar zu sagen: Es ist absurd, dass der deutsche Steuerzahler auch die E-Autos für Gutverdiener über den Lebenszyklus mit bis zu 20 000 Euro fördert,
({30})
während wir pro Schuljahr und Schüler nur 8 200 Euro in die Bildung investieren.
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Die Automobilbranche – bei allem Respekt – braucht Technologieoffenheit, damit zum Beispiel auch synthetische Kraftstoffe als Teil des Energieimports im Markt eine Chance haben. Aber die Automobilbranche braucht keine Geldgeschenke der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mehr.
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Von einem Weg des Verzichts und der Verbote raten wir also ab.
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Herr Scholz hat ja darauf hingewiesen, dass auch er den Wunsch nach Prosperität und Wohlstand in anderen Weltregionen respektiert. Das teile ich. Aber, Herr Scholz, wenn wir Vorreiter sein wollen, dann sollten Sie auch in das Programm Ihrer Partei und in das von Bündnis 90/Die Grünen schauen. In diesen Programmen ist nämlich nicht die Rede davon, dass man Klimaschutz durch Technologie, durch Marktwirtschaft und Fortschritt machen wolle, sondern überwiegend finde ich auch in Ihrem Programm die breite Phalanx der kleinteiligsten Eingriffe in das wirtschaftliche und das gesellschaftliche Leben – Stichwort „Tempolimit“.
Als ob zum Beispiel ein Tempolimit einen Beitrag zur Bekämpfung der Erderwärmung leisten würde!
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Es ist ausschließlich eine Wertefrage. Es leistet keinen Beitrag zur Bekämpfung der Erderwärmung. Es ist nur die Wertefrage, ob man erwachsenen Menschen mündige, verantwortliche Entscheidungen zutraut oder nicht. Mehr ist das nicht.
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Mein Vorschlag ist deshalb ein anderer. Warum stellen wir solche kleinteiligen Reglementierungen nicht an die Seite? Im nächsten Jahr wird Deutschland den Vorsitz der G 7 haben. Wir werden die G‑7-Präsidentschaft haben.
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Machen wir doch das Thema „Klimaschutz durch Technologie“, machen wir doch globale Partnerschaft beim Klimaschutz zum Leitgedanken der deutschen G‑7-Präsidentschaft im nächsten Jahr. Wie ungleich größer wäre das als die kleinteiligen Debatten über Tempolimits in Deutschland.
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Schützen wir die Handlungsfähigkeit der nachfolgenden Generationen – aber nicht nur durch Klimaschutz, sondern auch durch solides Haushalten. Nach Corona stehen wir vor Rekordschulden. Und liegt das wirklich an der Pandemie? Wenn man die Finanzpolitik von Olaf Scholz vor 2020 betrachtet, ergibt sich ein anderes Bild; denn die Staatsquote ist kontinuierlich gestiegen.
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2019 lag sie bei 45,2 Prozent. Angesichts von Rekordsteuereinnahmen ist viel zu wenig für Schuldenabbau und Konsolidierung eingesetzt worden.
Die Bundesausgaben sind in den letzten Jahren doppelt so stark gestiegen wie die Realwirtschaft. Und zu viele Staatsausgaben sind in konsumtive Bereiche geflossen, nicht in Investitionen. Es ist nicht die Schuldenbremse, die uns an Investitionen gehindert hat, es waren die politischen Leitentscheidungen für den Staatskonsum. Lediglich 3,9 Prozent der Milliarden an Steuereinnahmen seit 2013 sind in Investitionen geflossen, die unser Land moderner gemacht hätten, fast 50 Prozent der Steuermehreinnahmen dagegen in den staatlichen Konsum.
Der ehemalige Chefökonom des BMF, Ludger Schuknecht – auf den hätten Sie hören sollen! –, hat von einer Verdrängung der Investitionen durch den staatlichen Konsum im Haushalt gesprochen und davor gewarnt. Diese Stimme der Vernunft musste auf Entscheidung von Olaf Scholz das Finanzministerium verlassen. Und das ist für mich ein deutlicher Beleg: Nicht die Pandemie hat die Staatsfinanzen ruiniert. Das war zuvor schon die Haushaltspolitik von Olaf Scholz.
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Die Folgen expansiver Finanzpolitik sehen wir allerdings schon heute: Die Inflation liegt bei 3,9 Prozent – so hoch wie seit Jahrzehnten nicht. Prognosen gehen von einem Anstieg auf 5 Prozent aus. Das trifft kleine und mittlere Einkommen. Das trifft die Rentnerinnen und Rentner; denen kann man nicht wie den Jüngeren empfehlen: Geht in Aktien! – Für die ist es aufgrund ihrer Lebenssituation möglicherweise gar nicht empfehlenswert, in langfristige Anlagen zu gehen, die natürlich in der kurzfristigen Betrachtung auch ein Risiko haben werden. Gerade die Rentnerinnen und Rentner, die Kleinsparer, die Menschen mit kleinem Einkommen, all die werden durch Inflation getroffen.
Selbstverständlich hat die Inflation etwas mit unterbrochenen Lieferketten und Sondereffekten zu tun. Aber lassen wir in diesem Zusammenhang nicht die Politik unserer Europäischen Zentralbank aus den Augen. Die EZB musste aufgrund der enormen Verschuldungssituation in Europa zu künstlich niedrigen Zinsen greifen, zu Anleiheankaufprogrammen.
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Sie hat deshalb gar nicht mehr das Instrumentarium wie die amerikanische Notenbank, um auf die Inflation zu reagieren.
Deshalb, Armin Laschet – er sagt ja, er reise nicht mit dem Taschenrechner nach Brüssel –, deshalb, Herr Scholz, der Sie hier von Integration sprechen, erwarten wir noch vor der Bundestagswahl ein klares Statement, dass Deutschland in der nächsten Legislaturperiode weiter – ich sage besser: wieder – Anwalt von Stabilität in Europa ist. Die finanzpolitische Eigenverantwortung der Mitglieder der Wirtschafts- und Währungsunion muss unser Anliegen bleiben.
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Machen wir die Sozialversicherungssysteme nachhaltig. Der demografische Wandel droht unsere Sozialkassen zu überfordern. Alimentierung mag edlen Motiven folgen, nachhaltig ist sie nicht. Das Gros der Menschen will eben nicht Transfers, sondern faire Chancen auf einen Job. Deshalb muss das neue gesellschaftliche Projekt die Erneuerung des Aufstiegsversprechens sein. Gute Bildung ist dazu der Schlüssel.
Wir müssen dafür sorgen, dass der eigene Wohlstand nicht durch das Elternhaus vorgezeichnet wird. Es ist Zeit, dass wir Bildung auch für den Bund zu einem Schlüsselprojekt machen, damit der Bund investieren darf in Kitas, Schulen und Hochschulen, dass wir eine Exzellenzinitiative bekommen – nicht nur für die Hochschulen, sondern auch für den beruflichen Bereich. Das Kooperationsverbot muss fallen.
Und für die Menschen, die aufgrund von Arbeitslosigkeit in eine schwere Lebenssituation geraten, muss es Aufstiegschancen geben. Herr Scholz, Sie sprechen von 12 Euro Mindestlohn. Wer einen Minijob hat, hat dadurch kein höheres Einkommen, sondern wird gezwungen, weniger zu arbeiten.
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Das allein hilft Menschen nicht. Wie viele Menschen im Mindestlohn haben einen Minijob? Was ist mit der alleinerziehenden Mutter im Hartz-IV-Bezug? Der wollen Sie, wenn sie einen Minijob hat, zwar den Mindestlohn erhöhen; aber die Zuverdienstgrenzen werden nicht erhöht. Sie wird weiter 80 Prozent ihres Zuverdienstes abgeben; und das ist der größte Skandal der Aufstiegsgerechtigkeit in Deutschland.
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Deshalb: Wir stehen vor Richtungsentscheidungen in diesem Land. Unsere Botschaft ist klar: Freiheit vor Staat, Erwirtschaften vor Verteilen und mehr Freude am Erfinden als am Verbieten.
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Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende der Linken, Dr. Dietmar Bartsch.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! In Kürze endet Ihre Amtszeit nach 16 Jahren, nach beinahe 6 000 Tagen an der Regierungsspitze, nach unzähligen Reden, Verhandlungen, Entscheidungen, Gipfeln, Gipfelnächten. Sie haben sich eingesetzt und haben sich selbst viel abverlangt. Das erkennt meine Fraktion auch an.
({0})
Ich sage aber auch: Nach 16 Jahren Kanzlerschaft, nach fast 6 000 Tagen unter Ihrer Führung – mit SPD oder FDP – braucht unser Land dringend einen Regierungswechsel.
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Ich stimme Ihnen zu: Es geht um einen Richtungsentscheid.
Das Land ist heute sozial, kulturell, politisch tiefer gespalten als zu Beginn Ihrer Kanzlerschaft. Sie hinterlassen ein Land im Krisenzustand
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und nicht wenige Bürgerinnen und Bürger, die das Vertrauen in die staatliche Kompetenz der Krisenlösung immer mehr verlieren.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Krisen werden nicht mehr gelöst, sondern sie werden verwaltet. Ministerinnen und Minister werden nicht an ihrer Leistung gemessen, sondern durchgeschleppt bis zum Schluss. Eingeschlichen hat sich in 16 Jahren eine Unkultur der politischen Verantwortungslosigkeit, meine Damen und Herren.
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Das muss beendet werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, 16 Jahre an der Spitze eines Landes geben ja die Gelegenheit, ein Land zu prägen und ein politisches Vermächtnis zu hinterlassen. Ich habe genau zugehört, was das denn sein soll. Es hätte ja vielleicht ein zukunftsfähiger Sozialstaat oder Ähnliches sein können. Sie haben über Digitalisierung gesprochen, dass es da so toll sei. Ich kann nur sagen: Schon vor 16 Jahren wurde gesagt: Deutschland soll Weltmeister bei der Digitalisierung sein. – Und wie ist die Realität? Wir sind hinteres Drittel, meine Damen und Herren. Gucken Sie sich doch die Situationen der Schulen bei der Digitalisierung an. Das ist einer der größten Skandale.
Ich will Ihnen sagen, was bleibt – unser Land hat sich auseinanderentwickelt – und will Ihnen dazu ein Beispiel nennen: 2006 lebten 18,6 Prozent der Kinder unter der Armutsgrenze, im Jahre 2019 sind es 20,5 Prozent. Die Kinderarmut in unserem Land ist gestiegen. 2020 leben fast zwei Millionen Minderjährige in Hartz-IV-Familien. Das ist Ihre Bilanz.
Ich will Sie mal an Ihren eigenen Maßstäben messen: In Ihrem Koalitionsvertrag steht auf Seite 21:
Wir werden Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich verankern. Kinder sind Grundrechtsträger, ihre Rechte haben für uns Verfassungsrang.
Was haben Sie gemacht? Gar nichts haben Sie gemacht! Das zeigt die Wertschätzung der Kinder, der Heranwachsenden in unserem Land. Und ich finde, es ist skandalös, dass Sie bei Kinderarmut, bei Armut bei den Heranwachsenden so versagt haben, meine Damen und Herren.
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Die Bundesregierung hat das Vertrauen in staatliche Handlungsfähigkeit, in Vorsorge und Sicherheit extrem eingeschränkt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach 18 Monaten Pandemie ist eine Frage überhaupt nicht geklärt. Ich finde im Übrigen, dass es richtig war, dass geholfen worden ist. Ich finde auch die Neuverschuldung richtig. Da hatten wir an Einzelmaßnahmen vieles zu kritisieren; doch Kurzarbeitergeld, Unterstützung von Unternehmen usw., alles in Ordnung. Aber die zentrale Frage „Wer zahlt die Krise?“ wird nicht beantwortet.
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Oder ich kann auch ganz anders fragen: Warum sollen diejenigen, die dieses Land am Laufen halten, warum sollen die Krankenschwester, der Paketbote, der Busfahrer die Coronarechnung bezahlen?
Frau Merkel und Herr Scholz, 20 Jahre sollen die Menschen die Kredite abstottern; das ist Ihr Plan. Aber in nur fünf Jahren, von 2013 bis 2018, sind die Vermögen der reichsten Haushalte in Deutschland fast um die Hälfte gewachsen. Sie bitten wieder die Normalbürger zur Kasse und schonen die fetten Konten. Und das ist inakzeptabel, meine Damen und Herren.
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Wir haben einen Gegenvorschlag gemacht; der steht sogar im Grundgesetz, Artikel 106: eine einmalige Vermögensabgabe. Das ist unter Konrad Adenauer genau so angewendet worden – das war übrigens kein Linker –, und das DIW, keine Vorfeldorganisation der Linken, hat das geprüft. Praktikabel, sagen sie. Unser Vorschlag trifft nur 0,7 Prozent der Bevölkerung; nur die Allerreichsten im Land – das sind diejenigen, die an Union und FDP immer satt spenden – sollen betroffen werden. Und ich sage: Es ist feige, weil Sie sich nicht mit den Superreichen anlegen, und es ist unsozial, weil die Schuldenlast das Land weiter spalten wird, meine Damen und Herren.
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Man muss sich das mal konkret vorstellen: Die Krankenpflegerin, die die Coronapatienten rettet, bezahlt mit ihrem Steuergeld die Staatshilfen, die an BMW bezahlt werden,
({10})
und BMW schüttet dieses Geld in Form von Dividenden aus,
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unter anderem an eine Frau Klatten, deren Vermögen täglich – täglich! – um 3 Millionen steigt. – Warum fordern Sie dieses Geld nicht zurück? Staatshilfen kassieren und Dividenden ausschütten, das ist inakzeptabel.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, das alte Leistungs- und Wohlstandsversprechen des Landes – meinen Kindern wird es einmal besser gehen – gilt, wenn überhaupt, nur noch eingeschränkt. Das ist ein sehr schlechter Befund für unser Land und auch ein Ergebnis von 16 Jahren Angela Merkel. „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“, haben Sie vor der letzten Wahl versprochen. Haben Sie das geschafft und, wenn ja, für wen?
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Auch da eine Zahl: Jedem dritten Arbeitnehmer und jeder dritten Arbeitnehmerin, in Vollzeit wohlgemerkt, droht nach 45 Jahren eine Rente von unter 1 100 Euro netto. Das ist ein Armutsrisiko, und das ist nicht hinnehmbar, meine Damen und Herren.
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Deutschland, ein Hochlohnland – für viele Menschen ist das ein Märchen. Deutschland hat ein gewaltiges Lohnproblem; und das belastet im Übrigen auch die Sozialkassen.
Herr Scholz, Sie haben über die Altenpflegerinnen geredet. Ich will Sie mal darauf aufmerksam machen: 17 000 Altenpflegerinnen und Altenpfleger in unserem Land müssen zum Sozialamt und aufstocken, weil sie von ihrem Lohn nicht leben können. Das ist doch beschämend, meine Damen und Herren! Das ist die Wahrheit: klatschen und nicht handeln.
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Die Helden des Alltages, die an der Kasse teilweise ihr Leben oder zumindest ihre Gesundheit riskiert haben, haben weniger in der Tasche. Und gleichzeitig scheffeln die Eigentümer der Ketten Milliarden. Das ist doch obszön.
Und dann haben Sie was zu den Renten gesagt, Herr Scholz: Die Renten seien stabil, und Sie wollten sie stabil halten. – Was denken Sie eigentlich, was so ein Rentner, der 45 Jahre gearbeitet und 2 650 Euro bekommen hat – das ist der Durchschnittsverdienst –, nach 45 Jahren kriegt? Ich kann es Ihnen sagen: 1 100 Euro netto. Das ist nicht stabil, und wenn überhaupt, ist es sehr niedrig stabil. 45 Jahre nahezu Durchschnittsverdiener und dann sozialer Abstieg im Alter, das ist die Realität in dem Gut-und-gerne-Deutschland, Frau Merkel.
Und liebe Sozialdemokraten, lieber Olaf Scholz: Seit 1998 habt ihr 19 Jahre regiert. Davon habt ihr 19 Jahre die Zuständigkeit für Rente gehabt.
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Und diese 19 Jahre waren für die Rentner stabil schlecht. Und das muss sich ändern.
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Wir brauchen eine große Rentenreform. Es ist doch nicht erklärbar, dass ein Rentner in Hamburg im Schnitt 800 Euro weniger Rente bekommt als ein Rentner in Salzburg – bei gleichem Verdienst. Und dafür gibt es Gründe: Die Arbeitnehmer in Deutschland, in der stärksten Wirtschaft Europas, werden mit unterdurchschnittlichen Renten abgespeist. Das ist nicht zu akzeptieren! Damit muss Schluss sein! Die Löhne und die Renten müssen steigen.
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Leistung muss sich für die wahren Leistungsträger wieder lohnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Jahr 2019 haben 40 Personen jeweils mehr als 100 Millionen geerbt oder geschenkt bekommen. Davon haben immerhin 31 null Steuern bezahlt. Null! Die haben über 100 Millionen geerbt und haben null Steuern bezahlt. Aber bei der Arbeitsleistung der Bürger greifen Sie voll zu. Das hat überhaupt nichts mit Leistungsgerechtigkeit zu tun.
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Wir brauchen Entlastung bei den Geringverdienern und bei der Mittelschicht. Es ist allerhöchste Zeit für eine große Steuerreform. Nach unseren Vorschlägen hätte die Krankenschwester, hätte der Busfahrer 100 Euro mehr im Monat, oder Familien mit kleinen und mittleren Einkommen hätten 500 Euro im Monat mehr; das hat das ZEW errechnet. Ich finde, das ist dringend notwendig.
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Zu den Energiekosten, meine Damen und Herren: Das ist ja eine Glanzleistung am Ende Ihrer Regierung. Die Mieterinnen und Mieter tragen alleine die Mehrkosten für den CO2-Preis bei Heizung und Warmwasser. Kalt duschen sollen die Mieter. Das empfehlen die Immobilienlobby und Leute aus Ihrer Fraktion, Frau Merkel. – Ist sie verschwunden? Ein bisschen früh.
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Ich finde, das ist eine Unverschämtheit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Wort zur Klimapolitik. Die Bundeskanzlerin hat gesagt: Klimawandel funktioniert nur, wenn die Menschen mitgenommen werden. – Was ist denn die Realität? Familien zahlen in diesem Jahr 600 Euro mehr für Energie. Aber Ihr Versprechen war doch, mit der Klimapolitik die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten. Wo ist denn die Entlastung? Den Strompreis wollten Sie senken. Aber in Deutschland wird ein um 30 Prozent höherer Strompreis als sonst in Europa gezahlt. Was ist denn das für eine Politik von Herrn Altmaier? – Gute Besserung im Übrigen!
Ich habe den Verkehrsminister gefragt, wie hoch denn aufgrund der CO2-Bepreisung seit Januar die Emissionssenkung ist: bis 2025 2,5 Prozent. Na Donnerwetter! Sie verbessern die Situation in fünf Jahren um 2,5 Prozent, und dafür ziehen Sie den Leuten beim Tanken und beim Heizen das Geld aus der Tasche. Ihre Klimapolitik ist ineffizient, und sie ist teuer, meine Damen und Herren.
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Und der Verkehrsminister hat noch etwas geantwortet. Der Güterverkehr wird nicht schrittweise von der Straße auf die Schiene verlegt, nein. Man könnte es ja annehmen, wenn man die Pariser Klimaziele erreichen will. Nein, es geht genau in die andere Richtung: neue Rekorde auf der Straße und Rückgang auf der Schiene.
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Brummis runter von der Straße und Masterplan für den Güterverkehr, das wäre die richtige Maßnahme für das Klima, meine Damen und Herren.
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Aber es geht natürlich nicht, wenn die CSU das Verkehrsministerium seit zwölf Jahren führt. Bahnkunden, Autofahrer und Radfahrer haben was Besseres verdient als die CSU, meine Damen und Herren.
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Ich will eine Bemerkung zum Thema Afghanistan machen, weil das hier noch mal eine große Rolle spielt, und ich will daran erinnern: Gerhard Schröder und Joschka Fischer haben Deutschland in diesen Krieg geführt.
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Der Einsatz ist der schwärzeste Punkt in Ihrer außenpolitischen Bilanz, Frau Merkel. Keines der Ziele, das in den Mandatsbegründungen steht – und ich kann Ihnen nur empfehlen, die alle noch mal zu lesen –, wurde erreicht, meine Damen und Herren.
Ich will an dieser Stelle noch einmal sehr, sehr deutlich sagen: Nicht die Partei, die 20 Jahre gegen den Krieg war und die sich im Übrigen hier im Bundestag für die frühzeitige Evakuierung eingesetzt hat, gemeinsam mit Grünen und sogar mit der FDP,
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ist verantwortungslos, sondern andere haben außenpolitisch und sicherheitspolitisch verantwortungslos agiert. Diejenigen, die 20 Jahre das Leben von Soldaten gefährdet haben, was zu Toten geführt hat, die sind verantwortlich.
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Und wenn Herr Grosse-Brömer sagt, wir hätten die Rettungsflüge abgelehnt, ist das einfach mal völlig falsch. Wir haben das hier beantragt; Sie haben es abgelehnt.
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Und dann haben Sie hier ein schludriges Mandat vorgelegt, dem man nicht zustimmen konnte. Wir wollten so viel wie möglich evakuieren. Das wollen wir im Übrigen noch heute. Ihre Bilanz ist doch verheerend: 138 Ortskräfte. Und da tun Sie sich noch dicke! Das Gegenteil ist der Fall: Verantwortungsvolle Politik läuft anders.
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Und wenn es ein Ergebnis gibt, dann muss man darüber eines ganz klar sagen: Interventionen und Beteiligungen an Eskalationen, das ist nun wirklich dramatisch gescheitert.
Und da auch eine Erinnerung an Ihre Legislatur: In diesen vier Jahren haben Sie Rüstungsexporte für 22,5 Milliarden genehmigt. Sie exportieren den Tod, und die Konzerne verdienen blutige Profite mit diesem Geld. Das ist inakzeptabel! Rüstungsexporte auch nach Afghanistan und nach Pakistan – das geht so nicht, meine Damen und Herren.
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Ich sage Ihnen ganz klar: Wir wollen nicht, dass Deutschland mit Herrn Laschet – er ist auch schon gegangen; wenn ich rede, gehen hier alle; was ist denn das für ein Zeichen? –, mit Herrn Merz, mit Herrn Scheuer oder auch mit Herrn Lindner den Weg zurück in die neoliberale Mottenkiste geht. Wir machen eine Politik für Millionen und nicht für Millionäre.
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Millionen im Land würden von einem höheren Mindestlohn von 12 oder 13 Euro profitieren. Millionen, darunter Krankenschwestern und Paketboten, würden mit unserem Steuerkonzept deutlich entlastet, meine Damen und Herren. Endlich würden wir eine Kindergrundsicherung durchsetzen können, damit Kinderarmut ernsthaft bekämpft wird, gemeinsam mit Grünen und Sozialdemokraten.
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Millionen Rentnerinnen und Rentner müssten nicht mehr um ihr Auskommen bangen, meine Damen und Herren, weil alle einzahlen müssen, auch Sie hier. Alle müssen in die Rentenkasse einzahlen.
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Ja, am 26. September geht es um eine Richtungsentscheidung. Ich sage ganz klar: Die staatspolitisch verwahrloste Union – Maskendeals, Aserbaidschan-Affäre, FC eigene Tasche; wiederhole ich hier gerne – muss raus aus der Regierung.
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Die Bürgerinnen und Bürger wollen keine Unionsregierung mehr, und die wollen auch nicht, dass eine FDP in die Regierung kommt, die am 5. Februar 2020 noch von Herrn Höcke in Thüringen mitgewählt wurde.
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Die Frage ist ganz einfach: Linke oder Lindner? Es ist die Frage, ob SPD und Grüne real ihr Wahlprogramm umsetzen wollen.
Ich will zum Schluss gerne den Satz von Christian Lindner abgewandelt wiederholen: Es ist besser, gut mit der Linken zu regieren, als falsch mit Lindner zu regieren.
({37})
Unser Land braucht einen Politikwechsel, eine soziale Regierung. Das ist unser Angebot an die Bürgerinnen und Bürger.
Herzlichen Dank.
({38})
Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Annalena Baerbock, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Es ist ja verlockend, im Wahlkampf jetzt, drei Wochen vor der Bundestagswahl, zu versprechen: Keine Sorge, es wird alles so bleiben wie bisher. – Aber die Menschen in unserem Land wissen doch, dass wir nur dann das erhalten können, was uns lieb und teuer ist, wenn wir endlich Veränderung angehen,
({0})
wenn wir uns endlich den großen Herausforderungen unserer Zeit aktiv stellen und nicht weiter abwarten.
Diese Bundestagswahl – Frau Bundeskanzlerin, Sie haben das sehr treffend gesagt – ist eine Richtungswahl. Diese Bundestagswahl ist eine Richtungswahl, weil sich entscheidet, ob die nächste Bundesregierung noch aktiv Einfluss auf die Klimakrise nehmen kann oder nicht.
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Deswegen muss die Frage des Klimaschutzes im Mittelpunkt der nächsten Bundesregierung stehen.
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Ich finde es nicht nur befremdlich, sondern ich finde es mit Blick auf all die Menschen in unserem Land, die gerade im Ahrtal und an anderen Orten alles tun, um Wiederaufbau zu leisten – Friseure, Handwerker, die unter der Woche arbeiten und am Wochenende kommen und freiwillig helfen, Häuser wiederaufzubauen –, auch wirklich unverantwortlich, dass wir hier in dieser Debatte zur Lage Deutschlands in dieser Situation zwar darüber sprechen, dass 30 Milliarden Euro für den Wiederaufbau bereitgestellt werden – das geschieht zu Recht, das unterstützen wir aus vollem Herzen –, dass wir aber nicht zur Kenntnis nehmen, dass diese 30 Milliarden Euro nichts an der Notwendigkeit ändern werden, in Zukunft bessere Vorsorge für den Fall, dass solche Extremwetterereignisse wiederkommen, zu treffen und Klimaschutzmaßnahmen zu betreiben. Wenn wir es ernst damit meinen, dass wir über diesen Moment nicht hinweggehen können, weil Menschen alles verloren haben, dann muss Klimaschutz im Mittelpunkt der nächsten Bundesregierung als Klimaregierung stehen.
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Denn wir als Politik haben eine Verantwortung dafür, Menschen zu schützen.
Ich war wie Sie letzte Woche wieder vor Ort. Da stehen einem Bundespolizisten gegenüber und beschreiben noch mal die Situation, dass Helferinnen und Helfer eigentlich vor Ort waren, aber dann der Digitalfunk im Jahr 2021 nicht funktioniert hat. Wir haben erschreckende Berichte darüber gehört, dass Feuerwehrleute gesagt haben: Wir hätten drei Tage früher kommen können, wir hätten Hubschrauber schicken können, aber es hat nicht funktioniert, weil es beim Katastrophenschutz keine gemeinsame Zusammenarbeit mit der Bundesebene gibt. – Und Sie stehen und sitzen hier einige Wochen danach, und dieses ganze Thema „Wie wappnen wir uns zukünftig gegen diese Katastrophen?“ spielt hier absolut keine Rolle. Das schützt unsere Sicherheit in Zukunft nicht.
({4})
Wir brauchen endlich eine Klimapolitik, die auf Vorsorge und Schutz aufgebaut ist. Das bedeutet auch: Wir brauchen ein Bundesamt für Bevölkerungsschutz, das hier Verantwortung übernimmt, weil verantwortungsvolle Politik bedeutet, dass man aufgrund eines solchen Tages seine Politik ändert, wenn man sieht, dass seine Politik in die Sackgasse geführt hat.
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Was denn sonst sollen wir tun, wenn wir erleben, dass Extremwetterereignisse zunehmen? Was denn sonst sollen wir tun, wenn wir erleben, dass halb Südeuropa abbrennt, dass jetzt in New York Wasserfluten in U‑Bahn-Schächte stürzen? Das ist doch der Punkt, wo man handeln muss und wo man nicht sagen darf: Wir machen einfach weiter wie bisher, und dann schauen wir mal. – Das ist das größte Risiko unserer Zeit und deswegen die zentrale Aufgabe für unsere Generation.
({6})
Ja, wir sind in einem Wahlkampf, Herr Scholz und Herr Laschet. Aber Wahlkampf heißt doch nicht, über die Sorgen der Menschen einfach hinwegzugehen. Nicht nur von jungen Menschen bei Fridays for Future, die auf die Straße gehen, sondern auch von Psychologinnen und Psychologen, von Erzieherinnen und Erziehern hört man, dass Kinder sich Sorgen darüber machen: Wie werde ich eigentlich in Zukunft in diesem Land leben?
({7})
Was passiert eigentlich, wenn meine Kita gerade weggespült wurde? Diese Frage hören Erzieherinnen und Erzieher jetzt in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz. Sie können angesichts der Ängste dieser Kinder doch nicht einfach sagen: Versteht doch bitte, unsere Angst über eine Benzinpreisdebatte ist noch viel größer. – Nein, wir sind die Erwachsenen.
({8})
Wir sind die Politikerinnen und Politiker, die sagen: Wir werden alles dafür tun, diese Ängste zu nehmen.
Denn diese Ängste sind real. Ein Kind, das 2018 geboren ist, erlebt nicht nur einmal in seinem Leben ein Jahrhunderthochwasser, sondern nach all den Prognosen, die wir derzeit haben, werden diese Hochwasser alle zehn Jahre kommen, diese Sturzfluten alle paar Jahre kommen.
({9})
Deswegen ist es jetzt Zeit, das politisch zu verändern.
({10})
Sie von der FDP und von der CDU sagen dann: Das soll mal der Markt regeln. – Vielleicht haben Sie heute die Zeitung aufgeschlagen; in der „SZ“ wurde das noch mal berechnet: Wenn das allein der Markt regeln soll, dann kostet die Tonne CO2 2 800 Euro. Das ist zutiefst sozial ungerecht. Die Klimakrise wird durch keinen Markt geregelt, weil dem Markt Menschen herzlich egal sind.
({11})
Es braucht eine Politik, die sagt: „Wir machen das jetzt“, anstatt 17 Jahre weiter in der Kohle drinzubleiben. 17 weitere Jahre!
({12})
Da unterscheiden Sie von der CDU und der SPD sich an keiner Stelle.
Herr Scholz, Sie reden ja oft von Respekt. Aber wie respektvoll ist es, in die Lausitz zu fahren und zu sagen: „Ich werde weiter für den Kohleausstieg 2038 eintreten“, und ein paar Tage später dann bei den Umweltverbänden zu sagen: „2034 wäre eigentlich auch ganz in Ordnung“? Das ist für mich kein Respekt, sondern das zeugt davon, dass es keinen Kurs in der Klimapolitik gibt bei der SPD und bei Ihnen, wenn Sie dieses Land anführen wollen.
({13})
17 Jahre Weiter-so! Sie haben ein Klimaschutzgesetz beschlossen, wo richtigerweise drinsteht: Wenn ein Sektor das Ziel nicht erreicht, dann muss man schauen, wie das in einem anderen Sektor geregelt wird. – Wenn Sie 17 Jahre lang weiter CO2 aus der Kohleverstromung akzeptieren wollen, dann ist das so viel CO2, wie alle Gebäude zusammen erzeugen. Erklären Sie mal den Mieterinnen und Mietern, dass die jetzt die ganzen Klimaaufgaben übernehmen sollen, weil Sie nicht den Mut haben, den Kohlausstieg endlich auf 2030 vorzuziehen!
({14})
Das Dramatische an der Situation und der Grund dafür, weswegen wir jetzt nicht mit einem Fingerschnipsen diese Klimaneutralität erreichen können, ist, dass Sie acht Jahre als Große Koalition dieses Land regiert haben in einer Zeit der Vollbeschäftigung, der guten und sprudelnden Steuereinnahmen, niedrigster Zinsen, aber einfach diese Chance nicht genutzt haben. Sie haben es auf gut Deutsch vermasselt, den Weg zur Klimaneutralität endlich zu beschreiten.
({15})
Da ist es schön, dass Sie jetzt sagen: Wir reden, seitdem der Wahlkampf begonnen hat, auch mit Stahlkonzernen und Chemiekonzernen darüber, wie die das eigentlich sehen.
Wissen Sie, die deutsche Industrie ist schon seit ein paar Jahren deutlich weiter als diese Bundesregierung.
({16})
Der BDI hat auf seiner Jahrestagung deutlich gemacht: Die fehlende Planungssicherheit, weil es keine Richtungsentscheidung von der Großen Koalition gegeben hat, ist eins unserer größten Probleme für den Zukunftsstandort Deutschland. Ich zitiere hier mal Herrn Russwurm:
Es reicht nicht, Klimaneutralität per Gesetz vorzuschreiben. Die Politik muss auch dringend etwas dafür tun, dass das Ziel erreicht werden kann, und politische Entscheidungen treffen …
({17})
Genau darum geht es jetzt: nicht Klimaschutz auf Plakate zu schreiben, sondern politische Entscheidungen zu treffen. Das heißt, 2 Prozent der Landesfläche für Windkraft zu nutzen. Das bedeutet, den Kohleausstieg vorzuziehen und ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos neu zuzulassen.
({18})
Und es bedeutet auch eine Solarpflicht für jedes neue Dach. Dass Sie selbst einen Antrag hierzu im Deutschen Bundestag nicht zugelassen haben bzw. über die Geschäftsordnung weggewischt haben, zeigt: Wenn die Große Koalition – angeführt von Ihnen, Herr Scholz, oder von Ihnen, Herr Laschet – demnächst hier weiterregieren würde, dann würde das mit den Klimaschutzzielen einfach nichts werden.
({19})
In einer Situation, in der wir finanziell eben nicht mehr so gut dastehen wie in den letzten Jahren, müssen wir jetzt klare Prioritäten setzen. Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben von den gleichwertigen Lebensverhältnissen gesprochen. Ja, das steht in unserem Grundgesetz; das ist eine der zentralen Aufgaben der Politik. Aber wenn wir mal genauer hinschauen, dann sehen wir, dass es in unserem Land ein riesengroßes Problem gibt, dass wir eben nicht nur in ländlichen Regionen kein Internet haben, sondern in ganz, ganz vielen Teilen unseres Landes.
Bei der Digitalisierung, dem Zukunftsthema nicht erst seit heute, sondern seit den letzten zehn Jahren, sind wir auf der Liste der 20 größten Industrienationen auf dem drittletzten Platz. Das ist die Regierungsbilanz von acht Jahren Großer Koalition bei der Digitalisierung.
({20})
Im Schienenbereich sind mittlerweile jede sechste Weiche, jede sechste Brücke und jedes sechste Gleis reparaturbedürftig, und jetzt sprechen Sie über Modernisierung. Die Modernisierung hätten Sie in den letzten acht Jahren angehen müssen.
({21})
Wenn Sie dieses Weiter-so nicht einfach hinnehmen wollen, dann müssen Sie sich jetzt klar entscheiden und priorisieren. Sorgen wir jetzt für gleichwertige Lebensverhältnisse! Investieren wir jetzt in unsere Infrastruktur! Oder wollen wir weiter hinnehmen, dass wir in unserem Land einen Investitionsstau von 140 Milliarden Euro haben?
({22})
Ich will das nicht! Ich möchte, dass man auch im ländlichen Raum mobil unterwegs ist. Ich möchte, dass wir an allen Orten in unserem Land vernünftige Schulen und schnelles Internet haben. Deswegen braucht die Schuldenbremse eine Erweiterung durch eine Investitionsregel.
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Dass Sie sich als Finanzminister auch weiterhin dagegenstellen, zeigt, dass der Respekt vor der Zukunft offensichtlich nicht so groß ist.
All diejenigen, die wirklich mal im Land unterwegs sind, erleben doch, was es bedeutet, wenn wir nicht in unsere Daseinsvorsorge investieren: Grundschülerinnen und Grundschüler, die in der dritten, vierten Klasse noch nicht schwimmen können, weil im ländlichen Raum die Schwimmbäder zumachen. Ebenso bei Kunst und Kultur: Alle haben gesagt: „Ja, irgendwie ist das systemrelevant“; aber genau da wird jetzt gespart werden, wenn wir die Investitionen eben nicht bereitstellen.
Dass Sie als Union in so einer Situation mit Ihren Steuervorschlägen vor allen Dingen die reichsten 10 Prozent entlasten wollen, anstatt in die Daseinsvorsorge und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu investieren, zeigt auch, für welche Richtung Sie sich in Zukunft entscheiden.
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Da hilft es aber auch wenig, dass Ihnen, Herr Scholz, jetzt einfällt, dass wir eine Kindergrundsicherung brauchen. Wir haben das hier im Deutschen Bundestag in all den Jahren immer wieder diskutiert. Es war Ihr Ministerium, das im Familienausschuss immer wieder deutlich gesagt hat: Ach nee, Kindergelderhöhung, darüber reden wir mal; aber die Frage von Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze, das gehen wir nicht an.
Jede Mutter, die von den Hartz-IV-Kinderregelsätzen lebt, weiß, wie es ist, wenn man als Familie an so einem schönen Sommertag feststellen muss: Eis ist nicht drin, Schwimmbad ist nicht drin, die neuen Fußballschuhe sind auch nicht drin. – Denn das, was Ihre Kinder- und Familienpolitik bisher war, bedeutet für jedes fünfte Kind in diesem Land, dass die Mutter für ihr Kind 1,50 Euro zur Verfügung hat. Das reicht vorne und hinten nicht aus.
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Weil wir gerade bei Steuern und Gerechtigkeit sind: Wer ausgerechnet den Kampf gegen Steuerbetrug lieber weiter mit Fax und Brief führen will, den frage ich wirklich ernsthaft: Welcher Gesellschaft will er eigentlich dienen?
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Dass Sie sich aus Angst vor einer dicken, fetten Schlagzeile in einer großen Zeitung genau in diesem Moment auch als Finanzminister wegducken, zeigt, dass Sie offensichtlich aus Warburg und Wirecard nicht wirklich etwas gelernt haben.
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Den Amtseid, den einige von Ihnen schon ein paarmal hier geschworen haben, aber dessen Bedeutung Sie mittlerweile vielleicht vergessen haben, heißt: „meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen“ und „Schaden von ihm wenden“. Schaden von ihm zu wenden, bedeutet, vorzusorgen, eine vorausschauende Politik zu machen: beim Klimaschutz, bei der Frage der Gerechtigkeit und vor allen Dingen auch mit Blick auf den Kampf gegen die Pandemie.
Wir stehen gerade wieder vor einem Coronaherbst. Wir sehen, dass die Infiziertenzahlen massiv nach oben steigen wie auch die Hospitalisierungsquote. Wir haben Krankenschwestern, Pflegern und Ärzten gesagt: Es wird nicht noch einmal passieren, dass wir hier klatschen und ihr Tag und Nacht durcharbeiten müsst. – Und was passiert jetzt? Es müsste jetzt von dieser Bundesregierung, von CDU und SPD, eine Entscheidung getroffen und gesagt werden: Wir rauschen nicht noch mal in so einen Coronaherbst rein.
Da bringt es nichts, zu sagen: „Ich verspreche: Die Schulen bleiben offen!“ und: „Ich verspreche: Es wird keinen weiteren Lockdown geben!“, sondern Ihre Aufgabe ist, jetzt dafür zu sorgen, dass das auch so kommt. Das heißt, in einem solchen Moment den Mut zu haben, zu sagen, dass es an Hotspots natürlich eine 2‑G-Regelung geben muss, damit die Schulen in Zukunft auch wirklich offen bleiben und die Kinder nicht in die achten Ferien rauschen, in denen es heißt: O Gott, jetzt haben wir wieder einfach nichts getan.
({28})
Wenn Schülerinnen und Schüler zweimal die Woche getestet werden, warum soll das nicht auch am Arbeitsplatz möglich sein? Diese Debatte hatten wir schon mal in diesem Hohen Haus. Nach anderthalb Jahren ist es an der Zeit, dass das endlich umgesetzt wird.
({29})
Dann hatten Sie gesagt, Sie wollten jetzt in den drei Stunden auch über Afghanistan und eine verantwortungsvolle Außenpolitik diskutieren. Das war das Argument von CDU und SPD, warum sie den TOP „Afghanistan“ per Geschäftsordnung hier nicht zugelassen haben. Und dann ist es doch ein ganz schön starkes Stück, dass Sie sich hierhinstellen – auch Sie, Herr Scholz – und nichts zu diesem Thema sagen,
({30})
dass Sie nichts dazu sagen, was in den letzten Wochen in dieser Bundesregierung eigentlich schiefgelaufen ist.
Seit der letzten Afghanistan-Debatte sind ja noch neue Dinge an das Licht der Öffentlichkeit gekommen: dass Sie die Listen, von denen wir hier vor Wochen gesprochen haben, gar nicht weitergegeben haben, dass Menschen angerufen worden sind, vor dem Flughafen standen, aber dann nicht auf der Liste standen, um durchzukommen. Stattdessen wurden diese Listen mit Namen von Menschen, die in Lebensgefahr schweben, irgendwie an die Taliban gegeben. Dass Sie darüber hier und heute nicht reden wollen, das ist einfach unverantwortlich.
({31})
Es geht dabei nicht nur um die zukünftige Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Es geht auch um die Frage: Welche Art von Politik wollen wir eigentlich machen? Eine Politik, bei der sich die Regierung in schwierigen Momenten einfach wegduckt, eine Politik, bei der sich eine Große Koalition hinstellt und sagt: „Mit dem Parlament möchten wir darüber jetzt nicht diskutieren“? Das ist nicht nur eine unverantwortliche Außenpolitik, sondern das zeigt auch, dass man keinen Respekt vor diesem Hohen Haus hat. Und dass die Verteidigungsministerin jetzt alleine eine Löschung von Unterlagen in ihrem Haus untersagt, Sie aber nicht bereit sind, einen entsprechenden Antrag hier im Deutschen Bundestag zu beschließen, das ist wirklich ein Unding.
({32})
Ja, Sie können das per Geschäftsordnung hier von der Tagesordnung streichen, aber Sie können Ihre Verantwortung beim Afghanistan-Debakel nicht einfach wegwischen. In der nächsten Legislaturperiode wird es einen Untersuchungsausschuss dazu geben,
({33})
und zwar nicht nur, um die Fehler aufzuarbeiten, sondern auch, weil Deutschland endlich wieder eine aktive deutsche Außenpolitik braucht. Dieses Wegducken in der Afghanistan-Politik ist doch ein Spiegel dessen, was in den letzten acht Jahren in Europa passiert ist.
Deutschland ist das stärkste Land in der Europäischen Union. Deutschland ist das Land, das immer wieder sagt: Wir wollen Europa weiterbauen. – Auf Ihrem eigenen Koalitionsvertrag – das haben Sie in den letzten vier Jahren offensichtlich vergessen – stand als Titel: „Ein neuer Aufbruch für Europa“. Was ist dann passiert? Als Herr Macron gesagt hat, wir müssen jetzt den globalen Kampf gegen Steuerbetrug mithilfe einer Digitalsteuer angehen, haben Sie, Herr Scholz, gesagt: Ach nee, lassen wir das lieber mal sein. – Jetzt sind Sie mit reichlich Verspätung nachgetrödelt, und die Franzosen haben das erst einmal alleine gemacht.
({34})
Als die EU-Kommissionspräsidentin – sie ist von der Union – gesagt hat, Europa solle der erste klimaneutrale Kontinent werden, fiel Ihnen nichts Besseres ein, als in Brüssel dafür zu lobbyieren, dass dies mit Blick auf die Autoabgasgrenzwerte nicht so schnell gemacht wird. Jetzt macht Daimler das halt allein und stellt ab 2025 fast nur noch E-Autos her.
({35})
Das Heftigste – ich komme zum Schluss, Herr Präsident – ist bei der europäischen Flüchtlingspolitik passiert.
({36})
Humanität und Ordnung sind die Pfeiler unserer gemeinsamen Werteunion. Was haben Sie vier Jahre lang gemacht? Sie haben sich hinter Viktor Orban versteckt und gesagt: Solange der sich nicht bewegt, bewegen wir uns auch nicht. – Europa wurde immer weitergebaut, indem einige sich zusammengetan haben: beim Euro, bei Schengen, bei der Osterweiterung. Genau dies brauchen wir jetzt wieder: ein Deutschland, das Europa politisch führt und sich nicht hinter Viktor Orban versteckt.
({37})
Frau Kollegin.
Ich komme zum Schluss.
Ja, ich bitte darum.
Von Ihrem groß angekündigten Aufbruch für Europa ist nichts übrig geblieben außer einer Reise meiner beiden Mitbewerber diese Woche nach Paris, um das Letzte noch zu retten.
({0})
So gestalten wir keinen Aufbruch in Europa, und so wird es auch mit dem Klimaschutz nichts. Wir brauchen eine Regierung, die Verantwortung übernimmt, die Mut für Neues hat, die klimagerechten Wohlstand in Deutschland und eine gemeinsame Zukunft in der Europäischen Union anstrebt.
Herzlichen Dank.
({1})
Jetzt erteile ich das Wort dem Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeskanzlerin hat heute diese Debatte eröffnet, und sie hat einen Vergleich gezogen zwischen dem Jahr 2005 und dem Jahr 2021.
({0})
– Ja, ich verstehe, dass Sie da „Oijoijoi“ sagen. Denn bis 2005 hat Rot-Grün regiert.
({1})
Die Bilanz waren 5 Millionen Arbeitslose. Wir hatten ein geringeres Bruttoinlandsprodukt. Deshalb ist es gut, einmal daran zu erinnern, dass wir zuletzt 16 gute Jahre für Deutschland erlebt haben.
({2})
Wenn jetzt, mitten in der Pandemie, 2,6 Millionen Menschen ohne Arbeit sind und es damals 5 Millionen waren,
({3})
dann heißt das: Es gibt weniger Armut. Armut bei Kindern hängt auch davon ab, ob Eltern Arbeitsmöglichkeiten haben.
({4})
Deshalb ist das Erste: Wir müssen für mehr Arbeitsplätze sorgen.
Das Zweite ist: Sie malen hier düstere Bilder von Umwelt- und Klimapolitik. Vor 16 Jahren kamen knapp 10 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien. Heute sind es 46 Prozent.
({5})
In diesen Jahren ist viel bewegt worden. Deshalb ist es richtig, dass wir an dieser Stelle der Bundeskanzlerin danken. Sie hat dieses Land gut durch viele Krisen geführt, und all Ihre Schwarzmalerei hat wenig mit dem zu tun, was in diesen 16 Jahren geleistet worden ist.
({6})
Es gibt immer diesen netten Spruch: Ja, warum wollt ihr jetzt was Neues machen? Ihr hattet doch 16 Jahre Zeit.
({7})
Was ist denn bei der Digitalisierung passiert? Christian Lindner hat das ein wenig angedeutet.
({8})
– Ja, die Wahrheit. Wenn Sie „Wahrheit“ rufen, bin ich immer skeptisch.
({9})
2005 hat Netflix per Post DVDs verschickt.
({10})
Die Welt hat sich seither ein wenig verändert. Jetzt, im Jahre 2021, zu kritisieren, wie man 2005 reagiert hat, ist einfach unseriös.
Wir alle haben in dieser Pandemie gemerkt, dass Bund, Länder und Kommunen auf die Herausforderungen unserer Zeit nicht richtig eingestellt sind. Wenn die Gesundheitsämter mit Faxen arbeiten,
({11})
ist es Aufgabe der Kommunen, dies zu ändern. Wenn die Länder nicht schnell genug sind bei der Bildung, Frau Baerbock, ist das eine Länderaufgabe. Aber immer so zu tun, als sei diese Bundesregierung an allem schuld, ist falsch. In elf Ländern regieren Sie mit, und wenn es da nicht gut läuft, sind Sie auch dafür verantwortlich. Man kann sich nicht immer aus der Verantwortung herausziehen.
({12})
Natürlich ist nach 16 Jahren jetzt vieles neu zu gestalten. Wir stehen an einer Epochenwende. Wir alle spüren das. Europa ist unter Druck gekommen. Europa hat in der Pandemie gemerkt, wie abhängig man von einer fremden Macht war, selbst bei simpelsten medizinischen Gütern.
({13})
Insofern wird unsere europäische Welt mit einem wertebasierten Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell jetzt die Gestaltung der Zukunft auf sich nehmen müssen. Das geht nur europäisch. Wir brauchen einen Zusammenschluss Europas, um für unser Menschenbild einzutreten: gegenüber China, einem Herausforderer, gleichzeitig Systemrivale und Partner, auch gegenüber anderen in der Welt. Das ist eine der großen Aufgaben, die wir jetzt anpacken müssen.
Das Gleiche gilt für den Klimawandel. Wir können hier über kleinteilige Maßnahmen diskutieren. Wir als Deutschland werden auch unseren Teil leisten müssen. Aber wir werden diese große Aufgabe nur als globale Aufgabe, als Klimaaußenpolitik, bewältigen. Da werden wir auch mit Ländern reden müssen, die unser Menschenbild nicht teilen: mit Russland, mit China, mit der arabischen Welt. Nur wenn wir hier zu mehr Gemeinsamkeiten kommen, werden wir diese Menschheitsaufgabe lösen. Deshalb rate ich uns, etwas von diesem Klein-Klein wegzukommen und uns dieser großen Aufgabe anzunehmen, die jetzt in den nächsten zehn Jahren vor uns liegt.
({14})
Wir müssen – zu der Frage der äußeren Sicherheit und zu der Frage der inneren Sicherheit will ich nachher noch kommen – mit all unseren Prozessen im Land schneller werden. Der Finanzminister hat hier eben gesagt, wir müssten mehr Wohnungen bauen. Ja, das stimmt. Wir müssten mehr Wohnungen bauen.
({15})
Sie haben die Zeit von Helmut Kohl gewürdigt, in der mehr Wohnungen gebaut worden sind. Aber, sehr verehrter Herr Scholz, glauben Sie allen Ernstes, man kriegt das mit mehr Vorschriften, mehr Blockaden, mehr Regeln hin?
({16})
Rot-rot-grüne Berliner Wohnungsbaupolitik: Zum ersten Mal seit 2009 sind weniger Wohnungen gebaut worden.
({17})
Glauben Sie, mit dieser Methode würden Sie mehr Wohnungen in Deutschland bauen? Das ist doch eine absurde Vorstellung.
({18})
Die Bauvorschriften damals waren ganz andere. Jedes Jahr werden neue Dinge draufgelegt. In Ihren Wahlprogrammen stehen eine Menge neuer Vorschriften, die jetzt alle kommen sollen. Sie müssen aber jemanden, der Geld investiert, ermutigen, dass er das in Wohnungen steckt. Es muss attraktiv sein, zu bauen.
({19})
Bei aller Liebe, sehr verehrter Herr Scholz, man kann nicht mit der Raute durch die Gegend laufen und reden wie Saskia Esken. Das passt einfach nicht zusammen.
({20})
Das Gleiche gilt für die Wirtschaftspolitik. Wir haben in der Pandemie mit vielen Milliarden – Sie haben das erwähnt – die Kurzarbeit bezahlt, wir haben Unternehmen Hilfe gegeben, damit sie gut durch die Krise kommen. Das war übrigens möglich, weil wir davor eine Politik gemacht haben, die der Herr Präsident noch als Finanzminister verantwortet hat: die Politik der Schuldenbremse und der schwarzen Null.
({21})
Weil wir in guten Zeiten Rücklagen gebildet haben, konnten wir, anders als viele andere europäische Länder, in der Krise helfen.
Ihr Parteivorsitzender Herr Walter-Borjans – ich kenne ihn aus Nordrhein-Westfalen –
({22})
hat gesagt: „Die Schuldenbremse ist der Fetisch von Wolfgang Schäuble. Der ist falsch; Schulden sind gut.“ – Dazu kamen so dolle Sätze wie: Die Schulden von heute sind die Steuerkraft von morgen. – Die Politik, die wir gegen Sie durchgesetzt haben, hat dazu geführt, dass wir solide gehaushaltet haben. Ich fürchte, wenn die Union nicht mehr da ist, wenn Sie keinen Kanzler mehr vor sich haben,
({23})
der auf Sie achtet, dann werden Sie wieder Schulden machen, und dann werden Sie wieder Steuern erhöhen, wie wir das von Ihnen kennen.
({24})
Deshalb gehört in den Dank an die Bundeskanzlerin natürlich auch, dass sie in diesen 16 Jahren 12 Jahre gut auf die Sozialdemokraten aufgepasst hat.
({25})
Das war eine große Leistung.
Die Philosophie nach der Krise muss doch sein: Wir kommen nur zu wirtschaftlichem Wachstum, wenn wir Fesseln wegnehmen, wenn wir Bürokratie wegnehmen, wenn wir Freiräume schaffen, damit investiert werden kann, und wenn wir all denen, die jetzt darauf warten, wieder zu investieren, nicht das Geld entziehen, das sie für Investitionen brauchen.
({26})
Wir alle haben doch vor der Pandemie diese Lehre gezogen; mich wundert, dass man das so schnell vergessen kann.
({27})
Jahrelang ging es ohne neue Steuererhöhungen. Jedes Jahr im Frühjahr kam die Steuerschätzung, und am Ende des Jahres gab es immer mehr Steuereinnahmen, weil die Wirtschaft brummte, weil die Menschen Beschäftigung hatten, weil die Arbeitslosigkeit niedrig war und viele Menschen Steuern gezahlt haben.
({28})
Wie kann man das so schnell vergessen? Warum macht man jetzt wieder die gleichen Fehler, die man davor gemacht hat? Steuern erhöhen und Schulden machen, das ist der falsche Weg!
({29})
Eine Bemerkung zu Ihnen, Frau Baerbock. Sie haben über Verlässlichkeit in der Politik gesprochen. Sie haben dem SPD-Kanzlerkandidaten vorgeworfen, dass er in der Lausitz von einem Kohleausstieg im Jahr 2038 spricht und in anderen Regionen andere Daten nennt. Das ist vielleicht sogar ein berechtigter Punkt.
({30})
Aber eines ist unredlich – und da haben die Grünen am allerwenigsten Grund, hier moralisch so überheblich aufzutreten –:
({31})
Diese Große Koalition hat als erste eine Kohleausstiegskommission eingesetzt und den Kohleausstieg eingeleitet. Das ist das Erste, was man hier einmal feststellen muss. Diese Kommission sollte einen gesellschaftlichen Konsens erzielen,
({32})
mit Gewerkschaften, Arbeitgebern, Wissenschaftlern wie Professor Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und allen Umweltverbänden, die daran beteiligt waren. Sie sollten die Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit von Strom prüfen und sind zum Enddatum 2038 gekommen.
({33})
– Sie sind zum Enddatum 2038 gekommen. Lassen Sie sich mal von Michael Vassiliadis und anderen die letzte Nacht schildern. Eine einzige Gegenstimme gab es gegen dieses Datum. Sie kam von einer Bürgermeisterin aus dem Osten, weil es um eine Umsiedlung ging.
({34})
Alle anderen 27 haben Ja gesagt. Sie haben dann ein Minderheitsvotum abgegeben, in dem sie gesagt haben: Wir könnten uns auch 2030 vorstellen.
({35})
Aber im Sinne eines gesellschaftlichen Konsenses, der in einer solchen Frage wichtig ist, haben sie sich für 2038 entschieden.
Jetzt wird man sehen, wie sich der CO2-Preis entwickelt. Vielleicht geht es schneller. Wir in Nordrhein-Westfalen, im Westen, werden schneller sein. Aber in Ostdeutschland hat man bereits 1990 brutalste Brüche erleben müssen. Die Menschen dort haben das Recht darauf, dass, wenn die Politik etwas zusagt, diese Zusage mindestens ein Jahr haltbar ist und nicht direkt infrage gestellt wird, wenn es in die Umsetzung geht. Das ist der Punkt, um den es geht.
({36})
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Baerbock?
Ja.
Frau Baerbock.
Vielen Dank, Herr Laschet. – Da Sie mich direkt angesprochen haben und das ja eine der großen Zukunftsfragen für die nächste Bundesregierung sein wird, möchte ich Sie als Erstes daran erinnern, was in diesem Kompromiss drinstand. Sie haben ja schon mal etwas behauptet, was nicht der Realität entsprach,
({0})
nämlich dass die Umweltverbände am Ausstiegsdatum 2038 schuld sind. Deswegen möchte ich an dieser Stelle einmal sagen, was im Kohlekompromiss drinstand. Wir haben den nämlich hier im Deutschen Bundestag beraten und auch das Gesetz, das Sie dann hier als Große Koalition eingebracht haben. Der Vorschlag der Kohlekommission enthielt Revisionsklauseln, die es ermöglichen, immer wieder zu überprüfen, ob das CO2-Budget noch eingehalten wird oder nicht. Diese Revisionsklauseln haben Sie dann als Große Koalition aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Erste Frage: Wissen Sie das eigentlich? Zweite Frage: Warum sagen Sie dann, der Kohlekompromiss wurde eins zu eins umgesetzt?
Zweiter Punkt. Sie haben, anders als behauptet, als Große Koalition mit beschlossen, dass das Kraftwerk Datteln 4 ans Netz geht.
Das heißt, das, was Sie hier gesagt haben, nämlich dass der Kohlekompromiss hier eins zu eins eingebracht worden sei, stimmt einfach nicht. Da die Bundesregierung selber mit Zahlen aus dem Bundesumweltministerium berechnet hat, dass wir die Klimaziele verfehlen, wäre jetzt doch der Zeitpunkt, zu sagen – das ist das, was die Kohlekommission beschlossen hat –: Wenn wir die Ziele verfehlen, müssen wir den Kohleausstieg vorziehen, weil das ein Kompromiss ist, an den wir uns alle halten.
({1})
Daher meine Frage an Sie: Halten Sie sich an die Zusage, wenn wir die Klimaziele verfehlen, den Kohleausstieg vorzuziehen, so wie es gemeinsam beschlossen worden ist?
({2})
Vielen Dank für die Zwischenfrage, Frau Baerbock, die ja auch einen kleinen Erläuterungsteil enthielt,
({0})
der aber leider nicht stimmte. Ich bedaure, dass die Umweltverbände nicht zu dem stehen, was sie da mit beschlossen haben. Der Abschlussbericht mit dem Datum 2038 wurde mit 27 Jastimmen angenommen.
({1})
Da können jetzt noch so viele Menschen im Netz versuchen, sich davon zu distanzieren. Ich wünsche mir Verlässlichkeit von denen, die so ein Dokument unterschreiben. – Das ist der erste Teil meiner Antwort.
({2})
Der zweite Teil. Ja, es stimmt, es gibt diese Eckpunkte. Natürlich wird jetzt alle paar Jahre – 2023, 2025 usw. – überprüft: Ist das denn umsetzbar? Ist der Strom verfügbar? Wenn man immer neue Ziele und Beschleunigungspfade für den Ausbau der Erneuerbaren festlegt – das ist ja richtig –, dann muss man aber auch die Trassen bauen, dann brauchen wir eine Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren. Meistens ist es Ihre Fraktion, die als Erstes eine Bürgerinitiative gegen eine Trasse gründet.
({3})
Die dritte Bemerkung. Um das ein für alle Mal hier klarzustellen: Sie haben eben die Frage aufgegriffen: Muss man wegen eines solchen Wetterereignisses seine Politik ändern? Diese Wettereignisse – –
({4})
– Ja, Datteln. Das ist jetzt gerade noch mal gerichtlich überprüft worden. Die ursprüngliche Baugenehmigung ist in der Regierungszeit von SPD und Grünen in Nordrhein-Westfalen erteilt worden.
({5})
So viel zu Datteln 4. Vielen Dank, dass Sie mich noch mal an Datteln erinnert haben!
({6})
– Ja, es ist leider so. Das können Sie alles nachprüfen.
Aber jetzt kommt die Kernfrage, die Sie gerade angesprochen haben.
({7})
– Es ist okay; ich rede jetzt mal weiter. – Die Frage, die Sie in Ihrer Rede gestellt haben, war: Muss man eigentlich wegen eines solchen Wetterereignisses die Politik ändern? Diese Wetterereignisse ereilen uns seit Jahren. Junge, aber auch ältere Leute engagieren sich schon länger bei Fridays for Future, sind auf den Straßen. Das Thema Klima hat Klaus Töpfer als Umweltminister bereits 1992 auf die Tagesordnung gehoben.
({8})
Zu dieser Zeit haben Sie sich nicht gegen Kohle engagiert. Das ganze Engagement der Grünen in dieser Zeit, fast 20 Jahre, richtete sich gegen die Kernkraft. Das war die falsche Reihenfolge. Mit Blick auf den Klimawandel hätten wir erst aus der Kohle und dann aus der Kernenergie aussteigen müssen. Das ist etwas, dem man sich stellen muss.
({9})
Aber was ich Ihnen wirklich vorwerfe und was mich ärgert, weil es unseriös ist – 2015 wurde das Pariser Klimaabkommen unterschrieben; jeder weiß, dass Klima ein wichtiges Thema ist –: Sie beschließen in Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit den Sozialdemokraten wenige Monate vor meinem Amtsantritt im Jahr 2016: Wir betreiben Braunkohletagebaue bis 2045. Wir werden den Hambacher Forst roden. – Wir waren es, die dann ausgestiegen sind. Sie haben sich am nächsten Tag, am Tag nach der Wahlniederlage, zu den Barrikaden der anderen Seite gestellt. Das hat mit seriöser Politik nichts zu tun! Überhaupt nichts!
({10})
Jetzt komme ich zu einem zweiten Punkt, der wichtig ist: Wir müssen wieder zu wirtschaftlichem Wachstum zurückkommen. Das geht mit Entfesselung, mit weniger Bürokratie, mit beschleunigten Verfahren, mit Unterstützung für die Familienunternehmen, gerade im ländlichen Raum, die Steuererhöhungen zum jetzigen Zeitpunkt als Gift für Investitionen empfinden würden.
Aber wir müssen auch den Aufstieg durch Bildung unterstützen; Christian Lindner hat über diese Frage gesprochen. Die beste Sozialpolitik ist, Kindern aus Hartz IV herauszuhelfen, Aufstieg möglich zu machen, unabhängig von der Herkunft der Eltern. Deshalb ist der Beschluss des Vermittlungsausschusses vom gestrigen Tag, dass wir auch Ganztagsangebote für das sechste bis zehnte Lebensjahr jetzt als Rechtsanspruch festschreiben, ein so wichtiger. Wir brauchen ein anderes Verständnis von Sozialpolitik.
({11})
Kinder zu stärken, ist das Richtige und nicht staatliche Umverteilung.
({12})
Das ist ein fundamentaler Unterschied.
Wir haben in Nordrhein-Westfalen zusammen mit der FDP in schwierigsten Stadtteilen Talentschulen errichtet –
({13})
Schulen mit besserer Ausstattung, besserer Bildung, besserem Lehrerschlüssel, –
({14})
um Kindern, auch aus Einwandererfamilien, Aufstiegschancen durch Bildung zu ermöglichen. Wir müssen das Erlernen der deutschen Sprache schon im Kindergarten fördern, damit die Kinder jede Aufstiegschance in dieser Gesellschaft haben. Das gilt es übrigens auch anzuerkennen. Das ist der Unterschied zum rechten Teil des Hauses.
Ugur Sahin beispielsweise – er wird immer nur zitiert, wenn es gut läuft – kam hierher, als er vier Jahre alt war, hat kein Wort Deutsch gesprochen. Er hat eine gute Bildung genossen, ist als erstes Kind aus seiner Familie auf das Gymnasium gegangen, hat sein Abitur gemacht, ist seinen Bildungsweg gegangen und hat am Ende für die ganze Welt einen Impfstoff entwickelt.
({15})
Wir brauchen mehr solcher Aufstiegsgeschichten. Ich sage auch dazu: Diese Vielfalt in unserer Gesellschaft muss sich auch in unseren Verwaltungen widerspiegeln,
({16})
muss sich auch in einer Bundesregierung widerspiegeln. Es gibt nicht nur die talentierten Menschen, die Impfstoffe entwickeln; es gibt viele Tausende, die immer noch nicht die Chance haben, ihre Potenziale einzubringen. Auch dafür stehen wir, weil Leistung und Bildungsaufstieg unser Prinzip ist und nicht soziale Umverteilung, wie Sie es in Ihren Programmen fordern.
({17})
Das dritte Thema ist: Wie erreichen wir Klimaneutralität?
({18})
Es ärgert mich, wenn man immer neue Daten in der Zukunft erfindet, was man alles 2045 und dann und dann machen will. Wir brauchen Zielpunkte; da liegen wir auch nicht auseinander. Aber das Kunststück ist doch, die Industrie so umzubauen, damit die Industriearbeitsplätze auch in zehn und zwanzig Jahren noch vorhanden sind, und dafür zu sorgen, dass es dann noch Stahlindustrie, noch Automobilindustrie bei uns gibt. Mich wundert es ja, dass es, obwohl sich die Automobilindustrie so umgestellt hat, wie wir das alle wünschen, ganz auf dem Weg zur Klimaneutralität ist, immer noch Gruppen gibt, die jetzt gegen die IAA in München demonstrieren, sie blockieren, sie stören wollen.
({19})
Ich will, dass es auch in zwanzig Jahren noch Automobilindustrie in Deutschland gibt! Das muss doch die Vorgabe sein!
({20})
Und ich bin froh, dass es diese Ausstellung gibt und dass wir in Deutschland die besten Autos bauen. Dann muss man aber auch die Grenzwerte so festlegen, dass man da mitkommt. Sie können in Brüssel Grenzwerte für die Stahlindustrie beschließen, aber dann ist klar: Dieses Stahlwerk ist dann weder in Salzgitter noch in Duisburg noch im Saarland zu betreiben. Denn wenn Kohle und Eisenerz verbunden werden, wird immer CO2 frei. Das ist ein Naturgesetz. Dass das nicht mehr gilt, können Sie auch nicht mit einer Änderung der Geschäftsordnung im Bundestag beschließen, auch nicht mit Zweidrittelmehrheit.
({21})
Ein Naturgesetz ist ein Naturgesetz.
({22})
Und wenn man will, dass diese Industrien in Zukunft noch hierbleiben, muss man ihnen den Weg dahin ebnen: mit einer Lösung für den Übergang, bis es möglich ist, grünen Stahl zu erzeugen, mit mehr Wasserstoff. Dazu braucht man aber Zeit.
({23})
Wenn sie morgen nach Indien, nach China abwandern, muss der Stahl Zehntausende Kilometer über die Weltmeere transportiert werden, mit hoher CO2-Belastung. Und unsere Klimabilanz ist ganz toll, weil die Stahlproduktion – 6 Prozent – nicht mehr da ist.
({24})
Wir könnten uns brüsten, dass wir eine tolle Klimabilanz haben; aber die Industriearbeitsplätze sind weg.
({25})
Es wundert mich, dass auch die SPD so wenig über dieses Thema spricht.
({26})
Diese Energiewende muss sozialverträglich gelingen. Wir brauchen diese Industriearbeitsplätze, und deshalb brauchen wir einen Prozess hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft: in der Chemie, bei der Automobilindustrie, beim Stahl und in vielen anderen Bereichen mehr.
({27})
Das gelingt aber nur durch Forschung, durch Innovation. Das gelingt nicht, wenn Sie immer neue Auflagen für die Industrie machen; denn die sind auf dem Wege und wollen es leisten. Ich könnte Ihnen jetzt zehn Beispiele nennen, wo das schon sehr konkret passiert.
({28})
Das ist aber nicht mit Verboten zu erreichen.
Ich glaube, dass es im Kern darum geht, wie man es macht. Und dazu braucht man Wirtschaftskompetenz, Kenntnisse, wie ein Unternehmen funktioniert, wie Strukturwandel geht. Strukturwandel geht nicht mit Sprüchen, sondern Strukturwandel geht nur mit der Kenntnis von Prozessen, mit Innovation, mit Investitionen in Batterietechnik, in Grünen Wasserstoff, in klimaneutrale Werkstoffe und, und, und. Und dazu habe ich heute von den freundlichen Wettbewerbern keine Antworten gehört.
({29})
So wird Deutschland jedenfalls nicht Industrieland bleiben, wenn man mit den Konzepten agiert, die Rot-Grün heute hier vorgetragen hat.
({30})
Wir haben heute auch wenig über Digitalisierung gehört. Das ist die große Aufgabe, die jetzt vor uns liegt:
({31})
die Verwaltung so umzubauen, dass sie bürgerfreundlicher wird, dass das Digitale genutzt wird, um Prozesse zu erleichtern.
Und das Dritte, wozu wir überhaupt nichts gehört haben, ist die Frage der Sicherheit in diesem Land. Wenn wir für sozialen Zusammenhalt einstehen wollen, aber merken, dass die Gesellschaft von allen Seiten aggressiver wird – das ist jetzt auch wieder in der Coronapandemie zu spüren –, dann heißt das doch, dass wir diesen Menschen zuhören müssen,
({32})
dass wir ernst nehmen müssen, was sie vortragen, und dass wir darüber nicht so leichtfertig hinweggehen dürfen. Und in der Tat: Man darf es nicht auch noch befeuern.
({33})
Die Millionen Menschen, die sich haben testen und sich danach haben impfen lassen, sind keine Versuchskaninchen. Bitte mäßigen Sie sich in Ihrer Sprache, Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie über diese Dinge reden!
({34})
Wir haben diese Querdenker überall erlebt. Und ich sage Ihnen und Ihrer Partei noch etwas: Wenn ein Querdenker auf die Bühne springt und herumkrakeelt, dann ist es, selbst wenn man diesen Menschen nicht kennt, nicht richtig, ihn gleich von Sicherheitskräften wegbringen zu lassen. Das befeuert doch die Legende dieser Leute, die hier sitzen und die unser Land aufhetzen in diesen Fragen. Deshalb: Zuhören, ernst nehmen, was andere vortragen.
({35})
Und deshalb ist Sicherheit ein ganz wichtiges Thema. Die innere Sicherheit garantiert – –
({36})
– Nein, Frau Hendricks, es darf niemand einfach auf die Bühne springen. Aber die Frage ist, ob es nicht die bessere Antwort ist, den dann zu beruhigen und ihm eine Antwort zu geben, als ihn mit Sicherheitskräften von der Bühne zu beseitigen; das ist die Kernfrage.
({37})
Aber Sicherheit ist mehr.
({38})
Sicherheit ist auch der Kampf gegen Rechtsextremismus. Das ist die größte Bedrohung in diesem Land.
({39})
– Ich weiß nicht, ob Sie das bestreiten, Herr Korte. Aber der Rechtsterrorismus ist die größte Gefahr in diesem Land, weil er Anschläge auf Menschen verübt.
({40})
NSU – das war ein Staatsversagen ohne jeden Zweifel.
({41})
Hier brauchen wir klare Regeln.
Gleichzeitig haben wir inzwischen auch einen fundamentalistischen Terrorismus,
({42})
wir haben Clankriminalität, die die Menschen verunsichert. Deshalb muss man das anpacken. Dazu braucht man eine Haltung, eine klare Haltung.
({43})
Wir haben das in Nordrhein-Westfalen erlebt.
({44})
Anis Amri war ein bekannter Fall: 13 Identitäten, reiste quer durch das Land. Jeder wusste, wer er ist. Er war ständig beobachtet. Und man hat uns dann erklärt: Ja, aber festnehmen kann man den nicht; der ist ja nur ein Gefährder; der hat ja noch nichts gemacht. – So war die Begründung. Man hat auch gesagt: Man kann einen Gefährder nicht abschieben; denn es gibt ja keinen Straftatbestand, den er begangen hat.
({45})
Da hat sich etwas geändert. Jetzt gibt es die Grundhaltung: Es ist möglich, dass jemand, der Gefährder ist, der deutlich macht, er will auch töten und ist bereit zur Gewalt, festgenommen und des Landes verwiesen werden kann.
({46})
Wir sind ein liberales, ein weltoffenes Land, aber wir haben ein Prinzip: Nulltoleranz. Inzwischen sind in Nordrhein-Westfalen seit 2017 auf Grundlage eines Paragrafen, von dem Sie gesagt haben, das ginge gar nicht, 35 Gefährder des Landes verwiesen worden. Wir wollen konsequent sein, damit Sicherheit in diesem Land gelingt.
({47})
Das ist eine Frage, die man jetzt, gerade nach Afghanistan, auch international beantworten muss.
In Frankreich beginnt morgen der wichtige Prozess gegen die mutmaßlichen Attentäter von Paris. Die Anschläge damals haben Frankreich ins Herz getroffen. Ich bin morgen beim französischen Präsidenten; das ist freundlicherweise schon erwähnt worden. An dem Thema können Sie jetzt wieder sehen, dass wir mehr Europa brauchen in der Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung. Die Attentäter kamen durch Deutschland, lebten in Brüssel, fuhren nach Paris
({48})
und haben die Anschläge begangen. Deshalb ist es wichtig, dass wir hier europäisch zusammenarbeiten, dass wir Frankreich, das besonders von Terroranschlägen betroffen war, signalisieren: Wir gehen diesen Weg zusammen. Wir werden gemeinsam in Europa für mehr Sicherheit sorgen. Das ist das Versprechen,
({49})
damit Terrorismus nicht wieder so wüten kann wie im Jahre 2015.
({50})
Das Zweite. Außenpolitisch hat dieser Bundestag den Afghanistan-Einsatz nach dem 11. September 2001, der sich in wenigen Tagen jährt, nicht mit dem Argument beschlossen, die Taliban zu beseitigen, sondern diesen rechtsfreien Raum, der da entstanden war und der Ursache für weltweiten Terrorismus war – Osama Bin Laden und al-Qaida haben von Afghanistan aus den Anschlag in New York geplant –, zu verhindern. Das war das Ziel. Das ist gelungen.
({51})
Dieser Teil ist gelungen. Wir haben Hoffnungen gehabt, dass sich am Ende mehr in Afghanistan verändert. Das ist am Ende leider nicht gelungen. Aber die Lehre muss sein, dass wir, die internationale Gemeinschaft und Europa, jetzt alles dafür tun, dass nicht erneut unter den Taliban ein neuer rechtsfreier Raum entsteht, der uns hier in unserer Sicherheit bedroht; das ist der eine Teil.
Und: Wir müssen nach diesem für das westliche Bündnis wahrscheinlich größten Desaster seit seiner Gründung einfach erkennen: Wo müssen wir besser werden? Sind wir Europäer wirklich auf alle Ewigkeit nicht in der Lage, allein einen Flughafen zu sichern? Wir sollten uns das Ziel setzen: Ja, wir müssen auch mal handeln können, wenn die Amerikaner nicht handeln. Das war einmal der Beginn der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik 1999 nach den Kriegen auf dem Balkan. Damals haben wir Krieg in Europa, Völkermord, Massenvergewaltigungen gesehen. Gestoppt wurde das erst durch einen NATO-Einsatz, weil Europa dazu nicht allein in der Lage war. Danach hat man begonnen, eine Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu entwickeln, die in Fragmenten weitergekommen ist, aber 20 Jahre später noch nicht so stark ist, dass wir heute auch allein handeln könnten. Dies muss das Ziel sein: zu mehr Europa, zu mehr Handlungsfähigkeit zu kommen.
Das bedeutet aber auch, dass, wenn man sich verabredet, gemeinsame Projekte, auch gemeinsame Projekte zum Schutz unserer Soldaten, zu machen, das dann auch in Deutschland durchgehalten wird, dass wir dann auch sagen: Ja, wir sind bereit, 2 Prozent für Sicherheit auszugeben.
({52})
Und das werfe ich SPD und Grünen vor. Beim ersten Teil, den europäischen Bekenntnissen, sind Sie dabei. Aber wenn es dann um die Umsetzung geht, wenn es um das gemeinsame Rüstungsprojekt geht, wenn es um die bewaffnete Drohne geht, dann liegt die Vorlage seit Monaten beim Finanzminister, weil er sich nicht gegen seine eigene Partei durchsetzt.
({53})
Das ist das Problem, das wir haben. Deshalb muss man eine Haltung haben. Man muss sich Ziele setzen und dann auch für Mehrheiten dafür sorgen.
Ich will zum Schluss kommen. Wir haben eben Herrn Bartsch hier gehört.
({54})
Das, was Herr Bartsch hier vorgetragen hat, hörte sich ja an wie eine Bewerbungsrede.
({55})
– Ja, ob Sie erfolgreich sind, werden wir sehen. Wir tun alles, dass das nicht passiert, dass es kein rot-rot-grünes Bündnis gibt.
({56})
Aber Sie haben das hier so charmant vorgetragen. Um mit Ihrer Sprache zu sprechen, müssten die Leute jetzt draußen sagen: Völker, hört die Signale!
({57})
Also, wir wissen, was da geplant ist. Wir wissen, dass Begegnungen, auch hier in diesem Hause, schon vor den Sommerferien stattgefunden haben.
({58})
Deshalb haben die Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf
({59})
– Sie haben Ihr Bekenntnis und Ihren Minnegesang abgegeben –,
({60})
dass derjenige, der Bundeskanzler werden will, hier klipp und klar sagt, ob er mit einer Partei, die die NATO auflösen will, den Verfassungsschutz auflösen will, die Bundeswehr abrüsten will, statt sie zu stärken,
({61})
das Kommando Spezialkräfte auflösen will, die bei jedem europäischen Einigungsvertrag – Maastricht, Amsterdam, Nizza, Lissabon – immer Nein gesagt hat, ob Sie, Herr Scholz, wirklich wollen, dass diese Leute in eine potenzielle Bundesregierung berufen werden. Es ist nicht so schwer, Nein zu sagen.
Ich sage Ihnen: Wir werden mit Ihnen nicht koalieren.
({62})
Ich sage der AfD: Mit Ihnen kooperieren wir nicht,
({63})
verhandeln wir nicht und werden wir nie koalieren. Wir tun alles, dass Sie nicht mehr in deutschen Parlamenten vertreten sind. Das ist unser Kampf gegen Ihre Haltung.
({64})
Diese Klarheit von Demokraten gegen bestimmte Positionen wünsche ich mir.
({65})
Helmut Schmidt übrigens, auf den Sie sich neuerdings genauso gern berufen wie auf Angela Merkel – Gerhard Schröder höre ich nicht so laut bei Ihren Berufungen; Helmut Schmidt und Angela Merkel sind jetzt die Benchmarks –, hat immer und hätte auch jetzt in dieser Frage klar gegen Links- und Rechtsextreme gestanden.
({66})
Deshalb wünsche ich mir, dass diese Klarheit kommt.
({67})
Das ist die Frage, um die es bei der Bundestagswahl geht.
({68})
Wir werden alles tun, dass es nicht zu einem rot-rot-grünen Bündnis in Deutschland kommt. Das können wir Ihnen versprechen.
({69})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In der letzten regulären Plenardebatte des 19. Deutschen Bundestages wird es Zeit, Bilanz zu ziehen. Ich beginne den Rückblick mit einer Besonderheit in der deutschen Zeitgeschichte. Nur vier Jahre nach ihrer Gründung zog im Jahr 2017 die erste in der neuen Bundesrepublik Deutschland entstandene Partei in den Deutschen Bundestag ein. Seit nunmehr vier Jahren begleiten wir als Alternative für Deutschland die Geschicke und Missgeschicke der Bundesregierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel. Meine Damen und Herren, das wurde auch höchste Zeit.
Wie nun sieht Deutschland nach 16 Jahren CDU/CSU bzw. nach 12 Jahren Große Koalition mit der SPD aus? Was waren die Eck- und Ankerpunkte Ihrer Politik, werte Mitglieder auf der Regierungsbank? Wenn ich mir unser Land und unsere Bürger ansehe, stelle ich fest, dass wir uns bei Ihnen für eine lähmende, einfallslose Politik sowie die Spaltung und den Vertrauensverlust in der Bevölkerung bedanken dürfen. Ihnen wurde ein Land mit relativ guten Gestaltungsmöglichkeiten übergeben. Sie haben sich entschieden, die Kernelemente unseres gesellschaftlichen Wohlstandes auf dem Jahrmarkt der Politik zu verkaufen.
({0})
Ihre Politik, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, war geprägt von Angst und Wendemanövern – oder sollte ich vielleicht Kipppunkte sagen? –, beispielsweise durch die abrupte Abwendung von der sicheren Energieversorgung nach dem Kernkraftunfall in Fukushima im März 2011. Seitdem wird die saubere Form der Energieerzeugung durch Kernreaktoren als Schreckgespenst präsentiert. Das Ganze gipfelt in einer Form der Energiewende, die bald weitere Regionen Deutschlands in die Armut treiben wird, so zum Beispiel meine Lausitzer Heimat. Frau Bundeskanzlerin, Sie sprachen hier von dem gesellschaftlichen Konsens in dieser Region. Auch Herr Laschet hat das immer wieder betont. Sie haben hier Lobbyvereinigungen angesprochen, grüne Vereinigungen, Umweltorganisationen. Aber es ist typisch für Ihre Politik, wen Sie dabei vergessen haben. Das sind die Menschen vor Ort. Die waren an diesem Konsens nicht beteiligt. Die Menschen vor Ort, die kleinen mittelständischen Betriebe, die Handwerker wollen diesen Ausstieg nicht.
({1})
Sie können jetzt schon kaum noch die Strompreise bezahlen, und Sie, Herr Laschet, werden dafür am 26. September Ihre Quittung bekommen. Sie werden genau aus diesen Gründen die Seiten nicht wechseln.
({2})
Frau Baerbock, wer einen Kohleausstieg schon 2030 fordert, agiert asozial. Das ist asoziale Politik, was Sie fordern.
({3})
Einer vollkommenen Fehleinschätzung unterliegend glauben Sie, dass die Abschaltung deutscher Braunkohlekraftwerke auf modernster Entwicklungsstufe den CO2-Anteil in der Atmosphäre reduzieren würde. Genau diese Fehlentscheidung wird den zukünftigen Generationen noch schwer zu schaffen machen.
Meine Damen und Herren, ich persönlich trete dafür ein, dass wir in unserer Politik Angebote für die jüngeren Generationen schaffen. Sie sollen schließlich dieses Land mit einer intakten Natur selbst erfolgreich weiterführen. Allerdings sollten wir dabei auch das Erfahrungswissen der älteren Generation mit einfließen lassen. Es reicht nicht aus, dass man sich in den sozialen Medien mit protestierenden Jugendlichen ablichten lässt. Man muss mit diesen eine Perspektive für die Zukunft verhandeln und darf sich nicht von stürmischen Ideen in eine politische und gesellschaftliche Sackgasse treiben lassen.
Frau Bundeskanzlerin, Ihr Verdienst in nur 16 Jahren ist es, dass Sie Ihre Garanten für die Zukunft unseres Landes, die jungen Generationen, ideell immer weiter von Deutschland entfernt haben.
({4})
Anstelle sich mit der Heimat zu identifizieren, sollen nun neue Ideologien wie der Klimawandel dafür herhalten, unsere Gesellschaft zu begründen. Und anstelle einmal zu fragen, ob die Bürger die andauernde Veränderung verstehen und, vor allem, ob sie diese überhaupt möchten, pressen Sie uns mehr als ein Jahrzehnt die Zustimmung zu neuen Moralideologien ab, mischen sich in die Innenpolitik oder sogar in die Autonomie souveräner Länder ein und verkaufen dies als Sicherung des Weltfriedens und Verbreitung der Demokratie. Das Ganze präsentieren Sie unseren Bürgern unter dem Schlagwort der Humanität. Doch wie human ist es, wenn Sie mit einer absurden Einwanderungspolitik sowohl die Sicherheit und den Frieden in Deutschland und als auch die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa aufs Spiel setzen? Und wie human ist es den wirklichen Asylbedürftigen, Verfolgten oder bereits nach Deutschland Migrierten gegenüber, wenn Ihre Politik die Tore für teilweise bekannte Straftäter öffnet? Was haben Sie generell im Angebot für all diese Leute außer Sozialleistungen zulasten der deutschen Einzahler? Weder werden wir so unseren Fachkräftemangel beheben noch können wir diesen Menschen eine Heimat fernab ihres Kulturraums bieten. Das ganze Kartenhaus positiver Migrationspolitik lässt sich wohl kaum länger aufrechterhalten.
({5})
Sie und Ihre Mitstreiter der wechselnden Regierung haben Deutschland und uns Deutschen mindestens einen Bärendienst damit erwiesen. Und Ihr Schwarz-Weiß-Denken der vergangenen Jahre hat den Weg für die Spaltung unserer Gesellschaft während der Lockdown-Krise geebnet. Wer nicht Gehorsam zeigt, zu viele Fragen stellt und von seinen Grundrechten Gebrauch macht, ist automatisch radikal, gegen die Gemeinschaft und mindestens rechts. Gewürzt ist dieser unbekömmliche Ideologieeintopf noch mit einer Prise Wanderwitz. Liebe Kollegen, kaum ein Beauftragter – Ihr Beauftragter für die neuen Bundesländer, Frau Bundeskanzlerin – hat sich jemals so abschätzig über die ihm Anvertrauten geäußert.
({6})
Es ist ein unwürdiges und zutiefst beschämendes Verhalten. Deshalb rufe ich allen Wählern in Sachsen zu: Wer in Sachsen CDU wählt, wählt Wanderwitz.
({7})
Im Ergebnis schreitet die Entkopplung des Volkes von der Politik, von dem demokratischen Parlamentarismus immer weiter fort. Das liegt eindeutig, Herr Laschet, in der Verantwortung der Regierenden. Die haben zur Spaltung in diesem Land beigetragen, meine Damen und Herren. Das sind Sie und die Bundesregierung.
Sie, werte Koalitionsparteien, sprechen nun regelmäßig vom Wechselwillen der Wählerschaft. Wechseln – wohin eigentlich? Was haben Sie eigentlich aktuell im Angebot, Herr Laschet? Das war jetzt nichts Zukunftsträchtiges, was Sie hier vorgetragen haben. Sie haben keine Antworten mehr auf die Fragen unserer Zeit. Es gibt nur ein Weiter-so. Einer vernünftigen Vorgehensweise werden übergriffige Gesinnungsfragen, zum Beispiel nach dem Impfstatus, vorgezogen. Das Recht auf Privatheit ist auch dabei nur noch Nebensache. Das sind zutiefst undemokratische Züge, die ein Staat aufweisen kann. Dagegen verwehren wir uns als AfD.
({8})
Liebe Kollegen und Landsleute, ich kann diejenigen in Deutschland, die in dieser Situation resignieren, sehr gut verstehen. Allerdings weiß ich auch, dass es sich lohnt, für unsere Heimat, für Deutschland, für unser Grundgesetz und für unsere Bürger zu streiten. Das treibt auch mich persönlich jeden Tag an. Ich bin froh, dass es nach Jahren des politischen Stillstandes die Alternative für Deutschland gibt,
({9})
die im Reichstag zu Berlin Plenarwoche für Plenarwoche den Finger genau in die Wunde legt. Den Einheitsbrei haben die Leute satt.
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Unser Plan für ein Europa der Zukunft heißt Deutschland. Unsere Zukunft hat nationale Wurzeln. Sie hingegen reden von Fortschritt und Veränderung, stellen jedoch kaum noch die Frage: Wem nutzt es eigentlich? Wir haben das große Glück, in einem Land zu leben, das verlässliche Voraussetzungen für eine glückliche Zukunft bietet. Das sind nämlich die Menschen, die tagtäglich zur Wertschöpfung in Deutschland beitragen, beigetragen haben und beitragen werden. Um diesen Wohlstand auch in Zukunft zu sichern, braucht es in unserem Land endlich einen Kassensturz. Wir müssen den ewigen Blick – das habe ich heute permanent gehört – von der Einnahmenseite – wann immer es ein paar kleine Stellschräubchen zu drehen gibt, müssen die Steuern und Abgaben erhöht werden – abwenden und uns auf die Ausgabenseite konzentrieren. Die Verschuldung steigt ins Unermessliche. CDU/CSU und SPD machen hier Entlastungsversprechungen – übrigens auch die FDP –, die niemals einzuhalten sein werden. Bezahlen muss es am Ende immer der Bürger, und der lässt sich nicht mehr täuschen.
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Meine Damen und Herren, wir von der Alternative für Deutschland wollen Politik für unser Land gestalten. Unsere Forderung nach einem Untersuchungsausschuss Afghanistan steht dabei ab kommenden Oktober im Mittelpunkt ebenso wie die nach einem Kassensturz, um eine ehrliche Reform des Renten- und Steuersystems zu ermöglichen. Und um die Bürger wieder stärker an Entscheidungen des Staates zu beteiligen, braucht es in Deutschland viel mehr Elemente direkter Demokratie.
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Und weiter: Das Prinzip des Förderns und Forderns muss ebenso wieder Teil unseres Bewusstseins werden wie die – liebe CDU/CSU-Fraktion, jetzt nicht zusammenzucken – deutschen Tugenden: Fleiß, Disziplin, Strebsamkeit.
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Diese müssen wir unseren Kindern in Schule und Ausbildung mitgeben, damit auch das Deutschland der Zukunft das Land der Dichter und Denker bleibt. Wir sprechen allen Menschen Mut zu, an diesem Politikwechsel mitzuwirken. Die lähmenden 16 Jahre sind nun endlich vorbei.
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Werte Regierungskoalition, ich kann mir vorstellen, wie sich auch Ihre zukünftigen Redebeiträge gestalten werden – wir haben es ja schon gehört –: wenig Reflektion, aber dafür die übliche Portion mittelmäßiger Selbstbeweihräucherung. Sie haben es wirklich geschafft, sich selbst überflüssig zu machen; siehe die letzten Umfragen zur bevorstehenden Bundestagswahl. Sie hinterlassen Verunsicherung, Unzufriedenheit, Angst. Die einzige Hoffnung schöpfen viele Bürger nur noch daraus, dass das System Merkel ein Ende haben wird. Herr Laschet, das ist der einzige positive Punkt, den ich bei Frau Merkel sehe. Ich bin froh, dass Frau Merkel endlich abtritt.
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Ich komme zum Schluss. – Den Kollegen aller Fraktionen hier, im 19. Deutschen Bundestag, möchte ich zum Ende zurufen: Die Alternative für Deutschland ist die einzige Partei im Parlament, die deutsche und nationale Interessen konstruktiv vertritt.
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Wir stehen für eine offene, transparente und zielorientierte Politik für Deutschland und für unsere Bürger.
Vielen Dank.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die Debatte, die sich nun dem Ende zuneigt, aufmerksam verfolgt. Ich fand bis jetzt – das muss ich sagen – die Rede von Dietmar Bartsch inhaltlich am überzeugendsten.
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Ich will aber trotzdem auch zu anderen Rednerinnen und Rednern einige Anmerkungen machen. Ich fand, es gab sehr gute Ansätze bei der Kollegin Baerbock und auch bei Minister Olaf Scholz. Da waren sehr, sehr viele richtige Sachen dabei.
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Aber wenn wir hier heute offen und ehrlich sein wollen, dann müssen Sie auch sagen, mit wem Sie das umsetzen wollen.
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Das können Sie doch nicht allen Ernstes mit Christian Lindner und den neoliberalen Hardcorefreunden oder mit der runtergerockten CDU/CSU machen. Ich finde, das müssen Sie den Leuten schon sagen, wenn Sie irgendetwas von dem, was auf Ihren Plakaten steht, ernst nehmen.
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Zweitens. Ich möchte zu dem fast schon tragischen Kanzlerkandidaten von CDU und CSU Folgendes sagen: Herr Laschet, Sie haben hier einen Epochenumbruch angemahnt. Da haben wir eine unterschiedliche Auffassung. Ich glaube auch, dass wir einen Epochenumbruch brauchen, aber in der Form, dass endlich die CDU/CSU von der Regierungsbank verschwindet und in die Opposition befördert wird. Meine Kinder kennen nur das. Das ist fürchterlich!
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Da Sie in dem Zusammenhang auch über Wohnen gesprochen haben, sage ich: Dann können Sie die als Parteispenden getarnten Schmiergelder der Immobilienlobby in Höhe von aktuell 1,25 Millionen Euro, die Sie bekommen haben, in der Opposition verjubeln, aber nicht mehr in der Regierung.
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Zum Zweiten. Es ist ja sehr viel über außenpolitische Verantwortung gesprochen worden. Insbesondere meine Partei wird hier ständig aufgefordert, sich zu irgendetwas zu bekennen, zur NATO zum Beispiel. Da fragt man sich natürlich: Wozu soll ich mich da bekennen? Zu der Türkei von Herrn Erdogan? Oder dann doch lieber zu Griechenland? Das ist absolute Verblödung des politischen Diskurses, was da eingefordert wird.
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Ich möchte darüber reden: Was ist außenpolitische Verantwortung? Ist es außenpolitisch verantwortungsvoll, Patente von BioNTech, die mit 345 Millionen Euro Steuergeldern entwickelt worden sind – BioNTech macht 2,8 Milliarden Euro Gewinn –, den Ländern Afrikas mit 1,3 Millionen Einwohnern
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und gerade mal 2 Prozent Geimpften vorzuenthalten? „Ist das verantwortungsvoll?“, frage ich Sie.
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Ist es außenpolitisch verantwortungsvoll, das hier mit vielen Staatsgeldern entwickelte Know-how deutscher Pharmafirmen den Ländern der Dritten Welt, Afrikas und Lateinamerikas vorzuenthalten? „Ist das verantwortungsvoll?“, frage ich Sie.
Und ist es, zum Dritten, außenpolitisch eigentlich verantwortungsvoll, dass Mitarbeiter vor Ort, in Afghanistan, die jahrelang der Bundeswehr geholfen haben, dort alleingelassen werden bzw. ihnen so viele Steine in den Weg gelegt werden, bis es zu spät ist? Ich frage Sie: Ist das politisch verantwortungsvoll?
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Und dann möchte ich wissen – um das einmal aufzulösen –: Warum soll eigentlich die Entsendung von irgendeiner Fregatte, wie kürzlich geschehen, in den Indopazifik verantwortungsvoller sein, als international eine Pandemie zu bekämpfen? Das versteht doch wirklich kein Mensch, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Nun möchte ich noch eine innenpolitische Anmerkung zum Finanzminister machen. Sie sind ja eine fast schon schwer zu ertragende Seriosität, aus jeder Pore. Das ist ja auch ganz in Ordnung. Aber wenn Sie auf seriöse Finanzen rekurrieren, Herr Scholz, möchte ich Sie etwas fragen. Es gibt eine Studie des Leibniz-Zentrums zu den Auswirkungen der Steuerkonzepte der hier im Bundestag vertretenen Parteien. Ich möchte Sie ganz konkret fragen, ob Sie allen Ernstes verantwortungsvoll regieren können, in finanzpolitischer Hinsicht, mit einer FDP mit einem Steuerkonzept, das Minderausgaben von 87,6 Milliarden Euro im Staatshaushalt bedeuten würde, oder gar mit einer CDU/CSU mit einem Steuerkonzept, das Mindereinnahmen von 32,6 Milliarden Euro im Staatshaushalt bedeuten würde. Das ist doch, allen Ernstes, keine seriöse Politik, wenn wir die Schulen auf Vordermann bringen wollen.
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Und ich finde, diese Studie zu den Steuerkonzepten von CDU/CSU und FDP hat auch gezeigt, dass sie offensichtlich nicht mit Geld umgehen können. Deswegen müssen sie dringend raus aus der Regierung.
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Und ich finde, zur Ehrlichkeit im Wahlkampf gehört, Herr Scholz, dann zu sagen, mit wem Sie das eigentlich umsetzen wollen. Denn mit denen wird es sicherlich nicht gehen. Wir sind bereit dafür, hier Verantwortung zu übernehmen und das Ganze mal ein wenig auf Vordermann zu bringen: die Schulen auszustatten, die Privatisierung der Gesundheit, insbesondere der Krankenhäuser, zu beenden, endlich vernünftige Löhne zu zahlen,
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also das, was Sie auf Plakate draufgeschrieben haben – die Grünen übrigens auch; die schauen jetzt alle zu Boden und denken. Bekennen Sie sich doch einfach einmal dazu!
Das Stück aus der Gruft, das die CDU/CSU gerade aufführt, ist ja ein Totentanz der politisch Untoten, der hier stattfindet, mit roten Socken und so; da werden jetzt die Plakate entstaubt. Mir gefällt das außerordentlich gut, Kollege Brinkhaus. Machen Sie weiter so! Das zwingt SPD und Grüne immerhin, sich zu bekennen,
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mit wem man dieses Land fortschrittlich und gerecht gestalten kann. Wir sind startklar.
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Vielen Dank, Herr Kollege Korte. – Nun erhält das Wort der Kollege Alexander Dobrindt, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, es ist die letzte Sitzung des Deutschen Bundestags vor der Wahl. Lassen Sie mich deswegen zu Beginn meiner Rede noch ein paar Sätze sagen: Es ist eine Epoche, die zu Ende geht. Sie haben vor 16 Jahren von Rot-Grün ein Land mit Rekordarbeitslosigkeit,
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Rekordverschuldung, mit einem Negativrekord beim Wachstum übernommen. Wir leben heute in einem Land mit 45 Millionen Erwerbstätigen, mit 2,5 Millionen Arbeitslosen weniger, mit Chancen für junge Menschen bei Ausbildung und Beschäftigung. Das war eine gute Richtungsentscheidung.
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Ich habe mit Ihnen in den letzten Jahren in verschiedenen Funktionen zusammengearbeitet, gern zusammengearbeitet. Das verlief nicht immer konfliktfrei. Aber ich darf an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Es war immer geprägt von meinem höchsten Respekt gegenüber Ihnen persönlich, Ihrer Haltung, Ihrem Amtsverständnis und Ihrem Dienst für unser Land. Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, liebe Angela, danke, Glück auf und Gottes Segen!
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Dass in Deutschland eine Richtungsentscheidung ansteht, hätte eigentlich nicht deutlicher werden können als durch die Rede von Herrn Korte.
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Sehr geehrter Herr Korte, das war doch keine Rede zur Lage und Situation in Deutschland, das war eine reine Bewerbungsrede für Rot-Rot-Grün; nichts anderes steckt dahinter.
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Unglaublich, dass Sie jetzt auf eine Antwort warten und Olaf Scholz diese noch nicht gegeben hat.
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Wir alle warten darauf, ob sie heute noch kommt.
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Herr Kollege Dobrindt, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lötzsch?
Noch eine Bewerbungsrede?
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Die Frage war zunächst, ob Sie die Frage oder die Zwischenbemerkung erlauben.
Wenn das eine Frage an mich und nicht an Olaf Scholz ist, gerne.
Ja. – Herr Präsident, unsere Geschäftsordnung sieht ja auch Zwischenbemerkungen vor. In meinem Fall ist es eher eine Danksagung. Der Kollege Dobrindt hat ja ein Video produziert, in dem er meint, vor Rot-Rot-Grün warnen zu müssen. Mich lässt er dort auch auftreten, und zwar direkt nach Arnold Schwarzenegger,
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und zwar mit den Worten: Schwarze Null als Fetisch. – Nun gingen Sie augenscheinlich davon aus, dass die Bürgerinnen und Bürger entsetzt sind. Ich kann Ihnen aber sagen: Ich habe viel Fanpost bekommen. Erstens: Schwarze Null als Fetisch. Das ist richtig; die Bürger haben mir zugestimmt. Zweitens haben sie gesagt: Endlich mal eine Frau mit einer ordentlichen roten Lederjacke. Und drittens haben sie gefragt: Kann man die Linke auch in Bayern wählen? Das kann ich bestätigen.
Ich bedanke mich für diese Werbung für meine Partei und mich und verzichte ausdrücklich auf ein Honorar.
Vielen Dank.
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Herr Kollege Dobrindt, Sie können ohne Anrechnung auf die Redezeit darauf antworten.
Liebe Kollegin, vielen Dank auch für diesen Werbeblock. Das Video „Richtungsentscheidung“ kann man sehen auf www.csu.de. Herzlichen Dank dafür!
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Aber es geht ja um mehr als diese eine Richtungsentscheidung, die Sie angesprochen haben – nämlich die Frage, ob wir die Neuverschuldung ins Unendliche treiben oder ob wir zur schwarzen Null stehen –; es geht auch darum, ob Familien weiter entlastet werden oder ob sie belastet werden. SPD, Grüne und Linke wollen das Ehegattensplitting abschaffen.
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Wer das Ehegattensplitting abschafft, der macht doch nichts anderes, als dass er für Millionen von Familien die Steuern erhöht; das ist das Ergebnis dieser Entscheidung.
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Ja, Frau Giffey hat vor Kurzem dazu gesagt: Das trifft ja nur Alleinverdienerfamilien.
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Erstens ist das falsch, und zweitens sage ich Ihnen: Was für Sie „nur“ ist, das ist für uns die Mitte der Gesellschaft; um die geht es da.
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Ihr Parteivorsitzender übrigens, Norbert Walter-Borjans, sagt dazu, dass die Abschaffung des Ehegattensplittings ja „nur“ die Reichen trifft. Ich sage Ihnen: 80 Prozent der Familien, die vom Ehegattensplitting profitieren, haben ein Familieneinkommen von unter 60 000 Euro im Jahr. Und das sind für Sie die Reichen? Für mich ist das die Mitte der Gesellschaft, und die gehört entlastet und nicht belastet, meine Damen und Herren!
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Übrigens: Auf die Frage einer jungen Familie mit drei Kindern und zwei Einkommen, wie dieser Familie mehr von ihrem Einkommen übrig bleiben kann, hat Frau Giffey letzte Woche eine Gegenfrage gestellt, nämlich ob denn schon Sozialleistungen beantragt worden seien. – Ist das ernsthaft Ihre Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit: Steuervorteile wegnehmen und dafür Sozialleistungen anbieten?
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Ich sage Ihnen: Wir wollen etwas anderes. Das Ehegattensplitting erhalten, den Kindervorteil ausweiten und Alleinerziehende um 5 000 Euro pro Jahr entlasten; das ist unser Modell.
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Und wir wollen Deutschland fit machen für die Zukunft. Herr Bundesfinanzminister, zu einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft gehören auch wettbewerbsfähige Unternehmensteuern. Entlastungen für Unternehmen sind für Sie, Herr Bundesfinanzminister – wörtliches Zitat – „ein absurder Einfall“. Stattdessen wollen Sie die Erbschaftsteuer erhöhen, eine Vermögensteuer einführen. Da gibt es in der Regel sehr viel Applaus von der ganz linken Seite. Aber ich will Ihnen auch deutlich sagen: Mit diesen Ideen werden Sie nicht das Vermögen besteuern; Sie werden im Mittelstand, bei Familienbetrieben, bei der Landwirtschaft die Substanz besteuern. Das zerstört Investitionen und Innovationen, und das führt am Schluss nicht zu mehr Beschäftigung, sondern zu Arbeitslosigkeit. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
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Sie haben heute wieder von Respekt gesprochen. Dieser Respekt gilt offensichtlich nicht dem deutschen Mittelstand. Sie haben hier vorhin pauschal unterstellt, dass diese Unternehmen riesige Gewinne machen. Sehr geehrter Finanzminister, es wäre besser gewesen, Sie hätten hier erwähnt, wie viele Unternehmen – auch Familienunternehmen – in den letzten Monaten auf ihre Rücklagen und Ersparnisse zurückgreifen mussten und dass sie nicht riesige Gewinne gemacht haben, sondern große Risiken eingehen mussten, eigenes Kapital in die Hand genommen haben, um Unternehmen und Arbeitsplätze zu schützen. Und diese brauchen Entlastungen und keine Belastungen von Ihnen.
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Wir müssen eine Diskussion über die Souveränität führen – Souveränität von Deutschland und Europa. Wir haben in der Pandemie doch mehr als deutlich festgestellt, dass die Globalisierung Fehler hat. Die Globalisierung hat ihre Fehler gezeigt, als Masken und Schutzausrüstung gefehlt haben, als Medikamente knapp geworden sind. Jetzt gerade sehen wir, dass in Deutschland Automobilbänder stillstehen, weil Computerchips nicht ausreichend zur Verfügung stehen.
Deswegen brauchen wir auch in Deutschland und Europa eine Souveränitätsoffensive. Produkte auch wieder in Deutschland und Europa herstellen – das ist keine Absage an einen freien Welthandel. Im Gegenteil: Das ist das Bekenntnis zu einem freien Welthandel, aber auf Augenhöhe. Wir brauchen deswegen die Bereitschaft, uns nicht dauerhaft einseitig von einer einzigen Region in der Welt abhängig zu machen.
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Hier wurde mehrfach darüber gesprochen, dass Deutschland ein Industrieland bleiben soll. Ich will das auch. Ich will aber auch, dass Deutschland ein Automobilland bleibt.
Wir erleben gerade den Start der IAA, der Internationalen Automobil-Ausstellung, und wir erleben gerade auch, wie die Aggression gegen das Automobil und gegen diese internationale Ausstellung auf den Straßen entbrennt. Wir erleben gerade, wie sogenannte Aktivisten Autobahnen blockieren, sich von Autobahnbrücken abseilen und sich und Verkehrsteilnehmer in Gefahr bringen. Es wäre schön, wenn die Grünen an dieser Stelle doch mal deutlich sagen würden, ob diese Aktivisten in Deutschland, die jetzt wieder Gefahr auf unsere Straßen bringen, die gegen das Automobil sind, Ihre Unterstützung haben oder ob Sie sich endlich von so einem Vorgehen distanzieren.
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Wir stehen zum Automobilstandort Deutschland. Dazu gehört auch, dass wir Spitzentechnologien nicht einfach aufgeben. Die Automobilindustrie ist im Wandel. Das ist der Weg auch hin zur Elektromobilität, aber es hängen auch viele, viele Arbeitsplätze vom Verbrennungsmotor ab. Der Verbrennungsmotor ist deutsche Hochtechnologie, und ich will nicht, dass wir Hochtechnologie in Deutschland einfach aufgeben. Die Batterieelektrik ist ein Weg, aber das ist nicht der einzige Weg; wir brauchen auch die synthetischen Kraftstoffe. Ich will, dass der Verbrennungsmotor CO2-frei weiterbetrieben wird und Arbeitsplätze und Hightech in Deutschland sichert.
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Übrigens gilt das Gleiche auch für die Luftfahrtindustrie. In einer schwierigen Situation braucht auch genau diese Industrie Zukunftsperspektiven.
Die Grünen sagen jetzt, sie wollen die Kurzstrecken überflüssig machen. Aber was Sie damit tun, ist, dass Sie die Mobilität in Europa einschränken werden.
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Europa ist aber nicht nur ein Freiheitsversprechen; Europa ist auch ein Mobilitätsversprechen.
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Die Menschen wollen in Europa zusammenkommen, und Europa wird zusammengeführt, weil die Menschen zusammenkommen. Dafür braucht es die schnelle Mobilität, und wenn Sie diese schnelle Mobilität unterbinden, dann unterbinden Sie das Zusammenwachsen Europas. Das ist kein proeuropäischer Akt; das ist ein Akt gegen Europa. Wer die Innovationen beim Fliegen nicht durchsetzen, sondern das Fliegen abschaffen will, der begeht einen antieuropäischen Akt.
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Das Klima spielt in dieser ganzen Diskussion eine große Rolle. Ich bin dafür, dass wir beim Klimaschutz Ambition und Akzeptanz verbinden: Genau darum geht es bei uns. Beides muss möglich sein, wenn wir über Klimaschutz reden. Man rettet das Klima nicht, wenn man das gesellschaftliche Klima vergiftet.
Deutschland muss Vorreiter beim Klimaschutz sein. Deswegen haben wir in dieser Wahlperiode auch die CO2-Bepreisung für Mobilität und für Wärme beschlossen. Aber gleichzeitig haben wir beschlossen: Wenn der CO2-Preis steigt, dann sinkt der Strompreis. Wenn der CO2-Preis steigt, dann steigt die Pendlerpauschale. Wenn der CO2-Preis steigt, dann wird die Umrüstung der Ölheizung auf Erneuerbare billiger. Das nennt man Umsteuern.
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Das ist unser Weg an der Stelle – immer mit Entlastungen gepaart.
Sehr geehrte Frau Baerbock, ich habe Ihnen zugehört. Wenn Sie über das Energiegeld reden, dann reden Sie von etwas grundlegend anderem. Sie machen nichts anderes als das: Der CO2-Preis geht an der Zapfsäule rauf. Dann geben Sie einen 75-Euro-Gutschein an die Menschen, den man an der Tankstelle wieder einlösen kann. Das ist doch kein Umsteuern; das ist ein Sich-im-Kreis-Drehen.
({17})
– Ja, doch. Aber Sie können es ja gerne mal konkretisieren, wenn Ihnen jetzt aufgeht, dass das Ganze, was Sie an dieser Stelle erzählen, keinen Sinn macht.
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Es sei Ihnen aber gerne zugestanden: Sie sind die ökologische Linke in diesem Haus, alles okay. Uns geht es um Ambitionen und Anreize gleichermaßen, und deswegen sind wir die ökologische Mitte in diesem Haus.
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Herr Scholz, noch eine abschließende Frage an der Stelle: Wären Sie eigentlich bereit, Ihren Satz zu wiederholen, den Sie vor einiger Zeit hier bezüglich des EU-Coronawiederaufbaufonds gesagt haben, dass er nämlich der notwendige Einstieg in eine dauerhafte Fiskalunion ist?
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Das wäre interessant zu wissen, weil diese Fiskalunion, Herr Scholz, nichts anderes als die Schuldenvergemeinschaftung, die Haftungsunion, die Schuldenunion in Europa ist.
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Ich will Ihnen an dieser Stelle erklären: Es gibt einen Unterschied, ob man in einer krisenhaften Situation seinen engsten Nachbarn in Europa unterstützt
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oder ob man für eine dauerhafte Schuldenvergemeinschaftung ist. Wir lehnen die Schuldenunion in Europa ab.
Danke schön.
({23})
Vielen Dank, Herr Kollege Dobrindt. – Die nächste Rednerin ist für die Fraktion der SPD die Kollegin Katja Mast.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren hier im Plenum und zu Hause an den Bildschirmen! Wir stehen vor einer zentralen, wichtigen Bundestagswahl, und ich persönlich finde, dass dieser Wahlkampf mit Nebensächlichkeiten losgegangen ist: mit der Frage nach fehlenden Fußnoten, nach Grimassen und vielen anderen Dingen. Beides ist aber für das Leben der Menschen im Land nicht relevant. Für das Leben der Menschen ist relevant, was wir tun wollen, um den Zusammenhalt in unserem Land zu stärken und unser Land in die Zukunft zu führen.
({0})
Deshalb stehe ich heute hier und sage: Respekt vor der Leistung von Menschen ist angesagt, insbesondere – und das hat uns doch die Pandemie ins Stammbuch der Republik geschrieben – der Menschen, für die wir alle hier im Haus aufgestanden sind und in der Pandemie Applaus gespendet haben. Es kann nicht beim Applaus für die Altenpflegerin, die Kassiererin und den Paketboten bleiben. Nein, sie haben Respekt auf Augenhöhe verdient.
({1})
Deswegen geht es darum, dass wir den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, den die SPD an der Seite der Gewerkschaften zwölf Jahre lang in dieser Republik erkämpft hat, auf mindestens 12 Euro erhöhen, weil es sich für die Menschen lohnen muss, arbeiten zu gehen.
({2})
Es gilt: Wir dürfen beim Mindestlohn nicht stehen bleiben. Der Mindestlohn ist immer nur untere Basis. Er ist nie ideal. Man kann davon auch nicht super leben. Deshalb geht es darum, dafür zu sorgen, dass wir mehr Tarifbeschäftigung in unserem Land bekommen, dass die Löhne und das Lohnniveau allgemein steigen.
({3})
Deshalb sagen wir als SPD: Wir brauchen ein Bundestariftreuegesetz. Wir brauchen eine vereinfachte Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Genau das sorgt dafür, dass die Menschen sich sicherer fühlen und mehr Geld in der Tasche haben.
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Weil das auch immer ein großes Thema ist: Uns geht es darum, dass gleiche Arbeit gleich entlohnt wird. Wir müssen dafür sorgen, dass Frauen mehr Geld bekommen. Deshalb werden wir das Entgelttransparenzgesetz noch mal anfassen müssen, um zu erreichen: Gleiches Geld für gleiche Arbeit!
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Aber ich will nicht nur bei den Löhnen stehen bleiben, wenn es um das Thema Respekt geht. Es geht auch darum, wie wir mit dem großen Thema Kinderarmut in unserem Land umgehen. Es ist völlig klar: Wir brauchen eine sozialdemokratische Kindergrundsicherung, damit kein Kind mehr in diesem starken Land, in dieser starken Republik in Armut aufwächst.
({6})
Dabei geht es uns darum, die Infrastruktur für Kinder zu verbessern. Deshalb ist es so wichtig und wertvoll, dass wir heute Nacht die Garantie auf eine Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter im Vermittlungsausschuss gemeinsam hinbekommen haben. Das stärkt die Kinder und ihre Chancen und Perspektiven.
Gleichzeitig geht es darum, mit einem neuen Kindergeld, das automatisch zu den Menschen kommt und das je höher ist, je weniger die Familien an Einkommen haben, die Existenzsicherung der Kinder in den Mittelpunkt zu rücken, damit kein Kind in der Bundesrepublik Deutschland mehr in Armut leben muss.
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Ein weiteres Thema ist: Wir müssen die Rente stärken. Wir müssen mit stabilen Renten dafür sorgen, dass die gesetzliche Rentenversicherung gestärkt wird. Das ist das Versprechen von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Das ist ein großes Versprechen für die Zukunft in unserem Land. Wir sagen ganz klar: Keine Erhöhung des Renteneintrittsalters! Auch da sind wir klar.
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Wenn Sie jetzt fragen: „Warum nennt die Frau Mast die ganzen Punkte?“, kann ich an dieser Stelle nur sagen: Nichts davon steht im Wahlprogramm von CDU und CSU. Nichts davon! Kein einziges Instrument steht in diesem Wahlprogramm!
Liebe Bürgerinnen und Bürger, Sie haben die Entscheidung – für einen Kanzler des Respekts, für einen Kanzler, der Deutschlands Zukunft fest im Blick hat, für einen Kanzler, der Kanzler kann. Deshalb bitte ich Sie, am 26. September SPD zu wählen.
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Es macht sich der Abgeordnete Mario Mieruch bereit. – Bitte schön, Herr Kollege.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema heißt: „Situation in Deutschland“. Aber statt einer nüchternen, ehrlichen oder gar selbstkritischen Bestandsaufnahme erleben wir wieder nur eine Wahlkampfshow, in der keine noch so abgedroschene Phrase fehlen darf.
Immer mehr Bürger wählen deshalb nur noch das kleinere Übel. Sehr traurig! Woran liegt’s? Nach 70 Jahren Demokratie und 30 Jahren deutsche Einheit haben ausgerechnet jene Kräfte, die die Grundlagen unserer Gewaltenteilung bewahren sollten, unser Grundgesetz trefflich zum eigenen Vorteil ausgehöhlt. Es hat sich ein Staats-, ein Parteien- und Medienwesen gebildet, welches in tiefer gegenseitiger Abhängigkeit zuerst um seiner selbst willen existiert.
Statt Demut und Verantwortungsbewusstsein vor Amt und Mandat dominieren ideologische Bevormundung, Erziehungsarroganz und zuallererst natürlich die Sicherung der eigenen Versorgungsstrukturen. Parteien sind geprägt von Negativauslese, Opportunismus und Skrupellosigkeit. Überall drängen Akteure nach vorne, die in ihrem ganzen Leben noch nie einen wertschöpfenden Euro erarbeitet haben, aber aufgrund ihrer Parteilaufbahn bestens dotierte Posten wie ein Geburtsrecht beanspruchen. Ausgeprägte Vergesslichkeit, Verschlampen von Millionenbeträgen, Hochstapelei und das völlige Fehlen jeglicher Selbstreflexion sind die neuen Qualitätsmerkmale.
Die Steuerzahler bekommen dafür Totalversagen bei Corona, der Flut oder Afghanistan, mittlerweile 5 Prozent Inflation, stetig steigende CO2-Abgabe, höchste Sprit- und Energiepreise, noch mehr Steuern, marode Infrastruktur, Apokalypseszenarien beim Klima.
Die Gesellschaft wird ganz bewusst gespalten, Denunziantentum wird gefördert, Kinder instrumentalisiert, aufgehetzt und in Angst versetzt; die sozialen Medien beweisen es jeden Tag. Das Infektionsschutzgesetz macht Parlamente obsolet, die Bürger werden zur simplen Verfügungsmasse degradiert, Grundrechte nach Belieben verbogen. Staatsanwälte sind weisungsgebunden, und mit Verfassungsrichtern geht man essen.
In den Parlamenten hingegen blieb man die letzten anderthalb Jahre, während Bürger und Unternehmen um ihre Existenz kämpften, freilich rundumversorgt. Niemand hier hat Einbußen hinnehmen müssen. Der neue Standard heißt Doppelstandard: harte Maßnahmen für die Bevölkerung, Schnittchen und Schampus im RTL-Zelt für die Politprominenz.
Das freie Mandat stirbt, wenn Parlamentarier entgegen ihrer eigenen Meinung besser mit der Fraktion stimmen. Das Wahlrecht wurde zugunsten von Listen geändert. Wer nicht spurt, der kommt halt nicht drauf. Partei- und Fraktionslose sind Abgeordnete zweiter Klasse, stören lästig die gewohnten Abläufe der Fraktionen. Dabei vertritt hier keine dieser Fraktionen auch nur 20 Prozent der Wähler absolut. Das parlamentarische Frage- und Kontrollrecht wird im Presseamt stumpf hinter wirtschaftliche Interessen seiner Geschäftspartner gestellt, andere Fragen werden erst gar nicht beantwortet. Der ÖRR manipuliert nach Belieben herum oder lässt Bürger einsperren. Konsequenzen hat das alles überhaupt keine.
Für eine gesunde und ehrliche Demokratie muss man hier ansetzen. Das machen Sie aber nicht, und deswegen wenden sich immer mehr Wähler von Ihnen ab – zu Recht; denn sie haben wahrlich Besseres verdient.
Vielen Dank.
({0})
Der nächste Redner ist der Kollege Paul Ziemiak, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist in der Tat heute eine wichtige Debatte über die Fragen: Wo steht unser Land? Wie ist die Situation in der Bundesrepublik Deutschland? Und vor allem eine wichtige Debatte über die Frage: Wohin soll unser Land geführt werden?
Und dabei ist klar geworden: Diese Bundestagswahl in einigen Wochen, in wenigen Tagen wird eine Richtungsentscheidung sein. Sie wird eine Richtungsentscheidung darüber sein: Soll unser Land stabil bleiben, oder wollen wir wirtschaftlich abrutschen? Es ist eine Richtungsentscheidung: Wollen wir stark aus dieser Krise kommen, oder wollen wir erneut zum kranken Mann Europas werden? „Aufwärts oder abwärts?“, das ist die Frage. Wir haben heute die einzelnen Reden gehört. Dabei ist klar geworden: Es ist genau diese Richtungsentscheidung, meine Damen und Herren. Aber bevor wir dazu kommen, wohin es geht, muss man sich anschauen, wo wir heute stehen.
Hier ist häufiger das Wort „junge Menschen“ gefallen. Ich glaube, wir können heute sagen: Wir haben unglaublich große Herausforderungen vor uns, insbesondere beim Klimawandel, in der Frage der Zukunft Europas, internationale, globale Herausforderungen. Aber wir müssen doch auch mal hier im Plenum des Deutschen Bundestages sagen, dass es noch nie ein besseres Deutschland gab als heute und noch nie junge Menschen in so einem großen Wohlstand und in so viel Sicherheit und so viel Freiheit groß geworden sind wie in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2021.
({0})
Noch nie ging es jungen Menschen besser. Ich finde, das sollten wir auch aus Respekt gegenüber denjenigen sagen, die älter sind, der Generation der Eltern und Großeltern, die dieses Land aufgebaut haben und zu dem gemacht haben, was es heute ist.
Wir haben heute übrigens ein Sozialsystem, das keinen Vergleich mit irgendeinem anderen Land zu scheuen braucht. Noch nie gab Deutschland mehr Geld für Sozialleistungen aus als heute im Jahr 2021. Unser Land ist in den letzten 16 Jahren durch unsere Bundeskanzlerin und durch die unionsgeführte Bundesregierung durch viele schwierige nationale und globale Krisen stabil gesteuert worden. Wir sind aus den Krisen immer stärker hervorgegangen, als wir hineingegangen sind. Das ist das große Verdienst vor allem der Bundeskanzlerin, aber natürlich auch der Politik von CDU und CSU, meine Damen und Herren.
({1})
– Zur SPD komme ich gleich.
({2})
Wenn wir uns die letzte Krise anschauen, wollen wir doch mal Ross und Reiter nennen. Es war die Bundeskanzlerin an der Spitze, die uns durch diese Krise geführt hat, auch mit dem Chef des Bundeskanzleramtes, Helge Braun, und vor allem mit unserem Gesundheitsminister Jens Spahn,
({3})
der in dieser Zeit so hart gearbeitet hat wie kaum ein anderer. Als er hier versprochen hat, dass bis Ende des Sommers jeder ein Impfangebot bekommen wird, da wurde gelacht, da wurde geschrien, da wurde das alles für unglaubwürdig erklärt.
({4})
Das war ein Impfturbo, ein Impfversprechen made in Germany, ein Riesenerfolg. Jens Spahn hat versprochen, und er hat geliefert, meine Damen und Herren.
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Jetzt wollen wir uns mal Ihre Haltung anschauen, Kollege Schneider. Im Januar haben Sie umgestellt; im Januar haben Sie gesagt: Wir machen nicht mehr Coronabewältigung. Sondern: Wie können wir es parteitaktisch ausnutzen? – Sie legen der Arbeit des Gesundheitsministers permanent Steine in den Weg, zum Teil mit falschen Angaben über die Verbreitung von Masken.
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Dass Sie sich nicht schämen, wie Sie sich verhalten haben, nämlich diese Pandemie zu nutzen, um parteipolitischen Profit daraus zu schlagen!
({7})
– Ja, ist doch so!
Was war denn der Beitrag von Olaf Scholz? Er hat Fragelisten vorgelegt.
({8})
Deswegen sage ich – an Peter Altmaier einen herzlichen Gruß von hier aus; wir wünschen ihm gute Besserung –:
({9})
Peter Altmaier hat als Wirtschaftsminister wie ein Löwe gekämpft für gute Jobs
({10})
und übrigens auch für die Hilfen in der Coronazeit. Wer war es, der es immer wieder geschafft hat, Auszahlungen zu verhindern, sie komplizierter als notwendig zu machen?
({11})
Olaf Scholz hat dafür gesorgt, dass das Geld bei den Menschen nicht angekommen ist, liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und Herren.
({12})
– Ja, es ist doch so. Gehen wir mal weiter. Sie haben mich auf das Thema gebracht; jetzt sprechen wir mal über die SPD.
An dieser Stelle sage ich Danke für die Arbeit dieser Bundesregierung, auch in der Verteidigungspolitik. Ich danke Annegret Kramp-Karrenbauer für ihren Dienst als Verteidigungsministerin.
({13})
Der Dank geht stellvertretend an sie für die ganze Truppe, für alle Soldatinnen und Soldaten, vor allem an diejenigen, die diesen schweren Einsatz in Afghanistan gerade durchgeführt haben.
({14})
Und ich danke ganz ausdrücklich allen Verteidigungspolitikern und Außenpolitikern der Union sowie Annegret Kramp-Karrenbauer, dass sie sich immer dafür eingesetzt haben, dass die Bundeswehr mehr Geld bekommt, dass wir das 2‑Prozent-Ziel der Nato erreichen, dass wir bewaffnete Drohnen anschaffen. Euch, den Verteidigungspolitikern und Annegret Kramp-Karrenbauer, ist es immer wieder gelungen, Geld zu bekommen – gegen höchste Widerstände der SPD und Olaf Scholz,
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die nicht mehr Geld für Ausstattung ausgeben wollten. Das alles liegt heute übrigens noch bei Olaf Scholz auf dem Schreibtisch. Dass Sie heute nicht mal ehrlich sagen können, dass Sie es immer wieder verhindert haben,
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sondern jetzt so tun, als ob Sie es noch befürwortet haben, ist selbst in einem Wahlkampf für SPD-Verhältnisse gelogen und verlogen.
({17})
Meine Damen und Herren, so geht das übrigens weiter. Es gab noch nie mehr Investitionen für Straße und auch für Schiene und öffentliche Infrastruktur als unter Andreas Scheuer. Julia Klöckner war diejenige, die die Landwirte gegen die Angriffe von links immer wieder verteidigt hat und gesagt hat: „Landwirte gehören in die Mitte der Gesellschaft“, so wie es übrigens auch die Landwirtschaftspolitiker unserer Fraktion getan haben. Anja Karliczek hat Geld für Forschung und Entwicklung bereitgestellt.
({18})
Gerd Müller als CSU-Politiker hat eine moderne, nachhaltige Entwicklungspolitik angestoßen, die nicht nur in Deutschland, sondern in Europa und der ganzen Welt große Anerkennung findet. Ich will nur den Marshallplan mit Afrika erwähnen oder die Initiative des Grünen Knopfes.
Das ist erfolgreiche Regierungspolitik, und nicht das, was Sie hinterlassen haben, als Sie zum letzten Mal regiert haben, SPD und Grüne.
({19})
Deutschland war der kranke Mann Europas: Massenarbeitslosigkeit, 40 000 Unternehmenspleiten jedes Jahr. Man hat über uns gelacht. Wir hatten die rote Laterne in Europa. Deswegen gab es doch auch vorgezogene Neuwahlen, weil Sie nicht mehr zurechtkamen.
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Sie hatten das Land abgewirtschaftet, und das darf uns nie wieder passieren, meine Damen und Herren.
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Jetzt geht es um die Fragen: Kommen wir stark aus der Krise? Setzen wir auf die Schaffenskraft der Menschen? Befreien und entfesseln wir unsere Wirtschaft? Schaffen wir es, mit neuen Ideen, mit Innovationen, mit Anreizen Klimaschutz und Jobsicherheit zusammenzubringen, meine Damen und Herren?
Olaf Scholz hat heute lange über viele Themen gesprochen.
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Er hat über Superreiche gesprochen. Er hat über Hartz-IV-Sätze gesprochen. Er hat nur nicht über die Leute gesprochen, die das Geld in diesem Land verdienen,
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damit wir das überhaupt möglich machen können: Diejenigen, die in der Mitte der Gesellschaft sind, die Steuern und Abgaben zahlen, hat er nicht erwähnt.
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Übrigens hat er noch jemanden nicht erwähnt: Er hat von Großstädten und vielem anderen gesprochen; aber kein Wort zur Infrastruktur und zum Leben der Menschen im ländlichen Raum, meine Damen und Herren.
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Nicht mit einem Satz hat er sie erwähnt!
Und dann kommen noch die Grünen mit ihrer Politik hinzu – Sie wissen es genauso gut wie ich –: Ihnen sind die Menschen in ländlichen Räumen doch völlig egal.
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Ist doch gar nicht Ihre Wählergruppe. So ist es doch.
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Wer bei uns im Sauerland den Grünen die Stimme gibt, der kann seinen Autoschlüssel gleich mit in die Wahlurne hineinwerfen.
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So ist es doch, und das wissen die Menschen.
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– Danke für die Bestätigung.
Bei den Sozialleistungen wird jetzt über die Frage gesprochen: Wie sieht unser Sozialsystem aus?
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Wir haben heute Rekordausgaben für Soziales. Aber es geht doch nicht darum – wie es die SPD will –, diese Ausgaben immer weiter zu erhöhen, sondern uns muss doch beschäftigen, wie wir die Eltern dieser Kinder, die jetzt von Sozialleistungen leben, wieder in sozialversicherungspflichtige, gut bezahlte Jobs kriegen.
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Kinderarmut ist immer Eltern- und Familienarmut. Nur mit guter Arbeit, guten Löhnen werden wir diese Probleme lösen können, meine Damen und Herren.
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Zum Schluss; meine Redezeit neigt sich dem Ende entgegen. Das ist bedauerlich; denn ich könnte noch vieles ausführen. Ich will Ihnen sagen – Alexander Dobrindt hat es hier angesprochen –: Es geht in Europa um das elementare Thema – es steht im Wahlprogramm der SPD; Sie wollen es ja auch mit den Linken und mit den Grünen umsetzen –:
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Schuldenunion und Sozialunion. Deutsche Steuerzahler, deutsche Rentner, deutsche Sparer sollen für die Schulden anderer Staaten haften. Deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen für Sozialleistungen in anderen Ländern blechen. Das wird es mit uns nicht geben! Das werden wir verhindern, weil wir Europa zusammenhalten wollen, meine Damen und Herren.
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Deswegen ist es nicht nur eine Richtungswahl, sondern es ist auch eine Schicksalswahl für Europa.
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Vielen Dank, Kollege Ziemiak. – Die nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Frauke Petry.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir befinden uns weniger als drei Wochen vor der Wahl zum 20. Bundestag, und das Schauspiel läuft ab wie immer, auch wenn viele Redner heute beteuern, dass in dieser Legislatur angeblich alles anders und schwieriger gewesen sei.
Meine Damen und Herren, nicht Afghanistan, nicht das Auftreten des Coronavirus, nicht die Flut im Ahrtal haben dieses Land aus dem Gleichgewicht gebracht. Nein, es ist neben einer seit Langem verfehlten Finanz- und Migrationspolitik, einem stetigen Ausufern des Sozialstaats und einer schrittweisen Entmündigung von Bürgern und Unternehmen vor allem eines: Deutschland fehlt das gemeinsame Ziel – nicht nur innerhalb der CDU, in der eine Kanzlerin ihrem Nachfolger ganz zufällig einen Bärendienst nach dem anderen erweist und diesem die Kraft fehlt, aus ihrem Schatten zu treten.
Nicht nur die Parteien fallen sichtbar auseinander, auch die Gesellschaft Deutschlands ist in diesem Jahr 2021 fragmentierter, gespaltener, als ich es selbst je für möglich gehalten hätte. Wer über Jahrzehnte das private Leben politisiert oder – sagen wir gar – demokratisiert und Meinungen moralisiert, darf sich über eine Spaltung quer durch alle Milieus nicht wundern.
Meine Damen und Herren, was ist die gemeinsame Idee für dieses Land? Mehr staatliche Betreuung in Kitas und Schulen statt mehr Zeit für Familien? Mehr politische Eingriffe in den Alltag bis zur Abfrage des Impfstatus, während in den Schulklassen gleichzeitig das offene Verlesen der Zensuren aus Datenschutzgründen unmöglich ist? Oder ist es auch für eine steigende Anzahl von Bürgern die Abwendung vom politischen Leben unter Verzicht auf das aktive Wahlrecht, wie es Millionen Wähler in diesem Land auch in weniger als drei Wochen wieder praktizieren werden?
Das sollte uns besorgen. Die einen suchen ihr Heil im Predigen der klimatischen Apokalypse und sind bereit, die Wohlstandsmotoren Auto und Mittelstand zu beerdigen, die anderen klammern sich ebenso erfolglos an die mehrfach gestorbene Idee des Nationalstaates, der von einer Mehrheit der Bürger dieses Landes nicht mehr getragen wird – um nur zwei von vielen Themen zu nennen, die hochemotional diskutiert werden.
Meine Damen und Herren, während ein kleines Land wie die föderale Schweiz seit 1848 eine nahezu unveränderte Verfassung hat und sehr viel mehr freiheitsliebende Bürger als hier, zeigt unser vergleichsweise junges Grundgesetz nach über 70 Jahren dramatische Ermüdungssymptome, vielleicht auch, weil zu oft daran herumgedoktert wurde. Diese Symptome sind nirgendwo deutlicher als in der faktischen Entzweiung zwischen den Lebensrealitäten des politischen Berlins und dem Leben in Sachsen, Bayern, Schleswig-Holstein oder an anderen Orten. Während die allermeisten Bürger davon überzeugt sind, dass die Bürger immer stärker reglementiert und erzogen werden müssen, bis hin zur Verstümmelung der Sprache mit Gendersternchen und Doppelpunkten, wollen viele Bürger von diesen Segnungen einfach nur noch in Ruhe gelassen werden. Sie wollen arbeiten und leben – mit oder ohne Familie, in der Stadt, auf dem Land –, und sie brauchen keine Vorschriften von uns darüber, wann und mit wem sie ihr Haus oder die Wohnung verlassen dürfen, oder gar Reisebeschränkungen, die an die letzte deutsche Diktatur erinnern.
Den ganzen Vormittag, meine Damen und Herren, wurde hier eine angebliche Richtungsentscheidung beschworen. Mit Blick auf den Erhalt des eigenen Mandats mag das zutreffen; aber wenn Sie die Wähler fragen, werden Sie erstaunt sein, wie wenig Unterschiede diese zwischen den Parteien noch erkennen.
Die Frage, die wir viel öfter stellen müssen, lautet: Hat dieser Bundestag, hat dieses politische System überhaupt noch eine breite gesellschaftliche Legitimation der Bürger, oder agieren wir längst im politischen Vakuum? Oder anders: Ist ein politisches Berlin besser in der Lage, Probleme zu lösen, als finanziell autonome Landkreise oder Bundesländer? Ist die sogenannte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse nicht in Wahrheit ein sozialistischer Blütentraum, der Wettbewerb und die freie Entscheidung verhindert, so zu leben, wie jeder es möchte?
Nein, wir brauchen nicht mehr Regierung, nicht mehr Minister, nicht mehr Regeln, nicht neue Subventionen, nicht die Abschaffung des Föderalismus, nicht die Zentralisierung, sondern wir brauchen endlich mehr Freiheit und eine neue Idee für dieses Land. Denn wenn die Nation, meine Damen und Herren, nicht überlebensfähig ist, dann ist es ein europäischer Zentralstaat auch nicht; denn er ist nicht mehr als eine verbrauchte Idee auf einer noch schlechter überschaubaren Ebene.
Meine Damen und Herren, die Idee der Freiheit hatte in Deutschland noch nie breite Mehrheiten; aber nach dem Zweiten Weltkrieg gab es immerhin für einige Jahre politische und wirtschaftliche Vernunft. Heute sind staatliche Zuteilung und Erziehung wieder salonfähig und erinnern an dunkle Episoden in diesem Land. Ob sich Inseln der menschlichen, individuellen Freiheit in die Zukunft retten lassen, das entscheiden Bürger, Politiker und Mandatsträger in den nächsten Jahren. Den Mut zu dieser offenen Diskussion wünsche ich uns allen gemeinsam.
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Das Wort hat die Kollegin Yasmin Fahimi für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren im Parlament! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer an den Monitoren! Ich habe jetzt sozusagen das Schlusswort in dieser Debatte, und ich werde mich einmal um eine Art Zusammenfassung dessen bemühen, was ich hier heute gehört habe.
Wenig überzeugend fand ich – bei aller Sympathie – das, was die Fraktion Die Linke hier heute noch einmal untermauert hat. Diese Art der apodiktischen Politik – nichts unter 100 Prozent unserer eigenen Positionen lassen wir auch nur im Ansatz zu – ist wenig überzeugend.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, immer nur den Schnaps in der Theorie zu versprechen, macht in diesem Land auch keinen lustiger.
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Wir haben hier und da etwas von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gehört. Das war mir ein bisschen zu viel Schaufensterpolitik.
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Man muss schon darüber reden, was die Zielkonflikte dahinter sind, und darf die nicht einfach unter den Teppich kehren. Da nützt es nichts, hier über den Ausbau der erneuerbaren Energien zu sprechen, aber gleichzeitig in Baden-Württemberg den Umbau nicht hinzubekommen. In Baden-Württemberg bauen Sie gerade einmal halb so viele Windkrafträder wie das viel kleinere Nachbarland Rheinland-Pfalz, vom Netzausbau überhaupt nicht zu sprechen.
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Das, glaube ich, macht deutlich, woran man Politik wirklich messen muss.
Am problematischsten ist aber die erratische Politik der Union, die heute hier noch einmal unterstrichen worden ist. Stillstand ist das, was Sie hier erzählen. Mit beiden Beinen haben Sie die gesamte Legislatur über auf der Bremse gestanden, wenn es um faire Entlohnung, wenn es um gute Arbeitsbedingungen und wenn es um angemessene Renten gegangen ist. Das ist Ihr wahres Gesicht, das Sie hier heute noch einmal gezeigt haben. Jens Spahn hat sich mehr um die Maskendeals gekümmert als um eine solide Krankenhausfinanzierung oder eine Offensive der Fachkräfte in den Pflegebereichen.
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Frau Karliczek hat den Neustart im BAföG verhindert und hat Gelder, die wir zur Verfügung gestellt haben, einfach nicht ausgegeben, sondern schickt sie wieder zurück, anstatt etwas damit zu machen.
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Sie können bis heute keine klare Aussage über das Rentenniveau treffen, spekulieren stattdessen lieber über die Anpassung des Renteneintrittsalters.
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Und Sie negieren bis heute das Problem der sachgrundlosen Befristung. Diese Art der erratischen Politik gehört abgewählt.
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Über die Hasardeure der FDP will ich gar nicht reden. Das ist alles Neoliberalismus aus der Mottenkiste. Am Ende geht es nur um die Abschaffung des Solis für Spitzenverdiener; das können wir uns sparen.
Die sklerotische Politik der AfD ist genauso verknöchert wie die Abgeordneten, die sie hier im Parlament vertreten.
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Spielen Sie sich nicht auf als die Partei des kleinen Mannes. Sie wollen den Mindestlohn abschaffen. Sie wollen ein strengeres Bankengeheimnis. Sie sind nichts anderes als die Schutzmacht der Steuerbetrüger und nicht die Partei des kleinen Mannes oder der kleinen Frau.
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Was dieses Land braucht, ist eine Politik aus einem Guss, gute Übergänge von Schule in Ausbildung, in Jobs. Dafür brauchen wir einen Neustart im BAföG und eine Ausbildungsgarantie.
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Wir wollen gut bezahlte Arbeit. Dafür wollen wir den Mindestlohn anheben, und dafür brauchen wir ein Bundestariftreuegesetz, weil es nämlich um faire Löhne geht. Wir wollen die Mitte entlasten durch die Einführung einer Kindergrundsicherung und durch den Bau von bezahlbarem Wohnraum. Und wir brauchen Investitionen in die Modernisierung unserer Industrie, damit klimaneutrales Wirtschaften gelingen kann, aber damit auch gute Arbeitsplätze von morgen gesichert sind. Das ist qualitatives Wachstum und gutes Leben.
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Im Übrigen wissen wir auch, wie es geht: mit soliden Finanzen, und zwar nicht einfach über eine Schuldenbremse. Herr Laschet hat sich da vorhin mit Schuldenbremse und schwarzer Null vertan; das kann er sich ja noch einmal ansehen. Es geht um gerechte Verteilung. Das gibt unser Steuerprogramm sehr genau her.
Sehr geehrte Damen und Herren an den Monitoren, liebe Wählerinnen und Wähler, wir, die SPD, wollen eine Politik der Zuversicht, und wir setzen dabei auf Ihre Potenziale, auf Ihren Fleiß, auf Ihre Kreativität, auf Ihr Engagement. Das ist die Art des Respekts, die wir Ihnen mit unserem Programm zollen wollen. Wenn man sich ansehen will, wie das konkret aussieht, dann sage ich nur: Hannover. Es ist eine Stadt, die 75 Jahre von keiner anderen Partei so geprägt worden ist wie von der SPD. Neun von zehn Menschen leben in Hannover gerne, zufrieden und glücklich. Das ist sozialdemokratische Politik. Das ist eine Gesellschaft des Miteinanders. Wer das will, der muss am 26. September Olaf Scholz und unsere gemeinsame Partei, die SPD, wählen.
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Ich schließe die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Aufbauhilfegesetz beraten wir heute auch über wichtige Änderungen im Infektionsschutzgesetz. Die parlamentarischen Beratungen der letzten Tage haben uns allen, Koalition und Opposition, viel abverlangt. Ich möchte aber unmissverständlich klarstellen: Das Beratungsverfahren war straff; es ist jedoch ordnungsgemäß durchgeführt worden. Herr Gesundheitsminister Spahn, wären Sie gleich der SPD gefolgt, hätte das parlamentarische Verfahren schon lange vor der Sommerpause geordnet begonnen und abgeschlossen werden können.
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Diese Randbemerkung vorweggestellt, möchte ich nun auf die wesentlichen Änderungen im Infektionsschutzgesetz eingehen.
In der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wird das Auskunftsrecht von Arbeitgebern bezüglich des Coronaimpfstatus von Beschäftigten. Die einen fordern mehr; den anderen geht es zu weit. Wir erweitern mit dem vorliegenden Gesetzentwurf aber aus gutem Grund den Kreis der Einrichtungen, in denen von den Beschäftigten eine Auskunft über den Coronaimpf- bzw. ‑immunstatus verlangt werden kann. Denn es war niemandem zu erklären, warum dies zum Beispiel in Krankenhäusern und in Arztpraxen seit langer Zeit selbstverständlich ist, in der ambulanten und stationären Pflege aber nicht.
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Kitas und Schulen jetzt ebenfalls mit einzubeziehen, ist für mich als Gesundheitspolitikerin angesichts der steigenden Infektionszahlen bei Kindern, die wir durch eine Impfung gar nicht schützen können, und bei Jugendlichen wirklich das Gebot der Stunde;
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denn dort, wo vulnerable und schutzbedürftige Menschen sehr nah zusammenkommen, muss in der Pandemie besondere Vorsicht gelten.
Für die Sicherstellung des Infektionsschutzes ist es sowohl für Beschäftigte als auch für die zu Betreuenden wichtig, dass der Arbeitgeber den Immunstatus kennt. Nur dann kann der Infektionsschutz im Betrieb sowohl für Beschäftigte als auch für die zu Betreuenden optimal sichergestellt werden.
Für die SPD ist es aber ganz klar: Gesundheitsdaten sind sehr sensible Daten. Sie unterliegen einem besonderen Schutz, und deshalb müssen Regelungen zur Offenlegung dieser Angaben die absolute, gut begründete Ausnahme sein.
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Meine Bürgerinnen und Bürger, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind noch mitten in der Pandemie. Allerdings hat die wohlvertraute Sieben-Tage-Inzidenz mit steigender Impfquote an Aussagekraft bezüglich der Belastung des Krankenhaussektors verloren.
Kollegin Dittmar, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage. – Es ist deshalb nur konsequent, für notwendige Infektionsschutzmaßnahmen stärker auf die Hospitalisierungsrate abzustellen. Sie wird der neue Leitwert. Die Inzidenz bleibt aber wichtiger Frühindikator, sowohl was die Infektionsdynamik als auch die Verteilung in den Altersgruppen angeht. Sie wird bei den Infektionsschutzmaßnahmen genauso wie die Impfquote oder Intensivbettenbelegung weiterhin berücksichtigt werden müssen. Konkrete bundeseinheitliche Schwellenwerte wird es allerdings nicht mehr geben. Diese können die Länder unter Berücksichtigung ihrer Versorgungskapazitäten künftig selbst festlegen.
Kolleginnen und Kollegen, es ist gut, dass wir heute diese wichtigen Änderungen im Infektionsschutzgesetz vornehmen. Diese Regelungen sind ausgewogen, sie sind notwendig, und sie sind richtig. Aber ich sage auch: Besser noch als die Erfassung des Infektionsgeschehens ist es, die Covid-Infektion überhaupt nicht zuzulassen.
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Über 54 Millionen Menschen in Deutschland haben sich schon für eine Impfung entschieden – eine gute Entscheidung. Aber um sicher durch Herbst und Winter zu kommen, müssen sich noch mehr dafür entscheiden. Ich appelliere deshalb an alle Zögerlichen, Zweifler, Skeptiker: Setzen Sie sich noch einmal intensiv mit den Impfungen auseinander, sprechen Sie mit Ihrem Arzt und Ihrer Ärztin! – Neue Studien zeigen erneut die Wirksamkeit und Sicherheit der Impfstoffe. In der Altersgruppe 18 bis 59 heißt das ganz konkret: 95-prozentiger Schutz vor Hospitalisierung, 97-prozentiger Schutz vor Intensivbehandlung, 100-prozentiger Schutz vor einem tödlichen Krankheitsverlauf. Also, lassen Sie sich impfen! Schützen Sie Ihr Leben und Ihr eigenes Umfeld!
Kollegin.
Herzlichen Dank. Und bleiben Sie gesund!
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Das Wort hat der Abgeordnete Rüdiger Lucassen für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Flut im Westen Deutschlands ist zweifelsfrei eine Jahrhundertkatastrophe. Ich selbst habe Schäden in diesem Ausmaß vorher noch nie mit eigenen Augen gesehen. Meine Wohnung liegt in der Altstadt von Bad Münstereifel, direkt an der Erft. Das Haus hat standgehalten, ist aber einsturzgefährdet. Am Samstag nach der Flut konnten meine Frau und ich unseren Hausstand retten. Ob und wann wir wieder in unser Heim zurückkehren können, wissen wir nicht.
Eines weiß ich aber gewiss: Wenn das eigene Leben betroffen ist, blickt man klarer auf die Dinge als aus dem Fenster einer Staatslimousine. Unseren Verlust teile ich mit Tausenden Landsleuten in der Region. Viele haben noch weitaus mehr verloren als ich. Mehr als 180 Menschen sind in den Fluten ums Leben gekommen, 180 Menschen, die in ihren Wohnstuben saßen oder Sachen aus dem Keller holen wollten, mit dem Auto aus der Tiefgarage fuhren oder sogar auf der Straße auf dem Weg nach Hause fortgerissen wurden, 180 Menschen, die jetzt tot sind und die trotz der Tatsache, dass sie tot sind, einen Anspruch haben, einen Anspruch auf die Beantwortung der Frage nach der Verantwortung für ihren Tod.
In Nordrhein-Westfalen hat die Flut ein Staatsversagen offengelegt. Der Katastrophen- und Bevölkerungsschutz von Bundes- und Landesregierung hat in gigantischem Ausmaß versagt:
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Alarmierungen des Europäischen Hochwasserwarnsystems wurden ignoriert, Sirenen wurden nicht aktiviert. Die bedrohten Dörfer und Städte wurden viel zu spät evakuiert. Das hat Menschenleben gekostet.
Das Staatsversagen ist das eine; das andere ist der inzwischen okkulte Reflex der Politik, dieses Versagen auf den Klimawandel zu schieben. Ja, Klima wandelt sich, schon immer. Ja, der Mensch muss besser mit der Natur umgehen, alles richtig. Aber für den Hochwasserschutz, für Rückhaltebecken, für Aufforstungen, für Sirenen, für digitale Warnsysteme sind die Regierungen in Bund und Ländern zuständig und nicht das Klima.
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Der Schutz der Bevölkerung ist die Kernaufgabe des Staates und damit die erste Pflicht eines Ministerpräsidenten. Herr Laschet hätte die Menschen warnen und evakuieren müssen. Das hat er nicht getan. Herr Laschet hätte für eine Infrastruktur zum Schutz der Dörfer und Städte sorgen müssen. Das hat er nicht getan. Herr Laschet hat die Menschen in Nordrhein-Westfalen im Stich gelassen. Er hat die Bevölkerung nicht geschützt.
Meine Damen und Herren, in all dem Versagen der Politik war auch ein Lichtblick zu sehen, und das sind die Menschen in unserem Land. Was ich in den Tagen nach der Flut in meiner Heimat an Hilfsbereitschaft und Durchhaltewillen gesehen habe, zeigt mir, dass unser Land eine Zukunft hat. Ich danke allen Landsleuten, die in den letzten Monaten in meiner Heimatregion Großartiges geleistet haben. Sie werden sehen: Wir bauen dieses Land wieder auf.
Danke schön.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über diesen Solidaritätsfonds debattieren und ihn – davon bin ich überzeugt – auch beschließen, dann sind wir in Gedanken bei den Opfern der Flutkatastrophe. Wir sind in Gedanken bei den Angehörigen, bei den Menschen in den Dörfern, in den Städten, in den Regionen, und wir teilen ihren Schmerz. Wir wissen: Geld kann diesen Schmerz nicht lindern. – Aber wir erinnern uns auch an das, was wir gesagt haben, als wir diese schrecklichen Bilder vor Augen hatten. Wir haben gesagt: Wir werden euch nicht alleinlassen. Wir werden euch nicht vergessen. Wo wir helfen können, wo Bundesmittel nötig sind, wo wir, Bund und Länder, gemeinsam solidarisch unterstützen können, da werden wir es tun. – Dieses Versprechen lösen wir heute ein.
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Wir lösen es ein mit einer großen Kraftanstrengung, mit einem Fonds, der mit 30 Milliarden Euro gefüllt wird, den Bund und Länder gemeinsam finanzieren werden und mit dem wir sagen: Selbstverständlich werden wir Infrastrukturen des Bundes, die betroffen sind, wieder aufbauen. Aber damit sagen wir auch: Da, wo Menschen in ihrer Existenz betroffen sind und Unterstützung brauchen, wo es um Betriebe und deren Existenz geht, wo in den Gemeinden Vereine und Einrichtungen wieder aufgebaut werden müssen, sind wir da, und wir unterstützen. Wir sagen auch: Es muss schnell gehen. Da muss keiner warten, bis er den Zuwendungsbescheid hat. Es kann gleich angefangen werden. Es muss unbürokratisch sein.
Ich will ganz deutlich sagen: Wir alle waren beeindruckt von dem Zusammenhalt in diesen Gebieten und weit über diese Gebiete hinaus. Ich will sagen: Respekt davor, wie die Menschen da angepackt haben! Ich will in unser aller Namen ein Dankeschön sagen an die Hilfsorganisationen, an die Rettungsorganisationen, an die Polizei, an die Feuerwehren, an alle, die dort angepackt haben und mitgeholfen haben. Das ist eine große solidarische Leistung unseres Landes.
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Selbstverständlich gilt, dass wir Konsequenzen zu ziehen haben, dass wir zu fragen haben: Wo müssen wir besser werden beim Hochwasserschutz? Wo müssen wir besser werden beim Katastrophenschutz? Wo müssen wir auch grenzüberschreitend denken? Flüsse sind grenzüberschreitend. Deshalb brauchen wir auch hier grenzüberschreitende Risikoanalysen, grenzüberschreitende Vorsorgen, grenzüberschreitende Strategien, grenzüberschreitende Übungen. Wir müssen hier im Land und gemeinsam mit unseren Nachbarländern besser werden. Das wird auch Geld kosten. Dazu bekennen wir uns. Es ist eine Investition in unsere gemeinsame Sicherheit.
Selbstverständlich müssen wir schneller werden beim Klimaschutz. Dieses Ereignis vor Augen, da ist unbestreitbar: Wir müssen den Klimawandel konsequent bekämpfen.
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Wir müssen hier mehr Tempo machen. Da kann man nie nur ein einzelnes Ereignis nennen. Aber es ist unbestreitbar – das sage ich in Ihre Richtung –, das sagt die übergroße Mehrheit der Wissenschaftler: Es gibt einen menschengemachten Klimawandel; der führt zu einer Häufung von Extremereignissen. Darunter leiden viele Regionen der Welt schon lange. Auch bei uns gibt es da eine Häufung. Deshalb sind wir aufgefordert, da entschieden zu handeln.
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Es ist nicht nur eine Forderung; es ist Gesetz. Die Bundeskanzlerin hat es heute gesagt: Wir haben in dieser Legislaturperiode einen großen Fortschritt erreicht: ein Klimaschutzgesetz.
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Wir haben gesetzlich verbindlich die Klimaziele festgeschrieben; wir haben sie im Juni nachgeschärft. Klimaneutralität und der Pfad dahin sind Gesetz. Da gibt es kein Vertun; da gibt es auch keine Kompromisse. Da ist Jahr für Jahr vorgegeben: Das müssen wir erreichen; das ist unser Weg. Den gehen wir konsequent an. Wir setzen dabei auf Innovation, wir setzen auf Planungsbeschleunigung, wir setzen auf einen Turbo für erneuerbare Energien, wir setzen auf neue Technologien wie die Wasserstoffstrategie. Mit allen Maßnahmen, mit einem Instrumentenmix aus Regeln, aus starker Förderung zum Beispiel für Gebäudesanierung, für Heizungsaustausch, für nachhaltige Mobilität und mit marktwirtschaftlichen Instrumenten werden wir das voranbringen.
Immer steht Innovation im Mittelpunkt, und immer steht dieser Zusammenhalt, diese Gemeinschaft, die ich gerade beschrieben habe, im Mittelpunkt. Die brauchen wir auch da, und die brauchen wir auf der ganzen Strecke, auf diesem ganzen Pfad dahin, weil wir konsequenten Klimaschutz mit Wirtschaft zusammenbringen, weil wir ihn mit Sozialem zusammenbringen. Das ist Nachhaltigkeit. Wir stehen für Nachhaltigkeit in der ganzen Breite. Das ist unser Weg. Dafür haben wir wichtige Entscheidungen getroffen, und die werden wir beherzt angehen.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Wolfgang Kubicki für die FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die ersten Redebeiträge haben bereits gezeigt, wie unsinnig die Weigerung der Großen Koalition war, die Debatte über das Sondervermögen und die Debatte über das Infektionsschutzgesetz nicht getrennt zu behandeln, sondern in einer gemeinsamen Beratung.
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Ich werde mich auch darauf konzentrieren, zum Infektionsschutzgesetz zu sprechen; den Rest wird der Kollege Herbrand für die FDP-Fraktion machen.
Um es vorweg kurz zu machen: Meine Fraktion wird der Änderung des Infektionsschutzgesetzes nicht zustimmen, nicht nur, weil nach unserer Auffassung die pandemische Lage nationaler Tragweite weder rechtlich noch tatsächlich weiterhin gegeben ist. Diese Regierung lässt auch völlig im Dunkeln, wann und unter welchen Bedingungen der bestehende Ausnahmezustand beendet und die Normalität wiederhergestellt wird. Nach unserer Auffassung lassen sich weitere massive Grundrechtseinschränkungen nicht mehr begründen.
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Seit Ende letzten Jahres erklärt die Bundesregierung, dass dann, wenn alle Menschen in Deutschland ein Impfangebot erhalten haben werden, alle grundrechtsbeschränkenden Maßnahmen aufgehoben würden. Dies hat der Kanzleramtsminister Helge Braun Anfang März in einem bemerkenswerten Beitrag gegenüber der Funke-Mediengruppe ausdrücklich wiederholt. Der Einwand, man kannte die Delta-Variante noch nicht, ist nicht nur falsch, sondern auch untauglich. Denn noch Ende Juni hat das RKI in seinem „Impfbuch für alle“ festgestellt, dass spätestens im Herbst, wenn alle ein Impfangebot erhalten haben, diejenigen, die sich nicht impfen lassen, ausschließlich ein persönliches Krankheitsrisiko tragen. Wann also enden die administrativen Eingriffsbefugnisse?
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben heute Morgen davon gesprochen, dass wir für die Impfungen werben müssen. Dem schließe ich mich ausdrücklich an. Jeder, der die Möglichkeit hat, sollte sich wirklich impfen lassen. Aber hören Sie auf, Nichtgeimpften mit dem Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben zu drohen! Hören Sie auf, sie zu Schuldigen zu machen und ihre soziale Verantwortung infrage zu stellen! Das spaltet die Gesellschaft in unerträglicher Weise.
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Von Nichtgeimpften geht keine Gefahr aus. Die Gefahr geht ausschließlich von Infizierten aus. Ich habe mich impfen lassen, um vor Letzteren keine Angst mehr zu haben, und das sollte für alle Geimpften gelten. Der Virologe Christian Drosten hat vor ein paar Tagen gegenüber dem NDR Folgendes gesagt – hören Sie freundlicherweise zu! –:
Mein Ziel als Virologe Drosten, wie ich jetzt gerne immun werden will, ist: Ich will eine Impfimmunität haben und darauf aufsattelnd will ich dann aber durchaus irgendwann meine erste allgemeine Infektion und die zweite und die dritte haben. Damit habe ich mich schon lange abgefunden.
Und dann weiß ich, bin ich richtig langhaltig belastbar immun und werde nur noch alle paar Jahre überhaupt mal dieses Virus sehen, genau wie ich die anderen Coronaviren auch immer mal wieder sehe.
Es ergibt infektiologisch Sinn, weiterhin bei Testungen zu bleiben, weil wir mittlerweile wissen, dass auch Geimpfte und auch Genesene Infektionsträger, also ansteckend sein können.
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Dies sollte aber den Menschen freigestellt sein und nicht staatlich verordnet. Weil es ein übergeordnetes Interesse des Staates gibt, das Pandemiegeschehen im Auge zu behalten, darf es auch keine Kostenpflicht bei Testungen geben. Es macht für die regierungstragende Fraktion übrigens keinen Sinn, eine pandemische Lage nationaler Tragweite festzustellen und anschließend Testungen kostenpflichtig zu machen. Das ist ein Widerspruch in sich.
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Es wird Zeit, dass das Prinzip der Eigenverantwortung wieder zum tragenden Element unseres Zusammenlebens wird. Wir sollten dem Beispiel unserer dänischen Freunde folgen und konsequent den Weg zur Normalität gehen.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die Fraktion Die Linke.
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Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben ausreichend guten Impfstoff, wir haben hervorragende Virologinnen und Virologen, Ärztinnen und Ärzte, Krankenpfleger und Krankenschwestern. Aber trotzdem erleben wir im Augenblick fast einen Impfstillstand. Da muss man doch die Bundesregierung fragen, warum sie es nicht schafft, aus diesen hervorragenden Voraussetzungen etwas zu machen. Ich glaube, sie muss ihre Verantwortung endlich eingestehen, meine Damen und Herren, und darf nicht die Bürgerinnen und Bürger beschimpfen.
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Heute nun will die Bundesregierung völlig überstürzt – nicht einmal eine Anhörung im Bundestag wurde zugelassen; da muss ich Ihnen, Kollegin Dittmar, ausdrücklich widersprechen; völlig überstürzt! – die Verhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern über den Haufen werfen. Ich sage Ihnen: Arbeitsrecht und Datenschutz sind nichts für schönes Wetter. Gerade in Krisen muss damit sorgfältig umgegangen werden. Alles andere zerstört Vertrauen, und da machen wir nicht mit, meine Damen und Herren.
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Die Virologen haben ja recht: Unsere Impfquote ist zu niedrig. Also müssen wir über die Frage sprechen, warum Pandemieminister Spahn mit seiner Impfstrategie es eben nicht geschafft hat, sie zu erhöhen. Zurzeit liegt sie nach Aussagen des RKI bei 61,3 Prozent vollständig Geimpfter. Man kann mir doch nicht weismachen, dass es in Deutschland fast 40 Prozent Hardcore-Impfgegner gibt. Da macht doch die Bundesregierung etwas falsch.
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Warum sind – die Frage müssen wir uns doch stellen – in Dänemark schon 73,1 Prozent und in Portugal 76,8 Prozent geimpft? Haben Sie da mal nachgefragt? Einige Fehler liegen ja auf der Hand: Anfang 2020 hat Minister Spahn eine neue Abteilung „Gesundheitssicherheit, Gesundheitsschutz, Nachhaltigkeit“ gegründet. Zum Leiter wurde ein General der Bundeswehr berufen, der dort ausdrücklich auch in Uniform erscheinen sollte. Spätestens da war mir klar: Diese Sache muss schiefgehen. Ein Virus kann doch nicht mit militärischer Logik besiegt werden.
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Wir werden auch in Zukunft keine Kriege gegen Krankheiten gewinnen. Was wir brauchen, sind Information, Aufklärung, Überzeugung. Dafür braucht man keine Generäle, sondern Psychologen, Kommunikationsexperten, also Aufklärung, Überzeugung und Gelegenheiten, kein Gerede über Krieg, meine Damen und Herren.
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Es gibt auch ein Misstrauen gegenüber der Pharmaindustrie. Die Preispolitik ist nicht transparent, und viele haben den Eindruck, dass es Pfizer, BioNTech und anderen eben nicht nur um die Bekämpfung der Pandemie, sondern auch um Profite geht. Auch dem müssen wir uns deutlich entgegenstellen, meine Damen und Herren.
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Was nun das Impfen betrifft, haben wir historische Vorbilder. Ich kann nur empfehlen, sich ein Beispiel an Elvis Presley zu nehmen. 1956 ließ sich Elvis Presley vor einem Auftritt öffentlich gegen Polio impfen. Danach explodierte die Immunisierungsquote in den USA unter Teenagern in nur sechs Monaten. Also: Wir brauchen die richtigen Vorbilder, meine Damen und Herren.
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Unsere Botschaften sind ganz klar:
Erstens. Unausgegorene Gesetzesänderungen, wie sie hier vorliegen, zerstören Vertrauen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern; das lehnen wir ab.
Zweitens. Es muss jetzt wieder geimpft werden. Dafür brauchen wir Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Anreize, und der Zugang muss niedrigschwellig sein. Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel: In meinem Wahlkreis in Berlin-Lichtenberg haben wir hinter einem großen Möbelhaus – den Namen nenne ich jetzt nicht – ein Drive-und-Walk-in-Impfzentrum errichtet. Da kommen täglich Hunderte Menschen vorbei. Das widerspricht doch der These von der allgemeinen Impfmüdigkeit. Es muss mehr solcher Gelegenheiten geben; das wäre der richtige Weg, meine Damen und Herren.
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Drittens. Pandemien besiegen wir nicht allein mit Impfstoffen, sondern vor allen Dingen mit Solidarität in unserem Land und mit den Ländern, die immer noch zu wenig Impfstoff haben. Darum wiederhole ich ganz deutlich unsere Forderung: Geben Sie endlich die Patente frei! Das ist eine Frage der Solidarität, aber auch eine Frage des Selbstschutzes, meine Damen und Herren.
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Ich gebe dem Kollegen Kubicki recht: Es ist wirklich sehr ungünstig, dass wir beide Themen in einem Komplex behandeln müssen. Wir haben uns in der vergangenen Sitzung ja sehr ausführlich damit befasst, wie das Sondervermögen aufgebaut werden soll. Ich möchte für meine Fraktion ganz deutlich sagen: Wir unterstützen die Aufbauhilfen. Wir sind in unseren Gedanken bei den Menschen, die so vieles erlitten haben, und wir bedanken uns ausdrücklich bei allen Helferinnen und Helfern und bei allen Spenderinnen und Spendern. Da hat sich gezeigt, dass es in unserem Land bei den Menschen viel Solidarität gibt.
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Wir müssen aber auch Schlussfolgerungen ziehen. Wir brauchen endlich einen effektiven Hochwasserschutz, und wir brauchen einen wirksamen Katastrophenschutz. Nun beschließen wir ja wieder viel Geld, und darum sage ich ganz deutlich: Wir wollen vor der Wahl wissen, wer die Rechnung bezahlen soll. CDU/CSU und FDP wollen vor allen Dingen die Vermögenden nach der Wahl steuerlich entlasten, und die Wählerinnen und Wähler müssen wissen: Diese Parteien sind die Vermögensverwalter der Reichen in diesem Land und nicht die der Mehrheit.
Wir als Linke wollen die 119 deutschen Milliardäre zur Kasse bitten. Keiner von denen muss fürchten, nach der von uns eingeführten Vermögensabgabe als armer Millionär sein Leben fristen zu müssen; das versprechen wir. Wir wollen eine gerechte Gesellschaft. Wir treten an für eine andere Steuerpolitik, damit die Menschen in diesem Land wieder besser leben können.
Herzlichen Dank.
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Der Kollege Sven-Christian Kindler hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Anfang dieser Debatte will ich feststellen, dass es ein Unding und sehr unglücklich gelaufen ist, dass hier die Fluthilfe, der Wiederaufbaufonds, und Änderungen im Infektionsschutzgesetz in einem Gesetz verbunden wurden und hier gemeinsam diskutiert werden müssen. Das ist mit Blick auf die parlamentarische Debatte sehr schwierig, und ich will hier sehr klar sagen: Die Änderung des Infektionsschutzgesetzes halten wir für nicht zielführend; deswegen werden wir sie ablehnen.
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Am Ende werden wir aber natürlich dem Wiederaufbaufonds und den Aufbauhilfen zustimmen, weil sie richtig und notwendig sind. Wir danken allen Rettungskräften, die in dieser schweren Not geholfen haben, allen Menschen, die solidarisch waren mit denjenigen, die so viel verloren haben, den vielen, die verletzt worden sind, mit denjenigen, deren Angehörige gestorben sind, die so viel verloren haben. Deswegen ist es richtig und notwendig, dass der Bundestag gemeinsam mit den Ländern jetzt einen Wiederaufbaufonds auf den Weg bringt; dem stimmen wir zu.
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Aber wir müssen auch aus dieser Katastrophe lernen. Das heißt, wir müssen einen verbesserten Katastrophenschutz aufbauen mit mehr Koordination beim Bund. Die Wissenschaft sagt uns sehr deutlich: Solche Starkwetterereignisse werden durch die Klimakrise weiter zunehmen, und wenn sie dann auftreten, werden sie deutlich heftiger. Das zeigen uns die vielen Starkwetterereignisse, die wir in den letzten Tagen und Wochen gesehen haben: Hitzewellen in den USA und Kanada, in Griechenland, Italien und in der Türkei, Waldbrände in Sibirien. Das Grönlandeis schmilzt so schnell wie noch nie. Also: Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir müssen jetzt handeln, jetzt und nicht irgendwann. Deswegen geht es bei der Bundestagswahl darum, dass wir endlich Ernst machen mit dem Klimaschutz.
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Die nächste Bundesregierung muss mit dem Klimaschutz endlich Ernst machen. Denn wo waren denn Union und SPD in den letzten 16 Jahren? 16 Jahre hat die Union regiert, 12 davon zusammen mit der SPD. In dieser Zeit haben Sie die erneuerbaren Energien rasiert. Sie haben fossile Energien mit Subventionen in Milliardenhöhe gepampert. Sie haben dafür gesorgt, dass immer weiter neue Autobahnen gebaut wurden. Sie haben beim Klimaschutz nichts gemacht, und das muss sich endlich ändern.
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Wenn man sich noch mal die Positionen der Kandidaten von Union und SPD genau anschaut, findet man sehr viele Übereinstimmungen, was Maßnahmen gegen konkreten Klimaschutz anbelangt. Armin Laschet und Olaf Scholz wollen einen Kohleausstieg erst 2038. Olaf Scholz und Armin Laschet wollen weiterhin schmutzige Diesel subventionieren. Sie wollen weiter Milliarden für die Flugindustrie und neue Autobahnen ausgeben, anstatt das Geld in die Bahn zu investieren.
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Olaf Scholz und Armin Laschet – man könnte auch sagen: Armin Scholz und Olaf Laschet – wollen weiter die Klimakrise befeuern. Das geht gar nicht! Wir müssen endlich Ernst machen mit dem Klimaschutz.
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Denn worum es jetzt geht: Wir brauchen endlich einen großen Aufbruch. Wir brauchen Mut zu Veränderung, den Abbau von klimafeindlichen Subventionen, große Investitionen statt des Dogmas der schwarzen Null und einen klaren Ordnungsrahmen für Klimaschutz statt eines Weiter-so mit der Großen Koalition.
Danke schön.
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Das Wort hat Dr. Johannes Fechner für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Einen starken Staat, der für die Bürger da ist, den zeichnet es aus, wenn er auch in Krisenzeiten wichtige Entscheidungen für die Bürgerinnen und Bürger trifft. Genau das machen wir hier und heute. Wir beschließen wichtige, ganz konkrete Hilfen für die Hochwassergeschädigten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, und wir treffen ganz wichtige Entscheidungen, um die Ausbreitung des Coronavirus weiter einzudämmen. Das zeigt eins ganz genau: Wir, die Politik, sind handlungsfähig. Wir kümmern uns um die Bürgerinnen und Bürger und treffen für sie die notwendigen Entscheidungen, so wie heute hier im Bundestag, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Die schreckliche Hochwasserkatastrophe hat uns alle erschüttert, und natürlich müssen wir in der nächsten Wahlperiode ganz genau prüfen, welche Konsequenzen von Bund und Ländern, aber auch vor Ort in den Gemeinden und Kreisen für den Katastrophenschutz gezogen werden müssen. Klar ist auch, dass die 30 Milliarden Euro, die wir heute hier zur Verfügung stellen, für die Betroffenen eine ganz, ganz wichtige Hilfe sind.
Aber auch rechtspolitisch machen wir einiges, um gerade die Arbeitnehmer und die Unternehmen vor Ort zu unterstützen. Denn wenn Arbeitnehmer und Unternehmer ihr Hab und Gut verloren haben, dann sollen sie sich nicht auch noch um ihren Arbeitsplatz und ihren Betrieb Sorgen machen müssen. Deswegen ist es wichtig, dass wir als Alternative zum Gang zum Insolvenzgericht die Insolvenzantragspflicht aussetzen, und zwar bis zum 31. Januar 2022, um den Unternehmen Luft zu geben, wieder auf die Beine zu kommen. Das ist eine ganz wichtige Maßnahme, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Kollege Fechner, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der AfD-Fraktion?
Nein. Wir haben hier ein hohes Niveau in der Debatte, und das will ich nicht gefährden.
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Die Hilfen sollen auch direkt bei den Unternehmen ankommen und nicht dazu dienen, Forderungen von Altgläubigern zu bedienen. Wir haben daher geregelt, dass die Hilfen schnell ausgezahlt werden und dass sie vor allem nicht weggepfändet werden können, sondern den Betrieben zur Verfügung stehen, damit dort die Jobs, an denen ja allzu oft Familien hängen, gesichert werden. Das ist eine ganz wichtige Maßnahme, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Auch ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich ein ganz großes Dankeschön und meinen Respekt gerade den ehrenamtlichen Helfern in den Hochwassergebieten aussprechen. Es ist wirklich großartig, was dort geleistet wird. Einmal mehr reden wir im Bundestag nicht nur über das Ehrenamt und zeigen zu Recht unseren Respekt, sondern wir unterstützen gerade auch die Ehrenamtlichen in den Vereinen mit ganz konkreten Gesetzesänderungen, zum Beispiel heute hier. Ich finde es wichtig, dass wir die Regelung zur Onlinedurchführung von Mitgliederversammlungen für Vereine verlängern und viele weitere, scheinbar kleine, aber dann doch wichtige Verbesserungen und Erleichterungen für die Vereine heute hier beschließen.
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Ein großer Respekt für das Ehrenamt!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind gerade im Vergleich mit den anderen Ländern, etwa in Europa, gut durch die Coronapandemie gekommen. Das haben wir engagierten Pflegekräften, Ärzten, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Gesundheitsämtern, aber vor allem den Bürgerinnen und Bürgern zu verdanken, die geduldig die – zugegeben einschneidenden -Coronamaßnahmen eingehalten und sich haben impfen lassen.
Aber gerade weil wir jetzt eine hohe Impfquote haben, können wir nicht nur allein auf den Inzidenzwert abstellen, wenn wir prüfen, ob eine so große Gefahr für die Bevölkerung besteht, dass die erheblichen Grundrechtseingriffe aus dem Infektionsschutzgesetz tatsächlich noch gerechtfertigt sind. Deswegen ist es gut, dass wir heute ganz klar regeln, dass vor allem die Hospitalisierungsrate, also die Auslastung in unseren Krankenhäusern, entscheidend dafür ist, ob es noch einschneidende Coronaschutzmaßnahmen braucht. Es ist gut, dass Herr Spahn und auch die Union – das will ich an der Stelle sagen – hier eingelenkt haben. Wir hätten das gern schon im November gemacht. Aber gut, dass wir heute hier die Abkehr vom Inzidenzwert als alleinigem Kriterium für die Coronaschutzmaßnahmen beschließen können.
Das zeigt, dass wir die Coronaschutzmaßnahmen daran ausrichten, dass die Grundrechte der Bürger geschützt sind und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingehalten wird. Vor allem dass alle wesentlichen Entscheidungen hier in der Volksvertretung, hier vom Bundestag getroffen werden, ist für mich eine ganz wichtige Feststellung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Sowohl die Coronapandemie als auch die Hochwasserkatastrophe – ich komme zum Schluss – haben uns gezeigt, wie wichtig ein starker Staat, ein starker Sozialstaat, ist. Ich glaube, mit diesen Gesetzesänderungen zeigen wir heute, dass wir handlungsfähig sind und uns um die Bürgerinnen und Bürger in der Krise kümmern.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Detlev Spangenberg für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Schon wieder wollen Sie die Bürger täuschen, indem Sie in ein zustimmungsfähiges Gesetz, nämlich das Fluthilfegesetz, schikanöse, grundrechtsfeindliche Änderungen des Infektionsschutzgesetzes einfügen.
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Das haben Sie schon in anderen Fällen getan, zum Beispiel beim Gesetz zur Verbesserung des Schutzes von Gerichtsvollziehern im Mai 2021 und beim Gesetz zur Vereinfachung des Stiftungsrechts im Juli 2021. Es ist immer das gleiche Spiel. Die Oppositionsfraktionen sollen durch die Verknüpfungen von ganz unterschiedlichen Sachfragen gezwungen werden, Dinge anzunehmen, meine Damen und Herren, die die Oppositionsfraktionen gar nicht annehmen wollen. Das ist das Ziel, das Sie hier verfolgen.
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Diese unlautere Weise der Koalition ist schon parlamentarische Übung geworden; das muss ich leider sagen. Dazu kommt, dass Änderungsanträge der Koalition kurzfristig mittels eilends einberufener Ausschusssondersitzungen eingebracht werden, sodass sie nicht ausgewertet und beraten werden können. Dies widerspricht parlamentarischen Gepflogenheiten. So war es zum Beispiel auch bei der letzten Sitzung des Ausschusses für Gesundheit am 2. September. Eine öffentliche Anhörung wird den Oppositionsfraktionen nach wie vor verweigert.
Zu den hier geplanten Änderungen im Infektionsschutzgesetz im Einzelnen ist zu sagen: Durch § 28a Absatz 1 Infektionsschutzgesetz besteht jetzt über die Maskenpflicht hinaus die Verpflichtung zur Vorlage eines Impf-, Genesenen- oder Testnachweises für die Inanspruchnahme von bestimmten Grundrechten. Das ist die Einführung der sogenannten 3-G-Regel. Meine Damen und Herren, es wird immer schlimmer in diesem Lande.
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Die Abkehr von den Inzidenzwerten als alleiniger Maßstab in § 28a Absatz 3 und die Einbeziehung von Versorgungskapazitäten bei der Beurteilung der Situation sind sinnvoll und entsprechen den Forderungen der AfD. Aber jetzt kommt es, meine Damen und Herren. In Absatz 7 kommt eine sehr bedenkliche Änderung – dies wurde schon angedeutet –: Hier wird nach Ende der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite die Formulierung dahin gehend geändert, dass für die Bundesländer die Schwelle für Coronamaßnahmen herabgesetzt wird. Ehemals musste sich die Krankheit ausbreiten. Jetzt genügt schon die konkrete Gefahr einer Ausbreitung. Das ist ein Einfalltor für subjektiv festgelegte Grundrechtseinschränkungen, die jeder nach Belieben für sich verwenden kann.
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Eine weitere bedenkliche Änderung, und zwar in § 36 Infektionsschutzgesetz, ermöglicht den Arbeitgebern bestimmter Berufsgruppen, Arbeitnehmer nach ihrem Impfstatus zu befragen und entsprechend zu handeln. Da hat natürlich der Arbeitgeber eine wunderbare Möglichkeit, Unliebsame auf andere Stellen innerhalb des Unternehmens umzusetzen oder ganz hinauszuwerfen. Auch wenn es zurzeit nur bestimmte Berufsgruppen betrifft, meine Damen und Herren, sagen wir: Wehret den Anfängen! – So lauten auch zahlreiche Bürgerschreiben – diese haben Sie bestimmt auch bekommen –, zum Beispiel vom Deutschen Gewerkschaftsbund und von dem Datenschützer Ulrich Kelber, die hier wirklich große Bedenken äußern.
Die Verschärfungen bei der Einreise nach § 36 Absatz 10 – die 3-G-Regelung für Bürger aus dem Schengenraum, die Sie auch eingeführt haben – sind in dieser Form nicht nachvollziehbar, da ja alle europäischen Staaten ähnliche Coronamaßnahmen ergreifen. Ihre Aussage, meine Damen und Herren, die Freiwilligkeit der Entscheidung über die Inanspruchnahme von Impfschutz bleibe unberührt, ist aus unserer Sicht eine leere Worthülse und spricht Hohn im Zusammenhang mit den Grundrechtseinschränken, denen Ungeimpfte unterworfen sind. Dies ist eines demokratischen Staates unwürdig.
Recht vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Stephan Stracke für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach 18 Monaten Coronapandemie können wir sagen: Wir haben dieses Land gut beschützt. Wir haben Impfstoffe, die wirken und schützen. Einer dieser Impfstoffe wurde in Rekordzeit hier in Deutschland erforscht und entwickelt. Wir können gemeinsam stolz sein auf den Wissenschafts- und Forschungsstandort Deutschland, der dies fördert und ermöglicht. Nun gilt es, Deutschland gut aus dieser Pandemie zu führen. Dafür ist das Impfen weiterhin zentral. Wir sind gut beim Impfen. Wir haben genügend Impfstoffe; dafür haben wir als Union gesorgt. Jede und jeder kann sich in diesem Land sofort impfen lassen.
Aber wir sind noch nicht gut genug, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Die Infektionszahlen bei den Ungeimpften sind mehr als zehnmal höher als bei Geimpften. 90 Prozent der Covid-Patienten auf den Intensivstationen sind Ungeimpfte. Das zeigt: Impfen macht den Unterschied aus. – Deswegen betonen wir dies in diesem Bereich.
Ich habe, Herr Kubicki, so ein bisschen den Eindruck: Sie haben Herrn Drosten nicht verstanden. Er ist derjenige, der deutlich gemacht hat, dass er sich impfen lässt, weil er diesen Basisschutz haben möchte. Das verändert die Lage, weil er damit risikoloser ins Infektionsgeschehen hineingeht.
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Das macht den Unterschied aus, anders als Sie es darstellen, Herr Kubicki.
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Wir werden den Impferfolg auch mit Auffrischungsimpfungen absichern. Wir beginnen jetzt bei den Hochbetagten, bei den Pflegebedürftigen, bei den Menschen, die besondere Immunerkrankungen haben. Auch das ist richtig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, seit Beginn der Coronapandemie war vor allem der Inzidenzwert wichtig. Dieser Parameter hat durch den Impferfolg, den wir in diesem Land haben, ein Stück weit an Bedeutung verloren. Deswegen macht es viel Sinn, diesen Maßstab durch die Hospitalisierungsinzidenz zu ersetzen, die anzeigt, wie stark unsere Krankenhäuser ausgelastet sind. Das tun wir auch, und wir setzen neue Maßstäbe. Wir behalten allerdings die Inzidenz als einen Maßstab bei, weil sie für die Betrachtung des Infektionsgeschehens weiterhin wichtig ist. Den Ländern obliegt es nun, die Schwellenwerte und die Art und Weise des Handelns in diesem Bereich zu bestimmen. Das ist sachgerecht, weil die Versorgungskapazitäten regional unterschiedlich sind und die Versorgung zum Teil überregional organisiert wird. Wir sorgen damit für mehr Spielraum für die Länder und für passgenaue Lösungen vor Ort und auch landesweit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, einen Lockdown wird es nicht mehr geben. Wir wollen durch den kommenden Herbst und Winter mit Impfen, Hygiene, Maskentragen und vor allem mit der 3-G-Regel in Innenräumen kommen.
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Und wenn jetzt davon gesprochen wird, dass das Auskunftsrecht des Arbeitgebers etwas ist, was überstürzt sei, was gänzlich fremd sei, dann darf ich zunächst einmal darauf hinweisen, dass wir seit längerer Zeit eine Regelung im Infektionsschutzgesetz haben, nämlich § 23a, der in Krankenhäusern, Rehaeinrichtungen, Arztpraxen und teilweise in Pflegediensten die Möglichkeit vorsieht, den Impfstatus von Beschäftigten abzufragen, und zwar nicht einfach nur so. Vielmehr ist es für die Arbeitsorganisation wichtig und für den Schutz der Menschen entscheidend, dass der Arbeitgeber weiß, wie der Impfstatus der Angestellten ist.
Wir übertragen nun genau diese Regelung in ihrem Kern auf die Coronalage und weiten diese auf die Pflegedienste im stationären Bereich, die mobilen Pflegedienste und natürlich auf Kitas und Schulen aus. Es macht doch Sinn, dass die Arbeitgeber ihre Arbeitsorganisation darauf abstellen können und Hygienemaßnahmen passgenau danach treffen können, je nachdem, ob ein Arbeitnehmer geimpft ist oder nicht. Genau deswegen – zum Schutz derer, die unseres Schutzes am meisten bedürfen, der Jüngsten und der Ältesten – machen wir diese Regelung, und wir erfüllen damit auch unseren ethischen Auftrag, unser Land gut zu behüten und zu beschützen.
Ich bitte um Zustimmung.
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Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Markus Herbrand das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch mein Heimatort Gemünd in der Eifel ist durch das Hochwasser weitgehend zerstört worden. Alleine in meiner Heimatkommune haben in dieser Nacht neun Personen infolge des Hochwassers ihr Leben verloren. Dass es nicht deutlich mehr waren, ist ein großes Wunder. Auch die materiellen Schäden sind apokalyptisch. Straßennetze, Ladengeschäfte, Kindergärten, Schulen, Vereinshäuser sind ebenso verloren wie ganz viele Privathäuser inklusive der darin befindlichen Lebenserinnerungen. Viele haben dazu noch ihre Arbeit verloren. Die Werkstatt des Handwerkermeisters, das Geschäft des Einzelhändlers, Restaurants, Hotels – alles weg, alles zerstört. Alle, die diese Nacht überlebt haben, werden sie nicht vergessen. Ich kenne viele Menschen persönlich, die um ihr Überleben gekämpft haben und die das sicher noch Jahre, vielleicht sogar ihr ganzes Leben lang nicht loslassen wird.
Zu dieser Verzweiflung gesellt sich aber auch sehr große Dankbarkeit – Dankbarkeit für die großartigen Hilfen, organisiert durch Bundeswehr, Technisches Hilfswerk, viele Menschen, Landwirte, Unternehmen aus nah und fern, Rotes Kreuz, die über viele Wochen kamen und immer noch kommen, um selbstlos zu helfen. Hierfür ist selbstverständlich auch die solidarische Hilfe von Bund und Ländern notwendig. Bis heute ist allerdings schon sehr viel Zeit vertan worden. Es wäre daher richtig gewesen, bereits früher eine Sondersitzung einzuberufen, wie von uns gefordert. Jeder Tag früher, an dem die Gewissheit darüber herrscht, wie finanziell entschädigt werden kann, entlastet diese Menschen von diesbezüglichen Sorgen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, geben Sie mir bitte auch die Gelegenheit, nach vorne zu schauen. Wir dürfen mit dem heutigen Tag keinesfalls zur Tagesordnung übergehen. Viele der betroffenen Gebiete sind seit jeher ohnehin strukturschwach. Wenn wir jetzt nicht nachhaltig helfen, besteht die Gefahr, dass ganze Landstriche langfristig veröden. Deshalb vier Aspekte, die mir wirklich wichtig sind:
Der erste Punkt. Die Hilfen müssen jetzt wirklich unbürokratisch, zeitnah und nachhaltig kommen. Unser Ziel muss es sein, den Menschen eine langfristige Bleibeperspektive als Arbeitnehmer oder als Arbeitgeber vor Ort zu geben.
Der zweite Punkt. Beim Neuaufbau der öffentlichen und privaten Infrastruktur darf es keine bürokratischen Hürden oder Denkverbote geben. Wir müssen die Chance jetzt nutzen, um nicht nur den Status quo wiederherzustellen, sondern die Regionen fit für die Zukunft zu machen, beispielsweise durch die Förderung energieeffizienter Heizungstechnik und eines modernen Maschinenparks in den Unternehmen. Damit stellen wir Weichen für die Zukunft. Zudem ist die Anbindung der ländlichen Räume von grundlegender Bedeutung für das zukünftige Mit- und Nebeneinander von Stadt und Land. Deshalb muss die langfristig debattierte Elektrifizierung der Eifelbahn von Köln in die betroffenen Regionen ganz oben auf die Prioritätenliste.
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Der dritte Punkt. Wir müssen weiterhin lernen, zukünftig besser mit solchen Katastrophen umzugehen. Das reicht von den Warnsignalen, ob digital und/oder analog, bis hin zur Ausschöpfung der Potenziale bei den Aufräumarbeiten. Leider musste ich erleben, dass Hilfe vor Ort oft aus sehr formalen Gründen nicht geleistet werden konnte, obwohl die Bundeswehr oder das Technische Hilfswerk hochmotiviert schon vor Ort waren. Auch muss diese Hilfe dringend über längere Zeiträume gewährt werden, meines Erachtens zum Teil über Monate. Das brauchen die Menschen in den betroffenen Gebieten.
Der vierte und letzte Punkt. Wir werden in den nächsten Monaten erleben, dass weniger das fehlende Geld, sondern der Fachkräftemangel vor Ort zum Problem wird. Wir sollten deshalb auch da Ideen sammeln.
Kollege Herbrand, Sie haben jetzt auch die Zeit, die Ihnen der Kollege Kubicki übrig gelassen hat, aufgebraucht. Sie müssen einen Punkt setzen.
Ein letzter Satz. – Ich denke da beispielsweise an Solidaritätsaktionen über die Handwerkskammern in ganz Deutschland und vielleicht darüber hinaus.
Lassen Sie uns bitte gemeinsam nach vorne schauen und den betroffenen Gebieten nachhaltig helfen.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich den Worten des Kollegen Herbrand anschließen: Gemünd ist einer der Orte, wo es nach wie vor apokalyptisch aussieht. Das ist eine riesige Aufgabe, und deshalb finde ich es gut, dass wir diese Fluthilfe hier auf den Weg bringen, dass wir diese 30 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Umso absurder ist es, dass das von der Großen Koalition hier mit dem Infektionsschutzgesetz verknüpft wird, was eine merkwürdige Debatte ergibt. Da hätten Sie sich mal einen Ruck geben sollen. Ich glaube, das wäre ein gutes Signal in die betroffenen Flutregionen gewesen, sodass die Menschen auch sehen: Der Deutsche Bundestag handelt in Wahlkampfzeiten gemeinsam und führt nicht so eine merkwürdig gespaltene Debatte.
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Die 30 Milliarden Euro werden in den Regionen wirklich gebraucht; da kann ich mich nur anschließen. Das ist wichtig. Ich will aber auch sagen: Die 30 Milliarden Euro sind längst nicht das, was notwendig ist. Da kommt noch viel mehr obendrauf. Und wenn wir es nicht schaffen, aus dieser Flutkatastrophe die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, wenn wir jedes zweite oder dritte Jahr oder noch öfter hier solche Pakete beschließen müssen, dann wird dieses Land das nicht verkraften können, mal ganz abgesehen von dem menschlichen Leid, der Zerstörung von Existenzen und was da sonst noch ansteht.
Deshalb darf es nicht bei dieser Fluthilfe bleiben. Das Ganze muss in allen Politikbereichen Konsequenzen haben, meine Damen und Herren.
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Dazu will ich ganz ehrlich sagen: Selbst wenn man in der Flutregion unterwegs ist, kann man heute schon daran Zweifel bekommen. Die schöne Stadt Jülich weist ein neues Gewerbegebiet aus auf einer Fläche, die überflutet war – und da hat die Flut noch nicht einmal so richtig schlimm zugeschlagen –, mit freundlicher Unterstützung der Landesregierung von Armin Laschet. So werden unmittelbar nach der Flut jetzt die nächsten Flutkosten produziert. Und wenn wir daraus nicht lernen, wenn wir jetzt schon wieder so weitermachen, dann haben wir die Botschaft dieser Flutkatastrophe nicht verstanden, meine Damen und Herren.
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Damit komme ich zur Frage des Klimaschutzes. Denn es ist ja richtig: Solche Ereignisse werden immer häufiger und immer heftiger auftreten. Das ist die eindeutige Botschaft der Wissenschaft. Lieber Kollege Andreas Jung, Sie haben hier gerade gesagt, das Klimaschutzgesetz sei das Maß der Dinge, nach dem sich alles ausrichten müsse. Dann würde ich aber darum bitten, dass auch danach gehandelt wird. In diesem Klimaschutzgesetz ist für den Energiesektor für das Jahr 2030 ein Emissionsbudget enthalten, nach dem in Deutschland kein einziges Kohlekraftwerk mehr laufen darf. Wir haben aber heute Morgen hier gehört, dass sowohl Herr Laschet als auch Herr Scholz sagen: Der Kohleausstieg bis 2038 soll weiterlaufen. – Sie halten sich heute schon, vor der Wahl, nicht an Ihr eigenes Klimaschutzgesetz. Wer soll Ihnen da abkaufen, dass Sie es nach der Wahl tun? Das muss anders werden!
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Deshalb sage ich zum Schluss: Dieses Land, Deutschland, kann sich nicht länger eine Regierung aus CDU, CSU und SPD leisten.
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Das muss sich ändern. Ihre Politik, die Sie hier betreiben, ist unbezahlbar.
Danke schön.
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Das Wort hat die Kollegin Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine THW-Helferin aus meiner Heimatgemeinde, die, wie so viele andere in den Flutgebieten, in diesem Fall im Ahrtal unterwegs war, hat mir erzählt, dass sie eine Christbaumkugel aus diesem Einsatz mit nach Hause gebracht hat. Eine Christbaumkugel, die im Morast, im Schlamm lag, neben vielem anderen, und die Dramatik dieser ganzen Flutkatastrophe symbolisiert. Von einer Sekunde auf die andere war die heile Welt, die so eine Christbaumkugel auch symbolisiert, zerstört. Dinge, die über Generationen hinweg jedes Jahr in den Familien gebraucht und hochgehalten wurden, waren weg. Schulen, Spielplätze, Kindergärten, alles, was auch das Dorfleben, die Gemeinschaft vor Ort ausmacht, war nicht mehr da. Sachen wurden zerstört, aber eben auch Leben.
In dieser Debatte wird deutlich, dass wir nach wie vor erschüttert sind und unser tiefes Mitgefühl ausdrücken für all das, was dort passiert ist. Wir bringen heute mit dem Aufbauhilfegesetz aber auch konkrete Maßnahmen auf den Weg, um den Opfern zu helfen: durch einen schnelleren Aufbau der Infrastruktur, durch bessere Planungs- und Genehmigungsverfahren, durch Geld, das dort dringend gebraucht wird, jetzt und in den nächsten Jahren. Wir schaffen darüber hinaus mit Cell Broadcast die Grundlage für eine bessere Katastrophenwarnung in der Zukunft – im Flutgebiet, aber auch in der gesamten Republik.
Ich finde, über dieses Gesetz hinaus müssen wir noch zwei weitere Lehren aus dieser Katastrophe ziehen. Die erste ist, dass wir den Zusammenhalt in unserem Land weiter stärken müssen. Das ist etwas, was meiner Fraktion sehr am Herzen liegt. Wir haben auch in dieser Legislaturperiode aktiv etwas dafür getan – mit der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt, mit vielen Erleichterungen für Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler. Es war wirklich beeindruckend, dass sowohl die Hilfsorganisationen als auch viele Privatleute einfach angepackt haben. Sie sind hingefahren und haben geholfen: ob Handwerker, ob Landwirte, ob Privatpersonen. Und diese Selbstheilungskräfte der Gesellschaft, dieses subsidiäre Handeln von der kleinen Ebene, die sich selbst organisiert hat und in der ersten Sekunde schon handlungsfähig war, ist wirklich beeindruckend. Das müssen wir stärken.
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Und so sehen wir als Union auch den Staat, nämlich subsidiär. Wir sind nicht der Meinung, dass alles im Bund entschieden werden muss, dass alles zentral geregelt werden muss, dass wir von Berlin aus für alle die gleichen Lösungen schaffen müssen. Sondern wir sind der Meinung, dass vor Ort, im Kleinen die besten, die passgenauen Lösungen gefunden werden und dass wir als Staat, als Bund die Aufgabe haben, diese Selbstheilungsstrukturen vor Ort zu stärken, den subsidiären Gedanken zu stärken, den Staat vom Kleinen zum Großen zu denken. Das ist eine große Aufgabe, auch für die nächsten Jahre, dass wir sowohl das Ehrenamt als auch den Zusammenhalt als auch diesen subsidiären Gedanken des Staates weiter stärken.
Alle Studien zeigen, dass ein Staat vor allem dann resilient ist, wenn er diese dezentrale Struktur hat, wenn er diese Selbstheilungsstrukturen stärkt. Und das ist eine Aufgabe für die nächsten Jahre: Wir müssen die Art und Weise, wie wir Staat organisieren, überdenken. Wir als Fraktion haben das angestoßen. Wir sagen: Wir brauchen Reformen, um uns als Staat, als Verwaltung, als Politik neu aufzustellen. Wir können nicht so weitermachen wie in den letzten 200 Jahren; Digitalisierung bietet die Chance, anders zu handeln, und die komplexen Herausforderungen, vor denen wir stehen, zwingen uns dazu und machen es notwendig, dass wir anders agieren als bisher.
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Wir haben konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt, wie wir das machen wollen. Wir sind die einzige Fraktion und die einzige Partei, die bis ins Detail in ihrem Wahlprogramm und in den Papieren unserer Fraktion beschrieben hat, wie wir den Staat modernisieren, digitalisieren, schneller, flexibler und leistungsfähiger machen wollen.
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Darauf wird es in den nächsten Jahren ankommen. Es geht nicht immer nur um mehr Geld, sondern es geht um strukturelle Änderungen. Wir haben dazu Vorschläge auf den Tisch gelegt, und genau die wollen wir umsetzen, damit das, was bei dieser Flut passiert ist, dass wir teilweise zwischen den Ebenen zu langsam, zu schwerfällig waren, nicht mehr passiert, damit wir wirklich resilient sind in der Krise, aber auch gewappnet für die großen, komplexen Herausforderungen unserer Zeit. Dann haben wir die richtigen Lehren aus dieser Krise gezogen, und das ist unsere Aufgabe für die nächsten Jahre.
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Das Wort hat die Kollegin Claudia Moll für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nicht einmal acht Wochen ist es her, dass sich für viele Menschen alles änderte. Zehntausende verloren ihr Haus, ihr Geschäft, ihre Existenzgrundlage. 183 Menschen verloren ihr Leben. Nichts wird für ihre Angehörigen jemals wieder so sein wie zuvor.
Auch in meiner Heimat, der Städteregion Aachen, wütete das Hochwasser. Ich habe die Bilder der Zerstörung noch vor Augen: Bilder aus Eschweiler, Stolberg und Roetgen, Bilder der zerstörten Dörfer und Städte, wie kleine Bäche zu reißenden Flüssen wurden, wie das Wasser ganze Straßen überflutete, Geschäfte und Wohngebäude komplett verwüstet wurden. Ich werde die Bilder von meinem zerstörten Krankenhaus und die Verzweiflung in den Gesichtern der Menschen nicht vergessen.
Ein älteres Ehepaar erzählte mir, dass ihr Haus, in dem sie all die Jahre lebten, komplett zerstört ist. Sie haben sich auf ihren Lebensabend gefreut und müssen sich nun eine neue Bleibe suchen – Menschen in einem Alter, die auch nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem Nichts standen. Ich werde auch nie mehr diesen Gestank vergessen, den Gestank von Schlamm, Öl, Benzin und Fäkalien.
Doch statt ohnmächtig zu beobachten, wie das Hochwasser unsere Heimat zerstörte, zogen die Menschen die Gummistiefel an, krempelten die Ärmel hoch, leerten Keller und Gebäude und befreiten diese von Schlamm und Geröll. Ich war begeistert, als ich gesehen habe, wie Landwirte und Unternehmer schweres Gerät bereitgestellt haben, um all den Schutt wegzuräumen – ohne Geld, ohne eine Gegenleistung zu verlangen.
Vor Ort und aus ganz Deutschland ist uns eine enorme Solidarität entgegengekommen. Menschen fuhren Hunderte Kilometer, bewaffnet mit Schaufeln, Schneeschiebern und Bautrocknern, um zu helfen. Sie erzählten mir, wie gerührt sie waren, dass die Menschen, die so schwer getroffen waren, sich auch noch um sie kümmerten und selbst hilfsbereit zu ihren Helfern waren. Der Zusammenhalt war und ist unglaublich. Das ist gelebte Nächstenliebe und verdient großen Respekt.
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Ob Brötchen schmieren, Kaffee ausgeben, Spenden sortieren oder Wasser abfüllen: Bis heute wird Unglaubliches geleistet, um die Menschen zu versorgen und zumindest ein Stück Normalität zurückzubringen.
Die Menschen in den betroffenen Gebieten lassen sich nicht unterkriegen. Sie haben jetzt vor allem eines redlich verdient, liebe Kolleginnen und Kollegen: Hoffnung,
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die Hoffnung darauf, dass ihre Dörfer und Städte wieder ihre Heimat werden, dass es ein bisschen wie früher, vor der Katastrophe, wird. Lassen Sie uns heute im Deutschen Bundestag ein Stückchen Hoffnung geben.
Einer, der Hoffnung gibt, ist Olaf Scholz.
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Kollegin Moll, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der AfD-Fraktion?
Von wem?
Aus der AfD-Fraktion.
Ach Quatsch, nein.
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Ich bin unserem Finanzminister dankbar – dankbar dafür, dass er früh in die Hochwassergebiete gekommen ist, in meine Heimat. Er hat die richtigen Worte gefunden. Er sagte: Das Leid, die Verluste, die schrecklichen Erinnerungen können wir nicht ungeschehen machen. Aber was wir mit Geld ersetzen können, das werden wir mit Geld ersetzen. – Das ist das Versprechen, um das es geht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich bin daher froh, dass wir heute über 30 Milliarden Euro abstimmen werden: 30 Milliarden Euro, weil wir es als gesamtgesellschaftliche Aufgabe sehen und eben nicht Regionen und Länder alleinlassen; 30 Milliarden Euro, mit denen wir unsere Städte, unsere Gemeinden, unsere Heimat wieder aufbauen werden.
Aber nicht nur Häuser, Straßen und Brücken sind zerstört; auch Arbeitsplätze sind gefährdet. Das wird oft vergessen. Olaf Scholz hat deshalb zu Recht Betriebsräten, Gewerkschaftern und Geschäftsführern regionaler Firmen zugesichert, dass wir es nicht zulassen werden, dass durch das Hochwasser Arbeitsplätze verloren gehen, und sie auf unsere Hilfe zählen können.
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Die Katastrophe ist für uns noch nicht vorbei. Auch wenn einige Keller inzwischen trockengelegt sind und das Geröll teilweise beiseitegeräumt ist, stehen wir vor zerstörten Ladenzeilen, Wohnhäusern, Straßen und Brücken. Machen wir uns nichts vor: Der Wiederaufbau wird lange dauern und Kraft, Nerven, vor allem aber Geld kosten. Wichtig ist, dass das Geld über die Soforthilfe hinaus schnell und unkompliziert kommen muss. Bund und Länder müssen sich auf Hilfen mit möglichst wenig Bürokratie und kurzen Verfahren einigen. Wir dürfen die Hoffnung, die wir heute geben, nicht durch Vorschriften und Auflagen zerstören.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns Hoffnung geben – Hoffnung geben für die Menschen, die vor ihren zerstörten Häusern stehen, die nicht wissen, wann ihre Kinder wieder in die Dorfschule gehen können, die nicht wissen, ob sie jemals wieder in ihr Haus können, ihren Laden eröffnen können, und die nicht wissen, wann ihr normales Leben zurückkehrt.
Ich danke Ihnen.
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Zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Martin Sichert das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. -
Wenn alle Menschen in Deutschland ein Impfangebot haben, gibt es rechtlich und politisch keine Rechtfertigung mehr für irgendeine Einschränkung.
Das sagte am 6. Juli dieses Jahres Ihr SPD-Minister Heiko Maas.
Das Bundesgesundheitsministerium sagt, dass schon zum 7. Juni die Priorisierung aufgehoben wurde und jedem in Deutschland ein Impfangebot gemacht werden kann.
Wie kann es dann sein, dass heute auf Initiative der SPD weitere Einschränkungen beschlossen werden, und wie glaubwürdig ist die SPD, wenn die Worte ihrer Minister nicht mal ein paar Wochen lang Geltung haben?
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Nacht zum 15. Juli gab es ein unglaubliches und lange nicht mehr dagewesenes Starkregenereignis, das ganze Teile des Ahrtals und der Eifel zerstört hat. Viele von Ihnen werden die Bilder noch im Kopf haben: die verzweifelten Gesichter, die Schäden, die an Kriegsgebiete erinnert haben. Wenn wir heute ein großes Aufbauhilfegesetz im Volumen von 30 Milliarden Euro beschließen, dann ist das nicht nur eine gewaltige wirtschaftliche Hilfestellung; es ist vor allen Dingen ein Zeichen der Solidarität mit dieser Landschaft, mit dieser Region und mit den Menschen, die dort leben und so schlimm zu leiden hatten und haben.
Dass wir uns 30 Milliarden Euro Wiederaufbauhilfe leisten können, dass wir es uns leisten konnten, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie mit 300 Milliarden Euro auszugleichen,
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das ist die Leistung einer Haushalts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung in den vergangenen zehn Jahren. Liebe Frau Lötzsch, Sie haben gesagt, Sie wollen vor der Wahl wissen, wie die Rechnung bezahlt wird. Ich kann es Ihnen sagen: Zwischen 2014 und 2020 haben wir jedes Jahr ausgeglichene Haushalte gehabt. Diese Solidität in der Finanzpolitik ist die Grundlage dafür, dass wir solche Herausforderungen bewältigen können. Die Entfesselung der Wirtschaft wird es uns auch in Zukunft ermöglichen, diese Kosten zu bezahlen und das wieder auszugleichen.
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Wir setzen auf Entfesselung und nicht umgekehrt auf Knebelung der Menschen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben der Bereitstellung von Geld haben wir auch weitere Maßnahmen ergriffen, beispielsweise die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, worüber ich froh bin. Die Bundesregierung und das Bundesjustizministerium hatten vorgeschlagen, diese bis Ende Oktober auszusetzen – ziemlich weltfremd, um ehrlich zu sein. Denn in der jetzigen Situation geht es ja nicht darum, dass man irgendwelche Rechnungsbelege aus dem Schlamm rekonstruiert; in der jetzigen Situation geht es ums nackte Überleben von Betrieben und um den Schutz von Arbeitsplätzen. Deswegen war es der Vorschlag von Armin Laschet, diese Regelung bis Ende Januar des nächsten Jahres mit Verlängerungsoption zu machen, damit man die Prioritäten richtig setzen kann, damit man das eine nach dem anderen tun kann,
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damit man den Menschen die Luft zum Atmen gibt. Das war der Vorschlag von Armin Laschet. Wir setzen ihn heute um.
Ich fand es sehr bemerkenswert, was hier gesagt worden ist zu der zweiten großen Krise und Herausforderung, die wir parallel zu bewältigen haben: den Weg raus aus der Covid-19-Pandemie. Deswegen, lieber Herr Kubicki, habe ich auch nicht so ganz verstanden, was Sie in Ihrer Rede gesagt haben.
Wir setzen heute etwas gesetzlich um, was wir in der vergangenen Sitzung postuliert haben. Das allein ist kein Eingriff in Grundrechte. Das, was wir heute machen mit der Änderung des § 28a Infektionsschutzgesetz, ist der Weg aus der Pandemie heraus. Wir schaffen mehr Freiheit, mehr Möglichkeiten. Und das machen wir verantwortungsvoll, weil wir auf die Situation reagieren und weil wir sagen: Die Inzidenz der Neuinfektionen sagt zwar etwas über die Dynamik aus – und die ist gewaltig: am 28. Juni hatten wir 431 Neuinfektionen, heute haben wir 14 000 täglich; das ist der Unterschied – –
Kollege Frei, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Dehm?
Ja, selbstverständlich.
Herr Kollege Frei, ich habe den Kollegen Kubicki verstanden und möchte Sie fragen: Warum gibt es keine kostenlosen Antikörpertests? Mit Antikörpertests, wenn sie kostenlos ausgegeben werden, haben Sie zwar nicht die Kontrolle, woher die Antikörper kommen – unbemerkt Genesene, vielleicht auch Sputnik V oder andere Impfstoffe –, aber Sie können damit Antikörper nachweisen, und Antikörper in einer gewissen Menge sind ausreichend, den Krankheitsausbruch einer neuen Infektion erheblich zu beeinflussen.
Letzte Frage: Sie haben die Finanzpolitik des Bundes so gepriesen. Der Deutsche Städtetag, die Gemeinden ächzen auf dem letzten Loch. Es sind die eingesparten Warnsysteme, wodurch die Feuerwehren bei der Überschwemmung in Bedrängnis waren. Wäre es angesichts einer solchen Überschwemmungskatastrophe nicht an der Zeit, das Loblied über die Vergangenheit etwas kritischer zu sehen, um in Zukunft mehr in die Warnsysteme zu setzen?
Lieber Herr Kollege Dehm, ich möchte Ihre zwei Fragen gerne beantworten. Zum Ersten: Wir haben genügend Möglichkeiten zum Schutz und zur Immunisierung. Jeder hat die Möglichkeit und die Gelegenheit, sich impfen zu lassen. Wer das nicht möchte, hat die Möglichkeit, sich testen zu lassen, um dann am gesellschaftlichen Leben auch mit anderen, auch mit denen, die er nicht kennt, entsprechend teilhaben zu können.
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Die zweite Frage, die Sie gestellt haben, möchte ich Ihnen auch gerne beantworten. Wir haben im letzten Jahrzehnt ein Jahrzehnt der Rekordsteuereinnahmen gehabt: jedes Jahr höhere Steuereinnahmen als im Jahr zuvor. Das galt nicht nur für den Bund, das galt auch für die Länder, und es galt auch für die Kommunen. Die Kommunen hatten Investitionshaushalte wie seit Langem nicht mehr.
Deswegen ist es an jeder politischen Ebene, ihre Aufgaben entsprechend zu bewältigen. Im Bereich des Katastrophenschutzes ist die Zuständigkeit nach unserer Verfassung den Ländern und den Kommunen zugeordnet. Viele kriegen das ja auch ganz hervorragend hin, und der Bund unterstützt es. Deswegen haben wir beispielsweise Warn-Apps. Deswegen haben wir jetzt beispielsweise auch in der analogen Alarmierung ein 88-Millionen-Euro-Programm aufgelegt, um Sirenen zu beschaffen. Wir hatten mal 80 000 funktionstüchtige Sirenen in Deutschland; heute sind es 15 000. Es war nicht der Bund, der eine solche Entwicklung herbeigeführt hat, sondern es waren die Kommunen, die diese Sirenen abgebaut haben. Wir unterstützen sie jetzt, dass sie sie wieder ertüchtigen und aufbauen können. Wir investieren in das Cell Broadcast – meine Kollegin Schön hat das erwähnt –, um sozusagen den Teppich an Warnsystemen dichter zu weben und damit den Schutz der Bevölkerung weiter zu verbessern. Das ändert aber nichts daran, dass es eine eigene originäre Zuständigkeit des Bundes in der Katastrophenhilfe nicht gibt. Das ist die verfassungsrechtliche Lage. Das sollte man auch zur Kenntnis nehmen.
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Kollege Frei, ich halte die Uhr noch immer an. Ich habe noch zwei Meldungen, bin aber gehalten, dafür zu sorgen, dass sich Ihr Redebeitrag nicht verdoppelt oder verdreifacht. Ich habe eine Meldung des Kollegen Kubicki zu einer Frage oder Bemerkung, und ich habe eine Meldung des Abgeordneten Kleinwächter. Lassen Sie diese noch zu? Schaffen Sie es, wenn beide das hintereinanderweg gemacht haben, sie gemeinsam zu beantworten?
Das schaffe ich.
Gut. – Dann, bitte.
Herr Kollege Frei, dass Sie mich nicht verstanden haben, habe ich an Ihren Ausführungen festgestellt. Deshalb versuche ich, noch mal zu erklären, worum es mir geht.
Mit der Novellierung des Infektionsschutzgesetzes im März letzten Jahres hat der Gesetzgeber die Idee verfolgt, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Jetzt steht da: eine erhebliche Belastung des Gesundheitssystems. Die Idee war und ist immer noch: Wenn alle vulnerablen Gruppen und die Älteren, zu denen ich auch gehöre, geimpft sind – jeweils bei einer Quote von ungefähr 85 Prozent –, dann besteht keine Gefahr mehr, dass das Gesundheitssystem überlastet würde, weil die jüngeren Jahrgänge, selbst wenn sie infiziert sind, nur einen schwachen Verlauf haben, wenn sie überhaupt Symptome zeigen – je jünger, desto weniger intensiv. – Das ist die Idee der Dänen, die vor acht Wochen genau dem gefolgt sind. Sie haben erklärt: Wir haben alle über 50‑Jährigen, soweit sie wollten, geimpft; deshalb können wir alle Maßnahmen aufheben. – Zum 10. September heben sie alle Maßnahmen auf, weil klar ist: Das Gesundheitssystem kann nicht überlastet werden.
Jetzt steht die spannende Frage im Raum: Warum machen wir das nicht in gleicher Weise? Was ist die Sorge, die Sie haben? Das müssten Sie der deutschen Bevölkerung vielleicht erklären. Wann ist denn der Punkt erreicht, bei dem Sie sagen: „Wir hören mit allen Maßnahmen auf.“? Wenn alle Null- bis Zwölfjährigen geimpft sind? Oder wie soll ich mir das vorstellen?
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Der Abgeordnete Kleinwächter hat noch das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Kollege Frei, ich möchte noch einmal an die Frage des Herrn Dr. Dehm anschließen, die Sie meiner Einschätzung nach nicht wirklich beantwortet haben, nämlich nach den Antikörpertests.
Was ist das für eine Strategie, die Sie hier fahren? Sie misstrauen grundsätzlich gesunden Menschen, die sich keine Impfung gegeben haben, und wollen gleichzeitig Privilegien für diejenigen ausstellen, die geimpft oder genesen sind. Gleichzeitig aber negieren Sie einen medizinischen Indikator, der uns eine relativ verlässliche Aussage darüber gibt, ob sich jemand noch mal reinfizieren kann und ob in diesem Fall eine starke Infektiosität, ein besorgniserregender Krankheitsverlauf auftreten kann.
Ein solcher medizinischer Hinweis ist in der Tat das Vorliegen von neutralisierenden Antikörpertests. Das kann im Labor durchgeführt werden. Weshalb negieren Sie die Existenz dieser Tests und binden sie überhaupt nicht in die entsprechende Coronastrategie der Bundesregierung ein? Warum lassen Sie Menschen, die beweisen können, dass sie Antikörper haben, dass sie keine Gefahr für die Gesundheit sind, komplett abblitzen und stellen sie im Prinzip in eine diskriminierte Position zusammen mit all denen, die ohnehin gesund sind und sich jetzt mit Tests qualifizieren müssen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen? Warum keine kostenlosen Tests? Warum überhaupt Tests zur Teilnahme an der Gesellschaft? Das ist diskriminierend, und es ist vor allem medizinisch nicht angezeigt.
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Sie haben das Wort zur Antwort.
Geschätzter Herr Kollege Kubicki, bei allem Respekt, Sie haben mir eine gesundheitliche Frage gestellt und haben eine eigene Einschätzung gegeben. Ich würde Ihnen in gesundheitspolitischer Hinsicht höchstens ein bisschen mehr vertrauen als dem Bundesaußenminister, aber ich würde mich nicht darauf verlassen. Deswegen will ich Ihnen ganz klar sagen: Natürlich haben wir Menschen in unserer Gesellschaft, die sich nicht impfen lassen können. Dazu gehören beispielsweise Schwangere, dazu gehören bestimmte Krankheitsindikationen, und dazu gehören auch 9 Millionen Kinder unter zwölf Jahren, für die ich diese pauschale Aussage, dass sie in dieser Situation ungefährdet sind und eine Durchseuchung völlig unproblematisch wäre, unverantwortlich finde. Deswegen schließe ich mich dem ausdrücklich nicht an.
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Herr Kleinwächter, ich kann nur noch mal das Gleiche wiederholen: Es gibt eine umfassende Schutzstrategie, es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, wie man das machen kann und wie man darlegen kann, dass man nicht infektiös ist. Das Ganze ist immer auch eine Frage von Ressourcen, eine Frage von Geld. Wir geben allein für Testungen Milliardenbeträge in diesem Jahr aus.
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Deswegen, glaube ich, ist es sinnvoll, sich hier auch entsprechend zu konzentrieren.
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Damit wäre ich am Ende der Fragen. – Lassen Sie mich an dieser Stelle einen letzten Punkt anführen: Wir haben in diesem Gesetz auch deutlich gemacht, dass es ein Fragerecht des Arbeitgebers geben muss, beispielsweise in Seniorenheimen, in Kitas, in Schulen. Dass wir es nicht geschafft haben, das auch auf andere Arbeitgeber zu übertragen, finde ich sehr, sehr bedauerlich. Ich will nur an einem Beispiel demonstrieren, was es bedeutet: Gehen Sie als Gast in ein Restaurant, dann müssen Sie geimpft sein, dann müssen Sie getestet sein. Aber der gleiche Wirt darf seinen Koch und seinen Kellner nicht fragen, ob er geimpft oder getestet ist. Das ist doch an Absurdität überhaupt nicht zu überbieten.
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Deswegen finde ich es schlimm, dass wir das allein deshalb nicht hingekriegt haben, weil die Gewerkschaften dagegen waren. Mit Klientelpolitik sollten wir Schluss machen.
Herzlichen Dank.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Ihnen berichten, dass die Vermittlung im Vermittlungsausschuss zu einem Ergebnis geführt hat. Das waren noch schwierige Verhandlungen; aber es sind am Ende alle einen Schritt aufeinander zugegangen. Ich finde, dass es ein ausgesprochen gutes Ergebnis ist. Wir haben im Moment Wahlkampf, und da wird auch gestritten. Aber wir machen damit deutlich, dass wir in dieser wichtigen gesellschaftlichen Frage – Betreuung von Kindern im Grundschulalter – jetzt einen wirklichen Fortschritt machen können.
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Die Coronakrise hat gezeigt, wie wichtig das ist. Die Coronakrise hat gezeigt, dass wir gleiche Chancen für alle Kinder brauchen, wenn es darum geht, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu stärken. Und da machen wir jetzt diesen entscheidenden Fortschritt.
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Wir haben uns als Bund dazu bereit erklärt, mehr Geld zur Verfügung zu stellen, was die Betriebskosten angeht. Wir leisten mit 3,5 Milliarden Euro ja bereits einen sehr starken Beitrag zu den Investitionskosten. Wir werden bei den Betriebskosten nun ab dem Jahr 2030 jährlich nicht 960 Millionen Euro, sondern 1,3 Milliarden Euro leisten.
Mit der Bewegung, die das ermöglicht hat, konnten wir zu einem Kompromiss kommen. Dazu gehört auch, dass wir die Betreuungsleistungen freier Träger ganz ausdrücklich in diesem Gesetz anerkennen, dass die Länder diese Leistungen auf ihre Quoten anrechnen können. Es ist auch ein guter Weg, wenn zum Beispiel die Caritas, die Diakonie oder Elternvereine diese Betreuung in den Grundschulen übernehmen. Das ist in meinem Heimatland Baden-Württemberg ganz stark der Fall, in anderen Ländern aber auch. Entscheidend ist, dass eine gute Betreuung stattfindet. So konnten wir zu einem Ergebnis kommen; hinter diesem konnten sich gestern Abend ganz viele versammeln. Ich wünsche mir, dass das heute im Bundestag ebenso gelingt und dass es am Freitag im Bundesrat gelingt.
Diese Frage liegt originär in der Zuständigkeit von Ländern und Kommunen. Der Bund hat sich aber der Verankerung eines Rechtsanspruches angenommen, sodass wir da gemeinsam vorankommen; es ist schließlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb freue ich mich, dass wir dieses Vermittlungsergebnis haben. Ich werbe um Zustimmung.
Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegen hier im Haus und bei den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten sowie bei den anderen Vertretern der Länder, dass wir zu dieser Gemeinsamkeit kommen konnten.
Herzlichen Dank.
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Zu einer weiteren Erklärung nach § 10 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses hat nun der Abgeordnete Dr. Götz Frömming das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Kollege Jung! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine Fraktion hat sich gestern im Vermittlungsausschuss enthalten, und ich möchte kurz erklären, warum wir dem Gesetz in der vorliegenden Form nicht zugestimmt haben.
Grundsätzlich begrüßen wir natürlich mehr Investitionen in den Bildungsbereich und begrüßen es auch, dass Familien stärker unterstützt werden sollen. Wir kritisieren aber drei Dinge:
Erstens: die Zielsetzung des Gesetzes. Sie geben es selber zu bzw. im Textteil des Gesetzes wird es auch erläutert, dass es Ihnen vorrangig ja darum geht, die Wirtschaft zu unterstützen, sprich: dafür zu sorgen, dass Mütter früher in den Produktionsprozess zurückkehren können.
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Dagegen ist grundsätzlich natürlich nichts zu sagen. Für uns ist das auch vollkommen in Ordnung. Was wir aber kritisieren, ist, dass Sie die Wahlfreiheit weiter aushöhlen, die ja nach dem Grundgesetz den Eltern zusteht. Hier greift der Staat einmal mehr in die Kompetenzen der Eltern ein,
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indem er ihnen diese Entscheidung abnehmen will und nur ein bestimmtes Betreuungsmodell, nämlich das staatliche, fördern will.
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Zweiter Punkt: die Finanzierung. Ihr Gesetz ist noch nicht mal veröffentlicht, da wird Ihnen schon vorgerechnet – vielleicht haben Sie die Pressemitteilung des Deutschen Städtetages vom heutigen Tage gelesen –, dass dieses Gesetz in der vorliegenden Form massiv unterfinanziert ist. Die Rede ist von mehreren Milliarden, die fehlen, die vor allen Dingen fehlen werden, wenn man nicht nur im Wahlkampf einen Ballon steigen lassen will, sondern die Betreuung auch nachhaltig für die nächsten Jahrzehnte finanzieren möchte. Auch das kritisieren wir: die wenig ausreichende Finanzierung.
Der dritte Punkt ist vielleicht der schwerwiegendste. Einmal mehr kauft der Bund den Ländern Kompetenzen ab im Bildungsbereich. Auch wenn Sie sich hier auf den geänderten Artikel 104c Grundgesetz berufen, verstößt das doch gegen die Grundordnung unseres Staates. Das Ergebnis haben wir beim DigitalPakt gesehen: Es entsteht ein Kuddelmuddel, es entstehen bürokratische Hürden, und die Prozesse, die eigentlich gewünscht werden, kommen nicht wirklich in Gang.
Aus unserer Sicht wäre es besser, hier klare Verhältnisse zu schaffen: dass die Länder das tun, was die Länder tatsächlich tun sollen nach unserem Grundgesetz, nämlich sich um Bildung kümmern, um Schulen und Hochschulen. Und der Bund sollte sie in die Lage versetzen, dass sie dies auch nachhaltig tun können.
Meine Damen und Herren, eine weitere Aushöhlung des Grundgesetzes, erst recht hin zu einer zentralistischen Steuerung unseres Bildungswesens, mit weiteren ideologischen Projekten – das fängt ja mit der Ganztagsbetreuung erst an; weitere werden dem folgen –, das lehnen wir als AfD-Fraktion entschieden ab.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat die Kollegin Katja Mast.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass wir heute den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter verabschieden können, ist eine große Leistung. Sie nützt vor allen Dingen den Kindern in diesem Land, die damit mehr Chancengerechtigkeit bekommen, und den Familien in diesem Land.
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Mit diesem Rechtsanspruch – es ist ja keine Rechtspflicht, sondern ein Rechtsanspruch; das heißt, man kann die Betreuung in Anspruch nehmen, wenn man es möchte – endet die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – das ist die große Herausforderung für viele Familien – künftig nicht mehr mit der Kita.
Ich werde sehr oft in meinem Wahlkreis Pforzheim/Enzkreis gerade von Müttern angesprochen, die sagen: In der Kita habe ich eine Ganztagsbetreuung, aber in der Schule eben nicht mehr. – Wir wollen, dass die Menschen in unserem Land so leben können, wie sie wollen. Deshalb sind wir als SPD-Bundestagsfraktion und als SPD insgesamt froh, dass wir diesen Rechtsanspruch auf den letzten Metern dieser Legislatur mit vielen gemeinsam auf den Weg bringen können.
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Dieser Rechtsanspruch ist für uns auch ein wichtiger Schritt hin zur Kindergrundsicherung. Wir sagen immer: Wir wollen das Kindergeld künftig automatisch an die Familien auszahlen: Und dabei gilt: Je weniger sie verdienen, desto mehr Kindergeld erhalten sie. – Wir sagen aber auch, dass zur Kindergrundsicherung eben auch eine bessere Bildungs-, Betreuungs- und Teilhabeinfrastruktur für die Kinder gehört. Und was, wenn nicht der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung, gehört dazu? Deshalb ist das ein wichtiger Schritt hin zur Kindergrundsicherung.
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Wir haben uns im Bundestag noch mal sehr bewegt und sind bei dieser originären Aufgabe der Länder und Kommunen – Kollege Jung hat das auch schon gesagt – auf die Länder zugegangen. Das ist ein großer Durchbruch bei einer ganz wesentlichen Strukturfrage in dieser Republik.
Ich will zum Schluss kommen und noch mal allen danken, insbesondere den Ministerinnen Giffey und Lambrecht, die das für uns als Familienministerinnen vorangebracht haben,
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aber auch den Berichterstatterinnen und Berichterstattern sowie den Sprecherinnen und Sprechern in meiner Fraktion und auch in der Koalition; denn es war eine gemeinsame Kraftanstrengung, das hinzubekommen. Ich bin besonders froh, dass auch die Oppositionsfraktionen hier im Bundestag gestern im Vermittlungsausschuss einen großen Teil dazu beigetragen haben, dass wir das gemeinsam hinbekommen haben. Ich bitte deshalb um Zustimmung des gesamten Hauses.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um es gleich vorwegzunehmen: Wir als Linke werden dem Vermittlungsergebnis zustimmen. Als wir hier im Bundestag den Gesetzentwurf diskutiert haben, haben wir uns enthalten, weil wir wollten, dass in dieses Gesetzespakt auch die Qualitätssicherung hineingeschrieben wird. Nun gab es ja im Vermittlungsausschuss die Debatte bzw. das Ringen um die beste Lösung. Wir als Linke stehen dafür, dass alle Kinder gute Chancen haben, und dazu gehört natürlich auch der Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung.
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An dieser Stelle will ich auch erwähnen, dass es in vielen Ländern – gerade im Osten Deutschlands – dieses Angebot schon gibt und dass nicht nur viele Eltern davon profitieren, sondern dass es vor allen Dingen ja auch ein Recht für die Kinder ist, mit anderen Kindern zusammen zu sein, zu lernen und Neues zu entdecken.
Aber: Ich glaube, dass uns diese ganze Diskussion und das Verfahren im Vermittlungssauschuss noch einmal ganz deutlich vor Augen geführt haben, was wir im Grundgesetz brauchen. Wir brauchen nämlich eine Gemeinschaftsaufgabe „Bildung“, und dafür setzen wir uns als Linke ein. Das werden wir auch in der nächsten Legislaturperiode wieder einbringen. Ich glaube, die Lehre aus den verschiedenen Vermittlungsergebnissen und auch aus der Frage, wie wir mit dem DigitalPakt umgehen, ist: Wir brauchen endlich die Verankerung der Gemeinschaftsaufgabe „Bildung“ im Grundgesetz. Dafür setzen wir uns ein. Das wäre besser für alle Kinder und Jugendlichen in unserem Land, das würde die Bildungschancen erhöhen, und das würde dieses ständige Hickhack verhindern. Also: Lassen Sie uns gemeinsam dafürstimmen!
Vielen Dank.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für Familien, ein guter Tag für Kinder und auch ein guter Tag für mehr Bildungsgerechtigkeit.
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Für viele Familien in Deutschland und gerade auch für Alleinerziehende – hier trifft es besonders Frauen – gab es in der nächsten Lebensphase nach Ende der Kitazeit, während der man ein ganztägiges Betreuungsangebot hatte, in der das Kind auf die Grundschule gegangen ist, einen absoluten Schock. Das war im Lebensalltag schwer zu bewältigen, weil plötzlich nicht überall im Land eine Ganztagsbetreuung, Ganztagsbegleitung bzw. Ganztagsbildung möglich war. Deshalb ist es ein so wichtiger Schritt, dass wir diesen Rechtsanspruch jetzt verankert haben, den alle Familien und Menschen mit Kindern einfordern können.
Es ist gut, richtig und wichtig, dass sich der Vermittlungsausschuss gestern verständigt hat, auch wenn es lange gedauert hat. Letztlich waren aber bis auf die AfD wir alle hier im Deutschen Bundestag an Bord, und auch alle Länder waren mit dabei. Ich bin sehr froh, dass das gelungen ist.
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Es wird zu mehr Bildungsgerechtigkeit und zu mehr Chancengerechtigkeit für alle Kinder führen, und das ist ein ganz wichtiges Signal für alle Familien im Land. Ich bin froh darüber, und jetzt müssen die nächsten Schritte bei anderen Themen folgen, nämlich im Hinblick auf eine Verbesserung der materiellen Grundsicherung für Kinder. Die Zeit für die Kindergrundsicherung ist reif, damit wir diesen skandalösen Zustand, dass jedes fünfte Kinder in diesem Land in Armut lebt, wirklich endlich überwinden.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Florian Toncar.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere gestrige spätnächtliche – mitternächtliche – Einigung zur Finanzierung der Betreuung von Kindern im Grundschulalter ist ein wichtiger Schritt, auf den die Familien in Deutschland sehnlichst gewartet haben. Die Einigung stärkt die Möglichkeit für Familien, die persönliche Lebensführung frei zu wählen und so auszugestalten, wie es den Interessen und Bedürfnissen der Eltern und der Kinder entspricht.
Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deswegen ist der Bund hier auch mit 3,5 Milliarden Euro an Investitionen und 1,3 Milliarden Euro an jährlichen Betriebskosten an der Finanzierung beteiligt. Wir glauben, dass das ein wichtiges Signal an die Familien ist, und deswegen haben wir diesen Kompromiss gestern auch mitgetragen.
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Dennoch besteht nicht allzu viel Grund zum Selbstlob und zum Feiern; denn man muss ja sagen, die eigentliche Arbeit beginnt erst jetzt – auch für den Bundesgesetzgeber. Es geht einerseits um die Qualitätsstandards für die Einrichtungen – diese Frage haben Sie in dieser Legislaturperiode nicht mehr beantwortet –, und andererseits ist es ebenso wichtig, dass ab jetzt die Personalgewinnung für diese Einrichtungen im Fokus der Politik stehen muss, wenn wir vermeiden wollen, dass nachher leere Einrichtungen auf der grünen Wiese stehen oder dass Kinder über Dutzende Kilometer anreisen müssen, um ein Betreuungsangebot wahrnehmen zu können. Das ist die eigentliche Arbeit, über die erst noch gesprochen werden muss.
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Der andere Grund, warum ich vor zu viel Euphorie warne: Der gestrige Abend war auch noch mal ein Zeichen für die fehlende, unzureichende politische Handlungsfähigkeit, die wir in unserem Land haben. Nicht nur, dass Sie vier Jahre zwischen Koalitionsvertrag und dem gestrigen Tag gebraucht haben, um wenigstens unter dem Druck der Zeit auf den letzten Metern überhaupt noch eine Lösung hinzubekommen; Sie haben gestern Abend fast vier Stunden den Vermittlungsausschuss damit beschäftigt, eine Evaluierungsklausel zu formulieren. Sie haben sich jetzt mit Ach und Krach über die Runden gerettet und kommen heute nur deshalb in der Sache ans Ziel für die Familien, weil der Bundestag auf die Beratungsfristen, die hier eigentlich üblich sind, verzichtet hat.
Wenn man sich anschaut, wie dieses Gesetz zustande gekommen ist – auch wenn es ein Fortschritt ist –, dann sieht man doch, woran es im Regierungsmanagement krankt. Ich glaube nicht, dass man so arbeiten kann, wenn man die großen Themen, die vor uns liegen – die Digitalisierung, den wirtschaftlichen Wiederaufstieg oder den Klimaschutz –, in den Griff bekommen möchte.
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Wir brauchen eine andere Mentalität, einen anderen Anspruch und eine andere Ambition an Regierungsarbeit. Das wird sich hoffentlich nach dem 26. September auch ergeben.
Herzlichen Dank.
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